Adolph Müllner
Die Schuld
Trauerspiel in vier Akten

Personen

[3] Personen.

    • Hugo, Graf von Oerindur.

    • Elvire, seine Gemahlin.

    • Jerta, Gräfin von Oerindur, unvermählt.

    • Don Valeros, Grand von Kastilien, Ritter vom goldenen Vließ.

    • Otto, Elvirens Sohn erster Ehe, Valeros Enkel.

    • Kolbert, Kammerdiener des Grafen Hugo.

    • Holm, Reitknecht des Grafen Hugo.

    • Einige Diener seines Hauses.

Anmerkungen

Anmerkungen für die Bühnenvorsteher.

Die Ouverture muß mit einem Pianissimo endigen, welches Elvire einige Secunden lang auf der Harfe fortzusetzen scheint.

Der Holm kann, vernünftiger Weise, von keinem Theaterdomestiken gespielt werden.

Der vierte Akt muß rasch auf den dritten folgen, und Elvire muß daher keine umständliche Umkleidung vornehmen, die ohnehin ihre Gemüthslage verbietet.

[4]

1. Akt

1. Szene
Erste Scene.
ELVIRE
allein, die Harfe im Arm, das Spiel mit immer leiseren, sanft verschwebenden Tönen endigend.
Wie der letzte Laut verklinget,
Der sich unter leiser Hand
Aus der Harfe Saiten schwinget;
Wie's auf klarem Teichkristalle
Sich von eines Tropfen Falle
Weiter stets und schwächer ringet,
Bis es fern am Blumenstrand
Still verschwand:
[5] So auch möcht' ich einst verschweben
Und verklingen in das beßre Leben!
Wird mich, fern vom Vaterland,
In der Stürme rauher Wiege,
Wo ich angefesselt liege
Von der Liebe starkem Band –
Wird mich einst des Schicksals Hand
Sanft empor zur Heimath heben?

Das Haupt auf die Harfe geneigt, bleibt sie eine Weile ruhen. Eine Saite springt, Elvire fährt erschrocken auf, die Harfe fällt dröhnend zu Boden.

Ah! – Mein Gott!

Sie sucht sich zu fassen.

Bin ich bei Sinnen?
Eine Saite sprang – ihr Schrei
Traf das überraschte Ohr –
Weiter nichts. – Bei Gott, hier ist nichts neu,
Nichts erschreckend, als mein kindisches Beginnen.
Dennoch strebt mein Haar empor,
Und ein Schauer läuft die Glieder
Rieselnd auf und nieder.
Macht die Einsamkeit mich bangen?
[6] Schrecket mich die Dämmerung,
Die bei meiner Töne Klage
Unbemerkt mich hat umfangen?
Oder – war der Saite Sprung
Eine Antwort auf die Frage,
Die ich eben – – Grausen füllt
Meine Brust! – – Der Schall, die Welle –
Wohl sind sie des Lebens Bild;
Doch die Woge, die im Sturme
Schäumend sich am Felsen bricht,
Eine Well' ist's, wie die andre,
Die im weißen Mondeslicht
Auf des Teiches Spiegel schwindet:
Und der Riß gespannter Saiten,
Wie der Klang, der sanft verhallet,
Ist ein Schall,
Der den Fall
Eines Menschen kann bedeuten. –

Von Ahnung erschreckt.

Gott! Wenn Hugo –

Sie zieht lang' und heftig die Klingel. Ein Diener tritt ein.

[7] Ist die Jagd
Noch zurück nicht in das Schloß?
DER DIENER.
Nein.
ELVIRE.
So sendet gleich zu Roß
Einen Boten, der mir's sagt,
Wann er sie gewahrt vom Weiten.

Der Diener geht ab.
2. Szene
Zweite Scene.
Elvire. Jerta zu einer andern Thür herein. Diener folgen ihr.

JERTA.
Was begegnet euch, Elvire?
ELVIRE.
Nichts.
JERTA
zu den Dienern.
Licht in das Zimmer, schnell!

[8] Die Diener gehen im Hintergrunde ab, kurz darauf werden Kerzen auf Armleuchtern gebracht.

Eure Glocke tönte lang' und hell –
Ihr seid ängstlich, wie ich spüre,
Und die Harfe liegt am Boden? –

Lächelnd.

Neckt es aus dem Reich der Todten
Schon im Zwielicht eure Sinne?
ELVIRE.
Wenn ich Thörichtes beginne,
Mögt ihr schwesterlich vergeben.
Mich ergriff ein schweres Bangen
Um des Gatten theures Leben.
JERTA.
Ist er heut zum ersten Mal
Von euch in den Forst gegangen?
Jagt in Spanien kein Gemahl?
ELVIRE.
Oh, dort wehen sanf'tre Lüfte,
Und ein Garten ist die Flur.
Durch Olivenhaines Düfte
Schlängelt sich des Wildes Spur,
[9] Und des Landes mild're Sitte
Herrscht bis in der Wälder Mitte:
Jagd ist Lust dort, nicht Gefahr.
Hier in eurem rauhen Norden
Ist's ein Krieg, ein Wechselmorden.
Hoch auf Felsen, wo der Aar
Um beeiste Spitzen kreiset,
Kämpfet in der Nacht der Föhren,
Trauend seinen Stahlgewehren,
Wild, der Jäger mit dem Bären,
Der ihn, wenn er fehlt, zerreißet.
Wölfe, nordische Hyänen,
Heulen in den Gründen, Klüfte gähnen
Plötzlich unter dem verirrten Tritt;
Schneegebirge rollen
Donnernd über Schollen,
Reißen den Schützen zum Abgrund mit!
Saget, Jerta, muß ich hier
Nicht für Hugo's Leben zagen?
JERTA.
Männer leben, um zu wagen,
Um zu lieben, leben wir;
[10] Und hier lieben wir die Stärke,
Kund gethan durch blut'ge Werke
In der Schlacht und auf der Waid. –

Scherzend.

Männlich gesinnter, nordischer Maid
Kann die Angst den Sinn nicht trüben;
Denn – ihr ist ein Trost geblieben
Aus der grauen Runenzeit.
Unsichtbare Schwestern schirmen
Freundlich aus verfallnen Thürmen
Des geliebten Jägers Haupt. –
's kommt d'rauf an nur, daß man's glaubt!
ELVIRE.
Oh! ihr wißt nicht –
JERTA
fortfahrend.
Auszuweichen
Den Gefahren, mahnen ihn
Wohlbekannte Zauberzeichen,
Und an unheilsvollen Tagen,
Wo's unheimlich ist zu jagen,
Läßt die Maid ihn nimmer ziehn:
Denn sie hat aus Geistermunde
[11] Von des Tages Unbill Kunde. –

Elvire schaudert zusammen.

Ihr erschreckt? – Was ist euch? –
ELVIRE.
Ich –
Spottet, aber höret mich!
Sinnig saß ich da im Düstern,
Ausgeklungen waren meiner
Harfe Lieder, Grabgedanken
Zogen schwarz in mir vorüber;
Da – mit grellem Schwirren sprang
Unberührt die strafe Saite!
's war ein Ton, wie wenn, vom Schusse
Schmerzlich in der Luft getroffen,
Laut der stolze Adler kreischet –
Und – des Nachhalls dumpfes Dröhnen
Glich dem Stöhnen
Eines Sterbenden
JERTA
mit gutmüthiger Laune.
Ihr kennet
Nicht der nord'schen Geister Weise.
Jenseits eurer Pyrenäen
[12] Mögen Zitherklänge wehen
Aus den unsichtbaren Höhen,
Und den schauerlichen Tiefen,
Wo die Zukunft wird gewoben.
Anders spricht die Geisterwelt
Diesseits des beeisten Belt.
In des Schornsteins engen Lauf
Bläst der Wind mit vollen Backen.
Alle Thüren springen auf,
Alle Lichter löschen aus,
Schreiend fliegt der Storch vom Haus
Und die Tragebalken knacken. –
Eulen, groß wie Adler, hacken
An die Fenster, schwarze Katzen
Sprühen Funken im Kamin,
Und ein Heer von Teufelsfratzen
Tanzt in Flammen blau und grün.
Hörtet ihr, hart vor den Ohren,
Nicht den Uhu: »Hugo!« schrein;
Mögt ihr ohne Sorge seyn,
Hugo ist euch unverloren.
[13]
ELVIRE.
Jerta! – Doch du meinst es gut,
Willst durch Scherze mich zerstreun,
Und besänftigen mein Blut.
Oh! wär's Ahnung nur allein!
JERTA.
Was ist's noch?
ELVIRE.
Vergangne Schmerzen,
Aufgeregt im tiefsten Herzen.
Auf der Jagd fiel mein Gemahl
Karlos, meines Otto Vater.
JERTA.
Fiel?
ELVIRE.
Er stürzte mit dem Roß,
Und, im Fallen sich entladend,
Gab sein eigenes Geschoß
Ihm den Tod.
JERTA.
O, dann verzeihe
Meiner Laune Uebermuth.
[14] Warum blieb mir das verborgen?
ELVIRE.
Deinen Bruder stimmt's nicht gut,
Wenn man von dem Unfall redet.
Karlos war sein Freund, war ihm
Seines Lebens Rettung schuldig.
Gläubiger und Schuldner liebten
Mehr als Brüder sich.
JERTA.
Du kanntest
Hugo schon bei Karlos Leben?
ELVIRE
betroffen.
Nein – ja –
JERTA.
Wie? – Du lässest mir
Zwischen Ja und Nein die Wahl?
Hugo's Freund war dein Gemahl,
Also kanntet ihr euch?
ELVIRE.
Wir –

Nachdem sie sich gezwungen, Jerta anzusehen.

Schwester! Oh, dein reiner Sinn
[15] Wird den Stab Elviren brechen;
Aber aus muß ich es sprechen,
Was der Quell ist meiner Qual.
Hugo – – Ja, ich kannt' ihn – ich
Liebt' ihn schon bei Karlos Leben. –

Sie wendet sich ab. Jerta tritt mit dem Ausdruck der Mißbilligung von ihr weg. Nach einer Pause fährt Elvire fort.

Sieh, d'rum macht ein Blatt mich beben,
Das im Abendwinde rauscht.
Gott hat Hugo mir gegeben,
Doch die Rache, dünkt mich, lauscht
Mit dem Schwerte, scharf geschliffen,
Ob dem Haupt der Sünderin,
Deren Herz in wildem Sinn
Dem Verhängniß vorgegriffen.
Ewig zittern muß Elvire,
Daß sie plötzlich den Gewinn,
Den sie nicht verdient, verliere.
JERTA
kommt zurück, mit dem Ausdruck des Mitleids sie anblickend.
[16] Daß du deinen Frieden trübtest,
Nimm als Straf' in Demuth hin.
Es ist Hugo, den du liebtest;
Hugo's Schwester ist es nicht,
Die den Stab Elviren bricht.

Sie umarmen sich bewegt, und gehn aus einander nach den Fenstern. Das Rauschen des Windes schon früher hörbar, wird stärker und vernehmlicher durch die einige Sekunden herrschende Stille.
ELVIRE
beklommen.
Horch, der Wind erwacht am Strand,
Und die Nordsee donnert ferne.
Ausgelöscht sind alle Sterne,
Und vom finstern Himmelsbogen
Kommt der Schnee im Sturm geflogen.
Wirbelnd, wie der Wüste Sand,
Stäubt er wieder auf vom Boden,
Und, wie Erde birgt die Todten,
Deckt er das erstarrte Land,
Aufgethürmt zu Grabeshügeln. –

Sie geht vom Fenster.

[17] Mich umrauscht's mit Geierflügeln! –
Jerta! Jerta, lehre mich
Meine Angst um Hugo zügeln!
JERTA.
Ruhig! Es verlieret sich
Eine Schaar von Jagdgenossen,
Auf des Nordlands hohen Rossen,
In bekannten Wäldern nicht.
Wenn der Sterne Schein am Himmel
Wolken löschen, fällt das Licht,
Weich, in stockigem Gewimmel,
Nieder auf die dunklen Wege
Durch das felsige Gehege.
Schneelicht heißt es hier. – Ihr wißt
Nichts davon im heißen Süden.

Man hört sehr schwach und fern Jagdgetös Hundegebell, und später das Rufen der Jagdhörner.
ELVIRE
am Fenster.
Jerta! Hörst du nichts? – Mir ist
Vor dem Ohr, als bellten Rüden.
JERTA
tritt zu ihr.
Ja. – Sehr fern noch.
[18]
ELVIRE.
Nein, ich höre
Hörner schallen. – Horch! so rufen
Sich zerstreute Jäger an,
Daß man heim zusammen kehre.

Freudig, das Fenster verlassend.

Hugo kommt!
JERTA
die am Fenster blieb.
Er ritt voran,
Mein' ich; denn von Rosses Hufen
Wird's im vordern Schloßhof laut.
ELVIRE.
O, Gottlob! – Wie eine Braut
Harr' ich seinem Gruß entgegen,
War er gleich nur Stunden aus.
JERTA
in das Seitenzimmer rufend.
Lieber Otto, komm heraus!
OTTO
von innen.
Gleich.
JERTA
noch in der Thür.
Geschwind! – Zusammenlegen
Kannst du später deine Bilder.
[19] Komm, dein Vater und sein wilder,
Schwarzer Däne kommen.
3. Szene
Dritte Scene.
Die Vorigen. Otto.

OTTO.
Wer?
JERTA.
Lauf hinab!
OTTO.
Mein Vater? – Hör',
Wirst du das denn nie behalten?
Vater ist gestorben. Er
War nicht bürtig aus dem kalten
Land. – Herr Hugo Oerindur
Ist der Mutter Gatte nur.

Ab.
4. Szene
[20] Vierte Scene.
Elvire. Jerta.

ELVIRE
welche im Begriff war, mit Otto zu gehen, kommt in den Vorgrund zurück.
JERTA.
Du gehst nicht hinab zur Pforte?
ELVIRE.
Kann ich? – Oh, des Knaben Worte
Lahmen meiner Freude Flügel.
JERTA.
Arme Schwester! Ich verstehe:
Dieses Kind, voll Mild' und Huld,
Zeigt, ein immer klarer Spiegel,
Dir das Bildniß deiner Schuld.
ELVIRE
sehr bewegt.
Peinlich ist mir seine Nähe,
Und doch kann ich ihn nicht missen.
Ich begehre, daß er gehe,
Und bedeck' ihn doch mit Küssen! –
Was ist kinderlose Ehe?
[21] Hugo liebt ihn väterlich,
Möchte gern im holden Knaben
Einen Sohn gewonnen haben;
Doch der Knabe liebt nur mich.
Der Natur geheime Triebe
Wenden ihn von fremder Liebe,
Und ein unsichtbares Band
Zieht ihn nach dem Vaterland.
Zwischen uns so steht er, wie
Eine Mauer zwischen Flammen;
Ueber Otto schlagen sie
Hochauflodernd, wild zusammen;

Tief seufzend.

Aber – Eine wird es nie.
5. Szene
Fünfte Scene.
Die Vorigen. Otto. Bald darauf Kolbert.

OTTO
fröhlich.
Jerta! Mutter! Nicht Herr Hugo
[22] Ist im Schloßhof eingeritten;
Fremde sind es! Und sie tragen
Zierlich unsres Landes Kleider,
Reden spanisch. – Ach, die schönen,
Langentbehrten Worte tönen
Wunderlieblich in mein Ohr!
Laß geschwind die Männer vor!
KOLBERT.
Gnäd'ge Frau, ein fremder Herr,
Den des spanischen Gesandten
Diener hat zum Schloß geleitet,
Fragt nach dessen Herrn, dem Grafen
Oerindur.
ELVIRE.
Sein Name?
KOLBERT
nachsinnend.
Don –
Sie verzeihn, die fremden Töne
Fassen sich so schwer – ich will –
ELVIRE.
Bleibt! Wer es auch möge seyn,
Sagt, daß wir des Grafen harren,
[23] Und in des Gebäudes beste
Zimmer führt die Fremden ein.
Andre sorgen für's Gefolge

Kolbert ab.
OTTO.
Mutter, laß den span'schen Herrn
Mich begrüßen, nach der Sitte
Seines Landes.
ELVIRE.
Geh, doch frage
Nicht ihn unbescheiden aus,
Wer er sei.
OTTO
froh und mit Stolz.
Ein Spanier ist's!
Weiter brauch' ich nichts zu wissen.

Ab.
6. Szene
[24] Sechste Scene.
Elvire. Jerta.

ELVIRE
beunruhigt.
Jerta, was bedeutet das?
JERTA
nachdem ihr Auge einige Sekunden auf Elviren geruht.
Ein Besuch aus einem Lande,
Wo mein Bruder lang' gelebt,
Und sein Weib sich hergeholet,
Wird ihn weniger befremden,
Als er euch zu ängst'gen scheint.
ELVIRE.
Ich gesteh's, mir ist die Brust
Wie mit einem Stein beladen.
JERTA.
Ob, und was zu fürchten ist,
Kann allein Elvire wissen;
Ich weiß Eins nur.
ELVIRE.
Eins? und was?
[25]
JERTA.
Daß aus Spanien wenig Gutes
Noch für Hugo ist gekommen,
Ob ihr schon das Land so rühmet.
ELVIRE.
Wie soll ich die Rede deuten?
JERTA.
Aufgewachsen hoch im Norden,
Grad und stolz wie unsre Tannen,
(Obwohl anderwärts geboren)
Schien er früh schon auserkohren
Zu der Zierde nord'scher Mannen.
Offen, wie des Himmels Blau,
Lag in seinem Blick die Seele
Fremdem Auge da zur Schau,
Freundlich, fest und ohne Fehle.
Männer priesen laut den Krieger,
Stark, zu halten einen Thron;
Jungfrau'n, ihm die Myrthenkron'
Flechtend im verschwiegnen Busen,
Seufzten heimlich nach dem Sieger.
[26]
ELVIRE
begeistert.
Ja, so war er anzuschauen,
Fremd, ein neuer Gott der Musen,
In des Ebro goldnen Auen.
So – so gab er Lust für Ruh! –
O, wie feurig führest du
Die Vertheidigung meiner Triebe –
Feurig, wie ich d'rum dich liebe!

