Friedrich (Maler) Müller
Fausts Leben dramatisiert

[1298]

[Vorrede]

Meinem lieben, teuren

Otto Freiherrn von Gemmingen


Teuerster!

Wer doch so da sitzen und sein Luftschlößchen recht gemächlich nach Herzens Gefallen ausbauen kann. – Es tut einem so wohl in der Seele, drängt einen oft ganze Stunden wie nach Schlaf, daß man sich's endlich nicht länger mehr erwehren kann, wenn Moment und Lage so recht die Phantasie dazu stimuliert. – Wir sollen und müssen eben oft hinaus, wenigstens mit unserm Herzen, in die Fremde – Es gehört mit zu unserm Wesen, wie die Bienen über Tal und Auen, die Schöpfung zu durchwandern, um tausend neue Schätze zu finden, wo die Liebe mit allmächtiger Rute anschlägt; nicht immer mit dem Gedanken an einem Herd zu hausen, wär's auch nur dann und wann Bewegung und Ausbruch der Glut zu geben, die sonst auf eins verschlossen, unser Herz endlich ganz verschmort. – Fühlten wir doch oft süßen Drang, Teuerster, zum Schaffen; und mit welchem Entzücken legten wir Zauberstab und Bleimaß wieder hin und freueten uns der vollendeten Schöpfung – freueten uns der Erholung darnach, wenn die verschlossene Seele, durch Imagination geöffnet, so recht der Fülle entließ, wie nach segenreichem Gewitter das im üppigen Umfangen die lechzende Natur wieder erquickt. – Neu[1298] gestärkt dann, Unsterblichen gleich, wir in Ihren Heldenwagen sprangen, gastfrei und bieder Sie, ein anderer Odysseus, den Zügel ergriffen, die zwei braune stolz wiehernde Halbgöttinnen voranzujagen, die ihrer Kraft wegen mir so lieb sind. – Leben, du bist süß, wer dich als Mensch genießt, des angestammten Rechts fühlt, daß alles unter der Sonnen meiner Freude gegeben! – Ging's dann immer voran im Sturm, an Wasser und Wald, Steg und Hecken jetzt vorüber, dem Flug erhitzter Jugendphantasie nach, die taumelnd sich stolzerer hoffnungsvollerer Zukunft entgegenschwingt. Man glaubt dann schneller zu schweben hinein in die Zeit. – Dann und dann, was fällt einem nicht alles ein! Erste Liebe, erste Freundschaft, erste Lieblingsideen, erstes Wonnegefühl an der Natur – dann spiegelt sich noch einmal alles vergangene Herrliche durch die Seele zurück – und paaret sich mit den Hoffnungen der Zukunft; die erzeugte Kinder sind schwärmerische Träume, die Herz und Seele eine Zeitlang im wollüstigen Schlummer wiegen –

Nehmen Sie, was ich hier gebe, rein wie's aus meinem Herzen sprang; das Stück eines Dings, das in meiner Jugend mich oft froh und schauerlich gemacht – mich bald erschröckt und entzückt, und doch immer das Spielwerk meiner Imagination blieb – entschlossen jetzt der Baum mit Ranken und Blätter dem Körnchen das einst mit Taubenmund meine Amme den Schoß herab mir zugelullt: Kindermärchen, das sich zuerst in meiner Jugendphantasie befing, mit mir ins stärkere Leben wuchs, fest gehalten vom Herzen, wie ein Fels, den die Klaue der Eiche packt. – Was ist's geworden? – Ihrem Blick überlaß ich das; mir war's oft Leitfaden an dem ich in die Vergangenheit wieder zurückschlich, wenn es mir in der Heutigkeit nicht besser gefiel, und das ist doch wohl nicht wenig; und wem kann und darf es auch mehr sein als mir! – Gedanken der Liebe sind immer die Vorläufer des Künstlers; wir entzücken uns lange an einem Wesen, ehe wir's schildern und schreiben; wir lieblen und buhlen und sparen's bis zum süßten Moment. – Oft ist uns nach langem Streben die Überzeugung schon genug, gewiß durchzudringen, wenn wir jetzt wollten, und ohne hieraus weitern Nutzen zu ziehen, befriedigen wir uns schon am vollen Gefühl unsers Vermögens, und lassen's stehen wie's steht! Was dacht ich, jemalen einen »Faust« niederzuschreiben – Das Erzählen, das Nachdenken an einen Mann der mir gefiel, die Begierde ihn gegen alle zu verteidigen die ihn unrecht nahmen, ihn als einen boshaften oder [1299] kleinen Kerl in die Rumpelkammer herabstießen, das Zurechtrücken in ein vorteilhafteres Licht – brütet nach und nach väterliche Wärme an. – Wir sehn das Ding vor uns entstehn, und tragen Gewissen, es nicht sogleich wieder der Vernichtung entgegensinken zu lassen. – Eine Weile nehmen wir's gastfrei in unser Herz auf, und sitzt es einmal da, so hat's gewonnen. Es ißt, trinkt, träumt, lebt, nährt sich in uns – es steigt und wächst in uns, und ruht nicht, bis es zur Welt kommt – Und siehe da, aus Spaß wird endlich Ernst, und der lebhafteste Kerl kriecht und kriecht und trägt sich, und versagt sich, und kann doch nicht anders, und muß endlich in sein Nestchen, wo er nach Herzensgefallen bequemer gebären kann. Ist's Kind einmal völlig zur Welt, was will man tun – wer fühlt dann nicht Vater – Mutter – Pflicht? – Alles was man an- und aufbringen kann, wird darangehenkt und -gewendet, das Närrchen wo möglich in die Welt honett auszustaffieren.

So entsprang »Genoveva«, die ich vor meiner italienischen Reise noch ganz geben werde, und dieser »Faust«. Lessing und Goethe arbeiten beide an einem »Faust« – ich wußt es nicht, damals noch nicht, da dies Ding zum Niederschreiben mir interessant wurde. – Faust war in meiner Kindheit immer einer meiner Lieblingshelden, weil ich ihn gleich vor einen großen Kerl nahm; ein Kerl, der alle seine Kraft gefühlt, gefühlt den Zügel, den Glück und Schicksal ihm anhielt, den er gern zerbrechen wollt, und Mittel und Wege sucht – Mut genug hat alles niederzuwerfen was in Weg trat und ihn verhindern will – Wärme genug in seinem Busen trägt, sich in Liebe an einen Teufel zu hängen, der ihm offen und vertraulich entgegentritt. – Das Emporschwingen so hoch als möglich ist – ganz zu sein, was man fühlt, daß man sein könnte – es liegt doch, so ganz in der Natur. – Auch das Murren gegen Schicksal und Welt die uns niederdrängt, und unser edles selbständiges Wesen, unsern handelnden Willen durch Konventionen niederbeugt. – Die erste oberste Sprosse auf der Leiter des Ruhms, der Ehre etc. zu besteigen, wer wagt nicht darnach? – Wo ist das niedrige duldende Geschöpf, das immer gleichgültig, aus der Tiefe nicht einmal in Gedanken hinaufwärts wünscht – nicht fliegen wollt, wenn einer Flügel ihm gäbe, nicht steigen wollt, hüb ihn einer auf allmächtigen Armen empor! – Der freiwillig resignierte, sich an seiner Niedrigkeit weidet, lieber das letzte vor dem ersten wählte – Ich habe keinen Sinn vor solch ein Geschöpf; seh's als irgendein Monstrum an, das unzeitig dem Schoß der Natur entging, und [1300] an das sie auch keinen Anspruch weiter macht. – Wenn Eigennutz und Eigenliebe die Maschine sind, die den Weltpuls im Gang halten – was Wunder dann, wenn der starke, große Kerl, sein Recht nimmt, und wenn auch sein Mut ihn über die Welt hinaustreibt, ein Wesen zu suchen, das ihm ganz genügt – Es gibt Momente im Leben, wer erfährt das nicht, hat's nicht schon tausendmal erfahren, wo das Herz sich selbst überspringt, wo der herrlichste beste Kerl, trotz Gerechtigkeit und Gesetze, absolut über sich selbst hinausbegehrt.

Von dieser Seite griff ich meinen Faust. Sie wissen am besten, Teuerster, was für Wege ich die übrige vier Teile durch, genommen, wornach ich eigentlich auch gezielt. – Ein Band wird schnell oder langsam dem andern folgen, so wie mir Lust zum Ausrunden zuteil wird. – Sollt ich in Italien sterben, wird man alle meine Papiere Ihnen einhändigen, und Sie mögen sich hernach der rückgelassenen Waisen annehmen – wie Sie es vor gut finden. Ihnen allein sind alle meine Ideen klar. – Wär alles was ich hier zu sagen hätte.

Die »Situation aus Fausts Leben«, die schon vorher gedruckt worden, gehört eigentlich in den zweiten Teil, der bald folgen soll. – Die Krone jetzt dem sie gebührt! – Es gibt keine größere Hochachtung, als ich für meine zwei edle Mitstreiter erkenne. – Das wissen Sie, Teuerster, und ich freue mich des Nachtritts, wenn übermögende Größe vorangeht. Mag dieser mein Faust nur Fußgestell eines würdigern sein – mag er überwunden und gebeugt die Zähne knirschen, wenn der siegreiche Sultan über seinen Rücken zu Pferde steigt. – Nichts weiter – Sie wissen zu gut wie ich über diesen Punkt denke –

Jetzt leben Sie wohl, und verzeihn Sie mir diese Plauderei. Ich hoffe unsern vortrefflichen von Dalberg diesen Mittag in Ihrer Halle zu treffen. – Wie wär es, wenn wir gegen Abend durch Neckerau am Rhein hinpilgrimierten – so in Ihrer und Ossians Gesellschaft, köstlich! Wir ließen so die Sonne vor uns hinters Rhein-Gebürge hinabsteigen – sehn den Mond dann die silberne Flut heraufwandeln, uns in die Zeiten der Helden zurückzuwinken; aber da müßten Sie mir auch versprechen, nicht mit einem Wörtchen zu gedenken, daß es heutzutage noch Leutchen gäbe, die ihr buntes Pfeifengequäk dem blitzerhellten Nachtgesange des blinden Königs der Lieder anzuflicken suchen; sonst bin ich auf einmal für alles verdorben.

[1301]

Doktor Fausts Leben und Tod
Erster Teil

Mitternacht. Sturm. Ruin einer verfallnen, mit Schutt überwachsenen gotischen Kirche.
Berlicki. Vitzliputzli. Zwei Teufel.

BERLICKI.
Willkomm – Hofspaßmacher!
VITZLIPUTZLI.

Doktor – geben immer einander die Hände – Willkomm! willkomm! Riß Euch dieser greuliche Sturm aus der Hölle los? Vetter! – oder hat Eure Alte Euch heraufgebrummt?

BERLICKI.
Bin ich nicht Luzifers Leibarzt – der jetzt diese Oberwelt mit visitiert –
VITZLIPUTZLI.

Rüst 'weil ein Dutzend Pillen; unsere Könige sind in gewaltigem Zwist aneinander. – Luzifer rast abscheulich vor Galle.

BERLICKI.
Wieso? –
VITZLIPUTZLI.

Wird jetzt ausgemacht werden im allgemeinen Rat, ob diese Welt künftig noch Ansprüche an unsere Hölle machen darf. – Wollen die Menschen fernerer Protektion entziehn. – Doktor, sprich bei Gelegenheit ein wenig fürs Menschenvölkchen; ist freilich jetzt verlegene Ware; machen einen aber doch manchmal noch lachen, wenn sie so in ihrer Lechheit zu uns in die Hölle herabmarschiert kommen.

BERLICKI.

Hätt auch ein Wort zu reden; he! he! he! – Luzifer ist alt und hypochondrisch – das lange Sitzen auf seinem eisernen Stuhl bekommt ihm nicht wohl – alles geht zugrund, wenn ich ihn nicht restituier. Sieht alles so monstros um sich her. – Hab ein Weil alte Bibliotheken durchfahren – phu! was drinnen staubicht macht. – Um welche Stunde kommt Luzifer, und der Rat zusammen? –

VITZLIPUTZLI.

Mitternacht – horch! hörst wie sie lärmen? Moloch trennt sich von Luzifers Haufen; die Welt behagt dem lieblicher als jemals. Mephistophiles, das Höllengenie, lacht und macht sich, kein Zeuge ihrer erhabenen Narrheit zu sein, aus dem Staub weg.

BERLICKI.

Mephistophiles streicht schon lang über die Erde – Weißt nicht wohin er eigentlich seine Ausflucht nimmt?

VITZLIPUTZLI.

Seit's hier oben so voll Genies wimmelt, bringt ihn nichts mehr hinab – sitzt meistens zu Ingolstadt unter von [1302] Kot zusammengeblasenen Erdhalunken, haseliert da breit in den Tag hinein; werden noch all durch ihn in besondern Respekt unter den übrigen Weltkindern geraten.

BERLICKI.

Pfui! pfui doch! – so sich auch degradieren – Horch Luzifers Trompet! – war der Sturm der dort die nasse Felsenwand herunterheult – lieb ist mir's daß sich der König ärgert, kollert sein Blut ein wenig auf – sonst gefriert's – was wollt ich doch sagen – wie? in Ingolstadt als ein schwärmender Bruder also?

VITZLIPUTZLI.

Ja, ja – hat sich dort eines Doktors wegen zum Fuchs erklären lassen, trägt Kragen und Federkappe, einen eisernen Degen und steife Handschuh, trotz einem Renommist – bringt nachher auch Ständchen vor Marcibillens Kammerfenster, als Jungfernknecht – kurz taucht sich ganz in den Menschen hinein, ihn desto richtiger zu studieren. Haben künftig viel von ihm zu hoffen, wenn er so fortfährt; wird traun bei Bier und Tobak unterm pro und contra fideler lieber Konsorten, der Höll ein neu Gesetzbuch schmieden, wo allemal das Pflaster für jeden Staatsbruch probatum vorher diktiert steht.

BERLICKI.

Was das Leutchen sind! Genie und Genie! man verliert allen Respekt mit ihnen – Was ist's denn für ein Laffe von Doktor, an den er uns alle prostituiert? – Kennt ihr ihn? Bin einmal einem um Mitternacht erschienen, mit dem Barettchen auf'm Haupt und Stäblein in der Hand, unter der Gestalt des Hippokrates – aber der hudelte mich infam – 's war einer von den Naturalisten die nichts auf Systemen zählen, ein boshafter, liederlicher, ausgelaßner Bube, der aller gelehrsamen Gründlichkeit Hohn sprach; aber ich gab ihm wieder darvor – plagt ihn wie den Job, schlug ihn für sein ungesittetes Nasenrümpfen mit Aussatz, salbt ihn mit Gestank, regnete Eiterbeulen über seinen Leib, bis er vor den Schwellen eines Klosters erlag, selbst mildester Barmherzigkeit zum Ekel. – Aber kurz drauf verlor ich ihn wieder aus den Augen, sah ihn bald im seidenen Gewand beräuchert und mutvoll wieder einherstrotzen, die güldne Kette um den Hals. – Ihm starb sagt Mogol sein Vetter, ein reicher Filz, und setzt ihn allein zum Erben aller zusammengescharrten Schätzen ein, die er verpraßt. Da knirscht ich mit den Zähnen! Der Erznarr Mephistopheles hat ihn mit Gewalt meiner Rache entzogen – Wenn's der ist, wohlan! so laßt ihn hinabkommen; hi! hi! hi! eher [1303] wollt ich dem Erzengel verzeihn, der mir die Donnerwund in die Stirn schlug, als dem jungen Gelbschnabel seine Stiche –

VITZLIPUTZLI.
Hörst? hörst?

Posaunenschall.
BERLICKI.

Die Sterne des Mitternachthimmels blinken hell herunter – Der König kommt schon – sieh Pferdtoll der Zerstörer voran.

PFERDTOLL.

Uh! uh! uh! vermaledeites Licht! – Schatten unter mir! über mich! Schatten, kühlen, schwarzen Schatten!

VITZLIPUTZLI.
Bruder, hat ein Mondstrahl dir 's Hirn gespalt'? hier steht der Doktor dich zu verbinden –
BERLICKI.
Leih ihm deine Kappe zum Hirndrücken, die ist von je eines verbrochenen Schädels gewohnt.
MOGOL
tritt auf.
Aus dem Weg! der König! der König!
VITZLIPUTZLI.

Wie der so steif hingeht – der Scharrer und Schrapper! Friß ihm nichts Wind von seinem Kleid, saug ihn nicht an Luft – schnauft aus Geiz nur halber.

BERLICKI.

Hörst, da kommt ein andrer; kenn den schon am Husten. Mehu, der Melancholiker – den Kerl purgier ich ab – mach an dem alle meine Experimente. Hörst! – kündigt sich immer mit Ach und Weh an; ihm ist wohl wenn er seufzen kann; lechzt nach Gelegenheit Unglück und Graus vorher zu spüren –

MEHU
kriechend.
Die Welt fällt morgen zusammen im Sturm – die Hölle zerbricht – wo wollen wir arme Teufel hin!
VITZLIPUTZLI.

Der Bengel! sein Pfund so zu vergraben – wie meinst Doktor, wenn du seine Nieren hättst – Sieh der Malteufel Babillo –


Posaunenklang, Geschrei.
BERLICKI.
Still Buben! der König!
VITZLIPUTZLI.
Deine Pillen! sieh, blaurot vor Zorn sein königlich Gesicht – die Gall ist ihm ins Blut geschossen!

Luzifer von Satan, Atoti, Babillo, Cacal und einer großen Schar anderer Geister begleitet, sitzt auf ein alt Epitaphium nieder; die zwei erste knien vor ihm, die andere liegen mit dem Angesicht zur Erde.
ALLE.
Macht und Ehre dem König der Hölle!

Stehn auf.
LUZIFER.

Die mir gefolgt, sind mein und tapfer; die andern Buben können ziehn, wohin sie wollen – Moloch soll sich verkriechen wenn ich zu ihm hinabkomme – Gefällt ihm diese [1304] Welt? hi! hi! hi! der Schuft, ihm soll's nicht gefallen; will's nicht leiden – wenn ich den schweren Zepter über ihn losdonnre, raßlen soll er im Staub – Phu! mein Atem wie trocken – Doktor stellt Euch her neben mich – phu! daß die Welt nur in diesem einzigen Hauch versengte – Doktor, plagt mich gewaltig hier in der Hüfte!


Berlicki fühlt bedächtlich den Puls.
BERLICKI.
Wollen Euch was geben, das die Hitze niederschlägt.
LUZIFER.

Was das ein Wesen, Satan! eine Welt – die soll's sein, woran wir Geister unsere Kräfte üben? – Hohn! ewiger Hohn! du droben höhnst mich so – Meinen Narren her – wo ist Vitzliputzli? will ihn gleich mit allen Ansprüchen auf diese Welt belehnen, Mephistopheles!

SATAN.
Blieb jenseits, da wir zurückkehrten, schwebt noch über der Welt.
LUZIFER.

Dummkopf Moloch, mir zu widersprechen – dies Rund erträglich zu finden – will ihn auseinanderreißen andern zum Exempel, sobald wir hinabkommen – Satan! hundert und zweimal hundert Jahre zum erstenmal wieder in dieser Luft – wie seitdem alles ins Kleine auseinandergerollt – dauert einem des Heraufsteigens – die Hefe vom Menschengeschlecht!

ALLE.
Hu! hu! hu! haben doch wahr gesagt.
LUZIFER.

Entnervt doch alles vom Kleinsten bis zum Größten – am Altar und im Freudenspiel – schwächlich. Majestät sinkt unter ihrer eignen Kronen Last zu Boden – Minister und Kurtisanen, Maler und Poeten, Mätressen und Pfaffen, alles zusammen gehenkt in einen Pack, worauf marklose Erschlaffung lechzt – lohnt sich der Mühe nicht mehr, den Teufel unter diesen vermatschten Weltkindern zu spielen, die nicht mal mehr volle Kraft zum Sündigen übrig haben.

ALLE.
Den Stab gebrochen – die Hunde laufen gelassen wohin sie wollen – hu! hu! hu!
VITZLIPUTZLI.

O bitt, bitt fürs arme Menschengeschlecht – verstoßt's nicht ganz – wo wollen denn die arme Narren sonst unterkommen, wenn Ihr sie gar nicht mehr aufnehmt.

SATAN.

Ha! ha! ha! laßt alles untereinander aufschießen wie 's Unkraut, nach der Ernte, wollen beim Dreschen schon schwingen und reutern daß der Staub in die Lüfte fliegt.

LUZIFER.

Wären's noch starke Kerls, die uns mit ihren Tugenden zu schaffen machten – oder ganze Schuften, angefüllt vom Wirbel in die Zehe herab von Mordsucht und Gift der Hölle – du [1305] Christiern, Ruggieri, Nero, wackre Burschen! – Wie heißt doch der brave Gesell der den Nachtmahlwein vergiftet – dem's nicht ganz gelang – ein Republikaner – Ein einziger solcher Schädel könnt mich gleich wieder mit diesem schalen Jahrhundert aussöhnen – Hab ihm auch einen Stuhl neben meinen Thron gestellt da er hinabkam; ein derber determinierter Bengel, bei dessen Ankunft die Höllentore weiter auseinanderfuhren als jetzt bei einer ganzen Herde solcher, die ich meinetwegen alle lieber dem Himmel vergönnen wollt – Verdammt! verflucht! du Tartar Chan aus China, stehst gleich eherner Säule, überschattest drunten die ganze europäische Region! – Vergessen wir nicht ganz unsere Existenz und Kraft, da wir länger uns mit solchen Dampfseelen hunzen, die weder vor Himmel noch Hölle geschaffen sind.

ALLE.

Die Tore verriegelt – die können zur Not sich in der Vorhölle behelfen – verriegelt nur immer die innere Tore! hu! hu! hu!

LUZIFER.

Usurpieren braver Kerls Plätze; nicht wahr? – den Stab gebrochen, und dann fort – was sagst Mogol? – he! wie stehst in deiner Beherrschung? – gib mal Antwort.

MOGOL.

Übergüldete Armut meine Beherrschung! – Da mein Gold sich in so viele kleine Kanäle jetzt verschleußt, findet selten sich ein Strom zusammen, lastbare Schiffe der Üppigkeit emporzutragen – Die Beutel sind Geckenköpfe geworden, die von außen blinken, und inwendig leer sind – Es zehrt der Wind an Narrenkapitalien, frißt Quast und Bord' von ihrem Leibe. Selten fällt eine blinkende Hauptsumme von Gewicht, als in Richterhände, vors Aug den Daumen zu drücken – der blinden Gerechtigkeit an der Nase zu zupfen – oder etwa in die Hände der Mutter, die ihrer Tochter Ehre dem Meistbietenden preisgibt –

CACAL.

Bruder weg – aus meinem Reich – hier fängt meine Bestallung an; hi! hi! hi! – hab wohl manche Summa klingen gehört; aber das geht dich nichts an – Bin der Wollustsherr, dem diese Welt am meisten dienet. Wem brennen Opfer wie mir, von allen Ständen und Klassen, von allem Alter groß und klein, hoch und niedrig; und doch muß ich klagen, wenn ich Kirch und Schulen, Gerichts- und Tanzplätze, Gefängnisse und Gastereien durchschlupft, im Stillen und beim Gelärm, heimlich und öffentlich, bei Tag und Nacht; manche Tochter der Mutter entrissen, den Bruder gestellt, die Schwester dem [1306] Patron zuzuführen, dadurch ein Amt zu erschnappen; den Mann, die Frau – selten traf sich's daß mir volle Sündenfreude ward. Hi! hi! hi! – Die schwachen Hunde können's auch nicht einmal genießen wie's sich gehört.

LUZIFER.

Das Wurmgezücht; – still doch! – daß sie nur alle in meinem Pfuhl drunten zerstäubten! – Schaut, wenn ich einmal aufgebracht das Steuerruder in die Hände nehme, lüften will ich, daß es bis in die Gestirne hinauf krachen soll! – Ihr Atoti, der Literaturteufel, wie geht's bei Euch? – Kein großer Kerl in Eurer Beherrschung?

