Das Lied von der Geburt.
Nach Schiller's Glocke. 44

Gedichtet

bei Gelegenheit meines Aufenthalts in der k. Gebäranstalt zu M** mit noch drei medizinischen Kandidaten.


Aufgepolstert ist das Lager,
Recht bequem von Stroh erbaut;
Heute muß das Kindlein werden!
Frisch Gesell'n nicht lang geschaut:
Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben,
Doch der Segen kommt von oben.
[242]
Zum Werke, das wir ernst bereiten,
Geziemet sich ein ernstlich Wort;
Wenn gute Reden es begleiten,
Dann fließt die Arbeit leichter fort.
So laßt uns den mit Fleiß betrachten,
Was durch's Gebär-Organ entspringt;
Den schlechten Mann muß man verrachten
Dem so etwas nicht lieblich klingt.
Das ist's ja was die Erd' regieret,
Nach was man dichtet, trachtet, strebt;
Ein jeder, der einmal poussiret,
Er denkt daran, so lang er lebt.
Nehmet Fett aus dem Gefäße,
Doch recht tüchtig salbt die Hand;
Sanft und schonend, wie sich ziemet,
Forschet nach des Kopfes Stand.
Langsam in die Rund'
Um den Muttermund,
Ob er etwas mehr schon offen
Und ein Ende bald zn hoffen.
Was in der Scheide tiefsten Grunde
Seit vierzig Wochen aufbewahrt,
Bald gibt es durch Geschrei sich kunde,
Wenn es die schönste Welt gewahrt.
Noch schreien wird's in langen Tagen,
Und ärgern vieler Menschen Ohr,
Mit dem betrübten Gatten klagen
Und stimmen in des Ehstands-Chor.
[243]
Ein still Geständniß oft gethan:
»Ein Esel bin ich wohl gewesen,
Ach, wär' ich noch ein freier Mann!« –
Bald die Wasser werden springen,
Fühlt der Blase tiefen Stand;
Laßt euch eine Schürze bringen,
Sonst befleckt's Euch das Gewand.
Jetzt nicht viel touchirt,
Ruhig assistirt;
Immerwährend zu touchiren,
Möchte Krämpfe excitiren! –
Ein schönes Ding ist's um's Touchiren
Und überhaupt um Medizin,
Treibt man's aus Liebe zum Studieren
Und nicht um schnöden Geldgewinn.
Der Jüngling rüstig, ausgestattet,
Nicht selten auch blitzhageldumm
Kommt er, die Stirne tief beschattet,
Gehorsamst vom Gymnasium,
Er staunet, höret, sieht Versuche,
Vom Uterus klingt's ihm in's Ohr,
Schlägt nach in Scheller's Wörterbuche,
Dort kommt's Wörtlein auch nicht vor.
Jetzt hört er von der Scheide sprechen –
Ein Sehnen, namenlos, ergreift
Den Jüngling, s' Herz droht ihm zu brechen,
Wenn er den Schleier nicht bald streift.
Vor's Mädchen tritt er stolz und saget:
»Vom Uterus spricht man mir dort
Und von der Scheide, die ihr traget
Im ewig dunkeln, finstern Ort.
Treu hat mein Herz sich Dir entfaltet
Und reine Liebe stets gefühlt:
Doch muß das Räthsel, das hier waltet,
Mir werden jetzt von Dir enthüllt.«
[244]
Und herrlich in der Jugend Prangen,
Sich sträubend mit der Jungfrau Zier,
Mit züchtigen verschämten Wangen
Stillt sie des Jünglings Wißbegier.
Aus seinen Augen brechen Thränen
Und er vergißt die ganze Welt,
Macht sanften Vorwurf seiner Schönen,
Die ihm das Schönste vorenthält;
Nicht auf die Kneipe will er kommen,
Sich übend jetzt in einem fort,
Genaue Kenntniß wird genommen
Vom unentdeckten Wunderort.
Erbleichend sieht man ihn bald wanken
Und wer in seine Nähe kam
Spricht zu sich sinnend in Gedanken:
