[3] Erster Theil

Eingang

Wer kennt nicht die 1 Almé der Egyptier? – Ihr Völker des Nils, und ihr, Bewohner der fernen Inseln, die ihr etwas von ihr vernahmt, höret ihren Ursprung.

[3] Ich war die Tochter des weisen Sopher, und mein Name ist Almé Rusma. Ich rede zu euch von vergangenen Zeiten. Mich drückt die Last der Jahre. Wenn du, o Volk des Nils, und ihr, ihr Jungfrauen der Isis,[4] die ihr es nicht unwerth seyd, meinen Namen zu führen, diese Blätter lesen werdet, so wird die Tochter des weisen Sopher nicht mehr seyn, und die schöne Rusma, die Gemahlin des königlichen Menes von Oxirynchus, [5] ist denn längst hinabgewallt auf den Fluthen des schwarzen Sees zu den Wohnungen der Todten.


[6] Sopher Ben Helion, den ich als Vater ehrte, ungeachtet er wahrscheinlich nur der Pfleger meiner verlassenen Kindheit war, lebte mit mir zu Bubastus in dürftiger Dunkelheit. Jedermann kannte ihn unter dem Namen des weisen Sopher, viele kamen seinen Rath, seinen Unterricht zu suchen, aber keiner lohnte ihm nach der Wichtigeit der Gabe, die er von ihm erhalten hatte, auch war Sopher sehr bedenklich Belohnungen anzunehmen.

Als einst ein großer König kam, und die Stadt belagerte, darin Sopher lebte, da ward es ihm kund, daß in derselben ein armer weiser Mann sey, der die Stadt retten könne mit seiner Weisheit: da sagte er den Bürgern an, er wolle friedlich von ihren Mauern ziehen, so sie die Stimme des Weisen hören, und ihr gehorchen würden. Sie [7] kamen zu dem weisen Sopher, sie hörten seine Stimme, sie gehorchten ihr; der König hob die Belagerung auf, aber, indem er befriediget von dannen zog, und die Bürger gerettet waren, schmachtete Sopher, durch den alles dieses geschah, nach wie vor, unbelohnt in seiner Dunkelheit, auch wollte er nicht aus derselben hervorgezogen, auch wollte er nicht belohnt seyn. Seine Weisheit machte, daß er die Lasten der Armuth nicht fühlte, und beklagte er sich je über dieselben, so geschah es um meinetwillen. Ich war schön, war erst achtzehn Jahr; Sopher hatte das gewöhnliche Ziel des menschlichen Lebens schon längst zurückgelegt; was sollte aus mir werden, wenn er hinüber ging in die Wohnungen der Seligen und mich zurückließ, in einer Welt, die ich nicht kannte, und vor deren Fallstricken nur meine Tugend mich schützen konnte; ein schwacher Schutz, wenn nicht schirmende Weisheit, oder Macht und Ansehn ihr zur Seite steht.

Meine Tochter, sagte der weise Sopher zu mir, als er mich den Tag vor seinem Tode näher zu seinem Lager rief, an dessen Füßen [8] ich schon mehrere Nächte verweint hatte, Almé Rusma! Erbin künftigen glänzenden Glücks, und jetzt so elend! was soll ich dir sagen, deine Thränen zu trocknen? Soll ich dir die Geschichte meines eigenen Lebens erzählen, das, ob es sich gleich jetzt in Dunkelheit endigt, doch Scenen voll Macht, Freude und Hoheit in sich schließt, auf die ich im Anfang meiner Tage nicht rechnen konnte. – Zu lang würde diese Geschichte für meine wenigen gezählten Augenblicke, zu angreifend für meine geschwächten Kräfte seyn; ich bitte dich, Almé, schenke sie mir! Begegnen wir uns einst, dort in jenen Gegenden des Lichts, wohin ich gehe, so wird es Zeit genug seyn, dich von Dingen zu unterhalten, die dir jetzt unglaublich dünken würden. Selig wird uns dort der Rückblick auf unsere vergangenen Schicksale machen, und der Schluß all unserer Betrachtungen wird seyn: Gut war, was uns hier begegnete! Wir trauerten nie ungetröstet! Der Nacht folgte allemal der Tag, und einem kummervollen Leben machte der Wink des lächelnden Engels ein Ende, der jetzt mir nur sichtbar zu den Füßen meines Lagers [9] steht. Nimm diesen Trost, er ist ein Strahl der Ewigkeit, den ich dir aus jenen bessern Regionen herüberhole.

Eine Rede, wie diese, war wenigstens nicht gemacht, mich im gegenwärtigen Kummer aufzuheitern. Der Gefangene, welcher im Begriff ist, die Fesseln abzulegen, spricht freylich aus einem Tone, den sein im Kerker zurückbleibender Gefährte, welcher noch obendrein das nahe Scheiden seines letzten Freundes betrauert, nicht zu fassen vermag.

Almé, begann Sopher in der Nacht, die diesem Tage folgte, sind deine Thränen noch nicht getrocknet? Bedenke doch, daß ich lang genug gelebt habe. Bestreite doch nicht der Natur ihre Rechte, von welchen ich so lang eine wunderbare Ausnahme gewesen bin. Du weist nicht, wie viele Jahre dein Vater zählt! Als Philadelphus 2 [10] jene Weisen aus Palästina rief, die Alexandrinische Büchersammlung mit der Uebersetzung der ältesten Documente der Menschheit zu bereichern, da war ich, als Knabe, unter ihrem Gefolge. Als 3 Amrou, der Feldherr des Kaliphen Omar, Alexandrien eroberte, und den unschätzbaren Schatz der menschlichen Weisheit zerstörte, den ich durch acht Jahrhunderte hatte erwachsen sehen, und sammeln helfen, da fühlte ich erst das allmählige Abnehmen jugendlicher Kräfte. Es ist in diesen darauf folgenden achtzehn Jahren, [11] da du an meiner Seite lebtest, schnell mit mir bergab gegangen. Die Mittel, welche mir so lang mein Leben fristeten, wurden von mir auf die Seite gesetzt, und nun muß ich sterben! Dünkt es dir, daß dieß zu früh geschieht?

Ich fand die Dinge, die mir Sopher sagte, unglaublich, oder vielmehr, ich würde sie für unglaublich gehalten haben, hätte ich damals für etwas anders Gefühl gehabt, als für meinen Schmerz. Meine schwimmenden Augen ruhten auf der Hand des Weisen, welche die meinige sanft drückte. Nur zuweilen blickte ich auf, um das ehrwürdige Gesicht noch einmal zu sehen, das nun bald durch die Schatten des Todes sollte entstellt werden.

Jetzt ruhte noch die Heiterkeit der sinkenden Sonne am Abend eines schönen Tages auf denselben. Sophers Augen strahlten Freude, seine Seele schien in seliger Erwägung der Vergangenheit verloren.

Es ist sonderbar, sagte er nach einem langen Stillschweigen, wie jetzt auch die trübsten Tage meines Lebens Spuren von [12] Herrlichkeit in meinen Augen haben! – Es war eine fürchterliche Scene, da Amrous Wuth, zuletzt auch das Haus, welches die alten Ptolemäer den Wissenschaften geweihet hatten, den Flammen opferte. Die Söhne der Weisheit, die ihre beständige Wohnung bey der unerschöpflichen Quelle des Wissens hatten, wurden von der überhand nehmenden Glut aufgescheucht; so zerstreut der Wind aus der Wüste die Vögel der Nacht, die in den Ruinen von Theben hausen. Ich war mitten unter den fliehenden Weisen. Jeder von uns rettete das Buch, das er, nach eingeführter Sitte des Orts, eben auf seiner Zelle verwahrte; auch ich rettete das meinige. Du wirst es, mit Anmerkungen und Zusätzen von meiner Hand vermehrt, in meiner Verlassenschaft finden; es ist nicht so, wie ich es gewählt haben würde, sondern wie es das Gesetz, das den Weisen auflegte, alle Bücher der großen Sammlung nach einander zu durchlesen, diesen Tag eben in meine Hände geführt hatte.

Die Flammen wollten mir meinen Raub bestreiten. Dreymal entfiel er mir im Fliehen [13] mitten in die Glut, und dreymal rettete ich ihn. Dieses war ein Tag, da ich noch ein größeres Kleinod retten sollte. – Mit unvergänglicher Herrlichkeit bekrönt das Glück, das mir damals geschenkt wurde, einen der schwärzesten Tage meines Lebens, nie kann ich den Verlust, den ich an demselben erlitt, ohne seinen Gewinn denken; er erheitert noch meine letzten Augenblicke diesseit des Grabes. – Wisse, der Tag des Alexandrinischen Brandes gab mir dich, meine Almé! – Doch hiervon bin ich dir umständlichere Nachricht schuldig! – Morgen, mein Kind, morgen! – Jetzt bin ich zu matt, und meine Augen schließen sich zu unwillkührlichen Schlummer.

Der weise Sopher schloß die Augen, um sie nie wieder zu öffnen. Des andern Morgens weinte ich trostlos bey seiner Leiche. Doch nein, nicht trostlos! Was hätten mir die Lehren des Weisesten unter den Menschen genützt, hätte ich bey seinem Grabe verzweifeln wollen? Hier lag mir es ob, Proben abzulegen, daß die unglückliche Rusma der Liebe und des Zutrauens ihres Vaters nicht [14] unwürdig war. O es war die strengste Probe meines Lebens! Ihr, die ihr in der Folge hier und da Spuren von Stärke und Standhaftigkeit in Almés Betragen zu finden meynen werdet, setzet sie tief unter jene Anstrengung, die mir damals das Leben erhielt.

Mit dem Grame um meinen Verlornen verbanden sich bald Sorgen um die Mittel, mein Leben hinzubringen; doch dieses Leben war mir so gleichgültig, daß ich mich weniger um dasselbige bekümmerte, als um den Unterhalt einer Person, die bisher meine und Sophers Leidensgefährtin gewesen war, und die ohne mich ganz verlassen gewesen wäre. Diese geliebte, mir nach Sophers Tode doppelt unentbehrlich gewordene Person war nur eine Sclavin, doch dies verminderte nicht ihren Werth in meinen Augen. Iphis war meine Freundin, war die erste Pflegerin meiner Kindheit gewesen, ich hatte ihre Milch getrunken, wie hätte ich für sie nicht die Gefühle einer Tochter hegen sollen?

Ich musterte mit ihr des weisen Sophers sparsamen Nachlaß, und verweilte bey jedem [15] Theil desselben, das Spuren seines Andenkens trug, mit dankbaren Thränen. Nach Abzug einiger dringenden Schulden, besaß ich, ausser dem nothwendigen Hausgeräth und wenigen Goldstücken, nichts, als jenes Buch, dessen mein sterbender Vater in seinen letzten Augenblicken gedachte, und einen goldnen Gürtel, welcher von einigem Werth seyn mochte, und den ich, um mir und meiner Mutter, diesen Namen gab ich der treuen Iphis am liebsten, ein bequemeres Leben zu verschaffen, zu verkaufen beschloß.

Iphis weigerte sich, als ich ihr dieses Geschäft auftrug, es auszurichten. Laß dieses Kleinod unsere letzte Zuflucht seyn, sagte sie. Es können Vorfälle kommen, wo wir ausserordentlicher Hülfe nöthiger bedürfen, als jetzt. Haben nicht wir beyde arbeiten gelernt? Ist nicht meine Rusma Meisterin in allerley künstlichen Geweben? Uebertrifft sie nicht selbst mich, ihre Lehrerin, in dieser Kunst? Laß uns arbeiten, Almé, und auf die Hülfe der Vorsicht hoffen, bis bessere Zeiten erscheinen.

So arbeiteten wir denn, Iphis und ich. Wir lebten von unserm Verdienst, welcher [16] klein war, weil man die armen Künstlerinnen, sie mochten leisten, was sie wollten, immer kärglich bezahlte. Iphis besorgte die Einnahme und Ausgabe, sie besorgte unsere kleine Wirthschaft. Ich kam vom Morgen bis Untergang der Sonne nicht von meinem Weberstuhle; aber des Abends, nach dem vierten Gebet, ruhte ich, wie mir die Erziehung meines Vaters das zur Religionspflicht gemacht hatte, und die Stunden der Nacht, bis uns der Schlaf die Augen zudrückte, wurden dem Lesen jenes Buchs gewidmet, welches der wichtigste Theil von Sophers Verlassenschaft war.

Es enthielt eine Menge für uns wichtiger und unterhaltender Geschichten. Iphis und ich hatten noch wenig in der Welt gesehen und gehört, vieles war uns neu, manches konnte uns belehren und gefallen, was Andern gleichgültig und entbehrlich seyn möchte. Doch, von dem Werth und Unwerth dieser Dinge in der Folge; ich bin Euch noch die Schilderung jenes Augenblicks schuldig, da ich es zuerst wagte, die heiligen Blätter zu entfalten, welche Sophers [17] Hand so oft berührt, auf welche er so viel Werth gelegt hatte, daß er sie mir ausdrücklich als sein Vermächtniß namhaft machte. Euch, die ihr gewohnt seyd, die Kostbarkeit des Geschenks nach der Würde des Gebers zu berechnen, euch, die ihr an der welkenden Blume, die eine liebe Hand einst für euch brach, noch den letzten Hauch scheidender Liebe verehrt, euch darf ich nicht sagen, wie mir zu Muthe war, als ich die ganze Kostbarkeit von Sophers Verlassenschaft kennen lernte, als ich wahrnahm, daß Worte, von seiner Hand geschrieben, an mich gerichtete Worte, die ersten Seiten jenes theuern Buches einnahmen.

In heiliger Bilderschrift geschrieben, die Sopher mich kennen lehrte, enthielten sie folgendes:

»Almé Rusma! liebendste und geliebteste aller Töchter! kein Wort an Dich um Gefühle, die Du nun verbannen mußt, wieder zu erwecken! Ich bin glück lich, und Du wirst glücklich seyn, wenn Du lebst, wie Sopher lebte, noch glücklicher, wenn Du [18] alle Klippen vermeidest, an welchen sein Glück und sein Gefühl der Pflicht gegen den Urheber unsers Daseyns scheiterte. Durch Künste, welche zwar nicht unerlaubt, aber doch, meiner jetzigen Empfindung nach, tadelnswerth, und unserm wahren Besten hinderlich sind, entzog ich mich mehrere Jahrhunderte dem allgemeinen Loos der Sterblichen; durch eben dieselben ward Macht, Reichthum und Hoheit mein. Ich misbrauchte sie nie, aber, ich muß Dir gestehen, ich fühlte mich glücklicher und besser, sobald ich ihnen entsagte, und den Entschluß faßte, nicht mehr von den Gütern des Lebens an mich zu reißen, als ich unmittelbar aus der Hand der Vorsicht nehmen konnte. All die Jahre, seit ich Dich besaß, sind für mich Jahre freywilliger Beraubungen gewesen. Du begreifst wohl, daß ich die Macht, Dich und mich eigenmächtig zu beglücken, nicht verloren habe, da ich –


(Hier folgte eine selbst für mich ganz unerklärbare Stelle in Sophers Handschrift) –


Du siehst also ein, daß es mir leicht wär, Dich in Reichthum und Ueberfluß zu [19] hinterlassen, aber ich bin überzeugt, daß das Loos, so wie es Dir die Vorsicht gönnt, besser ist, als das, welches ich Dir durch meine Wissenschaften erkünsteln könnte. Bleibe in Niedrigkeit und Armuth, bis Gott Dich zu einer glänzenden Rolle ruft, die Wege dahin sind Klugheit und Tugend; ich habe Dir hierüber keine besondere Regel zu geben; Du hast sie alle schon bey meinem Leben erhalten.

Dieses Buch halte werth, als meine letzte Gabe, es wird Dir in trüben Stunden Unterhaltung, und in der Folge vielleicht Vortheil, vielleicht Glück bringen. Soll ich eine Bitte an Dich thun, (sie ist kein Gesetz) so ist es diese: bleibe bey Lesung dieser Blätter den Regeln treu, welche die Alexandrinischen Weisen zu beobachten pflegten. Ueberzeugt, daß bey Schriften, wie dieser, nichts zufällig, nichts überflüßig sey, selbst die Ordnung nicht, in welcher die Worte des heiligen Schriftstellers auf einander folgen, rissen sie nie einen Theil aus dem Zusammenhange des Ganzen; so thue auch Du. Du magst [20] die Geschichten dieses heiligen Buchs lesen oder andern vortragen, so entferne Dich nie von der Folge, in welcher sie an einander gereihet sind, Du wirst in der Treue gegen diesen Rath vielleicht dereinst Dein Glück finden.«

Nachdem ich diese theuern Worte gnugsam mit meinen Thränen benetzt, oft genug das Buch, welches sie enthielt, in die Hand genommen hatte, ohne im Stande zu seyn, etwas weiter aus demselben zu lesen, als eben diese Denkmale der zärtlichsten Liebe, in welchen ich allein Befriedigung und Trost zu finden glaubte, fiel mir auf einmal der Gedanke aufs Herz, es fehle ihnen doch etwas, das zu meiner Beruhigung nothwendig sey. – Der heftigste Schmerz muß endlich andern Empfindungen, andern Vorstellungen Platz machen, und mir war es wohl nicht zu verdenken, daß ich, da ich oft Ursach fand, mich nicht für die wirkliche Tochtor des weisen Sopher zu halten, wegen der Unwissenheit trauerte, in welcher er mich über meine Geburt gelassen hatte. [21] O nur ein Wort, seufzte ich oft, wenn ich jene Schrift wieder und wieder überlesen hatte, nur ein Wort, mich hierin zu unterrichten! Unglückliche Almé Rusma! Morgen, versprach er dir Nachricht über die wichtigste Angelegenheit deines Lebens? – O warum mußte dieses Morgen nie kommen? warum mußte der Engel des Todes die Worte, die Sopher dir zu sagen hatte, mit dem Schweigen des Grabes versiegeln?

Iphis sah meine Unruh und meine Thränen, aber sie konnte sie nicht stillen. Zwar war sie seit den frühesten Tagen meines Lebens um mich gewesen, aber sie wußte von dem Anfang desselben nichts weiter zu sagen, als daß Sopher sie vor achtzehn Jahren auf dem Sklavenmarkt zu Alexandrien gekauft, und ihr das Geschäft aufgetragen hatte, meine Amme zu werden. Ach, setzte sie hinzu, ich hatte vorher den Sohn der königlichen Termuthis von Oxirynchus mit meiner Milch genährt, ich hatte gehofft, ewig in dem Hause zu bleiben, in welchem ich als Sklavin geboren worden war, in welchem ich so lang gelebt hatte, ohne je[22] meine Fesseln zu fühlen; – aber die Grausamkeit der Barbaren, welche Alexandrien eroberten, warf das Glück der Großen und der Kleinen durch einander, sie zertrümmerte auch das meinige. Das Haus meiner erhabenen Gebieterin ging in Feuer auf, seine edeln Bewohner wurden zerstreut, seine Schätze ein Raub der Feinde, und von den Sklaven ließ man nur diejenigen leben, um sie an andere Herren zu verkaufen, welche durch Jugend, Schönheit, Stärke, oder andere Vorzüge, einigen Gewinn versprachen. Der Himmel wollte, daß ich unter diesen war. Das Glück, welches mich nicht ganz verlassen wollte, gab mir an dem weisen Sopher einen guten Herrn, und an der kleinen Almé, die er in meine Arme legte, einen reichen Ersatz dessen, was ich verloren hatte.

Der Weise brachte uns nach Bubastus, in das Haus, welches wir noch jetzt bewohnen. Sopher war damals noch, dem Ansehen nach, ein Mann in seinen besten Jahren. Ich glaubte, er habe seine Gattin in jenen Tagen des allgemeinen Mordens verloren, [23] und hielt euch lange Zeit für seine Tochter, bis nach und nach Umstände hervortraten, welche mich hierin zweifelhaft machten; wem ihr aber das Leben zu danken habt, das ist allein Gott bekannt, der einst alle Geheimnisse ans Licht bringen wird. Nie habe ich mich unterstanden, den Verstorbenen um Aufklärung der Zweifel zu bitten, welche zuweilen in mir rege wurden. Ihr kennt das Ehrfurcht gebietende, Stillschweigen auflegende Wesen, welches ihm eigen war; auch dachte ich, immer noch Zeit zu Aufklärungen dieser Art übrig zu haben, denn ob ich gleich gestehen muß, daß der weise Sopher in diesen achtzehn Jahren auf eine wundersam schnelle Art alterte, so traute ich ihm nie seine acht bis neuntehalb Hundert zu, die er wirklich auf sich hatte, und glaubte also, immer noch die Fragen, die ich diesseit des Grabes an ihn zu thun hatte, versparen zu können.

So sprach meine treue Iphis, und ich kann nicht sagen, daß ihre Worte mir besondern Trost gaben. Indessen, es ließ sich in dieser verborgenen Sache nichts thun, ich [24] ergab mich nach und nach in alles, was das Schicksal über mich verhängt hatte, ich kehrte zu meiner Arbeit zurück, welche eine Zeitlang durch die verneute Trauer unterbrochen worden war, und die Abende widmete ich dem Lesen jenes Buchs, dessen Geschichten ich so oft wiederholte, daß ich endlich die meisten davon auswendig wußte. Ich konnte meine Zuhörerin nicht mehr ergötzen, als wenn ich dieses nützte, und, statt zu lesen, deklamirte, doch blieb ich auch hierin den Lehren meines Pflegevaters treu und folgte in meinem Vortrag immer der Ordnung des Buchs, ob ich gleich die Ursach, warum ich das mußte, nie einsehen konnte. Die darin enthaltenen Geschichten hingen auf keine Art zusammen, und erst in später Folge begriff ich es, und auch ihr, ihr Almés künftiger Zeiten, werdet es vielleicht begreifen, warum es für mich von Wichtigkeit war, nicht das Erste zu dem Letzten, noch vielweniger das Letzte zu dem Ersten zu machen.

Wir lebten fast ein Jahr auf diese Art, einsam, doch nicht traurig, sparsam, doch [25] nicht dürftig. Meine Wünsche waren eingeschränkt, und schweiften sie ja einmal zu sehr in ferner ungewisser Zukunft umher, so wußte sie die weise Iphis bald in meine kleine Sphäre zurück zu rufen, und mich mit der dunkeln Stelle zufrieden zu machen, die mir die Vorsicht angewiesen hatte.

Doch, so sollte es nicht bleiben. Unfälle drohten, die verlassene Taube aus ihrer einsiedlerischen Wohnung aufzuscheuchen. Ehe ich euch hievon das Nöthige sage, so erlaubt mir, einige kleine Anmerkungen über den Zustand des Landes, das ich bewohnte; sie werden nöthig seyn, euch das Künftige deutlich zu machen.

Mein Vaterland, Egypten, war schon seit vielen Jahrhunderten das nicht mehr, was es zu den Zeiten unserer uralten Könige gewesen seyn mochte. Die Hoheit der Pharaonen, und die noch größere der Priester der göttlichen Isis, war unter der Herrschaft der Perser, der Römer, und jetzt der Saracenen längst verloren gegangen, doch lebten von den alten Herrschern der Völker [26] am Nil, noch im Verborgenen, zahlreiche Nachkommen, hier in wohlerhaltener Hoheit und Größe, dort in vergessener Dunkelheit. Auch die Geheimnisse unsrer Religion waren keinesweges verloren. Wer noch heut 4 zu Tage den gänzlichen Verlust des alten Egyptens in dem neuen betrauert, der vermißt die Luft, welche ihn umgiebt, und sucht die Sonnenstralen, welche ihn umleuchten. Profanen wird dieß ein ewiges Geheimniß bleiben, nichts desto weniger aber ist es wahr. In dem sichtbaren Staate existirt ein unsichtbarer, die Glieder desselben kennen sich bey ihren alten Namen, nicht bey denen, welche sie vor der Welt führen. Isis und Osiris haben keinen ihrer Diener verloren, und werden ihre Geheimnisse jetzt etwas besser verstanden, kennen wir alle jetzt dasjenige, was sonst nur in dem Innersten ihrer Tempel gelehrt wurde, so ist das nicht Aenderung, nur Besserung dessen, was unsere Vorväter Religion nannten.

[27] Ich war von dem weisen Sopher in noch bessern Grundsätzen erzogen, als viele der übrigen. Sopher hatte ehemals im Tempel zu Jerusalem, hatte in spätern Jahrhunderten zu Antiochia und zu Rom Kenntnisse von der besten Art der Gottesverehrung gesammelt, die er mir ganz eigen gemacht hatte. In meinem Munde war der Gebrauch manches Wortes, dessen ich mich auch in diesen Blättern bedienen werde, nur Symbol der Wahrheit, das ich bedurfte, um andern verständlich zu seyn.

Sopher hatte mich gelehrt, mich nicht von der Weise des Landes auszunehmen, in welchem ich lebte. Mein gegenwärtiger Stand befahl mir, behutsam zu seyn, und so geschah es, daß ich mich zuweilen bequemen mußte, beym öffentlichen Gebet zu erscheinen, so gut die Uebermacht der Barbaren uns diese Uebungen der Andacht gelassen hatte. Sie waren die einige Veranlassung für mich, dann und wann meine kleine Wohnung zu verlassen.

Mein Unglück waren diese sparsamen Wallfahrten. Das höchste Wesen wollte [28] mich vielleicht belehren, wie misfällig ihm ein Dienst sey, an welchem nur unser halbes Herz Theil nimmt. Lasset mich geschwind über diese Stelle meiner Geschichte hinwegeilen; die Versuche des Lasters, sich unserer zu bemeistern, sind uns keine Ehre.

Ich war schön. So dicht verschleyert ich auch allemal unter dem Volke erschien, so war ich doch unglücklich genug gewesen, die Augen eines kühnen Bösewichts auf mich zu ziehen. Noch war Gerechtigkeit im Lande. – Egyptens neue Beherrscher hatten schon in dem ersten Jahrzehend einsehen gelernt, daß die edeln Völker des Nils sich nicht wie Sklaven behandeln ließen. Sie hatten ihnen eine Polizey gegeben, welche das, was frey war, bey leidlicher Freyheit erhielt, und selbst die Bedrückung der Leibeigenen einschränkte. Unter einer Regierung, die doch wenigstens den Schein der Gerechtigkeit beyzubehalten suchte, war es meinem Verfolger unmöglich, sich meiner durch Gewaltthat zu bemächtigen. List und Ueberredungen waren schon vergebens versucht worden. Noch ein Mittel war übrig: [29] Man mußte die Gerechtigkeit auf die Seite der Bosheit zu bringen suchen. Ich ward wegen einer Schuld verklagt, welche weder Sopher noch ich jemals gemacht hatten, gleichwohl war sie vor den Augen der Richter hinlänglich erwiesen. Ich sollte die Summen zahlen, sie abschwören, oder meine Freyheit für dieselben hingeben; das erste konnte ich nicht, das andere verbot mir meine Religion, und, o Gott! das dritte? – Was soll aus der Unschuld werden, wenn sie dem Verbrechen leibeigen gemacht wird!

Iphis, sagte ich, nachdem ich die Härte meines Schicksals mehrere Tage beweint hatte, und nun mich schnell, wie aus einem schweren Traum, empor riß. Wo waren meine Gedanken, daß ich mich so ganz der Verzweiflung überließ! Bin ich denn so arm, daß ich die wenigen Goldstücke, die mir nöthig sind, um meine Freyheit und Tugend zu sichern, nicht aufbringen sollte?

Ich hoffe, das seyd ihr nicht, antwortete Iphis, indem sich auch ihr Gesicht erheiterte. [30] Ihr besitzt etwas, dessen Werth euch retten könnte, so gering er auch seyn mag!

Du erräthst meine Gedanken, Liebe! – Ich hatte den goldnen Gürtel ganz vergessen! Geh, Iphis, nimm, verkaufe ihn! Welche Thörin war ich, dieß nicht eher zu erwägen! – Wohl recht hat ihn deine Sparsamkeit auf diesen Fall aufbehalten!

Den Gürtel, Almé Rusma? Warum eben ihn?

Besitze ich etwas anders?

Aber sein Werth ist klein, gegen die Forderung eures Schuldners!

Und du pflegtest mir seine Kostbarkeit immer so hoch anzurechnen?

Kostbar? – Je nun ja, kostbar mag er wohl seyn. – Aber ihr werdet sehen, daß ihr kaum die Hälfte des Erwarteten für ihn bekommen werdet.

Geh, Iphis, verkaufe ihn! Dieß sind Ausflüchte, die dir dein gutes Herz, welches [31] mich nicht gern des letzten Schmucks beraubet sehen will, eingiebt; ein schwaches weibliches Herz, welches zu sehr an Kleinigkeiten hängt, und die Größe meiner Gefahr nicht zu schätzen weis!

Iphis trocknete ihre Thränen, nahm das Kleinod, und ging. –

In der Thür kehrte sie noch einmal um. Almé Rusma, sagte sie, ich habe euch um eine Gnade zu bitten.

Gnade, von deiner Tochter? – Was wär wohl auf der Welt, das dir Almé versagen würde, wenn sie nicht so arm wäre?

Schenkt mir meine Freyheit!

Fühlte Iphis je, daß sie eine Sklavin war? Mich dünkt, Sopher hat der Erzieherin seiner Almé schon die Kette der Dienstbarkeit abgenommen.

Ich halte mich nicht für frey, bis auch ihr mich dafür erklärt.

Aber, zu welchem Ende? – Will Iphis mich verlassen?

[32] Ich hoffe, Euch als Eure Freygelassene besser dienen zu können.

O Iphis, schrie ich, indem ich sie an meine Brust drückte, du durchbohrst mein Herz! Verzeih! Verzeih! daß ich das Wort: sey frey! nicht längst zu dir sagte! Ich hielt es für unnöthig! ich glaubte dich so frey, als ich selbst bin. Siehe, ich löse deine Ketten, die nur du fühltest, in diesem Augenblicke auf die feyerlichste Art – Sey frey! Aber entziehe mir nicht deine Dienste, die Dienste gleicher Freundschaft! Was sollte aus mir werden, ohne dich?

Verlangt Almé einen Beweis, daß ich nur für sie lebe, und ewig leben werde? fragte sie mit unterdrückter Bewegung. – Wohlan, sie soll ihn bald erhalten!

Geh, besorge den Verkauf des Gürtels, der dir so schwer zu werden scheint!

Nun wohl – ich gehe! wünschet mir Glück zu meinen Geschäften!

[33] Und Iphis ging, ich sah ihr nach, und ahndete nichts von ihrem Vorhaben, welches mir doch ihr letztes Gespräch so deutlich vor Augen legte. Welcher Zauber ists, der zu Zeiten die Wahrheit, die dicht vor uns steht, unserm Blick entzieht? O Iphis! hätte ich deine Entschlüsse ahnden können! – Doch, wär ich im Stande gewesen, ihre Ausführung zu hindern? oder würde ichs auch nur gewollt haben, wenn mir alle Folgen jener Handlung heldenmüthiger Liebe vorgeschwebt hätten, welche diese Treue im Sinn hatte?

Es ward Abend, es ward Nacht; Iphis kam nicht zurück. Ich zitterte vor dem Gedanken, ihr könne ein Unglück begegnet seyn. Er verschlang ganz die Besorgniß um den kommenden Tag, welcher, in Rücksicht auf die Forderungen meines Verfolgers, mein Schicksal entscheiden sollte.

Der Morgen brach an, schon sah ich der Stunde entgegen, da ich, in Ermangelung eines Stellvertreters dieses Mal [34] persönlich vor Gericht erscheinen und mein Endurtheil erhalten sollte. – Ich stand am Gitter meines kleinen Hauses, wo ich schon seit Aufgang der Sonne meiner Iphis von neuem entgegen geweint hatte. – Ich sah einen Diener der Gerechtigkeit die Straße herauf kommen; seine Kleidung sagte mir seinen Stand, und mein klopfendes Herz, daß er zu mir wollte. Ich hatte keinen Sklaven, ihm die verschlossene Thür zu öffnen. Ich hüllte mich in meinen Schleyer, und schwankte endlich selbst hinunter. Längeres Zögern hätte die Ungeduld des ungestüm Anklopfenden erregen, und mich noch unglücklicher machen können; eine in Furcht gejagte Seele besorgt von jeder Kleinigkeit Erschwerung ihres Schicksals.

Ihr laßt einen guten Boten lang warten, rief er, indem er mir durch die ängstlich nur halb geöffnete Thür einen Beutel, ein Packet und einen Brief zusteckte. Wenn ihr in den Diensten der Almé Rusma seyd, so gebt ihr dieses eilig, sie würde euch euer Säumen schlecht danken.

[35] Der Bote, welcher mich nicht kannte, verschwand, ich zog die Thür nach ihm zu, und hatte kaum so viel Kraft, bis zum nächsten Steine in meinem Hause zu wanken, und das, was ich in Händen hielt, zu untersuchen. Eine Ahndung von glücklicher Wendung meiner Sache schwebte mir vor, aber ich war, in dem gegenwärtigen Augenblicke, durch streitende Gemüthsbewegungen so mitgenommen, daß ich weder Glück noch Unglück ertragen konnte. O Iphis! Iphis! rief ich, wo bist du, mich zu unterstützen?

Ich fand, als ich mich ein wenig gefaßt hatte, in dem Beutel 30 Goldthaler, in dem Packet, o Erstaunen! meinem Gürtel, und auf dem Blatte folgende Worte:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes. Almé Rusma, Hassan Ebn Reschids Schuldnerin, hat, durch Zahlung der geforderten Summe, ihn und die Gerechtigkeit völlig befriedigt. Nach Abzug der Gebühren für diejenigen, welche sie in diesem Geschäft gebraucht hat, ist vom Verkauf [36] ihrer Sklavin noch die Summe von 30 Goldthalern übrig geblieben, welche ihr, nebst einem ihr zugehörigen Gürtel, hiemit eingehändiget worden.«

Verkauf meiner Sklavin? schrie ich, ohne ganz zu Ende gelesen zu haben, Verkauf meiner Sklavin? – Was ist das? – O Iphis! Iphis! sollte es möglich seyn? – Ist dies dein Werk? Hast du deine Almé so verlassen können? – O gewiß! gewiß! Diese Treue hat sich für mich aufgeopfert! – Grausame! wie hast du mich getäuscht! – War dieß die Ursach, warum du deine Freyheit fordertest? – Gab es kein andres Mittel, mich zu retten, als den Verlust meiner besten Freundin? – Ach du vergaßest, daß ich ohne dich allein in der Welt bin. Was soll mir das Leben ohne dich? Was sollen mir Vortheile, die ich so theuer erkaufen mußte? Der nächste Tag wird mich sie wieder verlieren lassen. Ein einiger Schritt in die Welt erneuert die Bande, die du brachst, indem du dir selbst Fesseln anlegtest. Himmel! Iphis in Fesseln! welch ein Gedanke! Diese Unbarmherzige [37] war zu gewissenhaft, sich mir eher zu entziehen, bis ich sie frey gesprochen hatte, aber die Verbindlichkeiten der Freundschaft hielten sie nicht; sie trug Bedenken, mir den Besitz dieses elenden Gürtels zu rauben, dessen Werth mich wohl auch hätte retten können, aber meine Freundin raubte sie mir, ohne Rücksicht auf das, was ich in ihr verlor.

Ich weinte und klagte fort, jeder Augenblick ließ mich mein Unglück tiefer fühlen. Der Schmerz um Iphis verschlang die Freude, die ich über meine Rettung hätte empfinden sollen.

O Gott! schrie ich unablässig, was aus ihr geworden seyn mag? Welche Ketten sie vielleicht in diesen Augenblicken trägt? O Iphis, Iphis! ich sollte dir danken, auch wallt heiße Dankbegier in meinem Busen, aber du ließest mich Freyheit und Ueberfluß, die du mir erwerben wolltest, zu theuer bezahlen! Die Vorwürfe, die ich dir zu machen habe, ersticken in mir die Bewunderung deiner Heldentreue.

[38] Der Verlust der besten und edelsten aller Sklavinnen hatte mich tausenderley Unbequemlichkeiten ausgesetzt. Nicht die kleinste davon war, daß ich jetzt selbst in die Welt gehen und mir die Bedürfnisse meines Lebens besorgen mußte; meines einsamen schutzlosen ungetrösteten Daseyns zu geschweigen. – Doch, sollte diesen Umstand die treue Iphis übersehen haben, als sie mir helfen wollte? – Der Erfolg wird es lehren.

Ich kam eines Abends von meinen auswärtigen Geschäften nach Hause, und ich hatte diesen Tag so viel Schwierigkeiten, so viel Unannehmlichkeiten bey denselben erfahren, daß ich fest entschlossen war, mein Letztes dran zu wenden und mir wieder eine Sklavin zu kaufen, welche mich der Gefahr entnähm, mich in der Welt zu zeigen. Meine Goldstücken, sagte ich zu mir selbst, und was ich etwa von Kostbarkeit besitze, müssen dieser nothwendigen Ausgabe aufgeopfert werden. Gebe nur der Himmel, daß ich mir nicht mit schweren, für mich kaum erschwinglichen Kosten eine Verrätherin [39] kaufe. Unglückliche Almé! welche Gefahr, indem du dir eine ganz fremde Person zugesellst! wie leicht kannst du dazu kommen, das Verbrechen unter deinem Dache zu herbergen.

Ich verlor mich noch in diesen Gedanken, ich maß noch alle Regeln der Behutsamkeit ab, welche ich bey dem vor mir liegenden Schritte zu beobachten hatte, als ein neuer Auftritt meine Gedanken auf eine andere Seite lenkte. –

Ein heftiges Klopfen ward an meiner Thür gehört. Ich sahe aus dem Fenster. Ein zierlicher Palankin, von Mauleseln getragen, hielt vor dem Hause; eine weiße Sklavin stieg heraus, und zwey Schwarze forderten mit dem Ungestüm, welches den Dienern großer Herren eigen ist, Einlaß.

Die Weiße erblickte mein Gesicht am Gitter, sie schlug den Schleyer zurück, küßte die Erde und bat, indem sie sich aufrichtete, auf eine sehr höfliche Art, mehr durch Geberden als Worte, ich möchte ihr den Zutritt nicht versagen.

[40] Der Anblick einer Person meines Geschlechts machte mir Muth. Ich ging hinunter, ich öfnete die Thür, aber ich trug Sorge, nur das junge Mädchen herein zu lassen. Verdrießlichkeiten mancher Art, von welchen ich im Vorhergehenden einige Winke gegeben habe, hatten mich behutsam gemacht. Es war mir natürlich, hier einen Aufsatz meines alten Verfolgers zu muthmaßen. Ich war einsam, meine Hütte lag in einem abgelegenen Winkel der Stadt. Gewaltthat war möglich, und da sich nach dem Verlust meiner Iphis niemand gefunden hätte, der über meine Entführung hätte klagen können, so wär sie vielleicht verborgen, ganz gewiß aber ungestraft geblieben.

Almé Rusma, sagte die Fremde, indem sie den Saum meines Schleyers küßte. Die königliche Termuthis von Oxirynchus ladet Euch ein, einige Tage bey ihr auf ihrem Lustschlosse am Ufer des siebenarmigten Stroms zuzubringen! – Wir, Eure Sklaven, sind bereit, Euch demüthig dahin zu begleiten, oder – (Hier erhob sie sich und trat nach der Thür zurück, deren Schlüssel [41] sie faßte) – oder bedürfenden Falls, dafern Ihr Bedenken tragen solltet, der freundlichen Einladung zu folgen, Euch zu Eurem Glück zu nöthigen.

Die Rednerin mußte aus der Veränderung meiner Farbe beym Anfang ihres Vortrags, oder aus dem Unwillen, der aus meinen Augen flammte, gemerkt haben, was in meinem Herzen vorging, und daß sie hier nicht durch Bitten und Vorstellungen siegen würde. – In der That war auch der Fallstrick, den ich hier wähnte, meines Erachtens, so plump angelegt, daß ich doppelt zürnen mußte, auf diese Art angegriffen zu werden. So viel war gewiß, daß ich der Einladung dieser, wie ich meynte, erdichteten Dame nimmer gutwillig gefolgt seyn würde, auch war ich sicher, daß nichts mich zwingen konnte, so lange der Schritt rückwärts in meiner Gewalt blieb. Meine Hütte war armselig und klein, aber sie hatte Keller, hatte Fallthüren, die mich meinen Verfolgern auf einmal aus den Augen gebracht haben würden, was auch hernach aus mir geworden seyn möchte.

[42] Die Fremde schien dieses zu wissen, oder zu muthmaßen, denn mit unglaublicher Schnelligkeit kam sie allen zuvor, was ich zu meiner Rettung hätte thun können. Die Thür war im Nu eröffnet. Die Schwarzen drangen hinein; sie bemächtigten sich meiner, hemmten meine Stimme mit einem kleinen Ball, den sie mir in den Mund stießen, warfen mich in den Palankin, die Sklavin setzte sich zu meinen Füßen, und nach einem kleinen Verweilen, welches meine Begleiter nutzten, hinauf ins Haus zu gehen und einige Sachen herab zu holen, ging die Reise fort.

Ich weinte sehr, auch schien ichs Ursach zu haben. Meine Heimholung zu der königlichen Termuthis von Oxirynchus glich einem räuberischen Ueberfall auf ein Haar, und meine Gefährtin mochte mir das Gegentheil so oft versichern als sie wollte, ich konnte über Vorstellungen, welche durch alles, was ich sah und hörte, bestätigt wurden, nicht Meisterin werden.

[43] Bedenket doch, sagte das junge Mädchen, dessen gute unschuldsvolle Miene freylich jeden Gedanken an Betrug und Bosheit hätte vernichten sollen, bedenkt doch, daß Ihr uns durch den Widerwillen vor dieser nothwendigen Reise, den ich in Euren Augen las, selbst zu dieser Gewaltthat genöthigt habt. Bedenkt doch, wie viel Proben Ihr habt, daß Ihr Euch in Freundes Händen befindet. Hier ist der Schlüssel zu Eurer Wohnung, die man sorgfältig verschlossen hat. Hier sind einige nothwendige Kleinigkeiten und das Buch aller Bücher, ohne welches man Euch diesen Weg nicht wollte machen lassen. Ich ließ sie in der Eil herabbringen, und selbst der Umstand, daß ich wußte, wo man diese Sachen finden konnte, sollte Euch lehren, – doch, mir ist verboten, mich weitläufiger hierüber zu erklären, und ich kann nichts weiter thun, als die Sache Eurer eigenen Ueberlegung, den Schluß Eurem Verstande zu überlassen, den man meiner Gebieterin sehr groß geschildert hat. – Himmel, schöne Rusma! wär ich so klug wie Ihr, ich würde schon aus der Art, mit welcher sich die Dame, von[44] welcher hier die Rede ist, ankündigt, Muthmaßungen schöpfen, die mich völlig befriedigen und es meinen Begleitern möglich machen würden, mich als eine freywillige Besucherin der großen Termuthis zu behandeln. Mich jammern Eure gebundenen Hände, mich jammert Euer schöner Mund, welchen die fatale Hemmung so wehe thut, aber ich sage Euch, nichts wird Euch von dieser Pein befreyen, als wahre, unerkünstelte Gelassenheit.

Ich dachte den Worten dieses klugen Mädchens in der Stille nach. In der That lag in den Dingen, auf welche sie mich aufmerksam machte, viel Grund zur Beruhigung. Der Name der königlichen Termuthis von Oxirynchus bezeichnete mir eine hohe Dame von altegyptischen Geblüt, die sich unter demselben keiner andern Person kund geben würde, als einer solchen, welche sie als Nachkommin eines Geschlechts, als Anhängerin eines Glaubens kannte. Ich habe schon im Vorhergehenden gesagt, daß die alten Egyptier, die unter der Herrschaft der Eroberer ihres Vaterlands noch [45] ganz das waren, und bleiben wollten, wozu sie ihre Geburt machte, sich unter einander an Namen und Abzeichen kannten, die keinen Profanen bekannt wurden. Ebn Reschid, mein Verfolger, vor welchem ich bey diesem Abentheuer am meisten gezittert hatte, war in diesen Dingen gewiß unwissender, als irgend einer seiner Landsleute; er war ein vornehmer Araber, der sich erst seit wenigen Jahren unter den Egyptiern niedergelassen hatte, und dieses edle Volk viel zu gering schätzte, als daß er sich um seine innersten Geheimnisse hätte bekümmern sollen.

Ich kann nicht läugnen, daß in diesen Betrachtungen viel Beruhigendes für mich lag. Meine Thränen hörten auf zu fließen, meine Gesichtszüge wurden nicht mehr durch die Spannung der Leidenschaft entstellt, meine Farbe kam zurück, und die Fremde, welche mir gesagt hatte, daß sie Nephtis hieß, schnitt lächelnd das seidne Band los, das meine Hände umschlang, und gab mir die Sprache wieder.

[46] Ich brauchte sie zuerst, diesem guten Mädchen zu danken; mit ihr zu zürnen, wär mir in den leidenschaftlichsten Augenblicken unmöglich gewesen, man sah zu sehr, daß sie ungern that, was sie thun mußte, und mir jede Kränkung gern erspart hätte.

Ich überhäufte sie mit Fragen, aber die Reihe, stumm zu seyn, war nun an ihr, ob gleich kein Ball ihre Rede hemmte. Ich erfuhr nicht, wer Termuthis war, deren Namen ich in der That einst schon gehört zu haben glaubte; ich erfuhr nicht, woher sie mich kannte, was sie von mir verlangte, und wie lang mein Aufenthalt bey ihr dauern würde. Woher man etwas von dem Buche des weisen Sophers wüßte, und warum man für gut gehalten hätte, mir es mit auf die Reise zu geben, dieß blieb mir eben so verborgen, und ich hielt es endlich für gut, zu schweigen, und mich Gedanken zu überlassen, welche jede Langweile vertrieben, die mich außerdem auf einem Wege, wie der unsrige, wohl hätte befallen können.

[47] Er zog sich durch die traurigen Gegenden jenseit des Sees Möris hin. Zur Rechten ließen wir die Begräbnißplätze und die Pyramiden von Osyse auf ihrer Anhöhe liegen, und lenkten uns gegen den Morgen dem Nil zu; doch lang dauerte es, ehe wir den Ort erreichten, wo sich mir alle Räthsel lösen sollten. Manche Stunde verschlich auf dem langsamen Zuge durch öde Gefilde, wo nichts mich unterhalten konnte, als mein Gedächtniß und meine Phantasie. Die Fabellehre meines Vaterlandes macht diese Wüsteneyen zu einer Welt von Wundern, und der weise Sopher hatte mich in diesen Dingen so wohl unterrichtet, daß sich vor mir die Einöde mit den Göttern und Menschen der Vorzeit zu beleben schien, meine Phantasie glühte, und Nephtis schien durch das, was ich ihr von den Bildern mittheilte, die mich beschäftigten, sehr ergötzt zu werden.

Ihr seyd bewundernswürdig! rief sie einmal über das andere. Meine Gebieterin verlangt nicht ohne Grund nach Eurem Umgange. Man hat sie in der Beschreibung [48] von Euch nicht getäuscht, ihr werdet sie und Euch selbst sehr glücklich machen.

Endlich langten wir vor einem prächtigen Gebäude an, dessen Mauern ein Arm des Nils umschlich, und das mir Nephtis als das Lustschloß der königlichen Termuthis von Oxirynchus ankündigte. Durch den weiten Marmorhof, welchen kollossalische Granitsäulen umringten, öffnete sich uns eine Aussicht in einen Garten oder vielmehr in eine meilenlange Lustgegend, welche alles in sich zu vereinigen schien, was die Kunst und die Ueppigkeit der Großen in dem Lieblingslande der Sonne zusammen drängen kann.

Zur Seite des Wegs, den wir nach dem Hauptgebäude nahmen, rauschte eine Wasserleitung, die mit allem gezieret war, womit die Kunst ihre Werke zu verschönern weiß, und die, wie mir Nephtis sagte, die ober- und unterirdischen Bäder mit Wasser versorgte. Alles athmete hier Pracht und Ueberfluß. Im Vorhofe bewillkommten [49] uns Heere von Sklaven, die weißer wie Schnee und schwärzer als Ebenholz waren, und von dem platten Dache des Hauses lachte uns ein Kranz schöner Mädchen entgegen, die, ob sie gleich wie Königinnen geschmückt waren, auch die Ketten der großen Termuthis trugen, und unsere Ankunft, auf Befehl ihrer Gebieterin, wie es schien, schon lange von ihrer Höhe beobachtet hatten.

Ich glaubte bezaubert zu seyn, so viel Pracht und Schönheit hatte ich noch nie beysammen gesehen. Die angenehmen Gegenstände, die sich meinen Augen darstellten, die Töne der Freude, die mein Ohr rührten, der Blüthenduft, der mich von jenem zauberischen Garten her umwehte, erfüllte mich mit den süßesten Empfindungen; doch hier ward nur meinen Sinnen geschmeichelt, meinem Herzen war ein besseres Entzücken aufgehoben. Nephtis brachte mich über eine Marmorstiege in ein großes Gemach, dessen Auszierungen mit dem, was ich schon gesehen hatte, vollkommen übereinstimmten. Eine nicht prächtig, aber [50] sehr anständig gekleidete Person eilte mir mit offnen Armen entgegen. Almé, rief sie, meine Almé Rusma!! – Sie schlug den Schleyer zurück, und – ich sahe mich an dem Busen meiner Iphis.

O wer malt meine Ueberraschung, wer unser beyderseitiges Entzücken? Wir waren trunken von Freude. Dieser Augenblick belohnte mir alle Angst, die mir der Anfang dieses Abentheuers gemacht hatte.

Noch hatten wir nicht Zeit gehabt, unsern Empfindungen Worte zu geben, so öffnete sich ein Vorhang im Hintergrunde des Gemachs. Iphis wand sich aus meinen Armen, und führte mich einer großen majestätischen Frau entgegen, welche sich uns mit langsamen Schritten nahte. Ein weites Gewand von dem feinsten Musselin umschloß ihre edle Gestalt, ein Gürtel, der mit dem Hauptschmuck von gleicher Kostbarkeit war, schloß sich unter ihrem offenen Busen, und das Herrliche, welches diese Figur an sich hatte, würde sie mir gleich als die Gebieterin des Schlosses bezeichnet[51] haben, wenn auch nicht Nephtis, die hinter mir stand, mir den Namen Termuthis zugeflüstert hätte.

Die Dame verweilte mit einem Blicke voll Rührung auf mir. Ich warf mich zur Erde und küßte den Saum ihres Schleyers. Sie hob mich auf und ihr Auge heftete sich noch fester auf mein Gesicht.

Ist das Almé Rusma? sagte sie, indem sie sich zu Iphis wandte. – O fürwahr, du hattest Ursache dich nach ihr zu sehnen! – Sey mir willkommen, mein Kind! Du hast mir durch die Scene, die ich eben vor mir sah, einen sehr frohen Augenblick gemacht. Bist du willig hieher gekommen, oder hat man dir die Freude, die du nun genießest, durch Schrecken würzen müssen?

Nephtis trat hervor, und erzählte von der Angst, die ich Anfangs ausgestanden hatte. Der Blick meiner Iphis hing mit Mitleid an mir, aber Termuthis lächelte, wie die Großen bey dem Leiden der Kleinern, das sie ihnen wohl ersparen könnten, oft zu thun pflegen.

[52] Iphis und ich erhielten Erlaubniß uns zu entfernen, sie führte mich auf ihr Zimmer, und wir sanken uns von neuem in die Arme. Unsere gegenseitigen Fragen begegneten einander, und beyde blieben lang unbeantwortet, als ich mich endlich gnugsam faßte, um mir von meiner Freundin, durch Erzählung meiner Geschichte die Mittheilung der ihrigen zu verdienen. Thränen des Danks und der Freude unterbrachen sie von neuem, Ströme von Fragen folgten nach, bis endlich Iphis sich meiner Ungedult erbarmte, und mir von ihrem Schicksal folgendes mittheilte.

Das Opfer, meine liebe Rusma, sagte sie, das ich dir brachte, war klein in Rücksicht auf mich; die, welche bereit gewesen wär, ihr Leben für dich hinzugeben, konnte sich ja wohl entschließen, dir durch Aufopferung ihrer Freyheit einige Vortheile zu schaffen. Ich erkannte den Nachtheil, den dir mein Verlust brachte, und den du so hoch anschlägst, nicht, aber nur zu lang waren meine Hände gebunden, hier etwas zu bessern. Ohne ein sehr günstiges Geschick [53] wär es freylich möglich gewesen, daß du mich nie wieder gesehen hättest. Ich verkaufte mich in deinem Namen an den Ersten den Besten, der mir die gefoderte Summe zahlte, und in meiner Gegenwart die Befriedigung deines Schuldners vor Gericht über sich nahm. Ich wartete noch die Absendung der schriftlichen Loszählung, des Gürtels und des übrigen Geldes an dich ab, und ging denn, so freudig ich konnte, an mein Schicksal, das ich mir selbst gewählt hatte.

Es war nicht glücklich. Die ersten Ketten, die ich trug, waren schwere Ketten, und ich würde sie vielleicht noch tragen, hätte ich nicht, als ich von meinem Herrn in diese Gegend gebracht wurde, wo er Besitzungen hat, den Namen der königlichen Termuthis, so wie ihn die Welt kennt, nennen gehört, und mir es schnell als möglich gedacht, durch sie in leidlichere Dienstbarkeit versetzt zu werden. Ich werde dir gesagt haben, daß ich schon vormals in den Diensten dieses erhabnen Hauses lebte, und daß es gleichsam um deinetwillen war, daß mich der Himmel dieser so leichten, so gern getragenen Ketten [54] entnahm, und mich zu Sophers Sklavin machte.

Es entzückte mich, meine ehemalige Dame, dem Gerücht nach, ganz wieder in der Hoheit zu wissen, die jenesmal der Brand von Alexandrien zerstörte. Sie hatte dieses Wunder ihrer Schönheit zu danken. Sie fiel an jenem Tage des Schreckens in Amrous Hände, und sie wußte die Leidenschaft, die sie ihm einflößte, zu ihrer Rettung und dem Glück ihrer Kinder zu nutzen. Mit Hintansetzung des Abscheus, den sie gegen den Verheerer ihres Vaterlands fühlen mußte, ward sie Amrous Gemahlin, und jetzt ist sie seine Wittwe. – Ich hörte jeden Umstand ihrer Geschichte, ich hörte, daß der königliche Menes, der so wie du meine Milch getrunken hat, sich nebst seinen ältern Schwestern nach Amrous Tode, dessen Augen man diese Kinder so viel als möglich zu entziehen suchte, wie der bey seiner Mutter aufhalte, und die Vorstellung, so viel Personen, die mir theuer waren, beysammen zu wissen, erhöhte in mir den Wunsch, meine damaligen Ketten mit denen zu vertauschen, [55] die ich ehemals mit so vielem Vergnügen getragen hatte.

Das Glück wollte es, daß ich einst in den Geschäften meines Herrn, einem der ältesten Bedienten der großen Termuthis begegnete, und von ihm, ungeachtet des Unterschieds, den neunzehn Jahre in meinen Zügen gemacht haben mochten, erkannt ward. Ich entdeckte ihm meine Wünsche, und erhielt die Zusage ihrer Erfüllung, welche ich nicht lange erwarten durfte.

Termuthis hatte ihre treue Iphis noch nicht vergessen, man durfte ihr nur meinen Namen nennen, so war ihr Entschluß auch ohne meine Bitte gefaßt. Mein harter Herr erhielt den doppelten Preis, den er für mich gezahlt hatte, und ich ward von neuem die Sklavin dieses hohen Hauses, oder vielmehr seine Freygelassene.

Kaum hatte ich in diesen Wohnungen der Freude das ausgestandene Elend vergessen, kaum begann ich hier mich glücklich zu fühlen, so dachte ich an Almé. Wie mag [56] es ihr ergehen, dieser Beklagenswürdigen? sagte ich zu mir selbst. Hat die schwache Bemühung der Treue vermocht, sie aus den Stricken der Bosheit zu reißen? Ziehen sich die verrätherischen Schlingen, die man ihr legte, nicht vielleicht schon jetzt wieder über ihren Füßen zusammen? Einsam, verlassen, ohne Schutz ist sie eine freye Beute des Verbrechens! O Iphis! Iphis! du darfst kein Glück genießen, wenn Almé Rusma es nicht mit dir theilt!

Ich warf mich der großen Termuthis zu Füßen. Ich bat um Wiedervereinigung mit dir; vielleicht hätte ich gesiegt, wenn ich blos deine Vorzüge, unsere Liebe, und meine Sorge um dich geschildert hätte, aber ich kenne die Großen, ich wußte, daß auch unsere erhabne Gebieterin nicht frey von ihren Fehlern ist; eine Wohlthat, bey welcher das Vergnügen der Reichen und Mächtigen auf keine Art in Anschlag kommt, wird immer kalt, lässig und sparsam ertheilt. Ich will nicht undankbar seyn, aber ich weiß sehr wohl, daß selbst ich nicht ohne diese Rücksicht hier wieder aufgenommen [57] ward, und ich glaube, ich that nicht Unrecht, mir in Dir eine neue Stütze zu besorgen.

Ich sagte meiner Gebieterin, daß Almé 5 ihren Namen nicht mit Unrecht führe, ich sagte ihr von deiner Gabe zu singen, zu erzählen, und den gleichgültigsten Dingen durch deinen Vortrag und durch die lebendige Darstellung einen Zauberreiz zu geben. Ich sagte ihr von dem Buche des weisen Sopher, aber ich hütete mich wohl zu erwähnen, daß es die Quelle von den mehresten deiner Erzählungen ist, man mag dich immer bey demselben für eine Begeisterte halten, die alles aus sich selbst, oder aus übernatürlichen Eingebungen schöpft, man mag jene heiligen Blätter, deren Bilderschrift niemand versteht, immer für ein Zauberbuch halten, ich versichre dich, ein solcher Wahn wird dir in einem Hause, wie das unsrige, da man das Wunderbare ungemein liebt, nicht schaden. Deine Bescheidenheit [58] wird verhindern, daß er nie so weit geht, dich in Verlegenheiten zu setzen, ach, was sage ich, deine Bescheidenheit und Liebe zur Wahrheit würde ihn lieber ganz vernichten; aber ich bitte dich, thue dieses nicht; ich kenne dieses Haus, und weiß, was es dir, die schon so viel ist, für Vortheil bringen wird, insgeheim noch für mehr gehalten zu werden.

Ich fand an diesem Theil der Rede meiner Iphis kein sonderliches Wohlgefallen, aber ich schwieg und ließ es gnug seyn, mir insgeheim vorzunehmen, ich wolle nie einen falschen Wahn von mir begünstigen, und aufs wenigste die Regeln der Politik, die ich hier erhielt, so umformen, wie sie zu meinem Charakter paßten.

Iphis, welche mein heimliches Bedenken nicht gemerkt hatte, fuhr in ihrer Erzählung fort. Es gelang mir, sagte sie, in dem Herzen der großen Termuthis das lebhafteste Interesse zu erwecken. Sie glaubte sich allein von Mitleid und Bewunderung beseelt, aber im Grunde war sie es weit [59] mehr von Neugier und Verlangen, die schleichenden Stunden, die wir hier so wohl kennen als andere Menschen, auf eine neue Art gekürzt zu sehen. Mache dich gefaßt, nächster Tage zu einer Erzählung aufgefordert zu werden, wie du sie mir zuweilen in der glückseligen Einsamkeit unserer Hütte machtest, und trage Sorge aus dem ganzen Buche des weisen Sophers, gerade diejenige zu wählen, von welcher du meynst, daß sie deinen Ruhm am besten bestätigen, und dir die größte Wahrscheinlichkeit, hier lange glücklich seyn zu können, gewähren möchte. Die große Termuthis hat ihre eigenen Launen, das beweist selbst die Art, mit welcher du hieher gebracht worden bist. Ich bat, dich selbst abholen zu dürfen. Ich hätte dir so gern jeden Zweifel, den ich voraus sah, jede Angst erspart, aber dieses taugte nicht in den Plan unserer Beschützerin. Der Wunsch, Zeuge von der Scene unsers Wiedersehens zu seyn, war ihr vielleicht nicht zu verdenken, und der Einfall, dir deine Freude durch vorhergegangene Unruhe desto höher zu würzen, – je nun; – [60] er war ein Einfall, wie sie die Großen öfters haben.

Noch habe ich das Urtheil der großen Termuthis über dich nicht aus ihrem Munde gehört, aber in ihren Augen habe ich es gelesen. Ein gnädiger Empfang war dir bestimmt, aber du erinnerst dich wohl, daß dir eine sehr zärtliche Bewillkommung zu Theil wurde. Die Rührung unserer Dame war so groß, daß sie uns eilig entfernen mußte, um nicht vor unsern Augen Thränen fallen zu lassen. – Ich bitte dich, Almé, erhalte dir das gute Vorurtheil, das man für dich hat; nähre die Zuneigung, die du gewinnst. Mache dich den Prinzessinnen, die du bald kennen lernen wirst, gefällig, und sollte dir der Zufall einst den königlichen Menes, deinen Milchbruder zu Gesichte bringen, – doch ich verschone deine Bescheidenheit und verschweige meine Wünsche. Das Schicksal gewähre meiner geliebten Rusma jedes Glück, das ihre Schönheit und ihre Tugend verdient.

Es schien, es war die Absicht der guten Iphis, ich sollte hier eine künstliche Rolle [61] spielen; ich war hiervon ganz abgeneigt. Ich entschloß mich, jedesmal nur so zu handeln, wie es die Gelegenheit und mein Charakter mit sich brachte. Wie dieses gelang, wird man aus der Folge sehen.

Ich ward sehr bald wieder zu der großen Termuthis gerufen. Man stellte mich ihren Töchtern vor; sie waren schön, gutmüthig und in Jahren wenig von mir verschieden. Freundschaft würde vielleicht gleich Anfangs unter uns Platz genommen haben, hätte dieses nicht der Unterschied des Ranges verhindert. Almé Rusma war zwar hier keine Sklavin, oder eine eigentliche Dienerin des Hauses; man ehrte ihre Wissenschaften, man hatte an ihrer Herkunft (Iphis hatte mich hier nicht anders, als Sophers Tochter bekannt gemacht) – nichts auszusetzen, aber sie blieb doch allemal eine untergeordnete Person, die ihre ganze Wichtigkeit von ihrem Einfluß in das gemeinschaftliche Vergnügen, oder allenfalls von einem Buche hernahm, dessen Besitzerin sie war, und das man wegen seiner Hieroglyphen für Vehikel der tiefsten [62] egyptischen Weisheit zu halten geneigt war.

Ich ward sehr bald aufgefordert, meine Talente zu zeigen. Wenn die Damen sich im Mondschein auf dem Dache des Hauses badeten, wenn die Mittagshitze sie in kühle Grotten, oder der frühe Morgenhauch in die blühenden Lauben des Gartens rief, wenn die große Termuthis schlaflose Nächte hatte, oder wenn benachbarte Damen ihr aufwarteten, so ward Almé Rusma gerufen. Sie sang, sie deklamirte, sie beantwortete aufgeworfne Fragen, sie löste Räthsel, oder machte Verse aus dem Stegreif. Zum Tanze ließ sie sich sehr selten herab, sie war immer bedacht, ihrer Würde nichts zu vergeben, und überließ jene Uebung, in welcher man ihr zwar mit der größten Vollkommenheit schmeichelte, den Sklavinnen.

Die vornehmen Egyptierinnen, welche die königliche Termuthis zu besuchen kamen, fanden die Unterhaltung, welche ihnen Almé gab, entzückend: Der Trieb, sich Größern nachzubilden, war ihnen nicht fremd. [63] Auch sie wollten ihre Almés haben. Die Töchter einiger Weisen, welche sich noch von den alten egyptischen Priestern herrechneten, waren hiezu nicht ungeschickt, und so kann ich mich rühmen, daß ich, ohne es zu wollen, einem ganzen Orden das Daseyn gegeben habe, der damals begann, mit meinem Namen benannt zu werden, und jetzt, nach einem halben Jahrhundert, das seit jenen Zeiten verfloß, schon sehr zahlreich geworden ist. Die Jungfrauen der Isis, wie sich diese Mädchen, um sich eine Wichtigkeit zu geben, sehr gern nennen hörten, gingen zwar von den Sitten der ersten Almé gar sehr ab, dafür fiel es aber auch niemand ein, welcher Almé Rusma kannte, sie für ihre Schwestern zu halten.

Die Absicht dieser Blätter, meine Leser, ist keine andre, als Euch einige der Erzählungen vorzulegen, mit welchen ich Anfangs die große Termuthis, und bald darauf, als mich mein Schicksal aus ihrem Hause trieb, auch andre zu unterhalten pflegte.

[64] Ich blieb in der Folge der Geschichte, dem Befehl des weisen Sophers treu. Ich begann, so sehr auch Iphis, welche hier eine reiflich überdachte Wahl forderte, dawider war, mit der ersten, und hörte mir der letzten auf. – O weiser Sopher! wie bestätigten sich in der Folge deine Worte! Wie sehr verkettete sich mein Schicksal mit dem, was du mich vortragen lehrtest! Thaten meine ersten Erzählungen von den ersten egyptischen Königen vielleicht nichts mehr, als daß sie der großen Termuthis, welche stolz darauf war, von den alten Pharaonen entsprossen zu seyn, und die die Hoheit ihrer Urväter gern schildern hörte, ein wenig schmeichelten, so griffen die nachfolgenden desto tiefer in ihr Interesse.

Vielleicht werde ich die Art und Weise, wie dieses geschah, an einigen Stellen bezeichnen, und meinen Lesern hie und da Spuren von den Empfindungen angeben, welche ich theils glücklich, theils unglücklich genug war, in meinen Zuhörern zu erregen, aber, wo werde ich Worte finden, meine eigenen [65] Gefühle zu schildern, als ich mit der Zeit auf Geschichten stieß, welche ich zwar oft gelesen und wiederholt hatte, aber ohne das darin zu finden, was ich zuletzt darin fand.

Was hielt meine damals so schnell geöffneten Augen, daß sie so spät erst des weisen Sophers Geschichte und die Meinige da erkannten, wo ich bisher mir ganz fremde, ganz gleichgültige Begebenheiten gesehen hatte!? – O, meine Leser, daß es mir das Schicksal vergönnte, bis auf die letzte der wundervollen Erzählungen zu kommen, deren Einfluß auf das Glück der armen Almé so groß, so unerwartet war! – Der weise Sopher hatte sie überschrieben: Die Braut des Nils 6. Hätte ich in diesem [66] gleichgültigen Titel, der sich blos auf eine alte grausame Gewohnheit meines Vaterlandes zu beziehen schien, wohl je die beglaubtesten Urkunden von meiner Geburt, und das Mittel geahndet, mich zur nächsten Verwandtin, zur Gemahlin des königlichen Menes zu machen, den ich, ungeachtet ich in dem Hause seiner Mutter lebte, so spät erst kennen lernte, und zu welchem ich, als es ihm einst 7 erlaubt war, bey meinen [67] Erzählungen gegenwärtig zu seyn, als er den ersten Blick der Liebe und Bewundrung auf mich heftete, wie zu einem höhern Wesen aufsahe, dessen näherer Umgang mir ewig unerreichbar bleiben mußte.

[68]

Athyrtis 8

Ihr Töchter der großen Termuthis, rühmt Euch Eurer Abkunft, Blut der Götter rinnt in Euern Adern; die Denkmahle, welche Eure Urväter auf der Erde zurückließen, als sie zu ihrem himmlischen Ursprunge zurückkehrten, zeigen von übermenschlicher [69] Macht. Was Menes und Möris vermochten, kann kein Sterblicher nachahmen. Dort steigt der Mond über die Pyramiden von Sais herauf, hier spiegelt sich der klare Himmel in den Fluthen des Sees, der Euer Vaterland zum Paradies macht; König Möris grub diesen, und Menes baute jene; wenn, und warum das Letztere geschahe, wiederhole ich Euch nicht, Ihr hörtet es in den verflossenen Tagen.

Menes, der Abkömmling der Götter, genoß des Segens der Urheber seines Daseyns während einer langen und glücklichen Regierung; damals maßen noch Jahrhunderte das Leben der Herrscher der Welt; sie hätten verdient ewig zu herrschen, denn sie waren groß und gut, wie die Götter, die ihnen die Krone gaben. Aber nach Menes Tode wandte der Himmel sein segnendes Auge von seinem Lieblingslande, denn die Menschen vergaßen die Lehren, die ihnen der gute König gegeben hatte, und vernachlässigten Opfer und heilige Gebräuche, in welchen er sie ehemals, mit dem Willen der Gottheit bekannt, unterwies.

[70] Damals geschahe es, daß die Sonne ein ganzes Jahr lang Egypten ihren wohlthätigen Glanz entzog. Dicke Finsterniß brütete über die Fluthen des Nils, sie traten über und bedeckten das Land, nicht um es fruchtbar und blühend zu machen, wie wir in unsern Tagen gewohnt sind, sondern es in einen ewigen todathmenden Sumpf zu verwandeln. Bäume und Stauden verdarben. Die Thiere des Landes kamen um, die Ungeheuer des Stroms vermehrten sich, und wuchsen zu furchtbarer Größe heran. Die Menschen starben, und die wenigen, welche in den Wundergebäuden, die König Menes vielleicht aus Ahndung oder Offenbarung dieser schrecklichen Zeiten gebaut hatte, erhalten wurden, führten von den giftigen Dünsten, die der Strom hauchte, geschwächt, ein sieches kränkliches Leben. Der Same der Unsterblichkeit verdarb in ihnen, ein Geschlecht kam auf, wie das unsrige, Erben einer kleinen Anzahl von Jahren, und dann ein Raub des Todes.

Unter den in den ältesten Pyramiden Erhaltenen war auch König Möris, der [71] Urenkel des großen Osymandias, ein frommer und weiser Fürst, wie ehemals Menes. Unglück hatte ihn noch mehr veredelt. Die Götter erbarmten sich seiner, sie ließen ihre Sonne wieder scheinen, sie riefen die Fluthen des Nils zu rück, und zertheilten seinen Ursprung, zur Strafe des Unfugs, den er verübt hatte, in sieben kleine Quellen, die nährlich im Sande rinnen, ungesehen, unbekannt, ein Schimpf des gewaltigen Stroms, den sie erzeugen.

Ungeachtet der Zorn des Himmels sich von Egypten gewandt, und seinen Verheerer bestraft hatte, so war es doch noch immer eine Wohnung des Elends. Es war ein Sumpf, und würde es geblieben seyn, hätten die Götter den frommen König Möris nicht Mittel gelehrt, es zu dem Paradies zu machen, das es jetzt ist. Von ihnen unterrichtet grub er den großen See, der seinen Namen führt, und leitete die verderbliche Feuchtigkeit, die den Boden durchzog, in ein einziges Bette. Wind und Sonne hatten Befehl von den obersten Regierern der Natur; sie vereinigten sich mit [72] den Absichten des Günstlings der Götter. Der Boden ward trocken und kleidete sich mit lachendem Grün. Korn und Früchte wuchsen von selbst. Die Menschen breiteten sich aus, und lebten sie nicht so lang, nicht so überströmt von des Himmels reichsten Segnungen, wie ihre Väter, so lebten sie doch ruhig und unter der Regierung ihres guten Königs glücklich.

König Möris war ein sehr frommer Herr, aber in seinen alten Tagen beging er doch einen Fehler, welchen er sich vielleicht selbst schwerer verzeihen konnte, als ihn die Götter verziehen.

Ein vertriebener Fremdling kam aus Chaldäa, Zuflucht in Egypten zu suchen; er war ein Weiser, war ein Verehrer des einigen Gottes der Natur, wie auch König Möris war, ungeachtet dieser sich bey seinem Gottesdienst gewisser bildlichen Vorstellungen bediente, welche der Fremde verwarf, den eben seine strenge Anhänglichkeit an Wahrheit und Recht aus dem Lande vertrieben hatte, wo damals die ruchlose Semiramis regierte.

[73] König Möris nahm den Chaldäer freundlich, und eine schöne Frau, welche seine Gefährtin war, und die er für seine Schwester ausgab, noch freundlicher auf. Er hatte die Absicht, sie zur Königin von Egypten zu machen, er nahm sie dem Manne, der sich ihren Bruder nannte, und wußte nicht, daß er das heilige Band der Ehe trennte. Die schöne Fremde war des Chaldäers Weib, der Himmel offenbarte dieses dem unschuldigen Verbrecher, und er säumte nicht seinen Fehler zu vergüten, und die, welche an demselben Ursach war, zu bestrafen. Er gab dem Mann sein Weib zurück, aber der 9 Schleyer der Isis bekleidete sie; ein geheimnißvolles Gewebe, welches sich dergestalt so innig anschmiegt, daß keine menschliche Macht es hinwegreißen, daß nur der Tod es zerstören kann.

Die Chaldäerin blieb bis an ihren Tod eine Sonne, die nur durch Wolken schimmerte, doch auch dieser gemilderte Glanz [74] war dem König gefährlich; sein Herz zu heilen und sein Vergehen zu büßen, flohe er den Hof, von welchen er die Fremden, die er liebte, nicht verbannen wollte, und beschloß, sein Leben in der großen Pyramide des Pharao Menes, in welcher er einst zur Zeit der großen Wasserfluth Zuflucht gefunden hatte, hinzubringen. Von da aus regierte er das Land, und ordnete die Erziehung seines Sohnes, des jungen Sesorchis, den er zu einem bessern Könige machen wollte, als er selbst gewesen war, und den er daher auf andern Wegen zur Tugend zu führen gedachte, als die waren, welche er gewandelt hatte. Der weise Chaldäer, den der König, ungeachtet er einst sein Beleidiger war, sehr hoch schätzte, ward der Erzieher des egyptischen Prinzen. Zweyhundert Knaben, die mit diesem Kinde am nämlichen Tage geboren worden waren, wuchsen mit ihm unter der sorgfältigsten Aufsicht heran, keiner von ihnen kannte sich selbst. Alle wußten, daß einer von ihnen zu Egyptens Herrscher geboren sey, alle wurden auch belehrt, diese Stelle einst rühmlich zu bekleiden: doch sorgte der Weise, daß kein Neid gegen denjenigen aufkeimen sollte, [75] welcher bestimmt war, einst vor allen seinen Gespielen als Herrscher hervor zu treten.

Keiner von allen diesen Knaben ahndete und wünschte die künftige Größe weniger, als der, welchem sie wirklich bestimmt war. Die Absichten des weisen Königs waren vollkommen an dem jungen Sesorchis erreicht worden. Sein Herz vor dem kleinsten Hauche des Stolzes und der Schmeicheley zu bewahren, hatte Möris seinen Sohn vom Glanze des Thrones entfernt; ihm zeitig begreiflich zu machen, daß der Krone würdige Tugenden in jedem Stande keimen, und daß es nichts als freye Gunst des Himmels ist, welche einige unter den Menschen bestimmt, diesen Schmuck zu tragen, ließ er ihn unter Gespielen aufwachsen, die man ihn wie Brüder lieben lehrte. So erwuchs Demuth, Ehrfurcht gegen die Gottheit und Menschenliebe in seinem Herzen, vor allem aber richtige Selbstschätzung.

Sesorchis verkannte seine Vorzüge vor manchen seiner Mitgenossen in der Schule des weisen Chaldäers nicht, aber eben so [76] deutlich fiel es ihm in die Augen, daß, wenn einst die Krone der Würdigste erhalten solle, ihm Mancher diesen kostbaren Preis bestreiten würde. Ihn beunruhigte dieses nicht. Sein erleuchteter Erzieher hatte ihm das Lastende der Krone (und Kronen lasteten damals doch noch nicht so wie jetzt) nicht verheelt, er hätte das königliche Diadem gern jedem andern gegönnt, und er sah es nicht ungern, daß einer unter seinen jungen Freunden sich vorzüglich mit dem Glücke schmeichelte, einst Egyptens König zu werden, denn dieser Eine war sein Busenfreund, war Tnephachtus, der schönste und liebenswürdigste aller Schüler des Chaldäers, ein Geschöpf, welches durch sanftes einschmeichelndes Wesen, gefällige Sitten und tausend kleine Talente, sich nicht allein das Herz des jungen Sesorchis, sondern aller Herzen zu eigen machte.

Die Dame mit dem Schleyer der Isis war diesem Knaben besonders gewogen, und ihr hatte Tnephachtus vielleicht seine Träume von künftiger Hoheit vorzüglich zu danken. Die unzerstörbare Wolke, mit welcher ihre [77] unheilstiftende Schönheit bestraft worden war, hatte sie um nichts klüger gemacht. Vorwitzig blieb sie allemal, und läg die Geschichte ihrer künftigen Jahre nicht ganz außerhalb meines Plans, so könnte ich hiervon mehr als einen Beweis anführen.

Ungeachtet ihr ihr Gemahl jede Einmischung in die Erziehung der ihm anvertrauten Kinder untersagt hatte, so machte sie doch wenigstens in Ansehung des schönen Tnephachtus eine Ausnahme. Du bist zum König geboren, sagte sie ihm unablässig; dein ganzes All erhebt dich über all die Kinder, die man deine Brüder nennt, und die es nicht sind. Du allein bist der Sohn des großen Möris, und hast du mir nicht selbst gesagt, welchen Unterschied der König bey Euren jährlichen Besuchen in der Pyramide des Menes unter Euch zu Deinem Vortheil macht?

Was Sarai, so hieß die Chaldäerin, sagte, war nicht ganz ohne Grund, Möris ermangelte nie, wenn der Weise seine zweyhundert Schüler, zur Zeit der Sommernachtgleiche [78] nach Sais brachte, den jungen Tnephachtus besonders zu liebkosen, und viele wollten aus den väterlichen Blicken, mit welchen das Auge des großen Königs immer besonders an diesem Kinde hing, auf eine sehr nahe Verwandschaft schließen. Diesem mochte indessen seyn, wie ihm wolle, so irrte man sich doch gar sehr, wenn man glaubte, der am meisten geliebkoste Knabe sey auch des Königs Herzen der Nächste. Möris mochte den schönen Liebling der Chaldäerin lieben so sehr er wollte, sein Herz hing doch allemal mehr an Sesorchis, seinem ächten anerkannten Sohn, dem bestimmten Erben seines Thrones. Bezeigte er ihm die reinste heißeste Vaterliebe weniger als den Andern, so geschah dieses aus Achtung gegen seinen gemachten Plan. Sesorchis sollte in Unwissenheit seines Standes heranwachsen, sollte einst die Krone erhalten, ohne darauf gerechnet zu haben; dieses zu bewirken, legte Möris den zärtlichen Aufwallungen seines Vaterherzens Fesseln an, und manche falsch gedeutete Liebkosung ward an Tnephachtus verschwendet, welche [79] eigentlich dem bestimmten Thronerben zugedacht war.

So wuchsen die Knaben zu den Waffen, zu den Wissenschaften, zur Tugend heran, bis der entscheidende Augenblick erschien, der das alte Räthsel enthüllen sollte. König Möris starb. Der weise Chaldäer, der schon längst durch göttlichen Ruf in sein Vater land zurückgefordert worden war, verweilte in Egypten nur noch so lang, bis er den erstaunten Sesorchis zum Thronerben erklärt, und seine Ansprüche realisirt und befestigt hatte, dann zog er davon, und die Dame mit dem Schleyer der Isis versicherte im Scheiden noch ihren Liebling, den getäuschten Tnephachtus, daß sie den Fluch, der ihre Schönheit drückte, gern doppelt tragen wolle, wenn sie ihn, so wie sie immer gehofft hätte, als König von Egypten zurücklassen könnte.

Bestürzt war Tnephachtus im höchsten Grade. Der neue König Sesorchis mochte ihn noch so oft versichern, daß er ihm die Krone lieber gegönnt haben würde, als sich [80] selbst, er mochte noch so sinnreich seyn, ihm begreiflich zu machen, daß er sich in Annahme derselben, blos dem Willen der Götter unterworfen habe, und noch so freygebig, ihn durch Reichthum und Ehrenstellen fast an seine Seite zu erheben, dieses fruchtete wenig in einem bösen Herzen, und daß das Herz des getäuschten Tnephachtus bös war, oder aus Wuth über fehlgeschlagene Hoffnung wenigstens bös wurde, wird man in der Folge sehen.

Nach der königlichen Würde war in ganz Egypten keine höhere, als die der Priester. Die Bewahrer der Geheimnisse der Gottheit verdienten den Rang, den sie behaupteten, und sie standen in demselben so fest, daß alle Bemühungen des Chaldäers, dessen Ueberzeugungen in Religionssachen, ein wenig von den in Egypten angenommenen Meinungen abgingen, sie nicht hatten in die Reihe gewöhnlicher Menschen herabziehen können. Als Diener, oder vielmehr als Freunde und Vertraute der Götter, wurden sie den Göttern gleich verehrt. – Ihre Vorrechte übertrafen die des Königs, [81] die Bezirke ihrer Tempel umfaßten halb Egypten, und unterwarfen es ihrer Gerichtsbarkeit, und der Schleyer ihrer Geheimnisse machte sie, indem er alles verhüllte, was sie Menschenaugen entziehen wollten, unverletzlich.

König Sesorchis konnte seinen Freund, seinen Bruder, den geliebten Tnephachtus, nicht besser wegen der verlornen Krone schadlos halten, als wenn er ihm den Zutritt in das Heiligthum des Osiris und der Isis erleichterte; er that hierin, was er vermochte, das Uebrige hing von den Priestern ab, und Tnephachtus war zu schlau, seinen Vortheil zu verkennen, zu erfahren in der Kunst, Menschenherzen zu gewinnen, sich die Richter seines Glücks nicht gewogen zu machen. Er errang sich schnell die Stimme der Priester der Gottheit, er durchging jede ihrer Prüfungen, man fand ihn bewährt, und Sesorchis jauchzte, seinen Liebling so geschwind auf eine Stufe erhoben zu sehen, die dem Throne gleich war. Der Unglückliche! zu spät sollte er erfahren, welch einen fürchterlichen Feind er sich an die Seite gesetzt hatte.

[82]

Manches Jahr verging. Egypten blühte, das glückliche Volk betete den König an, den es mit Recht seinen Vater nannte. Sesorchis ward der Gemahl der schönen Omphis, die aus dem Stamm der Priester entsprossen war, und der Vater einer Tochter, die er Athyrtis nannte, und sie, um den Namen, den sie führte, und der eine Geweihte der Götter bedeutet, zeitig wahr zu machen, von ihrem siebenden Jahre an unter die Zucht des großen Tnephachtus gab. Diesen Titel führte der sogenannte Bruder des Königs, seit er Oberpriester war, und er hatte es sich vorgesetzt, denselben zu verdienen. Man nahm die Versicherung, die er in einer Rede voll hinreißender Eloquenz hiervon gab, als man ihn zuerst in öffentlicher Versammlunggroß nannte, als einen rühmlichen Beweis seiner Bescheidenheit an, und niemand ahndete weniger, als der tugendhafte Sesorchis, was unter derselben verborgen lag.

Athyrtis wuchs im Isis Tempel, unter der Aufsicht der Gemahlin des Oberpriesters, und von seinen Lehren gebildet heran, [83] und ward ein kleines Wunder; ein Wunder der Weisheit und Tugend, denn schön war sie nicht; die Uebungen, mit welchen sie ihren deutungsvollen Namen, und die für ihr Geschlecht seltene Ehre, zu den innersten Geheimnissen der Gottheit eingeweiht zu werden, verdienen sollte, zernichteten zeitig das, was ihr die Natur von weiblichen Reizen verliehen haben mochte. Ihr Körperbau ward männlich; statt des sanften Lächeln, das ihr Geschlecht so liebenswürdig macht, wohnte schon in ihrem funfzehnden Jahre tiefsinniger Ernst auf ihrer Stirn und ihren Wangen. Die Königin Omphis machte bey den ersten Besuchen, die ihr, seit ihre Tochter die Kinderjahre zurückgelegt hatte, im Tempel abzulegen verstattet wurden, diese Entdeckung, und ward nicht sehr durch dieselbe erfreut; niemand besser, als das Weib, kann den Verlust weiblicher Reize schätzen. Der König, welcher hierin weniger fühlte, tröstete sie mit dem Gewinn, den die Prinzessin bey dem Tausch der Schönheit gegen tiefe Weisheit gefunden hätte; aber am besten ward Omphis durch die Ueberzeugung getröstet, [84] daß das Herz ihrer Tochter, aus ihrem Gesicht mochte geworden seyn, was da wollte, nichts von seiner Güte, nichts von seinen eigenthümlichen Grundzügen edler Weiblichkeit verloren hatte, für welche, wie sie meinte, keine männliche Tugend ihr Geschlecht entschädigen könnte.

Das Urtheil, welches Omphis über ihre Tochter fällte, war richtig, war es in größerm Umfange, als sie vielleicht dachte und wünschte. Hatten die Lehren des Oberpriesters nicht vermocht, wie er wohl gern gewollt hätte, in das Herz seiner Schülerin männliche Fehler an die Stelle weiblicher Tugenden zu pflanzen, so hatte er vielleicht absichtlich auch manche Schwachheit ungerügt und unausgerottet aufwachsen lassen, zu der sie ihr Geschlecht besonders geneigt machte, und von welcher der Falsche in der Folge Vortheil zu ziehen hoffte, denn dieses werdet Ihr demjenigen, welcher den König Sesorchis mit heimlichen Neid auf dem Throne sahe, auf den er selbst Ansprüche zu haben glaubte, dieses werdet Ihr dem großen Tnephachtus wohl zutrauen, daß er [85] nicht ohne heimliche Plane war, den Beneideten zu stürzen, und daß er in der jungen Athyrtis ein Mittel in den Händen zu haben glaubte, Endzwecke zu erreichen, welche er in der tiefsten Falte seines bösen Herzens vor jedermann verbarg.

Wär Athyrtis weniger edel, weniger unerschütterlich gut gewesen, als sie wirklich war, so würde ihm die Ausführung dessen, was er im Sinne hatte, leichter gewesen seyn, so kannte er in ihrem Herzen, das er auf keine Art umzuschaffen vermocht hatte, nur einen Flecken, und dieser war unerschöpfliche Neugier, welcher die Prinzessin mit der Selbstschmeicheley, die auch den besten Seelen eigen ist, den Namen endlosen Triebes nach höherm Wissen gab, und die sie von dem Oberpriester, der noch einen Schritt weiter ging, ungemein gern heiligen Durst nach himmlischer Weisheit nennen hörte.

Tnephachtus gab demselben, wie er versicherte, so viel Befriedigung, als er konnte, aber er trug Sorge, indem er sie zu immer [86] höhern und heiligern Geheimnissen der Gottheit einweihte, ihren Augen immer neue, noch nie betretene Gegenden des Wissens in der Ferne zu eröffnen, und ihr die Einführung in dieselben unter Bedingungen zu versprechen, welche sie, bey ihrem günstigen Vorurtheil für ihren Lehrer, nach Ursach und Folgen zu beurtheilen zu schwach war.

König Sesorchis war groß und gut, war ein Vater seiner Unterthanen, seinen Thron zu erschüttern war Unmöglichkeit, so lange seine alles belebende, alles erfreuende Gegenwart, sein scharfes, alles durchschauendes Auge jedes Gewebe der Bosheit vernichten mußte. Eben sowohl könntet Ihr das Antlitz der Sonne verhüllen, oder das Reich der Nacht da ausbreiten, wo die Regentin des Tages ihren mittäglichen Scepter führt. Wenn sie sich ins westliche Meer gesenkt hat, dann erst steigen die Schatten empor, die Geister der Finsterniß schweben aus der Unterwelt herauf, und wandeln in dem bleichen Lichte des kalten Planeten, der den Thron der entflohenen Sonne eingenommen hat, und die Erde mit seinem [87] unfruchtbaren Schimmer sehr schlecht für ihre entwichene Wohlthäterin entschädigt.

Die Sonne Egyptens, wie man den guten Sesorchis mit Recht nannte, auf ewig untergehen zu machen, dieß wäre wohl der Lieblingswunsch des Oberpriesters gewesen, aber das Leben des Königs ward von den Göttern geschützt, nur falsche unüberlegte Schritte konnten ihn der besondern Obhut derselben entreißen; ihn zu solchen zu bewegen, dazu sollte die unschuldige Athyrtis, ohne es zu ahnden, mitwürken.

Die Geweihte der Götter war das Orakel ihres Hauses. Ein Besuch von ihr in dem väterlichen Pallaste wurde wie die Erscheinung eines überirrdischen Wesens gefeyert. Jedes Wort aus ihrem Munde tönte ihren verblendeten Eltern, wie vom Himmel, und eine von ihr geäußerte Meinung, die nicht augenblicklich befolgt wurde, war eine unerhörte Sache. Selten verließ sie den Tempel um ihre Eltern zu besuchen, wenig waren immer ihre Worte, und zu Rathschlägen ließ sie sich aus rühmlicher [88] Bescheidenheit fast niemals bewegen; aber dieses war eben das Mittel, ihren Besuchen, ihren Worten und ihren Rathschlägen doppelten Werth zu geben. Tnephachtus würkte in allem was sie that, und daß sie in dem Theil ihres Verhaltens, das wir nun schildern wollen, blos als sein Werkzeug handelte, das brauche ich Euch kaum zu sagen. Daß sie nicht Mitschuldige des Verbrechens war, daß sie selbst betrogen wurde, wird Euch eben so klar werden, wenn ich Euch die Geschichte in der Ordnung mittheile, in welcher sie sich begab.

König Sesorchis hatte mit seiner Tochter, seit sie das funfzehnde Jahr angetreten hatte, viel von seinem Wunsche geredet, sie vermählt zu sehen. Sie fühlte die lebhafteste Abneigung gegen den Ehestand, aber Tnephachtus sagte ihr, der Wille ihrer Eltern müßte ihr Gesetz seyn, und sie unterwarf sich allem, was der König zu Erfüllung seiner Wünsche für nöthig hielt. Ihr Bild ward an alle Großen des Landes, in alle auswärtige Königreiche geschickt; dieses war damals das Mittel, der Welt kund [89] zu thun, daß Prinzessinnen sich zu vermählen wünschten. Aber Athyrtis war nicht schön, ihre Weisheit lockte niemand, und von der Größe und dem Reichthum ihres Vaters konnte, nach der damaligen Sitte, ihrem Gemahl nichts zufallen: weder sie, noch ihr Vermählter waren zur Krone bestimmt, nur ihre Kinder hatten Anspruch auf die Thronfolge, und dieser Vortheil war zu entfernt, zu zweifelhaft, um die Verbindung mit einer Person angenehm zu machen, die das Auge durch nichts reizte, und deren geistige Vorzüge von zu erhabener Art waren, um von Alltagsmenschen, deren es damals in allen Landen viel gab, geschätzt zu werden.

So legte Athyrtis ihr zwanzigstes Jahr unbeworben und unvermählt zurück, und sie fühlte sich darum nicht unglücklicher. Sie strebte, aus Liebe zur himmlischen Weisheit, mehr, sich von allen irrdischen Banden loszureißen, als neue zu knüpfen. Immer tiefer in die Mysterien des Diensts ihrer Götter einzudringen, und daselbst Nahrung für ihre nach Wahrheit durstende Seele zu [90] finden, dieß lag ihr am Herzen, und sie kehrte mit Entzücken in die Pyramiden von Dsyse, die Ihr dort ihre mondbeglänzten Häupter erheben sehet, zurück, wo damals der Hauptsitz der egyptischen Weisen war, und wo eben der Oberpriester Tnephachtus sich beschäfftigte, den Orden der Jannes und Jambres zu errichten, welcher in der Folge sich durch übernatürliche Künste so berühmt machte.

Keine Tiefe des Wissens schreckte die forschbegierige Athyrtis zurück. Sie durfte nur Winke von demjenigen bekommen, was ihr Erzieher jetzt vorhatte, so war sie in dem letzten Fallstricke gefangen, den dieser Bösewicht ihrer Schwachheit legte. Er trug Sorge, ihr von dem, wornach ihre Neugier lüstern war, noch gnug zu sagen, um dieselbe zur wüthenden Leidenschaft zu machen, und verschloß der ungedultigen Forscherin dann auf einmal die weitere Aussicht mit der Erklärung: In die Geheimnisse der Jannes und Jambres könne niemand eingeweiht werden, der nicht das Grab des großen Osymandias gesehen habe.

[91] Die weise Athyrtis hatte von dem großen Osymandias viel gehört, sie kannte ihn als einen ihrer nächsten Urväter, sie wußte, daß er einer der mächtigsten Könige Egyptens gewesen war, aber um sein Grab hatte sie sich nie bekümmert. Der Oberpriester sagte ihr, auf ihre Bitte ihr dasselbe zu zeigen, daß er dieses nicht vermöchte, da ihr Geschlecht ihm verwehrte, sie die übernatürlichen Wege wandeln zu lassen, die zu der heiligen Stätte führten, doch versicherte er sie, der König, ihr Vater, habe den Schlüssel zu der geweihten Grabhöle, und es ließe sich glauben, er würde ihr den Eintritt nicht versagen, wenn er gehörig darum ersucht würde.

Die Prinzessin, welche es sich zum Gesetz machte, nirgend eine Gnade zu bitten, als bey den Göttern und ihren Dienern, wählte in dieser Sache den Oberpriester zu ihrem Vorsprecher bey dem Könige, aber Tnephachtus entschuldigte sich, und Athyrtis mußte sich endlich zu einer Reise nach Hofe entschließen, wo sie ihr Gesuch so schnell und mit so dringender Art anbrachte, [92] als es die Heftigkeit ihrer Begierde nach verborgenen Dingen heischte.

Mit so viel Ungedult Athyrtis ihre Bitte vortrug, mit so viel Bestürzung ward sie angehört. O, mein Kind, schrie König Sesorchis, nachdem er seine Tochter bey einer Stunde lang mit unverwandten Augen angesehen hatte, was forderst du von mir? und warum giebst du Wünschen einen neuen Stachel, die auch mir Tag und Nacht vorschweben, und die ich seit langer Zeit fruchtlos bekämpfe. Ja, ich weiß, wo das Grab des großen Osymandias ist, ja, ich habe die Schlüssel zu den heiligen Gegenden, in welchen die Asche des großen Königs ruht, aber wisse, nie betrat mein Fuß den verbotenen Ort, ob mir gleich der Wunsch meines Landes, und mein eigenes Glück den verwegenen Schritt fast unumgänglich zu machen scheinen. Dein Schicksal, das dich zum ehelosen Stande bestimmt zu haben scheint, benimmt mir die Hoffnung, durch dich Enkel und Erben meiner Krone zu sehen. Die Königin Omphis könnte mir noch Söhne und dir Brüder geben, aber [93] ein Traum, welcher mit jedem Mondswechsel, bey jedem Besuch, den ich mit demselben im Tempel des Serapis 10 ablege, regelmäßig wiederkommt, versichert mich schon seit einem Jahre, dieß werde nie geschehen, wenn ich nicht zuvor das Grab des großen Osymandias gesehen habe.

Und was hindert uns, daß wir es nicht augenblicklich besuchen, fiel die ungedultige Prinzessin ihrem Vater ins Wort. Egypten wird, wie Ihr sagt, nie ohne diesen Schritt Könige aus Eurem Stamme sehen, und ich werde nie in die Geheimnisse der Jannes und Jambres eingeweiht werden. Das Mittel zu unserm Glück ist eins, es ist in unsern Händen, laßt es uns sogleich brauchen, laßt uns sogleich aufbrechen, wohin uns die Pflicht der Selbsterhaltung ruft. Ich wenigstens versichere Euch, ich werde sterben, wenn ich das Grab des großen Osymandias nicht gesehen habe.

[94] König Sesorchis verwunderte sich, seine sonst sehr einsylbige Tochter so viel in einem Athem sprechen zu hören, aber er fand das, was sie sagte, darum nichts desto klüger, und nahm sich zum erstenmal in seinem Leben die Freyheit, ihre Aeußerungen zu berichtigen. Selbsterhaltung, mein Kind, sagte er, ist Pflicht, aber nur dann, wenn sie keinen höhern Pflichten Eintrag thut. Wisse, mich und deine Vorväter, so wie meine Nachkommen bindet ein heiliges Gelübde, das stillschweigend auf unserm ganzen Geschlecht haftet, das Grab des großen Königs nicht eher zu betreten, bis wir uns mit dem Tempel des Osiris wegen einer großen Summe Geldes abgefunden haben, welche Osymandias bey Erbauung jenes Wundergebäudes, das du zu sehen wünschest, zu Bestreitung der Unkosten aufgenommen hat. Du kennst das Gesetz unsers Landes, welches den Leichnam des Schuldners, wenn er vor Abzahlung des Geborgten stirbt, zum Unterpfand des Darlehns macht, und die Asche deines Uranherrn ruht eigentlich unter der Verwahrung der Priester, ob ich gleich in der That den Schlüssel [95] zu den heiligen Hallen besitze, der mir jedoch nichts hilft, da ich ihn nicht gebrauchen darf.

Die Prinzessin ward durch das, was sie aus dem Munde ihres Vaters hörte, sehr nachdenkend gemacht, aber der Wunsch, das Grab des großen Osymandias zu sehen, und durch dasselbe zu den Geheimnissen der Jannes und Jambres zu gelangen, hatte sich ihrer Seele viel zu tief eingeprägt, als daß irgend etwas, selbst die Unmöglichkeit seiner Erfüllung ihn hätte ausrotten können. Sie sann Tag und Nacht auf Mittel, ihren Vater zu Uebertretung des königlichen Gelübdes zu bewegen, dafern es ihrem Scharfsinn nicht glückte, ihn durch irgend einen Nebenweg bey demselben, ohne sein Gewissen zu verletzen, vorüber zu führen. Sich durch Zahlung der verjährten Schuld einen rechtmäßigen Weg in das heilige Grab zu bahnen, war unmöglich, denn die Summe, mit welcher die Krone den Priestern wegen der Eitelkeit des großen Osymandias verhaftet war, war ungeheuer; man hätte das halbe Königreich verpfänden [96] müssen, um die Diener der Gottheit zu befriedigen.

Tnephachtus sah an dem mehr als gewöhnlichen Tiefsinn, welcher die Stirn seiner Schülerin umzog, daß seine Plane auf dem Wege waren vollkommen zu glücken, und er machte seine Anstalten so, daß, dafern alles so ging, wie er vermuthen konnte, auch von seiner Seite nichts vernachlässiget wurde. Athyrtis redete nicht mehr mit ihm von Osymandias, und nicht mehr von Jannes und Jambres, aber eben dieses Stillschweigen sprach deutlicher zu ihm, als alles was sie hätte vorbringen können.

Mein Vater, sagte die Prinzessin, die jetzt mehr um ihre Eltern war, als all die Zeit ihres Lebens, einst zum Könige: Wes sind die Schätze der Erde? der Todten oder der Lebendigen?

Der Lebendigen, mein Kind.

Wer wird einst die Eurigen erben?

[97]

Du, oder die Geschwister, welche dir der Himmel noch geben könnte. Die Götter sind es, welche die Nachkommen zu Eigenthümern der väterlichen Schätze bestimmten.

Wer ist der redlichste Schuldner, der, welcher nie auf Zahlung denkt, weil er sie für unmöglich hält, oder derjenige, welcher es allenfalls mit einiger Gefahr wagt, sich schuldenfrey zu machen, und ein kostbares Unterpfand auszulösen?

Meine Tochter, antwortete der König, deine Fragen verhüllen verborgenen Sinn, rede deutlicher mit deinem Vater; vielleicht, daß Gedanken in dir aufgehen, die ich schon längst insgeheim genährt habe, ohne den Muth zu besitzen, sie ganz auszubilden.

Meine Gedanken, antwortete Athyrtis, gehen dahin, daß wir uns diese Nacht auf die Reise nach dem Grabe des großen Osymandias begeben, und den Schlüssel, welchen die Götter nicht umsonst in Euren Händen gelassen haben, zuerst nützen, das [98] Schatzgewölbe, welches dieses Gebäude wohl so gut, wie alle andere Königsgräber haben wird, zu eröffnen. Ohne Zweifel verschließt es ungemeine Kostbarkeiten, welche nach Eurem eigenen eben gefällten Urtheil Euer sind, und die wahrscheinlich vollkommen hinreichen werden, das Grab Eures Ahnherrn von den Priestern auszulösen. Es ist grausam, Euch eine ewige Schuldenlast aufzubürden, indem man Euch die Mittel benimmt, sie zu bezahlen.

König Sesorchis hatte hiegegen nichts einzuwenden, als daß gleichwohl die Auslösung des heiligen Ortes dem Eintritt in denselben zuvor gehen sollte, und daß also das Verfahren, welches Athyrtis anrieth, allemal Meyneid seyn würde; aber diese Dame hätte nicht so lange unter den Priestern der egyptischen Gottheiten, den Auflösern aller schweren Fragen, gelebt haben müssen, um nicht alles, was ihr Vater gegen ihre Meinung sagen konnte, mit einer Menge Sophismen zu entkräften, die im Grunde dem Könige willkommen waren, und denen er herzlich gern nachgab. –

[99] Was soll ich Euch weiter hierüber sagen? Gnug, die nächste Nacht sah den König, der sich Thronerben wünschte, und die Prinzessin, die nach den Geheimnissen der Jannes und Jambres lüstern war, auf dem verbotenen Wege, auf welchem sie ihr Glück zu finden hofften.

Der Weg von der königlichen Residenz bis in die Ebenen von Lascor war eine kleine Reise; ob sie von den beyden Wanderern in einer Nacht zurückgelegt werden konnte, das mögt Ihr Euch selbst denken. Sesorchis und Athyrtis fanden sie lang und beschwerlich, das erste, wegen der Ungedult, die in ihren Herzen pochte, das zweyte, weil sie nicht gewohnt waren, auf diese Art zu wandern. Die Natur ihrer Reise erforderte es, daß die Pilger einsam waren, und jedem Mittel entsagten, womit sich die Könige von Egypten sonst jeden kleinen Spazierweg zu erleichtern und zu verkürzen pflegten.

Bey Nacht hatten sie die Wanderschaft angetreten, und Nacht war es, da sie das [100] Ende derselben vor sich sahen. Es war eine öde schauervolle Gegend, die sie jetzt betraten. Ein enges Thal, an dessen östlicher Seite der Nil in hohen Ufern rauschte; es lenkte sich auf die letzt abwärts zwischen zwo Reihen Felsen hin, die einander hier und da so sehr naheten, als wollten sie dem Wanderer den Durchzug nicht verstatten. Sie thürmten sich zu beyden Seiten so unabsehlich empor, daß sie dem Auge den Anblick des Himmels benahmen. Man glaubte ehe in einem ungeheuren Gewölbe, als in der freyen Natur zu wandern.

Mein Kind, sagte der König, als der Weg etwas breiter zu werden begann, wundere dich nicht über den Schauer, der dich hier befällt, es ist nicht blos das Schrecken der öden Gegend, das deine Haare emporsträubt, und dein Blut zu Eis macht, es ist die Ahndung von der Gegenwart dir verwandten Schatten. Hier ist die letzte Ruhestätte der Könige von Egypten, hier schlummern deine Väter, ausgenommen den einigen Osymandias, der nicht bey ihnen ruhen wollte. Hier wird Sesorchis ruhen, wenn [101] er einst vor dem Todengericht unsträflich befunden wird, und auch Athyrtis kann dereinst hier eine Stelle bekommen, denn sie ist eine Weise, und verdient unter die Könige gezählt zu werden.

Die schweigende Athyrtis, deren ernste Stimmung durch die Rede ihres Vaters erhöht ward, zählte im Vorübergehen die Eingänge, welche zu beyden Seiten in die Felsen gehauen waren, und wunderte sich, ihre Zahl kleiner zu finden, als die Zahl ihrer Ahnen, die sie sehr wohl im Gedächtniß hatte; dieses ging sehr natürlich zu; nur die guten Könige durften Anspruch auf diese heiligen Gräber machen, und seit dem großen Könige Menes, dem Sohne der Götter, waren nicht alle Könige von Egypten gut gewesen.

Als sie die Gegend der Gräber zurückgelegt hatten, passirten sie mitten durch die Ruinen einer großen Stadt, die schon damals niemand mehr zu nennen wußte. Sesorchis drückte seiner Tochter schweigend die Hand, und sie verstand wohl, was er sagen [102] wollte. Die Denkmale der Vergänglichkeit, die ihnen überall aufstießen, gaben der Seele eine schöne Vorbereitung zu dem Schritte, der nun ganz nahe vor ihnen lag, und der in ihren Augen unsträflicher seyn mußte, als in den unsrigen, sonst würden sie, so gewarnt, vielleicht noch zurückgekehrt seyn.

Es war tiefe Mitternacht. Das Thor zu dem Begräbnißpallast des großen Osymandias thürmte sich am Ende der Ebene vor ihnen auf. Der Mond ging eben unter, und König Sesorchis hielt es für die rechte Zeit, die Fackeln anzustecken, welche sie mit sich genommen hatten. Ob Stahl und Stein ihnen Feuer gaben, oder ob Athyrtis aus dem Tempel des Phtah 11, in welchem sie sich einiger Bekanntschaft rühmte, ein anderes Mittel, die Flamme hervorzurufen, mitgebracht hatte, das ist für uns von keiner Wichtigkeit, gnug sie gingen im Schimmer zweyer Fackeln dahin. Sie standen endlich an dem schwarzen Marmorthore.[103] Der Schlüssel in Sesorchis Hand drehte sich siebenmal in dem ungeheuren Schlosse herum, die Thorflügel sprangen krachend auf, und schlossen sich mit eben solchem Getöse dicht hinter den Eintretenden zu. Sie sahen sich jetzt in einem großen Hofe, oder vielmehr in einem hohen, von ungeheuern Granitsäulen unterstützten Gewölbe. Zwölf Sphinxe, von kolossalischer Größe, ruhten zu beyden Seiten, als wollten sie den Eingang zu dem innern Hauptthor bewachen, welches dem äußern in einer Entfernung von zweyhundert Schritten gerade entgegen lag. Der Künstler schien diesen Ungeheuern eine Art von Leben eingegossen zu hoben. Ihre Augen funkelten, ihre Flügel schienen sich zu regen, einige von ihnen erhoben sich, dem Anscheine nach, langsam auf den Vorderfüßen, und waren im Begriff sich auf denjenigen zu stürzen, welcher den Weg zwischen ihnen hindurch, nach der verbotenen Pforte nehmen wollte. Die Dämmerung und das todte Schweigen, das hier herrschte, vermehrte das Gräßliche der Scene.

[104] Sesorchis und seine muthige Tochter waren zu groß, um von dem Blendwerke des Bildners geschreckt zu werden; ein mächtigeres Schrecken regte sich in ihrem eigenen Selbst, das keinen andern Grund hatte, als das Bewußtseyn einer wenigstens sehr zweydeutigen Handlung.

Athyrtis wandte sich ängstlich um, und sah nach der äußern Pforte zurück, durch welche sie eben gegangen waren. Sie war nicht allein geschlossen, sondern es ließ sich auch von innen kein Mittel sehen, sie wieder zu öffnen, sie schien mit ihren beyden Flügeln aus einem Stück Erz gegossen, und mit unsichtbaren Angeln in die Felsmauern gewachsen zu seyn. Welche Entdeckung! Die Prinzessin bebete, ewig an einem Orte bleiben zu müssen, der ihr schon beym ersten Eintritt nicht gefiel, doch theilte sie ihre Besorgnisse ihrem Gefährten nicht mit; wer hätte sie aufrichten sollen, wenn auch er den Muth verloren hätte?

König Sesorchis ging muthig voran. Athyrtis folgte mit zögerndem Schritte. [105] Die Pforte des innern Gebäudes war nicht verschlossen, ein leichter Druck der Hand öffnete sie. Das Herz der Prinzessin war beklommen, das Herz ihres Vaters noch mehr. Er stutzte vor dem Eintreten 12. Es ist bedenklich, sprach er, indem er sich zu seiner Tochter wandte, einen Schritt weiter zu gehen, ehe wir wohl erwogen haben, was hier unser Geschäft ist, und wohin wir uns zuerst zu wenden haben. Wähle selbst: die Schatzkammern, oder das Grab des großen Osymandias.

Der Himmel selbst entscheidet, rief Athyrtis, welche einen Blick durch die geöffnete Pforte warf, und Gegenstände sah, welche Empfindungen in ihr erregten, die von denen, welche sie bisher erfahren hatte, ganz verschieden waren. Aus dem düstern herzbeengenden Gewölbe, aus dem Gewühl von halblebenden Ungeheuern, zeigte sich ihr die Aussicht auf einen freyen Platz, der keine andere Decke über sich hatte, als den [106] hell gestirnten Himmel, keine andere Grenzen, als eine weit entfernte Kolonade von weißem Marmor, die ihn rings umzog, ohne seine Aussicht zu beschränken, und die, ich weiß nicht in welchem Licht glänzte. In der Mitte stand ein großer einfacher Altar, von welchem ein reines ätherisches Feuer himmelan flammte. Die rothe Glut der Fackeln, welche die Eintretenden trugen, ward von dem Sternenglanz dieser himmlischen Flamme hinweggeblendet; sie fanden sie unnöthig, sie warfen sie beyde, wie durch einen Zug getrieben, zur Erde, und nahten sich beyde, Arm in Arm, wie von einem Geist beseelt, dem erhabenen Gegenstande, der ihre Aufmerksamkeit so sehr fesselte.

Hier laß uns knieen, schrie Athyrtis, die sich nebst ihrem Vater auf die untere Stufe des Altars niederwarf. Hier laß uns anbeten, o Gottheit, die diesen Ort bewohnt! Waren die Triebe unrein, die uns in dieses Heiligthum lockten, war es tolle Neugier, sträflicher Wunsch versagter Gaben, oder gar unedler Durst nach Schätzen, was uns die Kühnheit gab, verbotenen[107] Grund zu betreten, so werde das Vergehen durch diese Thränen gebüßt; und dein Beyfall, o Gottheit, heilige die Schritte, die wir nun gezwungen thun müssen, da die Rückkehr uns verschlossen ist.

Die Sage berichtet, ein Donnerschlag, das gewöhnliche Zeichen der Erhörung, habe dieses Gebet, das mit der heißesten Innbrunst aus dem Herzen der Beter hervordrang, beantwortet 13, und getrost und muthiger haben sich die Knieenden von den Stufen des Altars erhoben, den sie jedoch nicht ehe verließen, bis sie ihre verloschenen Fackeln bey seinem reinen Feuer wieder angezündet hatten.

Sie bedurften ihres Lichts, denn so lange ihre Wanderung durch alle Regionen dieses Wundergebäudes dauerte, die ich zu schildern unterlassen muß, so wich doch die Dunkelheit nicht. Hier schien es [108] niemals Tag zu werden. Die Wanderer gingen mit getrostem Muth, wie sie der Zufall führte. Sie glaubten jetzt jeden ihrer Schritte mit himmlischem Beyfall bezeichnet, und bereuten kaum, das nicht zu finden, was sie eigentlich hier gesucht hatten. Sie durchstrichen Höfe, Säle, Gallerien, Zimmer, sie fanden zwar manches Wunder, aber weder das Grab des großen Osymandias, noch die Schätze, welche dasselbe aus der Verpfändung der Priester lösen sollten. In verschiedenen Gewölbern, welche Inschriften führten, die auf das Letzte zu deuten schienen, fanden sie Truhen mit Asche gefüllt, und in einem andern eine Sammlung seltner Handschriften, welche für die weise Athyrtis allenfalls noch mehr Reiz hatten, als für ihren Vater; in Summa, es schien sich alles hier zu vereinigen, den Wanderern die große Lehre von der Nichtigkeit irdischer Schätze, und dem höhern Werth der Güter des Geistes einzuschärfen.