ATOTI.

Da kommt Ihr an! – wenn jener Schafe nicht einmal Scherens wert, was soll ich zu meinen Schweinen sagen. – Fy! ist ein Geruch untereinander, daß einem beim Anschauen die Luft entgeht – Was mancherlei Gewimmel und Getümmel, Geheckel und Gepäckel – wie sie sich aneinander halten ums Interesse und aus Lobsucht, einer dem andern den Steiß beleuchten; zusammen nisten wie die Wanzen, oder einander beschmeißen ums Genie – Einige tragen ihre Merkzeichen und Uniformen, an denen man sie vor allen heraus erkennet, recht bunt aufeinander hingekleckt; und wenn die untereinander Fänge geben, ist's nur hätschel und fätschel, wobei keinem die Nase überläuft – Andere gehen immer gespornt und kampfbereit wie die Hahnen; andere, denen die Natur Klauen zum Kratzen versagt, zerschlagen sich jämmerlich selbst das Hirn und binden Splitter an die nackte Finger, auf Rechnung ihres Kopfs beklaut zu sein – Einige, die gesehn, daß gesunde Kerls mit Karbatschen, und Bengels mit Kolben um sich herum Kröten und Füchse aus dem Wege schlagen, führen Strohhalmen in den Armen, mit denen sie gewaltig durch die Straßen schwingen, immer schreiend von Kraft und Stärke, Sturm und Drang; schmähen über Pedanterei und Schulgelehrsamkeit, wollen alles schinden und zusammenhauen, was ihnen in Weg kommt, zu beweisen daß auch Schwung in ihren Armen sitzt. Andere rennen einander in Kot nieder, zum Ärger und Betrübnis der Tripplenden, die mit roten Federn auf der Nase, wie Papageien einherschwänzen und vor übersanftem Gefühl zerschmelzen – Andere verstecken ihre Gesichter in Mäntel, sicher der Namen rufenden Polizei zu entwischen, wenn sie dumme Streiche gemacht; diese halten sich gemeiniglich Schlucker im Sold, die vor die Gebühr sie verehren und anbeten müssen – Dies ist nun die leerste Spreu von Kerls, woran [1307] auch die langweilige Geduld sich zum Narren kaut, ohne ein Körnchen Mark in ihnen aufzufinden – niedrige Bubens, die Mutter Literatur den Scham aufdecken, ohne einmal selbst darüber zu erröten; eine verfluchte Sorte, die aller gelehrten Abgötterei auf einmal den Hals gebrochen – Mancher Rotzlöffel, der sonst sich gescheut einem großen Mann in den Bart zu schauen, hält sich's jetzt vor Pflicht ihn unter die Nase zu prostituieren. Ho! ho! ho! – wo kommt's endlich hin – die Alten! die Alten! ho! ho! ho!

LUZIFER.
Mein Bauch springt auseinander! – Donnerwetter mach fort! daß du Hund glühend wärst!
ATOTI.

Die Alten das sind langweilige Narren – gehn meistens mit vollgestäubten Perücken gravitätisch einher wie Gänse – sprechen von lauter Solidität und Echtheit; schöpfen immer aus reinen Quellen und trinken nicht, was nicht hundertfach geläutert ist – konvenieren untereinander sich alle tiefe Ehrfurcht zu erzeigen, und einer dem andern hohe Weisheit zuzutrauen – halten viel auf Wohl stand und Anstand und kränzlen einander die Eselsohren – Andere tragen ein Kompendium von Politik und Philosophie in den Falten ihrer Stirne und ob sie gleich weder Öl noch Docht im Lämpchen haben, heißen doch nichts minder wohlilluminierte Herren – Andere schwitzen am Drehbrett, wollen neue Verfassungen und Sitten schnörgeln, und mit einem Hundsbein die Welt ausglätten – sehn nicht wie ihr armer Geniunkulus in Zügen liegt und Fieberimagination für Wahrheit hinträumt. Kurzum, wenn einer alle diese buntscheckigte Narren auf einer Brücke zusammenstellte, jeder so nach seiner Schattierung, gäb das groteskste Perspektiv, das je die Hölle von unten hinauf gesehen – Tagtäglich aber unter ihnen zu weben und mit ihnen umzugehen, ist wirklich keines braven Teufels Spaß mehr! die Schnecken abzuschleimen, oder zu sehn wie sich Jungens auf der Folter dehnen, große Kerls zu scheinen, und so lange spannen, bis Herz und Kopf verrückt, und sich nicht mehr aneinander befaßt, daß das arme Dunstgeripp bald vollends im Windhauch darüber hinstiebt.

LUZIFER.

Halt's Maul! – das Fazit – diese Welt keines Pfifferlings wert – Laßt uns den Stab auf hundert Jahre brechen! – In die Höll zurück! treffen doch dort Qual an, unserer würdig – keinen einzigen großen Kerl mehr zu finden! – seht ihr wohin das gekommen – ein Generalbankerut! – Der droben spottet, [1308] würdigt hinab unser edles selbständiges Wesen, Hüter und Zuchtmeister, solchen Geziefers zu sein – Wohin wird's noch kommen! wohin! wohin meine Geister! Heult. Den Zepter her! – mir schwillt die Galle, her! her! will ihn an diesen Steinen zerschlagen.

ALLE.
Babillo! der Malteufel soll auch reden!
LUZIFER.
Er soll – sprich!
BABILLO.

Um Vergebung Majestät – seid jetzt zu sehr im Gallauslassen – von keinem Extremum aufs andere, wenn ich bitten darf – tut niemals gut. – König! wenn Ihr einmal hautsatt zu lachen Lust habt, so laßt mich referieren – Gibt wohl nirgendum schnackischere Gesellen als in meinem Reich; kein wohlgemuteter Teufel durch die ganze Höll als ich – Macht alles die Kunst – amüsier mich den ganzen lieben langen Tag von morgends früh bis in die sinkende Nacht – Nehmt herzhaft die Hälfte meines Salarii wenn Ihr wollt, nur laßt mir meine Funktion – Was kümmert mich die übrige Welt, groß und klein – Seht sie an wie Ihr wollt – meine Bürschchens sind mir alles, die tagtäglich so lustig Affenspiel mir besorgen und Karikaturen schneiden! daß ich manchmal vor Lachen bersten möcht, ha! ha! ha! – will Euch die Herrchen nächstens in einem Drama aufführen wie sie untereinander stolpern, schleichen, hinken, ha! ha! ha! sollt sie sehn, hören, ausrufen: das geht über alles! ha! ha! ha! Majestät, das sind Euch Leutchen, die die allerschiefste Imagination rechtfertigen, die Unwahrscheinlichkeit zur Wahrheit umstemplen, und den allerkostbarsten Glauben in ein Hockenweib verwandeln, die zehn Wurf für einen Heller gibt – ha! ha! ha! eine Rasse die nur ganz und ohnvermischt für sich allein existieren darf, – ha! ha! ha! glaubt mir es geht über alles; ha! ha! ha! absonderlich von denen die ihr Gewissen so im Zaum halten, daß 's nicht einmal erschrickt, wenn man sie mit dem Namen Künstler brandmarkt; ha! ha! ha! – wie sie so dasitzen in ihrer Glori, drauflospfuschen, wie kleine Herrgöttcher, immer drauf hinauf des großen Herrgotts seine Schöpfung zu prostituieren; ha! ha! ha! Wenn alle Sünden da angerechnet werden, ha! ha! ha! alle die verkrippelte von ihnen in die Welt gesandte Kinder gegen sie an jenem Tage aufzeugen werden, alle schiefe Nasen sie anriechend, verzerrte Augen sie anschielend und die krumme Mäuler sie anschnauzend, ha! ha! ha! rufen werden ach und weh über ihre Erschaffer – wie denen da die Haare [1309] überm Kopf sausen werden; ha! ha! ha! Ihr könnt's nicht begreifen, mit was für Liebe und Ergötzen die Hunde so rädern, ha! ha! ha! – sich Gewalt antun, das, was so natürlich grad vor ihnen dasteht, mit Mühe krumm zu finden, und wenn sie's endlich gefunden, sich so herzinniglich drüber freuen – daß wenn Ihr's sähet Herr König, und Kenner und Liebhaber genug wäret, so recht ins Detail hineinzugehen, ha! ha! ha! Ihr lüstern würdet, auszufahren von Eurem eisernen Thron, in den Leib eines solchen Flegels hinein, Anteil an seiner Karikaturfreude zu nehmen, ha! ha! ha!

LUZIFER
schleudert ihn weg.

Lieg, du ihres Gelichters – verdammt auf der Oberwelt hundert Jahre lang als solch ein Schmierer herumzukriechen – hündisch sich über so was zu freuen – übers Knie jetzt den Zepter!


Will den Zepter verbrechen.

BERLICKI, VITZLIPUTZLI. Halt ein König!
MEPHISTOPHILES.
Halt ein!
LUZIFER.

Woher? sprichst du zu Menschenruhm, fall nieder auf deinen Nacken mein Schlag – will noch alle zertreten die mir nur in Gedanken weiter unrecht geben – hört ihr?

MEPHISTOPHILES.

Bin herumgeschwärmt – hin und her, auf und ab – gefunden wie du gesagt des Matten und Schwachen die Menge, des Starken, Festen, so so – des herrlich Großen wenig.

LUZIFER.

Keins, gar nichts – wer ist groß? was? kann man noch was Großes in dieser Welt suchen? – will einen einzigen Großen kennenlernen, einen einzigen festen ausgebacknen Kerl, zu dem man sagen könnt, fix und fertig ist der – Wagstu's mir solch einen zu zeigen.

MEPHISTOPHILES.
Meine Hand drauf.
LUZIFER.

Höllengenie! ich bin König! ich! – euresgleichen nehmen sich gerne viel heraus; merk dir daß ich König bin. Will nicht geniemäßig gerne gefoppt sein, oder mich länger da pro patria herumschrauben lassen – Ist's nichts, so resignier ich; nehm' wer will solchen Zepter auf – Die Hölle mag wie eine verlassene Herde sich selbst hüten – wenn's auch nur einer ist, so einer, verstehst mich, wo sich's noch freut, daß man ihn hat – Mag nicht Regent sein über solche Hundsfütter zu herrschen – oder muß ich bleiben, auf mein Feuerroß dann, und die neu angekommne Seelen mit meinen schwarzen Höllenhunden wie Hasen verhetzt; will sie doch auf eine Art loswerden. Jetzt Punktum! die Luft hierum ist mir ganz zuwider – uh! mich [1310] peinigt's; Doktor, Ihr werdet zu schaffen kriegen; uh! mich reißt's in allen Gliedern gewaltig; Doktor! Doktor! uh!Kriegt Konvulsionen; alle Teufel halten ihn; er schäumt. halt! halt! in die Hand mir diese schale Welt und daß ich sie zerdrücke, wie ein faul Ei! hinauf wider 'n Mond schmeiß! hu! hu! was frag ich darnach, mag der droben mich aufhängen, sengen, brennen – rädern!

ALLE.
Seht wie er zerrt, die Fäuste ballt! hilf Doktor!
BERLICKI.

Still! still! ich beobacht einen der schönsten seltensten Paroxysmen! – ei! ei! was Extras! wenn er nur nicht so schnell vorübergeht – still! alle Symptomen – daß ich mein Tollelixier nicht zur Hand hab, sie noch um einen Grad zu verstärken. Schön! schön! schreib ohnehin eine Abhandlung über die Rasereien der Könige – dies kommt mir jetzt trefflich zustatten.

LUZIFER
springt auf.

Wohl! oh! der Tag befeuchtet schon die Welt – Mephistophiles, erinnere dich was du uns versprochen; erwarte dich drunten auf unserm Reichstag den wir gleich durch all unsere Landen ausschreiben – Auf jetzt! was unter meiner dunklen Fahne geschworen! will hier nicht den Morgen erwarten, der schon dort an den Gebürgen heraufdämmert – folgt mir!


Gemurmel; ab mit dem ganzen Gefolg.
MEPHISTOPHILES.

Will mich stellen Sieben Geister treten auf. sobald ich hier meine Befehle gegeben – Auf! auf! sieh da meine getreue Leibeigene, alle zu meinem Dienst schon bereit, meinen Befehlen gehorchend, unterschieden zwar an Willen, Art und Meinung, wie Menschen, Tiere und Kräuter; aber im Punkt des Würkens sich immer im Hölleninteresse umschlingend. – Habt vernommen was ich Luzifern versprach – wohlan denn! gefunden nun mein Wild, hab's ausgestöbert; ihr seid die Hunde, nun es vollends herabhetzend nach meiner Höhle. Auf dann! ihr meine dunkele Gesellen, die Liebe zu mir vereinigt, obgleich schmerzliche Liebe, ähnlich der bängsten Qual! – Auf! auf! versenkt euch und schießt umher, jeder in seiner Kraft – verliert euch wie die Strahlen des Lichts im Schatten, unmerkbar nahet durch alle Elementen hinzu. – Faust soll diese Nacht uns aus der Hölle heraufbeschwören. Er soll! Ab.

ALLE.
Er soll! wir wissen's was du heischst – wissen's und vollbringen's.
ZWEITER.
Wo ich ihn pack!
[1311]
DRITTER.
Ihn halt und drück!
VIERTER.
Wo über ihn das Netz ausrück!
FÜNFTER.
Gefangen fest an Leib und Geist, wie 'n Vogel an der Stange –
ALLE.
Wohlan! wohlan! ihr Brüder auf!
Des Morgens Schimmer graut herauf!
ERSTER.
Ich flieh zuerst – mein Werk geht schon
Vor mir –
ZWEITER.
Nach dir schwing ich den Flügel gern;
Wir stammen beid aus einem Stern.
Was ist zu tun Bruder?
ERSTER.
Sieh hier.
Betrug hab schon voran geweckt,
Der Bosheit Rat und Tat entdeckt.
Der Peitsche Knall! – hörst's in den Wind?
Der Wechsler flieht mit Weib und Kind;
Führt Fausts Vermögen jetzt davon
Und läßt ihm Gram und Spott zum Lohn,
Hu! hu! da bring ich noch ein Paar!
Die zog er aus der Grube gar;
Verbürgt für sie sein Gut und Ehr –
Bruder geleit sie bis ans Meer.

Man sieht durch die hintere Öffnung Kutsch und Reuter im Sturm vorbeieilen.
ALLE.
Zur Stadt! die Morgenglocke ruft,
Wo wir nicht eilen durch die Luft.
DRITTER.
Jetzt die Gläub'ger all zuhauf!
Holla! holla! ihr Juden auf!

Ab.
VIERTER.
Fahr in die Schelmen gar hinein,
Damit sie Stahl und Eisen sein.
Komm hilf mir!
FÜNFTER.
Streif
Nur voran, ich bin dein Schweif.

Ab.
SECHSTER.
Ju! heia! Brüder eilt mir nach
Das Ding geht gut – eh grauer Tag
Ersteht, versinkt die schwarze Nacht;
Wohlauf dann unser Werk vollbracht!

Alle ab.
[1312] Ingolstadt.
Morgendämmerung. Vor Jud Mauschels Haus.
IZICK
klopft.
Au wai! au wai! Klopft wieder.
MAUSCHEL.
Wer is drauß an mei Lade?
IZICK.
Mauschelche ick, ick, mach uff!
MAUSCHEL.
's isch noch eitel Nacht drause, ick mach die Lade nit uf – kannst sein e Dieb – wer bist du?
IZICK.
Izickche, kennst mich nit an di Stimm.
MAUSCHEL.
Jau bistu's? – was willt Izick?
IZICK.

Au wai! au wai! 's war vor mei Bett schwarz – so, so, mei Bärtche gezupft – au wai! mein hundertfufzig Dukate! – die Nacht durch, die ganze Nacht getramt vun eitel Mauserei un Schelmenstrach – so mit die Hand hot's mich kriegt. Gerufe, hell: »Izick! Izick! wach uf.«

MAUSCHEL.
Is der en Unglück passiert?
IZICK.

Au wai! gute Mauschel dir, un mir, un di Schummel, un Lebche un uns all – manst, di zwa Mosler, die zwa Schuldenmächer – durchgegange sind se heut nachts glatt un schön mit alles!

MAUSCHEL.
Nu, der Faust hot uns vor sie gebürgt; was willt mehr? er hot uns vor alles gut gesproche, hörst's?
IZICK.

Au wai! der Faust – was will er bürge! e Lump wie der ander – jetzt ag e Lump! hörst's guter Mauschel! heunt mit die Mosler ag fort is der Wichsler Goldschmid, dem de Faust all sei Geld geschosse; ich war in sei Haus; all all leer – au wai! mei hundertfufzig Dukate!

MAUSCHEL.

Daß de Hoor kackst – de Goldschmidt fort – mei verzig Duplonen! krieg di Krenk – 's reißt mich in mei Bauch ganz kalt.

IZICK.

Zieh an e Strump, e Schuch, daß mer fortkomme – der Schummel wart drunte – e Lärm, e gewaltige Lärm, hörst – mer wölle allsamt wecke all mitnander den Faust – hörst, is glatt kaputt, glatt un schön sag ich – 's Lebche laft in aller früh zu die Obrigkeit rum, bohnt, Vollmacht z' erlange, anzegreife all all des Dokters Möbels, Silberwar, was do is, Bücher allerhand Geldswert, eh noch zuviel uf Seit geschafft werd – mach fort – es bricht e klare Bankrut aus. Mauschel was e Schade! au wai! – is e Gelärms un e Gelafs überall, hätt aner nur sechs Füß z' sein überall!

MAUSCHEL.

Nu soll mer sage – vum Goldschmid – wer hätt [1313] das geglabt, so e Mann, un so e Name – krieg de Dippel uf dei Kop! 's is nit wor.

IZICK.
Mach fort – au wai, schun hell Tag, wie e Licht.
MAUSCHEL.

Gleich, gleich – de Doktor mag jetzt zusehn wie er bezahlt – gucke in die dicke Bücher – hätt er gesteckt sei Nas mehr in die Leut, mehr in die Welt – wär ihm nit gepassiert der Strach – so e Mann, un so e Gelehrsamkeit, un sei Geld so e Goldschmid anzevertraue uf e blose Handschrift – Izick wie dumm! wie dumm!

IZICK.
Mach fort Mauschel.
MAUSCHEL.

Er soll bleche – krieg die Krenk! kannst nit warte bis ich fertig bin? Die Memme hilft schun – Izick, unseraner hätt mer Segel im Rosch.

IZICK.
Mach fort Mauschel!
MAUSCHEL.
Gleich, gleich – Kommt heraus. nu waß's der Doktor schun?
IZICK.
Sag dir na – mer wolle 'n wecke de Schummel wart drunte, komm –
MAUSCHEL.

A Wort! hulg hin zu de Schummel, will gehn zu de Magister Knellius, der a grose Bekanntschaft hat bei die Rät – is e grose Todfeind vum Faust – soll uns verhelfe zur Vollmacht.

IZICK.
Jau! jau! tu's guter Mauschel, tu's ag! Beide ab.

Fausts Studierstube.
FAUST
sitzt und liest aufmerksam.

Da müßt's endlich hinkommen! Alles, oder gar nichts! Das schale Mittelding, das sich so die hintere Szene des menschlichen Lebens durchschleppt – weder Ruh noch Befriedigung da zu erjagen! Ein einziger Sprung, dann wär's getan; Liest. – – Lieber aller Bequemlichkeit beraubt; genährt und gekleidet, so sparsam als die strengste Philosophie erduldet – nur die Kraft das auszuführen, was ich nahe meinem Herzen trage; die Belebung dieser aufkeimenden Ideen – was ich mir so in süßen Stunden erschaffe, und das doch unter Menschenohnmacht wieder so dahinsterben muß – wie ein Traum im Erwachen – daß ich mich so hoch droben fühle; und doch nicht sagen soll: bist alles, was du sein kannst – Hier, hier steckt meine Qual – es muß noch kommen – muß – Mit wie vielen Neigungen wir in die Welt treten – und die meiste zu was Ende? Sie liegen [1314] von ferne erblickt, wie die Kinder der Hoffnung, kaum ins Leben gerückt; sind verklungene Instrumente, die weder begriffen noch gebraucht werden; Schwerter, die in ihrer Scheide verrosten – – Warum so grenzenlos am Gefühl dies fünfsinnige Wesen! so eingeengt die Kraft des Vollbringens! Trägt oft der Abend auf goldnen Wolken meine Phantasie empor, was kann was vermag ich nicht da! wie bin ich der Meister in allen Künsten – wie spann, fühl ich mich hoch droben, fühl in meinem Busen all aufwachen die Götter, die diese Welt im ruhmvollen Los, wie Beute unter sich zerteilen. Der Maler, Dichter, Musikus, Denker, alles was Hyperions Strahlen lebendiger küssen, und von Prometheus' Fackel sich Wärme stiehlt – Möcht's auch sein, und darf nicht – übermann es ganz unter mich in der Seele, und bin doch nur Kind wenn ich körperliche Ausführung beginne. Fühl den Gott in meinen Adern flammen der unter des Menschen Muskeln zagt – – Für was den Reiz ohne Stillung! – oh! sie müssen noch alle hervor – all die Götter die in mir verstummen, hervorgehen hundertzüngig, ihr Dasein in die Welt zu verkündigen – Ausblühn will ich voll in allen Ranken und Knospen – – so voll – voll – – – es regt sich wie Meeressturm über meine Seele, verschlingt mich noch ganz, und ganz – wie dann? soll ich's wagen darnach zu tasten? Es ragt über mir und bildet sich in den Wolken ein Kolossus, der das Haupt über den Mond streckt – Muß, muß hinan! – du Abgott, in dem sich mein Inneres spiegelt – wie ruft's? Geschicklichkeit, Geisteskraft, Ehre, Ruhm, Wissen, Vollbringen, Gewalt, Reichtum, alles den Gott dieser Welt zu spielen – den Gott! – Ein Löwe von Unersättlichkeit brüllt aus mir, der erste, oberste der Menschen; Wirft's Buch weg. Weg! verstörst mich – mir schwindelt 's Gehirn; reißest mich da nieder wo mich erheben willt; machst ärmer indem du von ferne zu reiche Hoffnungen zeigst – was ist das? Sitzt in Gedanken, man hört von außen die Juden lärmen.

WAGNER
hereinstürzend.
Um Gottes willen!
FAUST.
Was für Lärm?
WAGNER.
Ei draußen!
FAUST.

Wie? was plagt dich wieder, lieber Grillenfänger! Komm her, sprich zuvor – bist krank Wagner? deine Augen voll Tränen –

WAGNER.
Oh! ich wollt ich wär im Himmel! diese Welt –
FAUST.

Daß dir doch immer das Leben zur Qual wird – kann [1315] dich nicht begreifen – Junge, unsere Herzen weichen beide aus ihrem engen Zirkel; aber deines schwebt höher droben – die Welt könnte mir alles werden, und dir – du findest nichts unter der Sonne, an dem deine Liebe ganz haften möcht.

WAGNER.

Ach Minchen! Minchen! Ihr wißt's nicht; Minchen ist ja mit ihrem Vater davon – Euer Vermögen, der Goldschmid, die Mosler, alles! die Juden draußen – ohnmöglich! ohnmöglich!


Will ab, Faust faßt ihn, man hört die Juden schreien und lärmen.
FAUST.
Halt! halt! mußt ausreden, kommst mir nicht von der Stelle los, was ist's ha? wie?

Magister Knellius' Stube.
Tisch worauf Papiere, Schriften, Bücher und Briefe in Unordnung hingestreut liegen.
Sandel hinkt am Stock.
KNELLIUS.

Verzeihn Sie! da bin ich wieder Herr Sandel; den Augenblick alles ausgemacht! ein Wort! – und wie der Blitz – Die Juden haben die Vollmacht an Fausts Vermögen, Bücher, Hausrat etc. etc. ist doch billig daß man sich ein wenig der armen Teufel annimmt, damit sie nicht alles verlieren; die Menschlichkeit befiehlt das – von hier aus kann man grad ans Haus sehn – wie die Juden einstürmen – sehn Sie doch Herr Sandel – das wird des Doktors Mut ein wenig darniederlegen; so auf einmal alles verloren und noch obendrauf die Prostitution –

SANDEL.

