Die hamelschen Kinder, oder das Mährchen vom Ritter St. Georg

Die Engländer und Deutschen sind Brüder; unter die tausend Dinge, welche sie mit einander gemein haben, gehören auch die Personen ihrer ältesten Volksmährchen. Ihr Robien good Fellow, und unser Rübezahl, ihre Queen Mab, ihre Mutter Ludlam, und unsere Hulla, unsere weissen Frauen etc. gehören so ziemlich zu ein und derselben rühmlichen Sippschaft, und ihr Ritter St. Georg, von welchem ihre alten Romanziers 3 so viel gesungen und gesagt haben, spielt ebensogut seine Rolle in unserer Fabellehre, als in der ihrigen. Höret, meine Theuren, was die Sage der Britten und der Deutschen von ihm berichtet.

[83] Zu Coventry wohnte vor Alters ein edler Lord, Albert genannt. Den Namen seines Geschlechtes hat die Sage vergessen, doch meldet sie, daß er aus königlichem Blut gestammt habe, und giebt ihm eine Dame zur Gemahlin, deren Herkunft wenigstens nicht niedriger war.

Beide Gatten waren in der Blüthe des Lebens, als ihnen die erste Hoffnung aufging, sich beerbt zu sehen. Da sandte Albert zu allen seinen Freunden und Vasallen, zwanzig Meilen in die Runde umher, ihnen die frohe Post zu berichten, und die Vornehmsten von ihnen zu einem königlichen Mahle nach Coventry einzuladen; denn auch das hatten die alten Britten mit unsern Urvätern gemein, daß sie herzlich gern gastirten, und sicher keine Gelegenheit vorübergehen ließen, mit ihren Freunden an wohlbesetzten Tafeln die vollen Becher zu leeren. Alle nur einigermaßen wichtige Ereignisse wurden immer durch solche Feste gefeiert, bei denen es viel stattlicher und dennoch weit nüchterner zuging, als bei ähnlichen Festen unserer Vorfahren.

Dessenungeachtet war es doch schon damals gebräuchlich, daß gegen das Ende der Mahlzeit, wenn das Tafeltuch hinweggenommen, und der Tisch statt der dampfenden Schüsseln mit der Herrlichkeit des Schenktisches besetzt wurde, die züchtigen Frauen sich von der Gesellschaft der Männer in ihre Gemächer zurückzogen. Schon die Möglichkeit, daß beim Becher der Freude irgend etwas Anstößiges vorfallen könnte, machte die keuschen brittischen Grazien zittern, und diese Gewohnheit der Urältermütter [84] hat sich bei ihnen erhalten bis auf diesen Tag.

Auch Lady Winnifried, Lord Alberts Gemahlin, that wie die Frauen ihres Landes pflegten; während die Männer noch zechten, zog sie sich in ihr innerstes Gemach zurück, und warf sich, von den Anstalten zum großen Gastmahl ermüdet, (denn die Haussorge war damals noch eine Hauptpflicht der englischen Weiber, von der Pächterin an, bis auf die Königin des Landes,) und des glückwünschenden Geräusches der Gäste ein wenig überdrüßig, auf ein Ruhebette, einen kurzen Mittagsschlaf zu thun. Ihre Augen schlossen sich bald, aber kaum hatte sie eine kurze Zeit geruht, als sie, plötzlich erwachend, ein schreckliches Geschrei ausstieß. Ihre Frauen, die sich in einem Nebenzimmer aufhielten, eilten erschrocken herbei und fanden sie ohnmächtig auf dem Boden liegen.

Sie ermunterte sich bald unter ihren hülfreichen Händen, und rief einige von ihnen, die im Begriff waren, ihren Gemahl von ihrem Zufalle zu benachrichtigen, mit ernster Miene zurück. »Ich verlange,« sagte sie, »daß man von dem, was hier vorgegangen ist, schweige, und mich unter neun Tagen mit keinen vorwitzigen Fragen beunruhige.«

Frau Winnifried bewieß, daß sie sich auf das Ceremoniel in verborgenen Dingen verstand, denn der neunte Tag wird, wie bekannt, überall als der Termin angenommen, der in allen mystischen Dingen die Lippen entsiegelt.

[85] Es wurde den Frauen der Gräfin recht schwer, in einer Sache nicht zu forschen, die ihre Neugier so lebhaft reizte; da es ihnen indeß nicht verboten worden war, sich gegenseitig ihr Vermuthungen über den sonderbaren Zufall mitzutheilen, so hatten sie doch wenigstens etwas, womit sie sich bis zur gehofften Entwickelung die Zeit vertreiben konnten. Die Unerfahrensten unter ihnen deuteten auf Zufälle, die bei Damen von Winnifrieds Lage nichts seltenes wären, andere, die der Sache am nächsten kamen, auf eine schreckliche Traumgeschichte, aber die ältesten und ängstlichsten schüttelten die Köpfe und meinten, es sei damals Mittagsstunde gewesen, die der finstern Mitternacht, in welcher die Geister ihren Umgang halten, wenigstens gleich käme, und es könnte daher wohl irgend eine feindselige Elfe zu dem offenen Fenster hereingeschlüpft sein, die Ruhende ungestüm geweckt, und ihr irgend etwas Widriges von der Zukunft in das Ohr geraunt haben.

Albert merkte gleich den ersten Abend, als er seine Gäste verließ, um seine holde Gemahlin auf einige Augenblicke zu sehen, daß irgend etwas vorgegangen sein müße. Sie war des Morgens, war des Mittags bei der Tafel so heiter gewesen, jetzt ruhte eine düstre Wolke auf ihrer Stirn, ihre Augen waren roth vom Weinen, sie klagte über Kopfschmerz, und war auf keine Art zu bewegen, die Abendtafel mit ihrer Gegenwart zu zieren. – Als die Gäste das Schloß zu Conventry verlassen hatten, wurden Mylords Besorgnisse und Vermuthungen [86] immer stärker, und Mylady gestand endlich selbst halb und halb ein, daß hier etwas Außerordentliches vorgefallen sei.

»Wir haben heute Sonnabend,« sagte sie, »geduldet euch bis übermorgen, mein Trauter, und ihr sollt erfahren, was mir am Sonntag Mittag begegnet ist.«

Mit ungeduldiger Erwartung sah Albert dem bestimmten Tage entgegen, und erhielt dann unter Schluchzen und Thränen von der schönen Winnifried das Geständniß, ihr habe geträumt, sie bringe einen Lindwurm zur Welt, welcher seine Klauen wider sie selbst kehre, so daß sie auf der Stelle des Todes sein müsse.

Auf so etwas Schreckliches war Albert nicht gefaßt. Sein bleiches, gewaltig in die Länge gezogenes Gesicht, das Zittern seiner Glieder, und die zusammenschlagenden Zähne verriethen, was er bei der Erzählung fühlte. Er räusperte sich einigemal, um seine Gefühle zu verbergen, und einen Trost für die bekümmerte Gemahlin aus der Tiefe seines Herzes herauf zu holen, aber es wollte nicht glücken; ihm, der nie Verstellung geübt, stand hier auch nicht ein einziges zweideutiges Wort zu Gebote. Alles, was er am Ende vorbrachte, war, er wolle mit einigen vertrauten Freunden zu Rathe gehen, was die Sache bedeute, und was dabei zu thun sei.

Albert hatte auf der Welt keinen bessern Freund als den Abt des benachbarten Klosters, einen verständigen weisen Mann, das heißt, einen stillen Denker, der über den Aberglauben seiner Zeit erhaben war. »Herr Graf,« [87] sagte er nach einigem Bedenken, »der Traum der guten Lady deutet, wie mich dünkt, auf nichts weiter, als auf schweres Blut, oder wenn wir einen Schritt weiter gehen wollen, auf eine etwas gefährliche Niederkunft. In beiden Fällen wird nichts Besseres zu thun sein, als daß ihr einen verständigen Arzt kommen laßt, der zeitig genug mit Rath und That bei der Hand sei, Gefahr zu verhüten oder überstehen zu helfen.«

Albert ging ungetröstet nach Hause; der Rath des Abtes schien ihm in jeder Beziehung für die gegenwärtige Sache zu leichtfertig, und seine Auslegung von Winnifrieds Traum, so hoch er den Deuter auch übrigens hielt, fast freigeisterisch; doch hinterbrachte er beides seiner Gemahlin, und hatte die Freude, sie hierauf etwas beruhigt zu sehen.

Aber er selbst quälte sich Tag und Nacht mit den schrecklichsten Deutungen jener Vision. »Winnifried soll einem Geschöpfe das Leben geben,« sagte er zu sich selbst, »das zum Mörder an seiner Mutter wird? Also wahrscheinlich einem Bösewichte, der zur Schande seiner Eltern lebt? O schreckliche Ahndung, deren Erfüllung ich gern mit meinem Leben abwenden möchte! Und wie grauenvoll ist die Gestalt, welche der Traum meinem künftigen Erben giebt! – Gott und alle Heilige! ein Lindwurm! ein Drache! – wird nicht der Arge uns unter diesem Bilde vorgestellt? Kann man jener Gestalt eine andre Deutung geben, als daß derjenige, der damit gemeint ist, ein Feind Gottes und seiner Kirche, ein Ungeheuer [88] werden wird, welches das Land mit Blut und Thränen überschwemmt? O unglückliches Kind! es wäre besser, daß man dich im ersten Bade erstickte, als dich leben ließ um solch Unheil zu verüben!«

Die Zeit der Niederkunft der Gräfin war nahe, die Gefahr wurde dringender. Albert ging noch einmal zum Abte. »Ehrwürdiger lieber Herr,« sagte er, »mir kommt ein Gedanke, bessere Auskunft über jene dunkle Sache zu erhalten, als ihr mir geben könnt. Zehn Meilen von hier ist der Wald, in dessen Dunkel jene Zauberin 4 wohnt, von welcher schon unsre Voreltern so viel zu sagen wußten.«

»Bewahre Gott, Herr Graf, wollt ihr bei dem Teufel Hülfe suchen, wenn euch ein Unglück bevorsteht?«

»Nur fragen will ich, nur Auskunft haben!«

»Ich rathe euch auf keine Weise zu diesem Gange. Das Weib im Walde ist böser, heimtückischer Natur, ist falsch und habsüchtig; sie könnte sich leicht traurige Wahrheiten, oder schreckensvolle Lügen auf eine Art bezahlen lassen, die euch in jedem Falle zu theuer wäre.«

Albert schwieg, aber von seinem Vorsatze konnte ihn nichts abbringen. »Habsucht ist ja wohl zu befriedigen,« meinte er, als er daheim sich zur einmal fest beschlossenen Reise rüstete und seine Taschen mit Geld und Kleinodien wohl versah. »Auch wüßte ich nicht, welcher Preis [89] mir zu hoch wäre, meinem beängstigten Herzen Ruhe damit zu erkaufen. –«

Es wurde Nacht und er wollte seinen geheimnißvollen Weg antreten, aber vorher zog ihn sein Herz noch einmal zu seiner Gemahlin, von ihr Abschied zu nehmen. Er gab vor, er sei auf ein benachbartes Schloß als Schiedsrichter in einer ritterlichen Fehde beschieden, und sie ahndete nichts von seiner wahren Absicht. »Ach, mein Albert,« rief sie, indem sie ihre weißen Arme um seinen Nacken schlang, »wie bange wird mir während deiner Abwesenheit sein! Beträfe es nicht ein so heiliges Werk, als Friedensstiftung, ich würde dich in diesen Stunden der Noth nicht von mir lassen. Doch nein! Gehe! Gehe! mein Trauter! Laß keine Sorge dich beunruhigen! Ich bin hier in sichern Händen, das Uebrige sei dem Himmel anbefohlen.«

Die Worte der schönen Winnifried fielen zentnerschwer auf das Herz ihres Gemahls, doch was beschlossen war, das blieb. Der Graf schwang sich auf sein Roß, erreichte schnell den Zauberwald, und ließ sein Gefolge, das er nur zum Scheine mit sich genommen hatte, am Eingange desselben zurück. Er selbst stieg ab, weil kein Thier in diesem Bezirke geduldet wurde, und setzte seinen Weg rüstig weiter, bis er die ihm genau beschriebene Höhle, worin die Zauberin wohnte, von weitem erblickte. Von dem langen Wege ermüdet, setzte er sich auf einen Stein, der sich der Höhle gegenüber befand, um [90] einige Kräfte zu sammeln, und reiflich zu überlegen, was weiter zu thun sei.

Graf Albert war bei all seinem Muthe nicht ohne einige Furcht. Dieser Wald hatte seine eigenthümlichen Schrecknisse; er bestand größtentheils aus finstern Tannen und Fichten, deren kahle Stämme unten her von dichtem Gesträuch umgeben waren, welches, weil oft Jahre vergingen, ohne daß jemand hierherkam, so sehr in einander verwachsen war, daß man nur mit großer Mühe sich hindurch winden konnte. Das Grauenvollste in diesem Gehölz war aber das tiefe todte Stillschweigen; denn so wie auf der Erde kein vierfüssiges Thier wandelte, so wohnte auch auf den Gipfeln der Bäume kein Vogel. Auch das Geschrei der wandernden Schwalben und Krähen hörte man hier nimmer, weil ein geheimer Trieb sie lehrte, in ihrem Zuge diese Region zu vermeiden; nicht einmal ein Schmetterling flatterte hier, nicht ein Würmchen wand sich im Staube.

Graf Albert hing seinen Gedanken zu sehr nach, um alle diese Dinge einzeln zu bemerken, aber er fühlte ihr ganzes All in dem wachsenden Schauer, der sich seiner von Minute zu Minute immer mehr bemächtigte. Er überredete sich Anfangs, es sei bloß Müdigkeit, was ihn so lange auf seinem harten Sitz fest hielt, aber endlich fühlte er, daß es Furcht war, dem grauenvollen Wesen, das hier in schrecklicher Stille residirte, näher zu kommen; eine Furcht, die er doch endlich überwinden mußte, wenn er nicht unverrichteter Sache zurück kehren wollte.

[91] Er erhob sich langsam, er nahte sich der Höhle, aus welcher ihm ein kalter, todathmender Duft entgegen wehte; er ermannte sich, in die Höhle zu gehen, – aber, obgleich hier weder Baum, noch Strauch, noch Stein war, der den Weg versperrte, so fühlte er doch etwas, das sich ihm entgegensetzte, und das so undurchdringlich war, wie eine eherne Mauer.

Nach langen vergeblichen Bemühungen, dergleichen wir alltäglichen, in Zauberabentheuern unerfahrnen Menschen allenfalls nur in ängstlichen Träumen kennen lernen, entschloß sich Graf Albert zur Rückkehr, – da fiel ihm plötzlich ein eisernes Horn in die Augen, das an einer Kette von einer Klippe herabhing. Es war ihm, als flüstere ihm jemand in's Ohr, er habe hier das Mittel gefunden, sich dem Wesen kund zu geben, das er weder zu suchen noch zu rufen wußte.

Er setzte das ungeheure Instrument an den Mund, und es gab einen Laut von sich, schier wie Graf Otto's osenbergisches Horn, einen Ton, der in dem weit geöffnetem Schlunde der gähnenden Berghöhle gräßlich wiederschallte. – Eine lange Pause entstand, nachdem der vielstimmige Wiederhall von allen Seiten geendet hatte, und Albert war schon im Begriff, das Zeichen von seiner Anwesenheit zu wiederholen, als aus der Tiefe der Höhle eine schwache, unarticulirte Stimme, gleich dem Lallen eines dahinschwindenden Echo's ertönte.

»Das Bild eines Drachen,« so begann die Stimme, »deutet auf nichts Gefährliches; stark und unüberwindlich [92] wie diese Ungeheuer wird dein Sohn sein, und als Sinnbild ritterlicher Stärke von der Nachwelt auf Waffen und Panieren verewigt werden.«

Albert horchte gespannt, um keine Sylbe zu verlieren, und seine Seele wurde von unnennbarem Entzücken erfüllt. »Wie? – also wäre all meine Furcht vergeblich, und ich sollte der glückliche Vater eines Helden werden?« so rief er oder wollte rufen, denn er wußte noch nicht, daß hier in dieser seltsamen Luft keine menschliche Stimme hörbar war; sobald er es aber aus den wiederholten vergeblichen Bemühungen, einen Laut von sich zu geben, merkte, ergriff er von neuem das Horn, seine Gedanken in die Höhle hinein zu posaunen.

»Triumphire nicht zu sehr,« antwortete die Stimme von innen, »du erkaufst den Vaternamen mit Winnifrieds Leben.«

Bei dieser Schreckenspost sank Albert besinnungslos zur Erde, und blieb lange Zeit in diesem Zustande liegen. Als er wieder zu sich kam, erhob er sich schnell, um die Gegend, wo er das Schrecklichste, was er erfahren konnte, die Nachricht von dem nahen Verluste seiner Gemahlin vernommen hatte, so schnell als möglich zu verlassen.

Da tönte hinter ihm her abermals die Stimme aus der Höhle: »Wie? du entfernst dich, ohne zu fragen, womit du mich lohnen sollst?«

Albert, welcher nicht Lust hatte, noch einmal in das Horn zu stoßen, das in weiten Kreisen über ihm schwankte, [93] sagte, oder dachte vielmehr, das, was er auch sofort durch Zeichen äußerte: »Hier nimm Alles, was ich vor deiner Höhle ausstreue, Gold und Kleinodien, so viel ich bei mir habe, nimm, wenn du willst, auch mein Leben; es giebt nichts mehr auf Erden, was mir theuer wäre, da ich Winnifried verlieren soll.«

»Es ist gut,« antwortete die Frau aus der Höhle, die seine Pantomine oder seine Gedanken verstand, »ich werde mir meinen Lohn selbst zu nehmen wissen.«

Die Leute des Grafen kannten ihren Herrn kaum, als er wieder zu ihnen kam, so sehr hatten Furcht und Entsetzen ihn entstellt! Kaum vermochte er sich auf sein Roß zu schwingen und langsam ritt er den Weg zurück, den er so rüstig herbeigaloppirt war. Als aber Vernunft und Ueberlegung, die ihn ganz verlassen hatten, bei ihm zurückkehrten, und er es sich möglich dachte, seiner Gemahlin könne die Stunde der Entbindung in seiner Abwesenheit kommen, und er könne sie laut der Prophezeihung nicht mehr lebendig finden, da gab er seinem Pferde die Sporen, und jagte so ruhelos fort, daß ihm seine Reisigen kaum folgen konnten, und er den Weg nach Coventry wie im Fluge zurücklegte.

Als er das Schloß vom nächsten Hügel zuerst erblickte, siehe, da wehte das Todtenzeichen, die weiße Fahne, von den Thürmen, und als er näher kam, da schallte das Klagen von Winnifrieds Jungfrauen und der einförmige grauenvolle Ton des Todtenlieds in sein Ohr.

Die Dirnen stürzten ihm, als er sich in der Vorhalle [94] halbohnmächtig vom Pferde heben ließ, mit bleichen Gesichtern und gerauften Haaren entgegen. »Ach Herr!« schrien sie, »Winnifried, die schöne Winnifried ist nicht mehr! Sie erkaufte das Leben deines Sohns mit dem ihrigen; sie starb, ein williges Opfer, als sie erfuhr, daß ihr Kind nicht mit ihr leben könne!«

Albert verweinte drei traurige Tage bei dem Leichnam seiner Gemahlin, und erst am vierten, als man die Ueberbleibsel der schönen Gräfin der Erde übergeben hatte, fiel es ihm ein, nach seinem Sohne zu fragen. »Herr,« sagten die Frauen, »der fromme Abt, der unsere Gebieterin in ihren letzten Stunden tröstete, schickte den Knaben in den ersten Augenblicken seines Lebens nach dem Kloster, und gab den Weibern, die zur Pflege des Kindes bestellt waren, Dispensation, mit ihm durch die heiligen Pforten einzugehen. Wir glaubten, daß er, durch Traum oder Gesicht belehrt, solches thue, und wagten es nicht, ihm zu wehren.«

Albert, dessen verwundetes Herz sich nach Labsal sehnte, sandte eilig nach dem Kloster, seinen Sohn holen zu lassen, aber der Bote kam ohne ihr zurück. »Der Abt,« meldete er, »weigre sich, den Knaben auszuliefern, und ersuche den Grafen, selbst zu ihm zu kommen, um die Ursache der Weigerung zu vernehmen, und Befehl zur Taufe des Kindes zu geben.«

Diese Antwort befremdete dem Vater, denn er wußte noch nicht, was wir unsern Lesern jetzt mittheilen werden.