Das Bild des großen Osymandias fanden sie hier im Getäfel und im Schnitzwerk der cedernen Säulen überall. In tausend [109] verschiedenen königlichen und menschenfreundlichen Handlungen zeigte er sich hier, und dort prangte er als Freund der Götter vor ihren Altären mit reichen Gaben; eine schöne Sammlung von Lehren für den König. Er nahm sich vor, fleißig hieher zu kommen, und von dem stummen Marmor leben und regieren zu lernen. Doch lebte bey all diesen schönen Entschlüssen der Wunsch noch in ihm, um dessen Erfüllung ihn seine Träume hieher gewiesen hatten, und die Prinzessin fühlte so, wie sie ruhiger ward, die Sehnsucht nach den Geheimnissen der Jannes und Jambres wieder in ihrem Herzen erwachen, aber das Grab des Osymandias, welches gefunden werden mußte, ehe sie die letzte Weihe erhalten, und König Sesorchis einen Wunsch anderer Art erfüllt sehen sollte, war hier nicht zu finden, und schon dachten sie alles aufgeben zu müssen, als der letzte Akt des sonderbaren Schauspiels die Sache entschied.

Von allen hundert Thüren, die sie bisher geöffnet und verschlossen hatten, fehlte nur noch eine; sie glich der großen Pforte [110] des ersten Eingangs auf ein Haar, und setzte durch diese Aehnlichkeit die Wanderer in eine sonderbare Bestürzung. Wo sind wir? fragte Sesorchis seine Tochter, indem er seinen Schlüssel hervorzog, um zum zweytenmal, wie er meinte, die nämliche Pforte zu öffnen, beginnen wir von neuem die Wanderung, die wir bald geendigt zu haben glaubten? Die Flügel des Thors gingen rauschend auf, und die Reisenden sahen bald, daß sie sich in einer noch ganz unbetretenen Gegend befanden. Ein neuer Vorhof, mit einem ungeheuern Gewölbe von oben geschlossen, und wie manche Gegenden dieses Wunderpallasts, von einem Licht erhellt, dessen Art und Ursprung unerrathbar war, that sich vor ihnen auf.

Drey kolossalische Bildsäulen 14 erhoben sich, dem Eingang gegen über, vor einem zweyten Thor. Das Fußgestell der Mittelsten, welche aus einem einigen schwarzen [111] Stein gearbeitet zu seyn schien, übertraf allein die gewöhnliche Menschengröße zweymal; aus dieser Angabe läßt sich auf die Größe des Bildes schließen. Während Sesorchis dieses Wunderbild, welches einen sitzenden König vorstellte, mit sorgfältigem Auge betrachtete, war Athyrtis schon von dem Bilde zur Linken, welches ein seltsames Ungeheuer vorstellte, aus dem sie nichts zu machen wußte, zu dem zur Rechten übergegangen. Es war eine schöne dreyfach gekrönte Frau, die mit lächelndem Stolz, der nichts bösartiges an sich hatte, um sich herzublicken schien. Athyrtis hätte gewünscht, diese übermenschliche Figur etwas kleiner zu sehen, um ihre Schönheit besser beurtheilen und prüfen zu können. Die Innschrift am Fußgestell beschäftigte sie, weil ihr von dem Aufsehen in die Höhe die Augen vergingen, zuletzt am meisten, und sie hatte eben die Worte gelesen: »Ich bin die Mutter, Gemahlin, und Schwester dreyer Könige, bin die Mutter des großen Osymandias;« als Sesorchis den Namen, den Athyrtis mit so viel Freude aussprach, ebenfalls mit Entzücken wiederholte. O meine Tochter, rief [112] er! Endlich haben wir gefunden, was wir suchten! Dieß ist das Bild unsers großen Ahnherrn, und sein Grab ist ohne Zweifel der Boden, auf welchem es steht!

Ein Donnerschlag unterbrach hier das, was Sesorchis weiter sagen wollte, er überraschte die beyden Wanderer so sehr, daß sie halb betäubt zu Boden fielen, und sich nicht ehe wieder erholten, bis ein hellerer Glanz, der sie umgab, und das Gewirr vieler Stimmen, das sie umtönte, ihre Lebensgeister zurückrief.

Sie sahen sich jetzt innerhalb des Thors, vor welchem sie vor wenigen Augenblicken gestanden hatten, sahen sich in einem weiten prächtig erleuchteten Gewölbe, welches das Ansehen eines Gerichtssaals hatte. Dreyßig Männer, in priesterlicher Tracht, saßen im halben Zirkel in dem Innern der Schranken, vor welchen der König und die Prinzessin als Beklagte standen, oder vielmehr, da sie sich jetzt erst von ihrem Fall emporrichteten, als Verurtheilte auf den Knieen lagen.

[113] Ein verhüllter Mann, in der Mitte der furchtbaren Versammlung, der das Haupt derselben zu seyn schien, erhob sich von seinem Sitze, und wandte sich an die erschrockenen Zwey, die sich an den Schranken aufrecht halten mußten.

Verbrecher! rief er mit einer Stimme, welche den Hörern bekannt hätte seyn müssen, wenn die Bestürzung nicht jede Erinnerung betäubt hätte. Verbrecher! wir fragen Euch nicht, wer Ihr seyd! – Wir kennen Dich wohl, Sesorchis und Dich, Tochter der Weisen, welche hier zum erstenmal in einem sonst rühmlichen Leben, Weisheit und Tugend so schimpflich verläugnete, indem sie diesen verbotenen Ort betrat und ihren Vater zu gleichem Frevel verleitete, Verbrecher! ja! wir kennen Euch, und jetzt sollt Ihr Euer Urtheil hören. Sesorchis ist nicht König von Egypten mehr, sondern ein Todter, dessen Leichnam, wenn wir winken, morgen an den Ufern des Nils entseelt gefunden, und vor das Todtengericht gebracht werden wird. Er hat eine Wahl unter drey Dingen: Entweder Tod, oder[114] ewiger Aufenthalt in diesen Gegenden, aus welchen ihn keine menschliche Macht reißen wird, oder Einwilligung in mögliche Bedingungen, die ihm vorgelegt werden sollen. Das Schicksal seiner Tochter richtet sich nach der Wahl, die er treffen wird, und ihr liegt es ob, ihm zuzureden, daß sie vernünftig ausfalle, so wie ihn ihr Rath zu der strafbaren Handlung bewog, um welche er jetzt gerichtet wird.

König Sesorchis immer groß, niemals muthlos in Gefahren, obgleich oftmals schwach, wenn das Glück ihm lachte, zeigte, nachdem er von dem ersten Schrecken zu sich selbst gekommen war, weder Befremdung über das, was man ihm vortrug, noch zaghafte Reue, sich selbst in diese Verlegenheit gestürzt zu haben, er deutete nur an, daß, um seine Wahl zu bestimmen nichts nöthiger seyn würde, als genaue Anzeige der Vorschläge, die man ihm zu thun habe.

König Sesorchis, war die Antwort, hat sich durch Betretung dieses geweihten Ortes gröblich versündigt, eine Buße, die [115] nicht leicht seyn darf, büße sein Vergehen.

Man nenne mir, was man von mir fordert, versetzte der König, und versehe sich zu mir, da ich meinen Fehler selbst fühle, möglichste Folgeleistung.

Sesorchis wird sehen, daß seine Bereitwilligkeit seine Strafe erleichtert, und daß das immer gütige Schicksal in auferlegte Pflichten vielleicht den Keim seines Glücks gelegt hat. –

Und welches sind diese Pflichten, rief der König. Man halte mich nicht länger auf; man sage mir, womit das Verbrechen gebüßt wird, das Grab des großen Osymandias gefunden zu haben.

Nicht es gefunden, nein, es gesucht zu haben, ist Sesorchis Verbrechen. Man zeige ihm die Inschrift des heiligen Bildes, das sein frecher Blick entweihte, und belehre ihn, wie sehr er sich in seinem stolzen Wahn betrügt.

[116] Sesorchis untersuchte, in Begleitung einiger Priester, die Inschrift der Bildsäule seines Urahnherrn nochmals, und fand folgendes:

»Ich bin Osymandias, ein König der Könige! Du, mein Enkel, der Du wünschest, daß Deine Kinder meinen Stuhl besitzen mögen, willst Du wissen, wie groß ich war, und wo mein Grab ist, so übertriff mich in meinen Thaten.«

Verwegener Sterblicher! rief der Sprecher, als der König schweigend und tiefdenkend zurückkam, glaubtest Du das größte Geheimniß der Welt, das Grab des großen Osymandias entdeckt zu haben, das selbst den Weisen verborgen ist? Gehe hin, ahme ihm nach in seinen Werken, werde groß, wie er war, und vielleicht wird dich der Himmel denn mit einer Offenbarung beglücken, welcher Du jetzt noch unwürdig bist, die selbst uns willkommen wär. Ziehe hin, mache Dir Länder und Völker unterthänig, wie er that, und komme dann wieder, das Land im Frieden zu regieren, zu [117] dessen Vergrößerung oder Beglückung Du noch zu wenig gethan hast, um die Ruhe genießen zu dürfen.

König Sesorchis ahndete in diesen Worten Dinge, die ihm nicht behagten, doch hier war nicht der Ort, die kleinste Widersetzlichkeit zu äußern. Er bat um Bedenkzeit; die weise Athyrtis ward ihm zugegeben, und sie ermangelte nicht jeden Ueberredungsgrund zu nützen, ihm jedes Mittel angenehm zu machen, sich und sie aus diesem Kerker zu erlösen.

Sie, mit den Geheimnissen der Priester, in deren Gewalt sie waren, besser bekannt, als irgend jemand, sah hierin weiter als er, sie zeigte ihm die Gefahr der Weigerung, sie schilderte ihm das, was man eigentlich von ihm forderte, einen Zug zu Eroberungen der fernsten Erdenreiche, wie ihn König Osymandias gethan hatte, auf der glänzendsten Seite; sie malte ihm die Ehre, welche mit einer solchen Unternehmung, selbst im Fall, daß sie nicht glücken sollte, verbunden wär; und am Ende demonstrirte [118] sie ihm noch aus der Inschrift des wundervollen Bildes so viel heraus, daß er in Befolgung des gesprochenen Urtheils auch die Erfüllung eigener Wünsche finden könnte. Es war schwer dieses hierin zu finden, aber die sophistische Athyrtis konnte alles beweisen was sie wollte. Sie war hierin ihren Lehrern, den egyptischen Weisen, gleich, und hier besonders ließ es sich nicht anders an, als wenn der Mund des Oberpriesters in allem selbst aus ihr redete.

Und so war es auch. Athyrtis hatte frühzeitig in dem Haupt der Gerichtsversammlung, welche über sie und ihren Vater das Urtheil sprach, den großen Tnephachtus erkannt; man hatte ihr hierüber Stillschweigen aufgelegt, und ihr, indem man ihr die Gefahr zeigte, in welcher sie und der König hier ganz in priesterlicher Gewalt wirklich schwebten, hatte man sie verpflichtet, alles hervorzusuchen, was ihn zu dem Zuge auf Eroberungen in fremde Weltgegenden bereden konnte. Die Prinzessin, selbst voll schwärmerischer Träume künftiger Größe, ließ sich hierin zu allen[119] wirksam finden, was man von ihr verlangte Sie schmeichelte sich, ihren Vater auf seinen Heldenzügen begleiten zu dürfen, und Tnephachtus ließ sie dabey, weil ihm das Mittel sehr wohl bekannt, durch welches er sie, sobald er wollte, ohne Widerrede zurückbehalten konnte.

Erst nachdem Sesorchis in alles gewilliget hatte, was man ihm vorlegte, beliebte es dem Oberpriester, sich ihm zu offenbaren. Sesorchis, der diesen Verräther immer mit gleicher Wärme liebte, freute sich, in dem Richter seinen Bruder gefunden zu haben. Er warf sich in seine Arme, er überzeugte sich, daß sein Urtheil, von ihm abgefaßt, gewiß so milde ausgefallen sey, als möglich. Er ergab sich ruhiger in die Nothwendigkeit, sein Land verlassen zu müssen, weil er sahe, daß selbst sein Busenfreund hierin nichts hatte ändern können. Er beschloß, bey seiner Abreise die Regierung in seinen Händen zu lassen, und der Oberpriester war über dieses Zutrauen so gerührt, daß er den König nicht ohne Beweise seines gegenseitigen guten Willens [120] von sich lassen wollte. Den Tag vorher, ehe der König die Reiche der Nacht verließ, führte er ihn in eins der obern Stockwerke des Wunderpallasts, von welchem er, an der Hand seiner Tochter, einen kleinen Theil durchwandert hatte.

Sesorchis hat noch nicht alles gesehen, was dieses Gebäude von Herrlichkeiten in sich verschließt, sagte er zu ihm, indem er ihn in einen großen Saal führte, in dessen Mitte sich eine ganz goldne 15 Truhe befand, deren Größe sich auf mehrere hundert Ellen belief: Und was würdet ihr denken, fuhr er fort, wenn ich euch sagte, daß hier, eben hier, das Grab des großen Osymandias sey? – Doch nein, ich will meinen Bruder, meinen König nicht täuschen! – Er erfahre mehr, als selbst die geübtesten Schüler der Weisheit wissen, und lerne [121] aus dieser Vertraulichkeit, wie treulich Tnephachtus es mit ihm meine.

Wisse, Sesorchis, die Sage von der hier ruhenden Asche des größten der Könige, ist eine Fabel, welcher sein eigner Wille das Daseyn gab. Sie sollte das Mittel werden, sein Grab zum ewigen Geheimnisse zu machen. Wahrscheinlich fanden seine Gebeine ihre Ruhestatt in den entferntesten Gegenden der Erde, die er Egypten unterwarf, denn auf seiner letzten Reise nach den fernen Inseln ist er gestorben, und ein Mährchen ists, daß man seinen Leichnam nach Egypten zurück gebracht habe.

Könntest du es finden, o Sesorchis! Könntest du sein Grab finden, wie würden die Schüler der Weisheit dich preisen, welche hier das Ende ihres Forschens sehen! Wie glücklich würdest du dein Land machen, das von der Entdeckung der Asche des großen Todten, die Erfüllung verschiedener Weissagungen erwartet, welche seinen Flor vollkommen machen werden!

[122] Gehe hin! Thue wie die Inschrift des heiligen Bildes dich lehrt! Enkel des großen Osymandias! ahme ihm nach, und du wirst wissen wie groß er war, und wo er begraben liegt!

Auch ist für dich mit dieser Entdeckung besonderes Glück verbunden. Wisse, Sesorchis wird seinen Stamm nicht aussterben sehen, Egypten wird bis ans Ende der Tage von seinen Nachkommen beherrscht werden, wenn er sich überwindet, es jetzt zu verlassen. Ich weiß, es wird einem guten Vater nicht leicht, von seinen Kindern zu gehen; aber Sesorchis, der immer so groß als gut handelt, verläßt ja sein Volk um es zu beglücken, er läßt es ja in Händen, deren Treue ihm bekannt ist, in den Händen seines Bruders Tnephachtus, der um die weise Athyrtis zur Mitregentin bittet, und selbst in dieser Bitte einen Beweis ablegt, wie er gegen das Volk und seinen König gesinnt ist.

Der König hatte zwar schon das Versprechen von sich gegeben, sich den Weg gefallen [123] zu lassen, welchen ihn das Schicksal führte, auch konnte und wollte er hier nichts wiederrufen, aber die Schwere und Bedenklichkeit des Schrittes, den er vor sich hatte, beängstigte doch sein Herz.

Alles was die Reise auf nutzlose Eroberungen ihm kosten, alles was mittlerweile über sein Land kommen konnte, schwebte ihm in dunkeln Bildern vor. Die heuchlerische Rede des Oberpriesters blieb unbeantwortet und er hatte gute Muse, ihr noch mehr hinzuzusetzen.

Was ists, hub der Verräther von neuem an, daß das Auge meines Königs, ungeachtet der herzerfreuenden Täuschungen, damit ihm sein Bruder zu laben suchte, noch immer zur Erde zieht? Sollte es ihm etwa an dem einigen Mittel fehlen, das er außer seiner Tapferkeit allerdings noch bedarf, um groß zu werden wie sein Urahnherr war? Befürchtet Sesorchis seine Schätze zu leeren, oder sein Volk mit Kriegssteuern beschweren zu müssen, wenn er den großen Zug zu Unterjochung der Barbaren glücklich vollenden[124] will? – Rede, mein Bruder, und ist meine Muthmaßung richtig, so siehe hier das Mittel auch diesen Zweifel zu heben. Diese güldene Truhe, welche selbst von vielen unserer Weisen für das Grab des großen Königs gehalten wird, enthält nichts als seine Schätze. Sie sind dein, wenn du das Gelübde erneuerst, sie dereinst mit seiner Asche auszulösen. Bringe sie hieher, bringe die heiligen Reste hieher, und leere denn das ungeheure Behältniß, das du vor dir siehst von allen Schätzen die es verbirgt. Nimm schon jetzt so viel davon als dir zu gegenwärtigen Bedürfnissen noth ist; was dir der Priester der Gottheit verstattet, ist kein Raub; du darfst nicht fürchten zu viel zu nehmen, alles ist dein, und du kannst urtheilen, ob hier eine Verminderung bemerkbar seyn wird.

Sesorchis stand, wie verblendet, bey dem Anblick der Schätze, die Tnephachtus in diesem Augenblicke enthüllte. Ich unterlasse, sie Euch zu schildern; Ihr würdet glauben, in dem, was ich hierüber sagen könnte, eine Fabel zu hören. – Königreiche [125] hätte man hier mit kaufen können, wenn Königreiche für etwas geringers als Menschenblut feil wären. Sesorchis, dessen Hauptkummer eben dieses war, nicht allein sein liebes Land verlassen, sondern auch die Größe, die man ihm von fern zeigte, mit Menschenopfern bezahlen zu müssen, that dem Oberpriester einige Vorschläge über die Anwendung dieser Schätze; aber Tnephachtus, welchem daran gelegen war, den König aus seinem Reiche zu entfernen, nahm nichts an, was er bot, sich dieser auferlegten Pflicht zu überheben, fand alles thöricht, was er hierüber sagte, und besiegte endlich den Widerwillen des großen Sesorchis völlig, durch geäußerten Verdacht, als ob Zaghaftigkeit, oder Liebe zu weichlicher Ruhe, der Grund seiner Vorschläge wär.

Verächtlich wandte der König dem Manne, der sich so sehr vergessen konnte, den Rücken zu; er berief sich auf seine schon als Jüngling gemachten Eroberungen, welche dem Throne von Egypten die Araber, und einen großen Theil von Afrika unterworfen, doch beschloß er bey sich selbst, um [126] der Lästerung auszuweichen, als sey er nicht mehr der, welcher er ehemals war, hinfort kein Wort weiter gegen das harte Schicksal zu sagen, welches Egypten um seinen Vater brachte, sondern ruhig den Weg zu gehen, der nun einmal, wie man ihn beredete, seine Bestimmung war.

Sesorchis und Athyrtis verließen des andern Tages den sogenannten Begräbnißpallast des großen Osymandias, doch sorgte die Letztere, daß dieses nicht ehe geschah, bis die Forderungen der Priester an denselben, aus dem großen Schatzbehälter dreyfach befriedigt worden waren.

Tnephachtus hatte vielleicht Recht, diese Zahlung mit höhnischem Achselzucken anzunehmen. Er war der Bewahrer aller dieser Schätze, er kannte vielleicht noch größere, die er verbarg, er stand in der nahen Erwartung, Herr von ganz Egypten zu werden, was konnte man ihm, oder den Tempeln seiner Götter geben, das er nicht schon vorher besessen hätte?

[127] Als der König seine Hauptstadt wieder sah, so war sein erstes Geschäft, die Königin Omphis von seinem unglücklichen Vorwitz und der strengen Strafe desselben zu benachrichtigen: Sie faßte sich mit männlichem Muth, und schwur, ihn auf keinem Pfade zu verlassen, den ihn das Schicksal führen könnte. Athyrtis hatte das nemliche Gelübde gethan, und nichts konnte sie von demselben abwendig machen. Sesorchis wünschte, sie möchte, als Mitregentin des Oberpriesters zurückbleiben. Das Volk, das sie liebte, beschwur sie, den Verlust ihres guten Königs, durch den ihrigen nicht doppelt schmerzhaft zu machen; sie blieb unerbittlich. Doch, als ihr Tnephachtus, da er zuerst den Hof wieder besuchte, etwas von der Einweihung in die Geheimnisse der Jannes und Jambres ins Ohr sagte, welche wohl in Abwesenheit des Königs vorgenommen werden könnte, da war sie auf einmal umgewendet. Sie blieb zurück, blieb gern zurück, und der König, der aus der schnellen Umwandelung ihrer Gesinnungen, nicht die beste Muthmaßung für ihren Verstand und die gute Führung des Regentenscepters [128] faßte, hielt es für nöthig, ihr außer dem Oberpriester, noch ein Rathskollegium an die Seite zu setzen, welches ihr zur Unterstützung dienen, oder vielmehr Fehler, die sie etwa begehen möchte, verhüten oder wieder gut machen könnte.

Es bestand aus hundert und neun und neunzig Personen, auf welche der König ein besonderes Zutrauen setzte, weil sie mit ihm erzogen waren; Ihr werdet die zweyhundert Knaben, deren auch Tnephachtus einer gewesen war, die mit Sesorchis an einem Tage geboren waren, und die König Möris nebst ihm der Aufsicht des weisen Chaldäers untergab, noch nicht vergessen haben.

König Sesorchis nahm Abschied von seinem Volk und stellte sich an die Spitze seiner Heere, er und die Königin Omphis letzten sich mit ihrer Tochter, die sie bis ans Ufer des Meers begleitete. Doch ward Athyrtis zärtlicher von ihrem Vater entlassen, als von ihrer Mutter; Ihr werdet der weisen Omphis nicht unrecht geben, daß sie die Prinzessin heimlich eine Ursach all ihres Unglücks [129] nannte, und den Tag verwünschte, da man sie, um eine außerordentliche Person aus ihr zu machen, und sie über die Grenzen ihres Geschlechts zu erheben, aus ihrer Zucht, in die gefährliche Schule der Priester gegeben hatte.

Die Folgen von den Lehren, die sie daselbst erhielt, hatte die unglückliche Athyrtis schon zum Theil erfahren, aber es gehörte mehr dazu, ihr die Augen völlig zu öffnen, und sie einsehen zu lehren, wie sehr sie den einfachen anmuthreichen Pfad zum wahren Glück, den der Schöpfer dem Weibe vorzeichnete, verfehlt hatte, indem sie sich in Regionen verirrte, welche nicht die ihrigen waren.

Der Oberpriester hatte sich die weise Athyrtis zur Mitregentin gewünscht, sonst würde er, der alles regierte wie er wollte, sie nicht erhalten haben; es war wider seinen Plan, sie mit dem Könige reisen zu lassen, und sich in ihr, sollte Sesorchis von seinem weitaussehenden Unternehmen, die Welt zu erobern, und eine Universalmonarchie [130] zu errichten, nicht lebend zurückkehren, eine lästige Kronprätendentin aufzusparen. Jetzt bedurfte er ihrer noch im Lande, um sich der Liebe des Volks, das ihn haßte und sie anbetete, zu versichern; hatte er ihrer nicht mehr nöthig, so war ihr Schicksal bestimmt, und da, bis zu diesem Zeitpunkte, nichts wichtiges vorfiel, so erlaubet, daß ich Euch ohne weitere Umschweife zu demselben führe.

Jahre waren seit Sesorchis Abreise vergangen. Das Land hatte den Abschied seines Vaters verschmerzt, denn auch unter der Regierung der weisen Athyrtis, und ihrer Räthe war es glücklich, und Tnephachtus war klug genug, von alle dem, was sie gutes stifteten, sich das Verdienst zuzueignen.

Die auswärtigen Unternehmungen des Königs waren gleichfalls von gutem Erfolg, alles, was Beziehung auf Egypten hatte, schien unter besonderm Seegen der Götter zu stehen. Unablässig kamen Nachrichten von den großen Fortschritten des Eroberers an[131] die Ufer des Nils. Aethiopien, die Inseln des Meers, und ganz Indien bis an den Ganges war bereits sein. Dieß war mehr, als der Oberpriester gedacht hatte, und für seine Wünsche war es allzuviel. Er würde vor der Wiederkunft des Weltbezwingers gezittert haben, denn noch waren seine eigenen Anschläge unausgeführt, hätte er nicht gewußt, daß es unmöglich ist, von dem berauschenden Trank des Heldenruhms zu kosten, ohne nach noch tiefern Zügen lüstern zu werden. Er wußte es voraus, daß der, welcher schon so viel gewonnen hatte, nicht säumen würde, seine Siege noch weiter auszudehnen, und damit diese Muthmaßung gewiß erfüllt werden möchte, sorgte er immer dafür, daß nahe um den König einige von seinen Kreaturen waren, die stets zu demjenigen riethen, was in die Plane der Bosheit taugte.

Die klagende Stimme der Königin Omphis, welche, da man schon so viel gewonnen hatte, ernstlich zum Rückzug rieth, ward nicht gehört, die Worte der Rathgeber, die dem Eroberer Scythien, Kolchis, [132] Klein-Asien, und die Inseln des Archipelagus, als freye leicht zu ersiegende Beute, schilderten, fanden dessern Eingang. Der falsche Oberpriester, welcher hier überall wirksam war, hatte beschlossen, wenn ja ein wunderbares Glück, den Helden durch all diese gefahrvollen Unternehmungen, unverletzt hindurch bringen sollte, ihn bis in das ferne Europa zu locken, und ihn durch die weite Entlegenheit und all die Schrecknisse dieses verschrieenen unbekannten Landes desto gewisser zu fällen.

Alles, was der heimtückische Planmacher im Sinn hatte, gelang. Sesorchis kam zwar, zum größten Kummer seines Feindes, immer weiter auf seiner Heldenbahn, aber Tnephachtus auch immer weiter auf dem Wege zur Krone. Er besaß schon alle Macht und allen Reichthum des Landes, besaß so gar die Liebe des Volks. Er war König. Auch König zu heißen, hinderte ihn nichts, als das Leben der Thronerbin. Doch Athyrtis war ja in seiner Hand. Das Mittel sie zu fällen, war leicht. Es bedurfte weder des Gifts, noch des Meuchelmords, [133] es bedurfte keines Blutgerichts noch öffentlicher Verbrechensbeschuldigung und Beraubung ihres Lebens, er durfte nur ihren Wünschen nachgeben, durfte ihr nur zulassen, sich in Abgründe zu stürzen, nach welchen die Thörichte lüstern war, und jede seiner Absichten war erreicht.

Athyrtis war dahin, und er konnte öffentlich vor dem Volke schwören: – (Auch der ärgste Bösewicht scheute damals noch den Meyneid) – er habe ihr Blut nicht vergossen.

Seit Sesorchis das Land verlassen hatte, verging kein Tag, da nicht Athyrtis den Oberpriester an die Geheimnisse der Jannes und Jambres erinnerte, und ihm Vorwürfe machte, daß er sie durch Versprechungen in Egypten zurückgehalten habe, deren Erfüllung sie nun so lang vergeblich erwartet hatte.

Die Zeit war eingetreten, da Tnephachtus nicht länger taub bey ihren Bitten bleiben wollte. – Er kannte die unbezwingbare [134] Begierde, die sie nach verbotenen Dingen hatte, und hielt es also nicht für gefährlich, ihr alle Gefahren, welche ihr bey Erfüllung ihrer Wünsche bevorstanden, mit den lebhaftesten Farben zu schildern, gleich als wollte er dadurch sein eigenes Gewissen bewahren. Er war überzeugt, daß dieses alles nichts fruchten, daß Athyrtis dennoch auf ihrem Sinne beharren und – er entschuldigt seyn würde.

Unglückliche, rief er am letzten Tage vor der Entscheidung des Schicksals der verblendeten Prinzessin, du rennst in dein Verderben! Du willst Wege gehen, welche nie ein Weib betrat! Schon habe ich dir gestanden, daß ehemals die unmögliche Entdeckung des Grabes des großen Osymandias, nur Mittel seyn sollte, dich von deinem Untergang zurückzuschrecken. Dein unauslöschlicher Durst nach verbotenem Wissen ließ dich alles versuchen. Du hast mit dir deinen Vater in Unternehmungen gezogen, die ihn von seinem Lande entfernten, und ihn vielleicht noch um Krone und Leben bringen werden. All dieses schreckt und warnt dich nicht: [135] nun wohlan, so muß ich deutlicher mit dir reden, so muß ich dir die Gefahren näher zeigen, welche auf dem Wege, den du vor dir hast, dich mit der Zerstörung deines eigenen Wesens auf die grausamste Art bedrohen:

Du wirst verborgene Pfade hinabsteigen in die Reiche der Nacht. Feuer und Wasser werden dich bekämpfen. Die Bewohner des Mittelpunkts der Erde werden nicht sobald deine Gegenwart, die Gegenwart eines Weibes, ahnden, so werden sie wider dich wach werden, dich durch tausend Qualen zu vernichten; vielleicht entkommst du ihren blutigen Händen, aber nichts rettet dich von dem Abgrund der alten Nacht, von den finstern Regionen des anarchischen Chaos, das dort unten tobt; Aeonen lang werden alle seine Kräfte aufgeboten werden, die Grundstoffe deines Wesens zu zerstören, umsonst! du wirst leben, und leiden ohne Aufhören. Ueberwindest du endlich, nun so dämmert dir vielleicht einmal der Tag der Weisheit, nach welcher du lüstern bist, und welche vor dir nie ein [136] Weib errang; aber bedenke, wie lang es bis zu diesem entfernten Zeitpunkte ist, und wie klein dir vielleicht selbst alsdenn der Gewinn, den du erringst, gegen die Leiden dünken wird, durch welche du ihn errungen hast.

Tnephachtus hatte seine Bilder mit zu starken Farben gezeichnet, als daß sie auf die Prinzessin einen Eindruck hätten machen sollen; sie kannte die hyperbolische Art, deren sich die Priester, deren Oberhaupt sie vor sich hatte, im Reden zu bedienen pflegten. Sie verstand nicht, was man ihr sagte, sie wollte es nicht verstehen, und – beharrte auf ihrem Sinne.

Des andern Tages übergab Tnephachtus die Schülerin der verborgenen Weisheit, nachdem er sie nochmals vor allem Volke ermahnt und eingesegnet hatte, den Priestern, und sie ging den Weg, – den sie nie wieder zurückkommen sollte.

Das Volk wartete ein Jahr lang auf ihre Rückkehr, es betrauerte sie als eine Todte, es verehrte sie weiter hin als eine [137] Göttin, es bauete ihr Tempel und Altäre, aber Tnephachtus war König, nicht bloß der Macht, sondern nun auch dem Namen nach. Der Gewißheit von dem Tode der Prinzessin folgte die Nachricht von dem Untergange, den Sesorchis in dem wilden, weit entfernten Europa, mitten in seinen Siegen, gefunden haben sollte. Der Oberpriester war nach ihm der Nächste zu Kron und Thron, kaum war es nöthig für ihn, da er bereits das Scepter in Händen hatte, zu erweisen, daß er der Sohn des Königs Möris und der schönen Chaldäerin sey, man glaubte ihm indessen alles, was er wollte, auch das unwahrscheinlichste, dieses war damals eins der Vorrechte der Könige von Egypten.

Tnephachtus sahe nicht sobald seinen Thron unerschütterlich befestiget, so hielt er es für gut, die Larve, die er bisher zu Erreichung seiner Absichten getragen hatte, völlig abzulegen. Das Volk sahe ihn wie er war. Der vorgebliche Beglücker des Landes war ein Tyrann. Man sagt, die Menschheit bringe keine Ungeheuer hervor, [138] welche das Böse, ohne Rücksicht auf Vortheil, um des Bösen willen, lieben sollten, aber bald möchte ich behaupten, Tnephachtus sey eine schreckliche Ausnahme von dieser Regel gewesen.

Man muthe mir nicht zu, seine Unthaten zu schildern. Vielleicht war es die Verzweiflung, welche sie ihm eingab, die Verzweiflung, so viele Jahre lang eine so unselige Mühe aufgewandt, so manches Verbrechen begangen zu haben, ein Gut zu erlangen, das ihn nun nicht beglückte. Er suchte Heilung der Schmerzen, mit welchen ihn die Furien marterten, in Häufung neuer Missethaten. Er entsagte öffentlich den Göttern und fluchte der Asche derjenigen, vor deren Abkömmling er sich ausgab. Um diesen Unthaten ewige Dauer zu geben, ließ er sie in Erz und Marmor hauen. Wenn Ihr die Ruinen von Theben, der verheerten Königsstadt, die damals blühte, besuchet, so werdet Ihr noch ein Denkmal von der Schande des großen Verbrechers finden.

[139] »Fluch den Königen Menes und Möris!« so lautet die Inschrift 16 eines entweihten Steins: »Fluch den Sklaven der Götter! Sie stifteten ihrem Osiris und ihrer Isis, die Menschen waren, wie sie, Tempel und Opfer; sie lehrten dem im Staube entsprossenen Geschlecht, das sich für den Hauptzweck der Schöpfung hält, den Korn- und Oelbau, sie gewöhnten es durch üppigen Genuß des Weines und durch den Zauber der Tonkunst, sich im Taumel der Lust für Götter zu halten. Tnephachtus, welcher es erfahren hat, daß dem Menschen keine Freude ziemt, [140] ruft feyerlich den Fluch über das Andenken derer, welche Schmeichler des Menschengeschlechts waren, nicht seine Beglücker!«

Tnephachtus konnte fast nicht elender werden, als er durch sein verwahrlostes Herz mitten im Schoos des Glücks war, doch die erzürnten Götter bestimmten ihn, nachdem sie Jahre lang seinen Thaten schweigend zugesehen hatten, eine Strafe, welche ihre beleidigte Ehre vor der Welt noch in die Augen fallender rächen sollte, als es die heimlichen Gewissensqualen des Verbrechers konnten.

Das unerwarteste geschah, was sich ereignen konnte, was die Guten im Volke sich schon längst nicht mehr zu hoffen getrauten, und wofür sich der Tyrann schon seit Jahren nicht mehr fürchtete. Sesorchis, der nun zehnmal in den entferntesten Gegenden der Erde den Frühling sich erneuern gesehen, der seine Eroberungen bis an den Strom ausgedehnt hatte, welcher die äußersten Grenzen des wilden unbekannten Europa [141] ausmacht 17, der siegreiche Sesorchis, seiner Eroberungen müde, kehrte zurück. Er hätte noch dreymal mächtiger seyn müssen, als er war, um sie alle zu behaupten.

Er mußte sich begnügen hier und da Städte mit seinem Namen genannt, hier und da Bildsäulen als Denkmale seiner Siege, errichtet zu haben; männliche, mit Schild und Schwerd, wo er männlichen Widerstand fand, weibliche, mit Rocken und Spindel, wo man sich ihm zaghaft, ohne Gegenwehr, ergab. Dieses, nebst vieler Beute, und einer ungeheuern Menge Sklaven war der einige Gewinn, den er von seinen Siegen hatte. Ein wenig Weltkenntniß und aufgeklärte Denkart, die er mit sich brachte, war jedoch nicht bey der Berechnung der gemachten Beute zu vergessen. Das Grab des großen Osymandias hatte er nirgends gefunden, es aber auf die letzt auch wenig gesucht, und als er jetzt in Egypten wieder ans Land stieg, und der Traum seiner jüngern Tage, die [142] Ursach der Reise, die ihm zehn der schönsten Jahre seines Lebens gekostet hatte, ihm lebhafter vorschwebte, da wars ihm gar eigen, als hätte man ihn gutes Fleißes einem Hirngespinnste nachgeschickt, und als zieme es ihm, Rache an dem Verwegenen zu nehmen, der ihn aus verrätherischen Absichten solchergestalt von seinem Lande entfernen durfte.

Daß Tnephachtus gegenwärtig in Egypten nicht als Statthalter, sondern als König herrschte, davon war ihm das Gerücht bereits auf dem Indischen Meere entgegen gekommen. Die Nachricht von dem Verlust seiner Tochter erhielt er in der Ebene von Said. Heiße Thränen flossen um sie, doch noch bitterer würde Athyrtis betrauert worden seyn, hätte die Königin Omphis nicht ihren Gemahl auf der Reise mit zwey Prinzen beschenkt, davon der eine das fünfte und der andere das siebende Jahr noch nicht zurückgelegt hatte. Sie waren die Wonne ihres Vaters; das Herz ihrer Mutter hing an ihnen. Schön wie Liebesgötter, und klug wie kleine Genien versprachen sie ihrem Vater reichen Ersatz dessen, was er etwa an [143] seiner unglücklichen Tochter verloren haben konnte.

König Sesorchis rüstete sich, dem verrätherischen Besitzer seines Throns mit den Waffen zu begegnen. Hätte Tnephachtus sich ihm mit Heereskraft entgegengestellt, er wär verloren gewesen, denn auf Widerstand war derjenige, welcher sich die ganze Erde bis an die Cimmerischen Gegenden unterworfen hatte, wohl gefaßt; auf heimtückische Hinterlist war er es nicht. –

Tnephachtus kam seinem Bruder zu Pelusium entgegen; das Gerücht ging vor ihm her: er erscheine, dem rechtmäßigen Könige von Egypten Krone und Scepter in die Hände zu legen, die er nur als sein treuer Stellvertreter verwaltet habe.

Der milde Sesorchis ward schon durch diese Sage entwaffnet; noch mehr legte sich sein Zorn, als jetzt Tnephachtus selbst erschien, als der Mann ihm gegenüber stand, den er die meiste Zeit seines Lebens wie einen Bruder geliebt hatte, und den sein gutes Herz, allem Anschein zum Trotz, noch jetzt [144] nicht ungehört als einen Verräther verdammen wollte. Zu dem günstigen Vorurtheil, zu der erwachenden alten Liebe gesellte sich Mitleid. Tnephachtus war unglücklich, man durfte ihn nur sehen, um dieses zu wissen. Das Leiden seiner verwahrlosten Seele, seines mit Verbrechen belasteten Gewissens, war auf seiner Stirn geschrieben. Sesorchis sah die Folgen seiner heimlichen Qualen, aber ihre Ursachen errieth er nicht. Tnephachtus hatte binnen der zehnjährigen Abwesenheit des Königs, mitten im Schoos königlichen Wohllebens merklicher gealtert, als der Weltbezwinger Sesorchis unter den unfreundlichsten Himmelsstrichen, unter Arbeit und Mangel.

Tnephachtus sahe und errieth die Gefühle die sein Bruder für ihn hegte, und er war klug genug, den günstigen Eindruck zu seinem Vortheil zu verstärken. Man sprach sich eine Stunde lang ohne gewisse Gegenstände genau zu berühren, die Tnephachtus gern übergangen haben wollte. Nähere Erklärungen wurden für die Zukunft aufgespart. Der Verräther sprach viel von seiner [145] Sehnsucht nach dem Abwesenden, von seinen Leiden um ihn, und der drückenden Sorge des Königreichs, und Sesorchis entließ ihn endlich, völlig überzeugt, daß Tnephachtus blos durch Trauer um ihn, blos durch für ihn übernommene Mühseligkeiten, das elende Geschöpf geworden war, das er jetzt vor sich sah.

Sesorchis dachte den unglücklichen Bruder auf alle Art zu schonen. Tnephachtus hatte außer wenigen Dienern kein Gefolge bey sich, auch er ließ all seine Leute einige Meilen zurückgehen, und behielt nur so viel Personen um sich, als zu seiner und der Königin Bedienung unumgänglich nöthig waren. Einige Zelte wurden den Zelten des Tnephachtus gerade gegen über aufgeschlagen. Morgen wollte man sich bey einem gemeinschaftlichen Mahle ausführlicher sprechen.

Als die Königin Omphis sich des Nachts in das ihr bestimmte Gezelt begab, um zur Ruhe zu gehen, und bereits alle ihre Leute in die ihrigen entlassen hatte, – (sie pflegte [146] niemand in ihrem Zimmer schlafen zu lassen als ihre Kinder) – da fand sichs, daß sie doch nicht allein war. Eine kleine Alte saß in einem Winkel des Zeltes, bey einem Feuer von Lotosblättern, das nicht wenig dampfte, und schien die eintretende Königin nicht einmal gewahr zu werden. Omphis, immer sanfter und gefälliger, als sonst Königinnen zu seyn pflegen, war durch ihre weiten Reisen, und die mancherley Mühseligkeiten, die sie auf denselben, so gut als der geringste unter König Sesorchis Leuten, ausgestanden hatte, noch mehr von dem Stolze geheilt worden, der Fürstinnen sonst bewegt, jede Beleidigung ihrer Hoheit, jede kühne Annäherung der Geringern, streng zu ahnden.

Sie erzürnte sich nicht über die Anwesenheit der fremden Frau; sie fragte sie blos, was sie hier mache?

Ich wärme mich, Königin! war die Antwort.

Ist das der einzige Ort, wo du dich wärmen könntest? fragte Omphis lachend.

[147] Laß mir diesen! antwortete sie. Kenntest du mich, du würdest mir die Ruhe, unter deinem Gezelt, nicht versagen!

Wer bist du?

Du wirst mich einst kennen lernen. Sterbliche haben, unter der Hülle hülfloser Fremdlinge, oft Götter beherbergt.

Du erinnerst mich an den Besuch der großen Isis im Hause der Königin Astarte, versetzte die fromme Omphis mit Andacht.

Ich bin nicht Isis, aber ich will dir deine Gastfreyheit lohnen, wie sie dieselbe der phönizischen Königin belohnte.

Die Götter bewahren meine 18 Kinder! schrie Omphis, mit einer schreckensvollen Miene!

[148] Du hast Kinder? – Zeige mir sie, daß ich sie küsse!

Omphis holte die Knaben, die man schon zur Ruhe gelegt hatte. Die Alte drückte sie an ihre Brust, segnete sie und weinte über ihnen. Aber, ehe sich es die Königin versah, lagen beyde im Feuer, es vergrößerte sich, und Dampf und Glut schlugen über ihnen zusammen.

Entsetze dich nicht! sagte die Alte, welche die halb ohnmächtige Königin abwehrte, sich dem Flammenbette zu nahen, wo ihre Söhne ruhten. Dieses Feuer verletzt deine Kinder nicht, es härtet sie für die Begebenheiten des künftigen Tages. Von [149] dieser Glut bewährt, kann keine irrdische Flamme sie beschädigen. Merke dir dieses, und nutze es, wo du es nutzen kannst. Glücklich sind die Söhne des großen Sesorchis, wenn sie ihren Vater besser dienen können, als die unglückliche Athyrtis es vermochte! Möchten sie doch die Vergehungen ihrer Schwester aussöhnen!

Der Königin kam als die letzten Worte der Alten in der Luft verhallten, ein Schauer an. Das ganze Gesicht, (für Gesicht mußte sie es halten,) war ver schwunden. Von der Fremden und von dem Feuer war keine Spur mehr zu sehen. Alle Lichter waren verloschen. Die Königin hörte ihre Kinder sanft auf ihrem Lager athmen; sie tappte in der Dunkelheit nach denselben, um sich von der Gewißheit zu überzeugen. Ein Kuß auf ihre Wangen, und der Name Mutter, den beyde im halben Erwachen lallten, versicherte sie völlig. Sie warf sich auf ihr Lager, sie sank in tiefen Schlaf, und würde am Morgen das Ganze für Traum gehalten haben, hätte nicht ein Häufchen halb verbrannter Lotosblätter, welches ihre Leute [150] auf der Stelle fanden, die ihr noch wohl erinnerlich war, der Sache ein anderes Ansehn gegeben.

Doch sie schlug sich dieselbe aus dem Sinne, und rüstete sich, der gestern genommenen Verabredung nach, heute nebst ihrem Gemahl, und den beyden kleinen Prinzen bey dem Mahl zu erscheinen, das Tnephachtus in seinem Gezelte, das Fest der Wiederkehr seines Bruders zu feyern, bereitet hatte. Nur diese fünf Personen sollten die Tischgesellschaft ausmachen; der edle Sesorchis wünschte, es möchte niemand gegenwärtig seyn, wenn es zwischen ihm und seinem Bruder zu Erklärungen käm, die doch vielleicht denselben hier und da in Verlegenheit setzen könnten.

Die Bewillkommung schien von allen Seiten herzlich zu seyn; doch Wahrheit und Redlichkeit befand sich nur bey dem guten Könige und den Seinigen; im Herzen des falschen Oberpriesters – (diesen Titel beliebte der bisherige König von Egypten wiederanzunehmen) – brütete teuflische Bosheit. Sie glimmte sichtbar in seinen falschen [151] Augen, sie malte sich gräßlich auf seinen bleichen verzogenen Wangen, doch Sesorchis und seine Gemahlin, die keine großen Gesichtskenner waren, sahen hier nichts, was in ihnen schreckensvolle Ahndung erregen konnte; ihre Herzen fühlten nur Mitleid, und waren begierig, alle die Unfälle zu vernehmen, die ihren geliebten Bruder aus dem schönsten Manne in ganz Egypten zu einen Gespenst hatten machen können. Die Kinder schienen sich ein wenig vor ihm zu fürchten, doch auf einiges Zureden ihrer sanften Mutter, nahten auch sie sich, sahen mit unschuldiger Holdseligkeit zu ihm auf, und kamen seinen Küssen entgegen.

Tnephachtus bat, während der Mahlzeit möchte nichts von Untersuchungen vorkommen, welche den Geist der Fröhlichkeit vertreiben könnten; Sesorchis versprachs , und die Königin bat nur um Freyheit, nach ihrer Tochter fragen zu dürfen.

Ihr haltet sie für todt, ich weiß es, antwortete der Oberpriester; aber, was würdet ihr sagen, wenn ich sie lebend in eure Arme führte?

[152] Freudenthränen stürzten aus den Augen der schönen Omphis, sie faßte die Hand des falschen Tnephachtus, und konnt nur ein: – Sollte es möglich seyn? – über die Lippen bringen. – Sesorchis fühlte nicht viel minder, als sie. Die Knaben riefen jauchzend: sie hätten diese Nacht von ihrer Schwester Athyrtis geträumt, und Tnephachtus bat, man möchte nur erst die Mahlzeit geendigt seyn lassen, so wolle er selbst gehen, die Prinzessin herbeyzuholen.

Unglücklicher Sesorchis! Betrogene Omphis! daß ihr nicht in der Entfernung des Tyrannen, das Signal zu dem schrecklichsten Tode ahndetet! –

Sie befanden sich ganz in der Gewalt des Bösewichts, die wenigen Leute, die sie um sich hatten, welche in einem entfernten Gezelt von den Bedienten des Oberpriesters bewirthet wurden, waren schon längst unter dem Schwerd ihrer verrätherischen Wirthe gefallen. Tnephachtus hätte die königliche Familie auf ähnliche Art hinrichten lassen können, doch dieser Tod war ihm zu gemein [153] für die Gehaßten. Langsam, und nicht ohne Qualen, sollten sie sterben. Der Gottesläugner Tnephachtus kannte nur eine Kraft in der Natur, der er etwas göttliches beymaß, sie war das alles zerstörende Feuer; ihm wollte er seine Feinde opfern. Das Zelt in welchem er sie bewirthet hatte, war zum Opferaltar zugerichtet, und so, wie er den Fuß aus demselben setzte, war der Stab über die Verurtheilten gebrochen.

Sie ahndeten nichts hiervon. Omphis rief noch dem Verräther nach: ihr sehnendes Herz nicht zu lang auf den Anblick der geliebten Tochter warten zu lassen, und wandte sich dann zu ihren Gemahl, einige entzückte Worte über das nahe Glück mit ihm zu wechseln; aber kaum so viel Zeit, als man zu Rede und Gegenrede nöthig hat; und die Sprechenden wurden auf die schrecklichste Art unterbrochen. Ein bläulichter Duft zog sich über die Tafel und erfüllte das ganze Gezelt. Die Seitenwände begannen zu dampfen und zu glimmen, dort loderte schon ein Theil der geölten Leinewand, aus welcher dieselben bestanden, hell in die Höhe; [154] hier wehte ein Wirbelwind, der durch hin pfiff, die Flamme von einer andern Seite der erschrockenen Tischgesellschaft, welche voll Entsetzen aufgesprungen war, und sich in eine Gruppe zusammenschmiegte, über die Häupter. Die Decke des Paldachins flammte bereits über ihnen und drohte einzustürzen. Die Geschwindigkeit ist nicht zu schildern, mit welcher die erste Vorstellung von dem einbrechenden Unglück, zum Gefühl völliger Hülflosigkeit überging.

Der König nahm seine Gemahlin, die den kleinen Asychis auf den Armen trug, an die eine, den ältesten Prinzen Amosis an die andere Hand, und suchte sich einen Weg durch die Flammen zu bahnen; aber welch Entsetzen! das mörderische Zelt war mit einem flammenden Pfuhl umgeben, der zwar nicht breit war, aber doch, jede Flucht unmöglich machte. Voll Verzweiflung eilte man auf diese, auf jene Seite, überall eine Aussicht wie in den Abgrund der Hölle und die Gewißheit unvermeidlichen Verderbens! Schon fingen die Kleider des Königs Feuer, der Knabe auf dem Arm der [155] Königin breitete die seinigen über sie, als wollte er sie vor den Flammen schützen. Die Kinder lächelten wie die Engel, während sich die Verzweiflung auf dem Gesicht ihrer Eltern malte.

Denkst du an unsern Traum, Asychis? fragte der älteste Prinz, indem er zu seinem kleinen Bruder aufsah. Ja, Amosis, antwortete das Kind, ich denke daran.

Meinst du, daß es Zeit sey, zu thun, wie Athyrtis sagte?

Ja Bruder! laß uns eilen, ehe es zu spät ist! zwar zittre ich, doch laß uns eilen!

Asychis wand sich mit diesen Worten aus den Armen seiner Mutter, und stürzte sich über den flammenden Pfuhl der das Gezelt umzog, indessen Amosis seinen Vater beym Gewand faßte, und verständiger als sein Bruder, welcher gehandelt hatte ohne zu sprechen, ihm begreiflich zu machen suchte, daß er sich jetzt gleichfalls über den Feuergraben breiten, und daß sein Körper einen Weg für den großen Sesorchis bilden würde, unversehrt durch die Glut zu kommen.

[156] Mutter, rief Asychis der halb ohnmächtigen Königin, eile doch! rette dich, und nimm mich dann mit dir, mir ist nicht ganz wohl in diesem Flammenbette! Amosis rufte seinem Vater auf ähnliche Art zu, auch wars, als wenn in diesem Augenblicke eine verborgene Gewalt den König und die Königin ergriff und sie nöthigte, den schrecklichen Weg aus den Flammen, über die Körper ihrer Kinder zu 19 gehen, den sie freywillig, wohl nie gegangen seyn würden.

Beyde waren gerettet und sahen sich voll Erstaunen an. Die Knaben rissen sich unversehrt aus den Flammen, und warfen sich in ihre Arme. Laß uns fliehen, laß uns fliehen, Mutter! rief der kleine Asychis, daß uns die Flamme nicht erreiche! Zaghafter! schrie der älteste Prinz, der an der Hand seines Vaters beherzt zurück in die Glut sah, wie schlecht hast du begriffen, was unsere Schwester sagte! Mir war wohl [157] in dem Flammenbette das mich nicht versehren konnte, ich wollte wohl, es wär mir etwas übler gewesen, damit ich mich rühmen könnte, etwas für meinen Vater gelitten zu haben.

Aber, um der Götter willen, meine Kinder! schrie Omphis, welche jetzt erst zu Worten kommen konnte: Was sind dies für Wunder?

Weiter kein Wunder, meine Mutter! antwortete Asychis, als daß uns beyde diese Nacht geträumt hat, wie eine Person, die sich unsere Schwester nannte, und die wir nicht kannten, ob ihr uns gleich oft von ihr sagtet, uns im Feuer härtete, und uns thun lehrte, wie ihr gesehen habt. Mir ists lieb, daß es vorüber ist, denn ich fürchtete mich sehr vor den Schmerzen des Feuers, ungeachtet mir es mitten in der Glut nicht anders war, wie in einem kühlen Bade!

Lieblinge des Himmels! Geschenk der Götter! schrie Sesorchis, der die kleinen Retter seines Lebens an seine Brust drückte. Welch eine That, im Anfang eures jugendlichen [158] Lebens! Was wird aus euch werden, wenn ihr so fortfahrt, wie ihr begonnen habt!

Die Königin Omphis zerfloß in Thränen. Sie dachte an ihr eigenes Gesicht, das sie ihrem Gemahl mittheilte. Sie hatte noch tausend Fragen an die Kinder über ihre Schwester Athyrtis, aber sie konnten ihr nicht mehr sagen, als sie bereits wußte.

Der immer noch furchtsame Asychis drang auf mehrere Entfernung von den flammenden Schreckensort. Noch einmal sahe man zurück in die Glut. Das Ganze stürzte eben zusammen und ein gellendes Geschrey, wie von einer Menschenstimme aus tiefer Ferne beschloß die Greuelscene, von welcher man nun mit verdoppelten Schritten hinwegfloh.

Wo werden wir nun Zuflucht finden? sagte Omphis im Fliehen, daß uns die Wuth des Tyrannen nicht noch ereile?

Er ist nicht mehr! antwortete Asychis. Dort, das Häufchen schwarze Asche, bey welchem wir eben vorüberkommen werden, [159] ist das Ueberbleibsel seines verworfenen Körpers. Von diesem Hügel wollte er unsern Untergang ansehen, aber ihn selbst verzehrte das Rachfeuer des Himmels.

Der König und die Königin sahen den kleinen Redner mit Erstaunen an, welcher einen kurzen Verweis von seinem ältern Bruder, wegen verletzten Stillschweigens über gewisse Dinge, erhielt. Doch nicht lang, so fiel der gute Amosis in den nämlichen Fehler.

Sesorchis hielt, als man mit Grauen vor der Asche des gerichteten Tnephachtus vorüber geeilt war, noch einmal Rath mit seiner Gemahlin, wohin man nun sich wenden wollte. Sie stimmte auf Rückkehr zum Heer, aber der älteste Prinz bat, man möchte sich nicht bedenken, den Weg nach der nahen Residenz vollends zurückzulegen, wo alles zu ihrem Empfang in fröhlicher Unruh sey. Die hundert und neun und neunzig Männer, setzte er hinzu, die mit meinem Vater erzogen wurden, und die er dem Lande zu Regierern überließ, [160] waren nicht alle Verbrecher, wie der, welcher ihre Zahl voll machte, der treulose Tnephachtus. Die Guten hatten ein großes Uebergewicht über die Bösen, und sie sind es eben, die das Volk zum Empfang ihres Königs bereiteten, und die euch gerettet, oder am Tnephachtus gerächt haben würden, wenn die Götter hier nicht selbst gehandelt hätten.

Es lag am Tage, daß die Söhne des Königs von Egypten vom Geist der Weissagung beseelt waren, und daß die Gabe, im Feuer unverletzlich zu seyn, welche sie ihr ganzes Leben hindurch behielten, noch die kleinste war, welche ihnen der Himmel verliehen hatte. Ihre Eltern sahen sie mit Ehrfurcht an, und dankten den Göttern; aber sie schwiegen, weil sie nicht wußten, wie sie sich in Gegenwart dieser Kinder mit Anstand hierüber erklären sollten.

Man hatte die Hauptstadt noch bey weiten nicht erreicht, so sahe man bereits [161] eine große Menge Volks sich dieser Gegend nahen. Sie schienen von der Ankunft ihres guten Königs vollkommen unterrichtet zu seyn, sie trugen ihm Palmen entgegen, und empfingen ihn mit Lobgesängen. Die hundert und neun und neunzig Regenten des Landes führten den Zug. Sie trugen alle die Miene hocherfreuter redlicher Treue auf dem Gesicht, aber die Prinzen belehrten in der Stille ihre Eltern, welchen sie zu trauen hatten. Omphis fragte diese Leute, wo sie die Prinzessin gelassen hätten, die man bey der Reise in das Ausland ihrem Schutze anvertraute. Einige antworteten mit weitläuftigen Entschuldigungen, andere mit Schweigen und einer Thräne im Auge; schon dieses war genug, diese Leute zu charakterisiren, wenn man sie auch sonst nicht gekannt hätte.

Die Königin Omphis konnte mitten in der Herrlichkeit und Ruhe, die sie nun umgab, die geliebte Tochter nicht vergessen. Den König beschäftigten die Angelegenheiten seines Reichs, sie hatte übrige Muse,[162] die unglückliche Athyrtis überall zu vermissen, und ihrem ungewissen Schicksal mütterliche Thränen zu weinen.

Als einst diese gute Königin bey einbrechendem Abend einsam auf ihrem dämmernden Zimmer saß, und sehnend wünschte, nur zu wissen, was aus ihrer Tochter geworden sey, da bebte auf einmal unter ihren Füßen der Boden. Eine kleine Flamme fuhr herauf, und die Alte stand vor ihr, welche ihr die Nacht vor der schrecklichen Feuerscene auf der Ebene von Pelusium erschienen war.

Da bin ich und lebe, o Omphis, rief sie, nachdem sie die Königin eine Weile angesehen hatte, umarme mich, Mutter! ich bin Athyrtis, deine Tochter!

Du bist meine Wohlthäterin, die Retterin meines Lebens, schrie die Königin, die sie fest an den Busen drückte, dieses sagt mir mein Herz, und in dem Augenblicke, da ich dir danken kann, ist Athyrtis [163] vergessen. Du hast nicht nöthig ihren Namen zu borgen, um mir theuer zu seyn.

Ihr verstoßt mich! rief die Fremde, mit einem traurigen Blicke, der sie nicht verschönerte, ihr verläugnet die Stimme eures Herzens, weil euch meine Gestalt nicht schmeichelt.

Wie? sagte Omphis voll Erstaunen, sollte es möglich seyn, daß du wahr redetest?

Unmöglich scheint es freylich, erwiederte Athyrtis, mit einem Blick auf einen großen Spiegel! Die Mutter noch in fast jugendlicher Blüthe, die Tochter eine zusammengeschrumpfte Alte! Doch, ich habe gelitten was keine Jahrhunderte fassen, der Verfall meines Körpers ist nicht zu bewundern. Auch traure ich nicht über ihn: diejenigen, deren Werth nur in dem besteht, was das Auge reizt, mögen weinen, wenn Kummer und Jahre ihren einigen Vorzug vernichten; der Geist, welcher nie altert, wird durch das, was den Körper[164] zerstört, nicht herabgewürdiget, nur veredelt.

Es war sehr schön was Athyrtis sagte, doch die Thränen, die dabey aus ihren Augen flossen, ließen fast bezweifeln, ob die große Wahrheit, die ihre Worte enthielten, auch ganz von ihr gefühlt wurde. Sie war ein Frauenzimmer, und wir müssen ihr hierin, so weise sie auch war, schon etwas zu gut halten.

Auch die Königinn weinte bey dem was ihre Tochter sagte. Es schien ihr noch immer unmöglich, sie so wieder zu finden. Tausend Fragen über das Wie? und Wodurch? schwebten auf ihren Lippen, aber siehe, da hüpften die Prinzen herein, und verhinderten was sie sagen wollte.

Sie ists! sie ists! schrie der kleine Asychis, der sich der Fremden in die Arme stürzte, es ist unsere Schwester Athyrtis! Sprich, Geliebte! haben wir nicht wohl ausgerichtet, was du uns lehrtest?

[165]

Amosis umschlang indessen die Knie dieser wunderbaren Person, er nannte sie die Lebensretterin seiner Eltern, und dankte ihr auf eine Art, welche den Verstand weit übertraf, den seine Jahre mit sich brachten.

Die Königin zerfloß in Thränen über die Scene, die sie vor sich hatte. Sie mußte glauben, was sie sah. Sie schloß die drey Kinder des großen Sesorchis in ihre Arme, und nannte sich die glücklichste Mutter, der Erde solche Bürger gegeben zu haben.

Nennt mich keine Erdenbürgerin mehr, sagte Athyrtis, o Mutter, ich gehöre nur halb unter die Zahl derer, welche ihr, die noch nie den Tod schmeckten, Lebendige zu nennen pflegt.

Ich habe ihn tausendfach empfunden. – Sehet hier die Ursach der Aenderung, die ihr an mir wahrnehmt. Die Ursach, warum ich euch nur auf Augenblicke sehen kann, warum ich bald, bald zu denen zurückkehren [166] muß, in deren stille Gesellschaft ich mich besser schicke, als in die eurige!

Fluch über den treulosen Tnephachtus! schrie die Königin: Er war es, der diese Blume in ihrer Blüthe verheerte.

Ich klage über niemand! antwortete Athyrtis. Mein eigner Vorwitz war mein Fall. Stolz, Eitelkeit, Durst nach verbotenem Wissen, und mancher daraus entspringende falsche Zug meines Charcters, konnte viel leicht nicht anders bestraft, nicht besser ausgetilgt werden, als durch die Qualen, die ich litt!

Aber, werden wir nie erfahren, was mit dir vorging?

Ich dürfte euch nur die Worte wiederholen, mit welchen Tnephachtus, sey es aus wahrem oder falschem Herzen, mich vor dem Schritte warnte, der mich ins Verderben stürzte, so würdet ihr in ziemlich gut getroffenen Bildern alles wissen. Ich habe gewagt, [167] was vor mir nur ein Weib wagte. Es war die große Semiramis. Die Geschichte von ihr ist euch bekannt, und sie ist ohngefehr die Meinige. Semiramis stieg einst hinab in die unterirdischen Wohnungen verbotener Weisheit, sie unterzog sich Prüfungen, die nicht für weibliche Kräfte gemacht sind, aber, als man ihr die glühende 20 Stirnbinde umlegte, um sie auch durchs Feuer zu bewähren, da verließ sie die mühsam erhaltene Fassung. Ein durchdringendes Geschrey das sie ausstieß, verrieth den öden Wohnungen der Todten, daß hier ein Weib sey, durch ihre Gegenwart die heiligsten Geheimnisse der Isis zu entweihen. Die unterirdischen Rachheere, welchen jene große Königin mit Mühe entging, wurden auch wider mich wach. Immer auf dem Punkte erreicht zu werden, flohe ich Jahre lang durch die innersten Regionen der Erde, vor meinen wüthenden Verfolgern, bleichen Grabgestalten mit Todtengebeinen bewaffnet, [168] die sie fürchterlich gegen mich schwangen. – Zuletzt – doch, was soll ich euch Geheimnisse enthüllen, welche besser verborgen bleiben. Meine Gestalt ist die beste Schilderung von allem, was ich weiter sagen könnte. Der Lohn all meiner Leiden war endlich in der That eine etwas edlere Existenz, als die gemeinen Sterblichen haben, und ein höherer Grad des Wissens, als euch beschieden ist, aber – – Laßt mich abbrechen!

Gegenwärtig bin ich Oberpriesterin im Tempel des 21 Hephästos, eine Stelle, die mich zu der Hülfe, die ich euch in eurer schrecklichsten Stunde geleistet habe, geschickter machte, als zu irgend einer andern, die mich aber auch verbindet, euch nur selten zu sehen. Lebt wohl! lebt wohl! allemal mit den ersten Strahlen des Neumonds sehet ihr mich wieder.

Was Athyrtis verspochen hatte, geschah, und, o wie sehnlich sah man allemal dem [169] ersten Schimmer des wiederkehrenden Planeten entgegen! – Auch König Sesorchis versäumte selten seine Tochter zu sehen. Mit ihrer geänderten Gestalt war man bald ausgesöhnt, da niemand ihr die Verschönerung und Veredlung ihrer Seele abläugnen konnte, sie war groß, und erhub sie zu den Geistern des Aethers; doch wollte ich Euch, ihr Töchter der großen Termuthis, nicht rathen, ähnliche Vorzüge auf ähnlichen Wegen zu suchen, so lange die Pfade zu erlaubtem Wissen noch leicht und lieblich sind, und die Welt bey vieler Schönheit, Gutmüthigkeit und Tugend uns mittelmäßige Weisheit sehr gern zu gute hält.

Athyrtis ward in ihren monatlichen Besuchen die Rathgeberin ihres Vaters, die Mitbeglückerin seines Volks. – Egypten blühte unter dem großen Sesostris, dieses war der deutungsvolle Name mit welchem man den mächtigen Weltbezwinger gegenwärtig nannte. Es reute ihn, sich denselben mit so viel Zeit und Mühe erkauft zu haben. Er fand, daß er alles das, was [170] ihn jetzt erst zum guten Könige machte, zehn Jahre früher hätte thun können.

Er begünstigte den Ackerbau und schützte Handel und Gewerbe. Er gewann dem Nil durch künstliche Kanäle viel Grund ab, und sicherte das Land durch eben dieses Mittel vor den Ueberschwemmungen in so weit sie die Gränzen überstiegen die zur Fruchtbarmachung Egyptens nöthig sind, und ihm hätten schädlich werden können.

Er führte die große Mauer, von welcher wir den Anfang im Mondlicht von dieser Höhe nur wie eine dünne Wolke sehen, sie reicht von Pelusium bis gen Heliopolis, und diente den Völkern des Nils zum Schutz wider die räuberischen Araber.

Erst nachdem Sesostris dieß alles und noch vielmehr gethan hatte, dachte er daran, seinen Namen durch Tempel, Obelisken und Bildsäulen zu verewigen, die noch heute der verheerenden Hand der Zeit trotzen.

[171] Seine Söhne behielten die ihnen von ihrer überirdischen Schwester verliehenen Gaben; sie wurden nach ihrem Vater Gesetzgeber und Wohlthäter Egyptens. Es giebt noch der Denkmale viel die ihren Namen unsterblich machen. Wer in den Ruinen von Theben Steine findet, auf welche der Künstler drey mit Flammenkronen gezierte Figuren eingehauen hat, davon die mittelste eine alte Frau, die beyden andern zwey lächelnde Jünglinge vorstellen, der spreche mit frommer Erinnerung: dieß sind Amosis, Asychis und Athyrtis, die Lieblinge des Himmels, die Kinder des großen Sesostris.


[172] Als ich des Nachts, nachdem ich diese Geschichte erzählt hatte, mit meinen Freundinnen Iphis und Nephtis auf meinem Zimmer allein war, erstickten sie mich fast mit ihren Liebkosungen. Ihr seyd ein Wunder, Almé Rusma! schrie Nephtis. Wisset ihr auch, daß wir in der ältesten unserer Prinzessinnen eine zweyte Athyrtis haben? und daß es Euch die große Termuthis ewig danken würde, wenn ihr durch die nachdrücklichen Lehren, die Eure Fabel enthielt, sie zurückgeschreckt haben solltet, Wege zu gehen, auf welche ein Verführer bereit ist sie zu verlocken? – Ihr kennt den weisen Amur, welcher zuweilen die Pyramiden von Dsyse verläßt um uns zu besuchen; wir dürfen ihm den Zutritt nicht wehren, denn –

Iphis unterbrach hier das gesprächiche Mädchen, welches bereit schien bis an den Morgen fort zu plaudern, mit der Anmerkung, daß es spät sey: ich aber vom [173] vielen Reden ermüdet, ergab mich sehr gern darein, die Kundschaft von den Angelegenheiten der Prinzessin Zaide und des weisen Amur ein andermal zu erhalten.


Ende des ersten Theils.

Fußnoten

1 Die Almé der Egyptier gehört zu dem Luxus dieses Landes. Diesen Namen führen eine gewisse Art Mädchen, die, um das Publikum mit ihren Talenten ergötzen zu können, eine sorgfältigere Erziehung genossen. Schönheit der Stimme, Kenntniß der Musik und der Dichtkunst, muß bey einer Person, die sich zu dieser Lebensart begiebt, mit Anstand, Weltsitte und körperlichen Reizen verbunden seyn. Daß ihr Ursprung sehr alt ist, erhellt aus dieser Geschichte. Ein Lieblingsvergnügen der Egyptischen Damen ist noch jetzt, die Almé kommen zu lassen. Auch bey großen Gastmahlen, welche die Vornehmen geben, spielen diese Mädchen ihre Rolle, doch gehören diejenigen, welche auf diese Art öffentlich figuriren, schon unter die unedlere Klasse dieses Ordens. Ihr Geschäft und das Mittel, die Anwesenden zu unterhalten, ist üppiger Tanz und verliebte Gesänge. Die Almé des innern Pallasts läßt sich nie zu so kleinen Künsten herab, sie erscheint nur vor Damen, höchstens, in Gegenwart derselben, vor den Brüdern und Söhnen des Hauses. Sie unterhält ihre Freundinnen, (als Freundin wird sie von den Größten behandelt, und immer großmüthig belohnt,) mit religiösen und moralischen Erzählungen, in welchen aber Liebe und Fabelwerk nicht fehlen darf, oder mit zärtlich traurigen Gesängen, für welche ihre Landsmänninnen einen entschiedenen Geschmack haben. Die Kleidung dieser höhern Klasse von Virtuosinnen, ist ungemein schön und anständig. Ein schwarzes seidnes Gewand mit einem weiten schleppenden Ueberwurf von weißen Flor fließt in gefälligen Falten um sie her; ein goldner Gürtel faßt es dicht unter der Brust zusammen, und dem dunkeln natürlich gelockten Haar darf einiger Schmuck nie fehlen. Die Kostbarkeit desselben ist Beweis von der Würde der Almé und den Belohnungen, die ihre Verdienste erhalten. – Auch die gemeinen Leute haben ihre Almés, welche aber von der Majestät der hier beschriebenen nichts an sich haben, und in ihrem Betragen alles übertreffen, was man sich an Ueppigkeit und Ausgelassenheit denken kann.

2 Ptolemäus Philadelphus, der Sohn des Stifters der Alexandrinischen Bibliothek, welche aus 100000 Volumen bestanden haben soll, ließ sich von dem Hohenpriester Eleazar, 273 Jahr vor Christi Geburt, das Jüdische Gesetzbuch schicken. 72 Weise begleiteten dasselbe, mit dem Auftrage, es in die Sprache zu übersetzen, welche der König wählen würde, denn sie waren gelehrt in allen Sprachen der Erde. Ihnen soll man das Werk zu danken haben, das den Namen der Septuaginta oder der Uebersetzung der 72 Dollmetscher führt.

3 Er ließ, auf Befehl seines Fürsten, mit den Büchern, welche die Barbaren verachteten und nicht zu brauchen wußten, viele Tage lang die Badstuben heizen. Dieses geschahe in der Mitte des siebenten Jahrhunderts nach Christi Geburt, man berechne hiernach Sophers Alter.

4 In den Tagen der Almé Rusma.

5 Almé; eine Gelehrte.

6 Um den vergötterten Wohlthäter der Egyptier, ihren Nil immer bey Guten zu erhalten, und ihn zu bewegen, daß er seine fruchtbarmachende Ergießung ja nie versäumte, opferten ihm die alten Bewohner des Landes der Wunder jährlich eine Jungfrau. Die Abschaffung dieses barbarischen Gebrauchs unter der Regierung der Sarazenen, macht einen Theil des Inhalts von dem hier gedachten Mährchen aus. welches der Leser kennen lernen wird, wenn es der Almé gelingen sollte, das Buch des weisen Sophers zu Ende zu bringen.

7 Das Innere des Damenpallasts war jedem Manne verschlossen. Es war außerordentliche Gunst der egyptischen Schönen, wenn der Mann, der Sohn, der Bruder vom Hause, besonders zu der Zeit, wenn die Almé gegenwärtig war, Zutritt erhielt; denselben als ein Recht zu verlangen, würde die äußerste Unhöflichkeit und die kühnste Beleidigung der weiblichen Rechte gewesen seyn.

8 Wir, die weder die Pflicht, welche der weise Sopher seiner Tochter auflegte, noch das Gesetz der alexandrinischen Weisen zu beobachten haben, erlauben uns, die ersten Geschichten, welche Almé der egyptischen Dame erzählte, zu übergehn. Sie enthalten nichts als allbekannte egyptische Mythen, und das Mährchen von der Tochter des großen Sesorchis, oder Sesostris, wie er gemeiniglich genennt wird, ist das erste, in welchem wir allenfalls einiges Interesse für den Leser hoffen dürfen.

9 Von ihm in der Folge mehr.

10 Wer in diesem Tempel schlief, pflegte viel zu träumen, und natürlich immer das, was die Priester wollten.

11 Das Feuer.

12 It is religion to proceed.

13 Damals, so sagt unsre Urschrift, beschloß die Gottheit, sie zwar zu strafen, aber sie nicht ganz fallen zu lassen.

14 Viel von diesen Statuen soll noch in sehr späten Zeiten kenntlich gewesen seyn.

15 Sie soll dreyhundert Ellen in der Länge, eine in der Breite und Höhe betragen haben, und mit astrologischen Figuren deutungsvoll und kunstreich verziert gewesen seyn. Die Perser führten sie hinweg.

16 Die Alten, welche etwas von dieser, in einem Thebaischen Tempel gefundenen Inschrift gedenken, schreiben sie einem spätern Tnephachtus zu, welcher durch Unfall, bey einem langen Aufenthalt in der Wüste, zu den äußersten Bedürfnissen der Menschheit herabgebracht, solchergestalt den Urhebern des Luxus, dessen Andenken dem unglücklichen Könige sein Leiden so schwer machte, geflucht haben soll.

17 Mit Erlaubniß der klugen Almé: Nur bis an die Donau.

18 Dieser ängstliche Ausruf bezieht sich zu genau auf die hier erwähnte egyptische Fabel, als daß wir sie, so bekannt sie ist, ganz unberührt lassen könnten. Isis ward in der Gestalt einer alten Frau von der phönizischen Königin beherbergt. Sie machte sich selbst zur Wärterin des jungen Prinzen, den sie so ungemein liebte, daß sie ihm zur Unsterblichkeit verhelfen wollte. Sie ging damit sehr wunderlich zu Werke. Alle Nächte legte sie ihn in die glühende Asche des Feuerheerds, ihn solchergestalt zum Halbgott zu rösten. Die Königin kam einst hinter die bedenkliche Operation, entriß das Kind voll Entsetzen seiner Wohlthäterin, und brachte es auf diese Art um die Hälfte der ihm zugedachten Gabe.

19 Daher wahrscheinlich die Sage der Alten: Sesorchis habe, um sich zu retten, seine Kinder dem Feuer geopfert.

20 Etwas hiervon in einem alten Roman, Lamekis.

21 Des Gottes Phtah, oder des Feuers.

Zweyter Theil

[3]

Ich erfuhr des nächsten Tages mehr von der Geschichte der Prinzessin Zaide und des weisen Amur, ich lernte die Verbindung dieser unglücklichen Beyden richtiger schätzen, als ich es durch die Erzählungen der schwatzhaften Nephtis gekonnt haben würde; doch hiervon in der Folge. –

Die große Termuthis erhielt diesen Tag Besuch von der Mutter des weisen Amur, der stolzen Onestes, die ihr Geschlecht von einem Zweige der alten Pharaonen [3] herrechnete. Ich schlug das Buch des weisen Sophers auf, und erzählte, als ich aufgefordert ward, die Dame und ihre mitgebrachten Almés, meine Stiefschwestern zu unterhalten, was ihr auf folgenden Blättern lesen werdet.

[4][5][3]

König Remphis, oder das Labyrinth.

Oberhalb des Sees Möris, in der Landschaft Fejuma hatte sich Motherud ein Haus gebaut, welches fast zu schön war, in dieser wüsten Gegend zu stehen. Es waren die letzten Trümmern seines Glücks die er auf diesen Bau wandte. Anlage und Ausführung kosteten ihm, dem größten Architekten seiner Zeit, wenig oder nichts; so konnte ihm die Welt ja wohl verzeihen, daß er königlich wohnte, ob er gleich übrigens ein Bettler war.

Einen Bettler schalten ihn seine Nachbarn, ob er gleich seine Zuflucht noch nie zu der kalten Hand der Mildthätigkeit hatte nehmen dürfen. Seine Armuth war die Armuth des Weisen, welcher wenig bedarf,[4] und der selbst von diesem Wenigen immer noch etwas zu entbehren sucht. Ihm ward dieses leicht, aber seine Familie konnte die glücklichere Vergangenheit nie ganz vergessen, und verbarg man ihm die Thränen über das dürftige Heute, so flossen sie in der Stille desto heißer, desto reichlicher.

Mutter, sagte Thasus, der älteste von Motheruds Zwillingssöhnen in einer dieser thränenvollen Stunden, ich erinnere mich noch wohl der Zeit, da Sklaven uns bedienten, da köstlich besetzte Tafeln, wie durch Zauberwerk, auf jeder Stelle gedeckt standen, wo wir winkten, da dich köstlichen Wohlgeruch duftende Schleyer und uns königliche Gewänder von Gold und Seide umwehten. Jetzt wohnt in diesen Mauern mit uns der Hunger, und in diesem Gewande von groben blauen Linnen mag ich mich nicht mehr dem Spotte unsrer Nachbarn Preis geben. Als ich gestern ausging Wasser zu schöpfen, da nannten mich die Kinder eine nackende Schnecke, welche in einem bunten Marmorhause wohnte. Es war später Abend, doch war man mich [4] gewahr geworden. Ich glaube die dicksten Schatten der Mitternacht könnten mich nicht vor dem Schlangengezisch dieser Elenden schützen. O fänd ich einst am See meinen Tod unter den Zähnen eines der heiligen Thiere, und denn nebst ihm mein Grab unter den Gräbern der Könige, 1 rühmlich wär denn wenigstens mein Ende, da mein Leben so schimpflich ist.

Bruder, antwortete Thonis, der jüngste der Söhne des Baumeisters, verzage du nicht! Siehe, wir wachsen heran. Besseres Glück blüht in der Zukunft; mir ahndet, ich werde es genießen. Wüßte ich nur wo es zu suchen ist! – Mutter, du weißt mehr als wir, erzähle du uns wer wir sind, und was wir einst waren, damit ich sehe was wir wieder werden müssen, um glücklich zu seyn.

Butis hatte ähnliche Bitten ihrer Söhne zu oft unbefriedigt zurückgewiesen, sie [5] mußte zu sehr fürchten, daß diese Geheimnisse ihnen endlich von andern Lippen, zu ihrem Nachtheil möchten eröffnet werden, als daß sie nicht endlich des langen Weigerns hätte müde werden sollen.

Thasus und Thonis waren jetzt funfzehn Jahr, sie konnten, ihres Bedünkens, nun schon Anspruch auf die Kunde der geheimen Geschichte ihres Hauses machen, und dieselbe zu verschweigen wissen.

Schon war die Beantwortung der wichtigen Frage auf ihren Lippen, als Motherud, welcher das Gespräch belauscht hatte, herein trat.

Ich zürne nicht mit euch, sagte er, als er sahe wie alle vor ihm verstummten, ich zürne nicht, meine Söhne, über das, was ich aus eurem Munde vernahm. Eure Mutter möchte vielleicht eher meinen Unwillen verdienen, denn schon wollte sie sprechen, wo nur Schweigen ihr ziemt. Doch mir glückte es noch, ihrem Fehler zuvorzukommen. Was übrigens den Inhalt eurer Reden betrifft, so wisset: Zuweilen waltet ein geheimes Verhängniß über den Worten, [6] die uns in einer leidenschaftlichen Stunde entschlüpfen, und wir sprechen uns selbst unser Urtheil, so ists mit euch, und dem, was ihr sagtet. Der stolze und ungedultige Thasus wird leider sein Grab unter den Gräbern der Könige finden, die Götter wissen auf welche Weise. Der ruhige Thonis wird glücklichere Zeiten erwarten und genießen; daß ihn nur nicht die Liebe zu dem Bruder, den er so schön zu trösten wußte, in Fallstricke verlocke, aus welchen ihn nichts, als die äußerste Anstrengung seines schlauen Kopfes retten kann. Die schwatzhafte Butis hat gehandelt wie die Frau des Patriarchen, welche den Leuten von Sodom den Feuerregen verrieth, der morgen fallen sollte, und sie darüber zur Salzseule ward; die Götter verhüten ihr ein ähnliches Schicksal.

Die ertappten Dreye waren sehr bestürzt über die Strafrede des weisen Motherud, doch erholten sie sich, so wie seine Stirne die Zornfalten verlohr und heiterer ward, und vertraulich setzten sie sich um den Ausgesöhnten herum, als er Stillschweigen [7] winkte, und folgendermaßen anhub. Butis wollte sich entfernen, aber ihr ward zu bleiben geboten.


Meine Kinder, fing Motherud an, was eure Mutter euch von Dingen gesagt haben würde, welche zu wissen ihr nun wirklich alt genug seyd, das weiß ich nicht. Hört meine Geschichte, welche die Befriedigung eurer Neugier enthält, lieber aus meinem eigenen Munde, so könnt ihr wenigstens sicher seyn, daß man euch nichts verhelen, oder euch durch daraus gezogene falsche Lehren die Wahrheit vergiften wird.

Ich bin in den Gegenden von Elephantine geboren, und wenn ihr, meine Söhne, aus der Pracht, die uns ehemals umgab, überspannte Vorstellungen von eurer Herkunft schöpftet, so seyd ihr ganz irrig, denn wisset, euer Großvater war nichts als ein Baumeister von gemeinen Gaben, welcher mich zu der nämlichen Wissenschaft erziehen ließ, und den ich niemals an Glück und Talenten übertroffen haben würde, wenn nicht Unglück mich auf höhere Pfade geleitet hätte.

[8] Ich war in eurem Alter, als Zeiten über mein Vaterland kamen, von welchen noch die späte Nachwelt sagen wird. 2 Längst hatte Elephantine den Zorn des Himmels durch gehäufte Verschuldungen gereizt, und seine Strafen herbeygerufen, die nun endlich hereinbrachen. Hagel, Ueberschwemmung und Ungewitter hatten bereits unsere Gegenden zum Untergang vorbereitet. Die Mächte, welche die Luft und das Wasser beherrschen, sahen, daß sie alle Kräfte verschwendet hatten, uns aufzureiben, ohne daß wir noch ganz vernichtet waren, da boten sie ihre Brüder, die Geister der Erde und des Feuers auf, das Letzte an uns zu thun. Es bebete in ihren Innersten die Erde, und Flammen fuhren herauf zu verzehren was noch lebte. Man[9] würde heut zu Tage nicht mehr wissen, wo jene Gegenden lagen, hätte nicht die Macht, die alles regiert, dem Wüthen jener Dämonen Gränzen gesetzt.

Doch laßt mich von dem allgemeinen Schicksal auf mein besonderes zurückgehen, damit ich die Befriedigung eurer Neugier nicht zu lang verschiebe.

An einem Tage, da ich nebst zwanzig andern Jünglingen, die sich den bildenden Künsten gewidmet hatten, mit unserm Lehrer, nach einem der Tempel ging, wo wir gewohnt waren, unsere Lehrstunden zu halten, geschah das große Unglück davon ich euch oben gesagt habe. Die Erde verschlang auch uns, die Trümmern des stolzen Gebäudes, an welchen wir die Wunder der höhern Architektur lernen sollten, stürzten über uns zusammen, und bildeten uns ein Grab, welches nur von demjenigen, welches Thasus sich gewünscht hat, an Pracht und Größe übertroffen wird.

Ob einer von meinen Unglücksgefährten gerettet ward, weiß ich nicht; ich zweifle, [10] denn nie habe ich wieder etwas von ihnen vornommen. Mich schützte ein gestürzter Marmorbogen, welcher, wie absichtlich, ein Gewölbe über mir formirte, vor der Zerschmetterung und vorm Ersticken in der zusammengepreßten Luft. Nicht einmal das Bewußtseyn oder die Gegenwart des Geistes, verlohr ich bey dem jähen Sturz in die Tiefen der Erde, und, daß es mir auch nicht an Licht gebreche, mußte eine hangende Ampel sich, sonderbar genug, am Kranz einer Säule verwickelt haben, um ihre Flamme zu retten. Ich ließ es mein erstes seyn, Mittel zu suchen, wie ich sie erreichen, und, indem ich ihr eine bessere Stellung gab, und ihr mehr Nahrung aus dem Oelbehälter herauf pumpte, ihre verlöschende Flamme erhalten könnte. Es gelang mir sie zu retten, und meinem düstern Grabe in ihr einen tröstenden Schimmer zu sichern. Ich würde umgekommen seyn, hätte sich zu allen meinen Bedrängnissen auch noch Dunkelheit gesellt.

Diese Handlung, in welcher ich eigentlich nur mir selbst gedient hatte, sollte das [11] Mittel werden, mich höchst glücklich zu machen. Ich hatte lange, gewiß den Zeitraum von Morgen bis zu Mitternacht beym Schimmer meiner Gefährtin, der Lampe, auf einem eingestürzten Gesims gesessen, und mir mein ganzes Elend und die Nähe des schrecklichsten Todes, des Hungertodes gedacht, ohne ob diesen Gedanken ganz zu verzagen, als ein Licht, welches die Ampel zur Nacht machte, mich umleuchtete. Es ging von einer Strahlengestalt aus, welche ich nicht beschreiben kann, weil ich, so oft sie mir in der Folge erschien, doch stets die Augen vor ihrem blendenden Lichte niederschlagen mußte.

Ich danke dir, sagte sie, daß du mir in diesen düstern Regionen mein Reich erhieltest. Ich bin einer der Geister des Feuers. Mein Daseyn ist an jene heilige Flamme gebunden, mit ihr wäre es auf Jahrhunderte verloschen, und wer wüßte, ob alsdann noch eine wohlthätige Hand einen Funken aus der alten Nacht herausgeschlagen hätte, um mich wieder zu beleben. Du bist mein Retter, und ich will dir danken. [12] Fordre von mir, und es soll dir augenblicklich gewährt werden.

Herr, antwortete ich, ich würde dich bitten, mich aus dieser Gruft zum Anschauen der Sonne zurück zu bringen, wenn mir nicht mein inneres Gefühl sagte, ich könne höhere Wohlthaten von dir fordern. Unterweise du mich selbst, was ich bitten soll, und denn gewähre, wie du willst.

Das darf ich nicht, erwiederte der Geist, du mußt wählen; doch höre, was ich dir zur Wahl vorlege: Die Geister des Feuers sind die Mächte des Untergangs und der Zerstörung; willst du Gemeinschaft dieser Kräfte?

Hinweg mit diesen! Sie taugen nicht in die Hand eines Sterblichen!

Sie sind auch die Geister des Lebens und der Thätigkeit, willst du von diesem?

O ja! rege Thätigkeit ist die Seele des Lebens, gieb mir diese, und ich will dir danken.

So nimm sie mit allen ihr anhangenden Gebrechen! – Forderst du mehr, so wisse, [13] wir sind auch die Geister der Kunst und des Wissens; willst du von diesem?

O ja! ohne Kunst und Wissen ist Thätigkeit endloses Umherirren ohne Ziel.

Aber die Kanäle, durch welche Kunst und Wissen sich ergießen, sind zahllos, und kein menschlicher Geist kann sie alle fassen!

Gieb mir nur, was zu dem Endzweck dienet, den ich mir vorgesetzt habe, und ich bin zufrieden!

So nimm hin die Kunst und das Wissen, das du wähltest, mit seinem ganzen Gefolg von Leiden, die es nach sich zieht. Auch soll dir außer diesem nocheine Gabe gewährt seyn: Dreymahl in deinem Leben sollst du, wenn Stahl und Stein in deiner Hand sind, die Macht haben, die Funken, welche du daraus hervorrufst, – (jeder Funke, der dem Stein entspringt, ist ein Geist des Feuers, wie ich und meine Brüder) – sollst du Macht haben, sie zu deinen Dienern, zu Ausrichtern deiner Befehle zu machen.

Der Geist schied, um mich in den nächsten vier und zwanzig Stunden wieder zu [14] besuchen. Er that dies täglich, und sein Umgang weihte mich ein zu den tiefsten Geheimnissen meiner Kunst. Hier ward ich zu dem Manne gebildet, dessen Werke der Ewigkeit trotzen werden. Wenn die Nachwelt längst meinen Namen vergessen hat, so wird sie noch staunend bey meinen Pyramiden und Obelisken stehen, und fragen: ob dies Menschen oder Götterwerk sey?

Eine Frage, Vater, unterbrach Thasus hier den weisen Motherud; wie kam es, daß ihr unter allen Zweigen des Wissens keinen edlern wähltet? Warum eben die Baukunst? Als ein Weltweiser, als ein kriegserfahrner Held, hättet ihr die Hand nach Kronen ausstrecken können, da ihr nun euch höchstens bis zum Diener der Kronenträger habt aufschwingen können.

Vorwitziger! rief Motherud mit gefalteter Stirne. Deine Frage ist so kühn, wie die, mit welcher ich bald darauf meinen Lehrer aus der Geisterwelt auf ewig von mir entfernte; höre hievon die Geschichte, und lerne auch im Fragen bescheiden seyn.

[15] Des Geistes Herablassung machte mich vertraulich, und die Vermehrung meines Wissens kühn und stolz. Der Umfang aller Kenntnisse, Thasus, die mit der, von dir verachteten Kunst deines Vaters verwandt sind, ist nicht klein; ein Held und ein Weiser, besäß er sie, könnte stolz auf sie seyn, und sich vermittelst derselben, als der, der er ist, behaupten.

Geist, sagte ich eines Tages zu meinem Lehrer, mich dünkt, ich weiß nun alles worinne du mich unterweisen kannst, nur eins wird mir ein ewiges Räthsel bleiben, wenn du mir es nicht lösest. Vergönne mir einige Fragen: Waren die Geister deines Elements, warst auch du wider das unglückliche Elephantine mit im Bunde?

Ja! –

Seine Zerstörung, das Erdbeben, das Feuer, ist es auch dein Werk? –

Ja!

Warum nanntest du mich deinen Retter, warum wardst du mein Wohlthäter?

Weil du die Flamme erhieltst, an welcher mein Daseyn hing.

[16] Was wars, das diese Flamme zu zerstören drohte?

Der Einsturz dieses Gebäudes.

Wie? so stritten also himmlische Geister wider sich selbst, und die Wirkung ihrer Handlungen könnte Zerstörung ihres eigenen Wesens zur Folge haben? Welch ein Widerspruch! Ist Widerspruch Unvollkommenheit, wie kann er an Naturen haften, die du mir so weit über die Menschheit erhaben, so durchaus vollkommen geschildert hast?

Ich hatte noch nicht geendiget, ich war im Begriff, voll Stolz auf eigene Weisheit mich noch tiefer in Sophismen zu verirren, aber die zürnende Stimme des Geistes unterbrach mich.

Thörichter, donnerte sie, du unterwindest dich, deinen Lehrer mit Fragen zu verstricken? Die beste Antwort auf alles, was dir unbegreiflich ist, findest du in deiner eigenen Blindheit. Geh! geblendeter Maulwurf! tappe in den Tiefen der Erde nach dem Lichte, das du misbrauchtest, und das [17] dir nun in mir auf ewig verschwindet. Solltest du mich einst wieder sehen, so geschieht es in einer Stunde, da dein endliches Schicksal auf der Wage liegt, denke dann an heute, und hüte dich vor Vorwitz.

Ein Donnerschlag endete diese Rede. Ein Schlag, welcher das Gewölbe über mir zu zerreißen schien, ein Schlag ohne Blitz, denn dicke Dunkelheit umgab mich von diesem Augenblicke, das Gewölbe schien sich tiefer herabgesenkt zu haben, und benahm mir fast die Kraft zu athmen. Tausend Folgen meiner kläglichen Lage, die ich bisher gar nicht empfunden hatte, wurden mir mit jedem Augenblicke fühlbarer. Mit jedem Augenblicke trat mir der Tod in seiner fürchterlichsten Gestalt näher vor die Augen.

Gepeinigt vom Hunger und Durst, wovon ich im Umgange mit dem Geiste keine Spur wahrgenommen hatte, beängstigt von der Schwere der Luft, und von der dicken Nacht die mich umgab halb wahnsinnig gemacht, verlebte ich hier mehrere Tage. Ich rufte vergebens nach meinem elementarischen [18] Freunde. Vergebens bat ich um Verzeihung des Vergangenen. Vergebens machte ich die besten Apologien meiner unüberlegten Worte. Niemand hörte mich, niemand antwortete mir. Das Gewölbe senkte sich immer tiefer und tiefer. Der Tod umschwebte mich in tausendfachen Gestalten, ich starb unaufhörlich, ohne die Wohlthat des Nichtseyns zu gewinnen. Endlich riß ich mich in halber Verzweiflung empor.

Ist denn alles für mich verloren, weil ein Wesen aus der endlosen Wesenreihe mit mir zürnt? – schrie ich! Auf ihr Geister des Feuers, die ihr aus Stahl und Stein entspringt! auf wo ist euer Schutz, der mir versprochen ward, oder ward ich Unglücklicher auch hier von meinem treulosen Freunde getäuscht?

Die stählerne Schnalle meines Gürtels rief bey diesen Worten aus einem Steine, den der Zufall in meine tappenden Hände gespielt hatte, zwanzig Funken hervor, und zwanzig Lichtgestalten erfüllten den engen Raum, wo ich war, und drohten mich durch [19] ihr Feuer zu verzehren. Was willst du? umtönte mich ein vielfacher Donner.

Verschwindet, bis auf einen! rief ich mit geschloßnen Augen, die ich nicht eher wieder öffnete, bis eine einzelne Stimme mir sagte: meinem Befehle sey Folge geschehen.

Was forderst du von mir? donnerte die Stimme.

Ist das eine Frage? antwortete ich. – Rettung aus diesem Kerker!

Augenblicklich fuhr eine Flamme vor mir auf. Das Gewölbe spaltete sich. Ich sahe den Tag. Eine ungestüme Gewalt riß mich empor, und schleuderte mich so unsanft zu Boden, daß mir Leben und Besonnenheit entging, und ich gewiß eine Stunde auf völlige Erholung warten mußte.

Als ich zu mir selbst kam, sahe ich mich in der obern Luft, im Vorhofe des eingestürzten Tempels, auf einem Steine, der einen Abgrund bedeckte, aus welchem noch von Zeit zu Zeit Flammen hervorleckten.

[20] Ich sprang auf, und eilte in die mit Schutt und Trümmern bedeckten Straßen. Eine Menge Menschen – oder vielmehr Geistergestalten umringten mich. Wer ist der? – Woher kommt der? – krächzte ein Chor dumpfer kaum hörbarer Stimmen. Noch so munter, frisch und roth, hier wo Hunger und Elend alle Lebendige in Schatten verwandelt hat.

Ich sagte ihnen, ich sey von dem Erdbeben verschüttet worden, und habe mich eben jetzt erst wieder an den Tag heraufgefunden. –

O so haußtest du gewiß in einem unserer eingestürzten Vorrathshäuser, schrie einer der mich grimmig bey der Kehle packte. Gestehe es augenblicklich! Zeige uns augenblicklich den Ort wo du heraufstiegst, oder wir erwürgen dich!

Während die bleichen Grabgestalten auf meine Anweisung nach dem Steine eilten, auf welchem ich gelegen hatte, und sich quälten, ihn mit ohnmächtigen Händen von dem Abgrunde hinweg zu wälzen, den er bedeckte, zog mich ein Vorübergehender, [21] der mich kannte, den ich aber in seiner Leichengestalt nicht für einen meiner ehemaligen Freunde erkannt haben würde, auf die Seite.

Um der Götter willen, sagte er, verbirg dich! – So gestaltet wie du bist, wirst du den Abend nicht erleben.

Wie so? schrie ich voll Erstaunen.

Nicht so laut! antwortete er; selbst deine Stimme könnte deinen Tod beschleunigen. Wisse, hier wüthet der Hunger mit allen seinen Gräueln! – Zu den unnatürlichsten Speisen hat man schon seine Zuflucht neh men müssen. Wer bisher das Fleisch von Pferden und Hunden nicht verschmähte, der entschließt sich nun sehr leicht sich an den heiligen Thieren, selbst an den geweihten Katzen zu vergreifen, oder gar mit dem Fleisch seiner Brüder sein Leben zu fristen. – Doch welch eine Nahrung von diesen ekelhaften mit gelber Haut überzogenen Gerippen! Wer es vermag, der sucht bessere Kost! Junge Kinder vermißt man täglich in jedem Hause. Die mütterliche Sorgfalt, welche auch das Unmögliche möglich [22] zu machen weiß, nährt die armen Kleinen immer noch am besten, und so genährt sind sie dem Hunger ein leckerer Bissen. Ein frischer vollwangiger Jüngling, wie du, würde es noch mehr seyn. Eile, und rette dich in meinem Hause, dort hast du keine Gefahr!

Ob ich wirklich in dem Hause meines Freundes, der mich mit blinzenden Augen und lüsternen Blicken ansah, keine Gefahr gehabt haben würde, das weiß ich nicht. Mit andern verglichen sahe er noch immer zu wohlgenährt aus, als daß man ihn in dem Lande des Hungers ohne Verdacht hätte ansehn können. Ich war indessen schon im Begriff, vermittelst des Stahls und Steins Hülfe für mich und ihn, und die ganze unglückliche Stadt herbey zu holen, als wieder ein Trupp hohläugiger Gespenster vor uns vorüber kam und meinen Freund, ich konnte wohl denken, zu welchem Ende, mir von der Seite riß, ohne daß ich im Stande war ihn zu retten. Man wollte sich auch meiner bemächtigen, aber ich entkam, und suchte einen sichern Winkel, um ruhig Feuer schlagen, und meinen [23] Verfolgern mit Wohlthat lohnen zu können.

Ich schlug an mit aller Macht. Tausend Funken sprangen hervor, schon dachte ich, einem jeden von ihnen ein Geschäfte, zu Sättigung der Hungrigen, zu Erquickung der Verschmachtenden, zu Hebung der allgemeinen Noth zu geben; aber keiner ward zur Lichtgestalt, keine Stimme fragte: was willst du?

Ich besann mich, daß die Gabe, die Geister des Feuers hervor zu rufen, mir nur auf dreymal in meinem Leben bewilliget war, und daß vielleicht eine verborgene Macht über mir waltete, nicht zu verschwenderisch mit dieser Gabe zu seyn, wenn es nicht etwa dieses war, daß die elementarischen Wesen die Bürger von Elephantine zu sehr haßten, um ihnen eine übernatürliche Hülfe durch mich zu gönnen.

Dem sey wie ihm wolle, ich war hülflos in der Wohnung des Elends und blieb es; kein freundlicher Geist beliebte mich auf übernatürliche Art zu befreyen. Täglich [24] sahe ich Menschen vor meinen Augen vor Hunger umkommen, täglich andere, weniger bedenkliche, sich das Leben auf die schrecklichste Art fristen. Dem Morden der unschuldigen Kinder Einhalt zu thun, sahe ich zwey Bösewichter, welche von dieser Art Nahrung fett und stark geworden waren, zur Richtstatt schleppen. Sie wurden gehangen, aber nach zwey Stunden war keine Spur von ihren Leichnamen zu finden; der Pöbel hatte sich von ihnen ein fettes Mahl gemacht.

Für Geld ist alles zu haben, auf fast unbegreifliche Art hatten sich die Reichen noch eine Zeitlang, vermittelst ihres Goldes, mit natürlichen Speisen hingeholfen; nun war auch für sie kein Ausweg übrig, denn selbst diejenigen, welche niedrig genug dachten, irgend einen verhelten Vorrath, der ihr eignes Leben hätte erhalten können, um Geld hinzugeben, hatten nun nichts mehr zu verkaufen, als ihr eigenes ausgezehrtes Gerippe.

Der Fürst bot alle seine Schätze um eine einzige Mahlzeit. – Vergebens! – [25] Eine reiche Dame, eine der höchsten des Landes, bot vier Maas Edelgesteine für ein einziges Maas Gerste, das Leben des Kindes auf ihren Armen zu retten. – Niemand konnte ihr willfahren! Da warf sie die glänzenden Kostbarkeiten auf den Boden, und trat sie mit Füßen. Elende Kiesel! schrie sie – verdientet ihr die Mühe, mit der ihr gesammelt, die Sorgfalt, mit welcher ihr gehütet wurdet, da ihr mir keine Stunde verlängertes Daseyn für meinen Liebling erkaufen könnt?

Schon lange war ich unter den Verschmachtenden. Vor Ohnmacht, unter den Sterbenden, die die Straßen erfüllten, hingesunken, sah ich diese Scene. Sie brach mein Herz; meinem Auge entquollen die letzten Thränen. Ich sah die weinende Mutter noch einmal um Leben für ihren Liebling flehen; ich würde nach meinem Feuerzeuge gegriffen haben, um Funken für sie hervorzuschlagen, wenn ich diesen Versuch nicht zu oft vergebens gemacht hätte, um noch etwas von ihm zu hoffen, auch war ich jetzt so matt, daß ich keine Hand mehr zu regen [26] vermochte, und bald folgte völlige Bewußtlosigkeit. –

Was mich noch so lange erhalten hatte, was mich in der schrecklichen Epoche, die nun folgte, immer noch erhielt, das würde ich nicht wissen, wenn ich mich nicht jetzt erinnerte, daß unter den Gaben des Feuergeistes, die ich ihm abheischte, auch Leben undThätigkeit gewesen wäre. Der Nachdruck meiner Bitte ruhte damals nur auf der letzten Gabe, ich wußte nicht, wie bald mir eine stärkere Lebenskraft, als natürlicher Weise in mir wohnen mochte, nöthig seyn würde, um mich zu bessern Zeiten zu erhalten.

Ach diese bessern Zeiten waren noch fern. Dem Hunger folgte die Pest. Als ich mich aus meinem Schlummer, aus meinem langen Todesschlummer erholte, fand ich alles ausgestorben, alles um mich her mit modernden Leichen bedeckt und einige Leute beschäftigt, die Todten zu plündern. Es waren vorüberziehende Räuber, welche, hätten sie die Beschaffenheit der Sachen gewußt, sich in diesen vergifteten Gegenden nicht aufgehalten haben würden.

[27] Als die Reihe an mich kam, ihre Raubgier zu befriedigen, als sie menschenfreundlich genug, da sie Leben in mir spürten, sich des freuten, und mir einige Labung einflößten, da ließ ich es bey wiederkehrender Sprache mein erstes seyn, sie zu warnen.

Lasset alles unangerührt, sagte ich, der Hauch des Todes haftet an diesem Raube; aber unter dem Sande, am Auftritt jenes Pallasts werdet ihr Steine von unschätzbarem Werthe verstreut finden, die euch für das, was ihr zurücklasset, entschädigen können.

Sie suchten, und fanden die Kostbarkeiten, die ich von der Verzweifelnden ausstreuen sahe. Niemand hatte sie geachtet, niemand aufgelesen. Selbst der niedrigste Geizhals hatte in jenen Tagen Verachtung solcher Schätze lernen müssen. Die Räuber dankten mir für das was sie gefunden hatten, sie boten mir einige der kostbarsten Steine an, welche ich nicht ausschlug, und gingen in ihrer Dankbegier für Warnung und Wohlthat so weit, daß sie sich anboten, mich mit sich zu nehmen, und an jeden Ort zu bringen, den ich selbst wählen würde. [28] Ich nahm an, was sie mir anboten; ich wußte nicht, daß ich mich durch meine Einwilligung zu ihrem Sklaven verkaufte.

Räuber bleiben immer Räuber, und als bey diesen die Dankbegier verraucht war, und sie berechneten, daß sie ihre zu Elephantine erbeuteten Reichthümer, durch Verkauf meiner Person noch um ein ansehnliches vermehren könnten, so war der Entschluß, mir Fesseln anzulegen, unwiderruflich.

Ich war einfältig, oder ruhmredig genug gewesen, nichts von den Talenten, die ich aus der Schule des Feuergeistes mitgebracht hatte, zu verhelen, ob wohl ich die Art, wie ich zu denselben gekommen war, verschwieg. Ich glaubte meinen Werth, in den Augen dieser Leute, durch Kenntniß meiner Gaben zu erhöhen, und ich hatte Recht. Meine Person hatte in ihren Augen einen gar hohen Werth, und der Preis, den sie auf mich setzten, war unmäßig.

Ich ward in der nächsten großen Stadt zur Schau ausgestellt. Wer kauft, so [29] schrieen die Ausrufer in den Straßen, wer kauft einen Sklaven, der mit Jugend, Schönheit und Stärke verbindet. In der Meß- Bau-und Rechenkunst besteht seine vorzüglichste Geschicklichkeit. Er ist in den Regionen der Sterne so gut zu Hause, als in dem irdischen Naturreich. Er löst die verwickelsten Fragen der Philosophen, und alle Räthsel der heiligen Bilderschrift. Er versteht zu zeichnen und zu schreiben, er – –

Doch, meine Söhne, schenkt mir das Verzeichniß meiner Talente, das diese Leute so gut auswendig gelernt hatten, daß sie mein eigenes Gedächtniß übertrafen, und laßt mich zu den Folgen der lästigen Rolle übergehen, die ich hier spielen mußte, weil ich nicht klug genug gewesen war, in den Augen solcher Leute, die keinen Vorzug anders als nach Goldgewicht zu schätzen wußten, ein gemeiner Mensch bleiben zu wollen.

Die Summe, welche man für mich forderte, war zu groß; ich mußte täglich die Qual ausstehen, mich von Neugierigen begaffen und prüfen zu lassen, ohne daß einer mich kaufte, und mir dadurch wenigstens [30] Aenderung, wenn auch nicht Besserung meines Schicksals verschaffte.

Meine widerrechtlichen Herren mußten mich jeden Abend ohne Erfolg wieder in den Käfig schließen, den ich bewohnte, seit ich die Sklavenkette trug. Unwillig thaten sie es. Der gemeinste Bube, murreten sie, macht uns nicht so viel Mühe als dieser Taugenichts, den wir nicht an Mann bringen können, weil er mehr seyn will, als andre.

Ich gab meinen Räubern endlich den Einschlag, mich in der nächsten Stadt ohne Benennung meiner Talente, den Meistbietenden zu überlassen, und meine Schönheit und Jugend schloß in der That für sie einen bessern Kauf, als höhere Vollkommenheiten gekonnt hatten.

Sie schüttelten mir die Hand, als sie mich meinem neuen Herrn überließen, baten mich, ich möchte ihnen ihre Handlungsweise verzeihen, weil ich wohl wüßte, daß sie eben nur Räuber wären, und ließen mir meine Edelgesteine, vielleicht aus guten Willen, vielleicht aus Vergessenheit. Ich hatte [31] sie in meinen Gürtel vernäht, und baute auf sie die Hoffnung meiner Befreyung.

Da alles, was ein Leibeigener um und an sich hat, mit seiner Person, das Eigenthum seines Käufers wird, so hatte meine Loskaufung einige Schwierigkeiten. Ich mußte den Besitz meiner Diamanten verschweigen, ich mußte die Zeit abwarten bis ich in einer großen Stadt Gelegenheit fand, sie in Geld zu verwandeln, und Mittel ersann, meinen Herrn glauben zu machen, ich habe einen Freund gefunden, welcher gesonnen sey, das für mich zu thun, was ich selbst thun mußte.

Mittlerweile mußte ich mir gefallen lassen, meine Ketten fort zu tragen, und ich pries mich glücklich, daß es leichte Ketten waren. Mein Herr, ein junger, reicher und schöner Mann, den weder die Jahre, noch Unglücksfälle menschenfeindlich gemacht hatten, war allen seinen Sklaven ein Vater, und mich zeichnete er mit besonderer Liebe aus, weil er ein fühlendes Herz und Talente in mir fand. Ach ja, ich war abermals nicht klug genug, zu verbergen, [32] was in mir verborgen lag; sollte mich denn das Unglück nie witzigen?

Mein Herr hatte sich kürzlich mit einer jungen schönen Person verbunden, die er anbetete. Sie war in schönern Gegenden geboren, als die, in welche sie ihrem Gemahl folgen mußte; sie die Reize ihres Vaterlandes vergessen zu machen, wurde aller Zauber der Kunst aufgeboten, in einer Wüste ein Eden zu schaffen.

Anlagen zu Gärten und Palästen waren bereits gemacht, tausend Sklavenhände waren schon beschäftigt, mit zauberischer Geschwindigkeit auszuführen, was ein Baumeister, der kein Neuling in seiner Kunst seyn mochte, entworfen hatte. Mir ward die Aufsicht über den Bau aufgetragen; nur die Aufsicht; o daß ich hierbey geblieben wäre! auch dies würde mir schon, gut verwaltet, festere und daurendere Ketten angelegt haben, als ich wünschen konnte.

Ich weiß nicht, war es Liebe und Dankbarkeit gegen meinen guten Herrn, oder Trieb, meine noch ungebrauchte Kenntnisse [33] zu zeigen und Ruhmsucht, was mich bewog, alles, was ich von dem angefangenen Werke vorfand, als schlecht, gemein und untauglich, zum Untergange zu verdammen. Mein Herr, der mich bey allem, was er mich thun sahe, mit immer größerer Bewunderung beobachtete, war es zufrieden, daß ich alles schon gefertigte niederreißen und nach ganz neuen Planen umarbeiten ließ.

Es waren Wunder, die ich schuf, und da ich die arbeitenden Hände so wie ich wollte, aus den zahlreichen Sklaven meines Herrn vermehren konnte, so stand in kurzer Zeit ein Bau da, welcher alles übertraf, was man je in diesen Gegenden an Pracht und Schönheit gesehen hat.

Mein Herr und seine entzückte Gemahlin ließen sich herab, mir zu danken und mir eine freye Bitte zu erlauben. – Ich bat um meine Freyheit, und erhielt ein tiefes Stillschweigen zur Antwort.

Motherud, sagte mein Herr, vor einem Jahr möchte ich dir, was du bittest, sehr [34] leicht gewährt haben; noch kannte ich dich damals nicht wie ich dich jetzt kenne. Jetzt bist du mir um keinen Preis feil; doch soll dir die Aussicht auf Freyheit darum nicht verschlossen seyn. Hilf mir erst alle meine Paläste in dem Geschmack wie diesen verschönern. Laß meine Gärten bey Metelis nach neuen Planen umarbeiten. Der Kanal und die Wasserleitungen, die ich anlegen lasse, bedürfen gleichfalls deiner Aufsicht, und wenn du mir denn zuletzt, noch eine Begräbnißhöle, (ich fordere nichts außerordentliches, nur eine sechsseitige Pyramide von ganz gewöhnlicher Art,) gebaut hast, so sollst du unentgeldlich entlassen seyn, es müßte denn geschehen, daß dir in dieser Zeit das Haus deines Herrn lieb genug geworden wäre, um es nie verlassen zu wollen.