»Der Kerl touchirt sich ganz zusamm'!«
Wie sich jetzt die Säfte bräunen,
Meinen Finger tauch' ich ein,
Sehen wir ihn roth erscheinen,
Wird der Kopf gekrönet sein.
Seid fein hübsch bereit!
Kurz noch ist die Zeit;
Soll der Kopf vom Druck nichts spüren,
Laßt sie noch ehvor klistiren.
Denn alles, was das Haupt nur drücket,
Wirkt störend auf den Geist zurück;
Nie wird er frei, und es beglücket
Nie wahre Lust im Mißgeschick.
Der Bursche, brav und flott geschaffen,
Ihn drückt der Schulden Centnerlast;
Philister, grinsend wie die Affen,
Verfolgen stets ihn sonder Rast.
Sitzt auf der Kneipe der Fidele
Und singt ein Lied zum Gerstensaft.
[245]
Kommt solch ein' schlechte Menschenseele
Und lähmet seiner Kehle Kraft.
Doch mehr nichts schwächt die Schädelkräfte,
Als wenn kein Geld im Beutel ist.
Wenn heiß die Masse unsrer Säfte
Wie glühend Oel im Körper fließt.
Dort sitzen sie im N**garten
So lustig um den Tisch herum
Und ich muß durstig, hungrig warten
Auf's lederne Kollegium:
Jetzt liest ein grau behaarter Schädel
Mir erst noch über Speis' und Trank:
Ist das nicht grausam – ist das edel?
Macht das nicht erst den Burschen krank?
Doch Schulden nicht, nicht Geldesmangel
Ist es allein, was unser Haupt
Oft drückt – nein! des Verdrusses Angel
Ist's, die uns manche Freude raubt.
Froh sitzt man in der Kneip' beisammen,
Zum Teufel jetzt die Studia,
Da kommt in unsers Herrgotts Namen
Ein herzlich Briefchen vom Papa:
»Mein lieber Sohn, ich muß Dir schreiben,
Mit meiner Nachsicht ist es aus!
Laß Deine Saufgelage bleiben
Und bleib bei Deinen Büchern z'Haus;
Denn sein Talent nicht zu vergraben
Ist eines braven Sohnes Sinn;
Nicht einen Lumpen will ich haben,
Wie ich Dein treuer Vater bin.«
Ist so ein Brief wohl nicht geschrieben,
Um sich zu ärgern bis in 'n Tod?
Ach! wär' nur 's Geld nicht ausgeblieben,
Mit dem Geschmier hätt's keine Noth!
Doch weit mehr als Verdruß und Schulden,
Als Geldnoth spuckt es dort im Kopf,
[246]
Wo liebend man sich im Gedulden
Nur üben muß – ein armer Tropf!
Zwölf Jahre oft – wohl noch d'rüber
Der Launen eines Mädchens Ziel,
Muß man – scharwerken wollt man lieber –
Erfüllen süßes Minnespiel;
Und noch hat es kein End' genommen,
Es muß der wackere Studio,
Hat er ein Aemtchen überkommen,
Sie nehmen ex officio.
Jetzt lebt er erst den holden Musen –
Was kann er thun – als Physikus
Mit einem Weib mit schlappem Busen
Iisdem genitalibus!
So schleicht das Leben ungenossen,
Einförmig ihm, alltäglich hin,
Und seine Ehestandes Sprossen
Sind Pavians mit dummem Sinn;
Denn wo man Ekel und gezwungen
Zu Hymnens Blumentempel geht,
Ist nie ein schönes Werk gelungen,
So lang die Ehstandsfahne weht.
So lang die eignen Herzen leiten,
Entsprießt auch Schönes allemal;
Das lehren Beispiel' aller Zeiten,
Der Liebeskinder Engelzahl.
Wohl nun kommt der Kopf in d'Scheiden,
Stärker wird der Wehen Kraft,
Bald beendet sind die Leiden,
Die des Kindes Durchgang schafft;
Legt die Hand zusamm',
Unterstützt den Damm,
Denn der Kopf, die matten Schleußen
Drohet er sonst einzureißen.
[247]
Wohlthätig wirkt in unserm Leben