Wie das freut! ha! ha! ha! ei! Sackerment! 's laus Dintenfaß da, hätt mir's fast übern Leib gegossen. Ei! ei! mein Fuß! ei!


Sitzt.
KNELLIUS.

Sieht ein wenig gelehrt, heißt das, schweinisch, unaufgeräumt bei mir aus – Nicht wahr Herr Sandel trinken doch 'n Schälchen Schokolade bei mir? extra feinen; hab ihn von einer Dame Präsent bekommen, der soll Ihnen Ihr Podagra verjagen –

SANDEL.
So? warum kann Er den Faust nicht leiden Herr? ei! warum? sag Er mir! warum?
KNELLIUS.
Ist ein Narr, Herr Sandel.
SANDEL.
So?
KNELLIUS.

Mit dem kein ordentlicher Mensch sich vertragen kann; ein Hasenfuß, ohne Sitten, mit einem Wort ein Genie –

[1316]
SANDEL.
Ha! ha! ha!
KNELLIUS.

Da arbeit ich eben an einer Disputation wider ihn – kann mich jetzt ohnmöglich viel mit solch belletristischen Kleinigkeiten abgeben – bin zu sehr mit solidern Geschäften okkupiert – dann und wann so ein Augenblick, ein Stündchen zur Erholung, zum passer le temps, nicht anders.

SANDEL.

O natürlich! – der Herr hat immer zu viel zu tun – überhaupt, alles wendet sich an ihn – der Herr muß immer für andere rennen und laufen – das frißt Zeit – – – ha! ha! ha! – so den Minister, Protektor zu spielen – ha! ha! ha!

KNELLIUS.

Meine große Übersetzung Herr Sandel, die frißt Zeit weg – dies weitläuftige Werk, worauf das ganze gelehrte Teutschland aufmerksam ist – von so weitem Umfang, wozu Riesenarme eines Halbgottes gehören, und das ich mich erkühnet allein zu unternehmen.

SANDEL.
Schwerenot! was ist denn das für ein Werk?
KNELLIUS.

Die Übersetzung des chaldäischen Corpus juris mit Noten und Erläuterungen verschiedener arabischer Skribenten.

SANDEL.
Chaldäisch versteht Er einmal nicht; wo kriegt Er denn die Leute her die übersetzen? –
KNELLIUS.

Vor Geld und gute Worte finden sich überall Leute, die das schon so grob oben weg zu machen wissen; muß es doch hernach erst polieren – eigentlich ist das 's letzte für das ich immer sorg; erst für Pränumeranten und dann fürs Privilegium.

SANDEL.

Herr, das Buch ist schon übersetzt heraus – hab's selbst in meiner Bibliothek – Er hat gelogen, da Er sich in den Zeitungen als der erste annonciert hat.

KNELLIUS.

Wie? wie? Herr Sandel? Nu wenn's auch schon da wär, der erste oder der zweite, das tut ja nichts zur Sache – ein jeder überzeugt sich selbst und schreit hin, so laut er vermag: Ich bin der erste! das Publikum mag hernach glauben wem's will.

SANDEL.
Aber tausend Sackerment! ei! mein Bein! – 's ist hundsfüttisch Herr! spitzbübisch!
KNELLIUS.

Ah Possen! ha! ha! ha! Possen! Herr Sandel ein jeder dämmert auf diesem Erdenrund sein Fleckchen wie der andere; ein jeder hat soviel Recht wie der andere. Wer heißt die Lümmels mir alle gute Einfälle vor der Nase wegschnappen, die ich vielleicht in futuro auch noch haben könnte – Und wenn auch der eine erfindet, der andere kultiviert's weiter – Die Art mit [1317] der man heutzutage eine Sache tut, macht alles, Herr Sandel – Vaterlandsliebe! Menschenliebe! Liebe zur Ausbreitung der Literatur etc. etc.; ein wenig wohlfeil, Vignetten – was nur so in die Augen leuchtet, Sächelchens, die einer wenn er's nur im geringsten mit dem Verleger versteht, anderswo hundertfältig wiedereinzubringen weiß – omne tulit punctum – Geld Herr Sandel! Geld regiert die Welt. Wer Geld hat, hat Genie und Verstand; Geld ist mein Genie, und Lorbeerkranz, und wenn ich das hab, pfeif ich auf alle Lorbeerkränze, wo sie auch herwachsen.

SANDEL.

Hätt auch nicht sonderlich Ursach mehr, darnach zu haschen, ha! ha! kam schon wüst ins Gedräng – ist schon so zusammengeritten worden, daß Ihm der Appetit nach Lorbeerkränzen vergehen sollt – Magister, die Wahrheit, Er hat schon wüste Püffe gekriegt.

KNELLIUS.
Ah so – ha! ha! ha!
SANDEL.

Nicht »ah so« – sondern in optima forma – Sieht Er, das gefällt mir jetzt wohl an Ihm – daß Er die Poeterei ganz auf Seite geschmissen, und sich mit was anders abgibt, das Ihm vielleicht besser zur Hand schlägt.

KNELLIUS.

Ich auf Seite geschmissen – auf Seite geschmissen – im Gegenteil, jetzt will ich erst recht anfangen – Meine Elegien sind in ganz Deutschland als erbärmlich ausgepfiffen worden – weiß alles warum – kenne die Kabalen – aber das soll mich nicht schrecken; jetzt will ich erst hervorrücken all den scheelsichtigen Rezensentenflegeln zu Trutz; hervorwischen mit zehn, zwanzig, dreißig, hundert auf einmal, hier und da und dort, daß sie nicht wissen wie und woher – und da will ich feuern mit den übrigen die ich an der Hand habe, daß sie meinen sollen der Himmel blitz über ihnen zusammen – Nein mein wertester Herr Sandel, da kennen Sie mich noch nicht – wer nachgibt hat verloren; wer zuerst aufhört, hat unrecht in dieser Welt – Ausgehalten, bis auf'n letzten Mann, sollt einer auch drüber zu Kraut verhackt werden – Das letzte Wort, das beste Wort! gut oder schlecht, all eins – wenn zehn, zwanzig schrein: das ist nichts nutz, muß man vierzigmal wieder entgegenschreien: ihr versteht's all nicht, und denn hinter ihre eigene Sachen hergehn wie's auch ist – noch so groß, tut nichts – Streiten mit großen Männern, macht immer Aufsehen und Lärmen, und wenn man auch zertreten wird – tut nichts; man wird doch immer in der Polemik neben einem großen Namen[1318] genannt – und dann bleiben ja noch so viele übrig, mein lieber Herr Sandel, bei denen unsereiner auch recht hat, und noch Patronen, bei denen es obendrauf noch was einträgt.

SANDEL
aufstehend.

Aber am End Magister, wenn der Patron so merkt, daß hinterm gelehrten Mann im Grunde doch ein fauler Fisch steckt – wie dann? – die Tür Magister! Er weiß wie das zu gehen pflegt.

KNELLIUS.

Spaß Herr Sandel; wenn der Fuchs Drohungen scheut, wird er sein Lebtag nicht fett – Die Weiber sind meine Haken, mit denen ich nach den Männern angle – hab ich das Weib einmal, was will der Mann – Es gehört Übung dazu, sich durch die Welt zu schicken, und einem armen Teufel geht's oft hinderlich genug – Sottisen und Weiberlaunen mit einem lächelnden Gesicht von sich weg zu pauken, und eine unangenehme Pille nach der andern zu verschlucken, ohne sein Ziel darüber aus den Augen zu verlieren, dazu gehört desperate Courage; und ein Kerl der das vermag ist in meinen Augen kein Hundsfott – Jeder Bube kann seinem Humor nachlaufen, jeder Narr, jedes Genie; aber Leute denen man fatal ist, an unser Gesicht zu gewöhnen, sich trotz aller Heterogenität mit andern in eine Gesellschaft einzupassen – – Herr Sandel die Schokolade ist fertig – kommen Sie – ist doch alles in der Welt nur pro forma, pro forma, was wir leiden, wo unser Interesse implizieret ist; haben wir einmal was wir wollen, die Leutchen gebraucht wie wir wollen, dann lachen wir – ha! ha! ha! attachement und Ehrfurcht blas mir in Hobel!


Ein alt Weib bringt Schokolade, und setzt ihn auf'n Tisch.
KNELLIUS
gießt ein.

Man hört einen Lärm auf der Straße. Was ist das! a ha! sehn Sie Herr Sandel, Soldaten und Gerichtsdiener ziehen in Fausts Haus hinunter; wird ein schön Gepäck geben – wollen unsern Spaß haben – – sehen wie die Juden wegschleppen – der Faust weiß nicht was ihm noch grünt – – wenn's da nicht auslangt Herr Sandel, kann's ihm an Kragen gehn, daß man ihn noch bei den Ohren festnimmt und einkarzeriert.

SANDEL.
Er ist ein Esel – wie kann man das? für andere Schelmen alles hergeben, und noch dazu –
KNELLIUS.

Die Gerechtigkeit Herr Sandel – ein altes Sprichwort. Bürgen muß man würgen Herr Sandel. Warum hat er's getan, damit geprahlt – ha! ha! ha! meine Disputation freut mich nur, wie die noch vor ihrer Existenz scheitert – er wär [1319] wüst gekämmt worden – hab so recht all meine Galle hineingebracht.

SANDEL.

Doch auch ein untertäniges Rauchwerk dem Herrn Mäzen – ei – so schlag Ihn's – muß Er mich just da an mein link Bein stoßen.

KNELLIUS.

Nicht bös gemeint Herr Sandel, kommen Sie, wollen die Schokolade drüben im grünen Zimmer nehmen, können gemächlich sehn was unten auf der Straße passiert – lustig eh er kalt wird –


Nimmt 's Schokoladebrett.
SANDEL.

Hört Er's – geh Er zu allen Teufeln mitsamt Seinem Schokolade – will Seinen Schokolade nicht versuchen; hust Ihm in Seinen Schokolade! – Er Flegel! Er Esel! – Hinkt an die Türe, und dreht sich. Hört Er's daß Er mir in der Stadt nicht sagt, hab mit Ihm Schokolade gesoffen – sonst – sonst –Winkt mit dem Stock, ab.

KNELLIUS
stellt wieder nieder.

Der alte Kracher – mich so zu beflegeln – – der Henker! hat's ihn vielleicht verdrossen, daß ihn der Juden wegen so allein da sitzenließ – will's gleich erfahren wenn ich seiner Alten ihre runzlichte lederne Hände einmal küsse – Was hab ich denn gleich bei der Hand ihr vorzulesen Greift in alle Säcke. war eine schöne Gelegenheit dem Faust hinter die Rippen zu kitzlen; hätte den Juden gleich auf der Stelle küssen mögen, der mir sie verschaffte – ha! ha! ha! gelt Herr Dokter! was ihn das ärgern, grämen, grimmen muß – seinen Hochmut, der den Wolken entgegenlief niederstreichen muß – soll noch besser kommen; solange der in Ingolstadt existiert, schlaf ich nicht ruhig – ist mir ein Dorn in meinen Augen bei Tag und Nacht – – wenn ich's nur dahin bringen kann, daß er jetzt festgesetzt wird – die Juden – laß sehen Knellius, hast ja noch Kopf und Leute an der Hand was auszuführen – gut – will alles anspannen – Aber Blitz! da verspät ich mich mit Monologieren – indessen der alte Podagrämer mir davonschleicht, in der Idee als hätt er mich beileidiget. Das ist kein Teufel nutz, macht eine gewisse Lücke in der Konversation, eine gewisse Unbeholfenheit, die gar nicht zu meinen Planen zweckt; der Kerl nimmt mich denn gleich genauer aufs Korn – Schokolade hin, Schokolade her, muß den Augenblick nachlaufen, und ihn mit ein paar närrischen Histörchen wieder herumbringen – Wenn man nie schreit, ist man nie troffen worden. Spaß ist kein Spaß, wenn man [1320] nicht darüber lacht; Sottise keine Sottise, wenn man sich nicht darüber ärgert – überhaupt mein Principium mit Leuten die einem nutzen können, muß man's nicht so genau nehmen.


Schwamm bucklicht, Blass stollfüßig, Amsel einäugig, Ahasverus stammlend.
ALLE.
Empfehlen uns Herr Magister.
KNELLIUS.

Ei! meine liebe, liebe, liebe Freunde, herzlich willkommen! den Augenblick wollt zu Ihnen gehen. Küßt jeden. Hab notwendige Sachen zwar nicht von Wichtigkeit, aber doch so, so – Gespaß, Einfälle, wozu Sie mir vor allen behülflich sein können.

ALLE.
Wir sind Ihre Diener.
KNELLIUS.

Freunde, liebe gute Freunde, ohne alle Komplimente. Herr Ahasverus Sie müssen mein Herold in einer Sache werden.

AHASVERUS.
Sch – sch – sch – steh, steh, zu, zu, zu, Be, Be, Befehl.
KNELLIUS.

Aber eilen müssen wir; kommen Sie, kommen Sie; will Ihnen alles unterwegs sagen – noch einmal, von Herzen mir willkommen meine Liebe!


Küßt jeden.
BLASS
der Stollfüßige.

Hat uns nur darum lieb, weil er unter uns einem ordentlichen ganzen Kerl gleichsieht – wie er uns zusammengebracht, den, den, und den, und mich – Schande wenn wir uns so untereinander ansehn.


Straße vor Goldschmids Hause.
Wagner. Eckius.
ECKIUS.
Wie geht's Wagner? Trippelst wie ein verscheucht Hinkel in den Straßen herum – Wie ist dir's?
WAGNER.

So so – wie du mit allem Witz nicht ausholen kannst. Mir ist wohl, und nicht wohl, und doch wohl – ich wollte du tätest mir die Liebe und fragtest darüber nicht weiter –

ECKIUS.
Wenn dir meine Invitation nicht behagt, kann ich dir nicht helfen – Wo ist denn der Doktor?
WAGNER.
Zieht allein mit dem Degen unterm Arm hin und her; scheucht alles von sich was ihm nahen will –
ECKIUS.
So seine Manier, wenn ihm was im Hirn rumgeht. – Hat er recht gespien, wie er die Nachricht vernahm?
WAGNER.

Er knirschte mit den Zähnen, und lachte; stieß denn ein paar saure Worte aus, und ging schnell in einen misanthropischen [1321] Humor über, worin er die Welt und seine eigene Tollheit persiflierte, indem er sich eine Spielkatze der Fortuna nennte, die sie nach ihrem Kapricen herumhudelt; einen Affen, den der Fuchs in den Korb geplaudert, und indessen die Eier verzehret; einen Pfannenflicker, etc. etc. – – weißt schon wie er's treibt, wenn einmal seine Imagination rege wird –

ECKIUS.

Hat im Grund nicht viel zu bedeuten – ist keiner von den hohlen Tonnen, die gleich gewaltig von innen hervorhallen, wenn das Glück von außen nur im geringsten an sie anschlägt; einer von denen, die innen voll Lieblingsideen gepropft, umhergehen, ganze Jahre lang eine Idee herumtragen, und sich so in ihr verweben und verhängen, ganz in ihr denken und leben, daß alles Neue plötzlich um sie herum Entstandene nicht so stark auf sie würken kann; und wenn auch, doch nur momental, weil die Seele mit eigener Fracht überladen unter neuer Aufnahm erliegen müßt. Tut euch miteinander trösten – was man nicht mehr hat, hat man nie gehabt, und damit aus dem Sinn!

WAGNER.

O wenn's darauf ankäm, wollt dir auch predigen und sagen was gut ist – aber du weißt nicht alles! – Wenn sagen und tun einmal in der Welt in gleicher Übung ist, hernach an meinem Platz Eckius, würdest vielleicht anders reden.

ECKIUS.

Pfui! was wär das! Siehstu mich vor eine angekleckte Leimenwand an, die der erste Sturmregen verwässert und verrüttelt – Gesunde Nerven, und 's Herz frei, bäumt sich's über jeden Zufall leicht hinaus – – Fluchen, schelten, schreien, über eine Lumperei lärmen, das laß ich mir gelten; 'n braver Kerl kann wohl sich ärgern, auch vor Zorn und Galle obendrauf die Schwindsucht kriegen, wenn zu viel Hundsfüttereien ihm übern Leib fallen und droßlen – aber das ist auch alles; zum Wimmern wird mich nichts leicht bringen. – Wein und Bier und Wasser ist mir einerlei! wo's auf diesen Punkt ankommt – Bin der Jurisprudenz entritten; aber würf mich 's Glück so, daß morgen Matrose werden müßt, glaubst würd da um ein Haar wen'ger Eckius sein? Possen! der Faust ist in diesem Punkt noch ein ganz anderer Kerl – und du bist ein angehauener Schacht, der noch erst der Welt zeigen muß, was für Metall in ihm wächst – Bei der ganzen Pastete dauren mich die zwei Mosler, die des Goldschmids Mädel über diese Begebenheit zu Bärenhäuter gemacht; waren keine übele Leute –

WAGNER.

Peinigst mich – Goldschmids Töchter? sie? – viel mehr [1322] haben die niederträchtige Schuften den Vater verführt, die Mädchen zu erhalten – ganz gewiß – ich kenn auch seinen Eigennutz; aber so weit hätt er's gewiß nie ohne andere Verstärkung gewagt – und wer konnt die geben? – Minchen die tugendhafte Seele würde allein widerstanden haben, würde mit ihren Tränen sogleich den Entschluß ihres Vaters zu Boden gelegt haben, wenn sie nur im mindesten Verrat und Betrug geahndet – und du vergehst nicht darüber sie so was fähig zu halten? den Engel! wirf Feuer auf'n Altar, brenn Kirch und Kloster nieder – tust verzeihlichere Sünde als in der Gewalt so harter Beschuldigung der reinsten Unschuld.

ECKIUS.

Bist brav Wagner – aber wenn dir einmal der Bart einen Zoll hinauf in die Backen gewachsen, wirst bis dahin mehr erfahren, und vermutlich über diesen Punkt was anders denken gelernt haben – Mir ist die weibliche Natur eine hohe respektabele Natur; honni soit qui mal y pense; aber auch eine sehr winkelhafte Natur, über die der behendeste schärfste Schütz sich verfehlt im Lieben und Geliebtwerden, Hoffen und Verlangen. Es färbt und malt, und schildert gleich so alles nach seinem eigenen Lichte. Die Mädchens und Buben sind gar lustige Dinger unter der Sonne. Narr 's hatt mich ein wenig stutzig gemacht, wenn ich wohlbemittelte und reich beamtete Jünglinge gesehen, die wunders hoch in der Rechnung bei ihren Liebleins zu stehen glaubten, und am Ende doch nichts anders als nur der Bräm auf ihren Mänteln waren – wofür sie auch galten. Adieu lieber Junge – hör dort eben ein paar Degen aneinander wetzen – Nu, kommstu diesen Abend zum Fressen auf meine Stube?

WAGNER.
Zum Nachtessen schwerlich, aber noch immer zeitig genug ein paar Worte mit euch zu plaudern.
ECKIUS.

Bedenk was ich gesagt. Ich, Herz, und Kölbel reisen bald von hier nach Straßburg zurück; wenn du dort mit und unter uns leben willt, bistu Patron.


Ab.
WAGNER.

Alles untereinander! – Ja wer das ganz ins reine bringen könnt – das Hirn fällt mir fast zum Kopf heraus – Faust – Faust – an deiner Stelle, ich wüßte nicht was ich tät – wüßte nicht, wo's mit mir hinkäm – und wie ich dich kenn, ich fürchte mehr für dich in dieser Lage, als alle deine übrige Freunde nicht wähnen – Deine arme gute Anverwandte, denen du einen Teil der reichen Erbschaft noch schuldig bist – und nun du selbst alles verloren, zugleich mit verloren was ihnen gehört! [1323] – ihr Eigentum, nicht deines! – es ist nicht zu ertragen wie sie sich über deine Redlichkeit freuten, Zieht ein Papier heraus. mir schrieben – »unser Vetter Johann – segne ihn Gott für seine Redlichkeit! wir alle danken ihm und wollen mit ehestem einen Vertrauten zu ihm hinaufschicken, der das, was er für unser erkennt, in aller Namen empfangen soll; es kommt uns sehr zugut« – die Tränen kommen mir in die Augen; und jetzt wenn sie's erfahren – Einer ist schon auf dem Weg hierher, in ihrem Namen alles zu empfangen und abzuholen. Mir schaudert die Haut! Was man nur sagen kann und soll – will mit Fleiß immer hierum auf und ab gehn; dort im »Ochsen« kehren gemeiniglich die von Sonnenwedel ein; ob ich auch den Abgeschickten nicht antreffe, ihn wenigstens abhalte daß er nicht in dieser Lage dem Faust übern Hals falle – Gut schwätzen und sich mit Philosophie, und Vernunft durchhelfen – aber wer in der Klemme steckt, weiß immer am besten wie's tut –


Marktplatz.
Faust den Degen unterm Arm.
Faust. Kölbel.
FAUST.

Immer den Buben zu spielen, mit giftiger Zunge über die Sterne zu fluchen, unter denen man geboren ward – jede gemeine Vettel hat das zum Ausweg! – Hohn und Spott ist meiner Seele Nacht und Abscheu – aber so weit ist's auch noch nicht mit mir gekommen, daß ich dies fürchten müßt. Es lebet was in mir, das über alle Erniedrigung erhaben ist –

KÖLBEL.
Lieber Doktor! –
FAUST.
Ich seh es in Gedanken, und hasche darnach –
KÖLBEL.
Hörstu! Bruder Faust!
FAUST.

Wenn ich's wage – der große kühne Gedanke der über mir schwebt – zu weit erhaben über kleine Köpfe – der Atem verläßt mich in freier Luft – Ha! bist du da? – wie geht's Kölbel?

KÖLBEL.

Ohn fernern Eingang Bruder, noch weitläuftige Kondolenz über das was dir passiert – komm hierher dich zum Nachtessen zu invitieren. Eckius und ich, suchen dich schon eine gute halbe Stunde, beliebt's?

FAUST.
Dank euch – aber haltet mir's zuliebe, bin heut nicht sonderlich dazu aufgeraumt.
[1324]
KÖLBEL.

Hättest herrlichen Spaß haben können. Zwei Mädels von Straßburg sind hier angekommen; alte gute Bekanntschaft von mir, mit einem Knasterbart von Onkel, der den Argus über sie macht. Das Ding war anfangs äußerst übel, man konnt vor dem Alten kein Wörtchen an Mann bringen; immer hat ihn das Wetter dazwischen. Eine allein auf Seite zu kriegen, daran war nun gar nicht zu gedenken, und ob er gleich ein großer Zeitungsneuigkeiten – Liebhaber war, und ich Kerlchens genug mitbracht, die nun einander sich fast die Lunge ablogen, den Ketzer immer aufmerksam zu erhalten, half's doch nichts; sah er, daß ich eine oder die andere nur mit der Hand berührte – gleich dazwischengeschnüffelt, »Ei! Ei! Ei! was gibt's denn da?« und machte dabei ein Gesicht, wie eine Papierschere, die man auf- und zumacht, indem immer Nase und Bart beide gleicher Länge, einander beständig küßten, wenn er so was übers Zahnfleisch wegraffelte – Endlich half uns Herz aus; der Gaudieb verkleidete sich heut früh, legte die Kleider von seiner Hausfrau, der dicken Schneiderin an, rieb seinen blauen Bart mit Rötel und Bleiweiß, daß 's ein Elend war; ich mußt ihn dort als eine Bekanntschaft von mir unter dem Namen der Frau Konrektorin dem Alten und seinen zwei jungen Bäschen vorführen – und da hättestu den Teufel nur sehen sollen, wie er das so meisterlich ineinandergemacht – O es war zum Fressen! – der Kerl ist zum größten Komödianten geboren – kurzum, er wußte den so zu streichlen und einzunehmen – ein Spaziergang wurde vorgeschlagen, Herz hing sich in Onkels Arm und zog ihn mit sich voran, ich mit den Mädels hintendrein, und husch in ein Nebengäßchen hinein, eh der sich's versah – Nun sitzen sie auf meiner Stube, und mein Hauswirt, der alte Podakrämer Sandel, der sich mit seinem Weib des Magister Knellius wegen brouilliert hat, hält sie als meine zwei Bäschen. Suchte gleich, um dich bei dem Spaß zu haben; sind zwei muntere fidele Mädels – komm mit! hörst? – wie? was? er hört nicht auf mich? was fehlt dem? Davon mit dem Geist! – Sieht umher wie einer der im Schlaf umgeht. – Was murmelt er zwischen den Lippen – Faust

FAUST
vor sich.

