Benedikte Naubert
Die Amtmannin von Hohenweiler
Eine wirkliche Geschichte
aus Familienpapieren gezogen.
Vom Verfasser des Walter von Montbarry


Erstes Bändchen

Vorbericht

Diese Blätter, welche ich unter den geheimen Papieren meiner Frau, Jukunde Haller, gefunden habe, lege ich der Welt vor Augen; nichts davon als die Ueberschriften der Kapitel ist mein Werk, das übrige alles ist aus der Feder meiner Schwiegermutter, der Himmel tröste sie, geflossen. – Wozu doch den Weibern die Kunst zu schreiben nutzen mag? Ihre Thorheiten und die Fehler ihrer [7] Männer zu verewigen? – Ich bedaure meinen seligen Schwiegervater, er mag in guten Händen gewesen seyn! – Mir möchte meine Jukunde mit solchen Dingen kommen. Ein jeder nehme sich das Beste aus diesem Geschreibsel, so wie auch ich gethan habe.

Der Herausgeber. [8]

1. Kapitel. Geschwätz einer alten Frau
Erstes Kapitel
Geschwätz einer alten Frau

Der Frühling meines Lebens ist dahin, diese grauen Haare sind Zeuge davon. Der Frühling und der Herbst? – fast möchte ich zweifeln, ob ich auch diese für vergangen rechnen soll, wenn ich mich im Kreise meiner blühenden Töchter und Enkelinnen erblicke, deren jede mir in meiner jugendlichen Schönheit gleicht, und einen Glanz auf meine Runzeln zurück wirft.

Wenn ihr, ihr Lieben, euch so zärtlich um diejenige dränget, die euch das Leben gab, so fällt mir immer der abgestorbene Nußbaum an der linken Seite unserer Gartenthür ein, dessen nackte Aeste der nachbarliche Flieder mit seinem Laub und Blüthen deckt, und dessen Stamm der Weinstock, den mein Vater an meinem Hochzeittage pflanzte, so prächtig mit seinen rothen Trauben behängt. Schon oft habe ich dieses Sinnbild meines hinsinkenden Lebens, das nur durch euch Zierde und Anmuth erhält, von der Axt des Gärtners gerettet, und auch euch, meine Kinder, sey es heilig; rottet diesen Baum nicht aus, wenn ich todt bin: er verunstaltet die Stelle nicht, auf welcher [9] er steht, seine beyden Nachbarn, die er aufwachsen sah, und sie in seinen bessern Jahren in seinem Schatten nährte, verhüllen seine Blöße, und zürnen nicht, wenn der Unwissende einen Theil ihres Laubes auf ihres Pflegers Rechnung schreibt.

Schon oft, meine Kinder, versprach ich euch, eine umständliche Erzählung meiner Geschichte, oder vielmehr der eurigen, denn meiner eigenen Begebenheiten sind wenig. Still und einförmig verfloß mein Leben, bis ich in den Stand trat, der euch das Daseyn gab, bis ihr eines nach dem andern auftratet, und mir bald Trauer- bald Freudenthränen ablocktet, mir bald frohe Tage, bald sorgenvolle schlaflose Nächte machtet. Viel waren meiner Unruhen in euren ersten Kinderjahren; aber o Gott, sind sie wohl mit den Sorgen zu vergleichen, die bey eurem reiferen Alter mein Herz anfielen? Zu der Zeit, als eure Leidenschaften erwachten, und euch in Labyrinthe führten, aus welchen euch zurückzurufen, die schwache mütterliche Stimme vergebens strebte. – Amalie ist dahin, aber dich, Jukunde, und dich Juliane, rufe ich zu Zeuginnen an; ihr könnt vergangene Dinge noch nicht so ganz vergessen haben. – Johanne, auch sie, mein Liebling, hat mir der Thränen viel gekostet, doch auch sie ist aus unserm Kreise abgetreten, und euch – haben mehrere Jahre weiser gemacht.

Laßt mich endlich eine Erzählung anfangen, von welcher ich, wenn ihr in mich dranget, oft sagte, ich würde sie euch besser schriftlich als mündlich [10] geben können. Ihr sehet, daß ich recht hatte. Wie wollte die jugendliche Ungeduld die Schwatzhaftigkeit des Alters aushalten können! Einer geschwätzigen Feder kann man eher entfliehen, als einem schwatzhaften Munde. Legt dieses Blatt auf die Seite, wenn es euch zu langweilig dünkt, und fangt ein neues an.

2. Kapitel. Alltagsbegebenheiten
Zweites Kapitel
Alltagsbegebenheiten

Die Erwähnung meines schwachen hilflosen Alters, meiner vergangenen Sorgen und Kümmernisse, eurer Vergehungen und unserer Verstorbenen, giebt dem Anfange dieser Blätter einen gewissen Anstrich von Schwermuth, welcher eigentlich nicht mit meinem Charakter übereinstimmt. Die junge Welt mag mich vielleicht jetzt zuweilen finster und mürrisch nennen, aber in meiner Jugend, ich versichere euch, war ich dieses nicht. Die frohe Miene, mit welcher ich in meiner Kindheit meinem Vater entgegen hüpfte, wenn er von Amtsgeschäften verdrüßlich nach Hause kam, der Reichthum von Hoffnung und guter Laune, mit welchen ich, als ich älter ward, manche seiner Sorgen hinwegtäuschte, war es vorzüglich, was mich zu seinem Lieblinge machte.

Ihr wißt, euer Großvater war ein Geistlicher, noch dazu ein Geistlicher auf dem Lande, und es ist also nicht zu zweifeln, daß das Amt, Unmuth zu verjagen, ziemlich oft von mir geübt werden [11] mußte. Wenn in einer seiner Cirkularpredigten der Herr Superintendent den Kopf geschüttelt hatte; wenn ihm ein junger vorwitziger Stadtgeistlicher mit einer schweren Citation aus dem Grundtext in den Weg trat; wenn bey der Kirchenvisitation der Herr Ephorus keines unserer Gerichte loben wollte, und den für ihn aufgesparten Wein scharf und sauer fand, dann konnte nichts den gedemüthigten Stolz meines guten Vaters aufrichten, als ein munterer Einfall derjenigen, die er seinen Trost und seine Hoffnung nannte, und von der er in solchen Stunden zu versichern pflegte, daß alle Stadtmädchen, und selbst die bleichen Töchter des Herrn Superintendenten ihr an Schönheit und Güte nicht zu vergleichen wären; ein Kompliment, welches man eben nicht übertrieben nennen konnte.

Wenn wichtigere Sorgen ihn quälten, so ward mir es freylich nicht so leicht ihn zu beruhigen. Ein beschwerliches Amt, unruhige Pfarrkinder, geringe Zehenden, schlechte immer mehr abgekürzte Einnahme, Uneinigkeit mit seinen streitsüchtigen Herren Confratern, Verlänmdung und Verdacht wegen Irrgläubigkeit, Verweise aus dem Konsistorio, wohl gar Vorbeschiede vor den hochpreislichen Kirchenrath. – – Doch dieses alles sind Dinge, die eigentlich nicht hieher gehören, und es sey euch genug, daß ich euch versichern kann, auch für diese Kränkungen habe mein guter Muth immer Linderung ausfindig gemacht, obgleich mein Herz insgemein [12] oft so stark blutete, als das Herz meines guten Vaters.

Ich wuchs heran, und ward ein schönes schlankes blühendes Mädchen, an Gestalt, dir Jukunde, und an Gesicht der seligen Leutenantin von W.., oder wie ich sie lieber nenne, meinem Hannchen, fast gleich. Julchen dort, die sich auf die kleinen weissen Händchen, und den niedlichen flüchtigen Fuß so viel zu gute thut, ist in diesem Theil der Schönheit, das wahre Ebenbild ihrer Mutter, und du Feuerkopf, Albert, wenn die Schmeichler meiner Zeit die Wahrheit redeten, so ist dein Witz, deine Lebhaftigkeit das Erbtheil – doch nichts weiter hiervon, ich wollte erzählen.

So von der Natur ausgestattet, wie würde mich die Kunst ausgebildet, oder wie würde sie mich vielleicht verderbt haben! sie hatte keinen Theil an meiner Erziehung; ich ward und blieb, wozu mich mein Schicksal bestimmt zu haben schien, ein einfältiges kunstloses Landmädchen, voll von allen Vorurtheilen die meinem Stande eigen sind, und unbekannt mit allen Thorheiten der Städterinnen.

Mein Vater bekam jetzt fleißiger Besuche als vordem; Söhne von alten Bekannten, deren Namen er sich nicht mehr erinnern konnte, kamen um die Freundschaft ihrer Väter zu erneuern, und an jedem Sonntage hatte er die Wahl unter zween bis drey Kandidaten, welche sich erboten ihm sein beschwerliches Amt, wie sie es nannten, zu erleichtern. Mein Vater nährte seine Heerde lieber selbst [13] mit der gesunden Speise, an die er sie gewöhnt hatte, als mit dem gekünstelten meistens ungenießbaren Gemengsel, das die jungen Herren aus der Stadt aufzutischen pflegten. Ueberdieses öffneten einige Begebenheiten, welche nicht hieher gehören, ihm und mir die Augen, daß diese dienstfertigen Jünger weniger um seinetwillen kamen, als um die Gesellschaft seiner Tochter zu geniessen, die sie zur Dankbarkeit mit dem Namen des schönen Hannchens beehrten.

Der gute Ruf eines Landmädchens ist von empfindlicherer Natur als die Ehre der Städterinnen. Ich begehrte nirgends als in meines Vaters Hause genannt zu werden. Ich kam von dieser Zeit an wenig mehr zum Vorschein, wenn Fremde aus der Stadt gegenwärtig waren. Die Besucher verloren sich, und mein Vater konnte ungehindert sein Amt, ohne aufgedrungene Gehülfen, verwalten.

Manches Jahr vergieng auf diese Art. Mein Vater, welcher viel auf frühzeitige Verheirathungen hielt, und mich mit sehr partheyischen Augen ansah, wunderte sich, daß ein Mädchen meiner Art, das achtzehnte Jahr – das längste Ziel, das er dem jungfräulichen Stande einräumte – im väterlichen Hause hatte erreichen können. Alle Mütter und Töchter seiner Familie waren in diesem Alter, das ich bereits zurückgelegt hatte, längst verheirathet gewesen, und er schien mir es oft zum Vorwurf zu machen, daß ich bey allen meinen Reizen und Vorzügen noch immer nichts weiter war, als Pastors [14] Hannchen. Er berechnete nicht, was mich bey ihm zurück hielt. Armuth, Leben in der Dunkelheit, Liebe zu ihm, und Widerwille meine Hand einem Manne zu geben, der nicht ganz dem Ideal entsprach, das ich so wie jedes mit der Welt unbekannte Mädchen, mir nach meinem eigenen unschuldigen Herzen von meinem künstigen Gatten gemacht hatte.

Mein Vater schien es oft zu bereuen, daß er, der viel auf Namendeutung hielt, mir die schönen, von euch so oft getadelten, Namen, Hanne und Peninna gegeben hatte, welche nicht ohne Ursach von zwoen berühmten Matronen des Alterthums entlehnt, und die er jetzt, um nicht als ein falscher Prophet erfunden zu werden, lieber mit den Namen der Tochter Jephtah, oder der vier Jungfrauen des Philippus vertauscht hätte, wenn die Geschichte es für gut befunden hätte dieselben zu verewigen.

Mein Vater war nicht mehr gesinnt wie vordem. Alter, Krankheit und Unfälle hatten ihn mißmüthig gemacht. Seine Verdrüßlichkeiten bey dem Konsistorio nahmen zu, man sann darauf, da es unmöglich war, ihn, der seine Unschuld immer gut vertheidigen konnte, vom Amte zu setzen, ihm wenigstens einen Gehilfen zu geben. Wunderbar war es, daß man zu dieser Stelle einen Menschen erkießte, welcher lange in unserm Hause aus- und eingegangen und von mei nem Vater immer vorzüglich geliebt worden war. Er nannte dieses sonderbare glückliche Fügung, die ihm seinen Schüler, seinen vieljährigen Freund zum Amtsgehilfen gab. Ich [15] kannte den Herrn Katharines besser, ich wußte, daß er bey allen Verdrüßlichkeiten, die mein Vater vor dem geistlichen Gerichte erfahren, die Hand im Spiele gehabt hatte, daß er jetzt nur darum mit dem Platz an seiner Seite zufrieden war, weil er ihn noch nicht ganz von seiner Stelle drängen konnte. – Was für Aussichten für mich, wenn ich bedachte, daß dieser Mensch, über dessen Charakter mein Vater ein so verschiedenes Urtheil fällte, ein Mann war, der schon in vorigen Zeiten Absichten auf mich geäußert, die er jetzt ohne Zweifel, nur auf eine anständigere Art, als vordem erneuern würde. Wie ich fürchtete, so geschah es. Ich sagte: Nein, ich stieß, wie mein Vater meynte, mein Glück muthwillig von mir, und vernichtete, was noch das schlimmste war, ihm die Hoffnung gänzlich, meine Trauungsrede zu halten, eine Rede, die ihres gleichen nicht haben mußte, weil sie schon seit meinem zehnten Jahre unter der Feder war. –

Meine Einwendungen wider den Herrn Katharines wurden alle verworfen, und kaum konnte ich mich damit retten, daß ich bewies, daß er schon der verlobte Bräutigam einer andern war, die er um meinetwillen zu verlassen dachte. Diese andere ward bald darauf seine Frau und die Stifterinn meines Unglücks oder Glücks, ich weiß selbst nicht, wie ich es nennen soll. – Mit ihrem Eintritt wich der Friede aus unsrer stillen Wohnung. Sie ließ es nicht genug seyn, in unserm Hause eine gänzliche Reformation anzufangen, und als eine Städterinn [16] alles nach Stadtart einzurichten, sondern sie gab auch vor, sich mit mir nicht vertragen zu können. Sie wiegelte meinen Vater, der ohnedem wegen meiner abschlägigen Antwort verdrüßlich war, wider mich auf. Ich fieng an eine überzählige Person im Hause vorzustellen, man sann darauf mich anderwärts anzubringen, man machte eine Stelle als Haushälterinn in der Stadt für mich ausfindig, und ich, die es vormals für Tod hielt, mich von meinem Vater trennen zu müssen, willigte ohne Widerrede ein; ein Jahr das ich, seit Madam Katharines das Hausregiment führte, als Fremdling in der Wohnung meines Vaters gelebt hatte, war hinlänglich gewesen, mir diesen sonst so angenehmen Ort ganz zuwider zu machen.

Neue Klagen, welche den Herrn Katharines aus dem Substituten in den Pastor verwandeln und seinen Wohlthäter ganz von seiner Stelle verdrängen sollten, forderten meines Vaters persönliche Gegenwart vor dem geistlichen Gerichte; überdieses waren unsere Einkünfte seit einiger Zeit geringer gewesen, es waren Schulden aufgelaufen, Vergleiche und Berichtigungen in der Stadt zu machen, kurz mein Vater entschloß sich, mich selbst an den Ort meiner Bestimmung zu bringen, und wir rüsteten uns beyde zur Abreise.

[17]
3. Kapitel. Ein Besuch zur guten Stunde
Drittes Kapitel
Ein Besuch zur guten Stunde

Nie hatte ich, selbst in meinen glücklichern Jahren nicht, viel auf Putz und Flitterstaat gehalten, und es ist zu glauben, daß ich in meiner damaligen Verfassung, noch weniger auf künstliche Wahl meines Anzugs dachte. Ich trug ein langes Kleid, wie sie damals Mode waren, von weisser ziemlich feiner Leinwand, welches im Sommer mein Kirchenkleid zu seyn pflegte, und auf einem niedrigen Häubchen von guten Spitzen, welches mein Gesicht zur Hälfte verhüllte, einen großen Strohhut, den ich fürwahr nicht zum Staate, sondern um mir auf dem Wege von einigen Stunden zum Schutz wider die Sonne zu dienen, aufgesetzt hatte. Doch mußte ich reizend in diesem Anzuge seyn, denn mein Vater sah mich mit lächelndem Wohlgefallen an, Herr Katharines nannte mich eine unverwelkliche Rose, und seine Gemahlinn flüsterte ziemlich hörbar für mich, ich sähe unausstehlich albern aus, und sie habe nie etwas abgeschmakteres gesehen, als ein Mädchen, das den Dreißigen nahe sey, und noch zu gefallen denke.

Wir machten uns auf den Weg, und die Gespräche, die wir unterweges hielten, waren traurig, aber zu gleich doch tröstlich für mich, da ich endlich einmal ganz mein Herz vor meinem Vater ausschütten konnte. Lange hatte ich nicht ungestört mit [18] ihm sprechen können; Herr und Madam Katharines hielten ihn immer umlagert, um seine arme Tochter desto leichter aus seinem Herzem verdrängen zu können. – Sein Herz liebte mich im Grunde noch wie zuvor, er entschuldigte mich wegen allem, womit man ihn gegen mich einzunehmen gesucht hatte, er bedauerte, mich von sich lassen zu müssen, sich so ganz in die Gewalt des Katharines und seiner Frau gegeben zu haben. Gern hätte er die vorigen Zeiten zurück gerufen, aber es war zu spät, und wir mußten uns trennen.

Die Angelegenheiten meines Vaters, die ihn in die Stadt riefen, erschwerten unsern Kummer. Zwar dachte mein Vater sich vor seinen Richtern zu rechtfertigen, zwar glaubte er, sich mit seinen Gläubigern auf leidlichere Bedingungen zu setzen, aber ich, die sonst so reich an Hoffnung war, hoffte jetzt nichts, und schwieg, da ich nicht im Stande war, wider meine Ueberzeugung der Meinung meines Vaters beyzupflichten.

Wir langten in der Stadt an, und traten bey einem alten unverehelichten Herrn ab, der uns in unsern glücklichen Tagen oft zu besuchen pflegte, aber mich fast nie zu sehen bekam. Er kannte mich nicht, und als mein Vater mich ihm als seine Tochter vorstellte, und ihm die Ursach meiner Erscheinung in der Stadt erklärte, so mußte es sich ganz sonderbar fügen, daß auch er eine Haushälterin brauchte, und mir mit den besten Bedingungen diese Stelle antrug. Ich, die keine Freundin von solchen sonderbaren [19] Fügungen war, wandte vor, daß ich mich schon anderwärts verbindlich gemacht habe; seine Anerbietungen stiegen so wie meine Weigerungen, und er versprach auf die letzt nicht viel weniger, als mich, blos aus alter Freundschaft für meinen Vater, zu seiner Erbin einzusetzen. – Mein Vater nannte diesen Lohn für eine Haushälterin zu groß, und für einen Freund, der es nie gewagt hatte sich unter seine Vertrautesten zu zählen, zu unverdient; einige empfindliche Reden erfolgten hierauf zur Antwort, und wir wurden so kaltsinnig entlassen, als man uns zärtlich empfangen hatte. Kaum daß mein Vater auf die Erkundigung nach einem geschickten Anwald zu Führung seiner Angelegenheiten, eine unbestimmte Anweisung an einen gewissen Herrn Haller erhielt, dessen Namen wir nie hatten nennen hören, und dessen Wohnung man uns nicht einmal zu sagen wußte.

Unser nächster Gang war zu der Dame, bey welcher ich in Dienste treten sollte. Sie war eine Wittwe näher fünfzig, die sich kürzlich mit einem langen Fähndrich von etlichen zwanzig verheirathet hatte, und jetzt daran arbeitete, ihm seinen Abschied mit Hauptmannsrang auszuwirken. So freundlich wir, nach Meldung unsers Namens eingeladen wurden, in ihr Zimmer zu treten, so schlecht war der Empfang bey unserm Anblicke. Ich war ihr zu jung, zu zierlich gestaltet. Sie konnte nicht begreifen, wie ein Mädchen von meiner Art die Führung eines Hauswesens verstehen könne. Sie hörte [20] nichts von dem an, was wir ihr von meinem Alter, und von meiner langen Uebung in den Geschäften, in welchen sie mich brauchte, vorsagten, und es fehlte nicht viel, daß sie ihre Rede mit Unhöflichkeiten schloß. – Ich habe euch meinen Anzug beschrieben, und ihr werdet euch wundern, daß selbst dieser, selbst der armselige Strohhut, den ich trug, ihrer Kritik nicht entgieng; eben war sie im Begriff den letztern noch besonders vorzunehmen, aber ihr junger Gemahl trat ins Zimmer, und wir wurden schnell entlassen.

Eine alte Frau, vermuthlich die Kammerfrau der Dame, begleitete uns. Das hätte ich ihnen sagen wollen, mein Kind, sprach sie, daß sie bey uns nicht fortkommen würden. Madam Katharines, welche ehemals Haushälterin bey uns war, und die sie vermuthlich bey uns empfohlen hat, war schon zu hübsch für unsern Zustand. Eine Frage nach der Wohnung des Herrn Hallers unterbrach die Rede der geschwätzigen Frau, glücklicher Weise konnte sie uns Nachricht geben, und wir entfernten uns.

Recht als ob dieser Tag durch fehlgeschlagene Hoffnung und schlechte Aufnahme ausgezeichnet werden sollte, fanden wir auch bey dem Manne, zu dem man uns hinwies, nichts als finstere Gesichter, Es war fast Mittag, ehe wir seine Wohnung trafen, welche die plauderhafte Alte, ich weiß nicht aus welchem Grunde, uns sehr schlecht angewiesen hatte. Mein Vater sagte, die Stadtleute, vornemlich die, welche in großen Häusern wohnten, haßten [21] die geraden Wege so sehr, daß sie diejenigen, welche sie um Rath fragten, durch tausend Umwege erst dahin führten, wohin sie gedächten. Kein Wunder also, daß wir Herrn Hallers Wohnung zehenmal zur Rechten und Linken liegen lassen, ehe wir sie fanden.

Wir wurden eingeführt. Ein alter, dem Anschein nach, fast des Gesichts beraubter Mann, der in einem Armstuhl zurück gelehnt saß, und bey unserm Eintritt ein wenig an einer schwarzen Sammetmütze rückte, die seinen kahlen Scheitel bedeckte, hieß uns näher kommen, um, wie er sprach, uns besser erkennen zu können. Er zog ein Glas heraus und betrachtete mich. Darauf wandte er sich zu meinem Varer. Ein langes Examen erhob sich, von welchem die Konklusion war, nachdem er alles erfahren hatte, was uns angieng: er wolle sich zur Ruhe begeben, und nähme keine Sache mehr an; zwar sein Neffe, – aber auch dieser sey bereits mit Geschäften überladen; überdies sey es bald Mittag und – Eine Bewegung mit der Hand sagte uns, wir möchten uns entfernen.

Mein Vater hatte die Bitte auf der Zunge, ihm wenigstens einen andern Rechtsgelehrten anzuweisen, welcher besser Gesicht, weniger Geschäfte und wenigere Jahre habe, welcher nicht im Begriff sich zur Ruhe zu begeben und nicht in Erwartung einer guten Mahlzeit sey, aber seine Frage ward durch den Eintritt einer Person unterbrochen, deren erste Worte zeigten, daß sie komme, den alten [22] Herrn zu der für uns so fatalen Mittagstafel abzuholen. Es war eine alte ehrwürdige Matrone in einem Gewande, das mir die weiße Frau, wie sie auf dem Schloße zu B... abgemahlt ist, in den Sinn brachte; um die Aehnlichkeit vollkommen zu machen, trug sie ein großes Bund Schlüssel, das Zeichen des Hausregiments in den damaligen Zeiten, an der Seite.