Der Unterstützung milde Lust;
Sie fühlt bei jedem kühnern Streben
Des Unternehmers frohe Brust;
Hier steht, allein auf sich vertrauend,
Der Künstler, Maler, Architekt –
Der Vorzeit schönen Styl erbauend –
Weiß er, wo noch ein Fehler steckt?!
Zutrauensvoll der Freund ihm nahet
Und freundlich ist sein rathend Wort:
»Ob dieses, jenes ihr wohl sahet,
»Ich meinte«, so fährt er fort.
Und unterstützt mit seinem Rathe,
Mit seiner Hilf den treuen Freund.
Bald hebt sich gothisch die Arkade,
Er sieht, sein Rath war wohlgemeint.
Das Mädchen jung und unerfahren,
Sie sieht, den Burschen liebend ihn,
Hegt er so jung und klein von Jahren
Nicht den Studentenflattersinn?!
So denkt sie, fragt die ältere Schwester,
Die schon der Untreu' Dolch empfing,
Und an der Jüngern um so fester
Mit aufmerksamen Auge hing;
Sanft warnet sie die Unerfahrne:
»Was jung ist, heget jungen Sinn,
Gieb, theure Schwester – ach ich warne:
Dich nicht dem flotten Burschen hin!
Erfahren, kann ich dich versichern –
Ach schmerzlich klingt mir dieses Wort –
Sie wechseln wie mit ihren Büchern
So auch mit Mädchen immerfort.«
Den Rath der Schwester treu zu ehren
Setzt Liebchen sich an's Schreibpult hin:
»Mein theuester Herr **berger!
Verzeihen Sie meine Freiheit mir,
[248]
Wenn ich vielleicht zu Ihrem Aerger
Die Wahrheit treulich schildere hier.
Wenn Sie den Chelius genommen,
In Bensteins und in Bojens Buch 45
Sind nur bis in die Mitt' gekommen,
Ist's immerhin noch früh genug,
Daß Sie ein Mädchen sich erwählen,
Von Heirath sprechen frei und keck
Und sie um Gegenliebe quälen,
Sie allzusehr verliebter Geck!
Der Studio, der. arm geboren,
Sich plagend durch die Welt spaziert
Und seine Eltern früh verloren,
Jetzt bis zum Ekel instruirt,
Wird der Professor sich nicht schämen,
Zu schmälern hier des Armen Recht,
Ein Honorar ihm abzunehmen,
Ist auch die Note etwas schlecht! 46
Ein Unterschied muß immer walten,
Es ist nicht eitel Geldesdurst;
Das Sprichwort war schon bei den Alten:
Darnach der Mann, darnach die Wurst! –
[249]
Und so sei treulich unterstützet,
Was Nutzen stiftet auf der Welt;
Bald nur mit Rath und That genützet
Und wo man es bedarf mit Geld:
Dann kann ein Jeder sich erfreuen,
Dann sind die Menschen alle gleich.
Dann kann das Gute froh gedeihen,
Die Erd' ist dann ein Himmelreich.
Endlich ist der Kopf uns Beute,
Und die Schultern treten ein,
Wendet sich zur rechten Seite,
Schreit schon in den Tag hinein;
Um den Hals entlang
Löst den Nabelstrang,
Daß der Körper ihn nicht drücke,
Und das Kind uns nicht ersticke.
Zu lösen Manches auf der Welt
Ist unser oft vergeb'nes Streben;
Es ist das Allerklärungsfeld,
Ein unbebautes Land im Leben.
Schon Mancher stand am Krankenbette,
Das Räthsel wollt' gelehrt er lösen:
Hätt' er geschwiegen an der Stätte,
Er wär' ein Philosoph gewesen.
Nicht Evangelium muß scheinen,
Was S** und T** spricht;
Was Andere brave Aerzte meinen,
Ist auch nicht immer ohn' Gewicht
Zwei Augen sind auch uns geblieben
Und viere haben jene nicht
Und was in Büchern steht geschrieben,
Ist auch für uns ein leitend Licht;