Schande wär's abzustehen – gefährliches Unternehmen! und doch Schande! – Was ist's das meine Gedanken so zusammenfaßt, und immer nach dieser Aussicht hindreht. Wo alle Gaben des Glücks vor meinen Füßen [1325] hingestreut daliegen – Meine Seele sträubt auf, und ahndet irgendein gefährlich Wesen umher, das sie fangen will – der Instinkt der Taube, die den Marder am Schlag spürt – Dies Beben und Klopfen, es geht um mich herum und herum, dorthin und dorthin, will's immer mit mir – was es auch ist, ich will ihm folgen. Ha! diese goldene Träume die um mich herspazieren und sich in mein Inneres hineinspieglen – sind zu lieblich im Anschauen, zu schmerzlich sie wieder zu verlassen, wenn man sie einmal gesehen. – Warum zag ich denn? – Weg! ein andermal mehr darüber. Vor jetzt was ist gleich zu tun? – hin ist hin; und ich habe auch schon den Quark von Verlust vergessen – Vielleicht wollt 's Schicksal so. – Mußten sich auf meinem Rücken vom Untergang retten, war ich der Makler sie wieder mit dem Glück auszusöhnen, und mir ist die Anwartschaft auf eine erhabenere Stelle verliehn – nur das einzige – es greift mir in die Seele – was werd ich meinen armen Verwandten jetzt geben! – Ihre Hoffnungen so hintergangen; es ist zu arg! – doppelt, doppelt, mir anvertrautes Gut, so unachtsam zu verschleudern Zieht ein Beutel unterm Mantel hervor. Mir fällt was ein – ja, ja – muß erst alles probieren; überm Geschwätz verliert man endlich alle Aktivität – das will ich – gewinn ich nur so viel wieder, zum Teil die so lange zu befriedigen, bis daß ich dorthin näher komme, dann wär ich ein Weilchen ruhig. – Dies mein ganzer Rest –

KÖLBEL.

Nun will doch sehen, wann er wieder zu sich selbst kommt – jetzt atmet er leichter und blickt gelassener umher – ist er vielleicht nicht wohl? – was er mit dem Beutel in der Hand will?

FAUST
vor sich.

Zu wenig, und zu viel in meiner jetzigen Stellung! – gut denn – draußen vor der Stadt versammelt sich gegen das öffentliche Verbot in ödem finstern verfallenem Turme, wo Eulen und Gespenster bei Nachtzeit herbergen, heimlich eine Gesellschaft Spieler; vermummt und maskiert schleichen zu ihnen nur Leute die mißvergnügt mit Gott und Welt, oder junge Waghälse oder andere mit Elend Beladene, am Rand des Verderbens Schwindelnde, dort Trost und Hülfe gegen das Unglück zu suchen, das sie auf allen Wegen hetzt; die, wenn sie das letzte hier gewagt, hernach auch mit Recht sich der Verzweifelung ganz in die Arme werfen dürfen – Diese Gesellschaft will ich heute vermehren; gewinn ich nur so viel, meine Verwandten zu befriedigen, wohlan so ist mir [1326] wieder eine Weile wohl. Will sehen wie's geht; verlier ich – immerhin; mir bleibt am Ende doch noch mein letzt Refugium – – Wie! Bruder Kölbel noch hier? Ich dacht du wärst schon weiter –

KÖLBEL.
Du warst in tiefem Nachdenken begriffen Bruder –
FAUST.

Ach ja! – mir fiel so was aus den vorigen Zeiten ein – die Zukunft und die Vergangenheit sind's immer, wornach wir Menschen unsere meiste Blicke wenden; wir sehn uns oft größer in der schmeichlenden Zukunft, und müssen, um wieder die richtige Proportion zu treffen, die Vergangenheit zur Hülfe nehmen, die denn den wahren Spiegel vorhält, und uns weist, was wir werden können, indem sie zeigt was wir waren. – Wie, sagtest du mir nicht vorhin noch was anders?

KÖLBEL.
Sprach viel, du merktest aber nicht darauf.
FAUST.

Bin in einem wunderlichen Humor heute – Mir ist nicht wohl; doch das wird schon wieder vergehn – leb wohl Bruder – grüß mir deine Kameraden – habe notwendig an einen Ort zu gehen.

ECKIUS
tritt auf.

Kölbel! wo lauft denn der hin? wie ist's? kommt er diesen Abend? – Kölbel du bist ein herrlicher Kerl von Lebensart, die Mädels so allein auf deinem Zimmer hocken zu lassen – schön! schön!

KÖLBEL.

Seit wann kommt's dir ein, über diesen Text zu predigen? – Ich glaub eine von meinen Bäschen hat dich überrumpelt – Horch, daß du mir nur nicht an die Blonde gehst – Was Henkers! sogar deine Schuh und Schnallen heut geputzt? – Ja, jetzt ist's aus –

ECKIUS.

Narr, es muß mir doch einmal kommen – bin ja bei dir in guter Kameradschaft; werd doch beim Element etwas profitieren – –

KÖLBEL.

Den Faust kriegen wir heut nicht – Es fliegt ihm noch zu viel durchs Hirn; der stand vorhin da, wie einer der in einer Versteigerung gern mitbieten möcht, und doch kein Geld im Sack hat. Die Augen und Lippen zielten nach was – aber, die Worte blieben in der Gurgel stecken. – Wie steht's mit dem Herz?

ECKIUS.

Gut; der soll bald erlöst werden – Hab dem Alten soeben ein Quartier beim Bartkratzer Atzel gedungen, der ihn in sein hinterst Kämmerchen im Hof, den Mittag über einsperrt, und zum Zeitvertreib ihn eine Weile Balbieren, Klistieren und Laxieren machen soll – der Kerl freut sich wie ein Narr [1327] darauf, daß er einmal wieder solch ein Gespaß unter die Finger kriegt.

KÖLBEL.
Der Donner! daß ihm aber auch ja kein Leids geschieht. –
ECKIUS.

Dafür laß mich sorgen – Warm Wasser wird er brav in den Leib bekommen; das ist alles – weiß sonst kein Mittel ihn loszuwerden – der dicke Herz, was der flucht und schwitzt – solltest ihn nur 'nmal durch die Straßen patschen sehen! ha! ha! übern Markt, durch die Mühlen, über die Brücke – durch alle Winkelgassen, in Hoffnung ihn loszuwerden – Am Spital zog er ihn durch den Kandelunrat; aber alles vergebens! Panzer klammerte sich mit beiden Händen nur noch fester an ihn, und behammelt' und besaute Herz zugleich mit; indem er immer rück- und vorwärts mit dem Kopf nach den Teufelskindern, seinen Kanaillen Niècen schrie. Die Ungeduld übermannte endlich Herz, und er fing so heillos zu donnern an, daß dem Alten alle Knie und Beine zitterten – und ich vor Lachen durchgehen mußte. Will ihn jetzt gleich aufsuchen.

KÖLBEL.
Geh, sieh daß du ihn losbringst – der gute Teufel tut doch alles unsertwegen.
ECKIUS.
Was für eine Erscheinung!
GOTTESSPÜRHUND.
Eure Hand! Ihr seid Faust.
KÖLBEL.
Freund, wer sagt Ihm das?
GOTTESSPÜRHUND.
Was man nicht sehen kann – eigentlich Physiognomik versichert mich's.
KÖLBEL.
Ein Beweis, daß sich die betrügen kann. Bin Faust nicht.
ECKIUS.
Physiognom? Ha! so schaut mir doch auch mal in die Fratze.
GOTTESSPÜRHUND.
Meine Augen haben euch verwechselt – du bist Faust.
ECKIUS.

Herr! nochmal fehlgeschossen – bin sowenig Faust, als ich der Säckler bin, der Euch Eure lange Tolpatschhosen genähet.

GOTTESSPÜRHUND
dreht sich nach seinem Lehnlakai der im Grund steht.
Wieder einmal durch solch einen Hundsfott mich prostituiert! Aller Effekt jetzt hin –
KÖLBEL.

Im Grund immer Vergnügen, für einen Löwen oder Elefanten angesehn zu werden, wenn man nur Marder und Dromedar ist – Guter Freund, dieser hier ist Eckius, Doktor der Rechte, und ich, Kölbel, beide Fausts Freunde – Darf ich jetzt fragen, wen wir vor uns haben?

GOTTESSPÜRHUND.
Bin Spürhund, aus der Schweiz.
[1328]
KÖLBEL.
Woher?
ECKIUS.
Aus der Schweiz, sagt er. –
KÖLBEL.

Ein schöns, liebs Land, die Schweiz, wo noch reineste Sitten, wahrer Menschensinn und Freiheitsgeist hier und da im Schwang gehen – War auch drinnen; mich freut's immer von dort her was zu hören. Ein jeder Schweizer hat für mich besondern Wert – willkommen also –


Gibt ihm die Hand.
ECKIUS.
Ist der Herr ein Literator, oder treibt er sonst ein Geschäft?
GOTTESSPÜRHUND.

Bin Spürhund aus der Schweiz; mein Name und Beschäftigung ist bekannt – habt wohl auch von mir gehört –

KÖLBEL.
Wüßte mich nicht zu besinnen –
GOTTESSPÜRHUND.

Ist nicht vor vierzehn Tägen ein Theolog hier durch, der bei Faust und Fausts Freunde mein Kommen gemeldet.

ECKIUS.

Oho! das war ohne Zweifel der verfetzte Bettelpfaff, der sich für einen Sklavenerlöser ausgab, und sich um einen Schoppen Wein in der Wirtsstube mit dem stärksten Docken herumbiß. Recht, recht; er sprach immer von einem gewissen aus Zürch – Ihr seid also der reiche Ochsenhändler selbst, Herr?

GOTTESSPÜRHUND.
Bin kein Ochsenhändler – –Beiseite. die Bengels! Geht ab.
ECKIUS.
Phu! der wär gepatscht –
KÖLBEL.

Machst's auch zu grob – hab ihn eben mit aufs Zimmer invitieren wollen – hätten die beste Gelegenheit gehabt, ihm recht auf'n Zahn zu fühlen – sieht würklich nicht übel aus; wenn er schon kein original Kerl ist; merkt man's doch daß er gern einer sein möcht –

ECKIUS.

Wenn man die Kerls so rumoren sieht, muß man sie gleich mit einem Hieb vom Platz heben, sonst springen sie einem auf'n Rücken und reuten einem wie 'ne Mähre zuschanden – Ich kenne die Sorte, das ist so die wahre Art vor Luzifer zu senden, um desto sicherer hinterdrein Wunder zu tun – Laß sehn ob ich auf der rechten Fährte bin – Er logiert im »Schwanen«; sah ihn heut früh auf einem Schimmel anreiten, schick hin und laß ihn invitieren; er darf kein Flegel sein und wegbleiben, oder wollen ihn Mores lernen – Sieh! sieh! wer kommt da?

KÖLBEL.
Blitz der Panzer – muß fort, sonst ranzt er mich um seine Niècen an. Hilf jetzt dem Herz los –

Ab.
[1329]
ECKIUS.
Gut, will schon machen.

Panzer an Herz' Arm.
PANZER.

Musje! – he! Musje! war's nicht der nämliche Herr Kölbel der meine Niècen weggeführt – Kommen Sie Frau Konrektorin, laufen Sie doch mit mir nach – kommen Sie –

HERZ.

Hol Ihn der Hagel! lauf Er allein wenn Er Lust hat – ich bin kein Musje! kenne keinen Musje! lauf nicht gern! lauf Er alleine nach –

PANZER.

Ach nein! – ich bin hier fremd; Sie muß mich wieder zu meinen Niècen führen. – Hält sich mit beiden Armen an Herz. Ich lasse Sie nicht um alles.

HERZ.
O alle Wetter! – alle Wetter!
PANZER.

Um Gottes willen sagen Sie mir nur wo Sie wohnen – haben mich schon dreimal die Stadt auf und abgeschleppt – mein Bein! – meine Kleider! –

HERZ.

Die Hunde von Kameraden! mich mit diesem Untier so allein zu lassen; er henkt wie ein Hörnerteufel an mir! Sollen mir's entgelten – komm Er, Herr Panzer, muß ein bißchen ausruhen.


Sitzt auf einen Stein am Haus.
PANZER.
O weh! o weh! unter der Dachtraufe; es tropft mir in die Anke, der Schnupfen; Rotlauf! –
HERZ.
Das tut mir nichts, Herr Panzer!
PANZER.
Ja, ich sprech von mir.
HERZ.

Tut mir auch nichts – Wasser in der Anke ist neu Leben, Herr Panzer! – Sitz manchmal ganze Stunden lang so unter der Dachtraufe.

PANZER.
Ei behüte! Ei behüte!

Eckius gibt Herz ein Zeichen.
HERZ.
Ah so, ihr Höllenhunde! kommt ihr einmal – Jetzt will ich Ihn zu Seinen Niècen führen – –
ECKIUS
zwischen Herz und Panzer.

Wie du Vettel, treff ich dich hier an? Gleich ins Zuchthaus mit dir – Nickel! du unterstehst dich noch, mit ehrlichen Leuten umherzugehen, dich für eine Frau Konrektorin auszugeben? – Reißt sie auseinander, und hält den Panzer. lauf! lauf! Herz lauft davon. will dich schon kriegen – – wer ist denn Er Herr? wie kommt Er in diese Gesellschaft? –

PANZER.

Ich weiß selbst nicht; ein gewisser Musje der meine Niècen besucht – – meine Niècen Herr, sind verloren! ich bin fremd hier, sie sind mir geraubt worden! ach Himmel!

ECKIUS.

Mit solch einem Laster umherzuziehen – wahrhaftig [1330] Herr, Er ist sehr erschrocken und verhitzt – will Ihn hier nahe in eine Apotheke führen – muß rot hallisch Pulver einnehmen –

PANZER.
Wie Sie meinen!

Ahasverus. Amsel.
AHASVERUS.
I – i – ich so – so – so – soll –
ECKIUS.
Was quäkt der Frosch da? – will Er zu mir?
AMSEL.

Wir kommen eigentlich in Herr Magister Knellius' Namen – wir suchen Doktor Faust! – möchten selbem eigentlich zu wissen tun, daß schon besagter Herr Magister Knellius – seiner Ehre wegen, ohnmöglich jetzt mit dem Doktor –

ECKIUS.

Wie? was? Ehre und Magister Knellius was soll das? – er will vielleicht nicht seine Disputation halten?

AMSEL.

Ja, wegen der Disputation – er kann nicht – es tut ihm leid – aber die Schande und Schmach, worinnen jetzt der Doktor steckt –

ECKIUS.
Er muß – was Schande und Schmach –Gibt beiden Nasenstieber. Ihr Hundsfütter –
AMSEL.
Darüber wollen wir uns eine Explikation ausgebeten haben –
ECKIUS.
Sehr gern, sie wächst in meiner Hand –

Gibt jedem eine Ohrfeige.
AHASVERUS.
Ah – ah – en –
AMSEL.
Gut, wir wollen alles hinterbringen, und Er soll sehen, was Er zu tun kriegt –

Beide ab.
ECKIUS.

Für was man noch Klingen hier in der Scheide trägt – wenn man sich nicht vorn Spiegel stellt, und hineinsieht, bringt man keine bloße Spitze gegen sich – pfui! – nu, will Er rot hallisch Pulver?

PANZER.

Ach ja, ja, soviel Sie wollen, wie Sie meinen; alles, alles, was Sie für gut finden, wie mir's noch ergehen wird; der böse Herr Ochsel, der mir meine Niècen verführt! Ab.


Sonnenwedel.
Hanne, Faust's Mutter im Bett, hüstlend, ihre zwei Enkel spielen davor.
MINCHEN
in Reisekleidern schnell zur Türe herein.

Grüß euch Gott da beisammen liebe Leute – Gesundheit und Ruhe der Kranken im Bett – hier ist Geld in einem Briefchen auf Ingolstadt, Geld für die Mühe – auf euer Gewissen leg ich's den [1331] Brief richtig zu bestellen – Adies – Legt das Geld und Brief aufs Bett und ab.

MÄDCHEN.

Eine schöne Jungfer, Großmutter! ein Engelchen, Großmutter! hätt ihr mögen eine Patschhand geben, und mich verneigen –

BUBE.
Und ich sie auf meinem Hengst reiten lassen – guck, gehl Geld, Großmutter! –
HANNE.

Weist her, ihr Kinder – – nach Ingoldstadt sagte sie, und so reichlich bezahlt, der Großvater ist den Weg, euren Vetter besuchen zu gehen – wie heißt die Aufschrift – wie! wie! »an Wagner, bei! bei!« – wenn mir nur die Augen nicht so wehe täten, daß ich's lesen könnt –

BUBE.
Großmutter, der Schulmeister wird gleich kommen der kann Euch alles lesen –
HANNE
dreht sich im Bett um und schluchst.

Leg's auf'n Tisch, das Geld dazu. Ach Johann! Johann! mein Sohn! Ingolstadt hör ich nicht nennen, dann klopft mich 's bang in dem Herzen deinetwegen!Die Hände zusammen. daß der allmächtige Gott sein Herz regieren, daß er seines Vaters Ermahnungen folgen, daß ich ihn bald aus diesem Greuelleben wissen möge, bald! sonst bringt mich's unter die Erde –


Ingolstadt.
Wirtsstube im »Ochsen«.
FAUSTS VATER.

Endlich einmal hier, und auch schon nach dem Wagner geschickt – ist mir sauer ankommen diese Reise – ach! Setzt sich und steht gleich wieder auf. Doch kann ich nicht ruhen bis ich weiß woran ich bin, wie's mit meinem Sohn steht – ob's wahr ist, daß er auf solch gottlosen verbotenen Wegen wandelt, wie man mir berichtet – Wagner ist ein frommer ehrlicher Junge; ist bei ihm im Haus, muß am besten wissen ob's wahr ist, er wird mich nicht hintergehen – – und dann wenn's so ist, Dokter und alles beiseite, ich will der Obrigkeit zu Füßen fallen, daß sie einem schwachen Vater beisteht, wegen einem ungeratenen Sohn, will mich sein mit Gewalt bemächtigen wenn er im guten nicht folgen will.

KELLER.
Was befiehlt der Herr?
FAUSTS VATER.
Ein Glas Wein, und eine Krust Brot – Ist schon hingeschickt worden? –
[1332]
KELLER.
Ja! – – wie geht's Steffen?
STEFFEN.
Hör! Wein her, und vom besten – hab einen Korb drauß, den wir füllen müssen –
KELLER.
Wer ist alleweil im Turm draußen?
STEFFEN.

Aber still – der Hals wird mir gebrochen wenn ein Wörtchen herauskommt – Studenten, fremde Offiziere, und der Faust –

KELLER.
Der Faust auch?
STEFFEN.

Der verliert alles – solltest ihn nur mal sehen, er spielt wie ein Kind – je mehr Unglück, je verwegener drauflos – Mach fort, muß nach meinem Korb sehn, daß mir ihn niemand wegputzt –


Ab.
KELLER.

Haha! der Faust drauß – gut daß ich's weiß, den Augenblick soll das der Magister droben im Zimmer erfahren – erkundigte sich gewaltig nach ihm – setzt ein gut Trinkgeld –


Bringt Brot und Wein, ab.
FAUSTS VATER.

Will auch keinen Tropfen eh genießen, noch den Gaumen erfrischen am Labetrunk, bis ich's weiß – da ist er ja – Gott mit dir, Wagner!

WAGNER
stutzend.

Ihr hier, Vater Faust? – willkomm, wo führt Euch Gott am Abend her? – grad von Sonnenwedel? – wie geht's, mit der Gesundheit?

FAUSTS VATER.

So! – will nicht mehr recht voran – hier, und hier auf der Brust, und in den Füßen – was ist zu machen lieber Junge! – das Alter kommt –

WAGNER.
Ah! habt noch frisch Ansehen – seid ja noch im besten Tun, erst an der Schwelle des Alters.
FAUSTS VATER
lächlend.
Lieber Junge das spricht sich nicht weg – fühl's am besten wie's weicht – setz her zu mir –
WAGNER
sitzt nieder.
Was macht Mutter Hanne Euer Weib?
FAUSTS VATER.

Was macht sie – härmt sich eben auch ihres Sohns wegen, wie ich – wir hörten der Tage viel Schlimmes von ihm – Wie siehstu aus Junge? – ich weiß nicht, du bist doch der alte Wagner noch? da! iß von meinem Bissen und trinke aus meinem Glas – und sag mir auf deine Seele die Wahrheit wie's mein Johann hier treibt. Bricht Brot, und gibt ihm. Daß ich dir trauen darf Schenkt ihm ein. frei heraus wie ein ehrlicher Junge; wie geht's mit der Erbschaft? Wir hören daß er verpraßt, vertut, ohne uns, und seiner Anverwandten mehr zu gedenken –

WAGNER.
Fragt auf einmal viel, Vater Faust!
[1333]
FAUSTS VATER.
Nu! eins ums andere, zuerst sag mir, ist er noch wohl?
WAGNER.
Ja.
FAUSTS VATER.

Das freut mich – Steht auf, und nimmt den Stock. Komm führ mich gleich zu ihm, in sein Haus; muß ihn sehen –

WAGNER.
Jetzt nicht anzutreffen, ist ausgegangen –
FAUSTS VATER
setzt sich.

So wollen wir warten, bis er nach Haus kommt – trink eins, jetzt will ich auch eins trinken, da er wohl ist – ach – er weiß nicht was er mir und seiner Mutter seither vor Kummer verursacht – tagtäglich liegt sie mir seinetwegen in den Ohren – Da kriegen wir einen Brief übern andern von unbekannter Hand, worinnen uns zu wissen getan, wie er die Theologie verlassen, und sich der Nigromantia, heißt zu deutsch Schwarzkunst oder Teufelsbannerei mit aller Macht zugewendet; ich erschrak in mein Inwendiges, da ich das las und Mutter Hanne fiel gar in Ohnmacht darüber – seitdem hat sie dir Tag und nachts keine Ruhe, wenn sie zu Bette geht, schreiet sie um ihren Johann; und spricht, »soll ich denn nicht hoffen dürfen, ihn einst im Himmel wiederzusehen – hab ich denn darum ihn unter meinem Herzen getragen – er vergißt uns, er hat uns wohl alle vergessen!« dann betet sie und beschwöret alle Engel, alle Heilige um ihn zu wachen, und ihm beizustehen – was ist's doch um ein Mutterherz! wer kann das er gründen? Nachts im Schlummer sogar, stößt sie mich auf, wenn ich von der Tagesarbeit ermüdet, ruhe. »Steh auf alter Vater!« schreit sie »und sieh nach deinem verlornen Sohn« – Es ging mir durchs Mark die ehrliche Mutter so leiden zu sehen – drum macht ich mich auf, trotz meiner schwächlichen Gesundheit auf den Weg – Trink doch Wagner trink – Es wird sehr dunkel, rück ein wenig zum Fenster hin – Es mag meinem Sohn sehr wohl gegangen sein seither, aber wir, wir haben doch gelitten – Kind du glaubst nicht, wie kummervoll mein ganzes Wesen ist –

WAGNER
wischt sich die Augen.

Daß ich's nicht glaube – o Gott! wie wird's mir auf einmal für meinen Sinnen! welch schrecklich Licht geht mir auf! – wer da?


Strick, Fang, zwei Gerichtsdiener und Soldaten treten zur Türe herein.
STRICK.
Keller! wo ist der Keller? – er soll hereinkommen.
KELLER.
Was befehlen Sie Herr Strick?
STRICK.