Sie umarmt Jerta.
JERTA
ernst.
Ihr thut übel d'ran, denn wißt:
Wir sind Nebenbuhlerinnen.
ELVIRE
verwundert.
Schwester!
JERTA.
Hugo, sorg' ich, ist
Nur der Abgott eurer Sinnen.

Innig.

Ich – ich lieb' ihn, Seel' um Seele,
Wie man droben liebt im Licht!
Daß zu eurem Glück nichts fehle,
Habt ihr an euch ihn gerissen;
[27] Ich will ihn, ihn glücklich wissen,
Und ich fürcht', er ist es nicht.
ELVIRE.
Wie? nicht glücklich? – Er ist mein!
Liebt er mich, so muß er's seyn.
JERTA
mit einem wehmüthigen Lächeln und verneinender Kopfbewegung.
Singend zieht der weiße Schwan,
In der Brust den tiefen Frieden,
Wenn der Winter kommt, nach Süden,
Durch der Lüfte freie Bahn;
Und mit glänzendem Gefieder,
Singend, wie er ist geschieden,
Kehrt er aus der Fremde wieder.
Nicht so Hugo. – Fortgezogen
Ist er auf dem Segelkahn,
Durch das Reich der blauen Wogen,
Heiter, wie der weiße Schwan,
Kräftig, wie der junge Aar;
Aber was er scheidend war,
Ist nicht wieder heimgekehrt
[28] Zu dem väterlichen Herd.
Wie in eurem Busen, rasen
Stürme wilder Leidenschaft
In dem seinigen, und blasen
Aus die Fackel seiner Kraft.
Seine fest verschloß'ne Brust,
Bei dem Drang nach wilder Lust;
Seine scheuen, düstern Blicke,
Die, wenn sie in eure sehn,
Glut in Gluten untergehn –
Ach – sie zeugen nicht von Glücke!
Glück ist ohne Frieden nicht.
ELVIRE.
Eine Wahrheit, die ich fühle
Tief im stets bewegten Blut.
Kannst du es, wohlan, so kühle,
Reine Seele, unsre Glut!
Oder – schweig, und laß gewähren,
Laß sich Flamm' in Flamme verzehren!

Sie will ab, Kolbert tritt ihr entgegen.

Was – was ist's?
7. Szene
[29] Siebente Scene.
Kolbert. Die Vorigen.

KOLBERT.
Der Bot' ist wieder
Da, den man hinausgesendet
Auf den Weg zum großen Forste.
ELVIRE
froh.
Kommt der Graf?
KOLBERT.
Er – wird vermißt.
ELVIRE
wankend vor Schreck.
Gott!
JERTA
dringend.
Vermißt?
KOLBERT.
Seit einer Stunde
Rufen schon von allen Bergen
Ihn die Jäger mit den Hörnern.
Er und Holm, der Reitknecht, fehlen.
[30]
JERTA.
Ha, so zündet Fackeln an,
Und hinaus, was in dem Schlosse
Nur entbehret werden kann!
Aus den Ställen alle Rosse,
Eins mir selbst!

Kolbert ab.
ELVIRE.
Ihr wolltet –?
JERTA.
Ich
Handle lieber, wo ihr zittert. –
Feile Diener machen sich
Leicht die Arbeit, wenn man ihnen
Niemand vorsetzt, der sie zwingt,
Ihrem Herrn mit Ernst zu dienen.
ELVIRE.
Ich will mit!
JERTA.
Ihr seid zu zart
Für ein Wetter solcher Art;
Mag ich selbst doch unverwahrt
[31] Nicht hinaus.

Sie geht in das Nebenzimmer.
ELVIRE
nach kurzer Pause.
Ich muß vergehen
In der Angst, eh' ich erfahre,
Ob das Schreckliche geschehen,
Was der Riß der Saite –

Man hört nahes, fröhliches Hörnergetön.

Ha,
Jerta! – Hört ihr die Fanfare
Vor dem Thor? – durch Sturm und Wetter
Tönt das freudige Geschmetter
Es herauf: Der Graf ist nah!
JERTA
im Pelz heraustretend.
Desto besser.
8. Szene
[32] Achte Scene.
Holm. Die Vorigen.

HOLM.
Gnäd'ge Frauen,
Ich soll höflich euch vermelden,
Daß ich heim bin, und der Herr.
ELVIRE.
Wo?
HOLM.
Er geht nach seinen Zimmern.
ELVIRE.
Nicht zu mir?
HOLM.
Er kann sich so,
Wie er ist, nicht sehen lassen,
Voller Blut!
ELVIRE
bestürzt.
Um Gotteswillen!
Hugo blutet?
[33]
HOLM.
Nein, 's ist Schweiß
Eines Ebers, wie sie's nennen.

Elvire geht beruhigt in den Vorgrund, Holm folgt ihr einige Schritte.

Ja, das hätt' ich euch gewünscht,
Daß ihr's hättet sehen können.
JERTA.
Was?
HOLM
zu Jerta gewandt.
Den Herrn und diesen Keiler.
Unser Haro fand die Spur;
»'s ist noch zeitig,« sagt' er, nämlich
Der Herr Graf – es war fünf Uhr –
Und so ging's in Gottes Namen,
Ohne Büchs' und ohne Horn,
Die der Herr schon abgegeben,
Waldwärts über Stock und Dorn.
Ungefähr nach einer Stunde
Kriegten wir den Burschen auf.
»Hussa!« rief der Herr. Die Hunde
Fielen wie die Löwen drauf:
[34] Aber – rechts und links hin flogen
Sie gerissen in den Schnee.
Der Herr Graf wollt' mit dem Spieße
Drauf; der Rapp stieg in die Höh –
Ließ sich uns're Hunde eine
Warnung seyn, und mocht' nicht 'ran.
Also 'runter! – Auf der Stelle
Nahm ihn auch der Eber an.

Elvire hört von hier an wieder mit ängstlicher
Theilnahme zu.

Der Herr Graf stand noch nicht feste,
Und – daß Gott! schief ging der Fang.
Blitz noch eins! da wurd' mir bang!
Aber eh' das Thier sich wieder
Wandte, fiel der gnäd'ge Herr,
Selber wüthend, wie der Keiler,
Mit den Fäusten drüber her;
Riß ihn, wie er war, zu Boden –
Ich, nicht faul, sprang auf den Wanst –
Und nun bohrt' er mit dem Fänger
Und dem Messer, was du kannst,
Ihn so lang' in Brust und Kehle,
[35] Bis er seinen letzten Schweiß
Vollends ausgeröchelt hatte.
Er war kalt, wir waren heiß.
ELVIRE
die sich schaudernd abgewandt.
Welch ein gräßliches Vergnügen!
HOLM.
Nun, wir ließen ihn denn liegen;
Aber nun ist alles 'naus,
Und noch heute muß der Dicke
Auf dem Schlitten hier in's Haus. –
JERTA.
Sag' dem Grafen, daß er schicke,
Wenn er umgekleidet ist.
HOLM.
Wohl.

Ab.
9. Szene
[36] Neunte Scene.
Jerta. Elvire, die, von der Erzählung angegriffen, sich an einem Stuhl hält.

JERTA.
Wie wird euch? – Eure Blicke
Sind verstört, was? –
ELVIRE.
Die Beschreibung!
Wahr, lebendig bis zum Schauen!
Gräulich!
JERTA.
Sicher Uebertreibung;
Wer den Strauch mit umgehauen,
Macht daraus gern einen Baum.
ELVIRE
aus Phantasieen aufseufzend.
Oh! Er ist ein reißend Thier!
JERTA
befremdet.
Wer?
ELVIRE.
Der Hugo.
[37]
JERTA.
Träumet ihr?
ELVIRE.
Ja, ein fürchterlicher Traum
Meiner ersten sel'gen Nacht
Wiederholt sich meiner Seele.
Hugo wähnt' ich zu umfassen,
Und – ein Tiger sah mich an.
Ich vermocht' ihn nicht zu lassen,
Und – indem ich es erzähle,
Faßt es mich wie Fieberwahn –
Küßt' ihm Klau' und blut'gen Zahn;
Er –

Sie hält, von Vorstellungen überwältiget, inne.
JERTA.
Erhitzten Blutes Bilder!
ELVIRE.
Oh! zu wahr, zu ähnlich nur!
Sagt es selbst, wird Oerindur
Täglich kühner nicht und wilder?
Schaudernd, will er mich umfassen,
Stürz' ich mich an seine Brust.
[38] 's ist ein Tiger, den du hassen,
Oder für ihn glühen mußt!
Wenn er sanft sich an mich lehnet,
Wenn er seufzet und sich sehnet,
Wenn sein Auge Küsse heischet;
Blitzt's oft furchtbar d'rinn empor
Es durchzuckt mich, wie ein Strahl,
Und der Gatte meiner Wahl
Kommt mir wie ein Raubthier vor,
Das mich liebt und mich zerfleischet.

Nach einer Pause feierlich.

Jungfrau! Mag euch Gott behüten
Vor dem innerlichen Wüthen,
Das mich von und zu ihm reißt!

Ab.
JERTA.
Ist es diese Qual, die »lieben«
In den heißen Zonen heißt?

Tief bewegt.

Oh! wär' Hugo heim geblieben!

Ende des ersten Akts.

2. Akt

1. Szene
Erste Scene.
Hugo in reicher Hauskleidung auf einem Sopha ruhend. Auf den Tischen tief herab gebrannte Kerzen. Nach einigen Sekunden tritt Jerta ein.

JERTA.
Wilder, schweißbefleckter Jäger,
Bist du endlich sichtbar wieder?
HUGO
ohne aufzustehen.
Sichtbar, rein von jedem Makel.
JERTA.
Und ermattet, wie es scheint.
HUGO.
Ja – Gottlob! – – Der Leib allein
[40] Stört das Gleichgewicht der Seele,
Lehrt sie scheuen und begehren.
Zu ermatten – darum jag' ich;
Bin ich müd', so hab' ich Ruhe.
JERTA
auf das Herz deutend.
Hier? Die hattest du sonst immer.
HUGO.
Sonst! – ja – sonst

Er verliert sich in Gedanken, und sagt nach geraumer Pause, als ob er Jerta's Gegenwart vergessen hätte.

Wer das erfände!
JERTA.
Was erfände!
HUGO.
Nichts! – – Die Kunst,
Wie man gestern macht zu heut,
Sonst zu jetzt, und jetzt – zu nichts.
Nichts! – –

Nach merklicher Pause.

Wo ist Elvire? Kommt
Sie nicht auch?
[41]
JERTA.
Sie ist – sie war,
Will ich sagen –
HUGO
einfallend.
Willst du? Sieh,
War und ist – da hast du's wieder!
Sonst und jetzt, und heut' und gestern.
Sonst war's anders. Froh entgegen
Flog sie mir, trat ich in's Haus;
Jetzt –?
JERTA.
Groß Unrecht thust du ihr.
Sie hat fürchterliche Angst
Ausgestanden deinetwillen,
Als du ausbliebst in die Nacht.
HUGO.
Warum säumt sie? Ich bin heim,
Bangt ihr noch?
JERTA.
Nein; doch erschüttert,
Tief erschüttert hat die Mähr,
Die uns Holm sogleich erzählte,
[42] Ihre weich geschaffne Seele.
HUGO.
Welche Mähr?
JERTA.
Wie dich der Eber
Angegriffen, und du ihn
Hast bezwungen und getödtet,
Simson gleich, der mit den Händen
Einen Löwen hat zerrissen.
HUGO
ist aufgestanden.
's ist ein Narr, der Holm – ein Schwätzer!
Es war nichts. Mein Ungeschick
Zwang nich, etwas unsanft ihm
Hinzuhelfen. 's thut mir leid,
Hatt' auch gänzlich nicht Gefahr;
Aber – für Elviren war
Die Geschichte nicht.
JERTA.
So scheint's!
Einer Leiche gleich, die mit
Offnen Augen ist gestorben,
Sah sie drein, als Holm geendet;
[43] Hielt sich auf den Füßen kaum,
Nannte dich – ein reißend Thier!
Einen fürchterlichen Traum,
In der Brautnacht ihr gesendet,
Fing sie an, mir zu erzählen –
Du gehst fort?
HUGO.
Ich will zu ihr!
Wenn ihr Herz sich von mir wendet,
Muß ich's wieder mir vermählen;
Nur den Fernen kann sie hassen.
JERTA.
Laß ihr Zeit noch, sich zu fassen,
Lieber, und vertraue mir,
Deiner Jerta, die dich liebet,
Was den Frieden Hugo's trübet?
Wechselseit'ge Glut begegnet
Sich in eurem trunknen Blick;
Ihr besitzet euch, das Band
Ist von Priesterhand gesegnet –
HUGO
halb vor sich.
Nicht von Gott!
[44]
JERTA.
Der Herzen Bund
Wird ja kinderlos nicht bleiben!
Was, ich bitte dich, was kann
So euch hin und wieder treiben,
Wie zwei Schiffe eines Herrn,
Die der Sturm im offnen Meere
Trennt, und an einander schleudert?
HUGO.
Weiß ich's selbst? – – Mich dünket: Nie
Sollten Nord und Süd sich küssen.
Pole sind es Eines Stabes,
Ihre Axe trennet sie.
Hat die dunkle Macht des Triebes,
Stark, den Stab zum Ring gebogen,
Und den Pol zum Pol gezogen;
Müssen sie sich mächtig fassen.
Aber immer will der Ring,
Wie gespannten Bogens Stahl,
Wieder auf zum Stabe schnellen,
Und was eins ist, will sich lassen.
[45]
JERTA.
Räthselhaftes aufzuhellen,
Zu erklären solchen Streit,
Will ein Gleichniß nicht genügen.
HUGO.
Mehr vermag ich nicht zn geben.
Selbst ein Räthsel – schwer zu lösen –
Bin ich mir; denn Pol und Pol
Einen sich in meinem Wesen.
Hier erzogen, dort geboren,
Bin ich hier und dort nicht heim.
Fremde Wurzel diesem Boden,
Fremder Wipfel jener Luft;
Tief am Stamm vom Nord erkältet,
Hoch im Laub vom Süd entflammt,
Ein' ich in mir Glut und Flut –
Erd' und Himmel –

Gepreßt.

Gott und Teufel.
JERTA.
Wunderlich verworr'ne Träume!
Sahst du gleich das Licht der Welt
Unter Spaniens heißer Sonne,
Waren unsre Aeltern doch
[46] Beid' aus Nordlands Heldenstämmen.
HUGO
übereilt.
Deine, ja; doch meine nicht.
JERTA.
Wie?
HUGO
stutzt, als er bemerkt, daß er gesagt, was er nicht wollte, dann ruhig.
Es ist kein Grund vorhanden,
Daß ich länger dir verschweige,
Was dein Vater mir enthüllte,
Als er, in der Schlacht verwundet,
Hinter'm sieggekrönten Heere,
Nach drei hoffnungslosen Tagen,
Sanft verschied in meinen Armen.
JERTA.
Ah! Was werd' ich hören müssen?
HUGO.
Daß ich nicht dein Bruder bin.
JERTA
sinkt mit verhülltem Gesicht in einen Sessel.
Oh! ich Aermste! –

[47] Plötzlich springt sie wieder auf.