Doch sei hiermit noch nicht gemeinet,
Daß Lust zum Forschen nicht zu stillen;
[250]
Wo Fleiß mit Forschung sich vereinet
Kann manches Räthsel sich enthüllen,
Nur stütze man sich nicht zu feste
Auf Autorschaft mit blinder Treu';
Studire die Natur auf's Beste
Und bleib von Hypothesen frei.
Bis das Athmen recht im Gange
Könnt ihr Euch jetzt gütlich thun;
Laßt das Kind am Nabelstrange
In dem Schooß der Mutter ruh'n
Fühlet oft und spürt,
Ob er noch pulsirt;
Habt ihr das nicht mehr empfunden,
Werde sie dann unterbunden.
Munter freut der Bursch sich wieder
Der Vakanz, die bald erscheint,
Wo er ferne mit den Brüdern
Liebend wieder sich vereint.
Von der Arbeit muß er ruhen,
Hat das Seine er gethan;
Hat er neue Kraft gewonnen,
Heim schreibt er an seinen Vater
»München den Dreißigsten.
War das ganze Jahr stets einer
Von den Allerfleißigsten.
Hab' die Ehre, dem Herrn Vater
Die Attest' zu präsentir'n;
Ein'ge Conto's mit darunter
Werden Sie wohl nicht geni'rn.
a) Ein Zeugniß sonder Gleichen
Ueber diaetetica;
[251]
Ueber Speis' und Trank vom Schw 47
Eine kleine Rechnung da.
b) Ein magnifique Attestchen
Von vergleichender Anatomie;
Ein Paar Zeil'n vom G'flügelhändler,
War stets mag'res trocknes Vieh.
c) Ein Zeugniß von der Physik,
Wie das Licht sich brechen muß;
Hier für Brill'n und Operngucker
Ein Paar Wort' vom Optikus.
d) Ein auch nicht minder gutes
Zeugniß aus der Chirurgie;
Hier der Conto für fünf Jahre
Vom Barbier, dem dummen Vieh.
e) Eins von Anatomie des foetus
Zeugung – wie auch Zeugungskraft –
Hier vom Stadtgericht ein Schreiben
Ueber meine Vaterschaft.
f) Folgt noch ein Pracht-Attestchen
Aus der Pharmacie hiermit,
Und die Apotheker-Rechnung
Für ein Fäßchen Robert Witt 48.
Hoff', daß meine wen'gen Zeilen
Sammt des Fleißes heißem Lohn
Sie im besten Wohlsein ereilen –
Ganz gehorsamst treuer Sohn.«
Und der Vater liest's mit Rühren,
Thränen treten ihm in's Aug',
[252]
Tritt zur Frau mit den Papieren:
»Ganz mein Bild, so war ich auch.«
Weinend wird alsdann beschlossen,
Daß der Wechsel abgesandt;
Zum Empfang des Hausgenossen
Sind die Töchter angespannt.
Und so reist er nun von dannen,
Drei Philister prellt er noch,
Macht sich los von braven Mannen,
Schüttelt ab der Liebe Joch;
Kommt in seine Heimath wieder,
Der Erinnerung großes Chor,
Alte Suiten, alte Lieder
Treten seiner Seele vor;
Und die Jungfrau aufgeblühet,
Seit er am Lyceum war,
Daß er bald für sie erglühet,
Für ihr schönes Augenpaar.
Daß er in der Lieb' erfahren,
Wenn er's auch nicht scheinen mag,
Will er zeigen noch zur Stunde.
Schwängert sie am selben Tag.
Nun zum Bändchen und zur Scheere!
Schneid's im Zuge jetzt entzwei,
Bis der Mutterkuchen lehre,
Daß das Werk zu Ende sei.
Fahrt mir nicht hinein –
Laßt das Ziehen sein;
Die Natur weiß selbst zu lenken,
Werdet euch nicht klüger denken.
Ein Elend ist's, wenn man stets klüger
Als die Natur sich dünken mag
Und daß hierdurch nichts besser werde,
Lehrt die Erfahrung alle Tag'.
[253]
Dem Arzte wohl, der ihr vertrauet,
Ihr, der er Alles nur verdankt,
Der stets auf ihre Kräfte bauet,