Was Guts, und geschwind! he! geb einer acht wenn die [1334] Bürgerwacht vors Tor ausrückt daß man gleich hieher springt, und uns avertiert – wir wollen das Nest voll flicke Jungen ausheben, und den Vogel dazu.

KELLER.

Ich weiß schon – weiß schon! – will Ihm was Gutes bringen Herr Strick, und hernach auch mit; bin auch gern bei dergleichen Vorfällen, wo's so was gibt – der Herr Magister, Herr Strick, der Herr Magister ist da. Ab.


Magister Knellius, Ahasverus, Amsel, Blass.
KNELLIUS.

Guten Abend, Strick – frischauf! der Faust ist draußen bei ihnen – hört ihr's – geschwind! geschwind!

STRICK.

Den Augenblick – wollen nur einen Krug ausleeren und dann derhinterher – was ist das? –Geschrei und Gelärm auf der Straße. Was gibt's? – schon da? – allo! allo Kameraden! die Burgerwache!

KNELLIUS.

Tummelt euch – fangt all die Schelmenspieler – oder laßt sie durchgehen wenn ihr wollt, nur den Faust – hört ihr's! den Zauberer! den Erzschelm! Faust! den fangt mir, und bringt ihn herein!

FANG.
Ja! aber haben wir denn auch gewiß Ordre dazu? Strick! wie ist das?
STRICK.
Halt 's Maul! – komm nur! – weiß alles! –

Strick, Fang, und Soldaten ab.
KNELLIUS.

Bin wütig ihr liebe Freunde! – er muß mir fort aus der Stadt, – einkarzeriert, relegiert, beschimpft, geschmäht, und alle seine Kameraden mit ihm – Muß ich mit ihm disputieren? will's ihm weisen, ob ich muß –

BLASS.
Ja, aber Ihr habt ihn doch selbst erst herausgefordert.
KNELLIUS.

Der Teufel ritt mich – mußt's ehrenthalben – voran – voran! wenn 's Eisen warm ist, muß man's schmieden – Eure Ohrfeigen Zum Ahasverus und Amsel. sollen ihm teuer zu stehen kommen, bitter zu verschlucken – fort, durch die Straße – schreit Weiber, Männer, Bürger, Kinder, Greise, alles in Lärm – immer Faust, und Brand, und Mord, und alter Turm vorm Tor –

ALLE.
Wir wollen.
KNELLIUS.

Aus der Stadt muß er! will's ihm weisen, ob ich mit ihm disputieren muß – er soll fühlen was 's heißt mich zum Feind haben.


Alle ab.
WAGNER.
Wie ist's Vater? wo seid Ihr im Dunkeln verloren?
[1335]
FAUSTS VATER.
Wollt, ich fände mich selbsten nicht mehr – o Gott! Gott! bald werd ich noch mehr erfahren.
WAGNER.
Ein schröcklich Licht mir angezündt!

Nacht. Straße.
Trommeln, und Sturmgeläut – man hört durch die
Straßen laufen, und lärmen.
EINER.
Mord! Brand!

Ab.
KÖLBEL.
Wo ist 's Feuer denn?

Lauft nach.
ZWEITER.
Vorm Tor! – am Mark drunten! –
DRITTER.

Gott steh uns bei! Lichter zu den Fenstern heraus. Was gibt's? he! was geschieht draußen auf der Straße?

KÖLBEL.
He! Eckius! – Eckius! –
ECKIUS
oben am Fenster.
Was gibt's? –
KÖLBEL.
Geschwind herunter – deinen Degen mit –
DIE MÄDELS OBEN.
Herr Vetter kommen Sie herauf zu uns – was wollen Sie bei dem Tumult!
KÖLBEL.
Den Augenblick – den Augenblick – Bäschen laßt euch die Zeit droben mit Herz nicht lang werden – –
ECKIUS.
Nu! was soll's?
KÖLBEL.
Geschwind, man will den Faust arretieren – die Philisterwache –
ECKIUS.
Schwerenot! wie? wo? man muß das nicht leiden! – he! wo ist er denn?
KÖLBEL.
Drauß im Turm – komm! – komm! Ab.

Im Turm. Saal.
Weibsleute, Spieler, Faust vorn an einem Tisch würflend.
FAUST.
Hab eine ziemliche Portion Geduld – aber da reißt's aus –
ERSTER SPIELER.
Voran! –
ZWEITER SPIELER.
Die Würfel her. – Wer hält dies Klümpchen?
FAUST.
Ich!
ZWEITER SPIELER.
Drei Fünfter – passiert –

Faust zahlt aus.
[1336]
FAUST.
Noch einmal! – alles.
ERSTER SPIELER.
Alle Teufel! der passiert bis übermorgen.

Faust zahlt wieder.
FAUST.
Ist schon spät – noch einmal! –
ZWEITER SPIELER.
Banko!
FAUST.
Banko für Euch.
ZWEITER SPIELER.
Getroffen! ich danke Ihnen, daß Sie mir diese Banko vor der Nase weggenommen.
FAUST
wirft den Becher hin.
Auch nicht einen einzigen Zug, die ganze Zeit über – Auf und ab.
DRITTER SPIELER.

Brave Kerls die gut zur Haushaltung arbeiten – mein Weib erwartet euch heut beim Nachtschmaus. Wie! wie! was gibt's Steffen! –

STEFFEN.
Auf ein Wort!

Auf Seite.
DRITTER SPIELER.
Wenn wir nur noch den Ring und die goldene Kette erwischen! –
VIERTER SPIELER.

Was! was! Steffen? Die Türen sind verriegelt drunten – niemand kann hereinKlopft. was ein Lärm! Klopft wieder. komm mit, wollen sehn –


Mit Steffen ab.
FAUST
den letzten Beutel in der Hand.

Der letzte – das ist alles – wie leicht das gesagt ist – und sollt ich's noch wagen? – andern hätt ich Rechenschaft von dieser Summe zu geben, so verächtlich sie mir auch ist – gut will diesen letzten Beutel noch retten, hinschicken meinen darbenden Verwandten. So wenig! – ist's immer noch genug für einen und den andern, damit was zu erlernen, und ein braverer, brauchbarerer Kerl der Welt zu werden, als ich – ein Notpfennig der einem Genügsameren im Unglück noch trefflich zustatten kommt – Die Spieler rufen laut. doch wär's auch Torheit gerade jetzt aufzuhören, da mein launigtes Glück just sich drehen, und mich nachher verlachen könnt – will's noch einmal wagen – das Verlorne wenigstens wie der gewinnen oder auch auf dieser Probe vollends zugrunde gehen – dann weiß ich auch, was das Schicksal mit mir will – und wohin's mich mit Gewalt treibt – Er geht hinzu, setzt, würfelt, verliert, die andern ziehen 's Geld.


Steffen, und Spieler kommen bestürzt herein, reden miteinander, und alle ab.
FAUST.

Gut! da müßt sich einer wie ein Mann fassen – Drückt den Hut in die Stirne. Es liegt noch ein Weg vor mir – trüb und dunkel, und hab auch Kraft ihn zu gehen – länger der gebundene [1337] Affe zu bleiben, der ewig seinem Wollen und Gefühl unterliegen muß – sich sträubt, ohne loszukommen – will's versuchen, mein eigen Schicksal mir vorzeichnen, dem launigten Ding das diese Welt beherrscht zum Trutz – – juh! juh! Er schlägt mit der Klinge auf'n Tisch.

SPIELER.
Herr! Herr! drunten der Turm umringt – man begehrt Sie – fordert Sie –
FAUST.

Fort, aus meinen Augen! oder ich durchbohr dich – wenn du irgendeine andere Gestalt trügst als die menschliche, wollt ich dir nicht fluchen – die Menschen sind mir alle zuwider!


Der Spieler lauft fort.
ALLE.
Wie ist's? was sagt der?
VIERTER SPIELER.

Er ist wahnsinnig – laßt den Narren allein sitzen – die Zimmer wohlverriegelt, daß sie so bald nicht herauf können, indessen wir hinten übern Gang und zum Sekret hinunter, ans Wasser – kommen so durch – daß kein Mensch weiß wohin –

ALLE.
Gut! gut geraten! – kommt! Freunde! kommt!
STIMME.
Faust! vergiß mein nicht!
FAUST.
Mein Genius!
STIMME.
Freund!
FAUST.
Wessen Freund?
STIMME.
Dein Freund!
FAUST.
Weg, in die Hölle wieder! – will keinen Freund!
STIMME.
Dein Feind!
FAUST.
Ha! so könnt ich dich lieben!
STIMME.
Ruf mir wenn du mich brauchst.
FAUST.

Wie's auch ist – ob du mir Hülfe zu leisten kommst – was fürcht ich mich jetzt an diesem Ort der Schande, dem Tempel zügelloser Sünde, mich dir zu nahen – hierher gehören solche Bekanntschaften – ew'ge Dämmerung herrscht hier – ein Gefängnis der Ehre; der reine Tag dringt nicht unbesudelt durch diese verrostete Gitter Bläst die Lichter aus. wohlan denn, will im Dunkeln mit dir sprechen! bin nun vom gewöhnlichen Pfade gewichen – bistu mein Freund, so zeig mir's; bist's nicht, so bleib tief in der Hölle!


Die hintere Wand geht auf, man sieht hellerleuchtete Klumpen Silber und Gold gemünzt und ungemünzt in Haufen, und Säcken. Juwelen und Kleinodien in goldenen Schränken.
STIMME.
Die Güter der Welt, die ich meinen Freunden zuteile!

Der Vorhang fällt zu.
[1338]
FAUST.
Ist's so?

Die hintere Wand zum zweitenmal auf, man sieht Kronen, Zepter, Orden, Adelsbriefe überm Tisch.
STIMME.
Die Herrlichkeiten der Welt, die ich meinen Freunden verleihe!

Der Vorhang fällt zu.
FAUST.
Ah! Kronen –

Die Szene zum drittenmal auf, man sieht Mädchen in wollüstigen Gruppen überm Kanapee; andere tanzen, und singen; eine liebliche Musik läßt sich hören.
STIMME.
Freuden der Welt, denen die ich liebe!

Der Vorhang fällt nieder.
FAUST.
Eins noch fehlt!

Der Vorhang zum viertenmal auf, eine Bibliothek im Hintergrund – voran alle Künste und Wissenschaften emblematisch in Marmorgruppen um eine Pyramide, worauf oben Fausts Bildnis, von der Ehre gekrönt steht.
STIMME.
Ruhm und Ehre denen die mir hold sind!

Der Vorhang fällt zu.
FAUST.

Wo bin ich? im Wirbel mir selbst entrissen – Ist's Wahrheit was ich sah? oder träum ich nur, und steigen in meiner erhitzten Phantasie diese Bilder vorüber! – aber nein! ich fühl's durch alle meine Adern hindurch, fühl's daß es Wahrheit, tiefe Wahrheit ist – bin durchaus angesteckt von diesem Anblick – wie's in mir lechzt nach dem Besitz, nach dem vollen Genuß – – wie lieb ich den, der in mir dies Schauspiel erregt – wohlan mächtiger Geist, wo du auch bist, komm! komm! ganz mir beizustehn! – wenn du's vermagst.

STIMME.
Vermag's!
FAUST.
Willt auch?
STIMME.
Blöder, daß du keinen Glauben hast –
FAUST.
So komm! – ich rufe dir!
STIMME.
Meinst ein Wort das deiner Lippe entfährt sprenge die Tore der ew'gen Hölle? –
FAUST.
Verlange nach dir! komm! wünsche, hoffe zu dir!
STIMME.
Ha! ha! ha!

Die Szene wird heller, ein in Scharlach gekleideter Fremder tritt herein.
FREMDER.

Verzeihn Sie dem Entzücken, das mich so ganz hinreißt Sie zu suchen, zu schauen! ganz den künftig großen, unsterblichen Mann in Ihnen zu schauen – Hab Ihre Gedanken [1339] über Nigromantia gelesen; ein guter Freund teilte mir sie in Wittenberg mit; das Herrlichste, Reichhaltigste, was je über diese Materie gesagt, gedacht, und geschrieben worden – mir ahndete ganz Ihre Physiognomie bei jeder Zeile, so wie Sie jetzt vor mir dastehen.

FAUST.
Ihr Name wenn ich bitten darf –
FREMDER.

Tut nichts zur Sache; bin ein Physiognom, reise incognito, um so mehr da ich dadurch die notwendige Gelegenheit erhalte, zu handeln, urteilen, wie ich's denke, und für gut finde – immer im Dunkeln ergründe, und forsche, mit dem Bleimaß in der Hand – um auf einmal mit neu hervorgegangenen Wahrheiten bereichert, ans Licht zu treten. – Welch ein Adel von Lineamenten! – ein königlich Profil – diese den Wolken zufliegende Stirne, eine Predigt gegen alle Unterwerfung – Dieser Mund der über seine Erniedrigung selbst höhnt; der stolze Aufschwung dieser Nase; – kein kleiner Mann kann so was haben.


Zieht die Schreibtafel heraus und zeichnet.
FAUST.

War immer so mein Gedanke, die Summe unserer inneren Würkungskräften trügen wir in leserlichen Ziffern in unseren äußeren Lineamenten – das Äußere müsse Dolmetscher des Inneren sein durch die ganze Natur. Das fühlen und erkennen auch die Tiere; wer sagt's dem Hund, und dem Kind, daß sie sogleich verspüren, was sie liebt und duldet – aber das schiebt mich wieder der Prädestination in den Rachen, schnürt aller handelnden Freiheit auf einmal die Kehle zu – Sind wir mit diesen Kräften zur Welt kommen? Sind wir auch bestimmt diese Kräfte gerade so zu brauchen, wie und wohin sie inklinieren? denn wer will dem vollkommensten Werkmeister eingreifen, wie er die Maschine gestellt – So ward ich wohl zum Kolumbus der Hölle ausgerüstet, und mein Anstand und Bangen vor der Tat, gehört mit in die feinere Federwerke, die das große hingezogene Rad ein wenig einhalten, daß es nicht in Schnelligkeit überspringt. – Wenn's denn so ist? Was quäl ich mich eine Tat zu wagen, die zu wagen ich schon von Anbeginn der Welt bestimmet war – mit Nerven hinbewogen, aus Millionen, grade der eine sie zu wagen.

FREMDER.
So wage denn, und wage denn, wer wagt hat halb verloren.
FAUST.
Ha!
[1340]
FREMDER.
So, so – ist's Zeit!
Gefahr und Not ist nicht mehr weit;
Und hin und her, und auf und ab
Es ruft und schreitet klapp! klapp! klapp!
Die Treppen hoch! die Treppen tief!
Hörst doch?
FAUST.

Erregest Bangigkeit in meinem Inwendigen! welchen Spiegel zeigstu mir? – Du liesest meine Gedanken – Weh mir! antwortest mit Blicken was meine Seele dich fragt – wie wird mir!

FREMDER.
Hätt ich mein Werk und Kunst vergessen,
Trüg denn umsonst dies Kleid mit Tressen.
Horch auf! horch auf! es stürmt herauf
Mit Wehren stark, mit Stangen.
FAUST.
Bist kein Physionomus? ha!
FREMDER.
Bin was ich bin ha! ha! ha!
Frag weiter nicht, frag weiter nicht,
Hörst draußen lärmen? hopsasa!

Ein Gelärm und Getöse vor der Türe, man hört schreien »fangt den Faust«.

Die Angel bricht, der Riegel bricht;
Es springt und dringt in hellem Hauf,
Soldat, und Jud, und Bürger auf,
Zu fangen, dich zu fangen.
FAUST.
Wohin – wohin? sag!
FREMDER.
Vertrau mir wohl, dann kommst mir nach.
Dies Buch, nimm's hin in deine Hand,
Frei fliegst du über Meer und Land,
Durch Tor, und Tür, und Mauer fest,
Willt du's?
FAUST.
Gib's her!
FREMDER.
Das Allerbest!
Vergiß ja nicht die Schuldigkeit,
Bist los und ledig –
FAUST.
Her indessen!
ALLE TEUFEL
laut.
Sonst kommen wir nach kurzer Zeit,
Ju heia! Brüder all bereit,
Und holen die Intressen.

Ab.
FAUST.
Wo Not uns drängt und Hang uns zieht,
Wie leicht nicht da ein Ding geschieht.

Die Türe wird aufgesprengt, Faust durch die Luft davon, Soldaten und Bürger prallen zurück.
[1341]
SOLDAT
und Fackeln.
Ist nicht da! niemand!
BÜRGER.
Wie? wie? kein Mensch und Seel!
SOLDAT.
Alle Wetter es stinkt hier abscheulich!
BÜRGER.

Die Herrn Studenten stehn all auf's Fausts Seite – wird jetzt ein garstig Gelärm drüber geben, da wir ihn hier nicht finden –

SOLDAT.

Wer hat's denn gesagt, daß er da war? – schreit hinunter daß niemand da ist – Fang und Strick herein. ist ein unaussprechlicher Geruch! – nicht zum Bleiben – phu!

BRUDER HERZ
im Weiberrock, den bloßen Degen in der Hand.

Wo ist nun der Faust? – wer hat's gesagt daß er hier sei? – wer? Satisfaktion ihr Höllenhunde! Satisfaktion! – den Augenblick Satisfaktion –

ECKIUS.
Bruder du voran – alle Wetter wie kommst du hierher? so im Weiberrock –
HERZ.
All eins – wenn mein Freund in Not ist – beim Element! – Satisfaktion! – wie Eckius? zieh aus!
STRICK UND FANG.
Ihr Herrn! Ihr Herrn!
HERZ.

Satisfaktion wollen wir, und den dazu, der den Faust angeklagt – wollen den Hundsfutt kennenlernen, und wenn's auch der judex magnus selbsten wär – den Buben.

STRICK UND FANG.
Ihr Herrn! Ihr liebe Herrn!
HERZ.

Was Herrn, was liebe Herrn! – Satisfaktion wollen wir – nicht liebe Herrn, ihr Bengel, seid ihr's nicht, die den Doktor zu fangen hergekommen? – wie! und auf wessen Geheiß seid ihr her? – wer hat euch angeführt? – wißt ihr unter wem der Doktor steht? wißt ihr's, oder wißt ihr's nicht?

STRICK UND FANG.
Wir wissen's ihr liebe Herrn.
HERZ.

Wißt ihr's Buben – Kerl, laß mir die rußige Finger von der Brust, oder ich hau dir eins übern Grind – Ihr Lumpenkerls, denen man den Buckel fegen muß!


Schlägt mit der Klinge auf den Strick.
STRICK.
Ihr Herrn! Ihr Herrn! bedenkt wer ich bin –
ECKIUS.
Bruder halt ein – was Donnerwetter! sah dich in meinem Leben nicht so wild – bist ja ganz außer dir.
HERZ.

Weg! er soll gestehn wer den Faust angegeben – wer ihn beschuldigt – solch Schlägt immer zu. ein Hund einen Faust anzubellen – solch ein Geschmeiß! wie!

STRICK
pfeift.
Holla! will bald Hülfe kriegen – he! Hülfe!
HERZ.
Da hast du noch eins zum Pfiff! noch eins! noch eins!
STRICK.
O weh! o weh!

Lauft zurück.
[1342]
ECKIUS.

Laß Bruder! ist hier nicht der wert – weiß schon wer den dummen Brei angerührt; drunten steht Kölbel mit einem Trupp wackerer Burschen – ist niemand anders als der Bube Knellius.

HERZ.

Er? der Maulaffe! der Lauswenzel? der? – mit seiner aus'm Lazarett zusammengekrebsten Leibgarde – der? meinen Faust prostituieren? der? – wo ist er? wo? wo? wer? – solch ein Bursch, den die lungensüchtigste Imagination nicht krüppelhafter zusammenstopplen kann; das Nonplusultra von Armseligkeit, der Plauderer, Nichtswisser; die Nachlese des menschlichen Verstandes! – der?

ECKIUS.

Gut, ich will dir drauf antworten wenn du Lust hast, und wir wollen einen Wechselgesang zu seinem Lobe anstimmen! bei mir hat er auch noch im Reff!

HERZ.

Wohin sich nur die menschliche Torheit versteigt! Solch ein Frosch sich gegen solch einen Stier aufzublasen! – Es muß heraus, sonst drückt mir's die Leber ab! Seht mir den Burschen, hingestellt mit gebogenem Rücken, wie ein Iltis der Eier stehlen will, oder die Henne vom Dache herab mit lieblichen Sophismen persuadiert – wie er im Komparativo 's Netz auswirft und im Superlativo angelt; exempli gratia: Herr Patron, du König der Musen, du weisester, holdseligster, getreuester, bewährtester, erhabenster – oder ist's ein Weib, die schönste, holdseligste, Schwester der Grazien, Tochter der Venus, Ambra und Lilien, Rosen, und Bisam – Himmel! und solch ein Bengel, solch eine zusammengestohlene Kleiderpuppe, soll einen Mann scheren, und ein ehrlicher Kerl soll's ansehen und dulden, und nicht Rattenpulver nehmen, aus so einer Schmeißwelt herauszukommen – oder den Hund aus aller Gesellschaft heraus, wenigstens prügeln – wie? ein Magister, der Abhandlungen schmiert, die das Kolorit einer Mistlache tragen, worin die Exkrementen von neun Spitälern sich konjugieren – wie? einer dem man seines Unverstandes wegen wieder die Hosen abziehn, und seiner Bosheit wegen ein paar eiserne Kniebänder anlegen sollte – wie? und solch ein Kerl wird angehöret, darf Gesellschaften besuchen, findet Gönner und Patronen, darf laut sprechen – kann andere brave Bursche obendrein noch scheren – kann einem Faust wehe tun! solch eine Bremse dem edlen Roß aufsitzen, der nichts ist, wenn man nichts teilen könnte, auch nicht einmal den zwanzigsten Teil einer Nulle – solch ein Ding das in allem zusammengekehrten, und aufs [1343] höchst angeschlagenen Wert, neben dem Faust hervorleuchtet, wie der schmutzige Pfennig auf eines Tollhäuslers Hand, gegen die Schaumünze die einer edlen Donna auf'm Busen schwimmt.

ECKIUS.

Brav gespien – bist fertig? – wenn mir einer die Rede auf'm Papier gewiesen, und hätte dabei gesagt, der dicke ruhige Herz hätte sie gehalten, ich hätt ihm unter die Nase gelacht. Kerl wo hast du die Galle gekauft? –

HERZ.

Ihr Hunde seid meine Apotheker – ihr verkauft mir Galle zentnerweis – ich will jetzt wissen was man mit Faust will – will den Magister hervor haben und sollt ich ihn am Flügel unterm Bett hervorziehen – er soll reden, antworten, ich will an Fausts Statt stehen, und verteidigen – wer kein Hundsfutt ist, verläßt mich nicht in solch einer Sache!

ECKIUS.

Der bin ich nicht – allons dann, Herr Pikenträger, ich folge dir in der ganzen Simplizität meines Degens. Dicker Narr, was er anfangen will? Narr in Eckius' Sold.


Ab.
EIN SCHUHMACHERSWEIB.

Wo ist denn der Faust? wo ist er? wo? will ihm 's Bein aus'm Hintern rupfen – vor was saffianene Schuhe und kein Geld zum Zahlen – wir arme Handwerksleute sauren Schweiß und Mühe – wie? wie? der Lumpendoktor! der Erzlump – schafft mir ihn – hört ihr's! Ihr Strick! Ihr Fang! wo ist der Doktor? wo ist er?

FANG.

Närrin! in den Hosen! fragt beim Schneider nach – macht doch kein solch Geschrei – sucht ihn selbst wo er ist – sieht ja daß er nicht da ist – gelt hast wüste Büffe kriegt Strick?

SCHUHMACHERIN.

Aus'm Hintern Bein und Füß – woran mein Mann all sein sauren Schweiß verwendet – das Hemd vom Leib reißen will ich auf öffentlichem Mark dem Lederwolf! Lederdieb!

STRICK.
Geh zum Teufel dummes Vieh!
SCHUHMACHERIN.
Ihr Hunde! ihr Bengel! Ihr Esel!