[95] Die Gräfin fühlte bald nach der Geburt ihres Kindes die Vorboten des Todes. Ein schwerer Schlummer drückte ihre Augenlieder beinahe so fest zu, als sollten sie bald auf ewig geschlossen werden. Als sie sich wieder ermunterte, sah sie den frommen Abt, den Freund ihres Gemahls, betend bei ihrem Bette stehen. Sie reichte ihm lächelnd die Hand, denn ihr brechendes Herz war noch mit lauter Liebe und Wohlwollen gegen Jederman erfüllt. Darauf ließ sie sich ihr Kind bringen, und befahl einer ihrer Dirnen, sie auf dem Bette aufrecht zu halten. »Mein Vater,« sagte sie zu dem ehrwürdigen Klosterherrn, indem sie sich bestrebte, den neugebornen Knaben in seine Hände zu legen, »nehmet ihn hin, ich kann ihn, da mein Gemahl abwesend ist, keinen bessern Händen als den eurigen anvertrauen. Bezeichnet ihn mit dem heiligen Kreuze, und laßt ihn unverzüglich in die geweihten Mauern eures Klosters bringen, denn ein böses Wesen, das dort keine Macht an ihm haben wird, trachtet, ihn uns zu entreißen. Ich habe große Dinge von ihm im Traume gesehen, Dinge, die mein schwacher Mund nicht auszusprechen vermag.«

Mit diesen Worten sank die holde Winnifried auf ihr Lager zurück, und schloß die Augen, als wollte sie eben verscheiden. Nochmals öffnete sie sie, und langte nach ihrem Kinde, es noch einmal zu küssen; darauf schlug sie die Windeln von einander und deutete, da sie nicht mehr reden konnte, auf die Mahle, mit welchen die Natur den Knaben wunderbar gezeichnet hatte. Er trug [96] unter der Herzgrube das Bild eines Lindwurms, um den rechten Arm ein goldnes Band, und auf der Brust ein rothes Kreuz. Unter heißen Thränen küßte Winnifried das Letztere, und indem sie ihre letzten Kräfte anstrengte, legte sie ihren Sohn aufs neue in die Arme des Abtes, der ihn mit kräftigen und herzrührenden Worten von ihr annahm. Er übergab ihn dann dem Bruder Bennet, welcher nebst andern Mönchen den Abt begleitet hatte und der sich augenblicklich mit den Ammen des Neugebornen aufmachte, den jungen Grafen nach seinem stillen Zufluchtsorte zu bringen. Vor und hinter dem Zuge wurde das heilige Kreuz getragen, damit der Arge an dem kostbaren Schatze keine Macht habe, und Bruder Bennet nahm das Kind, mehr aus Neigung zu ihm, als auf Befehl des Abtes, in seine besondere Hut, denn er hatte große Liebe zu dem Kindlein gewonnen, und in seinem Herzen geschworen, so lange er lebe, es vor allem Unheil zu schützen, so gut er vermöchte.

Während dessen entschlug sich die fromme Winnifried auf dem Schlosse alles Irdischen, wurde von dem Abte und seinen Diakonen zur Reise nach der Ewigkeit mit den letzten Wohlthaten ihres Glaubens versehen, und entschlief sanft und selig.

Diese Dinge wurden dem Grafen, als er nach dem Kloster kam, sich nach der Ursache des seltsamen Verfahrens des Abtes zu erkundigen, umständlich erzählt. Er billigte Alles, was geschehen war, weihte dem Andenken der entschlafenen Gräfin, die nach der Zeit mit besserm [97] Rechte, als manche andre, unter die Heiligen versetzt wurde, eine neue Thränenfluth, küßte das Kreuz auf der Brust seines Kindes, und gab ihm in der Taufe, welche sogleich im Beisein des ganzen Konvents vor sich ging, den Namen Georg, der in den folgenden Jahrhunderten so berühmt geworden ist, und es wahrscheinlich auch bis an das Ende der Welt bleiben wird.

Albert verweilte drei Tage bei seinem Freunde, dem Abte, denn er vermochte sich nicht so schnell von dem kleinen Georg zu trennen, und ging dann, nach Witwer Art etwas getröstet, wieder auf sein Schloß zurück. So lange er im Kloster gewesen war, hatte keine verdächtige Macht Theil an ihm. Nicht einmal ein ängstlicher Traum durfte seine Ruhe in der Wohnung der Heiligkeit stören.

Jetzt, da er wieder auf seine Burg kam, war das ganz anders. Nicht allein weckte der Anblick der Gegenden, wo die entschlafene Geliebte gewandelt hatte, wo sie gelebt und wo sie gestorben, seinen Kummer auf's neue, sondern auch die schauervollen Begebenheiten im Walde kamen ihm wieder in den Sinn, die er über den Verlust seiner Gattin bisher so ganz vergessen, daß er auch noch nicht einmal mit dem Abte ausführlich darüber geredet hatte. Im Grunde scheute er sich auch, mit ihm davon zu sprechen, da er den Weg zu der Zauberin so ganz wider seinen Rath und Willen unternommen hatte. Sein Leiden vollkommen zu machen, mußten ihn auch noch bei mittäglichem und mitternächtlichem Schlummer finstre Träume umgaukeln. Kaum schlossen sich seine Augen, [98] da stand eine kleine zusammengeschrumpfte Gestalt vor ihm, welche eher einem Schatten, als einem wirklichen Wesen glich, und die sich ihm durch die Worte, die er schon im Walde gehört hatte, als die Zauberin der Höhle vorstellte. »Gieb mir meinen Lohn!« keuchte sie mit kaum hörbarer Stimme, »wo nicht, so werde ich mir ihn selbst nehmen!«

»Und was verlangst du?« ermannte er sich einst, sie zu fragen.

»So alt ich bin,« war die Antwort, »so bin ich doch eine Freundin der Jugend; ein solches Kind wie das Deinige stünde mir schon an.«

»Weiche von mir, du verfluchter Geist!« schrie Albert bei diesen Worten, »willst du mir das Herz aus dem Leibe reißen? Willst du mir das einzige rauben, woran noch mein Leben hängt?«

»Gut! gut!« flüsterte sie im Verschwinden, »giebst du nicht, so nehme ich ihn selbst.«

Albert kam in Folge dieser nächtlichen Erscheinungen so von Kräften, daß zu befürchten war, er könne, wenn er noch länger auf solche Weise gequält würde, endlich seiner abgezehrten Verfolgerin ähnlich werden. Der Abt sah seinen heimlichen Kummer, sah das Dahinschwinden seiner Kräfte, fragte und wurde berichtet.

Dem leidenden Grafen wurden die Verweise geschenkt, die er wegen der eigenwilligen Verwerfung wohlgemeinten Rathes verdient hatte. Er sagte es sich ja selbst oft genug, daß er dadurch, daß er sich mit dem Zauberweibe einließ, sie zu Ansprüchen auf sich berechtigt habe, deren [99] er hätte entübrigt bleiben können. Der kluge Abt schonte den Bekümmerten, und bemühte sich nur, ihn zu trösten. Alle geistliche Mittel wurden angewendet, den Angefochtenen von seinen nächtlichen und täglichen Besuchen zu befreien, weder Beschwörungen noch Weihwasser wurde geschont, bis endlich die Ruhe auf dem Schlosse zu Coventry wieder hergestellt war, und Albert sich rühmen konnte, mehrere Nächte ohne den Anblick des ängstigenden Gesichtes ruhig geschlummert zu haben. Der Abt hatte wegen seines Unglaubens an mystische Dinge hierbei das wenigste gethan, aber eine desto größere Rolle spielte hier der Bruder Bennet, welcher den kleinen Georg noch immer unter seiner Aufsicht hatte, und auf dessen Rath es auch geschehen, daß man seinen Aufenthalt im Kloster, der erst nur wenige Wochen hatte dauern sollen, immer weiter ausdehnte.

Ueberhaupt war man über die Zeit, wenn das Kind die geweihten Mauern verlassen könnte, noch gar nicht einig, bis endlich folgender Vorgang entschied und den Vater bestimmte, seinen doch offenbar zu ritterlichen Thaten bestimmten Sohn dem Kloster gänzlich zu schenken.

Bruder Bennet war bei dem redlichsten und frömmsten Herzen ein rechter Wundermann; sein Glaube und seine Kraft in geheimen Dingen waren gleich groß. Er verstand sich auf Träume, Gesichter und Weissagungen, bannte Geister und heilte Kranke, und zwar dies Alles keinesweges als ein Betrüger, sondern als einer, dem wirklich [100] von höherer Hand, wie in damaligen Zeiten noch geschehen sein soll, solche Gabe verliehen war.

Seine größte Stärke bestand in der Sterndeuter-Kunst. Graf Albert wußte dies, und nahm sich vor, sein Talent in Abwesenheit des Abtes zu benutzen, um wo möglich über das Schicksal seines Sohnes, das ihn unablässig bekümmerte, etwas Näheres zu erfahren.

Bennet verstand sich leicht zu dem, was ihm selbst am Herzen lag, Er trug seine Geräthschaften zusammen, ließ sich von dem Grafen die nöthigen Data sagen, und fing an, mit solchem Ernste zu arbeiten, daß er in mehreren Nächten nicht der Ruhe genoß.

Albert sah dem Resultate der Forschungen des Bruder Bennet mit größter Ungeduld entgegen, entsetzte sich aber nicht wenig, als der Nativitätensteller ihm folgenden Bericht abstattete:

»Herr Graf,« sagte der Mönch, »ich habe wohl in meinem Leben sonderbare, und große Arbeiten dieser Art unternommen; aber über keine bin ich so oft ermüdet, als über die gegenwärtige. Entweder die Gestirne spotten meiner, oder eurem Sohne sind Dinge vorbehalten, welche wohl nicht leicht einem andern Menschen beschieden waren – Dinge, von welchen ich offenbar nur die Anfangsbuchstaben weis, da Alles so verwickelt, so räthselhaft, so widersprechend herauskommt, daß ich glaube, wir hätten besser gethan, die ganze Nachforschung zu unterlassen. Höret selbst, was eurem Sohne in der Zukunft beschieden ist, sehet, wie ihr klug daraus werdet, und fraget [101] mich nicht weiter. Ihm ist beschieden lange Jugend ohne ihre Freuden, hohes Alter ohne seine Beschwerlichkeiten, ein Leben, das die Gränzen des gewöhnlichen weit übersteigt, und doch ein Tod mitten im vollen Besitze der männlichen Kräfte. Er soll ein Eremit, und ein Ritter, ein Fürst, und ein Bettler sein, und die Tafel der Gestirne drängt dies Alles in so wunderliche Zeiträume zusammen, daß ich hier die Gränzen meiner Kenntnisse sehe. Was seine gegenwärtigen Verfolgungen von der alten Feindin anbelangt, die auf ihren Raub lauert, so ist nur ein Mittel, denselben unbezweifelt zu entgehen. Euer Sohn darf nämlich unsere Klostermauern nie verlassen; läßt er sich je einen Schritt außerhalb derselben betreten, so ist er wahrscheinlich für euch auf immer verloren, denn auch hier zeigt sich eine Klippe, wo mein Wissen abermals scheitert. Die Gestirne sagen, daß ihr, im Falle eines solchen Verlustes euern Sohn zwar noch als Kind wieder umarmen werdet, gleichwohl aber setzen sie diese Zeit des Wiedersehens so weit hinaus, daß ihr, jetzt ein Mann in der Blüthe des Lebens, dann gewiß ein hundertjähriger Greis sein würdet. Reimt euch dieses zusammen, wenn ihr könnt, und sagt mir eure Meinung.«

Graf Albert vermochte jedoch trotz allem Grübeln den dunkeln Ausspruch so wenig zu deuten, als Meister Bennet, und Alles, worüber sie am Ende völlig einig wurden, war die Nothwendigkeit, den jungen Herrn zum Klosterleben zu bestimmen, da die Kunst schlechterdings keinen [102] Zeitpunkt namhaft machte, in welchem er außerhalb der geweihten Mauern sicher wäre.

»Ach,« seufzte der Graf, »man hat Beispiele genug von dergestalt verfolgten Kindern, aber die Zeit ihrer nothwendigen Einkerkerung hatte doch immer ein Ziel! Einem waren funfzehn, dem Andern zwanzig Jahre bestimmt, und bei einem dritten hing das Ende seiner traurigen Bestimmung von irgend einem Zufalle ab, der sich, so seltsam er auch ausgesonnen sein mochte, doch irgend einmal ereignen konnte; aber hier? – Verfolgung ohne Ende! – Ach, daß ich meinen zu Heldenabentheuern bestimmten Sohn in einem Kloster begraben, und daß ich einst, von seinem Ruhme unerfreut, ohne Hoffnung, durch ihn in Enkeln und Urenkeln wieder aufzuleben, die Augen schließen soll!!«

Der Graf konnte dem Abte das, was er abermals hinter seinem Rücken vorgenommen hatte, dennoch nicht verschweigen. Dieser zuckte die Achseln, zog ein wenig die Augenbraunen und – sagte nichts. Eine feine Art sich bei einer Sache, zu welcher man nichts zu sagen weis, aus dem Handel zu ziehen! Indessen war er doch, trotz seiner freien Denkungsart, in Dingen, welche damals Glaubensartikel ausmachten, nicht so wenig Mönch, daß er zu Alberts frommen Entschlusse, dem Himmel das zu schenken, was er in der Welt nicht zu bergen wußte, auch geschwiegen hätte. O nein! er fand die Absicht des Grafen ganz frei und löblich, und versprach, alles mögliche zu thun, dem heranwachsenden Georg, dem Jüngling [103] und dem Manne, so weit sein eignes Lebensziel reichte, den Stand, den sein Vater für ihn gewählt hatte, so angenehm als möglich zu machen.

Mit trauriger Ergebung sah nun der Graf ein Jahr nach dem andern verfliegen; er genoß oft die Gesellschaft seines Sohnes, aber seine Schönheit, sein Verstand, und der Heldengeist, welcher sich, wie er älter wurde, in seinen kleinsten Handlungen äußerte, erregten Empfindungen in ihm, die nie ohne Bitterkeit waren. Ach, was sollten alle diese Vorzüge einem Geschöpfe, dessen ganze Bestimmung war, in einem Bezirke von etlichen tausend Schritten ein ganzes langes Leben hindurch zu vegetiren?

Sieben Jahre waren auf diese Weise verstrichen, als sich folgender Vorfall ereignete, der des Grafen bisherigen Kummer unendlich vermehren sollte. Der Knabe Georg war gewohnt, seinen Vater täglich zu sehen, und nicht allein die Liebe zu ihm, sondern auch schon ein dunkles Vorgefühl der langen Weile, die er einmal lebenslang in der Gesellschaft der alten Klosterherrn fühlen sollte, bewirkte, daß er die Stunde, wo Graf Albert den Hügel herauf kam, immer mit Ungeduld erwartete. Seit man dem herangewachsenen Knaben seine Wärterinnen genommen hatte, war die Aufsicht, die man über ihn hatte, eben nicht die strengste. Es war unmöglich, daß die steifen langsamen Mönche, die überdies bald zu meditiren, bald Messe zu lesen hatten, dem feurigen Georg überall auf den Fersen sein konnten, und ohne den Gehorsam, den man jungen Leuten nirgend besser als im Kloster einprägen[104] kann, wäre Georg vielleicht längst einmal über die verbotene Gränze gegangen, und hätte versucht, wieviel sich ohne Gefahr wagen ließe. Man wußte, wie weit man ihm hierin zu trauen hatte, und gestattete ihm daher, allemal am Gitter des äußern Hofes seinen Vater zu erwarten. Der Gang in den Hof selbst war stark verpönt, weil man jenen Bezirk nicht ganz für sicher hielt, denn in demselben wohnten schon halb weltliche Leute, der Schaffner und Amtmann des Klosters, und andere Personen, welche das Band ausmachten, das die geistlichen Herren mit der übrigen Welt zusammen hielt.

Eines Tages stand der kleine Georg an der Gränze des geheiligten Ortes, und schaute in den Vorhof der Heiden hinaus, um den sehnlichst erwarteten Vater gleich bei seinem Erscheinen zu bemerken. Jetzt knarrte die äußere Klosterpforte in ihren Angeln, das Klirren der Schlüssel des Pförtners, und das Schweigen seines Hundes deutete auf des Erstern Rückzug in seine Klause, und schon kam Graf Alberts geliebte Gestalt aus der dunkeln Tiefe des Eingangsgewölbes zum Vorschein. Georg hüpfte vergnügt auf, und wäre seinem Vater gern entgegengelaufen, wenn ihm dies nicht verboten gewesen wäre, doch öffnete er leise das Gitterwerk, hinter welchem er stand, um den Kommenden desto schneller einzulassen. Graf Albert, der ihm von weitem zulächelte, war jetzt schon unter den großen Nußbäumen, die die Mitte des einsamen menschenleeren Hofes beschatteten – da fuhr plötzlich aus dem niedern Gesträuch, welches jene Bäume umgab,[105] eine mächtige Schlange hervor, welche sich um den Fuß des Kommenden wand, und ihm, der unbewehrt war, einen Angstruf auspreßte. Georg, der seinen Vater in Gefahr glaubte, verlor gleich alle Fassung, vergaß Regel und Observanz, und sprang mit einem kleinen Stabe, den er immer zu tragen pflegte, und mit welchem er im Klostergarten schon manche Schlange getödtet hatte, herzu, seinen Vater zu befreien; aber noch hatte er nicht die Stelle erreicht, wo Albert sich verzweifelt gegen seinen Feind wehren mußte, als er sich von unsichtbarer Hand ergriffen und hinweggeführt fühlte, so daß der Graf, der sich in dem nämlichen Augenblicke seines Gegners, entledigt hatte, sich vergebens nach ihm umsah, und in Folge des plötzlichen Verschwindens seines Sohnes gleich ein Unglück ahnte, das diesen auch wirklich betroffen hatte.

Anfangs äußerte sich des Grafen Schrecken blos durch dumpfes Hinstarren, und seltsame Zweifel, ob er wache oder träume, bald brach er aber in laute Klagen aus. Er nannte tausendmal Georgs Namen! Sein Geschrei rief die Bewohner des Klosters herbei, und der Hof war jetzt, wo es zu spät war, bald so voll vor Menschen, die Hülfe leisten wollten, als er im Augenblicke der Gefahr leer gewesen war.

Man brachte den ohnmächtigen Grafen in das Innere des Klosters, er erholte sich, und fragte die um ihn herumstehenden Mönche ängstlich nach seinem Sohne, weil er zu hoffen begann, seine Augen könnten ihn betrogen [106] haben, und der Anblick sowohl, als das schnelle Verschwinden des Kindes, sei Täuschung gewesen; aber man versicherte, daß der Knabe, wie gewöhnlich, Dispensation erhalten habe, seinen Vater zu erwarten, und daß er seiner schon lange mit bewunderswürdiger Geduld am Gitter geharrt habe, wie mehrere der hin und hergehenden Mönche gesehen haben wollten. Darauf erzählte der Graf den ganzen Vorgang mit der Schlange, und als die Mönche den Umstand von der Ueberschreitung der geweihten Gränzen hörten, da kreuzten sie sich, und versicherten, daß bei so bewandten Sachen alle Hoffnung vergebens sei, und ein einziger Augenblick, wie oft geschieht, die Vorsicht sieben langer Jahre vernichtet habe.

Der Graf wurde durch den Ausspruch der Mönche zur Verzweiflung getrieben; er verschmähte die Tröstungen des Abtes, kehrte sofort nach seinem Schlosse zurück, und überließ sich dort ganz einem verzehrenden Grame, der durch jedes verunglückte Bestreben, sein verlornes Kind wieder in seine Arme zu bringen, oder nur seinen Aufenthalt auszukundschaften, fürchterlich vermehrt wurde.

Der Graf versuchte alles, um seinen Endzweck zu erreichen, er wagte sich selbst mehrmals in den Wald, und ließ seinen Verdacht, und seine Klagen vermittelst des Horns in die Höhle ertönen; aber es erfolgte hier weder Antwort noch Trost, und es schien in der Folge, als wenn seine öftern Besuche der Zauberdame lästig würden, weil sie ihm auf einmal den Weg nach ihren Regionen so unzugänglich machte, daß er die Höhle nimmer [107] finden konnte, und immer von Dornen zerritzt, von herabstürzenden Felsen getroffen, blutend und mit Beulen bedeckt nach Hause kehren mußte.

Viel Jahre vergingen auf diese Art, bis es endlich dahin kam, daß der Graf den im Anfange seines Verlustes gefaßten Entschluß, die Welt zu durchwandern, und seinen Georg zu suchen, gezwungen ausführen mußte. Er, den sein Unglück tiefsinnig und träumerisch gemacht hatte, begann seine Angelegenheiten ganz zu vernachlässigen, und er wäre zeitig ein Raub der Habsucht seiner Diener, und Nachbaren geworden, wenn ihn nicht des Abtes und Bruder Bennets weises Zureden noch zuweilen aus dem Schlummer geweckt hätte. Die Zeit behauptete indeß ihre Rechte; die guten Mönche, welche beide bei Georgs Geburt schon hoch in die Jahre waren, konnten das gewöhnliche menschliche Lebensziel nicht überschreiten; sie starben beide schnell hintereinander, und hinterließen den armen Grafen ganz freund- und rathlos in der Welt. So viele Jahre auch seit dem Verluste seines Sohnes vergangen waren, so dachte er doch immer nur an ihn, und gab durch Vieles, was ihn dieser Gedanke unternehmen ließ, seinen Feinden Veranlassung, ihn für wahnsinnig zu erklären. Einer der vorzüglichsten Hasser des unglücklichen Mannes war der nunmehrige Abt des Klosters, dem einige Güter Graf Alberts ganz besonders anstanden. Er vereinigte sich mit dem Erben der Güter und Titel Lord Alberts, der, da kein Sohn vorhanden war, schon lange seine Anschläge zu baldiger Antretung [108] seiner Rechte insgeheim gemacht hatte. Man unterhandelte mit einander, man wurde einig, und so geschah es, daß Graf Albert, durch das Zeugniß des Abtes bei Hofe wegen Schwachsinnigkeit angegeben, bald darauf für unfähig erklärt wurde, seine Güter länger zu verwalten. Diese wurden seinem Neffen überwiesen und ihm aufgegeben, den Oheim an einem sichern Orte standesmäßig zu versorgen.