Sie ward uns gewahr, und eine freundliche Verbeugung gegen uns, kürzte das ab, was sie noch zu dem alten Herrn sagen wollte, der sich jetzt langsam aus seinem Stuhle erhob, und bey uns vorbey nach der Thüre tappte. Wir wollten uns entfernen. Wie? sagte die Matrone, auf welche vielleicht das Alter meines Vaters und seine geistliche Kleidung einen vortheilhaften Eindruck machen mochten, wie? mein Kind, ist das die Zeit seine Gäste zu entlassen? – Keine Gäste, erwiederte der Alte, nur Klienten. – Ey, fuhr die freundliche Frau fort, Gäste oder Klienten, es ist unmöglich, daß sie jetzt von uns gehen. Darf ich bitten – mit einem freundlichen Blick auf uns – daß sie bey uns vorlieb nehmen? Ihre Wohnung ist vielleicht weit entlegen, und die Witterung – –

Die Dame hatte Recht. Es war einer von den ersten Frühlingstagen, die sich so oft schön und heiter anfangen und mit Sturm und Regen endigen. Der Himmel hatte sich dicht umzogen, und unsere Herberge war eigentlich nirgends, da wir bey dem Herrn, dessen Haushälterin ich nicht werden wollte, [23] zu wohnen gehofft hatten, und ohne Einladung entlassen worden waren. Ueberdieses waren wir Leute vom Lande, wußten nichts von langweiligen Weigerungen, und blieben so herzlich gern da, wo man uns einlud, als wir im entgegengesetzten Fall diejenigen, welche uns bewirtheten, bey uns aufgenommen haben würden.

Daß die Matrone, welche uns mit so patriarchalischer Gastfreyheit einlud, die Frau vom Hause war, werdet ihr errathen, ob ich mir gleich einbilde einige Verwunderung über ihren einfachen Anzug, über das Bund Schlüssel an ihrer Seite, und über die Herablassung, mit welcher sie ihren Gemahl selbst zur Tafel holte, in eurem Auge zu lesen. Freylich müssen die Begriffe, die ihr euch nach den jetzigen Zeiten von einer Stadtdame, von der Frau eines vornehmen Rechtsgelehrten macht, ganz anders seyn, aber ich bitte euch, versetzt euch in die damalige Welt! Nicht am Putztische, sondern in der Küche traf man unsere Mütter des Morgens an; nicht im prunkvollen unbequemen Flitterstaat nahmen sie die Stelle der Wirthin bey der Mittagstafel ein, sondern in reinlicher häuslicher Kleidung, welcher man es ansahe, daß sie ihnen nicht hinderlich seyn konnte, an jedem Orte ihres kleinen Gebiets selbst gegenwärtig zu seyn, alles mit eigenen Augen zu sehen, und vielleicht überall selbst mit Hand anzulegen; man nährte in den damaligen größten Häusern nicht etwa eine Menge unnützer Bedienten, welche die Frau vom Haufe der kleinsten Mühe überhoben, [24] oder überheben sollten, und die doch das wichtigste oft ungethan ließen, was die Gegenwart der Gebieterin bald geändert haben würde; doch das sind unnöthige Ausschweifungen. Zu unserer Mahlzeit! –

Unsere Tischgesellschaft wurde durch einen jungen Mann vermehrt, welchen ich gleich anfangs für das hielt, was er war, für den geschäftvollen Neffen des alten Herrn, der sich zur Ruhe setzen wollte. Ein Mensch von gutem Ansehen, welchen ich, so wie ich ihn damals zum erstenmal sahe, mit niemand besser vergleichen kann, als mit meinem Sohn Samuel, auch mochte er damals ohngefähr in den Jahren seyn, die dieser jetzt hat, nur ist in Samuels Betragen mehr Ernst und gesetztes Wesen, als ich an dem damaligen jungen Herrn Haller rühmen kann, welcher in allem, selbst in seiner nach der damaligen äussersten Mode eingerichteten Kleidung, zeigte, was in seinem Herzen wohnte, Leichtsinn und Eitelkeit. Ich fand kein besonderes Wohlgefallen an ihm, desto mehr aber ward ich von seiner Tante, der ehrwürdigen Madam Haller, eingenommen. Ich saß bey der Mahlzeit an ihrer Seite, und ihre freundlichen Worte, welche sie immer an mich richtete, machten ihr bald mein ganzes Herz zu eigen, ob ich gleich dieselben, ich weiß nicht aus welcher albernen Blödigkeit, immer nur halb beantwortete, vielleicht daß mich die Blicke des gegen mir übersitzenden jungen Herrn, welcher die Fältgen an den Spitzen meines Kopfzeugs [25] zu zählen schien, in einige Verlegenheit setzten.

Nach dem zweyten Glas Wein gieng dem alten Herrn der Mund auf. Neffe, sagte er, nachdem er sich dreimal geräuspert hatte, dieser ehrliche Mann hier, welcher Rechtsangelegenheiten halber in die Stadt gekommen ist, braucht deine Hilfe. Die Sache betrifft – – Hier hob ein weitläuftiger Bericht von den Angelegenheiten meines Vaters an, den der alte Herr weit ordentlicher und zweckmäßiger vorbrachte, als er ihn von seinem Klienten erhalten hatte, welches mich um so vielmehr Wunder nahm, da ich geglaubt hatte, der alte Herr Haller habe den Vormittag, als er sich alle diese Dinge von meinem Vater erzehlen ließ, an nichts dabey gedacht, als an seinen Lehnstuhl, sein blödes Gesicht, und die bevorstehende Mahlzeit.

Sie müssen mirs nicht übel nehmen, beschloß der alte Herr seine Rede, indem er sich zu meinem Vater wandte, wenn ich sie vorhin ein wenig kurz abfertigte. Sie weckten mich aus einem Schlummer, in welchen ich, wenn ich allein bin, oft verfalle. Ich werde alt, und – es giebt Stunden, in welchen ich keines Menschen Freund bin. – Zum Beyspiel, dachte ich, die Stunde der Erwartung vor der Mittagsmahlzeit! ach wie recht hatte meine alte Baase, Gott habe sie selig, welche mich lehrte, den Himmel alle Morgen zu bitten, daß alles, was ich den Tag über vornehmen wolle, zur guten Stunde geschehen möge. – Mein[26] Vater verbeugte sich auf diese Entschuldigung des alten Herrn, es entstand eine Pause, und der junge Haller füllte das Glas seines Klienten ungeachtet seiner Weigerung, und der darüber gehaltenen Hand, von neuen an.

Ich weiß nicht wer zuerst das Wort wieder aufnahm, genug das Gespräch ward nun allgemeiner. Der Oheim und der Neffe thaten noch viele Fragen an meinen Vater; er gab ihnen ausführliche Nachricht; Madam Haller schob zu Zeiten einige Worte ein; ich schwieg, und als die drey Herren sich nach und nach immer mehr in ihren Händeln vertieften, der alte Herr im Eifer schon ein Glas umgestossen hatte, und meines Vaters Stimme sich bey Darlegung seiner Gerechtsamen zum stärksten Kanzelton erhob, gab mir meine Nachbarin einen Wink in der Stille aufzustehen, und die Männer beym Wein ihre Sachen allein ausmachen zu lassen.

4. Kapitel. Eine Freundin, wie man sie selten findet
Viertes Kapitel
Eine Freundin, wie man sie selten findet

Madam Haller führte mich auf ihr Zimmer. Sie lud mich ein, diesen Nachmittag bey ihr zu bleiben, und ich willigte ein, weil ich glauben konnte, daß ihr ihre Einladung von Herzen gieng, und daß sie, wie sie sich ausbrückte, einen einsamen Nachmittag gern mit einer Freundin theilte. Freundin? [27] wiederholte ich, indem ich ihre Hand an meine Brust drückte. Warum nicht? mein Kind, sagte sie, kann keine Freundschaft zwischen Jugend und Alter Statt finden? O das wohl, erwiederte ich, aber welch ein Unterschied zwischen Madam Haller und einem armen einfältigen Landmächen!

Sie küßte mich lächelnd auf die Stirne, und bat mich, mir die Zeit nicht lang werden zu lassen, weil sie mich wegen einiger häuslichen Geschäfte verlassen müsse.

Wie? rief sie, als sie nach einer Viertelstunde wieder kam, und mich an einer Tapete arbeitend fand, die ich eingespannt gesehen, und mich fast ohne daran zu denken, dabey niedergesetzt hatte. Wie? verstehen Sie diese Arbeit? – Ich erschrack über diese Ueberraschung, stand erröthend auf, und bat um Verzeihung. Nein, nein, sagte sie, hier keine Verzeihung? Ich nehme ihre Hilfe an. – Und wir setzten uns beyde, und nähten eine lange Weile stillschweigend fort.

Es ist bekannt, wie bald sich ein paar weibliche Seelen, auf einem einsamen Zimmer, bey gemeinschaftlicher Arbeit, gegen einander aufschliessen. Die Fragen der Madame Haller wurden häufiger, meine Antworten umständlicher als bey der Mahlzeit, und nicht lange, so kannte sie meine ganze Lage so vollkommen als ich selbst. Herr und Madame Katharines, der alte Herr, welcher eine Haushälterin, und die Gemahlin des jungen Fähndrichs, welche keine brauchte, kamen endlich auch [28] an die Reihe, und was das sonderbarste war, so kannte Madam Haller alle diese drei Leute so vollkommen, daß sie mir eine vollständige Biographie von ihnen liefern konnte, die mich angenehm genug unterhielt, ob sie gleich eben nicht die vortheilhafteste war. Die liebe Frau! wenn mir es erlaubt ist, ihr so etwas noch im Grabe nachzusagen, einen kleinen Hang zur Medisance hatte sie freylich, aber sie war gut, sehr gut, und nahm gewiß nichts unter ihre Kritik, was dieselbe nicht verdiente.

Wir waren noch in diesen Gesprächen begriffen, als der junge Haller mit meinem Vater hereintrat, um sich zu beurlauben. Wir werden, sagte der erste, viel Gänge mit einander zu thun haben. Und du, Hannchen, setzte mein Vater hinzu, wirst dich sogleich empfehlen, um uns begleiten zu können. Hannchen wird bey mir bleiben, und ihrem Vater ein Schlafzimmer bereiten helfen, erwiederte Madam Haller; es wird gut seyn, wenn der Advocat und die Klienten in einem Hause wohnen.

Mein Vater stammelte etwas von unverdienter unbegreiflicher Güte, und mir traten ein paar Thränen in die Augen. O, dachte ich, wie süß ists dem Unglücklichen, dem Verlassenen, da freundliche Aufnahme zu finden, wo er sie am wenigsten vermuthete; wie viel süsser muß es seyn, sie dem Unglücklichen gewähren zu können!

Mein Herz war zu voll von dem, was ich fühlte, als daß ich es nicht gegen meine neue [29] Freundin mit allem Feuer, dessen ich fähig war, hätte überströmen lassen sollen. Sie lächelte über den Eifer, mit welchem ich sprach, und – – Doch ich bin bereits zu weitläuftig in Kleinigkeiten gewesen, und muß mich einschränken, wenn ich nicht von allen dem Guten, was mir in diesem Hause wiederfuhr, ein eigenes Buch zu schreiben gedenke.

Meines Vaters Aufenthalt in der Stadt dauerte länger, als er und ich vermuthet hatten. Zwar seine Sachen mit seinen Schuldnern waren bald abgethan. Madam Haller trat ins Mittel; die Summe war ihrem Ausspruch nach nicht groß, sie hatte voriges Jahr gerade so viel aus ihrer Wirthschaftskasse zurück ge legt; sie freute sich, unsere einige Schuldnerin zu seyn; sie wollte sich an Hannchen halten, welche ihr schon alles bezahlen sollte, und was der freundlichen trostvollen Worte mehr waren, mit welchen diese großmüthige Seele uns Niedergeschlagene zu trösten suchte. – Gütiger Himmel! Sie wollte sich an mich halten! ich sollte bezahlen! Ich! eine Summe von hundert und fünfzig Thalern! War das wohl etwas anders, als eine feine Art, uns das Ganze zu schenken? – Noch jetzt ist mirs unbegreiflich, wie alle Umstände so zusammen treffen mußten, uns eine solche Freundin zu verschaffen. Das Gebet meiner Baase um eine glückliche Stunde kommt mir wieder in den Sinn, und Thränen der Dankbarkeit fallen auf mein Blatt.

[30] So gut und leicht unsere Angelegenheiten in diesem Stück berichtigt wurden, so schwer gieng die Sache vor dem geistlichen Gericht. Mein Vater war verklagt, hart verklagt, und daß Herr Katharines der Ankläger sey, ergab sich aus allen Umständen. So in die Augen fallend auch seine Unschuld war, so würde die heilige Gerechtigkeit, welche eben damals eine neue undurchsichtige Binde umgelegt hatte, sie doch schwerlich gesehen gaben, wenn der alte Herr Haller weniger Ansehen, und sein Neffe weniger Wissenschaft und Thätigkeit besessen hätte.

Mein Vater siegte, und man gab ihm nur unter den Fuß, wegen Schwachheit und hohen Alters um völlige Entlassung von seinem Amte anzuhalten; ein Vorschlag den er mit Unwillen verwarf. Würde die Welt meine Unschuld glauben, sagte er, wenn ich mich gleichsam von meinem Posten hinweg schleichen, nicht erst zeigen wollte, das man nichts tadelnswürdiges in mir gefunden hat? – Mit Mühe gestand man ihm noch ein halbes Jahr zu, und Herr Katharines mußte sich gefallen lassen, noch so lange blos den Titel als Vikarius zu führen.

Ich zitterte, wenn ich an das Wiederkehren in die Wohnung gedachte, aus welcher unser Feind die Ruhe und den stillen Frieden, welche vordem darinnen herrschten, vertrieben hatte. Madam Haller wollte mir überdieses nicht einmal erlauben, meinen Vater dahin zu begleiten, und ich [31] sollte ihn also allein in der Gewalt seiner Verfolger wissen. Man suchte mich zu beruhigen, und mein Vater versprach mir, sich gegen Katharines unwissend zu stellen, was er für Theil an dem ihm bereiteten Falle gehabt habe, und auf diese Art, alle Verdrüßlichkeiten zu vermeiden.

Seine Abreise war also beschlossen, aber ehe sie noch erfolgte, entwickelten sich Dinge, zu welchen mein erster Eintritt in das Hallersche Haus den Grund gelegt hatte, und die durch meinen langen Aufenthalt in demselben immer mehr zur Reife gekommen waren.

5. Kapitel. Ein Heyrathsantrag
Fünftes Kapitel
Ein Heyrathsantrag

Wie wohl ich der Frau vom Hause gefiel, dieses war mir auf den ersten Augenblick merklich, und ich kann nicht leugnen, daß ihr gütiges Betragen die Hoffnung in mir erweckte, sie würde mich die Stelle als Wirthschaftsgehilfinn, um derentwillen ich in die Stadt gekommen war, in ihrem Hause finden lassen; aber daß mich mein Schicksal zu weit glänzendern Aussichten berechtigte, daß ich auf noch eine Person einen tiefen Eindruck gemacht hatte, dieses wurde ich in der Einfalt meines Herzens nicht ehe gewahr, bis mir meine Wohlthäterinn selbst hierüber die Augen öfnete.

[32] Hannchen, sagte sie eines Tages in ihrem gewöhnlichen mütterlichen Tone zu mir, wir sind dir vielen Dank schuldig; du hast aus unserm Neffen einen vernünftigen und ordentlichen Menschen gemacht. Ich, Madam? fragte ich, ich erinnere mich nicht, seit ich die Ehre habe in ihrem Hause zu seyn, zehen Worte mit ihm gewechselt zu haben. Kann wohl seyn, erwiederte sie, aber seine Aenderung, seit du bey uns bist, ist zu auffallend, als daß man sie jemand andern als dir zuschreiben könnte. O Hannchen, hättest du ihn vordem gekannt! er war auf keinem guten Wege! Wiewohl, es ist nicht schicklich dir Böses von dem zu sagen, den ich dir so gern beliebt machen wollte. Er liebt dich, er hat es mir gestanden, und ich bin zu froh, daß er nach tausend Ausschweifungen seine Augen endlich einmal auf eine Person geworfen hat, die ihn, wie ich hoffe, nicht verschmähen wird, und auf die er mit Ehren denken kann, auf ein Mädchen, das tugendhaft und schön genug ist, ein Herz, wie das seinige, fest zu halten, und es zu bessern.

Sie scherzen, Madam, unterbrach ich sie halb außer mir vor Erstaunen, sie bedenken nicht! – Ich habe hier nichts zu bedenken, sagte sie; auf den ersten Blick ward ich von dir eingenommen, ein kurzer Umgang mit dir lehrte mich, daß ich mir auf Zeitlebens keine bessere Gesellschafterinn wünschen könne als dich; ob du mir weniger als Nichte gefallen wirst, ist kaum Fragens werth. – [33] Aber, Madam, meine Armuth; und sollten sie diese auch übersehen, wird Herr Haller, – Du meynst meinen Mann? fiel sie mir ins Wort, dafür sey unbesorgt, mein Wille ist der seinige. Eine etwas wichtigere Einwendung würde es seyn, ob auf die Beständigkeit meines Neffen viel Hoffnung zu setzen wär, auf ihn, der so lange von einer Schönheit zur andern hüpfte, und in der ganzen Stadt als ein ausgemachter Flattergeist bekannt ist, aber solltest du ihn nicht bessern können, so wird es keine auf der Welt.

Es würde zu weitläuftig seyn, meine Kinder, euch unser ganzes Gespräch mitzutheilen; hört lieber, welches meine Empfindungen dabey waren. – Laßt mich offenherzig seyn: welch Mädchen fühlt nicht einige Freude über eine Eroberung, über einen Antrag von solcher Art; und dann die Aussicht auf ein ruhiges sorgenfreyes Leben, auf den ungetrennten Umgang mit meiner lieben Madam Haller, eine solche Aussicht für mich, die nichts als Dunkelheit in der Zukunft vor sich hatte! – Daß also die Sache überhaupt mir schmeichelte, ist gewiß, übrigens aber fühlte ich nicht die geringste Neigung für Herrn Haller, so ein hübscher Mann er in manchen Augen auch seyn mochte. Auch war die Beschreibung von seinem Charakter, die mir meine Wohlthäterinn machte, und die ich, seit ich in der Stadt war, hier und da hatte bestättigen hören, nichts weniger als reizend für mich, die ich mir in meinen jüngern Jahren [34] ein ganz anderes Bild von meinem künftigen Gatten entworfen hatte. Gütiger Himmel, welch ein Bild! Welch ein Inbegriff aller sichtbaren und unsichtbaren Vollkommenheiten! und wie fest mein Herz an denselben hieng! Gewiß, es war nöthig, wie Madam Katharines sagte, den Dreißigen nahe zu seyn, um ein schönes Ideal aufzugeben, es um Herrn Hallers willen aufzugeben, entweder ganz an seiner Existenz zu zweifeln, oder wenigstens mich zu überzeugen, daß es für mich nicht vorhanden sey.

Doch ward mir es schwer dieses zu thun; ich bat um Bedenkzeit, beredete es mit meinem Vater, er stellte mir unsere traurige Lage, und die Möglichkeit vor, den, den mir das Schicksal zu meinem Gatten bestimmt zu haben schien, zu bessern und – die Sache war so gut als geschlossen.

Herr Haller bekam Erlaubniß, sich an mich zu wenden, und er entdeckte mir seine Neigung mit so viel Wärme, strebte so unablässig, sich mir gefällig zu machen, zeigte sich die ganze Zeit unsers Brautstandes auf so vielfachen vortheilhaften Seiten, daß sich meine ganze Meinung von ihm änderte, daß ich endlich so für ihn eingenommen ward, als er für mich. Oft suchte ich in der Einsamkeit das oberwehnte aufgegebene Ideal meines künftigen Gatten in meinem Gedächtniß auf, verglich es mit meinem nunmehrigen Bräutigam, warf bald diesen bald jenen Zug meines schönen Bildes hinweg, that dagegen andere hinzu, bis [35] ich mir endlich einbildete, Herr Haller sey demselben fast ganz gleich, und ich habe in ihm alles gefunden, was sich ehemals meine Phantasie träumte; eine Täuschung, welche zwar nicht lange dauerte, die mich aber für den gegenwärtigen Augenblick unaussprechlich glücklich machte. Alles was mir seine eigene Tante von ihm gesagt hatte, alles, was mir das Gerüchte von ihm zuflüsterte, sobald es bekannt ward, daß ich mit ihm versprochen sey, alles wurde in den Wind geschlagen, ich glaubte es nur halb, und brüstete mich nur darum desto mehr, weil ich meine Reize für so mächtig hielt, aus einem Wüstling einen Tugendhelden zu machen. Selbst die Versicherung, die mir überall zu Ohren gebracht ward, daß man freylich hätte froh seyn müssen, denjenigen, welcher fast von jedem Mädchen dieser Stadt, auf das er die Augen geworfen hatte, abgewiesen worden sey, noch an eine so hübsche, vernünftige und tugendhafte Person, wie Mamsell Hannchen, zu bringen, selbst diese fand keinen Eingang, ich nannte sie Neid und Verläumdung, wie sie auch vielleicht zum Theile seyn mochte, und gab Herrn Haller an dem bestimmten Tage meine Hand mit so gutem Herzen, als sie die Tochter des Priesters zu On dem keuschen Joseph, oder Fräulein Byron dem Tugendspiegel aller Männer gegeben haben mag.

[36]
6. Kapitel. Gute Lehren einer Matrone vor der Trauung
Sechstes Kapitel
Gute Lehren einer Matrone vor der Trauung

Dieses kleine Haus, und dieser Garten, das einige was uns von unserm ehemaligen Vermögen übrig ist, war der Ort, wo unsere Verbindung gefeyert ward. – O Kinder! Kinder! ihr glaubt, wie nun die heutige Welt ist, nicht an Ahndungen, aber was würdet ihr sagen, wenn ich euch versicherte, daß, als Madam Haller, mich den Tag nach meiner Ankunft in die Stadt, an diesen angenehmen Ort führte, mir es nicht anders war, als flüsterte mir eins ins Ohr: diese Gegenden werden dich an einem der wichtigsten Tage deines Lebens sehen. – Und sie selbst, meine Wohlthäterinn, war mirs nicht bey ihrem ersten Anblick, als müßte ich ihr in die Arme sinken, und sie Mutter nennen? als säh ich im Geiste voraus, was sie mir einst werden würde? – Zwar, wenn ichs recht überdenke, bey andern mich noch näher angehenden Gegenständen schwiegen diese innern Vorempfindungen; bey Herrn Hallers Anblick, fühlte ich nicht viel, und ich besinne mich nur ein einigesmal, daß mir etwas seinetwegen ahndete: Madam Haller nahm mich kurz vor der Trauung hier in dieses Zimmer; Nichte, sagte sie zu mir, sey hübsch andächtig bey dem, was man dir vor dem[37] Altar sagen wird. Doch noch eins; bey den Worten: er soll dein Herr seyn, kannst du an etwas anders denken; dein künftiger Mann braucht Beherrschung, du aber nicht. Wie ein Pfeil giengen mir diese Worte durchs Herz, es war, als säh ich manche traurige Scenen in der Zukunft vor mir, als fühlte ich es, daß ich glücklicher bey einem Manne seyn würde, dem ich meinen Gehorsam so recht aus ganzem Herzen geloben, bey dessen Führung ich hoffen könnte, alle Tage besser zu werden. – Doch nichts mehr von Ahndungen!

Mein guter Vater erhielt nach vieler Schwürigkeit die Erlaubniß uns zusammen zu geben. Er hielt seine so lang meditirte, so oft wieder beyseite gelegte Trauungsrede. Er stellte im ersten Theile die fromme und geduldige Hanna, und im andern die mit vielen Kindern gesegnete Peninna vor. Die Deutung war, wie ihr denken könnt, ganz auf mich. Es war in der That recht schön zu hören, auch schien Herr Haller, welches mich wunderte, Achtung gegeben zu haben, denn er versicherte mich, als er mich vom Altare führte, daß er mir nie Gelegenheit geben würde, die Geduld der Hanna auszuüben, von welcher mein Vater im ersten Theile so viel gesagt hatte. Ach wie oft hätte ich ihn in der Folge an dieses Versprechen erinnern können, wenn solche Erinnerungen gut thäten!

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7. Kapitel. Weibereigensinn und Weibertücke
Siebentes Kapitel
Weibereigensinn und Weibertücke

So war ich also die Frau eines Mannes, den nicht ich, den das Schicksal für mich gewählt hatte, ein Grund der Beruhigung, welcher in künftigen Zeiten oft sehr wirksam bey mir war.