Fällt ihm in die Haare, Fang stößt sie zur Türe hinaus.
FANG.
Hinaus du Sau! – fort mit dir!
EINE STIMME VON AUSSEN.

Herr Strick! Herr Fang! Geschwind herunter! die Studenten treiben überm Mark erschröcklichen Unfug – ihr sollt kommen – Herr Magister Knellius läßt um Beistand bitten –

FANG.
Bravo! wenn's nur über den recht losgeht – hat doch all den Teufel angefangen –
STRICK.

Wir kommen – sagt nur wir kommen gleich – Fang [1344] 's geht heut alles links – alles, alles durcheinander – wer hätt gedacht daß so wär – die verfluchte dumme Kerls! daß nur die Gicht in ihre klotzige Augäpfel schlüg! zu behaupten der Faust sei hereingegangen – Sackerment mein Rücken! – der Hund wie er mit seiner Klinge zuschlug – hörst! hörst! wie's in die Straße tobt und lärmt – der Teufel kommt allemal quer ins Spiel.

FANG.

Ja wohl Müh und Arbeit genug, aber nichts zu beuten und zu fischen – das war übel ausgedacht guter Strick – lern ein andermal die Sache besser einfädeln – wollt daß der Henker hätt! mitgehn muß ich, mein Amt begehrt das! aber ich will meinen Rücken mit einem Kissen ausstopfen und meine Brust mit einem Buch Fließpapier belegen – guter Freund das beste wär, hätten wir nur unsere Nasen gar nicht in all diese Händel gesteckt –

STRICK.

Oh! komm mir jetzt nicht mit deiner verdammten Weisheit hinterdrein – laß uns sehn, wie wir's besser machen, und diesen Verlust in Gewinn umkehren – frischauf! Ab.


Nacht. Gelärm.
Marktplatz worauf ein Springbrunnen steht, obendrauf Knellius, und unten um den Brunnen seine Trabanten – die Studenten. Eckius. Herz. Kölbel. etc. etc.
KNELLIUS.

O weh mir! – still doch ihr Herrn! – nur meine Stimme – nur ein einzig Wort! – haltet ein! gebietet doch eurer Wut!

HERZ.
Was soll's denn?
KNELLIUS.

Ich bin nicht schuld, hab keine Schuld, trage keine Schuld, bin wie ein Kind im Mutterleib an all den Händeln! leider! leider! hört mich nur an!

HERZ.
Du bist ein Bärenhäuter!
KNELLIUS.

Seid doch nur Christenmenschen – was sag ich? Musensöhne, Herr Herz habt doch Barmherzigkeit, und ernstlichen Willen! –

STUDENTEN.
Den haben wir.
KNELLIUS.
Gott sei Dank habt ihr? habt ihr?
HERZ.
Ernstlichen Willen dich zu prüglen.
KNELLIUS.
Meine geehrte geliebte Herren, meine Gönner und Mäzenaten!
STUDENTEN.

Was wollen wir mit ihm anfangen? – hört ihr's, wollen ihn einseifen, die Haar abscheren – auf eine Mistbahre [1345] setzen, hinten und vorne Licht darauf, und ihn so vor seiner Dulzinea Türe bringen –

EIN ANDERER.

Ja! ja! und ein Kerze in die Hand, und denn soll er öffentliche Abbitte tun, allen den Autoren an denen er sich schon vergriffen –

EIN ANDERER.
Schneiden wir ihm eben gleich Nasen und Ohren dazu ab – 's geht ja in einem hin.
KNELLIUS.

Ach ihr harte Herzen! – ihr Herzen von Stein und Alabaster! bei den linden Grazien die euch rühren – bei meinem erhabenen Apollo!


Zittert.
STUDENT.
Dein Apollo?
HERZ.
Kennst du den Apollo?
ECKIUS.
Kriegst zwanzig auf die Hosen, wenn du ja sagst.
HERZ.
Kennst du den Apollo?
KNELLIUS
zitternd.
Ach! ich kenn ihn ja gar nicht!
HERZ.

Seht ihr's, seht ihr's! der Hundsfutt so wird er's auch seinen besten Freunden machen über ein paar Prügel alles ohne Rücksicht leugnen – so viel vom Apollo zu schwätzen, und doch nicht einmal so viel Mannheit, seinetwegen ein halb Dutzend Prügel auszuhalten – er muß gewamscht werden.

KNELLIUS
den Arm in die Höh.
Bei allem was teuer ist – bei den Sternen! o großmütiger Herz!
ALLE.
Herunter mit ihm!
KNELLIUS.

Unrecht geschieht mir – himmelschreiendes Unrecht – wenn ich nur durchgehen könnt – himmelschreiendes Unrecht – wenn's nur nicht so hoch wär – so Unrecht, ach ihr Sterne! – mußt mich denn der Teufel reiten hier auf den Brunn herauf mich zu retirieren! –

STUDENTEN.
Wart! wart! mit Kot wollen wir ihn herunterfeuren!
KNELLIUS.

Was fang ich an? sie werfen mich zu Tod – helft doch meine getreue Kameraden dort unten, bitt euch steht mir doch bei gegen diese Zentauren, fangt einen Streit an, daß ich durchwitsche – wenn ich nur drunten wär – ach! ist ein verfluchtes Wesen, so hoch – fangt an! schlagt zu! laßt euch prügeln, hauen, totschlagen, daß ich durchkomme – o weh! o weh! die Memmen! hat man noch solche abscheuliche Memmen gesehen? – in Not und Tod erkennt man den Freund da wird man's gewahr – wollt ihr noch nicht anpacken ihr Hasen? wie sie da stehn! – o abscheulich! muß einen Coup d'esprit machen, [1346] vielleicht gelingt mir's. Laut. Faust! Faust! Faust! der göttliche unsterbliche Faust!

ALLE.
Was soll das? was willt du mit ihm?
KNELLIUS.

Ach daß er selbst da wär! der Treffliche! o du großes Lumen mundi – ach meine Freunde! wie könnt ihr nur glauben daß ich jemalen diesem ganz unvergleichlichen Menschen, diesem herrlichen Genie zu nahe getan? ach wehe! dieser Gedanke allein zerspaltet mir's Herz – sehet auf meine Redlichkeit liebe Freunde, Tränen der Empfindung treten mir in dieser Minute über die Augen, daß es doch Tag wäre sie zu schauen, daß der große Phöbus sein Antlitz vom Himmel herab drin spieglen könnt – ihr meine Werteste! – ich beschwöre es euch, er ist mir so teuer, so teuer, ich erkenne seine Übermacht so ganz, glaube an ihn als einen Gott ein ätherisches überirdisches Wesen.

HERZ.

Der Teufel predigt Gottes Wort, und meinet uns damit zu verführen – Wie! bist du nicht schuld daran, daß die Obrigkeit ausgeschickt, ihn im Turme zu greifen, verleumdetest du nicht seinen guten Namen, indem du ihn einen Betrüger und noch schlimmer schaltest?

KNELLIUS.
Ich? tat ich das? wie kommt ihr dazu meine Freunde! das tat ich nie!
ALLE.

Ja, ja wir wissen's – hast Plane gemacht ihn aus der Stadt zu vertreiben, hast die Juden aufgehetzt, hast an andern Orten Briefe, voll des schändlichsten Inhalts gegen ihn geschrieben – ihn als einen Nichtswürdigen, Boshaften, Gefährlichen, kurz als ein Scheusal gemalt.

KNELLIUS
zitternd.
In meinem Leben nicht.
ALLE.
Beschwör! wenn du's Herz hast.
KNELLIUS.
Sehr gerne, sehr gerne, ich schwör's hoch und teuer.
ECKIUS.
Bei was schwörst du denn?
KNELLIUS.
Bei dem teuersten Kleinod, bei meiner Ehre! –
HERZ.

Oho! grad als wenn unsereiner auf sein eigen Haus schwöre; wie kannst du auf den Besitz eines Dinges schwören, das du nicht einmal kennst.

KNELLIUS.
Wie denn? Herr Eckius! Herr Herz! was denn? meine geehrte Herrn! bei was soll ich denn schwören?
HERZ.
Bei deiner eigenen Schurkheit, hörst? – schwör bei deiner Unwissenheit, bei deiner Unverschämtheit.
STUDENTEN.

Er soll jetzt kurz und gut bekennen was er schon für gelehrte Diebstähle begangen – er soll alles haarklein bekennen.

[1347]
KNELLIUS.

O weh! Hülfe! Hülfe! mir entgeht die Luft – hört ihr's dort unten Kameraden – wie komm ich durch? – lieber laß ich mich totschlagen, lieber mich gleich in Stücken zerreißen – wie? wie? ihr Gänsköpfe! ihr liebe gute Kameraden! daß euch der Teufel hätt! wollt ihr nicht helfen? seid ihr denn ganz von Sinnen und Mut? – greift an! greift an! packt an!

DER EINÄUGIGE.

Was sollen wir denn angreifen? – es geht nicht Herr Magister! – sie sind uns überlegen – ergebt Euch als ein guter Philosoph geduldig drin.

STOLLFUSS.
Tut das lieber Magister! zeigt ihnen Eure Superiorität – Leiden ist Kraft lieber Magister!
KNELLIUS.

Daß ihr die Pestilenz mit eurer Kraft und Philosophie! – soll ich mir den Bauch aufschneiden, daß mir die Därme vor die Füße fallen wie ein japanischer Minister? – ich mich drein ergeben? – helft mir herab – o weh! eins ins Gesicht – o weh! – Ahasverus nimm mich auf die Schulter, du bist stark und groß, trag mich fort –

AHASVERUS.
Ha – ha – ha – Hab 's Herz ni – ni – ni – nicht!
KNELLIUS.
O weh! o weh! wieder eins an die Nase – Ihr gute Kameraden seid doch keine Bengels, und helft mir.
ALLE KAMERADEN
heimlich.

Die Verzweifelung schimpft aus ihm – wie wollen wir helfen? – Hört Ihr's Herr Magister springt von oben herunter, wollen Euch dann durchhelfen, springt zu, Ihr seid hübsch flink und lüftig.

KNELLIUS.
Ach! den Hals brechen! nicht wahr? o weh! Gott steh mir bei!

Springt herab.
ALLE KAMERADEN.

Lauft zu! lauft zu Herr Magister! – was das ein Sprung war, ein Schneider hätt ihn nicht besser tun können – ein Schwung! – lauft zu! Herr Magister! habt ein wohlgezimmertes Bein! – lauft zu! in aller Teufel Namen! lauft!


Knellius davon mit seinen Kameraden, die Studenten alle nach.
STUDENTEN.
Auf! Auf! Auf! wollen den Dachs bis an seinen Bau hetzen –

Ab.
HERZ.

Hurra! husa! sa! hinten drein ihr brave Kameraden, wollen nach, und den Spaß zu Ende sehen. – So muß man sie zu Paaren treiben, so den Kerls auf die Nasen geben, wenn sie ein bißchen zu weit vorstrecken – heut gefallen mir unsere junge Degenpüppchens wieder einmal – hurra! hurra!

ECKIUS.

Was der dicke Kerl lärmt, als hätt er mit dem Herkules den Stall misten helfen! ha! ha! ha! zum Kranklachen!

[1348]
HERZ.
Jetzt will ich mein Panier aufstecken.
KÖLBEL.

Herz! Eckius! halt ein, kommt jetzt wieder mit zurück, wir haben daheim Gesellschaft sitzen, die unsertwegen da ist, oder wenn ihr nicht wollt, so geht meinetwegen allein, aber verübelt mir nicht wenn ich euch verlasse –

HERZ.

Wieso? – es ist wahr – Kameraden ihr könnt mir's attestieren, hab getan was ein Freund dem andern schuldig ist – Der Faust muß zufrieden sein. – Leid tut mir's in der Seele Brüder, wenn einem der mir lieb ist was zu nahe geschieht; wie ihn heut die bärtige Halunken so adamisiert – hol mich der Teufel es stach mich – wenn ich kein so geldscheues Luder wär, wollt ihn auf der Stelle ausgelöst haben; aber dieser Degen ist alles – und der ist mir notwendiger als dem Roß sein Schweif, damit die Fliegen sich vom Leib zu wehren – Laßt's denn vor diesmal genug sein und den Kerl sich fürs künftige Vorsicht aus diesem Pfeffer abstrahieren – wohlauf! –

KÖLBEL.

Es ist Zeit daß wir die Mädchens jetzt wieder ins Wirtshaus zurückbringen – es schickt sich für honette Mädchens nicht, wenn's später in die Nacht dauert.

HERZ.

Hui! spricht so mein Hühnchen? Honette Jungfern! weis her einmal die Finger, muß doch sehn, wo diese Honettität auf einmal gewachsen – Sag mir keiner was! – Cupido kuppelt dem Hymen, und der macht wunderliche dumme Augen, und schielt wie ein Widder dem die Hörner über die Ohren hervorgewachsen auf Seite – Der Bube ist ein guter Maurer und Zimmermann und schlägt das Häuschen Unehre so nahe an Nachbarin Ehre Haus, daß man aus einem Laden in den andern ungesehn einschlupfen kann – Seh! wie auf einmal Rosen auf'm Mist grünen – ein Ringlein an deinem Fingerlein hat die ganze Sache gedreht ha! ha! ha! Diese Mädels waren heut morgend noch lustige Büchsen, Nymphen, die um Mitternacht heimwatscheln ohne Laterne, so an eines gesunden Bruders Arm, und nun auf einmal Dame Wohlstand die mit dem Glockenschlag neune zu Hause erscheinen, damit sie die Suppe nach angestammten Brauch im Löffel abblasen mögen – wie geht das zu? – weis her dein Fingerlein – guck blinkt doch ein bißchen Sternglanz daran – so ein Ringlein – so eine Pränumeration – heutzutage da alles pränumeriert, und sich pränumerieren läßt – Pränumeration – pfui ein obszenes Jahrhundert! Sie haben's von der Thais und Phryne gelernt –

ECKIUS.

Ist immer gut wenn wir die Mädels nach Hause schaffen, [1349] können wir nachher noch ein bißchen herumziehen – mir ist's heut gar nicht ums Trätschen –

HERZ.

Bin alles zufrieden – Liebe Kinder – Ich für mein Teil freue mich mehr wenn andere sich belustigen. Das Weib ist mir lieb, aber ein guter Kamerad doch noch lieber – einem schönen Weib zulieb, steh ich früh auf, aber einem guten Freund geh ich tief in die Nacht – nun führt die Mädels nach Haus – fort! und kommt bald wieder!

KÖLBEL.
Aber wie halten wir's mit dem Alten?
ECKIUS.
Ist schon abgeredt – wie's neune schlägt kommt eine Portechaise, und trägt ihn nach Hause –
KÖLBEL.

So wollen wir voran fort, und die Mädchens derweil eh er kommt nach Hause begleiten – Eckius komm! Sie haben beide die Mäuler am rechten Orte sitzen, den Alten wenn sie wollen blind und taub zu schwatzen –

HERZ.

Dafür sind sie Mädels – wenn ihr Faust begegnet – ich könnt euch wunderliche Dinge erzählen, was man hier und da von ihm sich in die Ohren raunt; aber ihr wißt wie's geht; Ammen erzählen Märchens, Kinder und Narren glauben's – aber im Grund möcht ich's doch ergründen – wieder einmal so ganz genießen – ich weiß nicht wie's kommt, die Menschen sind nicht mehr so gesellig und verträglich – wenn ich bedenk wie der war, und der Faust – reiß mir doch hier die Kortel entzwei – der Weiberrock zerschneidet mir die Lenden abscheulich –

ECKIUS.

Was sagt man denn vom Faust? du mußt doch immer von ihm reden – dein alles! hat er den Lapis endlich gefunden an dem du ihm auch suchen halfest? in dieser Situation könnte er ihm die beste Dienste leisten.

HERZ.

Ei! daß dich's Wetter! – was Lapis? – Ihr Hunde zu was ich mich nicht eurentwegen gebrauchen lasse – Arm und Bein tun mir weh!

KÖLBEL.

Wieder gut, alter Papa, liebe Mama? Küßt ihn. stehst im Toga und bloßen Degen da so ehrwürdig, wie die gemalte Gerechtigkeit.

HERZ.

Heraus aus der Tonne alter Philosoph! Hängt den Rock an den Degen. Wart will eine Fahne draus machen, so so – wie's schwebt! – Nu ihr Jungens schwört unter meine Fahne, will den König Priamus im Puppenspiel vorstellen, der sich gegen den Anmarsch der Griechen rüstet und alle seine funfzig Buben unter Helenens Schürze schwören läßt – dort droben [1350] die himmlische Bartschüssel der zahnlückigte, tiefaugigte Mond, an den poetische Narren ihre Verse, und verliebte Mädchen ihre Seufzer nageln – soll Zeuge sein.

ECKIUS.
Eine sehr respektable feierliche Verschwörung.
HERZ.

Natürlich – aus vollem Halse hergeschrien mit einer Baßstimme – zum Untergang einer halben Dutzend Bouteillen – seht ihr's, diesen Rock wollen wir zum ewigen Andenken dieses Tags aufspolieren; meine Wirtin mag schauen wo sie einen andern herkriegt.

FAUST.
Heda! Rollen ausgeteilt und mich vergessen, alter Priamus, wer bin denn ich unter deinen Söhnen?
HERZ
ihn umfassend.

Du? – du? – ha! Schelm aller Schelmen – lieber leibhaftiger Faust – das Glück will uns wohl, da dich's von ohngefähr so zu uns herschickt – sag wo bist du geblieben, herumgejakelt, seit acht Tagen? – Mein Seele! habe nach dir geschmachtet, bin vor lauter Sehnsucht nach dir gebraten – sie haben dich schön ausgesäckelt heut – siehst du jetzt bist du wieder einer unsersgleichen und ich darf dir auch wieder einmal eine Bouteille vorsetzen – das Kanaillen – Lumpenpack – der Knellius – der Tausendsack – aber still – hörst wir haben feine Arbeit gemacht, dort am Brunnen ihn balbiert – meinst du, er will nicht mit dir disputieren morgen, vor 's Teufels Gewalt nicht, aber er muß sonst decken ihm die Studenten 's Haus ab – muß! ha! ha! ha! – da soll er völlig geplöft werden – komm Junge! Herzenspuppe! Ajax! Achill! bleib bei uns, will dir eine Lobrede ziehen von hier bis Peking, und eine Furche darneben von lauter bittern Vorwürfen, daß du unsereinem nicht mehr so zugetan, wie vor – der Teufel reit mich daß ich dich so lieben muß, vor einer Stunde etwa erfuhr ich's daß man dir auflauert – ein Schelm der einen ruhigen Augenblick seitdem genossen.

FAUST.

Laß die Narren machen – weiß alles – eure Soldaten sind doch nur gute Pikenträger, und eure Bürgers gute einfältige, gewerbsame Leutchens – wir haben auch einen guten Genium – drück zu Herz – wer sagt daß er eine redlichere Faust in seinen Händen gehalten als ich jetzt, der ist ein Erzlügner.

HERZ.

Geh, du hast mich behext – tausend Vorwürfe wollt ich dir machen, und jetzt kein einziger – sieh wie ich da steh wie ein herumziehender Bänkelsänger der seinen gemalten Fahnen in die Höhe trägt alles deinetwegen; 's soll einer kommen – [1351] soll kommen einer der dir was zu Leids will – ich mit Leib und Seel – du kennst mich – oder frag die da – fort! fort ihr zwei! jagt nur jetzt die Mädels nach Hause, sie können unter die Decke kriechen und von ihren Liebschaften flüstern – wir haben was Besseres heut, muß einmal wieder eins mit unserm lieben Doktor schlampampen – Herzensjungen wir wollen »Viktori!« und »Vivat Doktor Faust!« durch alle Straßen brüllen, daß den übelgesinnten Hunden darüber die Ohren gellen sollen – die ganze Universität steht mir bei – will dir hernach auch die schnackische Szene mit dem Knellius am Brunnen dort, wie er einer gehetzten Katze ähnlich oben droben saß und nicht herunter konnt vordeklamieren – ach! das wird dich erquicken –

FAUST.

Und heben wie eine Feder in die Luft – aber diesmal nicht – ein andermal halt ich mir's vor – guter biederer Herz.

HERZ.
Diesmal nicht? – willt du nicht bleiben?
FAUST.
Nein – ich muß – laß mich!
HERZ.
Was mußt du?
FAUST.

Grillen – nichts, nichts sag ich – frag nicht darüber – wer will denn auch alles sagen, was im Hirn herumgeht, da unsere Ideen-Gefühle so fest ineinander greifen, daß oft schwerhält uns selbst ganz deutlich zu werden – Fleisch und Geist würken oft gegeneinander – Geist und Gefühl – wie viele Übergänge werden erfordert bis diese Heterogena harmonisch sich nahen, und Wollen und Vollbringen das Alpha und Omega menschlicher Erkenntnis und Kraft sich auf einem Punkt fest ineinander gleichen – und denn ist es soweit auch nur, wer bürgt uns, daß Kräfte außer uns gegen unsere Projekten ankämpfend uns des Kranzes am Ziel nicht noch berauben? – laßt mich – habe Dinge hier – dieser Schädel ist ein enger Raum – es gibt Wesen – unsere Sprache reicht nicht zu, alles zu umfassen – wenn ein neues Werk hervorgeht, da steht der gaffende Pöbel und wundert, und spricht, und deutet mit den Fingern – eher hat Witz und Genie ein Ding zur Welt geboren, als die Sprache ein Wort gefunden es zu taufen – warum soll ich denn meine Gedanken in Worte skizzieren ehe noch die Möglichkeit der Vollendung mir klar vorm Sinn liegt – oder wenn sie hier zur Reife gehen, sie gleichsam mit Worten erst schänden – weg denn – wer nach mir lebt kann sagen der war er – aber ich werde solange das Blut diese Adern wärmt nicht vor einer großen Tat zagen –

[1352]
HERZ.
Wie? du kommst ganz aus dem Geleis Bruder – was willt du damit? –
FAUST.

Es geht in mir alles herum – gut denn – warum ich euch bitten wollt, oder vielmehr, da alle Komplimente zwischen uns Mißlaute sind, was ich jetzt von euch begehre ist in gewisser Absicht für euch eine Einladung auf'n Schmaus, ich würde gewiß mich des Vergnügens nicht berauben, selbsten dabei Wirtsstelle zu vertreten, würden Dinge die mich nun einmal ganz übermannen nicht so festhalten – Vor einigen Tagen erhielt ein Schreiben, das mir die Ankunft eines wahren Wundermenschen hierher berichtiget, eines Menschen der bei vollkommener unverdorbener Leibes- und Seelenkraft, bei der reinen Simplizität des Patriarchen, beim vollen Gefühl der Natur, bei der Eigenheit und Gradheit seines Sinnes, kurz bei allem was herrlich und groß ist, doch zugleich Beugsamkeit und Herablassung genug besitzet alle Mischungen der Charaktere und Temperamenten vom stärksten bis zum schwachen herab würkend zu umfassen, Weltkenntnisse genug, alle Modifikationen verstimmter und herabgewürdigter Menschheit zu behandlen, der auf alle Stände ohne Unterschied würkt, dem der Bettler und König nur als zwei Menschen dastehn, ohne doch darüber das Verhältnis zu verlieren das notwendig beide voneinander drängt, dem der Zerbrecher an der Stirn, der Brechbare auf der Zunge sitzt, kurz dessen kleinstes Haar an seinem ganzen Leibe gewissermaßen schon bedeutungsvoll ist – der die Menschen mit seinen tief eindringenden Blicken zittern machte, weilen alle vor seiner Sonne nackend stünden, wenn nicht Bescheidenheit und Sanftmut und Wohlwollen wie ein leis gefalteter Flor sich dreifach umherwölbten, den zu mächtigen Glanz zu mildern –

ECKIUS.

Wie! dies Monstrum wird hier zu sehen sein – – oho! drei Batzen für meinen Eintritt – das wird doch über 'nweil gar der Kerl nicht sein, der uns heut aufstieß Kölbel? – weißt, in den Tolpatschhosen – – wie heißt er doch?

FAUST.
Gottesspürhund.
ECKIUS.