Es hätte geschehen können, was mein Herr sagte. Die Vollendung all dieser Werke erforderte mehr als ein halbes Menschenalter; nach so viel verflossenen Jahren möchte mir wohl die Lust zu wandern, und mein Glück anders wo zu suchen, ziemlich vergangen, möchte mir wohl Ruhe das [35] Liebste geworden seyn. Ich war in Verzweiflung über eine Zukunft wie diese. Ich arbeitete, und schuf Wunder, aber meine Fesseln drückten mich mit doppelter Schwere; ich dachte zu vergehen.

Ich lag meinem Herrn unablässig an, mir nur eine Summe zu nennen, welche ich ihm bieten dürfte; er machte mir endlich eine namhaft, und so groß die Forderung auch war, so dachte ich sie doch mit einem einzigen meiner Edelgesteine zu befriedigen. Meine Anstalten waren gemacht, wie dieses ohne Verdacht und Gefahr geschehen könnte, und ich eilte nach meinem, noch immer im Gürtel verwahrten Schatze, meinen Befreyer zu holen.

Ich fand den Kasten in welchen ich ihn verwahrte, unglaublich schwer, und den Gürtel, das Behältniß meiner Juwelen, angeschwollen und ausgedehnt, wie das Gewand eines Wassersüchtigen. Ich erstaunte und fing an, die Näthe aus einander zu trennen. Gleich die erste Oeffnung die ich gewann, machte mir mehr Kostbarkeiten entgegenstürzen, als ich je hier verwahrt [36] hatte. Die Edelsteine quollen unter meinen Händen, ich maß, als ich das ganze Behältniß geleert hatte, vier Maas, und sahe wohl, daß jetzt der ganze Schatz in meiner Gewalt war, den ich jene Verzweifelnde zu Elephantine hatte ausstreuen sehen.

Wie das zugehen konnte, wußte ich nicht. In der Bestürzung, in welcher ich war, in dem Entzücken, hier nicht allein die Möglichkeit meiner Freyheit, nein, auch einen königlichen Reichthum, mich in derselben fröhlich zu erhalten, vor mir zu sehen, ergriff ich drey der kostbarsten Juwelen, und eilte, sie meinem Herrn zu bringen. Es freute mich, ihm mehr geben zu können, als er gefordert hatte, und ihm in den Ueberschuß, noch ein Merkmal meiner Dankbarkeit, für Liebe und Schonung zu liefern.

O! rief er, als er meine Schätze in seinen Händen blinken sah, ich merke, der Freund, welcher um deine Freyheit wirbt, weiß deinen Werth zu schätzen, aber er soll nicht sagen, daß ich hinter ihm zurückstehe, [37] er biete mir noch einmal so viel, als er mir hier darlegt, und Motherud ist mir dafür nicht feil; ein Diener, wie du, sollte um Königreiche nicht hingegeben werden.

Ich weiß nicht, ob mein Herr aus Liebe, oder aus Spott also redete, weiß nicht, ob ihn Geiz, oder Begierde, sich nie von mir zu trennen, zu den unmäßigen Forderungen bewog, welche er so wie sie befriedigt wurden, allemal verdoppelte, bis daß ich endlich wirklich ihm alles hingab, und vier Maas Edelgesteine in seinen Schoos maß. Auch durch diese würde ich meine Fesseln noch nicht gebrochen haben, hätte ich nicht die Gerechtigkeit zu Hülfe genommen, und durch ganz besondere Vorkehrungen verhindert, daß er mich nicht abermals täuschen konnte.

So schied ich also aus dem Hause eines Herrn, der mir die Schätzung meines Werths auf eine so widrige Art bezeugte, und mich seine Liebe so theuer bezahlen ließ. Ich schied frey, aber ganz arm nach meinem Bedünken. Daß sich in einer Falte meines Gürtels, noch ein Edelgestein verkrochen [38] hatte, welcher allenfalls hinlänglich gewesen seyn möchte, mich zeitlebens vor Mangel zu schützen, dies ward ich erst zu einer Zeit gewahr, da es mir fast erging, wie der Dame zu Elephantine, da ich alle Schätze der Welt um einen einzigen Trunk Wasser hingegeben haben würde.

Ich war auf der Reise nach Nubien, wo ich Anverwandte hatte, auf deren Milde ich glaubte rechnen zu können. Mit einem einzigen Gefährten durchwanderte ich die wüsten Gebirge, welche dieses Land von Egypten trennen. Wir schmachteten vor Durst, und behalfen uns spärlich, von einem Tage zum andern, mit den wenigen Tropfen Wasser, die wir zuweilen in den Felsenritzen antrafen, und mit dem Saft der Balsammelonen, welche hier und da wild wuchsen. Hier war es, wo ich meinen Reichthum zuerst entdeckte, und ihn so herzlich verachtete, als seine erste Eigenthümerin. gethan hatte. Nein, sagte ich zu mir selbst, die vier Maas Juwelen, die ich in Isiphs Schoos schüttete, reuen mich nicht, wie könnte ich meine Freyheit um einen [39] Preis zu theuer erkauft haben, den ich in dieser Minute für das gemeinste Erdengut, das in glücklichen Gegenden keinem Sklaven fehlt, zahlen würde!

Mein Gefährte, ein gemeiner Araber, behielt bey unsern Bedrängnissen einen bessern Muth als ich, und hatte oftmals Launen, die er nach seiner Art lustig nannte.

Freund, sagte er eines Tags zu mir, als wir im Schatten eines Berges saßen und in die brennende Sandflächen hinausschaueten, welche wir noch bis zu Untergang der Sonne zu durchwandern hatten; Freund, mich dünkt, dir geht es nach Art der Kameele, welche sich bey ihren Wanderungen durch die Wüste in sich selbst einem Vorrath von Labsal sammeln, der sie und ihre Reisegefährten nicht verschmachten läßt, gieb mir von dem was du bey dir hast, damit auch ich mich erquicke!

Schon wollte ich fragen, wie er das verstehe, als sein Lachen und ein Blick auf die Binde die mich umschloß mir seine Meynung verrieth. Mit Erstaunen nahm ich wahr, daß meine sonst von Natur schlanke[40] Gestalt einen Umfang hatte, der seinen plumpen Einfall rechtfertigte. Fast errieth ich die Ursach meines wunderbaren Anschwellens. Ich riß die Binde ab, riß auf meine Kleider, schnallte den ledernen Gürtel ab, den ich verborgen trug, öffnete ihn, und der nehmliche Glanz strahlte mir in die Augen, den ich erblickte, als ich dem habsüchtigen Isiph mit dem Werth eines einzigen Edelsteins meiner Freyheit abkaufen wollte.

Das Glück, welches immer meiner mit seinen schimmernden Gaben spottete, hatte mich wirklich wieder zum Besitzer von einem Schatze gemacht, der vielleicht hinlänglich gewesen wäre, ein Königreich zu erkaufen, nur nicht den Tropfen Wasser, nach welchem unsere ausgetrockneten Lippen schmachteten.

Verwünschter Tand! schrie ich, indem ich den Gürtel unwillig von mir schleuderte, daß sein Inhalt weit im Sande umher verstreut lag. Ich bins müde länger durch dich gehöhnt zu werden; zu oft erfuhr ich die Ohnmacht des Reichthums, um hierüber noch eine Lehre zu bedürfen.

[41] Mein Gefährte erstaunte über den funkelnden Regen von Edelsteinen, den ich um mich her goß. Arm und habsüchtig wie er war, gab er sich einige Mühe, die Gegenstände meiner bittern Verachtung im Sande zusammen zu lesen. Bald aber warf auch er sie hin. Es sind aber nur Kiesel, sagte er, indem er die letzten mit traurig gesenktem Blick langsam aus der Hand fallen ließ. Sie erhalten ihren Werth nur von dem Wahne solcher Menschen, die nie gleich uns erfahren haben, was wahre Bedürfnisse sind.

Ach die dringendste Noth sollten wir nun erst erfahren; da bald darauf uns aller Vorrath von Wasser ausging, da drey Tage lang uns kein Tropfen Labsal in Felsenritzen, kein stärkender Saft der 3 Abdallawi, uns Lebensfristung brachte, so sahen [42] wir den Tod ganz nahe vor Augen. Mein munterer Gefährte, dem in den letzten Tagen alle Lustigkeit vergangen war, legte sich hinter einen großen schattenden Stein nieder, reichte mir noch einmal mit gebrochenem Blicke die Hand, und schloß seine Augen zu ewigem Schlummer.

Ich dachte mit ihm zu sterben, auch weiß ich nicht wie bald ich in völliger Bewußtlosigkeit an seine Seite gesunken bin, und wie lang ich daselbst dem Tode entgegengeschlummert habe. So viel ist gewiß, nichts als eine übernatürliche Kraft, wahrscheinlich noch eine Folge der Begabung des Feuergeistes, konnte tief in meinem Innern den Lebensfunken so lang erhalten bis Hülfe von außen kam.

Eine Karavane zog vorüber. Sie hielt auf der Stelle, wo der Leichnam meines unglücklichen Gefährten bereits moderte. Man fand ihn, man fand auch mich, und da man an mir noch einen leisen Herzensschlag merkte, so war man menschlich genug mich zum Leben zu wecken und zu laben.

[43] Wir waren dem Ausgange dieser schrecklichen Wüsten ganz nahe. Meine Retter ließen sich gefallen mich mit sich zu nehmen, und ich hieß sie zur Dankbarkeit das auflesen, was ich im Sande verstreuet hatte, einen Schatz, der sie alle reich und mich nicht arm machte. Sie waren Kaufleute und hatten mit ihren Juwelen, die sie an einen großen Herrn in Nubien verkauften, bald sehr glückliche Geschäfte gemacht, ich aber fand vermittelst eines einzigen der wunderbaren Steine der in meinem Gürtel zurückgeblieben war, sehr bald wieder den ganzen Schatz beysammen, wie ich ihn ausgegeben hatte, der mich in den Stand setzte, die Rolle eines reichen Mannes zu spielen. –

Doch diese Rolle war kurz. Nicht sobald hatte ich meinen letzten Juwel hinweggegeben, so ging mir es, wie es vor mir den nubischen Fürsten, der diesen Schatz von der Karavane gekauft hatte, gegangen seyn mochte, und zwanzigmal in meinem Leben mußte ich erfahren, daß mein wandernder Schatz, sich so unvermuthet von mir, als zu mir verstahl, ich mußte es wundersam [44] anfangen, wenn ich nur einigen Genuß von ihm haben wollte; oft ein einziger Stein, den ich von diesen bezauberten Juwelen hinweg gab, machte Fremde zu Eigenern des Ganzen, und meistens fand ich den andern Morgen, nach einer solchen Ausgabe meinen ganzen Kasten leer. Tausendmal dachte ich an die Worte der Elephantinischen Dame:Verwünschter Reichthum! mit Unruh gesammelt, mit Sorge gehütet, und ohne Nutzen in der Stunde dringender Noth! – O sie mochte wohl so gut wissen als ich nun es wußte, welch ein unzuverlässiges Gut sie von sich warf!

Ich ward dieser Ebbe und Fluth herzlich müde; was sollte ich mit Schätzen, die ich nicht brauchen, nur hüten durfte, wenn ich sie nicht verlieren wollte? – War es vielleicht eine Anlehrung zum Geiz, die mir ein böser Geist in dieser gefährlichen Gabe geben wollte? Sollte ich vielleicht lernen, gleich dem hagern Greif, bey für mich ungeniesbaren Schätzen zu wachen?

Mir war es hinfort einerley, ob jener wandernde Reichthum bey mir oder andern [45] Ruhetag hielt, oft wußte ich es kaum. Einen bessern Schatz besaß ich in meinen Talenten, und sie ermangelten nicht, mich reich und berühmt zu machen.

Es ist lang, meine Söhne, daß ich gelebt habe; ich zähle bereits viel Jahre. Euch alle Begebenheiten derselben mit der Umständlichkeit zu erzählen, wie ich begann, würde wider meinen Zweck seyn, laßt mich auf die letzte und wichtigste Epoche meines Lebens kommen.

Der Werke meiner Hand, der Tempel, der Prachtgebäude, der Obelisken, und der Begräbnißhölen, die durch mich entstanden, waren eine große Zahl. Sie waren aller Welt ein Wunder, sie waren es oft mir selbst; ich fühlte es wohl, daß es noch immer eine übernatürliche Kraft war, die durch mich wirkte.

Mein Ruf kam vor den damaligen König von Egypten, den großen Remphis; ich weiß eigentlich nicht, wodurch er den Beynamen Groß verdient; die Welt weiß nichts von seinen Thaten zu sagen, als daß er große Reichthümer sammelte, und sie [46] noch bis auf diesen Tag wohl zu bewahren weiß.

Seinen Götzen einen Tempel, seinen Schätzen eine Wohnung und sich und seinem Hause auf der nehmlichen Stelle, wo sein Alles ruhen sollte, ein Grab zu bauen, ließ König Remphis mich rufen. Die Bedingungen, die er mir machte, waren nicht glänzend, aber ich baute für den Ruhm, und seine Vorschläge wurden bewilligt. Als König Remphis fand, daß ich so leicht zu behandeln war, (o unglaublich ists zu sagen!) dingte er, und dingte wieder, bis es endlich gar dahin kam, daß ich nicht allein für Arbeit und Mühe nichts erhalten, sondern für die Ehre, das größte Wundergebäude meiner Zeit errichtet zu haben, ihm noch eine beliebige Summe zahlen sollte.

Ich verachtete den niedrigen Geizhals von ganzen Herzen, aber ich willigte in alle seine Bedingungen, und da ich eben damals zufälliger Weise meinen wandernden Schatz ganz beysammen hatte, so versprach ich ihm, um mir eine Lust mit ihm zu machen, vier Maas Edelgesteine zu geben, und bedingte [47] mir dabey nichts aus, als neben die Thür des Gebäudes einen Stein mit dem Namen Motherud setzen zu dürfen.

Alles ward bewilligt, nur wünschte der vorsichtige König, ehe der Contract rechtskräftig gemacht wurde, den Schatz, mit welchem ich die Ehre sein Diener zu seyn bezahlen wollte, um Betrug zu vermeiden, zu sehen.

Er sah, und erstaunte. – Er beugte sich tiefer vor mir, als ich mich je vor einem Könige, als ich mich selbst vor dem Geiste des Feuers gebeugt habe. Die Geizigen beten überall an, wo sie die Gegenwart ihres Götzen spüren.

Das ganze Land begann von dem wundersamen Contract zu reden, den König Remphis mit dem Baumeister Motherud geschlossen hatte, und mir machte dieses Freude. Um die Bewunderung, das Erstaunen, mit welchen man aus weiter Ferne kam mich zu sehen, auf den höchsten Gipfel zu bringen, beschloß ich etwas ganz außerordentliches zu leisten, und ich leistete, wovon noch die späte Nachwelt sagen wird; ich baute das Labyrinth.

[48] Kenntet ihr dieses Gebäude, meine Kinder; kenntet ihr es so von Innen; wie ihr es von außen gesehen habt, wüßtet ihr es mit dem Auge des Kunstkenners zu beurtheilen, ihr würdet sagen, was damals die ganze Welt sagte: Keine menschlichen, nein Geisterhände haben diesen übernatürlichen Bau 4 errichtet, und ich, der ich euch [49] nichts verhele, würde antworten: Ihr habt recht.

[50] Nein, meine Söhne, ein so großer Künstler euer Vater ist, bis an diese Vollkommenheit würde er ohne übernatürliche Hülfe nicht gereicht haben. Plan und Anlage ist mein Werk, aber die Ausführung, die blitzschnelle übervollkommene Ausführung? o ihr elementarischen Geister! wer eure Hand hier verkennen wollte, verblendet müßte er seyn, und unwerth der Ehre, von einer Seite so nahe an eure Wesen zu gränzen.

In einer Nacht, (und manche schlaflose Nächte kostete mich dieser Wunderpallast,) [51] in einer Nacht saß ich auf einem Stein mitten in dem begonnenen Werke. Ich dachte die Anlage, dachte die Ausführung, dachte die Zahl der Jahre, welche sie bedurfte und mein kurzes abnehmendes Leben, dachte mir den herznagenden Gram, bey meinem Tode, mein Lieblingswerk, den Tempel meines Ruhms, Händen überlassen zu müssen, die nicht zu endigen wußten, was ich angefangen hatte, und hingegen die Freude, heute oder morgen schon des vollendeten Werks in all seiner Vollkommenheit zu genießen. Mir vergingen die Gedanken ob den Vorstellungen, die sich in mir viel labyrinthischer durchkreuzten, als die Irrgänge, zu welchen ich die Anlage gemacht hatte, und an welchen man schon ein Jahr arbeitete, ohne daß der Fortgang merklich war. Nur ein Gedanke, nur eine Vorstellung blieb mir am Ende, nachdem alle andere durch ihre Menge und Mannichfaltigkeit einander vernichtet hatten, die Vorstellung: es sey möglich, heute oder morgen zu endigen, was man sonst vielleicht, nach einem halben Jahrhundert ungeendigt liegen lassen würde, möglich, durch Geisterhülfe!

[52] Schnell ward dieser Gedanke in mir zu Handlung und That.

Wenn mein Gesicht in dem verschütteten Tempel zu Elephantine kein Traum war, rief ich, indem ich mich feyerlich erhub, und mein Feuerzeug ergriff, wenn aus diesem Stahl, und aus diesem Steine wirklich einst lebendige Funken entsprangen, wenn ich heute glücklicher bin, als da ich in meiner Vaterstadt, vermittelst dieser Werkzeuge um Brod, in der Nubischen Wüste um Wasser bat, so erscheint, Geister des Feuers! erscheint! und hört die Aufträge eures Gebieters!

Der Wiederhall gab in dem aufgemauerten Grunde meine Stimme tausendfach zurück, der Stahl berührte den Stein, im Grunde pickte es nach, doch keine Funke entsprang. – Ich faßte Muth; noch einen Schlag, und, wie ein Bienenschwarm flogen die Funken um mich her, es leuchtete um mich von den aufsteigenden Sternen, doch noch heller wards, als jeder derselben sich in eine Lichtgestalt verwandelte, und ein flammender Kreis mich umringte, dessen [53] Glanz kein sterbliches Auge ertragen konnte. Ich schloß die Meinigen, und aus Furcht, das Donnernde: Was willst du? aus dem Munde meiner Diener, möchte auch meinem Gehör Gefahr drohen, kam ich der Frage zuvor.

Nicht ohne Ursach, rief ich euch! sprach ich, mit möglichster Festigkeit der Stimme. Vollendet diesen Bau, den ich nach Planen, welche ich von euch erlernte, angefangen habe! Vollendet ihn auf das vollkommenste, und mit einer Schnelligkeit, welche den Wirkungen eures Elements gleich ist!

Ich säumte nicht, mich nach dem was ich gesagt hatte, zu entfernen. Mir war nicht ganz wohl, in so glänzender Gesellschaft. Ich eilte nach einem Hause, das ich eine Viertelstunde von da, um dem Bau immer nahe zu seyn, bewohnte. Ich sah aus den Fenstern nach dem Orte, den ich eben verlassen hatte, und er schien im vollen Feuer zu stehen. Flammen wütheten, und durchkreuzten einander. Ich zitterte, meine Sklaven, die nicht ganz willig mir zu dienen schienen, möchten mich falsch [54] verstanden haben, oder aus Bosheit vernichten, was ich ihnen zu vollenden befahl. Von den Thürmen der benachbarten Stadt, hatte man das nehmliche Schauspiel. Man bedauerte mit heimlicher neidischer Schadenfreude, mein Werk so kläglich geendigt zu sehen, und König Remphis schwur, der Baumeister Motherud müßte ihm, außer den vier Maas Edelgesteinen, über welche man einig geworden sey, noch einmal so viel liefern, um ihm Schreck, vergebliche Hoffnung, verlorne Zeit, und Schaden und Baumaterialien zu ersetzen.

Gegen den Morgen verglommen die Gluten, ich sah aus meinen Fenster, das ich nicht verlassen hatte, Dinge, die mich entzückten, und flog, mich in der Nähe noch besser von meinem Glücke zu überzeugen.

O Himmel! ich sah meinen Bau vollendet, vollendet mit einer Vollkommenheit, die nie ein sterblicher Künstler hätte erreichen können! Von den Thürmen zu Meroe sahen sie nichts als einen röthlichen Schimmer, den sie für das letzte Verglimmen der [55] Glut hielten, der aber nichts war, als ein Wiederschein Aurorens, die sich in den vergoldeten Dächern meines Wunder-Pallastes spiegelte.

Berauscht von Entzücken durchdrang ich bereits das Innere des Geisterwerks, welches alles, welches sogar meine eigene Idee von demselben übertraf. Ich irrte von Sälen zu Sälen, von Tempeln zu Tempeln, und konnte kein Ende finden. Eine unsichtbare Hand leitete mich, wo jeder andere sich verirret haben würde, und ein Licht umleuchtete mich, dessen Ursprung ich nicht finden konnte, da die meisten der innern Säle und Gallerien ohne Fenster gebauet waren, und es auch, der wundervollen Anlage nach, die alles unter einem Dache vereinigte, nicht wohl anders seyn konnte.

Ob ich einen Tag, oder mehrere mit der ersten Durchwanderung meines Wunderbaues zubrachte, weiß ich nicht, genug die Leute von Meroe, nebst ihrem Könige, fanden mich noch daselbst. Ich befand mich oben, auf einem der obersten Dächer, [56] und sah sie kommen, sah ihr Erstaunen über das, was sie erblickten.

Freude hätte ich erwarten können, aber es äußerte sich nichts davon in ihren Geberden. Ich stieg hinab, das weitere zu vernehmen.

Baumeister Motherud, sagte der König, der mich mit kalter Höflichkeit empfing, und sich mit eben dieser steifen Kälte von mir durch alle die Wunder des Pallasts, den ich gebaut hatte, leiten ließ, Baumeister Motherud, ich bin mit dir zufrieden. Du hast alles geleistet, wie du versprochen hast, selbst dein Name aus dem Steine an der Thür durfte nicht fehlen. Du hast nun nichts weiter zu thun, als mir die vier Maas Edelgesteine auszuliefern, über die wir für die Ehre dieses Baues einig geworden sind.

Ich erstaunte ob diesen Worten, und konnte nicht aufhören zu erstaunen. Die Wunder meines Labyrinths hatten mich nicht so außer mich selbst versetzt, als die Wunder dieses verwahrlosten Herzens.

[57] Keine Freude, keinen Dank, kaum einen Zug der Bewunderung des größten aller Werke, nun auch noch Wiederholung einer Forderung, deren Niederträchtigkeit und Unsinn in einem Augenblicke, wie diesem in einem ganz besondern Lichte erschien.

König Remphis schien mein Schweigen anders auszulegen, als es gemeynt war, um ihm die schimpfliche Wiederholung seiner Worte zu ersparen, schnallte ich lächelnd meinen ledernen Gürtel ab, ließ mir ein Maas bringen, und maß, um allen Verdacht der Uebervortheilung zu vermeiden, meinem seltsamen Gläubiger das seinige zu, doch vergaß ich nicht, den Edelgestein, welcher sich so gern in den Falten meines Gürtels verbarg, zurück zu behalten; es hatte dieses seine besondern Ursachen.

Langsam strich Remphis ein, was ich geliefert hatte, und verwahrte es selbst in einer der eisernen Truhen, dergleichen ich, da ich die Bestimmung des Orts wußte, nicht ermangelt hatte, überall anbringen zu lassen.

[58] Bist du zufrieden mit der Ehre, fragte er, daß die Schuld, die du mir eben gezahlt hast, den Anfang der Schätze mache, die nun bald hier verwahrt werden sollen?

Ich legte die Hand an die Stirne; sie, wie es die Hofsitte mit sich gebracht hätte, zum Zeichen der frohen Bejahung, aufs Herz zu legen, hätte ich nicht vermocht.

Gut, sagte der König, der mir diesen Fehler übersah, so sind wir quitt, und all ihr Anwesenden, seyd des Zeugen. Wisse indessen, Motherud, ich bin dir für Vollendung dieses Werks noch einen Lohn schuldig, den Lohn, welchen alle Zauberer verdienen. Nicht anders als durch Zauberey, konntest du in einer Nacht fertigen, was die Hände von hunderttausend Sklaven in einem Menschenleben nicht hätten endigen können; so empfange denn, was deine Thaten werth sind, und ihr, ihr Diener meiner Gerechtigkeit, ergreift ihn, und stürzt ihn hinab von dem Giebel über der großen Pforte, damit sein Blut den Stein entsündige, der durch den Namen des Verbrechers entweiht ward.

[59] Mir vergingen die Gedanken ob diesen entsetzlichen Worten; war es möglich zu denken, daß die Undankbarkeit diesen Gipfel erreichen könne?

Man ergriff mich, man schleppte mich fort, nach dem höchsten Umgange des Vordergebäudes, ich war außer Stande mich zu wehren, und schon sah ich die ungeheure Tiefe unter mir, ehe ich noch wußte, wie mir geschehen sey. Mir schaute nach König Remphis und alle seine Großen, sie ergötzten sich an dem Spiel der Winde mit meinen Kleidern, und den seltsamen Wendungen meines halb entseelten Körpers im Herabsinken.

Jeder fallende Körper sinkt, so wie er sich der Erde nähert, mit verdoppelter Geschwindigkeit; bey mir zeigte sich das Gegentheil. Die erste Hälfte der Höhe mochte ich wohl nach den gewöhnlichen Gesetzen der Schwere zurückgelegt haben, bey der zweyten verminderte sich der jähe Sturz, von Augenblick zu Augenblick. Ich sank nicht mehr, ich ward von den Lüften getragen. Mir kam die Besonnenheit wieder, [60] ich sah verwundernd um mich her; unter mir war noch ein mäßiger Sprung von etwa zwanzig Ellen; ich fuhr gemachsam herab, kam auf meine Füße zu stehen, sahe auf nach den Zuschauern meiner Niederfahrt, machte ihnen eine höhnische Verbeugung, und ging ruhig von dannen.

Guter, wohlthätiger Geist des Feuers! rief ich, als ich in meinem Hause angelangt war, dir bin ich alles schuldig, Glück, Menschenkenntniß und Leben! Soll ich versuchen durch Stahl und Stein Dich hervorzurufen, damit ich dir persönlich danke? O wie dringt mich mein Herz, dieses zu thun!

Bedenke, rufte eine Stimme dicht neben mir, daß dir nur noch einmal erlaubt ist, die Geister des Feuers zu rufen, und sey sorgsam, daß dieses zu Geschäften geschehe, die ihrer und deiner würdig sind, solltest du hier fehlen, so hast du gefehlt auf immer.

Ein heller leuchtender Funken, schwebte mit dem letzten Laut dieser Worte über mir hin zum offenen Fenster hinaus. Ich folgte ihm mit den Augen so lang ich konnte, er [61] schien sich unter den Sternen zu verlieren, die eben einzeln am dämmernden Himmel heraufgingen.

Als ich wieder mit mir selbst allein war, so kamen, ich kann es nicht läugnen, Gedanken der Rache in meine Seele, doch ein besseres Selbst, daß ich in mir fühlte, verwies mich auf die Rache des Weisen, auf das edle Bestreben, einen Feind zur Erkenntniß seines Unrechts, zur Tugend zurück zu bringen.

Ich wollte keine Zeit versäumen, ein so großes Werk zu beginnen, ich machte mich auf gen Meroe, und der Abend fand mich unter König Remphis Gästen. Ich hatte mir nach meinen eigenen Gefühlen die Art gedacht, wie man mich empfangen würde, und die rührendsten Gegenreden auf das, was man mir sagen konnte, waren auf meiner Zunge.

Man erstaunte ein wenig, mich in diesem Kreise zu sehen, aber die Worte, die man mir gönnte, waren unter aller Erwiederung; was ließ sich auf Entschuldigungen [62] sagen, welche ohngefähr darauf hinaus kamen: ich möchte es nicht ungeneigt vermerken, daß man mich vom Giebel des Hauses gestürzt habe.

Ich fehlte von diesem Abend an selten an König Remphis Tafel und bey allen seinen Festen. Ich versuchte alles, ihn zum Gefühl der Tugend und seines Unrechts zu bringen, aber alle Wege zu den ganz versunkenen Herzen dieses Königs und seiner Diener waren verschlossen; es ließ sich kein Wort von Kraft und Nachdruck mit ihnen reden, ich kam endlich nicht mehr nach Hofe, und konnte mir in der Einsamkeit das Vergnügen nicht versagen, die einzige Rache an dem elendesten aller Könige zu üben, welche zu fühlen er fähig war.

Das Mittel dazu war in meinen Händen. Ich hatte meinen wandernden Edelgesteinen, die jetzt die Ehre hatten, den Grund von König Remphis großen Schatzbehälter auszumachen, endlich durch lange Uebung die Gesetze abgelernt, nach welchen sie kamen, und verschwanden, und ihr [63] werdet vielleicht errathen, auf was für Art ich dieses wunderbare Kommen und Verschwinden zur Quaal meines Feindes nützte.

Es war vielleicht eine Lust, die meiner unwürdig war, den Geizigen in beständiger Unruhe, wegen seiner liebsten Schätze zu erhalten, aber ich läugne nicht, daß ich eine unnennbare Genugthuung in derselben fand.

Jetzt ging er, seine Augen an den glänzenden Kleinodien zu weiden, und er fand alle Behälter geleert. Er wüthete, und mancher seiner Großen, denen eine Vergeltung des an mir verübten Unrechts wohl zu gönnen war, kam in Gefahr, in solchen Anfällen den Kopf oder die rechte Hand als Räuber des königlichen Schatzes zu verlieren. Ich war nicht boshaft genug, die verlornen Kostbarkeiten an Orten zum Vorschein kommen zu lassen, wo sie den Verdacht gegen einen Unschuldigen gemehrt hätten, mehr Vergnügen machte es mir, und mehr Quaal dem geizigen Schatzhüter, wenn er sie in den Gängen seines Labyrinths verstreut fand, und, da er keinem [64] Menschen traute als sich selbst, sie in der düstern Dunkelheit wieder zusammen suchen mußte.

Düster 5 waren die meisten der Gallerien jenes Zauberpalastes, seit man die Undankbarkeit gegen den Baumeister aufs höchste getrieben hatte. Der Geist des Feuers hatte mir ungebeten den Gefallen gethan, um mich wenigstens einigermaßen zu rächen, das wunderbare Licht, das zuvor jeden Winkel des Labyrinths, selbst den unterirrdischen Theil desselben durchleuchtete, zurück zu rufen, und alles in seiner eigenen Dunkelheit zu lassen.

Hatte König Remphis in der quälenden Bemühung nach seinen Edelgesteinen, die er bald alle nach Zahl und selbst gegebenen Namen kennen lernte, denn endlich einmal gesiegt, sahe er sie wieder alle beysammen, so verschwanden sie oft unter seinen Händen, und während er Wochenlang mit der Verzweiflung rang, sie von [65] neuen, sie vielleicht auf immer verloren zu haben, so kam nicht selten Post aus irgend einem entfernten Theil seines Königreichs, man habe sie dort aus Schutt und Steinen zusammen gelesen. Er reiste ab, sie selbst einzuholen, sah sie oft um ein Drittheil, um die Hälfte, gemindert, fand wieder, verlor von neuen, und besaß also wirklich in dem Schatze, den er so sehnlich gewünscht hatte, die Ursache der höchsten Quaal, die ein Herz, wie das seinige, fühlen kann.

Ich war gerächt, ich würde es vollkommen gewesen seyn, hätte ich vermocht, ihm das Peinigende eines solchen Besitzes, auch von der Seite fühlen zu lassen, wie ich selbst es empfunden hatte; allein es war unmöglich, ihn in ähnliche Verhältnisse zu setzen, als die meinigen zu gewissen Zeiten meines Lebens gewesen waren. Er hätte so arm, so verlassen, so hülflos werden müssen, als ich zu Elephantine, und in der Wüste von Nubien, beym vollen Besitz jener Kostbarkeiten war, um ihren Unwerth ganz zu fühlen, und sich seiner [66] Anhänglichkeit an dieses Puppenspiel zu schämen.

Die Tage, da König Remphis auf irgend einer Fahrt nach seinen Edelgesteinen war, waren für mich die glücklichsten meines Lebens. Dann genoß ich ganz und ungestört der Freude, meinen Wunderbau zu durchirren. Der Stein Motherud öffnete mir den Eingang in das wundervolle Schatzgewölbe, das Remphis mit seinen tausend Schlössern so wohl verwahrt glaubte; dieser Stein trug zwar jetzt meinen Namen nicht mehr, man hatte Sorge getragen, denselben gleich in den ersten Tagen auszutilgen, aber kenntlich war und blieb er mir immer; durch ihn trat ich in mein Paradies, das dann mit seinem alten Lichte leuchtete. Stille Funken, die Zeichen der Gegenwart meiner Freunde, der Elementargeister, umwehten mich. Mich umschwebte süßer Friede, und unbeschaut und ungemindert blieben wohl von meiner Hand die Schätze, die der Greif von Egypten hier aufhäufte; höhere Genüsse waren es, die hier mich labten.

[67] Gleichwohl beliebte es dem Könige, welcher sich bald Kunde von meinen Lustwanderungen zu verschaffen wußte, sich hierüber allerley sorgliche Gedanken zu machen, und den heimlichen Besucher seines Schatzhauses des niedrigsten Raubes zu zeihen.

Wie er es erfuhr, daß ich gern und oft dort verweilte, wie er dieses erfuhr? O Kinder! mein Herz wird mir brechen, wenn ich euch dieses erzähle. Sehet mich hier am Eingange all meines Unglücks, und höret den Ursprung der von euch so tief gefühlten Dürftigkeit. Du aber, o Butis, höre auf sie zu beklagen, du weißt sehr wohl, daß niemand als Du dem Mangel und dem Elend, das dich drückt, die Thür öffnete.

Butis, welche schon seit einiger Zeit mit den hervorquellenden Thränen gekämpft hatte, wußte sich hier nicht mehr zu fassen, sie verließ das Zimmer, der weise Motherud war mit seinen Söhnen allein, und endete seine Geschichte auf folgende Art:

[68] Als ich von König Remphis Hofe in die Stille floh, wählte ich mir eine Lebensgefährtin, die Freuden der Einsamkeit mit mir zu theilen. Eure Mutter, meine Söhne, war schön, wie sie es denn noch ist; auch gut war sie, tugendhaft und fühlendes Herzens. O daß bey so viel Vorzügen, fester männlicher Sinn und standhafter Muth gegen lockende Versuchungen gewohnt hätte, wie glücklich würde ich, wie glücklich würden wir alle gewesen seyn!

Als ich einst den König mit Aufsuchung seiner verlornen Edelsteine beschäftigt wußte, und mich indessen in Gesellschaft der Elementargeister in meinem Labyrinthe belustigte, schlich der Versucher zu meinem Weibe, und siegte, wie weiland der Urvater aller Verführer das erste Weib besiegte.

Die Großen des Königs hatten längst Verdacht, daß ich an den Wanderungen seiner Schätze Ursach sey, und so bequem ihnen die gelegentlichen Abwesenheiten ihres Herrn waren, um indessen ungestört allerley Unfug zu üben, so wollten sie doch [69] den Hohn, welcher königlicher Hoheit durch dieses Narrenspiel widerfuhr, an dem Urheber nicht ungerochen lassen, noch mehr wünschten sie ihn durch Drohungen und Versprechungen in ein heimliches Verständniß zu ziehen, das ihnen seine kleine Neckereyen nutzbarer machen könnte, als sie es ohne dasselbe waren.

Um zum Zweck zu gelangen, mußte man erst Gewißheit haben, daß ich der Thäter sey, und wie leicht war diese zu erlangen, da man die Schwächen des Weibes, das ich mir zugesellet hatte, und das um alle meine Schritte wissen mußte, bey Hofe sehr wohl kannte.

Ein Mann, der eine schöne junge Frau sich selbst überläßt, um mit überirrdischen Wesen zu conversiren, giebt sie allemal der Verführung Preis; ich hatte gefehlt, und dies ist die Ursach, warum ich das Vergehen der unglücklichen Butis, nie auf das strengste gerügt habe.

Butis war so tugendhaft, als schön, man wußte, daß man ihr durch die gewöhnlichen [70] Mittel, ein Weib zu verlocken, nicht beykommen konnte. Schmeicheleyen in dem Munde eines Mannes würde sie verachtet haben; eine Freundin konnte mehr über sie gewinnen. Butis hatte viele Freundinnen, sie wechselte gern mit ihren Bekanntschaften, und immer war die Anhänglichkeit an die Neugewählte die schwärmerischste, die feurigste von allen.

Eine alte Freundin führte einst eine neue bey ihr ein. Sie hatte alles an sich, was ein Herz, wie das Herz der arglosen Butis, bezaubern kann. Ein unnennbares Etwas fesselte sie stärker an sie, als an all ihre Gespielen. O des Wolfs in Schafskleidern! Butis neue Bekannte war der verkleidete Liebling des Königs. Ein Mann, wie dieser, der schönste und schlaueste seiner Zeit, konnte freylich meiner einfältigen Taube alles entlocken, was er zu wissen verlangte, und was sie zuvor nie einer Freundin offenbaret hatte, da, sie mochte ihren Vertrauten entdeckt haben was sie wollte, doch immer noch meine Geheimnisse ihr heilig gewesen waren.

[71] Unentdeckt und unbeargwohnt ging der verlarvte Verführer mit meinem ganzen Geheimnisse von dannen, um mich in dem Labyrinthe, in welchem ich mich eben befand, aufzusuchen. Der Eingang war ihm nicht verschlossen. Zwar half ihm nicht so wie mir der Stein Motherud in die verbotenen Mauern, aber alle Große des Königs hatten ihre heimlichen Schlüssel, und sprachen auf meine Rechnung fleißig den Schätzen zu, welche allda verwahrt wurden.

In heilige Betrachtungen verloren, in seliger Einsamkeit saß ich auf einem der Säle, deren Thüren sich nicht anders, als mit dem Ton des Donners öffneten. Es gehörte mit zu den Sonderbarkeiten dieses Baues, daß es unmöglich war, in demselben überrascht oder belauscht zu werden. Den leisesten Fußtritt vernahm man von fern, und demjenigen, welcher unvermerkt zu einer Thür eintreten wollte, brüllten Töne entgegen, welche nur die Gewohnheit dem Gehör erträglich machen konnte.

Mendes, der Liebling des Königs, der Verführer meines Weibes, war mit diesen [72] Wundern nicht unbekannt; er nahte sich, nachdem er seine Verkleidung in einem Winkel abgeworfen hatte, ohne sich durch etwas irre machen zu lassen, und ich, welcher von seinem ersten Eintritt an wußte, daß ich hier nicht mehr allein war, erwartete ihn mit Fassung.

Die Art, wie er mich anredete, die Art, wie ich ihn empfing, nebst den folgenden Gesprächen, die unter uns vorfielen, unterlasse ich zu schildern. Es sey euch genug, meine Söhne, daß ich die Kälte, mit welcher ich anfangs seine Vorwürfe und Drohungen, dann seine entehrenden Vorschläge zu einem heimlichen Einverständniß anhörte, nicht länger behaupten konnte, bis der Name meines Weibes sich mit in seinen Vortrag mischte.

Der Schändliche! er wußte wie sehr ich eure Mutter liebte, er wußte, wie eifersüchtig ich auf meine Ehre war, er wußte, daß er mich von diesen beyden Seiten auf das empfindlichste fassen konnte. Ich glaubte ihm alles, wessen er sich rühmte. Es lag ja am Tage, daß Butis mein Geheimniß [73] verrathen hatte, wie sollte die, welche auf einer Seite die Treue gegen mich verletzt hatte, nicht auf jede Art schuldig seyn?

Noch war ich hinlänglich bey mir selbst, die Wuth, welche mit jedem Worte, das der teuflische Verläumder sagte, stärker in meinem Innern entbrannte, unter dem Schein kalter Verachtung zu verhüllen. Wer die Mittel zu augenblicklicher Rache in Händen zu haben glaubt, wird immer hierin viel Gewalt über sich selbst zeigen.

Elender, sprach ich, indem ich mein Feuerzeug hervorzog. Deine Worte verdienen keine Antwort; wahr oder nicht wahr, der, welcher sie über seine Lippen gehen ließ, soll nicht leben; im nächsten Augenblicke verwehe der Wind seine Asche!

Ein einziger Schlag des Stahl an dem Steine rief mit diesen Worten einen einzigen mächtigen Funken hervor. Ein Gedanke, und der Geist, mit dem ich im Tempel zu Elephantine vertraut ward, stand stammender und schrecklicher vor mir, als ich ihn je gesehen hatte.

[74] Was willst du? brüllte er mit einer Stimme, vor welcher kaum ich mich aufrecht erhalten konnte, und die den zitternden Mendes sinnlos zu Boden stürzte.

Geist des Untergangs und der Zerstörung, antwortete ich auf seine Frage, was ich in diesem Augenblicke von dir fordere, ist Rache! Du hörtest was dieser Mann der Bosheit sagte, du weißt was er gethan hat. Vernichte ihn mit deinen verzehrendsten Flammen, vernichte diesen Bau, der mir statt der Freude nichts als Elend brachte! vernichte endlich auch mich! Den Verlust meines liebsten Gutes, meiner Ehre und der Treue meines Weibes, mag ich nicht überleben! Sie, die Verrätherin, schone, daß lange Gewissensquaal sie grausamer tödte, als deine Flammen vermöchten!

Wiederhole, was du forderst! sagte Geist, dessen Anblick immer fürchterlicher, dessen Stimme immer tobender ward. Wiederhole, damit ich gewiß werde, was du forderst.

Rache! Geist des Verderbens! schrie ich. Die tödtendste Rache, zu welcher dich [75] die Waffen deines Elements fähig machen! Rüste mich selbst mit ihnen aus, daß ich mit eigener Hand vollziehe, wonach meine Seele dürstet.

Elender! schrie er. Diese Waffen taugen nicht in die Hand eines Sterblichen! Klüger als jetzt, hast du ihnen selbst mit diesen Worten entsagt. Du nimmst dein damals geredetes Wort, und ich meine Gaben zurück. Unser Bund ist gebrochen, wir scheiden auf ewig!

Ein Donnerschlag, welcher das ganze Gebäude zu zerschmettern schien, verschlang den Rest seiner Rede, mir vergingen die Sinne. Mit einer Art von Selbstzufriedenheit, dachte ich im Hinschwinden derselben, auf den Trümmern meines Wunderbaues, und in der Gesellschaft meines Feindes zu vergehen; ein Triumph, der mir nicht werden sollte.

Ich erwachte zu neuem Gefühl meines Elendes, sah mich hundert Schritte weit, außerhalb den Mauern des Labyrinths hingeschleudert, sah es noch in seiner alten [76] Pracht mir gegen über stehen, und meinen Feind eben ruhig aus demselben herausgehen, und indem er die Pforte verschloß noch einen Blick voll höhnischer Schadenfreude auf mich werfen.

Ich werde der schönen Butis, sagte er im Vorübergehen, sogleich melden, wo sie ihren Gemahl finden kann, damit sie komme, und ihn labe.

Von eigenem ahndenden Gefühl herbeygetrieben, war diese Unglückliche wirklich der erste Gegenstand, der sich mir beym Erwachen aus einer neuen Bewußtlosigkeit zeigte. Ihr könnt denken, mit welchen Verwünschungen sie von mir empfangen ward. Schwach und kraftlos wie ich war, vermochte ich nicht die Rache zu vollenden die in jedem meiner Worte brannte, sonst wär mein Unglück durch den Mord eines Weibes vollendet worden, das ich in der Folge, das ich bald, das Verbrechen der Schwatzhaftigkeit ausgenommen, für unschuldig erkennen mußte.

Butis, welche mich, nach allem, was ich sagte und that, für wahnsinnig halten [77] mußte, rief die Sklaven, welche ihr gefolgt waren, herbey, mich nach unserm Hause zu bringen. Während einer langen Krankheit, zu welcher ich mich jetzt niederlegte, erfolgten Erklärungen zwischen uns, welche mir mein Unrecht, wenigstens von einer Seite, so klar an den Tag legten, daß ich es nicht verkennen konnte. Die Beweise, welche eure Mutter von ihrer Unschuld führte, waren mächtig. Ihr, meine Kinder, die ihr damals das vierte Jahr erreicht haben mochtet, und in allem Reiz kindischer Schönheit und Unschuld lächeltet, machtet unsern Frieden. Sie gebot euch, für eure Mutter zu bitten, welche durch nichts gesündiget habe, als durch einen Fehler, der, da ich sie nur meiner Liebe treu wußte, selbst mir in den Augenblicken der Versöhnung klein vorkam.

Ach, wenn er es auch wirklich Vergleichungsweise seyn mochte, waren darum seine schrecklichen Folgen gehoben? – Danken wir nicht ihm all unser Elend, all unsere Herabwürdigung? Ich habe durch die Grundsätze der Weisheit verschmerzt, [78] was ich durch die Schwatzhaftigkeit dieser schwachen Frau verlor; euch noch an den Folgen derselben leiden zu sehen, durchbohrt mein Herz, und sie, die Ursacherin unsers Elends, in Klagen, in Thränen zu finden über das was sie allein sich selbst dankt, o dies bringt mich oft zur Wuth, und Heldenstärke gehört dazu, mich in solchen Augenblicken nicht zu den gefährlichsten Ausbrüchen des Zorns hinreißen zu lassen.

Laßt mich meine Geschichte enden! –

Ich genas, aber nicht zu dem kraftvollen Leben, das bisher in meinen Adern gewallt hatte. O, meine Söhne! der, welcher zu Elephantine und in der nubischen Wüste, der, welcher in tausend Zufällen eines verhängnißvollen Lebens, die ich euch nicht alle mittheilen konnte, weil Zeit und Geduld mangelt, dem Tode trotzte, der, welcher durch die geheime Kraft mit welcher die Geister des Lebens seine Natur begabten, wahrscheinlich unsterblich gewesen wär, reift jetzt sichtlich dem Tode entgegen. Ihr werdet bald Waisen seyn, meine Kinder, [79] werdet bald nur noch eure Mutter übrig haben, sorget dann für sie, bitte ich euch, und laßt die Unglückliche nicht entgelten, was ich euch, von ihr gereizt, fast wider Willen entdecken mußte.

Noch ehe ich völlig zu diesem kläglichen Leben wiederhergestellt war, begann die Rache des Königs gegen mich über das was Mendes von mir ausgesagt hatte. Ich hatte ihm nichts entgegen zu setzen, als die gemeine Macht eines Sterblichen. Als ein Räuber durchächtet, beschimpft, und verfolgt, entkam ich dennoch mit dem Leben, und brachte euch, meine liebsten Schätze, glücklich davon.

Meine Begleiterinnen waren Armuth und Dürftigkeit. Das wenige, was ich noch besaß, verwandte ich auf Erbauung dieses Hauses. Ich baute es prächtig, theils, weil ich nichts anders zu bauen gewohnt war, theils, weil in mir noch eine Hoffnung auf bessere Zeiten lebte, welche aber leider unerfüllt blieb. Noch immer dachte ich, meinen Frieden mit den beleidigten Geistern des Feuers zu machen, noch [80] immer dachte ich, das gestörte Einverständniß mit ihnen wieder anzuspinnen. Als dieses mislang, so heftete sich all meine Erwartung auf Wiederbesuchung des Labyrinths. Konnte ich nur den Stein Motherud, welcher, wie ich bald gewahr ward, verrückt oder unkenntlich gemacht seyn mußte, wieder finden, so machte mich der Besitz eines einzigen meiner Edelsteine und der kluge Gebrauch desselben reich genug, euch ein anständiges Leben zu verschaffen.

Ja ich glaube, ich kann jene Juwelen noch mein nennen, die ich auf eine so widerrechtliche Weise der Habschaft jenes Geizhalses Preis gab, wenigstens den Edelstein, welcher sich so gern in den Falten meines Gürtels verbarg, und vermittelst dessen ich mit den andern machen konnte, was ich wollte; ach, mit der Gunst der Elementargeister habe ich auch ihn, habe ich die Kenntniß des Steins Motherud, habe ich alles, alles verloren, und nichts ist mir übrig, nichts als der Tod, zu welchem ich mich, ich fühle es, nun bald niederlegen werde.


[81] Von dem Eindrucke, welchen die Erzählung des Baumeisters auf seine Söhne gemacht hatte, schweige ich. Er war bey beyden stark, aber auch bey beyden nach ihrem Charakter verschieden.

Thasus ruhte nicht eher, bis der Vater eine Reise mit ihnen nach dem Labyrinth that, und ihm die Stelle bezeichnete, wo ehemals der Stein Motherud einen Eingang eröffnet hatte, und wo man auch jetzt ihn vergebens suchte. Thonis, die sanfteste weichgeschaffenste Seele, die es je gegeben hat, ließ sich jede in der Geschichte seines Vaters merkwürdige Stelle dieses Wunderwerks zeigen, er benetzte besonders die, von welcher Motherud, als er herabgestürzt wurde, unverletzt davon ging, und die, auf welche er, nicht so glücklich als damals, zuletzt grimmig geschleudert ward, mit den zärtlichsten Thränen. Aber Thasus schlich finster und in sich gekehrt umher, maß jeden Stein des Baues, so weit ihn seine Augen abreichen konnten, zählte jede Säule und folgte dann zögernd dem Vater und dem Bruder, die weit früher als er den Rückweg begonnen hatten.

[82] Es war die letzte Reise die Motherud in Gesellschaft seiner Söhne gethan hatte. Eine Krankheit befiel ihn, die in wenig Tagen seinem Leben ein Ende machte, und die unglückliche Butis nun erst die Folgen ihrer Unbedachtsamkeit in ihrem vollen Umfange fühlen ließ.

Ihr seyd mir nun alles, meine Kinder, sagte sie, indem sie die Jünglinge Thonis und Thasus an ihre Brust drückte. Hasset mich nicht, hasset eure Mutter nicht, weil sie euch unglücklich machte! Sie leidet zu viel, um durch eure Abneigung doppelt gestraft zu werden. Thonis beantwortete dieses wie es ihm sein sanftes Herz eingab. Thasus wand sich mürrisch aus den Armen der weinenden Butis, und versicherte, alles müßte erst gar viel anders werden, ehe er Liebkosungen wie diese erwiedern könne.

Es vergingen einige Jahre, und in dem Hause Motheruds änderte sich wenig. Die Mutter wollte keinen ihrer Söhne von sich lassen, ungeachtet sie nun alt genug waren, ein Gewerbe zu ergreifen, welches ihre Glücksumstände verbessern konnte; daher [83] ward der mürrische Thasus ein Müßiggänger, und Thonis mußte sich entschließen, sich bey den Umwohnern zu den niedrigsten Diensten zu vermiethen, die man ihm noch dazu nicht anders als mit Murren anvertraute.

Verkauft Euer Haus! schrieen die Hartherzigen, die übrigens hieran nicht gar großes Unrecht hatten, so ist Euch geholfen. Es steht Knechten übel an, wie Fürsten zu wohnen. – Aber Butis war, so sehr ihr auch ihr jüngerer Sohn zuredete, nicht zu bewegen, den letzten Beweis von der Kunst des Baumeister Motherud fremden Händen zu überlassen, und Thasus, welcher sonst selten mit ihr einer Meinung war, schlug sich hierin auf ihre Seite. –

So dauerte es in dem Hause des unglücklichen Motherud fort. Die Handarbeit der Mutter und des jüngern Sohns reichte spärlich hin zu beyder Unterhalt. Thasus, der ältere, war wenig zu Hause; er schweifte umher, man wußte nicht wo, er beschäfftigte sich, man wußte nicht mit was, und noch weniger ließ sich begreifen, [84] wie das Gewerbe das er wahrscheinlich trieb, das Gewerb des Müßiggangs ihn reicher machen konnte, als seiner arbeitsamen Verwandten ihr Fleiß.

Gleichwohl war dies so. Thasus war nicht mehr die nackende Schnecke im Marmorhause. Statt der groben blauen Leinwand, deren er sich ehedem so bitterlich schämte, bekleideten ihn jetzt anständigere Kleider, und er kam nie in das Haus seiner Mutter, ohne ihr Golds genug zurück zu lassen, um bis zum nächsten Besuche der mühseligen Arbeit überhoben zu seyn.

Stufenweis kehrte der alte Wohlstand, wenn auch nicht die alte Pracht, in die Wohnung der Verlassenen zurück. Butis erhielt von ihrem mürrischen Sohne, der es nun nicht mehr war, der ganz die düstre Miene abgelegt hatte, mit der er ehemals ihre Liebkosungen zurückwies, alles was nöthig war, das bequeme, wo nicht üppige Leben der andern Egyptierinnen zu führen. Gold, Sklaven, prächtiges Hausgeräth fehlten nicht, und Thonis, der Liebling seines reichen Bruders, ließ es sich sehr gern [85] gefallen, die Arbeit um kärgliches Tagelohn, mit der Schule der Weisen zu vertauschen und auf eine anständige Lebensart zu denken, welche ihm einst Ruhm und Reichthum bringen könnte.

Er wählte die Waffen, Geld erwarb ihm Vorspruch, und da seine schöne Gestalt, seine Geschicklichkeit zu allen kriegerischen Uebungen, ihn bald vor allen jungen Soldaten auszeichnete, so erhielt er gleich in den ersten Monaten, nachdem er das Schwerd führen lernte, eine Offizierstelle unter der Leibwache des Königs, welche ihm die Aussicht auf schnelles Steigen eröffnete.

Thasus liebte seinen Bruder, er gab tausend Beweise, daß er alles für ihn gethan, ihm alles aufgeopfert haben würde, daß sein Glück das seinige sey, aber er schien es ungern zu sehen, daß er bey Hofe angestellt war. Als er einst bey einem, jetzt sehr seltenen Besuche in dem mütterlichen Hause, Nachricht von dem Glück seines Bruders erhielt, gerieth er in ein Nachdenken, welches ihn bey einer Stunde lang [86] sprachlos erhielt, und aus welchem er sich endlich mit folgenden Worten empor riß:

Wenn es denn nun also seyn muß, daß der Sohn des unglücklichen Motherud sich in Gegenden wage, wo sein Vater den Untergang fand, so beobachte er nur folgende Regeln: Nie entschlüpfe seinen Lippen ein Wort von seiner Herkunft; doch kaum sollte ich erwähnen, was Euch schon selbst begreiflich seyn muß. Tod und Untergang, Ihr seht es ein, müssen das Loos der Abkömmlinge eines Mannes werden, der als ein Opfer der Hofkabale fiel. – Die zweyte Regel, die ich meinem Bruder zu empfehlen habe, ist sorgfältige Vermeidung alles Antheils an Dingen, die ihn nichts angehen; und die letzte, geschlossene Augen bey dem, was ihm etwan auf dem gefährlichen Grunde, den er betritt, vorkommen möchte. Nie sage er bey Gegenständen, die seinen Blicken neu seyn müssen, dies kenne ich, oder dies habe ich schon gesehen. Reden, wie diese, ziehen Nachforschung nach sich, und wie wenig wir und unser Zustand Nachforschung aushalten [87] können, dies darf ich nicht beweisen, ohne zu wiederholen, was ich bereits gesagt habe.

Man fand das, was Thasus sagte, sehr weise, und versprach es zu befolgen. Seine Mutter wunderte sich weniger über die Spuren von Weltkenntniß, die seine Reden trugen, als Thonis; immer hatte sie einen ganz guten Verstand an ihrem älteren Sohne gekannt, und da sie auf ihre Fragen, woher ihm sein gegenwärtiger Wohlstand komme, stets die Antwort erhalten hatte, er sey mit einigen auswärtigen Kaufleuten in Kompagnie getreten, welche ihm für die Dienste, die er ihnen leiste, gern Theil an ihrem Ueberfluß nehmen ließen, so glaubte sie, der Umgang mit diesen verständigen weltkundigen Leuten habe dem der schon von der Natur gut ausgestattet war, sehr leicht die Ausbildung geben können, welche sie jetzt an ihm wahrnahm.

Thonis, welcher kein Wort von dem, was ihm sein Bruder gesagt hatte, verlor, und der mit denselben noch manche Regel verband, die er selbst sich aus der Geschichte [88] seines Vaters abgezogen hatte, trat seine Stelle an, und bekleidete sie mit Ruhm, wenn sie ihm auch keinen großen Vortheil brachte. König Remphis war noch immer der alte, der er zu den Zeiten des Baumeister Motherud gewesen war. Fand sich jetzt niemand, der wie dieser reiche und großmüthige Mann, die Ehre, seiner egyptischen Majestät zu dienen, mit Gold und Edelgesteinen bezahlte, so wurden doch gewiß alle Hofbediente so kärglich besoldet, daß es fast so viel war, als dienten sie ihrem Herrn umsonst. Ein jeder wußte sich dann auf andre Art schadlos zu halten; aber Thonis, welchem von all diesen Künsten feines Betrugs nichts bewußt war, würde, ohne die heimlichen Unterstützungen seines Bruders, ein sehr elendes Leben geführt haben.

Durch das Gold, welches Thasus ihm nie mangeln ließ, befand er sich im entgegengesetzten Falle. Er konnte sich überall mit vielem Glanze zeigen, man hielt ihn für einen sehr reichen jungen Herrn, und König Remphis wußte, wie aus allen, [89] auch aus diesem Wahne seinen Vortheil zu ziehen.

Die Tochter des Königs, die junge Prinzessin Faöué stand im Begriff vermählt zu werden; die Sitte des Landes wollte es, in einer solchen Epoche ihr eine etwas glänzendere Hofstatt zu geben, als es bisher die Sparsamkeit ihres Vaters zugelassen hatte. Man wählte hierzu nicht allein die schönsten, sondern auch die reichsten jungen Leute des Königreichs; sie mußten den prächtigen Aufzug, den ihnen die Hofetikette vorschrieb, aus eigenen Mitteln besorgen, und keiner fand sich, der um einer so schönen Prinzessin willen, wie Faöué war, nicht alles, nicht oft mehr gethan hätte, als sein Vermögen zuließ.

Thonis stand auch hier, nicht allein durch körperliche Schönheit, sondern noch mehr durch den Aufwand den er machte, an der Spitze. Er hatte das Amt, der jungen Faöué bey ihren Spatziergängen den Arm zu bieten, und dieses gab ihm Gelegenheit, mit seiner Dame in Verhältnisse zu kommen, welche, wenn er nicht klug genug [90] gewesen wär, seinen Stand und den Stand der Prinzessin besser vor Augen zu behalten, als sie, schon längst seinem Herzen hätte gefährlich werden können.

Faöué war die unschuldigste, zwangloseste, naiveste Schönheit, die man nur in dem Alter zwischen vierzehn und funfzehn Jahren finden kann. Tausend kleine Unbesonnenheiten, die eine andere verächtlich und verdächtig gemacht haben würden, entschlüpften ihr ungestraft, theils, weil sie eine Prinzessin war, theils, weil man sie nur sehen durfte, um gewiß zu werden, daß noch vollkommene Kindereinfalt in ihrer Seele wohnte, und daß man Sünde gethan haben würde, sie mit andern Personen ihres Alters, die schon in den damaligen Zeiten viel klüger waren, in eine Klasse zu setzen.

Thonis, sagte sie eines Tages zu ihrem jungen Stallmeister, als sie an seinem Arme nach dem Tempel der Göttin Athor ging, du glaubst nicht, wie unglücklich mich der Name einer Verlobten macht, welcher [91] doch, wie alle meine Gespielinnen sagen, für andere so viel Reize haben soll.

Wie so, Prinzessin? antwortete der Sohn Motheruds: Ist der Glückliche, der eure Hand erhalten wird, nicht schön, nicht angenehm, nicht tugendhaft? oder liebt er euch nicht?

Wie kann ich das wissen, da ich ihn nicht kenne!

Das gemeine Schicksal großer Damen! ihr werdet wenig Prinzessinnen finden, welche den Gemahl kannten, den man für sie wählte, und doch sind viele sehr glücklich!

Für mich wählte? Thonis? man hat nicht gewählt; auf gut Glück hat man mich dem Meistbietenden verkauft. Könntest du glauben, daß König Remphis seine Tochter anders als um 6 Goldgewicht hingeben würde?

[92] Unglückliche Faöué!! – Doch das Land, welches euch künftig Fürstin nennen wird, vergütet euch vielleicht alles, was ihr jetzt leidet.

Mein künftiges Land? – Ich, eine Fürstin? – O Thonis, mein bestimmter Mann ist vielleicht einer der elendesten Sterblichen, vielleicht ein Räuber. König Remphis kümmert sich nicht, wer sein Eidam wird, wenn er nur die ungeheure Summe erhält, die er auf mich setzte, da er meine Hand – (welche Beschimpfung!) – als käuflich ausrufen ließ. – Thonis, lieber Thonis! wenn ich nun ja der Hoheit meines Standes entsagen mußte, warum geschahe es nicht um deinetwillen? – Thonis! du bist ja auch reich wie man sagt! – Kaufe du doch mich! überbiete doch den Verhaßten, den man morgen erwartet, [93] und den ich mir, seit ich dich kenne, als ein Ungeheuer vorstelle.

Man kann sich keine größere Verlegenheit denken, als die, in welcher sich Thonis bey diesem seltsamen Antrage befand. Längst war ihm Faöué nicht gleichgültig gewesen; nun zu hören, daß auch sie für ihn fühle, nun diesen Vorschlag, der ihm nicht ganz unmöglich dünkte, wenn er an den wachsenden Reichthum seines Bruders, und an das Versprechen dachte, das er ihm nur noch kürzlich gegeben hatte: nichts solle seiner Liebe für ihn zu theuer seyn, alles wolle er für ihn thun, unermeßliche Summen wolle er seinem Glück aufopfern, wenn er in einer großen Probe der Klugheit und Treue, die ihm nun ganz nahe bevorstehe, bewährt erfunden werde.

Mit glühenden Wangen und tief zur Erde gesenkten Blicken stand Thonis der schönen Faöué gegen über, die ihn mit strömenden Augen ansah und ihr Endurtheil von ihm zu erwarten schien. Noch einmal, man kann sich kein seltsameres Verhältniß denken, als das, welches in [94] dem damaligen Augenblick zwischen beyden Statt fand, und gut war es, daß man sich den Stufen des Tempels ganz nahe sahe, und daß also durch die Heiligkeit des Orts Thonis einer Antwort überhoben ward, die er in der Bestürzung, in welcher er war, auf keine Weise zu geben wußte.

Die Hofmeisterin der Prinzessin trat herzu, und erinnerte ihre Dame, es sey unanständig, auf freyem Wege in tiefsinnigen Unterredungen stehen zu bleiben. Man stieg denn die Stufen des Heiligthums vollends hinauf, und die beyden Liebenden hatten einen ganzen langen unruhvollen Tag, dem eine noch unruhvollere Nacht folgte, keine Gelegenheit, sich zum zweytenmal über Dinge zu sprechen, die vom Augenblick der Erklärung an ihre ganze Seele füllten.

Durch eine Sklavin ließ die naive Prinzessin ihrem jungen Stallmeister nur noch die Worte entbieten: Entschließe dich, die Sache hat Eil! – Und er ließ ihr zurück sagen: Morgen verläßt Thonis [95] den Hof, um zu versuchen, ob er sein Glück erkaufen kann, oder sich entschließen muß, ewig unglücklich zu seyn.

Die beyden Liebenden verstanden sich, ohne von andern verstanden zu werden, und die Prinzessin legte sich ruhig und voll Hoffnung zu Bette; aber Thonis durchwachte eine schreckliche unruhvolle Nacht, in welcher der Entschluß fest ward, die kühne Bitte an seinen Bruder zu wagen, deren Erfüllung seine einzige Aussicht war.

Mit der Morgenröthe erhub er sich, seinen Vorsatz auszuführen. Zwar wußte er nicht, wo Thasus zu finden war, denn den Ort seines Aufenthalts hatte er nie kund gemacht, aber Thonis war entschlossen, in dem Hause seiner Mutter den nächsten Mondswechsel zu erwarten, da der pflichtvolle Sohn, jetzt nicht mehr der mürrische Thasus, nie ermangelte, mit neuen Geschenken bey seiner Familie zu erscheinen, und in ihrem Schoose einige glückliche Tage zu verleben.

Schon war Thonis im Begriff in Begleitung eines einzigen Sklaven zu Pferde zu [96] steigen, als Botschaft von der Prinzessin kam. – Ein Lotusblatt, das Sinnbild der Verschwiegenheit, enthielt in verborgener Schrift, welche Faöué von Motheruds Sohne gelernt hatte, folgende Worte: »Beym Schleyer der Isis, beschwöre ich dich, nur heute verlaß mich noch nicht! Mein Verlobter wird heute erscheinen, um die Zahlung zu leisten. Du mußt gegenwärtig seyn, um durch ein höheres Gebot auf meine Person, seine Hoffnungen zu vernichten. Und ob du auch nicht zahlen könntest, was du versprichst, nur Aufschub, nur Aufschub, oder ich bin verlohren! O, vor ihm, vor jenem fürchterlichen Unbekannten zittert mein ganzes Wesen. Ich träumte diese Nacht, er kaufe mich nur darum, mich zu ermorden, mich einem Schatten zu opfern, den er den Geist seines Vaters nannte. Thonis! Thonis! was mögen diese Dinge zu bedeuten haben? Hilf deiner Faöué, oder sie wird ein Raub des Todes! Wie unglücklich wär ich, hättest du nur Muth mich zu lieben, nicht auch Muth, mich zu erringen!«

[97] Thonis hatte noch nicht zu Ende gelesen, so füllten sich schon die Straßen mit frohen Getümmel. Der Pöbel, welcher gewohnt ist, alles mit Jubelgeschrey zu feyern, was ihm neu ist, jauchzte dem Manne entgegen, welcher versprochen hatte, des Königs Tochter mit hundert tausend Talenten zu lösen, und ihm noch oben drein kund zu machen, wer der Verbrecher sey, der seit einiger Zeit, die Juwelen, welche, nach Motheruds entdecktem Frevel, stets ruhig im Innerstem des Labyrinths gelegen hatte, wieder in Bewegung setze.

Der letzte Umstand hatte seine Richtigkeit. König Remphis hatte, seit Mendes den unglücklichen Bundsgenossen der Geister des Feuers im Labyrinthe ertappte, und Ursach zum Bruche zwischen ihm und seinen elementarischen Freunden gab, seine Schätze ruhig genossen, und, indessen seine Diener ungestraft und unbemerkt aus den unerschöpflichen Goldquellen des großen Schatzhauses schöpften, seine Lieblinge, die Edelsteine Motheruds, zählen und betrachten können, ohne sie je vermindert zu finden, [98] ohne einen einzigen von ihnen in den düstern Gängen des Labyrinths, oder gar in entfernten Gegenden des Königreichs aufsuchen zu müssen; auch war er gutherzig genug, sich in Rücksicht auf all seine Reichthümer sicher zu halten, da er es in der Hauptsache war. Abgang an den übrigen Schätzen war nicht so leicht zu spüren, und diejenigen, welche sie mit ihm theilten, dachten nach ihrer laxen Moral, ihm könne es einerley seyn, ob er etwas weniger von ungebrauchten Schätzen hier verwahre, als er glaubte.

Seit einiger Zeit hatte sich indessen die lange Ruhe in dem großen Schatzbehälter in plötzliche Unruhe verwandelt. Motheruds Diamanten begannen auf ein mal wieder ihren alten Kreislauf, und auf eine schlimmere Art als zuvor je. Die fehlenden kamen nie wieder, man mochte gleich alle Winkel des Labyrinths durchsuchen, mochte gleich in alle Gegenden des Königreichs Botschaft senden, niemand wußte von den Emigranten etwas zu sagen, und König Remphis war ein zu Grunde gerichteter [99] Mann, weil er nicht genau so viel hatte, als er zu haben gewohnt war.

Kein Verlust schmerzte ihn so sehr, als der Verlust eines meergrünen Diamants, den er zu Motheruds Zeiten nie unter den andern gefunden hatte, und den er, seit er ihn nach der Entfernung dieses Unglücklichen kennen lernte, über all seine Brüder schätzte.

Als König Remphis seine Tochter feil bot, als sich der Unbekannte, der heute erwartet wurde, als einen Kauflustigen melden ließ, dingte seine Majestät, die das Steigern und Uebertheuern gewohnt war, geschwind noch, nicht allein die Entdeckung des Juwelenräubers, sondern auch noch besonders die Wiederbringung, wo nicht aller, doch der kostbarsten der wandernden Steine mit ein; und das Jubellied des Volks, das dem Bräutigam der schönen Faöué entgegen jauchzte, lautete also:

»Heil dem großmüthigen Unbekannten der unsere Prinzessin um hundet tausend [100] Talente kaufen, der den Räuber des königlichen Schatzes entdecken, der den meergrünen Diamanten wiederbringen wird!!«

Thonis erfuhr erst jetzt von diesen Dingen die nähern Umstände, aber er hatte weder Zeit, sie zu bewundern, noch zu beachten, denn es kamen neue Boten von der Prinzessin, welche ihn trieben, zu eilen. Schon hörte man von weiten den Jubel der Zinken und Trommeln, welche die Ankunft des Bräutigams verkündigten, und der vornehmste Diener der Braut durfte, das sahe jedermann ein, bey seinem Empfang nicht fehlen.

Thonis langte bey Hofe an, und stellte sich hinter dem Stuhl seiner Dame, welche schöner war, als jemals, und deren wehmüthige Blicke auf ihren ankommenden Retter, ihn entschlossen machten, lieber alles zu wagen, lieber sich zur Leistung des Unmöglichen zu erbieten, als sie einem andern zu überlassen. Thasus ist reich genug, sagte er zu sich selbst, auch liebt er mich, wie selten Brüder einander liebten; er würde, vermöchte er nicht, was hier noth seyn [101] wird, lieber borgen, betteln und stehlen, als mich im Stiche lassen. Einmal nach König Remphis Tode, ist denn doch das Königreich und das Labyrinth mit allen seinen Schätzen mein, hier läßt sich viel bezahlen, viel wieder gut machen, wozu man jetzt von dringender Noth getrieben wird.

Thonis raisonnirte hier vielleicht nicht allzu richtig, aber die Liebe hatte bey seinen heimlichen Berathschlagungen den Vorsitz, und zu gewissenhafter Uebersicht des Beschlossenen war keine Zeit, denn schon schallte das Freudengetümmel, das die Ankunft des Unbekannten verkündete, näher, schon betraten die ersten seiner Leute das Audienzzimmer, und zogen sich in zwey glänzenden Reihen zu beyden Seiten, bis an den Thron der Prinzessin, ihrem Herrn einen anständigen Weg zu bahnen.

Er trat ein, der gefürchtete Unbekannte trat ein, und Thonis, hinter dem Stuhl der schönen Faöué, ward, da er ihn erblickte, von einem Schauer befallen, der es ihm fast unmöglich machte, sich aufrecht zu erhalten.

[102] Er ist schön! sagte Faöué, indem sie einen festern Blick auf den Eintretenden warf, er ist schön, so hätte ich mir ihn nicht gedacht!

Er ist schön! wiederholte sie nochmals, und wandte sich nun nach ihrem Stallmeister, an den diese Worte gerichtet waren. Schön ist er, aber fürchte nichts, Thonis, du bist schöner!

Thonis war jetzt wirklich von seinen Gefühlen so übermeistert, daß ihm alle Kräfte entgingen. Seine Hände faßten die Lehne des Stuhls, sein Kopf war in halber Ohnmacht vorwärts gesunken, und er näherte sich der Prinzessin, welche ihm zuredete, sich zu fassen, und wenn er verabredetermaßen verfahren würde, ihrer Treue gewiß zu seyn.

Es war hier nicht Zeit zu langen Gesprächen. Der Bräutigam war nur noch wenige Schritte von dem Fußschemel der Prinzessin entfernt, vor welchem er sich niederwarf, und ihr mit einer zierlichen Anrede den meergrünen Diamanten überreichte. [103] Der Jubel des Volks begleitete den Anblick des unschätzbaren Steins, und König Remphis, der aus dem Vorhofe, wo er die Maulesel, welche den Kaufpreis seiner Tochter trugen, in Augenschein genommen hatte, zurück kam, drängte sich hinzu, um zu sehen, ob auch hier alles seine Richtigkeit habe.

Er ist es, sagte er, indem er den wiedergefundenen Juwel mit einer vergnügten Miene in den Busen steckte, und ihr habt nun nichts weiter zu thun, um mein Sohn zu heißen, als daß ihr mir den Bösewicht entdeckt, welcher noch immer nicht aufhört, die Ruhe meines Labyrinths zu stören; denn ich muß euch sagen, seit eurer letzten Botschaft hat sich die Zahl meiner Juwelen wieder merklich gemindert, und ich werde zum armen Manne, wenn ihr hier nicht durch schnelle Entdeckung Aendrung bringt.

Thonis! seufzte hier Faöué, ein wenig rückwärts gekehrt, wirst du nun nicht bald sprechen? Siehe, er ist im Begriff, nun auch die letzte Forderung zu erfüllen, und mich dir auf ewig zu entreißen!

[104] Thonis stand bleich und unbeweglich, wie ein Marmorbild, aber der Unbekannte sprach nach einigem Bedenken folgendermaßen:

Bey jedem Kontrakt ist die Erfüllung der Bedingungen wechselseitig. Ich habe das größere geleistet, und werde mit dem kleinern nicht zurückbleiben; aber zuvor fordere ich, daß Faöué mir als meine Gemahlin ausgeliefert werde. König Remphis muß bedenken, daß er bisher noch nichts, und ich alles that; man kennt in allen Landen, man kennt auch in dem meinigen seine Weise, und ich will es nicht auf die Gefahr wagen, mich, wenn nun von meiner Seite nichts mehr zu erfüllen übrig wär, von der seinigen betrogen zu sehen.

König Remphis ergrimmete sehr über das, was der Unbekannte sagte, vielleicht verdroß es ihn, Dinge gemuthmaßt zu sehen, die er wohl wirklich im Sinne hatte. Wie hätte der Fremde sein Recht an den König suchen wollen, hätte er es ihm vorenthalten? Die Prinzessin hätte sich sehr [105] leicht auf diese Art zum zweyten, zum drittenmale verkaufen lassen, ohne daß man sie darum hätte ausliefern dürfen, und daß Remphis einen so einträglichen Gewinn nicht aus den Händen würde gelassen haben, das wird man ihm zutrauen.

Während es zwischen dem Könige und seinem schlauen Gegner zum harten Wortwechsel kam, hatte die Prinzessin gute Muse, sich nach ihrem Stallmeister umzuwenden, und ihm tausend Vorwürfe über sein Betragen zu machen.

Treuloser! sagte sie: Wie grausam hast du mich in meiner höchsten Noth im Stiche gelassen! – Siehe, Statt deiner nimmt mich nun das Glück in seinen Schutz. Dieser Zwist wird meine Rettung seyn; aber, ob er es auch nicht wäre, so wisse, dir entsage ich auf ewig, und tausendmal lieber will ich mich diesem Unbekannten ergeben, der ja, außer was meinen Traum, und seine etwas wilde Miene angeht, noch leidlich ist, als dir, der mich so grausam hintergangen hat.

[106] Faöué erhub sich mit diesen Worten, und ging zornig davon. Der König, und der Fremde wurden, als sie noch eine Weile mit einander gezankt hatten, endlich so weit einig, daß der letzte zum Unterpfand der noch unerfüllten. Bedingung, noch eine große Summe Geldes erlegen, und dann die Prinzessin hinnehmen sollte. Beyde Gegner entfernten sich von verschiedenen Seiten, und, als bald darauf auch die andere Versammlung aus einander ging, so blieb nur Thonis hinter dem Stuhl der Prinzessin allein übrig, noch immer stumm, bleich und kalt, wie ein Marmorbild und erst jetzt fähig, einem Schmerz, der seines gleichen nicht hatte, Worte, seinen Empfindungen, Thränen zu geben.

Thasus! schrie er, in halber Verzweiflung. Thasus!du mein Mitbuhler? – Also alle Hoffnung auf dich ganz vergebens? – Armer Thonis, gehe nun hin, und stirb! Nachdem du Faöué verlohren hast, ist der Tod das einzige, was dir übrig bleibt!

[107] Thonis stürmte hinaus, und fand im Vorgemach seinen Bruder, welcher zurückgekommen war, ihn aufzusuchen, und ihm mit offenen Armen entgegeneilte.

Ach so ists dennoch wahr, weinte Thonis an seinem Halse, daß ich dich hier, hier treffen muß?

Ja, mein Bruder! rief Thasus, der ihn mit Entzücken an seine Brust drückte. Aber wozu dieser Kummer? diese Thränen? Ich habe für dich nichts als Freude und Dank, daß du die schwere Rolle des Nichtkennens, die ich dir ehemals empfahl, so wohl gespielt hast. Siehe, das ist die Probe die dir bevorstand! Rechne nun auf die glänzendste Vergeltung, und fordre nur, ich wüßte nichts, das ich dir in diesem Augenblicke nicht gewähren könnte.

Aber Thasus! schrie Thonis, dich so, so zu finden!

Warum?

Mußte sich unsre brüderliche Uebereinstimmung, unser Hinstreben nach Einem Zwecke auf diese Art bestätigen?

[108] Wie? wir hätten einen Zweck?

Der meinige ist Faöué!

O so komm mit verdoppelten Entzücken in meine Arme. Rache! gemeinschaftliche Rache wird den Schatten unsers Vaters völlig versöhnen.

Rache? Mich fesselt an Faöué die Liebe, und ach, du bist mein Nebenbuhler.

Dein Nebenbuhler? ich? – Und du liebst die Tochter des Henkers deines Vaters? – Remphis Tochter? Motheruds Sohn? – Fort Elender, fort aus meinen Augen, daß ich dich nie wieder erblicke!

Thasus riß sich aus den Armen seines Bruders, und dieser blieb in einer Bestürzung zurück, die sich mit nichts vergleichen läßt. Was für Worte hatte er aus dem Munde seines Bruders gehört! Wie sollte er sie deuten! Schreckliche Gedanken stiegen in seiner Seele auf! Die Welt hätte er drum gegeben, nur noch einmal mit Motheruds Rächer zu sprechen, die Welt, nun nur noch einmal mit der Prinzessin zu reden; [109] beydes war unmöglich, Thasus war verschwunden, und Faöué viel zu zornig, um dem unglücklichen Thonis, so sehr er bat, so sehr er sie bey ihrem Glück und ihrem letzten Traume beschwören ließ, Zutritt zu verstatten.

In der Bedürfniß, doch irgendwo Erleichterung zu suchen, machte sich Thonis auf nach dem Hause seiner Mutter, das er in unglaublicher Eil erreichte. Alle seine Handlungen waren jetzt getrieben. Er eilte einem unbekannten Etwas vorzukommen, und der Umstand, daß Thasus sich erst binnen Monatsfrist einstellen solle, um gegen Zahlung der Pfandsumme die Hand der Prinzessin zu erhalten, war ihm bey weitem nicht so beruhigend, als er es hätte seyn können.

Butis schien auf alles vorbereitet, was ihr ihr Sohn sagen konnte. Sie antwortete auf seine Klagen mit Thränen. Ists denn im Rath der Götter beschlossen, brach sie in heller Verzweiflung aus, daß das Haus des Königs von Egypten all meine Lieben ins Verderben stürzen muß? Thonis liebt [110] die Prinzessin Faöué, liebt sie ohne Hoffnung, denn sie ist des geizigen Remphis Tochter, und er der Sohn des armen Motherud. Ob Thasus sein Nebenbuhler ist, weiß ich nicht, aber gewiß ists, daß Faöué auf irgend eine Art. ebenfalls an seinem Schicksal Antheil hat. – Bey seinen Besuchen habe ich hiervon Winke bekommen, schreckliche Winke, nicht um Faöués willen die ich hasse, wie ihres Vaters ganzes Haus, nein, um seinetwillen, der durch sie sein Verderben finden wird. O Thonis! wie soll ich dir Dinge entdecken, von welchen ich schon längst Spuren hatte, Dinge, die ich nur darum verschwieg, weil ich besorgte unüberlegt zu reden, und dadurch neue Vorwürfe der Schwatzhaftigkeit auf mich zu laden. Zur Unzeit habe ich vielleicht geschwiegen, so wie ich ehedem zur Unzeit sprach; doch die Folgen unserer Handlungen sind in den Händen der Götter, und sie lenken sie, wie sie wollen.

Wisse, schon längst ist dein Bruder im Besitz der Kenntniß des Steins Motherud, der das Labyrinth öffnet, und diese Kunde [111] ist die einzige Quelle unsers bisherigen Wohlstandes. Thasus ruhte nicht eher, bis er den verborgenen Eingang in das Schatzgewölbe wiederfand, den dein Vater, durch das Misverständniß mit den Geistern des Feuers verlohren hatte. Ob es möglich war, sich dieses Geheimnisses, ohne Hülfe der elementarischen Hüter desselben, wieder zu bemächtigen, daran zweifle ich billig, und ganz außer Zweifel ist mirs, daß Thasus, ist er mit jenen verdächtigen Wesen einverstanden, sich in einem sehr gefährlichen Bunde befindet. Was es mit seinen Bewerbungen um Faöué auch für Bewandnisse haben mag, so ists gewiß, daß sie mit den Begebenheiten des Labyrinths auf mehr als eine Art zusammen hängen. O Thonis! könntest du dieses entdecken! könntest du deinen Bruder retten, und ob all unser Reichthum, der so gefährliche Quellen hat, verschwinden, und ob wir in unsere ehemalige Dürftigkeit schnell zurück kehren müßten, kein Preis sollte mir zu hoch seyn, Unfälle zu verhüten, die mir ein ahndendes Gefühl ganz in der Nähe zeigt.

[112] Woher Butis ihre deutungsvollen Winke nehmen mochte, ist mir unbekannt; sie machten auf ihren Sohn einen tiefen Eindruck, und da sich in Rücksicht auf die egyptische Prinzessin allerley Nebenideen damit verbanden, so ward gleich in der ersten schlaflosen Nacht, die Thonis in seinem väterlichen Hause zubrachte, der Entschluß reif, den er des andern Morgens seiner Mutter kund that.

Ich bin entschlossen, sagte er, meinen Bruder aufzusuchen, den ich, nach dem was ihr mir sagt, ziemlich richtig zu finden hoffe; ich muß mit ihm selbst über die Dinge sprechen, die uns sonst ein ewiges Geheimniß bleiben werden, und die gleichwohl aufgeklärt werden müssen, wenn schrecklichen Dingen, die ich noch von anderer Seite voraussehe, als ihr, vorgebeugt werden soll.

Gehe mein Sohn, antwortete Butis, mit fast von Thränen erstickter Stimme, gehe nach dem Orte, wohin du vermuthlich ganz richtig deine Schritte leiten wirst, du wirst den Unglücklichen treffen, aber hüte dich, daß du ohne Blut zurück kommst.

[113] Thonis reiste ab, und sein Weg lenkte sich nach dem Labyrinthe. Aus den Reden seiner Mutter, aus dem, was er sich selbst von der verborgenen Geschichte seines Bruders zusammenreimen konnte, ließ sich schließen, daß er den Gesuchten nirgend finden würde, als in dem großen Schatzgewölbe, besonders zu einer Zeit, da es auf neue Goldlieferungen an König Remphis ankam, die sich nirgend her, als aus seinen eigenen Vorräthen nehmen ließen. Es war ein Schicksal, das diesen Geizigen nicht selten betraf, mit seinen eigenen, selbst aufgehäuften Schätzen, die er längst nicht mehr zählen konnte, bezahlt, beschenkt und bestochen zu werden.

Die Hälfte des Monats, welcher dem Bräutigam der schönen Faöué zur Zahlung der Pfandsumme, für die Entdeckung eines Geheimnisses, das er nicht enthüllen konnte, ohne sich selbst zu verrathen, anberaumt worden war, war bereits verflossen, Thonis hatte Ursache ihn mit Erfüllung des Versprochenen beschäftigt zu glauben, und noch größere, sich zu wundern,[114] daß er hiemit so langsam zu Werke ging. Seit dem, was Thonis von seiner Mutter erfahren hatte, war er gewiß, daß Thasus alle Zeit, die er nicht seiner Familie schenkte, im Labyrinthe zubrachte; ach warum verweilte er diesmal so lang daselbst? Warum mußte man ihn in diesen fürchterlichen Mauern aufsuchen, da man so wichtige Dinge mit ihm zu verhandeln hatte?

Mit Zittern betrat Thonis den heiligen Bezirk, der einsam, öde und schauerlich vor ihm lag, wie ein Begräbnißplatz. Auf König Remphis Befehl wurde dieser Palast auch nicht anders genannt, als das Grab der Könige von Egypten, ungeachtet noch keine menschliche Asche hier ruhte, als die Asche des euch wohlbekannten Mendes, des königlichen Lieblings, den man vor einiger Zeit hier ermordet gefunden hatte, ohne den Thäter ausfindig machen zu können. König Remphis wollte entweder durch den feyerlichen Namen, den er seinem Schatzhause gab, seinen oftmaligen Wanderungen in dasselbe einen frommen Anstrich geben, oder der Welt symbolisch andeuten, das[115] Gold, welches hier begraben lag, sey ein Theil seines Wesens; – sein besseres Selbst hätte man es richtiger nennen können.

Als Thonis den ungeheuern Bau ganz nahe vor sich sahe, fiel ihm allererst die Unmöglichkeit ein, welche weder von ihm noch von seiner Mutter beherzigt worden war, ohne übernatürliche Hülfe in die verbotenen Mauern zu kommen. Wußte er, wie er dieselbe herbeyrufen sollte? oder konnte er, gewissenhaft, klug und vorsichtig, wie er war, nur wünschen, sich mit verdächtigen Wesen einzulassen?

Doch Thonis ging seinen Weg unter himmlischen Schutz; kein Unrecht war an seinen Händen, keine böse, oder nur zweydeutige Absicht war in seinem Herzen, unter Umständen, wie diesen, heben sich alle Schwierigkeiten von selbst, keine Hindernisse können Schritte hemmen, welche die Vorsicht lenkt.

Thonis hatte kaum das Labyrinth nahe genug vor Augen, um jeden kleinen Theil der Verzierungen, mit welchen vornehmlich [116] das Frontispiz desselben überladen war, unterscheiden zu können, so fielen seine Blicke auf einen verschleyerten Kopf, der mit den Flügeln, die hinter ihm hervorragten, eine Schrift beschattete, welche in versetzten Buchstaben den Namen Motherud ausmachte. Thonis konnte sich kaum des lauten Jubels über diese schnelle Entdeckung enthalten; doch die heilige Stille dieser schauervollen Gegend schreckte jedes Geräusch zurück, und stillschweigend und froh schwang sich der glückliche Finder auf ein niedres Gesims, von wo er den geheimnißvollen Stein erreichen konnte.

Er bewegte sich unter seinen Händen, er wich endlich gar; noch ein kühnen Sprung, und Thonis sah sich auf dem Rücken eines Sphinx, an einem ziemlich geräumigen Eingang, von welchem sich einige düstere Stufen in die Tiefe hinabzogen, an deren Ende aber doch eine kleine Dämmerung schimmerte.

Thonis zögerte weiter zu gehen, ihm war alles ängstlich und grauenvoll, was er vor sich sah. Ist das, sagte er zu sich selbst, [117] die Pforte zu dem berühmten Wunderbau, wo Motherud, wo auch wohl Thasus ihre schönsten Stunden verlebten? Doch alle verbotene Wege sind mit drohenden Nächten umschattet, den deinigen muß die gute Absicht erheitern, in welcher du ihn betratest.

So leicht dem Wanderer, der sich aus Furcht vor Entdeckung bald weiter hinein wagte, und den Eingang hinter sich zuschob, so leicht ihm die Entdeckung des Zugangs zu den Geheimnissen des Labyrinths geworden, so viel Schwierigkeiten fanden sich im Fortgehen. Wie sollte sich ein Unkundiger aus Irrgängen finden, welche bey jedem Schritte sich zweifelhafter durch einander wanden? Hier wär Hülfe übernatürlicher Führer noth gewesen. Thonis dachte an das Mittel, welches sein Vater so oft gebraucht hatte, die Geister des Feuers zu rufen, und augenblicklich, wie von seinen Gedanken hergewinkt, lagen Stahl und Stein vor ihm auf einem Säulenfuß, aber er hütete sich wohl sie anzurühren; er wollte lieber streben, durch eigene Kräfte, mühsam zu einem guten Zweck zu kommen, als sich [118] zu Erreichung desselben verdächtiger Mittel bedienen.

Drey Tage, so berichten die heiligen Geschichtsbücher Egyptens, drey Tage irrte Thonis auf diese Art in düstern Labyrinthen umher, welche nichts erhellte, als zu Zeiten einige aufsteigende Funken, von welchen eben der vorsichtige Wanderer, der ihre Deutung schon kannte, keine Notiz nahm. Große Schatzbehälter voll Gold und Edelsteine öffneten sich hier im falben Schimmer seinen Augen, dort schien ein Sphinx mit seinem Flügel heilige Wunder zu decken, hier lockte ein Anubis voll Hieroglyphen den Kenner verborgener Bilderschrift zu Befriedigung unschuldiger Neugier; Thonis hielt keinen Trieb für unschuldig, der ihn von seinem Endzweck, von der Aufsuchung seines Bruders ablockte, und so geschahe es, daß er doch endlich auf die Stelle kam, wo Entdeckungen seiner warteten, die er bey aller Ahndung von traurigen Dingen, welche mit jedem Augenblick seiner Wanderung stärker in ihm ward, sich so nicht gedacht hätte.

[119] Er trat jetzt in einen der Säle, die sich mit dem Ton des Donners öffneten; dieses Wunder war ihm nicht neu, Motherud hatte in seiner Geschichte etwas davon erwähnt, und das Schrecken des Eintretenden verglich sich also bey weitem nicht mit der Stärke einer ganz andern Empfindung, welche nun bald in seiner Seele rege werden sollte.

Als der letzte Laut des wiedertönenden Donners verhallt war, drängte sich zu dem Ohr des horchenden Thonis ein leises Seufzen, das aus der fernsten Tiefe des weiten Gewölbes herauf kam, und in welcher die Stimme des unglücklichen Thasus nicht zu verkennen war.

Kommst du, mein Bruder? stöhnte sie, kommst du endlich? – Ach wie lang erwartete ich dich! doch ich wußte, du würdest erscheinen, und die letzten Seufzer eines Elenden auffassen, der ohne Rettung verlohren ist.

Sprachlos vor Entsetzen stand jetzt Thonis der Stelle gegen über, wo die klagende [120] Stimme tönte. Jenseits eines ungeheuern goldenen Beckens, in welchem unglaubliche Schätze blinkten, erhob sich die gigantische Bildsäule eines Typhon, 7 der mit drohender Rechten über den großen Schatzbehälter zu wachen schien. Eine von den Schlangen, welche zur Zierde des Fußgestells dieser furchtbaren Gottheit zu dienen pflegen, hielt eine bleiche zitternde Menschengestalt umschlungen, die Thonis nur gar zu bald für seinen unglücklichen Bruder Thasus erkannte.

Nahe dich, Thonis! seufzte der Gefangene, der das Entsetzen sahe, welches seinen Bruder zu einem leblosen Marmorbilde zu machen schien, doch nahe dich nicht zu sehr, daß du nicht umkommest, wie ich. Meine Strafe ist gerecht! Höre meine letzten Geständnisse, und dann laß mich sterben! Ach, wie bewegt das Winden dieser gräßlichen Schlangen meine Brust! Hinweg Thonis! Hinweg! du kannst mir nicht helfen![121] auch soll sich meine Quaal endigen, so bald ich gesprochen habe.

Thasus suchte sich zwischen den Ringen des Ungeheuers, das ihn umwand, und das zu leben schien ob es wohl von Stein war, eine bequemere Lage zu geben, und begann dann folgendermaßen:

Keinen verbotenen Künsten danke ich die Kenntniß des Steins Motherud, er bot sich selbst meinen Augen dar, so wie er sich den deinigen dargeboten haben wird. Ich betrat diese schrecklichen Irrgänge, so schuldlos, als du sie betreten hast, hätte ich sie nur eben so schuldlos verlassen mögen! Ich betrat sie, um hier Hülfe für die Dürftigkeit meiner Familie zu suchen; auch war hierin vielleicht noch nichts sträfliches an mir. Mir war es vergönnt von den Juwelen, die ehemals Motheruds waren, und die König Remphis, so meynte ich, nur widerrechtlich sein Eigenthum nennen konnte, etwas zu nehmen, und dessen mäßig zu gebrauchen, so wie auch dir es vergönnt seyn würde. Aber schon hier blieb ich nicht ganz in den Schranken des Rechts, und [122] der Bescheidenheit; doch ich sollte noch tiefer fallen, denn meine Absicht war nicht rein. Nicht nur Trieb, den unglücklichen Nachkommen Motheruds aus dem Staube zu helfen, auch Rachsucht lockte mich hieher. Ich haßte die Feinde meines Vaters, ich rief durch Stahl und Stein die Geister des Feuers, und forderte von ihnen einen von jenen Verworfenen in meine Hände zu bringen. Sie lieferten mir den boshaften Mendes. Sein Blut floß auf der Stelle, wo du stehst, von meinen Händen. Ich war mit dieser Rache noch nicht vergnügt, ich wollte dem Schatten Motheruds ein noch süßeres Opfer bringen. Remphis sollte sterben, oder was ihm das Liebste war. Die Geister wollten oder konnten mir hierin nicht die Hand bieten. Ich warb um Faöué, du kannst rathen aus welcher Absicht, auch weißt du zum Theil, wie meine Bewerbung um sie abgelaufen ist. – O dies, dies stürzte mich in den Abgrund des Elends! – Nicht ganz bekannt mit den Gesetzen der wandernden Edelgesteine, war ich so unvorsichtig gewesen, in dem meergrünen Diamanten das Mittel aus [123] den Händen zu geben, sie alle in meiner Gewalt zu behalten. Da ichihn verlohren hatte, hatte ich alles verlohren, war ganz arm, nicht allein außer Stande, die Summe, welche König Remphis forderte, zu zahlen, und mich dadurch in den Besitz des Schlachtopfers meiner Rache zu setzen, sondern auch unfähig, dich und meine unglückliche Mutter länger in dem gewohnten Ueberfluß zu erhalten. Zum erstenmal betrat ich dieses Haus, meine Hand nach ganz fremden Gut auszustrecken; über Motheruds Edelgesteine hatte ich keine Gewalt mehr. Der erste diebische Griff nach den Schätzen, die hier vor dir liegen, ward auf der Stelle so schrecklich bestraft, wie du an mir siehst. Es kam ein Geist des Lebens in die steinernen Ungeheuer, welche die Füße dieses drohenden Rachgottes, dessen aufgehobener Rechte ich so lang gespottet hatte, umwinden. Mit höllischen Gezisch schossen sie herab, und ich war gefangen. Doch nun nicht länger! – Ich sterbe! – Nicht Rache, nur Verbergung meines Todes und unserer Schande, ist die letzte Bitte deines Bruders! –

[124] Ein gezückter Dolch endigte bey diesen Worten das Leben des elenden Thasus.

Die Empfindungen des unglücklichen Thonis beym ersten Anblick seines Bruders, seine Gefühle während seiner Rede und nun seine Verzweiflung bey seinem schrecklichen Tode zu schildern, würde Unmöglichkeit seyn. Von dem warmen Blute des Selbstmörders, das weit im Gewölbe umherspritzte, übergossen, stürzte sich Thonis auf die Stelle, wo er sein Leben aushauchte. Das schwache Winken des Sterbenden, und Thonis eigenes Gefühl von der Gefahr, gleich ihm, von jenen halb lebenden Ungeheuern festgehalten zu werden, hinderte ihn nicht, tausend Versuche zu seiner Rettung zu machen. –

Vergebens! lallte der schon halb Entseelte. Vergebens! – Doch Verbergung meiner Schande, o wär diese, wär diese möglich! Eure eigene Sicherheit hängt hiervon ab!!

Thonis fand das eine so unmöglich, als das andere. Der Körper des Unglücklichen, [125] der jetzt zum letzten mal athmete, war zu fest in tausend Ringen verschlungen, um davon gebracht zu werden. Ein Gedanke kam dem verzweifelnden Bruder, aber er war seinem fühlenden Herzen zu schrecklich, um ausgeführt zu werden.

Auf Gefahr ertappt zu werden, verweilte er lange an dem fürchterlichen Orte, und spät erst bewog ihn der Gedanke an Butis zur Rückkehr. – Hüte dich, daß du ohne Blut zurückkommst, hatte sie beym Abschied prophetisch warnend gesprochen, und ach das Blut seines Bruders war auf seinen Kleidern, als er zuerst vor die unglückliche Mutter trat! – Laßt mich hier eine Pause machen, und durch Schweigen alles sagen.

Nachdem der erste Schmerz ausgetobt hatte, nachdem Butis alles wußte, was Thonis aus dem Munde des Sterbenden erfuhr, kam es zu Rathschlägen über Befolgung seines letzten Willens. Entdeckung des Räubers der königlichen Schätze war vor der Thür, wenn man nicht schnelle Maasregeln nahm. Thasus konnte als [126] Motheruds Sohn, als Thonis Bruder erkannt werden, denn nicht allen waren die Abkömmlinge des Baumeisters unbekannt, und alsdann theilte sich die Strafe seines Verbrechens den Unschuldigen mit. Thonis zitterte für seine Mutter, Butis für ihren Sohn; nichts konnte hier Rettung bringen, als eine That, welche, der zärtliche Bruder mochte sie noch so oft unnatürlich, unmenschlich nennen, doch dieses für sich hatte, daß sie nothwendig war.

Thonis rüstete sich mit möglichster Standhaftigkeit zu einer zweyten Reise nach dem Labyrinthe, und kehrte mit dem Kopfe seines Bruders und seiner rechten Hand zurück, welche der Verlobungsring der schönen Faöué, der sich auf keine Weise von dem, wie zum Griff nach verbotenem Gut gekrümmten Finger ziehen ließ, hätte kenntlich machen können.

Thonis zeigte und sagte der trauernden Mutter bey seiner Rückkunft nichts von dem, was er brachte; aber man verstand sich, man wich einander absichtlich aus und [127] verlebte in stummen Gram einige Tage bis neue Leiden hereinbrachen.

Hat denn Thonis alles Mitleid für seine unglückliche Mutter, alles Gefühl für den armen Verstorbenen ausgezogen, sagte Butis, als sie nach einer halben Woche des gänzlichen Stillschweigens ihren Sohn auf der Stelle aufsuchte, wo er die geraubten Ueberbleibsel seines Bruders bewahrte, und wo er Tag und Nacht zu weinen pflegte. Soll denn Thasus Leichnam ungesalbt und unentsündiget an der Sonne modern, und sein Schatten ewig einsam diesseit der Fluthen des schwarzen Sees umherirren?

Was meynt meine Mutter? fragte Thonis, indem er ihre Knie umfaßte, ist noch etwas übrig, das treue Bruderliebe zu leisten vermag, so gebiete sie, und ich opfere mein Leben ihre Befehle zu erfüllen.

Ich kann nicht ruhen, antwortete Butis, so lang der verstümmelte Leichnam meines Sohnes an den Mauern des Labyrinths den Vorübergehenden zum Spott aufgehängt ist!

[128] Thonis opfre, muß es seyn, sein Leben, um die Gebeine seines Bruders dem Auge der Welt zu entziehen, und ihnen das königliche Grab zu geben, das der Unglückliche einst im prophetischen Geiste sich selbst wählte.

Butis, welche noch immer viel Freundinnen und Neuigkeitssagerinnen um sich hatte, und die also ganz genau wußte, was, nachdem man den Körper des ermordeten Thasus im Labyrinthe gefunden hatte, bey Hofe vorgegangen war, sagte die Wahrheit.

Man hatte den Leichnam dieses Unglücklichen wirklich an den Mauern des Labyrinths aufgehängt, doch dies nicht allein, um damit seine That zu bestrafen, und sein Andenken zu beschimpfen, sondern auch wegen einiger andern Ursachen, die Butis vielleicht nicht ganz durchschauete, sonst würde sie das Leben ihres einzigen übrigen Sohns nicht in so augenscheinliche Gefahr gewagt haben.

König Remphis sahe sich zwar an dem Räuber seiner Schätze gerochen, und die [129] Sicherheit des Labyrinths gewissermaßen hergestellt, aber doch nicht völlig. Der abgehauene Kopf machte die Kenntniß des Thäters unmöglich, und zeigte zugleich ganz deutlich, daß er noch mehrere sehr schlaue Mitverschworne hatte, welche sein Verbrechen gelegentlich wiederholen, und dem hagern Greif von Egypten täglich neue Unruhe bereiten konnten.

Um die Bundesgenossen des verstümmelten Räubers zu entdecken, fand seine Majestät kein besseres Mittel, als neben dem ausgehängten Leichnam genaue Wache halten zu lassen, was die Vorübergehenden bey diesem Anblick äußerten, und bey der kleinsten Spur von Kummer oder Mitleid, schnell denjenigen fest zu halten, der sich auf diese Art verdächtig machte. –

Zu Beobachtungen, wie diesen, gehört etwas mehr, als gemeiner Lohnwächtersinn, und wie sorgfältig König Remphis war, zur Huth bey dem Körper des unglücklichen Thasus nur die tüchtigsten Leute zu wählen, das werdet ihr aus der Folge sehen.

[130] Die Wache saß einst, gegen Untergang der Sonne auf der Stelle, welche die Nachbarschaft eines modernden Leichnams nicht zu der angenehmsten machte, da zog ein Eseltreiber mit seinen Thieren vorüber. Er grüßte kaltsinnig, und trieb gemach südwärts dem See zu.

Dies war nicht das Gesicht eines gemeinen Eseltreibers, sagte der eine der Hüter. Und sein absichtliches Vermeiden jenes Anblicks, erwiederte der andre, könnte ihn schon verdächtig machen. Laßt uns ihn rufen! – Freund!! der Tag ist heiß, ruhe hier ein wenig. –

Ach laßt mich!

Warum?

Eure Nachbarschaft gefällt mir nicht!

Kennst du sie?

Ja wohl, und gar viel hätte ich euch hierüber zu sagen!

Wie? – Weißt du auch, daß du dir mit dieser Kunde einen gnädigen König machen könntest?

[131] Gar wohl weiß ichs, und eben darum ziehe ich nach Hofe mit diesen Weinschläuchen. Bey König Remphis ist man auch mit der wichtigsten Nachricht ohne Geschenk nicht angenehm.

Laß uns ihn mit Gewalt festhalten, flüsterte hier einer der Hüter zum andern. Wein ist ein seltenes Getränk, und König Remphis ist uns einen Trunk schuldig!

Der Eigner des Weins war so leicht nicht zum Verweilen zu bringen, es kam vom Wortwechsel zu Thätlichkeiten, die Zapfen der Schläuche wurden los, der Wein begann gemachsam in den Sand zu fließen, da gesellte sich zu den beyden Hütern ein Dritter, der bisher an dem Hauptorte, zunächst bey dem Leichnam gewacht hatte.

Was ists, daß ihr rechtet mit diesem Manne?

Herr! sie sind Ursach, daß ich meinen Wein verliere! gebietet ihnen, daß sie Hand anlegen, damit das köstliche Naß gerettet werde!

[132] Ey, retten muß man ihn! war die allgemeine Stimme, und alsobald waren Krüge und Flaschen bereit, die sobald geleert als gefüllt wurden, und deren geringe Anzahl, bey der Geschwindigkeit, mit welcher dieses geschahe, nicht in Betrachtung kam. – Dies war die Meynung des Eigenthümers nicht gewesen. – Der Eseltreiber schrie, und rang die Hände, die Hüter tranken, doch keiner gieriger, als der zuletzt dazugekommen, bis endlich der Eigner des Nektars unwillig ward hier allein zu dursten, sich mit den wackern Trinkern in den Schatten setzte, und so redlich Bescheid that, daß die Trunkenheit ihn früher beschlich, als seine Gefährten, und er sehr leicht zu bereden war, noch einen Schlauch gutwillig aufzuthun, und ihn seinen Gesellen Preis zu geben.

Der Inhalt des neueröffneten mußte mächtiger seyn, als der zuerst genossene. Die Gesichter der Zecher glühten, ihr Mund stammelte. Freund, begann der eine, da du uns nun einmal den Wein, den du zum Könige führtest, überlassen hast, so erzähle [133] uns auch die ihm zugedachte Geschichte von dem Räuber seines Schatzes! –

Wie? schrie derjenige unter den Hütern, welcher zuletzt auftrat, dieser Wein für mich bestimmt, und so lüderlich vergeudet?

Laßt ihn doch stammelte ein anderer. Die Geschichte des Geheimnisses, nach welchen wir nun hier so lange vergeblich forschen, vergütet euch allen Schaden! – Erzähle, Freund, das wird König Remphis dir lohnen.

Der Eseltreiber, der eben im Einschlafen begriffen war, fuhr auf, und hatte wider die Forderung nichts einzuwenden, als daß die Gesellschaft nicht ganz nüchtern sey, und schon einer von derselben im tiefen Schlafe liege.

So haben wir die Geschichte allein, lallte der Letztgekommene; ein Gut allein zu genießen ist immer ein Vortheil.

Der aufgeforderte Erzähler nannte dies eine Anmerkung, welche würdig sey aus König Remphis Munde geflossen zu seyn, [134] und hatte auch hiergegen nichts einzuwenden. Darauf begann er nach einigem Zögern: Es war einmal ein König. – –

Doch erwartet nicht, meine Zuhörerinnen, daß ich Euch von dieser berühmten Geschichte ein mehreres sage.

Ob sie über diese Worte noch fortgesetzt wurde, ist mir unbekannt; die, welchen sie erzählt wurde, wußten, als sie mit Aufgange der Sonne von dem Schlafe, der sie jetzt allmächtig befiel, erwachten, wenigstens nichts von derselben, als den eben gemeldeten Anfang, und schon waren sie im Begriffe einander ihre Gedanken über das ganze Possenspiel, das ihnen wie ein Traum vorkam, jeder nach der guten oder schlechten Laune, mit welcher er sich den Schlaf aus den Augen wischte zu sagen, als ganz andere Dinge ihre Aufmerksamkeit an sich zogen, und diesem Possenspiel auf einmal eine ziemlich ernsthafte Wendung gaben.

Der Eseltreiber mit seinen Thieren war verschwunden, der Leichnam von der [135] Mauer gleichfalls, und ein halb kahlgeschorner Bart, welchen jeder der dreye an seinen beyden Gefährten wahrnahm, sagte ihnen, daß sie diese Nacht einem durchtriebenen Schlaukopf, wo nicht gar einem argen Zauberer zum Spielwerk gedient hatten.

Der Vornehmste der ansehnlichen Todtenwache verhüllte sich stillschweigend, und eilte, um noch im ersten Frühroth die Stadt zu erreichen, und die Schande seines beschimpften Bartes vor den Augen der Welt zu verbergen; die beyden andern, welche gleichfalls ihr beschämtes Angesicht der Sonne entzogen, sagten zu einander: Wohl uns, daß er unser Schicksal theilt, sonst möchte es uns das Leben gekostet haben.

Wer die Hüter des Leichnams waren, und wer der Räuber desselben, das wird nunmehr wohl niemand von Euch ein Geheimniß seyn. König Remphis und zwey seiner vornehmsten Hofbedienten, waren genöthigt, sich mehrere Wochen, wegen einer seltsamen Unpäßlichkeit, die alle dreye zugleich befallen hatte, eingezogen zu halten, [136] und Thonis brachte indessen seiner Mutter die frohe Botschaft, die Gebeine seines Bruders haben diese Nacht ein ehrliches Grab in einer der für König Remphis hohes Haus bestimmten Grüfte des Labyrinths erhalten.

Es war, als wenn Thonis, nachdem er seinem Bruder die letzte Pflicht geleistet hatte, ruhiger zu werden begönne, er hatte wieder Raum für andere Gedanken, und die schöne Faöué, welche bisher ganz vergessen worden war, behauptete von neuem ihre Rechte.

Sorgsame Nachforschungen brachten die Zeitung ein: die seltsame Krankheit ihres Herrn Vaters, noch mehr aber das Außenbleiben ihres Bräutigams, von dem man, seit seiner Audienz, bey welcher Thonis gegenwärtig war, nichts gehört hatte, habe sie so angegriffen, daß sie sich in den Tempel der Göttin Athor begeben habe, ihr ganzes Leben ihrem Dienste zu weihen.

Diese Post weckte die volle Leidenschaft in dem Herzen des zärtlichen Thonis wieder [137] auf. Er küßte seine Mutter, und eilte nach der Hauptstadt, die Dame seines Herzens nur noch einmal zu sehen; er wußte, daß die Priesterinnen der 8 himmlischen Athor, nur wenige Wochen nach ihrer Aufnahme, noch Erlaubniß hatten, Besuche von ihren Weltfreunden anzunehmen, aber ganz unbekannt war es ihm, daß auch die irdische Athor zu Meroe Feuer und Heerd hatte, und daß es ein Grundgesetz ihrer Priesterinnen war, niemand ihren Anblick zu entziehen.

Wie er dieses erfuhr, Himmel, wie er dieses erfuhr, und wie das Gerücht ihm betheuerte, nicht in dem erstern, sondern in dem letzten dieser so verschiedenen Tempel werde er die Geliebte seines Herzens finden, o wer schildert da seine Verzweiflung! – All seine Hoffnung beruhte noch auf der Unmöglichkeit, daß die schönste und unschuldigste Person von der Welt, daß die Tochter des reichsten und größten Königs seiner Zeit so herabgesunken seyn könne. Er mußte mit eigenem Auge sehen ehe [138] er glauben konnte, und sehr leicht war es ihm hierin Gewißheit zu erlangen.

Er ging in den Tempel der berufenen Göttin, wo niemand zurückgewiesen wurde, und verlangte die Prinzessin zu sprechen.

In der demüthigenden Kleidung ihres neuen Standes trat sie ein, doch verleugnete die sittsame niedergeschlagene Miene ganz das Gewerbe, zu welchem sie sich bekannte.

Thonis verhüllte sein Gesicht, theils um seinen Gram über die schreckliche Erniedrigung einer Person, die er wie eine Gottheit angebetet hatte, zu verbergen, theils um von ihr nicht erkannt zu werden. Doch ihre thränenschweren Augen waren viel zu tief zur Erde gesenkt, als daß er das letzte hätte befürchten dürfen.

Ists möglich, rief Thonis nach einem langen Schweigen, ists möglich, daß ich die schöne Faöué hier finde?

Was kann Unglück nicht möglich machen!

Und der Dienst dieser Göttin ist Eure eigene Wahl? – Doch nein! der goldgierige Remphis, dem alles feil ist, wars [139] ohne Zweifel, der endlich auch die Tugend seiner Tochter verkaufte.

Verzeihet, der Preis meiner Liebe ist kein Gold; niemand wird sie gewinnen, als der, welcher mir nach meinem eigenen Urtheil den listigsten Streich erzählen kann, den je ein Mensch dem andern gespielt hat. Ich bin eine besondere Liebhaberin solcher Dinge. Es ist dies so eine Weibergrille, so ein Einfall, der mir in den Sinn gekommen ist, kurz ich höre gern sinnreiche Geschichten, und ich – ich – –

Faöué, welche sich in Worten verwickelte, ohne vor Beschämung enden zu können, zwang sich hier zu lachen, aber ein Strom von Thränen, welcher aus ihren schönen Augen brach, verrieth ihrem Gesellschafter vollkommen die innere Quaal ihres Herzens, und ließ ihn das ganze Geheimniß errathen, das er vor sich hatte, so wie sich auch seinem geschwinden Verstande augenblicklich darbot, was er hierbey zu thun habe.