Die Zeit meiner Glückseligkeit dauerte indessen länger als ich hätte hoffen können, sie dauerte Jahre lang, Jahre, o die glücklichsten meines Lebens, deren Erinnerung mir ein Gedankenfest ist! Bedenkt selbst, Kinder, einen Mann, den ich anbetete, eine Mutter, – diesen Namen kann ich Madam Haller mit Recht geben, – der ich alles war, die beständige Gesellschaft meines Vaters, welcher, nachdem die Chicanen des Katharines ihn genöthiget hatten, sein Amt noch vor Endigung des bestimmten halben Jahres niederzulegen, den stillen Abend eines sorgenvollen Lebens an unserer Seite zubrachte, und dann auch meine Kinder, die ihr eines nach dem andern wie lächelnde Engel erschient, um meine Glückseligkeit vollkommen zu machen.

Und doch waret ihr, wenn ich mich recht besinne, die erste Ursache eines kleinen Zwists mit meinem Manne. – Daß Hanna ihren ersten Sohn Samuel nen nen mußte, war ja natürlich, es wär sündlich gewesen, einen andern Namen zu wählen; [39] aber, lieber Himmel, wie beleidigte ich Herrn Haller damit, welcher ihn schlechterdings nach seinem Namen Albert genennt wissen wollte. Fast so gieng es mir mit meiner ältesten Tochter Peninna. Glücklicher Weise erwartete ich damals meine Niederkunft hier in diesem Gartenhause; mein Mann hatte wichtige Geschäfte in der Stadt, Madam Haller sagte, das Kind sey schwach, und so hies es Peninna, ehe er etwas dawider einwenden konnte, doch hatte ich am Tage meines Kirchgangs einen fürchterlichen Sturm deßwegen auszustehen, und ich glaube sicherlich, daß er Samueln und Peninnen, blos der Namen wegen immer weniger geliebt hat, als seine übrigen Kinder; bey ihm sollte alles weltlich und eitel seyn. Da ich mich zum drittenmal meiner Niederkunft nahte, nahm er mich ernstlich vor, und warnte mich, ihn nicht wieder mit solchen abgeschmackten Namen zu ärgern, sondern mir es merken, daß sein künftiger Sohn oder Tochter, Albert oder Albertine heißen müsse. – Aber im Fall uns der Himmel Zwillinge bescherte, sagte ich, dürfte ich denn nicht? Hanna ist so ein schöner Name. – Wir stritten lange über diesen Punkt, bis endlich der Name Johanne mit vieler Mühe erlaubt ward, und sehet die Schickung des Himmels, ich beschenkte meinen Mann mit einem Knaben und einem Mädchen, und die Namen Albert und Johanne stellten unsere Einigkeit völlig wieder her, welche durch das Versprechen,[40] mich nie wieder in das Kapitel von den Namen zu mischen, bestättiget ward.

Ich habe es von klugen und erfahrnen Frauen gehört, daß kleine Verdrüßlichkeiten im Ehestande immer das Vorspiel von größern sind. Du Jukunde und deine Schwester Amalie waren schon auf der Welt, als euer Vater auf einmal so häufige Geschäfte bekam, daß wir ihn fast nie, als bey der Mittags- und Abendtafel sahen. Wir bewohnten damals fast beständig dieses Gartenhaus, und die Entfernung von der Stadt gab ihm also einige Entschuldigung; überdieses machten mir meine kleinen Kinder, und die Wartung des alten Herrn Haller, der nun sein Gesicht völlig verlohren hatte, so viel zu thun, daß ich manches übersahe, das mir sonst auffallend gewesen seyn würde. Nicht so Madam Haller; sie liebte mich zu sehr, um ihrem Neffen die kleinste Nachläßigkeit gegen mich zu übersehen, und der Hang, alles auszuforschen, und streng zu beurtheilen, den ich ihr schon bey ihrer ersten Unterhaltung mit mir abgemerkt hatte, verleitete sie auch hier zu manchem Schritte, den sie um meiner und ihrer Ruhe willen hätte unterlassen können. Sie war nur allzuschlau meines Mannes Gänge zu belauschen, und nur allzubereit, mir ihre Entdeckungen mitzutheilen.

Gütiger Himmel! ward ich durch diese Wissenschaft glücklicher? Hatte mir nicht alles, was sie mir so deutlich vor die Augen legte, längst wie ein dunkles verworrenes Traumbild vorgeschwebt? [41] und gewann ich etwas dadurch, daß man meine Muthmassungen zur Wirklichkeit machte? – Madam Haller erinnerte mich an die Worte, die sie mich bey der Trauung hatte überhören heißen. Hannchen, Hannchen, sagte sie, jetzt beweise, daß du sein Herr seyst, jetzt reiße ihn mit Gewalt aus den Schlingen der Buhlerinnen, die ihn verstricken, damit du nicht endlich seine und ihre Sklavinn werdest!

Ein Strom von Thränen war meine Antwort. Ich bat um Zeit zur Ueberlegung, und beschwur sie in der Bestrafung oder Verhinderung der Vergehungen ihres Neffen nicht so zu verfahren, wie sie bey der Ausforschung derselben gethan hatte, lieber alles mir zu überlassen, da sie mir einmal die Herrschaft über meinen Mann zugedacht hatte. – Die Herrschaft über ihn? Lieber Himmel, was für ein trauriges Wort, das mir nie in den Sinn gekommen seyn würde, wenn ich es nicht in den Jahren unsers Ehestandes nur gar zu oft inne geworden wäre, daß er wirklich einer Art von Leitung bedurfte, die ich auch immer glücklich genug, obgleich so verstohlen als möglich gebraucht hatte. Er hat es sicher nie gemerkt, daß die Hindernisse, die sich seiner Verschwendung, seinen stolzen, oft unüberdachten Entwürfen, die ihn zu Grunde gerichtet haben würden, seinem Hang zu ausschweifenden Lustbarkeiten entgegen setzten, immer von mir herkamen, und es ist oft geschehen, daß er sich mühsam wegen solcher Dinge gegen [42] mich entschuldigte, die ich selbst rückgängig gemacht hatte.

Erfahrungen wie diese ließen mich hoffen, daß es mir auch jetzt glücken würde, ihn unvermerkt aus gewissen Verbindungen zu reissen, die sein und mein Unglück machen mußten, aber was hatte ich damit gewonnen? konnte ich die in seinem Herzen erloschene Liebe von neuem anfachen? Mußte der, der einmal sich verirrt hatte, nicht überall Gegenstände finden, die ihn zur Untreu verleiten konnten? Doch ich nahm mir vor, blos für die Gegenwart zu sorgen, und die Zukunft dem Himmel zu überlassen; ich machte es wie der Arzt, der bey einer unheilbaren Krankheit nur auf gegenwärtige Linderung denkt, und den letzten tödtenden Ausbruch des Uebels so lang als möglich verhütet.

8. Kapitel. Die Frau Amtmannin schmiedet ein Testament
Achtes Kapitel
Die Frau Amtmannin schmiedet ein Testament

Der alte Herr Haller nahte sich seinem Ende. Ob er gleich, da er ein wenig zum Geiz geneigt war, die Verheyrathung seines Neffen mit einem so armen Mädchen als ich, nicht eben gern gesehen, und nur aus Gehorsam gegen seine gebietende Frau eingewilligt hatte, so war mir es doch nachher gelungen, mich so ganz in seine Gewogenheit einzustehlen, [43] daß ich jetzt seine liebste Gesellschafterinn, fast seine einige Wärterinn war, daß ihn jetzt, da seine Augen völlig dunkel geworden waren, schon der Ton meiner Stimme erfreute, und meine Schritte, wenn er sie hörte, schon in der Ferne mit einem frohen Ausruf von ihm begrüßt wurden. Ob ich bey so bewandten Umständen einige Gewalt über ihn, und vielleicht einigen Einfluß in die Verfassung seines letzten Willens haben mochte, läßt sich errathen.

Der gute Greis starb, und meine aufrichtigsten Thränen folgten ihm. Wenn auch keine guten Eigenschaften von seiner Seite, wenn auch nicht seine Zuneigung gegen mich, mir Ehrfurcht, Liebe und Dank abgefordert, und meine Thränen erpreßt hätten, so ist doch auch dieses schon kein Geringes, den Gegen stand seiner vieljährigen Pflege und Sorgfalt zu verlieren. Ach die verdrüßliche Lücke in unsern Geschäften! die schmerzhafte Leere! die tausend Besorgnisse, ob wir auch alles thaten, was wir thun konnten, welche immer wiederkehren, so kräftig sie auch unser Herz widerlegt! –

Herrn Hallers Testament ward eröfnet, und zu jedermanns Erstaunen ward mein Name nicht auf die entfernteste Art darinnen erwehnt. Sein Vermögen war zwischen seine Wittwe und seinen Neffen gleich getheilt, doch so, daß jene nebst verschiedenen Dingen von Wichtigkeit, dieses Haus, und dieser eine ansehnliche Summe Geld zum voraus bekam, mit dem Befehl, seinen bisherigen [44] Wohnort zu verlassen, und das Amt zu Hohenweiler zu pachten, wegen dessen der Erblasser schon alle nöthige Verfügungen getroffen habe.

Madam Haller sahe mich bey dem letzten Punkte mit einem schlauen, zufriedenen Blicke an. Mein Mann schien betreten, und nachdenkend, und einige mit ziemlich reichen Legaten bedachte Verwandtinnen meinten, es sey doch höchst ungerecht, daß der selige Herr mich, seine treue Wärterinn, so gänzlich vergessen, meiner auch nicht einmal ehrenhalber mit einer Sylbe gedacht habe: des ich vom Herzen lachen mußte. Schimpf wäre mir es gewesen, in einem Testamente genannt zu seyn, bey dessen Verfertigung ich, wie mir, zwar mir allein, bekannt war, so sehr um Rath gefragt worden war. Ich wollte nicht unabhängig von denen seyn, denen ich mein Glück zu danken hatte; ihr Vortheil war der meinige, und ohne sie wär ich arm bey Millionen gewesen.

Eins hatte ich gethan, welches mich vielleicht bey manchen in den Verdacht des Eigennutzes bringen wird, da es den Vortheil einer Person betraf, die mir lieber als mein Leben war. Aber war mir es wohl zu verdenken, daß ich den Willen des Verstorbenen, meinen Vater unabhängig zu machen, gut hieß? Ist wohl die reichlichste Unterstützung selbst von denenjenigen, denen es Pflicht ist, ihren Ueberfluß mit uns zu theilen, ist sie wohl dem freyen Manne mit einem kleinen Einkommen, das er gewiß und ganz sein eigen nennen [45] kann, zu vergleichen? Der verstorbene HerrHaller hatte so manches langes Jahr in vertrauter Freundschaft mit meinem Vater gelebt, seine Gespräche hatten ihm die finstern Tage, da die ganze sichtbare Schöpfung vor seinen Augen verschlossen war, aufgeheitert, sein Zuspruch hatte ihn in seinen letzten Stunden getröstet, und ihm den Uebergang in eine andere Welt leicht gemacht, war es ihm denn wohl zu verdenken, daß er zur Dankbarkeit darauf sann, seinem Tröster den Abend seines Lebens heiter und sorgenleer zu machen, und handelte ich unrecht dieses zu billigen, es geschehen zu lassen?

Mein Vater hatte, seit er, wie er sich ausdrückte, aus dem Weinberge des Herrn vertrieben worden war, eine besondere Liebe zum Land- und Gartenbau gewonnen. Seine Lektüre, seine Gespräche, seine kleinen Geschäfte, alles bezog sich auf diesen Lieblingsgegenstand. Jener schöne Bezirk, den Hügel hinab an der rechten Seite unsers Hauses, den wir den kleinen Garten nennen, und der so manchen von ihm gepfropften Baum, so manche zuerst von ihm dahin verpflanzte seltne Blume trägt, war, seit das geliebte Hallersche Haus uns Fremdlinge aufnahm, sein liebster Würkungskreis gewesen, jetzt ward er nebst dem dazu gehörigen Hause sein Eigenthum, und eine ganz artige Leibrente, die sein Freund auf ihn hatte schreiben lassen, begleitete dieses Vermächtniß.

[46] Hätte ich geglaubt, sagte mein Vater, als der Kummer über den Tod seines Freundes seine erste Schärfe verlohren hatte, und ihm Raum ließ Freude und Dank über sein hinterlassenes Andenken zu fühlen, hätte ich geglaubt, noch in dem Besitz irgend eines irdischen Guts, das zu empfinden, was ich hier unter meinen blühenden Bäumen, unter meinen duftenden Blumen fühle? – O Kinder, ich werde zum zweitenmale jung! So oft der Frühling in meinen Garten wiederkehrt, so oft ists auch, als wenn neues Leben in meinen Adern wallte! Ach es wird mir einmal schwer werden, mich von diesem Paradiese und von euch zu trennen!

9. Kapitel. Die Tante ist noch ärger als die Nichte
Neuntes Kapitel
Die Tante ist noch ärger als die Nichte

Das war ein Meisterstreich! sagte Madam Haller, als wir das erstemal nach Eröfnung des Testaments ohne Zeugen mit einander sprechen konnten, das wahr wohl ersonnen! auf diese Art bringst du deinen Mann aus seinen allerliebsten Gesellschaften, er weiß selbst nicht wie. – Ich schwieg. – Leugne mir es nicht, mein Kind, fuhr sie fort. Ich weiß, daß du meines Mannes Herz in Händen hattest, und das gepachtete Amt ist nichts als ein Einfall von dir, den du durch ihn ausführen ließest.

[47] Ich weiß nicht, meine Kinder, ob ihr es jemals erfahren habt, wie einem zu Muthe ist, wenn man sich wegen einer Sache loben hört, mit welcher unser Herz nicht ganz zufrieden ist; gewiß eine der peinlichsten Empfindungen, die ich kenne, und die mein Herz in selbigem Augenblicke in vollem Maaße erfuhr. – Wie? du weinst? rief Madam Haller, indem sie die Hand, mit welcher ich meine Augen decken wollte, mit sanfter Gewalt hinweg zog. – O, meine Tante, sprach ich schluchzend, wer weiß, ob ich recht handelte! ich hasse von Natur alle krummen Wege, und ob dieser Meisterstreich, wie sie es nennen, auf der geraden Bahne blieb, ob ich ihn meinem Manne und der Welt offenherzig gestehen dürfte, das gebe ich ihnen zu bedenken. – Du bist wunderlich, sagte sie, welchen Weg soll man mit verkehrten Leuten gehen, als den, der ihrer Art zu handeln am nächsten kömmt? – Bedenken sie selbst, fuhr ich fort, meinen Mann mit Hinterlist aus einer Sphäre reissen, in welche er sich schickt, und ihn in eine andere bringen, welcher er vielleicht nicht gewachsen ist. Sie sahen, wie betreten er war; müßte nicht schon der Gedanke ihm Kummer zu machen, genug seyn, mich zur Reue über das zu bringen, was ich that?

Willst du es ihm nicht lieber bekennen und abbitten? sagte Madam Haller mit einem unwilligen Blick – Schwache weichherzige Seele! war seine Bestürzung wohl etwas anders, als Kummer, [48] sich von Madam R... und Mamsel W... und wie die Syrenen alle heißen mögen, trennen zu müssen? – Und wird er, erwiederte ich, an dem künftigen Orte unsers Aufenthalts nicht neue ihm vielleicht noch gefährlichere Damen und Demoisellen dieser Art finden? Was habe ich dann gewonnen? oder was habe ich gewonnen, wenn er sich den Weg von etlichen Stunden nicht zu weit seyn läßt, seine alten Bekanntinnen hier zu besuchen? – Dies ist nunmehr zu spät, war die Antwort meiner Tante, quäle dich nicht mit unnöthigen Grillen, und laß dich nichts reuen, als daß der Ort, wohin wir gedenken, nicht noch zehen Meilen weiter ins Land hinein liegt, um allen Umgang mit den hiesigen Städterinnen gänzlich abzuschneiden, ein Fehler, den du freylich hättest vermeiden können, wenn du klug genug gewesen wärest.

Wenn Madam Haller in so entscheidendem Ton sprach, so war es nicht erlaubt, die entschiedene Sache wieder vorzubringen; ich trug also die Vorwürfe meines Herzens in der Stille, welche durch den tiefen Kummer erschwert wurden, der über das ganze Wesen meines Mannes verbreitet war, und den ich ganz auf meine Rechnung schrieb.

Drey Tage ertrug ich seine finstern Blicke, ohne sie zu ahnden; am vierten brach ich das Stillschweigen. – Mein Albert, mein Trauter, sagte ich mit von Thränen gehemmter Stimme, du trauerst, und deine Frau darf nicht wissen [49] warum? Bin ich vielleicht – Gute Seele, unterbrach er mich, du, deren ich nicht werth bin, du, deren holden Taubenaugen ich schon tausend Thränen ablockte! Thränen, die du immer großmüthig genug warest, mir zu verhelen.

Ich. Nun so trockne sie, durch Mittheilung deines Kummers.

Er. Ach Hannchen, dann würden sie erst recht zu fließen anfangen; ach wenn du wüßtest, wenn du wüßtest!

Ich. Ich weiß es, Lieber; du grämst dich, daß du den Ort deiner Geburt verlassen sollst, und ich, ach ich – –

Er. Darüber? Nein wahrhaftig nicht! Lieber heute noch aus diesem – diesem – – Wisse – doch nein, ich kann ich kann nicht!

Ich. Albert! Wenn du mich jemals liebtest, wenn je meine Bitten etwas bey dir galten!

Er. Warum folgte ich deinen liebreichen Ermahnungen nicht! – Zwar Ermahnungen? – ließ deine Bescheidenheit so etwas zu? – Kaum kann ich es Winke nennen!

Ich. erschrocken. – (ich glaubte, er zielte auf die Begebenheiten mit der R... und W...) – Sollte ich mir je Ermahnungen oder Winke über diesen Punkt erlaubt haben?

Er. O war nicht selbst deine Eingezogenheit, deine Mäßigkeit, deine Sparsamkeit, deine [50] eingeschränkten Wünsche, waren dieses nicht alles Winke genug mich zu bessern?

Ich. (lächelnd und froh, daß ich mich geirrt hatte). – Ach du meinst gewisse kleine unnöthige Ausgaben, gewisse – ich weiß nicht wie ich sagen soll. – Sey ruhig, mein Albert, ich weiß, wir müssen Schulden haben, aber jetzt, da du so ansehnliche Summen in die Hände bekömmst. – Gute Wirthschaft auf meiner, und ein wenig Einschränkung auf deiner Seite – –

Er. Wirthschaft? Einschränkung? ansehnliche Summen? – Gutes armes Kind, zu spät! alles zu spät! – Meine, nicht, wie du so schonend sagst, unsere Schulden, belaufen sich so hoch, daß ich um sie zu bezahlen, noch die Summe werde angreifen müssen, die mir mein Onkel in anderer Absicht vermachte, eine Absicht, die ich segne; es war gewiß die, mich aus gewissen Verbindungen, – von einem Orte, wollte ich sagen, loszureißen, der mich in tausend Ausschweifungen stürzte. – Du schweigst? die Bestürzung hemmt deine Stimme? – O ströme lieber alle Vorwürfe über mich aus, als diese Thränen!

Ich. Vorwürfe? – ich habe keine. Und wäre die Sache noch schlimmer, als du sie beschreibst, nun, so wären wir so arm als ich war, da [51] ich deine Frau ward; ich habe Armuth ertragen gelernet, aber du?

Er. (Indem er sich vor die Stirn schlug) Unausstehlich! unausstehlich! – Du, die du am meisten unter meinen Vergehungen leidest, so gütig? und andere, die nicht durch mich verlohren, nur gewonnen haben – Personen, um derentwillen – Ich weiß nicht was ich sage. – Laß mich!

Er verließ mich in einer gänzlichen Betäubung. Die Dinge, die er mir entdeckt hatte, waren schrecklich und unerwartet, seine letzten Worte räthselhaft. Ich unterdrückte meine Empfindungen, und eilte zu einer zweyten Unterredung mit ihm, in welcher mir es mit Mühe gelang, die Erlaubniß, seine Rechnungen zu durchsehen, von ihm zu erhalten. Er hatte nicht Muth genug, es selbst zu thun, und wollte es einem Fremden auftragen; ein Entschluß, der sein Unglück vollends auf den höchsten Gipfel gebracht haben würde.

Freylich waren gewisse Punkte in seinen Ausgaben, die niemand weniger als ich hätte wissen sollen, und bey welchen es auch für mich bedenklich war, wenn er wußte, daß sie mir bekannt waren. Aber ich faßte mir Muth, nahm halb mit, halb wider seinen Willen alle Papiere zusammen, die zur Berichtigung unserer Sache gehörten, versicherte ihn lächelnd, daß wenn ich Geheimnisse fänd, meine Augen vor allem außer den [52] Zahlen verschlossen bleiben sollten, und entfernte mich. – Ich erstaunte über die Summen die ich erblickte, und ich läugne es nicht, der Name seiner guten Freundinnen aus der Stadt, die ich auf allen Seiten fand, wo etwa eines Juwelierers, eines Seidenhändlers, oder einer Putzkrämerinn gedacht war, preßten mir mehr Thränen aus, als die Summen, die ihnen zu Liebe verschwendet worden waren.

Ich dachte an mein Versprechen, meine Augen vor gewissen Dingen zu verschließen, und that das Gelübde hinzu, auch meinen Mund verschlossen zu halten; das ist, selbst der Vertrauten aller meiner Geheimnisse, meiner Tante, nichts von unsern geheimen Angelegenheiten wissen zu lassen; ein Entschluß, der mir um so viel leichter zu erfüllen ward, da ich, wie ich anfangs fürchtete, ihrer Hilfe nicht dabey nöthig hatte. Die fürchterliche Summe, die ich von allen diesen Summen herausbrachte, überstieg freylich das, was mein Mann von der Güte seines Onkels erhalten hatte, aber mit Hilfe einiger kleinen Geschenke, die ich von Zeit zu Zeit, theils von meinem Albert, theils von Madam Haller erhalten, und zum Glück nicht verschwendet hatte, gelang es mir, unsere Schulden völlig zu tilgen, ohne die Summe angreifen zu dürfen, die den Grund unsers Glücks an einem andern Ort legen sollte.

Mein Mann schloß mich in seine Arme, so zärtlich wie an unserm Verlobungstage, und überhäufte [53] mich mit Lobsprüchen, aber schnell fuhr er zurück, fragte mich, was Madam Haller zu der Sache meyne, und drückte mich von neuem noch fester an sein Herz, als ich ihn lächelnd fragte, ob es nothwendig sey, daß sie um unsere geheimen Angelegenheiten wisse?

Tausend Versprechungen, deren wahren Sinn ich mich nicht zu verstehen stellte, folgten dieser Umarmung, und eine umständliche Beichte aller vergangenen Dinge würde den Schluß gemacht haben, wenn ich klein genug gedacht hätte, ihm ein so demüthigendes Bekenntniß zu gestatten. Ich legte meine Hand auf seinen Mund, küßte ihn, und hüpfte zum Zimmer hinaus, so froh, als ob man mir dreymal die Summe geschenkt hätte, von welcher hier die Rede war.

Was mochte mich doch so froh machen? Vielleicht die wiederkehrende Zufriedenheit meines Mannes? Vielleicht seine verneute Zärtlichkeit? Vielleicht seine Bereitwilligkeit an den Ort seiner künftigen Bestimmung zu gehen? Oder sollte es nicht vielleicht heimliche Freude gewesen seyn, daß er, wie ich aus einigen halbgesprochenen Worten errieth, in seiner gegenwärtigen traurigen Lage, meine Nebenbuhlerinnen in ihrer wahren Gestalt kennen gelernt hatte; daß er vielleicht jetzt von ihnen so schimpflich war verlassen worden, als sie verdient hätten, von ihm verlassen zu werden? – Der Himmel verzeihe mir diese Schadenfreude, welche auf den höchsten Gipfel stieg, als meine [54] Muthmaßungen des andern Tages durch die Relation der Madam Haller bestättiget wurden. – Weis der Himmel, woher die Frau alles erfuhr. Sie konnte mir diese für mich so trostvollen Scenen so lebhaft mahlen, als ob sie selbst dabey zugegen gewesen wäre. – Ich bewundere ihre Talente hinter alles zu kommen, die wirklich einem Pariser Polizey-Lieutenant Ehre gemacht haben würden, aber die Rolle bey einer von meinen Töchtern zu spielen, die sie in diesem Stück bey mir übernahm, würde ich mich nie verstehen; es gehört große Klugheit dazu, gewisse Dinge zu wissen und sich gut dabey zu verhalten; Unwissenheit ist in dergleichen Fällen tausendmal besser, als die genaueste Kenntniß.