Der nämliche, ha! ha! ha! sagt ich's nicht gleich Kölbel, ein Hans Prätension. Die Miene die er mir machte da ich nicht gleich vor ihm in Entzücken geraten wollt; Bruder Doktor, wie ich da bin, der Länge nach von Fuß bis zum Kopf stand ich hart an dieser Sonne ohne in Kalk oder Glas zu schmelzen – – ha! ha! der also? der? das Wundertier? die Säule [1353] Herkules'? der? der? – wart will ihn quälen, mein Inneres bewaffnet sich so ganz wider solch einen Lümmel.

HERZ.
Über eines Fremden Gesicht, gleich so in Konvulsionen zu geraten – was hat er dir getan?
ECKIUS.

Nichts – das ist mein Tod wenn ich Nasen seh die in den Wind steigen, und meinen sie röchen alles allein – so in den Falten der Stirne, in den Blicken der Augen, in ihrem Tone zu reden, so selbstgefällig und überzeugt zu verstehen geben, daß sie's wohl wissen daß sie eigentlich große Kerls sind, 's ist zum Rasendwerden, so was kann mich fluchen und schelten machen wie ein Weib – oder im ersten Wurf einen solchen anpacken und abpeitschen machen wie einen kleinen Infimisten – pfui! pfui! das ist so mein Labsal solche Bürschchens herunterzubringen, mein Instinkt treibt mich auf sie los wie den Windhund nach'm Hasen – wart! wart! will ihn zwingen all die Brocken selbst zu schlucken die er andern vorgeschnitten in der Tasche trägt.

KÖLBEL.

Nur auf diesen Punkt, da hat man dich gleich wieder lebendig, wenn du auch wie ein melancholischer Uhu dasitzt – das ist so deine Steckenreuterei; keines andern Übermacht über dir zu erkennen.

ECKIUS.

Will keinen Jupiter über mir – beim Teufel kein braver Kerl duldet das – was man einem andern zulassen mag – das Höchste! ebenen Bodens mit uns selbst zu stehn – und da muß mich einer noch wüst drängen, bis ich ja sag – gutwillig jemand als einen Gott über sich erkennen – kann nur im Grund, ein schwacher Hundsfott –

KÖLBEL.
Nur nicht zornig.
ECKIUS.

Soviel dazu gehört eine Schneppenpastete anzuschneiden – wie, was ist denn des Helden seine Bestimmung! worauf zieht er denn auf Erden aus?

FAUST.
Eigentlich auf einem Schimmel.
ECKIUS.

Wie? die Beine hüben und drüben überm Sattel wie andere gemeine Erdenklöße – und macht er nicht auch den Apostel? Ich habe mir von einem erzählen lassen, der zur Veredlung und Vervollkommnung der Menschheit ausritt – gut wir wollen bis morgen genauer wissen, alles was er will und tut – jetzt Adies willt du mit mir Kölbel so helf ich dir die Mädels auch nach Hause patschen – wo nicht, so laß bleiben – Motion muß ich mir jetzt machen –

KÖLBEL.
Komm, komm!

Ab.
[1354]
ECKIUS.
Der Seekrake! ha! ha! ha! zum Kranklachen! Adies Faust –

Ab.
FAUST.

Leb wohl alter Bursch – Wer sich am Springen kleiner Fische, im ebenen Teiche, oder am Surren bunter Fliegen oder sonst so leicht noch ergötzen kann wie glücklich der ist, wie still und ruhig seine Seele – der Abend lächelt ihm golden herauf; die bewegte Erlen schwanken ihm aus braunen Giebeln süßen Hauch; er liegt im Rieseln des Wasserfalls nieder und schläft bis ihn die Stille der Nacht weckt – froh hüpft ihm's Herz durch die Augen, und durch jede Miene dringt heitere Freude hervor, wie durch das Antlitz des Blauhimmels wenn's über ruhige Fluten sich spiegelt – alles alles schenkt seiner Seele Glück, grünende Fluren mit weidenden Lämmern besät, Bach, Hügel und Heiden, die ganze Natur schließt ihm ihre Vorratskammer auf ihn an den mannigfaltigen Schätzen zu vergnügen – zeigt ihm auch ihre Seltenheiten, und in eines jeden Menschen Gesicht legt sie für ihn besondern Anteil und Vergnügen; und verschafft seinem beobachtenden Geist immer neue Nahrung – Er ist der Sohn des Glücks vollkommen in seinem Dasein und Genuß – hingelegt in Wollust an die Brust der Natur – aber wehe! wer immer den sauren Drang hinaufwärts fühlt – immer mit den Gedanken droben – immer hinauf kämpfend und streitend mit sich selbst, die schwere Pilgrimschaft dieses Lebens beginnt – Er vergißt wohl ganz die süße Mutter die aus reinen Brüsten uns Lebenskraft in alle Adern spritzt; vergißt Mutter Natur mit ihren holdseligen trauerstillenden Augenblicken; sparsam teilt er sich selbst des Lebens Freuden zu – – und doch – wer ist sein eigener Schöpfer – oder wenn er einmal so da ist, wer kann sein Inwendiges umbilden, daß es ihm gehorche, oder ihn nicht wider Willen dahin reißt – wer darf nicht sein, was er einmal ist – wer darf sein eigener Erbarmer sein – fort denn alle müßige Betrachtung – fort, wenn du die Seele nur marterst und zweifach elend machst – wenn 's Schiff an's Untergangs schwarzem Rachen einmal hängt, was fragt da der Schiffer – lauf ein und suche dir selbst einen glücklichen Hafen.

HERZ.
Deine Reden, Faust ich kenne dich nicht mehr.
FAUST.
Die Zeiten ändern sich guter Herz, und ändern alles zugleich mit.
HERZ.
Sollt ich das glauben, du machst mich noch melancholisch, wenn du so fortschwatzest.
[1355]
FAUST.

Geh nach Haus 's ist rauh – sitz in dein Zimmerchen bei Tabak und Bier; auch dir sind häusliche Freuden vergönnt. Laß uns andere die im Schrecken erschaffen, auch Schrecken und Wildnis lieben – hörst! der hohle Wind pfeift über die Dächer her, und trillt die Fahnen, und doch ist's leiser als die Stimme der Heimlichkeit gegen das was hier verschlossen braust – Adies –

HERZ.

Wie? wie? der Verlust seines Vermögens muß sein Hirn so gewaltig angegriffen haben – oder sind jene Ammenmärchen würklich wahr ha! – es ist einmal nicht richtig hier im Capitolio – ja, ja so geht's in diesem Leben; einer liebt, dem andern gilt's gleich – – gut, ich will auch so werden; warum soll ich denn immer das Messer sein, das allen ihre Bärte glatt macht, und denen ich gedient noch danken daß sie über die Scharten spotten, die ich in ihrem Dienst mir geholt – Kölbel und Eckius auch fort – nun so geht alle miteinander, zieht hin, verlaßt mich alle, der eines Weibes, der seiner Lust, und der seiner Grillen wegen; der arme Herz der bald kein Weib, keine Lust mehr kennt, bleibt gezwungen endlich dann bei den Grillen allein zu Hause.


Izicks Stube. Eine Ampel brennt.
Izick. Schummel. Mauschel.
IZICK.
Was? was? de Vatter hier? des Faust sein Vatter?
MAUSCHEL.

Hörst dann nit? Jau, ankumme is er in die »Ochse«, heut vun Sunnewedel; is ag mit gewese drauße an de Torn, as se fange wölle sein Sohn – is herumgelafe gewaltig, hot geschrie »mei Sohn! – au wai mei Sohn!« hätt ihn doch zerückgehalte de Wagner, as er sunst angefangen hätt, e gewaltige Spektakel.

IZICK.
Sei Vatter aus Sunnewedel hier? – das is gut, nu weiter.
MAUSCHEL.

As ich gesprochen hätt noch emol mit de Knellius, aber Vitzegebore, dar liegt uf'm Dockes alleweil, und schwitzt vor Angst gewaltig – as er niemand kennt un sieht – haben 'en doch die Studente gemartelt daß e Schand is – so? so dick sei Backe! und sei Ag so dick, – bin ich geloffen ganz allan zu die Rat, auszemachen, as mer jetzt dörfe hamlich gefangennehme de alte Faust, bis er e Handschrift von sich stellt, ze bezahle alles, was nit rauskümmt an des Dokters Möbels –

[1356]
IZICK.
Schmus weiter – host's kriegt? sag! host de Erlabnis kriegt?
MAUSCHEL.
Ob ich's hab? – 's Lebche is schon fort ze holen die Gerichtsdiener, do, do in de Sack steckt's.
IZICK.
Wie viel host bone müsse an die Rat, Mauschel?
SCHUMMEL.

Nu frag nit drum, as mer gewinne müsse sechsmol soviel – daß er nur nit fortkümmt aus des Dokters Haus, der Wagner hott en dort hingeführt.

IZICK.
In des Dokters Haus? au wai! wieviel hast bone müsse an de Rat Mauschel vor di Erlabnis?
MAUSCHEL.

Nu krieg de Tippel un de Dalles! drei helle Karlincher gleich – wann mer habe die Handschrift vun de Faust sei Vatter, noch drei.

IZICK.

Au wai! drei Karlincher, un noch drei – sechs Karlincher zesamme – au wai – wann kummt 's Lebche? au wai! sechs Karlincher di Erlabnis.

MAUSCHEL.

Halt 's Bonum – ward er doch gesetzt in die Tollhaus als e tolle Mann, kost uns oser ka Kreuzer, bis er unterschreibt; do im Sack hab ich's so – sag Schummel sag, was wölle mer giebe de Knellius zum Präsent – hott er doch vor uns getan was mer gewöllt – muß mer sich doch halte mit de Schotche, 's laft überall in die grose Herrehäuser zu die Kammermenscher un Kammerdiener überall, überall – e manches ze verschachere uf sei Wort, e manche Bekanntschaft – macht's so klane Komediespiel, vor die ganz klane Kinder, un das hilft 'em voran, un Geld in de Sack derzu; as er mer abkaft hett in em halb Jährche fünf Kladcher gebort und ungebort, daß er sich oser putzt so stolz drin, hinne un vorne wie e Kapaun.

SCHUMMEL.

Giebe wölle mer'm die zwa neue porzlinene Leuchter – sei vornehm! e Graf könnt se habe – nu das werd em gefalle, möcht er's doch ag gern habe wie die grose Herrn.

MAUSCHEL.
Wie du manst Schummel! – was is Izick?
IZICK.
Au wai! au wai! au wai!
SCHUMMEL.
Izick wo fehlt's? an de Nabel? an de Bauch? – knöpt uf! Memme! Memme! nu! krieg die Krenk red!
IZICK.

Au wai! – Schummel! Mauschel! au wai! – as ich noch gerechnet in die Gedanke – manst was ich verlier an de ganze Handel! au wai! fünf, siebe, zwölf Dukate, zwölf, grad zwölf – wo bleibt dann 's Lebche? au wai! zwölf sunnehelle ungeranftelte Kremnitzer Dukate, die ich de Mosler Spitzbube gegiebe – au wai! das verfluchte Lebche wo's bleibt das Schwätzerche [1357] – krieg's de Tippel in sei wacklich Bonum, as er nur beibrächt de Strick un Fang – Memme die Tür garrt, guck, guck, Memme! au wai! ufgesperrt drauße de Hausgang wie 'e Maul! wer kimmt? – krieg di Mise Maschinne! wer is do? 's Lebche! Gott behüt! 's Lebche – mit de Strick un de Fang, kummt! kummt! die Memme führt se schon nüber in die anner Stub.


Fausts Haus.
Ein Zimmer, Kaminfeuer, der alte Faust sitzt daran, und schüttelt den Sand aus den Schuhen.
ALTER FAUST.
Meine Füße ganz wund!
WAGNER
am Tisch, worauf Essen steht.

Er will nichts essen – mir ist's auch nicht drum – was mich der alte Mann dauert! – Ich will den Dokter beobachten – ich muß hinter diese schreckliche Wahrheit kommen. Ist's wahr, daß er heimlich auf solchen schwarzen Wegen wandelt? Ein Verständnis mit denen zu knüpfen an die man nicht ohne Schrecken denket, von denen man nicht spricht, ohne vorher sich mit den Waffen des Gebets zu schützen? – ja! so will ich mein Herz auch losreißen von ihm – und – aber ach! und er sollte dahin – diese schöne Sonne, die die halbe Welt erleuchtet, mitten so in ihrem Glorielauf versinken, auf ewig versinken! – Faust! Faust! auf ewig! – nein es kann nicht wahr sein – ach meine Seele! die Gebeine zittern mir – wenn's möglich wär? alles scheint in diesem Gedanken um mich her zu weinen – o unseliger Gedanke, wer ist's der dich zur Welt brachte? – deine Mutter ist scheußlich wie die Hölle, denn du gleichst ihren Kindern – Stolz und Ehrgeiz du hast Engel gestürzt die Zierden des Himmels, wie leicht ist dir's Menschen zu fällen! – – Nein! nein ich will nicht weiter daran gedenken! – wie? wollt Ihr denn gar nichts genießen Vater?

FAUSTS VATER.
Nein! – wo mein Sohn nur so lang bleibt – glaubst du daß er heut noch kommt? –
WAGNER.
O ja!
FAUSTS VATER.

Zehn Uhr ist schon vorbei – Seine Mutter, wenn sie gesehen was ich heut sah, sie läg schon auf'm Stroh – Wie, ist dir nicht wohl? –

WAGNER.
Erstaunliche Hitze! ich meine das Hirn falle mir zum Haupt raus.
FAUSTS VATER.

Vielleicht hast du Schlaf, und strengst dich zum [1358] Wachen an – geh, geh du bist müde, die Augen fallen dir zu – zu Bette lieber Junge, die Jugend liebt den Schlaf – geh, leg dich nur.

WAGNER.
Ach nein! nein!
FAUSTS VATER.

Oh! der Gram läßt mich nie einsam – geh Kind! quäl dich nicht so, tu mir den Gefallen und leg dich zu Bette – bis nach Mitternacht will ich hier am Feuer sitzen, und kommt mein Sohn bis dahin nicht, so komm ich zu dir, mich auch niederzulegen –

WAGNER.
Ach ich bitt Euch, – horcht wer klopft draußen? – drunten an der Türe? – er kommt! –
FAUSTS VATER.

Sieh geschwind nach, ach! daß er jetzt käme! meine Worte sollten ihm Dolche werden, die ihm durch alle Gebeine drängen – Heiliger Gott! das ist er, ich kenn ihn an der Stimme – gib meiner Zunge jetzt Kraft und Gewalt Herr! – rühre sein hartes Herz daß meine Tränen es erweichen – da ist er –

FAUST
auf seinen Vater los, starrt ihn an, und lauft wild ab.
FAUSTS VATER.
Johann mein Sohn – ich bin dein guter Vater, flieh nicht vor mir – Wagner! Wagner!
WAGNER.

Geduld – er hat Euch vermutlich nicht gekannt; der Zustand in dem er sich jetzt befindet, treibt seine Lebensgeister alle in Empörung – Wartet, will zu ihm und mit ihm sprechen.

FAUSTS VATER.

Sieh nach – sag ihm daß ich da bin ich – Wagner ab. Ha! wie brummt mir's durch die Ohren – nein ich will nicht warten, warum soll ich denn warten? – ja, wenn er mich nicht gekannt! – was? wie? er sollt mich nicht mehr kennen? nein ich will nicht länger hier warten.


Fausts Kabinett.
Faust. Wagner.
WAGNER.
Warum wollt Ihr ihn denn nicht sprechen?
FAUST.
Ist's mein Vater?
WAGNER.
Er selbst.
FAUST.

Was macht er hier? was will er denn jetzt hier? – Es ist mir ohnmöglich jetzt – kann, darf ihn jetzt nicht sprechen –

WAGNER.
Es ist ohnmöglich?
FAUST.
Geh! geh!
WAGNER.
Was winkt Ihr? – was soll ich?
[1359]
FAUST.

Hörst – hier diese Halskette, diesen Ring mehr hab ich nicht; da nimm's – er wird vielleicht nach dem Erbteil fragen, vermutlich haben ihn meine Verwandten persuadiert – sag ihm das sei indessen – sag ihm das sei alles was ich noch besitze – hörst du? halt! – muß sich denn alles zusammendrängen mich zu peinigen! – hörst sag ihm was du willt, nur mach daß er geschwind wieder meine Wohnung verläßt.

WAGNER.
Doktor!
FAUST.

Bei allem! – wie? – willt du mich mit deinen Tränen ängstigen? – denkst du das? – ich will mich von euch losmachen; wenn ihr mich nicht meiden wollt, will ich bald diese Wohnung selbst verlassen.

WAGNER.

Ha! und den Fluch mitnehmen der schon über Euers Vaters Lippen schwellt? – Andere Kinder gehen mit Freuden ihren Eltern entgegen, und Ihr – Doktor! Doktor! hier kommt Euer Vater selbst.

FAUST.
Hinaus von mir! – fort! fort! sag ich dir.
WAGNER
ab.
FAUSTS VATER.
Johann willt du mich nicht sehn? – willt du mich nicht sehn? –
FAUST.
Vater!
FAUSTS VATER.

Bin ich's? – bin ich dein Vater? ich dacht ich müßt es nicht sein – schau mich mal an – ha! des kindlichen Willkomms! er hat mir das Herz ganz erquicket! wird einem gleich wieder wohl zumute, wenn man vom lieben Sohn so empfangen wird, Greift ihm an die Brust. Bube! Bube! schämst dich meiner? schämst du dich deines alten Vaters vielleicht? wer bistu? wer bistu? wer? wer? gleich sag mir jetzt, was du treibst? was du für höllisch Leben führst? lieber gleich dir Hund aufs Dippen eins, als daß du mir noch übler werden sollt – aus diesem verfluchten Leben, will dich so herausreißen! Reißt ihn vor sich. so aus diesem Greuelleben –

FAUST.
Vater! – alt und schwach! – laßt mich! – Ihr vermögt's nicht! –

Packt, und setzt ihn auf n Stuhl.
FAUSTS VATER.

Ja, alt und schwach – aber ich kenn einen der statt meiner Kraft hatt – – oh! Johann! Johann! verlornes unglückliches Kind! –

FAUST.

Was tat ich? – hab ich mich an meinem Vater vergriffen, – o nein! – Vater hab ich Euch Leids getan? –

FAUSTS VATER.
Leids? – ja lieber Johann, und tief im Herzen dazu –
[1360]
FAUST.

O Vater! wie bin ich unglücklich – ich weiß ja nicht was ich getan – über mir schwebt Nacht und Finsternis und benebelt all meine Sinnen! gewiß ich weiß nicht –

FAUSTS VATER.

Ei ja! das glaub ich, es geht mir auch oft so – wie bin ich so matt! – nur ein bißchen Wasser zu trinken! – Gott! hör nur zu, ob's nicht ein Jammer ist, liebes Kind.

FAUST.
Was denn?
FAUSTS VATER.

Vor einiger Zeit, lag so nachts traurig im Bette, dacht eben an dich, und deine grausame Veränderung, wie's nun uns von andern zu Ohren kam – wie du lebst, und mich und deine Mutter so ganz vergessen, und wie dir's noch weiter auf Erden ergehen möcht – sieh mein Sohn, da kamst du mir im Traume für, daß ich dich ganz eigentlich erkennen konnt – sah dich lieben Sohn am vollen freudigen Tisch, weggedreht dein Gesicht von mir und den Deinen, in die Arme einer scheußlichen Buhlerin geschlossen, die goß ein – hielt dir, hielt dir einen Becher voll Blut an die Lippen – trankst! ach! und sahst nicht, wie Teufel unter deinen Füßen den Boden aushöhlten, zum schrecklichen Falle! – o mein Sohn! nun sankst du! – sankst! hört dich hinunter! – wollt dir zurufen! aber meine Zunge war gebunden, mein Odem war zu schwach! Ach da zerriß innere Qual meine Eingeweide! – Jammer! – ich lag auf meinem Munde, stöhnte laut die Mutter wach! die fiel auch schreiend über mich aus, mich zu bedecken, mit ihren alten zitternden Händen – auch sie sah im Traume dein Verderben – sah dich 's Messer zücken auf meine nackte Seite, auseinanderzureißen mein Fleisch, mir 's Herz aus'm Leibe zu wühlen – voll Angstschweiß hielten uns so umschlossen, und ach Gott! ach Gott! sahn dich noch wachend, mit zerstäubten Haaren, über uns weggerissen im Donnerschlag, und hörten weiter nichts als in die Ferne, deine klägliche Stimme!

FAUST.

Nein! sei Stahl mein Herz! und lasse nicht weibische Empfindungen ein – – sei stark, und halte dich – verfluchtes Menschenlos!

FAUSTS VATER.

Da macht ich mich auf mit Tränen, dich zu suchen – es kamen eben zu gleicher Zeit auch Briefe von unbekannter Hand geschrieben, die alles bekräftigten was ich sonst Böses gehört – mein Sohn; mein Sohn laß ab! – bedenke die Ewigkeit!


Gelächter hinter der Bühne.
FAUST.
Ha! wie ist mir? – hör ich die wieder?
[1361]
FAUSTS VATER.
Ewig! wie lange, lange, lange, das währt!

Ein Gelärm.
FAUST.
Holla! holla! ich hör euch kommen,
Hab schon eure Stimm vernommen.
ALLE
hinter der Szene.
Mach fort! macht fort!
Wir raten dir's!
FAUST.
Wohl! wohl! um Mitternacht!
STIMME.
Wir raten dir's, halt Wort!
FAUST.

Verlaßt mich Vater – es ist schon spät, bin müde – – morgen sehn wir uns wieder – morgen, morgen, wollen wir miteinander sprechen, dann will ich auch nach meiner Mutter fragen – bitt Euch – laßt mich jetzt allein, bitt Euch –

FAUSTS VATER.

Gerne, wenn dir's ein Gefallen ist – ach Johann bist du's noch, so gib mir deine Hand drauf. Willt du noch mein lieber Sohn bleiben? so gib mir deine Hand drauf – wie? du reichst sie nicht? Faust gibt die Hand. Gott sieht zu, wie du einschlägst!


Gelärm hinter der Bühne.
STIMME.
Mach fort! mach fort!
Was tust du Narr?
FAUST.
Was tu ich? ha!
GESCHREI.
Erzittre tief! wir halten
Dich beim Wort.
FAUSTS VATER.

Meineid fällt schwer auf deine Seele – wo du das Wort brichst – gute Nacht Kind! Gott sei bei dir, bis morgen.


Vater ab, Faust fällt in den Lehnstuhl.
ALLE TEUFEL.
Ha! ha! ha! wir haben ihn Bald kommt die Mitternacht!
FAUST
aufspringend.

Was habe ich versprochen? – pah! – ich will mich noch losreißen von allem in der Welt – Weibische Tränen! wie bin ich so ganz zum großen Kerl verdorben! – Vater! – Knirscht. ich sollt meinen ganzen gelegten Plan wieder umstoßen – jede Idee, die Hoffnung darüber geboren, genähret und darauf gegründet – wieder der Niedrigkeit entgegenkriechen, vor deren bettlerischem Anhauch ich erst die Nase gedreht? – Demütigung, Kasteien, Entsagen und Glauben auf dieser Welt; mit Muscheln behangen oder in der Kutte; hier notdürftig allem entsagen, dorthin üppig zu hoffen – mir schwindelt 's Hirn – ha! warum hat meine Seele den unersättlichen Hunger den nie zu erstillenden Durst nach Können [1362] und Vollbringen, Wissen und Würken, Hoheit und Ehre – das mächtige Gefühl das mich aus diesem Gedränge von Niedrigkeit immer und immer hinaufruft – und ich sollt mich mit diesen bellenden Begierden die gleich lästigen Anverwandten an mir hangen, und mein Leben aussaugen, mich zu Tode schleppen? kriechen und immer kriechen in stinkender Niedrigkeit ohne Erfüllungshoffnung der lechzenden Seele? – unbemerkt in dieser großen Woge des Lebens verrauschen? – hinweg! tausend Zentner schwere Last – hab ich's beschworen dich zu tragen? – Ein teuflisch Hohngelächter. Ha! Geister hören meinen Vorsatz und lachen darüber! weg alles! – mein Entschluß ist unumstößlich gefaßt – gewählt! – sei's wohl oder übel! – was willt Wagner?