Das ist doch sonderbar! sagte er, und Ihr habt der Proben des Scharfsinns wohl schon viel gesammelt?

[140] Faöué, welche alle Fassung verließ, wußte ihre Verzweiflung über die Person, welche sie hier vorstellte, nicht mehr zu bergen. Sie sprang auf, rang die Hände, und weinte zum Himmel.

Ich glaube es Euch, fuhr Thonis fort ohne sich irren zu lassen, Ihr werdet es müde seyn, Euch nichts als alltägliche Räuberstreiche erzählen zu lassen, aber geduldet Euch. Wollt Ihr mir diesen Abend einen Besuch im Dunkeln verstatten, so sollt Ihr eine Geschichte hören, die Euch nebst dem, der Euch zum Werkzeuge seiner Absichten braucht, völlig befriedigen, und Euch für die Zukunft einer Rolle überheben soll, die Ihr so herzlich schlecht spielet.

Faöués Gedanken über das was man ihr sagte, gehören hieher nicht, vielleicht dachte sie vor Angst und Beschämung über ihre schreckliche Lage wenig oder gar nichts. Genug am Abend war sie genöthigt, den Besuch des Fremden anzunehmen, und was sie von ihm erfuhr, das werdet ihr alle errathen.

[141] Mit der größten Aufrichtigkeit und mit dem beißendesten Spott über den betrogenen König erzählte Thonis, jedoch ohne sich zu erkennen zu geben, die ganze Geschichte von dem gestohlnen Leichnam, den geleerten Weinschläuchen und den geschornen Bärten.

Ja, schrie die unvorsichtige Faöué in einem Ausbruch von Freude, die dem Entzücken einer Sklavin glich, welche die Fesseln von ihren Händen fallen siehet, ja, dies ists was ich verlange! Dies wird mich retten! Unglücklicher Fremder! daß ich euch euer treuherziges Geständniß so schlecht danken muß! Reicht mir eure Hand, und schreibt das übrige meinem Schicksal zu!

Die Prinzessin, welche ihrem guten Herzen freyen Lauf ließ, und nicht dachte, daß, so gewarnt, sich wohl niemand in ihre Gewalt geben würde, tappte nach der Rechten des Erzählers, und eine eiskalte Hand legte sich in die ihrige. Ein Stoß mit dem Fuß, und im Vorgemach erhub sich großes Geräusch. Das Zimmer ward auf einmal hell, Gewaffnete drangen herein [142] um den ertappten Verbrecher fest zu nehmen, aber dieser hatte König Remphis plumpe List das Verborgene zu entdecken, die von seiner arglosen Tochter so erbärmlich ausgeführt ward, längst errathen, und war entflohen. Faöué sahe Statt der seinigen in ihrer Rechten, eine abgehauene Todtenhand; sie stieß ein lautes Geschrey aus, und sank ohnmächtig zur Erde.

Thonis hatte in seinen Muthmaßungen vollkommen recht gehabt. Dies war nichts als ein neuer Versuch des Königs hinter die Geheimnisse der Räuber seines Labyrinths zu kommen. Die Ehre seiner Tochter war ihm nicht zu theuer gewesen sie hier aufs Spiel zu setzen, und da er um diesen gewagten Preis doch nun nichts hatte als abermalige Täuschung, und die abgehauene Hand des Räubers, so denke man sich seine Verzweiflung.

Faöué hatte geleistet, was ihr aufgebürdet worden war, sie hatte den Eyd des Königs, über dasselbe sollte sie zu nichts gezwungen werden; dieser Eyd durfte nicht gebrochen werden, und es war ihr also erlaubt,[143] in ihr stilles Wohnzimmer zurückzukehren, das sie auf Befehl eines unnatürlichen Vaters mit der gefahrvollen Wohnung des Lasters hatte vertauschen müssen.

Sie betrat diese geliebte Freystatt der Tugend mit einem so unschuldigen als tiefgekränkten Herzen; dessen war viel was an demselben nagte. Sie konnte den Gedanken nicht überwinden, die Gestalt und die Stimme des schlauen Räubers sey Gestalt und Stimme ihres Thonis gewesen, den sie vielleicht absichtlich entwischen ließ, – und den sie noch immer nicht vergessen konnte. Ach, und die abgehauene Hand die er in der ihrigen zurück ließ, war es nicht die Hand ihres ehemaligen Verlobten? das bezeugte ja der Ring an derselben, welchen Thonis, ich weiß nicht, ob gern oder ungern, abzuziehen versäumt hatte.

Himmlische Athor! seufzte das fromme Mädchen Tag und Nacht zum Himmel, gieb mir den Tod, denn nie ward die Unschuld tiefer gedemüthigt, als ich. Ich, deine Geweihte, mußte drey schreckliche Tage in dem Tempel deiner dir so unähnlichen [144] Schwester zubringen; ich, der edelsten Liebe würdig, mußte die Braut eines Räubers werden, muß noch mit ganzen Herzen an einem Menschen hängen, der nichts bessers seyn kann, als jener? Gieb mir, gieb mir den Tod! ich begehre nicht länger zu leben!

König Remphis fühlte sich eben so unglücklich, als seine Tochter, obgleich aus ganz verschiedenen Ursachen. Der Schimpf seines verstümmelten Bartes, den er allenfalls nur für den goldenen Bart des Arueris 9 würde hingegeben haben, die geglaubte Unsicherheit seines Schatzhauses, und die unausstehliche Beschämung, von einem Räuber in allen gehöhnt, in allen Wendungen der Schlauigkeit übertroffen zu werden, brachten ihn dem Tode nahe, schon [145] zitterte er vor der Fahrt über die Fluthen des schwarzen Sees, und die jenseit desselben richtenden Mächte, zu welchen er sich wenig Gutes versehen konnte, machten sein Blut zu Eis.

In dieser Gemüthsfassung war es, daß er folgenden Traum hatte. Er ließ des Morgens nach demselben, es war der Morgen seines Todestages, seine Tochter zu sich kommen, und erzählte sein Nachtgesicht auf diese Art.

Faöué, begann er: Mein Ende ist vor der Thür, höre, was ich dir noch diesseit des Grabes zu sagen habe. Mir träumte diese Nacht, ich fuhr zur Hölle, da kam mir unsere große Isis auf dem Wege in die grauenvolle Tiefe freundlich entgegen. Remphis, sagte sie, noch ist Rettung für dich aus dem Pfuhl, der dort unten brennt: Hier sind Würfel, laß uns spielen; wer gewinnt, soll von dem andern die Gewährung einer freyen Bitte zu fordern haben. Wir spielten, und Isis gewann; da forderte sie, was ich eingehen mußte, so schwer mir es auch ward, und was du zu [146] genauer Befolgung in einer darüber verfaßten Schrift aufgezeichnet finden wirst. Die große Einzige 10 lächelte vergnügt über meine Bereitwilligkeit. Sie verdient Lohn, sagte sie, laß uns zum zweytenmale spielen.

Wir spielten und ich gewann. Bitte nun auch du, sprach die Göttin, und dir soll nichts versagt werden. Mutter aller Wesen, rief ich, gieb mir den goldenen Schleyer der dein Haupt bedeckt.

Zu welchem Ende? fragte sie lächelnd.

Ich will, sagte ich, die Augen der Todtenrichter damit verhüllen, damit sie mir den Eingang in die Wohnungen der Seligen nicht versagen. Gold blendet und versöhnt auf Erden die Unerbittlichsten; sollte es hier anders seyn? –

König Remphis mußte hier aus Mattigkeit inne halten, und die Umstehenden [147] hatten indessen ihre Gedanken, wie ein Geiziger sich doch auch in seinen Träumen nicht verläugnen könne.

Faöué machte diese Anmerkung nicht; ihr gutes kindliches Herz kannte in diesem Augenblicke nichts als seinen Kummer um einen Vater, der ihr lieb war, ungeachtet sie die bittersten Kränkungen von ihm hatte erfahren müssen. Auch versprach sie alles was von ihr gefordert wurde.

Dem Könige gnügte dieses Versprechen nicht; ehe sich seine Augen auf ewig schlossen, nahm er noch einen Eyd, nicht allein von der weinenden Prinzessin, sondern auch von den nicht weinenden Großen des Landes, die er ihr, als künftiger Königin, zu Reichsräthen ernannt hatte, dem Inhalt der versiegelten Schrift, die er ihnen eigenhändig darreichte, schnell und unweigerlich nachzukommen. Er ließ sie schwören bey dem was ihm das heiligste war, bey den Schätzen des Labyrinths, bey den Diamanten Motheruds und bey dem meergrünen Edelsteine, der Krone derselben.

[148] Als er sie auf diese Art fest und unauflöslich gebunden glaubte, entfloh seine Seele in freudiger Hoffnung auf die blendenden Kräfte des goldenen Schleyers der großen Isis, deren er so gewiß war als der Erfüllung dessen, was ihm im Traume zur Bedingung seiner Begnadigung gemacht wurde.

In dem Hause der bekümmerten Butis, wußte man nichts von dem, was zu Meroe vorging. Thonis war nach seinem letzten Abendtheuer mit der Prinzessin, in die dasige Einsamkeit zurückgekehrt, mit dem festen Entschlusse, die Hauptstadt nicht wieder zu betreten. Faöué sollte und mußte vergessen werden, nicht als ob er aus der Wohnung des Lasters, in welcher er sie zuletzt sahe, einen Verdacht gegen ihre Unschuld mit sich genommen hätte; nein, diese lag in jedem Wort, jeder Handlung dieser guten truglosen Seele zu offen da, als daß sie von irgend jemand hätte bezweifelt werden können; aber eben so deutlich fühlte auch Thonis die Unmöglichkeit, sich ihr je mit Hoffnung nahen zu dürfen, und so ergriff [149] er denn die beste Parthie vom Glück verlaßner Liebenden, er entschloß sich, dem Schicksal seinen Willen zu lassen, und durch heldenmüthige Flucht eine Leidenschaft zu tödten, welche den Beyfall des Himmels nicht hatte.

Zu den Kümmernissen, welche Kämpfe dieser Art mit sich führen, gesellten sich bald auch andre. Mangel und Dürftigkeit begannen wieder die Hausgenossen der Familie des unglücklichen Baumeisters zu werden. Der Zufluß aus dem Schatzgewölbe der Könige von Egypten war gehemmt. Zwar hatte Thonis die Kenntniß des Steins Motherud nicht verlohren, aber er nützte sie nur, um alle Neumonden bey dem Grabe seines unglücklichen Bruders zu weinen, und die gebührlichen 11 Moals daselbst zu halten. Nie streckte sich seine Hand aus, um von den aufgehäuften Schätzen des Labyrinths, auch da, wo kein [150] Typhon über ihnen wachte, etwas zu Hebung der dringenden Bedürfnisse seines Hauses zu nehmen. Die wandernden Edelsteine, deren er sich vielleicht ohne Sünde unbemerkt und unbestraft hätte bedienen können, lockten ihn oft, oft lagen in den Augenblicken des schwersten Kampfs Stahl und Stein vor ihm, die Geister des Feuers zu rufen, oft umschwebten ihn zahllose Funken, durch ein Wort, einen Wunsch von ihm in so viel Helfer aus der Tiefe des Elends verwandelt zu werden; Thonis wußte, wie viel von diesen Dingen er schuldlos nutzen konnte, aber er wußte auch, aus Thasus und Motheruds Beyspiel, wie gefährlich der Weg jenseit des ersten Schritts zu bedenklichen Handlungen wird, und weislich zog er sich zurück.

Ob Butis ganz mit dem klugen Verhalten ihres Sohns zufrieden war, das weiß ich nicht. Sie fragte ihn oft bey seiner Rückkehr aus dem Labyrinth: Hast du heute nichts gethan, als bey Thasus Asche geweint? nichts gethan als Moals [151] gesungen? und wenn denn Thonis antwortete: Was sollte ich weiter thun, meine Mutter? – so stieß sie nicht selten mit heißen Seufzern den Wunsch aus: O daß ich Thonis wär! o daß ich Muth hätte, jene grauenvollen Gegenden selbst zu besuchen, wie bald sollte es mit uns anders werden!

Wundert Euch nicht, Ihr Lieben, über Butis, welche vielleicht ehemals anders dachte. Armuth und Dürftigkeit sind Dämonen, deren Verführungskünste Ihr nicht kennt, nur ein großes Herz kann sie so überwinden, wie Thonis sie überwand.

Nachdem alles dahin war, was dem Hause Motheruds Unterhalt geben konnte, schlug Thonis noch die letzte kleine Summe, die er aus dem Verkauf eines Ringes, des letzten Geschenks seines Bruders, gelöst hatte, zusammen, und legte sie in den Schoos der bekümmerten Butis. Meine Mutter, sagte er, es kann mit uns nicht so bleiben wie es ist. Ich muß fort, unser[152] Glück unter fremden Himmeln zu suchen, oder wir sind ganz verlohren. Die Reise nach Nubien wird mir vielleicht besser gelingen, als ehedem meinem unglücklichen Vater. Im Arm unsrer Verwandten finde ich vielleicht Hülfe für uns, oder in weitentlegenen Gegenden Möglichkeit meine Talente zu üben oder – den Tod. Es erfolge was da wolle, so trauet auf die Macht, die uns noch nie verließ, und die oft an den Augenblick der höchsten Noth die wunderbarste Hülfe kettete.

Die Trennung zwischen Mutter und Sohne, eine solche Trennung, Trennung vielleicht auf ewig, ist über alle Schilderung. Laßt uns die verzweifelnde Butis verlassen und ihrem Sohne folgen, welcher es ungern sah, daß die ersten Schritte seiner Reise ihn nach Meroe führten; es war unvermeidlich, daß er seinen Weg durch diese Stadt nehmen mußte, und man denke, mit was für Gefühlen er sie betrat, da Faöué und das Andenken ehemaliger stolzer Hoffnungen noch immer in seiner Seele lebte.

[153] Er fand die Stadt noch in tiefer Trauer, denn erst ein Monat war seit König Remphis Tode verflossen. Er hörte von der Königin Faöué und seufzte, sie noch weiter aus seinem Gesichtskreis gerückt zu sehen. – In den Straßen der Stadt gingen allerley Ausrufer umher, welche mit dem schläfrigen Tone, in welchem man eine dreyßigmal gesagte Sache wiederholt, etwas deklamirten, das niemand verstehen konnte. Thonis fragte. Ihr werdet den ganzen Sermon an allen Tempelthüren angeschlagen finden, antwortete man ihm, uns ist es zu lästig zu wiederholen, was wir aus Ueberdruß nicht mehr hören mögen.

Der Tempel der himmlischen Athor war der erste bey welchem Thonis vorüber kam, der Sohn Motheruds seufzte und stieg die Stufen hinauf, die er wohl ehe am Arm der unvergeßlichen Faöué betreten hatte. Was er las war folgendes:

»Bey dem goldenen Schleyer der großen Isis, bey König Remphis Traum, [154] bey dem Schatten der Unterwelt, beschwören wir dich, Schüler der Weisheit, wer du auch seyst, der du diese Worte hörest oder sie liesest; bey deinem eigenen Glück und dem Glück der Person die dir auf der Welt die liebste ist, beschwören wir dich: erscheine heute im Rath der Väter des Volks, gewisse Fragen zu beantworten, die man dir vorlegen wird. Wisse, auch wenn du den Sinn der Wahrheit nicht treffen solltest, wirst du unbeschenkt und unerfreut nicht von dannen ziehen.«

Und, fragte Thonis, indem er sich zu einem der neben ihm stehenden wandte, was ist die Folge hievon? Die Folge hievon ist, antwortete man, daß der hohe Reichsrath täglich einige wahre oder seynwollende Schüler der Weisen abzuhören, und wenn sie gehen, mit einem halben Talent abzulohnen hat.

Mit einem halben Talent? – und welches sind die Fragen?

[155] Geht hin und höret sie selbst, man ists müde, Dinge zu wiederholen, deren Grund und Ursach niemand begreifen kann, und die man, ob es gleich heißt, König Remphis habe sie im Testamente geboten, für nichts hält, als für müßige Einfälle einer jungen Königin, die nicht weiß, womit sie sich auf dem Throne beschäftigen soll, und wie die Schätze ihres Vaters geschwind genug zu verschwenden sind. Alle Tage so viel halbe Talente, das ist keine Kleinigkeit; ich denke, das Land wirds fühlen! –

Die letzten Geschichten des Königs Remphis mußten nicht vor das Ohr des Publikums gekommen seyn, sonst würde man so nicht geredet haben. Von dem Abendtheuer des abgeschorenen Königsbartes bis auf das der Göttin Isis im Traume gegebene Versprechen war alles so geheim gehalten worden, daß niemand etwas davon erfahren hatte, und von dem letzten habe ich auch sogar meinen Zuhörinnen noch nichts gesagt, es wird also nöthig seyn, diesen Fehler sogleich zu verbessern.

[156] König Remphis verlangte in seiner letzten Befehlsschrift an seine Tochter und ihre Räthe nichts als daß sie nach seinem Tode obgemeldete Aufforderung publiciren lassen, und so lang bis sich die richtige Auflösung einiger benannten Fragen finden würde, alles anhören sollten, was Weise und Thoren ihnen hierüber sagen könnten. Die verfehlte Wahrheit sollte jedem Antwortenden mit einem halben Talent bezahlt werden; aber der Preis des Gewinners in dem großen Räthselspiel – – Doch man überhebe mich der Mühe, ihn mit den Worten des Testators anzuzeigen.

Das brechende Herz des Königs von Egypten hatte schon genug bey dem Gedanken gelitten, seine Schätze nach seinem Tode täglich um so viel Talente gemindert zu sehen; das letzte, was ihm Isis zugemuthet hatte, und was er in Hoffnung auf die Kräfte ihres blendenden Schleyers hatte eingehen müssen, war so beschaffen gewesen, daß er sich nicht hatte [157] überwinden können, es in seinem letzten Willen anders als bildlich anzudeuten, auch im letzten Augenblick seines Lebens, da eine Ewigkeit auf dem Spiele stand, auch mit den Göttern konnte Remphis nicht ganz redlich handeln. Er hoffte, seine Erbin würde seine verdeckte Sprache wohl nicht verstehen, und also nicht erfüllen können, was er versprochen hatte, auch waren die Bilder, die er gewählt hatte, den Lohn des glücklichen Räthselauflösers anzudeuten, würklich so dunkel, daß Ihr sie nicht begreifen würdet, wenn ich sie Euch gleich vorlegen wollte; ob aber Faöué und ihre Räthe den Sinn derselben verfehlten, das wird die Folge lehren.

Die Räthe des Reichs waren es fast müde, sich täglich über einige einfältige Fragen von Thoren und Weisen das albernste Zeug sagen zu lassen; indessen, sie mußten aushalten, und ich finde es für gut, Euch einmal dieser Prüfungen gegenwärtig seyn zu lassen, damit Ihr selbst urtheilen könnt.

[158] Es war der letzte Tag des ersten Monats nach dem Tode des wunderlichen Königs; der Abend brach ein, viel halbe Talente waren schon verschleudert worden, die Richter dachten Feyerabend zu machen, aber noch ein Räthselauflöser ward gemeldet.

Ein junger, bleicher, schlechtgekleideter Mensch trat herein.

Richter, ists wahr, daß hier durch Unwissenheit Geld zu gewinnen ist?

Durch Weisheit noch vielmehr, mein Sohn. Verfehlst du den Sinn unserer Fragen, so erhältst du ein halbes Talent, triffst du sie, so –

Gnug! – Ich werde sie nicht treffen, aber eilet indessen, damit ich den Gewinn, der mir gewiß ist, bald erhalte.

Ey! ey! Golddurst ist ein schlechter Grund der Weisheit, du verdientest abgewiesen zu werden.

[159] Armuth und Sorge um ein Leben, das mir alles ist, und dem ich bey einer Reise in ein fernes Land, von welcher ich vielleicht nicht zurückkehre, gern hinlängliche Unterstützung hinterlassen möchte, entschuldigen mich. Doch, die Fragen?

Welches sind die Geheimnisse des Labyrinths? Wo liegt der Stein Motherud, und wer weiß ihn zu heben? – Wie? du stutzest? – Wisse, bey deinem höchsten Eyde bist du verbunden die Wahrheit zu sagen, so weit sie dir bekannt ist. Denke, was du schwören mußtest ehe du hereintratst, und belaste nicht mit der Götter Fluch deine Seele.

So muß ich also bekennen, rief der Jüngling, welcher an die Worte des Eydes dachte, die wirklich ein jeder schwören mußte, ehe er zu Beantwortung der Fragen gelassen wurde, so muß ich also bekennen und sterben! Grausamer Remphis! du hast gesiegt! – Ihr aber, ihr Richter, habt nur die Barmherzigkeit gegen mich, [160] da ich weiß, daß von dem, was ich sagen muß mein Leben abhängt; das wenige was ich hier mit meinem Blute erwerbe, nach meinem Tode dahin liefern zu lassen wohin ich gebieten werde; es wäre unmenschlich, den Meinen den traurigen Gewinn vorzuenthalten, den ich mit meinem Leben bezahlen mußte.

Rede! sagte der oberste Richter, der sehr gerührt war, und versiehe dich zu uns aller Gnade!

Die Geheimnisse des Labyrinths, sagte der Räthselauflöser mit gefaßter Stimme, wurden mit dem ersten Erbauer dieses Wunderpallasts, der mein Vater war, begraben. Den Stein Motherud kenne ich, und weiß ihn zu heben.

Beweise hievon hernach! sprachen die Richter, jetzt die zweyte unserer Fragen:

Wer war der Verschlagene, der einen König um die Hälfte seines Barts, die Gerechtigkeit um den Leichnam eines Missethäters, und eine Dame um die Hand betrog, [161] welche ein Liebender nach ihr auszustrecken schien?

Ein Liebender? – wiederholte Thonis, (den Ihr, meine Zuhörerinnen ja doch wohl schon erkannt habt) Ein Liebender? – O der Liebende war ich! Es sey mir vergönnt, mich am Rande des Grabes noch für den Sklaven der göttlichen Faöué zu bekennen. Der Liebende war ich! –

Setzt diesen Unsinn ein wenig auf die Seite, sagten die ernsten Richter, wir verlangen jetzt die Geschichte, über welche wir bisher so viel Abgeschmacktes hören mußten, ausführlich aus eurem Munde zu vernehmen, damit wir gewiß werden, ob ihr auch wirklich derjenige seyd, für den ihr euch ausgebet; wir wissen wohl, daß dieses Geheimniß außer uns nur Einem bekannt ist, und daß wir also hier nicht irren können.

Mein Leben ist einmal verwirkt! seufzte Thonis, so sey es denn; ich will aufrichtig bekennen.

[162] Er erzählte hierauf was Ihr alles wisset, und er that das bey einigen Stellen, wo der schönen Faöué besonders gedacht werden mußte, mit so viel Leidenschaft, daß alle Gegenwärtige bis zu Thränen gerührt wurden, so gar leblose Gegenstände schienen bewegt zu werden, und hinter ein Paar Marmorsäulen, welche ein grüner goldgestickter Teppich mit einander verband, ließ sich ein leises Schluchzen hören, welches den Erzähler dergestalt in Verwirrung setzte, daß er eine Weile einhalten mußte.

Nun ist noch die letzte Frage übrig, sagten die Richter, welche sich die Augen trockneten, und dann könnt ihr an euer Schicksal gehen. Diese Hand, weß ist sie?

O es ist die Hand meines Bruders! schrie Thonis, der die dargereichte Todtenhand zu sich zog und sie mit Küssen und Thränen bedeckte. O Hand! Hand! viel Unrecht haftete an dir, aber die Götter haben gerichtet, ich bin Bruder, ich kann dich nicht verdammen!

[163] Was verlangt ihr, fragte man weiter, daß mit dieser traurigen Reliquie angefangen werde?

Wenn ich nun todt bin, antwortete Thonis, so begrabe man sie zu den andern Ueberbleibseln des unglücklichen Thasus, die ich im Labyrinth beygesetzt habe, und die man aus ihrer Gruft (es ist meine letzte Bitte) nicht vertreiben wolle.

Ist das wirklich deine letzte Bitte?

Außer der Wiederholung des Gesuchs, daß man mein hier so traurig erworbenes Gold meiner Mutter ausliefern wolle, hätte ich wohl noch eins, wenn ich es nennen dürfte.

Rede getrost, dir soll nichts abgeschlagen werden!

O daß ich den Verlobungsring der schönen Faöué, den diese unglückliche Hand mit Unrecht trägt, rauben, und an die meinige stecken dürfte! Es würde mir Trost seyn, Trost im Tode, das Gold das mit ihrem[164] Namen prangt, vor Augen zu haben, bis mir der Othem entgeht! Dies ist ja doch alles was mir das Schicksal zum Lohn der edelsten Liebe gewähren kann.

Nein! rief eine sanfte Stimme hinter dem Vorhang, dies ist unmöglich, unmöglich länger auszuhalten! Thonis! Thonis! siehe hier deine Faöué in deinen Armen!

Aus einer Umarmung wie dieser kann man sich nicht anders mit Ehren wickeln als mit einer Ohnmacht. Daß beyden Liebenden die Sinne entgingen, als sie hier das Schicksal so wunderbar zusammen brachte, war wohl sehr natürlich.

Faöué, welche sich am ersten erholte, entfernte sich und trug ihren Räthen auf, dem geliebten Jüngling, den sie unter den Händen der Aerzte ließ, sein Schicksal zu eröffnen.

Und o zu welch einem Schicksal erwachte er! Kein Wunder wär es gewesen, er hätte die Nachricht von einer der wunderbarsten Wendungen des Glücks mit dem Leben bezahlt.

[165] König Remphis letzter Wille konnte, man mochte die Bilder, in welche er ihn gehüllt hatte, wenden wie man wolle, nichts anders sagen, als dies: Wenn man jenen Verschlagenen, den er im Leben nicht entdecken konnte, nach seinem Tode durch obbemeldete Fragen ausgespäht hätte, so sollte das Königreich und Faöué sein seyn. Dies war der Wille der großen Isis, dies die Vergütung, die dem Schatten des unglücklichen Motherud für alle sein erlittenes Unrecht werden sollte, und dies wars, was man dem erwachenden Thonis ankündigte, der, so bald er zu deutlicherm Bewußtseyn kam, in dem ganzen Umfang seines Glücks nichts lebhafter fühlte, als die Wonne, Faöué sein zu nennen, und einer unglücklichen Mutter die letzten Tage ihres Lebens noch mit Glanz und Größe zu bekrönen.

Wie glücklich fühlte sich Butis, als sie, von ihrem, wie sie meynte, auf ewig geschiedenen Sohne solche Nachricht erhielt, und wie gern söhnte sie sich mit der Tochter [166] ihres Feindes aus, da dieselbe die Schöpferin eines solchen Glücks war!

Auch Faöué segnete ihr Geschick. Das Testament des Königs hatte ihr tausend Thränen gekostet, sie hatte Tag und Nacht zum Himmel geschrieen, daß es sie unglücklich mache, indem es sie einem Räuber in die Arme liefere. Ach sie wußte nicht, daß das, wovor sie bebte, Mittel ihres Glücks werden sollte! Hätte sie auf andre Art ihres Thonis Eigenthum werden können? – So verkennen wir oft das, was die Vorsicht zu Erreichung unsers Glücks veranstaltete, und nennen es Strafe. Euch ihr Traurenden, ihr Zweifelnden, sey dieses zum Troste gesagt.

Fußnoten

1 Die Krokodille wurden, wie bekannt, nach ihrem Tode den Leichnamen der Pharaonen zugesellt.

2 Ein arabischer Schriftsteller des funfzehnten Jahrhunderts, Jemaleddin Togri Bardi, setzt diese und folgende Begebenheiten in weit spätere Zeiten; es kommt auf den Leser an, ob er ihm, oder der Almé, mehrern Glauben beymessen will.

3 Balsammelone, man macht eine Oeffnung in die äußere Schale, zerstößt das innere Fleisch mit einem Stäbchen, vermacht die Oeffnung, vergräbt die Frucht in den Sand, und findet nach einigen Stunden, einen labenden Saft.

4 Dem Leser, nehmlich dem, welcher mit den Wundern dieses Gebäudes unbekannt seyn sollte, wünschen wir eine kurze Uebersicht von dem zu geben, was die Alten und Neuern hierüber sagen: Man denke sich zwölf Göttertempel von ansehnlichen Umfange, nebst funfzehn Pyramiden, in Eine gemeinschaftliche Mauer, und unter einem gemeinschaftlichen Dache eingeschlossen, man denke sich eine zahllose Menge von Sälen, Gemächern und Gallerien, welche neunzig Stufen hoch über der Erde zusammenlaufen, und die eigentlichen Irrgänge bilden. Das Ganze ruhte auf gigantischen Säulen von Porphyr, und wimmelte von kolossalischen Götter- und Königsbildern, und Statuen mannichfacher Ungeheuer, wie sie nur die seltsame Phantasie der Völker am Nil aushecken konnte. Das Wundergebäude erstreckte sich so tief unter die Erde, als es sich über derselben erhub. Die untern Gemächer enthielten die meisten und verborgensten Wunder. Selbst Herodotus bekam sie nicht zu sehen; man fertigte ihn kurz mit der Antwort ab: Hier ruhten die Körper der Könige und der heiligen Krokodile. Nur von den obern Zimmern, deren Anzahl einige auf dreytausend angeben, ließ sich so viel sagen, daß sie an Kunst und Pracht alle menschliche Werke übertrafen. Die Ausgänge durch die Dächer, die mannichfachen verschlungenen Wege setzten in Erstaunen. Man kam aus einem Pallaste in die Gemächer des andern, aus diesen in Seiten-Gallerien, aus diesen wieder auf andere Dächer und in andere Palläste; die größte Kunst bestand darinn, daß die mannichfaltigen Ein-und Ausgänge, jeden Gegenstand in einem neuen Gesichtspunkte zeigten, und ihn also bis ins unendliche vervielfältigten. Staunend stand man jetzt vor einer Bildsäule, mitten in einem Saal, oder am Eingange einer Kolonnade, die man vor einer Stunde, als schon gesehen verlassen hatte, die sich aber in diesem Augenblick überraschend neu darstellte, weil man den Ort von einer andern Seite betrat. Durch Säulengänge von hell polirten weißen Marmor wand sich endlich der Weg allmählig abwärts, bis unter eine vierzig Klafter hohe, mit Hieroglyphen bedeckte Pyramide, wo neue Wunder begannen; Wunder, welche nie ein profanes Auge sah, und die also der Nachwelt unenthüllt geblieben sind. Ein Sphinx, ein geschleyerter geflügelter Kopf, ein Anubis voll Hieroglyphen, bezeichneten noch in neuern Zeiten die Stellen, wo die tiefsten Geheimnisse wohnten.

5 So haben sie wenigstens die neuern Beobachter gefunden.

6 Die Sitte, welche fast bey allen morgenländischen Volkern herrscht, sich eine Braut durch eine reiche Morgengabe von ihren Aeltern zu erhandeln, scheint, nach verschiedenen Stellen der griechischen Schriftsteller, in Egypten nicht üblich gewesen zu seyn.

7 Typhon, das Urwesen der Bösen, der Kakodämon.

8 Venus Urania.

9 Arueris. Apollo, der Vater des Gottes der Aerzte. Die Geschichte von seinem goldenen Barte, den ein großer König ihm abschnitt, unter dem Vorwande, es sey unanständig, daß der Sohn des unbärtigen Hyperions die Zierde des Alters trage, ist bekannt.

10 Eine der Benennungen der Isis. – Nach einer alten egyptischen Legende spielt sie mit dem Könige im Brete, auch ist diese seltsame Dichtung nicht in einen Traum eingekleidet.

11 Moals. Trauergesänge, eine Art von Todenamt.

[5] Dritter Theil

Ich hatte mir durch die Geschichte von König Remphis allgemeinen Beyfall erworben; nur Eine Person aus der Gesellschaft schien über dieselbe betroffen und beschämt zu seyn.

Rusma! sagte die königliche Termuthis, indem sie mich umarmte; voll Lehren der Weisheit sind deine Erzählungen, du wähltest diese absichtlich, um thörichten Stolz zu demüthigen, und thörichte Liebe in die Schranken der Klugheit zurück zu weisen. Wie können die Abkömmlinge des Baumeisters von Elephantine sich mit dem Göttergeschlecht des Königs Pharao Menes in eine Klasse setzen? und wird nicht ein verblendetes Mädchen bald [5] einsehen lernen, daß der Elende, der ihr mit Liebe schmeichelt, vielleicht ein Thasus ist, welcher unter der Larve einer rühmlichen Leidenschaft, teuflische Bosheit verbirgt, mit welcher er sie in den Abgrund des Verderbens stürzen wird.

Ich verstand nichts von dem, was Termuthis mit diesen Worten sagen wollte. Die geschwätzige Nephtis öffnete mir hierüber einigermaßen die Augen.

Sahst du, sprach sie bey der ersten Gelegenheit, die sich ihr darbot mit mir allein zu seyn, sahst du, wie sich die hohen Augen der stolzen Amesses zur Erde senkten, als du die Geschichte ihrer Ahnen erzähltest? Sie rühmt sich, vom König Remphis abzustammen, aber die Enkelin des verachteten Thonis wünscht sie nicht zu seyn.

Möchte nur, setzte Iphis hinzu, unsere Prinzessin sich an dem Beyspiel der unglücklichen Faöué spiegeln! Die große [6] Termuthis ließ nicht ohne Ursach so deutliche Winke auf die verrätherischen Bewerbungen des boshaften Thasus fallen. Amur, dessen Vater von dem Geschlecht, aus welchem Zaide stammt, ehedem großes Unrecht erlitten hat, könnte leicht bey seiner betrogenen Liebhaberin so wohl als der Sohn des Baumeisters bey König Remphis Tochter Rache statt Liebe zu befriedigen suchen!

Erst in den folgenden Tagen, da ich die Geschichte Zaidens und Amurs umständlicher erfuhr, lernte ich in dem, was ich heute von diesen Dingen hörte, heller sehen, auch meine Leserinnen werden bis dahin in Dunkelheit bleiben, und ich verspare daher die Andeutung des Einflusses meiner Erzählungen auf das Schicksal mehrerer Personen, – auch auf das meinige, – bis ich mich bestimmter über diese Dinge ausdrücken kann.

[7] Nur noch einen, mir damals höchst seltsam dünkenden Umstand:

Als ich des andern Tages gerufen ward, wieder in Gegenwart der Dame Amesses, und ihrer Almés, welche sich einige Tage bey uns aufhalten wollten, meine Talente zu zeigen, kam mir die Prinzessin Zaide am Eingange der Allee entgegen, welche zu einer Grotte führte, wo ich diesesmal, während Termuthis und Amesses badeten, deklamiren sollte.

Rusma, sagte sie, indem sie mich an ihre Brust drückte, bist du eine Sterbliche oder eine Göttin, die der Himmel ein Paar unglücklichen Liebenden zu Hülfe sandte? – Fahre fort, wie du gestern begonnen hast! Enthält das, was wir heute hören werden, so viel Trost für uns, so viel Unterricht in den Mitteln, ein unerreichbar geglaubtes Glück zu erlangen, als die schöne Geschichte von Thonis und [8] Faöué, und die, von dem treuen 1 Phyticus, welcher der äthiopischen Prinzessin zu Liebe sich in Weiberkleider hüllte, so rechne auf meine Dankbarkeit, und auf mein vollkommenes Zutrauen. Zum Unterpfand des letzten erfahre hier den Namen, mit welchem ich mich am liebsten bezeichnen lasse. Nenne mich nicht mehr Zaide, nenne mich Hermunthis, die Ursach hiervon erfährst du künftig, denn siehe, hier werden wir gestört.

Ließ es sich doch fast ansehen, als ob ich, ohne es zu wissen und zu wollen, mit meinen Mährchen jedes Herz auf meine Seite lenkte! Die Mutter und die Tochter dankten mir für das, was ich gesagt hatte, aus ganz verschiedenen Bewegungsgründen. Beyde mußten meine Worte aus sehr entgegengesetzten Gesichtspunkten betrachtet [9] haben. – Mir waren dieses undurchdringliche Geheimnisse. Erläuterung derselben, die ich vielleicht auf der Stelle von der sogenannten Hermunthis würde erhalten haben, ward durch Dazwischenkunft einer dritten Person gehindert.

Es war eine von den mitgebrachten Almés der Dame Amesses, ein großes schönes Mädchen, das etwas Außerordentliches an sich hatte. Hermunthis schien sich mit ihr allein unterhalten zu wollen. Ich entfernte mich und betrat bald darauf in Gesellschaft der beyden Andern, die sich nach wenig gewechselten Worten wieder zu mir gesellten, die Grotte, wo ich folgende Geschichte, nicht nach eigener Wahl, sondern nach Maaßgabe des Buchs des weisen Sopher vortrug.

Fußnoten

1 Sie ist hier, um die Sammlung nicht zu sehr zu mehren, ausgelassen worden.

[11] Das Todtengericht oder Geschichte der Pyramiden von Dsyse.

Hatten die Begebenheiten des tugendhaften Thonis und der Königin Faöué einige Reize für Euch, so werdet Ihr vielleicht begierig seyn, auch etwas von den Schicksalen ihrer Nachkommen zu hören. Vernehmt was Almé Euch hierüber sagen kann.

Sollte irgend eine Tugend übertrieben werden können, so war es die Bescheidenheit, welche den Sohn des Baumeisters von Elephantine selbst nahe am Throne nicht verließ. Er achtete sich glücklich, der Gemahl der angebeteten Faöué zu seyn, König von Egypten wollte er nie heißen.

[11] Faöués Räthe fanden dieses sehr gut, sie ergab sich endlich drein, aber das Land befand sich desto schlimmer dabey. Wie beglückt würde es ein Weiser wie Thonis gemacht haben! – Gehet in seine Geschichte zurück, wie ich sie Euch neulich erzählt habe, und suchet in derselben die Richtigkeit dieser Behauptung.

Nicht immer belohnt der Himmel die Tugend mit langem Leben. Die Ausübung redlicher kindlicher Liebe soll, nach der Meynung der ältesten und weisesten Völker der Erde, diesen Lohn besonders zu gewarten haben, aber wer war in diesem Stück vollkommener gewesen als Thonis und Faöué, und doch wurden sie dieser Erde frühzeitig entrissen; vielleicht um größern Lohn guter Thaten in beglücktern Welten desto eher zu empfangen.

Die Söhne dieser beyden Lieblinge der Gottheit, die Prinzen Cheops und Chephres, blieben, nach dem Tode ihrer Aeltern, unmündig und ungebildet, der Aufsicht der Reichsräthe von Egypten überlassen, unter welchen kein Tugendhafter, kein [12] Weiser sich befand, der, eingedenk seiner großen Pflicht, Egyptens Wohl in Egyptens künftigen Herrschern geehrt, und sie der Weisheit und Tugend erzogen hätte.

Cheops, der ältere der beyden Prinzen, wuchs unter der Sklaverey des Lasters heran, und Chephres, der jüngere, war ein Schwächling, welcher sich dem, was man ihm vorsagte, gemächlich anschmiegte, alles gehen ließ, wie es ging, und aus eben dem Grunde sich mannigfachen Ausschweifungen überließ, aus welchem er tugendhaft gewesen seyn würde, hätte man ihm die Tugend bequem gemacht.

Als Cheops in seinem achtzehnten Jahre den Thron bestieg, war er schon alle Schulen des Lasters durchgegangen; das Land bebte seiner Regierung entgegen, es ließ sich voraussehen, daß mehrere Macht von ihm zu verneueten, zu ungeheuren Verbrechen würde genützt werden. Die Geschichte nennt sie; die Sage, welche die Ruhe tugendhafter Zuhörer schont, braucht sie nicht zu wiederholen.

[13] Unter den Priestern zu Sais gab es zu selbiger Zeit, da selbst in den Göttertempeln das Laster wohnte, noch einige fromme Weise, welche mit Abscheu sahen und hörten, was König Cheops that, und die bey der Stimme des gedrückten Volks nicht taub, nicht unempfindlich blieben. Der vornehmste von ihnen, – ihm war die Gabe der Weissagung verliehen, – nahm seinen Stab in seine Hand, und ging nach der Hauptstadt, den Tyrannen die ernste Stimme der Wahrheit hören zu lassen.

König Cheops ließ ihn vor sich, um seiner zu spotten, auch nahm er ihn mit Ehrfurcht auf, um den Hohn, mit welchem er ihn zuletzt entlassen wollte, desto blutiger zu machen; aber es war sonderbar, die Götter, welche dem Propheten seine Worte in den Mund gelegt hatten, theilten denselben auch diesesmal mehr Kraft mit, als sonst Weissagungen zu haben pflegen, und vernichteten die Absicht des gekrönten Bösewichts.

Gezwungen mußte der Tyrann nicht allein hören, sondern auch aufmerken; der [14] Aufmerksamkeit folgte mächtige Erschütterung, und dieser würde Reue und Besserung gefolgt seyn, wenn es der göttlichen Weisheit anständig wär, die Freyheit menschlicher Entschließungen weiter, als auf einen gewissen Grad, zu beschränken.

Cheops war zu verderbt, als daß er da, wo eine übernatürliche Kraft nicht mehr wirken konnte oder wollte, noch hätte fähig seyn sollen, recht zu handeln. Seine Aufmerksamkeit, seine Erschütterung war ein Werk des Himmels, war alles, was dieser noch für ihn thun konnte, weiter hinaus blieb der unglückliche König sich selbst überlassen, und neue Abgründe des Lasters thaten sich auf, wo vergütende Tugenden hätten anfangen sollen.

Besonders mächtig hatte der Prophet von den Strafen des Lasters jenseit des schwarzen Sees geredet. Kein Schatten, rief er, kein Schatten, der mit Blut und Thränen der Unterdrückten befleckt, vor den Todtenrichtern dort drüben erscheint, erhält den Zutritt in die Wohnungen der Freude, ihm droht ein schrecklicheres [15] Schicksal, als die Qualen des flammenden Pfuhls, die den Pöbel schrecken.

Hat die Verwesung die letzten Grundtheile des Leichnams zerstört, der der lasterhaften Seele zur Hütte diente, so ist sie verdammt, in andre Körper zu wandern, und unter tausendfachen Peinigungen abzubüßen, was sie im Leben verbrach. Zu den Thieren verstoßen krümmt sich dann der Tyrann unter den Füßen derjenigen, die er im Leben folterte. Als Wurm wird er von der Sohle des Armen, dessen Henker er war, zertreten; als Roß oder Esel von dem gedrückten Landmann gemishandelt und mit unerträglichen Lasten belegt; als Hund muß er bey Schätzen wachen und hungern, die er nicht genießen kann. Doch die ärgste Strafe droht ihm dann, wenn ihn das Schicksal wieder in einen menschlichen Körper verweist. Völliges Bewußtseyn von dem, was er ehemals war, und was er verbrach, kehrt alsdann in seine Seele zurück, und der, welcher sich fühlt, daß er ehemals als ein vergötterter, allgegebietender König herrschte, sieht sich nun, [16] voll Verzweiflung, einen verachteten, misgestalten, gemishandelten Sklaven derer, die er in seiner tyrannischen Hoheit oft kaum für Menschen hielt.

König Cheops konnte den Propheten vor Entsetzen nicht weiter hören, er winkte, daß er sich entfernen sollte, und der Bote des Himmels nahm aus seiner Erschütterung, aus der Verzweiflung auf seinem Gesicht, aus der Angst, mit welcher er die Hände rang, und sich in das Innerste seiner Zimmer verschloß, eine gute Hoffnung für die Besserung des Tyrannen, welche vermehrt wurde, als er des andern Tages Befehl erhielt, wieder nach Hofe zu kommen.

Prophet, sagte der König, welcher heut etwas beruhigt schien, ist das, was du mir gestern vortrugst, gewisse, ungezweifelte Wahrheit?

Wahrheit, fest und unerschütterlich, wie die ewigen Lichter des Himmels!

Wenn beginnt jenes ruchlose Wandern der unglücklichen Seele, dessen Schilderung ich nicht zum zweytenmale zu hören verlange?

[17] Sobald sie aller Bande des Körpers los ist.

Und dauert?

Dreytausend Jahr.

Was wird dann hernach?

Gereinigt und geläutert erhebt sich die Seele zu den Sternen.

Aber, gesetzt nun, dein Leichnam könnte dreytausend Jahr der Verwesung trotzen?

Rede nicht von dem meinigen, Tyrann! Und, ob ich heute unter deinem Schwerde bluten müßte, ich hätte keine Aussicht vor mir, als die, auf endloses Glück.

Aber gesetzt nun, du oder ich, würden nach dreytausend Jahren noch von den ungelösten Banden des Körpers, vor jener schrecklichen Wanderung geschützt?

Was dann geschäh, das weiß nur die Gottheit, die vielleicht dann sich versöhnen ließ, aber dieses weiß ich, daß du von Unmöglichkeiten sprichst.

[18] Geh, sagte Cheops, der sich mit einer triumphirenden Mine vom Throne erhub, der Wink, den du mir zuletzt gabst, rettet dein Leben! Geh zurück nach Sais, du sollst bald von mir hören.

Der Prophet hob seine Hände zum Himmel auf, und weinte Freudenthränen; er gab den Reden des Königs eine ganz andere Deutung, als ihnen zukam. Er glaubte Egypten gerettet, und sich das glückliche Werkzeug, einen Lasterhaften der Tugend wiedergegeben zu haben. Ihr, meine Zuhörerinnen, werdet aus diesem Zuge urtheilen, daß dieser gute Mann frömmer, als weise war.

Zu Sais feyerte man die Bekehrung des Königs mit heiligen Festen. Der 1 [19] himmlischen Jungfrau flammten unzählige Lampen, und das Orakel in der heiligen Höle gab Antwort. Es war an Tagen, wie diesem, nur erlaubt, die Göttin um das Wohl des Landes zu fragen; aber die Antwort, die der Prophet diesesmal erhielt, mußte nicht günstig gewesen seyn, denn er verbarg sie dem Volke und den Priestern. Bleich vor Entsetzen und mit Thränenströmenden Augen, trat er aus dem Heiligthum. Laßt uns tief anbeten im Staube, sagte er zu der harrenden Menge, vor der Gottheit, die ihre Wege vor uns verbirgt! Freuet euch heute noch, weil ihr euch freuen könnt, ob auch der morgende Tag Botschaft bringen möchte, daß eure Freude eitel war.

Was der Prophet gesagt hatte, das erwies sich in wenig Tagen. Aus der Hauptstadt kam Nachricht, daß der König fürchterlicher zu wüten begönne, als jemals; nach einer langen Berathschlagung zwischen ihm und seinen Lieblingen, die nicht besser waren, als er, ging ein Gebot aus in alle Gegenden des Königreichs, welches [20] allem Handel und Gewerbe einen gänzlichen Stillstand auflegte. Alle Mannspersonen, von funfzehn bis zu fünf und sechzig Jahren, sollten erscheinen vor dem Throne des Tyrannen von Egypten, und vernehmen, was er zu gebieten habe.

Jedermann muthmaßte auf einen nutzlosen Kriegszug, dergleichen der König ohne das kleinste Talent zum Eroberer zu haben, schon mehr begonnen, und dabey Heere unschuldiger Unterthanen auf die Schlachtbank geliefert hatte. Mütter letzten sich mit den Söhnen, Kinder mit den Vätern, Schwestern mit den Brüdern, Bräute mit ihren Verlobten, hier galt es nimmer wiedersehen; man wußte schon, wie König Cheops zu kriegen pflegte: Was das Schwerd schonte, das fraß der Hunger, oder ansteckende Seuchen; nie ward die kleinste Anstalt gemacht, einem von diesen alles verzehrenden Uebeln vorzubeugen. Rastete nur der Tyrann von Egypten samt seinen Lieblingen ruhig und im Ueberfluß in ihren Gezelten, oder konnte er aus der fernen Hauptstadt, das Gerücht von dem hören, [21] was geschehen war, vorschreiben, was sich nicht anders, als mit Strömen von Menschenblute ausführen ließ, und meistern und strafen, was selbst um diesen Preis unausführbar war, so mochte alles andere hingehen.

Man hatte sich indessen diesesmal in der Meynung von den Absichten des Königs geirrt. Die Tausende, welche vor seinem Throne mit banger Erwartung ihres Schicksals erschienen, wurden nicht hingesandt in das eiserne Gefild des Kriegs, wurden nicht mit Schild und Schwerd, sondern mit andern Werkzeugen bewaffnet, die ihnen bald noch schwerer zu führen werden sollten als jene, bey welchen man doch wenigstens auf schnellen und ehrenvollen Tod hoffen kann, welcher allemal lebenslanger Sklavenarbeit vorzuziehen ist.

Nachdem der König die zahllose Menge seiner Unterthanen gemustert, und die schwachen und untauglichen zurück geschickt hatte, nebst den hinterlassenen Weibern und Greisen das Feld zu bauen, theilte er die übrigen, und sandte das eine Drittheil in [22] Granitbrüche von Syene und Elephantine, die beyden andern in die Gebürge von Oberegypten und in die Wüste am rothen Meer, wo man einen Stein gräbt, der schon einmal die Gewalt des Feuers scheint ausgehalten zu haben, und der damals jedem Element unzerstörbar geachtet wurde.

Die Geschäfte, welche hier den Sklaven des Despoten, – Sklaven nennte er alle seine Unterthanen – angewiesen wurden, waren alle von einerley Gattung. Der reichste und angesehenste der Egyptier wurde hier dem Niedrigsten gleich geachtet, alle wurden als Steinarbeiter und Bauleute angestellt, und die Felsmassen die man dem Schoos der Erde entriß, waren sowohl der Menge als der Größe nach ungeheuer.

Was man zu Tage förderte, das ward auf die Höhe von Dsyse gebacht, wo schon andere Werkleute beschäftigt waren, unter Anführung eines Weisen aus dem Tempel des Typhon zu 2 Papremis einen Theil des [23] Berges zu ebenen und den Grund zu einem Gebäude abzumessen, von dessen Umfang ihr euch mit eigenen Augen überzeugen könntet, – (denn noch trotzt es der Zeit, und wird ihr wahrscheinlich bis zum letzten Brande der Erde trotzen) – wenn nicht eine Reihe von Jahrhunderten, die zwischen unsern und König Cheops Zeiten verflossen sind, vielleicht den größten Theil desselben im Sande begraben hätte, so daß das, was ihr noch von denselben in der größten der Pyramiden von Dsyse erblickt, wahrscheinlich nur die 3 Spitze eines Wundergebäudes ist, das sich eben so tief in die Erde hinabdehnt, als ihr es jetzt über dieselbe hervorragen seht.

Niemand wußte was er von diesen ungeheuren Bauanstalten des Königs denken [24] sollte. Jahre gingen hin, ohne daß man sonderliche Fortschritte des Werks wahrnahm. Tausende von Menschen 4 kamen um über dem Heranschaffen der unmeßbaren Marmorblöcke aus den fernsten Gegenden Egyptens, zu welcher Arbeit man, aus einem sonderbaren Eigensinn des papremitischen Weisen, keine Thiere brauchen durfte. Eine noch größere Anzahl von Arbeitern, deren man sich bediente den Grund und die innern Theile des geheimnißvollen Baues aufzumauern, verschwand, man wußte nicht wie, wurde mit andern ersetzt, welche sich wieder verlohren, und neuen Platz machten, so daß man nicht anders glauben konnte, als diese Unglücklichen müßten mehrere etwa hier erlangte Kenntniß von Dingen, die der Tyrann mit ewigen Dunkel bedecken wollte, mit dem Leben bezahlen.

[25] Das Land schrie zum Himmel über seine Kinder, die, man wußte nicht zu welchem Ende, hier aufgeopfert wurden. Man flohe zu den Tempeln, um von den Göttern, da hier Menschen nicht helfen konnten, Hülfe zu erbitten. Auch diesen letzten Trost der Elenden versagte man der allgemeinen Noth. Die Tempel wurden verschlossen auf mehrere Jahre, kein Fest, kein Opfer wurde geduldet; die Menschen sollten nur existiren, um zu arbeiten. Selbst das Denken hätte man ihnen gern versagt, um ihre körperlichen Kräfte desto besser nützen zu können, und ungern sahen die Treiber des Tyrannen die Nacht ihren Scepter erheben, weil sie doch den Leidenden auf einige Stunden die Ruhe herbeyrief.

Noch immer konnte man den ungeheuren Bau des Despoten von Egypten mit keinem Namen nennen, und selbst ihr, ungeachtet ich euch, indem ich der großen Pyramide von Dsyse gedachte, hierüber einige Winke gegeben habe, erwartet noch Aufschlüsse von mir, die ihr erhalten sollt, so gut mir sie die Sage darbietet.

[26] Als der Prophet von Sais, in der Seele des ruchlosen Cheops durch die Stimme der Wahrheit jene große Erschütterung hervorbrachte, die ich im Vorhergehenden erwähnt habe, trat die Tugend, welche auch dieser böse König in seiner bessern Jugend kennte, aus der Dunkelheit hervor, in welcher er sie in seiner Seele verbannt hatte, und suchte ihre Rechte auf sein Herz geltend zu machen; doch ihre Stimme war schwach, sie bat nur, da das Laster laut und drohend forderte. Der König war gewohnt, die erste schweigen zu heißen, und nur das andere zu hören, so gingen die guten Rührungen vorüber, und alles was von denselben übrig blieb, war Wunsch, der gedrohten Strafe, die dem gekrönten Verbrecher so entsetzlich dünkte, zu entgehen ohne darum dem zu entsagen, was dieselbe über sein Haupt herbey rief.

Wie König Cheops fühlte, so fühlten auch die andern alle, vor deren Ohren der Prophet seine Schreckensworte geredet hatte. Einige zitterten, andere zwangen sich zu spotten, aber bey allen war der[27] Wunsch, der furchtbaren Wanderung von drey tausend Jahren zu entgehen, ihr ohne Aufopferung gewohnter Freuden zu entgehen, das letzte und stärkste Gefühl. Wünsche zogen Vorstellungen von Möglichkeit, und diese Berathschlagungen nach sich, welche noch so lange im ungewissen hin und herschwanken, bis der König von dem Propheten, dem niemand seinen Glauben versagte, so viel herausgelockt zu haben glaubte, daß es möglich sey, der Seele die Hütte, von welcher sie sich doch über lang oder kurz einmal trennen muß, mehrere tausend Jahre lang unversehrt zu erhalten, so daß sie sie nach dieser großen Epoche wieder beziehen könnte, so möchten vielleicht die ungeheuersten Verbrechen, durch eine lange thatenlose Ruhe, durch eine Art von Nonexistenz, die doch einem denkenden Wesen allemal als Strafe anzurechnen sey, für abgebüßt gehalten werden, und verneutes glücklicheres Daseyn, das man denn vielleicht besser gebrauchen könnte, dürfte alsdenn wohl von der verzeihenden Gottheit zu gewarten seyn.

[28] So räsonnirten die Weisen des Königs Cheops, und dieser, ob er gleich düsteres genug in der fernen Hoffnung fand, die hier ihm tagte, ließ sie dennoch gelten. Alles, was ihn dabey beunruhigte, war nur die Unbekanntschaft mit dem Mittel, sie zu realisiren; doch nur nicht Aenderung seines gewohnten Lebens! nur nicht jene unselige Wanderung, vor welcher sein ganzes Wesen bebte! sonst alles was man wollte, den Strahl vom Lichte heran zu bringen, den man ihm in der Ferne zeigte!

In den andern Tagen der Berathschlagung, zog man jenen schon erwähnten papremitischen Weisen mit in die geheimnißvolle Versammlung, und dieser als ein würdiger Priester der Gottheit, der er diente, gab einen Rath, dessen Folge wir bereits gesehen haben.

Gleich dem Urheber alles Bösen, gründete er das, was er sagen wollte, auf einen wahren unbezweifelten Satz, und begann darauf fortzubauen, was ihr sogleich hören werdet, und was nur dem Tyrannen [29] von Egypten und seinen Lieblingen gleich wahr und richtig dünken konnte.

Nichts ist kostbarer, begann der Sophist, als das Wohl unsers unsterblichen Theils, wir sind verbunden, es um jeden Preis zu erkaufen. Angenommen, daß die Worte des Propheten von Sais richtig sind, woran mir, einem Diener einer viel geringern Gottheit, als die Seinige – (der Heuchler sagte dieses mit verstellter Demuth) – nicht zu zweifeln gebührt, so wird nichts die Absicht des Königs besser erfüllen, als folgendes: –

Man errichte ein Gebäude, welches der Macht der Zeit und aller Elemente trotzen kann. Ein Gebäude, welches im Stande ist, gleich den Grundvesten der Erde, den ewigen Bergen, bis ans Ende der Tage auszudauern; man verschweige jedermann den Gebrauch desselben, welcher dieser sey, dereinst, – (die Gottheit entferne noch lange diesen Zeitpunkt) – den Leichnam des Königs und seiner liebsten Diener, (gilt gleich, ob auch den meinigen, da ich von der Zukunft so wenig zu fürchten habe, als [30] der Prophet von Sais) – wohl einbalsamirt vor der Verwesung zu bewahren. – Niemand kann den innern Bau der großen Begräbnißhöle, die unter meiner Aufsicht aufgeführt werden muß, niemand die innern Windungen der heimlichen Gänge, niemand Aus- und Eingang, und den geweihten Ort, wo einst nach Jahrtausenden sich Seele und Körper zu neuem Leben vereinigen werden, wissen. Wer an den Innern des großen Werks arbeitete, der sterbe! Bey welchen, außer den hier Versammelten, nur eine Möglichkeit erscheint, daß er von den Geheimnissen, die ich schaffen werde, Muthmaßung haben könne, der sterbe! – Unter der heiligen Zahl der Wissenden, die jetzt meine Worte hören, befördere einer den andern, und der letzte uns alle in die Stätte unserer Sicherheit, und dieser letzte, – (Gott gebe, unsern großen König treffe dieses Loos!) offenbare erst denn, wenn wir alle nicht mehr sind, das große Geheimniß dem Vertrautesten seines Herzens, um von ihm den nämlichen Dienst zu erhalten. Geheimhaltung ist hier nöthig, damit nicht der Pöbel, von der Sucht, gleich uns gerettet [31] zu werden, nach ähnlichen Hülfsmitteln strebe, und dadurch das Land verderbe; denn König Cheops denke sich das, was mir die Gottheit eingegeben hat, nicht leicht; Zeit, Gold, und wohl noch etwas kostbarers, als dieses, wird der Bau kosten, den ich vorschlage, und zu welchem ich morgen den Riß liefern werde. – Siehe, so retteten einst einige der ersten Söhne der Erde, durch die Geheimnisse der Baukunst, ihr Leben vor der großen Wasserfluth, siehe, so wer den auch wir nach Jahrtausenden, geschützt vor langer Quaal, aus unserer Höle, wie aus einem Tempel hervor gehen, und uns leicht zu Herrschern des alsdenn lebenden Menschengeschlechts machen können, das die herrlich erwachenden gern für Götter halten wird.

Dieser Vorschlag war es, dessen Ausführung König Cheops, mit unsäglichen Aufwand von Zeit, Geld und dem kostbarsten, was die Erde hat, von Menschenleben erkaufte; der Diener des Typhon war besonders mit dem letzten nicht sparsam, er sandte seiner Gottheit täglich Hekatomben [32] unschuldiger Schlachtopfer in den Abgrund. Das Land ward öde durch den Verheerer; aber König Cheops, wenn ihm ja einmal ein Zweifel hierüber in den Sinn kam, dachte an den Vordersatz des Weisen, daß das Wohl unsers unsterblichen Theils um keinen Preis zu theuer erkauft werden könne; er fand ihn wahr, mochte es doch mit der Anwendung beschaffen seyn, wie es wollte.

Der Prophet von Sais, welchem seine Göttin nichts von den Geheimnissen des Typhon offenbarte, war lange vor Gram über seine fehlgeschlagene Hoffnung und das verneute Wüten des ruchlosen Königs gestorben, mancher andre, der nicht des Todes starb, der täglich hier Tausende hinraffte, hatte sich mit gebrochenen Herzen hingelegt, um in einer andern Welt zu erfahren, warum die Gottheit zu dem Wüten des Lasters schweige. Ein neues Geschlecht war heran gewachsen, um bey dem Bau sein Leben aufzuopfern, den seine Väter angefangen hatten, aber die große Pyramide von Dsyse war noch immer nicht fertig. Dem Könige begann es nach und nach an [33] Menschen, und noch mehr am Gelde zu Beköstigung der Arbeiter zu gebrechen, ungeachtet diese Unglücklichen sehr elend und kärglich gespeist wurden; da hatte er einen Einfall, der euch die ganze Blöße seiner niedrigen Seele enthüllen würde, wenn ihr sie nicht schon zuvor gesehen hättet.

König Cheops hatte eine Tochter, welche man nur die schöne Suchis nannte; und schön war sie, schöner als alles, was ich hier in euch, ihr schönen Töchter Egyptens, vor mir sehe. Cheops dachte von den Reizen dieser unglücklichen Prinzessin einen Vortheil zu ziehen, welcher ihm den Bau seines kostbaren Grabes erleichtern sollte. Er hatte sich in seinen jüngern Jahren die Geschichte seiner Mutter, der Königin Faöué erzählen lassen, so gut man sie an dem sittenlosen Hofe der Pharaonen zu erzählen wußte, und ihr Aufenthalt im Tempel der zweyten Athor war ihm besonders merkwürdig gewesen. Egypten sah damals viel Fremde, welche die Neugier nach König Cheops Wunderbau herbeylockte, der Tyrann gelüstete nach ihrem Golde, und [34] dieses in seine Schatzbehälter zu leiten, sollte Suchis das Mittel werden.

Die Prinzessin war so schön, daß ein Blick von ihr mit tausend Talenten erkauft zu werden verdiente; es fanden sich der Schauer genug. König Cheops würde auch kühnere Wünsche begünstigt haben, hätten sie ihm Gold eingebracht; aber Suchis war tugendhaft, auch sagte man von ihr, sie schütze der Schleyer der Isis, ein wunderbares Gewebe, das, ohne bescheidene Blicke zurückzuscheuchen, nur den frechen eine undurchdringliche Hülle ist.

So flossen die Reichthümer der Fremden in König Cheops Schatzgewölbe über; der Pyramidenbau rückte, so wie er sich mehr und mehr zuspitzte, zusehens weiter; er war jetzt weniger gefährlich, und weniger Menschen mußten ihn, diejenigen abgerechnet, welche etwa von der unabsehlichen Höhe herabglitten, und auf den hervorragenden Steinen des schrägen Abhangs ihr Blut versprützten, mit dem Leben bezahlen, aber es fehlte doch immer noch einer, dem König[35] Cheops gern den Tod gegönnet hätte; es war der papremitische Weise, der diesen Lohn allerdings verdiente, nur von einem andern Richter als dem Tyrannen, der über Verbrecher seines gleichen nicht zu Recht sitzen konnte.

Auch wollte das König Cheops nicht; der Diener des Typhon konnte wegen keiner Sache angeklagt werden, die man laut werden lassen durfte, und die Ursach, warum er nach des Königs Willen sterben sollte, waren auch nicht seine blutigen Rathschläge, sondern nur der kleine Umstand, daß er nun geleistet hatte, was er leisten sollte, und folglich fürderhin unnütz war, wie auch, daß er Dinge wußte, deren Wissenschaft der Tyrann gern allen seinen Vertrauten entrissen hätte, wär es möglich gewesen, ohne ihre Hülfe seine weit aussehenden Anschläge auszuführen. Hätte er gewußt, welcher unter allen Kennern der Geheimnisse der Pyramiden ihn überleben würde, nur dieser eine wär geschont worden, um ihn zur dreytausendjährigen Ruhe einzuführen, die andern hätten [36] alle des Todes sterben müssen, den er dem Diener des Typhon zugedacht hatte.

Das große Begräbnißgewölbe bestand aus einer Menge labyrinthischer, durch einander gewundener, auf und abwärs gehender Schluchten, die nur nach unten zu einen bequemen Ausgang hatten, welcher sich an den Ufern eines kleinen Sees endigte, den man in dem Innern der Pyramide ausgehölt und einen Arm des Nils hinein geleitet hatte.

Ein kleines Schiff in einer verborgenen Bucht des königlichen Gartens war ganz zu der Absicht gebaut, die Fahrt in die verborgenen Gegenden auf einem drey Meilen langen Kanal, der dahin führte, ohne Gefahr thun zu können, jedes andere Fahrzeug wär wegen der mannichfaltigen Sonderbarkeiten des Wegs dazu untauglich gewesen. Dieses war der einige Zugang, der nach Endigung des ganzen Werks offen blieb, dieses der Weg, den dereinst die entseelten Leichnahme von den Mitwissern des Geheimnisses geführt werden sollten, um in jenen finstern Regionen zum [37] langen Schlafe einbalsamirt zu werden. Oberwärts sollte der Wunderbau keine Oeffnung behalten. Das Ende 5 jeder innern Schlucht verschloß ein genau passender Stein, den keine Gewalt, ohne die Kenntniß geheimer Triebfedern, heben konnte, und auch die Spitze der nun geendeten Pyramide sollte auf ähnliche Art geschlossen werden.

Schon schwebte der dazu bestimmte ungeheure Stein, mit Ketten an einem künstlichen Gerüst aufgehangen, über der Oeffnung, die er bedecken sollte. Zwanzig Werkleute, die Vertrautesten der geheimen Arbeit, unglückliche Männer, denen man nach Endigung des Werks mit verschwenderischen Belohnungen geschmeichelt, und sie dadurch zu unglaublicher Aufopferung gereizt hatte, waren noch bemüht, unter dem schwebenden Felsen, die Falzen, in welche er passen sollte, einzuarbeiten. Auf [38] gegebenes Zeichen des Herabsinkens des großen Schlußsteins, sollte schnelles Zurückziehen in eine Nebenschlucht, die so, wie die ganze Pyramide zu Herbeybringung frischer Luft enge Oeffnungen nach außen hatte, sie retten, und die bey sich habenden Werkzeuge alsdann ihnen helfen, das Tageslicht wiederzusehen; aber, daß dieses alles leere Vorspiegelungen waren und blieben, dafür hatte schon der papremitische Weise gesorgt; ihm war daran gelegen, alle Mitwisser des großen Geheimnisses zu vernichten. Zerschmettert sollten die unglücklichen Vertrauten seiner Künste werden, zerschmettert durch den herabstürzenden Schlußstein, und dieses war denn das Schicksal, daß auch ihm der Tyrann von Egypten aus ähnlichen Ursachen zudachte.

Der eine und der andere dieser Unmenschen hatte seine Maasregeln so genommen, daß der teuflische Anschlag nicht mißlingen konnte. Der Stein sank, und begrub nicht allein jene unglücklichen Zwanzig, sondern auch denjenigen, welcher den Bau, den die Menschheit immer mit Grausen ansehen [39] wird, mit Blut baute, und den schrecklichen Tod, der ihn hier traf, sowohl verdiente, als jene Elenden ihn unschuldig erlitten.

Pharao Cheops mit einer großen Volksmenge, sahe der Endigung des Werks unten in der Ebene zu. Der Stein sank. Die Geheimnisse waren durch den Tod der Elenden, die er bedeckte, auf ewig versiegelt, und mit einer Ruhe, die nach der entsetzlichsten aller Thaten undenkbar ist, zog Pharao Cheops nach der Hauptstadt zurück, um nun die Früchte seiner Mißhandlungen, deren Denkmahl jene Pyramide ist, zu genießen, das ist, Verbrechen auf Verbrechen zu häufen, ohne, wie er meynte, von der Zukunft jenseit des Grabes irgend etwas, oder allzuviel zu fürchten zu haben. Der Endzweck, den er erreicht zu haben glaubte, war in der That groß, und rechtfertigte einigermaßen alles Unbegreifliche, das noch die späte Nachwelt in dem Bau jener künstlichen Steinhaufen finden wird, zu denen die Pyramide des Pharao Cheops das Modell war.

[40] König Cheops war alt und grau über dem Pyramidenbau geworden, seiner Jahre konnten nur noch wenig auf der Erde seyn, auch legte er sich bald hin zu sterben, und das Land jauchzte einer bessern Regierung entgegen.

Als der königliche Leichnam, nach der Gewohnheit des Landes vor die Todtenrichter gebracht ward, die, zum Vorbild jener schrecklichen richtenden Mächte jenseit des Grabes, am See Meroe zu Gericht sitzen; da war die Stimme die ganzen Egyptens gegen ihn, und ihm mochte die Ehre der Beerdigung nicht verstattet werden. Die Rathssitzung, welche sonst mehrere Tage dauerte, brauchte kaum eine Stunde Zeit; die Beweise dessen, was alle Kläger klagten, lagen vor Augen. Ach, bewies nicht jener Gräuelbau auf der Höhe von Dsyse mehr, als irgend einer der versammelten Richter wußte und glaubte?

Die einzige Person, welche für den verurtheilten Todten sprach, war die Prinzessin Suchis. Thränen vertraten bey ihr die Stelle der Worte; was hätte sie auch [41] zum Beßten des gekrönten Verbrechers sagen sollen?

Suchis, antworteten ihr die Todtenrichter, entferne dich! deine Erscheinung belastet diesen Todten noch schwerer! Auch an dir ward er zum Verbrecher! Daß du Ehre und Tugend erhieltest, das danke dem Schleyer der Isis, nicht ihm! Entferne dich, und erspare uns und dir den Kummer näherer Erklärungen.

Der Sohn des nunmehrigen Thronfolgers, des Pharao Chephres, der junge Prinz 6 Mycerin, führte die schöne Suchis aus dem Gedränge. Er liebte sie, sie ihn, aber der Schleyer der Isis versagte ihr das Glück irrdischer Liebe. Nur jenseit des Grabes, so sagte sie oft zu ihm, zerreißt diese Hülle, nur dort kann ich den, dem ich mein Herz gab, frey umarmen!

[42] Gegenwärtig kannte er und sie keinen andern Kummer, als den um den verworfenen Todten. Also im Strahl der Sonne, schrie Suchis mit gerungenen Händen, sollen die Ueberbleibsel dessen modern, der mir das Leben gab? Also den wilden Thieren sollen die Gebeine eines großen Königs zum Raube werden?

Tröste dich, Liebe, antwortete Mycerin, für deinen Kummer ist Rath; oder glaubst du, daß Pharao Cheops nicht das Unglück voraus sah, das seinen Leichnam nach einem Leben, wie das seinige, betreffen mußte? glaubst du, daß er nicht hiergegen ein Mittel ersann?

Wie, Mycerin? antwortete die Prinzessin, die schnell ihre Zähren trocknete, und ihrem Freund mit erheiterten Blicken ins Auge sah. Wie? – Du setzest mich in Erstaunen!

Machte dir die Pyramide zu Dsyse nie einige Gedanken?

Wie? die Pyramide? – Erkläre dich deutlicher, und hast du Trost für mich, so verhalte mir ihn nicht!

[43] Wenn Suchis diese Nacht in männlicher Tracht an dem Kanale des königlichen Gartens meiner warten will, so soll sie mehr erfahren.

Die Liebenden trennten sich, um sich in zwölf Stunden wieder zu sehen. König Cheops Leichnam lag an den Ufern des Sees hingeworfen; das Volk, das ihn im Leben verabscheute, floh seinen Anblick. Das Krokodil aus dem Strome, der Wolf und die Hyäne aus der Wüsten kamen und suchten ihren Raub; sie fanden nicht, was Mycerins Hände schon frühzeitiger auf die Seite gebracht hatten.

Ihr werdet leicht aus der Rede des Prinzen errathen, daß er etwas von den Geheimnissen der Pyramide wußte; er war nach Pharao Cheops Tode durch Zufall ein Einverleibter des großen Begräbnißbundes geworden, aber alles hatte man ihm nicht vertraut. Die Muthmaßungen, die er von jenem ungeheuren Steinhaufen hegte, gingen nur dahin: Der ruchlose König habe ihn zur Ruhe seiner Gebeine errichten lassen, weil er sich auf andere Art nie ein [44] ehrliches Begräbniß habe versprechen können. Seine Verbrechen und die bekannte Strenge der Todtenrichter mußten ihm ja diese Hoffnung auf ewig verschließen.

Der königliche Leichnam war auf Veranstaltung der heimlich Verbundenen, durch den Prinz, als den neusten Einverleidten ihres Bundes, dem Zahn der wilden Thiere entrissen worden. Suchis, als sie des Nachts, verabredetermaßen am Kanal des pharaonischen Gartens erschien, fand ihn anständig gewindelt und nicht ohne Schmuck von Gold und Kleinodien unter den Händen der Balsamirer des Begräbnißbundes, welche eben beschäftigt waren, ihn auf ein kleines Schiff von Ebenholz mit schwarzen Segeln zu bringen, das im Schein des Mondes langsam heranruderte.

Hätte die Prinzessinn dem Triebe ihres sanften Herzens folgen wollen, mit heißen Thränen hätte sie sich auf das Gesicht des Unglücklichen geworfen, den sie im Leben Vater genannt hatte, ohne je wahre väterliche Liebe von ihm genossen zu haben.

[45] Mycerin winkte ihr, sich zu fassen, und flüsterte ihr das Wort Typhon ins Ohr. Sie wußte nicht ehe, was er damit sagen wollte, als bis die ganze Gesellschaft sich rüstete den schwarzen Nachen zu besteigen, und sie gewahr ward, daß ein jeder derselben, vor dem Einsteigen mit dem Oberpriester der Isis, der auch unter den heimlichen Bund gehörte, einige Worte wie Frage und Antwort wechselte. Alle waren eingeschifft; nur sie und Mycerin waren noch übrig, da nahte sich der Frager auch zu ihr: Er stutzte als er sie sahe, und schien Zweifel über ihre Person zu haben. Jüngling, weißt du die Loosung? sagte er. – Typhon! antwortete sie, und Mycerin bot ihr die Hand, sie in das Fahrzeug zu heben.

Die Gesellschaft, dreyzehen Personen stark, schiffte dahin auf den Fluthen des Nilarms, welchen die Pharaonen ihren Garten zu wässern in ein künstliches Bette geleitet hatten. Der Mond beglänzte die traurige Fahrt. Ein schwüler Wind schwellte die Segel. Der Todte lag zwischen seinen Begleitern auf dem Boden. Alles [46] schwieg, alles heftete die Augen auf den entseelten Tyrannen, den nun der Tod so ruhig gemacht hatte, und in jeder Seele schienen Gedanken aufzugehen, die ihr wahrscheinlich sonst fremd waren.

Der Begräbnißbund bestand, den einzigen Mycerin und die schöne Suchis ausgenommen, wie wir wissen, eben nicht aus den weisesten und redlichsten Leuten; aber welcher menschliche Geist kann sich in gewissen Augenblicken, dem Eindrucke ernster Gefühle verschließen? Auch der Verworfenste staunt am Rande des Grabes wenigstens, wenn er nicht zittern, wünschen, beten oder hoffen kann.

Die Fahrt ging langsam, die Fluthen wälzten sich mit träger Ruhe dahin. Der Kanal krümmte sich aus den Ringmauern des Pallastes süd- und ostwärts. Die Pyramide, das Ziel der Reise ward sichtbar, aber man ließ sie zur Seite liegen. Suchis blickte ihren Freund mit stiller Verwunderung an, sie wußte nicht, welche labyrinthische Wendungen der Weg zu tiefen Geheimnissen [47] nimmt, um sie unentdeckbar zu machen.

Der Strom führte jetzt das Schifflein schneller mit sich fort; er schien abwärts zu fließen. Der Weg ward düster. Man sahe kein Gestade zur Seite, nicht mehr den Sternhimmel über sich. Ein schwarzes Gewölk schien die Aussicht von allen Seiten zu umgränzen. Nur in tiefer Ferne schimmerte ein mattes Licht, wie Fackelglanz. Der Strom erweiterte sich, und seine Ufer, die jetzt im nähern Schimmer sichtbar wurden, bildeten ein großes Bette, dessen Rand Flammen phosphorischen Feuers erleuchteten. Ein grauenvoller Anblick! Suchis schauderte in sich zusammen. War dies das Schattenreich, an dessen Küsten man landete?

Als der Leichnam des Königs ausgeschifft, und von denen, deren Amt es mit sich brachte, in die Gewölbe eingeführt worden war, wo man die große Salbung, welche der Fäulniß Jahrtausende trotzen sollte, beginnen wollte, da mußte sich Suchis, um nicht Verdacht zu erregen, von [48] demselben trennen. Vierzig Tage lang, so lang dauerten die Salbungstage der alten Egyptier, brachte sie am Arm ihres Freundes in diesen düstern Regionen zu. Es waren schwermuthsvolle, selige Tage, die sie hier verlebten. Ist hier das glückliche Jenseits, das den Schleyer der Isis zerreißt? fragte Mycerin oftmals. Aber Suchis weinte, Todesgedanken hielten den Arm der Liebe noch entfernter von ihr als das heilige Gewebe, das sie umfloß.

Mycerin führte seine Freundin, anders wollte sie nie von ihm genannt seyn, durch alle heimliche Wege des Wunderbaues, so weit sie ihm bekannt waren, aber das Innere des Heiligthums zeigte sich ihr erst am zwey und vierzigsten Tage nach ihrer Ankunft im Schattenreiche, als der Leichnam des Königs eingebracht wurde in die große Halle, die er bey seinem Leben mit seltener Pracht zur langen Ruhe hatte ausrüsten lassen.

Es war ein verblendender Anblick, als man eintrat in die geweihte Grotte, welche das Herz des Wunderbaues ausmacht, und [49] welche seitdem eine räuberische Hand 7 von ihren Schätzen entblößt hat.

Der Glanz der Fackeln wurde von dem Gold der Wände tausendfach zurückgegeben. Eine ungeheure Todtenkiste vom ähnlichen Metalle, in welcher mehrere von Marmor und wohlriechendem Holz in einandergesetzt waren, nahm den mittlern Platz des Saales ein. Sie war zur Ruhestatt des Todten, den man jetzt hineintrug, bestimmt. Goldene Götzenbilder wachten um sie. Cheops hatte hier alles von Schätzen aufgehäuft, was er vermochte, um sich dereinst beym Hervorgehen zum neuen Leben, der Herrschaft über ein künftiges Menschengeschlecht desto gewisser zu versichern.

[50] Rund umher in dem Säulenwerk der Wände waren eilf Nischen angebracht, den Leichnamen der Mitwisser des Geheimnisses, deren Anzahl bey dem Leben des Königs auf eilfe eingeschränkt war, und die nur erst nach seinem Tode, durch Mycerin und Suchis, vermehrt ward, zur Wohnung zu dienen. Auch hier fehlte es nicht an Gold und Kostbarkeiten für die Zukunft. Nie sind solche Schätze auf spätere Folgezeit aufbewahrt worden, als hier. Die Vorsorge dieses Pharao und seiner Diener für künftige Jahrtausende war zu bewundern.

So still es in diesen Schattenwohnungen zuging, so erfuhren doch Suchis und Mycerin hier mehr von dem Innern des Geheimnisses und dem großen Endzweck aller dieser Wunder, als sie beym Eintritt gewußt hatten. Innschriften und einzelne Worte, die man nicht allemal in seiner Gewalt hat, verriethen viel.

Mycerin sah seine Geliebte zärtlich an. Welch ein Gedanke, rief er, nach Jahrtausenden zu einem bessern, und doch diesem ähnlichen Leben hervorzugehn!

[51] Und, wenn einst diese erwachen, antwortete Suchis, die hier schlummern sollen, möchtest du unter ihnen seyn?

Nein, antwortete er, nur an der Seite der Einen, die ja doch für diese Welt für mich verlohren ist!

Ein Händedruck war ihre Antwort; diesen verwehrte der Schleyer der Isis nicht.

Als die Begräbnißceremonien geendiget waren, bat Mycerin, bey dem Leichnam seines Oheims bleiben, und hier sein Leben endigen zu dürfen; seine Augen erkohren die schöne Suchis zur Gefährtin bey dieser Todtenwache.

Es war ein seltsamer Einfall, wie Liebende sie oft haben. Ein durchdringender Blick, welchen der Oberste des Bundes auf ihn warf, und der von ihm auf seine verkleidete Gefährtin fiel, erklärte das, was er gesagt hatte, für unüberlegt und unausführbar, auch machte er dem Prinzen vor Entdeckung derjenigen bange, welche, im stummen Gefühl verlohren, neben ihm stand, und von dem, was gesprochen wurde,[52] nichts beachtet zu haben schien. Sehr möglich, daß eben dieser deutungsvolle Blick des Forschers der Grund des Schicksals war, das den beyden Liebenden in der Folge bevorstand.

Mycerins Stillschweigen nahm seine befremdende Rede zurück, man trat die Rückreise an, und der ganzen Sache ward nicht mehr gedacht.

Es war Nacht, da der schwarze Nachen seine verborgene Bucht im königlichen Garten verließ, und Nacht war es, als er wieder mit der Trauergesellschaft in demselben anlangte.

Pharao Chephres hatte während dem Zeitraum von drey und vierzig Tagen, die man abwesend gewesen war, den Thron bestiegen, und bereits Proben genug gegeben, daß er wohl ein anderer, aber kein besserer Regent werden würde, als sein Bruder gewesen war.

Den sprechendsten Beweis seines niedrigen bösen Herzens legte er in dem Hasse ab, mit welchem er die Tochter seines Vorgängers, [53] die unschuldige Suchis zu verfolgen begann. Diese Prinzessin konnte nach den Gesetzen des Landes seinen Rechten zur Thronbesteigung keinen Eintrag thun, da sie unvermählt und kinderlos war; doch schien der neue Pharao sie blos wegen der Möglichkeit anzufeinden, daß dieses anders hätte seyn können, als es war.

Er wußte, der Schleyer der Isis schloß bey ihr jeden Gedanken an irrdische Liebe aus, gleichwohl haßte er alle, die ihre Schönheit bewunderten, stürzte alle ihre Freunde und trieb diese Tyranney so weit, daß er dieser unglücklichen Dame auch ihre einzige Freude, einen jungen Knaben, den sie erzogen hatte und ungemein liebte, rauben ließ, und ihn in die Wüste verbannte. Dieser Knabe hieß Oarsiph, ein Name der so viel bedeutet, als Sohn der 8 Seerose und der wohl auf Umstände in der verborgenen Herkunft dieses Kindes, das damals acht Jahre zählte, seine Beziehung haben mochte.

[54] Die Prinzessin war über das, was Pharao that, so betrübt, daß sie sich entschloß, der Welt gänzlich zu entsagen, und in den Tempel der Göttin zu fliehen, welcher sie durch das heilige Gewebe, das sie umschloß, bereits geweiht war.

Sie warf sich zu den Füßen ihres grausamen Oheims, um Erlaubniß zu einem Schritte zu fordern, der ihm unmöglich misfallen konnte; aber jeder ihrer Wünsche, war ja diesem Tyrannen Aufforderung ihr entgegen zu handeln.

Die schöne Suchis, antwortete der König mit beißendem Spotte, darf ihre Reize nicht den Augen der Welt entziehen. Die Fremden, welche den Hof der Pharaonen besuchen, sind zu sehr gewöhnt, den Anblick dieser schönen Augen sich mit Gold erkaufen zu dürfen, als daß man hier ohne Nachtheil eine Aenderung treffen könnte. Suchis treibe das Gewerbe fort, das sie beym Leben ihres Vaters begann, und aller Vortheil, den es ihr bringt, falle in ihren eigenen Seckel, denn ich bin nicht geizig, wie Pharao Cheops.

[55] Dies war die empfindlichste Seite der unglücklichen Prinzessin, sie konnte nie berührt werden, ohne schmerzhaft zu bluten. Ich Elende! rief sie, indem sie mit gerungenen Händen die Stufen des Throns verließ: Muß mir das zum Vorwurf werden, was mir immer bitterer war, als der Tod? Bin ich denn ein Wunder, wie die Pyramide zu Dsyse, das jeder Gaffer anstaunen und in fremden Ländern austragen darf? Werde ich nie von diesen schimpflichen Fesseln befreyt werden, als bis Alter und Häßlichkeit sie lösen? O Isis! Isis! O heilige Einsamkeit! und du, o Stille des Grabes, mein einziges Verlangen!

Die schöne Suchis mußte sich es also gefallen lassen, den nämlichen Hof zu halten, wie bey Lebzeiten ihres Vaters. Ihre Vorzimmer wurden nicht leer von kühnen Schauern, die sich durch den Schleyer der Isis nicht schrecken ließen. Der einzige Unterschied, den man wahrnahm, war, daß nur Fremde, keine Egyptier der Prinzessin jetzt den Hof machten; letztere scheuten sich vor Pharaos Zorn, der jeden Einheimischen[56] traf, welcher sich zu den Anbetern der Prinzessin zählte. Aber Prinz Mycerin ließ sich durch die Furcht vor der väterlichen Ungnade nicht schrecken, er kam täglich und sah die Schönheit, die er nur aus der Ferne bewundern durfte, ungeachtet er wußte, ihr Herz sey nicht kalt gegen ihn.

Die Fremden kamen, wie sie gewohnt waren, jeden Tag und brachten der Prinzessin goldne Gaben, aber sie erklärte sogleich nach dem Urtheil das sie von Pharao erhalten hatte, daß ihr Anblick nicht mehr um Gold feil sey. Ich verlange, sagte sie, von euch, ihr thörichten Bewunderer einer Person, die keinem von euch werden kann, nichts, als so oft ihr mich sehet, einen Stein, ein Geschenk, welches ich anwenden will, ein Gebäude aufzuführen, wie mein Vater gebauet hat; es beginne an dem Fuße der großen Pyramide von Dsyse, und, wenn es geendigt ist, sollt ihr seinen Gebrauch erfahren.

Man fand das, was die Prinzessin forderte sehr sonderbar, aber schon damals [57] erregte das Sonderbare verdoppelte Bewunderung, und die Zahl derjenigen, welche die schöne Suchis zu sehen und ihren himmlischen Anblick nach ihrem Begehren zu bezahlen kamen, mehrte sich mit jedem Tage.

Hatte man vorher Gold und Edelsteine aus allen Regionen der Erde herbeygebracht, die Schätze des Vaters einer so schönen Tochter zu füllen, so wetteiferte man nun, mit den unglaublichsten Kosten, die größten, schönsten und seltensten Steine herbeyzuschaffen, die zu dem Bau, welcher bald abgemessen und begonnen war, taugen konnten. Porphyr, Jaspis, brauner und weißer Granit, Basalt und Egyptensteine von seltener Größe lagen in den Ebene von Dsyse aufgehäuft. Der Bau wuchs, denn wer keine besondern köstlichen Steine liefern konnte, der ersetzte den Mangel dadurch, daß er selbst Hand ans Werk legte sie aufzumauern, und oft ging der Eifer so weit, daß alle Liebhaber der schönen Suchis zugleich arbeiteten, um die Pyramide nur schnell zu endigen, denn es ging die Sage unter ihnen, am Tage der Vollendung des [58] Werks würde das Schicksal den Schleyer der Isis zerreißen, und die Prinzessin einem unter ihren Anbetern die Hand geben.

Niemand unter allen den erlauchten Werkleuten war emsiger als Prinz Mycerin. Er kehrte sich nicht an den Zorn seines Vaters, und fehlte beym Bau keinen Tag. Anlage und Grundriß waren sein Werk, das Innere, welches nach etwas andern Regeln gebildet wurde, als bey der Pyramide des Cheops, fertigte fast niemand als er und seine vertrautesten Diener. Die Pyramide der schönen Suchis ward nicht mit Blut gebaut, wie jene. Die Liebe war hier Werkmeisterin, die Liebe, welche alles leicht macht, die wunderthätige Liebe, die auch hier, wie durch Zauberey, binnen einem Jahre endigte, was Pharao Cheops in einigen Menschenaltern mühselig zu Stande gebracht hatte.

König Chephres, welcher bey allem Hang zum Laster doch nie in demselben seinen eigenen Weg ging, sondern sich gern nach Vorgängern bildete, wie schon [59] aus seinem Urtheil über die schöne Suchis erhellt, hatte früher als sie, gleich in den ersten Tagen seiner Thronbesteigung, eine Pyramide begonnen, blos, weil König Cheops eine gebaut hatte. Er baute sie nach der Weise seines Vorgängers mit Unterdrückung und Zwang, daher ging das Werk langsam, und der Bau der Liebe hatte schon fast die Spitze erreicht, da am Bau des Tyrannen noch der Grund aufgemauert wurde. König Chephres, der kein Vertrauter des Begräbnißbundes war, baute ganz ohne Ursach, blos aus Nachahmungssucht und um das Volk zu quälen. Die schöne Suchis, meynte er, baute aus Eitelkeit, und er fand einen neuen Grund zum Haß gegen sie darinn, daß ihr Werk besser fortging als das seinige.

Sie soll sterben, sagte er oft zu seinen Räthen, sterben, sobald sie geendiget hat. Laßt die Thoren, die ihr fröhnen, auf Glück der Liebe hoffen; ich weiß nicht, was sie ihnen zudenkt, aber, was ich ihr zudenke, ist der Tod, des sollt ihr Zeugen seyn.

[60] Die Pyramide der schönen Suchis war fertig, bis auf die Spitze. Der schließende Stein schwebte schon an seiner Kette über der Oeffnung; am morgenden Tage sollte er sinken, am morgenden Tage sollte das große Geheimniß, der Endzweck dieses Baues, enthüllt werden, wovon sich die harrenden Liebhaber so große Hoffnungen machten. Sie hatten sich verschworen keinem, den die Prinzessin mit ihrer Hand beehren würde, sein Glück zu beneiden oder zu verbittern, vielmehr wollten sie sich aufmachen, und mit Heereskraft den Liebenden ein Königreich erobern. Dergleichen Dinge waren damals noch eine leichte Sache, und möglich konnte es seyn, daß die Freunde der schönen Suchis gar ihre Absicht auf das Königreich Egypten gerichtet hatten, welches einem weichlichen Tyrannen, wie Pharao Chephres, zu entreißen wenig Schwierigkeiten haben konnte. Doch dieser Tyrann hatte Meuchelmord und teuflische List auf der Seite, dieses sicherte ihm den Sieg über jeden Anschlag.

Der große Morgen kam, an welchem Tausende die Entscheidung ihres Schicksals [61] aus einem schönen Munde erwarteten. Die Ebene von Dsyse war mit den Bewunderern der Prinzessin und ihren Dienern erfüllt. Prinz Mycerin, welcher die größte Hoffnung unter allen zu haben meynte, zeichnete sich durch körperliche Vorzüge, und den Glanz seines Gefolges vor allen anwesenden Prinzen und Großen aus, und aus der Hauptstadt nahte sich der Zug, an dessen Spitze sich die schöne Suchis befand. Er bestand aus lauter weiß gekleideten Jungfrauen. Sie selbst trug ein feuerfarbenes Gewand mit goldenem Gürtel, welches sie unnennbar verschönerte. Sie leuchtete unter ihren Gespielen, wie der aufgehende Mond unter den Gestirnen.

Da sie vor den 9 Memnonssäulen überkam begrüßte sie den Gott, wie er seine Mutter die Morgenröthe zu begrüßen [62] pflegt; ein verzeihlicher Irrthum, sie war schöner als Aurore.

Sie kommt! sie kommt! riefen in der Ebene von Dsyse tausend Stimmen, als sie sich nahte, und alles warf sich vor ihr nieder. Ein huldreicher Wink gebot den Anbetenden sich zu erheben, und ein wohlgefälliger Blick, der auf die geendete Pyramide fiel, die sich in der Pracht der Morgensonne an der Seite des noch im grauen Nebel liegenden Denkmals des Tyrannen Cheops erhob, dankte den treuen Händen, die dies herrliche Monument der Liebe aufgeführt hatten.

Ich danke, danke, danke euch! sagte ihr schöner Mund zu denen, welche ihr die nächsten waren. Wenn ich euch nicht lohnen kann, so verzeiht! ich bin eine Sterbliche und keine Göttin. Thränen schwammen in ihren schönen Augen, als sie dieses sagte, das heilige Gewebe, das ihre ganze Gestalt umschleyerte, so fest und unzerstörbar es sich an dieselbe anschmiegte, war doch fein genug, den Schauern nichts von den Zügen himmlischer Wehmuth zu rauben, die sie so unaussprechlich verschönerten.

[63] Suchis reichte einigen, die sich ihr zunächst drängten, die Hand zum Kuß; eine Gnade, die vor diesem noch keinem wiederfahren war. Andere lagen zu ihren Füßen, und küßten den Saum ihres Gewandes. Mycerin allein konnte nicht zu ihr gelangen, auch vermieden ihn ihre Augen, und als sie einst doch von ohngefähr auf ihn fielen, so brach ein Strom von Thränen aus ihnen hervor, die der Prinz für Freudenthränen hielt, daß sie nun bald sein seyn würde. Er wußte, daß sie ihn liebte, und kein Zweifel regte sich in seinem Herzen, er war überzeugt sie würde, da die Wahl bey ihr stand, für ihn entscheiden. –

O, rief er, mit ihr zu leben, und dann dort in jenem Grabgewölbe, das ich ganz zur Freude des frohen Erwachens bildete, einst mit ihr zu schlummern, und nach wenig tausend Jahren zu neuem Leben hervorzugehn, welch ein Gedanke! O Mycerin! zu glücklich bist du für einen Sterblichen!

Als die Prinzessin den Fuß der Pyramide erreicht hatte, wandte sie sich noch einmal [64] zu der versammelten Menge, als wollte sie sie mit einer Anrede beglücken. Aber die Worte erstarben auf ihrem Munde, und wenig fehlte, ihren Augen wären noch einmal Thränen entströmt. – Sie konnte nicht reden, aber sie küßte ihre Hand und legte sie mit einer Miene aufs Herz, die jedermann so sehr befremdete als entzückte, und ein ängstliches Gemurmel erregte, welches man wohl einer heimlichen Ahndung hätte zuschreiben sollen. – Darauf umarmte sie ihre Jungfrauen, und nahm sieben von den geliebtesten, unter denen sich auch die Schwester des Knaben Oarsiph befand, zu sich, den Weg auf die Spitze des Wunderbaues zu beginnen. – Ein gefährlicher Pfad, von welchem niemand geglaubt hatte, daß sie ihn wagen würde.

Mycerin drängte sich hinzu, und erinnerte sie an etwas, das sie nicht zu achten schien. Er bot ihr den Arm, auch dieser wurde ausgeschlagen, sie hörte noch einige Worte, die er ihr sagte, lächelnd an, und machte sich dann von ihm los. Allein von ihren sieben Gespielen begleitet, erreichte [65] sie, vermittelst des von außen wie Stufen hervorstehenden Gesteins die Spitze des Wundergebäudes, auf welches aller Augen gerichtet waren.

Jetzt stand die schöne Gruppe unter dem schwebenden Steine. Die unabsehliche Höhe machte sie kaum noch sichtbar. Jedermann zitterte vor der Gefahr, in welcher sich die allgemein angebetete Göttin befand; doch Mycerin demonstrirte, daß hier nichts zu befürchten sey, indem er die Neugier der Prinzessin, den geendeten Bau zu beschauen, vorausgesehen, und diesen gewagten Gang so gefahrlos als möglich gemacht habe.

Man hörte kaum auf das, was der Prinz, selbst zitternd, sagte, denn aller Augen waren auf die schöne Suchis gerichtet, die jetzt ihre Hände zur aufgehenden Sonne erhob, noch einmal den Zuschauern mit einem fröhlichen Scheideblick winkte, und dann schnell unter dem schwebenden Steine verschwand.

Flammen fuhren aus der Oeffnung empor, da sie mit ihrem Gefolge nicht [66] mehr zu sehen war, der Stein sank, und ein Schrecken verbreitete sich, welchen zu schildern ich zu schwach bin.

Verzeihet, meine Zuhörerinnen, daß ich das, was ja auch das Werk eines Augenblicks war, mit so wenig Worten male. Suchis verschwand, verschwand auf ewig vor den Augen ihrer getäuschten Liebhaber; sie wurden gewahr, daß sie sich nicht den Altar der Liebe, sondern ihr ein Grab gebaut hatten. Ohnmächtig, halb außer sich, hier wüthend, dort verzweifelnd, jeder nach seiner eigenen Art, äußerte ein jeder, daß er jetzt sein, vielleicht in den letzten Augenblicken dieses Auftritts geahndetes Unglück, gewiß wußte. Die Ebene ertönte vom Geschrey des Entsetzens. Einige glaubten nicht recht gesehen zu haben, Andere sprachen von Rettung, die Dritten rechteten mit einander, den schrecklichen Vorfall nicht gemuthmaßt und gehindert zu haben. All dieses könnte ich euch umständlich sagen, aber diese Züge würden nicht ganz bezeichnen, was auf der Ebene von Dsyse vorging; nehmt also eure Phantasie zu Hülfe, und denkt euch, was ich nicht zu schildern weiß.

[67] Prinz Mycerin war in den ersten Augenblicken der Verzweifelndste, und bald darauf der Gefaßteste unter allen. Er kannte den innern Bau des muthmaßlichen Grabes der schönen Suchis besser als einer, er wußte die heimlichen Zugänge die keinem bekannt waren, und er eilte, durch dieselben in den geheimnißvollen Bau zu gelangen, wo die Geliebte seines Herzens vielleicht noch lebend zu finden seyn konnte. Das Herauffahren der Flammen, das Sinken des zerschmetternden Steins erschreckte ihn nicht, er wußte von diesen Dingen mehr als wir alle. Schnell verließ er die Versammlung, einen ihm wohlbekannten Ort zu erreichen. Schon schiffte er auf einem zwischen den Bergen angelegten Kanal, welcher zu dieser Pyramide einen ähnlichen Weg bahnte, wie der Gartenkanal zu der Pyramide des Cheops. Die unterirrdischen Gewölbe nahmen ihn auf, er zündete die mitgebrachte Fackel an. Die Gegenden des Heraufsteigens zeigten sich ihm; aber ach, sie waren verschüttet, ein Theil des überhangenden Gesteins stürzte noch vor seinen Augen herab. Das Wasser schäumte, [68] der Nachen schwankte, schon schöpfte er Wasser. Die leuchtenden Flammen verloschen. Die kalte Fluth drang unaufhaltsam herein; Mycerin ward von ihr unwiederstehlich fortgerissen, die Gedanken vergingen ihm, und es ließ sich ansehen, als ob Ein Tag die Welt zweyer der treusten und unglücklichsten Liebenden berauben sollte.

Was auch aus der schönen Suchis geworden seyn mochte, ihr Geliebter sollte leben, leben zu längerer Qual. Ein treuer Diener, der ihn nie aus den Augen ließ, und der ihm auch diesesmal, wohl sehr wider seinen Willen, in einem Fahrzeuge von weitem gefolgt war, rettete ihn. Seba, dies war sein Name, gelangte eben mit seinem Nachen in den düstern Regionen an, die ihm, einem Mitarbeiter an jenem Wunderbau nicht unbekannt waren, als der Strom den Körper Mycerins ihm und der Rettung aus dem schwarzen Gewölbe entgegen trieb; so ward ein Leben erhalten, das in den nächsten Augenblicken tausendmal verwünscht werden sollte, und das schnell von neuem aufgeopfert worden wär, [69] hätte Seba nicht einiges Ansehn über den Prinzen gehabt, der von ihm erzogen worden war. Mehr todt als lebendig, und in jeder Betrachtung nur halb gerettet, ließ sich Mycerin in seinen Palast bringen, aus welchem aber bald verneutes Unglück ihn treiben sollte.

Die verzweifelnde Menge aus der Ebene von Dsyse war im Sturm des Aufruhrs nach der Hauptstadt zurückgekommen. Alles schrie über den Tyrannen Chephres, und nannte ihn den Ursacher des Untergangs der schönsten Prinzessin, die je gelebt hatte. Seine Drohungen, die er gegen die unschuldige Suchis ausgestoßen hatte, waren bekannt, und der Verdacht der schrecklichen That fiel ganz natürlich auf ihn.

Was auch hier die Wahrheit seyn mochte, ganz gerecht wußte sich Pharao nicht. Mit Zittern machte er Anstalten zu einer Vertheidigung, die gegen den rasenden Haufen, welcher sich wider den Palast zusammenzog, wohl sehr zweifelhaft gewesen seyn möchte, hätten nicht Hände [70] ihn gerettet, deren Hülfe dieser König nicht werth war.

Seit langen Jahren, Jahrhunderte könnte ich wohl sagen, lebte in Egypten ein fremdes Volk unter harter Sklaverey, das schon längst, bald durch Gewalt, bald durch List, seine Fesseln zu sprengen gesucht hatte. Alle diese Bemühungen waren bisher fruchtlos gewesen und seine Wünsche waren jetzt so herabgesunken, daß sie nur um Vergunst zur Reise von einigen Tagen in die Wüsten ansuchten, um daselbst – (ihr Gottesdienst war ein anderer, als der der Egyptier,) – in Ruhe ihre Neomenien zu halten. Die Bitte war klein; sie zu erlangen hielten sie einen auszeichnenden Dienst, dem Tyrannen erwiesen, für das beßte Mittel. Sie machten sich bey der Rebellion, die seine Freyheit und sein Leben bedrohte, so viel ihrer damals in der Hauptstadt waren, zur eisernen Mauer vor Pharao. Sie vertrieben die Rächer der schönen Suchis, und kehrten jauchzend zurück, nachdem sie sie bis an die Grenzen des Reichs verfolgt hatten, um nun ihren Lohn zu fordern.

[71] Ich habe mich schon zu lang bey fremden Dingen aufgehalten, um hier weitläufig seyn zu dürfen. Die Gegend der Geschichte, die sich hier vor mir öffnet, mag so merkwürdig seyn, als sie wolle, so kann ich doch im Vorübergehen nichts mehr von derselben gedenken, als daß jene unglücklichen Fremden, Statt alles Lohns für ihre Heldenthat, erneute Fesseln erhielten.

Man fand diese tapfern Leute furchtbar; Hände wie diese, durften nicht frey gelassen werden. Sie konnten das Schwerd führen, so mußte man ihnen andere minder gefährliche Werkzeuge anweisen.

Die Pyramide des Pharao Chephres war noch nicht geendet, hier gab es Arbeit für ein paarmal hunderttausend thätige Arme. Auf diese Anzahl belief sich damals die Menge des gedrückten Volks, und aus den fernsten Gegenden des Königreichs wurden sie herbeygerufen, um die Wohlthat, die ihre Brüder einem Undankbaren erwiesen hatten, mit büßen zu helfen.

Während Pharao hier auf diese Art wüthete, blieb der unglückliche Mycerin auch [72] nicht vergessen. Er war des Königs einziger Sohn, war sein Thronerbe, schon dies letzte wäre hinlänglich gewesen, ihn diesen Unmenschen verhaßt zu machen; aber der Umstand, daß er die schöne Suchis geliebt hatte, der Verdacht, er könne wohl mit ihren Rächern einverstanden gewesen seyn, stürzte ihn vollends gänzlich.

Mycerin erwartete sein Urtheil nicht, die Ausrichter desselben fanden ihn nicht mehr. Im Arm des treuen Seba war er in Gegenden geflüchtet, aus welchen ihn nur der allgemeine Ruf der Nation, und das Wohl des Landes zurückbringen konnte.

Bald sollte dieser Ruf erfolgen. Pharao Chephres konnte nicht auf die Länge des Lebens seiner Väter rechnen; schon damals tödteten Ausschweifungen schnell. Seine Pyramide sah er noch geendet, den Grund einer zweyten sah er gelegt, damit es jenen Fremdlingen ja nicht an Sklavenarbeit fehlen möchte; alsdann legte er sich hin zu sterben.

[73] Unbeklagt und unbetrauert verließ er die Welt, auch unbegraben würde sein Leichnam geblieben seyn, denn die Todtenrichter richteten über ihn, wie sie über Cheops gerichtet hatten, hätten die noch übrigen Mitglieder des Begräbnißbundes, dessen Mitglied er nicht war, sich nicht seiner erbarmt, ihn, weil er doch gleichwohl einer der Pharaonen gewesen war, dem Zahn der wilden Thiere entrissen, und ihm ungesalbt und ungeweihet ein Plätzchen im Umkreis der großen Pyramide gegönnet. Am Erwachen des Tyrannen nach dreytausendjährigen Schlafe war ihnen nichts gelegen, sie glaubten dann an dem Einen hier begrabenen schon genug zu haben.

Das Volk wußte nicht, was aus den unbegraben geglaubten Leichnamen der beyden letzten Pharaonen geworden war, und weil schon damals die Lehre von der Seelenwanderung allgemein angenommen wurde, so ging die Rede: man habe von der Stelle am See Möris, wo die königlichen Ueberreste wahrscheinlich vermodert [74] wären, zwey ungeheure Wölfe sich erheben sehn, die vermuthlich von dem nämlichen Hauche beseelt seyn mochten, der die beyden Tyrannen belebt hatte; eine Meynung, die nach dem damaligen Glauben der Völker viel für sich hatte.

Nach Pharao Chephres Tode machte sich das ganze Volk auf, dem Prinzen Mycerin, dessen Aufenthalt in der lybischen Wüste man erkundet hatte, die Krone entgegen zu tragen; mit Mühe konnte er bewogen werden, sie anzunehmen, auch trug er sie nicht lange.

Nur um eure Lasten einigermaßen zu lindern, sprach der traurige König, der die schöne Suchis noch immer nicht vergessen hatte bey seiner Thronbesteigung, nur um mir, wenn ich dies gethan habe, ein Grab zu bauen, will ich eine Zeitlang euer Pharao seyn.

Mycerin that, was er versprochen hatte. Das Land erholte sich unter seinem milden Scepter. Die zweyte Pyramide, die sein Vorgänger begonnen hatte, ward[75] ohne Mühe und Bedrückung aus Liebe für ihn geendet. Das Volk verehrte und segnete ihn, und die Todtenrichter würden schonend über ihn gesprochen haben, wäre sein Leichnam vor ihr Gericht gekommen; aber als Mycerin die Pyramide, die er nach seinem Namen nennte, geendet hatte, verhehlte er es den traurenden Egyptern nicht, daß hier sein Grab seyn sollte, ein Grab, das er entschlossen sey, lebend zu beziehen, da er, obgleich noch in der Blüthe des Lebens, schnelle Todesannäherung verspürte.

Es war ein allgemeiner Trauertag als Pharao seinen Entschluß ausführte. Alles Volk begleitete ihn zu seiner gewählten Ruhestätte. Seit dem Abschied der schönen Suchis waren um keine Person aus dem königlichen Geblüte so viel Thränen geflossen, als um Mycerin vergossen wurden. Seine Pyramide erhob sich dicht neben derjenigen, welche den Namen seiner geliebten Prinzessin führte. Er grüßte den heiligen Steinhaufen im Vorüberziehen, wie man die Bilder der Götter begrüßt, dann segnete er sein Volk noch einmal, [76] und bestieg sein Grab, in welches ihm zehn seiner vertrautesten Diener folgten; die aber nach einem und einem halben Monate zurückkehrten, und die Botschaft mit sich brachten: der beßte aller Pharaonen sey nicht mehr, er habe die Zeit seines Abschiedes so wohl berechnet, daß man ihn für einen Vertrauten der Gottheiten halten müßte, welche über das Lebensziel der Menschen wachen. Der nächste Tag nach Besteigung seines Grabes sey sein letzter gewesen, so daß Salbung und Aufbewahrung bereits an seinem Leichname gebührlich vollzogen sey.

Das Volk liebte diesen König so sehr, daß es die aufrichtigsten Thränen bey seinen Gebeinen geweint haben würde, hätte man die Grabstätten der alten Egyptier nicht für zu heilig gehalten, von menschlichem Fußtritt entweiht zu werden; über dieses war die Pyramide Mycerins unzugänglich, so wie ihre Nachbarinnen, und hatte sie vielleicht heimliche Zugänge, so wußte man es nicht.

[77] Die größte Trauer Egyptens bestand darin, daß der geliebte Mycerin keinen Thronfolger hinterlassen hatte. Das Volk blieb sieben Jahre ohne Regenten, und weil bald nach dem Tode des guten Königs auch der heilige 10 Stier gestorben war, und man nicht so leicht einen neuen finden konnte, so läßt sich, zunächst jenen sieben Theurungsjahren, die vor Alters durch einen Pharaonischen Traum verkündigt wurden, nichts traurigers denken, als diese [78] sieben, da Egypten zugleich seinen Gott und seinen König beweinte.

Böse Regenten machen ihre Vorgänger fromm, wenn gleich auch diese wenig getaugt haben sollen. Unglaublich ists fast, daß Egypten zunächst dem Andenken des edeln Mycerins auch das Gedächtniß des Königs Remphis in Ehren hielt, von welchem ich euch neulich so viel erzählt habe, ohne daß sich, wie es schien, der Held meiner Geschichte eures Beyfalls sonderlich zu erfreuen hatte.

Die Völker des Nils fanden überhaupt jetzt den einzigen Trost ihres doppelt verwaisten Zustandes in der Feyer unzähliger Feste, und so geschahe es dann, daß sie auf den Gedanken fielen, König Remphis Höllenfahrt an einem besondern Tage zu feyern.

Zum Andenken dieser euch bekannten Geschichte, mußten am Vorabend dieses Festes zwey Isispriester, die neusten in der Ordnung, um ein goldfarbnes an diesem Tage gewürktes Tuch mit Würfeln spielen,[79] welches dem Gewinner am Feste selbst um die Augen gebunden ward, und das er auf solche Art in einen zwanzig Stadien von der Hauptstadt entlegenen Tempel seiner Göttin bringen mußte, wohin er, ungeachtet er also geblendet war, nie den Weg verfehlte. Götterhände, so berichtet die heilige Sage, leiteten ihn, und am Ende seiner Wallfahrt wartete seiner Fragen um das Wohl des Landes eine göttliche Antwort.

Diese ganze Ceremonie bezog sich auf einen Ausspruch der letztverstorbenen Apis 11 welcher ohngefähr also lautete:

»Verwaistes Land! deine Herrlichkeit ist dahin! Dein König ist nicht mehr, auch mich wirst du bald verlieren! Doch wenn mein Nachfolger gefunden ist, so wird auch Egypten wiederum Könige sehen. Remphis, Cheops [80] und Chephres, die bösesten der Pharaonen, geben dem Volke des Nils einen guten Regenten. Das güldene Tuch des ersten verhülle am Feste seiner Niederfahrt ins Reich der Schatten die Augen eines Isispriesters, so werden die beyden andern, dem Suchenden, den rechtmäßigen Regenten Egyptens entgegen führen.«

Auf diese dunkeln Worte hatte man alle Ceremonien des Remphisfestes gegründet, ohne daß jedoch das Volk ihren wahren Sinn zu errathen vermochte.