10. Kapitel. Die alte Frau wird doch ganz zum Kinde
Zehentes Kapitel
Die alte Frau wird doch ganz zum Kinde mit ihrem Sohn Samuel

Nichts hielt uns nunmehr ab, an den Ort zu eilen, an welchem mir so manche neue unerwartete Auftritte bevorstanden. – Das was mich vorher mit den grausamsten Besorgnissen erfüllte, die geringe Entfernung des Orts, wohin wir gedachten, von demjenigen, den wir verliessen, ward jetzt, da ich den Umgang mit meinen Nebenbuhlerinnen gänzlich aufgehoben wußte, der Grund meiner [55] lebhaftesten Freude. Hätte ich ohne diesen Umstand meinen guten Vater so oft sehen können, der sich nicht von seinem Paradiese, wie er es nannte, trennen wollte, und den zu besuchen, oder Besuche von ihm zu erhalten nun eine so leichte Sache war.

Mit frohen Herzen kamen wir zu Hohenweiler an. Wir fanden eine kleine artige Stadt in einer herrlichen Gegend, die Leute hatten einen gewissen treuherzigen Ton, der mir gefiel, man schien wenig auf Eitelkeit und Flitterstaat zu halten, und die Nothwendigkeiten des Lebens kaufte man in einem so geringen Preiße, daß ich heimlich über die großen Ersparnisse, die wir hier bey einem ganz guten Einkommen machen wür den, jauchzte. Meine Tante, der ich meine Plane vorlegte, lachte, und nannte mich geizig; die liebe Frau, sie wußte nicht wie schlecht es mit unserm Vermögen stand! doch ich will nicht klagen; hatten wir nicht genug für uns und unsere Kinder, und die Armen, deren es hier wie überall gab?

Mein Mann schien sich ganz gut in ein Leben ohne Ueberfluß und Mangel zu schicken. Seine Arbeiten würzten ihm die kleinen wohlfeilen Freuden, die wir uns gewähren konnten, und ich habe ihn in den damaligen Zeiten oft betheuren hören, daß er bey unsern Erndten- und Kirchweihfesten, und in den frohen Tagen unserer Weinlese, mehr wahre Freude empfunden habe, als bey den kostbaren Lustbarkeiten seiner Geburtsstadt.

[56] Unsere Kinder wuchsen indessen heran, und es ist Zeit, da nun einige von ihnen in die Jahre kamen, in welchen sich die Grundlinien der Charaktere besser bemerken lassen, daß ich etwas von ihnen sage, da sie nach meiner Absicht der Hauptgegenstand dieser Blätter seyn sollen, und da ich von ihnen bis jetzt noch nichts als die Namen genannt habe.

Du, mein Sohn Samuel, – doch ich halte es für gut, jetzt, da ich von euch, meine Kinder, sprechen und so manches Gute und Böse von euch zu sagen haben werde, mich nicht besonders an euch zu wenden, sondern von euch als Abwesenden zu reden; ein Kunst griff, den ich, wie ihr wißt, in eurer Kindheit oft mit gutem Nutzen brauchte. Wenn ich Hannchen in Alberts Gegenwart mit vielem Ernst erzählte, daß, da es ihm an Fleiß und Aufmerksamkeit zum Lernen zu fehlen schien, er nächste Ostern bey dem Gärtner in die Lehre gethan werden sollte, und wenn ich das kleine Julchen gegen Amalien lobte, daß sie Jukundens vernachläßigte Blumen begossen, und ihr vergessenes Garn von der Bleiche genommen habe, so that dies immer ganz unvergleichliche Würkung. Bey euch als Erwachsenen, habe ich nun zwar solches als Zucht und Besserungsmittel nicht mehr nöthig, aber doch wird es euch manches Erröthen, und mir manches Stocken in meiner Rede ersparen, wenn ich euch Lob und Tadel nicht unter die Augen zu sagen scheine.

[57] Mein Samuel, mein Liebling, war in dem Zeitpunkt, von welchem ich jetzt sprechen will, ein schlanker, schwarzäugiger, bräunlicher Knabe, mit finsterm lockigten Haar, einer etwas gebogenen Nase und einer freyen offenen Stirn, welche der Sitz ofner Redlichkeit und frohen Muthes zu seyn geschienen haben würde, wenn nicht ein gewisser Zug zwischen den Augen, der ihm etwas finsteres gab, den, der ihn nicht ganz kannte, oft zu widrigen Urtheilen bewogen hätte. Bis auf diesen Zug war er das lebendige Ebenbild seines Vaters, und doch – um wenig zu sagen, nicht sein Liebling. Er konnte wenig thun, was nicht von ihm getadelt wurde, und ich, so sehr ich auch diese Strenge mißbilligte, war doch zu klug, mein Mißfallen über dieselbe zu äußern; ein Umstand, in welchem vielleicht der erste Grund von jenem düstern zurückhaltenden Wesen zu suchen ist, das ich, als er älter ward, nie ganz besiegen konnte, und das er selbst gegen mich, die ihn so sehr liebt, nie völlig ablegt.

Seine erste Erziehung erhielt er von meinem Vater, welcher ihn in dem Grade immer lieber gewann, als er von dem Seinigen vernachläßigt wurde. Der beständige Umgang mit einem Mann, der sich dem Grabe mit eben so starken Schritten nahte, als er, der Knabe, dem Leben, und der vollen Entwickelung seiner Kräfte entgegen reifte, war vielleicht die Ursach, warum Samuel frühzeitig ernst und richtig denken lernte, aber auch dasjenige, [58] was ihn um die reinen ungetrübten Freuden der Kindheit brachte, die desto vollkommener geschmeckt werden, je weniger Nachdenken und Ueberlegung sie uns verbittert.

Der fast ununterbrochene Aufenthalt bey seinem Großvater machte den Knaben seinen Geschwistern fremd. Er war nie der Gefährte ihrer Spiele, immer ein strenger Tadler ihrer kleinen Unbesonnenheiten, nie ihr Ankläger und allemal, wenn Exempel statuirt wurden, ihr eifriger Vorbitter. Bey solchen Gelegenheiten hatte er Worte und Thränen im Ueberflusse, die ihm zu Führung seiner eigenen Sachen immer gebrachen. Ich hasse den Knaben, sagte mein Mann, welcher wie ein Greis denkt und handelt; er ist entweder ein Heuchler, oder ein Wunderding, das mir so widrig vorkommt, als ein bärtiges Kind. – Samuel wurde, welches ich nicht mißbilligen konnte, von meinem Vater hinweggenommen, und auf eine öffentliche Schule gethan.

Sein Fleiß, sein Ernst und seine stille Aufführung machte ihm seine Lehrer zu Freunden, und seine Mitschüler zu heimlichen Spöttern und Verächtern; er taugte gar nicht in die Gesellschaft von Kindern. Ohne den Willen zu haben einen von seinen Gefährten zu kränken, gab er Gelegenheit zu tausend Zwistigkeiten, wenn er sich unter sie mischte. Aus lauter Liebe zur Ordnung richtete er überall Unordnung an, und immer nahm er jedes Spiel, als eine so ernsthafte Sache auf, daß er [59] die ganze Freude verdarb. Ein paar Beyspiele von dieser seltsamen Laune eines neun-oder zehnjährigen Knaben.

Es war auf dieser Schule gebräuchlich, zu gewissen Zeiten öffentliche Schauspiele zu geben, welche man von den Kindern aufführen ließ; eine Gewohnheit, welche ich, die nicht viel auf das Theaterwesen und alle solche Weltlichkeiten hatte, eben nicht billigte, doch da hier meistens biblische Geschichten vorgestellt wurden, mir gefallen ließ.

In der Geschichte von Joseph gab man meinem Samuel, weil er ein gutes Gedächtniß hatte, und es hier viel zu reden gab, immer die Hauptrolle, und er hatte sich so ganz in den Charakter seines Helden hineinstudirt, daß man sich beredete, wenn man ihn so vor sich sah, er sey der leibhaftige Joseph; eine Sache, die er die ganze Zeit über, da er diesen Namen führte, im vollen Ernst zu glauben schien. Wahrhaftig die Thränen traten einem in die Augen, wenn man ihn bey so manchen Scenen in solcher Noth erblickte, und doch immer so gut und so fromm, und recht so wie man seyn muß!

Die Geschichte war auf verschiedene Theile verhandelt worden. Einer von den letzten war noch übrig, und ich war recht froh, die Feinde meines Josephs gedemüthiget, ihn als den Liebling eines großen Königs, und nun auf dem Punkte zu sehen, der Wohlthäter seiner Familie zu werden; ein Umstand, den ich für ominös hielt, und [60] es für eine Art von Vorhersagung annahm, was mein Sohn einmal den Seinigen werden könne.

Der erste Aufzug dieses für mich so erwünschten Schauspiels gieng an. Der König Pharao mit einer güldenen Krone, und mein Joseph in einem schönen langen Talar, und mit einer von meinen besten goldenen Ketten um den Hals traten auf. Es ward von der Bewirthung der ankommenden Erzväter gesprochen, seine Majestät machten einige Einwendungen, welche der Dichter darum eingeführt hatte, um dem Stadthalter von Aegypten Gelegenheit zu geben, dem Könige eine kleine Beschreibung von seinen Brüdern zu machen, und ihn zu bedeuten, daß sie keinesweges geringe Leute, sondern Enkel Abrahams wären u.s.w. Ich weiß aber nicht, wie es kam, daß der kleine Redner sich ganz vergaß, die gutgemeinten Worte seines Herrn sehr hoch aufnahm, und mit gänzlicher Hintansetzung seiner Rolle, dem armen Pharao aus dem Stegereif einige Vorhaltungen that, welche ziemlich bitter waren. Dieses hätte noch hingehen mögen; aber er gerieth endlich so in Feuer, daß er die Zeitrechnung ganz vergaß, und den König über Dinge zur Rede stellte, die erst einige Jahrhunderte später vorgefallen waren. Seine Majestät kamen aus aller Fassung, denn für solche Sachen stand keine Antwort in ihrer Rolle; ich, die ich auf einer Bank zunächst am Theater saß, machte dem Stadthalter einige bedeutende Zeichen mit dem Fächer; in den Scenen winkte und [61] hustete der Direkteur des Spiels: umsonst; Josephs Zunge strömte unaufhaltsam fort. Er war eben bey den zehen ägyptischen Plagen, nannte den König einen Verderber seines Volks, und würde dem armen Herrn sicher alle Verbrechen aufgebürdet haben, die je ein Pharao that, wenn man ihn nicht endlich mit Gewalt abgeführt und den unschuldigen König gerettet hätte.

Keine Bitten, keine Vorstellungen konnten den armen Joseph, nachdem er seines Versehens überwiesen war, bereden, seine Rolle vollends auszuspielen. Ich ward hinter die Scenen gerufen, aber auch meine Worte galten nichts, ich mußte mich unverrichteter Sachen wieder hinsetzen, und die Freude entbehren, Joseph seinen Benjamin, welche Rolle mein kleiner Albert machte, umarmen zu sehen, mußte alle diese herrlichen Scenen von einem großen fünfzehnjährigen Purschen, der mich nichts angieng, verstümmeln sehen, und beschämt und unerfreut nach Hause gehn.

Mit vieler Mühe ließ Samuel sich bereden, nach diesem traurigen Vorgang nach Hause zu kommen, weil er den Spott seines Vaters fürchtete, den ich auch kaum zurückzuhalten vermochte. Noch schwerer ward es, ihn in der Folge zu bereden, wieder auf dem Theater zu erscheinen. Man wollte die Geschichte von den Knaben Daniels geben, und versprach ihm, um seinen Ehrgeiz zu reizen, die Rolle des Königs. – Er machte schon einige Schwürigkeiten die Person eines so bösen [62] Mannes, wie dieser in seinen Augen war, vorzustellen; doch drangen meine Vorstellungen, daß dieses nicht Tugendliebe, sondern Hartnäckigkeit sey, sich dem Willen seiner Lehrer zu widersetzen, endlich durch. Er machte seine Sachen vortreflich, bis es darauf ankam, das Urtheil über die Angeklagten zu sprechen; da überfiel ihn der Abscheu vor seiner Rolle von neuen. Er versicherte, er würde das Theater nur dazu betreten, um die Unschuldigen loszusprechen, und die Zuschauer würden sich, so lange er König hieß, vergeblich auf die Scene des Verbrennens freun.

Indessen dieses innerhalb der Coulissen vorgieng, harrten wir draußen vergebens auf den Schluß des Schauspiels. Mir ahndete nichts gutes, und ich dachte ohnmächtig zu werden, als ein anderer Darius herauskam, und die Gefangenen so eilig zum Tode förderte, daß man sogar den Engel, der sie retten sollte, darüber vergaß. Das Stück nahm Knall und Fall ein Ende, ohne daß ich meinen kleinen König wieder zu Gesichte bekam.

Ich eilte zu den Präzeptoren. Samuel hatte sich diesesmal wirklich ein wenig zu trotzig, und fast für einen Knaben von seiner Art, der doch Scherz und Ernst wohl unterscheiden konnte zu kindisch aufgeführt, er verdiente die Strafen, welche man ihm auflegte; aber – was zu viel ist, ist zu viel! Wir nahmen ihn aus dieser Schule und thaten ihn auf das Gymnasium zu R... wo er unter allen Schülern der jüngste, und doch wegen [63] seiner guten Kenntnisse sehr willkommen war. Er wollte nun einmal, in seinem zehnten Jahre, ungeachtet mancher kindischen Thorheit, die ihm noch anklebte, für einen Erwachsenen gehalten werden, und seine Lehrer wußten diese Grille so gut zu benutzen, daß er ohne weitere Abentheuer von voriger Art bis in sein siebzehntes Jahr zu R... blieb. Er sollte nunmehr die Universität beziehen, und besuchte uns vorher zu Hohenweiler, da wir ihn so zu seinem Vortheil verändert sahen, daß selbst mein Mann – – Doch ich darf der Geschichte nicht vorgreifen; ich werde zeitig genug auf die traurige Epoche kommen, da ich ihn wieder sah, um ihn durch meine Schuld plötzlich von neuem zu verlieren.

11. Kapitel. Die Matrone besinnet sich
Eilftes Kapitel
Die Matrone besinnet sich, daß sie noch andere Kinder habe. Wieder etwas zu Ehren ihres Mannes

Ich habe mich bey meinem Samuel zu lange aufgehalten, und werde, um nicht zu weitläuftig zu werden, seine Geschwister kürzer abfertigen müssen. Auch waren sie, wenn ich es recht bedenke, fast alle noch zu klein, um so viel von ihnen sagen zu können, als von ihrem Bruder. Meine älteste Tochter Ninnchen zwar, oder Ninon, wie ihr eitler [64] Vater ihren christlichen Namen verdrehte, zeigte frühzeitig was sie werden wollte, ein kleines eitles Ding, der man es zu oft hören ließ, daß sie unter ihren Schwestern die Schönste sey.

Hannchen und ihr Zwillingsbruder, Albert, waren, zörnet nicht, meine andern Kindern, waren allemal nächst Samuel meine Lieblinge, und es kostet mich viel, bey ihrer Beschreibung kürzer zu seyn, als bey ihrem Bruder. Wie viel hätte sich schon in ihrer damaligen Kindheit, – beyde waren etwa sieben oder acht Jahr, von ihnen sagen lassen! Wie viel Dinge, aus welchen sich die nachmalige Entwickelung ihrer Charaktere und ihrer Schicksale hätte schliessen lassen! – Beyde hatten in ihren Gesinnungen etwas ähnliches, so wie ihnen die Natur eine wundervolle Gleichheit in der Bildung verliehen hatte. Beyde besaßen tiefe innige Gefühle, nur daß sie bey Alberten wegen seines Leichtsinns vorübergehender und bey Hannchen wegen eines gewissen Hangs zu stiller schweigender Schwermuth daurender, daurend bis zum Tode waren.

Beyde waren schön, besonders Hannchen. – Wird es mir erlaubt seyn, sie hier zum zweitenmal mein Ebenbild zu nennen? – Die kleine Eitelkeit von ihren vorigen Reizen zu sprechen, ist der Matrone ja wohl so leicht zu verzeihen, als der Stolz auf vergangene Siege dem alternden Helden?

[65] Jukunde war von dem ersten Augenblick an, da das Mädchen zeigt, auf welche Seite sie sich neigen will, ein leichtsinniges, freches, verdachtloses Geschöpf, vorwitzig bis zum Uebermaas, und gutherzig bis zur Thorheit, schön, wie dem Himmel sey Dank die meisten meiner Kinder, und auch in Ansehung des Verstandes nicht von der Natur vernachlässigt; aber viel zu flatterhaft, ihn auszubilden, viel zu sehr mit sich selbst zufrieden, um sich Talente zu erwerben. Gewiß zu gefallen, hatte sie Muth genug, sich mit ihren geringen Geschicklichkeiten vor Meistern zu zeigen, und sonderbar war es, daß niemand es wagte, sie zu beschämen. Schon in ihrer Kindheit, wenn ich zu ihr sagte, Cundchen, erzähle die Geschichte von dem guten Kinde, oder singe das Lied von den drey Mädchen im Walde, so trat sie vor die größte Gesellschaft hin, und sang und erzehlte, ohne sich durch Lob oder Tadel irre machen zu lassen.

Nicht so Amalie. Ihr wißt, meine Lieben, Amalie war nicht schön. Von jeher schien ihre Gestalt einige Jahre jünger, und ihr Gesicht ein gutes Theil älter zu seyn als das ganze Mädchen. Sie wußte dieses, und ein gewisses stilles bescheidenes Wesen, nebst einem unablässigen Bestreben, sich auf andere Art gefällig zu machen, machte sie zu keinem uninteressanten Gegenstand, bis sie auf den unseeligen Einfall kam, durch ihren Verstand zu glänzen; ihr erinnert euch ohne Zweifel noch [66] gewisser Begebenheiten die – Doch alles zu seiner Zeit, wie mein güldner Wahlspruch lautet.

Von rechtswegen sollte ich nun auf dich, Julchen, kommen. Ich weiß, du hast schon lange deinen Namen in diesen Blättern gesucht, und dich gewundert, daß ich die Nachwelt noch nicht einmal benachrichtigt habe, daß du erst zu Hohenweiler auf den Schauplatz getreten, daß du meine Jüngstgeborne, und wahrscheinlich ausschließend zur Pflegerinn meines schwachen Alters bestimmt bist. Ist dir dieses genug, oder fordern deine forschenden Augen noch mehr? – Nun wohl: Du bist schön und gut, wie ehemals deine Schwester Hannchen war, feurig wie Albert, gefällig wie Amalie, unbesonnen wie Jukunde, nur was Neugierde und Schwatzhaftigkeit anbelangt, scheint dich die Natur mit besondern Gaben bedacht zu haben; wir werden in der Folge Exempel davon hören. Zu deiner Besserung sey dir dieses gesagt, du bist zum Glück der Zucht noch nicht entwachsen.

Euch so zu nehmen wie ihr waret, und ganz das aus euch zu bilden, was meine mütterliche Liebe wünschte, was ihr vielleicht nach euren verschiedenen Anlagen hättet werden können; euch vor allen den Klippen vorüberzuführen, an welche euch eure Tugenden und eure Fehler antreiben konnten, dazu mangelte es mir an Stärke und Fähigkeit. Eurer waren zu viel, um ganz von mir übersehen zu werden. Wie glücklich wär ich gewesen, bey dieser bedenklichen Sache einen Gehilfen zu haben!

[67] Dieser Gehilfe hätte freylich wohl euer Vater seyn sollen, aber welcher mit Amtsgeschäften überladene Mann denkt daran, daß die Pflichten, die er als Hausvater auf sich hat, um keiner andern willen ganz vernachläßigt werden dürfen? – Sehr emsig war Herr Haller in seinem Amte, und doch hatte ich Ursach zu muthmassen, daß seine Zeit zuweilen auch von andern Geschäften, welche hätten unterbleiben können, hinweggenommen wurde. Die traurigen Auftritte in seiner Geburtsstadt waren längst vergessen; die Sorgen und die ansehnlichen Summen, die es uns kostete, uns damals aus unsern Schulden zu reißen, waren Dinge, aus einer andern Welt, die uns nichts mehr angiengen, die vorbey waren, und deren Andenken man so sehr scheute, daß man unvermerkt auf den Weg gerieth, den ehemaligen Auftritt wieder erneuert zu sehen.

Madam Haller, meine Mutter, meine Vertraute, meine treuste Freundinn, meine Trösterinn, die einige Gehilfinn, die ich bisher bey der Erziehung meiner Kinder gehabt hatte, sah, daß ich mir Sorge wegen der Zukunft machte, aber ich konnte ihr den Grund meiner Besorgnisse nicht entdecken, ohne zugleich ihr vergangene Dinge mitzutheilen, die ich meinem Mann ewig zu verschweigen gelobt hatte. Sie war, da sie die ganze Lage der Sachen nicht wußte, auch nicht im Stande mir ihren Rath auf so wirksame Art zu ertheilen, als ich es bedurfte, und, o Gott, sie [68] sollte bald gänzlich von mir genommen werden, ich sollte bald gänzlich mir selbst in den Verlegenheiten überlassen seyn, die ich von ferne sah. –

Es ist mir unmöglich, die Trennung von ihr umständlich zu schildern. – Es mag hier eine Lücke bleiben, welche diejenigen von meinen Kindern, die mich so liebten, wie ich meine Tante, nach meinem Tode mit ihren Empfindungen ausfüllen können. –

Herr Haller war, wie er sagte, kränklich; der Arzt hatte ihm eine Reise nach Spaa verordnet; die zunehmende Schwachheit seiner Tante konnte ihn nicht zu rück halten, er reiste ab, blieb lange außen, kam wieder und – fand mich in tiefer Trauer über den Tod derjenigen, deren Namen ich hinfort nie ohne Thränen nennen sollte. – Ich fand ihn auf eine seltsame Art verändert. Das finstere Wesen, das ich schon vor seiner Abreise an ihm bemerkte, hatte sich in eine Hastigkeit und Wildheit verwandelt, die mir fürchterlich war.

Ohne fast dem Andenken der ehrwürdigen Madam Haller eine Thräne zu schenken, eilte er, ihre Verlassenschaft zu untersuchen, welche ihm ganz anheim fiel. Ich erfuhr wenig von dem was er fand, und welches seine Plane für die Zukunft waren; auch scheuete ich mich, nach Dingen zu fragen, welche zu Erklärungen führen mußten, von welchen mir nichts gutes ahndete.

Madam Haller hatte mir in ihren letzten Tagen, als ich jeden Beweis ihrer Großmuth ausschlug, [69] der meinen Vortheil von dem Vortheil meines Mannes zu trennen schien, ein Geschenk mit zwo englischen Lotterielosen gemacht. Dieses hier, sagte sie, ist für dich, und dieses gieb deinem Manne zu meinem Andenken; wenn er glücklich damit ist, so soll er es zum Besten meiner Enkel, seiner Kinder anwenden; ihr Vater muß ja wohl ihr bester Vormund seyn.

Ich übergab meinem Manne dieses letzte Vermächtniß seiner Wohlthäterinn; er riß das Papier hastig von einander, und warf es, als er sahe was es enthielt, unwillig auf die Seite. Wie konntest du mich so täuschen? rief er mürrisch aus; Eine Banknote von – von – ach nur von einigen hundert Gulden, sollte mir jetzt lieber gewesen seyn, als diese betrügerische Anwartschaft auf ein zweifelhaftes Glück.

Wie wär es möglich, sprach ich, daß dir in deiner gegenwärtigen Lage, eine so kleine Summe fehlen könne? – Dieser Frage folgte eine Erklärung, welche derjenigen kurz nach dem Tode des alten Herrn Hallers, völlig gleich kam, nur mit dem Unterschied, daß keine Damen dabey in Anschlag kamen, als die berüchtigten vier Königinnen, die so manche Familie zu Grunde gerichtet haben.