In seinem Glauben nimmer wankt:
Er spendet Hell', er spendet Segen,
Kein Fluch trifft je sein schuldlos Haupt;
Dank erntet er auf allen Wegen,
Er, den man seinen Retter glaubt.
Das Leben ist die höchste Gabe
Und wenn der Tod den Dolch gezückt,
Der spricht: Nehmt alles, was ich habe,
Nur gebt dem Leben mich zurück!
Doch wem die Wuth zu operiren,
Systemsucht das Gefühl betäubt;
Wer, statt den Kranken zu kuriren,
Dem Tod ihn in den Rachen treibt:
Der mache zeitig hier auf Erden
Sich gut mit Rauch und Ruß bekannt;
Sie werden ihm zu Theile werden
Dort drüben im Vergeltungsland.
Freude hat uns Gott gegeben,
Seht, sie nahet schon heran,
Aus der Scheide – blank und eben,
Mit dem Häutchen angethan.
Greift jetzt hurtig zu,
Bringt die Frau zur Ruh'!
Möge sie in sanftem Schlummer
Jetzt vergessen Schmerz' und Kummer.
Was doch der Mensch so leicht vergisset
Unzähl'ger Schmerzen herbes Leid,
Wenn sanfter Schlummer sich ergießet
Und wiegt ihn in Vergessenheit.
O Morpheus, Freund! laß dich besingen,
Der du der Götter erster bist;
[254]
O möchte mir mein Lied gelingen
Und daß es deiner würdig ist! –
Der Bursche singt im frohen Kreise,
Das edle Bier, es mundet ihm,
Er zecht nach braver Burschen Weise,
Bereits umdämmern sich die Sinn':
Der Zunge Kraft fängt an zu brechen,
Die Augen sinken zentnerschwer,
Viel will der Bursch dem Freund noch sprechen,
Allein verkehrt bringt er's daher.
Die andern lachen der Geberden,
Das scheint dem Sprecher sonderbar:
»Der Kerl muß gefordert werden«
So spricht er, das ist sonnenklar!
Und taumelt jetzt hinaus zur Straße
Sich halten wollend ritterlich;
Da stürzt des Bieres größte Masse
Ihm aus dem Munde säuerlich.
Dem Magen will er itzo trotzen,
Sauft eine frische Halbe aus;
Er hört ein Wort von »tüchtig kotzen«
Und schwört: nun geh' er nicht nach Haus!
Doch endlich greifen zwei der Festen
Den schwer Beladenen unter'm Arm,
Und schleppen ihn zu seinem Besten
Nach Haus und aus der Brüder Schwarm.
Und auf der Straße lärmt er wieder,
Der Bursch schlägt wüthenden Allarm,
Sechs Handwerksburschen rennt er nieder
Und insultiret den Gensdarm;
Ans Fenster eilen schnell die Leute
Im ersten, süßen Schlaf gestört,
Sich glaubend schon des Feuers Beute,
Als sie den großen Lärm gehört.
So langen sie nach schlimmer Reise
Verfolgt von den Gensdarmen an,
[255]
Am ganzen Körper naß vom Schweiße,
Als Füchse ihre Pflicht gethan.
Nicht ausgekleidet wird der Bruder,
Gekommen an die Lagerstätt.
Man wirft da sammt dem Unterfutter
Den schweren Freund ins Federbett;
Und Morpheus stärkt die matten Glieder,
Befreiet die gebund'ne Kraft,
Frisch ist des andern Tags er wieder,
Doch wird er zur Polis geschafft
Bald hat er sich dort 'rauspurgiret,
Des Katzenjammers denkt er nun,
Lauft fort zur Kneipe, restauriret
Sich durch ein eingemachtes Huhn.
Jetzo mit dem weichen Schwamme
Wascht das Kindlein her und hin –
Viktoria sei dessen Name,
Vieldeutsam ist des Wortes Sinn;
Denn siegen soll der Aerzte Eifer,
Von Schlacken sei das Gold befreit,
Daß nie der Bartbedienten Geifer
Lucina's Tempel mehr entweiht.