WAGNER.
Euch eine gute Nacht sagen, und dann auch zu Bette gehen – habt Ihr noch Licht? –
FAUST.

Lieber Junge – nein laß uns heute nicht miteinander schwätzen – geh zu meinem Vater hinein – es müssen noch gute Zeiten für uns kommen, Bruder – oder schlimme, oder wie's kommt – Wieviel Uhr ist's Junge?

WAGNER.
Eilf vorbei.
FAUST.
Hab morgen eine Disputation vor; gute Nacht sag meinem Vater ich ließ ihm angenehme Ruhe wünschen –
WAGNER.
Gute Nacht denn!
FAUST.
Wieviel Uhr sagst du?
WAGNER.
Es geht auf Mitternacht.
FAUST.
Mitternacht! –

Geht hinten auf und ab.
WAGNER.

Will ihn beobachten – Auf seiner Stirne steht seine ganze Tat – zu reden, hilft bei ihm nichts, wenn irgendein Affekt sich seiner Sinne bemeistert – aber ich will mit meiner Wachsamkeit seine geheimnisvolle Einsamkeit unterbrechen, und ihm untunlich machen, was er im Sinne hat.


Ab.
FAUST.

Wilde zauberische Grotte der Nacht, an deren Eingang bräunliche Phantasien irren – – jetzt bin ich zum Ausgang gefaßt – jetzt will ich Ans Fenster. – Dunkle blutige Wolken laufen am Himmel herauf – wie's stürmt – wohlan! – ha! was sind denn das für Gestalten um mich her? – wie? Mutter! Vater! – ha! 's ist nur ein Traum, wie alles unter der Sonne – Mitternachtsstunde du kriechst herbei – bang und hoffnungsvoll du mir jetzt bist – wie sehnlich ich mich diesem Ziel genaht, und doch werd ich vielleicht bei der Ausführung zittern – Laß bleiben Faust, oder zag nicht länger! allmählich und [1363] allmählich schleicht der Zeiger heran – fort! fort! draußen auf dem Kreuzwege den Unholden segnen, draußen im finster brüllenden Walde, wo hingebannte Geister irren, und ihre Klagetöne ins Geschrei der nächtlichen Eulen mischen, dort! dort! wo ich festen Mut fassen muß – wohlan! laßt gehen andere Menschen ihren Alltagsgang – Faust bricht sich durch Hülfe dieses Stabs, Zeremonien die zu nichts dienen als mich fester an die Hölle zu knüpfen, eine neue Bahn. Ab.


Nacht.
Straße vor Panzers Wohnung. Kölbel mit Musikanten auf einer Seite – auf der andern Strick und Fang.
KÖLBEL.
Still, still – dort stehn sie glaub ich, und lauren auf uns.
STRICK.

Komm, mach fort – wir wollen ums Haus herumschleichen, und zusehn ob wir den Alten herausholen können.

FANG.
A! was – du wirst nicht ruhen können, bis wir noch einmal so tief ins Unglück geraten –
STRICK.
Memme! – Lauskerl! – komm!
FANG.
Du bringst mich noch an Galgen.
STRICK.
Wie, bist du närrisch?
FANG.

Geh, die Biersiedersfrau, die wir auch so weggenommen nachts, und ins Tollhaus als eine Unsinnige gebracht, damit der Mann eine andere heuraten könne – es graust mir noch in allen Gliedern, wenn ich daran gedenke – das Geld zählt der Teufel, das wir dabei verdient –

STRICK.
Du bist nicht wert mein Kamerad zu sein – komm nur!

Ab beide.
KÖLBEL.

Dacht 's wär Herz und Eckius; hab mich von ihnen geschlichen, meinem Liebchen ein Ständchen zu bringen – das Hexenmädel! bin ganz weg – ganz kaputt – alle meine Wünsche und Gedanken laufen ihr nach – ihre zwei blaue Augen – so schmachtend und doch so schelmisch – bettlen in der erst und hernach lachen wenn sie's haben – – Ihr Herrn, wer kuckt dort oben am Fenster? – mein Engel! –

ERSTER MUSIKANT.
Mich deucht's nicht – ein Blumenkorb.
ZWEITER MUSIKANT.
Nein 's ist ein Bund Inschlittlichter die am Fenster hangen, um in der Luft zu trocknen –
KÖLBEL.

Gib mir die Laute, wenn meine Arie fertig ist, so fall der ganze Chor mit den Instrumenten drein – so was recht zärtlich Melancholisches, was ihr zur Hand habt – 's Wetter [1364] ist ungemein rauh, aber will's schon sonst wieder einbringen meine Herren –

ALLE.
Ah! Herr Kölbel, wir laufen Ihnen durch ein Feuer.
KÖLBEL
mit der Laute.
Leucht' doch, leucht' doch sanft hernieder,
Holder Mond im Wolkenlauf!
Süße, süße Liebeslieder,
Steigen meinem Mädchen auf.
Wie dein Licht die Dämmrung bricht,
Lacht ihr holdes Angesicht!
CHOR.
Stunden! ach Stunden! wie seid ihr verschwunden,
Freude der Jugend im seligen Flug!
Seelen an Seelen in Liebe gebunden,
Liebe der Liebe im himmlischen Zug!
Sterne verglimmen und Rosen verblühn,
Jugend und Schönheit den Wangen entfliehn,
Brennet ihr Seufzer an brünstigen Wangen,
Zaubert Elysiums Leben zurück!
Lippen die lechzende Lippen verlangen,
Funken an Funken im ewigen Blick.
Sterbende Augen des Trostes entziehn
Heilige Lippen im Beten auch glühn.
Liebe entgangen den himmlischen Toren,
Schönste der Götter reizend und hold!
Erd und Fluten, Weiße und Mohren
Bindest an Ketten im seligsten Sold.
Küsse von dir kann 's Glück nicht vergelten
Wer dich besitzt, den reizen nicht Welten.
GRETCHEN
oben am Fenster.
Schön Dank! schön Dank! kenn den Geber am Geschenk.
KÖLBEL
zu den Musikanten.

Gute Nacht, meine Herrn! hab ein Wörtchen da allein zu sprechen; gute Nacht! morgen sehn wir uns wieder.

ALLE.
Wir stehn Ihnen immer zu Diensten.

Ab.
KÖLBEL.
Gretchen – reizender, lieber Engel! – daß ich droben bei dir in deinen Armen wär.
GRETCHEN.

Still! meine Schwester hör ich – mein Onkel hustet – kommen Sie in die Straße ans andere Fenster, will Ihnen noch weiter sagen.

KÖLBEL.
Gerne Liebchen!

Ab.
WAGNER.

Ha! mir doch entgangen – ich will ihm nach, dicht auf der Spur – Faust! wohin du dich mir verbirgst, sollen meine [1365] Tritte dich verfolgen – sollen meine Tränen, meine Beschwörungen dich hemmen in deinem schrecklichen Vorsatz – –Schlägt zwölf auf'm Münster. Ha! Mitternacht – die Stunde der Gemeinschaft der Hölle mit unserer Oberwelt – es läuten sie an grauenvolle Geister, die in Gräbern mit der Verwesung, um morsche Gebeine gekämpft, und in feuchter Nacht sich jetzt im gehemmten Sternglanz baden – Geiz und Betrug und Mord finden hier ihre gräßliche Strafe, und müssen ihre eigene Schande verkündigend umherziehen – bis irgendein mitleidig Geschöpf sie erlöst – – und ach! zu denen gesellst du dich? Faust! und fliehest Menschen die dich lieben – – Wie hohl der Schlag vom gewölbten Münster heruntertönt! Wie die Stimme der ernsten Ewigkeit! ach! wenn einst die Seele aufwandelt über die Sternebahn – tausend ewige Zungen ihm entgegen frohlocken! und dann wohl ihm, und wehe! ewig wehe! dem der da verlorengeht – wer ist's?

NACHTWÄCHTER.
Puh! puh! windicht und regnicht –
WAGNER.
Der Wächter – ha! wo werd ich ihn finden?

Ab.
NACHTWÄCHTER.

Puh! eine wüste Nacht – Stellt die Laterne nieder und bläst. Hört ihr Herren laßt euch sagen etc. etc. Will jetzt eine Pfeife anzünden – wer räuspert sich dort? – gute Nacht! gute Nacht!


Dunkler Wald. Kreuzweg.
Man hört noch in der Ferne den Glockenschlag von zwölf.
FAUST.

Allein steh ich nun auf diesem Kreuzwege, dem Sitze nächtlicher Zauberei! – Mitternacht ist's, und alle gute Geschöpfe ruhen – Steigen aus Gräbern und Richtplätzen verdammte Geister hervor, die Luft zu durchwandern, wo ihre verworfene Leiber modern – wie brütende Eulen über ihrem Neste, sitzen die – bewahren den Ort wo ihr Schädel hängt – und ich mach mich bereit – der Mond kriecht in den Busen der Nacht als wollt er nicht ansehen was hier unter ihm vorgeht – nun zu solch höllischem Beginnen rechte Zeit – was plaudere ich lang, suche mit selbstausgeheckter Furcht, mir meine Unternehmung zu erschweren – wohlan denn, ihr Teufel! – Bewohner der ewigen Finsternis Zieht einen Kreis. weil alles in dieser Welt unterm Joch von Formalitäten liegt, hört jetzt mich und meinen Gruß – Wenn ihr Liebhaber von [1366] irdischen Gerichten seid, will hier was auftischen, das euren Fraß reizen soll, von Wolfsleber, Fledermäusherzen, dem Kamm eines schwarzen nächtlichen Hahns, Molei, Raute, gepflückt und gebrochen in unglücklicher Stunde; dies alles unter höllischen Flüchen geweiht und zusammengekocht – und mit diesem Stab schlag ich hier nieder in Sand einen Kreis, beschwör euch herauf mit Worten die zu schauderhaft sind, als daß sie die noch zu stille Nacht höre – aber denke, ihr seid Teufel besserer Art; kommt wenn man euch ruft, denn ihr fühlt daß ich mit euch reden muß – Wohlan! steig jetzt in diesen gebannten Zirkel, sicher vor euch und der Hölle – – aber wer hemmt meinen Fuß, stockt mir 's Blut unterm Herzen – wie eines Riesen mächtiger Arm liegt's über mir und drängt ab – eine Stimme schmettert durch alle Gebeine, »tu's nicht!« – – vergebens! ich will, muß – Tritt ein, man hört ein Gerassel in der Luft, die Erde dröhnt. Herauf! herauf! ihr des Unterreichs Geister Donnert und blitzt. herauf Lichthasser! die ihr auf schwarzen Thronen sitzet, in ewiger Finsternis eure Flüche verheult! – herauf! Faust beschwört euch bei der züchtigenden Sonne – ha! Fürchterlich Geheul, Blitz und Donner. Zermalmet mich, überlaßt mich nur nicht länger dieser Angst – über und unter mir; und müßt doch herauf! – durch die kreißende Erde, schmerzlich wimmert die Mutter euch gebärend – verflucht! verflucht ihr alle! herauf! laß euch jetzt nicht los, müßt, müßt mir gehorchen! Schrecklich Geheul, und Sturm. Erscheint lieber wie ihr seid, als daß ihr länger so fürchterlich mich euch ahnden laßt – herauf! und ihr müßt! müßt! unter meine Flüche, mag die Natur ins Chaos darüber hinsinken! aus ihrer Mutter hervorspritzen unzeitige Welten – Planeten zerschellen, zerbrechen der Ordnung Stab, drehen der Dinge Lauf – Gräber Menschen gebären, und Mutterleiber sich eher verschlingen, das Sternegewölb zusammenkrachen, die Achse verdrehn, und alles im grausen Ruin zusammenstürzen – herauf! beschwör euch bei dem Namen der die Feste der Höllen gegründet, beschwör euch bei meiner unsterblichen Seele.


Donner und Blitz, sieben Teufel strecken die halbe Leiber zur Erde hervor.

Geworfen die Erde, fürchterlich ihre Brut – wie sie emporwachsen, mich mit ihren Blicken halten – Will reden mit ihnen ob auch drüber meine Seele stürbe.

[1367]
ALLE.
Was rufst und reißt durch Erd und Brand,
Bietst Seel und Leib zum Unterpfand?
Das Fleisch wie Heu – mehrt Sünde sich
Die Zeit verfleucht, wir hoffen dich,
Was willt du?
FAUST.
Ha!
ALLE.
Dein Begehren?
FAUST.
Sie fragen mich?
ALLE.
Sag an –
FAUST.

Der geschwätzigen Lügner, die da sagen, auch in unsern feinsten Gedanken schlich er um – soll ich mit plumper Zunge erzählen? – wohlan denn! such – such, einen Diener.

ALLE.
Will dir dienen.

Steigen hervor.
FAUST.
Du? und du? und du? – und doch nur einer allein.
ALLE.
Wähl dir.
FAUST.

Gut. Wenn ich nicht umsonst das übernahm was andere zu erzählen schon schaudern macht – nicht umsonst meine Seele zum Pfand gesetzt – wohlan! so laßt mich euch kennenlernen, zu sehen welcher von euch der mir gelegenste ist – aber zuvor sagt, bin ich hier sicher?

ALLE.
Schau! schau!
Wag dich aus deinem Zirkel nicht.
Der Hölle trau,
Uns Teufel nicht;
Uns rufst und reißt durch Erd und Brand
Bietst Seel und Leib zum Unterpfand.
Das Fleisch wie Heu – mehrt Sünde sich
Die Zeit entfleucht, wir hoffen dich.
Ju heia!
FAUST.
Wie heißt du?
ERSTER TEUFEL.
Curballo.
FAUST.
Deine Kraft.
CURBALLO.
Schnelligkeit.
FAUST.
Sag an!
CURBALLO.

So schwarz ich bin, gleich doch an Geschwindigkeit dem Lichtstrahl, der millionenmal schneller schießt, als der Pfeil vom Bogen.

FAUST.
Ha!
CURBALLO.

Wer mir traut, den führ ich in der zehnten Hälfte eines Augenblicks neunmal durchs menschliche Leben.

FAUST.

Das deine Kraft? – fahr hin in die Winde lüftiger Geist! [1368] zu langsam, und schnell mir – das Aug und Ohr, diese Sinne sind nicht nach deinem Dienst gebildet. Immer schnell, was ist das? – den Schneckengang den unser Herz in süßer Befriedigung und Stillung heget – Wünscht man nicht oft die Flügel der Zeit zu stutzen? Wie oft möcht man durchs Leben bei süßen Augenblicken rufen, da capo – laß mich – und sage du –

ZWEITER TEUFEL.
Curballos Bruder – die Hölle nennt mich Sünde – Geschwindigkeit ist auch meine Kraft.
FAUST.

So liegt die Hälfte deiner Geschwindigkeit außer dir – dich spannt das strenge Gesetz, wir Menschen geben dir Flügel – wie, wenn in uns solche Triebe zum Guten, wie zum Bösen lebten, was für ein langsamer Teufel du wärst – Sophisterei gegen einen Sophisten – scheinst zu sein was du nicht bist. – Pack dich!

DRITTER TEUFEL.
Mir mir Faust! ich bin dein Diener –
FAUST.
Wer bist du?
DRITTER TEUFEL.
Mogol – bin's der den Staub zusammenbläst, den ihr Menschen Gold nennt.
FAUST.
Bist's der 's Blut im Weltpuls zirkelt, Goldherr! und König dieser Erden.
MOGOL.

Trage den Schlüssel zu allen verborgenen Schätzen der Erde, und des Meeres, schlafe wo die Perle rinnt; wo der Smaragd in tiefen Schachten blüht ist meine Ruhstätte – alles ist mein –

FAUST.

Und wie wenn ich dich nähme? – gut, wärst mir am liebsten noch von euch dreien – wer dich hat ist geschwind und weise und die Sünde ist auch seine treue Gehülfin – du fassest diese beide in dir – doch laß sehn was andere vermögen – wer bist du?

CACALL.

Der Wollustteufel – mein sind die Begierden der Wolllust, buhl in Kirchen und auf Straßen – koch Liebestränke und Kraftsuppen, und helfe schwachen Gliedern zum sündigen Vermögen auf – komm sei mein, verspreche dir Wollust und Freude!

FAUST.

Fort mit dir! sind marklos meine Gebeine – gewelkt mein Haar – mein Aug erloschen, zu stumpf dem Sternenblick – daß du mir zutraust mich deiner Wadenlosigkeit zu verpfänden – gehe, dir kann's nicht fehlen in diesem Jahrhundert; was brauchst du einen der dir deine Kunst verdirbt – denn das ist grade Wollust raffiniert Cento pro Cento, je nüchterner und mäßiger man genießt; rentiert der Qualität, was [1369] der Quantität entgeht – mit kräftiger Vollendung das erwürkt, was andere nur pro forma quaestionieren – weiß eine Provinz, wo dein Tempel steht – wo man alles pro forma liebt; füll deine Büchsen und reise hin, laß dir durch Kupplerinnen Wege zeigen – wirst ankommen – wenn der Alte seine junge heiße Gattin nicht befriedigen kann sein eigenes Fleisch seinen Willen höhnt und ihn so an die Prostitution seines behenden Nachbars verrät – reich ihm noch einmal deinen Becher, daß ihm von Kraft ahndet, und er im sündigen Schattengenuß nur tiefer zur Hölle fahre.

ALLE.
Ha! ha! ha!
FAUST.

Wenn vorm Beichtstuhl die Büßerin kniet ihre begangene Sünden zu beichten, und sie besinnet sich im Herzen anders, also daß ihr Rückfall ahndet, nah hinzu und blase die Worte vor ihres Paters Ohr weg, damit sie keine Vergebung erhalte – fort mit dir – einen männlichern Teufel vor uns –

PFERDTOLL.

Nimm mich, den Verderber! – wo ich aufblick, die Elementen wimmern – Ruin stürzt nach meinem Pfad – vor meinem Anhauch fliehen die Gestirne, – erbleichet der feuchte Bär – schlag auf im Zorn das Meer übern Mond, und fülle die Erde in Finsternis und Jammer.

FAUST.

Hinweg Chaos! im Wirbel der Hölle verschlossen, verheul deine Stimme zum Jüngsten Tag – wenn die große Trompete dir zum Ruin ruft, schwinge dich auf dann, unter brennenden Welten, und schaue vor Freude umher.

SECHSTER TEUFEL.
Nimm mich –
FAUST.
Wer bist du?
SECHSTER TEUFEL.

Einer der dich liebt, und in der Vollbringung deiner Wünsche an Wärme und Geschwindigkeit keinen seinesgleichen hat –

FAUST.
Kennst du denn alle meine Wünsche?
SECHSTER TEUFEL.
Und lasse sie in der Vollbringung weit hinter mir.
FAUST.

Wie wenn ich nun hinauf verlangte, und du trügst mich auf den äußersten Stern – auf des äußersten Sterns Decke unter der er hinlief – bring ich auch nicht zugleich immer ein menschliches Herz mit, das in seinen üppigen Wünschen immer noch neunmal deinen Flug übersteigt? Lern von mir, daß ein Mensch mehr begehrt als Gott und Teufel geben kann – Wenn's um deine Geschwindigkeit nicht besser aussieht? sag an –

[1370]
SECHSTER TEUFEL.

Steh ich auf der Hölle äußerster Angel, mich aufschwingend, kaum daß mein Fuß loszückt in die Luft, halt ich im nämlichen Stoß schon in meinen Händen den Ring der den Unterhimmel hoch oben an des Allschaffers Thron festhält.

FAUST.

In allem geschwind wäre nichts – das dacht ich schon – aber im Fluge, wo taumelnd die Seele über Welten wegsetzt, ist die Geschwindigkeit noch neben ihr langsam – wollte dich herumtreiben, du würdest nie mein Meister.

SECHSTER TEUFEL.

Beweg deinen Stab schnell herum, daß die äußerste Spitze dir ein beständig Rad bilde – sieh! solch ein Rad schlag ich durch die ganze Schöpfung, überall sichtbar, hörbar, gegenwärtig –

FAUST.
Und du, bleibt dir noch was übrig nach diesem? –
SIEBENTER TEUFEL.

Blick in mein Aug, was siehst du darinnen? – eine neue Schöpfung, bisher dir alles fremd – wo deine Sonne dir aufsteigt und niedersinkt findest nichts desgleichen – denn ich schließ in meinem Blicke wie in einen Reif die Welt – alle sind Abstrahlen der Kraft, einer tiefer vor dem andern, und mir geht niemand vor, als mein Meister.

ALLE.
Mephistopheles unser Herr!
FAUST.
Warum bewegt ihr euch so?
ALLE.
Der Meister kommt! der Meister kommt!
Er steigt herauf! steigt herauf!
Die schwarze Pforte tut sich auf!

Sie sinken.

Wir scheiden jetzt durch Erd und Brand,
Biet Seel und Leib zum Unterpfand.
Biet auf! biet ab! biet her! und hin!
Verloren hast doch beim Gewinn!
Hurra!

Alle ab.
FAUST
niedersinkend im Schlummer.
Wie ist mir? – so dunkel – so allein! – oh!
MEPHISTOPHELES.

Schlummre! schlummre! – bald überwältigt, bald ganz mein! – wer sich uns naht der ist schon gebunden. Jetzt sollen die Bilder die über dir aufgehen, völlig deine Sinne befesseln, dich ausrüsten zum schwarzen Bund mit mir – so bring ich dich hinab und stell dich vor Luzifers dunklen Thron. – Laß mich dich einschlürfen Luft, noch ein Weilchen wo meine Hoffnung grünt – Luft, die die goldene Strahlen [1371] der Sonne durchspielet, die mich vermeiden – unerkannt dem Lichte, strahl ich meine eigene Nacht von mir aus; denn wo ich weile hat der Ewige düstre Nacht um mich hergewälzt – Auf denn! auf Mephistopheles! erfülle was du dir so lang entwarfst – jetzt ist die Zeit, jetzt – laß sie nicht vorbeistreichen, oder ewig verloren ist sie, ewig unwiederbringlich verloren! wird niemalen der Augenblick wieder, zurückkommen den Odem der Liebe dir teilte – Auf! auf! führ aus den süßen Wunsch – ein Geschöpf habhaft zu werden nach deiner Neigung, anzuschließen an dein Herz mit diamantnen Ketten – zu dunkel! zu dunkel alles drunten! muß mir was aus der Oberwelt hinabgreifen – Ach! süßer Gedanke! und doch – wehe! wehe! mich durchschneidt's siebenfach wie des Rächers Schwert – dann! dann! wenn ich ganz Teufel, wieder selbst verstören muß, was ich jetzt aufgebaut, gezüchtigt bin, das mit Lust zu quälen was ich so liebe! – – will nicht daran gedenken ehe die Wonneminuten dahin sind – Los! Los! deiner Bangigkeit Busen! – unglücklich Geschöpf das mit der Hölle in Gemeinschaft tritt! es macht sein Herz zur Mördergrube und vertauschet Freuden um Jammer – – Wer beklagt unsereinen wenn die Ewigkeit um uns her die nie veraltete Schwinge schüttelt – und uns ihre nie auszuleerende Vorratskammer von Elend zeigt? – wenn die Gewölbe von Angst über uns einstürzen, dringt da ein einzig mitleidiger trostbringender Seufzer aus den Trümmern in unser Ohr? – Komm Stunde bald! – Stunde die mir ein Wesen versichert – denn verschlossene Liebe ist doch meine Pein – – Wohlauf du! schlaf und träume dich voll – verträume dich und schenke dein bestes Kleinod, schenke deine Seele mir!

[1372]

Notes
Entstanden 1776–78. Erstdruck: Mannheim (C.F.Schwan) 1778. – Der vorliegende Text ist der erste von insgesamt fünf Teilen. Die übrigen vier Teile wurden seinerzeit nicht publiziert.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Müller, Friedrich (Maler Müller). Fausts Leben dramatisiert. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-51AB-6