Daß Herr Haller seine Nebenstunden, deren er, seit er sich einen Amtsgehilfen angenommen hatte, viel haben mußte, dem Spiel widmete, hatte ich längst vermuthet. Eine benachbarte [70] Stadt, in welche er Amtshalber oft reiten mußte, hegte Gesellschaften, welche ihn an diesem unschuldigen Zeitvertreib, wie er es nannte, sehr gern Theil nehmen ließen. Dieses wußte ich, aber daß Gewinn und Verlust hier so ins Große gieng, daß Herr Haller nach Spaa gereist war, nicht seiner, sondern der Kränklichkeit seines Beutels abzuhelfen, und daß er dort unter ausgelernten Spielern seinen völligen Untergang gefunden hatte, das war mir eine zu schreckliche Neuigkeit, als daß ich nicht unter derselben hätte erliegen sollen.

Ich ward bey dem Bekenntniß meines Mannes ohnmächtig, und die wenige Zärtlichkeit, mit welcher er mich ins Leben zurück rief, zeigte, daß sein Herz bey weiten nicht mehr das nämliche war, wie bey seinen ehemaligen Verirrungen. – Fast machte er mir mein Schrecken über das was ich gehört hatte zum Vorwurfe, und das was ich ehemals zu ihm sagte um ihn zu trösten, ich sey arm gewesen und habe also Armuth ertragen gelernt, das mußte ich jetzt aus seinem Munde als Vorwurf hören.

Es muß doch wohl wahr seyn, was einige Kenner des menschlichen Herzens behaupten, daß Liebe zum Vergnügen das Herz dem Eindruck des Guten nicht so sehr verschließt, als Spielsucht, und Begierde nach unrechtmäßigen Gewinn, – denn dieses wird der elende Erwerb durch die Karten in meinen Augen ewig bleiben, und wenn er nach [71] den gewissenhaftesten Regeln des Spiels eingerichtet ist. – Es erfolgten jetzt keine wehmüthigen Bekenntnisse vergangener Vergehungen, keine Wünsche, das Geschehene ungeschehen machen zu können, keine Gelübde der Besserung, sondern die Sache, die mich in solche Bestürzung setzte, brauchte keine Apologie in seinen Augen, war ein Fall des Glücks, welcher das nächstemal anders seyn und alles wieder ersetzen konnte, was man jetzt etwa aufopfern mußte. – Das nächstemal! Gott! also nicht einmal eine Hoffnung, daß man nun still stehen, sich besinnen und anders werden wollte.

Ich bekenne es, jetzt ward mir es schwer, in meiner Fassung zu bleiben. Ich entfernte mich, um nicht durch ein unüberlegtes Wort, – zum Glück hatte ich noch gar nichts gesagt, – alles zu verderben, und die Gewalt, die ich doch etwa noch über meinen Mann hatte, ganz zu verscherzen. – Nur durch Sanftmuth, nur durch lächelnde Gefälligkeit konnte mir es jetzt gelingen, die Sache in ihrem ganzen schrecklichen Umfange und in allen ihren Theilen zu erfahren. Ich brauchte diese Mittel, so schwer mir auch diesmal ihre Anwendung wurde, und die Entdeckung, die mir dafür zu Lohne ward, war diese, daß alles, was die gütige Madam Haller uns hinterlassen hatte, die Beute hungriger Spieler werden mußte, und daß auch sogar einige dieser Herren, auf dieses Haus und diesen Garten angewiesen waren, von welchem ich mich nun also auch trennen sollte.

[72] Ich weiß nicht, ob es blos Wunsch diesen meinen Lieblingsaufenthalt zu erhalten, oder Ueberbleibsel alter Liebe zu einem unverbesserlichen Verschwender war, was mich bewegte alles aufzuopfern, um meines Mannes gierige Schuldner, deren einige sich bald persönlich einfanden, augenblicklich zu befriedigen; ich besaß einige Kostbarkeiten, Geschenke der ehemaligen Liebe meines Mannes, ich entblößte unser Haus von allem Hausrath, der einigen innern Werth hatte, und kam zuletzt auf den Einfall unsere englischen Loose zu versetzen. Leider hatte mein Mann das seinige, als ich darnach fragte, bereits für eine Summe, die kaum nennenswerth war, verkauft, und mir fiel der Gedanke vom verscherztem Glück dabey mit so wütender Ahndung aufs Herz, daß ich mich entschloß, mein Loos als ein Heiligthum anzusehen, es vor mir selbst zu verbergen, daß ich es habe, es vor jedermann zu verschweigen, und jetzt auf alle mögliche andere Art Rath zu schaffen. Etwas weniges von entbehrlichen Kleidern und Wäsche, und vor allen eine ziemliche Quantität Leinwand, die ich sehr gut in meinem Hause weben ließ, brachten endlich die Summe zusammen, die uns noch fehlte, wir wurden unsere beschwerlichen Gäste los, und ich bemühte mich meinen innern Unwillen gegen den, der der Ursacher aller dieser verdrüßlichen Auftritte war, zu verbergen.

Was ich durch diesen Zwang verlor, war eben dieser Unwille, den ich, so wie ich ihn zu [73] unterdrücken suchte, immer mehr in meinem Herzen ersterben fühlte, und was ich gewann? – o Himmel, mehr als ich je zu gewinnen gehofft hätte! Das Herz meines Mannes ward durch mein Betragen erweicht, ich sah ihn noch einmal reuevoll in meinen Armen. Gelübde, zu heilig von ihm gebrochen zu werden, entsagten dem Spiel auf ewig; ich bekam den Namen der besten, treusten, tugendhaftesten Frau, und noch zur Zugabe etwas, das mir lieber war, als alle schönklingenden Ehrennamen, die Erlaubniß, unsere ganze Einrichtung nunmehr nach meinem Gefallen, oder vielmehr nach unserm jetzigen Zustande anzuordnen. Freylich war nunmehr das, was wir vor einigen Jahren Einschränkung nannten, jetzt Schwelgerey für uns, die wir nun nichts mehr besaßen, als den Verdienst meines Mannes; für uns, die wir nun auch keine entfernte Hoffnung mehr auf künftige Verbesserung unsers Zustandes, keine Freundinn wie Madam Haller mehr hatten, zu welcher wir im äussersten Nothfall, gewiß Hilfe zu finden, unsere Zuflucht hätten nehmen können.

12. Kapitel. Ein Stück aus der Haustafel
Zwölftes Kapitel
Ein Stück aus der Haustafel

Ich habe es immer für gut gehalten, daß Kinder, wenn sie auch die reifen Jahre noch nicht erreicht haben, doch nicht ganz unwissend in Dingen [74] gelassen werden, welche ihre Aeltern, und also auch sie unmittelbar angehen.

Ich nahm eines Abends, als mein Mann noch von einer Reise wegen Berichtigung seiner Angelegenheiten nicht zurück war, euch alle meine Lieben vor. Ich hatte euch alle beysammen, denn eben an selbigem Abend war mein Sohn Samuel bey uns angekommen, welcher nun die Schule verlassen hatte, und auf die Universität gehen sollte.

Meine Kinder, sagte ich zu euch, ich weiß, daß es bisher einige unnütze Leute gegeben hat, welche euch bereden wollten, eure Aeltern seyen reich, und könnten euch einmal ein großes Glück in der Welt verschaffen. Ihr seyd jetzt erwachsen genug, um von mir das Gegentheil zu erfahren, von mir es zu hören, daß eure Großtante Madam Haller eure einige Wohlthäterinn war, und daß ihr durch ihren Tod nicht allein ihre theure Gegenwart, ihren lehrreichen Umgang, sondern auch manche kleine Vortheile verlohren habt, die ihre Großmuth euch gewährte, und welchen ihr nun entsagen müßt. Du, mein Sohn Samuel, glücklicherweise bist du jetzt gegenwärtig, um meine Ermahnungen selbst zu hören; du stehst im Begriffe, die Universität zu beziehen; eile deine Studien daselbst zu vollenden, denn die Summen, mit welchen dich dein Vater unterstützen kann, werden gering seyn, und du mußt darauf denken, bald zurückzukehren, um ihm hier durch deinen Fleiß nützlich zu seyn.

[75] Du Peninna, sey nicht stolz auf deine Gestalt, und träume nicht von großen Eroberungen; kein armes Mädchen ist schön, und nichts ist lächerlicher, als Ansprüche auf etwas machen, das einem niemand zugestehen will.

Hannchen ist ein gutes Kind, und wird ihrer Mutter keine Gelegenheit geben, über sie zu klagen, aber Albert möchte wohl anfangen zu bedenken, daß man, so bald es kund wird, daß wir arm sind, seinen Unfleiß Faulheit, seine Flatterhaftigkeit Dummheit, und die allerliebsten kleinen lustigen Streiche, wegen welcher ihn bisher einige bewunderten, Wildheit und Ungezogenheit nennen wird. Ihr andern Kleinen, euch ermahne ich, daß ihr zeitig aufhört Kinder zu seyn: die Armen müssen früher klug werden, als die Reichen, denn sie haben nicht den Vortheil wie jene, daß zehn Köpfe für sie denken, und zwanzig Hände für sie arbeiten.

Sie hatten mir alle mit mehrerer Aufmerksamkeit zugehört, als ich es von ihnen zum Theil erwartet hätte. Alle versprachen mir, meinen Ermahnungen zu folgen; ich nannte sie gute Kinder, küßte sie, und hieß sie gehen, um mit meinen beyden ältesten, dem Samuel und der Peninna allein zu seyn, welche als verständiger wie die andern, eine genauere Kenntniß von unsern Umständen fordern konnten, die ich ihnen auch, soviel es ohne Nachtheil ihres Vaters möglich war, gab.

[76]
13. Kapitel. Folgen von der Predigt der weisen Frau
Dreyzehntes Kapitel
Folgen von der Predigt der weisen Frau, wie auch von ihrer neuen Einrichtung

Daß der Inhalt meiner Rede einen tiefen Eindruck auf Samuel und Peninnen machte, hatte ich schon des Abends an den Thränen der Einen, und dem ernsten tiefdenkenden Wesen des Andern bemerkt; aber daß mir den Morgen darauf ein so sonderbarer, so widriger Beweis von der Kraft meiner Worte bevorstand, das hatte ich nicht vermuthet.

Meine älteste Tochter erschien des andern Tages beym Morgengebet, mit rothgeweinten Augen, und mein ältster Sohn fehlte gar bey dieser unsrer täglichen Versammlung, wo sonst niemand fehlen durfte. Ich nahm Peninnen, nachdem ihre jüngern Geschwister sich entfernt hatten, vor, verwieß ihr ihre Thränen, von welchen ich glaubte, daß sie noch wegen der gestrigen Unterredung flössen, und fragte sie wegen der Abwesenheit ihres Bruders.

Anstatt aller Antwort, überreichte sie mir folgenden Brief, den ich euch so mittheilen will, wie ich ihn unter den Papieren, die ich mein Archiv zu nennen pflege, gefunden habe. Möchte ich doch auch im Stande seyn, euch einen Begriff [77] von der Bestürzung zu geben, mit welcher ich ihn las.

»Meine Mutter!

Nach dem, was ich gestern Abend von Ihnen erfuhr, darf ich nicht länger hier verweilen. Tausend Entwürfe, wie ich Ihnen Ihr Schicksal erleichtern wollte, durchkreuzten diese Nacht meine Seele; das einige, dessen Ausführung ich möglich fand, war der Entschluß, mich von Ihnen zu trennen, und Ihnen durch Abnehmung einer unnützen Last, die Sie lang genug getragen haben, die Sorge für meine Geschwister zu erleichtern. Ich gehe hin, nicht ein müssiges unabhängiges Leben zu führen, nicht mir einen andern Plan zu meinem künftigen Fortkommen zu machen, als den, welchen Sie mir vorgezeichnet haben; nein ich gehe auf dem Wege fort, den Sie mir bestimmten, nur an einen Ort, wo mich Ihre Wohlthaten, die ich schon zu lange genoß, nicht finden können, nur auf eine Art, die mich vielleicht schneller zum Ziele meiner Wünsche, Ihnen meine Dankbarkeit zu bezeigen, bringen kann. Es wäre Unrecht, fernere Unterstützung von Ihnen anzunehmen, da ich hoffentlich so viel gelernt habe, mir selbst helfen zu können, und doch, meine Mutter, hätte ich es allein mit Ihnen zu thun, so würde mir es vielleicht schwer werden, mich ganz von Ihrer wohlthätigen Hand loszureissen, aber mein Vater? – [78] Sie kennen seine Gesinnungen gegen mich, sie wissen, ob ich es wagen darf, bey unserer gegenwärtigen Lage auf Unterstützung von demjenigen zu hoffen, der mich nie liebte, nie mir seine Wohlthaten so willig erzeigte, wie meinen andern Geschwistern – – und der mich vielleicht aus ihnen unbekannten Ursachen, würklich hasset.«

Ach ich kann, ich kann den abgeschmackten Brief nicht vollends abschreiben. Am Ende noch etliche Worte von kindlicher Liebe und Dankbarkeit, einige Wörtgen von Wiedersehen, und so weiter, und dann den Namen des grillenhaftesten und geliebtesten unter allen meinen Kindern, – O Samuel, du zweifeltest an meiner Liebe, sonst hättest du nicht so handeln können, und gleichwohl – hätte ich dich nicht so sehr geliebt, hätte ich so auf dich zürnen können wie ich that?

Peninna überreichte mir, als ich mit Lesen fertig war, noch einen an sie gerichteten Brief, den ich um der Sonderbarkeit willen gleichfalls hersetze.

»Schwester!

Ohne von meinem Entschlusse etwas zu wissen, äußertest du gestern nach dem Gespräch mit unserer Mutter, ein ähnliches Vorhaben mit mir. Ich will dir es glauben, daß du dich fähig hältst, außer dem väterlichen Hause fortzukommen, aber hüte dich hierinnen einen Schritt zu thun, wie ich ihn that; was bey dem Jüngling nicht zu [79] tadeln ist, würden bey dem Mädchen Romanstreiche seyn, die ich mir auf alle Weise bey meinen Schwestern verbitte. Das sicherste Mittel, mich, wo ich mich aufhalten möchte, plötzlich nach Hohenweiler zurückzubringen, würde seyn, wenn ich euren Namen, ich will nicht sagen, auf eine zweydeutige Art, wenn ich ihn nur überhaupt zu oft, und an Orten, da man ihn nicht kennen sollte, nennen hörte; ich glaube aber nicht, daß meine Zukunft denen, die die Ehre unserer guten Aeltern beleidigten, angenehm seyn würde. – Johanne wächst heran, ihr seyd beyde jung und nicht häßlich, wache für sie sowohl wie für dich selbst, dies wird das beste Mittel seyn, dereinst beym Wiedersehen den in mir zu finden, der ich jetzo bin, Dein' zärtlicher Bruder, S. H.«

Ich sahe Peninnen mit Erstaunen an; ich fragte sie, ob das Wahrheit sey, was ihr Bruder im Anfange seines Briefes sagte. Sie fiel mir um den Hals, und gestand mir, daß sie wirklich den Gedanken gehabt habe, den Samuel jetzt leider ausgeführt hatte, und man kann sich vorstellen, was ich ihr über diesen Punkt sagte. Ich verwies sie auf die Ermahnungen ihres Bruders, und freute mich zu finden, daß sie den gebieterischen Ton derselben nicht hoch aufnahm, sondern sich ihn gefallen ließ, als wenn es so seyn müßte. Samuel hatte sich in ein sonderbares Ansehen bey seinen Geschwistern gesetzt, sie fürchteten sich, ungeachtet [80] der wenigen Jahre, die er vor ihnen voraus hatte, fast mehr vor ihm, als vor ihrem Vater.

Meine nächste Frage an Peninnen war nunmehr, wie sie zu den Briefen gekommen sey; sie sagte, sie habe sie unter ihrer Aufschrift diesen Morgen auf ihrem Nähtische liegen gefunden, und das kleine Julchen, welche bey ihr schlief, habe Samuelen in der ersten Morgendämmerung mit dem grünen Reitrock und dem Jagdmesser an der Seite leise hereinkommen, und den Brief hinlegen gesehen.

Lieber, guter, unbesonnener Junge, wie war dirs möglich, deine Mutter so zu kränken! Was hatte ich gesagt, das dich zu diesem übereilten Entschlusse bewegen konnte? – Zwar hatte ich gefehlt, du und die leichtsinnige Peninna brauchten nicht einerley Lektion; was gerade eben hinlänglich war, diese ein wenig aufmerksam zu machen, das mußte dich gänzlich niederschlagen.

Der Entschluß, der ihrem schwindelnden Köpfgen jähling einkam, und vor dessen Ausführung mir nicht bange war, war bey dir gleich schnelle und doch wohl überlegte That, – o gewiß, ich hätte dich schonen, hätte dir vielleicht unsere ganze traurige Lage verschweigen sollen, ich hätte – Doch nichts von dem, was ich hätte thun sollen, sondern lieber etwas von dem, was ich that.

Ich machte mich auf den Weg zu meinem Vater, den ich ohnedem seit dem Tode der Madam Haller, wobey er gegenwärtig war, nicht gesehen hatte. Ich hatte doppelte Ursach zu ihm [81] zu eilen; nicht allein Wunsch, ihn, wie ich immer that, Theil an meinen Bekümmernissen nehmen zu lassen, sondern auch die Ueberzeugung trieb mich zu ihm, Samuel würde die Gegend nicht verlassen haben, ohne den Greis, den er so sehr liebte, noch einmal zu sehen, und seinen Segen zu erbitten. Oft schlich sich gar ein wenig Hoffnung mit ein, ich würde ihn noch da finden, wo ich hingedacht, würde alles gegen ihn ausschütten können, womit mütterliche Liebe und mütterlicher Zorn mein Herz erfüllte, doch diese Hoffnung zu begünstigen, war der Weg zu meines Vaters kleiner Wohnung zu weit. Ich langte dort an, der Flüchtling war da gewesen, aber zwo Stunden vor meiner Ankunft schon wieder abgereist.

Mein Vater lachte über die Unruhe, in der er mich sahe. Glaubst du denn, sagte er, ein siebzehnjähriger Jüngling, ein Jüngling wie dein Samuel, werde sich in der Welt verlieren, oder es werde ihm an Unterstützung fehlen? – O nein, was sein Fleiß nicht ausrichten kann, das werde ich thun. Samuel ist mein Sohn, und mein alter Freund Haller hat dafür gesorgt, daß ich für mich und für seinen Enkel genug habe.

Ich entdeckte ihm unsere gegenwärtige Verfassung, und meine Reue, daß ich Samuelen soviel davon gesagt hatte; er lobte das, weßwegen ich mir Vorwürfe machte, und schien das andere nicht sehr zu Herzen zu nehmen.

[82] Wenn dein Mann, sagte er, wie ich hoffen will, sich nun endlich bessert, so werdet ihr bey einem stillen und sparsamen Leben glücklicher seyn, als bey den glänzendsten Aussichten. Kinder! Kinder! ihr habt alle einen guten Hang zur Thorheit, und ich möchte wissen, was aus euch geworden wär, wenn ihr noch alles besäßet, was deines Mannes wohlthätige Liederlichkeit – – man verzeihe meinem Vater einen harten Ausdruck – euch entzogen hat. – Es ist allen deinen Kindern, auch Samuelen ist es heilsam, daß sie sich auf nichts, als auf ihre gute Aufführung zu verlassen haben. – Laß deinen Sohn immer die Welt sehen; er wirds schon erfahren, wie weit er mit seinem Eigensinn, mit seinen überspannten Begriffen von Recht und Unrecht, mit seiner Empfindlichkeit, und allen den kleinen gutgemeinten Grillen und Thorheiten kommen wird, die ich, so lieb ich ihn habe, doch nicht in ihm verkenne.

Sehr getröstet verließ ich meinen Vater. Ich wußte, er kannte den Aufenthalt meines Sohnes, ob er mir es gleich nicht ganz gestehen wollte, wußte, er würde ein wachsames Auge auf ihn haben, und für ihn sorgen, und dieses war genug zu meiner Beruhigung; eine Beruhigung, welche durch den Kaltsinn, mit welchem mein Mann, bey seiner Wiederkunft die Nachricht von Samuels Entfernung aufnahm, ich weiß nicht, ob gemehrt oder gemindert ward: ich mußte den Entschluß meines Sohns billigen, und die wenige Liebe des Vaters [83] gegen den, der ihn nie beleidiget hatte konnte nicht anders als mir mißfallen.

Unser Leben wurde nur noch stiller und ordentlicher als zuvor. Das Amthaus, ein ödes altväterisches Gebäude, welches, als wir nach Hohenweiler kamen, unsern Gedanken nach den Einsturz drohte, und nicht bewohnt werden konnte, ward jetzt auf einmal fest genug, uns zu beherbergen, und wir gaben die gemiethete Wohnung auf, welche wir bisher, wie wir uns beredeten, nur der verstorbenen Madam Haller zu gefallen bewohnt hatten. Es war auch aus dem Grunde nöthig uns ins Kleine zu ziehen, weil die Befriedigung unserer Schuldner, unsere besten Zimmer vom Hausrathe entblößt hatte; ein Mangel, der sich in einer kleinen Wohnung besser verbergen ließ. Die Zimmer im Amthause waren so dunkel, die altväterischen Tapeten würden so schlecht zu den modernen Möbeln gepaßt haben; genug es gab der Entschuldigungen im Ueberflusse, warum gewisse Dinge, die man sonst bey uns gekannt hatte, nicht mehr zum Vorschein kamen.

Ein anderes Mittel unsern gesunkenen Zustand zu verbergen, war die Einschränkung meiner Gesellschaften. Ich hatte es bisher unumgänglich nöthig gefunden, die Frau Pfarrerinn, die Frau Einnehmerinn, und einige andere vornehme Damen unsers Orts wöchentlich zu sehen, und sie ziemlich oft bey uns zu Tische zu haben; jetzt merkte ich auf einmal, daß mir bey ihren Besuchen die [84] Zeit lang wurde, und daß die kleinen Abendmahlzeiten weder uns noch ihnen Freude machten.

Meine Kinder gut zu erziehen, war es bisher erforderlich gewesen, ihnen einige Lehrmeister und Lehrmeisterinnen zu halten, jetzt besannen sich meine beyden ältsten Töchter, daß sie genug verstünden die Lehrerinnen der jüngern zu werden, auch mußte mein Mann nicht mehr so oft in die Stadt reiten, wo die verderblichen Spieler wohnten, er bekam mehr Zeit sich mit mir und unsern Kindern zu unterhalten, denn – er hatte keinen Amtsverweser mehr, und ich habe schon oft angemerkt, daß Gehilfen in manchen Fällen die Mühe eher mehren als mindern.

So wohlthätig diese Aenderungen im Grunde für uns waren, so hatten sie doch auch ihre Unbequemlichkeiten. Im Amthause spückten Ratten und Geister; die Damen unsers Orts fanden sich durch den abgebrochenen Umgang beleidigt, nannten mich stolz, und lohnten mir mit übler Nachrede; die jüngern Geschwister wollten den ältern, die sie lehrten, nicht allemal gehorchen; und die beständige Anwesenheit eines durch Verdrüßlichkeiten und Mangel an Vergnügungen eigensinnig gewordenen Mannes ward mir oft lästig; auch gereichte sein Umgang den Kindern nicht allemal zum Vortheil. Hanna und Peninna mußten viel von ihm leiden, oft blos darum – weil sie Hanna und Peninna hießen, und die andern mit den [85] lieblicher tönenden Namen, waren immer schöner, klüger, und besser als jene, und wurden verzärtelt.

Eine jede von diesen Verdrüßlichkeiten war hinlänglich, uns unsere neue Lebensart zu erschweren, und ich könnte fast von jeder derselben etwas besonders sagen, das keinen kleinen Einfluß auf unser Glück und unsere Ruhe hatte; doch ich will, um nicht zu weitläuftig zu werden, jetzt nur bey dem stehen bleiben, was mich unmittelbar selbst angieng, und mir, ich läugne es nicht, recht empfindlich ans Herz griff.