Fußnoten

1 Mit dem Worte »Schmollis« begrüßt der Bursche (mehrjähriger) Studio den (erstjährigen) Fuchsen und erlaubt selbem, indem er mit ihm anstößt und ihm den Brüderlich gibt, hinfüro das ceremonielle Sie in das vertrautere Du umzuwandeln.

2 Mit dem Worte »Doktor! Fuchs!« befiehlt der Bursche dem Fuchsen zu trinken, was dieser ohne Weigerung zu vollziehen hat.

3 Einem Fuchsen das Privilegium geben, heißt ihr dir Erlaubniß ertheilen, dem Burschen das Wort »gelehrt« zuzurufen, worauf letzterer das Glas zu ergreifen und ihm Bescheid zu thun die Obliegenheit hat. Ohne Privilegium ist dieses keine Fuchsen erlaubt, und der Bursche ehrt mit der Ertheilung desselben einen Fuchsen, den er für brav erkannt und liebt.

4 Herr Vetter ist der Name des Leihhaus-Verwalters in der akademischen Kunstsprache, wahrscheinlich weil gewissermaßen jeder seine Gefälligkeit und Beistandsleistung in drangvollen kritischen Zeiten als Wirkung eines mehr oder minder entfernten Verwandtschafts-Verhältnisses ansieht.

5 Nachtlichteln heißt nach der Polizeistunde auf irgend einem Zimmer eines Kameraden noch einige Stunden beim Punsch oder Bier, das man aus der Kneipe mitschleppt, traulich zu verplaudern.

6 Verderbliche Hazardspiele, die den Geist und den Körper zerrütten.

7 Der Sammelplatz der Spieler aller Art, Studenten-Kaffeekneipe.

8 Die Diplome und Absolutorien werden häufig mit Arrest belegt von Bräuern, Kostgebern, Miethsleuten, Trödlern etc. bis sie ihre Bezahlung erhalten.

9 Professor der Geschichte.

10 Wahres Ereigniß im Jahre 1819.

11 Pediculus pubis. Oken. (Filzlaus).

12 So nennen sich Bursche, die Tischgenossen sind.

13 Wirthshäuschen auf dem Hofberg, in früheren Zeiten mit 3 schönen Mädchen.

14 Dortmals Universitäts-Notar, wo des Verfassers Geliebte war.

15 Ein Cand. Theolog., ein Freund des Verfassers.

16 Versatzzettel pflegte der Verfasser im Stammbuch aufzubewahren.

17 So viel als Präsent.

18 Wahres Porträt.

19 Dieses seltene Möbel eignete sich wirklich für eine polytechnische Sammlung.

20 Das Ceremoniel bei einer Promotion ist folgendes: Der promovirende Arzt fährt mit seinem Präses und dem Rektor in das Universitätsgebäude. Dort besteigt er den Disputations-Katheder und vertheidigt gegen die unten sitzenden Opponenten (meistens auch Professoren) seine aufgestellten Streitsätze, je tapferer je besser. Ueber ihm sitzt der Präses, um ihm, im Fall er stecken bliebe, aufzuhelfen. Nachher werden die zwei vergoldeten akademischen Szepter hereingetragen, worauf er die Finger legt und schwört, die Pflichten als Arzt zu erfüllen etc. Jetzt gibt er dem herunten sitzenden Rektor Magnifikus den Handschlag, der ihn dann zum Doktor kreirt und ihm gratulirt. Dieses Ceremoniel kostet circa 200 fl. Der Vater, wenn er anwesend, nimmt seinen Platz neben den opponirenden Professoren ein.