Zu zaghaft und schüchtern, sich zu widersetzen, zu klug, sich fangen zu lassen, überließ der Graf seinen Feinden Güter und Titel, nahm ein Ansehnliches von Gold und Kleinodien mit sich, kaufte sich die Kleidung eines Eremiten – (für den Bart hatte die Natur, und die jahrelange Vernachläßigung der Toilette schon gesorgt) und trat eine ruhelose Wanderung an durch alle Theile der Welt, wo er zwar nirgend das fand, weshalb er umherzog – den verlornen Sohn – aber doch das, was die Zeit endlich allemal mit sich bringt, Vergessenheit, oder wenigstens minderes Gefühl vergangener Leiden.

Als er über funfzig Jahre dergestalt sein mühseliges Pilgerleben hingeschleppt hatte, kam er endlich auf den Einfall, wieder in sein Vaterland zu ziehen, und unter dem nämlichen Himmel zu sterben, wo er zuerst geathmet hatte. Seine erste Wahl fiel auf die Gegenden seines ehemaligen Schlosses, aber die Sitten, die jetzt sowohl daselbst, als in dem benachbarten Kloster herrschten, waren von der stillen frommen Sitte seiner bessern Tage, die er hier verlebt hatte, so ganz verschieden, daß er [109] sich voll Unwillen hinweg wandte, und sich entschloß, lieber in der wildesten Einöde, lieber in dem Zauberwalde zu leben, als hier, wo der Herr auf dem Schlosse, der Sohn seines Verdrängers, und der Abt im Kloster stündlich Ungerechtigkeiten ausübten und ihre Tage in Schwelgerei verbrachten.

Nach langer Wahl, nach langem mühsamen Umhersuchen nach einem ruhigen Plätzchen für einen lebensmüden Wanderer, blieb er endlich wirklich bei keinem andern Orte stehen, als bei dem Walde, wo er sein erstes unglückliches Abentheuer bestand. Ihm war es jetzt nicht mehr darum zu thun, die Zauberhöhle zu suchen, und in das ehrne Horn zu stoßen, wozu er schwerlich mehr Athem genug gehabt haben möchte; er suchte nur eine geräumige, sichere Höhle, die von dem Aufenthaltsorte der Zauberin möglichst weit abgelegen, und bequem genug wäre, ihrem Bewohner zum kurzen Aufenthalte, und dann zum Grabe zu dienen. Er fand sie in einer Gegend des Waldes, die er noch nie besucht hatte, so schön, als er sie nur hätte wünschen mögen. Wenige Schritte davon entfernt rieselte ein Silber-Quell, Holz war genug da, die erstarrten Glieder eines mehr als achtzigjährigen Greises durch ein sanftes Feuer zu beleben, Wurzeln genug, seinen sparsamen Tisch zu besetzen; auch standen auf einer nahen Anhöhe zwei alte Bäume, mit herrlichem Obste beladen, den Nachtisch an Festtagen zu schmücken, und den langen Winter mit Vorrath zu versorgen.

[110] Albert jauchzte laut auf, als er sein Eden sah; er versprach sich hier am späten Abend des Lebens noch heitere Sonnenblicke und er fand sie. Ruhe nach der Arbeit, Rückblick auf überstandene Leiden, Hoffnung einer bessern Welt, machten sein Glück aus. Der Tag ging unter leichter Arbeit und unter weisem Nachdenken, die Nacht unter süßen Träumen hin. Seine Phantasie zeigte ihm Scenen, deren Herrlichkeit er nicht auszusprechen vermochte; schilderte sie ihm ja etwas von Dingen diesseit des Grabes, so waren auch diese Bilder lieblich; sie zeigte ihm dann die geliebte Winnifried in unverblüthem Jugendglanze, und seinen verlornen Sohn als lächelndes Kind, wie er ihn zuletzt umarmt hatte.

Dieser letzte Traum kam unglaublich oft, und seine Vorstellungen gränzten so nahe an Wahrheit, daß den guten Alten oft nur das Ungereimte in dem Wahne, den, welchen er vor länger als funfzig Jahren verloren hatte, als Kind wieder zu finden, von dem Glauben zurückhielt, er habe nicht träumend, sondern wachend seinen Sohn umarmt.

Eines Abends, bei Sonnenuntergang, als er nachdenkend vor seiner Höhle saß, kam ihm, wie er meinte, der gewöhnliche Traum vor die wachenden Augen. Ein holdes Kind drängte sich von der westlichen Seite des Waldes durch das Gebüsch. Vom rothen Abendstrahl geblendet, sah er es anfangs nur als eine dunkle Gestalt, bald aber erkannte er die Züge desjenigen, den im Traum und Gedächtniß so deutlich schilderten. »Mein Sohn!« [111] rief er, und breitete die Arme nach ihm aus. »Wie? du zögerst? Holde Gestalt! warum bringt dich mir der Traum diesmal nicht näher? – Aber wie? träume ich auch? – Ist es nicht Wirklichkeit, was ich erblicke?«

Dann raffte sich der Alte auf, und ging auf das kleine Wesen zu, das er freilich nicht für seinen Sohn halten konnte, dessen Anblick ihm aber doch wegen der Aehnlichkeit mit jenem Entzücken in's Herz strömte.

»Mein Kind!« rief er, indem er den kleinen Fremdling näher trat, »wer bist du, und wie kommst du hierher in diesen wilden Wald?«

Die kleine Gestalt antwortete herzhaft, aber in einer fremden Sprache.

Noch ein Versuch des Alten, sich dem Kinde durch Worte verständlich zu machen, und die nämliche unbefriedigende Antwort.

Thränen brachen aus Alberts Augen. »Ist dieß ein Gesicht,« rief er, »so ist es das peinigendste, das ich je erblickte! Warum bringt mir das Schicksal eine Gestalt vor die Augen, welche so schmerzliche Gefühle erweckt, und raubt mir die Möglichkeit, mich mit dem, der sie trägt, zu unterhalten! O Georg! Georg! die Wunde war verharrscht, warum muß sie jene Erscheinung von neuem aufreißen!«

Der Knabe hatte sich von dem Alten losgemacht, um an den Sträuchen Beeren zu sammeln; jetzt, da er den Namen Georg nennen hörte, kam er eilig herbei, als werde er gerufen. Der Strahl der untergehenden[112] Sonne fiel auf sein schönes Gesicht, und auf die offne Brust, und ließ auf jenem die ganze Fülle bekannter Gesichtszüge, auf dieser ein rothes Kreuz sehen.

»O Gott!« schrie der Alte, und sank auf seine Kniee, »was sehe ich! O Himmel! laß diese Vision ewig dauern, es ist, es ist mein Georg! Komm, geliebtes Kind, komm an mein Herz, ehe die neidische Wirklichkeit meine Freuden stört.«

Der Knabe schmiegte sich mit dem holden Lächeln der Kindheit an die Brust des Greises, und wiederholte schmeichelnd seinen eignen Namen, als bäte er, ihn nochmals mit demselben zu nennen. Und tausendmal nannte ihn Albert, denn er fand jetzt, indem er das Gewand des kleinen Fremdlings noch mehr enthüllte, unter seinem Herzen das Bild des Lindwurms, und um seinen Arm das goldene Band, womit die Natur seinen Sohn so wunderbar gezeichnet hatte.

Der Knabe ließ diese Untersuchungen willig zu, und vergalt sie mit tausend Liebkosungen. Man unter hielt sich noch lange in verschiedenen Sprachen, die einer so wenig, als der andere verstand, aber die Geberdensprache ersetzte alles, und man war vollkommen mit einander zufrieden.

Die Nacht brach ein, der Mond ging auf; die Unterhaltung wurde matt. Der Alte, voll Besorgniß, sein schönes Gesicht doch endlich verschwinden zu sehen, erwehrte sich des Schlafes, so gut er konnte, weil er erwarten mußte, beim Erwachem sich in seiner gewohnten [113] Einsamkeit zu befinden; endlich aber behauptete doch die Natur ihre Rechte, und er entschlummerte, wie der Knabe schon vorher gethan hatte.

Um dem ungläubigen oder zweifelnden Leser hier zurecht zu helfen, liegt es mir ob, die Zeit des Schlummers meiner Helden zu benutzen, um ihm Dinge mitzutheilen, die wohl unter die aller wunderbarsten im ganzen Fabelreiche gehören.

Als vor länger als funfzig Jahren – von dem Zeitpunkte an gerechnet, bis wohin wir in unserer Geschichte gekommen waren – die Zauberin des Waldes sich endlich des kleinen Georg bemächtigt hatte, dem sie sieben Jahre lang vergeblich nachgestellt, da brachte sie ihn in ihre Höhle, legte ihn auf weiches Moos, und wiegte ihn, der ohnedem von der schnellen Luftreise halb betäubt war, in einen sanften Schlummer.

Der Entführung des kleinen Georg lagen von Seiten der alten Hexe, wie man ihr zutrauen wird, sehr eigennützige und selbstsüchtige Absichten zu Grunde. Zwar hatte sie sich einst gegen Lord Albert gerühmt, eine Freundin der Jugend zu sein, aber diese Freundschaft hatte ihre guten Gründe und zielte keinesweges auf das Wohl derer, welche sie zu sich nahm.

Es ist kein leerer Wahn, daß das Zusammenleben mit der aufblühenden Jugend das welkende Alter stärkt und diesem neue Kräfte giebt. Die Zauberin wußte dies so gut, als irgend ein Kenner der Geheimnisse der Natur; daher war sie seit der Zeit, wo sie die erste merkliche [114] Abnahme ihrer Kräfte zu spüren begonnen, bemüht gewesen, immer junge Knaben und Mädchen bei sich zu haben, durch deren Gesellschaft, Pflege und Anblick sie einige Rückschritte in ihre bessern Jahre zu thun hoffte. Es erfordert indeß geraume Zeit, eine solche Verjüngung zu bewirken, und da die Gefangenen der Zauberin entweder mächtige Freunde im Feenreiche hatten, die sie schnell frei machten, oder selbst List und Schlauigkeit genug besaßen, der unbehülflichen Alten, deren Macht nicht unbeschränkt war, zu entlaufen, so war diese nach vielen misrathenen Kuren endlich, wie weiland Jungfrau Echo, fast bis auf einen Schatten, bis auf einen Hauch herabgekommen. Da fiel es ihr ein, sich ein Kind in völliger Unbekanntschaft mit der übrigen Welt zu erziehen, und sich auf diese Art ihres Raubes auf immer zu versichern.

Da bei dergleichen Experimenten der Einfluß des Alters auf die Jugend nicht gegenseitig ist, und das Schicksal den, der in die Hände der Zauberer geräth, und bliebe er viele hundert Jahre in denselben, in Betreff der körperlichen Entwickelung nicht einen Schritt weiter vorwärtsrücken läßt, so konnte sie hoffen, an dem gestohlnen oder geschenkten Kinde ein ewiges Arkanum zu haben, durch welches sie sich endlich völlig wieder verjüngen müßte.

Als sie noch mit diesem Gedanken umging, führte ihr der Zufall Graf Albert zu, und das Loos des Unglücks fiel auf seinen Sohn. Sie besaß ihn nun, und hielt ihn sorgfältig in ihrer Höhle, wo er nichts zu thun [115] hatte, als sie täglich neunmal anzuhauchen, und ihre Schattengestalt fortwährend in einem nahen Brunnen zu baden.

Leicht war die Arbeit, aber nicht angenehm, und hätte Georg nicht mit der Kindergestalt auch den völligen Kindersinn behalten, so möchte sie ihm wohl für die Länge unausstehlich geworden sein. Um sich seiner in diesem Punkte völlig zu versichern, und allen Ueberdruß oder Unmuth bei ihrem kleinen Gesellschafter zu verhüten, fand die Zauberin es noch für gut, ihn jeden Abend mit den Worten in den Schlummer zu lallen: Schlaf! und vergiß, was heute geschehen ist! Daher geschah es, daß das arme Kind funfzig lange Jahre hindurch, alle Tage und alle Wochen, das nämliche lästige Werk verrichtete, ohne den Widerwillen dabei zu empfinden, welcher bei völliger Erinnerungskraft unvermeidlich gewesen wäre. Gern hätte sie den geraubten Knaben um alles Andenken an die Vergangenheit betrogen, aber dies war ihrer Kunst unmöglich. Obgleich der lange Aufenthalt bei ihr den größten Theil der in den ersten sieben Jahren seines Lebens empfangenen Eindrücke verwischten, obgleich, da die Zauberin mit dem Kinde nie in einer andern, als ihrer Muttersprache, der arabischen, redett, selbst die Fähigkeit, sich seinen Landsleuten verständlich zu machen, verschwand, so blieben von allen Dingen, die er ehemals gesehen, gewußt, geliebt und gekannt hatte, doch noch immer Spuren genug übrig, die [116] oft, zum größten Verdruß der Hexe, schnell zum Vorschein kamen.

Unter die Dinge, welche Georg nie vergessen konnte, gehörte sein eigner Name und der Name seines Vaters; er hörte auf keinen andern, als den ersten, und brachte oft, besonders in der letzteren Zeit, halbe Tage damit hin, Höhle und Wald von seinem Namen wiederhallen zu lassen.

Es waren traurige Jahre, die Georg auf diese Art verlebte, aber eben seine Bezauberung machte, daß er nicht den zehnten Theil von ihren Schrecknissen fühlte. Er genoß selbst eine Art von Glück, wie es der unwissenden Kindheit eigen ist, und gewann Neigung gegen die, welche ihm, ohne daß er es wußte, soviel Unrecht angethan hatte.

Die so lang gebrauchte Jugendkur blieb bei der Zauberin nicht ohne Wirkung; mit dem fünf und zwanzigsten Jahre derselben war es schon sichtbar, wieviel ihre Form an Festigkeit gewonnen hatte, und zu Ende des funfzigsten hatte sie schon das Ansehen eines guten Mütterchens von mäßigem Alter. Ja sie konnte jetzt schon täglich an ihrem Stabe aus der Höhle schleichen, um sich mit ihrem kleinen Wundarzte, der nie von ihrer Seite ging, in der Sonne zu wärmen. Georg unterhielt sie dann mit dem gewöhnlichen Geschwätze der Kindheit, oder er erhielt Erlaubniß, Blumen zu pflücken, so gut sie diese traurige Gegend darbot, oder Bäume zu erklettern, oder sich in der Quelle zu baden, wo sie dann ihren Platz in der[117] Nähe nahm, um den Knaben immer in den Augen zu behalten, und sich indessen an dem Gedanken ihrer künftigen ferneren Verjüngung zu weiden. Sie sah sich schon im Geiste wieder blühend und schön, und war nicht übel willens, dann den Knaben Georg zum Jünglinge, und sich zu seiner Geliebten zu machen; schöne Luftschlösser, die bald auf einmal zusammen stürzen sollten!

Es ist bekannt, daß alle Feen einer gewissen Fatalität unterworfen sind, welche sie, nach Maasgabe ihres Ranges, immer in längern oder kürzern Zwischenräumen betrifft, und für sie oft die Quelle mannichfachen Unglücks wird. Auch diese Zauberin mußte sich gefallen lassen, des Jahres dreimal das, was ihr von der Menschengestalt übrig war, mit der Gestalt einer Schlange zu vertauschen, und es dem Zufalle zu überlassen, was ihr in dieser traurigen Epoche begegnen könnte. Georg hatte diese Verwandlung oft wahrgenommen, sie schien ihm etwas sehr unbedeutendes zu sein, wie es mit allen Dingen geht, die uns oft vor die Augen kommen, und er wunderte sich nur, daß mit seiner Gestalt nie eine Veränderung vorging.

Um des kleinen Georg während der Zeit der Verwandlung, die stets nur einen Tag dauerte, gewiß zu sein, besorgte die Zauberin immer einen wohlthätigen Schlaf, der unsern Georg allemal kurz vor oder nach dem geheimnißvollen Vorgange überfiel, und so lange dauerte, bis sie ihn wieder in ihrer eignen Gestalt erwecken konnte.

[118] Sie konnte, wie alle Damen ihres Gelichters, die unglückliche Zeit, die sie so vielen Fatalitäten aussetzte, wohl ungefähr voraussehen, aber Tag, Stunde und Minuten genau zu berechnen, war ihr unmöglich, und es geschah daher, daß sie einst von derselben gerade in dem Augenblicke überrascht wurde, als Georg im Bade war, und sie am Rande des Bächleins saß und sich an süßen Träumen von der Zukunft ergötzte.

Die Hand des Schicksals ergriff sie mitten in ihrem Tiefsinn; sie wurde schnell zur Schlange, und Georg, anstatt, wie sonst immer geschah, bald darauf Neigung zum Schlafe zu empfinden, blieb munter und fuhr fort, im Wasser zu plätschern. Die Schlange krümmte sich am Ufer, zischte und funkelte mit den Augen. Georg verstand nicht, daß diese Pantomine ihm befahl, aus dem Wasser zu steigen, nach der Höhle zu gehen, und daselbst, weil diesesmal der Schlaftrunk für ihn vergessen worden war, sich bis zur Rückkunft seiner Gesellschafterin ruhig zu verhalten.

Er fühlte sich in diesen Augenblicken freier, als jemals; ein geheimes Gefühl sagte ihm, er sei jetzt ganz sein eigner Herr, und er überlegte schon eine Menge, ihm sonst verbotener Knabenstreiche, die er nach Endigung des Bades vornehmen wollte, als plötzlich ein Mann mit einem wilden braunen Gesichte aus dem Gebüsch trat, die sich noch immer windende und zischende Schlange durch die Berührung einer Haselruthe steif machte, und sie dann in einen Sack zu andern Schlangen steckte. Der Mann [119] war ein Rattenfänger, und bediente sich jener Ungeheuer entweder blos, um beim Pöbel Aufmerksamkeit zu erregen, oder um wirklich durch sie Ratten und Mäuse zu vertreiben.

Georg wurde durch den Anblick einer Menschengestalt, dergleichen ihm in funfzig Jahren nicht vor die Augen gekommen war, so erschreckt, daß er ein lautes Geschrei ausstieß. Kaum erblickte der Räuber der Schlange den wunderbaren Knaben, der durch seine Schönheit, und die seltsamen Mahle, die jetzt bei seiner Nacktheit ganz sichtbar waren, wohl Aufmerksamkeit erregen konnte, so sprang er herbei, um auch ihn zu fangen.

Georg war indeß gewandter, als der Rattenfänger; er entschlüpfte ihm, nahm im Fliehen seine Kleider, die am Ufer des Baches lagen, mit sich, und lief dann so schnell waldeinwärts, daß der braune Mann ihm auf den verschlungenen Irrgängen nicht folgen konnte, und endlich, der Verfolgung müde, mit seiner Beute, der wunderschönen Schlange, vergnügt einen andern Weg einschlug.

Der Knabe wanderte den ganzen Tag umher, ohne die Höhle der Zauberin finden zu können; er tröstete sich jedoch bald darüber, so wie über die Entführung seiner Gefährtin, und was ihn anfangs beunruhigte, war bald völlig vergessen. Ihn ergriff ein seltsames Gefühl von Wohlbehagen, das erste Bewußtsein der Freiheit. Wie viel Unbequemlichkeiten mit dieser Freiheit für eine so kleine Person, wie er war, verbunden waren, ahnte er nicht; [120] denn obgleich er nur allein in diesem Walde mehr als funfzig Sommer erlebt hatte, so besaß er doch nur den Verstand eines siebenjährigen Kindes, und der gegenwärtige Augenblick, wo er aus der Gewalt seiner Räuberin befreit war, kettete sich genau an den, in welchem er vor einem halben Sekulum seinem Vater entrissen worden war. Seine Bedürfnisse waren übrigens so einfach, daß er sie leicht befriedigen konnte, und keinen Mangel zu leiden brauchte. Wurzeln und wilde Beeren hatten ihm zur Nahrung gedient, und diese fand er hier bei jedem Schritte. Auch bedurfte es für ihn keiner weichen Betten, um den Schlaf herbei zu rufen; die kalte feuchte Höhle war funfzig Jahre lang sein Nachtlager gewesen, und er fand gleich in der ersten Nacht, daß es sich auf dem grünen Rasen, dem weichen Moose und unter dem sternenbedeckten Himmel weit besser ruhte, als in der finstern Höhle.

Drei Tage hatte er auf diese Weise verlebt, als er am Abend des letzten sich in eine unbekannte Gegend verirrte. Das Gesträuch war hier noch mehr in einander verwachsen und undurchdringlicher, als an den Stellen des Waldes, wo er bisher sich aufgehalten hatte, aber von fern zeigte sich ihm ein Gegenstand, welcher ihn reizte, alle Schwierigkeiten zu überwinden. Ein Strauch mit lockenden Beeren, der auf einer Anhöhe stand, zog seine Augen auf sich; er wollte und mußte von diesem verführerischem Obste kosten. Mit großer Mühe drängte er sich durch das Gebüsch, und stand auf einmal in der Gegend, [121] wo der Einsiedler Albert am Eingange seiner Höhle saß, und sich im Abendstrahl der Sonne wärmte.