Gott! – warum –?
HUGO.
Was ergreift dich?
JERTA
mit Mühe gefaßt.
Nichts. – Erzähle!
HUGO.
Edwin, Graf von Oerindur,
Dein erlauchter Vater, war
Seines Stammes letzter Sprosse.
All' sein Gut war lehenbar,
Ward verdient mit Lanz' und Rosse,
Und die zögernde Natur
Schien den Erben zu versagen,
Fähig, Land zu Lehn zu tragen.
Endlich beut sich Hoffnung dar;
Doch der zarten Gräfin Schwäche
Läßt besorgen, daß die Frucht
Das erkrankte Bäumchen breche.
Aerzte, früh um Hülf' ersucht,
Weisen sie mit Mund und Feder
In die Pyrenäenbäder,
[48] In die Luft der wärmern Zone.
Eine Dame, fern verwandt
Einem ketzerischen Throne,
(So wird uns'rer dort genannt)
Konnte sich in jenen Tagen
In ein anders glaubend Land
Nicht mit ihrem Namen wagen.
Ein katholisch-deutsches Haus
Half ihr gern mit seinem aus.
Darum ward der deutsche Name:
Hugo, auch dem Sohn gegeben,
Dessen sie genas im Süden.
Das mit Müh geborg'ne Leben
Wie des Knaben, so der Dame,
Ließ die Heimkehr lang' nicht zu.
Edwin, für des Reiches Ruh
Kämpfend, gab ihm spät den Frieden
Mit dem stolzen Feind in Osten,
Und so ging's in's dritte Jahr,
Eh' es ihm beschieden war,
Seiner Freude Kelch zu kosten.
Hanna, deine Mutter, glühte,
[49] Ihm das Kind, das freundlich blühte,
In den Vaterarm zu legen;
Anders stand's in Gottes Buch,
Und sie mußte seinen Segen
Legen in ein Leichentuch.
JERTA.
Arme, arme Mutter!
HUGO.
Eine
Reich're nahm sich ihrer an.
Daß nur sie, nicht Edwin weine,
Ward ein seltnes Werk gethan.
Eine Freundin, dort erworben,
Von kastilischem Geschlecht,
(Ihren Namen nie zu nennen,
Hatte Hanna ihr geschworen.)
Gab ihr Kind, von gleichem Alter,
Der Verzweifelnden zu eigen.
JERTA.
Ist das möglich? Eine Mutter?
HUGO
finster.
Meine Mutter hat's gethan.
[50] Ich bin der verschenkte Knabe
Aus kastilischem Geschlechte,
Das ich nicht zu nennen weiß.
JERTA.
Das ich nimmer kennen möchte,
Weil es solche Mutter hatte.
HUGO.
Lang' getäuscht ward Hanna's Gatte,
Und ich galt ihm für den Sohn,
Bis ihm Jerta ward geboren.
Da verrieth sich Hanna. Er
Wollte, daß der Name mir
Bliebe, den sie mir gegeben;
Doch zu stolz, zu hintergehen,
Zeigt' er, als sie heimgegangen,
Es dem Lehnherrn an. Die Antwort
War ein königlich Diplom,
Eigenhändig und geheim
Ausgefertigt, dieses Inhalts:
»Das Geschlecht der Oerindur,
Uns'res Thrones feste Säule,
Soll bestehn, ob die Natur
[51] Auch damit zu Ende eile.
Wem der Letzte diesen Brief
Uebergab, als er entschlief,
Sonder Ansehn Mann's noch Weibes,
Ist beliehn auf ew'ge Zeiten
Mit des Stammes Land und Leuten,
Sammt den Erben seines Leibes.«
Mit der Schrift, die, nah am Grab,
Mir Graf Edwin übergab,
Tauscht' er mir die Ruhe ab.
Weg von hier, wo niemand mir verwandt,
Zog das Band
Der allmächtigen Natur
Mich zum Land
Goldner Flur,
Das in dunklen, früh empfangnen Bildern,
Winkend durch den Nebeltag,
Vor mir lag,
Wie die Vorwelt auf der Ahnen Schildern.
Um den Aeltern nachzuspüren,
Zog ich hin, und fand Elviren,
Die es spät erst mir gelang,
[52] Nach dem Norden heimzuführen,
Und die nun derselbe Drang
Wieder abwärts treibt, nach Süden.
JERTA
in rührendem Schmerz.
Oh, leb' wohl, mein goldner Frieden!
HUGO.
Jerta! Was bewegt dich so?
JERTA.
Namenloser! Kannst du fragen
Denk' an unsre Kinderzeit,
Und wie wir herangewachsen,
Nachbarblüten Eines Stieles!
Alle Ranken meines Herzens
Schlangen sich an deines an.
Heilig hatt' ein schöner Wahn
Meine Zärtlichkeit gesprochen –

Zu sanftem Weinen übergehend.

Nun sein Siegel ist gebrochen,
Bricht mein Herz dem Siegel nach!
HUGO.
Jerta! Mädchen! – Fasse dich,
Und vergiß, was Hugo sprach!
[53] Lieb' ihn ferner! Brüderlich
Wird er ewig an dir hangen.
JERTA
nach langsamer, verneinender Kopfbewegung.
Nein, das Traumbild ist zergangen,
Und entfesselt die Natur.
Nie mehr darf ich dich umfangen,
Denn du bist kein Oerindur.
Zwischen Lieben und Verlangen
Ist die Scheidewand gefallen! –
Fliehn aus meiner Väter Hallen,
Wo dein Schweigen mich getäuschet,
Muß ich, wenn dein Weib es heischet.

Ab.
2. Szene
Zweite Scene.
HUGO
allein, nachdem er ihr lang' nachgesehen.
Ja! sie ist ein Engel! – So
Stand sie vormals mir zur Seite,
[54] In der Triebe wildem Streite.
Da ich von ihr bin geschieden,
War's geschehn um meinen Frieden;
Hugo wird nicht wieder froh!

Er versinkt in Gedanken.
3. Szene
Dritte Scene.
Hugo. Otto.

OTTO.
Nun, Herr Hugo, bist du heim?
HUGO
scherzend.
Ja, Don Otto! Wie du siehest.
OTTO.
Spottest du des deutschen Namen,
Den der span'sche Knabe führt?
Du hast recht. Auch mir gefällt
Er nicht sonderlich. Ich möchte
Karlos, wie mein Vater heißen!
[55] Seine Mutter, sagt Elvire,
Wollte, daß ich Otto hieße.
Otto? – Nun, 's ist nicht zu ändern;
Hugo lautet übler noch.
Aber Eines könntest du
Mir zum Troste wohl erlauben.
HUGO.
Wenn dir's gut ist, gern. Was ist's?
OTTO.
Laß mich wieder Kleider tragen,
Wie man sie am Ebro trägt.
HUGO.
Nein, mein Kind, das ist gefährlich,
Hier ist's kalt; auch würde man
Nur des fremden Putzes lachen.
OTTO.
Nicht doch! Sieh den Fremden nur –
HUGO.
Welchen Fremden?
OTTO.
Der gekommen
Kurz vor dir, durch Frost und Wetter.
[56] Hat man dir's noch nicht erzählt?
HUGO.
Nein.
OTTO.
Nun, siehst du, niemand lachet
Ueber diesen alten Mann;
Und doch trägt er seines Landes
Leichte Tracht auch hier. – Er ähnelt
Meinem Vater d'rinn.
HUGO.
Er ist
Spanier?
OTTO.
Ei, ja wohl!
HUGO
dringend.
Wie heißt er?
OTTO.
Ihn zu fragen, hat die Mutter
Streng verboten; ungefragt
Aber hat er mir gesagt,
Daß er ist aus uns'rem Land,
Und der Mutter anverwandt.
[57] Alles kennt er in Tortosa,
Und beschrieben hat er mir
Meine Tante, Donna Rosa,
Wie sie leibt und lebt, und –

Lächelnd.

schmält.
Sicher wird er dir gefallen.
HUGO
vor sich.
Schwerlich – Hm! Warum just heut?
Dieser Tag ist nicht der beste,
Einen Spanier zu empfangen.
OTTO.
Er ist gut und trägt Verlangen
Dich zu sehen. Soll er kommen?
HUGO.
Nein, noch nicht! Bis ich vernommen
Von Elviren –
4. Szene
[58] Vierte Scene.
Elvire. Die Vorigen.

ELVIRE
tritt im heftigsten Affekt ein, sie kann kaum sprechen.
Hugo! –

Sie tritt nahe an ihn, und sagt mit gellendem Tone.

Jerta!
HUGO.
Was soll dieser Blick bedeuten,
Und der schneidend laute Ton?
ELVIRE.
Ha, Verräther! – Bleichst du nicht,
Wenn ich Jerta's Namen nenne?
HUGO.
Du bist sinnlos!
ELVIRE.
Daß ich's wäre!
Oh, Elvire! – So betrogen –
So zerrissen dieses Herz!
[59]
OTTO.
Sag', Herr Graf, was hat die Mutter?
HUGO.
Du vermagst es nicht zu fassen.
Schlangen von der Furie Scheitel
Winden sich um ihre Brust;
Laß uns, bis sie ist genesen.

Otto geht ab.
ELVIRE
aufstehend aus dem Sessel, in den sie sich geworfen hatte.
Darum mußtest du zurück
Nach dem frosterstarrten Norden,
Weil du eine Blume wußtetst,
Dir erblühend unter'm Schnee?
Darum ward ich weggelockt
Von dem heimatlichen Herde,
Von der gottgeweihten Erde,
Wo die Jungfrau man verehrt,
Daß du hier die Jungfrau lieben,
Und die Gattin opfern könntest?
Darum nannte diese Schwester
[60] Heute sich mit frecher Stirne
Meine Nebenbuhlerin –
HUGO.
Halt! – Geuß aus dein Gift, daß es
Seine Schale nicht zerfresse!
Doch auf mich nur, nicht auf diese
Reine Seraphseele.
ELVIRE.
Rein?
Oh, vertheid'ge sie, ich flehe!
Sie und dich vertheidige!
Oder – kannst du's nicht, gestehe!
Nur Gewißheit gieb mir, daß ich
Lebe, oder untergehe!
HUGO.
Soll ich Heiliges vertreten
Gegen schmählichen Verdacht?
Wie die Engel Menschen lieben,
Ist ihr Herz mir zugewandt;
Und wie du zur Jungfrau betest,
Schaut mein Aug' empor zu ihr.
[61]
ELVIRE.
Nein, ihr sollt nicht! Ich allein,
Ich will dich besitzen! – Mein,
Keines Engels sollst du seyn!
Gottes selbst nicht!
HUGO.
Rasende!
Lästre! Lästre seine Donner
Nieder nur auf unser Haupt!
Wie du sagst, so, fürcht' ich, ist es:
Als ich dich begann zu lieben,
Hab' der Höll' ich mich verschrieben.
ELVIRE.
Oh, mein Kopf brennt fieberisch! –

Nach einer Pause.

Als sie heute dich beschrieb,
Wie du, stolz gleich Nordens Tannen,
Eine Zierde seiner Mannen,
Aufgewachsen neben ihr;
Wie sie mir den Krieger malte,
Mächtig, einen Thron zu bauen,
Und den Sieger, zarten Frauen
[62] Heiß ersehnt in stiller Brust –
Warum strahlte
Da von Lust
Ihr Gesicht?
Warum hehlte
Sie der Freundin
Mondenlang,
Daß das Band des Blutes fehlte?
HUGO.
Ungerechte! Weil ich es
Heute, jetzt erst ihr erzählte.
ELVIRE
zweifelnd.
Wie? Sie wußte nicht –? Und du –
HUGO.
Nicht zu stören ihre Ruh,
Barg ich es der Aelternlosen,
Daß sie keinen Bruder hatte.
Als ich's ausgesprochen, weinte
Sie um das zerriss'ne Band,
Das uns selig sonst vereinte.
Zwischen uns die Scheidewand,
Die gesunk'ne, neu zu bauen,
[63] Ging sie, dir sich zu vertrauen.
ELVIRE.
Wenn du wahr sprächst! – Sieh, ich ließ
Sie nicht enden! wüthend stieß
Ich sie weg von meiner Brust.
Wenn sie's wirklich nicht gewußt –!
HUGO.
Hätte sie's bis jetzt verschwiegen,
Warum sagte sie es jetzt?
ELVIRE
mit Rückkehr.
Hugo!
HUGO.
Folge deinem Blut,
Das, gekocht am Strahl in Süden,
Nur im Morde findet Frieden,
Wenn es Eifersucht bewegt.
Misch' ihr Gift! Ich weiß, du hast
Stets davon nach eurer Sitte.
Mich durchstoß' in der Umarmung
Mit dem Stahle, den du trägst,
Und, wahrhaft mich zu besitzen,
Saug' das Blut mir aus der Brust,
[64] Daß es, wie die Milch der Mutter,
Dich durchdring' im tiefsten Leben!
ELVIRE
zagend.
Hugo! – Kannst du mir vergeben?
HUGO.
Ich beklage dich und mich.
ELVIRE.
Kann es Jerta?
HUGO.
Sicherlich!
Sie, sich keiner Schuld bewußt,
Darf die Stirne frei erheben,
Und verachten den Verdacht.
Wir – nun ja, wir haben Macht,
Uns'rer Treue nicht zu trauen,
Wenn wir –

Halb vor sich.

wenn wir rückwärts schauen.
ELVIRE
erschüttert.
Hugo! – Woran mahnst du mich!
Karlos Gattin liebte dich;
Darum quält die Eifersucht
Furienartig nun die deine.
[65]
HUGO
dumpf.
Heut'! – ja, ja! – Heut' ist verflucht.
ELVIRE
ängstlich.
Heut'? – Was meinst du?
HUGO.
Was ich meine?
Ist's der Tag nicht, wo er sich
Hat erschossen –?
ELVIRE
sich verhüllend.
Oh! Allmächt'ger!

Die Kerzen sind nach und nach verloschen und das Zimmer wird düster.
HUGO.
Weißt du noch? In der Kapelle –
Wie wir da uns heimlich sprachen
Auf den Särgen deiner Väter?
Und – wie am Begräbnißtage,
Innen Lust und außen Klage,
Wir –
ELVIRE.
Halt ein, du tödtest mich!
[66]
HUGO
nach geraumer Pause, dumpf, am Ende mit Geisterfurcht.
Wenn er käme – käm' in dieser
Bösen Stunde, wo die Liebe –
Ausgebrannt, wie diese Kerzen,
Aufgezehrt vom Sinnentriebe –
Nicht mehr leuchtet in den Herzen!
Wenn er stieg' aus deiner Ahnen
Gruft, uns daran jetzt zu mahnen,
Jetzt – –
ELVIRE
schaudernd.
Entsetzlich!

Kurze Stille. Es wird geklopft, Hugo und Elvire fahren tief erschreckt zusammen.
BEIDE.
Ha!
5. Szene
[67] Fünfte Scene.
Die Vorigen. Valeros tritt ein, Otto an der Hand, welcher ein Licht hält.

HUGO
der furchtsam sich nach der Thür gewendet, und einige Schritte dahin gethan, prallt entsetzt zurück.
Sein Geist!
VALEROS
bleibt bestürzt stehen.
Wie? –

Zu Otto.

Du irrst im Zimmer, Kleiner,
Ist das –?
ELVIRE
ihn in's Auge fassend.
Don Valeros!
HUGO.
Wer?
ELVIRE.
Karlos Vater!
VALEROS.
Ihr erkennt mich?
[68]
ELVIRE.
Ja, ihr seid's! Verzeiht – Ihr findet –
VALEROS.
Mir verzeihet, und dem Knaben,
Der nicht mehr zu halten war,
Als ich einmal mich entdeckt.
Wenn ich, ungemeldet kommend,
Wie ein Geist euch hab' erschreckt,
Biet' ich euch die Hand, zum Bürgen,
Daß ich lebe.

Elvire küßt seine Hand mit Innigkeit. Er umarmt sie gerührt.

Tochter!

Zu Hugo.

Ihr
Seht mich heut' zum ersten Male.
Daß mir's zukommt, eure Dame
»Tochter« zu begrüßen, mag
Sie, und dieser Brief bewähren,
Des Gesandten Hand und Siegel.
HUGO
der den Brief nahm, ohne das Auge von Valeros Gesicht wegzuwenden.
O, fürwahr, ihr braucht der Zeugen
[69] Nicht – die Aehnlichkeit mit Karlos
VALEROS
weich.
Sie ist alles – alles, was
Mir geblieben ist vom Sohne!

Nach einer Pause.

Ihr, Herr Graf, ihr seid der Erbe
Seiner beiden schönsten Güter:
Seiner Wittwe Gatte, seines
Sohnes Vater! Beider Liebe
Ist eu'r Eigenthum geworden.
Ich – hab' niemand. – – Mögt ihr's tadeln,
Daß der Arme mit dem Reichen
Solches Erbe kommt zu theilen?
HUGO
giebt ihm die Hand.
Seid willkommen, Ritter!
ELVIRE.
Euch
Konnten wir uns nicht vermuthen.
HUGO.
Wenn mir recht ist, war't ihr ja
In Westindien Gouverneur?
[70]
VALEROS.
Vor neun Jahren zog ich hin,
Mir das goldne Vließ zu holen,
Das den Spanier ewig lockt.
Ich errang's; doch minder glücklich
Als der Argonauten Führer,
Der ein Weib fand über Meer,
Hab' ich meines dort begraben.
Glücklich, einen Sohn zu haben,
Der, geehrt im Mutterland,
Trost und Ruh mir konnte geben,
Ward die Bitte fortgesandt,
Mich des Amts zu überheben.
Die Gewährung kam; dabei
Lag die Nachricht, Karlos sei –

Sehr weich.

Eingegangen in das Leben.

Nach einer Pause der Erholung.

Günstig linde Lüfte dehnten
Weit des Schiffes Flügel aus,
Und das leicht bewegte Haus
Trug die Pilger, die sich sehnten
[71] Nach der Heimath, fröhlich fort.
»Land!« erscholl's; an straffen Tauen
Klimmten sie empor vom Bord,
Spaniens Küste zu beschauen,
Die im sonnenhellen Tag
Auf der See wie Nebel lag. –
Wehmuth nicht; ein seltsam Grauen
Faßte mich, als ich den blauen
Nebel sich gestalten sah.
Bilder, dunkel und doch nah,
Hingen drohend um mich her.
Bang und schwer
Trat ich auf der Heimath Boden.
Weinen wollt' ich um den Todten;
Aber keine Thräne rollte,
Und, wie vor mir selbst entsetzt,
Stand ich vor Tortosa's Thoren.
Nicht, als hätt' ich ihn verloren
Nein, mir war, als ob ich jetzt,
Jetzt erst ihn verlieren sollte.

Hugo wankt und hält sich an einem Stuhl.