14. Kapitel. Große Neigung der alten Dame [..]
Vierzehntes Kapitel
Große Neigung der alten Dame zu bußfertigen Magdalenen. Einige Winke von den herrlichen Ruinen ihrer Schönheit, und ein paar Pröbgen von ihrer stolzen Zurückhaltung gegen Vornehmere

Die Frauen unsers Städtchens, mit welchen ich im Grunde den Umgang nicht ganz aufzuheben, nur in eine gemäßigtere Form zu bringen gesucht hatte, und welche dieses nachlassende Feuer der ehemaligen Freundschaft für förmlichen Bruch hielten, sannen darauf, wie sie meiner Ehre einen Flecken anhängen, und sich das Ansehen geben wollten, als hätten sie selbst sich meiner aus guten Ursachen entäußert. Sie musterten meine ganze [86] Lebensgeschichte, so weit ihnen dieselbe bekannt war, und stießen auf nichts in derselben, das zu ihrem Zweck dienen konnte, als auf einige Begebenheiten aus den ersten Jahren meines Ehestandes, die mir so wenig zu Herzen giengen, daß ich sie gegen euch zu erwehnen vergessen habe. Ich war damals eine junge Frau, war ziemlich artig, und mein Mann machte sich gern mit seiner schönen Gattinn, wie er mich damals nannte, breit; war es denn zu verwundern, daß ich von einer Menge von Anbetern umflattert wurde, und war das wohl eine Sache, die mir die Thörinnen zur Sünde machen konnten? Auch war es zu bekannt, wie bald ich mich den Blicken meiner gaffenden Bewunderer entzogen, und die Einsamkeit dem wilden Leben, in welches mein Mann mich so gern verstrickt hätte, vorgezogen hatte: meine Lästerinnen durften also hier nichts als Winke und verblümte Reden wagen. – Nicht so schonend giengen sie mit meinen gegenwärtigen Grundsätzen um: der regelmäßige Gang, den alle Dinge in meinem Hause und also auch die Andachtsübungen hatten, machte mich zur Herrnhutherinn; die Neigung zu meinen Kindern, war Affenliebe, und da sie nichts von unsern geringen Vermögensumständen wußten, die sie gewiß meiner Verschwendung zugerechnet haben würden, so nannten sie meine Sparsamkeit, Geiz.

Eine Lieblingsmeynung hatte ich noch, die ich vielleicht ehemals zu offenherzig gegen sie geäußert[87] hatte, und welche mir nunmehr aufs ärgste gedeutet ward: so streng ich, was mich und die Meinigen angieng, auf Zucht und Tugend hielt, so mitleidig war ich gegen andere arme Geschöpfe, welche etwa einen Fehltritt gethan, und dadurch in die Hände der Gerechtigkeit, oder unter die noch unbarmherzigere Geißel der Lästersucht gerathen waren; im letzten Fall wurden schonende Entschuldigungen, und im ersten dringende Vorbitten bey meinem Manne nicht gesparet. Ja die Frau Pfarrerinn wollte mich der schrecklichen Sünde zeihen, daß ich viel zur Abschaffung der Kirchenbuße in unsern Gegenden beygetragen, und einmal Himmel und Erde bewegt hätte, daß der Prozeß einer Kindermörderinn zum zweytenmale untersucht und ihr das Leben gerettet worden sey. Dinge, die ich so sehr eben nicht läugnen will; denn wär mirs denn Schande, wenn ich etwas beygetragen hätte, die oder jene Unglückliche zu bessern, welche die christliche Liebe für unverbesserlich hielt? Ob ich indessen nicht auch hierinn zu weit gegangen sey, wird man vielleicht in der Folge sehen; es ist gut den Verbrecher retten und bessern, aber ihm zu viel trauen, ihn in sein Haus aufnehmen? – – Doch weiter.

Die Auslegungen, welche meine ehemaligen Freundinnen von dieser Art zu denken und zu handeln machten, waren zu boshaft, zu abscheulich, um hier wiederholt zu werden; sie waren hinlänglich, zwar nicht, mich von dem, was ich einmal [88] für recht und gut erkannte, abzubringen, aber mich doch zu bewegen, meine Gesinnungen in diesem Stück, ins künftige besser zu verhelen. Ich gieng darinn so weit, daß ich, wenigstens in meinem Gebiet, der entgegengesetzten Meinung beyzupflichten schien; ich sah es ein, daß sich ein wenig Strenge für die Mutter heranwachsender Mädchen ganz wohl schicke, und bemühte mich also in allen meinen Gesprächen, die unerbittliche Richterinn gegen alle Gefallene, oft selbst gegen solche zu spielen, deren ich mich insgeheim annahm, und sie vom gänzlichen Verderben zu retten suchte. Ob ich nicht in den Aeußerungen von dieser Art, auch zu viel that, ob ich nicht durch den Ernst in meinen Reden, wodurch ich die meinigen vom Laster abzuschrecken suchte, meinem Herzen eine Verwundung zubereitete, welche nie ganz heilen wird, das wird die Folge lehren. Ich gehe jetzt zu einer neuen Epoche meiner Geschichte über.

Bisher waren ich und meine ehemaligen Freundinnen die vornehmsten in unserm Städtchen gewesen; jetzt erscholl das Gerücht, als wollte sich eine adeliche Familie in diese Gegend wenden, welche den größten Theil ihres Vermögens in der Hauptstadt zugesetzt hatte, und nun entschlossen war, die Ueberbleibsel davon zusammen zu nehmen und mit denselben in einer entlegenen Provinz besser als bisher hauszuhalten.

Die Erzählung von einer Familie, die genöthigt war, wegen voriger Verschwendung sich der [89] Sparsamkeit zu befleißen, gefiel mir; ich zog eine Paralelle zwischen uns und diesen großen Leuten, sahe, daß Schicksal und Thorheit ihnen eben solche Streiche spielen konnten wie uns, und fand unser Loos um der Aehnlichkeit willen weit erträglicher. Auch stieg zuweilen ein heimlicher Wunsch in mir auf, dereinst in die Bekanntschaft dieses weisen philosophischen Hauses zu kommen, und meinem Stolz, welcher durch die Feindseligkeiten und Lästerungen der Pfarrerinn und der Einnehmerinn gewaltige Stöße erlitten hatte, durch den Umgang so angesehener Leute eine mächtige Stütze zu geben.

Nachdem das Gerücht viel unglaubliche Dinge von der Familie von Wilteck, die bey uns erwartet wurde, gesagt und das Haupt derselben bald zu einem in Ungnade gefallenenen Minister, bald gar zu einem Fürsten im strengsten incognito gemacht hatte, erschien sie endlich, strafte durch das sehr alltägliche Ansehen, welches alles, was sie umgab, an sich hatte, das Gerücht Lügen, und erhöhte die Hoffnungen, die ich mir von diesen neuen Ankömmlingen machte.

Das ganze von Wilteckische Haus bestand außer dem gnädigen Ehepaar, aus zween mehr als erwachsenen Fräuleins, einem noch unmündigen Junker, und einem Bruder des alten Herrn, der dem Verstande nach eben so unmündig als Junker Ludwig an Jahren war. – Ein veralteter Stutzer, den man nicht anders als den Obersten nannte, ungeachtet die alte Gouvernante, welche [90] auch mit zu den Ankommenden gehörte, versichern wollte, er habe es nie höher als zum Souslieutenant gebracht.

Ich habe vorhin erwehnt, daß ein Wunsch in mir aufstieg, Umgang mit diesen vornehmen Leuten haben zu können, aber ich war klug genug, ihn weder in meiner Familie bekannt werden zu lassen, noch den geringsten Schritt zu thun, welcher auf seine Erfüllung abzielte. Die Damen unsers Orts, die Pfarrerinn und die Einnehmerinn, nebst noch einigen andern, hielten es für gut, der hochadelichen Familie Cour zu machen, ich aber fand es lächerlich, und noch obendrein, wie mir mein Stolz ins Ohr sagte, erniedrigend, sich Personen aufzudringen, welche vornehmer sind als wir, und die unsere Höflichkeiten vielleicht kaum erwarten, aber gewiß uns dieselben nie auf andere Art, als mit der demüthigenden Miene der Ueberlegenheit und Herablassung vergelten.

Ich würde Frau von Wilteck und ihre Töchter vielleicht nie kennen gelernt haben, wenn ich sie nicht zuweilen in der Kirche gesehen hätte. Wir saßen ziemlich weit von einander, und ich verlor dadurch das Glück ihre Personen so genau mustern zu können, wie die andern neugierigen Weiber unsers Städtchens thaten; dieser Verlust brachte mir aber zugleich den Vortheil, sie nicht grüßen zu dürfen; eine Höflichkeit, die ich ihrem Stande nicht versagt haben würde, wenn mir die Art, mit welcher sie den andern Frauen, die sie mit Verbeugungen [91] überschütteten, zu danken pflegten, nicht anstößig gewesen wär.

Wir schienen uns anfangs gar nicht zu bemerken; bald aber trug der Weg die adelichen Damen allemal vor unserm Stuhl vorbey; die Neugier mochte sie vor bey treiben, auch waren ich und meine Mädchen noch wohl sehenswerth: es mußte einen schönen Anblick geben, wenn ich so in meinem grauen atlaßnen Gewande daher gieng, und die Kinder in ihren weißen Kleidern mit bunten Schleifen mir folgten. Eine blühende Matrone unter fünf blühenden Töchtern! sagte unser Herr Pfarrer, zu der Zeit, da ich noch mit seiner Frau umgieng.

Die Fräuleins gaften uns mit starren Augen an, meine Mädchen verbeugten sich ein wenig, brachen aber die Hälfte von ihrer Höflichkeit ab, weil sie sahen, wie schlecht sie erwiedert ward; aber die gnädige Frau und ich grüßten uns ordentlich nach Matronen Art, weil es nicht anders seyn konnte.

Des andern Tages sagte mein Mann, welcher als Amtmann zuweilen mit dem Herrn von Wilteck zu sprechen hatte: die gnädige Frau habe nach mir und den Kindern gefragt, und sich gewundert, daß wir sie noch nicht besucht hätten. In der That, meine Liebe, setzte er hinzu, es wär der Höflichkeit gemäß – – Ganz gewiß, unterbrach ich ihn, und ich werde nächstens – aber dieses Nächstens kam niemals und Frau von Wilteck sah sich genöthigt, die Gelegenheit zu nehmen, [92] wie sie war, und einmal auf ein paar Augenblicke im Vorübergehen zu mir zu kommen, um mich wegen einer häuslichen Angelegenheit um Rath zu fragen. – Sie mußte doch die wunderliche Amtmannin kennen lernen; welchen Namen mir, wie ich von guter Hand wußte, die Fräuleins gegeben hatten.

Frau von Wilteck war eine einnehmende Dame, wenn es ihr beliebte, den Adelstolz ein wenig auf die Seite zu setzen. Der Wunsch auf einem freundschaftlichen Fuß mit ihr und ihrem Hause zu leben, und dadurch meine Feindinnen zu demüthigen, wachte wieder in mir auf, aber die Fräuleins standen mir nicht an; die andern, welche nicht in die Kirche kamen, und die ich also nie gesehen hatte, konnten vielleicht auch nicht nach meinem Geschmacke seyn, und ich ließ es also dabey bewenden, der gnädigen Frau des andern Tages einen eben so kurzen Gegenbesuch zu machen, in welchem ich nichts weiter that, als daß ich ihr umständliche Nachricht von dem gab, was sie von mir zu wissen verlangt hatte.

Je mehr ich den Umgang des vornehmen Hauses zu fliehen schien, je mehr ward der meinige gesucht. Ein Regen, der die gnädigen Damen überfiel, ein Spaziergang, auf dem man sich antraf, eine Bestellung an meinen Mann, und dergleichen Dinge gaben so oft zufällige Gelegenheit, uns zu sehen, daß wir uns endlich alle kannten, alle zu nennen wußten, und – ich nehme Frau [93] von Wilteck und mich nebst noch zwo Personen aus unsern beyderseitigen Familien aus, – keinen andern Grund angeben konnten, warum wir uns aufsuchten, als Neugierde und Langweile, welches letzte doch bey den Meinigen, die immer beschäftigt waren, im Grunde nicht wohl statt haben konnte, sondern ganz allein auf die Seite unserer neuen Bekannten fiel.

15. Kapitel. Eine ganze Familie von Alltagsleuten
Fünfzehntes Kapitel
Eine ganze Familie von Alltagsleuten

Es dünkt mich hier Zeit zu seyn, etwas von dem Wilteckischen Hause zu sagen: ich werde der einzelnen Glieder desselben noch oft genug erwehnen müssen, und es wird gut seyn, wenn man weiß, was sich von ihnen erwarten läßt; doch wer kann das auf den ersten Anblick oder aus einigen hingeworfenen Zügen? War ich im Stande, es ihnen anzusehen, was für Einfluß sie in Zukunft auf mich und die Meinigen haben würden?

Frau von Wilteck schien keinen Fehler an sich zu haben als das einsilbige Wörtgen vor ihrem Namen. Wär sie Madam Walteck schlecht weg gewesen, sie hätte mir die zweyte Madam Haller, hätte mir so lieb werden können, als diese theure Verstorbene, denn, vermochte ich dann in ihr Herz zu sehen? Ich äußerte diesen Gedanken einst gegen die Gouvernante; Ma chere, sagte diese lachend, [94] wir sind aus einem Lande, wo jedermann diese drey deutungsvollen Buchstaben vor seinen Namen setzt, und wo sie so gut Frau von Haller seyn würden als meine Gebieterinn Frau von Wilteck. Ein Wink, den ich nicht aus der Acht ließ, und der mich um ein gutes Theil weniger zurückhaltend gegen meine neue Freundin machte.

Frau von Wilteck war schön für ihre Jahre, und es war zu verwundern, daß so wenig von ihren Reizen auf ihre Töchter geerbt war. Fräulein Josephe die älteste, welche nach den Grundsätzen meines Vaters schon seit länger als zehen Jahren nicht mehr Fräulein hätte heißen sollen, war eine lange hagere Figur, die sich wegen ihrer Gestalt gern eine schlanke Nymphe, und wegen ein paar finstern Augen und einiger schwarzen Haare gern eine schöne Brünette nennen hörte, welches doch niemand that, als die ihr gleichende Gouvernante, Mademoiselle de Robignac. Das jüngere Fräulein, Gabriele genannt, war ein rothhäriges, milchfarbnes Gänsgen, mit großen weiten Augen, die ich mit nichts bessern vergleichen kann, als mit den Teichen vor unserm Garten, wenn sich der graublauliche Himmel darinnen spiegelt. Wenn Fräulein Josephe die Heldinn und das männliche Frauenzimmer spielte, so zerschmolz die lispelnde Gabriele dagegen in Empfindungen, schalt ihre wilde Schwester, oder sprach von Liebe und Kloster, oder schwieg auch, um zu verbergen, daß sie nichts zu reden wußte. Die liebste Tracht der ersten [95] war ein Federhut und ein grünes Reitkleid, das ihr abscheulich anstand, und die andere kleidete sich gern in ein so galantes und durchsichtiges Negligee, wie sie es in ihren Lieblingsbüchern, den französischen Romanen beschrieben fand, eine Kleidung, die ihr eben nicht vortheilhaft war, weil sie alle Fehler ihrer Gestalt zu sehr enthüllte. – Kurz diese beyden Damen waren recht dazu gemacht meinen unschuldigen, unaffektirten und wirklich schönen Töchtern zur Folie zu dienen, welches nur ihnen verborgen zu seyn schien, sonst würden sie ihre Gesellschaft nicht so eifrig gesucht haben.

Der einige Sohn der Frau von Wilteck, der fünfzehnjährige Junker Ludwig schien allein die Schönheit seiner Mutter geerbt zu haben, aber nicht ihren Geist; er besaß ein weiches gutes argloses Herz, das ihm immer auf der Zunge saß, und einen geraden gesunden Verstand, der ihn weder zum Kriegshelden noch zum Staatsmann zu bestimmen schien; und doch schien man ihn zu dem ersten bestimmt zu haben. Er trug bereits die Uniform als Fahnjunker, und sahe in derselben aus wie der goldhaarige Engel Raphael mit dem Helm und mit dem Schwerdte über unserer Kirchthür, der unsere ersten Aeltern mit freundlichen Blicken aus dem Paradiese jagt.

Dieses waren die Personen der adelichen Familie, die wir noch zur Zeit kannten. Nur der Herr von Wilteck und sein Bruder der so genannte Oberste fehlten noch, und die Beschreibungen [96] der Mademoisell de Robignac, welche uns noch fleißiger besuchte als ihre gnädige Herrschaft, waren eben nicht sehr fähig, uns großes Verlangen nach der Bekanntschaft dieser bey den Herren einzuflößen; wiewohl wir Ursach gehabt hätten, die Richtigkeit des Urtheils dieser Dame ein wenig zu bezweifeln, wenn wir damals schon gewußt hätten, was wir nachher bemerkten, daß die arme Gouvernante den beyden alten Herren von Wilteck immer zum Ziel ihres Witzes dienen mußte, und freylich nicht sehr mit ihnen zufrieden seyn konnte. Wiewohl – hätte uns wohl irgend etwas diese Kavaliers nachtheiliger charakterisiren können, als ihr Geschmack an einem so faden Zeitvertreibe wie dieser?

Ich sahe es niemals gern, wenn die schwarzbraune Französinn in unsern stillen häuslichen Zirkel erschien; denn ich merkte den nachtheiligen Einfluß ihrer Erscheinung allemal drey Tage lang an meinen Mädchens. Bald hatte sie nicht einsehen können, wie man so albern seyn und deutsch sprechen könnte, und ich bekam gewiß in den nächsten Tagen nichts von meinen Kindern zu hören, als aufgeschnappte, übel angebrachte französische Phräsgen, welche kein Mensch verstehen konnte, und die mir, einer deutschen Matrone, die alle Sprachenveränderung haßte, wie die babylonische Verwirrung, unausstehlich waren. Oder Demoiselle de Robignac hatte von den artigen Pariser und Lyoner Koeffüren gesprochen, und des andern [97] Tages ward an allen Hauben des ganzen Hauses, sogar an den Meinigen gekünstelt, um ihnen eine etwas modischere und weniger deutsche Gestalt zu geben. Oder die Gouvernante hatte nicht begreifen können, warum die chere Ninon – (Peninna wollte sie sagen) und die petite Jeanette die gnädigen Fräuleins nicht besuchten, welches man sehr deutsch und ungesittet nennen könnte, und den Morgen darauf hatten meine Töchter gewiß ungewöhnlich tiefe Verbeugungen von den gnädigen Fräuleins oder wohl gar bedeutende Fächerwinke bekommen; – Dinge, welche ich theils ahndete, wie sichs gebührt, theils gar nicht verstand, und hartnäckig auf meinem Sinne blieb, lieber den Umgang der angenehmen Frau von Wilteck zu entbehren, als meine Kinder oft in die zweydeutige Gesellschaft der ihrigen zu bringen.

Doch wer kann wider das Schicksal! Wir wurden eines Tages sämmtlich zu einem Geburtstagsfeste des hochadelichen Hauses gebeten. Wir giengen; denn mein Mann nannte es unhöflich, die Einladung auszuschlagen. – Abermals, blos um nicht unhöflich zu seyn, wurde die gnädige Familie zu unserer Weinlese erbeten, die in dem nämlichen Monat fiel. Darauf wollten die Fräuleins nebst ihrem Bruder am Hochzeittage ihrer Aeltern ein Lustspiel aufführen, in welchem Jukunde und Juliane ein paar Kinderrollen übernehmen mußten, und so gieng es in einem fort, bis es endlich dahin kam, daß wir alle Sonntage nach der Vesper [98] beysammen waren, und ein jedes sich mit seines gleichen die Zeit vertrieb. Die Fräuleins schickten sich nach dem Ausspruch der Gouvernante ganz unvergleichlich zu der siebzehnjährigen Peninna, weil sie, wie sie meynte, mit ihr von einem Alter waren. Junker Ludwig lehrte Hannchen Klavier, und Demoiselle de Robignac fand es bedeutend, daß beyde in einem Jahr und an einem Tage geboren waren. Herr von Wilteck und mein Mann spielten Schach oder Piquet. Frau von Wilteck und ich strickten, und der Oberste, welcher uns und sich einige zwanzig Jahr jünger dachte, als wir waren, gauckelte entweder um uns herum, oder lief in unser Haus, unsere jüngsten Kinder auch herbey zu holen, und sie allerley unnützes Zeug zu lehren; oder er spielte der Französinn allerhand lächerliche Streiche, die man kaum seinem Neffen würde zu gute gehalten haben. Doch dieser war zu klug zu solchen Possen, und zu sehr von seiner Schülerinn eingenommen, als daß er für etwas außer ihr hätte Aufmerksamkeit haben sollen.

In der That war mir das Wohlgefallen, das er an Hannchen, und sie an ihm zu finden schien, auffallend, und ich konnte mich nicht enthalten, wenn sie so von Montag morgens bis Sonnabend abends immer etwas neues zu erzehlen wußte, was der Herr Fähndrich, so nannte man ihn in dem Wilteckischen Hause, ungeachtet er nur Fahnjunker war, am Sonntage gethan, gesagt oder gedacht hatte, sie anfangs ein wenig damit aufzuziehen, [99] und ihr denn ernstlich über ihr seltsames Betragen zuzureden. Dieses machte sie vielleicht zurückhaltender aber schwerlich klüger, und ich hätte vielleicht besser gethan sie laut vom Junker Ludwig sprechen als heimlich an ihn denken zu lassen. –

Ich dachte indessen ernstlich darauf, sie von dem Jünglinge abzubringen, der ihr gefährlich zu werden schien, und Hannchen hatte schon ein paar mal wegen Zahnschmerzen die sonntägliche Klavierstunde versäumen müssen, als zu meinem großen Vergnügen ihr junger Lehrmeister von einem Onkel, den man den General nannte, und der also vermuthlich etwa Major seyn mochte, abgefordert wurden, um unter seinen Augen zum Dienste angeführt zu werden.

16. Kapitel. Die Eitelkeit der alten Dame [..]
Sechzehntes Kapitel
Die Eitelkeit der alten Dame und ihrer schönen Tochter bekommt Nahrung

Der Umgang mit dem vornehmen Hause reizte, wie ich voraus gesehen hatte, den Neid der Frauen unsers Städtchens, und ich war schwach genug, mich darüber zu freuen, und vielleicht um des willen weniger darauf zu denken, wie ich Gesellschaften abbrechen wollte, die, wenn auch nicht unmittelbar uns, wie ich Verblendete glaubte, doch unserm Beutel nachtheilig waren.

[100] Die Familie von Wilteck war zwar des Ersparnisses wegen an unserm Orte, aber das was bey ihnen Sparsamkeit war, hätte man bey uns Verschwendung nennen können. Ohne so thörigt zu seyn, mich mit Leuten messen zu wollen, die mir an Stand und Vermögen überlegen seyn mochten, so merkte ich doch bald, Vermehrung unserer Ausgaben, und gewaltige Defekte in unserer Einnahme. – Man mußte doch etwas thun, um seinen vornehmen Bekannten keine Schande zu machen, und dies war nicht ohne Aufwand möglich. Auch konnten die Hände, welche die ganze Woche über beschäftiget waren, Zubereitungen auf den Sonntag zu machen, weder nähen, spinnen, noch weben. Unsere Bleichen wurden daher ganz leer von feingesponnenen Garn, und die Städterinnen kamen nicht mehr zur Frau Amtmannin von Hohenweiler, um bey ihr die schöne haltbare Leinwand zu kaufen, die sie weben ließ.