Der Knabe stutzte ein wenig, doch das ehrwürdige Gesicht des freundlichen Greises und ein geheimes Etwas im Innersten seiner Seele machte, daß sein anfänglicher Schrecken schnell in andere, süßere Empfindungen überging. Man bewillkommte sich, man sprach mit einander, und obgleich Georg den Einsiedler so wenig verstand, als dieser ihn, so faßte er doch Vertrauen und Zuneigung zu ihm, und bald erweckten die Liebkosungen des Alten unnennbar freudige Gefühle in ihm.

Das Maaß seiner süßen Empfindungen voll zu machen, mußte Albert noch seinen Namen nennen. Er rief »Georg« und Georg tönte es in des Knaben Herzen wieder. Plötzlich verließ er den Strauch mit seinen verführischen Beeren, der ihn hierher gelockt hatte, und den er eben zu plündern begonnen; er hing sich an den Arm des Alten, der sich liebkosend zu ihm herabbeugte, er schmiegte sein Gesicht an seine Wangen, und wiederholte, Georg! Georg! als flehe er, noch einmal so genannt zu werden!

Doch was wiederhole ich diese Dinge? Meine Leser sind Zeugen der ganzen Scene gewesen, bis dahin, wo der Schlaf die Oberhand über die wache Zärtlichkeit gewann, und Albert, indem er seine gefaltenen Hände um den in seinem Schooße ruhenden Knaben schlang, sein Haupt gleichfalls zum Schlummer neigte.

Voll Sorge, oder vielmehr in der Gewißheit, beim Erwachen das nicht wieder zu finden, was er für Vision [122] hielt, entschlief er. Dieser Gedanke gab Veranlassung zu unruhigen Träumen; der Greis fuhr schnell vom Schlafe auf, und, welches Entzücken, als er das Ebenbild seines Sohnes noch immer neben sich sah! Der Mond schien dem Kinde hell in das Engelsgesicht, das Herz schlug sichtbar unter dem rothen Kreuze, es war noch ganz dieselbe Gestalt, zu der er sich so sehr hingezogen fühlte. »O Himmel!« rief Albert, »sollte dieses wirklich, wirklich kein Traum sein? – Aber Traum, oder nicht! es bleibt doch immer eine Unmöglichkeit, daß ich in diesem Engel etwas anders als das Ebenbild meines verlornen Sohnes umfasse; er selbst kann, kann es nicht sein! –«

Jetzt fing Georg an, im Schlafe zu sprechen; unverständliche Worte, von denen der Eremit nichts verstand, als den Namen Albert. – »Albert?« wiederholte er, »wer hat ihm meinen Namen nennen gelehrt! – Die Sache übersteige die Gränzen der Möglichkeit noch so sehr, so kann sie doch wohl durch ein Wunder zur Wirklichkeit werden, und wenn sie es wäre, wenn in der Wahrheit mein Sohn, mein eigner, mir so kenntlicher Sohn, mir am Abende des Lebens wiedergeschenkt würde!

Er noch ein Kind, ich ein fast hundertjähriger Greis, war es nicht eben das, was Bennets Prophezeiung sagte?«

Mit Hoffen, Grübeln und Zweifeln über die alte, fast vergessene Weissagung des Mönchs, ging die Nacht hin. Der Morgen brach an, und sein Strahl, der sonst, wie bekannt, jede Täuschung zerstreut, vermochte nichts [123] über die geliebte Gestalt, vor deren Verschwinden dem Eremiten noch immer bange war. Georg erwachte, und schmiegte sich, ganz mit der liebkosenden Art, die Albert ehemals an ihm gewohnt war, um seine Kniee; er stand dann auf, und stellte sich mit der Geberde eines Erzählenden vor den Eremiten. Seine in fremder Mundart vorgebrachte Geschichte war lang; sie betraf einen Traum, den er diese Nacht gehabt hatte, und in dem der Name Albert fleißig vorkam, der völlig genügte, den Alten mit neuem Entzücken zu erfüllen. Er antwortete dem kleinen Erzähler in der Sprache seines Landes, dieser horchte aufmerksam zu, und schien sich zu bemühen, das Gesagte zu verstehen.

Was heute und viele folgende Tage nicht glückte, war für die Zukunft aufbehalten. Schlafende Ideen erwachten stufenweise in der Seele des Knaben, längst vergessene Begriffe entwickelten sich; was er ehemals wußte, konnte er mit Hülfe seines zärtlichen Lehrers leicht wieder lernen, und als erst das Mittel, sich verständlich zu machen, die gemeinschaftliche Sprache, wiedergefunden war, so enthüllten sich alle Geheimnisse. Es dauerte nicht lange, so konnte Albert den Knaben mit der völligen Gewißheit, er sei sein Sohn, an sein Herz drücken. Bei Georg kehrte mit der Wiedererlernung seiner Muttersprache die Erinnerung an die Vergangenheit zurück, die bisher, durch so lange Jahre und die Zauberkünste seiner Feindin verwischt, ihm nur in den stillsten und heitersten Stunden wie ein Schattenblid vorgeschwebt hatte. Wer hat [124] nicht – so sagt hier unser Urschreiber, der wohl ein wenig der Schwärmerei nachgehangen haben mag, – wer hat nicht in seinem Leben etwas Aehnliches erfahren? Wer findet, wenn er genau auf sich selbst merkt, nicht Spuren von dunkler Erinnerung an entweder längst vergangne, oder vielleicht gar nicht in das gegenwärtige Leben gehörige Dinge, welche sich erst in bessern Welten völlig entwickeln müssen? – Etwas Aehnliches widerfuhr unserm Georg; die Zeit der Betäubung war für ihn vorüber, der Zauberschleier war zerrissen, er sah hell, wo er vorher im Dunkeln tappte, und sein Vater, zu dessen Füßen er oft mit kindlichem Entzücken saß, war es, der ihm seine Begriffe aufklären half.

Der Gestalt nach war und blieb Georg ein Kind, dessen Körper sich nur so langsam entwickelte, als es in den ersten zarten Jahren gewöhnlich ist; aber sein Geist, so lange er auch durch Verwahrlosung der Hexe ungepflegt geblieben war, reifte schneller zur Vollkommenheit. Er lernte schnell denken, und wie ein Erwachsener sprechen, lernte die lange, im Zauberwalde verlorne Zeit betrauern, und sich nach besserer Anwendung des Lebens sehnen.

»Sie wird dir nicht angerechnet werden, diese dir abgestohlne Zeit,« sagte oft tröstend sein Vater zu ihm; »siehe, die Zukunft breitet sich, laut der Weissagung, so reich an Thaten vor dir aus, als wenn noch kein halbes Seculum über deinem Haupte entflohen wäre, und du erst jetzt im Anbeginn deines Lebens stündest.«

[125] Georg pflegte diesen Trost mit Thränen und mit dem Wunsche zu beantworten, daß nur auch die Zeit der Thaten schnell erscheinen, und sein Körper schnell emporwachsen möge, um dieselbe zu nützen.

»Sie nützen zu können, wenn sie erscheint,« war Alberts Antwort, »hast du noch viel zu lernen, und das Schicksal hält dich vielleicht nur darum nach in den Schranken der Kindheit zurück, um dir Muße hierzu zu geben.«

Diese weise Belehrung war für den Knaben eine Aufforderung zu einem unermüdeten Bestreben nach Vervollkommnung in Allem, was ihm sein Vater lehren konnte; und Albert lehrte ihm Tugend, Frömmigkeit und Ritterpflicht, lehrte ihm Weltkenntniß, wobei ihm seine eigene, jetzt mehr als neunzigjährige Erfahrung sehr zu Statten kam. Auch vergaß er nicht, ihm nebenbei die Thaten der alten Helden zu erzählen und dadurch den Trieb der Nacheiferung in Georgs Herzen zu einer Flamme anzufachen, die fast so stark für ihn war, die bei den Fesseln, die er trug, den Fesseln der langsam fortschreitenden Natur, ihn hätte verzehren können.

»Mein Sohn,« sagte Albert eines Tages, »dein Schicksal macht mir Kummer; ich muß schnell darauf denken, es zu verbessern, ehe die Hand des Todes, die schon oft bei mir anklopfte, mich dir entreißt, und dir deine einzige Stütze, den einzigen Vertheidiger und Zeugen deiner Rechte raubt. Ach, diese Rechte, diese großen Ansprüche deiner Geburt, warum mußte ich sie vernachlässigen? Ich muß Alles versuchen, sie dir wieder zu geben, [126] nur ist die schwere Frage, wie dieses geschehen soll.«

Georg meinte, nichts sei leichter als dieses. »Unsre Geschichte,« sagte er, »hat bei allen ihren Sonderbarkeiten so viel unverkennbare Zeugnisse der Wahrheit, daß wir nichts zu thun haben, als uns dem Könige zu zeigen. Der Erzählung unserer Abentheuer wird unmittelbar die Ueberzeugung, und dieser die Wiedereinsetzung in unsere Güter und Titel folgen.«

»Und welches sind die Beweise,« erwiederte der Eremit mit Achselzucken, »auf die du dich stützen willst?«

»Der Ernst der Wahrheit in eurem Munde, die Mahle, mit welchen mich die Natur zeichnete, und von welchen, wie ihr mir gesagt habt, bei meiner Geburt im ganzen Lande viel Redens war. Rechnet hierzu die Kleinigkeit, daß Georg etwas mehr Verstand zeigt, als seine Kindergestalt mit sich bringt –«

»O, mein Sohn, dein Verstand ist noch immer der Verstand eines Kindes, das beweißt dein gegenwärtiges Urtheil! Du kennst die Welt nicht. Man wird uns hören, und uns doch nicht glauben, oder man wird glauben, wird es auch vielleicht eingestehen, daß man überzeugt ist, aber – statt der gehofften Gerechtigkeit wird heimliche Nachstellung, wird vielleicht der Tod unser Loos sein.«

Was der erfahrne Alte voraussah, das geschah. Albert konnte den ungestümen Bitten seines Lieblings endlich nicht länger widerstehen. Er zog mit ihm nach Hofe, [127] wo ihm sein ehrwürdiges Ansehen, und die Schönheit seines Begleiters wirklich baldige Audienz beim Könige verschafften.

Auch mochte es ihm wohl etwas genützt haben, daß er sich bei Hofe keinesweges den Anschein eines Gnadesuchenden gab, und Anfangs sein Anliegen verschwieg. Die großen Herrn verstatten ja demjenigen, der ihre Hülfe nicht zu bedürfen scheint, noch am ersten Zutritt.

Als aber der Eremit sein Anliegen vortrug, als er seine, wir bekennen es, selbst uns fast unglaubliche Geschichte erzählte, sich für den, vor so vielen Jahren verschollenen Graf Albert, und den Knaben an seiner Seite, für seinen Sohn und Erben ausgab, da verlachte man ihn höhnisch, und es fehlte nicht viel, daß man ihn für wahnsinnig erklärte. Noch schlimmer wurde die Sache, als Albert Beweise beibrachte, woraus hervorging, daß er wirklich der war, für den er sich ausgab, und als er hierauf ernstlich auf Wiedereinsetzung in seine Güter drang. Man sah jetzt bei Hofe wohl ein, daß man ihn nicht ohne Weiteres abweisen konnte, man versicherte ihm daher, daß man die Sache untersuchen wolle, und daß man ihm, wenn sich seine Angaben als richtig und wahr erweisen sollten, rechtliche Hülfe nicht versagen würde. Man zog hierauf heimlich Erkundigungen ein, man schlug in den Jahrbüchern von Conventry nach, und als man fand, daß Alles, was der Graf ausgesagt hatte, Wahrheit war, und daß eine genaue Untersuchung der Sache sich zu Gunsten der Hülfesuchenden herausstellen würde, [128] da beschloß man die Armen aus dem Wege zu räumen. Glücklicherweise wurden diese jedoch von einem redlichen Manne, der sich ihrer bei Hofe angenommen hatte, noch zeitig genug von dem ihnen bevorstehenden Schicksale benachrichtigt, so daß sie ihren Feinden entkamen, als schon das meuchlerische Schwert für sie geschliffen war.

»Mir ahnte, was uns begegnet ist,« sagte Albert auf der ersten sichern Station ihrer Flucht; »als ich an den Hof kam, sah und hörte ich noch mehr, was mich von meinem thörichten Unternehmen hätte abbringen sollen. Der König ist mehr mit seinem Schwerte, als mit Handhabung der Gerechtigkeit beschäftigt, in seinem Rathe behauptet der unrechtmäßige Besitzer unsrer Güter eine der ersten Stellen, und der Abt des Klosters zu Coventry ist – königlicher Beichtvater. – Was können wir hier hoffen? Laß uns fliehen, mein Sohn, und sehen, ob wir in andern Ländern mehr Gerechtigkeit, oder wenigstens mehr Mitleid für deine traurige Lage finden, welche mir am meisten am Herzen liegt. Meine Absicht ist, dich den Händen irgend eines großen Herrn anzuvertrauen, ihm deine Geschichte zu erzählen, und ihn um Behauptung deiner Rechte, oder auch nur um Schutz für deine hülflose Kindheit anzusprechen, bis du das Ritterschwert führen, und dir selbst helfen kannst, wo du dann nicht vergessen wirst, vorerst dem Lande, das dich aufnimmt mit Leib und Leben ritterlich zu dienen.«

Zur damaligen Zeit gab es außer dem Könige von England keine größern Herrn in der Welt, als den[129] König von Frankreich und den deutschen Kaiser. Albert zog jetzt zu dem ersten, und fand daselbst ganz die Aufnahme, die dem ritterlichen Charakter der Nation und der Sitte jener Zeiten angemessen war.

Mit der größten Huld wurden die beiden Pilger empfangen; ihre Geschichte fand bei den Freunden des Wunderbaren vollen Glauben. Der König versprach mehr, als die Fremdlinge forderten; die Ritterschaft schwur, die Rechte Graf Alberts und seines Sohnes im nächsten Turniere gegen alle Widersprecher zu behaupten, und die Damen waren entzückt über die Schönheit des Kindes, in welchem eine männliche Seele wohnte.

»Laß uns fliehen, mein Sohn,« ermahnte hier der weise Albert abermals. »Die Versprechungen sind hier zu verschwenderisch, die Speere zu leicht, und die Liebkosungen zu übertrieben, als daß wir ihnen trauen könnten. –« Und sie flohen und hinterließen den französischen Romanziers Stoff zu den schönsten Liedern. Ehe sie noch die Gränzen erreichten, ertönte schon ihr Name von tausend Lippen, und eine Dame, welcher nicht die Mähr vom Graf Albert und Georg bekannt gewesen wäre, würde alle ihre Ansprüche auf den guten Ton verwirkt haben.

Die Reisenden kamen nach Deutschland. Das Reich hatte damals an Rudolph von Habsburg einen guten und löblichen Kaiser, von dem sich alles hoffen ließ, wenn man nur so weit gekommen war, daß die Stimme der Klage sein Ohr erreichte. Aber eben seine Bereitwilligkeit, zu helfen, machte dieses schwer; er war von Bittenden [130] zu sehr umlagert, und seine Umgebungen thaten alles Mögliche, um dem Wohlthätigkeitssinne ihres Herrn, den sie am liebsten für sich in Anspruch nahmen, dadurch zu steuern, daß sie die Hülfesuchenden unter diesem und jenem nichtigen Vorwande abwiesen. Dazu kam noch, daß das Bestreben Rudolphs, noch am Abend seines Lebens so viel als möglich Gutes zu stiften, seinen Aufenthalt stets ungewiß bleiben ließ; er war überall und nirgends, ließ oft den königlichen Mantel und den Reichsstab, nebst seinem Namen in irgend einer großen Stadt, während sein eignes wohlthätiges Selbst unerkannt, und also auch von dem Nachruf ungerühmt, in den benachbarten Gegenden Wohlthaten ausstreute, oder die Handhabung der Gerechtigkeit belauschte.

Der Graf und sein Sohn wollten und wußten den Kaiser selbst sprechen. Lange Zeit irrten sie in dieser Absicht umher, kamen bald an Orte, wo der Kaiser zwar gewesen, die er aber schon verlassen hatte, bald wieder an solche, wohin er erst kommen sollte, und nirgends fanden sie ihn.

Durch das Gerücht auf tausendfache Art irre geleitet, erfuhren sie endlich als gewiß, daß die Stadt Hildesheim sich jetzt der Gegenwart des Kaisers erfreue. – »Gott gebe, daß wir ihn dort finden,« sagte der Greis, »denn, o mein Sohn, schon längst fühlte ich das allmäliche Dahinschwinden meiner Kräfte, jetzt fühle ich noch mehr, fühle, daß es mit mir schnell zu Ende geht! O, was wird aus dir werden, wenn mich der Tod übereilen sollte, ehe ich dich treuen Händen anvertraut und dein Schicksal gesichert [131] hätte? – Doch meine Rede ist thöricht, und meine Sorge fast lächerlich; du ruhst in Händen, welche dein Schicksal sichern, und die die großen Dinge, zu welchen du bestimmt bist, durch dich vollbringen werden, auch wenn ich in diesem Augenblicke die Augen zum ewigen Schlafe schliessen, und dich in dieser Einöde, ein einsames freundloses Kind, hinterlassen sollte.«

Die Reisenden befanden sich zu der Zeit in einer damals noch unbebauten Gegend, wo heut zu Tage das Dorf Boroz unweit der Stadt Hameln liegt. Kaum hatte der Graf seine Rede geendet, als ein Unglück über die armen Pilger hereinbrach, welches, obgleich es die eben gesagten hoffnungsvollen Worte geradezu zu widerlegen schien, doch den Glauben dessen, über dessen Lippen sie gingen, nicht wankend zu machen vermochte.

Aus dem nahen Gebüsch sprangen zwei Räuber hervor, die sich durch das sehr mittelmäßige Aeußere der beiden Reisenden nicht abschrecken liessen, bei ihnen Raub von Gold und Silber zu suchen. Sie fanden auch Beides, denn Alberts Sparsamkeit hatte noch immer etwas von dem Schatze, den er vor vielen Jahren mit auf die Flucht nahm, übrig behalten, freilich nur so wenig, daß ihnen bei dem eingeschränktesten Leben doch schon Mangel drohte, wenn sich Gott nicht bald ihrer erbarmte.

Albert gab willig hin, was er nicht vertheidigen konnte; als aber die Räuber sich auch seines Sohnes bemächtigen wollten, um ihn mit sich wegzuführen, da setzten sowohl er, als auch der kleine Georg sich heldenmüthig zur Gegenwehr. Der schwache Greis und das [132] noch nicht neunjährige Kind würden indeß in dem ungleichen Kampfe gegen zwei starke Männer bald unterlegen haben, wenn nicht Hilfe erschienen wäre.

Die Justiz der Stadt Hameln stand damals in gutem Rufe; Raub und Unfug konnte in ihren Distrikten selten ungeahndet getrieben werden; der Stadtmeister hielt immer eine gute Anzahl junger wehrhafter Bürger auf den Beinen, welche dem unheilstiftenden räuberischen Gesindel zeitig auf der Spur waren. Hier kamen indessen die Diener der hamelschen Gerechtigkeit doch fast ein wenig zu spät, denn die Gegner unserer beiden Helden hatten schon beinahe alles Böse verübt, was sie hier verüben konnten; die ganze Baarschaft der Angefallenen war in ihren Händen, und Albert hatte in dem ungleichen Streite eine Verletzung erhalten, welche seinen dünnen Lebensfaden schnell abzureissen drohte. Alles was die unverhoffte Erscheinung der hamelschen Helfer mit ihren weit in die Ferne blinkenden Waffen Gutes stiftete, war, daß sie die Bösewichter veranlaßte, schnell mit ihrer Beute zu entfliehen, ohne daß sie sich Zeit nahmen, ihre Streiche auf den Vater zu erneuern, oder ihre räuberischen Anschläge auf den Sohn auszuführen.

Die Männer fanden den Knaben knieend an der Seite seines blutenden Vaters, indem er sich vergebens bemühte, den Strom seiner Thränen zu hemmen, und sein Jammergeschrei zu unterdrücken, damit ihm keines der letzten gebrochenen Worte des geliebten Greises entginge.

[133] »Mein Sohn,« stammelte dieser, »ich fühle es, ich sterbe. Ich habe dir beim letzten schnellhereinbrechenden Abschied wenig zu sagen, denn, Gott Lob! die Lehren der Tugend und Frömmigkeit sind in dein Herz geschrieben; also nur noch einige Regeln der Klugheit: Vertraue dich Niemand, von dem du nicht überzeugt bist, daß er dir gewiß helfen kann. Dein Verstand und dein Wissen übersteigt das, was man einem neunjährigen Knaben, der du zu sein scheinst, mit Wahrscheinlichkeit zutrauen kann; verhehle deine Vorzüge, sie würden dir nur Neider und Feinde erregen. Bleibe ein Kind, bis sich dein Schicksal ändert; die Mahle, die du auf deiner Brust, und am Obertheil deines rechten Armes trägst, verhülle sorgfältig, denn – doch wir werden gehört! – das übrige ein andermal!«

Aber dieses andremal kam nie; zwar leisteten die Reisigen der Stadt Hameln dem verwundeten Albert alle mögliche Hilfe, verbanden ihn wohl und trugen ihn sanft und vorsichtig den nicht weiten Weg nach ihrer Stadt, aber noch denselben Abend schlug sein letztes Stündlein, und kaum war es ihm noch vergönnt, seinen verlassenen Sohn dem Stadtmeister zu empfehlen und diesem für alles Gute, was er der armen Waise erzeigen würde, die reiche Vergeltung des Himmels anzukündigen.