Fehlt euch etwas, Graf? Ihr seid
[72] Blaß!
HUGO
sich erholend.
Ein Schwindel. – Uebelkeit
Von der Anstrengung der Jagd.
ELVIRE
bestürzt.
Lieber Hugo!
HUGO.
Wie gesagt,
Nichts. – Nichts, was euch dürfte stören;
Sprecht nur fort, und laßt mich hören!
's ist vorüber.
VALEROS.
Nein, fürwahr!
Wenn ihr krank seid, möcht' ich euch,
Was zurück ist, nicht erzählen
ELVIRE.
Soll uns dunkles Ahnen quälen?
Redet!
VALEROS
zu ihr tretend.
Saht ihr Karlos Leich'
Auf der Bahre?
[73]
ELVIRE.
Nein; ich war
Außer Stand –
VALEROS.
Im Sarge?
ELVIRE.
Nein.
OTTO.
Ich – ich habe sie gesehn!
Schwarz behangen war der Saal,
Aber hell vom Kerzenschein,
Und im Bette, lang und schmal,
Lag der Vater, bleich, doch schön,
Wie ein weißes Marmorbild –
Sichtbar nur bis an die Brust,
Die der Sammetmantel deckte
Mit dem Calatrava-Sterne. –

Mit Thränen in den Augen.

Viele, aus der Näh' und Ferne,
Kamen, weinten sehr und küßten
Ihm des Mantels goldnen Saum:
Denn den Sammet aufzuheben,
[74] Und die Hände zu berühren,
War verboten, weil man ihn
Köstlich balsamiret hatte.
VALEROS.
Oh! hätt' ich ihn nie gesehen
In dem lang' verschloss'nen Sarg,
Der das Grausende verbarg!
Ist es – ist es nicht geschehen –?
Einerlei! Für mich ist's da,
Was mein inn'res Auge sah,
Als der Deckel ward gehoben,
Und der Mantel weggezogen!
ELVIRE
geängstiget.
Was? – ich bitt' euch, Vater, was?
VALEROS
seine Kraft zusammennehmend zu der Schilderung.
Eine Hand auf seiner Wunde,
Und den rechten Arm gespannt,
Niederwärts, die Faust geballt,
Und der Augen hohe Bogen
Wie im Zorn herabgezogen,
Schien der stumme Mund zu sagen:
[75] »Räche mich! ich bin – erschlagen!«
ELVIRE.
Jesus Christus! – Wenn das wäre!
HUGO
bleich, mit wankenden Knieen, am Stuhl sich haltend, und mit starren Blicken.
Ja, das wär' entsetzlich!
OTTO
zu Valeros.
Höre,
Schweig davon! Herr Hugo ist
Krank jetzt –
HUGO
mit Anstrengung, rasch.
Schweig du selbst! – du bist
Kindisch! – Weiter, weiter nur!
Eure Ahnung – keine Spur –?
VALEROS.
Wie er da im Sarge lag,
Fand man ihn im Walde. – So,
(Das bezeugten seine Diener,
Die mich in die Gruft geleitet.)
So die Hand, den Arm, die Miene –
Nirgends weiter eine Wunde,
[76] Als der Kugel Weg durch's Herz!
Und die Hand wie angewachsen
Auf der Wunde, und die Faust
Nicht zu öffnen, und der Arm
Nicht zu beugen an der Leiche!
Vor mir, in mir ging es auf,
Wie ein Nordlicht, das den Wald
Blutigroth und matt beleuchtet.
Nicht ein Argwohn war's; ein Schauen
Und ein Drängen nach der Gegend,
Die des Nordlichts Graus gebiert.
So durch Frankreich zog's mit mir,
Und durch Deutschland, über'n Belt,
Bis zu euren Eisgebirgen.
Rachsucht nicht – nicht die Begier
Seinen Mörder zu erwürgen,
Ist es, was mich durch die Welt
Drängt und zieht. – Ich such' ihn nicht;
Nein, es graut mir, ihn zu finden,
Und doch lechzt mein Geist nach Licht,
Wie das Aug' des halb nur Blinden.
Zweifelnd, ob ich vor ihm fliehe,
[77] Oder ihm entgegen ziehe,
Steht sein nie geseh'nes Bild
Wechselnd vor mir, mild und wild,
Und –

Zu Hugo tretend.

erklärt mir, Oerindur,
Diesen Zwiespalt der Natur! –
Bald möcht' ich in Blut sein Leben
Schwinden sehn, bald –

Sanft, fast weich.

ihm vergeben.
HUGO
kaum noch der Sprache mächtig.
Mir wird schlimmer – ich –

Er wankt nach der Thür.
VALEROS
zu Otto.
Mein Kind,
Nimm ein Licht, ihn zu geleiten.

Es geschieht. Elvire, starr vor sich hin sehend, scheint nichts zu bemerken. Hugo geht bis nahe an die Thür; als Otto mit dem Licht neben ihm ist, stürzt er ohnmächtig zu Boden.
OTTO
schreiend.
Ah!
VALEROS.
Mein Gott!
[78]
ELVIRE
erwachend aus der Erstarrung.
Was ist –?
OTTO.
Der Graf!
ELVIRE
zu ihm stürzend.
Jesus!
OTTO
nach der Thür rufend.
Hülfe! Hülfe! Hülfe!

Ende des zweiten Akts.

3. Akt

1. Szene
Erste Scene.
Valeros von Otto mitten in den Saal geführt.

OTTO.
Sieh dich um! – Gefällt dir's hier?
VALEROS.
Sehr.
OTTO.
Das ist der span'sche Saal;
Links und rechts die span'schen Zimmer.
[80] Gräfin Jerta nennt sie immer
So, und theuer sind sie ihr.
Ihre Mutter ist einmal
Lang' in unserm Land gewesen;
Diese hat mit vieler Müh'
Die Tapeten ausgelesen,
Und die Bilder, die du siehst,
Malen lassen. –

Zeigend.

Das da ist
Talavera.
VALEROS
nachdem er es angesehen.
In der That!
OTTO
vor einem andern Gemälde.
Das hier ist der Mont perdu.
Schau', ein Berg von solcher Höh',
Daß nie oben schmilzt der Schnee,
Niemand ihn erstiegen hat.
VALEROS.
Kenn' ihn.
OTTO.
Ist dir auch bekannt,
Daß er ist der Diamant
In der Pyrenäenkette,
[81] Die Europa's Halsband ist?
VALEROS
lächelnd.
Wer hat so ihn dir genannt?
OTTO.
Wer? – Ich weiß nicht, wie du bist
Als ob ich gelernt nicht hätte,
Daß Europa ist ein Weib;
Andre Länder sind der Leib,
Und wir Spanier das Gesicht.
Darum sehn wir stolz hernieder
Auf die andern, schlechtern Glieder.
VALEROS.
Sieh, der Kastilianer spricht
Aus dem Knaben schon.
OTTO.
Dem Knaben?
Leider gelten hier dafür
Alle, die mein Alter haben,
Und fürwahr, sie sind's auch hier.

Mit Selbstgefühl.

Unter unserm Sonnenlicht
Reifen früher alle Gaben.

[82] Zu einem dritten Gemälde tretend.

Diesen Ort hier kennst du nicht;
Es ist eine kleine Stadt,
Die Gesundheitswasser hat,
Liegt in Frankreich. Dort auch war
Jerta's Mutter.
VALEROS.
Sonderbar!
's ist Barège!
OTTO.
Kennst du sie?
Sie gefällt mir nicht so, wie
Talavera.
VALEROS
beklommen.
O, mir auch nicht!

Vor sich.

Muß ich hier mit neuem Schmerz
In die finstre Thalschlucht schauen,
Wo der Aberglaube zum
Unnatürlichsten Beginnen
Eine edle Seele trieb?
Jene Prophezeihung und
[83] Dieser schreckliche Verdacht –!
Eins, Gott sei gelobt! muß lügen.
OTTO.
Du verfällst in Traurigkeit
In dem schön verzierten Saale?
Das wird Hugo leid thun, mein' ich.
VALEROS
aus der Zerstreuung auffahrend.
Wem?
OTTO.
Dem Grafen. – Dir zu Ehren
Ließ er diesen Flügel öffnen!
In den Zimmern sollst du wohnen,
Und in diesem Saale will er
Diesen Abend mit dir seyn,
Und mit Jerta und Elviren.
VALEROS.
Ist er völlig wieder wohl?
OTTO.
Ziemlich. – Aber sagt' ich dir's
Nicht: du solltest schweigen – ihm
Nicht von meinem Vater sprechen?
Das verträgt er einmal nicht.
[84]
VALEROS.
Das ist seltsam.
OTTO.
O, ich weiß
Wohl warum?
VALEROS
angelegentlich.
Du weißt es? Rede!
OTTO.
Vater starb zu einer Zeit,
Wo der Graf sein Leben
Hätte d'rum gegeben,
Daß er nicht gestorben wäre.
VALEROS.
Woher weißt du das?
OTTO.
Sie waren
Gute Freunde, seit fünf Jahren,
Wo der Graf in uns'rem Land
Ankam, fremd und unbekannt.
VALEROS.
Wirklich?
[85]
OTTO.
Ja, der Vater hatte
Ihn so lieb beinah, wie mich.
VALEROS.
Und der Graf?
OTTO.
Der Graf ihn wieder.
VALEROS.
Meinst du?
OTTO.
Lieber noch als sich;
Denn er wagte ja sein Leben
Offenbar für Karlos d'ran.
VALEROS.
That er das?
OTTO.
Das will ich meinen!
VALEROS.
Wo und wie?
OTTO.
Nun hör' nur an:
's war ein Stiergefecht, ein kleines,
[86] Wo das Thier blos wird gehetzt.
Eh' das Spiel noch angefangen,
Stieg der Vater vom Balkon
Mit verschied'nen fremden Damen,
Welche dieß und jenes wollten
In der Nähe sehn, hinab
In den Zwinger. – Plötzlich sprang,
Schlecht verriegelt, auf die Thür
Von dem Stall.
»Der Stier, der Stier!«
Schrie's dort und hier;
Die Damen all
Entflohn geschwind,
Und warfen, furchtsam wie sie sind,
Am Zwinger vorn
Die Thür in's Schloß.
»Die Hunde los!«
Ward nun geschrien,
Doch nicht gethan.
Das Unthier schoß,
Gesenkt das Horn,
Auf Karlos an;
[87] Warf nieder ihn,
Und schrecklich dringt:
»Er ist verloren!«
In unsre Ohren.
Auf einmal springt
Schnell wie der Blitz
Vom hohen Sitz
Hinab der Graf –
VALEROS
einfallend.
Ah! das war brav!
OTTO.
Und zieht den Degen
Und fällt verwegen
Zur Seite den wüthenden Ochsen an.
Der wandte sich,
Und er kam d'ran;
Allein der Stich,
Den er gleich Anfangs ihm gegeben,
War eingedrungen bis auf's Leben;
Und wie ihn eben
Der Stier durchbohren will,
Da stürzt er mit Gebrüll
[88] Zu seinen Füßen nieder,
Zucket und streckt die gewaltigen Glieder,
Und von »Bravo!« schallt die Gegend wieder.
VALEROS.
Sahst du selbst –?
OTTO.
Ich war dabei.
VALEROS
vor sich.
Ja, das löscht den Argwohn aus,
Und ich athme wieder frei
In dem ahnungsvollen Haus.

Zu Otto.

Habe Dank für die Beschreibung
Solcher spanisch-edlen That.
OTTO.
Was der Graf für Karlos wagte,
Hätte dieser auch gethan.
Sieh, und dennoch konnten solche
Freunde sich entzweien –
VALEROS.
Was?
Glimmt der böse Funke wieder?
[89] Wie geschah's?
OTTO.
Das weiß ich nicht.
Als der Vater stürzte, war es
Drei, vier Tage, daß sie sich
Zürnend nicht gesehen hatten.
Das nun eben quält den Grafen,
Daß sein Freund hat sterben müssen,
Eh sie wieder einig waren.
VALEROS
halb vor sich.
Das, ja, oder – das Gewissen.
OTTO.
Darum stürzt' er, außer sich,
Selber einer Leiche ähnlich,
Auf des Vaters Leiche hin.
»Karlos, bist du unversöhnlich?«
Jammert' er, und küßte ihn,
Und umarmte weinend mich,
Bis erschöpft er niedersank.
VALEROS.
Weinend, sagst du?

Vor sich.

Hm, gewöhnlich
Weinen Meuchelmörder nicht.
[90]
OTTO.
Darum macht's ihn trüb' und krank,
Wenn man von dem Unfall spricht,
Der, so sehr er's schien zu lieben,
Ihn aus Spanien hat vertrieben.
VALEROS
vor sich.
Seltsam! Wie mit ungewissem
Kriegsglück theilen Lieb' und Haß
Meines Busens engen Raum
Um den Menschen.
OTTO.
Horch! er kommt.
Nun will ich euch Jerta senden,
Die sich sehnet, dich zu sehn.

Ab.
2. Szene
Zweite Scene.
Valeros. Hugo.

HUGO
ernst.
Nochmals seid willkommen, Ritter,
[91] In der nordisch-finstern Burg.
Ihre freundlichsten Gemächer
Sind euch freundlich aufgethan.
VALEROS.
Freundlichkeit, Herr Graf, ist besser
Im Gesicht, als an der Wand.
HUGO.
Wand ist Todtes, und das Todte
Ohne Wandel; das Gesicht
Trägt des Augenblickes Farbe,
Bis es todt ist, wie die Wand.
VALEROS.
Möchte eures bald die seine
Aendern! – Ihr empfingt mich nicht
Wie den Vater eures Freundes.
HUGO
rasch.
Weil ihr so nicht seid gekommen.

Ruhiger.

Warum rißt ihr Wunden auf,
Die so tief und schmerzlich sind,

Die Hand auf die Brust.

Hier, wie in Elvirens Brust?
[92]
VALEROS.
In der That, bei beiden war
Ich sie tiefer nicht vermuthen,
Als im Vaterherzen.
HUGO.
Ihr
Habt zum mindesten gesehen,
Daß empfindlicher sie sind;
Denn was ihr erzählen konntet,
Hatten wir nicht Kraft zu hören.

Valeros sieht ihn prüfend an, er fährt fort.

Ihr seid Vater, und ihr weint,
Weil ihr einen Sohn verloren?
Ich verlor mich selbst in ihm!
Zauberisch hat dieser Mensch
Mich verdoppelt und getheilt,
Mich beseligt und zerrissen,
Wie im Leben, so im Tode!
VALEROS
zweifelnd.
Wie?
HUGO.
Ein frommer Rittersmann
[93] Reitet in den Herenwald,
Und vergißt das Kreuz zu schlagen.
Plötzlich fällt ein Heid' ihn an,
Von der nemlichen Gestalt,
Mit demselben Helm und Kragen.
Und der Christ ficht mit dem Heiden,
Und der Helm entstürzet beiden,
Und mit Grauen
Sieht, bei Zauberblitzes Licht,
Jeder Kämpfer sein Gesicht
Aus der fremden Rüstung schauen.
Dennoch, als der Blitz verschwunden,
Treibt der Nacht
Blinde Macht
Jeden wieder,
In die Glieder
Seines Feindes tiefe Wunden,
Die er selbst fühlt, einzuhauen.
So auch, seit mein irrer Fuß
Ist in Karlos Haus geschritten,
Bin ich mit mir selbst zerfallen
In zwei feindlich-fremde Wesen,
[94] Die sich immerdar befehden.
VALEROS.
Dunkel sind mir eure Reden;
Doch ihr malt im Räthselspiele
Ziemlich, was ich selber fühle.
Wechselnd bald, und bald zugleich
Eint es und entzieht mich euch.
HUGO.
So mit euch auch geht es mir.
VALEROS.
Welchem Triebe darf ich folgen?
HUGO
nach einigem Stillschweigen, schwer.
Haßt mich!
VALEROS.
Daß ich's nicht vermag,
Deutet, daß ihr's nicht verdienet.
HUGO
ohne aufzusehen.
Nun, so liebt mich!
VALEROS.
Dann, so scheint's,
Muß ich eure Gattin hassen.
[95]
HUGO
aufgeschreckt.
Wie? – Was meint ihr?
VALEROS.
Offen, Graf:
Eins von euch, so muß ich glauben,
Hat an Karlos sich vergangen.
HUGO.
Müßt ihr; nun so glaubt's von mir:
Denn an mir könnt ihr ihn rächen
Mit dem Degen in der Hand.
VALEROS.
Euch vertreten alle Stimmen,
Die in Spanien ich vernommen
Alle nennen euch: die Freunde.
HUGO
tief bewegt.
Ja, wir waren's! – Nehmt das Wort
Nicht, wie es die Mode giebt.
Von geheimnißvoller Macht
Zu einander hingezogen,
Einte unser Leben sich,
Wie zwei Ströme sich begegnen.
Einzeln schlängeln sich die Brüder,
[96] Kaum den Kahn zu tragen mächtig,
Schüchtern durch der Berge Lücken;
Doch vereinigt rauschen sie,
Reicher jeder durch den andern,
Hochgeehrt durch's offne Land,
Und mit schwerer Schiffe Last
Spielen leicht die stolzen Wogen.
VALEROS.
Gleicht das Gleichniß dem Verglichen;
War't ihr zu beneiden. – Wie
Einten sich, und wo, die Ströme?
HUGO.
Ohne Aeltern, ohne Brüder,
Keiner Seele blutsverwandt,
Nahm mich Talavera, wo
So viel edle Spanier leben,
Gastlich auf in seinen Mauern.
Karlos, damals dort noch heimisch,
Bis der König ihm befahl,
In Tortosa zu befehlen,
Lernt mich kennen; seine Wohnung
Wird mein väterliches Haus,
[97] Und mir ist, als hätten diese
Zimmer mich als Kind umgeben,
Diese ernsten Ahnenbilder
Von der Wand mich angesehn,
Und Gesichter, diesen ähnlich,
Und dem euren und dem seinen,
Meine Wiege schon umstanden.
Eine Heimath, die ich suchte,
War gefunden, Karl war mein,
Mein Kind war sein Sohn – Elvire
War mir werth, wie eine Schwester –

Schmerzlich.