Man feyerte das Fest zum siebentenmale, ohne den Wunsch des Landes nach einem Könige und das Versprechen der Gottheit noch erfüllt zu sehen; doch ging unter den Auslegern der heiligen Zeichen, ein Gemurmel, unter denen der Oberpriester im Tempel der Isis der vornehmste war, die Zeit der Verheißung sey nahe, denn wenn man die Worte des Götterspruchs reiflich überlege, so habe Egypten nicht ehe einen neuen Pharao bekommen [81] können, bis auch der Nachfolger des heiligen Stiers gefunden sey, da nun das Land vor kurzem wieder auf die letzte Art beglückt worden wäre, so könne man auch bald auf das erste hoffen.

Alles was die Hierogrammatisten, zu denen sich die Zeichendeuter zählten, vorbrachten, war wahr, des vorigen Monats hatte man einen neuen Apis eingeführt, und heute am siebenten Remphisfeste, sollte man einen neuen König finden. Diese Männer sprachen in der That, als ob die Erfüllung der Göttersprüche in ihrer Hand sey.

Der Vorabend des Festes war verflossen. Das Würfelspiel hatte entschieden. Unter lautem Zujauchzen des Volks, verhüllte man mit dem heiligen Tuche die Augen des jüngsten der 12 Isispriester, es war der treue Seba, der sich aus Gram [82] über den Tod seines Herrn in die Dienste der Göttin begeben hatte. – Er trat an den langen und gefahrvollen Pfad. Nur den zwanzigsten Theil desselben geleiteten ihn die Hände seiner Brüder, dann entfernte man sich, und überließ ihn dem Schicksal, welches, da seine Augen geschlossen waren, sein einziger Führer seyn konnte. Es führte immer richtig; man wußte kein Beyspiel, daß einer dieser wandernden Blinden sich verirret habe.

Die erste Station, welche Seba machte, war in einem auf halbem Wege liegenden Tempel des Apis. Hier war es ihm erlaubt, die Binde ein wenig abzulegen. Er brachte sein Opfer, und setzte sich in den Vorhof, um die Knaben, welche immer hier spielten, zu beobachten. Sie spielten das Königsspiel. Man hatte das Loos geworfen, es war auf ein vierjähriges Kind gefallen, das eben seine Gespielen zum Throne führten.

Wie? schrien einige Misvergnügte, die, weil sie die Aeltesten unter der Spielgesellschaft waren, näheres Recht zur Krone zu [83] haben meynten. Wie? dieser Säugling soll unser Herrscher seyn? Schweiget, sagte der kleine Regent, ihr sehet in mir das Vorbild von dem künftigen Pharao.

Seba fand das, was er hier vernahm, und in der Folge noch besser verstehen lernte, sehr bedeutend. Er schüttelte den Kopf, ließ sich die Augen von neuem verhüllen, und setzte 13 die andere Hälfte seines Weges langsam fort, der sich, wie gewöhnlich, in dem großen Isistempel endigte.

»Noch weiter! glücklicher Blinder! antwortete die Göttin, als sie nach Gewohnheit befragt wurde, noch zwey Wege und einen halben weiter, und du findest Egyptens Trost! Die Kinder des Apis malten dir ihn, die Geister der Unterwelt führen dich ihm entgegen!«

[84] So mußte also der ermüdete Seba, bey schon einbrechender Nacht die Wanderung von neuem beginnen. Mit heiligen Grauen sahen die Priester, nachdem sie ihm die Augen wieder verbunden und ihn segnend entlassen hatten, mit heiligen Grauen sahen sie, daß sich zwanzig Schritte von den geweihten Mauern zwey scheusliche Wölfe zu dem Wanderer gesellten, von welchen niemand sagen konnte, woher sie gekommen waren.

Unweisere und Unheiligere als sie, würden Gefahr für ihren wandernden Mitbruder bey solcher Gesellschaft geahndet, und ihn gerettet oder gewarnt haben, aber diese Männer sahen weiter; schweigend zogen sie sich in die Mauern ihres Tempels zurück, und nur die Deuter der heiligen Zeichen, die ein wenig geschwätzig waren, murmelten etwas von den Geistern der Pharaonen Cheops und Chephres, und von naher Erfüllung des Orakels, welches der verstorbene Apis in seinen letzten Stunden gegeben hatte.

[85] Seba merkte wohl, so wie er weiter ging, daß er zwey Begleiter zur Seite hatte, ihr Fußtritt und ihr Athem, der bey Thieren dieser Art nicht allzusanft ist, verrieth sie, aber in so fürchterlicher Gesellschaft vermuthete er sich nicht. Mehrere Stunden war er mit vieler Ruhe, in dem Wahn, von irgend einer Gattung gutmüthiger, den Göttern geweihter, und von ihnen gesandter Geschöpfe geleitet zu seyn, dahin gewallt, als ein Zufall seine Binde verrückte, und ihm die beyden Ungeheuer zeigte, die der bösesten aller Gottheiten heilig waren, Ungeheuer, unter deren Gestalt Typhon mehrmals selbst erschienen war.

Seba war der neuste unter den Dienern seiner Göttin; Mangel an Fassung bey einem so bedenklichen Vorfall war ihm zu verzeihen, er brach in ein fürchterliches Geschrey aus, seine Begleiter wiesen ihm mit grimmigen Blick die Zähne und flohen der Wüsten zu, er aber sank halb ohnmächtig auf den Sand, [86] und konnte erst nach einer langen Weile sich besinnen, wo er war, und wie viel ihm noch zur Vollendung seines geheimnißvollen Auftrags fehlte.

Wahrscheinlich hatte er sie selbst verzögert; seine Führer waren entflohen, wie sollte er finden, was hier wohl nicht zu suchen war?

Der aufgehende Mond zeigte ihm die Gruppe der Pyramiden von Dsyse. In majestätischer Größe thürmte sich die heilige gevierte Zahl vor ihm in die Höhe.

Hier? schrie Seba, mit strömenden Augen, indem er seinen Blick auf die beyden der heiligen Denkmahle richtete, die ihm die nächsten waren; hier der Trost Egyptens? – O ja! er liegt hier begraben! O Mycerin! O Suchis! hätten euch die Götter das Leben gegönnt, oder könntet ihr jetzt erwachen, wie glücklich würde Egypten unter eurer Regierung seyn!

Seba hatte noch nicht geendigt, als ein schreckliches Geheul von der Wüsten [87] her, ihm die Wiederkunft seiner entflohenen Begleiter verkündigte. Er wollte sich retten, doch bald zeigte sich ihm ein Schauspiel, welches ihn sich selbst vergessen lehrte, weil es ihn die Gefahr eines Wesens sehen ließ, dem auch der Verzagteste seinen Beystand nicht versagt haben würde.

Ein Kind, von dem Alter des kleinen Königs im Tempel des heiligen Stiers, und schön wie die Liebe, stürzte sich in seine Arme! Rette, rette mich! schrie es mit bebender Stimme, diese Ungeheuer wollen mich verschlingen!

Bey den Göttern, das sollen sie nicht! erwiederte Seba, der den zitternden Knaben in seine Arme schloß, und die einzige Wehr, die er hatte, das heilige Tuch gebrauchte, sich gegen das erste der andringenden Raubthiere zu vertheidigen; eine schwache Vertheidigung, wenn nicht göttliche Kraft in dem geweihten Gewebe gewohnt, und die kleinste Berührung mit demselben den fürchterlichen Feind tödtlich gemacht hätte. Er sank, so wie ihn ein Zipfel des Tuchs traf, entseelt zu Boden; [88] so wie bald darauf der zweyte auf ähnlichen Schlag das nämliche Schicksal erfuhr.

Wunder waren in jenen Zeiten nichts seltenes, und Seba hatte sich über das, welches eben durch seine Hand geschehen war, vielleicht noch ehe ausgewundert, als sich die Seelen der beyden verworfenen Könige, wenn sie wirklich der Sage nach die Körper dieser Ungeheuer belebt hatten, von ihrer grauenvollen Hülle loswanden, um in einer andern die angefangene Büßung fortzusetzen.

Wer bist du, du Göttersohn? sprach Seba, indem er das schmeichelnde Kind an seinen Busen drückte.

Ich bin der König von Egypten, bin ein Sohn jenes Berges, antwortete der Knabe, indem er auf eine der nächsten Pyramiden zeigte.

Bist König? Bist ein Sohn jenes Berges? Welch eine Antwort! Wer lehrte dich sie?

[89] Meine Mutter.

Wer ist sie?

Ich weiß nicht.

Wo wohnt sie?

Ich weiß nicht!

Verlangst du wieder zu ihr?

Gern! aber ich weiß sie nicht zu finden.

Willst du mit mir kommen?

Das Kind weinte.

Wie kommst du hieher?

Ich schlief, und da ich erwachte, lag ich am Fuß jenes Berges, dessen Sohn ich bin.

Woher kennst du ihn?

Meine Mutter zeigte mir ihn oft von weiten.

Seba that der Fragen noch viel an seinen kleinen Gesellschafter, und erhielt einige Antworten, die, so einfältig sie lauteten, doch sein lebhaftestes Erstaunen zu erregen schienen, und ihn in tiefes Nachdenken versetzten.

[90] Endlich fragte der Knabe, Statt fernerer Antworten selbst ängstlich noch, ob die, welche ihn hätten verschlingen wollen, wiederkommen würden? und da Seba klug genug war, dieses mit Ja zu beantworten, so hatte er das Mittel, das weinende Kind, das er wirklich für den dem Lande von den Göttern bestimmten König halten mußte, und welches außerdem auf keine Art zu bewegen war, die Gegend zu verlassen, wo seine unbekannte Mutter und sein seltsamer Vater seyn sollten, mit seinem guten Willen davon zu führen.

Seba hatte über die Reden des Kindes, und all diese Dinge seine eigenen Gedanken, aber sie waren mit so viel Dunkelheit umhüllt, daß er sich vornahm zu schweigen, bis die Zeit mehr Licht herbeybrächte. Ob es möglich war, daß dies geschehen konnte, wissen wir nicht. Seba wenigstens sollte diese Zeit nicht erleben. Er war zwar ein junger Diener seiner Göttin, aber ein schon ziemlich bejahrter Mann. Die Götter hatten ihn zu ihren Absichten gebraucht, und ruften ihn, weil sie mehr nicht von ihm forderten, bald zu sich.

[91] Er hatte noch die Genugthuung, das Kind in seinen Armen von dem Volk, das ihm auf den Wink der Götter entgegen eilte, als künftigen König von Egypten begrüßt zu sehen. Er genoß die Ehre, die ihm als dem Werkzeuge zu Erfüllung der Göttersprüche gebührte. Man versagte ihm das Glück nicht, das er sich erbat, der erste Erzieher des kleinen Prinzen zu seyn, welchem man auf Befehl des Oberpriesters der Isis den Namen Amenophis gab, aber dieses Glück hatte Seba noch nicht zwey Jahre genossen, so legte er sich hin zu sterben. Menschen, die bey allen Fügungen der Götter menschliche Ursachen herausgrübeln wollen, sagten, sein Tod sey die Folge seiner unablässigen Wanderungen in die Gegenden der Pyramiden, wo ihm der giftige Wind aus der Wüsten, und seiner ruhlosen Fahrten auf gewissen Kanälen des Nils, wo ihm der Hauch der Cerasten und Amodyten geschadet habe.

Der kleine Amenophis hatte den Alten oft auf diesen Wanderungen begleitet, und manche der Worte, die er damals [92] aus seinem Munde hörte, waren, wie es sich in der Folge auswieß, in seinem Gedächtniß hängen geblieben.

So hatte also Egypten wieder einen König, wie sich ihn der Charakter dieses Volks nur wünschen konnte. Die Aussprüche der Götter redeten von ihm, ein Gemisch der wundervollesten Ereignisse schenkte ihn dem Lande. Seine Abkunft war dunkel und geheimnißvoll. Alles, was er selbst davon zu sagen wußte, verwischte sich mit mehrern Jahren, und andere fanden noch weniger Licht darin, als Seba gefunden hatte. Dies begünstigte die Meynung: Pharao Amenophis sey ein Sohn der Götter, und die entzückten Egyptier, die so gern unmittelbar von den Regierern der Welt abhängen wollten, sahen im Geist die Zeiten ihrer alten Götterkönige wiederkehren, die Zeiten des Osiris und des großen Pharao Menes, dessen erhabene Eigenschaften, wie sie hofften, ganz in dem jungen Prinzen wieder aufleben sollten.

In dieser Hoffnung betrogen sie sich doch ein wenig. Amenophis versprach ein [93] guter, aber kein großer König zu werden. Seine Seele hing, so wie er heranwuchs, mit ganzem Ernst am Dienste der Götter, für deren Sohn man ihn gelehrt hatte sich zu halten. Sein Herz fühlte für seine Unterthanen, wie das Herz eines Vaters, seine Sitten waren unschuldig und rein wie die Sitten des Himmels. – Aber Muth zu Unternehmungen war es was ihm fehlte. Muth, das Volk gegen andringende Feinde zu vertheidigen, und Weisheit, Gesetze zu geben, oder diejenigen nach dem Bedürfniß der Zeit zu ändern, die er für heilig hielt, weil sie alt waren.

Mancherley Unordnungen rissen auf diese Art in Egypten ein, die er nicht wahrnahm, weil er sich immer mit überirrdischen Dingen beschäftigte. Eine Idee beschäftigte besonders seine Seele, und es wird vielleicht niemand unter euch seyn, welcher sie ganz misbilligen könnte.

Amenophis fühlte die brennendste Begierde, die Urheber seines Daseyns zu kennen. Ganz Egypten nannte ihn einen Sohn [94] der Götter, und er kannte sie nicht; o daß er sie einst von Angesicht zu Angesicht schauen sollte! Tag und Nacht lag er an den Stufen der Altäre und schrie und weinte zum Himmel, um mit dem Anblicke begnadigt zu werden, den ja kein irrdischer Vater seinem Kinde versagt. Er fragte jedes Orakel, verstand sich zu jedem Opfer, klopfte an jeden Tempel, denn noch wußte er nicht, welcher Gottheit er eigentlich angehöre; umsonst! der Himmel war taub bey seinen Gebeten.

Da ward ihm verkundschaftet, in den lybischen Wüsten wohne ein Prophet, welcher in jeder schweren Sache Rath zu geben wisse, und jedes Mittel kenne, wodurch sich die Gottheit für die Wünsche der Menschen erweichen lasse.

Sehr 14 leicht verstand sich der fromme Pharao zu der vorgeschriebenen Wallfahrt. Würde er doch wohl die Erfüllung [95] seiner Wünsche am fernsten Ende der Erde gesucht haben.

Der Prophet war einer von jenen menschenfeindlichen Heiligen, welche die Bosheit ihres verwahrlosten Herzens in den Dienst ihrer Götter übertragen, und den Vater der Menschen mit dem Blute seiner Kinder versöhnen zu können glauben. Er hatte nicht sobald den Wunsch des Königs von Egypten vernommen, als er folgendermaßen seinen Spruch anhub.

»Ob Pharao Amenophis ein Sohn der Götter, und welcher Gottheit Sohn er sey, das weiß ich nicht, aber wohlbekannt ist mir, daß das höchste und reinste Wesen nie eine unreine Stätte besucht. Siehe, ganz Egypten ist mit Unreinigkeit bedeckt! das Angesicht des Landes der Sonne verunstalten häßliche Flecken, wie die Beulen eines Aussätzigen. Thue hinweg, o Pharao Amenophis, thue hinweg die Fremdlinge, die die Gottheit des großen Osiris, und der unbegreiflichen Isis verkennen, thue hinweg die Frevler, welche den Thron eines Einzigen Unbekannten [96] über die Throne der Gottheiten der Natur erheben, und ihn mit Gebräuchen verehren, davon wir und unsere Väter nichts wußten; sie sind der Aussatz, sie die Unreinigkeit, die das Antlitz des Landes der Sonne verunstaltet. Ihr Blut wasche die Flecken ab, welche die Gegenwart der Gottheit von demjenigen entfernen, der ihres Anschauns begehrt. Vertreibe, vertilge, was den Göttern misfällt, so wirst du schauen, wonach du dich sehnest!«

Als der Prophet ausgeredet hatte, ging er zurück in die Höle, welche er bewohnte, und deren düsteres, menschenfeindliches Dunkel wohl der Geist seyn mochte, der ihm seine Weissagungen eingab; aber der fromme, milde Amenophis blieb, wie vom Donner gerührt zurück; einen schrecklichern Antrag hätte man seinem guten Herzen wohl nicht thun können, als Menschen zu Schlachtopfern seiner Wünsche zu machen, sollten diese Wünsche auch die frömmsten gewesen seyn, deren ein menschliches Herz sich rühmen kann.

[97] In tiefer Trauer kam er nach der Hauptstadt zurück. Er verschloß sich in die innerste Einsamkeit seines Palastes, er suchte seinen Lieblingswunsch zu bekämpfen, und als er diesen so wenig zu meistern, als die grausamen Mittel zu seiner Befolgung einzugehen wußte, so ersann er endlich einen Zwischenweg.

Nicht tödten, sagte er zu sich selbst, nicht vertreiben will ich die Unglücklichen, welche schon den Haß der alten Pharaonen erfahren mußten; aber zum Dienst der Götter brauchen will ich sie. In jener Gegend, die mir immer, ich weiß selbst nicht warum, so theuer ist, in jener Gegend, wohin immer meine frühesten und seligsten Erinnerungen zurückkehren, zur Seite der Pyramiden von Dsyse, erhebe sich ein Tempel, den ich der Gottheit weihen will, die mich auf meine anhaltenden Bitten, für ihren Sohn erkennen wird. Jene Fremdlinge seyen die Werkleute, dieses Heiligthum zu bauen; dies wird den ewigen Urhebern meines Daseyn besser gefallen, als wenn ich ihr schönstes Werk, die Menschheit, in tausendfachen[98] Gestalten zerstörte, und den Fuß ihrer Altäre mit dem Blute der Unschuldigen netzte. Dieses wird ihnen besser gefallen, als wenn ich auch das Gelindere wählte, und das Volk, das Fremdling in meinem Lande ist, in die Wüste vertrieb, wo es verschmachten müßte. Gastfreyheit ist eins der ersten Gesetze der beßten Religion der Erde. Genoß nicht selbst die große Isis ihre Rechte in dem Hause der frommen Königin Saosis, und hat sie nicht tausendfachen Segen auf den gelegt, welcher thut, wie ihr gethan ward?

Pharao urtheilte so fromm als vernünftig, und die Vorhaltung, die er seinem eigenen Gewissen that, verdient tausendmal mehr Beyfall als die Predigt des Propheten aus der lybischen Wüste.

Wir haben oft viel Gutes im Sinne, und preisen uns selbst wegen desjenigen, was in der Ausführung so herzlich wenig wird; besonders haben große Herren, die zu allem was sie thun, fremde Hände brauchen müssen, dieses Schicksal, und Amenophis blieb hiervon nicht ausgenommen. Er glaubte, seine Einrichtung mit dem Bau, [99] zu welchem der Riß sehr bald fertig war, so gemacht zu haben, daß Götter und Menschen damit zufrieden seyn könnten; ob es die ersten waren, weiß ich nicht, aber die letztern seufzten unter der Geisel der Treiber, die Pharaos Befehle nicht so mild und schonend ausrichteten, als sie gegeben waren.

In den Steinbrüchen von Oberegypten, wo Granit und Marmor zu jenem Göttertempel zu Tage gefördert wurde, dessen Ruinen wir noch heute bewundern, kamen viel der unglücklichen Fremdlinge um, die der König begnadigen wollte, ob der Arbeit, welche menschliche Kräfte weit überstieg; noch mehrere verdarben bey Grundlegung eines Gebäudes, welches die schmeichelnden Baumeister dem Könige von Egypten auf dem Papier freylich leichter vorzeichneten, als es in der Ausführung war; ein ungeheures gigantisches Werk, werth noch heut zu Tage der Zeit in majestätischen 15 Trümmern zu trotzen.

[100] Als sich der König einst nach Dsyse begab, den Fortgang seines Baues zu sehen, als schon Tausende über seinen grausamen Begnadigungen umgekommen waren, da geschah es, daß ihm plötzlich die Augen geöffnet wurden. Zwar hatten die Aufseher des Baues, die das weiche Herz ihres Pharao kannten, jeden Anblick entfernt, der seine Menschlichkeit hätte empören können, aber ein Mann war gegenwärtig, der für die Unterdrückten sprach, und dem Könige zeigte, was man ihm mit einem Schleyer verhüllte. Dieser Redner zählte sich selbst zu jenem unterdrückten Volke, und seine Worte waren eindringender, da er für seine Brüder sprach.

Pharao war sehr leicht zu belehren. Er schauderte ob den Geheimnissen der Bosheit, die ihm enthüllt wurden, er änderte auf der Stelle was zu ändern war, und [101] da der Fürsprecher seines Volks gar nicht völlige Entlassung von der Arbeit zu fordern schien, so that er ihm damit volle Gnüge, daß er den Werkleuten Aufseher von ihrem eigenen Geschlecht gab, und ihnen etwas bessere Nahrung, und einen kleinen Sold aussetzte.

Dem Könige traten die Thränen in die Augen, da er sah, wie bald der Arme zu befriedigen ist, und wie leicht es den Großen und Reichen fällt, durch Willfahrungen, die er in seinem Ueberfluß kaum gewahr wird, Danksagungen hervor zu locken, wo vorher Thränen und Seufzer strömten.

Er umarmte den Fürsprecher seiner Brüder und dankte ihm, daß er ihm die Augen geöffnet hatte, auch setzte er ihn zum obersten Aufseher des ganzen Werks, welches dieser mit einigen Einschränkungen annahm.

Wie heißest du? fragte er ihn am Ende.

[102] Oarsiph! war die Antwort.

Wohl, Oarsiph, erwiederte Pharao, laß mich dich nimmer missen, wenn ich hierher komme mich an deiner Weisheit zu laben.

Von diesem Tage an kam Pharao Amenophis oft nach dem Tempel zu Dsyse, und der weise Oarsiph, dessen Namen ihr schon einmal gehört haben müßt, ermangelte nie, sich zu dem Könige zu gesellen, der bald sein Freund ward.

Oarsiph war ein schöner junger Mann, kaum acht bis zehn Jahr älter, als der damals neunzehnjährige König von Egypten. Die Vorzüge seines Geistes kamen der Schönheit seines Körpers gleich. Der junge Monarch lernte viel von ihm. Die Priester der egyptischen Gottheiten hätten nicht alles hören dürfen, was unter den beyden Freunden verhandelt ward.

Glaubt denn Pharao, fragte Oarsiph eines Tages, als der König ihm die geheimsten Wünsche seines Herzens, das noch immer nach dem Anschaun der Götter strebte, [103] enthüllt hatte, glaubt er denn, daß wir die Gottheit schauen können, wie ein Mensch den andern schaut? oder dünkt er sich im Ernste einen Sohn des höchsten Geistes, so wie er gewiß ein Menschensohn ist? – Siehe, mir ist von den Dingen, die über uns sind, vielleicht ein Wörtlein mehr bekannt, als den Priestern der Gottheiten von Erde und Stein, die das Herz des edelsten Königs irre leiten, aber von Pharaos himmlischer Abkunft weiß ich nichts, zu Kenntniß der irrdischen möchte ich vielleicht im Stande seyn, ihm eine Anweisung zu geben.

Wie, Oarsiph? schrie der König, du solltest wissen, wem ich das Leben danke? – Götter oder Menschen, offenbare sie mir, und du sollst der Nächste seyn nach mir im Königreich! Siehe das Heiligthum zu Heliopolis bedarf eines Oberpriesters, du bist weiser und frömmer als der, den es kürzlich durch den Tod verlohr, nimm ein die Stelle, die dich dem Könige gleich macht, dich in vielen Fällen noch über ihn setzt. Du hast keinen Gleichen im Lande als den Oberpriester der Isis.

[104] Oarsiph erröthete über der großen Gnade seines königlichen Freundes. Macht und Hoheit wars zwar eigentlich nicht, was ihn reizte, aber die Gelegenheit Menschen zu belehren, die mit dem Amt eines Erklärers der göttlichen Geheimnisse so genau verbunden war, setzte seine große Seele in Feuer; den Beruf, ein Lehrer der Nationen zu seyn, fühlte er schon damals in seinem hochschlagenden Herzen.

Ich nehme es an, was mir Pharao anbietet, sagte er nach einem kurzen Stillschweigen, aber den Preis für so hohen Gewinn kann ich nur unvollkommen darlegen. Hier ist alles, was mir einst im heiligen Gesicht kund ward; kann der König Licht da finden, wo selbst ich nur Dunkelheit sehe, so halte er sein Versprechen, sonst nehme er die Gnade zurück, die er mir anträgt, ich mag nicht genießen, was ich nicht verdienen kann.

Rede, sprach Amenophis, das Hohepriesterthum ist dein, deine Worte mögen meine Wünsche befriedigen oder nicht! Habe ich doch wohl ehe geschworen, bloße [105] Winke über das, was meine Seele zu wissen strebt, mit der Hälfte meines Königreichs zu erkaufen.

Als ich einst, fuhr Oarsiph fort, auf meinem Lager verborgenen Dingen nachsann, kam folgendes Wort zu meinen Ohren: »Zu großen Dingen bist du bestimmt, o Oarsiph! – Pharao Amenophis wird dich auf die erste Stufe deiner Größe leiten. Wenn er, der Sohn des Grabes, er, der einem Löwen und einer Jungfrau sein Leben dankt, in der Ebene von Dsyse die Erde durchwühlt, die Urheber seines Daseyns zu finden, dann wird Oarsiph über derselben herrschen. Er wird die Fesseln seines Volks leichtern, wenn auch nicht lösen, er wird seine Feinde demüthigen, wenn auch nicht aufreiben, denn er muß Rechenschaft geben dem Könige, welcher nach Jahren wieder hervorgehen wird, aus dem Grabe, in welchem er fand, die ihn gebahr, Oarsiphs Mutter und die seinige!«

Wie? schrie Pharao, der seinen Freund nicht ausreden lassen konnte, deine Mutter [106] und die Meinige? und also Brüder, Brüder wären wir? O Oarsiph! laß uns jeden Theil deines Götterspruchs sorgsam beherzigen. Geheimnisse der Weisheit liegen in dem kleinsten Worte desselben verborgen! Heil mir! ich habe die Kenntniß meines Ursprungs gefunden! ich werde einst in Mutterarmen liegen, und hier, hier umarme ich einen Bruder, zu welchem nicht ohne Ursach mein Herz mich beym ersten Anblick hinriß!

Die beyden Freunde umarmten sich als Brüder, obgleich Oarsiph die Möglichkeit, daß sie es anders, als auf symbolische Weise seyn könnten, nicht ganz eingestehen wollte. Darauf folgten ernste Ueberlegungen der Plane, die in Pharaos Herzen aufgingen, und die von dem weisen Fremdlinge nicht ganz gebilligt wurden. Doch er erkannte in dem unwiderstehlichsten Triebe seines königlichen Freundes, auf die in seinem Nachtgesichte angegebene Art, seiner Herkunft nachzuspüren, und während seiner Abwesenheit, von welcher er nicht glauben wollte, daß sie Jahre dauern könne, [107] ihm alle Macht im Königreiche zu überlassen, die Fügung einer höhern Hand.

Oarsiph ward als Oberpriester zu Heliopolis eingeführt, und Pharao begann auf der angegebenen Gegend die Erde durchgraben zu lassen. Auf die Stelle, wo die Werkleute zuerst einschlugen, ward in der Folge jenes räthselhafte Bild gesetzt, eine Anspielung auf die geheimnißvolle Geburt des Königs. 16 Ein Wesen, von vorn einer schönen geschleyerten Jungfrau, von hinten einem liegenden Löwen gleich, wacht am Eingange der Geheimnisse, welche die Nachwelt nie ganz enthüllen wird.

[108] Die Werkleute hatten noch nicht lange gearbeitet, als sie auf unterirrdische Gänge stießen, welche zeigten, daß Menschenhände hier nicht zum erstenmale geschäftig waren. Als der Obertheil der Gewölbe zerbrochen war, sahe man sich in weiten Räumen, in welchen es sich bequemlich wandeln ließ. Labyrinthische Wendungen führten zu einem rauschenden Strome, der sich von oben herabstürzte.

Ich kenne diese Gegenden, schrie Pharao, indem er sich zu Oarsiph wendete, ich kenne sie, oder alles was mir aus der Vergangenheit vorschwebt, ist ein Traum! In Gängen wie diesen, habe ich am Mutterarm meine ersten Schritte versucht, auf Wassern, wie diesen, schiffte ich in der Folge mit dem weisen Seba, den mir das Schicksal zu früh entriß. Er mußte Dinge wissen, oder wenigstens ahnden, die mir entfallen sind, er würde mich richtig zu dem Endzweck geleitet haben, den ich nun aufs Ungewisse verfolge. Tönen mir nicht noch die Worte in den Ohren, die er oft zu mir sagte und die ich als Knabe nicht verstand?

[109] Wenn Amenophis, sprach er zu mir, den Stuhl der Pharaonen besitzt, so muß er fleißig in diesen Gegenden verweilen; die süßesten Freuden der Natur werden ihm in diesen Dunkelheiten begegnen. – Wenn er dann dieses gesagt hatte, so stießen wir oft auf eingestürzte Felsenwände, die uns den Weg verdämmeten, und uns zur Rückkehr nöthigten. Hindernisse, wie diese, rief er denn zuweilen, kann nur ein königlicher Arm hinwegräumen; wenn Amenophis König seyn wird, so vermag er freylich mehr, als wir jetzt beyde vermögen. – So sprach Seba, und warum mußten mir seine Reden so gänzlich entfallen? Dank dir, Oarsiph, daß du das Mittel warest, mir sie zurück zu rufen! Mit deinen Rathschlägen ist die Hand der Götter, sie können nicht mislingen!

Aber wie kam Seba, fragte Oarsiph voll Verwunderung, in diese Regionen, zu denen uns nur Spaten und Grabscheit den Weg öffnen konnte?

Pharao wußte es nicht, doch meynte er, ihm sey es, als wenn ein Kanal zwischen [110] den Bergen zu diesen düstern Gewölbern geführt habe, auf dessen Richtung er sich nicht mehr besinnen könne.

Die unterirrdischen Wege wurden immer ebener und gebahnter. Hülfe von mehrern Händen wurde fast unnöthig. Der König, dessen aufgeregte Phantasie nun stündlich den größten Geheimnissen entgegen sah, wollte die Gegenwart fremder Personen hier nicht mehr um sich dulden, selbst Oarsiph schien ihm lästig zu werden und er entließ ihn.

Geh, mein Freund, sagte er eines Tages zu ihm, und überlaß mich dem, was hier meiner wartet. Die Geheimnisse der Unterwelt fordern Einsamkeit, und dich ruft das Amt meines Stellvertreters in die obern Regionen. Geh, und vergiß nicht den Eingang zu schließen, du weißt, daß, ob ich Jahre hier verweilen müßte, es mir an nichts fehlen kann. Wie du in meiner Abwesenheit mein Zepter führen wirst, darum sorge ich nicht; siehe, in diesem Briefe, den ich von dem Propheten aus der lybischen [111] Wüsten erhielt, und den ich ohne Rechtfertigung zu fordern, in deinen Händen lasse, einen Beweis meines unbeschränkten Zutrauens.

Pharao legte mit diesen Worten ein Blatt in Oarsiphs Hände, umarmte ihn, bog einen Seitengang ein, und verschwand vor seinen Augen.

Das Blatt enthielt folgendes:

»Ich habe dem großen Pharao übel gerathen, als ich ihm die Vertilgung der Fremdlinge gebot, und noch übler hat er mir gehorcht! O Amenophis! siehe zu, wen du geschont, und wem du getrauet hast! – O Egypten! Egypten! Pflegerin der großen Isis! deiner warten schreckliche Jahre. Dein Schützer stürzt sich in das Grab, und läßt dich in den Händen der Fremden! Sie werden dich zerrütten, werden deine Eingeweide zerreißen, und ich, ich war, wenigstens auf entfernte Weise, die Ursach deines Elends! – Dafür lohne mir dieser Stahl. Wenn Pharao Amenophis diese [112] Zeilen liest, wird der unglückliche Prophet aus der lybischen Wüsten nicht mehr seyn. O daß sein Blut die zürnenden Götter dem Vaterlande versöhnen könnte!«

Was denkt man von mir, schrie Oarsiph, als er diese Worte gelesen hatte. Hält man mich für fähig, das Zutrauen meines Königs zu täuschen? Pharao! Pharao! kehre zurück, und nimm alle Gewalt aus meinen Händen wieder, die du in denselben niederlegtest! Ich zittre vor der Möglichkeit verkannt zu werden, und vor der noch schrecklichern, Mistrauen zu verdienen!

Oarsiph verband mit den lauten Klagen, von welchen er die unterirrdischen Gewölber wiederhallen ließ, die emsigste Bemühung, den entflohenen König wieder zu finden, aber sie war vergebens. Der Weg, durch welchen er den frommen Amenophis verschwinden sahe, schien hinweggezaubert zu seyn. Der Suchende stieß auf eingestürzte Felsenwände, auf rauschende Wasser, aber auf keinen Pfad, den ein menschlicher Fuß hätte betreten können. [113] Mehrere Tage irrte er so umher, bis ihn seine Leute fanden, und ihn, da er ihnen den Verlust des Königs gestand, inständig baten, Egypten nicht durch Aufopferung seines Lebens doppelt unglücklich zu machen.

So kehrte also Oarsiph in die Oberwelt zurück, und fand keine Schwierigkeit, das Zepter, das ihm Pharao anvertraut hatte, zu behaupten. Dieser gute Stellvertreter eines guten Prinzen hatte fast keinen Widersacher als seinen Rebenbuhler in der Gewalt und Würde, den Oberpriester der Isis. Oarsiph der es unmöglich fand, den rohen egyptischen Pöbel jetzt schon zu bessern Erkenntnissen anzulehren, deren er sich rühmte, stiftete für die Reiferdenkenden die Geheimnisse zu Heliopolis; Ursach genug für den Liebhaber der Finsterniß und des Aberglaubens ihn zu hassen und zu verfolgen.

Amenophis hatte sich von dem Arme eines Freundes losgemacht, um sich Ereignissen entgegen zu stürzen, die er nicht kannte, und die sich eben darum mit allem Reiz des Wunderbaren vor seiner ahndenden [114] Seele ausbreiteten. Ihm war es, als betrete er, seit er in diesen düstern Regionen allein war, heiligen Grund, als umwehe ihn fühlbarer die Gegenwart der Gottheit. Er hörte die Stimme Oarsiphs, der ihm in den labyrinthischen Gängen nicht zu folgen wußte, aber er verstopfte sein Ohr vor derselben. Er wollte allein seyn, allein mit den Wesen, die diese Gegenden bewohnten, und deren Ruf seine aufgeregte Phantasie oft deutlich zu hören glaubte.

Schon zwey oder dreymal hatte er einen Laut vernommen, welcher seinem mit dem Lallen des Echos ausgesprochenem Namen glich. Hier tönte alles wieder, jedes Flüstern, jeder Hauch prallte hörbar vom Gestein der Seitenwände zurück, welche sich jetzt mit dem hellpolirtesten Marmor kleideten. Die Fackel in der Hand des Wanderers vervielfältigte sich tausendfach, und schon mehrmals hatte er geglaubt, aus der Ferne eine Gestalt sich nahen zu sehen, die ihm mit einer leitenden Flamme entgegen leuchtete, und die nichts war, als der Umriß seiner eigenen Gestalt. Amenophis [115] antwortete dem geglaubten Rufe, eilte dem gewähnten Führer entgegen; es war nichts als Täuschung seines glühenden Gehirns, und er sank, zehnmal also betrogen, voll Unmuth auf einem Steine nieder, dergleichen er seit einigen hundert Schritten viel in der Mauer, als gleichsam zur Ruhe des Wanderers bestimmt, gefunden hatte.

Es ist eins der allerpeinlichsten Gefühle, immer einem Etwas entgegen sehen, das nicht kommt, und sich endlich überzeugen müssen, es sey nur ein Geschöpf unserer Einbildungskraft, das wohl nie zur Wirklichkeit werden möchte. Amenophis erfuhr diese Qual im höchsten Grade, und bald gesellten sich zu ihr noch andere Beängstigungen, deren Wichtigkeit sein Leben bedrohte.

Zwey Tage lang war er schon herumgeirret, aus gebahntern in ungebahntere Gegenden, aus diesen wieder in jene, bis er endlich inne ward, daß er im Kreise wanderte, und immer jene Orte wieder sah, die er schon einmal betreten hatte. Hier, nach dieser Entdeckung war es, da er sich [116] voll Verzweiflung niederwarf und den nahen Tod vor Augen zu sehen glaubte. Die letzte seiner Fackeln drohte in seiner Hand zu verlöschen; er fühlte Hunger und Durst, und fand, daß ein köstlicher Nahrungsbalsam, den ihm die Weisen seines Königreichs als ein vieljähriges Erhaltungsmittel mitgegeben hatten, ihn nicht vor dem Verschmachten schützen würde, eben so wenig Zutrauen konnte er zu dem Mittel haben, sich in dieser Dunkelheit ewiges Licht zu verschaffen, das er gleichfalls bey sich führte, und von welchem ihm schon Oarsiph gesagt hatte, er solle sich nicht zu sehr darauf verlassen.

Oarsiph würde sich der thörichten Wanderung seines königlichen Freundes ernstlicher widersetzt, und dieser sie vielleicht nicht so unternommen haben, wenn nicht beyde gedacht hätten, der Weg hinauf und hinab blieb unverschlossen, und man könnte auf diese Art zu jeder Stunde Hülfe in die Tiefe hinabbringen oder holen, da man dieselbe bedürfen würde.

[117] Diese Hoffnung war vergebens. Eine unsichtbare Hand schien den Weg zur Gemeinschaft mit der Oberwelt abgeschnitten zu haben. Oarsiph strebte umsonst zu seinem königlichen Freunde zu gelangen, und dieser suchte eben so vergeblich wieder zu demjenigen zu kommen, von dessen Hand er sich absichtlich losgemacht hatte. Unzählige Versuche wurden von Seiten des Wanderers gemacht, sich auf diese Art zu retten, aber er vermochte nichts, als seinen gewöhnlichen Kreislauf, der ihn in einigen Stunden allemal an die nämliche Stelle zurückbrachte, ohne daß ein Seitenweg ihm zeigte, woher er gekommen war, oder wo sich dieses ruhelose Umherirren enden könne.

Endlich verlosch auch der letzte Schimmer des sorgsam geschonten Ueberrests der Fackel, und Amenophis glaubte sich nun ganz der Verzweiflung zum Raube überlassen.

Doch ein Strahl der Hoffnung senkt sich oft in die düsterste Tiefe des Verderbens. Während der königliche Wanderer die phosphorischen Materien hervorsuchte, [118] die man ihm mitgegeben hatte, um bedürfenden Falls den Abgang der Fackeln zu ersetzen, ward er gewahr, daß ein viel helleres Licht, als er hier erwarten konnte, ihm aus einer unabsehlichen Höhe entgegen kam; es war nicht mehr dunkel um ihn, sondern vom Augenblick zu Augenblicke vermehrte sich eine falbe Dämmerung, die ihn deutlicher sehen ließ, wo er war, als zuvor das täuschende Licht der Fackel gethan hatte.

Er sahe bald, daß er bey dem großen Zirkel, den er in seinen Wanderungen beschrieb, allemal eine Mauer zur rechten Hand hatte, in welcher hier und da Oeffnungen angebracht waren, durch welche das dämmernde Licht, das er wahrnahm, hereinfiel.

Der wandernde König schöpfte aus diesem Anblick Hoffnung zu möglicher Rettung. Er schaute durch eine der untersten Oeffnungen. Ein fürchterlicher Anblick! unter sich eine schwarze unabsehliche Tiefe, über sich eine eben so schwindelnde Höhe. Unten im Abgrunde rauschte Wasser, oben [119] trat eben über einer Art von offenem Giebel, den vielleicht nur die unabsehliche Ferne als eng und klein vorstellte, den Mond aus einer Wolke hervor, der die bisherige Dämmerung zu hellem Tage machte.

Es war eine Art von Brunnen in welchen Amenophis schaute, aber weißer Marmor kleidete seine Seitenwände, und gab den Glanz des Mondes, der gerade hineinfiel, leuchtend zurück.

Es war natürlich, daß der Schauer mehr zu sehen wünschte, als ihm durch seine enge Lücke sichtbar war. Nahe vor derselben zeigte sich etwas, wie ein eiserner Stab. Die Furcht, bey weitern Hinausbeugen einen Sturz in die jähe Tiefe unter ihm zu thun, machte, daß er, indem er Kopf und Schultern weiter hinausdrängte, um zu spähen, was hier eigentlich sey, und ob aus diesem Winkel Hoffnung der Befreyung aus seinem Kerker kommen könne, diesen vermeynten Anhalter ergriff, sich einige Festigkeit zu geben. – Unseliger Einfall! Schnell genug, doch zu spät um[120] sich zu retten, fühlte er, daß er Statt des festen Eisens ein dickes Seil gefaßt hatte, welches von der Höhe in den Abgrund hinabhing, und das, dafern dies wirklich ein Brunnen war, vermuthlich diente, das Wasser aus der Tiefe hinauf zu winden.

Kaum hatte Amenophis das Seil gefaßt, als die Füße unter ihm losgingen, und er sich durch eine unwiderstehliche Gewalt aus der Oeffnung, durch welche er sich gedrängt hatte, vollends hervor gerissen fühlte. Unter ihm schwankten Gewichte, über ihm begannen mit großem Getöse Räder in Gang zu kommen. Er fühlte sich hinweggeführt, von seinem Stande gerissen, schwebend in der freyen Luft, schwebend über einem Abgrunde, in welchem er nun das Toben eines fallenden Wassers noch fürchterlicher vernahm.

Man kann sich keinen schrecklichern Zustand denken als den seinigen. Ein Glück wars, daß ihm das Entsetzen nicht die Besinnung benahm. Seine einzige Rettung bestand jetzt darin, sich an dem Seile, das [121] der Vorwitz in seine Hände gebracht hatte, fest zu halten. Er mußte es dem Schicksal überlassen, was nun sein Loos seyn sollte: unablässiges Schweben über dem Abgrunde, schnelles Hinabstürzen in die grauenvolle Tiefe, oder, wozu ihm die noch immer fortdauernde Bewegung der Getriebe über ihm Hoffnung machte, Hinaufsteigen in höhere Gegenden, die schon darum besser für ihn seyn mußten, weil sie der Oeffnung, die das Licht hereinließ, näher waren.

Das Letzte erfolgte. Nachdem er noch zweymal den schon vorhin vernommenen Ruf, der aber nicht seinen, sondern den Namen Onuphis aussprach, gehört, und ihn, weil er das zu seiner Rettung für nöthig hielt, beantwortet hatte, schwirrten die Räder über ihm stärker, und er fühlte sich allmählich hinaufgewunden bis an eine Stelle, von wo es ihm gar eigen dünkte, einige Schattengestalten wahrzunehmen, die das Getriebe in der Höhe regierten.

Die Fragen: Wo bin ich, und was hat dies alles zu bedeuten? wären wohl [122] hier sehr natürlich gewesen, aber ich weiß nicht, ob sie in der Seele des Schwebenden aufstiegen; über seine Lippen gingen sie gewiß nicht. Er fühlte nichts als seine Gefahr, und der Gedanke, daß ein Hauch sie vermehren könne, lehrte ihn schweigen.

Er war jetzt einem Boden, worauf sichs fußen ließ, nahe. Noch einigemal schwankte das Seil. Ein kühner Sprung und er war gerettet. Er sah jetzt jene Gestalten näher und deutlicher, aber sie sahen auch ihn, und da das, was sie aus der Tiefe herausgewunden hatten, ihre Befremdung erregen mochte, so entflohen sie, und ließen den Geretteten in neuer Verlegenheit zurück.

Jetzt konnte sich der Abentheurer jener Fragen nicht länger enthalten, er that sie laut, und unter ihm antwortete das Echo! – Er befand sich auf einem großen geräumigen Platze, dessen Mitte die Oeffnung ausmachte, aus welcher er dem Abgrunde entschwebt war. Ueber ihm lachte der heitere wolkenlose Himmel, und das Gestirn [123] der Nacht, das in all seiner Herrlichkeit über silbernen Düften einher wandelte.

Die Oeffnung, durch welche er dieses entzückende Schauspiel zwischen den Mauern, die sich von allen vier Seiten über ihm zusammenthürmten, erblickte, und die ganze Form dessen was ihn umgab, ließ ihn keinen Augenblick länger zweifelhaft, wo er sich eigentlich befinde, in der obersten Spitze einer der Pyramiden, deren Wunderbau er so viele Jahre hindurch von außen mit Erstaunen betrachtet hatte, ohne die Möglichkeit oder die Mittel zu kennen, zu dem Anschauen ihrer innern Beschaffenheit zu gelangen, ja ohne dasselbe nur zu wünschen. Pharao Amenophis, der geglaubte Sohn der Götter war immer zu sehr mit überirdischen Dingen beschäftigt, als daß er Neugier für die Wunder der Erde hätte haben sollen.

Der Wanderer wußte jetzt wo er war, das, was er gesehen hatte, ließ ihn auch muthmaßen, daß er sich nicht allein hier befinde. Wenn nicht Geister hier geschäftig, so befand er sich unter Menschen, von [124] denen er Hülfe erwarten konnte. Er erhob seine Stimme, diese Hülfe zu fordern. Aber unter ihm antwortete nur das Echo, Erwiederung von menschlichem Munde ließ sich nicht vernehmen.

Er tappte rund umher an den glatt polirten Marmorwänden nach einem Ausgang. Umsonst! Keine Spur von einer Oeffnung, wodurch ein körperliches Wesen könne hereingekommen oder verschwunden seyn.

Als Amenophis dieses fruchtlosen Spähens müde war, ergriff er ein andres Mittel, seiner Neugier, oder vielmehr seinem Verlangen nach völliger Rettung Gnüge zu leisten.

Im Mondschein zeigte sich eine Treppe, die sich von der Platform, wo er stand, hinauf wand, zu der obersten Spitze der Pyramide. Ohne darüber nachzudenken, daß diese Stufen eines Theils über dem offenen Abgrunde hingen, dem er kaum entkommen war, wagte er sich hinauf, und welch ein Anblick wars, der hier ihm lohnte! [125] Welch eine Aussicht, die sich seinen Augen öffnete!

Er sah, daß er sich in seiner Meynung nicht betrogen hatte, er befand sich wirklich auf der Spitze der einen Pyramide von Dsyse. Zur Seite thürmten sich die drey andern riesenmäßig empor, und rund umher lag in der feyerlichen Ruhe der Nacht eine Gegend, welche der zauberische Schimmer des Gestirns der Isis zu einem Elysium machte. Dort das hochthürmigte Memphis, hier die Silberfluthen des Nils, weiter hin malerische Gruppen von Bäumen und buschigten Gebirgen, und näher der angefangene Bau des Tempels, den er zu Ehren der himmlischen Urheber seines Daseyns begonnen hatte, und der schon weit genug vorgerückt war, um von der schwindelnden Höhe bemerkbar zu seyn, und mit seinen Säulengängen und Prachtbogen, welche einen gigantischen Schatten ins Thal warfen, die ganze Scene malerischer zu machen.

Der Anblick war hinreichend schön, selbst ein Herz voll Angst, wie es das Herz [126] des Schauers in diesem Augenblicke gewiß war, konnte sich seinen Reizen nicht verschließen. Doch endlich wurden die süßen Gefühle der Bewunderung von andern verdrängt, die minder angenehm waren. Amenophis hatte hier nicht sowohl eine schöne Aussicht, als da ihm die Hoffnung auf überirdische Entdeckungen fast ganz vergangen war, Mittel gesucht, aus einem Orte zu entkommen, wo er sahe, daß er hülflos verschmachten mußte.

Nichts, als die Unmöglichkeit einer solchen Rettung lag ihm auch hier vor Augen. Er befand sich gerade auf der Spitze derjenigen Pyramide, die unter allen ihren Schwestern, von außen, die unzugänglichste war. Sie bestand aus den glättesten hellpolirtesten Granitplatten, welche die Gebirge von Oberegypten je mögen geliefert haben. Der Mond spiegelte sich in den glatten Seiten des Wundergebäudes, so wie sie sich von der Spitze ins Thal hinab dehnten, und sein Glanz machte die Gefahr ganz sichtbar, welche der erste gewagte Fußtritt auf diesen ungangbaren Pfad mit sich bringen mußte.

[127] Amenophis, den die Vorstellung von dem Schicksal, das ihm in diesen öder Steinhaufen bevorstand, kühn machte, setzte den Fuß mehr als einmal hinaus über das Geländer, das die Oeffnung umgab, aber eben so oft zog er ihn wieder zurück, und ward endlich schlüssig, wenigstens jetzt noch eine Wanderung zu verschieben, die nur durch ein Wunder hätte glücken können.

Sein Auge zog sich schwindelnd zurück, er konnte die Vorstellung von dem fürchterlichen Hinabgleiten auf solch einem Wege nicht länger ertragen. Ist dieses, sagte er zu sich selbst, indem er die Treppe, die ihn heraufgeleitet hatte, wieder hinunter stieg, ist dieses, wie die Sage berichtet, die Pyramide der Tochter Cheops, so weiß ich nicht, wie ihr der Tod, den sie auf dieser Spitze soll gefunden haben, nicht früher, nicht auf dem entsetzlichen Wege, den sie herauf zu gehen hatte, entgegen kam.

Amenophis wußte die Geschichte der schönen Suchis, und er hatte sie nie anhören können, ohne für diese unglückliche Prinzessin tief zu fühlen; auch jetzt kamen [128] ihm Thränen bey ihrer Erinnerung in die Augen, und er langte mit einer Bewegung in der untern Region, aus welcher er heraufgestiegen war, an, welche dasjenige, was wir sonst beym Andenken an das Schicksal unbekannter, längst verstorbener Personen zu empfinden pflegen, weit übertraf.

Nicht hier, große Götter, rief er, indem er sich auf eine der steinernen Bänke warf, die auf der Plattform hier und da angebracht waren, nicht diesseits des Grabes ists also, daß ihr der Tugend lohnet, und unschuldige Wünsche, die ihr selbst in die Seele legtet, ihre Erfüllung sehen lasset! Suchis und Mycerin wünschten sich das Glück der Liebe und fanden den Tod, Amenophis wünschte sich die Kenntniß derer, die ihm das Leben gaben, und was er findet, wird wohl auch nichts anders seyn, als Untergang und Verderben. Aber dort in jenen glücklichern Gegenden, jenseit des schwarzen Sees, lächelt ja wohl noch endlich frommer Liebe Befriedigung. Suchis wird ihren Mycerin, und Amenophis seine Aeltern umarmen, sie wenigstens anbetend [129] schauen, wenn sie zu kindlicher vertraulicher Liebe für ihn zu hoch seyn sollten.

Amenophis hatte, da er so mit sich selbst sprach, und die Augen tief vor sich hin auf den Boden senkte, nicht wahrgenommen, daß er nicht mehr allein war, jetzt machte ihn die zweymalige Nennung seines Namens, der mit einem unbeschreiblich süßen Tone ausgesprochen wurde, plötzlich aufmerksam. Er richtete die Augen empor, fuhr auf und sahe eine Gestalt sich gegen über stehen, welche der zauberischen Beleuchtung, in der sie von Mondsstrahlen umgeben, da stand, nicht bedurft hätte, um für überirdisch gehalten zu werden.

Eine große majestätische Frau, wie wir die große Einzige, die Mutter aller Dinge, die Göttin Isis malen! Der Himmel war in ihren Blicken, und ihre Arme breiteten sich aus, mit überschwenglicher Liebe, den zu umfangen, der halb mit Furcht, halb mit freudigen Entzücken zu ihren Füßen gesunken war.

[130] Amenophis! rief sie. – Ists möglich, Amenophis! du Lieber! du lang Erwarteter! Du Sohn meines Herzens, ists möglich, daß ich dich endlich hier finde?

Und ists möglich, große Göttin, stammelte Amenophis, daß du dich endlich meiner Thränen erbarmtest und dich mir zeigtest?

Göttin, Amenophis? – fragte die Erscheinung, für wen hältst du mich?

O ich weiß nichts, schrie der junge König, indem er sich an ihren Busen schmiegte, weiß nichts, du Unbegreifliche! als daß mich jetzt Mutterarme umfangen; dies einzige sagt mir mein Herz. Behaupte unter den Göttern einen Rang, welchen du willst, mich kümmert das nicht, oder sey, ich bitte dich, sey lieber eine Sterbliche, damit ich dich inniger lieben, dich fester umfassen könne! Mir ists in diesem Augenblicke, als möchte ich ungern ein Wesen blos anbetend verehren, das mir so nahe verwandt ist, das, ich fühle es, einen Theil von meinem eigenen Selbst ausmacht.

[131] Die Thränen der Unbekannten strömten, sie drückte den Freudetrunkenen, der seine Gefühle nicht auszureden vermochte, fester an ihr Herz! – Amenophis! rief sie, besinne dich! Ja! ich bin deine Mutter! dein Herz täuscht dich nicht! Aber eine Göttin bin ich nicht, ich bin Suchis, die unglückliche Suchis, deren Schicksal du so eben beweintest, und die wahrlich diesen Augenblick nicht mit allen Freuden der Götter vertauschen würde.


[132] Erlaubt mir, meine Zuhörerinnen, über das, was dieser wohl ganz unerwarteten Entdeckung folgte, einen Vorhang zu ziehen. Der Sohn in den Armen der Mutter! Amenophis und die Tochter Cheops, durch die nächsten heiligsten Bande der Natur verknüpft, so lang getrennt und nun auf die wundervolleste Art wieder vereinigt! ich weiß, ihr fühlt alles, was in diesen Worten liegt. Jene beyden Glücklichen fühlten es auch, aber die Art, wie sie es äußerten, bleibe von mir ungeschildert.

Laßt mich ruhigere Augenblicke wählen, um euch wieder zu ihnen zu führen, jene Augenblicke, da es zwischen beyden zu nähern Erklärungen kam, zu Erklärungen, die auch euch zu Hinwegräumung aller Unbegreiflichkeiten noth seyn werden.

Das geglaubte Grabgewölbe der schönen Suchis war nicht das, was es dem verzweifelnden Amenophis vor einigen Augenblicken [133] zu seyn geschienen hatte, es war in keiner Betrachtung ein Wohnung des Schreckens und des Verderbens. Die finsterste Höle würde dem entzückten Sohne im Arm seiner Mutter ein Himmel gewesen seyn, mit ihr würde er Tod und Elend getrotzt haben; aber hier war von solchen traurigen Dingen gar nicht die Rede, und der Ort, an welchen ich euch wieder in die Gesellschaft der beyden Glücklichen führe, ist ein prächtiges wohlerleuchtetes Zimmer; Erfrischungen aller Art fehlen nicht den Verschmachtenden zu laben, und zwey Frauenspersonen von guten Ansehen sind beschäftigt, ihn und seine königliche Mutter zu bedienen, auch ihr Blick hängt voll Liebe an dem Neuangekommenen, und er kann sich nicht entbrechen, da sie sich ihm als alte Bekannte, als Pflegerinnen seiner frühsten Kindheit darstellen, ihre Theilnahme mit Dankbarkeit, ihre gutherzigen Liebkosungen mit Gegenliebkosungen zu beantworten.

Ja, meine Mutter, rief der jetzt gelassenere Amenophis, ja, mein Herz [134] sagt es mir, daß alles, was ich hier höre, wahr ist. Die Gegenstände, die sich meinen Augen darbieten, entsprechen den frühsten Erinnerungen meiner Seele, Bilder, die bisher nur dunkel aus meiner Phantasie hervorgingen, werden auf einmal klar und deutlich. Ich weiß, hier habe ich schon ehemals gelebt, in diesen theuren Armen habe ich schon ehemals geruht, und diese guten Frauen, du treue Möris, und du Andere, deren Namen ich vergessen habe, sind Pflegerinnen meiner ersten Lebensjahre gewesen. Eurer waren damals, dünkt mich, mehr; doch dieses und tausend andere Unbegreiflichkeiten sinds eben, was ich deutlicher enthüllt zu sehen wünschte. Wie kann Suchis meine Mutter, wie ich ihr Sohn seyn? Welch Wunder erhielt sie lebend? Was brachte uns hieher, und was entfernte mich von Euch? Welches ist das Geheimniß meiner Geburt, und welches die Möglichkeit uns so zu treffen? Dieses alles, alles muß ich wissen! – Suchis! liebe, theure, angebetete Mutter! Verzeihe [135] deinem Sohne ein Verlangen, das mit der Liebe zu dir so nahe verwandt ist! Verzeihe es ihm und befriedige es so schnell und so umständlich als du vermagst! –

Und Suchis verzieh, und erzählte, was ihr in der Folge umständlicher hören werdet.

Fußnoten

1 Neith, die zu Sais verehrte Göttin. Die Egypter verstanden unter dieser reinen jungfräulichen Gottheit, die sie eine Tochter des ersten Gottes nannten, die reine Himmelsluft. Ihr zu Ehren wurde einmal im Jahr, oder bey außerordentlichen Gelegenheiten, ein Lampenfest gefeyert.

2 Der Hippopotamus, ein dieser Gottheit geweihtes Thier, ward daselbst verehrt.

3 Jede der vier Seiten beträgt so weit man sie heute zu Tage hervorragen sieht 500 Fuß. Daß der Grund des Gebäudes tief im Flugsande verborgen liegt, ist gewiß, obgleich die Mährchenerzählerin hier die Sache wohl etwas übertreibt.

4 Diese unerklärbaren Gebäude nur einigermaßen zu untersuchen kostete Lebensgefahr, was muß es gekostet haben sie auszuführen! Man lese Maillets Beschreibung des Innern der großen Pyramide.

5 Diese und die andern hieher gehörigen Beschreibungen stimmen ziemlich mit Maillets Nachrichten überein.

6 Mycerin: Ein Löwe, so wie Suchis, eines der heiligen Krokodile; die Egypter liebten die Namen den Göttern geweihter Thiere ihren Kindern zu geben.

7 Ob dies zu den Zeiten der Erzählerin schon geschehen war, läßt sich nicht mit Gewißheit bestimmen; Sultan Mahomed der Erste wird gemeiniglich als der Eröffner der großen Pyramide des Pharao Cheops angegeben. Die andern drey die man nach ihren Erbauern, Chephres, Mycerin und Suchis nennt, sind noch uneröffnet.

8 Lotus, eine Wasserpflanze, die mit unserer Nymphea eine Aehnlichkeit hat.

9 Ob Almé in Berechnung der Distanzen ganz richtig ist läßt sich nicht entscheiden, was das Mährchen von der Bildsäule Memnons anbelangt, welche die Morgenröthe allemal mit lieblichen Glockenton empfing, so ist es zu bekannt, um hier erwähnt zu werden.

10 Auch diese egyptische Mythe ist wohl zu bekannt, um hier weitläufig erwähnt zu werden. Egypten verehrte seinen Osiris unter der Gestalt eines schwarzen Stiers, welcher mit besondern Eigenheiten begabt seyn mußte, und der also so leicht nicht zu finden war. Sein Tod erregte allgemeine Trauer, und dann Bewerbung um einen Nachfolger des Gottes. Ein gutes Zeichen für das Land soll es gewesen seyn, wenn er sich nicht so bald finden ließ. War er indessen gefunden, so hörte das während der ganzen Vakanz dauernde Wehklagen des Landes auf, und verwandelte sich in den Jubel, mit welchem der neue Gott eingeholt wurde.

11 Der heilige Stier gab Antwort, theils durch den Mund seiner Priester, theils durch die Reden in seinem Vorhof spielender Kinder.

12 Die Anzahl dieser Weisen war bestimmt, nur alle sieben Jahr, oder beym Absterben eines alten, ward ein neuer Priester gewählt.

13 Die alten Schriftsteller geben jedesmal dem geblendeten Priester am Remphisfeste zwey Wölfe zu Wegweisern. Hier scheint es, daß dieses schreckliche Abentheuer dem Priester Seba zum erstenmale begegnete.

14 Manetho ist größtentheils der Ueberlieferer dieser Fabel.

15 Auch jetzt sind noch Ueberbleibsel davon zu sehen. Savary hält den großen Sphinx, von welchem hernach die Rede seyn wird, für die einzig übrige von einer ganzen Gallerie solcher zu diesem Tempel gehöriger Bildsäulen.

16 Der große Sphinx, davon noch jetzt ein Theil über den Sand, damit die Zeit dieses ungeheure Werk überschüttet hat, hervorragt. Nach den Zeugnissen der Alten soll er, so wie es damals ausgemessen ward, da er noch ganz sichtbar war, 130 Fuß in der Länge und 62 in der Höhe betragen. Dieses Sinnbild aller Räthsel ist von gelben Marmor, und liegt zwischen dem Wasser und der Pyramide des Pharao Chephres, ohngefähr einige hundert Schritte von beyden entfernt.

[139] Suchis oder der Isisschleyer.

Amenophis kennt die Ahnen seiner Mutter und die seinigen. Ich brauche ihm die Namen der Pharaonen, von welchen wir abstammen, nicht zu wiederholen.

Das erste Unglück meines Lebens war wohl, daß ich den Tyrannen Cheops Vater nennen mußte; von ihm, von diesem grausamen Könige entspringen all meine Unfälle. Auch dieses, daß ich erst heute, nach so langer Trennung, den Sohn meines Herzens wieder umarme, auch dieses, daß ich diesen Sohn vor der Welt nie mein nennen durfte, daß ich ihn in einem Grabe gebahr, und in einem Grabe wieder sehen muß, auch dieses sind Glieder von der unseligen Kette.

[139] Meine Mutter war eine gute, aber schwache Prinzessin. Als ihr bey meiner Geburt ein Theil des Unglücks geweissagt ward, das Pharao Cheops über mich bringen würde, da ließ sie sich von einem Weisen aus dem Tempel des Typhon zu Papremis, zu einem Schritte bereden, den sie nicht gethan haben würde, wenn sie weiser, oder der Blick, den man ihr in die Zukunft verstattete, heller gewesen wäre.

Der Rathgeber der Königin, eben jener Priester des Typhon, welcher nachher den Bau der ersten Pyramide angab und regierte, rieth ihr, das Kind, das sie gebohren hatte, der mächtigsten Gottheit zu weihen, und es dadurch allem Uebel, das ihm ein unnatürlicher Vater anthun könne, unverletzlich zu machen.

Die Königin gedachte mich der großen Isis zu schenken, aber es ward dem sophistischen Diener des Typhon leicht sie zu bereden, daß kein Wesen mächtiger sey, als der Urheber des Bösen, dessen Priester er war. Meine Mutter hörte mit Schaudern seine Lästerungen gegen die Gottheiten der [140] Natur, aber sie war schwach, ihre letzten Augenblicke, welche bald auf meine Geburt folgten, nahten sich heran, und halb gezwungen, halb einwilligend, ließ sie es geschehen, daß man mich nach Theben in den Tempel des 1 heiligen Krokodils brachte, mich nebst einem Opfer von Brod und Wein der Gottheit darstellte, mir die schreckliche Weihe gab, und mich, mit dem Namen Suchis begabt, wieder in ihre Arme legte.

Die Königin ließ einige Thränen auf mich fallen, drückte mich noch einmal an ihr Herz, und verschied.

So war ich also vom ersten Anbeginn des Lebens, dem Urheber des Lasters und des Elends geweiht, und kein Zweifel, ich würde in allen Geheimnissen der Gottheit, [141] der ich Unschuldige aufgeopfert wurde, erzogen worden seyn, hätte die Königin nicht, so gut sie das in der Angst und in Eil ihrer letzten Stunden vermochte, Vorkehrungen getroffen, mich der Gewalt des papremitischen Weisen zu entziehen, und mich in die Arme der Tugend zu liefern. Sie war es endlich zufrieden, mich unter den Schutz des bösesten aller Wesen gebracht zu haben, weil man ihr eingebildet hatte, daß es das mächtigste sey, aber seine Fesseln sollte ich, nach ihrem Willen, nie tragen, auch hätte sie kein sichereres Mittel finden können, mich demselben zu entreißen, als daß sie mich der Zucht einer Person übergab, die man unter die edelsten und tugendhaftesten ihres Geschlechts rechnen konnte. Es war die Gemahlin des Pharao Chephres, welcher in der Folge, nach meinem Vater den egyptischen Thron besaß, und gleichfalls das seinige beytrug, mich höchst unglücklich zu machen. 2

[142] Ich ward mit dem jungen Prinzen Mycerin, dem Sohn meiner zweyten Mutter erzogen, früh keimte unsere Liebe, die so manchen Sturm ausstehen, die erst in den düstern Regionen des Grabes reifen sollte. Unsre Mutter sagte uns weissagend voraus, was wir zu gewarten hätten, und legte sich dann nieder zu sterben.

Nach ihrem Tode fiel ich der Tyranney meines Vaters ganz anheim. Ich darf sagen, er liebte mich damals, aber konnte ich mir diese Liebe anders erhalten, als durch Billigung der Unthaten, die ich täglich mit Augen sehen mußte? und wie sollte ich gebilligt haben, was ich verabscheute! Die schreckliche Gottheit, der ich geweiht war, hatte zwar vielleicht mehr Hang zum Bösen in meine Seele gelegt, als außerdem auf meinen Theil gefallen seyn würde, aber die Tugend, welche meine zweyte Mutter mich kennen lehrte, hatte sie überwunden; ob ich ihr treu blieb, das wird die Folge meiner Geschichte lehren.

Pharao Cheops, dessen verwahrlostes Herz alles haßte, was von der Gottheit [143] das Leben erhielt, und der nur demjenigen allenfalls das Daseyn gönnte, was mittel- oder unmittelbar seinen Leidenschaften fröhnte, hatte eine besondere Feindseligkeit auf jenes unglückliche Volk geworfen, das seit Jahrhunderten, als Fremdling, unter uns wohnt.

Er wünschte es zu vertilgen. Seine Wuth begann an den unschuldigen Kindern, und Tausende wurden von den Fluthen des Nils verschlungen, Tausende erwürgt oder verwahrlost, ehe die Greuelthaten mir zu Ohren kamen, und Mittel mir beyfielen, dem Unheil zu steuern.

Ich war jung, aber die Lehren meiner Erzieherin hatten mich klug gemacht. Ich nahm einige der weisesten Ebräerinnen, Frauen, welche bestimmt waren, beym Eintritt der Kinder ihres Volks in diese Welt gegenwärtig zu seyn, in meinen Sold. Ein harter Eyd band sie, nicht Pharaos, sondern meinen Befehlen zu gehorchen; so entkamen der verfolgten Kinder viel dem Würgeschwerd. Ich machte die Dienerinnen meiner Wohlthätigkeit groß und reich, [144] und ihre Paläste, die nah an den meinigen gränzten, dienten den geretteten Kleinen zum verborgenen Aufenthalt. Es waren die seligsten Stunden, die ich im Kreise dieser Kinder verlebte; sie nannten mich alle Mutter, und o, daß ich es ihnen ganz hätte seyn können!

So erfindungsreich ich war, das Gebiet meiner Wohlthaten auszudehnen, so fühlte ich doch überall, daß mir eine böse Macht entgegen arbeitete; o es war jene Macht, aus deren Stricken ich mich mit solcher Mühe losgerissen hatte!

Daß meine Menschlichkeit mir keinen Ruhm, sondern Schande brachte, daß man sehr zweydeutig von dem heranwachsenden Menschengeschlecht sprach, das mich Mutter nannte, das war das kleinste meiner Leiden; ein weit größeres erfuhr ich darin, daß ich von jenen unglücklichen Schlachtopfern doch nicht alles retten konnte, was dem Tode geweiht war. O ihr Fluthen des Nils, wie manches Blut dieser Unschuldigen habt ihr getrunken, das ich um keinen Preis vom Verderben loskaufen konnte!

[145] Pharao war jetzt besonders eifrig in Verfolgung der ebräischen Kinder; der Diener des Typhon hatte ihm im Gesicht gezeigt, daß in diesen Tagen ein Knabe sollte gebohren werden, der ihm, oder seinen Nachfolgern das Zepter aus der Hand rücken würde. Mir träumte in der nämlichen Nacht, ich zög aus dem Schilf des Nilufers eine Schlange hervor, welche sich schnell in ein Krokodil verwandelte, und sich wider mich kehrte, ein Kind, das ich in meinem Arme trug, und das, so dünkte es mich, mehr mein war, als die andern alle, zu verschlingen.

Dieser Traum mochte eine natürliche Folge dessen, was mich am Tage beschäftigte, oder eine Eingebung des Störers alles Guten seyn, auf mich machte er keinen Eindruck, und am wenigsten kam er mir zu der Zeit in den Sinn, da er mich von einer Handlung hätte abhalten können, die mich nie reuen wird, die Folgen derselben, die vielleicht noch bevorstehen, mögen beschaffen seyn wie sie wollen.

[146] Als ich des Morgens nach diesem Traume mit meinen Jungfrauen am Ufer des Nilstroms lustwandelte, und mir eine Stelle ausersah, da ich baden könne, da brachte man mir ein niedlich geflochtnes Behältniß, das man im Schilf gefunden hatte. Ich öffnete es, und ein Kind lachte mir entgegen, dessen gleichen an Schönheit ich nie gesehen hatte. Mein Herz sagte mir, daß ich hier wieder ein Schlachtopfer der Wuth Pharaos vor mir sähe. Thränen brachen aus meinen Augen hervor, ich drückte den Knaben an meine Brust, und nannte ihn, weil seine gefahrvolle Wiege aus Lotusblättern zusammen geflochten war, Oarsiph.

Wie? unterbrach hier Amenophis seine Mutter, 3 Oarsiph? – O nun sehe ich ein, was der Freund meines Herzens jenesmal sagen wollte, als er sich den Sohn meiner Mutter nannte! Nun verstehe ich, auf was für Art wir Brüder sind!

[147] Du warst sehr freygebig mit diesem Namen; erwiederte Suchis seufzend. Gott gebe, daß du dein Vertrauen keinem Unwürdigen geschenkt hast. Mich anbelangend, so ward ich in dem Augenblicke, da ich jenes zweydeutige Kind aus dem Wasser zog, auf ähnliche Art gewarnt, wie ich jetzt dich, ach zu spät gewarnt habe.

Die älteste meiner Frauen, meine Amme, trat hervor. Prinzessin rief sie, hütet euch, und denkt an euren Traum! Eine Schlange ists, die ihr an eurem Busen aufnehmt. –

Ich achtete nicht auf das, was sie sagte, und sah mich um, wen ich ausschicken könnte, meinem angenommenen Sohne die nöthige Hülfe zu holen. Noch einmal, es erfolge, was da wolle, mich soll niemals reuen, was ich damals that; wie hätte ich der Menschlichkeit ein Opfer versagen, wie hätte ich den Engel verstoßen sollen, der hier mir entgegen lächelte! –

Ein junges ebräisches Mädchen, das ich damals vor kurzen in meine Dienste genommen [148] hatte, verstand meinen Blick, und warf sich mir zu Füßen. Prinzessin, sagte sie, mit einer Thräne im Auge, ich weiß was du forderst! Sende mich! Der Frauen meines Volks, die in diesen schrecklichen Tagen ihrer Kinder beraubt worden, sind nicht wenig; es wird mir leicht werden, eine zu finden, die deinen Sohn mit ihrer Milch nähre.

Du weißt Möris, fuhr hier die Prinzessin in ihrer Erzählung fort, indem sie sich zu einer der beyden Frauen wandte, welche, nebst dem Prinzen, Zuhörer ihrer Geschichte waren, du weißt, was ich dir damals antwortete, auch weißt du, daß du mit schlauer List, meines Oarsiphs eigene Mutter, die auch die deinige war, in meine Dienste brachtest, und ihr das Vergnügen verschafftest, ihr eigenes Kind zu säugen. In Hoffnung, daß ich es finden sollte, hattet ihr es mir in den Weg gelegt, euer Zutrauen fand die Belohnung, die es verdiente; sollte nur das meinige zu euch unbelohnt bleiben?

[149] Amenophis sahe die weise Möris, die ihm hier als die Schwester Oarsiphs bekannt ward, in einen Strom von Thränen ausbrechen. Sie antwortete nichts auf das was die Erzählerin sagte. Auch er, der schlechterdings nichts aus dem zu machen wußte, was er von seiner Mutter vernahm, hinderte sie nicht, folgendermaßen fortzufahren.

Mein Oarsiph vergalt mir in den ersten Jahren seines Lebens reichlich alles, was ich für ihn that, und was ich für ihn fühlte. Nie hat man ein schöneres, zärtlicheres und klügeres Kind gesehen. Wie oft stieg der Wunsch in meiner Seele auf, ihm das wirklich zu seyn, wozu mich nur Liebe, nicht die Natur, gemacht hatte! Seine Mutter und seine Schwester blieben in meinen Diensten, und die Vorzüge, die sie von mir genossen, ermangelten nicht, den Neid des Hofs zu erregen.

Ich war unvorsichtig in den Begnadigungen, die ich diesen Leuten, die ich besonders meinem kleinen Pflegling angedeihen ließ. Ungewitter zogen sich über meinem [150] Haupte zusammen. Alles was ich an den ebräischen Kindern gethan, ward Pharao offenbar, und die Liebe, mit welcher er mich bisher überhäuft hatte, verwandelte sich in Zorn und Rache.

Der, um dessen willen ich mich in dieses Unglück gestürzt hatte, mein Oarsiph, sollte auch mein Warner seyn.

Ich habe schon zuvor gesagt, daß ein ungewöhnlicher Geist in diesem Knaben wohnte. Er war klüger, als die Kinder, die im Vorhof des Tempels des Apis, von seinem Hauch begeistert, Göttersprüche reden. Auch aus Oarsiphs Munde redete, mit der kunstlosen Sprache der Kindheit, ein himmlischer Geist.

Mutter, sagte er eines Tages, als er auf meinem Schoose spielte, Mutter! du wirst einst deinem Oarsiph fluchen.

Warum, mein Kind?

Pharao zürnt, daß ich dein Sohn heiße!

Was wird er mir thun?

[151] Er wird dich dem Typhon opfern!

Kind! weissagst du?

Arme Mutter! nicht tödten wird er dich, aber –

Nun?

O daß du eine mächtigere Gottheit kenntest, unter deren Schutz du dich bergen möchtest!

Mich übergoß ein kalter Schauer über den Worten, die dieses Kind mit der Geberde eines Propheten sagte!

Ich wollte mehr von Oarsiph wissen, aber er redete nun wieder ganz die Sprache, die seinen Jahren angemessen war; es fiel in die Augen, daß ein höheres Wesen sich seines Mundes bedient hatte, mir Kunde von einem Unglück zu geben, das mir bevorstand; aber welches war dies Unglück? und welches das Mittel mich zu retten? Nicht tödten wollte mich Pharao, aber dem Typhon opfern? jenem schrecklichen Gotte, dem ich in den ersten Stunden meines Lebens geweiht ward? Sollte ich in die Bande zurückgezogen werden, die mir der papremitische [152] Weise so gern angelegt hätte, und denen mich meine weise Erzieherin mit Mühe entriß? Wollte man mich in die Zirkel des Lasters ziehen, das an Pharaos Hofe herrschte? Wollte man mich der Stille, der einsamen Tugend entreißen, die die einzige Gottheit war, welche ich anbetete? Andern Sinn als diesen konnten die Worte Oarsiphs unmöglich haben. Nie hatte Pharao seine Tyranney so weit ausgedehnt, dem Urheber des Bösen Menschenopfer zu schlachten, es war unwahrscheinlich, daß das Blut seiner Tochter das erste seyn sollte, welches an jenen greulichen Altären flösse.

Wenn ich mich genugsam in den Labyrinthen vertieft hatte, welche diese Gedanken vor mir öffneten, so blieb ich allemal bey den Worten des jungen Propheten stehen, die mich anwiesen, den Schutz einer höhern Gottheit zu suchen. Ich kannte keine höhere, als die große Isis, die Göttin der Natur, der Tugend und der Wahrheit, und was ich that, mich ganz in ihren Schutz hinzugeben, das sollt ihr sogleich erfahren.

[153] Der Dienst der großen Einzigen und ihre Weihen haben verschiedene Grade, der höchste derselben ist die Annahme ihres Schleyers; er macht uns der Gewalt des Lasters unverletzlich, aber er schließt uns auch aus von jedem Genuß erlaubter irrdischer Freuden. Dieses war der Schritt, zu welchem ich mich entschloß. Mycerin! Mycerin! ich wußte wohl, daß ich dir auf ewig entsagte, indem ich mich dem innern Dienst der strengen Göttin weihte! mein Herz hing sehnend an dir! die Kämpfe waren schrecklich, die ich kämpfte; aber noch schrecklicher war der Gedanke, hingerissen zu werden in den Strudel des Lasters, von dem damals der ganze egyptische Hof schwindelte! schrecklich die Furcht vor eigener Schwäche! Ich war jung, schön, eine Freundin der Freude; dicht an dem Reihentanz unschuldiger Vergnügungen, gränzt der Abgrund des Lasters; ich bebte vor ihm, ich traute mir selbst nicht, ich floh an den einzigen Zufluchtsort, der mich retten konnte. O Mycerin! Mycerin! ich entsagte dir, um lieber ein Opfer der strengen Isis, als des schrecklichen Typhon zu [154] werden! Verzeihe, o Göttin, wenn ich es ganz fühlte, wie viel ich dir aufopferte!

Euch die Geheimnisse der Gottheit aufzudecken, nach deren Tempel ich mich noch am nämlichen Tage mit dem ersten Schatten der Nacht aufmachte, ist mir nicht erlaubt.

Ich fand, daß ich die Wichtigkeit des Schritts, der mich so viel kostete, noch nicht einmal ganz kannte; ich lernte, daß die Schmerzen der Seele, die ich diesen Tag erduldet hatte, nur Vorbereitungen waren, zu gleich fürchterlichen Schmerzen des Körpers, die mit der Annahme des heiligen Schleyers verbunden sind.

Als man sahe, daß ich standhaft blieb, daß nichts mich schrecken konnte, so führte man mich in den Tempel des Feuers. – Einen Vorhang über das Uebrige! – Gereinigt, geläutert, veredelt, vielleicht auch verschönert ging ich am siebenten Tage aus dem Heiligthum hervor. Die Schmerzen des Todes waren überwunden, mich umgab das heilige Gewebe, das nur jenseit [155] des Grabes fällt. Ich fühlte es, daß ich jeder Gewalt des Lasters und der Verführung trotzen konnte, daß alles was mit diesen bösen Mächten in geheimen Einverständniß stehet, in mir zerstört war. Aber die Liebe war es nicht! die Liebe lebte noch in meinem Herzen, die Liebe zu Mycerin, eine Flamme, rein und heilig, wie das Opferfeuer meiner Göttin!

Das übrige meiner Geschichte ist zu bekannt, um wiederholt zu werden, vielleicht weiß die Welt nur diesen einzigen Umstand nicht, daß, ehe ich mich zu der schimpflichen Rolle verstand, welche mein unnatürlicher Vater mir auflud, daß, ehe ich mich bequemte, das Gold der Fremden, durch die Ausstellung meiner Schönheit, welche der Isisschleyer so sehr erhöhete, in die Schatzhäuser meines Vaters zu leiten, ich erklärte, ich würde den Tod für diese Rolle wählen, und daß ich, diesem Entschluß zu Folge, in den Tempel zu Papremis gebracht wurde, dem heiligen Krokodil geopfert zu werden.

[156] So weit wollte mein Feind, der Oberpriester des Typhon es bringen. Er schlug mir ein Mittel vor, mich zu retten, das ich mit Hohn und zornigem Lachen beantwortete. Sein Zorn war gereizt, gereizt aufs äußerste, und mir war der Tod geschworen.

Ich sahe sehr wohl, daß Statt des gezähmten, eines der wildesten Ungeheuer des Stroms auf den Platz hereingelassen wurde, wo ich, an einen Pfahl gebunden, seinen Blutdurst stillen sollte. Mein Lachen dauerte fort, doch war es nicht mehr das Lachen des Unwillens, sondern der Freude, um bald den Qualen des Lasters entnommen zu seyn, und im Schoos meiner Göttin ewige Ruhe zu schmecken.

Ich hatte zu frühzeitig triumphirt. Die Zeit meiner Kämpfe war noch nicht vorüber. Ich kannte noch nicht ganz die Kraft des heiligen Gewebes das mich umgab; es machte mich auch dem gedrohten Tode unverletzlich. Das Ungeheuer schoß mit geöffneten Rachen auf mich los, stand eine Weile wie in Stein verwandelt mir gegen [157] über, schmiegte sich denn schmeichelnd zu meinen Füßen, und schlich langsam nach seiner schilfigren Wohnung zurück, aus welcher man es mit Lebensgefahr herauf geleitet hatte.

Der König sahe, daß er mich nicht tödten konnte, und die Stunden viel schrecklicherer Qualen nahmen für mich den Anfang. Die Nothwendigkeit, mich dem Anstaunen jedes Thoren auszusetzen, den meine Schönheit blendete, war noch der kleinste Theil meiner Leiden; man wußte schlauere Künste, mich der Treue, die ich meiner Göttin geschworen hatte, zu entreißen doch der heilige Schleyer rettete mich.

Was mir das empfindlichste Weh verursachte, war der tägliche Anblick meines Geliebten. Mycerin liebte mich, wie konnte er sich die kleine Genugthuung versagen, unter dem Zirkel der Bewunderer zu seyn, der mich unaufhörlich umringte! In jener glücklichen Epoche, da ich blos meinen Kindern lebte, hatte ich mich auch vor ihm verschlossen. Die Gewohnheit, ihn nicht zu sehen, wiegte die Leidenschaft [158] für ihn in den Schlaf, wenn sie dieselbe auch nicht tödtete; jetzt, bey seinem täglichen Anschaun, bey täglichen unnennbaren Beweisen seiner Liebe, erwachte sie mit neuer Stärke. Ich litt unbeschreiblich; o Isis! rief ich, warum mußten deine Flammen, die alles Irrdische in mir zerstörten, nur einer Neigung schonen, die mich so elend macht?

Jahre lang dauerte dieses beschwerliche qualenvolle Leben, nur in Oarsiphs Armen fand ich einigen Trost. Traure nicht, gute Mutter! rief der liebenswürdige Trösten oft, du wirst noch einst glücklich seyn, und wärs nicht ehe, als in der Dunkelheit des Grabes.

Ich fand Vergnügen an dem was der holde Schmeichler sagte, und schon gewohnt, jedem seiner Worte mehr Deutung zu geben, als gemeiniglich Kinderreden zu haben pflegen, behielt ich sie im Herzen, bis sich etwas ereignete, das mir, wie ich meynte, deutlichern Aufschluß über dieselben gab.

Pharao Cheops starb. Der edle Mycerin war mir behülflich, die Reise zu seinem prächtigen Grabe in der Gesellschaft [159] der Vertrauten dieses Geheimnisses machen zu können. Jene Pyramide, die Tausende mit ihrem Blute bauen mußten, und die auch der Diener des Typhon mit dem seinigen bezahlte, war die Verwahrerin von Verborgenheiten, deren Enthüllung nicht hieher gehört. Vierzig selige Tage brachte ich mit Mycerin in ihrem heiligen Dunkel zu. Er träumte von ewigen Aufenthalt in diesen Gegenden, die ihm, weil ich an seiner Seite war, ein Himmel dünkten.Meine Seele beschäftigten andere Gedanken, Gedanken an ewige Trennung von dem, dem ich ja, wie ich meynte, nun einmal für diese Welt nie angehören konnte.

Die Grausamkeit des neuen Pharao, der mich haßte, gab mir Gelegenheit, meine Entwürfe sehr schnell auszuführen. Er fuhr fort, mich den Verfolgungen blos zu stellen, denen mich mein unnatürlicher Vater ausgesetzt hatte, und ich nützte die eiserne Treue meiner verblendeten Bewunderer zu Errichtung des Baues in welchem wir uns gegenwärtig befinden. Ich war entschlossen, sobald derselbe geendet sey, mich lebendig in demselben zu verschließen, und, indem [160] ich der Welt den Wahn zurückließ, ich habe, durch den niedersinkenden Stein zerschmettert, hier ein schreckliches Ende gefunden, mir bis zu meinem wirklichen Tode ungestörte Ruhe zu sichern. Ich fühlte es, ich mußte meiner zu mächtig werdenden Leidenschaft für Mycerin auf diese Art ein Ende machen, auch hielt mich nichts in der Welt mehr fest. Pharao Chephres hatte die letzten Bande zerrissen, die mich an sie fesselten, indem er mir meinen Liebling, meinen Oarsiph raubte! O Oarsiph! in was für Hände bist du vielleicht aus den Meinigen gekommen! Unter meiner Zucht würdest du nie die Schlange geworden seyn, nie das Ungeheuer, das dem Leben meines eigenen Kindes droht! – Mußte mein Traum so erfüllt werden?

Amenophis konnte sich nicht enthalten, hier seine Mutter zu unterbrechen. O, rief er, was bedeuten doch diese nachtheiligen Winke auf meinen Bruder Oarsiph? Soll ich nie erfahren, was die großmüthige Suchis zur Feindin ihres ehemaligen Lieblings gemacht hat?

[161] Was diese Dinge angeht, erfährst du hernach, antwortete die Prinzessin, jetzt laß mich fortfahren.

Es war nicht darauf abgesehen, daß ich hier vor der Zeit umkommen sollte. Das Vertrauen auf meine Göttin ließ mich hoffen, ich könne hier noch glückliche Tage sehen. Ruhe im Dunkel des Grabes hatte mir ja auch mein kleiner Prophet versprochen, und der Oberpriester der Isis, der mir den geweihten Schleyer angelegt hatte, und den ich in allem zu Rathe zog, bestätigte meine Hoffnung.

Die innere Anlage meiner Pyramide war auf seine Anordnung völlig so gemacht, wie du hier stehst, bequem und angenehm zu jahrelangem Aufenthalt für eine Person, die sich selbst genug zu seyn weiß. Auch Anstalten waren getroffen, uns mit allem Nothwendigen zu versehen. Der Brunnen, durch welchen du so wunderbar zu uns gelangt bist, versorgt uns täglich mit allem was wir bedürfen, so wie der Name Onuphis, dessen Laut du vernommen hast, täglich mehreremale von uns durch diese Gewölber gerufen wird, um unsern Vertrauten, [162] die uns etwa zu außerordentlichen Zeiten etwas zu melden haben, ein Zeichen zu geben, daß wir vorhanden sind den gewöhnlichen Zugang durch den Brunnen zu eröffnen.

Von diesen Dingen hatte ich, außer jenen Mitwissern meines Geheimnisses, nur sieben meiner vertrautesten Jungfrauen, unter welchen sich auch die Schwester meines Oarsiph befand, Eröffnung gethan. Sie waren entschlossen meine Einsamkeit mit mir zu theilen. Die treuen Seelen! Sie stiegen mit mir ins Grab, und der größere Theil derselben hat wirklich seitdem hier das Grab gefunden; du vermißtest mit Recht viel der Pflegerinnen deiner Kindheit, nur diese zweye sind noch übrig, mit mir die Freude des heutigen Tages zu theilen.

Diejenigen, welche an dem Bau meiner Pyramide arbeiteten, wußten nichts von der wahren Bestimmung derselben, selbst Mycerin nicht. Der Oberpriester meiner Göttin hatte ihm Winke gegeben, die ganz falsche Ideen in ihm erregten.

Sie war geendigt. Die Wohnung meiner Ruhe war geendigt! Der Tag des Scheidens war da, des ewigen Scheidens von [163] dem Geliebten meines Herzens, ein schrecklicher Tag! Laß mich seine Geschichte nicht wiederholen.

Pharao Chephres hatte mir noch bey dem letzten Schritte zu meinem Schicksal eine Gefahr bereitet, die, wie er meynte, mir den Tod bringen sollte. Flammen fuhren mir aus der Oeffnung der Pyramide entgegen, als ich ihre Spitze erreicht hatte; ich schien in ein feuriges Bette zu steigen. Meine Begleiterinnen zitterten, aber lächelnd winkte ich ihnen, mir zu folgen. Mycerin war hinter die Tücke seines Vaters gekommen, und hatte sie mit Hülfe des Isispriesters, der in allen Geheimnissen der Natur erfahren war, unschädlich gemacht. Die letzten Worte die er am Fuß meines Grabes mit mir wechselte, enthielten Weisungen hierüber.

Wir stiegen hinab, die Flammen verloschen, über uns schloß sich der Stein, und wir befanden uns auf der Stelle, die heute der Schauplatz des Wiedersehens zwischen mir und dem Sohne meines Herzens war. Jener Stein, den wir nur zum Schein hatten sinken lassen, wurde in der [164] nächsten Nacht durch Maschinen, die dem leichtesten Drucke gehorchten, wieder gehoben, so daß die Aussicht in die umliegende Gegend, und der Anblick des Himmels über uns, uns fast den Gedanken benimmt, daß wir gefangen sind. Doch kann man auch Einschränkung, die man freywillig übernimmt, Gefangenschaft nennen?

Mein Verschwinden, mein vermeynter Tod hatte große Trauer unter denen verbreitet die mich liebten. Mycerin hatte vergebliche Versuche gemacht, durch Wege, die ihm bekannt waren, in mein vermeyntes Grab zu kommen; aber die Vorsicht meines Vertrauten aus dem Isistempel, hatte dieselben unzugänglich zu machen gewußt.

Ich hatte täglich schriftliche Nachrichten von dem was außerhalb meines Grabes vorging, und bis auf den heutigen Tag ist mir durch dieses Mittel nichts fremd von dem Zustand Egyptens. O Amenophis, ich weiß in diesem Augenblicke vielleicht von diesen Dingen noch mehr, als du selbst!

Es vergingen einige Jahre auf diese Art. Ich wußte, daß Pharao Chephres [165] todt sey und Mycerin auf dem Thron sitze. Nicht ohne Bewegung erwartete ich täglich die Nachricht zu hören: er habe die verlorne Suchis vergessen, und sey der Gemahl einer andern geworden. Ich hörte an dessen Statt, er beginne sein Grab zu bauen. Mir machte dieses ich weiß nicht welche süße Empfindung, und ich versäumte keinen Tag von meiner Höhe zuzuschauen, welchen Fortgang der Bau habe. – Daher erhub sich in der Gegend die Sage: die Tochter Cheops wache sichtbar über dem angefangenen Bau, und winke ihrem Verwandten zu sich in das Reich der Schatten; ein Gerücht, das meinen Rathgeber aus dem Isistempel bewog, mir Ermahnungen zu mehrerer Eingezogenheit zuzuschreiben.

Mir ward durch diese Einschränkung die Zeit doppelt lang in meiner Höle. Eine seltne Unruhe bemächtigte sich meiner. Keine Mittel der Zeitkürzungen, an denen es mir nicht mangelte, fruchteten etwas. Ich fühlte es erst jetzt, daß ich ein Grab bewohnte.

Die Briefe meines Vertrauten wurden immer räthselhafter; sie spielten auf Dinge an, die ich nicht verstand. Das Geheimniß [166] schien sich endlich dadurch auf eine höchst traurige Art zu lösen, daß ich erfuhr, Pharao Mycerin sey gestorben und werde des nächsten Tages in seiner Pyramide, der Nachbarin der meinigen, beygesetzt werden. Will Suchis, so schrieb der Priester der Isis, die heiligen Ueberbleibsel ihres Geliebten mit ihren Thränen benetzen, so sey sie auf die morgende Nacht bereit, man wird sie mit ihren Gespielinnen abholen. Ein verborgener Weg verbindet die beyden Pyramiden mit einander. Ich habe Sorge getragen, der treuen Liebhaberin Mycerins, der eben so treuen Dienerin unserer Göttin, die Freude ihren Geliebten oft zu sehen, für die Zukunft zu sichern.

Es ist unmöglich, mein Sohn, dir die Empfindungen dieses Tages zu schildern! sie waren die gemischtesten, die räthselhaftesten, die sich denken lassen. Meine Jungfrauen, ob sie gleich um Pharaos Tod gebührlich trauerten, konnten die Freude doch nicht bergen, einmal wieder Menschen zu sehen, und in andere Gegenden zu kommen. Ich fühlte auch Freude und Trauer, Freude, Mycerins geliebtes Augesicht einst wieder [167] zu sehen, und Trauer, es so zu erblicken. Trauer über seinen Tod, und ach, auch Freude, ihn mir, einer halben Bürgerin des Grabes, einer Person, die sich mehr zu den Todten als den Lebendigen rechnen konnte, durch den Tod etwas näher gebracht zu sehen. Ich hatte ja nun nichts weiter zu thun, als mich hinzulegen und zu sterben um ganz sein zu seyn. Auch wissen die Götter, was meine Entschließungen waren, und mit welchem Vorsatz ich einen scharf geschliffenen Dolch zu mir nahm, als man erschien, uns zu dem Trauerbesuch abzuholen. – Und, o Isis! Isis! ich sollte – ihn – meinen Mycerin sollte ich – lebend finden!

Wie, meine Mutter? schrie Amenophis voll Erstaunen, lebend?

Ja! sagte sie und lächelte unter den Thränen, die aus ihren schönen zur Erde gesenkten Augen hervordrangen, sonst würdst Du nicht vorhanden seyn!


Diese Stelle der Geschichte mußte den Zuhörern Eurer Almé rührender und überraschender [168] vorkommen, als sie Euch, meine Leserinnen vielleicht dünken wird. Ein unruhiges Getümmel erhob sich. Man bestürmte mich mit Fragen. Die Prinzessin Hermunthis und ihre Freundin, die Almé aus dem Gefolg der Dame Amesses schlossen sich weinend in die Arme, und es dauerte lange ehe ich meine Geschichte auf folgende Art endigen konnte.


Ja, fuhr die Prinzessin Suchis fort, indessen Amenophis ihre Hand mit seinen Thränen benetzte, ja, mein Kind, der Tag der Freude und der Liebe sollte deiner unglücklichen Mutter noch einmal in dieser Welt aufgehen. Ach, ein kurzer, kurzer Tag, und der Jahre des Leidens waren so viel! – Ich sahe Mycerin wieder, ich ward durch den Segen des Priesters meiner Göttin seine Gemahlin; aber nur sieben kurze Jahre war ich es. – Doch, von diesen Dingen bin ich dir umständliche Nachricht schuldig.

Die Freude zweyer so getrennten und so wieder vereinigten Liebenden zu schildern, [169] vermag wohl kein Mund, du schenkst mir Worte, welche hier so wenig sagen wollen, wenn deine eigenen Gefühle dir nicht zu Hülfe kommen. Doch Amenophis hat nie geliebt, und ich schweige auch aus dieser Ursach; ich würde einem Tauben von Musik reden und einem Priester des Mnevis den Wein anpreisen.

Die frohe Bestürzung meines Gemahls, mich lebend in seinen Armen, mich sein zu sehen, verglich sich der Meinigen, oder vielmehr, sie übertraf sie noch. Unser treuer, unser unvergleichlicher Freund, der Isispriester, hatte ihn getäuscht, wie mich, um ihn himmlisch zu erfreuen. Erst vor wenig Minuten, hatte Mycerin erfahren, Suchis lebe noch, lebe für ihn, lebe, um bis zum Grabe nicht von ihm getrennt zu werden. Seine Geschichte, nach meinem Abschied aus der Welt erfuhr ich, vor Freude Trunkene, aus dem Munde des Schöpfers unsers Glücks. Mein Geliebter war noch zu bestürzt, zu sehr außer sich, um etwas anders zu können, als meine Knie weinend zu umfassen, und mich wieder und wieder an seinen Busen zu drücken.

[170] Der Gram um meinen vermeynten Tod hatte jenesmal den treusten aller Liebhaber dem Grabe nahe gebracht, und Pharao Chephres Grausamkeit trieb ihn aus dem Lande. Unser treuer Freund wachte über seiner Flucht, und seine Vorsorge begleitete ihn ins Elend. Oft sahe er ihn, und Gespräche von mir, Gespräche von künftiger Glückseligkeit in bessern Welten, erheiterten seine Seele.

Chephres starb, und Mycerin, sein Nachfolger, brachte nichts als Todesgedanken auf den Thron. Unser Freund, welcher es wußte, daß wir nirgend als in den Schatten des Grabes glücklich seyn könnten, bestritt diese Phantasie nicht sonderlich. Er begünstigte Mycerins Pyramidenbau, und richtete ihn, da ihm die Aussicht darüber anvertraut war, ganz zu Beförderung unsers künftigen Glückes ein.

Mycerin entschloß sich, den Tod nicht außer seinem Grabe zu erwarten; er säumte ihm zu lang. Mit Ungeduld sahe er der Zeit entgegen, die ihn mit dem geliebten Schatten seiner Suchis wieder vereinigen sollte; er glaubte sie schneller herbeyzurufen, [171] wenn er dem Tode gleichsam auf halbem Wege entgegen käm. Gern willigte der Beförderer unsers Glücks in alles was Pharao Mycerin hierin für gut fand. Die Diener, welche meinem Geliebten in seine Gruft gefolgt waren, kehrten, von unserm Freunde getäuscht oder mit in sein Geheimniß gezogen, in die Welt zurück, und verkündigten den Tod ihres Herrn; er blieb allein in der Gesellschaft des Priesters unserer Isis zurück, um von ihm zu namenlosen Glück geleitet zu werden.

O Himmel! Mycerin war mein, ich sein! wer mißt unsere Freuden? Unser Freund erklärte uns das Geheimniß des Schleyers der Isis und löste seinen Zauber. Mein Gemahl sprach bald in den ersten Tagen unsers Glücks von Rückkehr in die Welt; aber unser Freund, der Erklärer der göttlichen Geheimnisse, demonstrirte ihm, daß ich nur im Grabe sein seyn könne, und daß nicht ehe, als vielleicht in siebenjähriger Frist unsre Göttin sichs gefallen lassen würde, hierin eine Aenderung zu treffen. Dies war genug meinem entzückten Gemahl jeden frühzeitigen Gedanken von Wiederbesteigung [172] des Throns zu benehmen. Ich, die nichts von den Göttern forderte als Liebe und Einsamkeit, ich, in deren Augen Kron und Thron nichts waren gegen das Glück, demjenigen anzugehören, dem ich mein Herz gab, ich trat den Gründen des Isispriesters treulich an die Seite, und sehr gern, sehr leicht hörte mein Gemahl, was ihm die Liebe sagte.

Nur in der letzten Hälfte jener sieben Jahre begann Sehnsucht nach dem egyptischen Throne, und Ungeduld, seine Suchis als Königin aus dem Grabe zu führen, seine Ruhe zu stören. Du warst indessen gebohren worden, mein Sohn, und dein Daseyn vermehrte seinen Wunsch, dir deine Rechte zu sichern. – Ach, Mycerin sollte das Ende des Zeitpunkts, den ihm sein Freund zu Erfüllung seines heißen Verlangens angesetzt hatte, nicht erleben! – Er starb – und ließ mich trostlos zurück.

Nur du versüßtest mir mein Leben. Ich lehrte dich an dem Grabe deines Vaters weinen. Ich lehrte dich deine künftige Bestimmung zum Thron von Egypten. Ich zeigte dir von weiten die Stätte, wo die [173] Gebeine meines Gemahls ruhten. Du nanntest in deiner kindischen Einfalt die Pyramide des Pharao Mycerin, auf die ich so oft, wenn du auf der Spitze der Meinigen in meinen Armen lagst, deine Aufmerksamkeit hinzog, du nanntest sie einen Berg, und dich den Sohn desselben. Wir lachten deiner Einfälle. Der Priester der Isis wollte nicht, daß wir dir deutlichere Begriffe, deren dein Alter wohl fähig gewesen wäre, geben sollten. –

Mein Freund besuchte mich jetzt selten. Er wollte meine Trauer nicht stören, oder vielmehr, sie nicht durch Ankündigung eines Opfers, das das Schicksal von mir forderte, zu frühzeitig vermehren. – O Amenophis, es forderte dich! von dir mußte ich mich trennen!

Königin, sagte der Priester der Isis eines Tages zu mir, als er sich plötzlich meinen Augen darstellte, das Land schreyt zu den Göttern um einen König. Jedes Orakel von Egypten antwortet in Ausdrücken, die nicht anders als auf Mycerins Sohn zu deuten sind. Die Krone, die der Vater nach sieben Jahren wieder aufsetzen sollte, [174] ist dem Sohne beschieden. Vertraut ihn meinen Händen, und seyd versichert, daß Amenophis, von mir geleitet, Euch einst in diesen heiligen Mauern wiedersehen soll.

Was kann ich weiter sagen, mein Sohn? man riß dich, halb mit, halb wider meinen Willen, aus meinen Armen! Auf was für Art du in Sebas Hände, und zu dem Throne deiner Väter gekommen bist, das weißt du besser als ich. Aus deiner Erzählung, und aus den damaligen Relationen des Priesters, scheint es mir, als wär Seba unsern Geheimnissen sehr nahe auf die Spur gekommen, als hätte er gesucht, auf ihm bekannten Wegen zu dem Innern dieser heiligen Gebäude zu gelangen. Ich hätte gewünscht, es wäre ihm gelungen, doch die Vorsicht meines Freundes verwehrte es, und so mußte ich mehr als funfzehn lange Jahre hier einsam um den verlornen Sohn wie um den entschlafenen Geliebten trauern.

Doch endlich, endlich erschien der Tag des Wiedersehns! Mein Freund sagte mir seit einiger Zeit sehr oft, daß er nahe sey. Ich habe dich schon lang hier erwartet, [175] mein Sohn, und die Post, welche mir gestern meine Dienerinnen mit Schrecken brachten, sie hätten vermittelst der Maschine, die uns mit den Nothwendigkeiten des Lebens versorgt, einen unbekannten Jüngling herauf gewunden, erregte schnell den entzückenden Gedanken in mir, endlich sey die glückliche Stunde gekommen, da ich meinen Sohn wieder umarmen, und ihm eine Freystatt in diesen Mauern anbieten könne, eine Freystatt, zu der Zeit, da ihn die Welt ausstößt, und treulose Freundschaft sich mit der ihm geraubten Krone schmückt.

Du staunst, Amenophis? Deine Blicke fragen mich, was ich meyne? – O vernimm nur alles, alles! ich kann, ich darf dir es nicht mehr verhelen! Wisse, dein sogenannter Bruder, ach dein und mein Oarsiph – ist ein Verräther! Jetzt zeigt er den Schlangenstachel, jetzt den Rachen des Krokodils, welchen ich, da ich ihn aus dem Wasser zog, ungeachtet der Warnungen von Göttern und Menschen, in ihm nicht ahnden wollte.

[176] Dein Thron ist sein, deinem Leben ist der Untergang geschworen; nur deine Wanderung in diese Schatten birgt dich vor dem Meuchelschwerde, wenn sie nicht vielleicht als Mittel, seine Bosheiten desto leichter zu verüben selbst von ihm veranlaßt und begünstigt ward. Heil uns, wenn auf diese Art die Götter, selbst die Hand unserer Feinde zum Mittel unserer Wiedervereinigung brauchen. –

Doch du verstehst mich, du glaubst mir nicht, was mir selbst so schwer zu glauben ward! So höre denn die Stimme eines Mannes, aus dessen Munde die Wahrheit der Götter spricht. Höre ihn, und gehorche dem was er dir sagen wird, so wie ich ihm die ganze Zeit meines Lebens gehorcht und mich glücklich dabey gefunden habe.

Suchis hatte noch nicht ausgeredet, so trat ein Mann herein, der dem Könige sehr wohl bekannt war, und dem er mit der Ehrfurcht, welche dem Oberpriester der Isis gebührte, entgegentrat.

Ja, mein König, rief der Diener der Gottheit, nachdem er den Sohn Mycerins umarmt und gesegnet hatte, ja, was die [177] Königin sagte, ist wahr. Oarsiph verdiente nicht das Vertrauen, das Pharao in ihn setzte, verdiente nicht den Brudernamen, verdiente nicht von der edelsten Prinzessin der Welt geliebt und gepflegt worden zu seyn. Er scheint nur den Augenblick erwartet zu haben, da Amenophis die Welt verließ, um Plane auszuführen, die nicht so schnell geglückt seyn würden, wären sie nicht vorlängst angelegt, vorlängst vorbereitet gewesen. War vielleicht der kühne Gedanke, welcher den König von Egypten in diese düstern Gegenden lockte, auch sein Werk? Wollte er den Freund, welchen zu tödten er sich vielleicht aus Furcht vor der Rache der Götter scheute, lebendig dem Grabe überliefern? Wenigstens schließt den Ausgang aus diesen Mauern bereits ein Zauber, den niemand so leicht lösen wird. Pharao komme und sehe es!

Amenophis folgte dem Priester der Isis auf die Spitze der Pyramide, und sahe die Stelle, wo er die Wanderung in die Unterwelt begonnen hatte, mit jener kolossalischen Bildsäule verdeckt, deren räthselhafte Gestalt noch heut zu Tage die Augen der Wanderer,[178] und das Forschen der Denker auf sich zieht. Nur wenige errathen in dem Ungeheuer, das sich über der heiligen Pforte gelagert hat, das Geheimniß von der Geburt des Königs Amenophis. Der Oberpriester erklärte es ihm. Sohn des Löwen 4 und der Jungfrau, rief er, lerne aus der Enthüllung deines Ursprungs die Gefahr, in welcher du dich befindest. Wisse, er ist, – wir Weisen mögen davon halten, was wir wollen, in den Augen des großen Haufens, verbrecherisch. Der Sohn einer Geweihten der großen Göttin kann nicht ohne allgemeinen Abscheu zu erregen, ins Leben zurückkehren, seiner wartet der Tod. Der verrätherische Oarsiph, welcher durch Zauberkünste unser Geheimniß erfahren haben muß, hat es teuflischer Bosheit kund gemacht. Kein sicherers Mittel konnte er ersinnen, den, welchem er Kron und Thron raubte, auf ewig im Grabe fest zu halten, als dieses. Doch dieses Grab ist Pharaos Sicherheit. Möchte ich mich eines ähnlichen Zufluchtsortes [179] zu erfreuen haben! denn auch auf mich fällt ein Theil der Gefahr. Oarsiph weiß, daß ich das Glück zweyer vom Schicksal verlassener Liebenden in diesen düstern Regionen gründete, und er darf nur kund werden lassen, was ihm bekannt ist, so bin auch ich verloren. Siehe, ganz Egypten huldigt Oarsiph. Sein Reich noch fester zu gründen, hat er Fremde hereingerufen, das treue Volk des Landes zu unterdrücken. Siehe die Fläche von Memphis mit den Hütten der Hirten aus Palästina bedeckt; ein riesenmäßiges Volk! Oarsiphs alte Bekannten, gegen welche eine Macht, wie die des unglücklichen Amenophis nichts vermag.

Auch mir sind die Hände gebunden. So lang ich Priester meiner Göttin bleibe, kann ich vielleicht noch etwas für meine Lieblinge thun, doch, bin ich dahin –

Pharao erspare mir das Uebrige zu sagen. Er bete für mein Leben, und unterdrücke jeden Gedanken an die Rückkehr in die Oberwelt, bis ich selbst komme, ihm bessere Zeiten anzukündigen. Jetzt ein langes, langes Lebewohl. Die Welt darf [180] aus meinen öftern Abwesenheiten keine Muthmaßungen schöpfen, die nicht allein unser Glück, sondern auch das Glück und das Leben einer edeln Prinzessin in Gefahr setzen würden, welche lang genug gelitten hat, um endlich Ruhe fordern zu können, und in deren Arm der pflichtvolle Sohn keine Zeit zu lang finden darf, welche ihm das Schicksal auf bessere Tage warten heißt.

Amenophis kehrte, nachdem er sich mit dem Priester der Isis geletzt hatte, voll Bestürzung in die Arme seiner Mutter zurück, welche er in Thränen fand. – Du hast, sagte sie, die Bestätigung dessen gesehen und gehört, was dir aus meinem Munde unglaublich dünkte. Kennt Pharao nun seinen Oarsiph? und wird er sich ruhig bequemen, mit seiner Mutter ein Grab zu bewohnen, bis glücklichere Gestirne ihn zu neuen Leben hervorrufen?

Der König, dessen süßester Gedanke, seit der erlangten Kenntniß seiner Geburt, der gewesen war, die schöne Suchis triumphirend aus ihrer Dunkelheit auf den Thron zu führen, welcher ihr gehörte, konnte[181] diese schreckliche Fehlschlagung nicht gelassen ertragen. Die Prinzessin, welche den Kampf seiner Seele wahrnahm, wandte alles an, ihn zu beruhigen. Laß uns geduldig harren, mein Sohn, sagte sie jeden Tag zu ihm, vielleicht kehrt unser Freund bald zurück, uns frohe Botschaft zu bringen.

Aber der Priester der Isis erschien nicht. Suchis beweinte seinen Tod, und ihr Sohn gab noch schwärzern Muthmaßungen Raum. Dieser Mann, sagte er oft bey sich selbst, der unser Unglück kommen sah, ohne uns zu warnen; ist er vielleicht selbst ein Verräther?

Jahre vergingen auf diese Art. Den größten Theil dieser Zeit verweinten die Mutter und der Sohn an Mycerins Grabe. Täglich wurden Wallfahrten in die Nachbarpyramide angestellt, täglich Moals bey dem Leichnam des großen Todten gesungen; es war dieses nicht allein Pflicht und Herzensergießung, sondern auch eine Art Zeitvertreib, dessen man hier bey den langsam schleichenden Stunden wohl nöthig hatte.

[182] Das Grab Pharao Mycerins war ein Wunder der Pracht und der Baukunst, man mußte so betrübt und so fromm seyn, wie Amenophis, um es hundertmal besucht zu haben, ohne noch den kleinsten Blick auf all diese Schönheiten zu werfen.

Möris, welche nie in der Trauergesellschaft fehlte, wagte es einst in Abwesenheit ihrer Gebieterin, den König aufmerksam zu machen, welcher es bisher für Sünde gehalten haben würde, hier an einem andern Gegenstande zu hängen, als an dem entstellten Gesicht dessen, dem er das Leben dankte.

Nachdem Amenophis sich wirklich hatte bereden lassen, die wundernswürdige Arbeit der goldenen Wände, die Schönheit des Sarkophags, und die Hieroglyphen des Lodengewands näher zu betrachten, nahm Möris eine Hülle hinweg, welche zu dem Haupte des Todten nachlässig hingeworfen, einen Gegenstand verdeckte.

Und was sagt, rief sie, was sagt Pharao zu dem Glanze dieses Edelsteins? Der König verdeckte seine Augen mit den Händen, denn ein Licht strahlte ihm entgegen, [183] wie das Licht der aufgehenden Sonne. Ein Karfunkel, groß wie ein Ey, leuchtete über dem Haupte des Todten und erfüllte das ganze Grabgewölbe mit Klarheit.

Und was, fuhr die weise Schwester Oarsiphs fort, indem sie den blendenden Glanz wieder verhüllte, was denkt der König von der Schrift, welche auf dieser Tafel eingegraben steht? – Unserer keine weiß sie zu lesen, und der Priester der Isis hat aus Ursachen, die ich nicht kenne, nie bewogen werden können, dieses Gemach zu betreten.