Hatte ich auf dieser Seite Schaden, so schien sich auf der andern ein kleiner Vortheil hervor zu thun, den wir in der Einsamkeit nicht hätten erwarten können. Die Familie von Wilteck hatte sich nicht so ganz von der Welt abgesondert, daß sie nicht zuweilen von ihren ehemaligen Freunden hätte besucht werden sollen. Zu dem sogenannten Obersten kamen oft Offiziers von dem in der Nähe liegenden Regimente, die aber alle – welches wunderlich war – sehr familiär mit ihm thaten, und ihn nie anders als Leutenant nennten; auch [101] bekam der alte Herr von Wilteck zuweilen Zuspruch von Herrn Berg, dem ehemaligen Gerichtshalter seiner weiland an der Grenze gelegenen Güter, der oft seinen Sohn einen jungen Rechtsgelehrten mit sich brachte, dessen stilles gesetztes Wesen mir unendlich gefiel. Auf diese Art bekam ich und meine Kinder oft artige Leute zu sehen, und Peninna ward durch ihre Hilfe zeitig gewahr, daß die Sentenz, die ich ihr ehemals vorsagte: Kein armes Mädchen sey schön, nicht durchaus richtig seyn könne.

Unter so vielen jungen Herren, die sie bey Wiltecks zu sehen bekam, war mancher, der ihr das Gegentheil von dem Machtspruch ihrer Mutter begreiflich zu machen suchte, und indessen die schwarzbraune Josephe sich für den allgemein angebeteten Gegenstand hielt, und die fade Gabriele schrie, daß sie vor den Verfolgungen der Männer nicht zu bleiben wisse, sahen aller Augen auf meine Peninna, welche die Mühe, die man sich um sie gab, kaum bemerkte, und da, wo es ihrer Aufmerksamkeit nicht entgehen konnte, sich ihrer innern Würde bewußt, mit holdem jungfräulichen Stolz zurückzog.

Die Bewerbungen einiger jungen unbesonnenen Offiziers, würden meiner Tochter nun eben nicht so gar viel Ehre gemacht haben, aber es gab unter ihren Anbetern einige, die es ernstlich meynten, die ihr Glück machen konnten, und von welchen auch gewiß einer in ihrem freyen unbefangenen [102] Herzen Platz gefunden haben würde, wenn alles gegangen wär wie es sollte.

Unter den Besuchen des Obersten, war ein Mann, aus dem ich immer nicht wußte was ich machen sollte, man nannte ihn Herr Wachtmeister, und gleichwohl bezeugten ihm alle die jungen Offiziers, und selbst der Oberste eine Achtung, die den Namen, den er führte, weit übertraf, und die er mit der Kaltblütigkeit erwiederte, mit welcher Höhere die Höflichkeiten des Geringern annehmen; selbst die Fräuleins, welche doch sonst alles, was unter ihrem Stande war, zu verachten pflegten, nahmen eine gefällige Miene gegen ihn an, und handelten weniger frey in seiner Gegenwart als sonst. Wenn ich nicht gewußt hätte, welchen Abscheu man in diesem Hause vor Mißheurathen habe, oder wenn der Wachtmeister, der schon ein Mann bey Jahren war, mehr gefälliges in seinem Aeußerlichen gehabt hätte, so würde ich zuweilen auf den Einfall gerathen seyn, Fräulein Josephe trachtete nach seiner Eroberung, aber ein solcher Gedanke wär Lästerung gegen eine so adeliche Seele gewesen, auch richtete der Wachtmeister seine Augen nicht auf einen so erhabenen Gegenstand; unsere Peninna war es, die seine Aufmerksamkeit auf sich zog, und nicht lange, so entdeckte er seine Absichten auf sie, ihrem Vater, auf eine so einnehmende Art, daß wir von ganzem Herzen ja gesagt haben würden, wenn Peninna mit uns überein gedacht, oder wenn sich [103] nicht der Freyer mehr gemeldet hätten, die alle verdienten, in einige Ueberlegung genommen zu werden.

Um eben diese Zeit erhielt ich Peninnens wegen einen ähnlichen Antrag von dem jungen Rechtsgelehrten, welcher jetzt als Regierungsrath nach W... kam, und meiner Tochter mit seiner Hand ein Glück anbot, welches nicht zu verachten war. Ein fürchterlicher Nebenbuhler für den ehrlichen Wachtmeister, denn Jugend, Schönheit, Stand, alles war auf der Seite des Regierungsraths, und vor allen Dingen der Wille von Peninnens Mutter, denn obgleich mein Mann das größere Vermögen des Wachtmeisters anführte, so würde ich doch vielleicht in diesem Fall einmal mein Ansehen gezeigt, und mit Zuziehung der Hauptperson, meiner Tochter, die Ansprüche des jungen Regierungsraths durchgesetzt haben, wenn sich nicht noch ein dritter gefunden hätte, der ohne so reich wie der Wachtmeister, ohne so schön wie der Regierungsrath zu seyn, meiner Tochter besser als alle die andern gefiel. Es war Herr Walter, der ehemalige Lehrer Junker Ludwigs, der mit Peninnen schon lange ein Verständniß, das aus Blicken und gebrochenen Worten bestand, unterhalten zu haben schien, und sie jetzt, da er einen Ruf als Prediger in die Vaterstadt meines Mannes erhielt, plötzlich deutlicher erklärte so daß ich nun die Wahl unter dreyen würdigen Männern für meine Peninna hatte. Welche Wonne, welcher Triumpf [104] für eine Mutter, die sich in der Schönheit ihrer Tochter von neuem aufleben sieht.

17. Kapitel. Eine lange Bedenkzeit
Siebzehntes Kapitel
Eine lange Bedenkzeit

Die Sache wurde mit Peninnen in Ueberlegung gezogen, und ich muß ihr nachsagen, daß sie sich für ein so junges Mädchen recht vernünftig dabey aufführte. So gewiß ich geglaubt hätte, daß ihre Wahl sogleich auf Herrn Walter fallen würde, welches mir, da er dem äußerlichen Ansehen nach die schlechteste Parthie unter allen war, nicht ganz recht gewesen seyn würde, so fand sichs doch, daß ich geirrt hatte. Das Mädchen konnte zwar ihre Vorliebe für den jungen Geistlichen nicht bergen, aber dieses machte sie nicht blind gegen die Vorzüge des andern, sie sprach von dem Regierungsrath und selbst von dem Wachtmeister mit einer Wärme, daß ich oft zweifelhaft ward, welchen sie wählen würde, bis wir am Ende doch noch bey dem Ausspruch waren, den ich zum Eingang meines Vortrags an das Mädchen gewählt hatte: es sey schwer unter drey guten Dingen eine Wahl zu treffen, und man wisse nicht, wozu man sich entschliessen solle. Ich würde es meiner Tochter sehr übel ausgelegt haben, wenn sie das jungfräuliche Ceremoniel so schlecht verstanden hätte, nicht einmal um Bedenkzeit zu bitten, und ich [105] versagte ihr dieselbe also gar nicht, da sie sie forderte, Besinne dich mein Kind, sagte ich, und melde mir in acht Tagen, wozu du dich entschlossen hast. Ich merkte, daß Peninna in diesen Tagen viel Conferenzen mit den Fräuleins hielt, und wartete mit Verlangen auf den Sonntag Abend, welches der Termin war, den ich ihr angesetzt hatte. Wir hatten diesen Sonntag wie gewöhnlich bey Wiltecks zugebracht, und es hatte sich sonderlich treffen müssen, daß meine Schwiegersöhne in Hoffnung, alle zugegen waren. Peninna hatte sich zum Verwundern wohl in acht genommen, daß keiner von ihren Liebhabern sich eines Vorzugs rühmen konnte; mit dem Wachtmeister hatte sie Schach gespielt, mit dem Regierungsrath hatte sie von der Hauptstadt, in welcher er leben sollte, und mit Herrn Walter von der Gastpredigt gesprochen, welche er in unserm Städtchen gehalten hatte; ein Betragen, das mir ganz wohl gefiel, denn es war nicht nöthig, daß jemand eher etwas von ihrer Entschließung erfuhr, bis sie selbige ihrer Mutter entdeckt hatte; ich habe immer etwas auf die gehörigen Förmlichkeiten gehalten. Aber als wir des Abends mit einander allein waren, und ich auf meine Frage die nämliche unbestimmte Antwort erhielt, wie vor acht Tagen, da schüttelte ich den Kopf gewaltig, und konnte mich nicht enthalten mit einiger Strenge in das Mädchen zu dringen. Indessen was kann das Bitten eines geliebten Kindes nicht von [106] einer Mutter er langen! Ich räumte Peninnen noch vierzehn Tage ein, sich zu bedenken, verbat mir aber in dieser Zeit allen Umgang mit den Fräuleins, weil ich Ursach zu haben glaubte, in sie ein Mißtrauen zu setzen; eine alternde Jungfer ist nie gut bey der Verheyrathung eines jungen Mädchens um Rath zu fragen. Herr Sarnim der Wachtmeister, der Regierungsrath Berg, und der Prediger Walter fanden sich des andern Tages ein, die Entscheidung ihres Schicksals zu holen, aber sie mußten sich gefallen lassen, dem Eigensinn eines Mädchens noch etwas nachzusehen, und sich ein paar Wochen länger zu gedulden.

Mein Verbot, die Fräuleins in den wichtigen Ueberlegungstagen nicht zu sehen, mußte bald gebrochen werden. Fräulein Gabriele ward, als sie ihre theure Ninon einige Tage nicht gesehen hatte, zum Tode krank, und ließ inständig um einen Besuch bitten, und Peninna machte mir des Weinens und Flehens so viel, daß ich sie endlich entließ, doch mit der Bedingung, nichts von ihren Angelegenheiten mit ihren vornehmen Freundinnen zu sprechen; Peninna versicherte, daß Gabriele, wenn sie krank sey, von nichts zu reden wisse, als von ihrem Uebel, und so entkam sie der Nothwendigkeit, mir ein Versprechen zu thun, das sie nicht gehalten haben würde.

Die Krankheit des gnädigen Fräuleins dauerte lange, Peninna mußte täglich bey ihr seyn, ich erfuhr, daß die drey Liebhaber auch öfters von [107] der Gesellschaft wären, daß Gabrielens Vapeurs sie nicht hinderten, sich in ihrem artigen Negligee sehen zu lassen, und daß ihre Gesellschafterinn Peninna also täglich Gelegenheit hatte, durch Vergleichung und Abwägung der Verdienste ihrer Freyer ihre Wahl fest zu machen; ich war zu gewissenhaft, sie vor der Zeit zu fragen, und wartete den Tag mit Ruhe ab, der mir die gewünschte Aufklärung in der schweren Sache geben sollte, die mir so sehr am Herzen lag, aber ein Zufall riß mich früher aus meinen Zweifeln, und ließ mich die ganze Antwort ahnden, die ich zur bestimmten Zeit von Peninnen erhalten würde.

Den Tag vor dem Ende der Bedenkzeit befand ich mich ganz allein in Peninnens Zimmer, sie war zu den Fräuleins gerufen worden, und hatte in der Eil ihre Sachen in einer Unordnung zurück gelassen, die ich nicht an ihr gewohnt, auch nicht zu dulden gesonnen war. Indem ich beschäftigt war, diesen Fehler zu verbessern, und schon tausend Kleinigkeiten, die die Mädchens so gern um sich zu haben pflegen, Kästchen, Spiegel, Bänder, Blumen, Bilder, Nätherey und Bücher, auf die Seite geräumt hatte, sties ich auf einen Brief, in welchem ich Fräulein Gabrielens kritzelnde Hand erkannte, und welcher schon vor mehrern Tagen, gerade zu der Zeit geschrieben seyn mußte, da mein Verbot an Peninnen, die Fräuleins nicht zu besuchen, noch nicht hatte zurückgenommen werden müssen. Ich sahe die Namen des [108] Wachtmeisters und des Regierungsraths darinnen, und ich hätte kein Weib, ich hätte nicht Mutter seyn müssen, wenn ich ihn nicht eröfnet und gelesen hätte. Was ich fand war folgendes:

»Beste Seele!

Deine harte Mutter verbietet dir also uns zu sehen? nicht genug, daß sie dich in Feßeln schmieden will, die unsere Freundschaft zeitig genug unterbrechen werden, sie will dich auch noch vorher fühlen lassen, was für ein Joch du bald tragen sollst? – Doch du hältst den Ehestand für kein Joch; du hast mir es noch gestern gestanden, daß du dich ganz gewiß für einen von deinen dreyen vortreflichen Liebhabern entschliessen wirst. Verlangen soll michs nur, auf welchen deine Wahl fallen wird, ob auf den häßlichen alten Wachtmeister, auf den abgeschmackten Purschen den Berg, der nicht einmal weiß, wie er einer Dame mit Grace die Hand küssen soll, oder auf den pedantischen Walter. O wer sich weisen ließe! – Glaube doch nur, Kind, daß ich diese Leute kenne. Selbst von dem besten, zu dem ich dir noch am besten rathen würde, dem ehrwürdigen Herrn Walter, ließ sich gar viel sagen; er war ehemals meines Bruders Hofmeister, ich hatte täglich Gelegenheit ihn zu sehen, und du kannst mir also ja wohl glauben. – Pfui, Ninon, ein Mädchen wie du, einen ehemaligen Hofmeister zu heyrathen! eine ehrwürdige Frau [109] Pfarrerinn zu werden! ich hätte mir andere Hoffnungen von dir gemacht! – Und nun vollends der alte Wachtmeister! Laß mich nichts von ihm sagen, er ist zu alt und zu häßlich, als daß du im Ernst an ihn denken solltest. So oft ich ihn ansehe, fällt mir der Blaubart aus den Feenmärchen ein. Es heißt, er wird seinen Abschied fordern, und sich hier in der Nähe ein Gut kaufen, denn Geld hat er genug. Da wird er dich einsperren, und dir keine von der Freuden gönnen, die du bisher genossen hast, keine von denen noch süßern die du noch nicht kennst, und die in der Welt auf dich warten. Von dem albernen Regierungsrathe will ich gar nichts erwehnen, etwas steiferes, gedrechseltes als sein Betragen läßt sich gar nicht denken, er kann dir nicht gefallen, man muß lachen wenn man ihn ansieht. Er denkt auch W... Nun nun, er mag nur an einen so großen Ort kommen, da wird man schon sehen, was er für eine Figur machen wird. Du armes Kird, du solltest mich dauren, wenn du von einem solchen Menschen in die große Welt eingeführt werden solltest. Noch einmal, glaube mir, dies sind keine Parthien für dich, das muß ich wissen. Wenn ich auch den Jahren nach eben nicht mehr Erfahrung haben kann, als du, so habe ich doch die Welt gesehen, und dieses macht einen klüger als zehn Jahre Erfahrung. Tausend Dinge habe ich dir noch von oben genannten drey Herren zu sagen; [110] du mußt mich besuchen, oder ich will schon Mittel finden, dich zu mir zu bringen, ich bin ohne dem diesen Abend ganz krank. Gute Nacht Frau Wachtmeisterinn, oder hörst du dich lieber Madam Walter nennen? – Nun Kind ich habe dir meine Meynung gesagt, thue was du willst, ich muß mirs gefallen lassen, doch wisse, wählst du den Regierungsrath, so ists mit unserer Freundschaft aus, ich könnte mit der Frau dieses Mannes keinen Umgang haben, und wenn – – Noch einmal, lebe wohl.«

Dieser Brief war in einem so wenig überredenden Tone geschrieben, daß ich ihn nicht für gefährlich gehalten haben würde, wenn mir nicht Peninnens Schwachheit bekannt gewesen wär; man durfte ihr nur etwas auf der lächerlichen Seite vorstellen, so hatte man gewonnen; es war oft gar nicht nöthig eine Ursach anzugeben, warum man die Sache lächerlich fand, genug, man lachte darüber, suchte auch ihr Lachen zu erregen, und ihre gute Meynung dafür, war auf lange Zeit dahin. Peninna! Peninna! pflegte ich oft zu ihr zu sagen, ein wenig mehr Festigkeit in deinen Meynungen! Was du einmal aus Gründen für gut erkannt hast, das bleibt ewig wahr und gut, und wenn es tausend andern abgeschmackt scheint! – Nun sollte ich erfahren, was meine Ermahnungen gefruchtet hatten.

Peninna kam diesen Abend außerordentlich aufgeräumt nach Hause. Ich war verdrüßlich, [111] und mußte mit Mühe an mich halten, sie nicht über das zu befragen, was ich auf dem Herzen hatte, aber die Bedenkzeit war des andern Tages gegen vier Uhr erst zu Ende, und meine Pünktlichkeit erlaubte mir nicht, eher ein Gespräch anzufangen, welches einen Einfluß auf die so lang überdachte Sache haben konnte. Ich fragte nur ganz kaltsinnig, wer bey Wiltecks gewesen sey. Die Antwort war, Herr Regierungsrath Berg, und Herr Walter, und der Herr Wachtmeister, und man sey ganz außerordentlich lustig gewesen; und – hier fiel sie mir um den Hals – morgen sollte ich ihre Entschließung erfahren, und gewiß, gewiß mit ihr zufrieden seyn. – Es soll mir lieb seyn, sagte ich, wenn du vernünftig bist, und in der wichtigsten Angelegenheit deines Lebens auf niemand hörst, als auf deine Mutter, welche es gut mit dir meynt.

18. Kapitel. Folgen von der klugen Zucht der Matrone
Achtzehntes Kapitel
Folgen von der klugen Zucht der Matrone

Peninna, welche nicht so pünktlich war als ich, konnte die Stunde nicht erwarten, in welcher sie mir ihre Erklärung geben sollte, und fieng schon an frühem Morgen an, mir Anleitung zu allerley Fragen zu geben, welche von meiner Seite nicht erfolgten, daher sie endlich genöthigt war, mir ungefragt alles zu entdecken, was sie auf [112] dem Herzen hatte. Morgen, sagte sie, morgen beste Mutter, werden Sie ihre Peninna an der Hand des Mannes sehen, der ihrer würdig ist; und der ist? fragte ich – Seinen Namen, erwiederte sie, weiß ich noch zur Zeit selbst nicht, doch hoffe ich das Glück wird mich nicht täuschen, sondern mir den zuführen, der den Vorzug vor allen andern verdient. Träumst du? fragte ich. Nachdem du drey Wochen lang gewählt hast, willst du es aufs Glück ankommen lassen? wenn wir nicht in dem erleuchteten achtzehnten Jahrhunderte lebten, und wenn du nicht bisher immer in so erleuchteter Gesellschaft gewesen wärest, so müßte ich glauben, du wolltest den wählen, den du etwa morgen zuerst erblicken wirst. Sie scherzen, liebe Mutter, sagte sie, Sie wissen, daß dergleichen Possen mir nicht in den Sinn kommen können, aber – ich meyne – ich will nur sagen – würden Sie mir es wohl verdenken, wenn ich die, die mich lieben, auf eine kleine Probe gestellt hätte? – Auf eine Probe? rief ich, da hört man die Romanenstreiche, was gilts Fräulein Gabriele hat dir etwas aus ihren verwünschten französischen Büchern vorgeschwatzt, und – Nein, liebe Mutter, sagte sie, das Fräulein hat weiter keinen, hat unmittelbar keinen Antheil an den Maasregeln, die ich genommen habe. Auch nicht durch diesen Brief? schrie ich in einem Ausbruch von Zorn, der bey mir etwas ungewöhnliches war. Ich hatte bey diesen Worten Gabrielens Brief [113] hervorgezogen; Peninna nahm ihn aus meiner Hand, erröthete und schien ihn eine Zeitlang schweigend zu überlesen. Es ist wahr, sagte sie nach einer Weile, Gabriele hat so unrecht nicht, der Wachtmeister ist für mich zu alt und wunderlich, der Regierungsrath ist ein steifer Geck, den ich nicht ausstehen kann, aber der arme Herr Walter, was hat dieser gethan? ich wette, er wird der einige seyn, welcher meine Probe aushält, und welchen mir also der Himmel zum Gatte bestimmt hat.

Ich dachte vor Unmuth zu sterben, und ich glaube, ich begegnete ihr wegen ihres albernen unverständlichen Gewäsches mit einer Strenge, die sie bey mir nicht vermuthet hatte. Sie warf sich mir um den Hals, sie suchte mich durch Bitten und Thränen zu besänftigen, und was ich endlich erfuhr, war folgendes.

Es war wirklich den Fräuleins gelungen, dem Mädchen einen Widerwillen gegen die beyden ersten von ihren Liebhabern beyzubringen, nur bey Herrn Walter hatten sie nicht so gutes Glück gehabt, und sie würde vielleicht sich für ihn erklärt haben, wenn sie es nicht für unbillig gehalten hätte, die beyden andern ganz zu verwerfen, von denen sie wußte, daß der eine mir, und der andere ihrem Vater besonders lieb war; um also keinem einen Vorzug vor den anderen zu geben, hatte sie sich entschlossen, sie alle auf eine Probe zu stellen, von welcher es in die Augen fallend [114] war, daß sie nicht Peninnen, sondern ihren beyden klugen und sinnreichen Freundinnen ihre Erfindung zu danken hatte. Peninna besaß Witz, und ihre beyden Freundinnen Bosheit, zwey Dinge, deren Mischung wohl im Stande ist, den ernsthaftesten und gesetztesten Mann aus der Fassung zu bringen, und in Lagen zu versetzen, in welchen er andern und sich selbst lächerlich vorkommen muß. Schon alle diese Tage über, da Peninna die Gesellschaft ihrer Freyer bey Wiltecks so fleißig genossen hatte, und ich sie in ernsthaften Ueberlegungen ihres Glücks begriffen geglaubt hatte, waren von ihr und jenen Närrinnen angewendet worden, dreyen würdigen Männern allerley kleine Streiche zu spielen, um ihre Geduld zu probiren, und es Peninnen anschaulich zu machen, welcher von allen das meiste von ihr vertragen könne, und sie also am meisten lieben müsse; aber den letzten Abend war die Hauptprobe gewesen, wie sich meine einfältige Tochter, die ich in diesem Augenblicke von ganzem Herzen verachtete, aus zudrücken beliebte. Man hatte allerley kleine Spiele gespielt, und Peninna hatte ihren Witz, und die Gewalt, die sie über ihre Liebhaber zu haben glaubte, auf so mannichfache Art geübt, daß sie wenigstens darinnen recht hatte, wenn sie dieses seltsame Verfahren eine Hauptprobe nannte, denn ich zweifle, ob einer von den alten Rittern, den Mustern der Treue und Zärtlichkeit die den Eigensinn ihrer Schönen zehn Jahre lang ohne Murren [115] und ohne Hoffnung der Belohnung zu ertragen vermochten, nicht lieber den Kampf mit einigen Riesen und Zauberern unternommen, als es geduldet hätte, einen Abend lang dem Witz eines muthwilligen Mädchens und der Bosheit zwoer unvernünftigen Dirnen zuni Ziele zu dienen.

Mein Zorn über die Erzählerinn war ohne Gränzen. Und nach allen diesen Dingen, fragte ich sie, so fein und witzig sie dir zu seyn dünken, bildest du dir ein, daß einer von diesen Männern, die dich hoch genug schätzten dich zur Gefärthinn ihres ganzen Lebens zu wählen, noch einen Gedanken auf dich haben wird? Daß du sie verachten mußtest, war in die Augen fallend, sonst würdest du ihnen nicht wie Knaben begegnet haben, und glaubst du wohl, daß man sich gern mit einer Person verbindet, die nichts als Geringschätzung für uns zu fühlen scheint. Ein Mann müßte selbst die schlechteste Meynung von sich haben, wenn er die zur Gattinn wählte, welche seine redliche Liebe zum Spielwerk ihres elenden Witzes macht, mit der Gewalt, die sie über ihn zu haben glaubt, auf eine lächerliche Art prahlet, und ihn für einen Sklaven hält, den sie öffentlich an Ketten führen kann.

Peninna unterbrach mich, und versicherte heilig, daß sie keine Verachtung gegen diese Herren fühle, daß alles ja nur Scherz gewesen sey, und – wenigstens fiel ich ihr in die Rede, hatten sie deine Verachtung mit nichts verdient, als dadurch, daß sie ihre Augen auf dich warfen; ein Einfall, [116] der doch selbst in deinen Augen sie herabgesetzt haben muß, weil du es wagtest unter dem Charakter deiner Liebhaber ihrer zu spotten, eine Kühnheit, die du wohl gegen keinen andern, als gegen den würdest gebraucht haben, der einfältig genug war, dich für schön und gut zu halten.