Oh mein Karlos! –
VALEROS
ergriffen.
Edler Mann!
Nein, wer so geliebt, der konnte
So nicht fallen!
HUGO
aufgeschreckt.
Wie nicht?
VALEROS.
Laßt
Mich nicht sagen, was ich mich
[98] Je gedacht zu haben schäme.
Was ihr meinem Sohn gewesen,
Seid's dem Vater nun: Ein Freund!
HUGO
ihn starr ansehend.
Euch? – Doch ja, ihr könnt es wagen,
Denn ihr habt kein schönes Weib.
VALEROS
entsetzt zurücktretend.
Hugo!
HUGO
rasch und gepreßt.
Richtet nicht! Ihr seid
Mensch, besteht aus Geist und Leib,
Und gehört dem Himmel heut,
Und der Hölle morgen an.

Freier und gefaßter.

Rechtet mit der Sonnenbahn,
Die dem Scheitel naht in Süden,
Um der Unschuld goldnen Frieden,
Den der Sinne Wahn zerrissen,
Und zwei unbewachte Blicke.

Nach einer Pause.

Kennt ihr nun den Rittersmann,
Der in Zauberwaldes Nacht
[99] Ewig mit sich selber kämpfet?
Habt ihr Mitleid mit dem Armen,
Der den Freund liebt, und zugleich
Für des Freundes Gattin glühet?
Habt ihr Sinn für meine Qualen,
Wenn ich Karlos Wittwe küsse,
Und mir wilde Phantasien
Seinen unversöhnten Schatten
Auf die leeren Wände malen?
VALEROS.
Graf! Bin ich in vollem Lichte?
Weiß ich alles?
HUGO
mit Ueberwindung.
Alles, was
Mein zu freier Schaltung ist
Von der traurigen Geschichte.
VALEROS
nach einer Pause.
Rein sind sel'ge Geister nur.
Ich beklag' euch, Oerindur,
Richt' euch Gott, wie ich euch richte.
HUGO
halb vor sich.
Amen!
[100]
VALEROS.
Eure Damen kommen.
HUGO.
Freundlich, Ritter, mit Elviren!
Sie ist schuldlos.
3. Szene
Dritte Scene.
Elvire. Jerta. Die Vorigen.

VALEROS
nach stummer Begrüßung mit Jerta, zu Hugo.
Eure Schwester?
HUGO
mit einem schwach markirten Seufzer.
Ja und – nein!
ELVIRE
lebhaft.
Ja!
JERTA.
Nein, Herr Ritter!
ELVIRE.
Doch! euch eint ein heilig Band,
[101] Das mein Wahnsinn nicht soll trennen,
Und du mußt ihn Bruder nennen,
Bist du gleich ihm nicht verwandt.
JERTA.
Eine Schwester, lieb' ich euch,
Seine Gattin, ob ihr gleich
Schwer und kränkend mich verkannt.
VALEROS.
Schöne Frauen, weiht mich ein
In den edelmüth'gen Zwist!
Wenn das Gräfin Jerta ist,
Ist der Graf ihr Bruder.
JERTA.
Nein
Er trägt meines Stammes Namen
Durch des Königs Gnade.
HUGO.
So
Ist es, Ritter, mir zur Pein.
Menschen schenkten, nicht der Himmel,
Jerta's Aeltern mich als Kind.
[102]
VALEROS
gespannt.
Schenkten euch? – ihr kanntet eure
Aeltern?
HUGO.
Nein.
VALEROS
zu Jerta, rasch und angelegentlich.
War eure Mutter
Eine Deutsche?
JERTA.
Nein.
ELVIRE.
Ihr nehmt
Großen Antheil an der Sache.
VALEROS.
Eine ähnliche Geschichte –
Eine plötzliche Vermuthung,
Unterstützt durch diese Landschaft –
Es ist nichts.
HUGO.
Es könnte doch –
Theilt uns die Geschichte mit.
[103]
VALEROS.
's ist unmöglich, daß.
HUGO.
Ich bitte!
Diese Landschaft, sagt ihr? Just
Hier, in diesem kleinen Orte,
In Barège's Thale, schwindet
Meines Ursprungs dunkle Spur
Der ich mühsam nachgegangen.
Wenn ihr's für unmöglich haltet,
Daß mich aufklär' eure Kunde;
Ueberzeugt davon auch mich.
VALEROS
trübe.
Ungern mag ich einer Mutter
Unnatürliche Verirrung
Offenbaren.
ELVIRE.
Ihren Namen
Könnt ihr ja verschweigen
VALEROS.
Nun,
Um zufrieden euch zu stellen:
[104] Eines Edelmannes Gattin,
Laura, wunderlich erzogen,
Jedem Aberglauben treu,
Den als Kind sie eingesogen,
Liebte bis zur Schwärmerei
Ihren erstgebornen Sohn.
HUGO.
War sie eine Spanierin?
VALEROS.
Von kastilischem Geblüte.
HUGO.
Wirklich? Seht, das träfe schon.
VALEROS.
Ihren Sohn am Arm, und eine
Zweite Niederkunft erwartend,
Stößt sie einst, bei Talavera
Sich ergehend, auf ein Weib
Von zigeunerhaftem Wesen,
Wie sie häufig dort vom Stehlen
Oder Betteln, und daneben
Vom Prophetenhandwerk leben.
Laura weigert ihr die Gabe,
[105] Die sie unbescheiden heischt,
Und die Hocherzürnte kreischt:
»Tagelang wirst du dich quälen,
Eh' du quitt wirst deiner Last!
Ist, was du gebierst, ein Knabe,
Würgt er den, den du schon hast;
Ist's ein Weibsbild, stirbt's durch ihn
Und du fährst in Sünden hin!«
ELVIRE.
Eine grauenvolle Warnung!
VALEROS.
Dafür, leider, nahm es Laura,
Was alltägliches Beginnen
Ist bei jenen Bettlerinnen.
Eines Knaben ward sie ledig
Unter tagelanger Pein,
Und der Spruch, zur Hälft' erfüllt,
Ist ihr nun der Zukunft Stimme.
Als der Kleine – (Otto hieß er,
Weil den Namen seine Pathe,
Eine deutsche Gräfin, wählte.)
Als er kaum im Stande war,
[106] Auf den Füßen sich zu halten,
Zitterte die Mutter schon,
Ohn' es jemand kund zu geben,
Für des Erstlings theures Leben.

Von nun an rascher und wärmer.

Ich war auswärts mit dem Heere;
Laura geht mit jener Gräfin
In die Bäder von Barège,
Und im stark besuchten Orte
Nehmen beide Eine Wohnung.
Dieser Deutschen Kind, ein Knabe
Ungefähr von Otto's Alter,
Stirbt, als eben seine Mutter
Im Begriff ist, abzureisen
In ihr fernes Vaterland.
Laura, vorzubeugen dem
Schauderhaften Unglück, das
Die Zigeunerin geweissagt,
Wenigstens es zu entfernen,
Tritt – so weit kann Aberglaube
Schwache Seelen irre führen –
Tritt ihr Kind der Fremden ab,
[107] Die für immer von ihr scheidet,
Und – (im fremden Ort war's leicht,
Die Vertauschung zu verbergen)
Mir – mir lügt sie Otto's Tod
Bis zum Rand des eignen Grabes!
JERTA.
Euch, Herr Ritter?
VALEROS
sich besinnend.
Ah! – Ihr sehet,
Wie Valeros hat gelernt,
Von der Wahrheit abzubrechen.

Mit einem Seufzer schmerzlicher Erinnerung.

Laura war mein Weib!
HUGO
der mit höchster Spannung zugehört hat, fährt in sich zusammen.
Ha!

Er wendet sich ab.
ELVIRE.
Wie?
Donna Laura, Karlos Mutter,
Diese engelgleiche Seele,
Konnte das?
[108]
VALEROS.
Ja!
ELVIRE.
Darum also
Drang sie drauf, daß unser Knabe
Otto heiße? – Einen Enkel
Dieses Namens wollte sie
Für den Sohn, der so geheißen!
VALEROS.
Möglich; schwärmerischen Seelen
Ist ein Nam' oft viel. Wer weiß?
Daß ihr nun ein Otto ward,
Gab vielleicht ihr neue Stärke,
Bis zum Tod mir zu verhehlen,
Daß sie eines andern sich
Unnatürlich einst entäußert,
Und – um nie von ihm zu hören,
Nie die Schenkung zu bereuen –
Seiner neuen Mutter Briefe
Ungelesen stets verbrannt,
Bis sie keinen mehr erhielt.
So kam ich um einen Sohn,
[109] Und mein Karl um einen Bruder.
HUGO
sehr unruhig.
Haltet ein! Erzählt nicht weiter!
JERTA.
Graf, was ist euch?
ELVIRE
zu ihm eilend.
Hugo! was –?
HUGO.
Forsche nicht! du stehst am Rand
Einer fürchterlichen Tiefe.
VALEROS.
Fürchtet ihr, mein Sohn zu seyn?
HUGO
die Unruhe bekämpfend.
Nein, fürwahr! 's ist ja nicht möglich! –
Jene Dame, die den Knaben
Mitgenommen, kanntet ihr?
VALEROS.
Allerdings.
HUGO.
Und habt sie nun
Aufgesucht in Deutschland?
[110]
VALEROS.
Ja. –
Sie war todt, seit Jahren; doch –
Sonderbar genug – man wußte
Nichts im Haus von einem Knaben,
Nichts von ihrem Aufenthalt
In den spanischen Provinzen
Und den Pyrenäenbädern.
Auch ein Bildniß, das man mir
Als das ihrige gewiesen,
Hatte wenig Aehnlichkeit –
HUGO
vor sich hin starrend.
Wenn es wäre!
VALEROS.
Kann es denn?
JERTA
lebhaft.
Ja, es kann! in Spanien führte,
Wie Graf Hugo wissen will,
Meine Mutter eines deutschen
Hauses Namen.
VALEROS.
Hätte sie
[111] Einer Freundin wohl den wahren
Jahre lang verhehlt?
JERTA.
Sie war
Protestantin, und verwandt
Einem protestant'schen Throne.
VALEROS.
Ah, dann freilich war's gefährlich,
Als sie dort war, ihn zu nennen.
JERTA.
Nun? und ihre Briefe las
Laura nicht, wie ihr versichert?
VALEROS.
Nein.
JERTA
freudig rasch.
's ist möglich!

Zu Hugo.

Wißt ihr, Graf,
Wie sich Hanna dort genannt?
HUGO
kämpfend.
Nein!
JERTA.
Nicht?
[112]
VALEROS.
Hanna? Eurer Mutter
Vornam'?
JERTA.
Ja. Ob sie auch diesen
Dort geändert, weiß ich nicht.
VALEROS
bewegt.
Gott! Wär's möglich? Anna nannte
Meines Weibes Freundin sich!
Anna, Gräfin –
HUGO
in höchster Angst einfallend.
Nein, nein, nein!
Nennt den Namen nicht, nur jetzt –
Jetzt nicht! –

Alle sehen ihn erstaunt an.

Oh, es wär' entsetzlich!
JERTA.
Nichts kann hier der Nam' erklären,
Da Graf Hugo den nicht kennt,
Welchen Hanna angenommen. –
Euer Auge, Herr, entscheide!

[113] Sie winkt Valeros vor eine Seitenthür, öffnet sie und deutet hinein.

Schaut in dieses Kabinet:
Das ist meiner Mutter Bild.
VALEROS.
Gott im Himmel!

Im Hineineilen rufend.

Gräfin
Salm!

Jerta folgt ihm.
HUGO.
Oh! so decket mich, ihr Hügel!
Berge, stürzet über mich!
ELVIRE.
Hugo! Was, um Gotteswillen –?
VALEROS
mit Jerta schnell wieder heraus, entzückt.
Ja, sie ist es! – Oerindur!
Du bist Otto! bist mein Sohn!

Er will ihn umarmen, Hugo wehrt es mit vorgestrecktem Arm, das Gesicht abgewandt.
JERTA.
Faßt euch, Graf! die Sach' ist klar.
[114]
HUGO
dumpf.
Klar! o ja! – die Höll' ist offen,
Und ihr falber Wiederschein
Leuchtet in die Nacht hinein,
Daß die Wege sichtbar werden,
Die der Teufel geht auf Erden.
VALEROS.
Oerindur! Ich steh' betroffen
Vor euch!
ELVIRE.
Mensch! Was weißt du noch?
HUGO.
Oh! es tödtet dich! – Und doch –
Solches Wissen zu bewahren,
Hat die Menschenbrust nicht Raum!
JERTA.
Sprecht! Ihr müßt es offenbaren.
HUGO.
Durch Zigeunermund und Traum,
Droht die Hölle mit Gefahren,
Wo sie weiß, daß man ihr glaubt.;
Und das Licht verlöscht im Haupt,
[115] Eure Sinne sind verwirrt,
Unvernünftiges geschiehet,
Und das Ungeheure wird
Wirklich, eben weil ihr's fliehet. –

Feierlich.

Mutter! Einen Theil der Schuld
Mußt du vor dem Richter tragen!
ELVIRE
ahnend.
Jesus!
HUGO.
Fleh' zu seiner Huld!
VALEROS
ebenfalls mit Ahnung.
Otto!
HUGO.
Kain! müßt ihr sagen;
Karlos fiel von meiner Hand!

Valeros wankt und fällt in einen Sessel. Jerta tritt entsetzt zurück.
ELVIRE
wendet sich ab; die Hände gefaltet und verwendet vor der Stirn, schreit sie, an ihren Traum denkend.
Tiger!

Sie stürzt ohnmächtig nieder.
[116]
JERTA
eilt zu ihr.
Gott! sie stirbt!
HUGO
langsam zu Valeros tretend, mitleidig.
Ihr sucht
Einen Sohn, den ihr verloren,
Eh' er euch noch hat gekannt?
Weh dem Auge, das ihn fand,
Und – nicht weinen kann!
VALEROS
richtet sich mit Anstrengung auf.
Verflucht
Sei der Tag, der dich geboren,
Und die Kräfte, die dich zeugten,
Und die Brüste, die dich säugten,
Ungeheuer! das der Nord
Auferzogen hat zum Mord,
Und gereift des Südens Glut –

Er sinkt erschöpft wieder in den Sessel.
JERTA
noch mit Elviren beschäftigt.
Oh! daß ich den Gräul enthüllte!
HUGO.
Das, und das allein, ist gut!
[117] Seht, was ich – und ich nur, wußte,
Und mit Angst bewahren mußte,
Daß die traurige Geschichte
Fremdes Glück nicht mit vernichte,
War ein schleichend Feuer, füllte
Meine immer bange Brust,
Wie ein fest verschloßnes Haus,
Mit Gefahr und Unruh' aus.
Flut und Glut war wechselnd Meister,
Und des Lebens scheue Geister
Rangen zwischen Qual und Lust;
Und die Brust, wo Flammen wühlen,
Will in Lust und Qual sich kühlen,
Und der Herr, gleich seinen Rüden,
Sucht im Schweiß des Wildes Frieden. –

Nach einem freien Athemzuge.

Nun ist's gut! die Flamme brach
Mit dem Worte, das ich sprach,
An das Tageslicht heraus. –
Nun ist's Friede! Ausgebrannt,
Aber ruhig, steht das Haus.
[118]
ELVIRE
hat in Jerta's Armen sich aufgerichtet.
Jerta! – Warum laßt ihr mich
Los nicht von des Lebens Band?

Vor sich hin starrend.

Karlos blutbefleckter Schatten
Zeigt die Wunde mit der Hand,
Und die Faust droht meinem Gatten.

An Jerta's Halse sich verbergend.

Oh! –
VALEROS.
Klar – alles! fürchterlich!
Dunkler Vorgefühle Drohn
War das Sehnen, und das Grauen,
Den von Angesicht zu schauen,
Der es that – – Er ist mein Sohn!
HUGO.
Meinen Feind wähnt' ich zu tödten,
Mehr hab' ich nicht zu vertreten.
Karlos, glühend, ein Verbrechen,
Das ich nicht beging, zu rächen,
Dachte gegen mich auf Mord.

Auf Elviren deutend.

[119] Diese sandt' ein warnend Wort
Heimlich mir –
ELVIRE.
O Gott! – Es war
Meine Angst nur vor Gefahr!
Erste Wuth nur –
HUGO.
Nein, fürwahr!
Ihn zu sühnen, zog ich aus –
Spottend lud er mich, mit Schmaus
Seiner Hochzeit Jahresfeier
Nächstens bei ihm zu begehen! –
Kennt ihr Eifersucht? – Ihr Feuer
Trieb mich in den Wald hinaus!
Und am Baum sah ich ihn stehen
Neben dem beschäumten Roß,
Und dem Wild, daß er erlegte,
Und das zuckend noch sich regte.
Und das tödtliche Geschoß
War in meiner Hand, sein Leben
In der Kugel Macht gegeben!
Einen Finger durft' ich rühren,
[120] Um – Elviren heimzuführen. –

Mit metalloser Stimme.