Amenophis trat herzu, und las in einem Stein über dem Haupt der heiligen Mumie gehauen, folgende Worte:

»Mich tödtete die Bosheit eines falschen Freundes, indem sie meinen liebsten Gefühlen schmeichelte. Du, mein Sohn, der du dieses liefest, räche mich nicht, denn du dankst dem, was mich stürzte, dein Leben; aber nimm mein Schwerd, und erobere dir wieder was ich verscherzte. Das Licht, das über meinem Haupte leuchtet, leitet dich aus dieser Tiefe!«

[184] Der junge König stand, nachdem er gelesen hatte, wie versteinert und heftete die Augen mit einem Blicke auf Möris, den diese wohlverstand.

Pharao, sagte sie, Pharao, frage mich nicht um die Deutung dieser Dinge; ich weiß nichts mehr davon, als daß der große Todte, welcher hier vor uns liegt, es in seinen letzten Stunden betrauerte, seinem Sohne die verscherzte Krone nicht hinterlassen zu können, und daß er uns befahl, diesem Sohne dereinst diesen Stein, diese Schrift, und dieses Schwerd, als das letzte Vermächtniß seines Vaters zu überliefern. Hat die Königin diesen Auftrag vergessen, so entschuldigt sie ihr endloser Kummer. Mich würde nichts entschuldigen, ich würde verdienen, gleich meinem, vielleicht unschuldigen, Bruder, der Verrätherey angeklagt zu werden, wenn ich nicht den frommen Pharao Amenophis erinnerte, noch etwas mehr als fromm, auch tapfer und weise zu seyn. Bey diesem Schwerde, beschwöre ich ihn, den Befehl seines Vaters zu erfüllen und unrechtmäßigen Besitzern den Thron von Egypten zu entreißen!

[185] Die Heldin Möris hatte bey diesen Worten ein köstliches Schwerd ergriffen, das auf der Brust des Todten lag, und es zur Hälfte entblößt. Amenophis! rief sie, indem sie es dem jungen Pharao zureichte, sey ein Mann! sey König! und erfülle den letzten Befehl deines großen Vaters!

Zitternd nahm Pharao was ihm dargeboten ward, nahm den Stein zum Häupten des Todten, nahm eine goldene mit Edelsteinen besetzte Tafel von seiner Brust, las noch einmal die eingehauene Schrift, und eilte dann zu seiner Mutter, ihr Nachricht von dem zu geben, was ihm begegnet war, und darüber ihre Befehle zu vernehmen.

Sie lassen sich errathen. Suchis befahl ihrem Sohne, jeden Gedanken an eigenmächtige Hülfe aufzugeben, und sein Schicksal dem Willen der Götter zu überlassen. Absichtlich hatte sie ihm verhehlt und verschwiegen, was ihn von ihr entfernen konnte, und höchst ungern sah sie das Geheimniß enthüllt und ihn entschlossen, dem Befehle seines Vaters auf jeden Preis nachzukommen.

[186] Es geschah halb mit, halb wider ihren Willen, daß sich nach mehrern Tagen des Streitens und des Zweifelns, Amenophis auf den Weg machte, der ihm vorgeschrieben war. Möris wünschte, ihn begleiten zu dürfen, und sie war durch den Antheil, den sie an Pharaos Heldenentschlusse hatte, in der Gunst ihrer Gebieterin so zurück gesetzt worden, daß ihr dieses nicht gewehret ward. Man trennte sich von allen Seiten mit einiger Kälte, und Möris und Amenophis traten die Wanderung an, von welcher die Zurückbleibenden behaupteten, sie würde sich mit schneller Rückkehr der Reisenden endigen, denn noch war in allen diesen Jahren kein Weg entdeckt worden, welcher aus den heiligen Grabhölen in die Oberwelt führte, der Oberpriester der Isis verbarg den seinigen den er zu gehen pflegte, sorgfältig, und Suchis, welche ihren Sohn höchst ungern aus ihren Armen ließ, hoffte, er sollte nicht glücklicher seyn, als andere Späher nach Auswegen vor ihm gewesen waren.

Der König und die Jungfrau gingen, der Karfunkel leuchtete so gut er konnte, [187] und die Wanderer folgten dem Pfade, den seine Strahlen bezeichneten.

Wild und sonderbar, auf und abwärts kreuzten sich unbetretene Pfade durch einander. Der Karfunkel leuchtete, die Wanderer gingen. Wasser rauschten, Abgründe öffneten sich zur Rechten und Linken. Der Karfunkel leuchtete, die Wanderer gingen, bis der Pfad sich schnell und unverhofft aufwärts zu Tage wand, und sie jenseit der heiligen Steinhaufen den Grund betreten ließ, den sie nie wieder zu berühren gehofft hatten.

Innige Freude bemächtigte sich beyder, aber auch eben so tiefer Schmerz, als sie sich genauer umsahen in der Gegend, und alles bestätigt fanden, wovon sie in der Wohnung der Schatten gehört hatten. Die Fremden aus Palästina bedeckten das Angesicht Egyptens, und das Volk seufzte. Sie gingen nach Memphis, wo wirklich Oarsiph herrschte, und Möris verbarg, beschämt über die Schuld ihres Bruders, ihre Augen vor dem Könige. Sie versuchte den Herrn des Landes zu sprechen, und ward abgewiesen. Mittlerweile hatte sich der [188] König nach den Isistempel gewandt, und eben so wenig Befriedigung gefunden.

Die Nacht nach einem mühseligen täuschungsvollen Tage brach ein. Man zog den Karfunkel von neuem zu Rath, und er leuchtete dieses und die folgendenmale dahin, wo wirklich Hülfe der Bedrängten wartete, er leuchtete ihnen nach Aethiopien.

Die Mutter der schönen Suchis war eine äthiopische Prinzessin gewesen; Amenophis durfte nur seine Geburt glaubhaft anzeigen, und ihm war geholfen! Mit einer Armee von dreymalhunderttausend Mann kam er zurück, die Krone seines Landes aus den Händen der Räuber zu reißen. Die Ebene von Memphis, das Thal der Pyramiden von Dsyse bedeckte sich mit den fremden Kriegern; Amenophis mit einem Herzen voll von Heldenentschlüssen stand an ihrer Spitze, und die noch muthigere noch entschlossenere Möris war an seiner Seite.

Es gilt hier, sagte sie, die Wiedererlangung des Zutrauens derjenigen, welcher [189] mein Haus alles verdankt. Ist Oarsiph undankbar, so soll Möris diesen Flecken mit ihrem Blute abwaschen.

Oarsiph hörte nicht sobald von dem äthiopischen Heere, das sich der Hauptstadt näherte, so stand er mit einer Armee, die nur um ein Drittheil kleiner war als die Macht seines Feindes, ihm gegenüber. Es galt hier eine Krone, galt die Ruhe des Landes; der Tag der Schlacht war angesetzt, man konnte nicht ohne Blut scheiden.

Möris rang die Hände. Sie blieb doch immer ein Weib; die nahe Gefahr, und die Nothwendigkeit, einem geliebten Bruder mit dem Schwerde entgegen zu treten, schreckte sie, sie schien gehofft zu haben, hier solle gütlicher Vergleich noch möglich seyn; Oarsiph, meynte sie, sollte die Stirn nicht haben, dem rechtmäßigen Herrscher Egyptens mit den Waffen in der Hand zu begegnen.

Aber wußte denn Oarsiph auch, wer ihm entgegen stand? – Das wilde äthiopische Heer sahe und kannte er wohl, aber der Name seines Anführers war ihm vielleicht verborgen.

[190] Zwey Stunden vor der Schlacht nahte sich aus den Thoren der Stadt ein friedlicher Zug, welchen beyde Armeen die Annäherung verstatten mußten, wenn sie nicht für Unmenschen, für Götterfeinde angesehen werden wollten. Es waren die Priester der Isis, welche, wie sie gewohnt waren, erschienen, das Schlachtfeld zu segnen und zu weihen. Doch ihre Erscheinung hatte diesmal eine Nebenabsicht, welche vielleicht die Hauptsache an dringender Wichtigkeit übertraf.

Das Oberhaupt der heiligen Männer wollte und mußte den Anführer des äthiopischen Heers sprechen, der Zutritt durfte ihm nicht versagt werden.

Der fromme König kriegte nie mit den Dienern der Gottheit, in allen Landen waren sie seine Freunde, und auch hier ging er ihnen mit Ehrfurcht entgegen.

Er konnte vielleicht erwarten, wen er in ihrem Oberhaupte erblicken würde, aber doch bemeisterte sich seiner Seele ein kleines Schrecken, als er dem Manne gegenüber [191] stand, von dem man in den Pyramiden wegen seines langen Ausbleibens so verschiedene Urtheile gefällt hatte.

Der Oberpriester der Isis, denn dieser unser alter Bekannter war es wirklich, schien gleiches Erstaunen beym Anblick des Königs zu fühlen. Wie? rief er nach einem langen Stillschweigen, so täuschten unglaubliche Träume und Gesichte mich dennoch nicht? so ists wirklich der fromme Amenophis, der an der Spitze der Verderber erscheint, die Eingeweide seines eigenen Landes zu zerreißen?

Ich will nicht zerreißen, nicht verheeren, antwortete Pharao, der sich so gut faßte als er konnte, aber ich will wiederfordern was mein ist. Kann der, welcher sich ehemals meinen Freund nannte, mein Verfahren tadeln?

Ich tadle hier nichts, antwortete der Priester, als kühne Voreiligkeit! – Hatte ich nicht versprochen, dem Könige die rechte Zeit, sich seinem Volke wieder zu zeigen, kund zu thun? – Warum erwartete man nicht ruhig der Stunden, in welchen allein solch ein Vorhaben gelingen kann?

[192] Jahre lang wartete ich; sollte ich vielleicht bis an meinen Tod harren, wie mein unglücklicher Vater?

Und ob dieses geschehen wäre, wer kann wider den Willen der Götter? – Oder glaubt Amenophis, daß er ohne sie siegen wird? Glaubt er, daß den ewigen Schützern des Landes das Vertrauen ihres Lieblings auf fremde Macht gefallen kann? – O Pharao, Pharao hüte sich! dreyzehn Jahre waren ihm bestimmt, in frommer Dunkelheit göttlicher Hülfe zu harren, und dann erst leuchtend hervor zu gehen, wie die Sonne, zu einem langen Tage des Glücks und der Freude! Mehrere Menschenalter hätten die Zeit seiner Herrschung nicht gemessen, wär er fähig gewesen, ruhig auszuhalten, bis die Stunde des Glücks geschlagen hätte. – Es ist vorbey! der schöne Traum, der einzige Trost meines gramvollen Lebens ist ausgeträumt! – Amenophis reißt sich gutwillig von der Hand seines Führers los. Nur noch wenig Jahre hätte er auszuharren gehabt, und Aeonen langes Glück wär gefolgt. Wohl gut! was er an der Zeit des Wartens abkürzte,[193] das kürzte er seinem eigenen Wohl, seinem und der Königin Leben ab! Hier gilt ein Jahr ein halbes Säculum!

Der Oberpriester wandte, nachdem er geredet hatte, dem Könige den Rücken und entfernte sich langsam mit seinen Begleitern. Amenophis blieb voll Bestürzung zurück. Er war bewegt, gerührt, überzeugt, er rief seinem Sieger seinen Triumph nach, aber dieser bewegte sich nicht, ihn noch einmal anzusehen. Wenn ich sehe, sprach er im langsamen Fortgehen, wenn ich sehe, daß die äthiopischen Völker von der Ebene von Memphis verschwinden, wenn ich sehe, daß Amenophis sich entfernt ohne den heuchelnden Oarsiph gesprochen zu haben, dann erst will ich an die Kraft meiner Worte glauben, dann erst will ich hingehen zu den Göttern, um Gnade für ihren abtrünnigen Sohn zu flehen, und die traurige Suchis zu trösten, welche mit der Verzweiflung ringt, ihren Liebling so tief gefallen, und durch seine Schuld sich den Augenblick des Glücks, der so nahe war, so schnell aus den Augen gerückt zu sehen.

[194] Möris war abwesend, als der Oberpriester die merkwürdige Audienz beym Könige hatte. Sie hatte einen ähnlichen Besuch im feindlichen Lager gemacht. Als sie zurückkam, fand sie alles unter den Aethiopiern in voller Bewegung, es war die Unruhe eines aufbrechenden Heeres, welche hier herrschte, wenn ich nicht lieber sagen soll, das angstvolle Getümmel der Fliehenden vor einem siegreichen Feinde.

Was ist das was ich erblicke? rief sie, indem sie in das Zelt des Königs trat. Hat man so früh vernommen, was ich dem großen Pharao zu verkündigen habe?

O Möris, antwortete Amenophis, was du mir zu verkündigen hast, weiß ich nicht, nur dieses weiß ich, ich habe gesündigt, und kehre in die Pyramiden zu rück, um noch einige Jahre zu büßen. Wird Möris mich begleiten? wird sie mir Verzeihung bey einer Mutter auswirken, die ich durch meine kühnen Entschlüsse so unverantwortlich beleidigte?

Ich sehe wohl, antworte Oarsiphs Schwester, daß unsere unnöthigen Helfer aufbrechen, auch kann ich das nicht tadeln, [195] aber warum hier Büßung nöthig ist, Büßung von mehrern Jahren in jenen traurigen Gräbern, wo wir nur gar zu lang gefangen gehalten wurden, das weiß ich nicht?

Amenophis erzählte seiner Freundin das was vorgegangen war, so gut er vermochte, und diese antwortete mit nichts, als mit Blicken des höchsten Erstaunens, die sich endlich in ein unwilliges Lachen auflösten.

Will nicht der große Pharao, fragte sie, ehe er die merkwürdige 5 Flucht an der Spitze eines Heers von dreymalhunderttausend Mann beginnt, will er nicht mir vorher vergönnen, ihm einen Mann vorzustellen, welcher ihm vielleicht Dinge von einiger Wichtigkeit zu sagen haben möchte?

Amenophis antwortete nicht, und Möris, die dieses für Bejahung annahm, säumte nicht, demjenigen, von welchem sie sprach, den Eingang zu öffnen.

[196] O Amenophis! schrie der, welcher hereinstürzte, indem er dem erstaunten Pharao die Arme entgegen breitete. Ists möglich, daß ich dich wiedersehe! Mein König! mein Bruder! Sohn meiner Mutter, der göttlichen Suchis! Ists möglich, daß du noch lebst? – O Möris! du hattest recht! nichts mißt meine Freude. Egypten hat seinen rechtmäßigen Beherrscher, Oarsiph seinen königlichen Freund und seine älteste Wohlthäterin wieder gefunden. Die Künste der Bosheit sind vernichtet, der große Knoten gelöst, und nichts als Glück lacht uns aus der Zukunft entgegen.

Oarsiph hätte noch mehr sprechen können als er in seiner Entzückung sprach, ohne von Amenophis unterbrochen zu werden, dessen erste Bewegung war, den Anblick eines Mannes zu fliehen, vor welchem er eben gewarnt worden war, und den er nicht ohne Sünde anhören zu können glaubte.

Oarsiph hielt seinen Freund fest umarmt, und die Worte, die dieser aus seinem Munde hörte, schwächten nach und nach die Empfindungen, die er dem Isispriester dankte.

[197] Das Verlangen, von den unbegreiflichen Dingen, die er vernahm, mehr zu hören, benahm ihm, wenigstens vor der Hand, die Neigung zur Flucht, und gab der Schwester und dem Bruder Zeit seinem Herzen näher zu treten, und ihm die Augen über Dinge zu eröffnen, die wohl auch Euch, meine Zuhörerinnen, noch ein Räthsel seyn werden.

Die Zeit der Lösung dieser Räthsel war gekommen, und nichts hinderte den Weisen, seinem königlichen Freunde die Augen zu öffnen.

Also konnte Pharao wirklich glauben, fuhr Oarsiph fort, daß der Mann, der ihm soviel dankte, der Mann, der auf geprüfte Redlichkeit trotzen kann, der Diener des wahren Gottes ihn betrügen könne? Nein, Amenophis! dein Oarsiph war treu! aber du gingst in heimlichen Banden verborgener Verräther. Gehe in die Geschichte deiner Väter zurück, und forsche, ob sie nicht Jahrhunderte lang Spielwerke heimtückischer Priesterlist waren? Herrschen wollte jener verrätherische Oberpriester von Memphis, dem nur der von Heliopolis die [198] Wage halten konnte, du bekleidetest mich mit dieser Würde, die meinem Glauben so ungemäß war, und die ich nur aus der Ueberzeugung annahm, Macht würde mir zu deinem Vortheil einst nöthig seyn. – Herrschen wollte jener Treulose, darum sah er es gern, daß dein edler Ahnherr Thonis dem Throne entsagte, darum schmeichelte er den Tyrannen Cheops und Chephres, und handelte ihren Grausamkeiten nie so entgegen, als er gekonnt hätte, darum lockte er die schöne Suchis und den zärtlichen Mycerin, durch die stärkste der menschlichen Eigenschaften in selbst gebaute Gräber, und raubte ihnen, indessen er ihrer Liebe schmeichelte, Kron und Thron. Die Verblendeten beteten ihn an als ihren Wohlthäter, als den Schöpfer ihres Glücks, und der Boshafte lachte ihrer Einfalt, die so willig Freuden, die sie ohne ihn hätten haben können, wenn sie standhaft und vorurtheilfrey gewesen wären, mit ihrem ganzen All bezahlten.

Der schlaue Staatsmann sahe es für gut an, als Pharao Mycerin von seinem [199] Traum zu erwachen begann, ihn durch langsames Gift zur ewigen Ruhe zu befördern. Der Bösewicht! er wird es nie wagen, die heilige Halle zu betreten, wo das Blut des großen Todten wider ihn um Rache schreyt! Diese Furcht ward das Mittel, die Vermächtnisse deines Vaters, dem am Rande des Grabes die Augen völlig aufgingen, unverletzt in deine Hände zu bringen. Sie leiteten dich zur Erklärung dieser Geheimnisse, die dir sonst ewig verborgen geblieben seyn würden; ewig hättest du in jenen Gräbern schmachten müssen; die Macht des Verräthers hätte endlich auch mich überwunden, und du wärest gänzlich verloren gewesen, hätte nicht göttlicher Muth dich begeistert, deine Fesseln endlich zu zerbrechen.

Als ein Kind wurdest du auf Veranstalten des Feinds deines Hauses aus den Pyramiden gelassen und auf den Thron gehoben, er fand es bequem, unter deinem Namen zu herrschen, und gab deinem Charakter eine Bildung, die dich ewig unter seiner Vormundschaft erhalten mußte. Deine Verbindung mit mir machte ihm bange, [200] und er eilte so sehr als möglich, deine Sehnsucht nach Kenntniß deines Ursprungs zu nützen, und dich in die Pyramiden zu verschließen, ehe ich dich heller sehen lehrte.

Ich selbst tappte damals noch zum Theil im Dunkeln. Ich ward auf gewisse Art Mitwirker zu den Absichten deines Feindes. Ganz ohne Wohlgefallen des höchsten Herrn im Himmel geschah es doch wohl nicht, daß Amenophis, der das Zepter nicht zu führen wußte, genöthigt ward, es eine Zeitlang niederzulegen, ganz ohne seine Schickung war es doch wohl nicht, daß Oarsiph indessen Zeit gewann, seinem gedrückten Volke empor zu helfen, und es zu wichtigen Dingen vorzubereiten, die ihm unter künftigen Pharaonen bevorstehn!

Selbst blind und willenlos war ich hier anfangs, blos ein Werkzeug verborgener Macht. Ich betrauerte meinen Amenophis als einen Todten, bis heilige Gesichte mir eröffneten: er lebe, er werde einst wiederkehren, und ihm müsse ich Kron und Thron gegen die Macht seines Widersachers, den ich immer besser kennen lernte, erhalten.

[201] Dir ist besser bekannt als mir, was dieser Mann noch heute gethan hat, die nahe Entwickelung des Gewebes seiner Bosheiten zu verhindern. Indessen er, wie es scheint, mit vielem Glück bemüht war, den Anführer eines Heers von dreymalhunderttausend Mann zur zaghaften Flucht zu bewegen, hatte die treue Möris sich schon in meine Arme geworfen, und mir gesagt: Lege die Waffen nieder, Oarsiph! es ist Amenophis, dein König, dein Bruder, der Sohn der großmüthigen Suchis die dein Leben rettete, welchem du feindlich begegnen willst!

Die Wirkung dieser wenigen Worte siehst du in dem, was ich jetzt thue, da ich dir eine Krone, ein Zepter zurückgebe, die nur für dich von diesen treuen Händen aufbewahrt wurden. Nimm es hin, o Pharao! besteige deinen Thron von neuem, führe deine Mutter auf die glänzende Stelle, die ihr gebührt. Sie lebt! o Himmel, sie, die auch meine Mutter ist, lebt, und ich werde sie wieder umarmen!

[202] Was soll ich Euch noch weiter sagen, meine Zuhörerinnen? Oarsiphs Worte machten den Eindruck auf Pharao Amenophis, der sich denken läßt! Er lag dankend in den Armen seines treuen Freundes, er trug von neuem die Krone von Egypten, die kein Vorurtheil des Volks, das ihn liebte, bestritt. Niemand kannte das Geheimniß seiner Geburt auf eine nachtheilige Art; und das räthselhafte Sinnbild derselben, ein Werk des Isispriesters, blieb jedermann ein Räthsel.

Der verrätherische Oberpriester erlebte die Entdeckungen seiner Bosheiten nicht, ein Dolch von eigner Hand geführt, endete sein ränkevolles Leben, welches vor dem Schwerd der Gerechtigkeit indessen sicher gewesen wär. Wie hätte Amenophis, der Testamentsworte seines Vaters: Rüge nicht das, dem du dein Leben dankst! vergessen, wie hätte er seine Mutter kränken können, die bis an den Tag ihres Todes nicht aufhörte, dem Verräther, den sie ihren Freund nannte, die seligen Stunden der Liebe zu verdanken, die sie mit [203] Mycerin in den Pyramiden verlebt hatte. Sie verehrte sein Andenken als das Andenken des Schöpfers ihres Glücks. Um ihr zartes Gefühl zu schonen, hatte man ihr freylich nicht gesagt, daß sie diesem Bösewicht auch die kurze Dauer derselben danke.

Suchis zog die ewige Trauer am Grabe ihres Gemahls dem Glanze des Throns von Egypten vor, auf welchen sie ihr Sohn wieder zurück führen wollte. Sie und Mycerin verdienen die Ehre, in unsern Liedern der Liebe noch jetzt allen Liebenden zum Muster vorgestellt zu werden.

Die Söhne der treuen Königinn, Amenophis und Oarsiph besuchten sie fleißig in den stillen Gegenden ihres Schattenreichs. Die Hirten aus Palästina verließen das Land, wo ihre Hülfe zu Unterdrückung der Tyrannen nicht mehr gebraucht wurde. Pharao gab dem Volke seines Freundes Städte und Landschaften ein, er löste ihre Ketten und ließ sie [204] das Mark des Landes essen. Die Zeiten ihrer Urväter Jakobs und Josephs kehrten ihnen wieder, bis Amenophis die Augen schloß, und künftige Pharaonen durch neue Bedrückungen Anlaß zu Begebenheiten gaben, deren Erzählung nicht in ein Mährchen gehört.

Fußnoten

1 Dieses, dem Typhon geweihte Thier, wurde in verschiedenen egyptischen Namen verehrt, und in der hier genannten Stadt hatte es Tempel und Altar. So wie der Stier Apis, die Gottheit des Osiris vorstellte, so nahm hier ein gezähmtes und mit unschätzbaren Kleinodien geschmücktes Krokodil, Suchis genannt, die Opfer und Anbetungen an, die man dem bösen Urwesen brachte.

2 Die kleinen Pyramiden zu Dsyse sollen diesen beyden Königinnen zu Ehren erbaut worden seyn.

3 Der Oarsiph, welcher bey den Alten in der Geschichte des Pharao Amenophis genennt wird, ist wohl kein andrer, als Moses.

4 Deutung des Namens Mycerin.

5 Diese sonderbare Flucht erfolgte, nach den Zeugnissen der alten Fabeldichter wirklich, und der gewissenhafte König kehrte nicht ehe, als nach Verfluß jener dreyzehn Jahre aus Aethiopien zurück, um den Thron von neuem zu besteigen.

[5] Vierter Theil

Es ist unmöglich, meine Schwestern, Euch alle Geschichten mitzutheilen, mit welchen ich ein Jahr lang das Haus der hohen egyptischen Dame unterhielt; sie verfehlten ihres Endzwecks selten, das ist, sie ermangelten niemals, Heiterkeit zu verbreiten, und Langeweile zu vertreiben; dies waren die Würkungen, die ich von ihnen wünschte, Nebenzwecke hatte ich mir nie vorgesetzt, es müßte denn dieser gewesen seyn, welchen selten ein Mädchen, am wenigsten eine Almé, ganz verläugnen kann, der Wunsch zu gefallen, zu interessiren, die günstigen Meynungen, die ich von mir selbst hegte, auch auf andere überzutragen.

[5] Auch dieses mislang mir nicht. Was meine Erzählungen jenseit dieses Ziels ausrichteten, das wußte, das merkte ich nicht; in unbefangener schuldloser Einfalt ging ich meinen Weg, ohne die Augen auf die rechte, oder die linke Seite zu richten.

War dies eine Handlungsweise, die der klugen Almé Ehre machte? Ach, meine Nachfolgerinnen, nur zu wahr ist es, daß wir Wissenschaften, daß wir tausendfache Talente, ohne ein Körnchen wahre Lebensklugheit, besitzen können! Wir, besonders wir sogenannten Almées, schweifen unabläßig in fremden Regionen umher, ohne den Weg unter unsern Füßen zu kennen. Wir schildern die Thaten anderer mit den treffendsten Zügen; was wir selbst thun, oder thun sollten, das überlassen wir dem Zufalle, oder der truglosen Redlichkeit, die, wir sind es uns bewußt, in unserm Herzen wohnt. Doch, dies ist nicht genug, um [6] in einer Welt wie dieser fortzukommen: Eure Almé, ihr Lieben, hat es erfahren. Lang ging sie in dem Traume, den sie Euch geschildert hat, bis sie auf einmahl an einem Abgrunde stand, den sie, ach so leicht, hätte vermeiden können! bis der Wirbellauf fremder Schicksale sie mit dahin riß, und die Flecken fremder Vergehungen sie so dicht überdeckten, daß sie fast an ihrer eigenen Unschuld hätte zweifeln mögen.

Alles dieses betraf die arme Rusma. Ihr sollt die Geschichte davon hören. Diese Blätter werden in Zukunft weniger von den Fabeln enthalten, mit denen ich mich bey der großen Termuthis und ihren Töchtern empfahl, als von den eigenen Unglücksfällen der Erzählerin.

Noch zur Zeit schien alles mir zu lachen, und es gab der Dinge nur wenig, die mich befremden, oder beunruhigen konnten. Die [7] Zuneigung der Dame des Hauses schien ehe zu wachsen, als abzunehmen. Zaide, oder Hermunthis, wie ich sie nennen mußte wenn wir allein waren, liebte mich fast zu heftig für meine Ruhe, und ihre Busenfreundin die fremde Almé, fiel mir durch die Zudringlichkeit, mit welcher sie täglich meine Einsamkeit störte, noch beschwerlicher.

Daß die stolze Ameßes mich haßte, weil ich in einer meiner Fabeln, ihrer hohen Abkunft, unwissend, einen Flecken angehängt hatte, das war mir gleichgültig. Etwas empfindlicher fiel es mir, daß Zaidens Schwester, die stille sanfte Pamylia, sie, die so ganz zur Freundin für mich geschaffen zu seyn schien, mich flohe, mich mit einer Art von Verachtung ansahe. Auch hätte ein ganz eigener Ton, welchen Iphis und die junge Sclavin Nephtis seit einiger Zeit gegen mich angenommen hatten, mich beunruhigen können; sie schienen mich jetzt [8] mehr zu fürchten und weniger zu lieben, besonders die letzte. Iphis winkte mir oft bey den unbedeutendsten Schritten, die ich that, mit ernster Miene das Wort Behutsamkeit zu, und fragte ich nach der Ursach, so war Stillschweigen die Antwort.

O, ich errathe dich, Iphis! sagte ich zu mir selbst, ich weis, was du meynst, auch fühle ich meine Gefahr in einem Punkte und zittre; doch eben dieses Zittern wird mich nicht sinken lassen, es bürgt dir für meine Klugheit und Tugend.

Dieser Gegenstand, auf welchen ich die Warnungen der klugen Iphis deutete, dieser Gegenstand, der mich zittern machte, ach, soll ich ihn nennen? – Ja, zum ersten mahle entschlüpfe mir der theure Name Menes, den ich so oft in meinem Leben, als den Namen meines Geliebten, meines Gemahls, meines sichtbaren Schutzengels [9] nennen sollte, und den ich mir damahls kaum zu denken getraute.

Menes, Menes war es, den ich gesehen hatte, den ich seit einiger Zeit oft, nur zu oft, für meine Ruhe sahe, und der mit jedem Anblick, mit jeder neuen Probe heimlicher schlecht verhehlter Liebe, die er mir gab, das Feuer vermehrte, das in meinem schuldlosen Herzen zu glimmen anfing.

Iphis hatte dies gewünscht, hatte es herangearbeitet; fast lies es sich nicht denken, daß sie mich durch jene Worte in dieser Rücksicht warnen wollte.

Menes hatte soviel von mir gehört, daß er mich endlich einmahl zu sehen wünschte; fast unmöglich wäre dieses bey unserer Landessitte und den strengen Regeln des innern Pallastes gewesen, hätte nicht Iphis, um die Wünsche ihres gewesenen Pfleglings zu begünstigen, unsere Verwandschaft geltend zu machen gewußt. Wir hatten beyde einerley [10] Milch getrunken, Iphis war unserer beyder erste Ernährerin gewesen, dies führt in den Ländern des Nils geschwisterliche Rechte mit sich. Menes und Rusma waren Bruder und Schwester, sie durften, durften sich sehen, durften zuweilen sogar einige Worte wechseln; die Gesetze des Wohlstands untersagten es nicht, Termuthis sahe nicht sauer dazu, Zaide lächelte und Pamylia schwieg.

Unsere Gespräche betrafen meistens die Lieder, die ich sang, die Geschichten, die ich erzählte. Menes war sinnreich genug, hier immer etwas zu finden, das er mir vor tausend Zeugen sagen konnte, und das ich, ohne vorhergegangene Verabredung allein verstand; o des süßen heimlichen Einverständnisses schuldloser Liebe! wer dieses nicht kennt, wer es nicht zu nutzen weis, der bilde sich nur nicht ein, würklich zu lieben.

[11] Meine Antworten auf die Reden des Prinzen waren kurz und voller Zurückhaltung, gern hätte ich ihm mehr gesagt. Ein Weg blieb mir offen, ihn, ohne Beleidigung der Klugheit und sittsamer Zurückhaltung, einen tiefen Blick in mein Herz thun zu lassen: meine Geschichten. Doch, konnte ich diese nach meinem Willen wählen? – Ach, mich fesselte der Befehl meines Vaters! ich durfte nicht von der heiligen Ordnung der geweihten Blätter abweichen, und oft traf sichs, daß ich ein unglaubliches Priestermärchen recitiren, oder die Schlachten des Königs Osymandias singen mußte, wenn mir die Geschichte der Hirtin Omphis und des großen Phta, oder eine andere schöne auf unsern Zustand passende Historie lieblich vorschwebte.

Der Himmel weis es, was es mir für Ueberwindung kostete, dem Verlangen des weisen Sopher treu zu bleiben, das mich [12] unauflöslich an die Blätterfolge seines Buches band; doch ich besiegte jede Versuchung, und schuldlos bin ich an dem, was ich Euch sogleich mittheilen will.

Nicht ohne Kummer bemerkte ich seit einiger Zeit eine Verrückung der Blätter meines Buches. Ich wußte oft ganz genau, was für eine Geschichte folgen mußte, und ich war genöthigt, eine andere, welche die nächste war, zu erzählen. Ich würde geglaubt haben, verwegene Hände künstelten an meinem Heiligthume, hätte ich es nicht unter sieben Schlössern verwahrt gehalten, und wär mir es nicht überdem bekannt gewesen, daß hier niemand die heilige Bilderschrift verstehe, in welcher es abgefaßt war.

Die hierin unter diesen Leuten herrschende Unwissenheit, machte mich oft zu lachen, und ich gerieth mehrmahls mit der Prinzessin Zaide und ihrer Almé in einen Streit, [13] welcher fast ernstlich zu werden drohte, und der eben dieses Buch zum Gegenstand hatte.

Zaide war die Einzige, welcher ich es je erlaubt hatte, mein Heiligthum anzurühren; sie hatte sich zu dieser Gunst fast zugedrungen, und was noch schlimmer war, auch ihre Freundin zur Theilnehmerin derselben zu machen gewußt.

Sie und die fremde Almé, die ich, im Vorbeygehen gesagt, nie mit Zaidens partheyischen Augen ansehen konnte, und deren Anblick mir allemahl eher Furcht und Widerwillen, als Freude und Zuneigung, einflößte, überraschten mich eines Abends, als ich eben im Begriff war, mich zu einer Privataudienz bey der großen Termuthis, dergleichen ich oft hatte, vorzubereiten.

Mein Buch, das ich eben vor mir hatte, war der Gegenstand einer zweystündigen Unterredung zwischen uns dreyen; einer Unterredung, [14] von welcher ich nur den Schluß hersetzen will, damit Ihr sie, wenn Ihr es in der Folge der Geschichte für nöthig finden solltet, wieder zu Eurer Belehrung hervorsuchen könnt. Mir war sie damahls so unverständlich, als sie Euch bis dahin seyn wird.

Was wollt ihr endlich von mir, ihr beyden Quälerinnen? schrie ich, indem ich mich von Zaiden und ihrer Freundin, davon die erste mich in ihren Armen hielt, die andere meine Knie fest umfaßte, loszumachen strebte. Was wollt ihr? Sehet, die Mitternacht naht heran, und noch weis ich nicht, zu welchem Endzweck euch die Abenddämmerung zu mir brachte.

Zaide. Rusma, dich zu bitten, zu beschwören – –

Rusma. Um was?

Die Fremde. Ganz unsere Freundin zu seyn!

[15] Rusma. Bin ich es nicht? Sehet, in diesem Cirkel hat sich unser Gespräch nun all diese Zeit über gedreht, ohne weiter zu kommen! Noch einmahl: Kann ich erfahren, was ihr verlangt, und denn das Ende sehen?

Die Fremde. Das wüßtest du nicht?

Rusma. Nein! nein! nein! zum tausendsten mahle, Nein!

Zaide. Du wirst unwillig! – O du bist sonst so sanft, so milde, erspare uns doch Worte, deren wir bey der weisen Almé Rusma überhoben seyn können!

Die Fremde. Du darfst ja nur dein Buch aufschlagen, um alles zu wissen, was dir ohnedem nicht unbekannt seyn könnte, und was sich, ohne Zauberey, leider hier schon so manchem verräth.

Zaide. Sie schweigt! Sie wird uns hören!

Rusma. Ich schweige aus Ueberdruß!

[16] Zaide. Nein, dein Schweigen ist Geständniß: unser Geheimniß sey kein Geheimniß für dich.

Rusma. Nun so nehmt meinetwegen an, es sey so; was dann hernach?

Die Fremde. Dann eine Bitte: durch deine Wissenschaften, durch die Kräfte deines Buches – – –

Zaide. Nein! die Bitte nicht! erst die Frage! – –

Die Fremde. Die Frage? Jetzt noch eine Frage?

Rusma. Beym Himmel, das ist unausstehlich! – Vereiniget euch! und zwar du, Hermunthis, rede zuerst!

Zaide (feyerlich). Almé Rusma, ich beschwöre dich bey deinen übernatürlichen Kenntnissen, von welchen die ganze Leitung unsers Schicksals Zeuge ist, bey dem Andenken des weisen Sophers, bey deinem wundervollen Buche: sage mir, ists recht, daß ich diese Hand – (sie hielt die Hand der [17] fremden Almé) – in die meinige lege, und hiermit betheure, sie nie zu lassen?

Rusma. Sie ist deine Freundin; hat sie dich beleidigt, daß du ihr die Treue aufkündigen willst?

Die Fremde. Hermunthis! Hab' ich das?

Zaide. Nein!

Rusma. Nun, so laß ihr, was du ihr gabst; ich begehre nicht Störerin eines Bundes zu seyn, den ich zwar vielleicht nicht gestiftet haben würde.

Die Fremde (mir zu Füßen). Himmlische, himmlische Seele! dies erwartete ich von dir!

Zaide (mich umarmend). Siehst du, Rusma, nun gestehst du, daß du unser bist? warum dieses lange Sträuben, das uns so viel, so kostbare Minuten kostete?

Die Fremde. Und nun die Bitte: Laß uns nicht allein auf dem Wege, der dir bekannt ist! Denk an die Geschichte des treuen Pythicus, um deren Wiederholung wir dich gern bitten möchten, denk an Mycerin und [18] Suchis, denk an die Pyramiden von Dsyse! Nütze die Kräfte, die dir das Schicksal verlieh, uns –

Ich konnte mich hier nicht entbrechen, der fremden Almé ins Wort zu fallen, und sie zu bitten, mir ihre wunderlichen Dinge ein andermahl vorzutragen, und sich mit der Prinzessin jetzt eilig zu entfernen. Ich war bestellt, diese Nacht, die große Termuthis, wie oft geschah, in den Schlaf zu schwazzen. Schon sah ich die Sclaven, die mich abholen sollten, mit ihren Fackeln über den Marmorhof kommen. Es war wider die Regeln des innern Pallasts, in der Mitternachtsstunde noch Besuch zu haben, und Zaide und ich würden einem strengen Verweis nicht entgangen seyn, wenn man mich nicht einsam getroffen hätte.

Meine lästigen Besucherinnen waren auf meine Warnung, wie weggehaucht aus meinem Zimmer. Nur Zaide kehrte auf einen Augenblick, wie im Fluge, zurück, und [19] rief mir zu, den Namen Hermunthis nicht zu vergessen. Ich begriff nicht, was sie hiermit meynte, und ging den Fackelträgern entgegen, höchst unzufrieden, mit den verschwendeten Stunden, die ich, hätte man sie mir nicht geraubet, angewendet haben würde, die Geschichte von der Flucht der Prinzessin Nitokris, welche, wie ich gewiß wußte, auf die Letzterzählte folgen mußte, in meinem Buche zu suchen. Dies war zu spät, ich sahe mich genöthiget, der Dame diejenige vorzutragen, die mir das Schicksal in die Hand gespielt hatte, und die ihr sogleich lesen werdet.

[20]

Sam und Siuph, oder die Rache.

Sam war der unglücklichste unter allen Königen Egyptens. Der Perser Kambyses nahm ihm seine Krone, beschimpfte die Asche seiner Väter, raubte ihm seine Götter, entführte seine Weiber, tödtete seine Kinder, und lies ihm nur darum das Leben, weil er fühlte, daß der Tod eine Wohlthat für ihn gewesen seyn würde. Bey der Fülle des Elends, das wohl nie in solchem Maas über einen Sterblichen ausgegossen ward, hatte Sam keine Thräne für sich, keine für die erhabenen Leidenden, die seinem Herzen am nächsten waren. Groß und unerschüttert, ein Fels in Ungewittern stand er da, seine Standhaftigkeit spottete des Sclaven auf dem Throne, der vergebens strebte ihn zu[21] demüthigen, und er – – war und blieb ein König, mitten unter den Fesseln, die ihn zu Boden drückten.

Erst dann, als sein unermüdeter Peiniger anfing, seine Wuth an den treuen Dienern seines Ueberwundenen auszulassen, erst dann, als Egyptens König sahe, daß er zu schwach war, denen zu helfen, die ehemals ihm alles aufopferten, und nun den kargen Lohn ihrer Treue, Schutz und Rettung im Elend, vergebens von seinen gefesselten Händen erwarteten, erst dann brach sein Herz, und der persische Tyrann sahe des Helden erste Thräne.

Die Geschichte sagt, daß diese Thräne es war, die Sams Henker entwaffnete, und ihnen das Mordschwerd aus der Hand wand. Nur sehen wollte Kambyses, daß sein Ueberwundener kein Gott, daß er ein Mensch sey, um ihm Menschlichkeit zu zeigen, und man könnte sagen, Egyptens unglücklicher König habe nun Milde und Schonung erfahren, wenn Milde und Schonung für den noch möglich gewesen wäre, der alles verloren hatte.

[22] Sams unerschütterter Muth, oder wie seine Feinde es nannten, sein Starrsinn, der lieber alles dulden, als sich demüthigen wollte, hatte indessen doch einen Vortheil für ihn gehabt. Zwölf seiner jüngsten Söhne, die in dem Tempel des heiligen Stiers, nach der Weise der egyptischen Herrscher, ihres Standes unbewußt unter andern Kindern erzogen wurden, hatte man nebst ihren Gespielen nackend und gefesselt vor dem gequälten Vater übergeführt; man wußte, daß sie sich unter den jungen Unglücklichen befanden, die man aus der Sicherheit des Tempels gerissen hatte; man kannte sie nicht; man hoffte, eine väterliche Thräne würde sie verrathen, aber es ist schon gesagt worden, daß ihr Elend für Sams Thränen zu groß war, und daß diese erst auf geringere Veranlassung flossen.

Sams Söhne blieben unentdeckt, und da jetzt Milde und Schonung in dem Herzen der Tyrannen Platz zu gewinnen schien, so führte man sie nebst ihren Gespielen nicht zum Tode, wie vielleicht sonst, um den Streich, der Egyptens Königsstamm ausrotten [23] sollte, nicht zu verfehlen, geschehen seyn würde, sondern man hatte die grausame Barmherzigkeit, sie ihren Banden zu entnehmen, und sie nackend und hülflos ihrem Schicksale zu überlassen.

Unter diesen zweyhundert Knaben, deren keiner noch das zwölfte Jahr überschritten hatte, waren wenige, die in den damahligen schrecklichen Zeiten, da ganz Egypten im Blute schwamm, auf väterlichen Schutz hätten Anspruch machen können. Die Eltern dieser geschonten Kinder waren größtentheils nicht mehr, und die, welche durch Zufall der Wuth des Tyrannen, der alles geschlachtet hatte, was am memphitischen Hofe groß und edel war, entgangen seyn mochten, kannten ihre Kinder so wenig, als sie von ihnen gekannt wurden. Auch die Priester des Apis, die Verwahrer der heiligen Geheimnisse, waren nicht mehr, und niemand konnte also den kleinen Verlassenen Anleitung geben, wo sie etwa Recht und Hoffnung hatten, Zuflucht zu finden.

[24] Wieviel von diesen dem Schwerdt entflohenen Kindern, dem Hunger oder dem Elend zum Opfer wurden, gehört nicht hieher; aber Sams Söhne dürfen wir nicht aus den Augen lassen. Sie schienen ein vorzügliches Augenmerk der schützenden Gottheit zu seyn, die sie zu bessern Tagen aufbewahrte; ein alter Priester des Apis, der sie vorzüglich unter seiner Aufsicht gehabt hatte, lebte noch, und war glücklich genug, sie aus dem Haufen der freygelassenen Unglücklichen, der sich hier und dahin zerstreute, um hie und da den Tod oder Rettung zu finden, nach und nach zusammen zu bringen. Er sammelte sie in der Verborgenheit eines Palmenwäldchens, in welchem er seine Zuflucht gefunden hatte, und brachte sie, als erträglichere Zeiten eintraten, als der Tyrann anfing, mehr auf Schonung des eroberten Landes, als auf neue Grausamkeiten bedacht zu seyn, in den Tempel des Phtah, wo Ruhe bis zum Jünglingsalter den Unterricht begünstigte, den sie im Heiligthum der reinsten Gottheit der Egyptier finden konnten.

[25] Ich sehe Befremdung in den Augen der großen Termuthis, daß ich das Feuer der Sonne vorziehe; aber gewiß ists, daß selbst die Geheimnisse des großen Osiris den Nachkommen ihrer ersten Verehrer nicht so rein und unverfälscht erhalten wurden, als der Dienst jenes Elements, das durch die ganze Natur verbreitet, selbst der Sonne Licht und Wärme giebt. Es ist mir nicht erlaubt, mich hierüber näher zu erklären, und ich gehe zu jenen zwölf jungen Unglücklichen zurück, die an der Hand des weisen Arueris, so hieß der Erhalter dieser Verlassenen, bald vergaßen, daß außer den Mauren ihres Tempels, noch eine andre Welt vorhanden sey; erinnerten sie sich je derselben aus den wenigen Schritten, die sie am Triumphtage des persischen Tyrannen in dieselbe gethan hatten, so konnte diese Erinnerung nicht anders als unangenehm seyn, und sie ward daher bald unterdrückt; in den zarten Seelen der kleinsten dieser Unmündigen, konnte die rauhe Behandlung, die sie erfahren hatten, der Weg über Blut und Leichen, das Geschrey, die Verwirrung, welche damahls überall herrschte, nur widrige [26] Eindrücke zurückgelassen haben. Prinz Siuph, der älteste unter seinen Brüdern, ein zwölfjähriger Knabe, welcher durch Verstand und tiefes Gefühl noch einige Jahre über sein Alter voraus hatte, empfand beym Andenken an jene Scenen noch mehr; ihm war das Bild des großen leidenden Sam, des Königs in Fesseln, des Helden, der übermenschliche Kräfte äußerte, um nicht zu sinken, da alle Stürme irdischer Qualen auf ihn eindrangen, unvergeßlich; ihm flossen tausend heimliche Thränen, ihm tönten Seufzer der Nachahmung, und Wünsche der Rache; so wollte Siuph einst leiden, wären ihm Leiden wie Sams bestimmt; rächen wollte er ihn, wär ihm die Macht und Gewalt verliehen, von welcher oft ein dunkles ahndendes Bild durch seine Seele flog.

Siuph kannte den unglücklichen König von Egypten nicht als seinen Vater; blos Stimme der Natur war es, was hier in seinem Herzen sprach; er verstand ihn nicht, den heiligen Ruf, und blieb nebst seinen andern Brüdern in dem Wahn, der weise Arueris sey sein Vater. So wuchsen die Knaben [27] heran, bis Begebenheiten sich ereigneten, welche, da sie schon anderwärts beschrieben sind, nur im Fluge von mir erwähnt werden dürfen.

Arueris erzog nebst den jungen Prinzen noch einen andern Knaben von ihrem Alter, welcher ihn gleichfalls Vater, und seine zwölf Gespielen Brüder nannte. Arueris duldete dieses ungern; er sagte ihm, was er jenen nie sagte, daß er keine väterlichen Rechte auf ihn habe, und drohte oft, ihm den glorreichen Namen Sam, den er führte, zu nehmen, wenn er nicht aufhöre, sich mit seinen zwölf Gespielen, die von der Gottheit zu großen Dingen bestimmt seyen, in eine Klasse zu setzen.

Diese Worte fruchteten wenig mehr, als daß Sam seinen Wahn in seinem Herzen verschloß. Warum sollte er aufhören, die für seine Brüder zu halten, die ihn brüderlich liebten, und sich vom ersten Hauch des Lebens an, lange vor dem persischen Einfall, als Sam mit einer viel größern Anzahl von Gespielen im Isistempel erzogen [28] ward, vor allen andern brüderlich mit ihm verbunden hatten. Was die Beraubung des Namens Sam anbetraf, so wußte er, daß er ihn von jeher geführt hatte, daß er also sein Eigenthum sey, und noch dazu ein Eigenthum, auf welches er keinen Werth setzte, das er also willig mit jedem andern würde vertauscht haben; dieser Sam hatte nicht Siuphs Gefühle, dem alles heilig war, was eine Beziehung auf den letzten unglücklichen König von Egypten hatte.

Die Zeit kam nun heran, da der persische Tyrann es unleidlich fand, den Mann, dem er alles geraubt hatte, lebend zu wissen. Aus mancherley Ursachen hatte er dem großen Sam noch die letzte Wohlthat, den Tod, versagt; jetzt erwachte sein Grimm gegen ihn aufs neue, er ward aus seinem Kerker gezogen, und man hätte des Vorwands heimlich von ihm angerichteter Meuterey nicht nöthig gehabt, um den Schwerdstreich zu rechtfertigen, welcher ihn eines leidenvollen Lebens entnahm. König Sam starb gern, seine Freunde, die ihn sterben sahen, freuten sich seiner Befreyung,[29] und nur seine Feinde gingen in düstrer stummer Verzweiflung vom Richtplatz. Die Seele des Gottlosen hat ein eignes Gefühl, ein ewiges unveräußerliches Ueberbleibsel ihrer himmlischen Abkunft, vermöge dessen sie jeden weitern Schritt zum Abgrund, jedes neue Siegel, das ihrer Verworfenheit aufgedrückt wird, mit heimlichem Schaudern fühlt. Der mächtige Verbrecher sagt sich in solchen Augenblicken klar und deutlich, was sonst niemand ihm sagen dürfte, und fällt sich ein Urtheil, in dessen Bestätigung vor dem obersten Richterstuhl, dereinst alle Kräfte seiner zitternden Seele einstimmen werden.

An dem düstern, gedankenvollen Tage, welcher Egypten seinen letzten guten König nahm, hatte Arueris seine zwölf Pflegesöhne zu besondern heiligen Gebräuchen im innersten Tempel des Feuers versammelt; auch der Namensträger des großen Mannes der heute starb, auch der junge Sam, dessen wir vorhin gedachten, fehlte nicht unter seinen Gespielen.

[30] Er hatte seit einiger Zeit Ursache, sich noch unzertrennlicher von ihnen zu halten, als je zuvor. Im Tempel ging eine dunkle Rede unter den Priestern: Arueris Pfleglinge wären Egyptens Thronerben, und obgleich Sam seit dieser Zeit sehr gern aufhörte, sich für den Sohn seines Pflegevaters zu halten, so schloß er sich doch desto fester an die Prinzen, als seine Brüder, an. Die Ursache seines Verfahrens in tiefes Schweigen zu hüllen, war er sehr wohl gelehrt. Verschwiegenheit lernt sich nicht besser, als in den Göttertempeln; auch war er schon einst wegen zu freyes Geständnisses seiner Gedanken bestraft worden.

Es war Nacht, als Arueris sich mit der kleinen Anzahl seiner Lieben in einer der innersten Hallen des Tempels versammelte. Einem Klagopfer, dem Schatten des großen Todten geweiht, der heute verblich, folgten feyerliche Gelübde, der Tugend und dem reinen Dienst des Hephästos ewig treu zu bleiben, und den Schluß machte die Entdeckung des großen Geheimnisses von der Geburt, und den Ansprüchen der jungen Prinzen.

[31] Nein, meine Kinder, rief Arueris, ihr seyd nicht meine Söhne! eine höhere Abkunft ruft euch zu höhern Pflichten; es ist Zeit, diesen Tempel zu verlassen, und sie zu üben. Nicht Rache ists, was König Sams Schatten von Euch fordert, jene reine Seelen dort über den Sternen, durch himmlisches Feuer geläutert, fodern nicht von uns den Untergang ihrer Beleidiger, aber sie fodern Beglückung derer, die ihnen lieb waren; kann denn diese nicht ohne jene bewürkt werden, wohlan, so fallen die Tyrannen, aber nicht als Opfer der Rache, sondern der Gerechtigkeit; so werde Egypten gerettet, so falle auch der persische Tyrann, weil eines das andere nach sich zieht.

Arueris Rede und Unterricht an die Prinzen dauerte noch lange, und verbreitete sich über alle Theile des künftigen Verhaltens, das ihnen nöthig seyn würde, und Sam drängte sich dichter in ihren Kreis, um sich alles dessen, was hier gesagt und vorgenommen wurde, desto gewisser theilhaftig zu machen. Er wußte sehr wohl, daß nur zwölf egyptische Prinzen vorhanden [32] waren, und daß also unter der Zahl von dreyzehn Personen, die sich hier versammelt hatten, einer ausfallen müßte; aber dieser eine mochte und wollte er nicht seyn, ob er gleich wissen konnte, daß kein andrer, als er, der überzählige war.

Am Ende schritt Arueris, der es nicht gewahr geworden war, daß sich hier ein Fremder in den heiligen Zirkel geschlichen hatte, zur Entscheidung: welcher unter den Prinzen, deren außer Siuph noch verschiedene dem Jünglingsalter nahe waren, das Schwerd wider den Tyrannen führen sollte. Opferschaalen wurden gebracht zum heiligen Trankopfer, bey welchen, so versprach es der Diener Hephästos, die Gottheit sich durch ein besonderes Zeichen erklären würde, welchen unter den Brüdern sie zum Heerführer wider den Tyrannen, zum Befreyer Egyptens erwähle. Ein jeder der Brüder nahm die seinige, und füllte sie mit dem heiligen Opferwein, den er in die Flamme ausströmte, nur für Siuph und den eingedrungenen Sam ward kein Gefäß gefunden, der Gottheit das Opfer zu thun.

[33] Sam, der nicht gewahr ward, daß es außer ihm noch einem von der heiligen Gesellschaft so gegangen war, stand beschämt, wie ein Verbrecher, und ertrug nicht Arueris treffendes, jetzt erst auf ihn gerichtetes Auge, indessen Prinz Siuph schnell sich erholte, und sich durch das, was er that, selbst die Stimme zum Haupt seiner Brüder gab. Er fand nichts besonders darin, daß man bey den Anstalten zum Opfer auf ihn nicht gerechnet hatte, auch war er nicht verlegen, was hier zu thun sey. Die Jünglinge waren von den ritterlichen Uebungen, die in dem Tempel des Phtah nicht verabsäumt wurden, sogleich zum Opfer geführt wor den; noch befanden sie sich in dem Kriegsgewand, und Siuph nahm sogleich den Helm von seinem Haupte, und bediente sich desselben statt der fehlenden Opferschaale. Die Glut wallte höher auf, und die Söhne Sams, die dieses als das versprochne Zeichen ansahen, sammelten sich jauchzend um ihren Bruder, ihm die Huldigung als ihrem Oberhaupte zu leisten, die er als der Erstgebohrne, Weiseste und Beste unter ihnen, ihrem eigenen Urtheil nach, so wohl verdiente.

[34] Ihr habt recht, meine Kinder, rief Arueris, als sich der fröhliche Tumult um Egyptens künftigen Retter geendiget hatte. Siuph ist der von der Gottheit Erkohrne; aber nicht weil die Flamme von seinem Opfer höher aufstieg, sondern weil er in dem wenigen, was er that, einen Beweis ablegte, daß er geschickt sey zu dem großen Werke. Weit entfernt, sich von dem anscheinenden Zeichen göttlicher Verwerfung, der fehlenden Opferschaale, muthlos machen zu lassen, goß er der Gottheit sein Trankopfer aus diesem Helm, der mit Lorbeern bekränzt, einst der Krone Platz machen wird; gleich entschlossen in den größten Verlegenheiten, gleich scharfsinnig in der Wahl tauglicher Mittel, wird er sich den Weg zum Throne bahnen, wird er dem seufzenden Egypten das persische Joch von dem Nacken nehmen, und den Völkern des Nils die Zeiten seiner ersten Götterkönige wieder bringen.

Als Arueris geredet hatte, sahe er sich um nach dem eingedrungenen Sam, um auch diesem einige Weisung wegen seiner Verwegenheit zu geben; allein er war verschwunden, [35] verschwunden nicht allein aus diesem Zirkel, sondern auch aus dem Tempel; alle Nachforschungen, die man in den folgenden Tagen seinetwegen anstellte, waren vergebens.

Meine Kinder, sagte der tiefdenkende Arueris, seltsame Bilder der Zukunft gehen vor meiner Seele über. Sams Schicksal wird sich einst wunderbar in das Eurige verweben; laßt uns dem Gott der Rache, dem furchtbaren Typhon, Opfer bringen, damit er das Unglück abwende, das vielleicht Egyptens künftigen Rettern droht, damit er vergangene Schulden abgebüßt seyn lasse, und nicht an den Kindern räche, was vielleicht der Vater verbrach.

Die große Termuthis erlaube mir den Priester des Hephästos, und die Prinzen ihrer Andacht bey den Altären der furchtbarsten Gottheit, unter allen Göttern Egyptens zu überlassen, und dem jungen Sam zu folgen, welcher, wie ich schon gesagt habe, nach dem Siegel der Verwerfung, das er bey König Sams Todtenopfer erhielt, sogleich [36] den Tempel verlassen hatte, um in der weiten Welt Schadloshaltung für das zu suchen, was er hier verlohren zu haben glaubte.

Die Empfindungen Sams, als er die Mauern des Tempels verlies, waren unaussprechlich. Sein Wahn, er könne mehr seyn, als man ihm erlaubte von sich selbst zu wissen, war seit einiger Zeit fest genug geworden, um alles zu überstimmen, was ihm von seiner niedrigen Herkunft bewußt war. Seine frühsten Erinnerungen verlohren sich in einer dunkeln Hütte, aber die Vorstellung, daß er demohngeachtet, sowohl als Sams Söhne, wenigstens so gut als Siuph, zum Throne gebohren seyn könne, war ihm durch geflissentliche Anhänglichkeit an den Gedanken, das Glück, welches ihn bisher in allem den Prinzen gleichgesetzt hatte, könne ihn nun hier nicht zurücklassen, so ungezweifelt geworden, daß er sie nicht ohne die heftigsten Schmerzen aufgeben konnte.

Er ging in den dunkeln Straßen der Stadt und weinte, und rang die Hände. [37] Also sie angenommen, und ich verworfen! sagte er zu sich selbst. Und warum eben sie? Sam hatte nur zwölf Söhne, das ist bekannt, vielleicht nur eilf, wie die Begebenheit beym Opfer fast zu beweisen scheint, aber warum mußte nun eben ich der Verstoßene seyn! Dieser Siuph, hatte er nicht gleiches Merkmahl der göttlichen Verwerfung? Die Kühnheit, mit welcher er sich den Göttern zum Trotz in die heilige Zahl eindrang, würde sie ihn ohne Begünstigung jenes falschen Priesters, der es nie redlich mit mir meynte, gelungen seyn? Ich stand beschämt, weil ich den Ausspruch der Gottheit ehrte; aber er, war er nicht eben sowohl verworfen als ich? und er soll siegen, blos weil er glücklicher ist, als der elende Sam, der nun von der ganzen Welt ausgestoßen, dem Tode entgegen geht, da er sein Leben nicht an dem Orte fortsetzen mag, wo seine Feinde wohnen!

Sam hatte seine Klagen nicht so heimlich ausgestoßen, daß sie ungehört hätten bleiben können. Sein Seufzen tönte durch die Stille der Nacht, und so einsam jetzt [38] zur Zeit des tiefsten Schlafs die Gegend war, wo er wandelte, so gab es doch einen, von dem er nicht unbemerkt blieb, und der sich schon seit einigen Minuten ihm genugsam genähert hatte, um keines seiner Worte zu verlieren.

Der junge Trauernde fühlte sich auf einmahl von Freundes Armen umschlungen, und Worte flüsterten ihm ins Ohr, die vielleicht das einzige Mittel waren, ihn vom Dahinsinken in völlige Verzweiflung zu retten.

Nein, mein Kind, tönte die freundschaftliche Stimme, du bist nicht verlassen, nicht verworfen, wenigstens nicht von mir. Den Sinn deiner Klagen verstehe ich zwar kaum halb, aber komm zurück in die heiligen Mauern, und öffne mir dein Herz, du sollst Tröstung finden. Und warum verließest du den Tempel ohne mir, wenigstens mir Kunde von deinem Entschlusse zu geben? Meynst du, unter den Dienern des heiligen Feuers sey blos Arueris für dein Wohl besorgt? er, gegen dessen Redlichkeit [39] du, wie es scheint, bereits Muthmaßungen hast? Komm mit mir zurück, ich will deine Gedanken hierüber auf eine Art aufklären, die dir deine bisherige Blindheit in diesem Stück unbegreiflich machen wird.

Der weinende Sam fühlte sich würklich in den Armen eines Bekannten, eines Priesters aus dem Tempel, den er eben verlassen hatte. Seine Thränen wurden durch den Trost, den man ihm zusprach, noch häufiger hervorgelockt, und sein Stöhnen wurde jetzt so laut, daß Besa, dies war der Name des mitleidigen Priesters, ihn auf die Seite führen mußte, damit nicht der Zufall noch irgend einen Theilnehmer seines Geheimnisses herbey zöge.

Besa führte den trostlosen Jüngling in ein verlassenes Gebäude, das am Wege lag; man durfte hier keine Aufmerker besorgen; ein steinerner Sitz an der Mauer nahm die beyden Freunde auf, und nachdem die unabläßig tönenden Klagworte Sams: Sie angenommen, und ich verworfen! deutlichern Erklärungen Platz[40] machten, so erfuhr Besa alles, was diese Klagen und diese Thränen hervorlockte.

Mein Sohn, sagte Besa, nach einem Stillschweigen, in welchem er das, was er gehört hatte, reiflich zu überlegen schien, das, was du mir offenbaret hast, ist mir keinesweges ganz neu; um deinen Ursprung weiß ich vielleicht bessern Bescheid, als irgend ein Mensch auf der Welt. Daß er königlich ist, beweißt dir der königliche Name, Sam, den nie ein anderer trug, als die Abkömmlinge der Herrscher Egyptens. O jener falsche Priester, jener Arueris, hatte wohl Ursach, dir einst mit Beraubung dieses Namens zu drohen! Freylich, würde er dir in ihm, das vorzüglichste, ach, daß ich es sagen muß! das einzige Document geraubt haben, das uns von deiner Herkunft übrig ist. Verlange jetzt, in dieser uns kurz zugemessenen Zeit, keine umständliche Auseinandersetzung dieser Dinge; wisse nur so viel: Du bist so wohl zum Throne gebohren, als Arueris Pfleglinge, und Besa wird nicht ruhen, bis er dir deine Rechte gesichert hat. Komm jetzt zurück in [41] den Tempel, er ist der einzige Zufluchtsort, den ich dir zu geben vermag; aber heimlich mußt du ihn in Zukunft bewohnen. Arueris glaube immer, daß seine Ungerechtigkeit gegen deine Ansprüche, dich aus dem Tempel vertrieben habe. Er halte dich immer für eine Beute des verderbenden Zufalls, oder der Mordlust der Perser, welche in dir die Ansprüche zur Krone, die dir auf der Stirne geschrieben stehen, nicht verkannt, und dich bald genug ihrem Tyrannen ausgeliefert haben würden; er denke sich immer mit heimlichem Triumph: dein Tod werde nun das Glück seiner Lieblinge desto sicherer machen, dies ist besser, als wenn du noch, ihm bekannt, unter seinen Augen lebtest, wo er nicht ermangeln würde, dich seinem Siuph, bald oder spät, zum Opfer zu schlachten.

Besa und Sam hatten unter diesen Gesprächen den Tempel erreicht; dem letzten war es in der Verwirrung, in der halben Verzweiflung, in der er sich befand, nicht sonderbar vorgekommen, daß er ihn unverschlossen und unbewacht gefunden hatte, als [42] er ihn verlies, und eben so wenig befremdete es ihn, daß bey seiner Rückkehr die heiligen Pforten, ihn und seine Begleiter, noch eben so ungehindert und unbemerkt aufnahmen. Sein Freund hätte nicht Ursache gehabt, ihm Aufklärungen hierüber zu geben, wie er würklich that, als er ihn genöthigt hatte, in einer Nische, über welcher eine Ampel schwebte, Platz zu nehmen.

Erhole dich hier, mein Sohn, sagte er, und erwarte mit mir die Ankunft desjenigen, dem sich diese Nacht unsere Pforten öffneten, und dem ich entgegen gesandt wurde. Die Schickungen der Götter sind wunderbar: den unglücklichen König, den Gott gerichtet hat, sollte ich einladen, hier die letzte Todenweihe zu erhalten, und ich fand den, der Gottes Gericht an ihm rechtfertigen wird. O Sam, wenn einst Gott, zwischen dir und den Söhnen des Gerichteten entschieden hat, und du auf dem Stuhl des Pharao Hophra sitzest; Sam! sey dann ein guter König. Des Menschen Leben dauert nicht ewig, dem Fürsten entflieht es so schnell, wie dem Bettler, und bald kommt [43] die Stunde, die dann zwischen Bruder und Bruder entscheidet.

Sam antwortete nichts auf diese Formel, welche den Priestern bey ähnlichen Gelegenheiten zu sagen gewöhnlich war; doch rief das, was er gehöret hatte, seine Seele aus dem dumpfen Tiefsinn in helleres Bewußtseyn zurück, und neugierige, frohe, befremdende Fragen würden seinen Lippen entschlüpft seyn, wär nicht seine Aufmerksamkeit in diesem Augenblicke auf andere Gegenstände gezogen worden.

Eine kleine Anzahl von Isispriestern, ihre weißen Gewande und der Mondgeformte Hauptschmuck machte sie kenntlich, nahte gegen den Tempel sich aus der Ferne. Ihr Zug war langsam; wenige Fackeln leuchteten ihnen; sie trugen die Ueberbleibsel des unglücklichen Prinzen, der am vorigen Tage unter dem Schwerd des Tyrannen gefallen war.

Als sie die Stufen des Tempels heraufkamen und das Marmorpflaster des Vorhofs betraten, winkte Besa seinem jungen [44] Gefährten, sich zu erheben, und ein auf den Mund gelegter Finger gebot ihm ein Stillschweigen, welches er ohnedem zu brechen keine Lust zu haben schien.

Mit auf die Brust gekreuzten Armen und niedergesenktem Haupte, begrüßte man den Leichnam und seine Träger; man ließ ihn von den Schultern herab auf den Boden, und schlug die Tücher zurück, die seine Wunden verhüllten.

Fluch über den, der diesen Heiligen ermordete! rief einer der Leichenträger. Wer ist heilig vor dem reinen Auge des Himmels? antwortete Besa, oder, wer darf meistern, wo Gott gerichtet hat? Sam, der sich noch immer für einen der Söhne des Ermordeten hielt, glaubte hier weinen zu müssen; aber die Thränen konnten den Weg nicht durch seine Augen finden, und er setzte blos ein Knie auf die Erde, um den Saum der Leichentücher zu küssen. Zurück! sagte Besa, mit halb lauter Stimme, hier gelten keine verstellten Empfindungen. Deine Pflichten gegen diesen Toden sind andrer Art, als du meynst.

[45] Die Priester standen noch eine Weile mit zusammengeschränkten Armen, und schweigend über den Toden gesenktem Blick, als begönnen sie in ihrem Herzen bereits das Todengericht, das in einigen Tagen über ihn sollte gehalten werden; dann schaueten sie sich noch einmahl ernst und voll Wehmuth an, und beluden sich von neuem mit der heiligen Last, die sie, unter Vortritt des alten Besa, durch eine der Thüren, die nach den innern Tempel führten, welche Sam zuvor nie öffnen sah, hinwegtrugen. Ein Wink von Besa verbot dem Jünglinge die Nachfolge. Die Pforte, durch die man gegangen war, verschloß sich, und Sam war allein in dem weiten Gewölbe, welchem das Licht der erlöschenden Ampel, die nur bis auf gewisse Stunden der Nacht zu brennen bestimmt war, einen grauenvollen Anstrich gab.

Diese Stunden, welche die alten Bewohner des Nils, nur den Tod der Nacht zu nennen pflegen, sind diejenigen, welche zunächst an den Morgen gränzen; sie sind die stillsten, düstersten und deutungsvollesten [46] in der Natur. In ihnen ruhet alles; selbst der müde Arbeiter und der tiefe Denker, welcher die Mitternacht noch wachend heran brachte, sinkt in ihnen dem Schlaf in die Arme; der erste Hahnenschrey ist vorüber, der Mond hat sich ins Meer gesenkt, und selbst die Sterne flimmern mit matterm Licht, weil sie Auroren von ferne sehen. Diese Augenblicke sollen, so geht die Sage, dem Ruf der Götter, und den warnenden Träumen, besonders heilig seyn, wohl dem, der ihre Stimme zu deuten weiß!

Almé! fuhr bey diesen Worten die große Termuthis auf; Almé! was sagst du?

Was befiehlt meine Gebieterin? antwortete ich voll Erstaunen, mich auf diese Art unterbrochen zu sehen.

O ich weiß selbst nicht! antwortete die Dame, indem sie die Augen rieb, und mir gebot, die Kerzen heller brennen zu machen. Ich glaubte, geschlafen, geträumt zu haben, gleichwohl weiß ich jedes Wort, das du sagtest. Mich dünkt, du sprachst von warnenden Nachtgesichern.

[47] Sam, fuhr ich fort, stand im Begriff, in den Stunden, welche jetzt auch über uns schweben, eine Erfahrung von etwas ähnlichem zu machen. Ihn drängten zu mancherley Gedanken, zu vielfache Gefühle bestürmten seine Seele, als daß er hätte schlummern können, und wachend war es, daß er aus einem der tiefsten Tempelgewölbe eine Stimme vernahm, die seinen Namen nannte.

Besa's Ruf war es, was er zu hören glaubte, und er eilte, so gut es die Dunkelheit verstattete, demselben entgegen, als die nehmliche Stimme von einer andern Gegend herüberschallte. Schon war er im Begriff, sich nach derselben zu wenden, als Besa dicht neben ihm mit einer Fackel aus einer Thür trat, und ihn mit einem verweisenden Blick fragte, was er hier suche, da ihm geboten worden sey, im Vorhof zu warten?

Ich glaubte, von dir gerufen zu seyn, erwiederte der Jüngling.

Von mir? antwortete Besa.

[48] Zum zweytenmahl, mein Vater; doch mit Befremden hörte ich in diesem Augenblick deine Stimme aus dem Gewölbe dort drüben, da du mir nun hier erschienst.

Sam! Sam! erscholl es jetzt weit stärker, als zuvor. Besa hörte es, und Sam schauderte.

Sohn, sagte Besa, indem er sich mit der leuchtenden Flamme entfernte, haben die Götter mit dir zu reden, so kann ich es nicht wehren. Der Ruf kam vom innern Heiligthum; du weißt, wo du mehr zu erfahren, und deine Antwort zu ertheilen hast.

Es waren noch wenig Stunden, bis zum Morgen. Als die Priester der untersten Ordnung in den Tempel kamen, die Pforten zu öffnen und Wasser zum Frühopfer zu holen, fanden sie Sam leblos auf dem Boden ausgestreckt.

Voll Furcht, als er sich erholte, zu Arueris gebracht zu werden, den man als seinen Aufseher kannte, nannte er Besa; man brachte ihn zu demselben, und er ward von ihm mit Blicken empfangen, in welchen [49] die lebhafteste Begierde, von den Vorgängen vergangener Nacht unterrichtet zu seyn, geschrieben stand.

Sam zitterte, stockte, und versicherte am Ende, er sey sich von dem Augenblicke an, da ihn Besa in der Dunkelheit zurück gelassen habe, nichts mehrerern bewußt, als eines vierten Rufs von jener furchtbaren Stimme; und das Entsetzen über die Möglichkeit einer unmittelbaren Offenbarung der Gottheit sey es vielleicht gewesen, was ihm hie Kraft und Besonnenheit geraubt habe.

Besa sah den Jüngling mit einem durchdringenden Blicke an, indessen dieser die Augen niederschlug, und fernern Fragen durch die Bitte auszuweichen suchte, ihm möchte ein Ort angewiesen werden, an welchem er, als nunmehr unmittelbar unter Besa's Schutz lebend, vor Arueris Augen verborgen bleiben könne; eine Bitte, welche, da Besa die äußern zum Tempel gehörigen Gebäude unter seiner Aufsicht hatte, sehr leicht zu bewilligen war.

[50] Die vierte Nacht war zur ersten Hegung des Todengerichts bestimmt. In der Stille und unter weniger Begleitung war, wie ich der großen Termuthis sagte, der königliche Leichnam hier eingebracht worden; man hatte ihn den Persern, seinen Mördern, heimlich zu entrücken gewußt, und es kam alles darauf an, daß ihnen, was nun mit demselben vorgenommen werden mußte, verborgen blieb. Aber da diese Dinge, nach den Gesetzen der großen Isis, die Gegenwart des ganzen Volks, wenigstens des größern Theils der Bewohner von Memphis erforderten, so war blos den Feinden die Wichtigkeit der kommenden Tage unbekannt; aber das Volk des Nils bereitete sich im Stillen zu den heiligen Festen, und kaum erschienen am bestimmten Tage jene düstern schweigenden Stunden, wo Mitternacht an Morgen gränzt, so öffneten sich die Pforten des Tempels, so strömte still und schweigend von allen Seiten das Volk herein, und die heiligen Gebräuche begannen, deren Bild für die Könige künftiger Zeiten aufbewahrt werden sollte, um sie zu lehren, daß sie Menschen sind.

[51] Im innern Heiligthum des Tempels des großen Phtah, senkten sich zweyhundert Marmorstufen in ein weites Gewölbe hinab, wo die Priester dieses Gottes ihre heiligsten Mysterien zu halten pflegten. Zu einem Todengericht war dasselbe noch nie gebraucht worden; aber die Unmöglichkeit, bey den gegenwärtigen Zeiten den Leichnam nach den Ufern des schwarzen Sees zu bringen, über welchen die Feinde sich verbreitet hatten, deren unheilige Augen man scheute, diese Unmöglichkeit rechtfertigte die Ausnahme, die man machen mußte; auch hatten die Diener Hephästos nichts verabsäumt, was die hier noch nie gehaltene Feyer von ihrem Tempel erforderte.

Sam, der von Besa geführt, die schauervolle Stätte zuletzt betrat, erstaunte über den Anblick, der sich seinen Augen darbot. Diese Menge versammelten Volks, und dieses Schweigen, diese halbhelle Dunkelheit, die man nur im Tempel des Feuers erkünsteln konnte, dieses ganze All, wer hat je etwas ähnliches gesehen, und sahe er es, wer kann es beschreiben? Sams Leichnam, [52] der Leichnam des großen, des angebeteten Königs, den selbst Fesseln nicht erniedrigen konnten, lag in Leinewand gehüllt mitten unter dem Volke, das ehemahls von seinem Winke abhing; keine Krone, kein Abzeichen seiner Hoheit schmückte ihn, sie würden ihn nicht geschmückt haben, und wär' er in der Herrlichkeit Sethons gestorben; seine Armuth, die scheinbare Verachtung, in der er, als des Persers Ueberwundener, ein Opfer seiner Grausamkeit, fiel, machte, daß man ihm (ein Vorzug vor allen Königen Egyptens) einen Cypressenkranz gegönnt hatte. »Diademe,« sagte der Isispriester, welcher die Anrede an das Volk hielt, »Diademe folgen uns nicht über das Grab; aber unverschuldete und heldenmüthig ertragene Leiden sind ein Kranz für die Ewigkeit; und nun ihr Völker des Nils, nun beginnt das Todengericht über diesen Menschen, der einst Euer König war, nun urtheilt, ob ihm auch dieser Kranz entrissen werden muß, so wie ihm seine Krone entrissen ward; Ein von Euch erpreßter Seufzer, eine Thräne, nimmt dem, was er erduldete, die herrliche Benennung unverschuldeter [53] Leiden, stempelt sie mit dem Namen göttlicher Rache, und macht Euren Feind, den Perser, zum Ausrichter des Winks der Gottheit.«

Der Redner hatte noch nicht geendet, so unterbrach ihn das Volk mit der Stimme des unterdrückten Weinens. Wer von der versammelten Menge sich zu Worten ermannen konnte, rief: »Er war nicht unser König! er war unser Vater!« Viele erzählten einzelne schöne Thaten von ihm, und einige, die weder Thränen noch Worte hatten, legten Kränze, aus der Blume der Isis geflochten, zu den Füßen des Leichnams, und verstohlen sich schnell wieder unter den Haufen, wohl wissend, daß dieses Opfer wider die Gebräuche des Tempels, und die Annäherung zu den heiligen Gebeinen vielleicht zu kühn war, um ungeahndet zu bleiben.

Arueris und seine Pflegesöhne waren gegenwärtig, und man kann denken, welche Rolle sie bey diesem Todenfeste spielten. Doch, sie wollten nicht für das erkannt seyn, was sie waren; auch kennte, auch bemerkte man [54] sie nicht. Hier war ein ganzes Volk, das seinen Vater betrauerte; die eigenthümlichen Kinder dieses Vaters, konnten sich durch ihren Schmerz nicht besonders auszeichnen.

Weil man den Tag fürchtete, und die Wächter des Tempels ansagten, daß sich die Spitzen des Isistempels rötheten, so war man bereits im Begriff, das Gericht vor heute aufzuheben; als Besa aufstand, und sich dem Toden nahete. Ist keiner, rief er mit erhobener Stimme, keiner unter Euch, der diesen Toden eines Unrechts zeihe?

Das Volk schwieg, und seine Thränen strömten von neuem.

Und ihr, ihr Priester, fuhr Besa fort, ihr Diener der Wahrheit, ihr einzigen richtigen Beurtheiler dessen, was vor den Göttern rein ist, und den Blick des Himmels vertragen kann, auch ihr schweiget, und wißt keinen Makel an diesem Menschen? Keinen! erwiederten die Diener der Gottheit, und das Volk setzte hinzu, wie im Wiederhall: Keinen!

[55] Arueris! fuhr Besa fort, indem er sich zu dem Schützer der Söhne Sams wendete; Arueris, ich beschwöre dich, bey deinen und meinen Gottheiten, bey der Natur und ihrem Diener, dem Feuer, auch du, auch du lässest diese Hände schuldlos? auch du gönnst diesen Schläfen diese Krone? Besa's Gesicht wurde bey diesen mit der größten Heftigkeit ausgesprochenen Worten mit Glut übergossen, und Arueris erbleichte.

Und ob ich, hub er auf Besa's zweyte Aufforderung zu reden an, und ob ich einen Flecken in der Sonne kennte, dürfte ich darum ihr Licht lästern? und ob ich wüßte, daß Sam ein Mensch war, der fehlen konnte, würde nicht der Laut der schwachen Anklage von dem bloßen Namen Vater, den ihn ein ganzes Volk giebt, verschlungen werden?

Arueris sprach schwach und zitternd, sein Gesicht ward bleicher, und Siuph, der neben ihm stand, mußte ihn unterstützen, weil er im Sinken war. Ach! Siuph selbst, und alle seine Brüder, zitterten, und schwankten bey dem Gedanken: auf ihren [56] großen Vater könne etwas gebracht werden, das ihm den Eingang in die Wohnungen der Seligen verwehrte, oder seinen Nachruf mit einem Flecken verunstaltete.

Besa erwartete nicht, bis Arueris sich erholte; das Volk schien nicht sehr verlangend zu seyn, aus seinem Munde etwas zu vernehmen, das seinen Abgott zum Menschen herab setzte, sie sahen auf Besa's Gesicht die Miene des Anklägers, sie hätten ihm gern geboten zu schweigen; auch ertönten schon hier und da einige Stimmen, welche sagten: die Götter könnten vergeben; die Götter hätten gerichtet; Sams Fehler, daferne er einige gehabt hätte, könnten unmöglich mit seinen Tugenden und erdulteten Leiden gemessen werden; aber Besa ließ sich nicht irre machen. Er erhob seine Stimme zum zweytenmahl und rief: Ich klage diesen Toden an, wegen des Pharao Hophra, den er im Kriege überwand. Ich weiß, gerecht waren Sams Waffen gegen ihn, ich weiß, Schickung der Götter war es, daß Sam so lange Jahr auf seinem Stuhl saß; aber, war auch Gerechtigkeit auf der Seite des [57] Ueberwinders, so wie sie auf der Seite des Krieges war? Was that Sam, nachdem er gesiegt hatte? und wo sind Pharao Hophras Sohn und Enkel?

Sam, der sich schon alle diese Zeit über bestrebt hatte, den Redner zu unterbrechen, nahm hier das Wort:

Volk der Sonne, rief er, Hophras Enkel bin ich, ich kenne die Rechte, die mir meine Geburt giebt und morgen will ich sie behaupten. Jetzt eilet, Euch zu zerstreuen. Die Morgenröthe verkündigt den Tag; die Feinde erwachen; Euch und uns droht der Untergang!

Nie ist wohl eine Versammlung, die sich so still und friedlich anfing, verwirrungsvoller geendiget worden. Das Volk verstahl sich weinend zu seinen Häusern. Um Hophras, des Unterdrückers willen, sagte einer zum andern, soll unser Vater die ewige Ruhe missen? Seinem Sohn sollten wir unterthan seyn, wenn das Joch des Tyrannen bricht, da noch Kinder Sams vorhanden seyn müssen, ihres Vaters sanfte [58] Regierung bey uns zu erneuern? Saht ihr die schönen Jünglinge, die den weisen Arueris umringten? Einer von ihnen, oder alle, sind vielleicht die Söhne unsers guten Königs! Einer von ihnen wird doch in die Fußtapfen des besten der Könige treten! Hinweg mit dem Enkel Hophras, und Fluch über Besa, der den Triumph des Heiligen verzögert!

Während das Volk auf diese Art urtheilte, gingen unter den Priestern eben so ernste, aber weit schlauere Berathschlagungen. Die Anwesenheit der Kinder Sams war nicht mehr zu läugnen. Hophras Enkel war gleichfalls gefunden, es war wohl der Mühe werth, gewiß zu seyn, welche von beyden Partheyen die meiste Wahrscheinlichkeit hatte einst zu siegen, und auf welche Seite man sich also mit Rathsamkeit schlagen könne.

Arueris erhielt Vorwürfe von allen Seiten; von den Priestern, die noch keine Parthie ergriffen hatten, weil er eigenmächtig gehandelt habe, von Besa und seinem Anhange noch weit schärfere, und selbst seine [59] Pflegesöhne klagten ihn an: aus Partheylichkeit für sie, des jungen Sams Rechte unterdrückt, und dem Namen ihres Vaters einen Schandflecken angehangen zu haben. Siuph besonders war versichert, dies sey seines Vaters Wille nicht gewesen; Sams gleiche Erziehung mit ihm und seinen Brüdern beweise, daß er ihm gleiche Rechte mit ihnen habe gönnen wollen; dies öffentlich zu bekennen, und in seinem und seiner Brüder Namen zu versichern, daß er Sam für Bruder erkenne, und kein Glück ohne seine Theilnahme genießen wolle, dies solle sein Geschäft am künftigen Tage seyn, und er hoffe, dies werde Sam und Besa befriedigen, das Volk trösten, und des Königs Gebeinen die heilige Salbung, und die Ruhe in den Gräbern seiner Väter verschaffen.

Besa riß sich am Abend von dem Getümmel, das ihn den ganzen Tag umringt hatte, los, den jungen Sam zu umarmen. Indessen die Priester beyder Tempel nicht müde wurden, ihm Glück zu wünschen und sich ihm und seinem Prinzen zu empfehlen, [60] war er noch zweifelhaft, wie das alles enden würde, und er brannte vor Verlangen, tausend Dinge aus seines Pflegesohns Munde zu erfahren, die ihm noch ein Räthsel waren.

O Sam! rief er, als er endlich Freyheit gewann, sich allein mit ihm zu unterhalten, Liebling der Gottheit! wie erfuhrst du das Geheimniß deiner Geburt, das ich dir erst heute in voller Versammlung zu entdecken, dich damit zu erfreuen, und den stolzen Arueris zu beschämen dachte? War dies die Offenbarung, die du in der Nacht, die dich in meine Arme lieferte, erhieltest? Was waren ihre fernern Weisungen? Wie wirst du den Perser demüthigen? Wie Sams Söhne verdrängen, und Arueris strafen?

Sam war der Muthmaßung, die Besa von der Art hegte, wie er zu Entdeckung des Geheimnisses gekommen sey, nicht entgegen; das andere beantwortete er mit lächelndem Stillschweigen. Besa, versetzte er, auf ferneres Eindringen, Besa handelte so wenig ganz rein und edel in diesen Dingen [61] als Arueris. Verdient Arueris Strafe, wo wird Besa bleiben? Prüfe dich, Besa, ob dir es mehr um die Gerechtigkeit, mehr um mein Glück, oder mehr um die Wonne zu thun war, Egypten einen König gegeben zu haben? Was meine übrigen Entschlüsse anbelangt, so werden sie sich in wenig Stunden enthüllen. Schon neigt sich der Tag; wie bald wird die Mitternacht da seyn, welche über das arme Häufchen Asche, das einst König Sam war, entscheiden, und seinen Nachfolger, der ja vielleicht bald, wie er, im Staube liegen wird, bestimmen soll.

Besa fand alles groß und königlich, was Sam sagte, von der gestrigen gebietenden Entlassung des Volks an, bis auf die heutige Erklärung. Er war gewiß in seinem Herzen, Sam einst als Egyptens Pharao zu sehen, aber er sagte es sich leise und nicht ohne Kummer: nicht als einen solchen, der sich von einem Besa würde beherrschen lassen. Wie hat sich, endete er sein Selbstgespräch, wie hat sich dieser junge Mensch seit heut und gestern geändert! Hat die Offenbarung [62] im Tempel, oder die Kenntniß seiner Geburt, dieses Wunder gewürkt?

Die Stunden der Entscheidung kamen, die Einwohner von Memphis versammelten sich in weit größerer Anzahl als in voriger Nacht, das letzte Endurtheil über ihren guten König zu vernehmen. Viele von ihnen waren entschlossen, sollte dasselbe widrig ausfallen, die Rechte des Verstorbenen auf das Loos aller guten Könige Egyptens, mit ihrem Blute zu verfechten, Pharao Hophras Enkel nicht anzuerkennen, und sich laut für Sams Söhne zu erklären. Die Unglücklichen! Welch ein Entschluß! Vergaßen sie, daß das Joch der Perser noch nicht gebrochen war? daß man ihnen kaum die zahlreiche Versammlung in dem Göttertempel, noch vielweniger die Veranlassung derselben ungerochen würde haben hingehen lassen? daß viele von ihnen, daß wenigstens König Sams Kinder das Opfer ihrer Voreiligkeit würden gewesen seyn, im Fall von diesen nächtlichen Verhandlungen etwas lautbar geworden wäre?

[63] Die Götter, welche alles zum besten lenken, und die selbst unserer Unvorsichtigkeit Einhalt zu thun wissen, wenn dieselbe ihre Rathschlüsse zu durchkreuzen droht, hatten der Sache, die so bedenklich hätte werden können, ein Ende bestimmt, das außer Einem, den ihre Hand leitete, niemand voraus wußte, und das für alle gut war oder gut hätte werden können.

Ich schildere der großen Termuthis nicht das Aeußere des zweyten Todengerichts über Egyptens König; noch einmahl, es war dem ersten vollkommen gleich, nur, daß die Versammlung weit größer, die Gemüther erwartungsvoller, und das arme Häufchen Asche (Sams Worte zu wiederholen), das einst Egyptens König vorstellte, seiner Vernichtung weit näher war, als gestern; fünf heiße Egyptische Tage waren verflossen, seit dieser Leichnam seiner letzten Ruhestatt harrete. Sams Söhne hingen mit kummervollem Blicke an den Ueberbleibseln ihres Vaters, ihr thränenvolles Auge, ihre gefalteten Hände erflehten seiner Asche von den Göttern die heilige Salbung und Ruhe[64] im Grabe seiner Väter; höhere Wünsche in diesen Augenblicken, Wünsche für sich selbst zu thun, waren sie zu fromm. Mochte doch Hophras Enkel die Anwartschaft auf den Thron hinnehmen, blieb nur das Andenken ihres Vaters und die Seligkeit seines wandernden Geistes ungekränkt.

Arueris, der sich heute besser gefaßt hatte als gestern im Entsetzen der ersten Ueberraschung, brach zuerst die erwartungsvolle Stille, in welcher das Volk den Begebenheiten dieser Nacht entgegen sah.

Gestern, begann er, gestern, ihr Völker des Nils, gab es unter allen, die über diesen Toden richten sollten, nur eine verdammende Stimme; ehe diese heute sich von neuem hören läßt, erlaube man mir ein Wort zu sagen, das vielleicht einen Theil der Schuld von dem Verstorbenen, auf mich den Lebenden übertragen, und seinem Schatten den Eingang in die ewige Ruhe verschaffen wird. Ja, es ist wahr, jener Jüngling ist Pharao Hophras Enkel; König Sam aber ist vielleicht zu entschuldigen, [65] daß er den Thron von Egypten, den ihm die Götter gaben, lieber seinen Kindern, als demjenigen gönnen wollte, der ja in seinem Vater bereits von den Göttern verworfen war. Tödten hätte Sam den Sprößling seines Ueberwundenen können, aber er schenkte ihm das Leben. Daß er ihn vom Throne entfernte, und in die Hütten der Armuth verwies, war mehr mein, als sein Rathschluß. Ich liebte meinen König, liebte seine Kinder, und mir ahndete von dem, der sich jetzt so feindlich gegen die Asche seines Wohlthäters beweißt, das, was wir jetzt vor Augen sehen. Gezwungen durch den Willen dieses guten Königs, gezwungen mußte ich es in der Folge dulden, daß Sam aus der Dunkelheit hervorgezogen und den Prinzen gleich gehalten wurde; was des guten Königs Absicht dabey war, läßt sich errathen; aber mir war es nicht zu verdenken, daß ich diese Absicht nicht anerkannte, und dem Abkömmling Pharao Hophras, nicht gleiche Ansprüche mit meinen Zöglingen gönnen konnte. Alle Schuld also, die ihr dem Verstorbenen aufbürden wollet, fällt auf mich! Ist Treue gegen seinen König Verbrechen, [66] so tödtet mich, so richtet über meiner Asche, wie ihr euch hier zu richten erkühnen wollt, so versagt ihr die heilige Weihe, und laßt nur diese Gebeine unbeschimpft, und in Frieden in die stille Wohnung einziehen, die die letzte Wohlthat ist, welche König Sams Schatten für tausend Euch erzeigte Wohlthaten fordert.

Besa hatte den Redner schon oftmahls unterbrechen wollen, und jetzt, da er geendet hatte, wollte er sogleich in seine Stelle treten; aber Sam hielt ihn zurück.

Besa, sagte er, die Sache ist mein, mein seyen auch die Worte! Ich werde nicht weitläuftig werden, wie Arueris, der mit Aufwand von so viel Athem erwieß, daß er mein Feind, der Unterdrücker eines Unschuldigen war. Völker des Nils! Ich habe Euch nichts mehr zu sagen, als: Ich kenne meine Rechte! Durch unmittelbare Offenbarung der Gottheit kenne ich sie! aber auf die nehmliche Art weiß ich auch, was mir zu thun obliegt. Ist irrdisches Glück das Siegel von Schuld oder Unschuld der Sterblichen, [67] so ist König Sam freylich gerechtfertigt. Die Götter gaben ihm ja den Thron meiner Väter, sie gönnen ihm ein ruhiges Grab, und bestimmen seinen Kindern die Krone von Egypten. Mir, – bestimmen sie die Weihe der Isis. – Ich bin verbunden, dem Wink der Gottheit zu gehorchen, die mich ruft, und verlobe mich in diesem Augenblicke zu ihren heiligsten Geheimnissen!

Keine Erklärung konnte wohl allen unerwarteter kommen als diese, und die Würkungen der Ueberraschung zeigten sich auf die seltsamste Art. Besa warf einen wütenden Blick auf seinen Pflegling und entfernte sich; Arueris mit beschämtem Angesicht that das nehmliche. Sams Söhne drängten sich um den jungen Sam und umarmten ihn als ihren Bruder; sie dankten ihm, nicht sowohl für die Abtretung der Rechte, die sie gern mit ihm getheilt hätten, als für die Wohlthat, die er den Ueberresten ihres Vaters erzeigte, welche sogleich von den dazu bestellten Priestern dem Auge des Volks entzogen und zu der heiligen Salbung abgeführt wurden.

[68] Das Volk rief seinen künftigen Beherrschern, den Söhnen des vergötterten Sam, Heil und das Gelübde der Treue, dem Enkel Hophras einen Dank und eine Bewunderung zu, die, da sie das Siegel seiner entschiedenen Verwerfung war, ihm unmöglich schmeichelhaft seyn konnte.

Er antwortete nichts auf alles, was man ihm sagte, und entfernte sich im Geleite der Isispriester, welche nicht säumten sich um ihn zu versammeln, und ihn, als einen Verlobten ihrer Gottheit, in Empfang zu nehmen.

Es fiel in die Augen, daß Sams Entsagung der Krone nicht eigene Wahl, sondern Folge der Einwürkung einer höhern Macht war; um so mehr glaubte man seiner Standhaftigkeit mistrauen, und sich seiner auf alle Weise versichern zu müssen. Die Priester der Isis ließen den Jüngling die kurze Zeit über, die man noch im Tempel des Feuers verweilen mußte, wenig aus den Augen, und mit Mühe konnte Besa einige Augenblicke abstehlen, um seinen Pflegling mit den Verweisen zu überhäufen, [69] die er seiner verkehrten Wahl zwischen der Inful und der Krone schuldig zu seyn glaubte!

O dreymahl thörichter Jüngling! rief er; ist dies der Dank für das, was ich für dich that und noch gethan haben würde?

Mich leitete der Wille der Gottheit, erwiederte Sam. Der Ruf in jener Nacht, den du selbst hörtest, belehrte mich, was ich thun sollte; ob ich es gern that, ist unnöthig zu bestimmen. Gern bey der Wahl zu bleiben, die mir vorgeschrieben ward, dies muß nun mein Bestreben seyn, und ich bitte dich, Besa, zerreiß mein Herz nicht weiter durch Vorwürfe, die ich nicht verdiene. Siehe, hier sind meine künftigen Brüder, verlangst du sie zu Zeugen unserer fortgesetzten Unterredung?

Besa entfernte sich, weil er würklich einige von Sams beständigen Begleitern, den Isispriestern eintreten sahe, und murmelte im Abgehen: Also ungern? Also ein gezwungenes Opfer des Schicksals? Wohl! Wohl! hier ist noch Rath, und die Zukunft [70] enthält vielleicht noch Erfüllung der kühnsten Wünsche!

Der junge Sam ward nach dem Tempel seiner Göttin abgeführt, und erhielt in mehrern Jahren, die er daselbst zubrachte, die verschiedenen Weihen, indessen jenseit der Ruhe des Heiligthums der Isis, Egypten im Blut und Thränen schwamm. Sams Söhne, von Arueris geleitet, von den Wünschen des Volks begünstigt, säumeten nicht die ersten Versuche zu machen, sich dem Tyrannen entgegen zu setzen. Diese ersten Versuche waren, wie meistens geschieht, unglücklich, und kosteten das Blut von Tausenden. In der Folge vereinigten sich mehrere Umstände, den Prinzen Sieg auf Siege zu verschaffen, bis endlich der Tod des persischen Tyrannen, der in sein eigenes Schwerd fiel, ihnen den Weg zum Throne ohne Hinderniß offen ließ. Wundervoll waren die Begebenheiten, die die Götter zu Erreichung ihrer Endzwecke veranstalteten, aber da sie der großen Termuthis bereits bekannt sind, darf ich mich nicht erkühnen, sie ihr zu wiederhohlen.

[71] Jetzt, da Sams Söhne ihren Feind völlig besiegt hatten, und von den Völkern des Nils einstimmig zur Krone gerufen wurden, war unter ihnen nur noch die einzige Frage zu entscheiden, welcher von allen diese Krone tragen sollte. Das Volk stimmte einmüthig auf Siuph, den ältesten und edelsten seiner Brüder; diese Brüder, nie getrennt in ihren Meynungen, und besonders in der Liebe zu dem einstimmig, der in allen den Vorzug vor ihnen verdiente, warfen sich Siuph zu Füßen, und nannten ihn König. Arueris wußte nichts hiergegen einzuwenden, und Siuph ward mit allgemeinem Jubel auf den Thron seiner Väter gesetzt.

Die Isispriester waren nicht die letzten, ihn bey seinem Einzug in Memphis zu bewillkommen; Sam war unter ihnen, aber Jahre und Gram hatten ihn verändert, Siuph kannte ihn so wenig, als dieser in ihm, dem ausgebildeten Helden, denjenigen erkannt haben würde, dessen Schicksal im Tempel des Feuers, einst mit dem Seinigen auf der Waage lag.

[72] Ich sagte, Gram habe den unglücklichen Sam umgestaltet, und es läßt sich leicht begreifen, wie dies möglich war. Es ist ein anderes, mit voller reiner Dahingebung, ein anderes, mit heimlichem Widerstreben den Willen der Götter erfüllen; das letzte war der Fall, in welchem Sam sich befand. Der Ruf der Gottheit, der ihm im Tempel Hephästos gebot, Sams Kindern zu weichen, begeisterte seine Phantasie, und gab ihm eine Art von Willigkeit. Das Bewußtseyn einer edeln That, die Bewunderung des Volks, und selbst Besa's Tadel, erhoben den jungen Unglücklichen über sich selbst; selbst die Weihen der Göttin, der er sich widmete, und ihr geheimnißvoller Dienst hatten einige Reitze, aber als alle diese Dinge die Anmuth der Neuheit verlohren hatten, als der Rausch der Schwärmerey verflogen war, da fühlte Sam es ganz, daß er alles, für nichts hingegeben hatte. Noch dachte er zu gut, um zu wünschen, anders gehandelt zu haben, aber daß der Frühling des Lebens in nutzlosen Aufopferungen verflogen war, daß andere mit den Reichthümern des Jahrs, den Blüthen und Früchten irrdischen[73] Glücks geschmückt, ihn umringten, und er immer noch mit leeren Händen dastand, o das empfand er so tief, daß er Trost und Mitleiden verdiente. Wo warst du, o Isis! daß du den, der sich dir aufgeopfert hatte, in diesen bedenklichen Minuten verließest? Warum duldetest du, daß hier am Scheidewege sich ein böser Geist seiner Hand bemächtigte, ihn dem Abgrunde entgegen zu führen?

Besa hatte den, aus dem er einst einen Egyptischen König schaffen wollte, seit ihm diese Schöpfung mislang, nicht aus den Augen gelassen. Augenblicke wie die gegenwärtigen hatte er, ein tiefer Menschenkenner, vorausgesehen, und die Möglichkeit, sie zu nützen, längst vorgearbeitet. Er wollte Pharao Hophras Enkel immer nahe seyn, und seit dieser sich der großen Isis verlobte, hatte auch er den Dienst des Feuers mit dem Dienst dieser Göttin verwechselt.

Sam, der seine Vorwürfe fürchtete, hatte ihn anfangs ungern an seiner Seite gesehen, aber Besa's kluges Stillschweigen [74] über geschehene Dinge, und seine zärtliche vorwurfsfreye Theilnahme an ihren Folgen, hatten ihm längst das Herz, und das Zutrauen seines jungen Freundes wieder gewonnen. Besa wußte seine Gefühle immer mehr als halb zu errathen, und der Balsam, den er auf die verheelte Wunde legte, war immer so lindernd, daß man seiner Hülfe mehr begehrte.

An Siuphs Triumphtage blutete diese Wunde stärker als zuvor; ein unbekanntes Etwas war es, was sie heute fürchterlich erweiterte und unheilbar zu machen drohte. Die Ordnung des Tempels brachte heute Sam und Besa bey der Nachtwache vor dem Bilde der Isis zusammen, und hier wars, wo der letzte den ersten in Thränen fand.

Sind dies Thränen der Andacht? fragte der heimtückische Besa, oder des Danks, für irgend eine geheime Offenbarung der großen Einzigen?

Seit jener furchtbaren im Tempel Hephästos hatte ich keine Offenbarungen.

[75] Wie? so schlecht lohnt dir deine Göttin, was du ihr aufopfertest?

Es war viel, Besa, was ich aufopferte, es war mein Alles! Heute lernte ich erst es schätzen. Ich war ein Unmündiger, ich wußte damahls noch nicht, was ich gab!

Du hast recht. So wie Siuph, könntest du heute triumphirend den Thron deiner Väter besteigen.

O Besa, und so wie er, dem seligsten Leben an der Seite einer irrdischen Göttin entgegen sehen! Sahst du die junge Nitetis, Siuphs Verlobte?

Sie ist schön! schöner, als Isis!

Sam brach in Thränen aus. Was ist Isis? schrie er. Eine Gottheit, unvereinbar mit der Liebe eines Sterblichen; was ist ihr Bild? kalter Marmor! Eine grauenerregende Gestalt, ein Räthsel, das nie ein Sterblicher ganz lösen wird!

Besa stand vor dem gigantischen Bilde der Göttin; die Ampel, die vor derselben brannte, erhellete kaum das Fußgestelle derselben, indeß sich das übrige in dem grauenvollen Dunkel des hohen Gewölbes verlohr.

[76] »Ich Isis,« (so las er die zehnmahl gelesene Inschrift,) »ich bin alles, was ist, was war, was seyn wird. Nie hob ein Sterblicher meinen Schleyer.«

Sie ist alles, was war, was ist, was seyn wird? wiederholte er, sie ist also auch Nitetis; liebt Sam Siuphs Verlobte, so liebt er seine Göttin in ihr.

O Besa! schrie Sam, mein Gelübde, das mir irdische Liebe versagt!

Wem legtest du es ab, oder wer forderte es von dir? War dir bey jener gerühmten Offenbarung im Tempel des Feuers, der Ruf der Gottheit so kenntlich, daß du ihn mit keinem andern verwechseln konntest? Ich hörte ihn auch, und er lautete, so dünkte es mich, ganz eigen wie Arueris Stimme.

Arueris? was sagst du?

Nichts würksameres hätte er wenigstens ersinnen können, dich seinen Pfleglingen aus dem Wege zu räumen. Ihnen den Thron, dir den Dienst der Isis; du warst nicht schlecht bedacht! wenigstens damahls schienst du es zu glauben.

Sollte Arueris würklich? – Und warum sagtest du mir dieses erst heute?

[77] Hörtest du auf meine Warnung? wiesest du nicht jede zurück?

Rege gemachte irdische Liebe, in Zweifel gestellter Ruf der Gottheit, was bedurfte es mehr, eine ohnedem zerrüttete Seele völlig zu verwirren! In einer langen einsam durchwachten Nacht wie dieser, die Besa und Sam an dem Bilde ihrer Göttin zusammen brachte, ließen sich die hier leise angeschlagenen Töne, zur vollständigsten Harmonie, oder zu dem gräßlichsten Mislaute völlig entwickeln; doch die geheimen Berathschlagungen zweyer Isispriester, sind nicht für die schüchterne Almé. Sie kehrt zu Siuph zurück, dem sie auch einen Theil ihrer Aufmerksamkeit schuldig ist.

Siuph, der siegreiche Siuph, der angebetete König Egyptens, war würklich der Verlobte der schönsten Person, welche je die Länder des Nils hervorbrachten. Nitetis war die Tochter des Pharao Amosis, eines der vorigen Herrscher Egyptens; ihre Liebe zu Siuph, und die seinige zu ihr, verlohr sich in der frühesten Kindheit ihres Lebens, auch waren der Zufälle nicht wenig, die dieser [78] Liebe entgegen gestanden, sie zu vernichten gedroht, und also desto stärker befestiget hatten; Hofnung der Vereinigung, war beyden erst seit kurzer Zeit aufgegangen.

Und jetzt war er nahe, der glückliche Zeitpunkt. Egypten freuete sich schon seiner künftigen Königin, und Siuphs Glück ward nur noch durch einige religiöse Gebräuche aufgehalten, nach denen er sich bequemen mußte, wenn er bey dem Volke den Namen eines frommen Königes behalten, und nicht die mächtige Rache der Priester auf sich ziehen wollte.

Viele derselben waren schon überstanden. Nitetis hatte bereits in den ersten Wochen ihres Aufenthalts zu Memphis im Tempel der himmlischen Jungfrau eine ihrer Haarlocken, im Tempel des Remphis ihren Schleyer geopfert; das Bad im Brunnen des Mondes war auch schon vorüber, und nichts war noch zurück, als die dreyfache Nachtwache im Tempel der Isis, bey welcher sie doch ihren Verlobten und sieben ihrer Jungfrauen zu Gefährten haben durfte. [79] Siuph und Nitetis bequemten sich gern zu diesem letzten der heiligen Gebräuche. Sie waren eifrige Verehrer der Gottheit der Natur, und der weise Arueris hatte ihnen gesagt, daß man ihnen, als dem König und der Königin von Egypten, im Innern des Heiligthums, mehr von den Geheimnissen der großen Alten 1 offenbaren würde, als irgend einem Menschen, außer den Priestern bewußt wäre.

Die Zubereitung zu diesem Vorspiel ihrer Vereinigung war den jungen Verlobten ein Fest. Liebe und Wißbegierde bey dem frommen Siuph; Liebe und schwärmerische Andacht bey seiner noch frömmern Braut, spannte ihre Erwartungen aufs Höchste; man war im Tempel gefaßt, diese Erwartungen überschwenglich zu befriedigen, und drey Tage nebst zwey Nächten verflogen Stunden gleich und bereicherten die Liebenden mit Kenntnissen und Andachtsgefühlen, [80] durch welche sie über sich selbst erhoben wurden.

Viele der neugemachten Entdeckungen in den Geheimnissen der Natur, waren schon längst in der Gewalt der Isispriester, ehe die Welt etwas von ihnen erfuhr, und viele andere werden erst für die Nachwelt aus ihren zerstörten Tempeln hervorgehen. Dem Himmel das Feuer des Blitzes zu stehlen und Tote aus dem Reiche der Schatten hervorzurufen, waren noch nicht die schwersten Versuche, deren sich die Diener der Natur erkühnten. Siuph und Nitetis sahen und erstaunten. Ihr Glaube an die Gottheit des Tempels, ihre Ehrfurcht gegen die Priester desselben, ward bis zur Schwärmerey erhöht, und man brauchte ihnen es nicht erst unter den Fuß zu geben, sie kamen von selbst auf den Gedanken, in der letzten Nacht, welche im Heiligthum der Isis zugebracht wurde, eine ihrer untersten Weihen anzunehmen, und sich dadurch zu höhern verborgenen Dingen fähig zu machen.

Es war eine Kleinigkeit, worauf es hier ankam, Man stürzte sich von einer [81] ziemlichen Anhöhe in einen Abgrund, wo ein Arm des Nils schäumte, man passirte denn die Fluthen des feurigen Sees, so war die berühmte egyptische Feuer- und Wasserprobe überstanden. Zwey von den muthigsten Begleiterinnen der königlichen Braut, die man auf ihre Bitte mit zu den heiligsten Mysterien gelassen hatte, hielten die Prüfung in weniger als einer Stunde glücklich aus; auch hatte Nitetis in dieser Wohnung der Wunder zu oft gesehen, daß das Wasser nicht netzte und die Flamme nicht brannte, als daß sie hier noch die geringste Bedenklichkeit hätte haben sollen.

Siuph war nach den Gespielinnen der Prinzessin der erste, welcher die kurze Reise durch die Regionen des Feuers, und des Wassers antrat; man wollte ihm nicht erlauben, dieselbe mit seiner Verlobten gemeinschaftlich zu unternehmen, aber Zeugin war sie, wie die Fluthen über ihren Geliebten zusammen schlugen, wie die Flammen ihn zu verzehren schienen. Ihr dünkte, man verfahre strenger mit ihm, als mit seinen Vorgängerinnen; sie zagte und brach in [82] Klagen und Vorwürfe aus. Diese Dinge, antwortete der Diener der Gottheit, der den Prüfungen vorstand, diese Dinge stehen nicht in unserer Gewalt, sie hängen von der Gottheit und dem Zustand des Sterblichen ab, der sich der heiligen Läuterung erkühnt. Ist deine Seele rein, so wage dich getrost in diese Flammen, in diese Fluthen, die Tugendhaften sind ihnen unzerstörbar; aber freylich warten die Schmerzen des Todes auf den, welcher nicht gerecht ist vor dem Auge des Himmels, und nicht selten war gänzliche Zerstörung das Loos des Elenden, der es wagte den Göttern zu nahen, ohne daß seine Seele wenigstens den siebenten Grad der Reinigkeit erlangt hatte.

Nitetis wußte nicht, was der siebente Grad der Reinigkeit war; sie zitterte, ihr Siuph, so edel, so vortrefflich sie ihn auch kannte, möchte ihn noch nicht erreicht haben und hier umkommen müssen; schon sahe sie ihn nicht mehr, schon schlugen die Gluten über ihn zusammen, und sie mußte glauben, ihn auf ewig verloren zu haben!

[83] Der Priester lächelte. Ist dein Glaube an die Tugend deines Geliebten so klein? sagte er. Meynst du, es sey möglich, daß selbst deine Dienerinnen, ihm an innerer Vortreflichkeit vorgehen? Wie verdient er denn diese Klagen, diese Thränen? Doch sey getrost! Hier ist er. Er entdecke dir selbst, was seinen Kampf so schwer machte! Unschuldiges Blut klebt immer am Schwerde des Kriegers, und dies ist hinlänglich seine Läuterung zu erschweren, wenn auch keine andern Vergehungen auf seiner Seele haften sollten.

Nitetis hörte die letzten Worte des Priesters kaum halb, denn ihr Siuph lag in ihren Armen. Ein weißes leuchtendes Gewand umfloß ihn, und das reinigende Feuer schien seinen Augen lebhaftern Glanz, seinen Wangen höhere Glut mitgetheilt zu haben.

Er konnte das Entzücken, konnte die Thränen seiner Geliebten nicht begreifen, er wollte nicht gestehen, viel gelitten zu haben. Nitetis wiederholte ihm wörtlich, was sie von dem Diener der Gottheit gehört hatte, [84] und versetzte ihn dadurch in ein tiefes Nachdenken.

Die Lust der Prinzessin war schlecht, nach dem, was sie jetzt von den Qualen der Prüfung gesehen hatte, sich denselben zu unterziehen. Ihre Seele war rein, ihr Gewissen schuldlos; aber, wie konnte sie wissen, ob sie eben den siebenten Grad der Lauterkeit erlangt hatte, der hier erforderlich war? Sie wankte, die Priester warnten, und Siuph ward immer tiefsinniger. Entscheide, Geliebter, rief die Prinzessin, darf ich wagen, wozu ich vielleicht zu schwach bin?

Es giebt wohl kein Paar Liebende, welche vor ihrer Vereinigung nicht mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, die bey der Rückerinnerung an die Dunkelheiten ihres Lebens, nicht hier und da auf Stellen stoßen sollten, wo ihnen die Tugend und Treue des Geliebten verdächtig ward; Wohl dann dem, der im Augenblick seines Glücks sich über diese Zweifel völlig beruhigen kann! Und wie sehr ist hingegen derjenige zu beklagen, [85] für den sich aus diesen düstern Regionen, noch kleine Nebel erheben, die Freuden ewiger Vereinigung zu trüben! Siuph befand sich in diesem Fall; wer seine und Nitetis Geschichte näher kennet, wird sich seinen Zustand zu enträthseln wissen.

Die Prinzessin wiederholte ihre Fragen, und er sahe sie mit scharfem forschenden Auge an. Der Priester predigte fort und mischte manches in seine Warnungen, was Siuphs keimenden Verdacht in die Vortreflichkeit seiner Geliebten vermehrte.