Die obrigkeitliche Person, welcher der kleine Georg von seinem sterbenden Vater anvertraut wurde, war ein Mann, schlecht und recht, bieder und ehrlich, gerade mit so viel Verstand begabt, als zur Gerechtigkeitspflege in [134] seinem Distrikte erforderlich war. Daß er nicht derjenige war, von welchem die Aenderung seines Geschicks abhing, und daß er sich ihm also nicht vertrauen dürfe, dies leuchtete Georgen frühzeitig ein. Seine Hoffnung beruhte auf keinem Geringern, als auf dem Kaiser, sein Dichten und Trachten ging Tag und Nacht auf nichts, als wie er zu seinem Thron hindurchdringen könnte, und er hörte mit Entzücken, daß man den Kaiser bei seiner Rückkehr von Hildesheim ganz sicher zu Hameln erwarte, und schon mit Ernst an den Vorbereitungen zu seinem Empfange arbeite.

Solcher Vorbereitungen sind vornemlich in Gegenden, welche selten einen Fürsten sehen, garviel und mancherlei; Wegebessern, Triumphbogen errichten, Inschriften ersinnen, Reden auswendig lernen, alles dieses kam auch hier an die Reihe. Aber das Hauptsächlichste und leider das Schwerste betraf die Herrichtung des alten Schlosses, auf welchem man kaiserliche Majestät beherbergen wollte, ungeachtet es in der Stadt nicht an einigen neuern und bequemern Häusern fehlte, welche sich zu einem Absteigequartier für den Kaiser besser eigneten, als jener unförmliche Steinhaufen, der seit zweihundert Jahren, da einmal ein Graf darauf residirt hatte, keinen andern Bewohner kannte, als Unken und Eulen, Ratten und Mäuse, welche in ungeheurer Menge und Größe hier zu finden waren.

Ueberhaupt hatte die Stadt Hameln das Unglück, mit den beiden letzten Gattungen dieses Ungeziefers ganz besonders heimgesucht zu sein, und es ging eine Sage [135] unter dem Volke, daß, als vor drei bis vierhundert Jahren die Mäuse zu Mainz des Landes verwiesen, und in den Bann gethan worden, weil sie den Bischof Hatto gefressen hatten, sich hierher gewendet hätten, um daselbst ihr ewiges Reich aufzuschlagen.

Georgs Pflegevater, der Stadtmeister, der wie wir ihm im Vorbeigehen nachsagen müssen, mehr Zuneigung für das ihm anvertraute Kind hegte, als sonst verlassene Waisen bei Fremden zu finden pflegen, hatte jetzt keine größere Sorge, als wie er vorgemeldetes Stadtübel schnell tilgen, oder wenigstens auf dem Schlosse, das jetzt schon die kaiserliche Burg heißen mußte, dergestalt beschränken könnte, daß kaiserliche Majestät nicht dadurch beunruhigt oder gar veranlaßt würde, der guten Stadt Hameln übel zu wollen.

Die Sorge des Biedermannes war nicht so leicht zu heben, denn die Mittel, welche man schon seit so vielen Jahren fruchtlos gebraucht hatte, das schädliche Mäuseungeziefer zu vertreiben, blieben auch jetzt unwirksam, und eben an dem Orte, den man am meisten gereinigt zu sehen wünschte, ereigneten sich die verdrießlichsten Beispiele von der Obergewalt, die die Feinde hier gewonnen hatten.

Sie schienen das alte Schloß als ihre eigenthümliche Residenz anzusehen, gingen ohne Scheu bei hellem Tage auf den schallenden Treppen, lagen in den alten goldgestickten Prunkbetten, und saßen auf Heerden und in Backöfen, wie weiland König Pharaos Frösche Das Allerärgste zeigte sich aber, als der Magistrat Anstalten machte, die [136] alten vermoderten Tapeten aus der wüsten Halle nehmen zu lassen, die man zu Rudolfs Schlafgemach bestimmt hatte, denn in dem morschen Tafelwerk wimmelte alles von den verhaßten Geschöpfen, und als sie jetzt, durch das Geschrei der vielen anwesenden Menschen erschreckt, sich zu regen und auseinander zu laufen begannen, da schien ihre Anzahl in die Tausende vermehrt. Jedem der Zuschauer begann vor Hattos Schicksal zu grauen, und der Flucht der Mäuse folgte eine eben so übereilte Flucht ihrer Feinde, nur daß die ersten im Besitz ihrer gewählten Residenz blieben, und sich in den ihnen wohlbekannten Schlupflöchern bargen, da hingegen die andern das Schloß voller Entsetzen verliessen, und es, indem sie das große Thor mit sieben Schlössern verwahrten, für incurabel erklärten.

An ebendemselben traurigen Abende, da die Herren des Rathes noch eine besondere Sitzung über die Frage hielten, was nun zu thun sei, betrat die Feldmark der Stadt Hameln ein Mann, welcher sich rühmte ein großer hocherfahrner und glücklicher Rattenfänger zu sein. Ein Bauer, der diesen Tag in der Stadt gewesen war, hörte seine Rede, trug dem Wundermann die dasige allgemeine Noth vor, und führte ihn, als er sich willig finden ließ, hier zu helfen, des andern Tages in den Morgenstunden in die Mauern der Bedrängten ein.

Georg, der sich eben mit mehreren Knaben seiner Bekanntschaft in einem Teiche badete, der damals nahe vor den Thoren der Stadt war, sah den Fremden kommen, [137] und nahte sich dem Ufer, um zu hören, was das Geschrei des Mannes, der seine Thaten ausrief, und die Menge des ihm begleitenden Volkes zu bedeuten habe. Da er aus den verwirrten Stimmen nicht klug werden konnte, fragte er einen der Näherstehenden, was hier vorgehe, und wer der Mann sei, der soviel Aufsehen errege. Man nannte ihm den barbarischen Namen Thilo Hallad, den sich der Marktschreier gab, und der den Fragenden um nichts klüger machte.

»Wer aber bist du denn?« fragte Thilo Hallad, der in diesem Augenblicke stehen blieb, und den Knaben unverwandt ansah. »Mich dünkt, ich erblicke dich heute nicht zum erstenmal?« Georg schwieg und schauerte in sich zusammen, er wußte selbst nicht warum. Er bemerkte darauf, daß der Fremde mit immer steigender Verwunderung stechende Blicke auf das rothe Kreuz heftete, welches in Folge seiner leichten Badekleidung, nebst den andern Mahlen ziemlich sichtbar war. Er erröthete, vielleicht blos aus Beschämung über seine Blöße, vielleicht auch weil ihm der Befehl seines Vaters einfiel, die wunderbaren Zeichen, mit denen ihn die Natur begabt hatte, wohl zu verhüllen, und er erschrack, diesen Befehl hier ganz außer Acht gelassen zu haben. Er hatte nicht daran gedacht, daß er hier andern Augen ausgesetzt war, als denen seiner einfältigen Badegefährten, welche, so oft er sich auch mit ihnen in diesem Teiche gebadet hatte, sich doch so wenig über jene Zeichen an seinem Körper verwundert hatten, daß er ihrer kaum selbst mehr bewußt war.

[138]

Der beschämte Georg nahm, da jetzt Thilo Hallad, weil er keine Antwort auf seine Frage erhielt, fortging, seine Kleider, und eilte mit seinen Gefährten nach der Stadt, um von dem, was nun vorgehen würde, nichts zu verlieren. Die hamelschen Angelegenheiten standen mit seinem Wunsche, den Kaiser bald zu sehen, in zu genauer Verbindung, als daß ihm dieselben hätten gleichgiltig sein können.

Der Stadtmeister, und der ganze Rath waren schon auf dem Rathhause versammelt, wo sie den Tausendkünstler vor sich treten liessen, um sein Erbieten und die Forderungen, die er dagegen machen würde, zu vernehmen. Die ganze Stadt war in freudiger Erwartung; das Volk drängte sich in Masse zu dem Saale, wo der Magistrat versammelt war, und das Getümmel wurde endlich so groß, daß man die Thüren verschliessen mußte, um Unglück zu verhüten; denn das so lange geplagte Volk war außer sich vor Freude, Hoffnung zu haben, eines verjährten Uebels los zu werden, und dabei ihre gute Stadt zum Empfang kaiserlicher Majestät besser hergestellt zu sehen. Da Georg bald merkte, daß alle seine Bemühungen, hier etwas von den geheimen Vorgängen auszukundschaften, vergeblich waren, so ging er in die Wohnung seines gutmüthigen Pflegevaters, des Stadtmeisters, zurück, indem er hoffte, später Alles aus dessen eignem Munde zu erfahren.

Die Hausfrau wartete daselbst schon mit dem Mittagsessen auf ihren Herrn Gemahl, und da nur dunkle[139] Gerüchte über das, was die Stadt in so große Aufregung gebracht hatte, zu ihr gedrungen waren, so freute sie sich sehr, Georgen zu sehen, der ihr nähere Nachrichten über die Sache geben konnte. Er erzählte ihr mit vieler Theilnahme und großem Eifer, was er davon wußte, denn da er einst gehört hatte, daß die gute Stadt Hameln sich eher den kaiserlichen Besuch verbitten würde, als sich vor dem Kaiser durch Blosstellung ihrer geheimen Plage zu blamiren, so war ihm fast so viel an der Säuberung der Stadt gelegen, als dem Magistrate selbst.

Die Stadtmeisterin lobte den Knaben, daß er, obgleich ein Fremder, sich das gemeine Leiden so tief zu Herzen nehme, und wiederholte ihm ihr schon oft gethanes Versprechen, ihn nicht zu verlassen, und weil sie und ihr Mann selbst kinderlos wären, ihn wie einen Sohn zu halten. Sie liebte ihn überhaupt sehr, weil er so schön, so still und verständig war; doch was das letzte anbelangt, so hätte sie, wenn sie selbst mehr Verstand besessen hätte, wohl manchmal befremdende Dinge ahnden können, denn Georg konnte bei aller Vorsicht sich nicht immer hinlänglich hüten, daß er nicht klüger sprach und handelte, als seine Kindergestalt es eigentlich mit sich brachte. Er selbst fühlte dieß oft, und wußte sich dann nicht besser zu helfen, als daß er die Gesellschaft der Erwachsenen floh, und sich zu Kindern gesellte, die dem Anschein nach seines Gleichen waren; hier konnte er ohne Zwang reden, schweigen, und handeln wie er wollte, und seine übrige Theilnahme an den gewöhnlichen Knabenspielen [140] tilgte immer jeden Eindruck, den etwa eine kürzlich bemerkte Ueberschreitung kindischer Sitten gemacht hatte. – »Unser Georg,« pflegte dann der Stadtmeister zu sagen, »ist dennoch ein Kind, obgleich etwas klüger als die unsrigen!«

Um aber zu der Mahlzeit zurückzukehren, bei welcher man den hamelschen Konsul so lange vergeblich erwartet hatte, so erschien der Ersehnte zwar endlich, aber lange blieb er gegen die neugierigen Fragen seiner Hausfrau und gegen Georgs forschende Blicke unerbittlich, bis endlich folgende mit dictatorischem Ernste gesprochenen Worte aus seinem Munde gingen: »Leistet Thilo Hallad, was er versprach, so sind wir unsers hundertjährigen Uebels morgen quitt, und kaiserliche Majestät kann hier so sicher ruhen, als auf seiner Burg in der Residenz. Eines bebekümmert mich nur; der Künstler schlägt allen Lohn an an Geld und Geldeswerth aus, den wir ihm geboten haben, dagegen hat er die Gewährung einer freien Bitte so schnell, so einstimmig erhalten, daß ich mit Mühe die Klausel einschalten konnte, daß das Verlangte weder uns, noch unsern Weibern und Kindern nachtheilig sein sollte. Er ging die Bedingung ein, doch mit Vorbehalt, daß ihm das Geforderte unverzüglich, und ohne alles Bedenken geliefert werden müsse, wenn man sich nicht strenger Rache aussetzen wolle.«

»Es ist die Gewohnheit bösartiger Leute, da zu drohen, wo man ihre Hülfe braucht,« sagte die Stadtmeisterin. »Wir werden dem, der uns Dienste leistet, seinen [141] Lohn so wenig vorenthalten, als uns vor der Macht eines einzelnen Mannes fürchten, wenn er unbescheidene und unstatthafte Forderungen machen sollte.«

Am andern Tage, in den frühsten Morgenstunden, zeigte sich Hallad mit allen Attributen seiner Kunst auf dem Markte, wo ihn eine große Volksmenge erwartete. Er nannte sich einen berühmten Ratten- und Schlangenvertreiber aus Afrika, und zog aus seinen Säcken verschiedene lebendige und ausgestopfte Ungeheuer der genannten Art, Ratten schier noch einmal so groß wie die, welche man in den unterirdischen Gefängnissen der zerstörten Bastille fand, und Schlangen von der Dicke eines Armes hervor, welche er kühnlich für Klapperschlangen ausgab, weil Niemand ihm hier widersprechen konnte.

Das Volk staunte, gaffte und fand sich sehr in seinem Glauben an den Wundermann gestärkt, welcher dem Rufe des Beifalls bald mit einer gravitätischen Handbewegung Stillschweigen gebot, und dann folgendermaßen anhub: »Ihr Bürger von Hameln, ihr wißt, was ich zu leisten versprochen habe, und was mir euer Magistrat in eurem Namen als Belohnung zugesagt hat; es betrifft die Gewährung einer möglichen Bitte, die, wenn ich sie im ersten Augenblicke ohne Aufschub und Bedenken erfüllt erhalte, weder euch, noch euern Weibern und Kindern schädlich sein, und euer Eigenthum um kein Haarbreit schmälern soll. Seid ihr gesonnen, mir das gethane Versprechen zu halten, so hebet, daß ich dessen gewahr werde, eure rechten Hände zum Zeichen der Betheurung in die Höhe.«

[142] Die Bürger schrieen ein lautes Ja, und tausend nervigte Arme erhoben sich in die Luft.

»Es ist gut,« erwiederte Thilo Hallad, »und ich gelobe euch gleichfalls mit ausgestreckter Rechte – Rache wenn ihr wortbrüchig werdet! Jetzt aber merket wohl auf, was geschehen wird, und erkennt aus dieser kleinen Probe meine Macht.« – Mit diesen Worten setzte er ein kleines Pfeifchen an den Mund, und macht es mit einem Hauche so klar und schrill ertönen, daß allen Zuhörern fast die Sinne vergingen. Auf den dritten Ton dieses unlieblichen Instrumentes erhob sich ein seltsames Gepolter in den Häusern, schier den Fußtritten vieler Menschen ähnlich, und aus Fenstern und Thüren stürzten Millionen von Ratten und Mäusen hervor. Vom Schloßberge herab kam der ansehnlichste Zug, Geschöpfe, deren einige so groß und alt waren, daß man hätte schwören sollen, sie müßten ehemals bei der großen mainzischen Expedition schon in Person gegenwärtig gewesen sein.

Der Boden färbte sich schwarz von den herbeiströmenden Ungeheuern. Das Volk kreischte ob dem Wimmeln des Ungeziefers unter seinen Füßen; da winkte Thilo Hallad der Menge, sich zusammen zu ziehen, und den Auswanderen Platz zu machen. Sein Horn ertönte zum viertenmal, und der ganze schwarze Zug schloß sich hinter ihm an, den er bis an den großen Teich vor der Stadt führte, wo das Mäuseheer sich mit Ungestüm hineinstürzte, und vor den Augen des nacheilenden Volks, das seine Feinde mit Geschrei verfolgte, verschwand.

[143] Auch Thilo Hallad kam den Zuschauern aus den Augen, welche jauchzend heimkehrten, aus allen Winkeln ihrer Häuser die Spuren des Ungeziefers hinwegräumten, und des Abends Siegesmahle feierten, wie über einen überwundenen Feind. Einige frohlockten auch darüber, daß der Künstler ohne geforderten Lohn davon geschieden sei, und leerten auf seine Gesundheit manchen vollen Becher; aber der Stadtmeister, als er des Abends nebst den übrigen Mitgliedern des Magistrats von Besichtigung des befreiten Schlosses zurück kam, meinte mit Kopfschütteln: Thilo Hallads schneller Abschied deute auf nichts Gutes, und man möchte sich nur auf unbescheidene Forderungen von Seiten Hallad's gefaßt machen.

Die klügern Einwohner der Stadt waren auch mit dem Stadtmeister darüber einverstanden, daß ihnen der von Hallad geforderte und ihm versprochene Lohn für die ihnen erzeigte Wohlthat nicht geschenkt werden würde, und es gab demnach nicht Wenige, welche dem nächsten Morgen, an den man Hallads Wiederkunft erwartete, mit einiger Unruhe entgegensahen.

Der Morgen erschien und mit ihm Thilo Hallad. Auf die Nachricht von einer Rückkehr, die sich schnell in der ganzen Stadt verbreitete, versammelte sich eine Menge Volkes auf dem Markte, um die Forderungen des Gefürchteten zu vernehmen.

»Ihr Bürger von Hameln,« ertönte die Stimme des Mannes »scheint mir weit eifriger bemüht, Wohlthaten zu suchen, als solche zu belohnen; gleichwohl bin[144] ich hier, meinen Lohn zu fordern, und ich wiederhole meine Drohungen für den Fall, daß mir das Begehrte nicht augenblicklich verwilligt würde: Ihr habt in euren Ringmauern ein Kleinod, welches die Welt nur einmal sah; es ist alt und jung, natürlich und übernatürlich geartet, von edlem Ursprung und doch in euren Mauern in Dunkelheit begraben. Es ward vom Schicksal zu großen Dingen bestimmt, und ich komme von ihm gesandt, es aus euren Händen zu fordern. Dünkt euch dies ein Räthsel, so wisset: das, was ich von euch fordere, zeichnet sich durch folgende Merkmale aus: durch einen Lindwurm, ein rothes Kreuz, und ein goldnes Band; auch kann ich den Ort, wo es verwahrt ward, genau bezeichnen, es ist das Haus euers Stadtmeisters, von wo es ohne die geringste Widerrede abgeholt, und mir ausgeliefert werden muß.«

Thilo hatte noch nicht geendet, da färbten sich die Angesichter der horchenden Menge mit Todtenbleiche und aller Herzen befiel Todesangst. »O wehe uns!« murmelten sie unter einander, »der Boshafte fordert unser liebstes Kleinod, unsere Stadtfahne mit dem Bilde unsers Schutzheiligen, des heiligen Erzengels Michael, mit dem rothbekreuzten Schilde, dem goldnen Gürtel um seine Lenden und dem Drachen unter seinen Füßen. Gebet Acht, ob seine Forderung nicht wörtlich auf das heilige Panier zu deuten ist: es ist alt an Jahren und jung an Schönheit und wohlconservirtem Glanz der Farben; natürlich und übernatürlich geartet, denn es wurde wahrscheinlich [145] von Menschenhänden gemacht und doch, wie die Sage lautet, uns unmittelbar vom Himmel geschenkt. Es ist im Hause des Herrn Stadtmeisters in Dunkelheit begraben, von wo es nur selten herausgetragen wird, um hohe Feste zu verherrlichen. Auch ist es wohl möglich, daß es vom Himmel zu großen Dingen bestimmt ist; denn wer weiß, bei welchem Treffen wider die Ungläubigen es voran wehen, und dem Siege den Weg zeigen wird; aber ist dies nicht ein Grund mehr, dieses Kleinod, dergleichen füglich die ganze Welt nicht hat, dem unbescheidenen Forderer zu versagen? Sollen wir Andern die uns bestimmte Ehre überlassen?«

»Wie?« schrie Hallad, indem sein braunes wildes Angesicht vom Zorn noch mehr entstellt ward, »ihr schweigt? ihr zweifelt? Ist das eurem Versprechen und meinem Verdienste gemäß? Sollte euch etwas zu kostbar sein, euern Retter damit zu belohnen?«

»Verzeiht, Herr Hallad,« sagte einer der Vornehmsten, »wir verkennen eure Verdienste nicht, aber bedenkt selbst, was ihr fordert, bedenkt die nahe Ankunft des Kaisers, und wie beschämt wir vor seinem Angesichte stehen würden, wenn wir seine Augen nicht mit der Zierde unserer Stadt erfreuen könnten.«

Bei diesen Worten erhob der boshafte Rattenfänger ein schallendes Gelächter, welches so lange dauerte, daß den Zuhörern fast die Geduld darüber verging »O ihr Thoren!« schrie er hierauf, »die ihr meine Worte offenbar falsch versteht, weil ihr sie so schlechthin zurückweist, [146] warum habt ihr nicht einmal eine Erklärung derselben von mir verlangt? Gut, sie soll euch nicht aufgedrungen werden, aber wisset, daß durch euer Zögern und Dingen unser Contrakt schon gebrochen ist, und ihr mir mit Hab und Gut, mit Leib und Leben verfallen seid. Behaltet euer Stadtpanier, das ich nicht kenne, und um dessen Anblick ich euern Kaiser nicht beneide; aber hört nun meine erhöhte Forderung, die ihr augenblicklich befriedigen müßt, wenn ihr eure Schuld und meine Ansprüche nicht noch weiter ausdehnen wollt. Liefert mir augenblicklich dreizehn eurer schönsten und vornehmsten Kinder, unter welchen der fremde Knabe, der in dem Hause euers Stadtmeisters wohnt, nicht fehlen darf, da es mir hier besonders um ihn zu thun ist!«

Jetzt entstand ein allgemeines ängstliches Murmeln unter der Menge; ein jeder zitterte für sein Kind, das er natürlich unter die schönsten rechnete. Man widersprach, man rechtete, man stritt unter einander, und trat endlich mit der Bitte hervor, ob Herr Hallad sich nicht mit des Stadtmeisters Pflegesohn allein begnügen wolle, welcher ihm dann sofort übergeben werden sollte.