Seht! – da blitzt' es auf vom Schloß,
Und das Blei flog aus dem Rohr –
Und – ein Schrei schlug an mein Ohr –

Er hält erschöpft inne.
JERTA
mit Schauder und Mitleid ringend.
Oh! der Hölle Macht ist groß,
Und an Einer Fiber Bebung
Hangt die Wonne wie der Graus!

Flehend.

Gattin! – Vater! – Sprecht Vergebung
Ueber den Gefallnen aus!
ELVIRE
erweicht, aber ohne Hugo anzusehen.
In der wahren Kirche Schooß
Wird der Sünder sündenlos –
Rein'ge dich an heil'ger Stelle!
VALEROS
aufgerichtet von diesem Gedanken.
Ja, mein Sohn, zieh hin nach Rom,
Wirf dich auf des Altars Schwelle,
Und empfang' in Petri Dom
Ablaß von geweihter Hand.
[121]
JERTA
ernst warnend, halblaut zu Hugo.
Hugo, du bist Protestant!
VALEROS
mit Schmerz von ihm weg.
Gott!
JERTA
fortfahrend.
Halt fest an deinem Glauben!
Schnöder Abfall könnte dir
Deines Gottes Ablaß rauben
HUGO.
Ich bin Christ, und Mensch! und hier
Fühl' ich's tief: Es wäscht ein Wort
Mich nicht rein vom Brudermord.

Mit trübem Ernst.

Aber – einen andern Dom
Weiß ich, einen stolzern Bau,
Als Sanct Petri Haus zu Rom;
Der steht allen Sündern offen,
Die auf Gottes Gnade hoffen,
Was auch immer sei ihr Glaube.
Hoch im Bogen, saphirblau,
Wölbt die Kuppel prächtig sich,
Und in ihrer weiten Haube
[122] Seht ihr, wenn ihr kommt im Dunkeln,
Bilder in Brillanten funkeln.
Fünf von ihnen schaun auf mich,
Wie mein eignes Leben nieder:
Denn ein Stier ist's und zwei Brüder,
Und ein Weib, der Schönheit Kron',
Und ein Schütz und Scorpion.
In der Frühe Strahl erbleichen
Die bedeutungsvollen Zeichen,
Und ein Opferaltar baut
Auf sich in der weiten Halle,
Und die fromme Menge schaut
Bei der Grabeslieder Schalle
Nach dem Opfer wartend hin
Auf den Altar – –

Er hält einen Augenblick inne.

Kennt ihr ihn?
Thoren nennen ihn – Schaffot.

Alle erschrecken sichtbar; er endet nun rasch und fest.

Dort ist, oder nirgends, Heil,
Dort versühnt das Henkerbeil
[123] Mich mit mir – vielleicht mit Gott!

Er geht rasch ab.
ELVIRE
eilt ihm nach.
Hugo!
VALEROS
folgt ihr.
Otto!
JERTA
folgt langsamer.
Oerindur!
VALEROS
schon unter der Thür.
Willst du meinen Namen schänden?

Ab.
JERTA
geht von der Thür langsam wieder vorwärts, mit Thränen im Auge.
Unglücksel'ger! – Wunder nur
Können deinen Unstern wenden!

Mit Entschluß.

Aber – so darfst du nicht enden.

Ab; indem sie geht, fällt der Vorhang.
Ende des dritten Akts.

4. Akt

1. Szene
Erste Scene.
Jerta schreibt. Kolbert steht wartend im Saal. Kerzen brennen. Es herrscht tiefe Stille, und man hört die Wanduhr Eilf schlagen.

JERTA
ohne sich zu unterbrechen.
Ist der Graf zur Ruh?
KOLBERT.
Noch nicht;
Doch verließ der gnäd'ge Herr
Auch sein Zimmer noch nicht wieder.
JERTA.
Ihr war't bei ihm?
[125]
KOLBERT.
Ja.
JERTA.
Er hat
Nicht mit euch gesprochen?
KOLBERT.
Mit sich selbst scheint er zu reden,
Oder – wenn ich's sagen darf-
Mit dem Bild, das vor ihm steht,
Und das ich noch nie gesehen.
JERTA
scheinbar gleichgültig.
Kümmert euch nicht um den Inhalt
Seiner Selbstgespräche; er
Ist nicht wohl.
KOLBERT.
So muß ich glauben.
JERTA.
Seine Ohnmacht von vorhin
Hat ihn heftig angegriffen;
Dazu kommt –

Sie sieht Kolbert an.

Ihr waret stets
[126] Uns'res Hauses treuer Diener,
Euch mag ich's wohl sagen: Er
Hält sich für die Ursach eines
Unfalls, der den Freund getödtet,
Dessen Bild ihr habt gesehen.
KOLBERT
lebhafter, als vorhin.
So etwas war ich vermuthen,
Denn –
JERTA
unterbricht ihn eben so.
So müßt ihr alles deuten,
Was ihr etwa hört und seht. –
Diener, die zu seines Zustand's
Räthsel nicht den Schlüssel haben,
Taugen, bis er ruhig ist,
Nicht um ihn. – Versteht ihr mich?
KOLBERT.
Niemand naht ihm, außer mir.
JERTA
den Brief faltend.
Recht! Und nun besorgt, daß gleich
Angespannt ein Schlitten werde.
KOLBERT.
Wohl.
[127]
JERTA.
Den Sekretär bedeutet,
Daß auf meinem Zimmer er
Seinen Auftrag wird empfangen.
Ich erwart' ihn, ausgerüstet,
Auf der Stelle abzurufen
Nach der Hauptstadt. Sagt ihm das!

Kolbert geht ab.
2. Szene
Zweite Scene.
JERTA
allein, sie hat die Adresse geendigt, und betrachtet den Brief.
Ihn den Mächten zu entringen,
Die aus Unheil Unheil schmieden,
Laß der Schwachen es gelingen!
Laß, Allmächtiger, hienieden
Jerta Hugo's Engel seyn!
3. Szene
[128] Dritte Scene.
Jerta. Elvire im Schleier, mit Rosenkranz und Crucifix.

JERTA.
Wie? So spät in dieser Tracht?
War't ihr bei der kalten Nacht
In der fernen Schloßkapelle?
ELVIRE.
Auf des Kreuzes Fußgestelle
Lag ich lang' – Umsonst! Hier ist
Nicht mein Glaube, nicht mein Christ,
Kein geweihtes Haupt, der Sünden
Die Gequälte zu entbinden!
JERTA.
Gott ist überall.
ELVIRE
in schwärmerischer Bewegung.
Du bist
Rein vor ihm, wie frischer Schnee;
Deine Heimath ist die Höh',
Und der Strahl von ihrem Lichte
[129] Ruht auf deinem Angesichte!

Sie wirft sich vor ihr mit dem Ausdruck einer Betenden nieder.

Jungfrau, laß zu deinen Füßen
Die geheime Schuld mich büßen,
Höre mein Bekenntniß an!
JERTA.
Gräfin! Gott, ihr fallt in Wahn!
Stehet auf!

Sie richtet sie auf.

Des Gatten That
Ist die eure nicht.
ELVIRE.
Sie ist's!
Oh, sie ist's, weil ich sie wußte!
JERTA
mit Bestürzung.
Wie?
ELVIRE.
Weil ich sie wissen mußte
Nach der schrecklichen Vollendung.
Sinnenwahn band meinen Sinn;
In freiwilliger Verblendung
Gab ich mich dem Mörder hin,
Und die Ahnung, die nicht Raum
[130] Fand im sündlichen Gemüthe,
Fiel mich an im blut'gen Traum.
JERTA.
Ihr seid sinnreich, euch zu quälen.
So nicht richtet Gottes Huld,
Wie ihr selber euch verdammt.
ELVIRE.
Ich hab' ihn zum Mord entstammt,
Mein ist mehr, als sein die Schuld.

Mit sich kämpfend.

Karl – war kränklich – Hugo hoffte – –
Ich – – –

Jerta blickt sie mit dem Stolz der Unschuld an, und will sie verlassen.

Du gehst? – O Jerta, bleib!
Laß das unglückselige Weib
Der Verzweiflung nicht zum Raube.
JERTA.
Laßt mich, Gräfin, eh' ich euch
Der Verzweiflung würdig glaube.
ELVIRE.
Nein! So wahr das Himmelreich
[131] Sich der Reue nicht verschließet,
Mitleid wirst du mir nicht weigern.
Karlos Vater – ich verklage
Ungern ihn – auch er hat Schuld.
Ich bin fürstlichen Geblütes,
Aber früh ward ich verwaist;
Er, hoffärtigen Gemüthes,
Kastilianer, wie du weißt,
Warb für Karl; im Flügelkleide
Ward ich seines Sohnes Braut.
Drei Jahr' drauf ward ich getraut.
Kinder waren wir noch beide,
Kinder an Gemüth und Geist.
Ich ward Mutter – ohne Liebe –
Hugo kommt – der Schleier reißt,
Der mir barg, was ich entbehrte.
Das Verbot der Pflicht vermehrte
Die Gewalt der süßen Triebe –
Oh, was hab' ich nicht gerungen,
Und in brünstigem Gebet
Oft der Jungfrau Knie umschlungen!
Sie verwarf mich; denn zu spät
[132] Floh ich zu ihr –

Sie faßt Jerta, die mit wachsender Theilnahme sich ihr genähert, bei der Hand.

Jerta, du
Hast ihn auch geliebt, du weißt,
Daß er mörderisch die Ruh'
Aus des Weibes Busen reißt.
JERTA
mit Würde, die in Mitleid schmilzt.
Das nicht weiß ich; doch ich fühle,
Unglücksel'ge, deinen Schmerz.
Wirst du's tragen, ihn zu missen?
ELVIRE
erschüttert.
Gott!
JERTA.
Du bist erschreckt?
ELVIRE
mit Selbstbeherrschung.
Das Herz
Weichet blutend dem Gewissen.
Seine That sprengt meine Ketten,
Nie will ich ihn wiedersehn!
JERTA.
Wohl! So hoff' ich ihn zu retten.
[133]
ELVIRE
ängstlich.
Retten? – Gott, was ist geschehn?
Ist Gefahr?
JERTA.
Du fragst? Wie könnt' er
Leben unversöhnt mit sich?
ELVIRE.
Oh, wie sühnt man solche That?
JERTA.
Thaten heben, wie sie stürzen.
Großes muß er unternehmen,
Sich am eignen, stolzen Werke
Aufzurichten von dem Falle.
ELVIRE
gespannt.
Was?
JERTA.
Ein mächt'ger Feind besitzt,
Von der Ostsee Flut beschützt,
Seines Lehnherrn ferne Staaten;
Eine Flotte liegt im Hafen,
Und der König sucht ein Schwert,
Stark, ein Räubervolk zu strafen,
[134] Das sein Eigenthum verheert.
Dorthin, auf das Feld der Thaten,
Muß Graf Hugo –
ELVIRE.
Ah! Wie kann –?
JERTA.
Hat er nicht als tapfern Mann
Unter Edwin, meinem Vater,
Sich der Krone schon bewährt?
An den Herzog, meinen Ohm,
Geht dieß Schreiben heut noch ab,
Daß er in des Grafen Namen
Um das Heer den König bitte.
ELVIRE.
Billigt Hugo denn –?
JERTA.
Er wird.
Ist's der Tod nicht, den er suchet?
Nun, den kann er dort ja finden!
ELVIRE.
Gott im Himmel! – Nein, er darf
Nicht von meiner Seite.
[135]
JERTA.
Wie?
Nie wollt ihr ihn wiedersehn,
Sagt ihr, und er soll nicht scheiden?
ELVIRE.
Will ich? Sagt' ich das? Ich war
Sinnlos, wenn ich das gesagt.
Daß ich sollte – sollte, was ich
Nicht vermag zu wollen, das
Ist die Schraube, die mich foltert.
Geh, Entsetzliche! du willst,
Weil er dir nicht kann gehören,
Ihm den Untergang bereiten.
JERTA.
Untergang? Der Stern am Pol,
Der zur Fahrt dem Schiffer leuchtet,
Geht nur unter mit der Welt:
Nur mit mir stirbt mein Geliebter.
Ewig nah' dem innern Sinne,
Wie das überirdische
Ideal in Künstlers Busen,
Theilt er nicht das Loos des Stoffes,
[136] Der begehret werden kann,
Und besessen, und zerstört.
Nur der Flecken im Gemälde,
Stets sich vor das Auge drängend,
Stört die Lust der Phantasie.
Darum lasset Hugo ziehn,
Daß sein Schwert den Feind verderbe;
Dann, dann lebt er, ob er sterbe!
ELVIRE
mit steigender Heftigkeit.
Magst du, Stolze, schon dem Himmel
Hier auf Erden angehören,
Ewig Wesen sondern können
Von den irdischen Gestalten,
Und das Leben von dem Ruhm;
Ich vermag nicht, so zu trennen,
Was ich liebe, nicht zu spalten.
Ganz, wie meine Arm' ihn halten,
Ist der Graf mein Eigenthum;
Jerta wird nicht d'rüber schalten!
JERTA.
Er entscheide! Seine Tritte
Hör' ich in der Gallerie.
[137]
ELVIRE
ängstlich.
Ist er's?
JERTA
der Thür näher.
Ja.
ELVIRE.
So muß ich fliehn.
JERTA.
Fliehn? Nicht lassen wollt ihr ihn,
Und nicht sehn!
ELVIRE
heftig.
Ich will ihn hier,

Auf ihre Kleidung deutend.

Will nicht so ihn wiedersehen,
Nicht vor Zeugen – will vor dir,
Kalte Richterin, nicht stehen!

Sie eilt nach einer Thür im Hintergrunde, Hugo tritt durch eine andere ein, sie erschrickt an seinem Anblick.

Ha!

Sie eilt in ein Seitenzimmer.
JERTA.
Ich lass' allein euch, bleibt.
[138]
ELVIRE.
Nein, ich kann nicht.

Ab.
4. Szene
Vierte Scene.
Jerta. Hugo blaß und entstellt.

HUGO.
Laß sie gehen!
Alles Leben flieht den Mord.

Als Jerta ihr folgen will, herrisch.

Laß sie, sag' ich – Diese ist
Mir gewiß genug – der Hölle
Abgekauft mit Bruderblut –
Solchen Handel hält der Teufel.
JERTA.
Hugo! Gott, wie war't ihr's mächtig,
Solches an euch selbst zu thun?
HUGO.
Thun? Der Mensch thut nichts. Es waltet
[139] Ueber ihm verborgner Rath,
Und er muß, wie dieser schaltet.
Thun? Das nennst du eine That?
Oh, ich bitt' dich, laß das ruhn!
Alles, alles hängt zuletzt
Am Real, den meine Mutter
Einer Bettlerin verweigert!
JERTA.
Gott vergeb' ihr, was an euch
Sie unmütterlich begangen.
HUGO.
Nicht, daß sie's beging, bringt Tod;
Daß die dein' es nicht verschwiegen –
Das hat aus dem stillen Norden
Mich zum Land der Glut getrieben,
Wo sie rasen, wenn sie lieben,
Und im Wahnsinn Brüder morden.

Vor sich hin.

Wenn die That noch ist Gedanke,
Ist sie nicht. Ist sie geschehn,
Tief im Dunkel, unbelauscht;
Ist sie auch nicht, wenn die Brust
[140] Und der Mund sie kann bewahren.

Lebhafter zu Jerta.

Sieh, das ist der Hölle Schlinge!
Weil der Mensch Gedankensünden.
Zu verschweigen hat die Macht,
Lockt's ihn, daß er sie vollbringe,
Wähnend, in des Busens Nacht
Könn' er das Gescheh'ne binden,
Wie er band, was er gedacht.
Und so trägst du das Verbrechen,
Das du aufgeladen hast;
Aber schwerer jeden Schritt,
Immer schwerer wird die Last,
Bis des Trägers Kniee brechen,
Und er stürzt, und reißet mit
In den Abgrund Weib und Vater!

Tief aus dem Schmerz herauf.

Oh!
JERTA
halb vor sich, erschüttert.
Das lähmt den Muth des Arztes.
HUGO.
Arzt? Die Krankheit weiß von keinem
[141] Arzt! – Auswendig kann der Mensch
Alles lernen, was er will,
Mosis Bücher, die Propheten,
Und die ganze heil'ge Schrift;
Aber was er weiß, vergessen,
Wär' es Eine Sylbe nur,
Das ist nicht in seiner Macht,
Und kein Arzt kann das Gedächtniß
Reinigen von seinem Aussatz.
JERTA.
In der Hand des Kranken liegt,
Wenn er Kraft noch hat, ein Mittel.
Les't!
HUGO
nimmt den Brief.
Was ist –?

Er lies't, von Jerta beobachtet; seine schmerzerschlafften Züge werden lebendig, die Augen bekommen Feuer, der Arm spannt sich an, endlich steht er auf.

Ha, Taube! Wer
Lehrt dich, was dem Geier frommet?
Ja, das ist's, das macht gesund!
[142] Habe Dank, du milder Arzt,
Der mit Feuer heilt und Schwert!

Mit flammendem Blick.

Blut will Blut!
JERTA
erschüttert von ihm weg.
O Gott!
HUGO.
Ein Mensch –
Wär's ein Bruder, feig erschossen
Aus dem fernhin treffenden
Rohre – das ist nichts! zu viel
Für die Ruh'; zu wenig für
Das Bedürfniß einer Hölle,
Die davon ist angeglommen.