21 Heißt im akademischen Ausdrucke: sich zornig äußern.

22 Ein Wirthshaus im hl. Geistspital.

23 Lieblingsspiel des Freundes.

24 Auf den Hund kommen, heißt in der Universitäts-Terminologia: kein Geld haben.

25 Im Tone und Geist eines sogenannten Scherzlgeigers, mit der Geige begleitend vorzutragen.

26 Egyptische Früchte.

27 In München.

28 Ein verderbliches Hazardspiel, ähnlich dem Pharo.

29 Meyer oder Banquier.

30 Achter ist ein schlechtes, Siebener ein noch schlechteres Blatt; folglich hatte der Achter gewonnen.

31 Ein Spiel, wobei der bezahlt, dem dieses Blatt heimfällt.

32 Aus Gemüthskrankheit, darüber, daß Doktor N** sie unter Leitung des Direktors zu behandeln hatte.

33 Eine Amputations-Methode, wobei aus dem Fleische ein oder zwei Lappen gebildet.

34 Geburtshilfliche Operation.

35 Ein weißer silberglänzender Seidenhut, der meinem Freund besonders gut ließ.

36 Nach beliebiger, aber stets origineller Protzen-Melodie besonders aber die gebrochenen Reime, z.B. Kür- etc. recht hinausgezogen und die letzten zwei Verse dann im Chor repetirt.

37 Diese Krankheitserscheinungen müssen schnell hinter einander ohne Interpunktion fortgelesen werden bis nach »Schlaf wohl«.

38 Die Veranlassung zu dieser Parodie gaben die im Anfange bei der Eröffnung der Universität München häufig gewesenen streitigen Auftritte zwischen den Studenten und Handwerksgesellen, wobei die Studenten sich dadurch musterhaft auszeichneten, daß sie sich nicht mit diesen Leuten etwa herumbalgten, sondern sie blos packten und der k. Gensdarmerie auslieferten, wonach, waren es Ausländer, dieselben erst tüchtig abgestraft, aus München verwiesen wurden.

39 Herr W**, des Verfassers Freund, Cand. med., ein Mann mit wenig Geld und viel Talent, dessen vorzügliches Studium Chemie war, der sich mit Verfertigung kleiner pharmaceutischer Sammlungen zum Gebrauche der studirenden Mediziner befaßte, stand deswegen mit allen Materialisten, Kräuterweibern und Wurzelgrabern in genauen Rapport. Da er zu seinen chemischen Arbeiten vieler, oft theurer Ingredienzien, wie z.B. der Gold- und Silberauflösung benöthigte, so suchte er dieselben durch Tauschhandel etc. zu erhalten, und dieses gab Veranlassung zu vorstehendem scherzhaften Gedichte. Charakteristisch für ihn war ein eben nicht mehr gar zu junger, die Spuren mannigfaltiger chemischer Experimente an sich tragender mausgrauer Ueberrock, ein altes Familien-Erbstück, das bereits sein 25 jähriges Dienstjubiläum feierte.

40 Materialist.

41 Gewohnheitswort des W**.

42 Auch ein Materialienhändler.

43 Eine Glasgeräthschaft zum Destilliren.

44 Dieses Gedicht ist vorzugsweise nur für meine ärztlichen Freunde geschrieben. Im Allgemeinen sei hier nur bemerkt, daß man bei der Geburt eines Menschen mehrere Stadien (Zeiträume) und zwar fünf annimmt, deren Eintritt man durch gewisse Erscheinungen wahrzunehmen pflegt.

45 Handbücher der Chirurgie.

46 Der Verfasser spielt hier auf den Unfug einiger Professoren auf deutschen Universitäten an, den Honorirenden bessere Noten als den Aermeren, nicht Honorirenden, bei übrigens gleich gutem oder wohl gar nicht selten weit ausgezeichneterem Fleiße und Kenntnissen der Letzteren zu ertheilen, weßwegen der Aermere, dem zu seinem weitern Fortkommen um so mehr daran gelegen sein muß, gute Noten vorlegen zu können, nicht selten die bitterste Armuth duldet, um nur dem ohnehin gut besoldeten, oft sogar sehr reichen Herrn Hofrathe seine Instruir-Kreuzer darzubringen –! –!

47 Traiteur und Caffetier.

48 Ein bitteres geistiges Getränk, dessen man sich zur Restaurirung eines verdorbenen Magens zu bedienen pflegt.

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