»Fürwahr,« schrie Hallad, »ich habe es gedacht, daß euch der Schutz eines verlassenen Kindes nicht so nahe am Herzen liegen würde, und darum mußte ich meine Worte in Räthsel kleiden, wenn ich Ansprüche an euch selbst erlangen wollte. Doch nun kommt die Einwilligung zu spät, und es bleibt bei meiner Forderung, [147] die, wenn sie nicht auf der Stelle befriedigt wird, morgen noch eine größere nach sich ziehen möchte.«

Als Hallad noch einige Zeit stillschweigend auf die Entschließung des sich allmälich verlaufenden Volks gewartet hatte, kam er dann den Wenigen, die noch zurück blieben, schnell aus den Augen, und man versammelte sich nun truppweise in Häusern und auf den Straßen, um sich über seine Forderung zu besprechen. Die Meisten spotteten seiner Drohungen, Viele zitterten vor dem morgenden Tage und nur Wenige, eitel kinderlose Männer, oder alte Hagestolze, meinten, man hätte ihm zugestehen können, was er verlangte, dreizehn Kinder wären ja nicht ein so großes Opfer für eine ganze Stadt.

Der Stadtmeister hätte seinen Georg wohl sehr ungern der Gewalt eines unbekannten Menschen von so wenig versprechendem Aussehn, als Hallad, überlassen; aber hätte er ihn vertheidigen können, wenn dieser mit seiner Person zufrieden gewesen wäre, und das Volk ihn mit Ungestüm gefordert hätte? – Georgs Rettung war es, daß jetzt noch zwölf andere Knaben mit ihm auf dem Spiele standen, und daß kein Vater sein Kind aufopfern wollte.

»Und wenn ihr es auch wolltet,« sagte der verständige Stadtmeister, als man ihm die gemeinsame Noth vortrug, »so dürfte ich als eine christliche Obrigkeit doch nicht einwilligen. Der Fremde kann ein Zauberer sein, sollen wir unsere Kinder in des Teufels Gewalt liefern? – Seine erste Forderung hätte besser beherzigt, und [148] nicht so ohne Weiteres abgeschlagen werden sollen, aber das ist nun zu spät, und Gott gebe, daß wir uns klüglich aus dem Handel wickeln. Die einzige traurige Rechtfertigung, die ihr wegen eures eigenmächtigen Verfahrens habt, ist die Bosheit euers Gegners, der euch, wie er ja selbst eingestanden hat, Fallstricke legte, die wohl arglistigere, ränkevollere Köpfe, als die unsrigen, hätten fangen können, da wir ja nicht einmal im Stande sind, sein Räthsel vom Lindwurm, vom rothen Kreuz, und dem goldenen Bande, das schwerlich auf unser Stadtpanier zielt, zu deuten.«

Niemand sah in dieser Sache heller, als die Stadtmeisterin, die ihren Pflegesohn einst, als er mit aufgelößten Kleidern in tiefem Schlafe lag, belauscht, und über die damals an seinem Körper erblickten wunderbaren Zeichen schon mancherlei Gedanken gehabt hatte. Nachdem die Aeltesten der Stadt das Haus verlassen hatten, theilte sie ihrem Manne ihre Entdeckungen mit, und bat ihn, sich davon mit eignen Augen zu überzeugen. Es war über den langen Berathschlagungen spät geworden; Georg lag im tiefsten Schlummer, seine Brust und seine Arme waren entblößt, und der Stadtmeister sah mit Erstaunen dieselben Zeichen, von denen seine Frau ihm soviel erzählt hatte.

»Wir haben ein außerordentliches Kind bei uns aufgenommen,« sagte er nach langem Stillschweigen, »und müssen das, was der Himmel uns anvertraute, wohl in Acht nehmen, damit nicht dereinst strenge Rechenschaft [149] von uns gefordert werde. Was uns zu thun obgelegen hätte, wenn wir Hallads Forderung im ersten Augenblicke erfahren, und sie richtig verstanden hätten, das will ich nicht entscheiden; jetzt aber, nachdem die Forderung jenes Abscheulichen sich nicht mehr auf unsern Georg beschränkt, liegt es uns ob, die arme Waise zu schützen, wie andere Väter mit ihren Kindern thun, und ich glaube, wir werden am sichersten gehen, wenn wir ihn in den nächsten Tagen nicht ausgehen lassen, damit er nicht von ungefähr in Hallads Hände gerathe.«

Die Frau war, während ihr Mann sprach, beschäftigt, dem schlafenden Georg mit einem Tuche Kühlung zu zuwehen; sie glaubte, das Kind müsse schwere Träume haben, weil seine Wangen so glühten, und sein Herz so gewaltig schlüge.

Die besorgte Frau hatte sich nicht geirrt; Georgs Seele befand sich wirklich nicht allein jetzt, sondern schon seit gestern in einem seltsamen Aufruhr. Die Ruhe, die sonst sein Gemüth erfüllte, war von ihm seit der Zeit, wo er den Thilo Hallad zuerst erblickt hatte, gänzlich gewichen und jetzt beherrschten ihn sonderbare Gefühle, die er selbst nicht zu deuten wußte. Ihm war zu Muthe, wie einem, der eingekerkert ist, der Mauern zu durchbrechen, Fesseln zu zerreißen hat, und nur auf den Augenblick lauert, dies bewerkstelligen zu können. Da Georg von seinen Pflegeeltern durchaus nicht eingeschränkt gehalten wurde, und sie vielmehr, im Vertrauen auf seinen Verstand, ihm in allen Dingen seinen freien Willen ließen, so wußte [150] er selbst nicht, worauf seine außerordentliche Freiheitsbegierde zielte; gleichwohl war sie so heftig, daß sie auch in seine Träume überging. Kaum schloß er die Augen, so kamen ihm all die Thaten der alten Helden vor die Seele, die er aus seines Vaters Erzählungen kannte. Er sah die starken Bezwinger der Ungeheuer, die Retter der Menschheit ihre glorreichen Thaten vor sich verrichten, und wenn er, dadurch begeistert, zu ihnen eilen und mit ihnen kämpfen wollte, da war es ihm, als wären seine Hände gefesselt, als hinge Blei an seinen Füßen, daß er nicht von der Stelle konnte. Oft träumte er auch, Kaiser Rudolph halte seinen Einzug zu Hameln, ein Heer junger Krieger, alle nicht viel erwachsener als Georg, begleiteten ihn, ihm schlüge das Herz, dem Zuge zu folgen, aber seine Pflegeeltern hielten ihn auf einer wohlverwahrten Kammer fest, wo der Schall kriegerischer Instrumente und das Geschrei: zu den Waffen! nur aus der Ferne in sein Ohr tönte, und das peinliche Gefühl seiner Einkerkerung vermehrte. Da stiegen mistrauische Gedanken in seiner Seele gegen die auf, welche es so redlich mit ihm meinten, Gedanken, die ihn auch wachend verfolgten, und sein Gemüth von diesen gutherzigen, uneigennützigen Seelen entfremdeten. Ach, er sollte schmerzlich dafür büßen, daß er sein Herz den Einflüsterungen böser Mächte so willig öffnete.

Als Georg am nächsten Morgen erwachte, fühlte er sich beengt, war unmuthig und verdrossen, denn Träume ähnlicher Art, wie die geschilderten, hatten ihn die Nacht [151] beschäftigt. Er sehnte sich, die Schwere, welche Geist und Körper belastete, im Freien abzuschütteln, und wollte das Haus seiner Pflegeeltern auf ein paar Stunden verlassen, aber – zum erstenmal begegnete man seinen Wünschen mit einem Verbot. »Mein Sohn,« sagte die Stadtmeisterin, des Befehls ihres Mannes eingedenk, »laß es dir gefallen, bei mir zu bleiben; es steht heute ein unglücklicher Tag im Kalender, dir könnte ein Leid widerfahren, wenn du dich außer dem Hause blicken ließest.«

Noch nie hatte man nöthig gehabt, Georgen etwas zu verbieten, und man urtheile, welchen Eindruck der erste Zwang, den er erfuhr, auf sein ohnedies aufgebrachtes Gemüth machte; er gehorchte, aber mit sichtlichem Verdruß.

»Du würdest heute keine Spielgefährten finden,« fuhr die Pflegemutter fort, »es läßt sich ein Wehrwolf in unsren Gegenden sehen, welcher den Kindern nachstellt, und uns nöthigt, sie vor ihm verschlossen zu halten.«

Was die gute Mutter sagte, war nicht ganz unwahr; der tückische Thilo Hallad, den sie mit dem Namen eines Wehrwolfs sinnbildlich beehrte, war diesen Morgen von neuem aufgetreten, und hatte seine Forderung erneuert; nur daß er heute statt dreizehn, dreißig Kinder forderte. Darüber aufs höchste erbittert, verloren die Bürger von Hameln die Geduld, trieben den Rattenfänger mit einem Steinhagel aus ihren Mauern, und bedeuteten ihm, daß für ihn künftig die Thore ihrer Stadt geschlossen wären und daß er sich morgenden Tages aus [152] ihrer Feldmark entfernen, oder feindlicher Behandlung gewärtig sein müsse.

»Ihr werdet es bereuen!« dies war seine ganze Antwort, und man fand sie gegen den bisherigen Trotz so gelassen, daß man ganz gerührt wurde, und ihm versicherte, wie man seinen Schaden nicht wolle, und sich nochmals zur Zahlung einer namhaften Summe für gehabte Bemühung erbiete, wenn er sie nur annehmen, und nach Empfang derselben aller weitern Ansprüche entsagen wolle.

»Nicht doch!« erwiederte er, »ich mag euer Geld nicht! Ueberdies hätte ich es ja wohl noch nicht ganz verdient; es könnten sich wohl noch hier und da einige der Geschöpfe bei euch versteckt haben, die ich zu bannen weiß, und von denen ich euch erst befreien müßte.«

»Ein so ehrliches Vorhaben,« erwiederte einer der Stadtväter, »ist euch unverwehrt, und soll nicht unbelohnt bleiben, nur hütet euch, unsere Stadt in anderer Absicht zu betreten; ihr seht, daß wir uns weder höhnen noch trotzen lassen.«

Als man sich auf diese Art von dem begehrlichen Hallad befreit glaubte, und ihn gänzlich in die Enge getrieben zu haben meinte, beschloß man noch auf den Rath einiger verständigen Männer, auf jedem Fall die Kinder etwas eingezogen zu halten, damit sich Thilo Hallad, wenn er sich etwa um einiger Mäuse willen, die man noch hier und da spürte, wieder sehen ließe, nicht durch [153] Wegführung des einen oder des andern Knaben selbst bezahlt mache.

Dieser Beschluß war es, den die Stadtmeisterin ihrem Pflegesohne bildlich kund that, und der von ihm sehr kalt aufgenommen wurde. Die gute Mutter suchte diesen ganzen Tag über, einen der längsten des Junius, Alles hervor, den Knaben zu unterhalten, aber nichts vermochte seine üble Laune zu besiegen, und er wußte sich endlich vor seinem Eigensinn, dessen er sich selbst nicht ohne Schmerzen bewußt war, nicht besser zu retten, als daß er zeitig zu Bette ging. Doch ach, er begab sich nur zur Ruhe, um durch verführische Träume, die wie auf Fledermausflügeln von einer bösen Macht gesandt, zum offnen Fenster herein schwebten, neues Gift einzusaugen.

Die Sonne war kaum aufgegangen, als einige der muntersten und arbeitsamsten Bürger von Hameln durch den kreischenden Ton einer hellen Pfeife aus dem Schlaf geweckt wurden. Sie fuhren schnell auf, warfen sich in die Kleider, und eilten neugierig nach den Fenstern, um zu sehen, wer da früher wach wäre, als sie. Da erblickten sie Thilo Hallad, welcher in den Straßen langsam auf und abzog, von Zeit zu Zeit in sein kleines Horn stieß, und durch dessen Töne einige Mäuslein um sich versammelt hatte, deren Zahl sich fast mit jedem seiner Schritte um eins oder das andere, welches aus einem Hause geschlüpft kam, vermehrte. Er lenkte jetzt um eine Ecke in eine Straße ein, die nach dem Markte führte, an welchem auch das Haus des Herrn Stadtmeisters [154] stand, und von wo die Horcher sein lockendes Instrument nochmals mit schneidendem Tone erschallen hörten.

»Es ist doch ein ehrlicher Kerl, dieser Hallad,« sagte einer der Lauscher, indem er den Kopf wieder zum Fenster hineinzog, »man hat ihn offenbar verkannt; was für Verbindlichkeit hatte er, an einen Ort zurückzukehren, wo er so wenig Dank findet? Aber nein, er will sein Werk nicht halb gethan haben, will lieber ohne Lohn dienen, als sich nachsagen lassen, in Hameln wäre noch eine einzige Maus zurück geblieben. Gott Lob, auch aus meinem Hause sahe ich einige des schädlichen Ungeziefers ihm nachziehen; ich werde ihm lohnen, wenn er wieder kommt, und wenn gleich alle Welt undankbar wäre.«

Mittlerweile schwamm Georg in einem Meer von seinen gewohnten Heldenträumen; sie waren diese Nacht außerordentlich beängstigend gewesen, die wildesten und zugleich für das Feuer, das in seinen Busen glühte, die lockendsten Bilder hatten abgewechselt. Der Kaiser, so dünkte es ihm, sammelte ein großes Heer zum Zuge wider die Ungläubigen, zu dem auch Hameln sein Contingent gab; die jungen Krieger zogen daher mit rauschender Musik, mit wehenden Fahnen und glänzenden Waffen. Sein Herz wallte, aber er konnte nicht unter ihnen sein, eine unsichtbare Macht hielt ihn zurück. – Jetzt hielt die ritterliche Schaar unter seinem Fenster, und ihr Anführer rief mit lauter Stimme: Georg! Graf Alberts Sohn! komm herab, denn wir können nicht ohne dich die Stadt verlassen! – In diesem Augenblicke war es, als ob [155] ihm Fesseln von Händen fielen; auch waren sie wirklich gefallen, aber nur die Fesseln des Schlafes. Die Lebhaftigkeit des Traumes hatte ihn erweckt; noch mit halbgeschlossenen Augen war er aufgesprungen und an das Fenster geeilt, wo er in der Wirklichkeit genau den Ton zu hören glaubte, den er schlafend vernommen hatte, wo er genau das Schauspiel zu sehen meinte, das der Traum ihm vorgeführt hatte: Herzerhebende Kriegsmusik, eine kleine ritterliche Schaar, nicht viel über hundert, aber mit glänzenden Waffen und schönen rothbekränzten Fahnen, und an ihrer Spitze den großen Augen-Verblender Thilo Hallad, gleichfalls in ritterlicher Tracht, der zu dem herabschauenden Knaben aufsah, und rief, wie die Stimme im Traum gerufen hatte: Georg! Graf Alberts Sohn! komme herab, denn wir mögen ohne dich die Stadt nicht verlassen!

Die Kraft dieser Zauberworte war unwiderstehlich; durch ein unnennbares Etwas gezogen, flog der Gerufene die Stiegen hinab, für die er in der Eile lieber den kürzesten Weg durch das Fenster gewählt hätte. Jetzt war er auf der Straße, jetzt umfaßte ihn Hallad, der ihn, wie Georg wähnte, seinen Platz in Reihe und Glied anwieß. Seine Empfindungen dabei waren sonderbar, und wurden durch einen Umstand mit unnennbarem Grauen gemischt. Ach, Hallads Gesicht war ihm nicht mehr fremd; er erkannte jetzt in ihm den Mann, der einst in dem brittischen Walde vor seinen Augen die Zauberin entführte, und also wohl selbst ein mächtiger Zauberer sein mußte.

[156] Das ganze Gauckelspiel, das Georg jetzt noch wachend zu sehen glaubte, wankte vor ihm, seine Augen schlossen sich von neuem, doch fühlte er, daß er nicht schlief, sondern in einer Art von seltsamen Taumel einen weiten ermüdenden Weg fortgerissen wurde. Leise Fußtritte mehrerer Gehenden rauschten an seiner Seite, ein heller Ton einer Pfeife schmetterte zu Zeiten in sein Ohr, der äußerst widrig klang, doch fühlte er, daß durch denselben der Drang, weiter zu gehen, in ihm vermehrt wurde. Er bemühte sich mehrmals, die Augen zu öffnen, und beredete sich, als dieses nicht glückte, im ganzen Ernste, er träume nur und werde wohl nun bald erwachen.

Lange bleiben diese Empfindungen, bis auf einmal der Weg abwärts zu gehen, und eine seltsame kalte Kellerluft ihn zu umwehen schien. Der Marsch wurde noch einige Minuten fortgesetzt, und darauf erfolgte plötzlich ein Knall wie von einem herabgestürzten Felsen; Georg sank ohne Empfindung zu Boden.

Keiner meiner Leser, der in der Geschichte alter Zeiten nur ein wenig erfahren ist, und nur ein einzigmal von dem hamelschen Kinderraube gehört hat, wird zweifelhaft sein, was dieser ganze Vorgang zu bedeuten hatte. Was hier Georgen an jenem Morgen widerfuhr, das begegnete damals in dieser unglücklichen Stadt noch hundert und neun und zwanzig Knaben, jeden in anderer Art. Jeder wurde aus dem süßen Morgenschlafe durch einen Ton geweckt, wie er eben zu seinen Lieblingsideen paßte. Einer hörte das liebliche Zwitschern der Vögel eines [157] nahen Waldes, und erhob sich, nach dem gewohnten Spielplatze zu eilen; einer hörte das Girren seiner Futterverlangenden Tauben, die er zu befriedigen sich anschickte, ein anderer das Plätschern eines sanften Regens, welcher für seine unter dem Schirm stehenden Blumentöpfe nicht ungenützt verrauschen durfte, den einen lockte die Stimme seiner Mutter, den andern das Getös der lärmenden Spielgefährten, oder irgend ein anderer Neugier und Verlangen erweckender Ton, der seinen Gefühlen angemessen war; bis endlich, auf ein oder die andere Weise, alle die armen kleinen Geschöpfe, die ein böses Schicksal dem Zauberer Hallad Preis gegeben hatte, aus ihrer Sicherheit gelockt und in seinen Händen waren.

In halbem Taumel, mit geschlossenen Augen zogen sie hinter ihrem Entführer her, und wußten nicht, ob sie wachten oder träumten. Ihre Eltern daheim schliefen entweder noch ruhig, ohne Ahndung des Herzleides, das ihnen widerfuhr, oder sie sahen, von Thilos Pfeife erweckt, wohl gar den Entfliehenden nach, ohne sie zu kennen; denn der Zauberer hatte ihre Augen so verblendet, daß sie ihn mit dem Gefolge einiger emigrirenden Mäuse zu erblicken glaubten, während es doch ihre eignen armen Kinder waren, die ihnen vor ihren Augen entrissen wurden.

Als ihre Täuschung schwand, als ihnen die Stille in ihren Häusern auffiel, die von keinem ihrer kleinen Schwätzer unterbrochen wurde, als sie diese vergebens in ihren Betten, vergebens in den Straßen suchten, wo sonst [158] alles von Kindern wimmelte, da war Hallad längst mit seinem Raube in einen benachbarten Berg eingegangen, der sich urplötzlich hinter ihm zugeschlossen hatte, und alle Nachforschungen unmöglich machte.

Die trostlosen Eltern, die sich nun von dem Verluste ihrer Kinder überzeugten, erfüllten die Stadt mit Wehklagen und Jammergeschrei, und fluchten dem Rattenfänger, der ihnen das Liebste, was sie auf Erden besaßen, entrissen hatte. Kein Vater, keine Mutter fühlte indessen mehr, als Georgs Pflegeeltern, und sie waren zum Lohn für ihre uneigennützige Liebe auch die einzigen, welche die Genugthuung hatten, in später Folgezeit wieder etwas von ihrem verlornen Kinde zu vernehmen; die andern waren für ihre Eltern auf ewig verloren, und man würde sogar über die Art ihrer Entführuug nichts Gewisses gewußt haben, wenn nicht einige Bauern auf dem Felde die Sache mit unbezauberten Augen angesehen hätten, als Hülfe zu spät war, und der Verführer eben mit seiner Beute in den Berg einging.

Sie berichteten die Sache nach Hameln, und vermehrten durch die Gewißheit des Aergsten die dort herrschende Verzweiflung. Man ging in derselben so weit, daß man sich sogar mit dem Schutzherrn des Landes, dem heiligen Erzengel Michael, wegen dessen Fahne das Unglück hergekommen war, überwarf, ihm Vorwürfe machte, daß er ihre Kinder so schlecht beschützt habe, und sein Bild vom Hochaltar der Hauptkirche nahm, an dessen Platz ein damals hochgeschätzter Künstler den Hamelschen Kinderraub[159] nach dem Leben gemalt, aufstellte, und dadurch der noch jetzt lebenden Welt ein Denkmal dieser Wundergeschichten überlieferte, welches wir, für unsere Person, aber nie mit eignen Augen gesehen haben.