Mit steigendem Affekt.

Mit der Menschheit will ich rechten,
Blutig, daß ich Mensch geboren,
Und gefallen bin, wie Menschen!
Nicht auf Einzelne, auf Völker
Schleud're mein Geschoß den Tod,
Reiße ihre Massen nieder,
Und auf Felder, blutig roth,
[143] Sä' es die zerstückten Glieder!
Vor den Mauern fester Städte
Pflanze sich das Brandgeräthe,
Werfe, ob der Fromme bete,
Feuer in sein friedlich Haus!
Prasselnd schlägt die Flamme aus,
Straßen stehn in Glut und Graus,
Und die Bomben, im Zerspringen,
Tödten, die da Hülfe bringen.
Ueber Leichen, aufgethürmt,
Wird der letzte Wall erstürmt,
Und die Thore gehn in Trümmer;
Und die losgelaß'ne Schaar,
Aufgereizt zu blinder Wuth
Durch der Kameraden Blut,
Stürzet jubelnd in's Gewimmer;
Läßt am Altar Weiber bluten,
Schleudert bei dem blonden Haar
Zarte Kinder in die Gluten –

Langsamer.

Und am Abend, wenn der Sieger
Hat gebändigt seine Tiger;
[144] Wenn der Tod den Jammer hat
Still gemacht,
Und die Nacht
Einhüllt die verheerte Stadt,
Werden Lampen angezündet,
Und »Herr Gott, dich loben wir!«
Weint aus halb verbranntem Tempel!
JERTA
von Schauder durchdrungen.
Oh, entsetzlich! Nein, so hab' ich's
Nicht gemeint. Aus Feindes Ketten
Sollt ihr menschlich Brüder retten,
Ob des Todes Pfeil euch träfe;
Und der Lorbeer um die Schläfe
Soll das Kainszeichen decken,
Das auf eurer Stirne glüht!
HUGO.
Nun – nun ja doch! Mein Gemüth
Ist nicht bös; die Phantasie
Labt nur spielend sich am Schrecken.
Ich begreife, was du meinst:
Sterben soll ich, außerm Lande,
Fern begraben meine Schande –
[145]
JERTA
weinend an ihm.
Oh! mein Bruder!
HUGO
weich.
Sieh, du weinst.
Glaubst du, daß ich sterben scheue?
Tod ist leichter, als die Reue!
Selig sind die Todten!
JERTA.
Bleibe!
Lebe, Hugo, deinem Weibe,
Und dem Knaben ohne Vater,
Und dem Vater ohne Sohn!
Aber, Mann, ersinne nur
Eine Arbeit, ein Bestreben,
Das Elviren Muth kann geben,
Liebend dir im Arm zu liegen,
Und dem Ritter Kraft, zu siegen
Ueber seinen Schmerz, und dich
Stolz einst seinen Sohn zu nennen.
HUGO.
Nun, das alles findet sich,
Wenn wir kurze Zeit uns trennen
[146] Spanier sind sie, stolzen Herzens;
In Elvirens Adern rollt
Fürstenblut; nach Ordenssternen
Steht des Kastilianers Sinn.
Hab' ich jener einen Gatten,
Diesem einen Sohn erschlagen;
Bin ich Mann, Ersatz zu leisten
Beiden, wenn auf meinem Haupt
Eine Fürstenkrone pranget.
JERTA
bestürzt.
Oerindur!
HUGO
entschlossen.
Sie soll! bei Gott!
Schick' das ab. – Erobern will ich
Die verlorenen Provinzen;
Doch dem König nicht, dem Sieger.
Will den schnöd' verschenkten Sohn
Mächtig auf den Thron
Heben, und Elviren
In das reiche Haar
Diamanten, klar
Wie die Sterne, säen,
[147] Daß das Aug' erblinde,
Das sie angesehen;
Will die Stirn' ihr zieren
Mit der Fürstenbinde,
Ihren schlanken Leib
Mit dem Purpur schmücken –
Dann das schöne Weib
An den Busen drücken,
Und vor Lust vergehen!
Eile! Schnell muß es geschehen.
JERTA.
Ja, fürwahr, die Hölle bindet
Fest, was einmal sie gefaßt.
Wie die Nadel, wenn sie hat
Den Magnet berührt, nach Norden
Ewig ihre Spitze drehet,
Kehrt, wer Einmal bös gethan,
Ewig seinen Sinn zum Bösen.
HUGO.
Nun, was ist denn was ich meine,
Böses eben?
[148]
JERTA
stark.
Hochverrath!
Völkermord! Weh über euch!
Euch beherrscht des Vaterfluches
Finstre Macht!
HUGO
nach kurzer Stille.
Ja, du hast Recht.
Oh, ich bin ein böser Mensch!
JERTA.
Faß' dich, Hugo! die Entdeckung
Hat, ein Blitzstrahl, dich betäubt.
Was du in der Ohnmacht träumtest –
Wachend wirst du's nicht erfüllen.
HUGO.
Meinst du? ja, in deinem Haupt
Ist entsprungen der Gedanke,
Darum muß er gut seyn, denk' ich.
JERTA.
Gut gemeint zum wenigsten
Ist er, ob die Jungfrau irrte,
Spähend in des Mannes Brust.
[149]
HUGO.
Nein! du irrest nicht. Hinaus
Muß ich, wo die Würfel fallen,
Daß mein Schicksal freier schalte
Ueber mir und meiner Schuld.
Sende das zum Herzog; doch
Laß zugleich ihn mündlich wissen,
Daß ich selbst dem Boten folge
Auf dem Fuße. – Wer bestellt es?
JERTA.
In mein Zimmer hab' ich den
Sekretär beschieden.
HUGO.
Wohl!
Ich will selbst ihn sprechen. – Sei
Gleich der Feldherrnstab vergeben;
Ich will mit in die Gefahren,
Wär' es als gemeiner Reiter!

Er geht mit Jerta nach der Thür; in diesem Augenblicke schlägt die zwischen Eilf und Zwölf zeigende Wanduhr zwei Viertel, Hugo blickt nach[150] ihr auf, und tritt auf einmal abgespannt zurück.

Ha!
JERTA.
Was ist dir?
HUGO.
Siehst du nicht?
Noch ist es nicht Mitternacht.

Er geht in den Vorgrund.

Eh' nicht der verfluchte Tag
Ist vorüber, will ich nichts –
Gar nichts wollen, und nichts thun.
Heut regiert mein böser Stern!
JERTA.
Wohin irrst du, Mann?
HUGO
ängstlich.
Nein, nein!
Hab' ich's euch denn nicht gesagt?
In dem Thierkreis abgebildet
Ist mein Leben: Stier und Brüder,
Weib und Schütz und Skorpion.
Sieh', ich hab' es ausgerechnet,
[151] Ganz für mich, daß niemand wußte,
Wo die Sonn' und mein Planet
Stand, als ich Don Karl erblickte,
Ihn vom andalusischen
Kampfstier rettete – zuerst
Seines Weibes Reiz mich rührte –
Und – – hier ist kein Ungefähr!
Ich bin bös nicht von Natur,
Wahrlich nicht! allein das Schicksal
Führt auf böse Wege mich,
Wo Gefahr ist. – Thoren sind es,
Welche suchen in den Sternen,
Was geschehn wird. Dahin reicht
Menschenwitz nicht. Doch Vergangnes
Mag man drinnen wiederfinden,
Und sich wahren, stehn sie wieder,
Wie zur bösen Stund' sie standen.
JERTA
vor sich.
Furchtbar mächtiges Gewissen!
Den Verstand auch folterst du?
HUGO.
Wär' es nichts, warum denn just
[152] Wären ihrer fünf? die Zahl
Aus Gerad' und Ungerade,
Gut und Böse, die des Menschen
Seele deutet? – Heut wie damals
Steht die Sonne gegen sie.
Laß mir das!
JERTA
mit trübem, mitleidigen Lächeln.
Es sei; du wirst
Morgen noch, wie heute, fühlen,
Daß du handeln mußt, nicht schwärmen.
Ich bereite deine Reise.

Ab.
5. Szene
Fünfte Scene.
HUGO.
Wenn sie recht hat – nichts beschlossen
Ueber'n Sternen wird – der Mensch
Frei hienieden hat zu wählen,
Alles droben zu vertreten –
[153] Das wär' schlimm, sehr schlimm! dann ständ' es
Uebel um ein gutes Ende.
Und dies Leben ist so kurz,
Und so lang – so lang das andre! –
Kennte man's; wer weiß? es wär'
Wohl so gräßlich nicht – vielleicht
Wenig anders, als auf Erden:
Zorn – und Strafe, und – Vergebung – –
Nur die Nacht,
Die es deckt,
Die nur schreckt!
Grausend macht
Sie zur Höll' die Zeit
Mit der Ewigkeit,
Daß man fühlt ein Dringen,
Aus dem Grauen
Vor der Nacht
In die Nacht hinein zu springen;
Weil's oft nichts ist, anzuschauen,
Was mit Zittern wird gedacht.
Wenn es nichts ist – Oh! das Wort
Graust den Menschen an – und »Ewig«
[154] Sträubt des Sünders Haar empor.
Nichts – und – – wer – wer faßt das?

Er bleibt starren Blickes und ohne Bewegung, bis Valeros eintritt.
6. Szene
Sechste Scene.
Hugo. Valeros, den Degen an der Seite, einen zweiten hält er sorgfältig unter dem Mantel verborgen.

VALEROS
noch im Hintergrunde, tief und gedehnt.
Otto!
HUGO
fährt gewaltig zusammen und springt auf, seine Kniee zittern, als er sich nach der Thür wendet.
Ihr seid's?
VALEROS
vorkommend.
Warum zitterst du?
HUGO.
Eure Stimme –! 's war beinah,
[155] Als ob – Karl – den Namen rufte.
VALEROS
halb vor sich.
Hm! Wer weiß?
HUGO
mit Unruhe.
Wollt ihr denn heut
Nicht zur Ruh? – Bewaffnet seid ihr –
Warum seid ihr denn bewaffnet?
VALEROS.
Nach den Waffen greift der Spanier
Ueberall, wo seinem Namen
Schande drohet.
HUGO.
Seid doch ruhig!
Ich hab' alles eingesehn.
VALEROS.
Was?
HUGO.
Daß ich um euretwillen,
Und um Jerta und Elviren,
Muß Verzicht thun auf den Trost,
Den gemeine Sünder haben:
Büßend vor dem Volk zu fallen
[156] Unter Priesters Segensspruch.
Nur der Fluch – so eben sprach es
Jerta aus – des Vaterfluches
Finstre Macht beherrschet mich,
Treibt mich rastlos an zum Bösen.
Könntet ihr den Fluch nur lösen!
VALEROS
ohne Hitze, aber fest.
Rache löst ihn. Dazu such' ich
Ausgerüstet dich im Schlosse.
HUGO
zurücktretend.
Wie? ihr wollt mich –
VALEROS
wirft aus der Entfernung einiger Schritte den Degen, den er unter'm Mantel barg, ohne Heftigkeit zu Hugo's Füßen.
Wie es fällt.
Ficht mit mir!
HUGO.
Daß Gott mich wahre!
Mit dem Vater?
VALEROS.
Des Erschlagnen.
[157]
HUGO.
Mit dem Greis?
VALEROS.
Nicht Ritterspeere
Gilt es ja zu schwingen; diese
Waffen fordern Kunst, nicht Stärke.
HUGO
dringend.
Denkt ihr nicht –?
VALEROS.
Ich hab's beschlossen.
Weiber wissen das Geheimniß,
Und geheim nicht kann es bleiben,
Und nicht ungerächt Don Karl
Brudermord in meinem Stamme!
Diese Schmach, beim Himmel, wäscht
Blut nur ab. – Heut ist der Tag.
Wo er fiel, und heut noch fällt
Karlos Mörder, oder ich!
HUGO
schaudernd.
Oder! – Wißt ihr, was ihr sprecht?
Fühlt ihr es in meine Seele?
[158]
VALEROS.
Wohl mag vor dem Kampf dir grauen,
Doch ihn schuldig bist du mir.
Lieb' und Haß, Natur und Pflicht
Reißen an dem Vaterherzen;
Nur im Kampfe find' ich Frieden.
Darum nimm, und ficht mit mir!
HUGO.
Nimmermehr! der Augenblick
Ist der Thaten Herr. Es könnte,
Wenn die Spitze naht der Brust,
Mich die Lust zum Leben fassen,
Ich euch tödten –
VALEROS.
Desto besser!
HUGO.
Und wenn ihr den Sohn erlegt,
Ist ja euer Hals verfallen
An den Blutbann dieses Landes,
Welcher streng –
VALEROS
stolz.
Wer sagt dir das?
[159] Einen Herrn nur hat auf Erden
Don Valeros und sein Haus.
Dieser herrscht im Süden zweier
Welten; hier im fremden Nord
Sind wir niemand unterthan.
Fällst du; hat dich Gott gerichtet
Durch das Oberhaupt des Stammes.
Zaudre nicht.
HUGO.
Eh' stoßt mich nieder!
VALEROS.
Meuchlings? – Ist mein Handwerk nicht.
HUGO
getroffen.
Handwerk?

Mit Gemisch von Bitten und Warnen.

Vater!
VALEROS.
Mach', man könnt' uns
Stören. – Willst du?
HUGO
gepreßt.
Nein!
VALEROS
warm.
Du trägst
[160] Zweier Heldenstämme Namen,
Und bist feig?
HUGO
sich vergessend.
Wer sagt das?
VALEROS
Feig,
Wie Banditen!
HUGO
außer sich, hebt den Degen auf.
Tod und Hölle!
VALEROS
stellt sich und reißt seinen Degen aus der Scheide.
Endlich! – Zieh, gereizter Tiger,
Und fall' aus auf meine Brust!
HUGO
nach einer kurzen Pause der Erholung.
Nein; – Verflucht sei meine Hand,
Wenn sie diesen Stahl entblößet.

Er bricht dicht über der Scheide das Gefäß ab, und wirft beide Stücke hinter sich in den Saal.

Rost zerfreß' ihn in der Scheide.
VALEROS
im Kampf mit ausbrechender Wuth.
Ha! – Wohlan denn, willst du nicht
Wagen, Bube; so verliere!

[161] Er faßt rasch den Degen mit verwendeter Hand wie einen Dolch.

Beide können wir nicht leben!

Er eilt auf Hugo zu, ihn zu durchstoßen. Hugo steht ruhig. Elvire, die schon eingetreten ist, fliegt herbei.
7. Szene
Siebente Scene.
Die Vorigen. Elvire, ohne Schleier.

ELVIRE
unterläuft Valeros, welcher Hugo zur Linken stand, drückt ihn zurück, und zieht, vor Hugo tretend, einen Dolch aus dem Gürtel.
Rasender! – den Waffenlosen
Willst du tödten? – hier komm an!
Meine Hand ist stahlbewehrt;
Seit ich diesen liebe, trag' ich
Diesen da für jeden Feind,
Den's gelüstet, uns zu trennen!
[162]
HUGO
welcher während Elvirens Rede den Blick fest auf ihren aufgehobenen Dolch heftete.
O, gebt Frieden! Ihr versteht
Beide nichts von solchen Dingen.
Meint ihr, daß ihr's könnt vollbringen
Mit den spitzgeschliffnen Klingen?
Daß die Hand euch nicht wird beben,
Soll sie in ein fremdes Leben
Diese kurzen Eisen drücken?
Durch den Arm zurück in euch
Dringt der Schmerz, und todtenbleich
Laßt ihr halbgethan das Werk.
Wenn euch solche That soll glücken,
Müßt ihr Schützen seyn: entfernt
In dem Raum von eurem Ziele,
Furchtbar nah ihm durch die Macht.
Zürnend kommt ihr – unentschlossen
Schlagt ihr an – nun neckt es euch,
Zu vollbringen, was ihr könnt,
Und auch nicht könnt, wie es fällt.
Wär's gewiß, ihr thätet's nicht –
[163] Aber »Ob du triffst?« – zischt eurem
Wankenden Gemüth der Teufel
Zu, und zucket in der Hand –
Und das ferne Opfer liegt.
Oh! sie ist gar schlau, die Hölle!
ELVIRE
ist von ihm gegangen, und hat den Dolch wieder im Gürtel verwahrt.
Was begann ich?
VALEROS
hat den Degen eingesteckt, vor sich.
Wohin riß
Mich die Macht des Augenblickes?
HUGO
gehoben, aber nicht stolz.
Seht ihr wohl, so ist der Mensch!
D'rum, wenn einer ist gefallen,
Mag der andre weinen; aber
Nicht zu richten sich erkühnen.
VALEROS.
Beim allmächt'gen Gott, die Lehre
Trifft ein tief erschüttert Herz!

Ihm näher tretend, feierlich.

Sohn! vernichtet sei der Fluch,
[164] Den ich über dich gesprochen!
Und ist's wahr, daß, wie der Eid,
Vaterfluch unwiderruflich
Vor den dunklen Mächten ist;
Fall' er auf mein eigen Haupt,
Daß die Rach' ihr Opfer habe.
ELVIRE
in großer Bewegung.
Nein, auf mich – auf mich den Streich!

Knieend.

Diese sterbliche Gestalt
Mit dem unglücksel'gen Reiz,
Der den Frevel hat gewecket,
Werf' ich zu des Rächers Füßen.
Send', o Gott! des Himmels Flamme,
Um das Opfer zu verzehren,
Mein Unsterbliches nur berge!