Nitetis, antwortete der junge König am Ende, Nitetis muß sich selbst kennen. Ist ihre Seele rein, war ihr Herz immer der Tugend treu, warum wollte sie nicht wagen, was ich wagen konnte, was selbst ihre Dienerinnen überstanden haben? Ich habe nichts gelitten; die Schmerzen des Todes, die auf mich eingestürmt haben sollten, hatten ihr Daseyn nur dem Auge des Schauers zu danken. Hat die, welche ich für tadellos hielt wie die Sonne, mehr zu fürchten; nun freylich, dann ist sie – – –

[86] Deiner Wahl unwürdig! rief die Prinzessin, und vollendete so die Worte ihres stockenden Geliebten. – Nein, Siuph, das bin ich nicht! Mein Entschluß soll dir dieses beweisen. Hier bin ich, Priester! stürzt mich in Eure Fluthen, läutert mich durch Euer Feuer und verstärkt sie siebenfach, damit der König von Egypten, dessen Seele so rein ist wie das Auge des Himmels, der nie empfand, daß er ein Mensch und kein Halbgott ist, eine himmelreine Gattin in seine Arme schließe.

Es war in dem Ausdrucke, welchen die Prinzessin ihren Worten gab, etwas, das man für Hohn und Unwillen halten konnte; auch war ihr Herz nicht ganz frey von widrigen Empfindungen gegen ihren Geliebten. Seine Zweifel in ihre Tugend, denen sie doch selbst durch ihre Zaghaftigkeit ihr Daseyn gegeben hatte, erbitterten sie, sie fand die Bereitwilligkeit, mit welcher er sie den furchtbarsten Prüfungen preis gab, unnatürlich und seiner Liebe ungemäß; sie bedachte nicht, daß er in diesem Augenblicke erfahren hatte, daß diese Prüfungen nichts [87] waren für den Reinen, und daß er von ihr erwarten konnte, sie werde ihm den nehmlichen Beweis ihrer Tugend geben, den sie von ihm erhalten hatte.

So ward auf einmahl eine Art von Misverständniß zwischen zwey sonst immer einigen Herzen geboren; so hatten diese Dinge, diese Prüfungen und Weyhen, zum frohen Spiel ihrer Phantasie, zu Erhöhung ihres Glücks bestimmt, auf einmahl ein ganz anderes Ansehen gewonnen, und schon halb getrennt verließen sich die, welche nun bald, vielleicht auf ewig, geschieden werden sollten.

Siuph war in der That in den letzten Augenblicken ganz an seiner Geliebten irre geworden, und die Art, mit welcher sie ihn verließ, trug nichts bey, seine schwankende Meynung von ihr zu bessern. Doch dieser Zustand dauerte nur wenig Augenblicke; schnell behauptete seine Liebe zu Nitetis wieder ihre Rechte. Er machte sich Vorwürfe, ihr Proben zur Pflicht gemacht zu haben, die sie ihm bey besserer Besinnung[88] nicht zu bedürfen schien. Ihre Zaghaftigkeit schien ihm jetzt edles Mistrauen in sich selbst, höchstens weibliche Schwachheit zu seyn. Er fürchtete in der That für sie, wenigstens wegen der Angst, mit welcher sie einen Weg antreten mußte, dessen Ende ihr zweifelhaft schien; er wollte sie zurückrufen, wollte ihr sagen, daß er ihr ohne Prüfung traue, aber es war zu spät; ein durchdringender Schrey aus der Tiefe sagte ihm, daß diese Unglückliche schon mit den Wellen kämpfe. Er sahe sie jetzt emporkommen, jetzt verschwinden. Bittend streckte sie die Arme nach ihm aus; er konnte ihr nicht helfen! Seine Verzweiflung kannte keine Gränzen. Umsonst sagte ihm der kaltblütige Priester, daß dieser Kampf vielleicht nur scheinbar sey, daß man ja ihn, Siuph selbst, kurz zuvor in dem nehmlichen schrecklichen Zustande erblickt habe, davon ihm doch nichts bekannt sey; und daß, wenn hier vielleicht etwas mehr Würklichkeit obwalte, er ja am Ende nichts verliere, als eine unwürdige Geliebte, die ihn mit falscher Tugend zu täuschen gewußt habe, und welcher die Götter, die ihn liebten, noch [89] zu rechter Zeit die Larve entrissen hätten, ihren Liebling nicht unglücklich zu machen.

Siuph war taub bey diesen seltsamen Tröstungen. Er wollte seine Geliebte, die ihm nie schöner und unschuldiger vorgekommen war als in diesen Augenblicken, wenigstens der Probe des Feuers überheben; doch dies war vergebens, war zu spät! Fast ihres Wesens beraubt, verlies Nitetis schon die Wellen des läuternden Stroms. Wie einen Schatten sahe er sie noch einige Mahl durch die Flammen des feurigen Sees fliegen; nach und nach lößte sich die geliebte Gestalt in eine blaulichte Wolke auf, und gar bald verdampfte sie völlig vor seinen Augen.

Laß uns nicht trauern wo Gott gerichtet hat, sagte der Priester, welchem es endlich gelang, den unglücklichen König von Egypten aus der schrecklichen Bewußtlosigkeit, in welche ihn der letzte Auftritt gestürzt hatte, zu ermuntern. Nitetis war deiner unwerth; wenn du offene Augen hattest, so mußtest du dies schon vorher wissen, ehe [90] sie den Weg zu ihrem schrecklichen Tode antrat.

O, schrie Siuph, und, wenn ihr es wußtet, warum rettetet, warum warntet ihr die Unglückliche nicht?

Siehe, wir warnten und wurden nicht gehört! Auch war es uns Pflicht, den Gewählten der Götter von der Verbindung mit einer Tochter des Abgrunds zu retten, – sollte es auch durch den Untergang jener Elenden geschehen.

Siuph weinte und rang die Hände, er bedauerte seine glückliche Unwissenheit. Gern hätte er Nitetis in seine Arme zurück gewünscht wie sie war. Sie verloren zu haben, war jetzt das Schrecklichste, was er sich denken konnte.

Die Priester schonten seiner Schwachheit, sie fluchten nicht mehr dem Andenken der unglücklichen Nitetis; sie pflegten ihn in der Krankheit, die ihn befiel, und entließen ihn nicht eher aus ihrem Tempel, bis er einigermaßen an Leib und Geiste geheilt zu seyn schien.

[91] Ach diese Heilung war betrüglich! Siuph verlies die furchtbaren Mauern der Isis nur um mitten im Glanz der königlichen Hoheit ein elendes, ein sterbendes Leben zu führen.

Daß er den Tempel ohne Nitetis verlassen hatte, das sahe man wohl, und konnte sich also seinen Zustand erklären; aber die rechte Beschaffenheit der Sache, die rechte Art ihres Verlusts, erfuhr niemand, selbst Arueris nicht. O hätte Siuph ein Herz fassen können, mit diesem weisen Manne aufrichtig zu sprechen, vielleicht wär ein lindernder Tropfen in seine Wunden geflossen! Doch die Isispriester hatten sich jetzt ganz des Herzens des unglücklichen Königs bemeistert. Seit der Zeit von einem Monate, den er in ihrem Tempel zubrachte, galt niemand etwas bey ihm als sie, und Arueris besonders schien in seiner Gnade völlig gesunken zu seyn.

Die Schwermuth des Königs ging so weit, daß sie endlich in völlige Lebensmüdigkeit ausartete. Wer ihn sahe, kannte [92] ihn nicht mehr. Man grübelte über die Ursachen seines Dahinwelkens, und fand sie nicht; wie hätte man in die Geheimnisse der Tempel dringen sollen! –

Niemand litt bey Siuphs traurigem Zustande mehr, als seine Brüder; der König hatte ihnen allen Theil an der Regierung gegeben; im Grunde waren alle sowohl Könige als er, ungeachtet sie der Krone unter verschiedenen Namen, nur dienten. Einige waren Stadthalter der entfernten Provinzen, andere kommandirten die Heere, und die ältesten und weisesten unter ihnen führten in Siuphs Namen, als seine vertrautesten Minister, das Ruder des Staats; diese, welche der Person des guten angebeteten Königs die nächsten waren, fühlten am meisten seinen nahen Verlust; sie schrieben an ihre Brüder, und nicht lange, so sahe sich Siuph von allen umringt, die ihm lieb waren. Sie warfen sich ihm zu Füßen, sie beschworen ihn beym Schatten ihres gemeinschaftlichen Vaters und dem Wohl Egyptens, sich ihnen zu entdecken und überzeugt zu seyn, daß brüderliche Liebe, [93] vereint mit der Macht, die er ihnen geliehen habe, Wunder würken werde, ihn zu beruhigen.

Siuph, welcher wohl wußte, daß keine irdische Macht, keine brüderliche Aufopferung im Stande war, sein heimliches Leiden zu lindern, oder ihm wieder zu geben, was er verloren hatte, antwortete auf ihr Eindringen nichts. Er umarmte einen nach dem andern, mischte seine Thränen mit den ihrigen, und sank in sein dumpfes Schweigen zurück.

Wenn ich nun todt bin, begann er nach einer langen Weile, gleich als setze er eine Reihe von Gedanken fort, die niemand errathen konnte; wenn ich nun todt bin, so nimmt mein Bruder, der mir an Jahren der nächste ist, der weise Neotanebus das Scepter von Egypten; die andern behalten den Rang und die Hoheit, die sie bisher besaßen, und folgen einander in der Reihe, so wie sie der Tod ihres Vorgängers zur Regierung fordert; denn ach, mir ahndet es! Schnell tritt einer dem andern in die Fußtapfen, [94] die zum Schattenreich führen! Ein unerbittliches Verhängniß waltet über König Sams Söhnen! Die Gottheiten der Rache, meine Brüder, wurden nicht befriedigt durch jenes Opfer, welches uns Arueris an den Fuß ihres Altars niederlegen lies! – Wenn denn nun du, Amyrthaeus, du liebster und jüngstgeborner unter meinen Brüdern, wenn denn nun auch du den Scepter und die Krone zu unsern Kronen und Sceptern niedergelegt hast, wer wird dann über die Völker des Nils herrschen? – Meine Gedanken verwirren sich! Ich glaubte mich bishieher, von dem Geiste der Weissagung beseelt, aber hier hüllt sich alles in Dunkelheit. Bilder, deren Erfüllung unmöglich ist, steigen vor meiner Seele auf. Unmöglich, unmöglich ist das, was sich meinen Augen zeigt! Denn Siuph gehet jetzt hin den Weg, den er nie wiederkommen wird. Sollte er aus dem Grabe gehen, um zum zweyten Mahl die Völker des Nils zu beherrschen?

Der König stand nach Endigung dieser Worte eilig auf, und ein Wink gebot seinen [95] Brüdern, sich zu entfernen. Er wollte allein seyn, und man gehorchte ihm mit einer Ehrfurcht, die alles übertraf, was man bisher für ihn gefühlt hatte. Es war etwas übermenschliches in seinem Betragen, er schien schon ganz das zu seyn, wozu er in kurzem sich machen wollte.

Mittlerweile die Prinzen diese kurze, schauervolle Audienz bey ihrem Bruder hatten, verfügte sich der weise Arueris in den Tempel der Isis. Der Oberpriester war, seit langen Jahren, sein Freund, und er hofte von diesem ehrwürdigen Greise Aufschlüsse über das zu erhalten, was mit dem Könige, in seinem Tempel vorgegangen war. Er ging schwer an diesen Schritt; Priester pflegen nicht gern nach Priestergeheimnissen zu forschen. Gefährlich waren die Fragen, die er thun wollte, und aufs beste genommen, mußten sie wenigstens vergeblich seyn; doch er wagte es, und hoffte von der Nachsicht seines alten Freundes wenigstens einige belehrende Winke.

Arueris Rang im Königreiche, und in seinem Tempel, war zu hoch, daß er ihm [96] nicht augenblickliche Audienz, bey der Isis oberstem Diener, hätte verschaffen sollen, aber schon die Pracht, mit welcher er zu demselben geführt wurde, hätte ihm sagen sollen, daß er hier alles anders finden würde, als er vermuthet hatte.

Die größte und traurigste Ueberraschung stand ihm bevor. Sein alter Freund, der bis in sein neunzigstes Jahr das Oberpriesterthum der Isis verwaltet hatte, war nicht mehr, und der Erbe seiner Würde, der den staunenden Arueris mit königlichem Pomp empfing, war – Besa! – –

Sam, der zur Rechten seines Stuhls, als der nächste nach ihm im Rang und Würde stand, vermehrte Arueris Staunen, und man mußte ganz er selbst seyn, um nicht bey dem Anblick dieser beyden Personen in völlige Verwirrung zu gerathen.

Wer sich an die Vorgänge im Tempel des Phtah erinnert, kann sich ein Bild von der Unterhaltung machen, die hier statt fand. Man blieb zwar in den Schranken der genauesten Politik, aber daß statt der[97] treuherzigen offenen Fragen, statt der gehofften Erklärungen über gewisse Geheimnisse, nichts als geschraubte Worte vorfielen, und daß Arueris den Tempel völlig unbefriediget, und trauriger als zuvor verlies, das läßt sich denken. Den tiefsten Kummer empfand er, wenn er berechnete, daß Besa schon seit drey Mondswechseln die heilige Inful trug, und daß er sie also schon zur Zeit der Abendtheuer Siuphs im Tempel getragen hatte.

Er wünschte, als er zurück kam, vor den König gelassen zu werden; wenigstens fragen wollte er ihn, ob er Sam und Besa damahls gesehen und erkannt habe. Das Gegentheil hiervon war sehr leicht möglich; denn oft waren die Oberpriester der Isis zu vornehm, sich den Königen von Egypten zu zeigen, wenn diese einen Besuch in dem Tempel ihrer Göttin machten, und nicht ausdrücklich das Oberhaupt der Priesterschaft zu sprechen verlangten.

Zutritt bey Siuph zu erhalten war unmöglich, er lies niemand, selbst seine Brüder, [98] nicht mehr vor sich; alle beschied er auf den dritten Tag in den Isistempel, wo, dem ganzen Lande war es kund, ein großes Fest gefeyert werden sollte, bey welchem niemand fehlen durfte, der einigen Anspruch auf Rang und Hoheit hatte.

Die große Alte hatte in ihrem Ritual sehr seltsame und höchst geheimnißvolle Gebräuche; viele derselben wurden äußerst selten gefeyert, weil sich selten Gelegenheit fand, sie feyern zu können.

Einer derselben war die Schlachtung eines Isispriesters zum Opfer der Gottheit. Sehr erwünscht war den Priestern und dem Lande allemahl ein solches Opfer; denn es gab den erstern die Ehre, durch ihr Opfermesser einem neuen Gotte das Daseyn gegeben zu haben, und den andern auf viele Jahre ein Orakel. Der, welcher sein Blut auf diese Art an den heiligen Altären dahin gab, ward in den Rang der Unter-Gottheiten versetzt, und seine Gebeine erhielten, so lange sie unverweßt blieben, die Kraft, nach seinem Tode den Rathfragenden untrügliche Antwort zu geben.

[99] Lange hatte das Land dieses Vortheils entbehrt. Die Gebeine des letztern Isisopfers waren längst zerstäubt, und man hatte noch keine Aussicht zu Ersetzung seiner Stelle. Derjenige, welcher zu diesem heiligsten Opfer der Göttin tauglich seyn sollte, mußte ein Erstgebohrner, ein Jüngling in der Blüthe des Lebens, mußte vom höchsten Stande, schön, ohne Makel an Leib und Seele, und reiner unbescholtener Sitten seyn. Wie schwer es war, bey allen diesen erforderlichen Vorzügen, einen Menschen zu finden, der sich freywillig zum Opfer der Göttin hingab, läßt sich errathen, und Freywilligkeit war das letzte, aber das Haupterforderniß, das, wenn auch in den andern Eigenschaften etwas zu erlassen gewesen seyn möchte, nie übergangen werden durfte.

Der einzige Umstand, daß der zu Opfernde ein Isispriester seyn mußte, brachte noch einige Möglichkeit hervor, daß sich der seltene Fall eines solchen Opfers zuweilen fand. Unter den der Göttin geweihten Jünglingen, gab es allerdings zuweilen einige, welche,[100] nach Ablegung ihres Gelübdes, die Last desselben fühlten, und die, zu fromm seine Grenzen zu durchbrechen und sich jenseit derselben Lebensgenuß zu verschaffen, wie die meisten thaten, lieber einen glänzenden Tod nebst der mit ihm verbundenen Vergötterung, als ein Leben ohne Lebensfreuden wählten. Sam, Pharao Hophras Enkel, befand sich bey jenem Gespräch, das er vor dem Bilde seiner Göttin mit Besa hielt, vielleicht ziemlich in dem Falle, einen solchen Schritt zu thun, und es fehlte ihm wohl nur ein Rathgeber, ihn auf diese oder jene Seite zu lenken.

Schon seit einigen Wochen bereitete sich das erfreute Egypten auf das Höchste der Feste ihrer Göttin. Ihnen war seit dieser Zeit vom Tempel aus verkündiget worden: Die Völker des Nils sollten wieder einen neuen Stellvertreter bey der Gottheit, sollten wieder ein Orakel haben, und an diesem traurigen Freudentage war es eben, da König Siuph den weisen Arueris, seine Brüder, und alle, die ihn zu sprechen wünschten, im Tempel sehen und sprechen wollte.

[101] Man hofte viel zu Aufheiterung des Königs von dieser Feyerlichkeit, und selbst Arueris glaubte, ein glücklicher Götterspruch aus dem Munde des neuen Orakels, könnte vielleicht Einfluß auf Siuphs Gemüthsruhe haben. Er, bekannt mit allen Geheimnissen der Tempel, würde nicht an den Mitteln gezweifelt haben, einen solchen zu bewürken, wenn – nicht Besa, sein Feind, gegenwärtig Oberpriester gewesen wäre, mit welchem er auf keine Art was zu thun haben wollte.

Der wichtige Tag erschien. Ganz Egypten versammelte sich in den Vorhöfen des Isistempels. Der König war, wie dies das Ceremoniel mit sich brachte, früher daselbst als einer seiner Unterthanen. Ihm folgte unmittelbar Arueris mit den Prinzen. Sie hatten gehofft, den König noch vor Anfang des Gottesdienstes zu sprechen; aber dies war unmöglich, denn Siuph verschloß sich sogleich bey seiner Ankunft mit dem Oberpriester, und kam nicht ehe zum Vorschein, als da schon die heiligsten Gebräuche ihren Anfang nahmen.

[102] Vor der Opferung sollte diesmahl noch eine andere Ceremonie hergehen. Es war die Einweihung eines neuen Isispriesters, und Besa säumte nicht dem Volke bekannt zu machen, daß es der nehmliche sey, den man hernachmahls schlachten wollte.

Egypten hörte es und erstaunte. Alle Priester der andern Göttertempel standen auf, und protestirten. Dies war wider alle Rechte des Priesterthums! Kein Neueingeweihter, sondern nur ein solcher, der den Dienst der Göttin wenigstens ein Jahr, versehen hatte, konnte der Ehre, zum Orakel geschlachtet zu werden, genießen. Der Tumult, der sich über Besa's eigenmächtiges Verfahren in diesem Stück erhob, war unglaublich, und in völlige Verwirrung artete er aus, als man das schöne, unschuldige, bereits seiner wallenden Locken beraubte, und mit Blumenketten gebundene Schlachtopfer, und in ihm – Egyptens angebeteten König, den unglücklichen Siuph erkannte.

Keine Worte können das Entsetzen schildern, das dieser Anblick verbreitete. Das [103] Volk raßte und tobete. Alle Kerzen wurden ausgelöscht, die stürmende Menge zog sich nach dem Allerheiligsten des Tempels, und die Priester mußten entfliehen, um nicht von dem Volke zerrissen zu werden.

Es ist nicht zu läugnen, daß Arueris diesen Aufruhr lenkte und vermehrte. Halb außer sich über das, was ihm wie ein schrecklicher Traum vorkam, sahe er kein anderes als ein verzweifeltes Mittel, das, was hier verübet werden sollte, zu stören.

Siuph war entweder das Opfer der schlauesten Priestertücke, das Opfer seiner unversöhnlichen Feinde, Sams und Besa's, oder er war wahnsinnig; in beyden Fällen war Gewalt der einzige Weg, ihn zu retten. Die Prinzen waren hierinne mit Arueris einverstanden, und nichts ward gespart, weder Tempel noch Heiligthum sollten geschont werden, um den großen Endzweck durchzusetzen.

Doch die Wuth des Pöbels ließ sich nur bis auf einen gewissen Punkt entflammen. Sie liebten ihren König, aber nicht mit [104] Bruder- und Vaterliebe, wie die Prinzen und Arueris. Die große Isis war ihnen mehr. Ihre Heiligthümer konnten sie nur in der ersten Raserey bedrohen; auch war schon, seit sich Besa in den innern Tempel zurückgezogen hatte, eine Menge verkleideter Priester unter dem Volke, welche Siuphs Rettern entgegen arbeitete.

»Bedenkt, flüsterten sie, daß des Königs Wahl freywillig ist! Welch ein Glück, Euren König zum Gott zu haben! Welch eine Ehre, daß er sich für euch aufopfert! Wollt ihr den Vortheil, wieder ein Orakel zu haben, wie Eure Väter hatten, selbst vernichten? Bedenkt, wie wohl dem Lande durch die Göttersprüche eines Siuph gerathen werden wird! Höre auf, Volk des Nils, deine Götter und deinen heiligen König, einen König, dessen gleichen die Welt nicht sahe, durch Widerstand und Aufruhr zu beleidigen! Du vermagst nichts zu hindern, was geschehen soll; aber den Vortheil kannst du dir rauben, der aus dem Geschehenen erwachsen könnte, wenn du den König, der nun bald im Rathe der Götter sitzet, mit [105] feindlichen Gedanken gegen dich in die obern Regionen aufsteigen lässest!«

Worte, wie diese, verfehlten ihrer Würkung nicht. Siuphs Freunde vermochten nichts weiter. Das Volk ward ruhig, es forderte die Priester selbst auf, ihre Gebräuche von neuem zu beginnen, indem es zugleich diejenigen fürchterlich bedrohete, die sich dem Willen der Götter und des Königs länger widersetzen würden.

Arueris war bereits ohnmächtig hinweggetragen worden, als die Priester mit ihrem Königlichen Opfer wieder zum Vorscheine kamen, und die Prinzen hatten sich verzweifelnd hier und da zerstreut, weil sie sahen, daß nun alles verlohren war. Nur Nektanebus und Amyrthaeus, der älteste und jüngste der Brüder, wurden noch durch die Liebe auf dieser Stelle des Grauens zurückgehalten. Liebe giebt erst spät alle Hoffnung auf; beyde wähnten noch eine Möglichkeit der Hülfe.

Völker der Sonne, rief jetzt Siuph, der aus dem Kreise der ihn umringenden [106] Priester hervortrat und sich der anbetenden Menge zeigte: Ich verzeihe euch eure Widerspenstigkeit. Sehet, sie fruchtete nichts! Dieser heilige Schmuck zeigt euch, was ich indessen geworden bin, da ihr euch dem Willen der Gottheit widersetztet. Ich bin ein Priester der Isis, bin bald euer König nicht mehr, und keine menschliche Gewalt kann mich hindern zu sterben, da ich sterben will! Keiner von euch beurtheile den Schritt, den ich gethan habe. Niemand weiß, was ich verlor, niemand weiß, was mir das Leben zum Abscheu macht. Ich vermag es nicht mehr zu ertragen dieses elende verzweiflungsvolle Leben. Mir ist nichts übrig als der Tod! Auf Erden nütze ich meinem Volke nichts mehr, dort in jenen Regionen des Lichts werde ich ihm vielleicht nützen können. Ich habe noch rückständige Pflichten gegen Egypten, und ich eile, sie auf diese Art zu erfüllen. Und, o welch ein Gedanke! Nitetis! welch ein Gedanke! dir, auch dir in meinem neuen Götterrange vielleicht noch nützen zu können! Deine ungereinigte Seele entfloh durch meine Schuld zum Abgrund, dir bin ich Rettung schuldig, und wer weiß, [107] ob mir die Macht, die Herrlichkeit, welcher ich nun entgegen sehe, nicht dieselbe möglich machen wird. –

Siuph fiel bey diesen Worten in ein tiefes, entzückungvolles Stillschweigen. Die Pause wurde durch das Schluchzen des Volks, das die Scheideworte seines Königs schön fand, ohne sie ganz zu verstehen, ausgefüllt.

Ich habe, begann der König, der sich indessen gefaßt hatte, von neuem, ich habe von irdischen Dingen nur noch eins zu besorgen, und das ist die Bestimmung meines Nachfolgers. Man gab mir zwar den Rath, Krone und Land Sam, dem Enkel Pharao Hophras, zu hinterlassen; auch war ich bis diesen Augenblick nicht übel zu diesem Entschluß gestimmt. Doch, dort erblicke ich meinen Bruder Nektanebus. Seine Rechte auf meine Wahl, sind die nächsten. Komm her, Geliebter meiner Seele, umarme deinen sterben den Bruder. Dies gute Volk wird dir die Krone nicht versagen! Die Stimme, die [108] ich dir zu deiner Wahl in diesem Augenblicke gebe, und der Fluch, den ich auf Egypten lege, daferne es nicht dir, und nach dir, allen meinen Brüdern bis zu dem jüngsten das Königthum gönnt, sey der erste Orakelspruch, den es aus meinem Munde hört. Nahe dich, mein Liebling! Amyrthaeus! Sohn und Bruder meines Herzens, auch du bist hier! komm, empfange auch du den Kuß des Scheidens und der heiligen Königs-Weihe. Volk des Nils! siehe hier den ersten und den letzten meiner Nachfolger! Noch einmahl: Fluch über dir! wenn du den letzten Willen dessen, der noch jetzt dein König ist, nicht erfüllest!

Derjenige, welcher im Stande gewesen wär, im Augenblicke dieser letzten Worte des Königs, Bemerkungen über das Betragen der Priester zu machen, würde seltsame Aufschlüsse über manches Geheimnißvolle dieser Scenen erhalten haben; aber die Dämonen, die das Schlachtopfer umringten, (Wuth und fehlgeschlagene Hoffnung funkelten in ihren Blicken) hatten keinen Bemerker. Siuph fühlte sich schon halb der [109] Erde entrückt, sein Geist schwebte schon in höhern Regionen. Seine Brüder hingen an seinem Halse, und weinten, sie fühlten nichts, als die Trennung von ihm. Das Volk war von Bewunderung seines Königs trunken, und die Anbetung, zu welcher sein Betragen sie hinriß, gab keinen Gedanken Raum, als den Willen des Sterbenden augenblicklich zu erfüllen. Sie strömten herzu, und rissen ihre bestimmten Herrscher aus seinen Armen; sie trugen dieselben auf ihren Schultern im Triumph davon, und die Namen: Könige und Väter des Volks! die es ihnen zurief, raubten den bestürzten Priestern alle Hoffnung, den Endzweck noch zu erreichen, den sie durch Aufopferung des besten und unglücklichsten Königs, heran gearbeitet hatten.

Siuph, ein duldendes, williges Opfer, blieb in ihren Händen. Egypten erfuhr in wenig Stunden, des heiligen Königs großer Entschluß sey erfüllt, und nach sieben Wochen, wenn die Gebeine des vergötterten Siuph die volle Salbung erhalten hätten, könne man die ersten Aussprüche desselben einholen.

[110] Welches Todes Siuph eigentlich gestorben war, erfuhr niemand. Die Priester waren zu klug, wie sonst das Ceremoniel bey Schlachtung eines Isispriesters erforderte, sein Blut vor den Augen des Volks zu vergießen. Niemand sicherte sie bey einem solchen Auftritt vor neuer Empörung. Siuph hatte in dem Innern des Tempels seinen Opfertod geduldet, ob durchs Schwerd oder durch Feuer, das wußte niemand. Die ältesten Egyptier erinnerten sich, von ihren Großvätern gehört zu haben, daß es noch einen dritten Opfertod gebe, welchen man für den heiligsten hielt, aber sie hüteten sich, denselben zu nennen, um den Freun den des vergötterten Königs nicht noch einige Zeit die Hoffnung seiner Rettung zu erhalten, und Egypten vielleicht seine Orakel zu rauben. Dieses wär um desto eher möglich gewesen, da man wußte, daß im Isistempel Streit und Zwietracht bis zur gänzlichen Verwirrung herrschte. Er blieb mehrere Tage geschlossen, wie die Diener der Göttin sagten, um in Zubereitung der heiligen Mumie nicht gestört zu werden, aber, wie andere behaupteten, aus Ursachen, die dem [111] neuen Könige von Egypten und seinem ganzen Lande den Vortheil hätten geben können, sich auf einmahl der Hierarchie zu entreissen, deren drückendes Joch sie fühlten, ohne sich es gestehen zu wollen.

Weder Nektanebus, noch seine Brüder erfuhren etwas von diesen geheimen Gerüchten. Sie kannten das Land noch nicht hinlänglich, um seine innere Verfassung beurtheilen zu können; mancher König von Egypten verlies den Thron, ohne in dieselbe einen tiefern Blick gethan zu haben; selbst Siuph war ja in diesem Fall gewesen.

Der alte Arueris, welcher, besonders in den letzten Zeiten, heller sah, und als Priester heller sehen konnte, würde vielleicht seine Pflegesöhne von gewissen wahrscheinlichen Muthmaßungen unterrichtet und ihre Schritte geleitet haben, aber er war nicht mehr. Das Entsetzen über das Trauerspiel im Tempel, hatte ihm eine Schwachheit zugezogen, die er nur wenig Tage überlebte.

[112] Sohn, sagte er zu dem neuen König von Egypten, der an seinem Lager kindliche Thränen vergoß: Bitte die Götter der Rache, daß sie mit dem Blute Siuphs die Vergehungen deines Vaters abgewaschen seyn lassen. König Sam, ich mochte sein Verfahren gegen das Haus Pharao Hophra's jenesmahl im Tempel Hephästos beschönigen wie ich wollte, handelte nicht ganz gut als Ueberwinder. Hophra's Sohn, der Vater jenes Sam im Isistempel, mußte sterben, um deinem Vater den Thron zu sichern. Dies ist die Weise der Eroberer! Nektanebus trete nicht in ihre Fußtapfen; er sey ein friedlicher Beherrscher seines Volks, damit er einst sterben kann, wie ich sterbe.

Es würde mich zu weit führen, wenn ich der großen Termuthis alles umständlich erzählen wollte, was nach Siuphs Hintritt unter den Regierungen Nektanebus und seiner Brüder vorgieng. So viel sey genug: Hatte Siuph jemahls richtig prophezeihet, so war es in jener Stunde, als er das letzte Gespräch vor seinem Eingang in dem Tempel mit seinen versammelten Brüdern [113] hielt. Er weissagte allen die Egyptische Krone, die er ihnen auch, wie wir gesehen haben, in der Folge zu sichern wußte, und allen einen frühen Tod, und die Zeit von den Regierungen zehn guter Könige, drängte sich in den Raum von zwölf bis dreyzehn Jahren zusammen.

Der vergötterte Siuph schien sich zu sehnen, in den himmlischen Regionen, alle seine Brüder bald um sich zu haben; denn die Göttersprüche, die man bey seinem Grabe holte, hatten alle einen wunderbaren Einfluß auf das Schicksal und das schnelle Lebensende seiner Brüder.

Nektanebus, von dem heiligen Toden aufgefordert, drey Nächte an seinem Grabe zu wachen und dort besonderer Aufschlüsse über das Wohl Egyptens gewärtig zu seyn, ward in der heiligen Gruft todt gefunden; wahrscheinlich, so sagte man wenigstens, hatte ihn der Schmerz, um den verlorenen Bruder, oder das Ungewohnte himmlischer Offenbarungen getödet.

[114] Dem Nachfolger dieses Prinzen prophezeihete der vergötterte König den schönsten Tod an heiliger Stelle, und gebot ihm, die Wohnung der Isis fleißig zu besuchen; ihn tödete, einst in voller Versammlung, ein Blitz bey heiterm Himmel.

Als König Nekos, der Dritte nach Siuph, sein Ende auf ähnliche Art im Tempel fand, so fing das Volk an zu murren; die Könige wurden vorsichtiger, sie besuchten nicht mehr so fleißig das Grab ihres Bruders; aber seine Orakelsprüche dauerten fort, und ihr Einfluß schlängelte sich unabläßig bis zum Thron der Könige heran. Nutzlose Heerzüge, gewagte Unternehmungen von anderer Art, in der Lybischen Wüste geholte giftige Krankheiten, machten die Zahl von Siuphs Brüdern klein, und Amyrthaeus war an der Reihe den Thron zu besteigen, ehe man, seit Egypten wieder einen weissagenden Gott besaß, zum dreyzehnten mahl das Fest der Niloen feyerte.

Dieses Fest, das dem großen Wohlthäter Egyptens, dem fruchtbarmachenden siebenarmigten [115] Strom heilig war, fiel in die Zeit des längsten Tages, und wurde, wie sich das von den ceremonienreichen Egyptiern erwarten läßt, mit ganz besondern Gebräuchen begangen. Amyrthaeus, welcher, als man ihm den Tod seines letzten Bruders meldete, und ihn zum Throne rief, bey dem Heere war, das er fast in den letzten zehn Jahren nie verlassen hatte, wurde ermahnt, sich unausbleiblich vor den Niloen einzufinden, und keine der bey diesem Feste dem Könige zukommenden Gebräuche zu unterlassen.

Amyrthaeus, ein Kriegsheld, war mehr in den Waffen, als in den Sitten einer Religion erfahren, die er nicht liebte, weil sie ihn um eilf seiner Brüder gebracht hatte. Er ließ den Priestern der Isis, die ihm diese Botschaft zusandten, sagen: er würde kommen, kommen als König, aber die Art seiner Zukunft würde von dem Zufall und seinem Willen abhängen.

Eine zweyte Botschaft kam an, welche nichts als einen Orakelspruch des vergötterten [116] Siuph enthielt. Amyrthaeus öffnete sie mit wenigerer Ehrfurcht, als er dem Andenken eines so zärtlichen Bruders schuldig zu seyn schien, und las folgende Worte:

»Willkommen, willkommen auf dem Thron unserer Väter! Willkommen, Pharao Amyrthaeus! Siehe, er zieht daher, nicht mit glänzenden Waffen; einsam, und mit den Sprossen des Oehlbaums geschmückt, wallt er den Weg zur Krone! An der Grenze des Königreichs läßt er seine Krieger zurück das Land zu decken, dem Ueberfall aus Persien droht! Schnell und ungesäumt ist sein Schritt, um die Zeit der Niloen nicht zu versäumen! Doch vergißt er nicht, wenn er dem Nil naht, die heiligen Krokodile zu besuchen. Sanftmüthig und ohne Wuth durchschlüpfen sie in diesen seeligen Tagen die schilfigten Ufer des Stroms; vermag Amyrthaeus mit eigener, unbewaffneter Hand eins der geweiheten Thiere zu fahen, und gebunden nach Memphis zu führen, so hat er den Typhon gefesselt, dessen [117] Wuth seine Brüder tödete; der Fluch, der auf Sams Kindern ruhte, ist abgethan, und die Jahre der Herrschung des Pharao Amyrthaeus vergleichen sich mit König Sethons Jahren!«

Amyrthaeus, der in der langen Entfernung von Priestern und Tempeln heller hatte sehen lernen, als alle seine Brüder, fand den Gift, der in diesem Götterspruch lag, fast zu plump aufgestreut, und konnte sich nicht entbrechen, da er sich unter lauter vertrauten Freunden glaubte, denn niemand umringte ihn, als die vornehmsten Anführer seines Heers, seine Gedanken laut werden zu lassen.

Es scheint, begann er mit bitterm Lachen, man hat dem Pharao Amyrthaeus ein noch kürzeres Ziel bestimmt, als seinen Brüdern. Einsam und ohne Schutz soll er die Gegend betreten, wo Siuphs Mörder, wo die Mörder aller seiner Brüder herrschen, soll – ein herrliches Zumuthen für Egyptens König! – noch erst mit den Krokodilen kämpfen, – ehe er den Thron betritt, [118] den, bey König Sams Schatten seys geschworen, keine menschliche Macht ihm entreissen wird!!

Pharao Amyrthaeus vergißt, antwortete einer seiner liebsten Diener, daß es sein himmlischer Bruder, kein Feind und Mörder ist, der in diesen Worten mit ihm spricht. Was das Zurückbleiben des Heers anbelangt, so wird es allerdings nöthig seyn, da wir von Persien her wenig Sicherheit haben. Der sogenannte Kampf mit den Krokodilen ist kaum der Rede werth. Es ist ja bekannt, daß sie während der Niloen keinen Menschen verletzen. Ein Kind kann sie binden in diesen Tagen, und ich besinne mich selbst, daß ich als achtjähriger Knabe – –

So? unterbrach ihn Amyrthaeus mit flammendem Gesicht, besinnst du dich auf ein ähnliches Wunder? Wohl gut! Man fessele diesen Mann, damit er der Ehre, dies Wunder zum zweyten mahle gewürkt zu haben, nicht entfliehe. Wenn ich nach Memphis komme, werde ich nicht ermangeln, [119] ihn das Krokodil, das Sams Haus mit dem rächenden Typhon aussöhnen soll, an meiner Statt binden, und den Isispriestern zum Geschenk bringen zu lassen.

Man erzitterte über die Majestät, mit welcher der neue Pharao diese Worte sagte; viele unter seinen Räthen, welche gesinnet waren wie derjenige, den man jetzt gebunden abführte, schwiegen gern, um sich nicht zu verrathen. Einige andere, welche ihrem Herrn wirklich treu dienten, aber auch die Macht der Isispriester kannten, und besorgten, Amyrthaeus möchte durch Hitze und übereilte Aeußerung seiner wahren Gedanken, sich den Weg zum Tode bahnen, den seine Brüder gegangen waren, nahmen ihre Seele in die Hand, und wagten, auf die Gefahr ihm zu misfallen und für Creaturen seiner Feinde gehalten zu werden, die nöthige Warnung.

Amyrthaeus wußte die Stimme der Wahrheit zu unterscheiden; er dankte seinen Freunden und bat sie, ihn seinen eigenen Weg gehen zu lassen. Glaubt mir, sagte [120] er, ich kenne dies Geschlecht, dieses Priestervolk! Zur Zeit unsers hülflosen Herumirrens in der Welt, zur Zeit, da Sams unglückliche Kinder den Weg zum Throne suchten, der ihnen der Weg zum Grabe ward, wurde ich von meinem Schicksale in einen ihrer Göttertempel geschleudert, ich gerieth unter die Zahl der Kinder des Apis, die sie Göttersprüche reden lassen, ich weiß sehr wohl, wie es mit ihren Orakeln bewandt ist, und wie sie sie zu erkünsteln wissen. Glaubet mir, der vergötterte Siuph sprach immer nur, was die Priester sprachen, und er weiß in jenen Reichen des Lichts, die sein verklärter Geist bewohnt, kein Wort –

O! fiel hier die große Termuthis ein. O Almé! du sprichst zu viel! du lästerst das, was auch uns noch heilig ist!

Prinzessin, antwortete ich, ich lasse den Pharao Amyrthaeus reden, ohne zu billigen oder zu tadeln, was er sprach.

Gut, gut, Rusma! fuhr sie fort, aber ich bitte dich überhaupt, fasse dich kurz, ich wünschte in der That, das Ende deiner [121] Erzählung zu hören. Eine seltsame Unruhe in meinem Blute, ein angstvolles Schlagen des Herzens, dessen Ursache ich nicht errathe, macht, daß ich es länger finde, als irgend etwas, das ich aus deinem Munde gehört habe.

Ich that den Vorschlag, sogleich abzubrechen, weil ich mich selbst nicht ohne eine heimliche Unruhe fühlte, die mir fast das Reden schwer machte, aber die Prinzessin, welche die Ordnung liebte, fand dieses unthunlich, und ich fuhr fort:

Amyrthaeus kam, auf Anrathen seiner Freunde, die es nicht für gut fanden, jede religiöse Rücksicht bey einem so abergläubigen Volk, wie die Egyptier, auf die Seite zu setzen, würklich noch während der Niloen in Memphis an, welche von ihnen, als eine besonders glückliche Epoche zur Einführung eines Königs, angesehen wurden. Auch lies er einen Theil des Heers an den Grenzen zurück; er wollte nicht das Ansehen haben, als vernachlässige er die Götterstimme seines Bruders, ob er gleich wohl einsahe, [122] daß der besorgte Einfall der Feinde eine Fabel war, die nur darzu dienen sollte, ihn einsam und unbeschützt in die Hände seiner Feinde zu liefern; aber ein anderer Theil seiner Krieger, und nicht der unbeträchtlichste begleitete ihn. Seine Schläfe umkränzte zwar der Oehlzweig des Friedens, denn er hatte Frieden mit seinem Volk, und kam als Vater zu ihm, aber das Schwerd an seiner Seite drohte den Feinden, und schon sein bloßer Anblick war denen unter ihnen, welche ihm entgegen gesandt wurden, um ihn einzuholen, Schrecken und Unterpfand, daß hier kein Siuph, kein Nekos, kein Nektanebus den Einzug halte.

Kaum wagte man es, ihn an den freundlichen Vorschlag, mit den heiligen Krokodilen zu kämpfen, zu erinnern, die zur Zeit der Niloen die schilfigen Ufer des siebenarmigten Stroms, zahm wie duldsame Lämmer, durchschlüpfen; er beantwortete den leisesten Wink hievon, mit einem Blicke, der hierüber ewiges Stillschweigen gebot; doch zu großmüthig war er, seine Drohung an demjenigen zu erfüllen, der sich zum [123] Bürgen für die Sanftmuth dieser Ungeheuer ge macht hatte, und welcher gefesselt, dem Heer nachgeführet wurde.

Ganz Memphis regte sich, als der neue Pharao mit der wahren Majestät eines Königs seinen Einzug hielt; die Priester zitterten bey seinem ersten Eintritt in den Tempel, und bey allen Schritten, die er in den folgenden Tagen that, zur Befestigung seines Thrones that, eigenmächtig that, ohne Priester und zweydeutige Räthe zu befragen.

Tausend Kabalen wurden geschmiedet, seine Entwürfe zu vereiteln; es war fast kein Geheimniß mehr, daß der König und die Diener der Isis Feinde waren. Noch drey Tage sollten bis zu seiner Krönung im Tempel der Göttin verfließen. Aber man versicherte ihn von allen Seiten, besonders die Priester des Phtah, des Osiris und des heiligen Stieres versicherten ihn, er werde diesen Tag nicht sehen, oder, sähe er ihn, schwerlich denselben überleben. Die Priester der andern Göttertempel, heimliche [124] Hasser der Diener der herrschenden Isis, drängten sich mit diesen und ähnlichen Weisungen dicht an den König. Aber er hörte, er achtete sie nicht, und versicherte einen jeden, daß er Mittel in sich selbst habe, jede Verrätherey zu vernichten, und den Thron, den ihm die Götter aufgehoben hätten, zu behaupten.

Die Aussprüche des vergötterten Siuph in diesen Tagen, waren unzählig; niemand achtete mehr auf die selben, und selbst das Volk spottete des Orakels, das zu deutliche Spuren des Odems trug, welcher es beseelte. Eine Art von Verzweiflung mußte sich der Feinde des Königs bemeistert haben, daß sie so plump zu Werke gingen; auch war es dem weisen Amyrthaeus wohl bekannt, daß im Tempel wüthende Zwietracht herrsche, und daß man in diesen Tagen, in den Tagen seiner persönlichen Anwesenheit, die allen Gewaltthätigkeiten hätten Einhalt thun sollen, es gewagt habe, einen der vornehmsten Isispriester hinzurichten.

[125] Nur Geduld! rief der erzürnte König, nur noch die Zeit von Nacht bis Morgen Geduld! und meine Rache soll alles finden, soll jedes Verbrechen ans Licht ziehen.

Es war auch in der That nur noch die Zeit von Nacht zu Morgen, bis auf den großen Augenblick, der den muthigen Amyrthäus die Krone bestätigen sollte. Um ein wenig zu schlummern, warf er sich nach Mitternacht auf sein Lager. Seine Seele von der dunkeln Aussicht auf unausgeführte Entwürfe ermüdet, bedurfte dieser Erholung. Seine Augen schlossen sich indessen nur halb, und sein Geist verlor nicht ganz das Bewußtseyn der Dinge, die ihn umgaben; da wars, als trät' seines Vaters, König Sams, Schatten zu ihm, blickte ihn mit forschendem Auge an, legte dann seine Hand auf sein klopfendes Herz, und fragte: Amyrthaeus! was schlägt in diesem Busen? Durst nach Gerechtigkeitsübung, oder Kronensucht?

Vater, antwortete er, das weißest du? Egyptens Krone trage wer da wolle, wenn [126] nur dem Frevel gesteuert wird! Oder sollen meine Brüder ungerochen geblutet haben?

Wohl! antwortete die Erscheinung im Verschwinden. Noch lange, lange ists dahin, bis Egypten einen Pharao Amyrthaeus sieht; aber das Schwerd der Gerechtigkeit ist in deiner Hand!

Amyrthaeus richtete sich noch im halben Schlummer auf, und starrte in die Dämmerung hin, die sein Zimmer umzog, da wars, als schwebte der Schatten noch einmahl hervor. Erwache! rief er, die Zeit der Rache beginnt!

Der Prinz hatte sich noch nicht völlig ermuntert, als man an seine Thür klopfte; das gewöhnliche Zeichen für ihn, daß der Morgen graue, und die Zeit des Erwachens da sey.

Amyrthaeus erhob sich, die dunkelste Mitternacht herrschte noch draußen, und die Sterne funkelten tiefe Ruhe herab. Was ists, rufte er, daß man so früh mich[127] erweckt? – Herr, war die Antwort, hier ist geheime Botschaft aus dem Isistempel. Man verlangt dich augenblicklich zu sprechen.

Der Prinz war, so nahe er auch gegenwärtig am Throne stand, noch immer der einfachen Sitte des Kriegslebens getreu; kein zahlreiches Heer von Dienern umringte ihn, und machte dem, der Gehör suchte, den Zutritt schwer; er selbst erschwerte ihn nur denjenigen, von denen er nutzloses Einmischen in Dinge, die er sich selbst vorbehielt, Versuche seine Entschlüsse zu durchkreuzen, oder Verschwendung der Zeit besorgen mußte. Eine geheime innere Stimme sagte ihm, daß hier keiner dieser Fälle statt finde, daß er diese Botschaft hören müsse, ob sie gleich aus der Wohnung seiner Feinde kam.

Die Person, welche eintrat, war ein junger Isispriester. Er sahe sich schüchtern um, als ob er Aufmerken besorgte. Pharao verstand die Miene, gab einen [128] Wink, allein zu seyn, und verschloß selbst die Thüre.

Jüngling, sagte er zu dem Boten, der noch immer zitternd vor ihm stand und keine Worte finden konnte, Jüngling, was bringst du mir?

Botschaft von einem sterbenden Feinde.

Welcher meiner Feinde im Isistempel ist gestorben?

Du hast ihrer viele, Amyrthaeus! wollte Gott, sie lägen alle so ruhig, wie dieser! – Verzeihung ihm! er war keiner deiner hartnäckigsten Verfolger. Er mußte sterben, weil er dir Friede und Aussöhnung bringen wollte. Lies diese Zeilen, sie geben dir Aufschluß:

Amyrthaeus las und staunte.

»Letzter der Königssöhne, die auch ich verfolgen half! Friede und Aussöhnung in der Stunde des Todes! Ich bin der unglückliche Sam, den Liebe [129] und Kronensucht zum Verbrecher machten. Besa war mein Verführer! O der schrecklichen Nacht, die ich mit ihm beym Isisbilde verwachte! Sie war die Geburtsstunde meiner Verbrechen! – Konnte ich so den Ruf der Götter im Tempel Hephästos, so der Stimme vergessen, die Siuphs Brüder wählte, und mich verwarf? Und wie wagte ich es, wider den Willen der Götter zu streiten? Höre, o Pharao Amyrthäus, höre die Geschichte meiner Verbrechen, und lerne verzeihen! –

Ich liebte Siuphs reizende Braut, liebte sie, ohne Hoffnung. Besa wußte mir Aussichten zu ihrem Besitz zu eröffnen, wo ich keine sah, und hier schloß sich mir der erste Weg zum Verbrechen auf. Ich warf jetzt kühnere Blicke auf Nitetis, und durch teuflische Künste wußte sie jener Verführer in meine Arme zu zaubern. Nitetis starb nicht des schrecklichen Todes, von dem vielleicht auch du gehört hast, sie wurde nur ihrem Gemahl durch ein Blendwerk entrückt, um mein zu werden.

[130] Sie ward es nicht, ob man gleich ihr Herz, in den letzten Stunden der Trennung, von ihrem Verlobten loszureissen gewußt hatte. Treu blieb sie ihm bis zum Tode.

Nicht genug, daß mich Besa zum Verbrecher aus Liebe gemacht hatte, auch durch Ehrsucht sollte ich fallen. Er weckte in mir den längst getödteten Trieb zur Krone auf, und lehrte auch hier, mich hoffen. Siuph starb, alle seine Brüder mußten sterben, sterben für mich!

Auch dir war der Tod bestimmt! und Sam, der Verworfene, der jetzt so gern reuend deine Knie umfassen möchte, ward nicht erschüttert von dem Blute, das um seinetwillen geflossen war und noch fließen sollte, er hoffte, doch endlich nach den Söhnen König Sams die Krone zu tragen, und durch ihren Glanz vielleicht die grausame Nitetis zu erweichen. Da erfuhr er, daß er nur König werden sollte, um den [131] nichtswürdigen Besa zu krönen, da erfuhr er, daß dieser Bösewicht, all diese Jahre über – für sich, nicht für ihn gearbeitet hatte.

Auch Nitetis sollte sterben, nur Besa's Thron desto gewisser zu machen. Da Sam dies nicht mehr bezweifeln konnte, entbrannte sein Herz im heiligen Grimme, ihm gingen die Augen auf; er wollte den unglücklichen Amyrthaeus retten, retten Nitetis, wollte fliehen zu den Füßen des neuen Pharao, und ihm alles entdecken.

Doch seine Reue war zu spät, war vielleicht nicht rein vor den Augen der Götter. Sams Flucht ward entdeckt, entdeckt seine Plane! Er liegt jetzt in Ketten, und sieht in wenig Stunden dem Tode entgegen.

Noch fand er unter seinen Henkern eine mitleidige Seele, die seine letzten Worte, diese Worte der Warnung, an Pharao Amyrthaeus zu befördern, und [132] wo möglich, Nitetis zu retten, verspricht. Wenn du dieses erhältst, so wird der unglückliche Sam nicht mehr seyn, aber seine Stimme erschallt dir aus seinem blutigen Grabe:

Hüte dich, Pharao! hüte dich! der erste Schritt in den Isistempel ist dein Untergang, wenn du nicht die Vorsicht brauchst, dich vor demselben des ruchlosen Besa zu bemächtigen! Noch hast du Freunde unter den Tugendhaften der Priesterschaft. Sie werden zu dir treten, wenn du Muth hast, die Bande des heiligen Wahns zu brechen, und deine Hand an den Oberpriester der Göttin zu legen. Leb wohl, auf ewig! der unglückliche Sam grüßt dich als Egyptens Retter!

Gelingt der Plan meines Freundes, so ist der Ueberbringer dieses Briefes, in Priesterkleidern, diejenige, die ich in Jahren nicht sehen durfte, weil sie das Werkzeug werden sollte, mich zu allem zu nöthigen, was man von mir verlangte. [133] In weit von mir entfernten Gefängnissen wurde sie enthalten; man wußte, mit der Bedrohung, sie zu quälen, sie zu tödten, oder mit dem Versprechen von Linderung und Freyheit für sie, konnte man die Unmöglichkeit von mir erzwingen. Grüße, o grüße Nitetis! Sie war grausam gegen den, der alles für sie opferte, der ihr zu Liebe ein Verbrecher ward! Sage ihr jetzt, daß sie bey dir für mich bitte!«

Nitetis? schrie Amyrthaeus am Ende dieses Briefs, indem er den bleichen schüchternen Jüngling, der ihm zitternd gegenüber stand, näher betrachtete. – Du, Nitetis?

Wird der Bruder meines Siuph mich dafür erkennen? antwortete eine wohlbekannte Stimme; wird er diese Unglückliche, für jenen heiligen Schatten treu, für unschuldig halten, nachdem sie zwölf Jahre in der Gewalt des Verbrechens lebte?

[134] Amyrthaeus erwartete nicht das Ende dieser Worte, er umfaßte mit einem Strom von Thränen seine Schwester, und wiederholte unablässig ihren Namen.

Nitetis hatte sich wenig verändert, die Züge des Grams und des erduldeten Elends konnten ihre Schönheit nicht ganz entstellen. Sie war erst sechzehn Jahr alt, als ihr langes Leiden begann.

Man denke sich die Unterhaltung dieser Beyden, nach dieser großen wundervollen Entdeckung! Amyrthaeus Gemahlin wurde am Ende herbey gerufen, um der wiedergefundenen Toden, der unbekannten Schwester, Ruhe in ihren Armen zu geben, bis der große Tag der Rache völlig angebrochen sey, an welchem sie wider ihre Tyrannen, wider Sams Henker, wider den Mörder aller Brüder Siuphs, zeugen sollte. Nur Beweise dessen, was Besa wider Sam, Siuph und Nitetis verbrochen hatte, waren deutlich und vollständig in ihrer Gewalt, auch waren sie hinlänglich. Das Blut der übrigen Ermordeten zu rügen [135] und zu richten, wär das Werk eines halben Gerichtstags gewesen, wie ihn einst die Todenrichter halten werden: Besa's Gericht sollte kurz seyn, man hatte alle gerochen, wenn man das Blut Sams und Siuphs von seinen Händen forderte.

Nitetis war sehr matt und ohnmächtig, sie wünschte von den schrecklichen Auftritten des folgenden Tages ausgenommen zu seyn, und Amyrthäus versprach ihr, sie zu schonen. Dein Zeugniß, sagte er, war nöthig, mich zu überzeugen, auch wird in der Folge das Volk Ueberzeugung aus deinem Munde erhalten können. Aber das Gewissen des Verbrechers durch deine Erscheinung zu überführen, ist unnöthig. Ueberführung seiner Unthaten trägt schon jeder Ruchlose in seinem Herzen. Auch seine Mitbrüder kennen ihn, wie es scheint, und sehen seinem Urtheil entgegen, ohne daß du zu erscheinen brauchst.

Almé, so zartfühlend als Nitetis, mag dem zornigen Pharao, der sich flammend, wie ein Rachgott mit dem Aufsteigen der [136] ersten Morgenröthe nach dem Tempel erhob, nicht folgen. Die Verurtheilung eines Verbrechers ist allemahl ein schreckliches Schauspiel, Almé wendet ihre Augen ab, sie naht sich erst, als Besa, schon völlig überführt, völlig von dem Volke und sei nen bisherigen Mitbrüdern der Rache preis gegeben, noch einen ohnmächtigen Versuch macht, den, der ihn stürzte, zu stürzen.

Freue dich nicht, Amyrthaeus! so riß sich Besa aus seiner Verzweiflung empor, freue dich nicht meines Falls, er wird dir nicht Egyptens Krone gewinnen. Noch ist etwas in meiner Macht, dich tief in den Staub zu treten, und aus dem geglaubten Pharao einen kriechenden Anbeter eines rechtmäßigern Königs, oder einen Rebellen zu machen. Man gönne mir nur einen Augenblick den Gebrauch meiner gefesselten Hände, und ich will den Todten erwecken, der, wenn er gleich mich schrecklicher richten, doch auch dich demüthigen, oder zum Verbrecher machen soll.

Man gönnte dem Verbrecher, was er forderte; er zog einen Schlüssel hervor, und [137] nahte sich, eine verborgene Thür im Fußgestelle des Isisbildes, zu eröffnen.

Heraus du Todter! schrie er, deine Rechte auf Egyptens Thron zu behaupten! Wie? du zögerst? Ahndest du bereits, daß Besa's Worte aufhören, dir Gesetz zu seyn? Oder hältst du für Hohn, was ich sagte?

Amyrthaeus empfand bey dieser Handlung, die niemand verstand, ein freudiges Zittern, das alle seine Glieder durchdrang; es giebt Augenblicke in unserm Leben, wo wir das Glück, das uns bevorsteht, auf ein Haar ahnden.

Besa wollte seinen Ruf wiederholen, aber ein gebietender Wink des Königs legte ihm Stillschweigen auf. Er nahm eine Kerze aus den Händen der umringenden Priester, um selbst in die Dunkelheit hinabzusteigen, aus welcher man Todte hervorrufen wollte. Verschiedene seiner Diener, welche es nicht wagen durften, ihn zurückzuhalten, folgten ihm. Man fand die Gegend, in welcher man war, zu gefährlich, um einem geliebten Prinzen den kühnen Besuch [138] eines ganz unbekannten Theils derselben ohne nöthige Vorsicht zu gestatten.

Sieben Personen waren es, die den König begleiteten. Besa schickte ihnen ein teuflisches Gelächter hinten nach. Völker des Nils, sagte er, ihr werdet jetzt einen ganz unvermutheten Auftritt sehen! Vergnügt sterbe ich, da ich die Genugthuung habe, dem stolzen Amyrthaeus die Krone entrissen, oder euch in derselben den Grund zu Bürgerkrieg und jahrelangem Elend hinterlassen zu haben.

Man hörte kaum auf das, was der heimtückische Verbrecher sagte; denn aller Aufmerksamkeit wurde jetzt auf das Innere des Gewölbes gerichtet, aus welchem sich ganz deutlich Stimmen der Freude und der Jubel eines glückwünschenden Zurufs hören ließen. Man drängte sich näher hinzu, um genaue Erkundigung einzuziehen. Aber im Augenblicke stürzten schon einige von Amyrthaeus Begleitern heraus. Mit gen Himmel gefaltenen Händen, mit Augen, in welchen die Thränen des Entzückens schwammen, [139] wollten sie der erwartungsvollen Menge ein Etwas verkündigen; aber sie stammelten, und niemand konnte sie verstehen. Auch war wörtliche Verkündigung unnöthig, da man in diesem Augenblicke schon sehen sollte, was niemand zu hoffen gewagt hätte, und was niemand seinen Augen glauben konnte.

Amyrthaeus führte aus dem Grabe eine bleiche, in Todentücher gehüllte, Gestalt herauf, welche ersten Blicks niemand kannte, und die des Prinzen von Freudenthränen erstickte Worte, lange vergebens kenntlich zu machen strebten. Sie trug die Egyptische Krone, mit welcher Amyrthaeus diesen Morgen, als er dem Oberpriester der Isis sein Urtheil sprach, sich selbst gekrönet hatte!

Was sehen wir! schrien einige der nächsten, die endlich denjenigen, welchen Amyrthaeus mit der Krone von Egypten geschmückt hatte, näher ins Auge faßten. Was sehen wir! ist das nicht Pharao Siuph? –

[140] Ja! schrie Amyrthaeus, dem jetzt die Sprache wieder kam, er ists! er ists, dieser geliebte Bruder! Volk der Sonne! siehe deinen angebeteten König wieder! er lebt! er lebt! o Freude, die ich diesseit des Grabes nicht mehr zu finden hoffte!

Das Entzücken, das eine solche Entdeckung her vorbringen mußte, lief wie eine zündende Flamme durch die ganze zahllose Versammlung, sie theilte sich allen mit, und alles rief aus einem Munde: es lebe der Beste der Könige, es lebe der auferstandene Siuph! Siehe, schon trägt er die Krone, die ihm zukommt! ihn krönte damit die Hand des treuen Bruders, und ewig, ewig müsse er sie tragen!

Amyrthaeus war trunken vor Freude; er lies seinen Bruder nicht von der Hand, sein Auge hing unablässig an dem seinigen, er beschwor ihn, zu sprechen, nur ein Wort zu sagen, damit er gewiß werde, daß er würklich lebe; aber Siuph schwieg, und nur sein Lächeln und der dankende Druck seiner Hand sagte seinem Bruder, sagte dem Volke, das zu seinen Füßen lag, daß er sie [141] verstehe. Zu bestürzt mußte der, welcher zwölf Jahre in einem Grabe verlebt hatte, über den schnellen Wechsel des Glücks seyn, um sprechen zu können.

Amyrthaeus riß sich jetzt von seines Bruders Hand los, um zu Besa zu eilen. O Unglücklicher, rief er, indem er anfing ihm mit eigener Hand seiner Fesseln zu entnehmen, wie habe ich dich verkannt! Ich wollte dich tödten, und du schenkst mir meinen Bruder wieder! Vergieb! vergieb! nimm Leben und Freyheit von mir an, ich denke, das Geschenk, das ich dir mache, bey meinem Könige verantworten zu können. Hast du andere Verbrechen begangen, so wisse, daß sie nichts sind, gegen die Wohlthat, uns Siuph erhalten zu haben!

Elender, schrie der schäumende Besa, indem er seine Hand von sich schleuderte, denkst du, daß dein Todfeind dir oder Siuph eine Wohlthat zudachte? – Ha, daß ich jeden meiner Entwürfe scheitern sehen muß! Ich dachte mein sterbendes Auge mit der Demüthigung eines selbst gemachten Königs, mit dem Anblick eines angehenden Bruderzwistes [142] zu laben, und nun diesen Jubel! diesen Triumph schwärmerischer Liebe! O zu viel, zu viel für mich zu ertragen! Brich, mein Herz! auch der letzte Trost ward dir versagt!

Besa war in der freudigen Bestürzung über Siuphs Auferstehung nicht wieder gefesselt worden, er zuckte bey diesen Worten einen verborgenen Dolch und drückte sich ihn ins Herz. Zu schnell geschah die That, um verhindert zu werden. Amyrthaeus sahe mit stummen Entsetzen seinen Feind fallen; es war in dem, was er sagte und that, etwas, dafür seine edle Seele keine Begriffe hatte.

Doch bald riß er sich von diesem Anblick des Schreckens los, und eilte zu seinem Bruder zurück, der jetzt die ersten Worte zu seinem Volke geredet hatte, und sich nun auch mit einigen Tönen der Freude und des Entzückens zu seinem Bruder wandte!

Alles, was er sprach, war kurz und einsylbig; die Fragen, die man an ihn that, gingen alle verloren; er verstand sie noch [143] nicht, oder konnte sie noch nicht beantworten. Seine Erhaltung im Grabe, die Ursach, warum ihn sein Feind, der sein Leben in seiner Gewalt hatte, nicht tödtete, waren erst der Gegenstand späterer Unterhaltungen, und überhaupt konnte Siuph hiervon nur dieses sagen: daß die Aenderung des abgenöthigten Entschlusses, Sam die Krone zu hinterlassen, daß die unerwartete Bestätigung seiner Brüder auf dem Egyptischen Throne, seinen Opfertod verschoben, daß, da man ihn vergebens gequält, zu widerrufen, die Absicht seiner Henker wahrscheinlich dahingegangen sey, wie schon mehr Isisopfern geschehen seyn sollte, ihn hier langsam im Grabe verschmachten zu lassen.

Von den Priestern erfuhr man mit ziemlicher Gewißheit, daß Besa den unglücklichen König blos darum erhalten habe, damit er immer ein Mittel in Händen behielt, Sam, sollte dieser irgend einmahl unter andern Bedingungen, als welche er ihm vorschreiben würde, den Thron besteigen, wieder zu stürzen. So bindet die Vorsicht der Bosheit die Hände, und nöthigt sie oft, sich selbst entgegen zu arbeiten.

[144] Man hielt es jetzt für gut, den schwachen König zu nöthiger Pflege in den Pallast der Pharaonen zu bringen, wo die entzückte Nitetis schon das unglaubliche Gerücht von ihrem Glück vernommen, und sich eben hinlänglich ermannet hatte, es zu glauben, und ihrem Geliebten entgegen zu stürzen.

Man hielt sie zurück. Ach, noch lange, lange war es bis dahin, daß man es wagen konnte, Siuph mit dem ganzen Umfang seines Glücks zu erfreuen! Doch, endlich kam diese Zeit. Siuph ward nach einigen Monaten völlig wieder er selbst, man machte ihn Stufenweise mit seiner Täuschung im Tempel, mit Nitetis Leben, und dem, was sie für ihn erduldet hatte, bekannt, und lieferte ihm seine Geliebte in die Arme.

Ihr Entzücken zu schildern, würde vergeblich seyn. Wer die Freude des Wiedersehens in jenen lichteren Regionen bereits geschmeckt hätte, würde sich den besten Begriff davon machen können.

Amyrthaeus war glücklich in dem Glück seiner Geliebten; sie wollten die Krone von [145] Egypten mit ihm theilen, aber dieser treue Bruder wünschte, sie möchten sie für ihre Kinder ganz aufbewahren; ein Glück, das sie jedoch nicht sahen: die Götter hatten dem letzten von Sams Söhnen die Krone von Egypten sowohl, als dem ersten versprochen, die er auch, nach Siuphs spät erfolgtem Tode, erhielt, und lange trug.

Jetzt, nach befestigtem Glück Egyptens, und seines wiedergefundenen Königs, war eins seiner ersten Geschäfte, die Reformation, nicht allein des Isistempels, sondern auch aller andern. O, wie manche Geheimnisse wurden hier entdeckt, von welchen es der Nachwelt nicht erlaubt ist, zu reden!

Und ich bitte dich auch, Rusma, fiel hier Termuthis ein, solche Winke dir nie zu verstatten; du hast heute bereits verschiedene mahl auf diese Art gefehlt, und dadurch vielleicht mich gehindert, in den Schlaf zu kommen, welchen ich heute schlechterdings nicht finden kann.

Ich hatte meine Geschichte fast geendiget; um aber zu sehen, ob sich nicht noch [146] die Absicht meiner Erzählung erreichen, und der unruhigen Prinzessin ein sanftes Schlummern zu wege bringen ließ, hielt ich mich noch etwas weitläuftig bey dem Umstande auf: wie man in Besa's Wohnung eine goldene und silberne Schaale fand, mit Siuphs und Nitetis Namen bezeichnet, und mit dem stärksten Gift gefüllt, und wie das fromme Ehepaar, welches die Bestimmung dieser Gefäße, ihnen bey irgend einer unvorhergesehenen Gelegenheit schnell und unvermerkt den Tod zu geben, nicht verkennen konnte, bey wiederkehrenden Niloen, als der Gedächtnißzeit ihrer Rettung, dem Nil diese Denkmahle ihres Elendes, und des wundervollen göttlichen Schutzes opferte; daher es denn kommt, daß zur Zeit des längsten Tages, noch jetzt von den Verehrern des siebenarmigen Stromes güldene und silberne Schaalen, in seine Fluthen geworfen werden. »Siehe:« so singt man bey diesem Gebrauch: »siehe! wir sind ja in der Hand der Feinde! Was hindert sie, uns zu tödten, wenn Gott uns nicht schützt?«

Ich wollte hierüber noch mehr sagen, ob mir gleich ein seltsames Klopfen meines [147] Herzens fast den Athem benahm, als die Prinzessin, welche auf die letzt würklich in einen Schlummer zu fallen schien, auf einmahl mit Heftigkeit auffuhr, und mich am weitern Reden hinderte. Siehe wir sind – begann ich in halber Todesangst zum zweytenmahl meine letzten Worte, aber die Prinzessin lies mich nicht ausreden.

O, ich bitte dich, Rusma, schrie sie. Kein Wort, auch nun kein Wort mehr! – O ihr Götter! was ist geschehen! – Aus welchem Traume erwache ich! – Oder ists Würklichkeit! – O Zaide! Zaide! Krone meines Hauses, du geraubt? – von meinem Herzen gerissen? – Doch nein! – Nein nicht geraubt! – Noch schrecklicher für deine Mutter, freywillig entflohen! entflohen am Arme des Mannes, den ich verabscheue?

Die Prinzessin Termuthis war am Ende meiner Erzählung in eine Art von Schlaf gesunken, und mit diesen, in einem Schauer erregenden Tone gesprochnen Worten wars, daß sie erwachte!

[148] Ich sprang voll Entsetzen auf, ich faßte mit bittendem Blick ihre Hand und suchte sie zu besänftigen. Ich versicherte sie, was sie beunruhige, sey ein Traum. Zaide sey in Sicherheit, schlummere wahrscheinlich auf ihrem Lager dem nahen Morgen entgegen. Noch kurz vorher, ehe ich abgeholt worden sey, die Geschichte von Sam und Siuph zu erzählen, habe ich sie gesehen.

O die unglückliche Geschichte von Sam und Siuph! schrie Termuthis, ohne auf meine Tröstungen zu hören. Durch sie wurde ich hier festgehalten, indessen man mir meinen Liebling entführte! Almé! Almé! du bist im Einverständniß mit meinen Feinden! Mein Traum zeigte dich mir so! Sterben mußt du! du mußt sterben, wenn Zaide verloren ist.

Das Toben der Prinzessin, – (so kann ich den Affekt wohl nennen, in welchem sie sprach) – ward endlich durch einen betäubenden Lärm von außen unterbrochen.

Das Geräusch von eilenden Füßen tönte auf dem Marmorpflaster der äußern Gallerie, [149] männliche Stimmen brüllten, weibliche heulten, Gott! welch ein Bruch der heiligen Stille, die sonst, die besonders zu dieser Stunde, in dem Innern des Frauenzimmerpallasts zu herrschen pflegte, und welch ein Unglück weissagte er mir!

Von, ich weiß nicht, welchen Vorstellungen schon mehr als halb entseelt, bleich, schwankend, zitternd stand ich, als das Näherkommen des Geräusches, das Hereinstürmen der Frauen, der Sclaven, der Kämmerlinge, und das allgemeine Geschrey: Zaide sey geraubt, entflohen, entführt, mir alles Bewußtseyn benahm. Ein Umstand, der, da man ihn als Merkmahl eines schlagenden Gewissens annahm, in dem, was in der Folge mich betraf, merklich zu meinem Nachtheil redete.

Ach wie soll ich diese schreckliche Folge erzählen! Wie Euch darlegen, was mit mir vorging, da ich todt und vertheidigungslos zu den Füßen des Bettes der Prinzessin hingesunken war! Vergönnt meiner Feder, oder vielmehr meiner aufgeregten Einbildungskraft [150] einige Ruhe! Noch jetzt, so weit über alles Leiden erhaben, fühle ich Todesangst bey dem Rückkehren jener Bilder.

Die große Termuthis, welche gleichfalls ohnmächtig geworden war, mochte wohl auf ihrem elfenbeinernen Lager unter den Händen ihrer tröstenden Frauen erwacht seyn, aber die arme Almé erwachte – im Kerker!

O ihr meine Schwestern! werdet ihr den Muth haben, meine traurige Geschichte bis zu Ende zu hören? – O der schrecklichen Beschuldigungen, mit welchen man mich überhäufte! und, o der noch schrecklichern Wahrscheinlichkeit, mit welcher jeder Theil derselben bekleidet war! – Kann man unschuldig seyn, und doch den vollen Anstrich des Verbrechens haben? – so fragte ich mich oft, an meiner eigenen Unschuld zweifelnd, so werdet auch ihr fragen. Geduld, ihr Lieben! Eure Neugier soll befriediget werden!


[151] Wenn ich Euch im Anfang meiner Geschichte, beym ersten Eintritt in den Pallast der egyptischen Dame, von seinen Prachtgewölben, seinen Marmorhöfen, seinen zauberischen Gärten sagte, so dürft ihr nicht glauben, daß ich damit das ganze All dieses Wundergebäudes schilderte; ich kannte es damahls selbst noch nicht ganz: es hatte auch seine Kerker!

Mahlte ich Euch damahls den Hof dieser Prinzessin, ihre fröhlichen und reichgekleideten Mädchen, ihre dienstfertigen Sclaven, und die freundliche herzliche Aufnahme, die mir überall, die mir selbst auf dem Gesicht der Gebieterinnen entgegen lachte, so dürft Ihr wiederum nicht glauben, daß Ihr den Cirkel, in welchen ich Euch führte, ganz kennen lerntet. Auch ich kannte ihn damahls noch nicht, erst jetzt sollte ich erfahren, daß Falschheit und trügliche Hoflist unter dem Lächeln, das mich entzückte, wohnen könne.

Vergesset, was ich Euch damahls schilderte, vergesset alle lockende Aussichten, die damahls mir schmeichelten; Almé im Kerker, [152] Almé durch Falschheit und trügliche Hoflist dahingebracht, ist das Bild, das sich jetzt Euch darstellt. Wohl mir, wenn ihr ihm eine Thräne, wenigstens ein leichtes Bedauren schenkt!

Den Ort, wo ich erwachte, habe ich Euch genannt, obgleich nicht geschildert; ich vermag ihn nicht zu schildern, doch könnt ihr denken, daß in dem Pallaste der großen Termuthis von Oxyrinchus, da alles unvergleichlich war, auch die Kerker ihre Eigenschaften in unvergleichbar hohem Grade besessen haben werden.

Ich war allein, meine Erholung aus der Sinnlosigkeit, in welche mich schreckensvolle Ahndung gestürzt hatte, war von meinen bisherigen Freunden ganz ruhig der Natur und der Möglichkeit überlassen worden; sehr möglich wär es freylich auch gewesen, daß ich mich an diesem Orte nie wieder erholt hätte. Unbegreifliche Sorglosigkeit selbst derjenigen, die mich noch einer Art von Theilnahme würdigten! Doch Almé hatte in ihren Augen ihren moralischen [153] Werth verloren, die Vernachlässigung, mit welcher man sie dem Ohngefähr überlies, läßt sich erklären!

Ein schauervolles kaltes Gewölbe war es, das mich umgab. Die Eisluft um mich her, und die unabsehliche Höhe, in welcher eine Ampel über mir hing, lies mich schließen, wie tief man dieses Grab nach dem Mittelpunkte der Erde hinab gegraben haben müsse, um Lebendige zu den Todten zu verstoßen, und ihnen jede Hoffnung auf Rettung zu rauben.

Die kleine Flamme in der Höhe, welche man nur aufgehangen haben konnte, um den Elenden, die man hieher verstieß, ihren Jammer sichtbar zu machen, verbreitete kaum Dämmerung um sich her; zu mir in meine Tiefe hinab konnte sie unmöglich einen Lichtstrahl schicken, und ich weiß es daher nicht, was es war, das mich in dieser Todesnacht nach und nach einige Gegenstände unterscheiden lies.

Das, was ich fühlte, war so wie das, was ich sahe, von der Art, daß es mich [154] mit den schrecklichsten Vorstellungen erfüllte. Alles war mir fremd und unbegreiflich, und darum desto fürchterlicher.

Wohl hatte die Bewohnerin des Landes der Sonne zuweilen von Gegenden der Erde gehört, wo etwas, das man Kälte nennt, den Körper mit den peinlichsten Erschütterungen durchdringt, wo der Hauch von unserm Munde sich in ein dichteres Element verwandelt, und Wassertropfen zu funkelnden Demanten gerinnen.

Was ich gehört und gelesen, was ich nur halb geglaubt, und auf keine Weise begriffen hatte, das sollte ich jetzt erfahren.

Ich lag auf einem glatten funkelnden Boden, auf meinem Busenschleyer lag ein weißer glänzender Staub, den ich Reif oder Schnee genannt haben würde, hätte ich für diese Fremdlinge im Lande des Nils, in meiner Sprache einen Namen gehabt.

Daß ich diese Dinge mehr empfand, als mit Ueberlegung gewahr ward, das werdet ihr mir glauben; zu ungewöhnlich war mir das, was mein körperliches Gefühl reitzte, [155] als daß ich deutlicher Vorstellungen hätte fähig seyn sollen.

Der Frost, der meine Glieder durchbebte, ein Etwas, davon ich zuvor keine Idee gehabt hatte, schien mir Vorbote des Todes zu seyn, er war es auch vielleicht, und ich weiß nicht, was mich nach einiger Zeit von neuem belebt haben muß, so daß ich die Nothwendigkeit empfand mich aufzuraffen, wenn ich nicht hier umkommen wollte, und auch Kräfte in mir fühlte, diesem innern Trieb des aufstrebenden Lebens zu gehorchen.

Ich schleppte mich einige Schritte, aber ich glitt aus auf dem eisigten Boden, und die brennend scharfe Empfindung, die mein ganzes Wesen durchbebte, vermehrte sich von Augenblick zu Augenblicke. Nah an einander gränzende Empfindungen lassen uns leicht die Mittel, ihnen abzuhelfen, verwechseln. In heißer Sonnenglut hatte mich oft ein Tropfen Wasser gelabt. Dort im Winkel quoll eine silberne Quelle; konnte ich nur sie erreichen, so fand ich vielleicht Erquickung. Ich strengte alle meine Kräfte an, ich erreichte sie würklich, aber der lockende [156] Wasserstrahl war ein fester Körper; auch die letzte Hoffnung hatte mich getäuscht.

Ihr Almés der kältern Zonen, unmöglich könnt Ihr Euch vorstellen, was diese Erscheinung auf mich für einen Eindruck machte; ich glaubte mich bezaubert, ich sank voll Entsetzen auf den gefrornen Boden, mein Weh vermehrte sich, ich fiel wahrscheinlich in eine zweyte Bewußtlosigkeit, aus welcher ich vielleicht nie wieder erwacht seyn würde, wär nicht ein rettender Engel zu mir in meine Gruft hernieder gestiegen.

Dafür hielt ich wenigstens damahls die Gestalt, die sich mir zeigte, als ich meine Augen aufschlug; denn es war Menes, den ich vor mir sahe.

Er hatte einige Sclaven bey sich, welche beschäftigt waren, mich in dicke Decken zu hüllen, und in eine Maschine zu legen, die sich an Seilen in die Höhe wand. Er und sie machten, als sie im Gange war, in andern neben mir, die nämliche Reise.

Ich glaubte in einem abendtheuerlichen Traume zu liegen, und wandte mich auf die [157] andere Seite, um klüger zu träumen. Das Gefühl der Wärme, das meine Hüllen nach und nach über meine Glieder verbreiteten, begünstigte den Schlaf; ich entschlummerte würklich, und erwachte wahrscheinlich erst nach mehreren Stunden in einem prächtigen Zimmer, das ich zuvor noch nie gesehen hatte, wo Nephtis an meiner Seite saß, und mir ein heißes Getränke von gewürztem Weine bereitete, das, wie ich glaube, einen Todten mit Lebenswärme hätte durchdringen können.

Noch konnte ich nicht reden; ich stammelte den Namen meiner Freundin, und bestrebte mich die Arme nach ihr auszustrecken.

Sie winkte Stillschweigen, und ich schwieg. Sie flößte mir ihren Feuertrank ein, ich nahm ihn, und ward erquickt. Menes trat nach einer Weile in das Zimmer. Er warf sich an meinem Lager auf die Kniee; Arme, liebe Seele! rief er, indem er die Decken küßte, in welche ich gewickelt war. Man ist grausam mit dir umgegangen; doch dies war vielleicht das einzige Mittel, dich mir auf ewig zu schenken!

[158] Menes hatte noch nie so frey von seinen Wünschen gegen mich gesprochen, als in diesen Augenblicken; er wußte, daß ich ganz unfähig war, zu antworten, und ihm Stillschweigen aufzulegen. Er fuhr in einem Tone fort, der mich immer mehr beängstigte, er nannte mich sein Eigenthum, er sprach von glücklichem Leben an meiner Seite, er redete mit mir, wie der Bräutigam mit seiner Braut, und ich, welche wohl wußte, daß der königliche Menes der armen Almé Rusma das nie werden konnte, faßte endlich alle Kräfte zusammen, Nephtis, die sich ein wenig entfernet hatte, herbeyzurufen, und sie zu bitten, sie möge mich wecken, weil ich noch in einem fürchterlichen Traume zu liegen glaubte.

O, daß es ein Traum gewesen seyn möchte! Nur zu bald ward ich gewahr, daß ich wachte, daß Nephtis mich an Menes verrathen hatte.

Ich konnte den Zusammenhang dieser Dinge, so schwach wie ich war, nicht übersehen, nur das übersah ich, daß Menes eine Sprache gegen mich redete, die ich nicht anhören durfte; was ich in der Folge besser [159] von der Sache begriff, das will ich euch in der Ordnung mittheilen, wie mir es, weit später, kund ward.

In jener Nacht, da ich am Lager der großen Termuthis, die Geschichte vom Sam und Siuph erzählte, und so wie sie, in dem unruhigen Schlagen meines Herzens, welches mir oft fast das Reden unmöglich machte, (Ihr werdet die Abkürzung der Geschichte gegen das Ende, die mir die Angst eingab, wahrgenommen haben) eine warnende Unglücksahndung verkannte, die mich hätte retten können; in jener Nacht war es, daß sich eine Begebenheit ereignete, welche den fürchterlichen Einfluß auf mein Schicksal hatte, davon ihr nur den Anfang vernommen habt.

Zaide, schon längst ein Opfer schimpflicher Liebe zu einem Menschen, der ihrer unwerth war, setzte in dieser schrecklichen Nacht ihrem Leichtsinne die Krone auf; sie entfloh in seinen Armen, und Almé, die unglückliche Almé, sollte die Beförderin dieser Unthat, die Ernährerin der verwerflichen Leidenschaft gewesen seyn, welche das [160] Haus der großen Termuthis, das Haus, das sie ein ganzes Jahr genährt und gepflegt hatte, so unglücklich machte. Unglaublich dünkt es euch, ihr Lieben, daß man die tugendhafte Rusma so verkennen konnte; unglaublich dünkte es auch mir, bis Beweise über Beweise auf mich einstürmten, und mir die Macht der Selbstvertheidigung raubten. Nichts blieb mir übrig, da ich meine Anklage vernahm, als der Zeugniß fordernde Blick gen Himmel, und die Worte, die ich unabläßig rief: ich bin unschuldig.

Niemand glaubte mir; denn ich konnte nichts von dem, was man mir aufbürdete, läugnen. Wahr war es, daß ich ein Jahr lang – (die Prinzessin Pamylia führte in dem ernsten Gerichte über mich diese Klage) – wahr war es, daß ich ein Jahr lang täglich vor Zuhörerinnen, deren Herzen, wie es schien, nicht aus Eis gebildet waren, Geschichten der Liebe erzählt hatte, die ihren Eindruck nicht verfehlen konnten, besonders, wo diese Leidenschaft schon Besitz genommen hatte. Wahr war es, daß es mir nicht unbekannt war, daß Zaide sich in diesem Zustande [161] befand; die geschwätzige Nephtis hatte mich gleich in den ersten Tagen meines hiesigen Aufenthalts davon benachrichtiget; auch wahr war es, daß ich sie weder warnte – (darzu war ich nicht berufen) – noch – (und das hätte ich gesollt) – in ihrer Gegenwart Erzählungen vermied, die verheimlichter Liebe mit glücklichen Aussichten schmeicheln konnten.

Unter allen meinen Mährchen ward allein Athyrtis gerecht erfunden; meine Faöué, meine Suchis, so sehr sie beym ersten Gehör selbst Termuthis gebilliget hatte, wurden als Zunder unheiligen Feuers verworfen. Das strengste Gericht erging über die Geschichte des Pythicus, welcher Mittel fand, eine äthiopische Prinzessin, die er liebte, in Frauentracht zu sehen, und sie endlich auf diese Art zu entführen.

Ach, dieser schrecklichen Geschichte – so unschuldig erzählt, so unschuldig gemeynt, – dankte Zaide den unseligen Einfall, ihren geliebten Amun, den Sohn der Ameßes, oft unter den Almées, die seine Mutter begleiteten, zu sehen und Anschläge [162] zu schmieden, deren Ausführung wir nun sahen.

Da ich nicht läugnen konnte, auf diese Art Veranlassung zu der schändlichen Flucht Zaidens gegeben zu haben, so hielt man mich auch in dem, was man mir wegen eines heimlichen Einverständnisses mit ihr in diesen Dingen aufbürdete, für überwiesen. Niemand hatte zwar in dem schönen großen Mädchen, das mit Zaiden in unzertrennlicher Freundschaft lebte, einen Jüngling geahndet; aber daß ich so blind gewesen seyn sollte, als die andern alle, das hielt man für unmöglich. Alle Frauen der großen Termuthis standen wider mich auf, und schrien Rache wider mich, daß ich die heiligen Rechte des innern Pallasts durch Verheimlichung des Mannes, der ihn so oft mit seiner Gegenwart entweihte, verletzt habe.

Ich hätte vielleicht hierauf, noch etwas antworten können, aber ganz unbeantwortlich blieb die Wahrheit, daß Zaide seit geraumer Zeit mich allen ihren Gespielinnen vorgezogen, daß sie halbe Tage und Nächte, allein oder mit ihrer Almé, auf meinem [163] Zimmer zugebracht habe, daß ich sie, befanden wir uns allein, mit einem andern Namen als dem ihrigen genannt, und tausend andere Zeichen der innigsten Vertraulichkeit mit ihr von mir gegeben habe. Noch diese Nacht, zwey Stunden vor ihrer Flucht, sey sie und der verkleidete Amun, nach einem Gespräch, welches man wörtlich zu wiederholen wußte, und das ihr im Anfange dieser Blätter nachlesen möget, mit räthselhaften Worten von mir geschieden, die sich nun erklärten. Mich habe man abgeschickt, die Mutter, deren ahndende Schlaflosigkeit man als Hinderniß der Flucht gescheuet hatte, mit einer endlosen Geschichte zu äffen, welche noch darzu Spuren von Ruchlosigkeit und Gottesvergessenheit enthalte, die jede Unthat, welche ich begangen habe, nicht mehr als verwundernswürdig vorstellten.

Dieses waren die entsetzlichen Beschuldigungen, die man wider die unschuldige Almé vorbrachte; Beschuldigungen, deren Wahrscheinlichkeit mich auf das fürchterlichste belastete, und welchen der Traum[164] der großen Termuthis, das Siegel aufdrückte. Was so eine Dame geträumt hatte, das konnte freylich nicht unwahr seyn.

Der Augenblick, da man zuerst mit den Anklagen wider mich losbrach, war der, in welche mich die bloße Ahndung von etwas Schrecklichen, vor dem Bette der großen Termuthis ohnmächtig gemacht hatte. Ich war unfähig, mich zu vertheidigen; denn ich wußte nichts von dem, was um mich her vorging, auch fand ich keinen andern Anwalt, da alle Frauen des Pallastes mich vom Anfang beneidet hatten, mich nun haßten, und also meinen Fall gern sahen.

Auch Pamylia, Nephtis und Iphis schwiegen; die erste, weil sie die strenge Pamylia war, Iphis, weil sie, die mich in den Pallast gebracht hatte, nun selbst durch meine Anklagen betroffen wurde, und Nephtis, aus andern Ursachen.

Diese feile Sclavenseele! – Wie konnte ich doch jemahls glauben, daß sie sich durch edle Gesinnungen über ihre Ketten erheben würde! – Diese Nephtis liebte mich, oder [165] gab vor, mich zu lieben, aber auf eine ganz ihr eigene Art; sie wollte mich glücklich machen, so wie sie vielleicht gewünscht haben würde, glücklich zu werden. Sie wußte, Menes liebte mich, und daß auch Neigung für ihn in meinem Herzen glomm, das hatte sie mir mehr abgestohlen, als daß ich es ihr je hätte freywillig zugestehen sollen. – Sie wußte, oder glaubte zu wissen, daß ich nie die Gemahlin des königlichen Menes werden könne. Einer leichtern Verbindung mit ihm stund, wie sie meynte, nur meine Tugend und seine tiefe Achtung für dieselbe im Wege.

Nephtis war vielleicht jetzt selbst irre an der ersten, oder sie wollte es seyn, so suchte sie denn geflissentlich auch die andere zu untergraben. Menes, von ihr gelehrt, lernte mich geringschätzen; er hat mir in der Folge gestanden, mich schon seit einiger Zeit, je zärtlicher meine Geschichten wurden, je weniger geachtet zu haben. Man lehrte ihn, mich als die Vertraute eines verbotenen Liebesverständnisses anzusehen, und ich sank noch tiefer in seiner Meynung. Der letzte[166] Streich, Zaidens Entführung, geschahe, und Almé ward ihm ein ganz gewöhnliches Mädchen, eine Nephtis, oder so ein Geschöpf, welches sich durch die gesetzlose Neigung eines Prinzen, übrig geehrt finden müsse.

Nephtis und Menes bekümmerten sich nicht sehr, als mich das strenge Gericht, das über mich, während ich bewußtlos vor meinen Klägern lag, gehalten ward, zum Eiskeller verdammte; denn sie dachten mich zu retten; wie schön ich gerettet war, das habe ich erzählt, aber meine Empfindungen, als mir mein ganzer Zustand mit vollem Licht vor die Augen gelegt wurde, diese zu schildern würde Unmöglichkeit seyn.

Ich schwieg bey allem, was Menes und Nephtis mir sagten, aber das, was bey ihren Anklagen in mir stürmte, brachte mich dem Wahnsinne nahe.

Menes nützte mein Schweigen, mir alles vorzulegen, was er für mich im Herzen hatte. Ob er mich auch nicht mehr schätzte, so fühlte er doch noch genug für mich, was [167] er Liebe nannte, und was ihn bewog, mein Loos so angenehm machen zu wollen, als möglich. In einem, ihm eigenem Pallaste am See Moeris, sollte ich mit eben dem Glanze leben, wie Termuthis in dem ihrigen. Nichts sollte mir abgehen, als der Name einer rechtmäßigen Gemahlin, auf den ich nun freylich, nach diesen Vorgängen, keinen Anspruch machen könnte. Vor Verfolgungen schützte mich der Wahn von meinem Tode, dem man leicht Raum geben würde, da lebendige Ausdauer in dem Eisgewölbe, so lang als man mich in demselben gelassen hatte, kaum denkbar war; für die Einsamkeit sollten mich die fleißigen Besuche meines Menes und der treuen Nephtis Gesellschaft entschädigen; auch Iphis wollte man mir zu gewinnen suchen; man hoffte, sie werde gegen das Glück ihres Pflegesohns nicht unempfindlich seyn. Diese Dinge waren es, welche mir, als ich von meiner Erstarrung in Menes Zimmer erwachend, noch halb ohnmächtig unter Nephtis Händen war, von dieser Sclavin vorgetragen wurden, und ich war zu betäubt, zu tief gekränkt, um sie beantworten zu können.

[168] Sie schweigt, sagte Nephtis, als sie kein Zeichen des Unwillens oder der Verwunderung an mir wahrnahm; o, die, welche eine so treue Unterhändlerin bedrängter Liebenden war, kann gegen Menes nicht grausam handeln!

Sie schweigt, rief Menes, o die, welche die zärtlichste Leidenschaft der Sterblichen, die Liebe, so schön zu schildern weiß, muß ein fühlendes Herz im Busen tragen; so mahlt man nicht die Liebe, wenn man sie nicht aus der Erfahrung kennt. Almé! sey nicht grausam gegen dich und mich! verstecke dich nicht hinter ein Phantom, das du unserer keinem als Würklichkeit aufdringen wirst! Sey glücklich, weil du es seyn kannst, und laß den Prunk stolzer Tugend, die dir niemand glaubt, allenfalls einer Pamylia, wider deren Strenge niemand einen Argwohn hat.

Leserinnen! ihr wißt meine Unschuld, denn ihr wißt meine ganze Geschichte. Nichts verhelte ich Euch; warum hätte ich in der glücklichen Lage, in welcher ich jetzt bin, Euch nicht auch Fehler gestehen sollen, hätte [169] ich sie begangen? Mich gegen das, was man mir aufbürdete, zu rechtfertigen, fühlte ich mich zu groß, auch würde Rechtfertigung vergeblich gewesen seyn.

Ich schwieg, ich mußte schweigen, wenn ich mir nicht das zehnmahl Gehörte wollte von neuem wiederholen lassen. Gönnt mir Zeit, mich zu erholen, rief ich endlich, verlaßt mich nur auf eine Stunde, nur auf eine halbe, und ich werde besser gefaßt seyn euch zu antworten. Noch eine Viertelstunde Schlaf, oder es ist um meinen Verstand gethan! Mein Gehirn steht in Feuer!

Menes, der weit bescheidener war, als Nephtis, stand ehrerbietig auf von der demüthigen Stellung, in der er noch immer vor meinem Bette gelegen hatte. Ein Wink befahl der Sclavin das nämliche zu thun. Noch konnte er in seinen Handlungen die Ehrfurcht, die er mir schuldig war, nicht so leichtsinnig brechen, als in den Worten, die ihn Nephtis reden lehrte.

Ich war also allein. Allein! – Von dieser augenblicklichen Einsamkeit hing alles [170] ab, und gleichwohl, wo sollte ich Besonnenheit hernehmen, sie gehörig zu nützen? Noch waren meine Glieder halb gelähmt, noch schwindelte mein Kopf; ich vermochte keinen festen Gedanken zu fassen.

Ich erhub mich langsam von meinem Lager, und sahe um mich her. Ich stand auf und überlegte mir die Möglichkeit, belauscht zu werden. Ich trat an die Fenster, sie sahen in einen Hof, der mir sehr wohl bekannt war. Hinter diesen Zimmern mußte eine lange Gallerie, nah an dieser eine Stiege seyn, und von dieser war der Weg nicht weit zu dem Flügel des Pallastes, den die große Termuthis bewohnte.

Ha, Almé! sagte ich zu mir selbst, keinen Augenblick Bedenkzeit! Hin, zu ihr! Zu ihren Füßen deine Rechtfertigung! Zu ihren Füßen Entschuldigung, oder das Urtheil des Todes! Der Eiskeller, das Schwerd, der seidene Strick; alles gilt gleich, nur nicht die Folter, welcher ich hier entfliehe!

Die Thüre war in meiner Hand, das Schloß wich. Die Gallerie war glücklich [171] zurückgelegt. Auf der Stiege begegnete mir Iphis. Mein Anblick erschreckte sie so, daß sie sich an dem Geländer fest halten mußte.

Keine Frage, Liebe! schrie ich. Begleite mich zu meiner Richterin!

Aber Himmel! da du einmahl dem gewissen Tode, Gott weiß wie, entgangen bist, so könnte völlige Flucht dich retten! Sieh! noch sind wir hier allein, und dort ist das offene Thor!

Fliehen will ich nicht, ich will gerichtet seyn!

Wie willst du dich rechtfertigen, da selbst ich keinen entschuldigenden Gedanken für dich habe!

Ich will mich nicht rechtfertigen, ich will sterben!

Iphis sagte noch einige Worte, mich zu retten, aber es war zu spät; hundert Augen hatten mich hier, wo alles von Sclaven und Sclavinnen wimmelte, schon gesehen.

[172] Man nahm mich und schleppte mich zu den Füßen der Prinzessin Termuthis. Die strenge Pamylia und ein gutes Theil meiner Hasserinnen, waren an ihrer Seite. Was ich für ein Verhör auszustehen hatte, davon habe ich euch schon Bruchstücke gegeben; was ich für ein Urtheil erhielt, das erfahrt ihr in der Folge.

Bereitet euch, eure Almé von neuem in einem Kerker zu sehen.

Fussnote

1 Isis, die Alte, eine Benennung, mit welcher die Egypter, die Ewigkeit der Natur, die sie in dieser Göttin anbeten, andeuten wollten.

[5] Fünfter Theil

»Siehe, wir sind ja in der Hand unserer Feinde! Was kann sie hindern uns zu tödten, wenn die Gottheit uns nicht schützt!« Dies waren die Worte, womit ich meine letzte Erzählung schloß; und Gott weis, wie oft sie mir in dem Kerker in Sinn kamen, in welchen man mich nach dem letzten Verhör geworfen hatte. Ich war in der Hand meiner Richterin, warum nahm sie mir nicht das Leben? warum behandelte sie mich nicht härter, als geschah? – Konnten Vorbitten sie versöhnen? Wer hätte für mich bitten sollen, als Menes? und war dessen Theilnahme an meinem Geschick, wenn sie sich würklich äußerte, nicht Erschwerung meines Verbrechens? Ach nur zu bald ward ich [5] ja gewahr, nur zu bald merkte ich ja beym letzten Verhör, wo Menes gegenwärtig war, daß nicht sowohl Verdacht die Tochter verführt zu haben, als vielmehr die schlecht verhehlte Liebe des Sohns, mir die Qualen bereitete, die ich hier erdulden mußte.

Ich rede von Qualen, aber ihr dürft nicht wähnen, meine Leserinnen, als sey eurer Almé zum zweytenmahl der Aufenthalt in der Eisgrube geworden, oder, als habe man andere Mittel ersonnen, einem nun seit einem Jahr in dem Hause der Wollust verzärtelten Körper wehe zu thun; meine Qualen waren Qualen der Seele, nur zu gut kannte die rächerische Termuthis ihr Opfer, um ihre schwächere Seite zu verfehlen; man wußte mein Gewissen wider mich rege zu machen, man schilderte mir die einst unschuldige Zaide, durch meine Geschichten der Liebe verführt in des unwürdigen Amuns Armen, und die Hölle brannte in meinem[6] Herzen, ich dachte nicht mehr daran, meine Erzählungen, wie schuldlos sie mir geschienen haben mochten, und wie schuldlos sie euch, ihr unschuldigen Leserinnen, ewig nicht allein scheinen, sondern auch seyn mögen, zu rechtfertigen, ich fluchte jedem Worte, das ich gesagt hatte, und war so vernichtet, daß ich, als einst Termuthis selbst in meinem Kerker erschien, mein Gesicht vor ihr, wie vor dem Strahl der mittäglichen Sonne Aegyptens verbarg, und ihre Fragen tief aus dem Staube, wie der Sünder den Ruf der richtenden Gottheit beantwortete.

Rusma, sagte meine Richterin, nachdem sie eine Weile, ich weiß nicht, ob stillschweigend über meine Demüthigung triumphirt, oder stillschweigend andere Gefühle in ihrem Herzen hatte vorüber gehen lassen – Rusma, sagte sie, du weißt dein Verbrechen, und kannst von ihm auf deine Strafe schließen, noch ein oder das andere Mittel wäre [7] vielleicht übrig, beyde zu mindern, du dauerst mich, und ich werde dich, mit dem, was zu deiner Rettung möglich ist, bekannt machen. Der Anfang dessen, was ich von dir fordere, sey das Gebot, mir nochmahls die Geschichte von Pythicus und der aethiopischen Prinzessin zu erzählen, welche vornehmlich diejenige ist, welcher wir unser Unglück danken. Siehe, ich weis, daß du den Abend vor der schändlichen Entführung, ehe du kamst, die Glucke mit schmeichelnder List in Schlummer zu wiegen, damit du ungerochen ihre Küchlein dem Raubvogel preis geben könntest, ich weis, daß du in jenen entscheidenden Augenblicken, da Zaide und Amun die letzten Anschläge zur Flucht bey dir holten, beyden noch die verführerische Erzählung wiederholtest, und ich will sie jetzt mit den nehmlichen Worten hören, die meine Lauscher damahls aus deinem Munde vernahmen, und die mein unglückliches Kind in unwiederbringliches Verderben stürzten.

[8] Ich war sehr gedemüthigt, mein Gewissen stand mit meinen Feinden im Einverständniß, ich glaubte, diese könnten mir nichts sagen, was nicht das erste in schrecklichem Echo wiederholen müßte, auch tönte die richtende Stimme in mir würklich manches von den Worten der Prinzessin fruchtbar wieder, aber doch nicht jedes; bey vielen derselben war mir es, als richtete sich mein besseres Bewußtseyn wieder empor, ich gewann Muth mich zu erheben, und meiner Richterin zu antworten.

Prinzessin, sagte ich, indem ich meine Thränen trocknete, was eure Lauscher euch hinterbrachten, weis ich nicht; weis ich doch nicht einmahl, so verwirrt sind meine Gedanken, ob jene Geschichte in den verhängnißvollen Augenblicken, die über mein und Zaidens Glück entschieden, von mir gefordert und von mir gegeben wurde. Ihr sollt sie haben, wie mir sie mein Gedächtniß giebt; [9] denn zuviel wär' es wohl von eurer Milde verlangt, das Buch des weisen Sophers, das man mir geraubt hat, wieder meinen Händen zu vertrauen, und mich dadurch in den Stand zu setzen, das, was ihr von mir fordert, besser zu leisten.

Ach nur zu wahr war es, daß, als man mich zum Kerker verurtheilte, und mir die Erlaubniß gab, einige Kleinigkeiten zu meiner Nothdurft aus meinen Zimmern mit mir zu nehmen, ich dort das Buch des weisen Sophers nicht fand. Ob Hermunthis es mit sich genommen, ob Termuthis mir es hatte entwenden lassen, wußte ich nicht, meine Richterin schwieg, und ich begann.

[10]

Die Geschichte von Pythicus
und der Prinzessin Save.

Zu zerstreut bin ich, große Termuthis, zu unfähig, meine Gedanken zu sammeln um euch die Zeit aufs genaueste zu bestimmen in welche die Geschichte fällt die man von mir fordert. Man entzieht mir das Buch, die Quelle meiner Weisheit; man nöthigt mich, auf ein vom Gram und Elend geschwächtes Gedächtniß zu trauen, und man verzeihe demselben die schwankende Ungewißheit, mit welcher ich spreche.

Laßt auch die Königin Akenchris, mit deren Namen meine Erzählung beginnt, zu den verwirrungsvollen Zeiten der aethiopischen Könige, oder in der weit spätern [11] Epoche der römischen Herrschaft gelebt haben, laßt diese große Prinzessin, durch ein mit einem der Sabakonen geknüpftes Bündniß, oder durch eine römische Heyrath, die sie zu einer zweyten Cleopatra machte, unglücklich geworden seyn, was thur das zur Sache? was thut es zu meinem Urtheil, das ich in dieser Erzählung, mir selbst zu fällen, genöthigt werde.

Unglücklich war die schöne Akenchris, unglücklich durch voreilig hingegebene schlecht belohnte Liebe. Sie setzte die Krone von Aegypten nach dem Tode eines lang nicht genug beweinten Gemahls einem Unwürdigen auf, der kein Abkömmling der Pharaonen, der ein Fremdling war, und mit dem fremden Namen, mit welchem er die Reihe der alten aegyptischen Herrscher verunzierte, fremde Sitten, fremde Lebensweise und fremden Götterdienst in die Länder des Nils brachte.

Weinend legte die fromme Akenchris das erzwungene Gelübde in die Hände des Gemahls ab, den sie nun erst in seiner wahren [12] Gestalt sah, ihre Kinder, in dem neuen von ihm eingeführten Aberglauben zu erziehen. Nicht vom Osiris, dem großen Beleber aller Lebendigen, nicht von der mütterlichen alles hervorbringenden Isis, sollten die ungeborenen Unglücklichen in heiligen Gesinnungen unterrichtet werden, nicht an Hephästös Altar, Treue der Tugend, und brennenden Haß dem Laster schwören, nicht durch den Stolz, von den alten Götterkönigen herzustammen, zu edlen Thaten angeflammt werden. Die reinen Gottheiten des Himmels verdrängte ein Heer lasterhafter Götzen, die einst Menschen waren wie wir, und die durch typhonische Laster die Menschheit unter sich selbst erniedrigten, diese waren es denen die Nachwelt huldigen sollte.

Akenchris würde nicht geschworen haben, hätte sie würklich fürchten können, ihrem neuen Gemahle Kinder zu geben; aber sie fühlte bereits den Tod im Herzen, und zu schwach, heldenmüthige Widersetzlichkeit zu zeigen, wo freylich Widerstreben Tugend gewesen wäre, ließ sie sich hinschleppen, wohin [13] es die Staatsklugheit ihrer Räthe für gut fand, und tröstete sich insgeheim, daß die Schritte die man sie thun ließ, (bliebe sie kinderlos,) bey weitem nicht die übeln Folgen haben konnten, die ihr Tyrann zur Absicht hatte.

Obgleich Akenchris durch die unglückliche Wahl eines ruchlosen Gemahls sich selbst, und ihrem Glück untreu geworden war, so hatte sie doch noch einige treue Räthe, und was noch mehr, einige treue Seelen unter ihrem eigenen Geschlecht, die, wenn jene durch schlaue Verstellung, und künstlich verschlungene Wege die Rechte ihrer Königin zu sichern suchten, Muth genug hatten ohne Winkelzüge den geraden Weg zu ihrem Besten zu gehen, und selbst Gefahr des Todes nicht zu scheuen, um ihre frommen Wünsche zu erfüllen.

Mehr todt als lebendig langte die Königin vor dem Altar einer der neu geschaffenen Gottheiten, auf ihren einsamen Zimmern an, wohin ihr der Blick eines Gemahls, der ihr Liebe heuchelte indem er ihr [14] den vergifteten Dolch in den Busen stieß, nicht folgen durfte. Die große Termuthis denke sich eine Prinzessin, welche das vier und zwanzigste Jahr noch nicht ganz zurückgelegt hatte, eine Schönheit, die noch vor wenig Monaten in voller Blüthe stand, und die jetzt durch den kalten Hauch getäuschter Hoffnungen, dem Verwelken nahe war. Akenchris war noch immer schön, o! was sage ich, sie war hinreißender als jemahls. Diese bleiche Marmorgestalt, diese weit gespaltenen himmlisch lächelnden Augen, dieser feine fast zum Schatten abgehärmte Bau, dieses matte geistermäßige Schweben, machten ein Ganzes, das man überirrdisch nennen konnte.

So kam die Königin unter ihren Frauen an, die sie nicht zum Tempel hatten begleiten dürfen und wollen, sie knieten um sie her, und umfaßten ihre Knie, indeß sie mit eigener Hand den Opferschmuck von Locken und Busen riß, um mit ihm das Andenken der Scene von welcher sie kam, wo möglich auf ewig von sich zu werfen.

[15] Die Thränen der schönen Akenchris waren stumm, und stumm waren auch die Thränen ihrer Freundinnen, sie schonten den heiligen Schmerz ihrer Gebieterin, sie wollten ihn nicht durch Worte entweihen.

Kinder, rief die Königin nachdem sie sich ein wenig gefaßt hatte: was geschehen ist, wird durch keine Klage geändert, laßt uns retten was noch zu retten ist. Omphis, du weißt, welch einen Schatz du für mich in Verwahrung hast, bringe ihn herbey, daß ich mich noch einmahl an seinem Anschauen letze, und dann auf ewig, ewig von ihm scheide.

Omphis entfernte sich, und kam bald darauf mit einem Kinde zurück, das an Schönheit alles übertraf, was die große Termuthis, selbst in den ersten Jahren ihrer eigenen reizenden Töchter, an holder Kinder-Schönheit kennen lernte. Die kleine Prinzessin Save war die schöne Akenchris, die ich eben beschrieben habe, nach verjüngtem Maasstab, war ganz das, was diese reizende Königin in ihrem sechsten oder siebenten Jahre [16] gewesen seyn mochte, und dieses holde Kind war es, das man jetzt zu den Füßen seiner unglücklichen Mutter brachte, und es lehrte, den letzten Segen von ihr zu erbitten.

Akenchris schloß ihre Tochter weinend in ihre Arme, und lange dauerte es, ehe die Thränen ihr verstatteten das traurige Stillschweigen zu brechen.

Meinen Segen, meinen letzten Segen forderst du von mir? rief sie! O Save! nimm ihn hin, so gut ihn dir mein brechendes Herz zu geben vermag. Sey gesegnet mit kurzem Leben, wenn ein Funke der Treulosigkeit gegen Gottheit und Tugend in deinem Herzen glimmt. Sey gesegnet mit Unglück, wenn heitere Tage dich zur Verbrecherin machen könnten. Sey gesegnet mit dem Tode, wenn die gute Sache einer Märtyrerin in dir bedarf.

Die fromme Königin wußte offenbar nicht, was sie sprach; welche Mutter würde bey vollem Bewußtseyn, ihr Kind auf diese Art entlassen haben; dies waren wenigstens [17] die Gedanken der minder heroisch fühlenden Frauen, die sie umgaben; auch bewies der Erfolg, daß ihre Meynung von der Königin nicht ganz falsch war.

Noch ehe sie ihre Rede ganz geendet hatte, sank sie sinnlos zurück. Omphis, welche glaubte Geräusch von außen zu hören das die Geheimnisse des innern Pallasts zu stören drohte, riß die kleine Prinzessin aus den Armen ihrer sterbenden Mutter, und machte Anstalt, sie an den Ort bringen zu lassen, welchen Akenchris, von dem Augenblicke an, da sie ihrem Gemahl zu mistrauen begann, zum Zufluchtsort für die Tugend und Götterfurcht ihres Kindes gewählt hatte. Der ausländische König wußte nicht, daß seine Gemahlin Mutter eines Kindes aus ihrer ersten Ehe sey; sorgfältig hatte man ihm das Daseyn der kleinen Save verholen, und seine Unwissenheit sicherte die Flucht der jungen Prinzessin, und der ihr zugeordneten kleinen Hofstatt.

Lange war Theben die Residenz der aegyptischen Könige gewesen, sie war es [18] nicht mehr seit ein Ausländer das Scepter führte, auch hatte Akenchris die Heiligkeit der hundertthorigen Stadt zu sehr gescheut, um sie zur Zeugin eines Bündnisses zu machen, dessen Unrechtmäßigkeit, selbst in dem ersten Taumel der Leidenschaft, von ihrem Gewissen nicht ganz unbemerkt geblieben war. Zu ihr, zu den Mauern des heiligen Theben sollte Save gebracht werden. Dort hatten Aegyptens alte Götter noch Feuer und Heerd, dort brannte noch im Verborgenen Hephästos reine Flamme. Einige hochbejahrte Priester, Akenchris erste Jugendlehrer, sollten ihre Tochter auf den nehmlichen Weg leiten, den sie einst gegangen war bis Leidenschaft sie in die Labyrinthe geführt hatte, in welchen sie jetzt den Tod fand, und weise Strenge sollte die Möglichkeit der Verirrungen verhüten, denen Akenchris ihr Elend dankte.

Die Grundzüge der Erziehung welche man der jungen Prinzessin bestimmte, waren heiße Götterliebe und völlige Unbekanntschaft, nicht nur mit dem Laster, sondern mit dem gemeinen Leben der Sterblichen [19] überhaupt. Save sollte nie sehen, nie erfahren, wie die Menschheit gewöhnlich handelt, und durch den Umgang mit jenen geisterähnlichen fast entkörperten Dienern der Gottheit, zum Engel gebildet werden.

Möglichkeit, diesen Entzweck zu erreichen, war vorhanden. Der Tempel, in welchen Save gebracht wurde, hatte dreyzehn Stadien im Umfange, und ward durch zwanzig Fuß dicke und vierzig Ellen hohe Mauern unzugänglich gemacht. Raum genug zwischen ihr und der übrigen Welt, und Sicherheit genug für jeden Wahn, den man ihr von dem, was sich diesseits zutrug, beybringen wollte. Die kleine Anzahl, das hohe Alter und die geprüfte Tugend der heiligen Personen welche dieser Tempel einschloß, leistete für die überspannten Wünsche der Königin Gewähr, und Save ward in sieben Jahren, die sie in der geweihten Einöde zubrachte, würklich ganz das, wozu sie die fromme Akenchris bilden wollte. Sie war in ihrem vierzehnten Jahre ein Engel an Unschuld, wie sie ein Engel an Schönheit war. Unwissend war sie in dem, was [20] man den Lauf der Welt nennt, aber nicht einfältig. Ihr Verstand war von ihren Lehrern mit den erhabensten Wissenschaften genährt worden, sie verstand alles was man ohne Weltkenntniß verstehen kann, aus dem Grunde, sie enträthselte die geheimsten Naturkräfte, kannte die Sterne mit Namen, und war überhaupt im Himmel mehr zu Hause, als auf der Erde.