Während man Georgs und seiner Gefährten Verlust mit den ersten bittersten Thränen betrauerte, lag unser Held noch in der kalten Berghöhle in tiefem Schlafe, oder vielmehr in einer Betäubung, aus welcher ihn endlich eine Menge klagender Stimmen weckten, die sich nach und nach an seiner Seite erhoben. Es waren die mit ihm entführten Kinder, die sich eins nach dem andern zu ermuntern und ihre traurige Lage zu fühlen begannen. Die Kälte, die Dunkelheit, das Fremde dieses schauerlichen Ortes, war es, was ihr Herz beengte und ihre Thränen hervortrieb, keinesweges aber der ganze Umfang ihres kläglichen Schicksals, das keiner von ihnen, als Georg, zu übersehen vermochte. Sie hatten alle das siebente Jahr noch nicht überschritten und waren hinter Georg ebenso sehr an Einsicht und Verstand, als an äußerlichem Wachsthum weit zurück; aber eben dieses gereichte ihnen hier zu ihrem Vortheil. Georg dachte und fühlte wie ein Erwachsener, die andern wie Kinder, welche durch eine angezündete Fackel, die die Dunkelheit zerstreute, durch etwas Wohlschmeckendes für Durst und Hunger, und durch einige gleisnerische Tröstungen ihres Entführers leicht zu beruhigen waren. Auch machte die Gewohnheit sie endlich völlig mit ihrem gegenwärtigen Schicksale vertraut, und ihre Einfalt verhinderte die Sorgen wegen der [160] Zukunft, dahingegen unser Held mehr litt, als sich beschreiben läßt.

Sein Schmerz äußerte sich durch dumpfes Hinbrüten und düstres Schweigen. Hallad ehrte dasselbe und sprach nie mit ihm; er schien das Wunderbare seiner Person und seiner Schicksale völlig zu kennen, schien auf dasselbe gewisse Pläne zu bauen, welche nie kund geworden sind, aber er scheute sich vor ihm, und wich jeder Erklärung aus, welche Fragen von seiner Seite hätte herbeiführen können.

Hallad hatte seine Beute keinesweges deshalb entführt, um mit ihr ewig in dieser dunkeln Berghöhle zu bleiben; das Leben der kleinen Entführten war eine fortdauernde unterirdische Reise, sie ging zuweilen so tief, daß sie die Weser, die Elbe und die Donau entfernt über ihren Häuptern brausen hörten, zuweilen so hoch an der obern Erdrinde, daß sie hätten Bekanntschaft mit den arbeitenden Bergleuten machen können, wenn diese sie nicht für spukende Gnomen gehalten und sich vor ihnen gescheut hätten. An den Wurzeln der Sudeten hatte Thilo ein vertrautes Gespräch mit dem alten Gebirgsherrn Rübezahl, und an den Gränzen von Ungarn erhielt er einige nachdenkliche Weisungen von dem dort residirenden Berggeists, welche ihn in große Verlegenheit setzten, und ihn veranlaßten, seine Karavane, die ihm hier nicht entfliehen konnte, auf einige Stunden zu verlassen, um sich in der unterirdischen Welt nach einer bequemeren Reiseroute umzusehen, da vielleicht ein Erdbrand, oder ein gährendes Erdbeben, oder irgend eine andere verborgene [161] Naturbegebenheit, wovon wir Bewohner der Oberwelt nichts erfahren haben, ihn nöthigte, seinen ersten Plan zu ändern.

In dieser Zeit der Ungebundenheit stieß Georg seine Klagen freier aus, als er in Thilos Gegenwart zu thun gewohnt war, und während die andern Kinder sich mit einigen drolligen Berggeistern lustig machten, die Hallad ihnen zur Gesellschaft gegeben hatte, irrte der unglückliche Sohn Alberts in den entlegensten Klüften umher, und ließ die unterirdischen Gegenden von seinen Klagen ertönen.

Wahrer Muth ist selbst im tiefsten Elende, selbst beim bittersten Gefühle der Leiden nicht ohne Hoffnungen und Trieb, diese Hoffnungen zu verwirklichen. Georg nährte beständig dunkle Ideen von der Möglichkeit, an irgend einer Stelle das Tageslicht wieder zu sehen, wozu er sich durch die einfallenden Sonnenstrahlen, die zuweilen aus einem durchbrochenen Felsgewölbe herab schienen, berechtigt glaubte. Zwar waren diese Oeffnungen immer so himmlhoch über ihnen, daß sie hätten fliegen müssen, um sich zu ihnen zu erheben; aber Georg war nicht arm an romantischen Einfällen, und während die andern Kinder sich an den brennenden Regenbogenfarben belustigten, die der Seitenblick eines Lichtstrahls in ihrer finstern Höhle hervorbrachte, dachte unser Held nur daran, wie das, was seinen Gefährten nur Belustigung für das Auge war, ihnen allen nützlich werden könnte. Eine andere seiner Hoffnungen gründete sich auf die Möglichkeit, einst über Hallads Reisegepäck zu kommen, und in demselben entweder Nachricht von seiner und der übrigen Kinder Bestimmung, oder Mittel zur augenblicklichen Hülfe zu finden.

[162] Der ganze Apparat, den der Zauberer mit sich herumtrug, bestand aus zwei Säcken; der eine enthielt die Schlangen und anderes Ungeziefer, welches er, Gott weiß zu welchen Absichten, überall einzufangen pflegte, wo er es von seltner Art und Größe fand, und in dem andern waren einige Stäbe, ein paar Zauberbücher und andre negromantische Geräthschaften, die er brauchte, die Gnomenwelt, durch welche überall die Reise ging, in Ehrfurcht zu halten, und sich von derselben das zu verschaffen, was ihm und seinem Gefolge an Nahrung und Beleuchtung der finstern Wege nöthig war.

Die kurze Abwesenheit des Schwarzkünstlers kam dem sinnenden Georg sehr erwünscht; er hemmte bald die müssigen Klagen, suchte und fand das, was er so lange gewünscht hatte, die beiden Reisesäcke Thilo Hallads. Der erste blieb von ihm aus Furcht und Abscheu unangerührt, aber desto sorgfältiger kramte er den andern aus, besichtigte alles darin enthaltene Geräth, und manövrirte damit auf verschiedene Art, um seinen Gebrauch und Nutzen kennen zu lernen; aber vergebens. Die Bücher waren mit Charakteren angefüllt, die er nicht verstand, die Stäbe hatten in seiner Hand keine andere Wirkung, als gemeines Holz oder Eisen, und die andern Dinge, die er noch weniger kannte, brachten ihm eben so wenig Trost oder neue Hoffnungen. »Was quälst du dich doch so vergebens ab, da bessere Hülfe dir so nahe ist?« erschreckte ihn auf einmal eine zischende Stimme ganz nahe vor seinen Ohren.

Georg stutzte, fuhr ein wenig zusammen, warf den[163] Plunder, den er zum zehntenmal aus dem Zaubersack genommen hatte, eilig wieder hinein, sah sich um und fragte, wer mit ihm rede?

»Deine alte Bekannte,« war die Antwort, »ein Wesen, das dir helfen kann, wenn du ihm helfen willst?«

»Aber wer bist du denn?«

»Solltest du deine alte Freundin aus dem Walde, die dich funfzig Jahre in ihrer Wohnung pflegte und nährte, nicht mehr an der Stimme kennen, und ihr die ehemals erzeigte gastfreie Bewirthung durch Gegendienste erwiedern wollen?«

»Und was kann ich für dich thun?«

»Mich befreien! Seit der Zeit, wo ich vor deinen Augen zur Schlange wurde, schmachte ich in der Gefangenschaft deines Räubers! Als er mich damals entführte, faßte er auch dich in die Augen; er hat dich bisher ruhelos verfolgt und endlich erlangt. Ueber seine Absichten mit dir und mir, frage mich nicht, sie sind unergründlich wie der Schlund der Hölle. Oeffne jetzt eilig mein Gefängniß, doch so, daß nur ich, keine meiner Mitgefangenen, die Freiheit erhalte und ich werde dich belohnen.«

Georg wurde erst jetzt gewahr, daß die Stimme, welche mit ihm sprach, aus dem Sacke kam, in welchem Hallad seine Menagerie von Ungeheuern hatte; es überfiel ihn ein Schauer, und er wußte nicht, was er thun sollte.

»Schlange,« rief er nach einigem Bedenken, »wir[164] kennen uns! Du hast mich Jahre, deren Zahl ich nicht nennen mag, in deiner Höhle als einen Gefangnen gehalten; soll ich dich frei machen, um mein damaliges Schicksal auf's neue zu erfahren?«

»Du irrst, Georg, wenn du mich für undankbar hältst; was du an mir thust, das werde ich dir danken; bestimme selbst, was dein Lohn sein soll, und ich will nicht eher aus meinem Gefängniß gehen, bis ich dir die Erfüllung deines Begehrens bei allen himmlischen und höllischen Mächten zugeschworen habe.«

»O Schlange!« rief Georg, indem er in Thränen ausbrach, »wer kennt besser das Unrecht, das ich von meiner Geburt an erlitten habe, und dessen Folgen ich noch jetzt fühle, als du! Kannst du noch fragen, was du für mich thun sollst? Durch dich ward ich um eine Menge schöner Lebensjahre, durch dich um Freiheit, Ehre und Güter gebracht. Daß dieser Körper, in welchem ein männlicher Geist wohnt, noch der Körper eines Kindes ist, danke ich dir gleichfalls. Ich werde das langsame Heranreifen desselben nicht länger aushalten, die Ungegeduld nach Thaten drohte schon lange die Fesseln zu sprengen, die mir meine Hülle anlegt; bald wird mein Geist frei sein, indeß diese elende Kindergestalt in Staub und Moder zusammen sinkt, aber er wird Rache schreien, Rache über dich, die du ihn um seine irdische Bestimmung betrogst!«

»Wozu all diese Redensarten,« erwiederte sie, »unsere Zeit ist kurz, sage schnell was du forderst.«

[165] »Freiheit, schleunige Entwickelung meines männlichen Körpers zur Reife, und Befreiung meiner Gefährten!«

»Die armen Geschöpfe,« erwiederte die Schlange, »sie leiden um deinetwillen! Der Schutz, den du in Hameln fandest, reizte den Zorn des Zauberers, und brachte diese Stadt, deine Wohlthäterin, um ihre Kin der! – Oeffne den Sack! was du verlangst, ist gewährt, und noch obendrein eine Zugabe, die du nicht verschmähen wirst.«

Georg ging zitternd an sein Werk, er öffnete den Sack mit der ihm anempfohlenen Behutsamkeit; die Schlange schlüpfte heraus, ihr krippelten die andern Ungeheuer ängstlich nach, aber der kleine Held überwand Ekel und Furcht, stieß die Kompetenten der Freiheit zurück, und schloß ihr Gefängniß mit dreifachem Knoten. Aber die befreite Schlange schoß zischend in eine Felsspalte und verschwand aus den Augen ihres Retters.

»Ich habe es gedacht,« rief er, indem er ihr nachblickte, »was hier mein Lohn sein wird! Ich Thor, daß ich meinen Ahnungen zum Trotz einer Feindin trauen konnte! – Wohl mir, wenn durch diese That mein Schicksal nur nicht verschlimmert wird! Aber was soll aus mir werden, wenn Hallad sie entdeckt?«

In diesem Augenblicke erhob sich in einer der fernsten Felsklüfte ein fürchterliches Geschrei, gleich der Stimme eines Menschen, welcher gewaltsam von einem Feinde überfallen wird. Georg bebte, er glaubte die Stimme Thilo Hallads zu hören, und Muthmassungen, [166] die der Wahrheit ziemlich nahe kamen, stiegen in seiner Seele auf.

Es trat eine Pause ein, dann erfolgten noch einige gräßliche Töne, die in dem hohlen Gewölbe lange wiederschallten, und nun gänzliche Stille! Ein gewaltiges Grauen überfiel jetzt unsern Helden, er eilte, diesen abgelegenen Winkel zu verlassen, und begab sich in die entgegengesetzte Gegend, wo er die andern Kinder spielend verlassen hatte. Er fand sie im tiefsten Schlafe, und legte sich an ihre Seite, um die letzten schauervollen Empfindungen, die noch immer sein Herz heftig klopfen machten, gleichfalls zu verschlummern.

In diesen unterirdischen Gewölben wußte man selten die Zeit des Tages oder der Nacht. Ein einfallender Sonnenstrahl war etwas, was man oft wochenlang nicht zu sehen bekam; alles Licht erhielt man von gewissen phosphorischen Feuern, die hier und da von den Berggeistern unterhalten wurden. Bei so bewandten Sachen ist schwer zu bestimmen, wann Georg entschlief und wann er erwachte. Seine Aufregung verhinderte lange Zeit das Entschlummern, aber dann erfolgte auch ein so tiefer, langer und fester Schlaf, wie ihn gewöhnlich die Natur bei großen Krisen hervorbringt, und groß war die Krisis, welcher Georg jetzt entgegen sah. –

Gegen das Ende eines Schlummers, oder einer Betäubung, die demselben angemessen war, heiterte sich sein inneres Wesen hinlänglich auf, um für den Eindruck von Träumen empfänglich zu werden. Die erst verworrenen [167] Gesichter ordneten sich, und jetzt stand auf einmal eine ihm sehr wohlbekannte Gestalt, die der Zauberin aus der Höhle, vor seinen Augen.

»Wir sind gerächt!« rief sie. »Die Schlange, die du gestern befreitest, hat den Zauberer erwürgt. Du hast das letzte Geschrei des Bösewichts gehört. – Deine Bitten sind gewährt, als ein Gefangner legtest du dich zur Ruhe, frei und gerettet wirst du dich erheben; als ein Kind entschlummertest du, als ein Mann wirst du erwachen. Dich, der nun der Heldenepoche, die dein Leben berühmt machen soll, so nahe ist, mit einem anständigen Gefolge zu versehen, habe ich deinen Gefährten die nämliche Gnade gewährt, welche ich dir erzeigte; erhebt euch schnell, so bald ihr erwacht, geht aus der Dunkelheit hervor, wo euch, da der Zauber gelößt ist, nichts länger vor der Wuth der Erdgeister schützen kann. Ich habe euch das Aufsteigen erleichtert, indem ich euch eine gute Strecke der Oberfläche der Erde näher brachte.«

Hier verschwand die Fee, die Erde zitterte bei ihrem Verschwinden, und Georg erwachte. Wie war ihm zu Muthe, als er jetzt um sich her sah, sich an einem ganz andern Ort erblickte, als an dem, wo er entschlafen war! Statt der dicken Dunkelheit, die das blaue Licht des Phosphor nur schwach bekämpfte, eine liebliche Dämmerung, welche alle Gegenstände sichtbar machte, und diese Gegenstände, nicht das Chaos einer rauhen Erdschlucht, nein, eine reinliche und geräumige Berghöhle, oder vielmehr eine zierliche Grotte, wie sie die Natur der [168] Kunst zum Vorbilde giebt, keine hüpfenden Bergkobolde, nein, eine Schaar schöner wohlgebildeter Jünglinge, die um ihn her schlummerten. Zum nahen Eingange der Höhle blickte die Sonne lieblich durch einige umschattende Bäume herein, auf deren Zweigen die Vögel ihr Morgenlied sangen.

Welch ein seliges Erwachen! wie doppelt selig durch die Entdeckung, die Georg machte, als er einen Blick auf sein eignes Selbst warf! »Bin ich es auch wirklich selbst,« rief er aus, indem er aufsprang und in voller majestätischer Heldenschönheit da stand. »Und die herrlichen Gestalten, die um mich her schlummern, sind das die Kinder, die mit mir zum Mittelpunkte der Erde hinabstiegen? O Dank dir, Dank dir gute Fee, du hast mir mehr gegeben, als ich bat, hast mir zu Leben, Jugend, Stärke und Freiheit, auch Freunde gegeben! Bleibt mir wohl nun noch etwas zu wünschen übrig? O erwacht, erwacht, ihr meine Gefährten auf der Heldenbahn, laßt uns schnell die Laufbahn beginnen, zu welcher ihr nun gleich mir mit voller Stärke gerüstet seid!«

Und die Jünglinge erwachten, einer nach dem andern, jeder drängte sich zu Georg, der seine Arme nach ihnen ausbreitete, jeder nannte ihn seinen Freund und seinen Herrn; auch zu ihnen war im Traume ein Wort von ihrer künftigen Bestimmung gekommen, und sie waren auf dieselbe vorbereitet, so gut wie es ihre noch sehr unreifen Seelen sein konnten. Georg merkte bei den ersten Worten, die sie ihm sagten, daß hier für ihn noch [169] viele Begriffe zu entwickeln und zu berichtigen sein würden. Er dachte dieses Werk noch heute zu beginnen, aber es war nicht das Werk eines oder einiger Tage.

Ihr erstes Geschäft nach der Bewillkommnung war, jetzt die Höhle zu verlassen, und an das lange entbehrte Sonnenlicht herauf zu steigen, herrlicher und munterer, als die heiligen Siebenschläfer aus den römischen Katakomben.

Sie stiegen herauf in glänzender Rüstung ihrem Herrn nach, welcher schon die Oberfläche der Erde erreicht hatte, und mit unersättlichen Blicken sich an Allem weidete, was seinen Augen so fremd geworden war, und was er, ungeachtet es keine der schönsten Gegenden war, wo er sich befand, nie so schön gesehen zu haben meinte.

Um ihn her versammelten sich die jungen Krieger, unter denen er, so schön sie auch gebildet waren, sich durch Hoheit und Würde doch sehr auszeichnete.

Wie sich einst die Ebene von Theben mit gewaffneter Jugend füllte, welche die Saat der Drachenzähne hervorgebracht hatte, so füllte sich hier die Ebene bei Clausenburg in Siebenbürgen mit Kriegern edlerer Abkunft, die auch an nichts weniger dachten, als sich, wie jene, aufzureiben, sondern die sich brüderlich umarmten, und sich unter einander Treue bis zum Tode schwuren.

So öde die Gegend war, in welcher die Kinder der Erde an's Licht stiegen, denn damals waren nur kleine Strecken in diesem Bezirk angebaut, so fanden sich doch auch hier Augen, welche die Geschichte mit angesehen [170] hatten, und sie als ein schreckenvolles und ominöses Wunder nach Hofe berichteten. Siebenbürgen wurde schon damals von einem christlichen Fürsten beherrscht, der zwar die Erzählung von fremdem Kriegsvolk, das sich in seinen Landen auf so seltsame Art gezeigt hatte, nicht gleichgültig aufnahm, aber doch großen Trost daraus schöpfte, daß die Fremdlinge, wie man ihm gewiß versicherte, alle mit rothbekreuzten Schildern einherzögen, und dadurch ein gutes Zeugniß von ihrem Glauben ablegten.

Fürst Gabriel war ein sehr frommer Herr, und eben im Begriff, mit einigen auserlesenen Fähnlein seiner Ritterschaft nach des Kaisers Hofe zu ziehen, um ihn zu bewegen, mit ihm gemeine Sache zu einem Zuge in's heilige Land zu machen, wo die Pilgrimme und die frommen Hirten von Palästina durch die Bedrückung der Ungläubigen große Noth litten, und der Hülfe der abendländischen Christenheit wohl bedurften. Man denke sich sein Entzücken, als bald nach der ersten Nachricht von den fremden Kriegern und noch mitten in seinen Entwürfen, was für ihn dabei zu thun sei, Georg nebst seiner jungen Mannschaft nach der Hauptstadt kam, Audienz bei ihm verlangte, und eine Bitte an ihn that, welche dem, der sie gewähren sollte, so ganz zu seinen Plänen paßte.

»Edler Fürst,« sagte Georg, »ich und meine Gefährten sind durch Abentheuer aus dem Schooße unsers Vaterlandes gerissen, auch denken wir dasselbe nicht eher wieder zu betreten, bis wir das Gelübde erfüllt haben, [171] das wir mitten im Abgrunde des Elends thaten: Gott und der werthen Christenheit die Erstlinge unserer Waffen zu weihen. Wir haben auf dem Wege zu eurer Residenz gehört, daß ihr ein streitbarer und frommer Fürst seid, und wir kommen, euch unsere Schwerter anzubieten, daß ihr sie zu genannten Endzwecken leiten mögt, wie es euch am besten dünkt, denn wir sind noch alle jung und unerfahren, und es ist nöthig, daß ein weiser Mann unsern starken Armen und unverzagten Herzen die Bahn vorzeichne, auf welcher irdische Lorbeeren und himmlische Palmen zu erkämpfen sind.«

Da schloß sich das Herz Fürst Gabriels auf gegen den schönen heldenmüthigen Jüngling, der bei solcher Jugend – denn weder er, noch seine Gefährten schienen die Gränzen des achtzehnten, oder neunzehnten Jahres überschritten zu haben, – so große Gesinnungen äußerte.