Sie bleibt noch einige Augenblicke in dieser Stellung.
HUGO
ernst und ruhig, mehr noch gehoben, als vorhin.
Laßt nur gut seyn das. – Mich dünket,
Daß gelöst schon ist der Fluch;
Denn ich schöpfe freier Odem,
[165] Und mein inn'res Ange schaut
Klar – den rechten Weg zum Frieden.
ELVIRE
vom Sinn seiner Rede getroffen.
Ah!

Indem sie sich abwendet, fällt ihr die Harfe in die Augen. Sie stützt sich darauf mit gesenktem Haupt und scheint an dem Folgenden weiter keinen Antheil zu nehmen.
VALEROS.
Der rechte Weg zum Heil
Führet durch den Schooß der Kirche.
Sohn, aus ihrer Hand empfängt
Auch das Vaterherz dich wieder!
Willst du mir nach Spanien folgen?
HUGO
in wachem Traum.
Ja!
VALEROS
froh.
Du willst?
HUGO.
Mein Geist ist dort;
Hin mögt ihr den Leib geleiten.
[166]
VALEROS.
Ha! der Entschluß kam von oben,
Zögre nicht, ihn zu vollziehen!
HUGO.
O gewiß nicht.
VALEROS.
Auch Elviren
Giebst du so den Frieden.
HUGO
mit unruhigem Bestreben, Valeros zu entfernen.
Das
Mein' ich – aber – Jerta wird
Schmerzlich diese Trennung fühlen.
Wollt ihr wohl sie vorbereiten?
VALEROS.
Jetzt?
HUGO.
Sie ist noch wach – für mich.
Ueberein sind wir gekommen,
Daß sie einen Boten sende
An den Herzog, ihren Ohm,
Der bei'm König gilt. Sie will,
[167] Daß man mir das Heer vertraue
Wider den verwegnen Feind,
Der die Länder jenseits plündert.
Das ist nun nicht nöthig mehr.
VALEROS.
Nein, bei Gott nicht! Fremdem Herrn
Soll Valeros Sohn nicht dienen.
Dennoch, daß du dich erhoben
Zu dem Heldenunternehmen,
Löscht des Hasses letzten Funken.
Komm an meine Brust!
HUGO
sinkt tief gerührt in seine Arme.
Mein Vater! –
Oh, mein Gott! In euren Armen?
VALEROS.
Otto! Theurer – einziger!
Alles – alles sei vergeben!
HUGO
nachdem er langsam, das Auge liebevoll noch auf ihn geheftet, von seiner Brust sich erhoben.
Geht zu Jerta! – sagt ihr das!
Geht, und dann legt euch zur Ruh',
[168] Und – erwacht gefaßten Muthes.
VALEROS.
O, die Freude, denk' ich, wird
Reichlich mir den Schlaf ersetzen.

Ab.
8. Szene
Achte Scene.
Elvire. Hugo.

ELVIRE
legt nach geraumer Stille die Harfe weg, tritt vor Hugo und sucht seinen Blick.
Hugo!
HUGO
weich.
Folg' des Vaters Beispiel
Hingeopferte! – Vergieb!
ELVIRE
an seinem Halse.
Oh, mein Hugo!
HUGO
in vollem Ausdruck der Liebe.
Theures Weib!
[169]
ELVIRE
nach einer Pause, in tiefem Leiden.
Muß es seyn, Geliebter?
HUGO
betroffen, sich verrathen zu haben.
Was?
ELVIRE.
Was prophetisch mir die Harfe
Mit der Saite, die gesprungen,
In der Dämm'rung zugeklungen –
Was du jetzt beschlossen hast.
HUGO
in Erinnerungen verloren, den Blick auf das Instrument.
Heilig ist die Harfe mir,
Weiß ich gleich nicht sie zu spielen.
Wenn sie Abends dir, im Kühlen,
In dem schönen Arme ruhte,
Und mein Haupt in deinem Schooße
Glühte, wie der Kelch der Rose,
Von dem wildbewegten Blute –
Und nun Himmelstöne klangen
Aus den Saiten und der Brust;
Da verschwand das Glutverlangen,
[170] Und zur Thräne ward die Lust.
In mir herrschte Fried' und Ruh'
Unter'm Schalle deiner Lieder;
Karlos war mein Bruder wieder,
Die geliebte Schwester du!

Auf die Harfe deutend.

Hugo's Engel wohnte d'rinn,
Eh' sich Hugo schwer versündigt;
Der auch hat es angekündigt
Deinem aufgeschloßnen Sinn,
Daß die Qual nun ist am Ende.
ELVIRE.
Hugo! Kannst du es, so wende
Von der Gattin diesen Schlag!
HUGO.
Fühle, daß ich's nicht vermag.
Leben gleicht der Töne Beben
Und der Mensch dem Saitenspiel:
Wenn es hart zu Boden fiel,
Kehrt der rechte Klang nicht wieder,
Und sein Mißlaut stört die Lieder,
Die aus reinen Saiten schweben.
[171] Solche That, wie ich gethan,
Stecket mit dem Wahnsinn an,
Der sie zeugte. – Um ein Haar,
Und mein blut'ger Frevel war
Zweimal wiederholt zur Stelle.
Wo ein Mörder weilet, mag
Keiner widerstehn der Hölle.
ELVIRE
sich abwendend.
Wehe! Furchtbar sprichst du aus,
Was wie Nebel um mich lag.
HUGO.
Karlos Zorn erfüllt mein Haus,
Darum auch mit diesem Tag
Muß ich scheiden, ihn zu sühnen.
ELVIRE.
Gott! so bald?
HUGO
mit Begeistrung.
Es regt die kühnen
Fittige der Geist in mir,
Seinen Banden zu entschweben.
Aus dem unheilschwangern Hier,
Wo ihm Leben ward zum Beben,
[172] Will er dort hinauf, zum Licht,
Wo die Macht der Furie bricht,
Und der Reue wird vergeben!

Elvire wendet sich, mit einem Blick auf die Uhr, entschlossen und rasch zum Abgehn.

Warum willst du von mir gehen?
ELVIRE
innerlich bewegt.
Sehen – küssen meinen Knaben.
HUGO.
Thue das, und – – lebe wohl!
ELVIRE.
Nein, noch nicht. Bleib hier! Ich komme
Wieder, eh' die Glocke schlägt.
HUGO.
Was beginnst du?
ELVIRE.
Nichts.

Sie geht bis an die Thür, wo sie dem Knaben begegnet.
9. Szene
[173] Neunte Scene.
Hugo. Elvire. Otto.

ELVIRE.
Da ist er!
Schlafend meint' ich dich.
OTTO.
Ich war's.
Böse Träume weckten mich,
Aber Anfangs böse nur;
Herrlich waren sie zuletzt.
Dich, Herr Hugo, sah ich, wie
Ich dich nimmer hab' gesehen,
Seit mein Vater ist gestorben:
Heiter, wie in meinem Land
Man den Morgen sieht erwachen.
Und der Traum scheint wahr zu werden;
Denn viel anders siehst du ans,
Als ich dich verlassen habe.
HUGO.
Findest du das, lieber Knabe?
[174]
OTTO.
Ja. Doch an der Mutter ist
Noch der Traum nicht ausgegangen.

Mit Darstellung des im Traum genossenen
Entzückens.

Herrlich, wie in der Verklärung
Ueber unserm Hochaltar
Heilands Mutter aufwärts schwebt,
Hab' ich dich im Traum gesehn.
Nun, du bist nicht minder schön;
Doch so leuchtend bist du nicht,
Nicht so selig dein Gesicht.
HUGO.
Was bewog dich, aufzustehen,
Und dich wieder anzukleiden?
OTTO.
Was? Nun, daß ich munter war.
Und ich habe wohl gethan;
Später hätt' ich sonst erfahren,
Was mir so viel Freude macht.
HUGO.
Was?
[175]
OTTO.
Der Ritter ging vorbei,
Und ich rief ihm, und er kam,
Und erzählte mir: du seist
Nicht Graf Oerindur; mein Ohm,
Meines lieben Vaters Bruder!
Und du habest es versprochen,
Mit der Mutter, ihm und mir,
In mein Vaterland zu ziehen,
Und das bald – bald! – Ist das wahr?
HUGO.
Ja! – Dein Vaterland ist da,
Wo ich hin will. Alle, denk' ich,
Nimmt's uns auf einst.
OTTO
innig vergnügt.
O, wie herrlich!
Liebe Mutter, eile ja,
Alles eilig zu besorgen,
Was ihm nöthig ist zur Reise!
HUGO.
Das ist wenig. – Sie hat's nah',
Und die milde wird mir's geben.

[176] Elvire wendet sich schmerzlich ab.
OTTO.
Deinen Kammerdiener, Kolbert,
Sprech' ich, ist er wach, noch heut.
Leichtre Kleidung muß ich haben,
Eilig diese von mir thun,
Die so schwer und lästig ist.
HUGO.
Ganz, wie du, denk' ich's zu halten.
OTTO.
Mach' es auch so, liebe Mutter,
Ob du schon dich hier so schwer,
Wie Herr Hugo, nicht beladen.
ELVIRE.
Meinst du?
OTTO.
Ja.
HUGO.
Mein Kind, du kannst,
Da du einmal auf bist, noch
Etwas hin zu Jerta tragen.
Geh' mit Kolbert in mein Zimmer.
[177] Nimm! Das Pult im Schlafgemach
Oeffnet dieser Schlüssel. Links
Findest du ein Pergament,
Daran hängt in silberner
Kapsel ein gewaltig Siegel.
Nicht zu irren, schlag' es auf,
Und sieh nach dem Anfang. Wenn
Es das recht' ist, muß er heißen:
»Das Geschlecht der Oerindur,
Unsres Thrones feste Säule,
Soll bestehn, ob die Natur
Auch damit zu Ende eile.«
Das gieb Jerta, nebst dem Schlüssel!

Er küßt ihn.

Küsse sie – für mich – und sag' ihr,
Sie soll nicht vergessen, daß ich
Kolbert herzlich lieb gehabt –
Und auch Holm – und – alle andre –

Er kämpft mit den Thränen.

Dann leg' dich zur Ruhe wieder.
OTTO.
Das soll bald geschehen seyn.

Geht nach der Thür.
[178]
ELVIRE.
Otto!

Sie eilt zu ihm, und küßt ihn inbrünstig und mit Thränen.

O, mein Kind!
OTTO.
Du weinst?
ELVIRE.
Küsse Jerta auch von mir,
Und – den Ritter – ehr' als Vater!
OTTO.
Ist er mein Großvater doch,
Den ich wahrlich herzlich liebe. –
Gute Nacht!
ELVIRE.
Gut' Nacht!

Otto ab.
10. Szene
[179] Zehnte Scene.
Hugo. Elvire.
Tiefe Stille. Während derselben sitzt Hugo rechts vom Schauspieler in einem Sessel, und scheint mit Seelenruhe zu beten. Elvire geht, nach dem Abschied von Otto, auf die andere Seite, wo ihre Harfe lehnt, fällt auf die Knie, und betet ohne Lippenbewegung, mit heißer Andacht. Die Wanduhr schlägt zwölf. Ein leichter Schauder erschüttert Elviren. Sie steht langsam vom Gebet auf, und Ruhe herrscht auf ihrem Gesicht. Hugo verläßt, wenn die Uhr ganz ausgeschlagen hat, ebenfalls langsam den Sessel, und nähert sich Elviren.

HUGO.
Die Stunde
Hat gerufen. – – Milde! gieb,
Was du hast, und was ich brauche!
ELVIRE.
Oh, ich habe dich verstanden!

[180] Sie zieht den Dolch.

Du willst den!
HUGO.
An deinem Herzen
War sein Platz.
ELVIRE.
Du sollst ihn haben.

Ihn feurig umarmend.

Hugo! – Bis auf Wiedersehn!
HUGO.
Dort, wo Schwester, Freund und Gattin
Man mit Einer Liebe liebt.
Gieb den Stahl, und – flieh!
ELVIRE.
Gemach!

Indem sie von ihm geht, und mit der Linken die am Stuhl lehnende Harfe anfaßt, entschlossen und mit Erhebung.

Mir, wie dir, fehlt ja der Frieden,
Und mich drückt, wie dich, die Schuld;
Darum, muß es seyn geschieden,
Geh' ich dir zu Gottes Huld
[181] Kühn voran die dunkle Straße!

Sie stößt sich den Dolch in die Brust, die Knie wanken, die Harfe fällt, am Stuhle hingleitend zu Boden, und sie sinkt, den Dolch in der rechten Hand behaltend, darauf nieder.
HUGO
heftig erschüttert.
Gott! Elvire! – – Ha, nun fasse
Ganz ich selbst erst, was ich sprach!
Mord zeugt Mord, und ich verderbe
Durch die unglückselige That
Alles, was mir liebend naht.
Es hat Eile, daß ich sterbe –
Gieb geschwind!

Er nimmt ihr den Dolch, den sie krampfhaft zu halten scheint, mit einiger Mühe, küßt ihre Hand und sagt, indem er rasch nach seinem Sessel zu geht.

Ich flieh' dir nach,
Aus des Lebens finstrer Höhle!
ELVIRE
mit Anstrengung.
Gott sei gnädig – deiner Seele!

Hugo faltet während dieser Worte die Hände [182] gen Himmel, dann stößt er beide Hände am Griff, den Dolch sich in die Brust; die Knie knicken halb ein, die rechte Hand faßt den Stuhl, der Dolch bleibt in der linken; in dieser Stellung hält er sich einige Sekunden.
11. Szene
Eilfte Scene.
Die Vorigen. Jerta, Valeros und Otto treten rasch ein.

JERTA
fliegt herbei, und fällt ihm in den linken Arm.
Graf! was wollt ihr thun?
HUGO
indem er den blutigen Dolch zu ihren Füßen fallen läßt.
Gethan
Ist's; doch schlecht – ihn traf ich besser.

Er sinkt am Sessel nieder, so daß der Oberleib halb aufgerichtet bleibt.
[183]
JERTA
ist beim Fallen des Dolchs zurückgetreten, mit tiefem Schmerz.
Oh!
VALEROS.
Mein Sohn! – du trafst mein Leben!
JERTA
schnell gefaßt, dringend zu dem Verwundeten.
Ist noch Rettung?
HUGO.
Nein! – Erlösung
Nur durch Schmerzen – von dem Leiden.
OTTO
einige Schritte entfernt.
Armer Herr!
JERTA
mit erschütternder Klage, die Stirn an Hugo's Haupte.
Mein Freund! – mein Bruder! –
OTTO
erblickt Elviren.
Jesu Maria! – die Mutter! O seht –
Seht doch! die Mutter liegt blutend darnieder!

Er kniet neben ihr.
[184]
JERTA.
Gott!
VALEROS
heftig.
Wer begann das? – Ein blutiger Stahl
Liegt nur am Boden.
JERTA.
Der Dolch ist Elviren.
VALEROS
zu Hugo.
Mensch! Wenn du das auch gethan –!
ELVIRE
mit Anstrengung.
Ich – ich selbst!
VALEROS
beschwörend.
Ist's so?
ELVIRE
halb aufgerichtet, mit sich verklärendem Blicke.
So wahr ich – wie Töne der Harfe –
Die mir zum Lager dient – himmelwärts schwebe!

Sie sinkt sterbend auf die Harfe zurück, die Hand gleitet dabei matt über die Saiten, und man hört einen leisen verhallenden Ton.
[185]
OTTO.
Mutter! – So sah ich im Traum dein Gesicht!

Er beugt sich über sie.
VALEROS
zu seinem Sohne.
Otto! Vergieb den Gedanken!
HUGO.
Auf Erden
Wohnt der Verdacht – und die Nacht. Dort – ist Licht.
VALEROS.
Oh! daß ich kam, um dir tödtlich zu werden!
HUGO
schwächer.
Schaffet – nach Spanien – die Leichen – zu ihm –
Denn – er vergab uns! –

Mit Vision.

Dem Cherubim
Nimmt er – das rächende Schwert – er winket

Mit erhobener Stimme.

Frei – ist der Geist! – – die Hülle – sinket –

Er fällt sterbend zusammen.
[186]
JERTA
mitten auf der Bühne, nach kurzer Stille mit Begeisterung.
Sinke der Leib! ich liebte den Geist,
Den kein Tod dem Herzen entreißt,
Der mir von nun an im Abendstern blinket!
VALEROS.
Ist der Geist nur frei von Qual,
Wenn der Leib fällt; dann, o Stahl,
Komm, und gieb die Freiheit mir!

Er hebt rasch den Dolch auf, Jerta entreißt ihm denselben.
JERTA
mit tiefem Ernst.
Ritter! – Seid ein Mann! – Kniet hier
Euer Enkel nicht?
VALEROS.
Könnt ihr
Leben, wenn ihr ihn geliebt?
JERTA.
Ich bin Christin. – Schuld nur giebt,
Oder Schwäche, sich den Tod.
Lebt für diesen, ihm ist's noth.

[187] Valeros beugt sich über Hugo's Leiche.
OTTO
sich von der Mutter aufrichtend.
Gott! Warum – warum ist denn
So Entsetzliches geschehen?
JERTA
groß und ruhig.
Fragst du nach der Ursach, wenn
Sterne auf und untergehen?
Was geschieht, ist hier nur klar;
Das Warum wird offenbar,
Wenn die Todten auferstehen!

Der Vorhang fällt.
Ende des Stücks.

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TextGrid Repository (2012). Müllner, Adolph. Dramen. Die Schuld. Die Schuld. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5C6F-5