71. Golo und Genoseva

Durch die Dämmrung sinkt gelinde
nun herab der Abendthau
und die leichte Frühlingswinde
hauchen durch die Blüthen lau;
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und des Mondes Silberwallen,
zittert hin auf dunkler Fluth,
möge dir! mein Lied gefallen,
auserwählteste, von allen!
die geweckt von Nachtigallen
nun auf weichem Lager ruht.
Lieblich steiget auf von hellen
Perlen, süßer Mayendufft,
aus der Erde Busen schwellen
Bluhmen tausendfach zur Lufft;
und des Himmels klare Kerzen
gießen nieder milden Schein:
aber fern von holden Scherzen,
klagen einsam wunde Herzen,
bange sind der Liebe Schmerzen,
sie durchnagen Mark und Bein.
Nacht verbreitet still die Flügel,
dämmernd ruhet Feld und Bach;
alles schlummert, Thal und Hügel,
nur mein Aug bleibt thränen wach.
O du weißt mit welchen Stricken
Liebe mir die Seele band.
Willst du mich der Noth entrücken,
lößen ach! mit sanfften Blicken,
Todt und Leben, Quaal, Enzücken!
alles steht in deiner Hand.

Notes
Erstdruck in: Balladen, Mannheim 1776.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Müller, Friedrich (Maler Müller). 71. Golo und Genofeva. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-50D7-A