Ihr Leben war so angenehm, als nützlich. Der Umfang ihres Tempels ließ es ihr nicht an Freyheit, Zeitvertreib und Bewegung fehlen. Wälder, Gärten und Gefilde, die er einschloß, waren künstlich genug in einander gemischt, und durch labyrinthische Gänge verschränkt, um noch einmahl so weitläuftig zu scheinen als sie würklich waren, und ihr Ende fand man nicht so leicht. Hatte Save sich etwa irgend einmahl oder zwey auf der Jagd weit genug vergangen, um an die himmelhohen Mauern zu gerathen, so dachte sie wahrscheinlich nichts mehr dabey, als daß dieses himmelhohe Mauern wären, für ihr Jenseits hatte sie weder Vorstellung noch Neugier.

[21] Ob nie eine Zeit reiferer Ueberlegung, und ausgebreiteterer Wünsche, für die Prinzessin gekommen seyn würde, läßt sich bey einer so außerordentlichen Person nicht muthmaßen. Das Schicksal wollte, war je ein solcher Zeitpunkt denkbar, demselben zuvorkommen, und die schöne Eingesperrte früher in die Welt schleudern, als ein Wunsch nach ihr in ihrer Seele erwachen konnte. Die Art, wie dieses geschah, und der Umstand, daß Save die Einsamkeit früher verlassen mußte als sie derselben überdrüßig war, wird von vielen Geschichtschreibern der damahligen Zeit für die Ursache gehalten, warum diese Prinzessin Zeitlebens das blieb, wozu sie gebildet worden war. Die Psychologen mögen entscheiden, in wie fern sie recht haben.

Schon lange hatte außer den Mauern des Tempels, wie in diesen heißen Gegenden oft geschieht, die Pest gewüthet, ehe man in der reinern Luft des heiligen Bezirks etwas von Ansteckung verspürte; endlich aber wälzte sich doch aus der todathmenden Stadt, ein blaulichter Duft die geweihte [22] Anhöhe hinauf, und ein feindseliger Daemon trug ihn auf seinen Schwingen über die Mauern in die Gefilde der Ruhe. Man begann im Tempelbezirk sich übel zu befinden, die Kränklichkeit nahm überhand, und ward zur Seuche. Omphis und noch eine der Frauen, welche Akenchris ihrer Tochter zugegeben hatte, wurden die ersten Opfer des Würgengels, ihr folgten die andern, und bald kam es dahin, daß Save mit zwey oder dreyen ihrer jüngsten Gespielinnen, die wie sie hier erzogen wurden, die einzigen Uebergebliebenen waren.

Diese unglücklichen Kinder entfernten sich weinend von dem Sterbelager ihrer Versorgerinnen, sich in die Arme der Priester, ihrer Lehrer, zu werfen, die sie in all diesen schrecklichen Tagen weder gesehen noch vermißt hatten; allein sie fanden von diesen ehrwürdigen Männern nur noch einen lebend, der aber bereits dem Tode so nahe, bereits so matt war, daß er nur mühsam Kräfte sammeln konnte, um in gebrochenen Worten, den jungen Mädchen, die bey ihm Hülfe suchten, die Weisung zu geben, die ihnen zu ihrer Rettung nöthig war.

[23] Fliehet, fliehet von hier! stammelte der Sterbende. Rührt mich nicht an, liebkoset mich nicht, mein Odem ist Gift. Hier, der Schlüssel zu eurem Gefängniß! Möchtet, möchtet ihr doch die Freyheit, die ihr nun erlangt – Doch zu Ermahnungen ists jetzt zu spät. Gedenket an das, was ich euch so oft wiederholte. Lebt wohl! seyd glücklich!

Kein Weinen, kein Händeringen half wider diesen Befehl etwas. Der Sterbende wandte seine letzten Kräfte an, die Prinzessin, die vor seinem Bette auf den Knieen lag, von sich zu stoßen, selbst den Labetrunk, den sie ihm bot, versagte er seinen lechzenden Lippen, um seine Wohlthäterin nicht durch eine zufällige Berührung ihrer Hand zu tödten. Er winkte mit schrecklicher Miene Eil zur Entfernung, und die erschrockenen Mädchen entflohen.

Save hatte an Muth und Entschlossenheit immer etwas vor ihren Gespielinnen voraus; sie flohe nicht sowohl, als daß sie gehorchte. Der Schlüssel zu den Tempelthoren [24] war in ihrer Hand; die Riegel flohen, die Flügel thaten sich auf, und flogen durch ihre eigene Schwere, oder von einem verborgenen Kunstwerk regiert, wieder zu. Die Pilgerinnen sahen sich auf einmahl in einer Welt, die sie nicht kannten, und auf ewig abgeschnitten von dem bekanntern und geliebteren Tempel, nach dem sie sich zurücke sehnten, ungeachtet der Fittig des Todes über ihm schwebte.

Der Prinzessin war die Folge ihres ersten Schrittes in die Welt, das Zufliegen der eisernen Thore, die Trennung von ihrer lieben Heimath, erschrecklich. Zögernd stand sie und maß die Höhe der unübersteiglichen Mauern, die nun hinter ihr waren, die Feste der unaufschliesbaren Riegel, mit den Augen; so sieht der, den irgend ein entscheidender Schritt auf den Pfad des Lasters riß, nach den Regionen der Tugend zurück die er verließ, nur allzuoft der unglücklichen Save auch darinnen gleich, daß Rückkehr unmöglich ist.

Die Gegend jenseit des Tempels war oede; so hatte die Pest aufgeräumt. Save [25] und ihre beyden Jungfrauen wanderten eines Tages Länge, ohne daß sie einen Menschen sahen; bis endlich am Abend eine Fischerhütte sie aufnahm, wo sie Nahrung, und Obdach, und das Versprechen erhielten, morgen einige Meilen weiter ins Land zu dem Stadthalter gebracht zu werden, den der ausländische König in diese Gegenden gesetzt hatte.

Save war unwissend in allem, was weltliche Dinge betraf, unwissend hatte man sie sogar in Ansehung ihrer Herkunft und der Beschaffenheit des Landes gelassen in welchem sie geboren war, noch einmahl, sie war unwissend, doch aber nicht einfältig; daß es hier andere Menschen, als in ihrem Tempel gab, das sahe sie wohl, aber sie wußte sich darein zu finden, sie begriff leicht was ihr zu thun das Beste sey; keine unzeitige Blödigkeit machte sie lächerlich, oder gab sie den Verräthern der Unschuld preis. Man empfing sie beym Stadthalter mit Ehrfurcht. Ehrfurcht gebot ihr ganzes Wesen. Sie hatte im Tempel etwas weniges vom Gebrauch des Geldes, und dem [26] Werthe der Edelsteine gelernt, und da sie von beyden genug bey sich hatte, um unabhängig zu leben, so wehrte man ihr nicht, sich einzurichten wie sie selbst wollte, auch hatte man keinen Verdacht auf sie, daß sie aus einem Orte käme, in welchem die Seuche noch wütete, sie hatte sich zufälliger Weise behutsam hierüber erklärt, und ihr und ihrer Gespielinnen Ansehen war so frisch und blühend, als daß man sie hätte verdächtig finden können, auch war ihr Körper würklich dem Gifte unzugänglich gewesen, sie blieben verschont, und begannen in dem fremden Menschenkreise in welchem sie sich befanden, ein Leben, das durch den Reiz der Neuheit, und durch die Freyheit, die sie genossen, viel Annehmlichkeiten für sie hatte.

Save war so schön, daß sie begann Aufmerksamkeit zu erregen; auch ihre Seele war schön, und ihr Umgang hatte einen Zauber, der alles um sie her versammelte. Sie hatte keinen Begriff davon, daß der große Kreis, der sich immer um sie drängte, ihr gefährlich und der Sitte ihres Landes [27] zuwider war. Ihre Grundsätze und die Strenge ihrer Tugend erwarben ihr Ehrfurcht, das Laster wagte es nie in ihrer Gegenwart ohne Larve zu erscheinen, wie hätte sie merken sollen, daß es oft an ihrer Seite lauschte, daß man schon tausend verunglückte Plane gemacht hatte, sie in seine Gemeinschaft zu ziehen, und jetzt an einem neuen arbeitete, der gelingen mußte, weil er auf ihre Schwäche gebaut war.

Man hatte der Prinzessin zeitig abgemerkt, sie sey, bey aller innern Vortreflichkeit, nicht ohne Stolz. Dies war ein Zugang den man in ihr unverwahrtes Herz zu finden meinte; ihre übertriebene Andacht, ihre schwärmerische Anhänglichkeit an überirrdische Dinge, öffneten den zweyten, und der Durst nach aller Art von Wissenschaft, der sie beseelte, hatte sie bereits zu Schritten verleitet, welche für ihr Glück und ihre Ruhe entscheidend wurden. Wars möglich, daß die edelste der Seelen, durch Triebe, die ihre himmlische Abkunft verriethen, dem Verbrechen, wenigstens der Versuchung entgegen geführt wurde?

[28] Die Herrschaft der Ausländer hatte in der Verfassung Aegyptens vieles geändert. Die Königin Akenchris war todt, der fremde König hatte ihre Krone, und schaltete mit der königlichen Macht, wie es ihm recht dünkte. Die neuen Götter, welche Save's fromme Mutter verabscheute, und deren Dienst sie ihre Tochter entreißen wollte, als sie sie in die Einsamkeit von Theben schickte, gewannen die Oberhand; man sagte dem Volke, seine alten Gottheiten hätten nur die Namen verändert, und bewog es auf diese Art, vor Altären zu knieen, die es sonst verabscheuet hatte. Eine neue Art von Weltweisen gab jetzt überall den Ton an, ihre Lehren und ihre Uebungen glichen dem, was man in spätern Zeiten von den Gymnosophisten hörte, und so lächerlich dieselben in vieler Rücksicht waren, so wußten sie denselben doch eine so glänzende Außenseite zu geben, daß selbst Save verstrickt ward. Sie zu verstricken, hätte man sich, ob sie gleich schön war, kaum so viel Mühe gegeben, hätte man ihre Herkunft nicht besser gekannt als sie selbst, und in ihr, der rechtmäßigen Herrscherin Aegyptens, ein Mittel zu finden [29] geglaubt, Plane durchzusetzen, die viel leicht nie ganz ans Licht kamen.

Save's Umgang mit dem Hause des Stadthalters, hatte sie in den Zirkel der neuen Philosophen gebracht, und ihr lehrbegieriger Geist fand hier Reiz genug, nach weitern Fortschritten zu streben. Schon hatte man ihr Zutritt zu den seltsamen Uebungen verstattet, mit welchen sich die Schüler der so genannten himmlischen Weisheit zu immer höhern Stufen des reinen Anschauens der Gottheit hinauf drängen wollten. Sie sah, wie man sich in der Glut der ägyptischen Sonne röstete, wie man die Fluthen des Nils durchkreuzte, und die Krokodile zum Kampf aufforderte, wie man, auf Gefahr zu erblinden, Tagelang der Sonne, mit unverwandten Augen entgegen sah, um durch solche Mittel die Abtödung der Sinnlichkeit, und das Aufsteigen zum Glück reinerer Geister zu bewürken.

Die fromme Save vergoß Thränen über die Opfer, die man, wie sie meynte, der Tugend brachte; doch ihre heißesten Zähren [30] flossen, als sie eines Tages in einer himmlischen Jünglingsgestalt, die sie wegen ihrer Unbeweglichkeit, immer für eine schöne Bildsäule gehalten harte, einen würklichen Menschen entdeckte, welcher, wie man ihr sagte, hier schon beynahe ein Jahr, in der nemlichen Stellung, seiner Entkörperung entgegen harrte. – Nur sein einer Fuß berührte die Erde, der andere schwebte in der Luft, die Arme waren ausgebreitet, die Augen weit geöffnet und der Sonne zugekehrt. Nur Flügel fehlten hier, um dieses überirrdische Wesen der Gottheit entgegen zu tragen, zu welcher sein sehnender Blick empor schaute, nur Flügel, um den Genius ganz zu vollenden.

Save's Augen hingen so unverwandt an dem Halbgott, als die seinigen an der Sonne; selbst die Entdeckung, hier sey etwas mehr als Marmor, konnten sie nicht zurückeziehen. Sie seufzte, und ließ sich es von neuem erzählen, daß dieser junge Mensch, er sey der Bruder des Stadthalters, und Pythicus sey der Name mit welchem ihn die Weisen nennten, hier nun schon, seit [31] zehn Monaten, in der nehmlichen Stellung, ohne Schlaf, ohne Speise, und ohne Trank, der höchsten Veredlung seines Wesens entgegen harrte.

Thränen stürzten aus den Augen der andächtigen Prinzessin. Sie wandte sich hinweg. Arme Save! rief sie. So viel thut man hier für die Tugend? O wehe dir! du stehst noch ganz am Eingange des Weges zur Vollkommenheit!

Save ging nach Hause, und dachte, und träumte nichts, als von jenem himmlischen Jünglinge und seiner Entkörperung. Als sie wieder den Hayn der Philosophen besuchte, sahe sie ihn nicht mehr, und ihre Fragen nach ihm wurden beantwortet wie es sich denken läßt. Er war hinüber geschwebt zu seinem Ursprung, hinauf zur Sonne, die nun in jedem Strahle der frommen Prinzessin sein Bild zu malen schien. – Save erkundigte sich was sie, zwar ein schwaches Weib, aber mit ähnlichen Trieben zur Vollkommenheit geboren wie der älteste Weltweise, zu thun habe, um das [32] glänzende Ziel des großen Pythicus zu erreichen, und man antwortete ihr mit einem ehrfurchtsvollen Stillschweigen, das dem Verstummen vor der Stimme der Götter gleich war. Sie wiederholte ihre Fragen, und man versicherte sie, daß der Wege viel wären, auf welchen die Götter die Menschen zu sich zögen, und daß der ihrige einer der kürzesten und leichtesten sey.

Die Prinzessin verstand nicht was man hiermit meynte, und eben so unverständlich war ihr die tiefe anbetende Verehrung, mit welcher man ihr seit einiger Zeit unter den Weisen begegnete. Man sprach wenig und schüchtern mit ihr, man redete sie nicht anders an als mit gebogenen Knieen, man kam jedem ihrer Wünsche zuvor, und als sie einst von neuem das Verlangen äußerte, in den innersten Geheimnissen der Weisheitsschule eingeweiht zu werden, so versicherte man ihr, sie habe nach keinem Grade der Vollkommenheit zu streben, der nicht schon von ihr erreicht sey, und sie könne zur Bestätigung dieser Wahrheit jede Probe machen, die sie sich selbst ausdenken wollte.

[33] Unter allen Geheimnissen des wundervollen Waldes den die Weisen bewohnten, war ihr keines schöner und herzerhebender vorgekommen, als die Gabe, welche einige der ältesten dieser heiligen Männer hatten, die Bäume reden zu machen. Oft hatte sie an der Seite eines dieser Lieblinge der Gottheit wandelnd, auf jede Frage, die erstaunenswürdigsten Antworten, aus dem Gipfel einer tausendjährigen Eiche, oder einer bejahrten Ulme ertönen hören, und Schauer und Entzücken hatten sie denn oft bey solchen Auftritten bis zur Ohnmacht überwältigt. Save wünschte, da man ihr, auf vorerwähnte Art schmeichelte, (und sie konnte viel Schmeicheley vertragen,) nichts mehr, als die Gabe zu haben, mit den Bäumen zu sprechen, und man antwortete ihr mit der gewöhnlichen Ehrfurcht: Sie könne einen Versuch machen, man zweifle nicht, daß er glücken würde; sie sey hier, durch himmlische Offenbarung, bereits als eine Geliebte der Götter bekannt, und es sey ausgemacht, daß sie ihr keinen Beweis ihrer Huld versagen würden.

[34] Zu der geheimnißvollen Unterredung mit den tausendjährigen Kindern des Hayns gehörte Einsamkeit. Save spazierte seit der Verheißung die man ihr gethan hatte, oft allein in dem Walde der Weisheit, und ihre Jungfrauen sahen sie allemahl nachdenkend aus demselben zurückkommen; niemand fragte sie was ihr die Bäume gesagt hätten, aber daß sie Umgang mit den überirrdischen Wesen hatte welche jene stummen Redner beleben sollten, das war ausgemacht, selbst ihr Blick sagte es, daß es mit ihr außerordentliche Bewandnisse habe. Sie war still, und in sich selbst verschlossen, war nicht mehr die umgängliche Freundin, die herablassende Gebieterin, als die sie ehedem von ihren Leuten angebetet wurde.

Eines Tages brach die Prinzessin das lange Stillschweigen gegen ihre Jungfrauen: Kinder, sagte sie, es ist unmöglich, euch länger mein Glück zu verschweigen. Mich bestimmen die Götter zum glänzendsten Schicksal. Bald, bald werde ich mich der Erde entschwingen. Eine Gottheit ists, die mich liebt. Dies sagen mir alle Bäume des Waldes, [35] mein Herz spricht ja darzu, und nur die Klugheit giebt mir den Rath, noch eine Probe zu machen, ob ich nicht mit zu vieler Kühnheit hoffe. – Dich liebt der große Memnon, dich bestimmt er zu seiner himmlischen Braut! sehet, dies ist die Stimme, die mir seit einiger Zeit jeder Baum, jeder Strauch im Walde der Weisen zuflüstert. Laßt uns gen Memnonium ziehen, und das Wunder abwarten, das, wie man mich versichert, dort meiner harret, von ihm hängt meine Entschließung ab.

Die Jungfrauen der schönen Save waren so begeistert wie sie, und fanden also in ihrer Rede nicht das mindeste abgeschmackte. Man zog nach Memnonium, und dachte den Morgen in dem großen Thale einzutreffen, welchem das Herz der Prinzessin ahndend entgegen schlug, aber ein sonderbares Geschick verlängerte den Weg und die letzten Strahlen der Sonne vergüldeten bereits die Memnonssäulen, als Save den Ort ihrer Bestimmung erreichte.

In der östlichen Gegend von Theben liegt ein tiefes Thal, welches nebst dem [36] Theile der Stadt der zunächst an dasselbe grenzt, den Namen Memnonium führt. Die Colossalischen Bildsäulen des vergötterten Helden, von dem diese Gegend den Namen führt, verherrlichen sie; eine derselben übertrifft die andre an Alterthum, ein Erdbeben zerschmetterte die ältere, und sie ist nur noch in ihren Trümmern sichtbar. Man trägt sich mit der Sage, der Unwille des großen Memnons, von einem zu kühnen Künstler nicht nach Wunsche gebildet zu seyn, habe dem Himmel den Donner entrissen, um den Frevel an dem Werke, und dem Meister zu rächen; letzterer kam mit dem ersten um, und lange dauerte es, ehe ein Sterblicher es auf ähnliche Gefahr von neuem wagte den Halbgott zu bilden, der so eifersüchtig auf seine Ehre und die Idee war, die man sich auf Erden von ihm machte.

Diese letztere Bildsäule gerieth, wie es schien, nach dem Wunsche des himmlischen Urbilds, sie steht noch, und war die nemliche, die mit von der untergehenden Sonne abgewandtem Gesicht einen ungeheuern Schatten ins Thal warf, das jetzt Save [37] mit ihren beyden Jungfrauen betrat. Eine schöne Jünglingsgestalt, aus schwarzem Marmor geformt; der Held ruht auf seinem Grabe, in der Stellung, als wollte er sich eben erheben, um seine Mutter, deren Aufgang er entgegen sieht, zu begrüßen. Sein himmlisches Auge ist gen Osten gekehrt, sein Mund lächelt, und seine Lippen öffnen sich zu dem frohen Laut, mit welchem er jeden Morgen Auroren bewillkommt; dieser Laut übertrifft am Wohlklang alles das, was je ein Sterblicher gehört hat, es ist nicht Glockenton, nicht Flötenhauch, nicht Harfenlaut, es ist ein Mittelding, eine Zusammenmischung von allem, was die Kunst den reinen Urtönen des Himmels abstahl. Wenige hörten den unaussprechlichen Ton, denn schwer ist es, die Zeit nicht zu verfehlen, da er bemerkt wird. Er entsteht, und verhallt mit dem ersten Aufblicken der Morgenröthe, auch ist nicht jedes Ohr gebildet, diesen Nachhall unsterblicher Stimmen zu vernehmen.

Der Prinzessin tönte er, so wie sie das Thal betrat, mit voller Harmonie entgegen, [38] und welch ein Schauer sie bey diesem Wunder befiel, läßt sich errathen. Ists nicht fast Nacht, und bin ich Aurore? rief sie, indem sie sich erröthend zu ihren Gespielen wandte.

Die schöne Save ist mehr als Aurore, antwortete einer der Weisen, der auf einmahl bey ihr stand. Anders bewillkommt der Bräutigam die Braut, als der Sohn die Mutter, so voll, und rein hat noch nie ein Sterblicher den Memnonischen Morgengruß gehört, als wir jetzt ihn bey untergehender Sonne vernehmen.

In diesem Augenblick ertönte das melodische Lallen der Bildsäule zum zweyten, und bald darauf zum dritten Mahle. Bleich vor Entsetzen, ich weis nicht, ob auch vor Freude, stand die Prinzessin, noch bleicher ihre Jungfrauen. Selbst der Weise hatte sich, überwältigt vom heiligen Schauer, ein wenig zurückgezogen, und erst jetzt nahte er sich von neuem, um der Prinzessin Glück zu wünschen, und ihr einige Anweisung zu geben, wie sie ihrem himmlischen Bräutigam zu begegnen habe. Einsamkeit, ungetheilte [39] Einsamkeit, behauptete er, sey ein Haupterforderniß zur ersten Unterredung mir ihm, und indem sich Save niederwarf, vor dem Götterbilde anzubeten, führte er ihre beyden Gespielinnen nach dem Walde zurück, den sie eben verlassen hatten, und rieth ihnen, sich ungesäumt nach Hause zu verfügen, weil hier in der Nähe des eifersüchtigen Gottes, sie leicht ein Unfall betreffen könne.

Fast unmöglich dünkte es den Jungfrauen, ihre Gebieterin in dieser grauenvollen Einsamkeit zu verlassen, und eben so unmöglich dünkte es ihr, hier allein zu bleiben. Sie eilte den sich Entfernenden nach. Lebt wohl! Lebt wohl, ihr meine Lieben! schrie sie, indem sie sie noch einmahl in die Arme schloß. Werde ich euch wiedersehen? – Nein, o nein! Himmlische Liebe entrückt zu den Sternen! Mit heiligem Schauer gehe ich meiner großen Bestimmung entgegen, die mich dieser Erde – ach sie ist so schön! – auf ewig entreißt.

Die große Termuthis, nicht unerfahren in dem was die Tücke der Priester und Weisen [40] dieses Landes zu wagen im Stande sind, ahndet vielleicht in dieser Memnons Liebe bereits das, was sie wirklich war; auch Save war nicht so in überirrdische Regionen entzückt, daß sich ihrer nicht bald, das nehmliche ahndende Gefühl des Betrugs hätte bemeistern sollen. Sie hatte nie eine Neigung, sich umständlich über dieses Abentheuer zu erklären, aber nur zu gewiß war es, daß einer jener überirrdischen Weisen sich des Namens des großen Memnons bedienen wollte, um die Prinzessin, die er heimlich liebte, in seine Gewalt zu bekommen. Save hatte Stärke und Geschwindigkeit genug, um sich den Armen ihres Entführers zu entwinden, und ihre nach Hause eilenden Gespielinnen noch am Ende des Waldes zu ereilen. Ihre Thränen sagten ihnen, wie man ihre fromme Einfalt getäuscht, wie man den Namen eines Gottes gemisbraucht hatte, sie zu hintergehen.

Memnon mußte entgelten, was man auf seinen Namen gesündiget hatte. Save that ein Gelübde, nie sein Thal wieder zu betreten, auch war ihr Hang zu der Philosophie [41] der Weisen des Waldes ganz verschwunden, ob sie gleich noch an mancher der Schwärmereyen mit ganzer Seele hing, die sie dort eingesogen hatte.

An den schönen Pythicus dachte sie, und seine Entkörperung glaubte sie noch immer, sie scheute sich nicht, ihren Gespielen vertraulich zu gestehen, daß sie eine Art himmlischer Liebe für ihn fühle, welche alle Höflichkeiten des furchtbaren Memnons nicht in ihr hätten hervorbringen können.

Die Einsamkeit, in welcher die Prinzessin lebte, seit sie den Philosophen des Waldes entsagt hatte, und hinter einen Theil ihrer Geheimnisse von redenden Bäumen, und tönenden 1 Cymbeln gekommen war, machte ihr Vermehrung ihrer Gesellschaft oft wünschenswerth; sie entschloß sich, noch eine Jungfrau in ihren Cirkel aufzunehmen, und sie war wegen ihrer Tugend und Leutseligkeit so angesehen, daß sich die größten [42] Häuser aus Theben und den umliegenden Gegenden um die Wette beeiferten, ihr ihre Töchter zu Gespielinnen anzubieten. Der Stadthalter schlug ihr seine Schwester, die schöne Pythica, vor, und Save hatte diese Jungfrau nicht so bald gesehen, als ihr Entschluß gefaßt war. Ich habe bereits gesagt, welche Empfindungen Save für den vergötterten Bruder eingestand, und diese Schwester war diesem Bruder so auffallend ähnlich, daß man der Prinzessin verzeihen mußte, wenn sie ersten Blicks eine Neigung für sie faßte, welche ihre Aufnahme gewiß machte, und den Rang, den sie inskünftige unter ihren Gespielinnen einnehmen sollte, entscheidend bestimmte.

Die Jungfrauen der weisen Save empfingen ihre neue Schwester, als sie ihnen vorgestellet ward, nicht ganz mit der Vorliebe, welche ihre Prinzessin für sie fühlte; war es Furcht, von ihr aus dem Herzen einer angebeteten Gebieterin verdrängt zu werden, oder Scheu vor dem Außerordentlichen, das ein unbefangenes Auge in ihrer ganzen Person entdecken mußte, genug, Pythica fand eine sehr kaltsinnige Aufnahme.[43] Ich bin meiner erhabenen Zuhörerin eine Schilderung ihrer Person schuldig, aber ich zittere, sie ihr in so wenig Worten zu geben, als ich könnte. Pythica war schön, wie ein Jüngling, als Jungfrau fehlte ihr die Sanftmuth, die Feinheit ganz, welche unser Geschlecht reizend macht. Muth und Entschlossenheit saß in ihrem schwarzen Feuerauge, und auf ihrer offenen Stirn. Dicke schwarze Locken füllten ihren Nacken, und gaben, nebst den hochgewölbten Bogen, die ihre Augen beschatteten, ihrem Gesicht etwas Drohendes, das kein Blick lange aushalten konnte. Ihre hochgebildete Gestalt, die Stärke ihrer Arme, ihr fester entscheidender Gang, war mehr männlich als weiblich, und, wenn sie unter ihren Gespielinnen an der Seite der Prinzessin, bey weiblichen Arbeiten saß, so glaubte man einen verkleideten Achill zu erblicken; ihre Hände waren indessen nicht ganz ungeschickt, mit der Spindel und mit der Nadel umzugehen, doch natürlicher stand es ihr freylich an, mit dem Köcher auf dem Rücken, und dem Bogen in der Hand, die Prinzessin auf die Jagd zu begleiten. –

[44] O Almé! schrie hier Termuthis, was wagst du hier, für ein Bild zu entwerfen! Ists nicht der ruchlose Amun, den du vor meine Augen mahlst? Verrätherin! Verführerin! das Ende deiner Geschichte wäre zu errathen, wenn es nicht schon bekannt wäre! Sage, womit willst du deine geschlossenen Augen, in Rücksicht auf den Bösewicht entschuldigen, der mich zur unglücklichsten der Mütter machte?

Mit der Abneigung, antwortete ich, die ein jeder Vernünftige fühlt, Fabeln ins wirkliche Leben übergetragen zu glauben; und war ich allein blind? – Gab es nicht weit hellere Augen, welche hätten sehen sollen? Auch möget ihr selbst, aus dem Anfange und dem Ende meiner Geschichte urtheilen, ob sie irgend etwas enthält, was die Handlungsweise eurer verlohrnen Tochter begünstigen konnte. Save war keine Zaide, und Pythicus kein Amun.

Elende Entschuldigungen! schrie Termuthis. Doch erzähle weiter. Das Ende deiner Geschichte soll dein Schicksal entscheiden.

[45] Daß Pythica ein Pythicus war, welches ihr bereits wisset, hätte sich durch tausend Umstände verrathen können, wenn man nicht verblendet gewesen wäre. Sein Muth, und seine Kenntnisse übertrafen noch das Auszeichnende seiner Person, sie waren mehr als weiblich; aber letztere machten ihn, zu der angenehmsten Gesellschaft für die kluge Save, und erstere gaben ihm mehr als einmahl Gelegenheit, sich um das Leben der Prinzessin verdient zu machen, und sie befestigten ihn also in Save's Gunst. Sie wagte sich, seit die muthige Pythica ihre Gespielin war, öfter in die Gefahren der Jagd, als vordem. Die Spindel ruhte, aber der Jagdspies hing selten ungebraucht an der Wand, und verloren wäre Save, die die Schwäche ihres Geschlechts an der Seite ihrer stärkern Gefährtin oft verkannte, verloren wäre sie hier durch das Rasen zu rascher Rosse, die sie immer zur Jagd am liebsten wählte, dort durch die Stärke des Wildes an das sie sich wagte, hier durch die Fluthen des Stroms, welche sie nicht scheute, weil Pythica durch denselben das Wild verfolgte; verloren wäre sie auf tausenderley [46] Art gewesen, hätte nicht ihre unzertrennliche Gefärthin sie allemahl gerettet. Die andern Jungfrauen haßten Save's Lebensretterin, und konnten ihr die Hülfe in Gefahren die sie selbst herbeygezogen hatte, wenig danken, aber die Prinzessin floß über von Liebe und Dankbarkeit. An den vergötterten Pythicus ward wenig mehr gedacht, seit eine Pythica auf Erden lebte.

Die neue Gespielin der Prinzessin Save hatte noch nicht ein ganzes Jahr an der Seite ihrer Gebieterin gelebt, als sie nachdenkend und traurig ward. Ihre Gestalt verfiel, ihr Blick wich dem Blick der Prinzessin aus, und ihre Liebkosungen wurden mit Schüchternheit erwiedert, wahrscheinlich fing die Larve an dem Betrüger unbequem zu werden, oder, noch wahrscheinlicher, unzufrieden mit der unschuldigen Freundschaft der schönen Save, dachte er, sie durch einen kühnen Streich zu seinem Eigenthum zu machen, ehe die Zeit sein Geheimniß enthüllte.

Pythica war öfter abwesend, als sonst, sie besuchte fleißig ihren Bruder, den Stadthalter, [47] jenseit des Waldes; vielleicht, um den Streich mit ihm zu verabreden, der erst späterhin, und doch, Dank sey den Schutzengeln der Tugend, nicht ganz glückte.

Eines Tages, als Save ihre liebste Gespielin mißte, und mit den andern genöthigt war, ihre Zuflucht zu dem, jetzt selten gebrauchten Weberstuhl zu nehmen, damit die langsam schleichenden Stunden, wo Pythica nicht gegenwärtig war, schneller vorüber gingen, wurden die Arbeitenden auf einmahl, durch ein ungewöhnliches Getön aufmerksam gemacht. Ein mehr wilder, als harmonischer Laut von Stimmen und Instrumenten ließ sich hören, man eilte auf den Umgang des Hauses, und sahe die Ebene mit einer Menge Volks erfüllt, die einem feyerlich nahenden Zuge geschmückter Priester entgegen jauchzten, welcher sich aus der Ferne, gerade auf den Pallast zu, zog, den die Prinzessin bewohnte.

Fackeln, Blumenkränze, Götterbilder, köstliche Opfergefäße, schimmerten in den Händen der Priester den Schauenden entgegen. [48] Einige der Priester streueten, aus goldenen Körben Weizen um sich her, andere sprengten aus krystallenen Krügen wohlriechende Wasser in die Luft, die rauschendste Musik löste sich nach und nach in die zärtlichsten Melodien auf, und da man im immer näher Kommen des Zugs, endlich einen leeren Triumphwagen, und eine Menge weißgekleideter Mädchen entdeckte, welche zahme Turteltauben auf den Händen trugen, so konnten die, welche mit der Sitte des Landes bekannt waren, nicht einen Augenblick mehr zweifeln, daß es hier auf eine Brautwerbung angesehen sey. Der klugen Save, die besonders in dem Ritual des alten und neuen Götterdiensts ihres Landes viele Kenntnisse hatte, ward es sogar nicht schwer, aus gewissen Abzeichen auf ein Haar zu errathen, was hier für ein Bräutigam um eine Braut würbe, ob es ihr gleich einige flüchtige Unruhe machte, welche unter mehrerern Jungfrauen, die ihr Haus beherbergte, die Gewählte seyn würde. Für sich selbst hoffte sie auf alle Fälle, durch die Ausflucht sicher zu seyn, daß sie sich nie zu vermählen wünschte.

[49] Seit Aegypten seinen Götterdienst mit neuen Göttern vermehrt sah, beherbergte ein in der lybischen Wüste ehemals dem Serapis geweihter Tempel, ein Bild des Jupiter Ammons. Die neue Gottheit hatte die alte vertrieben, und herrschte unumschränkt, mit allen ihr eigenen Gesetzen und Gebräuchen.

Ein sonderbarer Gebrauch des lybischen Gottes war es, sich jedes Jahr eine neue Braut aus den schönsten Töchtern des Landes zu wählen; der Bräutigam war nicht schön, und wenig Jungfrauen fanden Gefallen, sich so hoch zu vermählen, indessen durfte dieser Brautwerber nie eine abschlägliche Antwort, als unter oben erwähnter Ausflucht bekommen. Diejenige, welche ihn ausschlug, verlobte sich damit zu ewiger Ehelosigkeit, und man wußte Mittel, sie zu Haltung ihres Gelübdes zu zwingen; dahingegen ein gefälliges Ja, der gewählten Braut, außer dem Vorzug für die schönste und tugendhafteste Person ihrer Zeit erklärt worden zu seyn, und der fast göttlichen Verehrung, die ihr ein ganzes Jahr lang [50] erzeigt wurde, noch den Vortheil verschaffte, nach Ende dieses Jahres, nebst einer königlichen Aussteuer, ihre Hand dem Manne ihrer eigenen Wahl geben zu dürfen. Auf diese Art fehlte es dem lybischen Gotte nie an reizenden Bräuten, und seine Werber nahten sich auch diesesmahl dem Hause der Prinzessin, mit der vollen Ueberzeugung, nicht getäuscht zu werden.

Die weise Save, welche in allen Fällen wußte was zu thun war, konnte sich auch in diesen recht wohl schicken. Während die Priester das Haus erfüllten, und das Ceremoniel ordneten, ordnete auch sie das ihrige. Auf einem kleinen Thron, ihre beyden anwesenden Gespielinnen zur Seite, erwartete sie die Gesandten in ihrem Staatszimmer, indessen alle übrige Mädchen des Hauses, so schön geschmückt als es die Eil zuließ, zu beyden Seiten, den Saal erfüllten. Keine, auch die niedrigste, durfte hier nicht fehlen, keine war zu schlecht, auf die Wahl des lybischen Gottes nicht hoffen zu dürfen, er hatte gute Kunde von allen Töchtern des Landes, und raubte seine Gemahlinnen [51] sowohl vom Thron, als von der Heerde, denn auch ein sonderbarer Gebrauch des gehörnten Gottes 2 war es, daß er, ungeachtet der freywilligen Zusage, die er allemahl erwartete, doch nie das seinige anders, als durch Raub nahm; auf den Willen der Braut kam es denn an, wenn und wie sie geraubt seyn wollte.

Die Prinzessin kam den Gesandten, als sie eintraten, mit majestätischem Anstande einige Schritte entgegen, und setzte sich denn, um der weidlichen Würde auch gegen einen Gott nichts zu vergeben, wieder auf ihren Thron, um das Anbringen der vor ihr stehenden Priester zu vernehmen.

Heilige Männer, antwortete sie, als die erste Anrede geendet war, ihr meldet mir wohl, daß die Wahl des großen Jupiter Ammon auf mein Haus gefallen sey, aber noch nenntet ihr nicht den Namen der Braut. Welche unter allen diesen jungen Mädchen, deren jede schön und tugendhaft genug ist, auf das erhabenste Glück zu hoffen, [52] wird aus der Niedrigkeit auf den Thron erhoben? welche wird der Gegenstand unserer künftigen anbetenden Verehrung seyn?

Diejenige, antwortete der Sprecher, auf welche die Wahl dessen der uns sandte, gefallen ist, erblicke ich gar nicht in diesem reizenden Cirkel, und die Prinzessin Save wird verzeihen, daß der lybische Gott, selbst ihre Vollkommenheiten zurücksetzte, und seine Augen auf eine ihrer Dienerinnen warf. Pythica ist die gewählte Braut, Pythica ists, welche wir suchen, und Pythica ists, welche wir rauben werden, wenn sie uns versagt wird.

Die Prinzessin gerieth, über diesen Antrag, in das lebhafteste Erstaunen, Freude mischte sich in dasselbe, Freude, theils der Werbung für ihre Person entgangen zu seyn, theils ihre liebste Freundin zu einem Glück erhoben zu sehen, das sie in der That für jede andere, außer sich selbst, äußerst annehmenswürdig fand. Ihre Empfindungen mahlten sich in ihren Blicken; doch sie [53] wußte wohl, daß es hier nicht der Ort sey, sie weitläuftig zu äußern, die gewöhnliche Werbungsformel, welche sie eben aus dem Munde des Priesters gehört hatte, mußte mit eben so wenig, und eben so bestimmten Worten, ohne langes Bedenken beantwortet werden, und da Save ihre Pythica genug zu kennen glaubte, um ihren Willen zu errathen, und sie hinlänglich liebte, ihr Glück zu wollen, so antwortete sie mit einer sittsamen Verbeugung: Pythica billigt die Wahl des lybischen Gottes; Pythica wird sich finden lassen; Pythica kann noch diesen Abend, auf ihrem Rückwege aus dem Walde in dieses Haus, geraubt und ihrem Bräutigam geschenkt werden.

Man kann nichts anständigers denken, als das Betragen der Prinzessin bey dieser Gelegenheit. Die Priester waren ungemein wohl mit ihr zufrieden, und entfernten sich mit der Versicherung, daß der lybische Gott ihren Gehorsam zu belohnen wissen würde, und daß sie allemahl willkommen seyn werde, wenn sie in seinem Tempel erscheinen würde, ihrer glücklichen Gespielin die gebührende Verehrung zu erzeigen.

[54] Das Getümmel, die Verwunderung, die Freude, auch hier und da die kleinen Aeußerungen von Misgunst zu schildern, welche nach Abzug der Gesandten, in dem Frauenzimmer der Prinzessin überhand nahmen, würde überflüßig seyn; schicklicher wäre es vielleicht, der armen Pythica entgegen zu gehen, welche mit der größten Unbefangenheit den Rückweg nach ihrer Prinzessin bereits angetreten hatte, und, als sie um Abendzeit die Schatten des Waldes verließ, von wo der Weg nach dem Hause nur klein war, sich auf einmahl in Räuberhänden sah.

Es war schon zu dunkel, als daß sie ihre Entführer hätte erkennen sollen, sie wehrte sich verzweifelt, und würde wahrscheinlich das nehmliche gethan haben, wenn sie ihre Bestimmung gewußt hätte. Ob sie von geschmückten Priestern, oder wilden Arabern geraubt, ob sie in einem vergoldeten Triumphwagen, oder in Fesseln davon geführt wurde, das mußte ihr bey gleichem Verlust ihrer Freyheit einerley seyn, und vielleicht würde sie, wäre Wahl [55] ihr vergönnt gewesen, noch das letzte dem ersten vorgezogen haben.

Arme Pythica, die Entscheidung deines Schicksals nahte heran; daß du in deiner Verkleidung schön genug warest, die Augen des lybischen Gottes, oder irgend eines seiner Diener, zu reitzen, war dein Unglück. Entdeckung war nun unvermeidlich!

Schon hatte der zu tapfere Widerstand die Geraubte verdächtig gemacht, und als sie bey der Ankunft im Tempel in der Sache ganz klar sehen lernte, und bey der Weigerung, sie loszulassen, alle weibliche Sanftmuth auszog und ganz zur Furie ward, da konnte man nicht mehr zweifeln, hier sey mehr als ein Weib; auch läugnete der ergrimmete Jüngling nichts mehr, er gestand seine Verkleidung, gestand die Absicht derselben, gab sein ganzes Geheimniß preis, achtete nicht der Schande, die bey dieser Gelegenheit auch auf die unschuldige Save fiel, riß darauf einem aus der gaffenden und vor Verwunderung fast zu Stein gewordenen Menge, das Opfermesser aus dem Gürtel, [56] bahnte sich damit einen Weg durch das Gedränge, und entkam, ohne daß man sich erkühnte, diese seltsame Braut aufzuhalten.

Indessen unterhielt die fromme Save sich mit ihren Jungfrauen von nichts, als von dem Glück der geliebten Pythica; sie zog nachdenkliche Parallelen zwischen ihr und ihrem vergötterten Bruder, sie nannte Beyde erklärte Lieblinge der Götter, und verlor sich in alle den andächtigen Schwärmereyen, die man ihr zutrauen wird.

Ganz begeistert von dieser süßen Beschäftigung, saß sie einst des Abends auf ihrem dämmernden Zimmer, als plötzlich die Thüre aufflog, und sie sich in den Armen eines gewaffneten Mannes erblickte. Das Geheimniß ist enthüllt, schrie eine bekannte Stimme, die Stimme ihrer Pythica. Save, du bist mein! Flucht mit mir, ist der einzige Ausweg der dir übrig bleibt. Deine Ehre ist dahin, dein guter Ruf verlohren; du hast keine andere Wahl, als deine Freundschaft für die glückliche Pythica, in Liebe zu dem unglücklichen Pythicus zu verwandeln, und [57] mit ihm zu fliehen, weit hinweg, wo keine Lästerung die treueste, die schuldloseste Liebe höhnt.

Die halbohnmächtige Save hatte in den Armen ihres Räubers, während diesen Worten, schon den Weg bis zu einem Wagen zurückgelegt, der vor dem Thor des Hauses ihrer wartete. Wahrscheinlich verstand sie kaum den kleinsten Theil von dem, was er ihr sagte; aber auf dem Wege zu dem Stadthalter, wohin sie geführt wurde, und bey einem drey Tage langen Aufenthalte in dem Hause desselben, enthüllte sich ihr alles, und nichts vergleicht sich der Verzweiflung, in welche sie durch diese Entdeckungen gestürzt ward. – Lange dauerte es, ehe sie ihren schrecklichen Gefühlen Worte oder Thränen geben konnte; doch in der letzten Nacht, da sie milder über ihre Täuschung weinte, als sie bisher weinen konnte, gelang es ihr endlich in Klagen auszubrechen, welche ihrem Herzen Luft machten.

Dies ist also, sagte sie zu sich selbst, der Lohn unschuldiger Frömmigkeit, Schimpf und tausendfältige Täuschung! O Religion [58] der heiligen Isis, was soll ich von dir glauben, wenn du deine Geweihten in solche Labyrinthe führst! Aus der sichern Freystatt in dem Tempel zu Theben trieb mich die Pest. Im Hayn der Philosophen täuschte mich trügliche Weisheit. Das Abentheuer bey den Memnonssäulen macht mich wegen meiner frommen Einfalt erröthen. Die Brautwahl des Lybischen Gottes ist wahrscheinlich die andere Hälfte zu jener Geschichte. O Priester, Priester der Völker am Nil! wie geht ihr mit uns um! und möchtet ihr doch uns hintergehen; aber daß auch Pythicus, der vergötterte Pythicus, mich betrügen konnte, das ist zu viel! Elender! dein frommes Hinstreben nach himmlischer Veredelung, das zuerst meine Augen auf dich zog, war also nichts als Mittel, eine truglose Seele zu fesseln, die für nichts, als Andacht, Gefühl hatte? Dein gefabelter Hingang in die Reiche des Lichts zielte blos dahin ab, die Schwärmerin noch mehr zu bestricken? Dein treuloser Aufenthalt an meiner Seite, deine abscheuliche Verkleidung, stahl mir mein Herz, stahl mir meine unschuldigen Geheimnisse, lieferte mich gang [59] in deine Gewalt, um mich am Ende durch diese grausame Entwickelung mit Schimpf zu belohnen? Und nun bin ich ganz deiner Willkühr überlassen, nun droht man mir mit der Ausführung von Planen, die ich erst kennen lernen, zu welchen ich, die Götter wissen wie, die Hand bieten soll! Arme, arme Save! Abscheulicher Pythicus! ist denn keine hülfreiche Gottheit, die ich bisher noch nicht kannte, mich den Abgründen zu entreißen, zu welchen ich hingeschleudert werde?

Save klagte, bis sich ihre Wor^te in unverständliches Murmeln verloren, nur ihre Thränen redeten. Ihre Augen waren geschlossen, und schon lange war ihr Zimmer durch ein überirrdisches Licht erleuchtet, ohne daß sie es gewahr ward. Endlich fühlte sie sich von einer sanften Hand ergriffen, von einer noch sanftern Stimme angeredet.

Save! flüsterte eine himmlische Gestalt, die sich, als sie die Augen aufschlug, denselben zeigte, Save! wozu dieser endlose Kummer! [60] Die Götter leben noch, und ohne Ursache ists, daß du sie anklagst. War es die Religion der heiligen Isis, die dich irre leitete? Du verließest sie ohne es zu wissen, du wurdest der Natur untreu, und verlohrst dich in künstliche Sophistereyen, so mußtest du ja irre gehen. Noch kannst du gerettet werden. Gestehe mir jetzt das einzige: Liebst du ihn noch, diesen Pythicus, der dich betrog? Ich bin deine Mutter, bin aus den Reichen des Lichts herabgekommen, dir zu helfen. Rede! beantworte mir nach der Wahrheit die Frage, die dein Schicksal entscheidet.

Ob ich ihn liebe? schrie Save. Ja, ich liebe ihn, und weil ich fürchten muß, ihn ewig zu lieben, so will ich ihn fliehen, so will ich mich mit Gewalt seinen Stricken entreißen, die mich, ich fühle es, vielleicht endlich selbst dem Laster fesseln würden. O nur Mittel, nur Gelegenheit, der schrecklichsten Gefahr zu entkommen! Nur einen Ausweg, und sollte es der Tod seyn!

Der Entschluß ist groß und heldenmüthig, antwortete die Erscheinung. Ihn zu [61] befestigen diene dir die Versicherung: die Liebe dieses Mannes wiegt nicht die Hälfte der deinigen auf. Ein großer Theil seiner Bemühungen um dich, hat seinen Grund in der Begierde, durch dich groß zu werden. Wisse, ich, die dich gebar, bin die Königin Akenchris. – Pythicus und seine Freunde kennen deine Ansprüche besser als du selbst. Durch dich einst den Thron von Aegypten zu besteigen, ist sein Wunsch, aber die Erfüllung desselben verhüten die Götter! Sie brauchten meine übereilte Wahl eines Gemahls zum Mittel, dem Geschlecht der Pharaonen den Thron zu entreißen, und Save ist nicht bestimmt, hierin den Willen des Schicksals zu ändern. Gehe ein, mein Kind, zur ewigen Ruhe, du hast genug gelitten; deine Wünsche, deine Hoffnungen passen nicht für diese Erde. Dort oben winkt dir Glück und himmlische Liebe!

Die Worte der verklärten Königin verloren sich am Ende in überirrdische Melodien, Save's besänftigte Seele hallte sie nach. »Gehe ein, gehe ein zur ewigen Ruhe! Dort oben winkt dir himmlisches [62] Glück!« So tönte es ihr noch wie aus unabsehlicher Ferne zu, als die Erscheinung längst verschwunden war. Ein sanftes Entschlummern aller Sorgen, ein süßes Dahinsterben aller quälenden Gefühle war ihre letzte Empfindung. Sie entschlief – um nicht wieder zu erwachen.

Man glaubte am Morgen, sie sey entflohen, denn auch ihre irrdischen Ueberbleibsel hatten die Götter den unheiligen Augen der Sterblichen entrückt, und daher entstand die Verschiedenheit von Sagen, mit welcher die Fabellehre die Geschichte dieser Prinzessin schließt; einige lassen sie, dem Wunsche ihrer Mutter zu Folge, mit welchem sie sie in ihrer Kindheit nach Theben entließ, öffentlich als Märtyrerin der Tugend und Wahrheit sterben. Andere bringen sie nach vielen in der Stille der großen Pyramide verlebten Jahren, unter dem Namen der Königin Nitokris, wieder auf den ägyptischen Thron, und noch andere versetzen sie unter dem Namen der himmlischen Jungfrau 3, unter die [63] Götter. Ich aber, die ich hier die Geschichte geschlossen habe, erkühne mich zu der Frage an die große Termuthis, ob diese Erzählung wohl im Stande war, das Unheil zu stiften, dessen man mich beschuldigt, und ob es billig ist, mich für das leiden zu lassen, was ich nicht mit einem Gedanken, nicht mit einem Worte, was ich wenigstens nicht gutwillig, veranlaßt habe.


Almé, erwiederte Termuthis, ich beschwöre dich bey der Gottheit, die wir beyde verehren, ob dieses ungeändert die nemliche Geschichte ist, mit welcher du Zaiden wenig Stunden vor ihrer Flucht unterhieltest?

Ich habe schon einmahl gesagt, antwortete ich, daß ich nicht genau bestimmen kann, ob ich meine letzte Unterredung mit der Prinzessin, überhaupt durch diese Geschichte verlängerte; meine Seele ist durch die letzten Vorgänge zu sehr zerrüttet worden, um hier nach Gewissen bestimmen zu [64] können. Erzählte ich jedoch, so war es diese Geschichte, diese und keine andere. Doch eure Lauscher, die jedes Wort das in jener bedenklichen verhängnißvollen Stunde geredet wurde, so genau zu wiederholen wußten, müssen dieses besser wissen als ich, und ich muß mich freylich ihrer Aussage unterwerfen. Eins dünkt mich: die Geschichte vom Pythicus ist in dem Buche, das man mir so grausam entzieht, noch einmahl enthalten, und ich kann nicht genau bestimmen –

Ich weis was du sagen willst, unterbrach mich Termuthis, man soll dir jene Blätter die das Unglück meines Hauses machten, wieder ausliefern. Lies und untersuche, damit dir dein Gewissen dein eigenes Urtheil spreche, und ich entschuldigt sey.

Die Prinzessin verließ mich mit diesen Worten, und gegen den Abend war das Buch des weisen Sopher wieder in meinen Händen.

[65] Welch eine traurige Beschäftigung für mich, es wieder zu durchblättern, und welche Entdeckungen, die ich bey reifem Nachdenken über dasselbe machte! O weisester unter den Sterblichen, keins deiner Worte war ohne Grund gewesen. Aus Sorge für mein Glück hattest du mich so genau an die Folge der heiligen Blätter gebunden, und ich würde so gewiß dieselbe gefunden haben, wär' ich deinem Befehl treu geblieben, als ich mein Unglück fand, indem ich von deiner Vorschrift abwich.

Gezwungen war es, daß ich sie verletzte! – Vergieb, vergieb, o du seliger Geist, was ich wider mein Glück sündigte!

Die Einsamkeit des Gefängnisses gab mir mehr Muse das Buch zu untersuchen, als ich bey den täglichen Zerstreuungen an Termuthis glänzendem Hofe gekonnt hatte. Was ich vorher nur muthmaßte, daß eine feindselige Hand hier geschäftig gewesen seyn mußte, das fiel mir jetzt deutlich in die Augen. Jedes der wohlgezählten Blätter war verrückt, man hatte mich jedesmahl erzählen [66] lassen, was man wollte daß ich erzählen sollte. Stellte ich, nach nun erst entdeckten untrüglichen Zeichen, die alte Ordnung wieder her, berechnete ich genau die Tage, in welchen ich das Haus der Prinzessin auf diese Art unterhalten hatte, so fand sichs immer, daß wenig Geschichten der Liebe, und immer nur die gleichgültigsten, auf die Stunden gefallen seyn würden, da ich verdächtige Zuhörer hatte; viele von denen welche mir jetzt Verantwortung zuzogen, gehörten ans Ende des Buchs. Die Geschichte, die jetzt mein Urtheil sprach, fand ich in ganz geänderter Gestalt, und mit Umständen bereichert, die sie freylich für ein schwankendes Herz nachtheiliger machten, als die, welche ich so eben der großen Termuthis wiederholt hatte; Glück und Freude krönte dort, die verbotene Liebe, so wie hier, Elend und Tod. Es war möglich, daß ich in der bedenklichen Lage meines eigenen Herzens, und in der daraus entspringenden Zerstreuung, unvorsichtig genug gewesen war, irgend einmahl diese für jene zu erzählen, und dadurch das Unheil zu stiften, das man mir beymaß.

[67]

Erwegungen wie diese, stürzten mich in ein Meer von Verwirrung; ich wußte nicht, in wie ferne ich schuldig oder unschuldig war. Man forderte meine Vertheidigung von neuem, aber alles was ich vorbrachte, war ungewiß und schwankend, es diente nur darzu, mich verdächtiger zu machen als ich es schon war.

Unerklärlich war mir es, wer in meinem Heiligthume, dem Buche, und dadurch in meinem ganzen Schicksale, diese Verheerung anrichten konnte. Diese geheimnißvollen Blätter waren größtentheils in einer Bilderschrift geschrieben, die nur wenigen bekannt war. Sollte der verführerische Amun, oder Zaidens verkleidete Almé mehr Kenntnisse und mehr Boßheit besessen haben, als ich ihnen zutraute? Wie, oder war ich berechtigt, in meinen Muthmaßungen noch weiter zu gehen?

Das Geschlecht der alten aegyptischen Priester war, obgleich ihre Religion bey der damaligen Herrschaft unter dem Drucke lag, noch nicht ganz ausgestorben. Verschiedene [68] derselben gingen in dem Hause der großen Termuthis aus und ein, viele waren oft Zuhörer bey meinen Geschichten, die, wie bekannt, nicht allemahl zum Besten ihres Ordens abzielten; oft war ich von ihnen vertraulich gebeten worden, mich in dergleichen Aeußerungen zu mäßigen, und der Vorwand, daß ich an die Worte meines Buchs gebunden sey, war es vielleicht, was mir mein Unglück, und ihm die Zerrüttung zuzog, welcher jetzt mein regster Fleiß vielleicht nicht ganz abhelfen konnte. Die Sorgfalt, mit welcher ich mein Heiligthum zu verschließen pflegte, war schwerlich hinlänglich gewesen verwegene Hände davon abzuhalten. Welches Schloß, welcher eherne Riegel vermag etwas wider List und Gewaltthat!

Mein Verdacht auf die eben erwehnten heiligen Männer ward aufgeregt, da in den Tagen, welche mir zu meiner Vertheidigung zugestanden waren, verschiedene von ihnen sich nicht entblödeten, mich im Gefängnisse zu besuchen, und nach einigen gelinden Verweisen über das, womit ich noch [69] in meiner letzterzählten Geschichte ihren Stand beleidigt haben sollte, mir Vorschläge zu meiner Befreyung zu thun, welche mir die Memnonssäulen, und den lybischen Gott, wieder in frisches Gedächtniß brachten. Andere suchten meinen alten, längst vergessenen Verfolger, Haßan Ebn Raschid wieder hervor. Sie sprachen ziemlich frey von seiner noch nicht getilgten Liebe, von der unaufhörlichen Aufsicht, die er bisher beliebt habe, über alles, was mich betroffen hatte, zu halten, von der Möglichkeit, indem ich mich in seine Arme würfe, dem mir drohenden Schicksal zu entgehen, und von der Furchtbarkeit desselben, wenn ich es darauf wagte, mich ihm zu unterziehen. Diese letzten Vorstellungen waren mir fast die schrecklichsten. Sie waren mir ein Blitz in dunkler Nacht, sie schienen ein grauenvolles Licht über meine bisherigen Schicksale zu verbreiten. War hier vielleicht überdachter Plan und Anlage? mußte ich vielleicht so unglücklich werden, als ich war, damit man mich dem Laster in die Arme stürzen könnte?

[70] Ein Fieberfrost durchbebte mich, wenn ich mir dieses lebendig vorstellte, ich dachte an meine zuletzt erzählte Geschichte. Die unglückliche Save, von tausend Fallstricken umringt, stand lebendig vor meinen Augen. Sie wankte nicht, und auch mein Entschluß ward fest, der Tugend ewig treu zu bleiben. Wie? ich, die die heiße glühende Leidenschaft für den edeln Menes zu überwinden wußte, ich sollte weit geringern Versuchungen unterliegen? Fast kam mir ein Lachen an, wenn ich die schwachen kraftlosen Mittel übersah, mit welchen man meine Tugend zu fällen drohte.

Die Versuchungen, die ich von dieser Seite auszustehen hatte, waren nicht die Einzigen. Es schien, jedermann im Schloß nahm Antheil an meinem Fall, und suchte denselben zu seinem Vortheil zu nützen. Nach und nach kamen fast alle Frauen der Prinzessin Termuthis, selbst einige von ihren höhern Dienern kamen, mir ihre Hülfe unter irgend einer Bedingung anzubieten. Sie hatten von dem geheimnißvollen Buche das ich besaß, reden gehört, hatten es zum[71] Theil selbst gesehen, ihr Aberglaube machte es zum Zauberbuch, und sie gaben mir zu verstehen, daß ich ihnen nur eine Seite desselben, daß ich ihnen nur die erklären möchte, welche Jeden unter ihnen besonders anging, Jedem, wie sie meynten, sein Schicksal zeigte; dann sollte ich frey, dann gerechtfertigt seyn, dann versprachen mir sogar einige, die nur zu tief in mein Herz geblickt hatten, Glück in meiner hoffnungslosen Liebe – versprachen mir Entdeckungen, die dieselbe begünstigen würden. Hoffnungslose Liebe? Welch ein Wort für die stolze Alme! Dank sey es diesem meinem Stolz, dieses Wort empörte mein Herz, und machte mich noch hartnäckiger in meinen Weigerungen. Ohne ein Zauberbuch zu besitzen, und ohne Wahrsagerin zu seyn, hätte ich vielleicht jedem dieser Frager, die ich nun schon seit einem Jahre kannte und handeln sah, Dinge über ihr Schicksal sagen können, die sie für Prophezeihungen würden gehalten haben. Erfahrung und kalter Beobachtungsgeist reden oft Göttersprüche, wenn der träumende Astrolog Dinge unter den Sternen sucht, von denen man, bey [72] seiner Rückkehr zur Erde, kaum noch etwas weis, oder zu wissen wünscht.

Gegen die Nacht kam Termuthis selbst zu mir. Ein ungewöhnlicher Ernst saß auf ihrer Stirne; sie sah das Entsetzen, mit welchem mich ihr Richterblick erfüllte, ( – denn ach, noch hatte eure arme Almé nicht Festigkeit genug, sich hinter dem Schilde der Tugend und Unschuld, vor den Angriffen der Tyranney sicher zu glauben) – sie sah mein Zittern, und bemühte sich mit schlechterem Glück als gutem Willen, mir Muth einzusprechen.

Almé, sagte sie, ich will vergessen, wie verdächtig dich alle Umstände, wie verdächtig dich selbst deine gegenwärtige Verlegenheit macht. Ich will dir zugeben, daß sich deine Schuld an gewissen vergangenen Dingen so leicht abläugnen als beweisen läßt. Sey nur jetzt, sey nur in einem gegen mich aufrichtig! – Almé Rusma! Wer bist du! Täusche mich nicht mit der Ungewißheit, welche du bisher über deine Geschichte verbreitetest, nöthige mich nicht, dir Mährchen [73] zu glauben, welche Iphis von deiner Herkunft ausstreut; sie sind Muthmaßungen, höchst unwahrscheinliche Muthmaßungen und – Gewißheiten sinds, die ich verlange.

Prinzessin, erwiederte ich, die Frage, welche mir vorgelegt wird, betrifft Dinge, in welchen selbst ich in der größten Dunkelheit tappe. Sollte Iphis, wenn ihr euch herabließet, sie über irgend etwas zu befragen das mich betrifft, sollte sie euch verschwiegen haben, daß ich nach dem Tode des weisen Sopher, fast so sehr als seinen Verlust, die Ungewißheit beweinte, in welcher er mich über die wichtigste Angelegenheit meines Lebens verließ? Ja, ich gestehe es euch, ich halte mich nicht für die Tochter jenes großen Mannes, den ich Vater zu nennen gewohnt war; wer aber dieser Unglücklichen das Daseyn gab, wer mich in die Nacht hinausschleuderte, die mein ganzes Schicksal immer mehr umzieht, und mich nun hülflos umkommen läßt, das ist dem Richter über uns bekannt; er wird nicht richten wie die gefabelten Richter jenseit des [74] schwarzen Sees, gerechter, entscheidender wird sein Urtheil seyn, und vielleicht wird dann die arme verfolgte Almé –

Rusma, unterbrach mich die Prinzessin mit verdrüßlicher Miene, du sprichst mit Termuthis, die keinen andern Antheil an deinen kleinen Angelegenheiten hat, als daß sie dir eine Zeitlang Zuflucht in ihrem gastfreyen Hause verstattete, und nun mit Undank von dir belohnt wird. Bedenke, vor wem du stehst, und lerne dich mäßigen. Ich habe, wenn ich auf meine Frage schlechterdings keine befriedigende Antwort erhalten soll, gegenwärtig nichts bey dir zu suchen, als Verkürzung einer müßigen Stunde. Nimm dein Buch zur Hand, und unterhalte mich mit seinen Räthseln, doch werde ich heute selbst wählen; die Zeit ist kurz – (dies sagte sie mit einer höhnisch verbindlichen Verbeugung gegen mich) – die Zeit ist kurz da ich noch des Unterrichts der weisen Almé genießen kann, und ich habe schlechte Neigung, mich nach ihrer Willkühr gerade mit den gemeinsten und uninteressantesten Dingen langweilen zu lassen. Noch giebt [75] es Leute unter uns, die diese Bilderschrift so gut verstehen als die Tochter Sophers, und diese rühmten mir besonders, dieses Blatt, welches das ungeheure Volumen beschließt, als ein Mittel zur Unterhaltung und Belehrung. Rusma wird sich gefallen lassen, mir vorzutragen, was ich befehle, ich bin es müde, mich von ihren Launen leiten zu lassen.

Ach, schon längst war mein Heiligthum durch profane Hände entweiht worden, es war nicht mehr Zeit, es in dem heiligen Dunkel zu schützen, das ehemahls seine Sicherheit war. Ich mußte dem Befehl der Prinzessin gehorchen, das Buch war in ihren Händen.

Halb war es mir lächerlich, sie mit einer forschenden Miene Blätter umwenden und prüfen zu sehen, die sie nicht verstand, aber in Zittern verwandelte sich mein Lachen, als ich sah, wie ihr Auge auf einer Geschichte verweilte, die ich nie ohne heiliges Grauen gelesen hatte, wie ihr Mund mir befahl zu erzählen was, – ich hatte ausdrücklichen [76] Befehl meines Vaters hierüber – nur unter gewissen bestimmten Umständen, von welchen hier nicht einer vorhanden war, laut werden durfte. Es war eine Geschichte, betitelt: Horme, oder die Braut des Nils. Ihr Eingang bestand in hingeworfenen Zügen, die wahrscheinlich Sophers eigene Geschichte betreffen. Heilige, mir ewig ehrwürdige Dinge, welche ich mit ehrerbietigem Stillschweigen versiegelt haben würde, wenn nicht auch Sophers eigene Hand Weisungen hinzugefügt hätte, die ich, unwissender Weise, schon durch Ungehorsam gegen die Ordnung des Buchs, ungehorsam gemacht, um keinen Preis zu vernachläßigen dachte.

Hätte ich aufrichtig gehandelt, wäre ich den oft erhaltenen Lehren meines Vaters zu Folge, den geraden Weg gegangen, der selbst in der bedenklichsten Lage der Dinge, selbst da, wo Vorstellung nöthig scheint, der sicherste ist; so würde ich dem entscheidenden Tone der Prinzessin zum Trotz, ihr meine Bedenklichkeiten gestanden, und mich entschlossen geweigert haben; aber so niedergedrückt wie ich war, wo sollte ich Muth [77] und Entschlossenheit hernehmen? Ich stutzte eine Weile, und faßte dann einen Entschluß, der wahrscheinlich der schlimmste von allen war, weil er vom Pfade der Redlichkeit und Wahrheit abwich, ob ich mich gleich beredete, er sey ein Opfer, das ich Sophers bisher überschrittenen Befehlen brächte.

Ohne mich weiter zu bedenken, ergriff ich das Buch, blätterte kurze Zeit in andern Gegenden desselben, um mich zu überzeugen, welches Blatt, nach gestern mühsam ausgerechneter Folge derselben, heute zum Vortrag kommen dürfe, und nachdem ich mich hiervon gnüglich unterrichtet hatte, schlug ich von neuem die Stelle auf, die Termuthis Finger und ihr drohender Blick bezeichnete. Gelassen fing ich an zu erzählen, was freylich hier nicht stand, was ich aber bey der Unwissenheit meiner Zuhörerin in den heiligen Charakteren, ihr als das hierstehende vortragen zu können glaubte.

Der Kunstgriff glückte, Termuthis ward ruhig, und ich wünschte mir heimlich Glück, einen so schönen Mittelweg zwischen der [78] Gefahr, sie tödtlich zu beleidigen, und meiner Pflicht gegen die Ordnung des Buchs und die Befehle des weisen Sophers, gefunden zu haben.

Elende Rusma! Welch ein Verderben zu dem dich Wahn und Leichtsinn in wenig Augenblicken hinriß! wie große Fortschritte thatst du, ohne es zu wissen, auf dem Wege des Unrechts! Du wagtest es nicht allein, dich einer Falschheit schuldig zu machen, du gabst auch sogar dir selbst triumphirenden Beyfall über deine schlaue Erfindung, und versprachst dir, der Himmel, der jede Ungerechtigkeit rügt, würde deinen Anschlägen beytreten, und sie gelingen lassen. Warum mistrautest du den Waffen der Redlichkeit? Selbst der wahre Umstand, daß dir in der von der Prinzessin gewählten Geschichte, ganze weitläuftige Stellen noch unverständlich waren, und daß du dich also nicht im Stande fühltest sie andern vorzutragen, selbst dieser hätte dir Nachsicht verschaffen können. Das Herz deiner Richterin war in der Hand Gottes, er konnte es lenken wie er wollte, vielleicht erweichte es sich gegen [79] dich; und geschah das Gegentheil, was hattest du zu fürchten als Vertreibung aus einem Hause, das auf keine Weise die Heimath deines Herzens war, oder den Tod, der dir ja in der Verkettung von Umständen in welcher du dich befandest, das Erwünschteste hätte seyn sollen.

Ich erzählte, und Termuthis horchte, denn von Augenblick zu Augenblick wuchs ihre Aufmerksamkeit; aber die Geschichte, welche ihre Seele auf so sonderbare Art an sich zog, diese euch wörtlich zu wiederholen, ihr Almés künftiger Zeiten, verbeut mir meine Bestimmung; siehe die Hand des Schicksals ist über mir, sie reißt mich von Vorgängen zu Vorgängen fort, die nicht Fremde, sondern mich selbst betreffen. Hinfort darf ich euch, denen diese Blätter geweiht sind, nicht mehr die Zeit mit lehrreichen Märchen hinwegtändeln, das weit lehrreichere Schicksal eurer Rusma reißt mich zu nothwendigern Schritten hin. Ihr habt gesehen welche Wege eure Vorgängerin gegangen ist, ihr werdet sie in noch tiefere Labyrinthe begleiten. Hoch ist, und schwindelnd [80] der Stand, auf welchem ihr stehet. Wahret euch durch die Weisungen die mein Schicksal enthält.

Ich erzählte, und Termuthis horchte. Das Gemälde das ich ihr vorzeichnete, bey Gott nicht das Werk meiner eigenen Wahl sondern meines seltsamen Geschicks, war die Geschichte der edeln Aruma, einer Aegypterin aus Pharaonischem Stamm. Das Glück schien sie von der Wiege an zu seinem Liebling geweiht zu haben. Schönheit, Talente, hohe Abkunft, Reichthum, machten sie zur Göttin ihrer Zeit. Sie war glücklich in der Liebe, glücklich in der Verbindung mit dem Gewählten ihres Herzens, glücklich in liebenswürdigen Kindern. Selbst als das Elend ihr Vaterland von allen Seiten überschwemmte, als Feinde den Thron ihrer Väter umstürzten und alles in Blut und Thränen sich badete, blieb ihr Geschick erträglich. Sie rettete alles was ihr das liebste war, und selbst der nicht sehr beweinte Tod eines Gemahls, den sie, seit er nicht mehr blos ihr Verlobter war, nur pflichtmäßig liebte, selbst dieser ward ihr [81] das Mittel zum abermahligen Emporsteigen. Sie ward die Gemahlin des Eroberers ihres Vaterlandes, und trug, da ihrer Bedenklichkeiten wenig waren, keinen Scheu, es zu werden. Ihre Kinder barg sichere Dunkelheit, sie krönte Glanz und königliche Größe. So verlebte sie die Blüthentage des Lebens. Jetzt kam der Herbst der Jahre, und machte ihr Ruhe erwünscht, Ruhe in den Armen ihrer Kinder. Das Schicksal, das ihr Zeitlebens nichts versagt hatte, schenkte ihr auch diese. Ihr nicht geliebter Gemahl, er, den sie blos um das gewohnte Leben einer Königin fortführen zu können, gewählt hatte, verließ sie und die Welt, in dem Wahne, er sey ihr alles das gewesen, was sie ihm war. Er hinterließ ihr unermeßliche Reichthümer, und die gewünschte Ruhe die ihren Jahren angemessen war, in einer der schönsten Gegenden des Königreichs. Ihre Kinder waren um sie her, und die Hoffnung ihres Glücks vergoldete den Abend ihres Lebens.

Hier ward Termuthis unruhig, sie glaubte ihre eigene Geschichte erzählen zu [82] hören, ich aber nur halb gegenwärtig bey meinen Worten, und weit entfernt Anwendungen zu machen die jedem Wissenden in die Augen fallen mußten, (ich wußte aber nur wenig von Termuthis Geschichte) fuhr mit der größten Unbefangenheit fort:

Aruma bezog ihre königliche Wohnung am Ufer des Nils, und fand auch hier Spuren von der Partheylichkeit des Glücks. Ihre Gegenden blühten schöner als die andern alle; der zürnende Himmel, der oft diese Gefilde verheerte, verschonte nur ihre Triften, nur ihre Heerden wurden nie von den Arabern hinweggeführt, und ansteckende Seuchen überstiegen nur die Mauern ihrer Palläste niemahls.

Sie lebte in froher Sicherheit dahin, und dankte selten den Mächten des Himmels, die sie verschonten.

Noch hatte sie, ungeachtet schon Jahre verflossen waren, seit sie ihr Eden bewohnte, noch hatte sie seine Grenzen nicht ganz durchwandert. Man sagte ihr von einem abgelegenen [83] Pallast an der äußersten Grenze ihres Gebietes, und die Dinge welche man ihr von demselben erzählte, reizten ihre Neugier. Einer der vormahligen Besitzer hatte dort einen besondern Götterdienst gestiftet, und Aruma, eine Forscherin in dergleichen Dingen, obgleich nichts weniger als wahrhaftig fromm oder andächtig, bereitete sich mit feyerlicher Erwartung zu dem Anschaun der heiligen Sonderbarkeiten.

Höchst sonderbar war auch in der That das, was sie erblickte, schon die Lage des Pallasts, ein finsteres Tamarindengebüsch, schon die Aufschrift an der Stirne des großen Thors, erregte Schauer und seltsame Ahndungen. So lauteten die Schauder erregenden Züge:

»Der furchtbaren Nemesis, der Anklägerin und Rächerin zu großen Glücks, weihte diese Schatten ein Sohn der Vergänglichkeit.«

Aruma las diese Worte, und ich weis nicht, warum sie zitterte. Man sagte ihr, der Stifter der Geheimnisse, welche dieser Bau [84] verschlossen halte, sey glücklich gewesen wie sie, und habe sich durch Demuth und Furcht der Götter in ewig blühendem Glück erhalten, und ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln, das niemand deuten konnte.

Aber dieses Lächeln dauerte nicht immer; als sie das Innere des heiligen Bau's betrat, als man ihr in wenig Worten die Grundsätze vorlegte, auf welchen der Dienst der Gottheit die hier verehrt wurde, der großen Nemesis, beruht, da hüllte sich ihr Gesicht in tiefen Ernst. Ihr sollt einige von diesen Worten hören, ob auch euch ein heiliger Schauer vor der Stimme der Wahrheit anwandeln möchte.

»Jedem Sterblichen,« so lautete eine Innschrift, die auf der Marmorwand der Vorhalle eingegraben war, welche Aruma zuerst betrat; »Jedem Sterblichen bestimmten die Götter ein gleiches Maas von Glück und Elend. Doch ein unbegreifliches Geschick wirft die gleichen Loose durch einander, und so gewinnt oft ein Liebling des blosen Zufalls alles, indessen sein [85] Bruder, der besser ist, als er, alles verliert. Die Göttin mit der Meßschnur und der richtenden Wage, die Göttin, die mit einer Hand den Zügel der Leidenschaften, mit der andern die Geißel der Rache hält, die furchtbare Nemesis, sieht und rächt diese Ungleichheit, und derjenige, den das Schicksal auf die günstige Art auszeichnete, ist schon darum ein Gegenstand ihres Hasses. Glücklicher, der nie einen Wunsch verfehlte, dem nie ein Anschlag mislang, zittre vor der Größe deines Glücks! eile und versöhne die Rächerin! Dein Fortschreiten auf diesem geweihten Boden, lehre dich, welche Opfer die große Schützerin des Gleichgewichts fordert.«

Aruma las, zitterte, zögerte, und ging weiter. Ihr Weitergehen zeigte, daß sie schon halb zu dem Glauben an die furchtbare Nemesis bekehrt war, und daß sie Belehrungen wünschte, die ihr hier versprochen waren, die sie aber nirgends anders, als in Bildern fand. Der Fußboden auf welchen sie trat, war glatt wie polirter Crystall, nur die äußerste Behutsamkeit konnte für Ausgleiten [86] und Fallen schützen. In den vier Winkeln des Hauses waren Bildsäulen von Marmor aufgerichtet, vor deren dreyen der Erbauer dieses Heiligthums täglich zu opfern pflegte, nachdem er vor der vierten eine Stunde im tiefen Nachdenken verweilt hatte. Diese aus weißem Marmor geformte vierte, war die menschlichste unter allen; sie war kein Götterbild. Eine sittsame weibliche Figur, die mit tiefem Ernst in ihren eigenen Busen schaute, indeß die liebreich ausgestreckte rechte Hand, einem Hülfe bittenden Kinde entgegen kam.

Zweye der andern Bilder, von schwarzem Marmor geformt, waren Abbildungen der Nemesis; man konnte die furchtbare Göttin nicht verkennen. Mit richtendem Blick maß sie hier die Länge ihres eigenen gebogenen Arms vom Ellenbogen zum Zeigefinger, indessen die andere Hand die Wage hielt; und dort schwang sie mit fürchterlicher Miene den zerrissenen Zügel und die Geißel, nun schön nicht mehr zu versöhnen, nun schon unerbittlich erzürnt über gebrochene Gesetze der den Menschen ziemenden [87] Gleichheit. Vor jener Bildsäule mochtest du noch opfern, vor dieser nicht, du fandst hier keine Erhörung.

Den vierten Winkel des Hauses beherrschte der Genius des Todes, mit der umgekehrten Fackel in der Hand, halb aus schwarzem halb aus weißem Marmor gebildet, hier lächelnd und Freude winkend, auf der andern Seite mit drohendem Furien-Blick. Aruma, welcher das Nachdenken, das in dieser heiligen Stille herrschte, wohl gethan hatte, sank vor diesem Altar nieder, sie hatte keine der Deutungen verfehlt die ihr hier entgegen kamen und tief waren sie in ihr Herz gegraben. Sie betete lang, und erhob sich, um im Innersten des Heiligthums neue Belehrungen zu suchen. Sie fand sie und wußte sie zu nutzen. Niemand war ihr gefolgt in das mittlere Gewölbe, welches von hellspiegelnden Crystalltafeln zusammengesetzt war, niemand weis, was ihr allda begegnet seyn mochte, aber wahrscheinlich zeigten ihr die wunderbaren Spiegel ihr eigenes Bild in vergangenen Tagen; sie sah, wo sie die große Nemesis gereitzt [88] hatte, und wie sie zu versöhnen war, und weiser, als sie diesen heiligen Boden betreten hatte, verließ sie ihn. Wink der Gottheit führte sie dorthin, um sie vom Verderben zu retten; ihrem übergroßen unerkannten Glück drohte die Nemesis; es war Zeit, sie zu versöhnen.

Glückliche! merkt die Lehren des Tempels der Rachgöttin! Der glatte schlüpfriche Boden dieses Heiligthums lehre euch Behutsamkeit auf jedem eurer Tritte, sie ist dem Lieblinge der Götter, ihm, dessen Blicke immer an der Sonne hängen, nöthiger als dem vom Glück Verworfenen, dessen Nacken das Elend ohnedem schon zur Erde beugte und jeden seiner Schritte messen lehrte. Jenes weiße Marmorbild lehre euch stets in euren Busen schauen, und euch prüfen, wie ihr die Begünstigungen des Glücks verdientet und wie ihr sie angewendet habt; auch lehre euch die nach der Hülflosigkeit ausgestreckte Hand, verbessern, was das blinde Schicksal verderbte. Die Lehren, die euch das Bild der warnenden, und der rächenden Nemesis predigt, kennt ihr, auch [89] wißt ihr wohl, daß ihr die beste Lection für das Leben von dem Engel des Todes nehmen könnt, vor welchem Aruma betete. Erhebt euch von den Füßen seines Altars, in das Spiegelgewölbe, dessen Geheimnisse ich euch nun enthüllen will.

Schwärmerin! unterbrach mich hier Termuthis mit Unwillen, wem erzählst du deine Fabel? oder von wem handelt sie?

Ich sah die Prinzessin mit verwunderungsvollen Augen an, mir war's, als erwachte ich aus einem Traume. Hatte ich jemahls Begeisterung gefühlt, so empfand ich sie in jenen Augenblicken, die mir noch jetzt ein Räthsel sind. Mit kaltem Blute, mit halber Aufmerksamkeit hatte ich meine Geschichte begonnen, nach und nach ward ich durch einen Strom, von Gedanken zu Gedanken fortgerissen. Nicht ich, eine fremde Macht war es, die bisher durch meinen Mund geredet hatte, und jetzt stand ich auf dem Punkte Erscheinungen zu schildern, die ich selbst nicht begreifen konnte, die aber mich, und die Person, zu welcher ich redete, [90] sehr nahe anzugehen schienen. Bilder gingen vor mir über, welche die Zukunft mir selbst erst erklären mußte, und deren gegenwärtige Enthüllung der bestürzten Termuthis, welche zu wissen schien, was sie zu erwarten hatte, es besser zu wissen schien als ich, das willenlose Werkzeug der Götter, unwillkommen seyn mußte. –

Termuthis harte Anrede schreckte mich auf, mein Zustand war einem Erwachenden gleich, der gehabte Träume nach und nach verschwinden sieht, und nicht fähig ist, die fliehenden fest zu halten. Was Aruma in dem Spiegel, den ihr Nemesis vorhielt, gesehen hatte, hätte ich jetzt, aus meiner wunderbaren Begeisterung gerissen, nicht mehr erzählen können, auch schien Termuthis nichts weniger, als diese Erzählung zu wünschen.

Sie war in fürchterlicher Bewegung, sie stampfte mit dem Fuße, und gebot mir, mich zu entfernen. Ich wußte nicht, ich konnte nicht errathen, womit ich sie gereitzt hatte. Einer der Priester, welcher bey dem Ende [91] der Erzählung gegenwärtig gewesen war, suchte sie so weit zu besänftigen, daß sie mir den Schluß meiner Erzählung vorzubringen erlaubte. Er war kurz! und, wär' er länger gewesen, ich hätte mich nicht im Stande befunden, so bestürzt als ich selbst war, ihn vorzutragen.

Aruma, so endigte ich, verließ gebessert den Tempel der Nemesis, den sie hinfort täglich besuchte. Sie schien immer auf Spiegelglas zu gehen, sie sah unabläßig in ihren Busen, und ihre Hand richtete jeden Tag einen Hülflosen aus dem Staube auf. Sie übertraf in Mitleid und Demuth sich selbst. Die Krone ihrer guten Handlungen war die Großmuth, mit welcher sie die Hand ihres einzigen Sohns einem unglücklichen aus der Dunkelheit gezogenen Mädchen gab, dem ihre Wohlthätigkeit Zuflucht in ihrem Hause verstattet hatte, und mit welcher die Götter die sie ihr zusandten, um sie zu prüfen, große Dinge vorhatten.

Sie hieß Rusma, und der Sohn Menes! unterbrach mich hier die wüthende [92] Termuthis mit einem Tone, den ich noch nie aus ihrem Munde gehört hatte. Verworfene! Rasende! wie elend ersonnen ist der Plan, mir in deinem Märchen zu zeigen was du von mir hältst und was du von mir forderst! So wenig Termuthis die Aruma ist, die du mit tausend Verläumdungen schildertest, so wenig bedarf sie die Nemesis durch das Opfer auszusöhnen, welches deine plumpe List ihr zumuthete. Entferne dich augenblicklich, um das Urtheil zu erfahren, dem dich nun nichts entreißen kann. Zu spät ists nun dir Mittel zu entdecken die ich selbst ersann, um dir die schon zuvor verdiente Strafe zu ersparen. Zu lange schonte dich meine Langmuth! Alle deine Plane sind nun entdeckt, und du sollst sie mit dem Leben bezahlen. Du entferntest meine Tochter, du verführtest meinen Sohn um Königin meines Hauses zu werden, um endlich auch mich zu verdrängen! Hinweg Schlange, die ich in meinem Busen nährte!

Ich war betäubt, war wie in den Boden gewurzelt. Anstatt daß ich Termuthis verlassen sollte, verließ sie mich weil ihr mein [93] Anblick unerträglich war selbst, und ihr Begleiter, der einzige Zeuge dieser seltsamen Vorgänge, folgte ihr. Mir war es wie einem der in der Trunkenheit eine Uebelthat verübte, und nun dafür büßen soll; unbegreiflich scheint ihm sein Verbrechen, und ungerecht seine Strafe. Nach und nach lernt er heller sehen, nach und nach lernte auch ich es, ob ich gleich noch bis diese Stunde meine eigene Handlungsweise nicht ganz begreifen kann. Ich sagte vorhin, ich sey begeistert gewesen, sey willenlos zu dem, was ich vortrug, und dessen Folgen ich nun erfuhr, hingerissen worden; – Möglich! – aber auch möglich, daß die höchst seltsamen, und höchst unglücklichen Vorgänge der letzten Tage, die Schlag auf Schlag einander gefolgt waren, meiner Seele würklich eine augenblickliche Zerrüttung zuzogen, und mich Dinge sagen ließen, die ich selbst nicht verstand, die ich jetzt erröthete vorgetragen zu haben. Eine Dame, eine Termuthis durch Erzählung einer Geschichte die ganz auf sie paßte, ins Angesicht zu beschämen, mich der plumpesten List, der niedrigsten Rache verdächtig zu machen, am Ende nicht [94] viel anders thun, als mich der Mutter des Menes zur Tochter aufzudringen; arme Rusma, welche Beschämung! Sie war vielleicht gerechte Vergeltung von deinem eben begangenen Verbrechen gegen die Regeln des Rechts und der Aufrichtigkeit; aber hart, sehr hart war sie, der Tod wäre dir lieber gewesen.

Nur zu gewiß ists, daß eine gutgesinnte Seele den Unwillen der ganzen Welt und ihre Verachtung eher aushalten kann, als eigenen Unwillen und eigene Verachtung: Laßt mich dulden was ich kann, ihr Mächte des Himmels, nur laßt mich niemahls in mein eigen Urtheil herabsinken, nur nie das Elend erfahren, denen, die mich verurtheilen, mit voller Seele beystimmen zu müssen!!!

So vernichtet war es, daß mich Almar, der Zuhörer der letzten Geschichte, antraf. Er war der Bote der großen Termuthis von Oxyrinchus, den Ueberbringer meines Urtheils.

[95] Was hast du gemacht, Rusma! rief er, indem er mich mit mehr Schonung als ich jetzt von irgend einem rechtschaffenen Wesen zu verdienen glaubte, bey der Hand nahm.

O, schrie ich, verschone mich mit den Vorwürfen die ich mir selbst mache!

Du machst dir vielleicht noch nicht alle die du verdienst, erwiederte er. Laß mich die unbegreiflichen Thorheiten der eben erzählten Geschichte, laß mich den, mit deinem bisherigen Character ganz unverträglichen Betrug, den du der Prinzessin spieltest, indem du ihr eine Geschichte vor die andere unterschobest, übergehen, und sage mir blos dieses, warum wolltest du ihr nicht vortragen was sie forderte, und worauf, ich muß dir es nur gestehen, mein Rath ihre Wahl lenkte?

Ich sagte meine Ursachen, die er natürlich nicht ganz begreifen konnte.

Wisse, fuhr er fort, indem er den Kopf schüttelte, du hast dir da in der Unmöglichkeit, [96] zu erzählen was man dir vorschrieb, ein Gespenst gebildet, hinter dem sich dir dein Glück verbarg! O Rusma, wie thöricht handeltest du! Du kennst dich selbst nicht, ich kenne dich besser, und du, und Termuthis würden dich kennen gelernt haben, hättest du dem Winke gefolgt, den dir die Vorsicht gab, durch mich gab. Wisse, ich, der das Buch des weisen Sopher vielleicht so gut, vielleicht besser versteht, als du, arbeitete durch meine Vorschläge die Gelegenheit heran, dich auf einmahl, aus den traurigen Verhältnissen zu reißen, in welchen du dich jetzt befindest, und aus welchen nun nichts dich retten kann. Du hättest – wäre es nach meinem Plane gegangen, du hättest geredet was du solltest, hättest den Vorhang aufgezogen, der dein Glück verdeckt, Termuthis hätte dich für die erkannt, die du bist, hätte dich erkennen müssen, meine Gegenwart bürgte dir dafür, und Menes wär dein gewesen, dein auf ewig! – Dies ist nun alles vorbey, du bist verloren, und ich darf dich im Thale des Elends, das du nun noch Jahre lang zu durchwandern hast, nicht wieder sehen, ich, der Einzige von [97] allen, die dich umgeben, der es redlich mit dir meynt. –

Wir wurden hier unterbrochen; man kam, mich in einen fürchterlichern Kerker zu führen. Almar verließ mich, nachdem er den Namen Hermunthis, ich wußte nicht warum, mir noch als im Fluge zugerufen hatte, und ich sah ihn nicht wieder.

Mein Geschick war schrecklich. Meine Gefühle, die durch Almars, zwar kaum zur Hälfte verstandene Worte, aufs empfindlichste geschärft wurden, übergehe ich; ihr, ihr feinfühlenden Seelen, könnt sie euch denken: aber auch mein äußeres Leiden häufte sich, und gut war es, daß es mich dem Tode entgegenführte, denn fast konnte ich es nicht mehr ertragen.

Nach langen in meinem Kerker erduldeten Qualen, forderte man mich endlich vor Gericht. Ich konnte mein Urtheil errathen, da meine Klägerin, die beleidigte Termuthis, und meine Richter diejenigen waren, die ich schon aus verschiedenen Auftritten während meiner Gefangenschaft kannte. [98] Selbst in den letzten Tagen war noch dieser bey mir gewesen, und hatte mir, unter Versprechen der Freyheit, sein Herz angetragen, indessen ein Anderer für Ebn Raschid, und ein Dritter sogar für den Prinzen Menes, für meinen ewig geliebten Menes, sprach, der mich so ganz verlassen hatte, seiner Almé sogar nicht mehr zu gedenken schien.

Alle, selbst Menes Vorsprecher, waren, einer wie der andere, abgewiesen worden; dachte Menes nur auf diese Art an mich, so sollte sein Andenken ewig vergessen seyn!

Diese, von mir abgewiesenen, beleidigten Freyheits-Boten, waren nun Termuthis gedungene Kläger und Richter. Von dem, was mich eigentlich in den Augen der Prinzessin vollkommen verdammte, von meiner allzukühnen letzten Erzählung kam nichts in Vortrag, man wußte andere Mittel, mich unter dem Schein des Rechts zu verurtheilen. Einer klagte mich an wegen der Verführung Zaidens, ein Anderer brachte Menes und seine unstatthafte Liebe für mich in [99] Erwegung, (es war der nemliche, der vor wenig Tagen, mich durch ihn zu befreyen versprach,) ein Dritter zerlegte meine Grundsätze in der Religion, und bewies sie aus meinen ruchlosen Reden gegen Gottheit und Priesterthum; und ein Vierter erhärtete, daß alles, was ich von den aegyptischen Gottheiten zu glauben vorgäbe, nichts sey, als Heucheley, indem ich heimlich einer neuern Religion anhange, die Sopher mir eingeflößt und deren Grundsätze er in sein Buch übergetragen habe.

O! unterbrach ich diesen Kläger, o wahr! wahr ist das letzte deiner Zeugnisse! Ja, ich kenne bessere Lehren als die ich zu glauben vorgab! Meine Verstellung, meine Doppelherzigkeit verdient die Strafe, die ich nun erleide, ich that unrecht mich zu verstellen, mochten auch die Ursachen meines Verfahrens so scheinbar seyn als sie wollten! Mir geschieht Recht in dem Urtheil, das über mich ergeht, und sehe ich in mein vergangenes Leben zurück, so finde ich es durch die Stimme der Vorsicht bestätigt! Meine heuchlerischen Besuche in den Moscheen wurden [100] die ersten Ursachen meines Unglücks, indem sie mich einem Verführer bekannt machten, und die Folgen meiner Bequemung nach den Grundsätzen dieses Pallasts, erfahre ich in diesem Augenblicke. Hinab! Hinab mit mir! Almé verdient nicht länger zu leben!

Wenn der Verklagte selbst sein Urtheil spricht, was sollen die Richter länger zögern? Hinab! Hinab! rief ich, die die Art des mir bestimmten Todes kannte, und meine Richter wiederholten dieses schreckliche Wort. Man führte mich an einen tiefen Brunnen, im Innersten des Gefängnißhofes, man nahm mir meine Fesseln, man hob mich auf den Rand des Abgrunds, man ließ mich sinken, und unter dem grauenvollen Gefühl eines unabläßigen Fallens, vergingen mir meine Gedanken.

[101]

Beschluß.

Noch kann ich nicht begreifen, wie der Sturz in eine Tiefe, die kein menschliches Auge maß, mir nicht das Leben kostete. Wie wohl, wenn ich noch jetzt meine Empfindungen bedenke, so war das, was mit mir geschah, mehr ein regelmäßiges Sinken, als ein jähes Fallen zu nennen. – Hand des treuen Warners Almar, oder, du, noch treuere Hand des geliebten Menes, warst du vielleicht schon da zu meiner Rettung geschäftig? – Halb entseelt, wie ich war, als man mich zum Tode führte, konnte man ja mit mir vornehmen was man wollte, mich sowohl in der Maschine sichern, die mich ehemahls aus dem Eiskeller herauf wand, als mir meine Fesseln abnehmen; ich empfand von einem so wenig Bestimmtes, als von dem andern. Der Fittig des Todes [102] brütete über mir, ich war ja bereits fast für jedes Gefühl erstorben!

Doch, in mir glimmte noch ein Funken des Lebens, ein heftiger Stoß, den ich, vermuthlich bey Erreichung des Bodens, erlitt, fachte ihn schon einigermaßen auf. Der Zustand des Nichtseyns verwandelte sich in ein Gewühl verwirrter Ideen, immer höher und höher loderte die kleine Flamme des Lebens empor, und ich erwachte.

Es war dunkel um mich, und ein kalter Boden auf den ich lag, machte daß ein Fieberfrost durch meine Adern bebte. Noch war es mir als wär' ich gefesselt, ich glaubte Stricke an meinen Armen zu fühlen; doch eine kleine Bewegung die ich machte, enthob mich dieser wahren oder geglaubten Last, und ich war frey. Ich tappte um mich her, ich richtete mich auf, ich wagte es endlich ganz aufzustehn, und da ein dämmernder Schimmer, dessen Ursprung ich nicht errathen konnte, nach und nach meine Augen aufschloß, so schritt ich weiter, und immer weiter, bis eine enge Schlucht mich aufnahm, [103] die mich nach und nach in einen größern Bezirk leitete, von wo ich den falben Schimmer näher sehen und bemerken konnte, daß er aus unabsehlicher Höhe zu mir herabkam, wo im Gemäuer, das mich rund umgab, eine Oeffnung nach dem Tage, zu seyn schien. Sie war wahrscheinlich klein, und nur ein so elendes Geschöpf wie ich, konnte sich des sparsamen Lichts erfreuen, das sie verbreitete.

Ob ich mich würklich freute, und überhaupt, was ich empfand, darum wünsche ich nicht, befragt zu werden. Wild und unbestimmt war das, was in meiner Seele vorging. Ideen durchkreuzten Ideen, aber keine lebendige, oder vollständige Vorstellung meines bisherigen Zustandes war vorhanden. Mein Gedächtniß beschäftigte sich mit Kleinigkeiten. Nicht meine letzten Begebenheiten, nicht mein trauriger Zustand nein, unbedeutende Dinge, wie zum Beyspiel die Erzählung meiner Märchen, besonders die Pyramiden von Dsyse, schwebten mir lebhaft vor, auch kam mir zuweilen Zaide in den Sinn, ich brach in Thränen [104] aus, und ihren Namen Hermunthis wiederholte das Echo.

Der Wiederhall und die Art seines Lauts fing an, mir hellere Ideen von dem Orte zu geben, wo ich mich befand, auch lernte ich deutlicher sehen. Die Pyramiden Mycerin und Suchis kamen mir wieder in die Gedanken, denn ich befand mich genau an einem Orte, der mit dem dort beschriebenen Aehnlichkeit hatte. Meine Wanderung ging so, wie weiland die Wanderung des Königs Amenophis, in der Runde herum, um eine Mauer, die das Innere eines ungeheuern Brunnens ausmachen konnte. Oeffnungen sah ich in ihrer Höhe und Tiefe, eine war niedrig genug, mich hinauszudrängen; ich that es und erblickte, was der Sohn des schönen Suchis sah, Stangen oder Seile, deren Gebrauch ich, in solchen Dingen erfahren, besser zu beurtheilen wußte, als er. –

Ein Gedanke stieg in mir auf, und ich bebte vor ihm zurück; der Gedanke mich aus meiner Tiefe zu retten, wie Amenophis sich [105] rettete; aber das Toben in dem Abgrunde, über den ich mich schwingen mußte, schreckte mich mehr als es ihn geschreckt hatte. Ich erinnerte mich an den Eindruck, den das Märchen, das mir im Sinn lag, ehemals auf Zaiden gemacht hatte, und ihr Name flog mit einem Seufzer über meine Lippen. O Hermunthis! schrie ich, mit einer Stärke, die den Wiederhall in allen seinen Tiefen weckte, wie entzückten dich ehemals die geschilderten Wunder der Pyramiden! Möchtest du sie doch in der Würklichkeit kennen lernen, und mir eingestehen, daß sie sich besser in der Ferne, als in der Nähe ausnehmen.

Ich hatte den Namen Hermunthis, der mir, weil ich mich an ihn gewöhnt hatte, geläufiger war, als Zaidens würklicher Name, mit ihr beschäftigt, diesen Gemäuern schon oft zu hören gegeben, und jetzt wars, als ob etwas mehr, als ein Wiederhall ihn mir zurück gäbe; ich rief ihn abermahls, noch eine Erwiederung von mehrern Worten! Sie schallten aus der Höhe herab, und die Entfernung machte sie unverständlich. Hermunthis! Hermunthis! schrie ich, [106] und ganz deutlich vernahm ich die Frage, ob Almar hier sey, und warum er säume, die Getriebe in Gang zu setzen. Ich beugte mich weiter hinaus zu der Oeffnung, durch welche ich schaute. Ein lebendigeres Gefühl meines Zustandes durchbebte mich. Das Gefühl, hier umkommen zu müssen, oder eine Rettung zu suchen, die schrecklicher war, als der Tod. Oben in schwindelnder Höhe, ward ich Schatten gewahr, man wiederholte den Ruf, und ich die Antwort. Hier ist kein Almar, schrie ich, sondern eine Elende, welche verloren ist, wenn man ihr nicht zu Hülfe kommt.

Die Schatten schwiegen und schienen unter sich zu rathschlagen; noch waren sie mir kaum sichtbar, denn wie aus einem Grabe schauete ich zu ihnen in die Höhe, und oben leuchtete mir ein schwaches Licht, das sich aber nach einigen Minuten vermehrte. Mehrere und mehrere Flammen kamen oben zum Vorschein, ein Kranz von Sternen bildete sich über mir, der mir den Umkreis der Oeffnung sichtbar machte von welcher man zu mir herabsprach. Man [107] fragte mich: wer ich sey, woher ich komme, und ob ich die Loosung wisse? Ich antwortete, und ward kaum halb verstanden. Man sagte mir, ich solle das Wort wiederholen, das man vor einigen Minuten, zu verschiedenen Malen, wahrscheinlich aus meinem Munde gehört habe und dessen Andenken eine Freundin der andern in der letzten Scheidestunde empfohlen habe. –

Augenblicklich kam mir Zaidens Abschiedsscene in den Sinn. Ich rief Hermunthis, und sie klatschten als vor Freude oben in die Hände.

Bald darauf wand sich an den Seilen ein schwebender Sitz herab; ein Mann mit einer Fackel begleitete ihn. Ich streckte, als er mir nahe kam, die Arme nach ihm aus. Er gebot mir, ich sollte die Seile zu erreichen suchen, auch kam er mir, bey der Bemühung ihm zu gehorchen, zu Hülfe, und ich saß fest und sicher in einer Maschine, die sich nun allmählig, doch etwas schneller hinauf wand, als sie herabgestiegen war.

[108]

Meine Schwestern, schon habe ich euch gesagt, daß ich den Bescheid von dem was ich euch noch von meiner Geschichte schuldig bin, so viel und wichtig die Dinge auch sind auf welche ihr Anspruch hättet, in wenig Blätter zusammen drängen muß. In vielen Stücken setzen mir Zeit und Schicksal Grenzen, in andern versiegelt heiliges Stillschweigen meinen Mund; vielleicht, daß einst diese Siegel brechen, und ihr aus einander gesetzter erfahret, was ich jetzt unterdrücken muß.

Wisset also nur kürzlich: eure Almé sah, von ihrem Führer auf festen Stand gefördert, sich wieder unter Menschen, sah sich bald unter bekannten, unter ihr einst lieben Menschen. Zaide, Zaide, dich sah ich wieder, und dich, o Iphis, die vor mir das Schicksal erfuhr, von der aufgebrachten Termuthis in den Brunnen gestürzt zu werden, und die wie ich gerettet ward.

Sie erwartete man hier, von Almar über ihr Schicksal belehrt, mich wollte man nicht erwartet haben, und nur blos der [109] Name, Hermunthis, der in diesen Tiefen die Loosung war, und den ich zufällig rief, sollte mir von ohngefähr das Leben erhalten haben. Wenigstens war dies die Fabel, von der man mich hier überreden wollte. Ich glaubte sie, bis mein Geschick mich besser belehrte, bis es mir überall überdachten Plan, und ach, überall Fallstricke zeigte.

Nicht lauter geliebte Personen waren es, die ich hier fand. Ich sah auch Amun, den ich haßte, weil er der Urheber meines Unglücks, weil er Zaidens Verführer war. Den schwärmerischen Trieb zu verborgenem Wissen, der diese junge Prinzessin zuerst in ein Labyrinth von falschen Schritten leitete, hatte der Bösewicht genutzt ihr Herz zu stehlen, sie den Armen ihrer Mutter zu entreißen, und mich ins Verderben zu stürzen. Wir befanden uns gegenwärtig in einer von den kleinen Pyramiden, den Nachbarinnen von Termuthis Pallaste. Zaide lebte hier, nicht ohne Sehnsucht, in den Schoos ihrer Mutter zurückzukehren, denn – sie war nicht glücklich.

[110] Die Eitelkeit ihres Durstes nach geträumten Geheimnissen, und die Eitelkeit ihrer Hoffnung auf eine Liebe wie Mycerins und Suchis Liebe war, hatte sie die Erfahrung kennen gelehrt. Amun liebte sie nicht, und seine Mutter, die stolze Ameßes verachtete sie; alter Haß gegen Zaidens Haus hatte sie zur Veranlasserin eines Streichs gemacht, der ihr nun keinen weitern Vortheil brachte, als den Triumph die große Termuthis gekränkt zu haben. Amun war in Erreichung seiner Entzwecke glücklicher gewesen. Denn ach, mit Beschämung gestehe ich es, seine Absichten waren weniger auf Zaiden, als auf die unglückliche Almé gegangen. Jene hatte nur das Mittel werden sollen, diese zu erlangen, und so wie sein Einfluß und seine Anlagen in Termuthis Pallast waren, hatte es ihm freylich endlich gelingen müssen, mich Elende in seine Gewalt zu bekommen.

Die Zeit, in welcher Zaide und ich diese schreckliche Entdeckung machten, erlaubet mir mit Stillschweigen zu übergehen. Unsere Freundschaft ward durch gemeinschaftliches [111] Leiden und gebesserte Grundsätze erneuert, der Bund gegenseitiger Hülfe beschworen, und der Entwurf zur Flucht gemacht. – Er glückte. Ich hatte die Genugthuung, Zaiden wieder in das Haus ihrer grausamen Mutter zu liefern, und dann zu fliehen.

Ich hatte Zaidens Eid, niemand mein Leben zu entdecken, aber ein Auge wachte über mir, dem keiner meiner Schritte entging. Mein Plan war, nach Niederaegypten zu fliehen, und dort von den wenigen Kostbarkeiten die mir Iphis gerettet hatte, und von meinen Talenten zu leben, aber – ich floh in die Hände des Haßan Ebn Raschid.

O Tage des Schreckens, die ich hier verleben mußte! Sollte ich euch, ihr Jungfrauen der Isis, sollte ich euch schildern, wie mühsam und mit wie zerrissener Seele, ich den Armen des Lasters Gottlob unschuldig entfloh, und wie am Ende nur der Tod meines Verfolgers mir Sicherheit gewährte, sollte ich euch Jahre schildern, in welchen ich nachher, als eine Almé der untersten [112] Classe, schlecht belohnt, aber tugendhaft das Brod der Dürftigkeit aß, ihr würdet er staunen, und das Geschick eurer Schwester beweinen.

Ihr wisset bereits, daß die Gewohnheit sich an den Liedern und der Erzählung einer Almé zu ergötzen, auch dem gemeinen Aegyptier, der sich einigermaßen zum guten Ton erheben wollte, Bedürfniß geworden war, und Almé Rusma kann sich rühren, in den Häusern des Volks, zu welchem sie sich jetzt herab lassen mußte, und wo man sie gern sah, den Samen der Tugend und Sittlichkeit reichlich ausgestreut zu haben. Der kunstlosen Erzählungen, mit welchen ich hier auftrat, und die sowohl ihre Reitze hatten, als die Geschichten der Könige von Aegypten, mit welchen ich Termuthis unterhielt, darf ich jetzt, da die Hand des Schicksals mir Eile gebietet, nicht weitläuftig gedenken. Schade! – Ich dürfte hoffen, mein Aelurus, meine Geschichte vom 4 [113] Tropfen Nokka, und die Wanderungen der Isis würden Euch vergnügen und belehren, wie sie diese Einfältigen belehrten.

Die Vorsicht segnete meine Bemühungen, und belohnte sie; allmählig stieg Almé wieder empor wie sie herab gesunken war, und unvermerkt kam der Zeitpunkt, der sie mit dem Glanze und der Größe umgeben sollte, in welcher sie jetzt lebt.

In dem Hause eines Großen, bey dem Almé Zutritt gewonnen hatte, und das sie jetzt fleißig besuchte, nöthigten ihr die Zeit, und alle von Sopher angegebene Umstände, die Erzählung ab, die sie einst der großen Termuthis vorsagte, die Geschichte Horma. Man war vorbereitet, sie zu hören, und die Versammlung war zahlreich.

Die Geschichte Horma ist lang, und eine der schönsten im Buche Sopher, das durch Zaidens Vorsorge längst wieder in meinen [114] Händen war. Züge aus den wundervollen Begebenheiten dieses großen Mannes machen ihren Anfang. Aber noch ist es eurer Almé nicht erlaubt, sie euch anders als im Auszuge zu geben.

Zur Zeit, da Amru Aegypten zu unterjochen drohte, nahmen die verzweifelnden Einwohner, um die erzürnten Götter zu erweichen, zu dem schrecklichsten Opfer des Nils, das sie diesem Schutzgott ihres Landes nur in der höchsten Noth zu bringen pflegten, ihre Zuflucht. 5 Eine Jungfrau, aus den vornehmsten Geschlechtern Aegyptens, wurde zur Braut der Gottheit gewählt, die über den siebenarmigten Strom gebeut, und seinen Fluten geopfert. Das Loos fiel auf Horma, die Schwester der großen Termuthis von Oxyrinchus, sie ward von dieser gehaßt, Termuthis konnte Horma retten, aber sie sah ihren Tod gern. Zuviel war es für ihre Eitelkeit, von Horma überall verdunkelt zu werden, und sie hatte selbst, bey dem jetzigen Elend des Landes, Plane, bey [115] welchen ihrer Schwester höhere Schönheit, ihr Hindernisse in den Weg legen konnte. Auch Horma hatte Mittel zu ihrer Rettung in Händen, sie war nicht mehr frey, war also zum Opfer des Nils untauglich, sie war die heimliche Gemahlin eines edeln Mannes, der in diesen Tagen des Schreckens unter dem Schwerde fiel, war die Mutter eines neugeborenen Kindes.

Hätte Horma sich durch Geständniß ihres Zustandes, dem Ausspruch des Looses entzogen, so wär ihr Geheimniß enthüllt, und die Tochter ihrer Schwester, die damahls noch sehr junge Pamylia, das Opfer des Nils geworden. Sie wollte weder das eine noch das andere, denn sie ehrte ihr Geheimniß, und liebte Pamylia. Auch ging sie ja gern, und muthig zum Tode, denn sie hatte nichts das sie auf der Welt zurück hielt. Die Herrlichkeit ihres Vaterlandes war dahin, ihr Gemahl war todt, und ihre kleine Tochter – solltet ihr in dieser, eure Rusma wohl verkennen? – wollte sie mit sich in die Fluthen nehmen.

Hormas heldenmüthiger Entschluß zu sterben ward glorreich erfüllt, aber Rusma [116] wurde gerettet. Als man die Braut des Nils den Armen ihres schrecklichen Bräutigams entgegen führen wollte, floß beym letzten Scheidekuß ihr Herz von mütterlichen Empfindungen gegen ihr unglückliches Kind über. Nein! rief sie, du sollst nicht sterben, geliebte Kleine! Ich lege dich in die Arme der Vorsehung, die dich zu bessern Tagen erhalten kann, die dir unmöglich das Leben geben konnte, um es so schnell, so schrecklich zu endigen.

Der weise Sopher fand an diesem Morgen, ein neugebornes Kind in köstliche Windeln gehüllt auf seinem Wege; ein goldener Gürtel, der es umschlang, war Zeuge seiner hohen Abkunft, und konnte einst Mittel seiner Einsetzung in die Rechte seiner Geburt werden.

Er ward es, meine Schwestern! – Meine Erzählung, vor zahlreicher Versammlung gesprochen, enthüllte die Geburt eurer Almé, der goldene Gürtel bewies sie. Der treue Menes, der mich, alle die Zeit meiner Niedrigkeit, nicht aus den Augen gelassen hatte, die große, jetzt durch manche Entdeckungen, die meine Geschichte enthielt, tief [117] gedemüthigte Termuthis, Zaide, Pamylia, Almar und Iphis waren Zuhörer meiner Geschichte gewesen. Zeugen für mich, standen selbst unter ihnen auf. Bedarf ichs noch, euch das Ende dieser überraschenden Scene zu schildern? –

Die arme Almé ward glücklich, ward die Gemahlin und Schwester des großen Menes von Oxyrinchus, nein, nicht des großen, des geliebten Menes. Almé tritt Glanz und Größe mit Füßen, nur Liebe und Tugend kann sie glücklich machen.

Nachricht.

Mit diesem fünften Bändchen beschließe ich nun diese Mährchensammlung, und ob ich mich gleich meiner Arbeit vor der Welt nicht zu schämen brauche, da man ziemlich schmeichelhaft für mich über dieselbe geurtheilt hat, so verlasse ich doch meinen Vorsatz nicht, sie ohne meinen Namen ferner bestehen zu lassen und finde blos zu erwähnen nöthig, daß diese Mährchen mit mehrern historischen Romanen, als: Walter von Montbarry, Elisabeth Erbin von Toggenburg, Herrmann von Unna, Geschichte der Gräfin Thekla von Thurn, Geschichte Emmas u.a. einen und denselben Verfasser haben, welches aber weder Herr Milbiller ist, wie Meusels gelehrtes Teutschland aussagt, noch ein anderer, dem sie bis jetzt mit Unrecht zugeschrieben worden sind.

Der Verfasser.

Fußnoten

1 Man sagt, daß in dem Kopfe der Memnonssäule etwas ähnliches zu Hervorbringung des Lautes angebracht war.

2 Er wird mit Widderhörnen gebildet.

3 Neith oder Athene.

4 In der Nacht vor dem Geburtstage des Horus bereiteten die Aegyptierinnen einen Teig, den sie auf den Söller des Hauses trugen und bis zu Sonnenaufgang daselbst unter freyem Himmel liegen ließen. Der Mond, so fabelten sie, thaute in dieser Nacht Tropfen herab die sie Nokka oder Tropfen des Segens nennten, und in ihr Gebäcke zum Gedeihen des Hauses aufzufangen suchten.

5 Einige wollen, dieses Opfer sey dem Nil alljährlich gebracht worden.


Notizen
Erstdruck (anonym): Leipzig (Johann Gottlob Beygang) 1793–1797.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Naubert, Benedikte. Alme oder Egyptische Märchen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5E75-3