»Ach, mein Sohn,« rief er, indem er ihn in seine Arme schloß, »wollte Gott, alle Ritter der ganzen Christenheit dächten, wie ihr und eure Knappen! Die Ungläubigen des Morgenlandes, wo für Gottes Ehre jetzt das meiste zu thun ist, sollten bald aufgerieben werden; aber leider beschäftigt sich die junge Mannschaft des Abendlandes jetzt mehr mit Spielen, oder nutzlosen Turniren, und dem damit verbundenen Minnespiel, als mit der Sache der bedrängten Christenheit. Laßt uns aufbrechen, und versuchen, ob wir nicht die Herzen der jungen christlichen Ritterschaft durch euer Beispiel für unser Vorhaben [172] gewinnen können. Sehet, ich bin im Begriff mit meinen auserlesensten Kriegern zum Kaiser zu ziehen, und ihn zur Rache des unschuldigen Blutes aufzufordern, das im Morgenlande vergossen wird; wollt ihr mich begleiten, so hoffe ich, es soll euch nicht an Gelegenheit zu Ruhm und Sieg fehlen.«

So herzlich und eifrig dieses Erbieten gethan war, so begierig wurde es angenommen. Fürst Gabriel ertheilte Georgen und seinen hundert und neun und zwanzig Gefährten noch am nämlichen Tage den Ritterschlag, und gab ihnen eine schöne Fahne, auf welcher nach ihrem Verlangen der hamelsche Schutzpatron, der Erzengel Michael, zierlich gebildet war, und auf der besonders der Arge, der sich in Lindwurmsgestalt unter den Füßen des Siegers krümmte, sich gar herrlich ausnahm.

Darauf zog man an des Kaisers Hof, wo Fürst Gabriel mit seiner Schaar sehr wohl emgfangen wurde, besonders zogen die hundert und dreißig Ritter des Erzengels Michael – so nannte man den Ritter Georg mit seinem Gefolge, wegen der Fahne, die sie führten, – aller Augen auf sich. Als aber Kaiser Rudolph, der ihnen schon ritterliche Beförderung bei seinem Heere angeboten hatte, vernahm, daß es hier auf einen Zug nach dem heiligen Lande abgesehen sei, da wollte er nichts hiervon wissen denn er hatte zu viel Kriege im Abendlande zu führen, als daß er sich um die im Orient allzusehr hätte bekümmern sollen, und lieber hätte er die auserlesene Mannschaft [173] sich selbst, als den Pilgern des heiligen Grabes, und den Hirten von Palästina gegönnt. Die Sache der Christenheit ging ihm recht tief zu Herzen und es schmerzte ihn besonders inniglich, daß die Ungläubigen den frommen alten Patriarchen von Jerusalem so unmenschlich behandelt hatten; 5 aber bis zum Trieb der Rache ging dieses Mitleid doch nicht. Er sagte dem Fürsten von Siebenbürgen, er möchte nur hinziehen und seinem frommen Eifer folgen, auch sollte einer mäßigen Anzahl der Ritter seines Landes nicht verboten sein, ihn zu begleiten, aber mehr zu thun erlaube der Stand der Sachen, die Ruhe seiner eignen Staaten keinesweges.

Da redete Fürst Gabriel mächtig von Christen- und Fürstenpflicht und vom Segen und Ablaß des Pabstes; aber die erstern kannte Kaiser Rudolph recht gut, und was das andere anbetrifft, so konnte der, welcher nicht einmal nach Rom gehen wollte, um sich von da den Kaisernamen zu holen, wohl schwerlich Lust haben, um päbstlichen Ablasses und Segens willen, einen Zug nach dem heiligen Lande zu unternehmen.

Als unsere Helden sahen, daß hier bei weitem das[174] nicht auszurichten war, was sie erwartet hatten, da verließen sie des Kaisers Hof und zogen nach Italien, um erst von Rom noch die Benediction des Pabstes mitzunehnehmen, und dann zu Aquileja flugs fröhlich unter Segel zu gehen.

Ritter Georg nützte die Zeit einer langwierigen Schiffahrt, um seine Gefährten über dies und jenes zu belehren; denn mit ihnen hatte es gerade die umgekehrte Bewandniß, wie mit ihrem Anführer. Bei ihm wohnte in einem jugendlichen Körper ein Geist, der schon seit länger als funfzig Jahren, zur Vollkommenheit herangereift war, sie waren in der Gestalt streitbarer Jünglinge dem Verstande nach nur Knaben von sieben Jahren, wie sie aus ihrem Vaterlande ausgezogen waren. Die Kräfte ihrer starken Arme, die sie ritterlich zu brauchen wußten, standen mit den Kräften ihres Geistes in gar keinem Verhältniß, und ein Glück war es, daß sie bei dieser Ungleichheit, die man ohne Wunder so oft im menschlichen Leben findet, und die so gefährlichen Folgen hervorbringt, noch jene kindliche Folgsamkeit hatten, die ihrem wahren Alter angemessen war, und daß sie sich von ihrem Herrn und Lehrer in der Stille leiten ließen, wie er selbst wollte. Er hatte ihnen gleich beim Heraufsteigen an das Tageslicht ein weises Stillschweigen auferlegt, und dieses bedeckte manche ihrer Unvollkommenheiten. Weil sie schweigen konnten, wurden sie für weiser gehalten, als sie jemals werden konnten, ja man glaubte sogar, in ihnen die tiefsten Denker zu sehen, die nur in dem damaligen Jahrhundert zu finden waren.

[175] Als Fürst Gabriel mit seinen tapfern Kriegern und Ritter Georg mit seinem stillen Gefolge zu Joppe an das Land stiegen, da wurden sie von der bedrängten Christenheit mit Jubel empfangen; auch säumten sie nicht, den Hülfefordernden zu beweisen, warum sie hier erschienen waren. Was sie aber eigentlich thaten, das ist geschrieben in dem Buche von den Helden, und wir wissen nur so viel davon zu berichten, daß nach einigen kleinen Schlachten in den Gegenden, welche die christlichen Ritter zuerst betraten, sie ihren Weg in das Herz des Landes nahmen, und da nicht minder glück- und sieghaft waren.

Georg, dessen Rath man immer befolgte, drang auf die Belagerung von Damiate; aber leider mußte er die Eroberung dieses wichtigen Platzes mit dem Leben seines Freundes, Fürst Gabriels, bezahlen; er fiel bei Gelegenheit eines wüthenden Ausfalles, den die Belagerten machten, und ermahnte sterbend seinen Waffengenossen, der verzweifflungsvoll über seinem blutenden Körper hing, um seines Verlusts willen nicht den Muth sinken zu lassen, sondern den Kampf für das Wohl der Christenheit muthig fortzusetzen.

»Ach,« sagte er, »wenn du jetzt schon zaghaft werden willst, da einer deiner Freund fällt, was wirst du thun, wenn du diesen Verlust mehr als hundertfach erfahren solltest! Ein Traum, den ich vergangne Nacht hatte, läßt mich befürchten, daß deine Gefährten ihr Vaterland [176] nicht wiederbetreten werden. Ich sah nämlich einen stattlichen Lorbeerbaum in einer wüsten Gegend meines Landes hervorschießen, welcher seiner Stärke und Höhe nach wohl schon mehr als einen Sommer gesehen haben mochte; um ihn her entsproßten junge Reißer, vom warmen Sonnenstrahl gezeitigt, auch schienen sie es ihm an hohen Wuchs und Pracht der Blätter schier gleich zu thun; aber es erhob sich der kalte Gebirgswind, da beugten sich die übernatürlich emporgetriebenen Schößlinge und welkten, und ihr stärkerer Gefährte stand bald ganz einsam im öden Gefilde!«

Fürst Gabriel besiegelte seine nachdrücklichen Worte mit dem Tode, und Georg verstand sie nicht eher ganz, oder beredete sich, sie nicht zu verstehen, bis er ihre traurige Erfüllung erlebte.

Noch fünf glückliche Schlachten wurden den Ungläubigen nach dem Heldentode des Fürsten von Siebenbürgen geliefert. Nicäa ging über, Jerusalem wurde den Händen der Ungläubigen entrissen, aber Georg bezahlte leider jede dieser glorreichen Thaten mit dem Blute einiger seiner Freunde; sie sanken um ihn her wie frühwelkende Blumen, und bei dem letzten Gefechte, das schier das blutigste unter allen war, und die Befreiung des heiligen Grabes betraf, standen nur noch sieben und zwanzig Ritter des Erzengels Michael an seiner Seite.

Der Kampf war hier zu hart, selbst der starke und[177] tapfre Ritter Georg, dessen Lebenskräfte einen gar festen Grund hatten, ermattete und blutete aus mehreren Wunden. Die heldenmüthigen Sieben und zwanzig waren fast noch die einzigen, welche bei ihm aushielten; sie halfen ihm treulich den Sieg erfechten, und sanken dann mit unzähligen Wunden bedeckt einer nach dem Andern nieder, zu seinen Füßen zu sterben. Da dachte Georg an Fürst Gabriels Traum, und an die Ahnungen, die ihm bei demselben überfielen; sein Verstand sagte ihm, daß der festgewurzelte Lorbeerbaum die schnell emporgetriebenen Schößlinge überleben mußte; aber liegt Trost in der Nothwendigkeit, oder Unabänderlichkeit eines Uebels? –

Ritter Georg kniete in dumpfem Schmerz an der Seite des letzten seiner sterbenden Gefährten, und that über seinem erstarrenden Leichnam das Gelübde, ihren Verlust sieben Jahre lang in der Wüste zu betrauern; ihm war es, als hafte einige Schuld auf ihm, daß diese jungen Pflanzen so früh verwelken mußten; war er nicht die Veranlassung ihrer Entführung aus ihrer Vaterstadt? Waren nicht ihm zu Liebe ihre Lebenskräfte zu früherer Reifung gezwungen worden, und war nicht ihr schnelles Dahinwelken die Folge dieser Gewaltsamkeiten? –

Dies glaubte er büßen zu müssen; er überließ die Ehre der bisherigen Siege einem der Anführer, welcher nach ihm der nächste war, empfahl ihm weise Benutzung der erkämpften Vortheile, und die Fahne des heiligen Erzengels Michael. Sie zeigte in der Folge noch oft dem [178] Siege den Weg, aber man nannte sie nicht mehr Sanct Michaels Fahne, sondern das Panier des Ritters Georg, der von dieser Zeit an vielfach mit dem Erzengel verwechselt wurde.

Als Georg mit dem frommen Entschlusse, ein Eremit zu werden, das Schlachtfeld verließ, und sich noch einmal nach dem Schauplatz des Todes umdrehte, wo er auch die letzte Freude seines Lebens verloren hatte, da sah er gar eigentlich, wie sich die frommen Kinderseelen seiner Gefährten, die sich eben dem Körper völlig entwunden hatten, gen Himmel erhoben; sie waren in glänzendes Weiß gekleidet, und Engel trugen ihnen Palmen entgegen. Ein seltnes Loos, den Lohn der Unschuld und des Heldentodes zugleich zu ernten! – Dies war das Loos jener entführten Kinder, die der Himmel zeitig hatte vollkommen machen wollen, und die auf der gewöhnlichen Laufbahn wohl schwerlich in einem halben Jahrhunderte so viel erarbeitet haben würden, als hier in der Kürze! – Die Legende sagt, ihnen sei im Himmelreiche die nächste Stelle nach den unschuldigen Kindlein angewiesen worden.

Georg aber, durch das Gesicht von diesen überirdischen Dingen in seinem frommen Vorsatz bestärkt, legte gleich im nächsten Dorfe bei der Wahlstatt alles Rittermäßige ab, ließ Schild, Waffen und Rüstung daselbst, und setzte seinen Weg in Pilgertracht bis an den arabischen Meerbusen fort; er fuhr hierauf hin über nach Egypten, durchwanderte [179] den größten Theil von Afrika und kam endlich in jene Gegenden, wohin das Auge der Wahrheit fast noch gar nicht gedrungen ist, und wo also die Phantasie freies Feld hat, ihren Unfug zu treiben. Damals bevölkerte sie sie mit Riesen, Zwergen und Drachen, die aus der übrigen Welt vertrieben zu werden begannen, und fabelte, um ihren Dichtungen doch einigen Grund zu geben, dort brüte die Natur zwischen himmelhohen Gebirgen und todtathmenden Sümpfen, die noch von der großen allgemeinen Wasserfluth her nicht ausgetrocknet wären, Ungeheuer von allen Gattungen aus, denen sie eine wunderbare Größe zuschrieb.

Aus was für Ursachen Georg eben diese grauenvolle Gegend zum Schauplatz seines Eremitenlebens erwählte, ist unbekannt, vielleicht war es Hang zu ritterlichen gefahrvollen Abentheuern, der ihn auch im Anachoretenkleide noch nicht verlassen hatte. Uns ist es nicht unwahrscheinlich, daß er hier fand, was er suchte, und daß irgend ein Lindwurm, nebst einem halben Dutzend Löwen und Riesen von ihm erlegt wurden.

So viel ist gewiß, daß Georg seine gelobte Zeit der sieben Eremitenjahre redlich aushielt, und erst nach Endigung derselben wieder in ritterlicher Tracht in der Welt erschien; aber nicht einsam, sondern ein junges Fräulein auf einem zierlichen Zelter ritt an seiner Seite. Ihr Gesicht war zwar etwas gebräunt, wie es bei den Bewohnern jener heißen Gegenden allgemein der Fall ist, dabei [180] war sie aber doch so schön, daß alle Damen, sowohl die afrikanischen, als die europäischen, ihr den Preis lassen mußten. Wie Georg zu diesem Schatze gekommen sein mochte, darüber gingen verschiedene Sagen. Er mochte sie nun aus Drachengewalt gerettet, oder als eine verirrte Rückgebliebene irgend einer Karavane in seine Einsiedlerhütte aufgenommen haben, genug, sie 6 war sein, und blieb es, ohne daß sie nöthig hatte, sich seine Liebe und [181] sein Vertrauen dadurch zu erringen, daß sie sich der Gefahr aussetzte, von Löwen erwürgt zu werden. Die christlichen Ritter des dreizehnten Jahrhunderts waren in diesem Punkte etwas artiger, als die ganz uralten, deren Thaten sich in der rauhen Heldenzeit verloren, und unser Georg hat also auch hierin vor dem Brittischen einen Vorzug.

Ohne alle weitere Abentheuer, mit Ruhm und Ehre gekrönt, erreichte er das vaterländische Europa; er vergaß nicht, Rom wieder zu sehen, und beim heiligen Vater einzusprechen; dieser war der erste, welcher des Ritters Wundergeschichte ganz und unverfälscht aus seinem Munde vernahm; denn selbst gegen seinen besten Freund, den Fürsten Gabriel, hatte Georg mit derselben wegen ihrer Unglaublichkeit ein wenig hinter dem Berge gehalten; jetzt scheute er sich nicht mehr, all die Wunder zu erzählen, welche das Schicksal in seinem Leben aufgehäuft hatte. An dem Throne St. Petri fand er vollen Glauben; denn seine Geschichte enthielt manches, was den Lehren, welche von demselben herab gepredigt wurden, große Bestätigung gab. Der Pabst segnete und beschenkte den Ritter mit einer Menge von Heiligthümern; auch versprach er ihm [182] zum Lohne für seine christlichen Heldenthaten nach seinem Tode die Glorie, ja schon bei seinen Lebzeiten den Niesbrauch derselben, in der Erlaubniß, sich mit dem Namen Sanktus zu nennen, wenn er sich eine kleine Klausel gegefallen lassen, den Ritterstand verlassen und eine Kloster gehen wollte.

Ritter Georg war gar nicht nach eitler Ehre geizig, ihm war das Ritterschwert und die schöne Afrikanerin lieber als eine frühzeitige Kanonisation; er verzichtete also auf den angebotenen Titel, und bat sich dafür die Ehre aus, von päbstlicher Hand mit seiner Dame verbunden zu werden.

Auch dieses wurde ihm gewährt; sie wurden vermählt und friedlich entlassen. Da machte sich der Ritter auf mit seiner jungen Gemahlin und zog zum Kaiser, dem er gleichfalls seine Wundergeschichte erzählte, und dadurch bei diesem großmüthigen Fürsten mehr erlangte, als bei dem kargen Pabste; dieser war mit nichts freigebig, als mit Benedictionen, Glorie und Heiligthümern, aber Rudolph war schnell mit Beförderungen bei seinem Heere, und ansehnlichen Belohnungen bei der Hand.

Georg sehnte sich nach seinem Vaterlande und nach Wiedereinsetzung in die Rechte seiner Väter. Auch hierzu wollte ihm der Kaiser die Hand bieten und bewirkte unter Zuziehung einiger anderer Könige und Herrn, die beim König von England etwas vermochten, daß Georg alles erhielt, was Lord Alberts Sohn nur verlangen konnte. [183] Glücklicherweise waren die ihm entrissenen Güter durch Aussterben der eingedrungenen Erben der Krone anheim gefallen, und der gutwillige Eduard der andre war gerade nicht der Mann, welcher Lust hatte, sie dem rechtmäßigen Eigenthümer vorzuenthalten. Er schickte Boten an den kaiserlichen Hof, den Ritter Georg, dem er den Namen eines Herzogs antrug, in sein Vaterland zurück zu rufen und ihm mehr, als er fordern konnte, fest zu versichern und zu verbriefen.

Georg folgte dem Rufe, doch nicht eher, bis er dem Kaiser die Stadt Hameln und seinen ehemaligen Pflegevater, so wie auch das Fürstenthum Siebenbürgen, nebst seinen dermaligen Besitzer, Fürst Gabriels Sohn, nachdrücklich empfohlen hatte; denn er dachte an die Ermahnung seines Vaters, an den Landen, wo er Schutz finden würde, Dankbarkeit zu üben; seine eignen Kräfte waren hierzu vor der Hand zu schwach, und er mußte also durch Vorbitte nützen, die bei Kaiser Rudolph, der ohnedem gern wohl that, gerade an den rechten Mann kam.

Als unser Ritter sein Vaterland wiedersah, befand er sich in der vollen Schönheit und Stärke eines blühenden Mannes von vier bis fünf und zwanzig Jahren, ungeachtet ich und meine Leser am besten wissen, wie viel Sommer er, die Epoche der Bezauberung mit eingerechnet, zählen konnte; er lebte fast noch eimal so lange, als er schon gelebt hatte, und alterte doch dabei so unmerklich, daß auch hier Bruder Bennets Weisagung erfüllt [184] wurde, und er noch im vollen Gefühl der Jugendkraft hinüberging, die himmlische Glorie zu erlangen, die ihm der heilige Vater bereits bei Lebzeiten zugesichert hatte. Seine lange Kindheit war der Quell seiner dauernden Kräfte, je mehr diese glückliche Epoche abgekürzt wird, je früher reifen wir zum Tode.

Aber nach St. Georgs Ableben ging erst die Zeit seines größten Heldenruhms an, und die Dunkelheit, welche sich über einige Theile, seiner Geschichte verbreitete, gab Gelegenheit zu den kühnsten Dichtungen, von welchen der Lindwurm unter seinen Füßen auf Bildern und Panieren vielleicht noch keine von den unrichtigsten war.

[185]

Fußnoten

1 Siölund, Wald des Meeres.

2 Diesen Namen soll ihr Naddock, als er dreißig Jahre später seine Absicht erreichte, beigelegt haben, bis sie später Island oder Eisland genannt wurde.

3 Richard Johnsons book of the Seven Champions of Christendom, eine der besten, aber nicht der ältesten Quellen, aus welcher hier geschöpft worden ist.

4 The weird Lady of the woods.

5 Man hatte ihn bei den Haaren herumgeschleift, und dann in einen Kerker geworfen, um dadurch von seiner Herde eine große Ranzion zu erpressen; eine Behandlung, welche, wie Gibbons sich ausdrückt, eine Nerve berühre, deren Schwirren sich bis ins Herz von Europa ausbreitete, und einem neuen Triebe zur geistlichen Ritterschaft das Dasein gab.

6 Die brittische Legende nennt sie Sabra, und macht sie zu der Tochter des Königs von Nubien, welche einem gräulichen Lindwurm, der nach und nach alle Jungfrauen des Königreichs gefressen hatte, endlich auch zur Speise dienen sollte; St. Georg rettete sie, aber so dankbar sie gegen ihn war, so großen Undank fand er bei ihren Eltern. Der Befreier und die Befreite liebten einander, aber durch beständige Hinderungen spottete man ihrer Liebe, trachtete dem christlichen Ritter nach dem Leben, und nöthigte die Liebenden endlich zur Flucht. Auch hier blieben sie nicht unangetastet; man schickte ihnen den Dämon der Eifersucht und des Argwohns nach. Georgen wurde die Tugend seiner Sabra verdächtigt, und er glaubte nicht eher festiglich an dieselbe, bis sie durch das Zeugniß zweier Löwen kräftig erwiesen ward; diese Thiere sind, wie bekannt, große Kenner weiblicher Treue, und Georg überließ die Tugend seiner Prinzessin dem Ausspruch dieser Schiedsrichter. In einem Walde voller Löwen verließ er sie unter dem Vorwande der Jagd, überzeugt, sie entweder zerrissen, oder mit hochgeprüfter Treue wiederzufinden. Das letzte geschah, er fand sie schlafend, einen zerfleischten Kämmerling, den er bei ihr gelassen hatte, wenig Schritte seitwärts, und dicht an ihrer Seite die Löwen, die solches gethan hatten, und nun die Jungfrau, die sie nicht antasten mochten, ehrfurchtsvoll bewachten. Da ging Georg in sich, er bat knieend wegen des Verdachts um Verzeihung, und führte seine Dame nach England.

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TextGrid Repository (2012). Naubert, Benedikte. Märchen. Volksmährchen der Deutschen. 2. Bändchen. Die hamelschen Kinder, oder das Mährchen vom Ritter St. Georg. Die hamelschen Kinder, oder das Mährchen vom Ritter St. Georg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5E6E-8