Peninna brach in Thränen aus, sie schien einzusehen, daß sie gefehlet habe, sie fieng an zu glauben, daß ihr Betragen den Wachtmeister und den Regierungsrath vielleicht von der weitern Bewerbung um sie abschrecken werde, aber dies war ja eben die Probe; der geliebte Herr Walter, mit welchem sie überhaupt ein wenig säuberlicher umgegangen zu seyn schien, würde sie gewiß aushalten, wie sie dachte, und ihr dadurch den besten Beweis von seiner unerschütterlichen Liebe geben, ohne welche, wie Fräulein Gabriele und ihre Romane sagten, kein Glück in der Ehe möglich war.

Unbesonnenes, unvernünftiges Geschöpf! rief ich, gehe mir aus den Augen, und fange heute an Thränen zu vergiessen, die vielleicht in Jahren nicht vertrocknen werden. – Sie wollte noch etwas sagen, aber ich würdigte sie keiner Antwort, sondern gab ihr einen Wink sich zu entfernen.

[117]
19. Kapitel. Die stolze Peninna wird gedemüthiget
Neunzehntes Kapitel
Die stolze Peninna wird gedemüthiget

Daß ich die Hoffnung verloren hatte, eine Tochter, die ich liebte, glücklich verheyrathet zu sehen, war bey weitem nicht das was mich am empfindlichsten kränkte, die Vorstellung, daß diesen Männern, welche ich alle dreye hochschätzen mußte, unwürdig begegnet worden sey, erfüllte mich mit Beschämung, und der Gedanke in Peninnens Herzen einen abscheulichen Winkel gefunden zu haben, in welchem hämische Bosheit lauschte, war mir ein Dolch im Busen, Gott in diesem Herzen, das ich für so unschuldig, so gut und truglos hielt! – so eine gute Meynung ich auch immer von ihrem Verstande gehegt hatte, so hätte ich doch dem danken wollen, welcher mich hätte überreden können, sie habe aus herzlicher Einfalt, aus wahrem kindischen Unverstande gefehlt, aber Himmel, ein siebzehnjähriges Mädchen, ein Mädchen wie Peninna!

Mademoisell Ninon stand sehr frühe auf, vermuthlich weil sie wenig hatte schlafen können. Ihre Geschäftigkeit ihren liebsten Putz anzulegen, und sich ganz auf die Art zu kleiden wie sie wußte, daß es ihr am vortheilhaftesten war, zeigte, was sie für Erwartungen von diesem Tage hegte. Die rothgeweinten Augen machten einen seltsamen Contrast mit der fröhlichen Tracht, die sie gewählt [118] hatte, und mit der heitern Miene, die sie zu erkünsteln suchte. Fast schien es, als wenn ich einiges Mitleiden mit der armen Betrogenen fühlen wollte, aber mein Unwille behielt die Oberhand, und ich konnte mich nicht überwinden, ihr ein freundliches Wort zuzusprechen.

Ich kleidete mich wie gewöhnlich, und zeigte dadurch, daß ich einige häusliche Arbeiten vornahm, welche an keinem festlichen Tage statt zu haben pflegen, daß ich es voraussahe, Peninna würde sich umsonst geschmückt haben. Wie ich gedacht hatte so geschah es, wir blieben allein, nicht einer von den erwarteten Freyern erschien, ungeachtet sie wußten, daß dieser Tag ihr Glück entscheiden sollte, sogar von den Fräuleins erfolgte keine Botschaft, und diese hatten doch bisher keinen Tag ohne ihre Ninon leben können. Peninna legte traurig ihre häuslichen Kleider wieder an, und das einige was sich an dem ganzen Tage zutrug, das einige Beziehung auf unsere Angelegenheiten hatte, war, daß ich gegen Abend einen Brief erhielt, von welchem ich nicht weiß, ob ich ihn mit Verdruß oder mit Schadenfreude las. Ich war noch zu erzürnt auf die Verbrecherinn als daß ich hätte Mitleiden mit ihr haben sollen. Lies ihn, sagte ich zu ihr, indem ich ihr den Brief hinreichte, er ist von einer Person, deren Besuch du heute erwartet hast. Sie las folgendes:

[119] »Verehrungswürdige Frau!

Unumgänglich nöthige Geschäfte zwingen mich zu meiner Gemeinde zurückzukehren, die ich schon gar zu lange verlassen hatte. Wahrscheinlich werde ich diese Gegend, wo eine Person wohnt, die ich schätze und verehre, und die ich vor nicht gar langer Zeit, ach wie gern, Mutter genennet hätte, so bald nicht wieder sehen. Sollte Ihnen in meinem schnellen Abschied etwas seltsam und unerwartet vorkommen, so bitte ich, versparen Sie ihr Urtheil über mich, bis ich mich entschuldigen kann; vielleicht daß ich Ihnen alsdann in meiner Gattin eine Person vorstelle, die meinem Betragen die beste Entschuldigung seyn wird, und die mich vielleicht wieder mit der Welt aussöhnt, in welcher ich jetzt nur ein gutes Frauenzimmer, die ehrwürdige Madam Haller kenne. O vortrefliche, edle Frau, möchten Sie doch glücklicher seyn, als Sie aller Wahrscheinlichkeit nach seyn können! Ich empfehle mich Ihrem werthen Hause, und bin Ihr wahrer Freund und Verehrer

Karl Walter.«


Und meiner mit keinem Worte gedacht? rief Peninna mit einem Blicke, der sich nicht beschreiben läßt. Vermuthlich, erwiederte ich, gehörst du auch mit zu dem werthen Hause, dem er sich empfehlen läßt. Und seine Gattin? fragte sie weiter, was mag er wohl damit meynen. Ich weiß gewiß, er scherzt nur, er liebte mich ja so sehr! – [120] Ich schwieg. Peninna setzte sich mir gegenüber, um den Brief noch einmal zu lesen. Ich sah verstohlen über meine Nätherey hinweg um sie zu beobachten. Ihre Augen trübten sich beym Lesen, Thränen schienen aus denselben strömen zu wollen, aber plötzlich ward sie bleich, ihre Hand mit dem Briefe sank herab, und ich hatte noch eben Zeit aufzuspringen, sie in meine Arme zu fassen, und vor dem Umsinken zu hüten. – Die mütterliche Liebe kehrte in mein Herz zurück, ich suchte die Arme mit tausend liebkosenden Namen zu erwecken, ich legte meine Wangen an die ihrigen und benetzte sie mit meinen Thränen; umsonst, ich mußte sie zu Bette bringen lassen, wo sie erst nach einigen Stunden zu sich kam.

Daß Peninna nur darum zu sich selbst kam, um in Phantasien zu fallen, die mir noch schrecklicher waren als ihre Ohnmacht, daß sie ein hitziges Fieber dem Tode nahe brachte, und daß sie sich nach überstandener Gefahr sehr langsam erholte, will ich hier nur kürzlich erwehnen, der Gegenstand ist zu traurig für mich, um mich lange dabey aufhalten zu können, und ich, die geneigt war mir über alles Vorwürfe zu machen, ermangelte auch hier nicht mich mit Vorstellungen zu quälen, die mir noch zu schrecklich sind, um sie lebhaft in mir werden zu lassen. Wär Peninna damals gestorben, ich hätte mich, weil ich ihr ihre Vergehungen mit einiger Strenge verwiesen, und ihr Walters Brief so unvorsichtig in die Hände gegeben[121] hatte, gewiß für ihre Mörderinn gehalten; aber verdiente ihre Aufführung wohl mütterliche Schonung? und konnte ich wissen, daß Walter, er, den sie auf eine so unwürdige Art begegnet hatte, ihrem Herzen in Geheim so theuer war?

Es war die ganze Zeit über, da Peninna zwischen Tod und Leben schwebte, wenig Nachfrage nach ihr aus dem Wilteckischen Hause gethan worden, die Fräuleins hatten sie nicht ein einiges mal besucht, und ihre Mutter, welche die ganze Zeit über, auch an dem Tage, da Peninna ihre Liebhaber auf die schöne Probe stellte, abwesend gewesen war, kam erst zurück, da die Kranke schon fast wieder hergestellt war. Ihr erster Gang war zu uns, und sie erkundigte sich so liebreich, so angelegentlich nach allem was uns angieng, daß ich, die ohnedem für Verlangen brannte, meinen Unwillen über ihre Töchter, die Verführerinnen der meinigen auszuschütten, ihr alles entdeckt haben würde, wenn mich nicht ein bittender Blick von Peninnen zurückgehalten hätte; ich sagte ihr also nur so viel, als ich ihr nicht verschweigen konnte, es fehlte mir ja ohnedem an Beweisen wider ihre Töchter; Gabrielens schönen Brief hatte Peninna einsmals zerrissen, um wie sie sagte, sich die Möglichkeit zu benehmen, Rache an dieser Boshaften auszuüben; eine Großmuth, welche viel von der Fieberhitze, in welcher Peninna damals lag, an sich hatte.

[122] Da ich ihr so wenig von dem entdecken konnte was uns angieng, so kamen wir bald auf ihre Angelegenheiten zu reden. – Ich kam, sagte sie, heute nicht sowohl einen Krankenbesuch abzulegen, denn man hat mir nichts von der Krankheit der Mamsell Haller gesagt, sondern mir ihrer aller Gegenwart bey einem festlichen Tage auszubitten, der mir in meinem Hause bevorsteht. Es sind sonderbare Dinge in meiner Abwesenheit vorgegangen. Mein Gemahl hat meine beyden Töchter versprochen, ohne mich um Rath zu fragen, ohne daß ich einmal gewußt habe, daß man sich um sie bewirbt. Ich muß gestehen, ich habe andere Gedanken gehabt, Gedanken, welche auch vielleicht schicklicher gewesen wären. Sie sagte dieses mit einem bedeutenden Blick auf Peninnen, den ich nicht verstand. Ich bat um Erklärung. –

In der That, fuhr sie fort, ich scheue mich fast ihnen zu gestehen, daß meine Gabriele auf dem Punkte steht eine Mißheyrath zu thun; sie kennen meine Gesinnungen in diesem Stück, indessen mein Mann denkt hierinnen anders, der standesmäßigen Partien sind jetziger Zeit so wenig, und der Regierungsrath Berg ist doch übrigens ein ganz artiger Mann, ein Mann, welcher noch sein Glück machen kann.

Der Regierungsrath Berg? wiederholte ich und meine Tochter in einem Athem. – Ich sah Peninnen an und glaubte sie blaß werden zu sehen, ich fürchtete einen solchen Auftritt wie ehemals bey [123] Walters Briefe, und trug ihr, um sie zu entfernen, ein Geschäfte außer dem Zimmer auf, aber sie verrichtete es so eilig, daß ich merkte, die Nachricht von Bergs Heyrath und Gabrielens Falschheit gieng ihr nicht so zu Herzen, wie die fehlgeschlagene Hoffnung auf Waltern, und sie sey eben so begierig als ich, auch den zweyten Schwiegersohn der gnädigen Frau nennen zu hören.

Sie kam eben zurück, da die Frau von Wilteck mit ihrer Deklamation wider Gabrielens Mißheyrath zu Ende war. Josephe, sagte sie, hat sich dem Stande nach etwas besser bedacht als ihre Schwester, aber mein Gott, neuer Adel, oder gar keiner, ist in meinen Augen auch ziemlich dasselbe. Der alte Herr von Sarnim – – Sarnim? von Sarnim? wiederholte ich. Ja doch, sagte sie, der alte Herr, den sie unter dem Namen des Wachtmeisters bey uns gesehen haben; er ist eigentlich Obristlieutenant, aber er hört sich gern noch Wachtmeister nennen, weil er als Wachtmeister sich seinen Adel erwarb, er rettete dem König das Leben, und – – Mein Gott, rief ich, der Wachtmeister Sarnim, und der Obristlieutenant von Sarnim, von welchen wir so viel in den Zeitungen gelesen haben, sind eine Person. – Ich mußte mich über Peninnens Fassung wundern, sie that noch einige gleichgültige Fragen an die gnädige Frau, und diese entfernte sich endlich, nachdem sie ihre Bitte wiederholt hatte, wir möchten ja alle bey ihrem Feste erscheinen, besonders Peninna. [124] Ihre Töchter hätten versichert, ohne ihre geliebte Ninon würden sie an ihrem Ehrentage keine Freude kennen.

20. Kapitel. Der Hausvater darf doch endlich auch [..]
Zwanzigstes Kapitel
Der Hausvater darf doch endlich auch einmal sein Ansehen zeigen

Ich war froh, daß die Frau von Wilteck uns verließ. Ich besorgte die Anstrengung, mit welcher Peninna ihre Kaltblütigkeit behauptet hatte, könne üble Folgen für ihre durch die Krankheit geschwächte Nerven haben, und erstaunte, als sie auch, da wir allein waren, ihre Fassung beybehielt, und außer einigen Ausrufungen über Gabrielens Falschheit, die ganze Sache behandelte, als ob sie keine Beziehung auf sie habe. Ich sahe wohl ein, daß nur bey Walters Anwerbung ihr Herz mit im Spiel gewesen war, und daß an den beyden andern höchstens nur ihre Eitelkeit einen kleinen Antheil genommen hatte. Aber, gute Peninna, war es denn so ein Kleines Frau Regierungsräthinn oder Frau Obristlieutenantinn mit einem ansehnlichen Vermögen zu seyn? war es ein Kleines für ein armes Mädchen ein so glänzendes Glück verscherzt zu haben, es verscherzt zu haben ohne daß man es noch einmal in seinem ganzen Umfang kannte? Kränkte es dich nicht, daß du nun überzeugt [125] seyn mußtest, diejenigen, die du verschmähtest, wären gar nicht die verächtlichen Männer, wie deine falschen Freundinnen dich zu bereden suchten, und nichts als Neid und Verlangen, sich in die Trümmern deines Glücks zu theilen, habe sie bewogen, dich zu der Rolle zu bereden, die du unter ihrer Anführung spielen mußtest, und die dir so theuer zu stehen kam?

Mir giengen diese Dinge gewaltig im Kopfe herum, aber ich hütete mich wohl, meiner betrogenen Tochter meine Gedanken zu entdecken. Die Arme hatte bereits zu viel gelitten, ich fühlte, daß ich sie schonen mußte. Ich sprach von der ganzen Sache wenig und mit der äußersten Behutsamkeit gegen sie. Ich hatte es noch nicht einmal gewagt, sie zu fragen, ob sie gesonnen sey, die Einladung zur Hochzeit anzunehmen, und mit was für einer Miene sie gedachte, vor ihren abtrünnigen Liebhabern, und ihren falschen Freundinnen zu erscheinen. Wir bemühten uns beyderseits, uns in eine Art von Schlummer und Fühllosigkeit zu wiegen, als auf einmal eine Person erschien, deren Ankunft ich schon lange mit geheimer Angst entgegen gesehen hatte, und die uns ziemlich ungestüm aus unserer erkünstelten Ruhe weckte.

Mein Mann hatte eine Reise nach Berlin zu thun gehabt, er war die ganze Zeit über, da diese sonderbaren Dinge in unserm Hause vorgiengen, abwesend gewesen. Zu der Zeit, als er Hohenweiler [126] verließ, hatten Peninnens Liebhaber nur noch die ersten Schritte zu ihrer Bewerbung um sie gethan. Herr Haller hatte nie viel auf seine Tochter Peninna gehalten. Seine Freude und seine Verwunderung schienen gleich groß zu seyn, daß das Mädchen von andern mit günstigern Augen betrachtet wurde, und daß sich auf einmal drey gleich würdige Männer fanden, die bereit waren, ihn von einer Person zu befreyen, die in seinen Augen nichts als eine unnütze Last seines Hauses war.

Seine Wahl fiel, wie ich schon erwehnt habe, auf den Wachtmeister, und der Erfolg wieß, wie wohl er gewählt hatte. Himmel! die Mutter eines so würdigen Mannes wie der Obristleutenant von Sarnim zu werden, eines Mannes der dem Könige das Leben gerettet, der seinen Adel nicht geerbt, der ihn durch eine edle That erworben hatte, eines Mannes, von dem soviel in den Zeitungen gestanden hatte, den jedermann kannte und ehrte, der so reich war, der – – o ich hätte vergehen mögen, daß mich Peninnens Thorheit um so ein Glück gebracht hatte. Es ist wahr, ich war mehr auf der Seite des Regierungsraths gewesen, denn dieser hatte sich zuerst an mich gewendet; ich hatte mich der Wahl meines Mannes mit mehrerm Ernst als sonst entgegen gesetzt, aber wer hätte auch das denken sollen!

Mein Mann hatte es sich bey seiner Abreise endlich gefallen lassen, daß man die Entscheidung auf Peninnen ankommen ließ, aber dieses hatte er [127] mir ernstlich eingebunden, daß die Sache bey seiner Rückkunft beendigt seyn müsse. Nun war sie geendigt, aberwie? – Es hätte sich wohl der Mühe verlohnt, mit meiner Peninne zu Rathe zu gehen, wie man ihm diese verdrüßlichen Dinge vorbringen, was man ihmdavon sagen und was verschweigen wollte, aber zu dem, daß es eine bedenkliche Sache für eine so rechtliche Frau wie ich war, mit der Tochter zu rathschlagen, wie man den Vater hintergehen wollte, so graute mir auch allemal diesen Punkt zu berühren, und wie es immer bey verdrüßlichen Dingen zu gehen pflegt, man schob die Sache so lange auf, bis es endlich zu spät war. Eben so gut, dachte ich, als ich meinen Mann aussteigen sah, und ihm entgegen gieng, so geht alles seinen Gang; wir leiden für das, worinnen wir gefehlt haben, und damit ists aus. Wir dürfen nicht besorgen, daß Dinge, die wir jetzt verschweigen und bemänteln, hintennach erst entdeckt werden, und daß wir vielleicht erst in Jahren den Sturm vollends ausstehen müssen, den wir jetzt von uns abzuwenden suchen.

Ich war auf diese Art in einer ganz guten Fassung, aber leider war sie noch lange nicht fest genug, um mich alle die Auftritte, die uns bevorstanden mit der Würde, die ich immer zu behaupten suchte, ertragen zu lassen. Als Herr Haller sich tief vor der zitternden Peninna beugte, sich auf seinen Stock stützte und sie mit einem tiefen Blick in [128] ihre niedergeschlagenen Augen fragte, wie er sie nennen sollte; als er sich darauf gegen mich zurück wandte, und mit einem Tone sagte, der sich nicht beschreiben läßt: Zwar, Mamsell Haller ist sie wohl noch; ich würde es sehr übel nehmen, wenn man die Ankunft des Vaters nicht abgewartet, und ihn um die Hochzeitfreude gebracht hätte. Als er darauf uns mit einem höhnischen Tone um unser Stillschweigen zur Rede setzte, und in uns drang, ihm den Namen seines Schwiegersohns zu nennen. – – O Himmel, laßt mich aufhören. Es war offenbar, man hatte ihm bereits alles dienstfertig hinterbracht; er war zuerst beym Pfarrer eingesprochen, bey welchem er einige Geschäfte hatte, die Frau Pfarrerinn hatte nicht ermangelt, ihm in Abwesenheit ihres Mannes einige boshafte Winke zu geben, und mit voller Wuth im Herzen erschien er also bey uns, um uns auf die Art zu bewillkommen, von welcher ich hier einige Züge gegeben habe.

Alles, auch die kleinsten Umstände der ärgerlichen Geschichte waren ihm bekannt, weiß der Himmel woher die Pfarrerinn so gut unterrichtet seyn mochte! aus meinem Hause war nichts ausgeplaudert worden, das Geheimniß war blos unter mir und Peninnen geblieben, und es war keine andere Möglichkeit, es mußte durch die Fräuleins ausgekommen seyn, welche weit entfernt sich über den Antheil, den sie an der Sache hatten, zu schämen, es lieber gesehen hätten, alle Welt [129] zu Zeugen ihrer hämischen Bosheit nehmen zu können. Ohne Zweifel würde dieses das Mittel gewesen seyn, die Unschuld meiner Tochter in einiges Licht zu setzen, und es in die Augen fallend zu machen, daß sie nur die Verführte gewesen wär, wenn die gnädigen Damen nicht den Fehler, den sie durch die offenherzige Erzählung des ganzen Vorgangs begangen, eingesehen, ihre erste Aussage zurück genommen, und die Sache nachher auf so verschiedene Art bemäntelt und vorgetragen hätten, daß im ganzen Städtchen die Geschichte wohl auf zwanzigerley Art erzählt wurde. Die Pfarrerinn war im Besitz der schlimmsten Gattung von diesen Varianten, sie war von der Gewißheit ihrer Nachricht so überzeugt, daß sie im Stande gewesen wär sie zu beschwören, und sie hatte dieselbe meinem Mann so umständlich, so zuversichtlich überliefert, daß wir Mühe hatten, sie an den Stellen, wo uns offenbares Unrecht geschahe, zu berichtigen, und unserm Richter eine bessere Meynung von uns einzuflößen.

Viele Tage giengen über Bemühungen von dieser Art hin. Herr Haller blieb, wir mochten die Sache aufs beste kehren und wenden, wider uns eingenommen, und er schien so froh zu seyn, sich einmal ein richterliches Ansehen wider mich geben zu können, die ich so oft über ihn zu urtheilen befugt gewesen war, daß ich hier eine Mitschuldige seyn mußte, ob ich gleich höchstens nur durch Nachsicht gefehlt hatte. – Hätte es doch [130] seyn mögen! ich war eher im Stande seinen Zorn zu ertragen als die arme Peninna, welche unter dem Spott und der Grausamkeit, mit welcher er ihr begegnete, zu erliegen gedachte.

21. Kapitel. Eine Hochzeit, bey welcher die Matrone [...]
Ein und zwanzigstes Kapitel
Eine Hochzeit, bey welcher die Matrone ihr gesunkenes Haupt wieder ein wenig zu erheben anfängt

Der Hochzeittag der tugendbelobten Fräuleins nahte heran. Es kam mir nicht in den Sinn dabey zu erscheinen, und Peninna? – da war vollends gar nicht daran zu denken. – So gefaßt sie vielleicht vor Ankunft ihres Vaters gewesen wär, ihre falschen Freundinnen zum Altare zu begleiten, so hatte sie doch durch seine bisherige harte Begegnung so viel gelitten, daß sie mehrere Tage bettlägrig seyn mußte, und eher einem Gespenst als einem siebzehnjährigen Mädchen ähnlich sah; was für eine Figur würde sie bey dem Feste gemacht haben!

Meinen Gedanken nach, sollte auf die wiederholte Einladung vom Wilteckischen Hause, mein Mann nebst meinen drey ältsten Kindern außer Peninnen bey der hohen Vermählungsfeyer erscheinen. Ich und die arme Leidende wollten mit den beyden jüngsten zu Hause bleiben, und zusehen, [131] ob wir an diesem merkwürdigen Tage wenigstens einige Ruhe geniessen könnten, da niemand um uns seyn würde, der durch Vorwürfe unsern Verdruß erschwerte.

Ich hatte meine Einrichtung vergeblich gemacht. Mein Mann bestand darauf, Peninna sollte zur Strafe ihrer Unbesonnenheit bey der Trauung ihrer Freundinnen und ihrer Liebhaber gegenwärtig seyn; mir ähnlichen Zwang anzulegen, unternahm er zwar nicht, aber es verstand sich von selbst, daß ich meine Tochter nicht ohne Trost und Beystand ihrem Schicksal, vielleicht dem Hohngelächter der beyden übermüthigen Bräute überlassen konnte.

Ich hätte nicht geglaubt, daß Peninna genug Stärke des Geistes besitzen würde, die harte Rolle, die ihr ihr Vater auflegte, mit Anstand zu spielen, und ich verwunderte mich, sie an dem Morgen des großen Tages gefaßter erscheinen zu sehen, als sie seit ihres Vaters Ankunft gewesen war. Wir rüsteten uns zu unserm schweren Gange, und ich muß gestehen, daß meine Tochter, ungeachtet ihrer Leichengestalt, und des ohne alle Kunst und Sorgfalt gewählten Putzes, reizend aussah. Wir wurden zur Trauung geholt; die dicke Gabriele, mit hochrothgefärbten Wangen, und einer Frisur von drey Etagen, flog uns in einem weiten silberstossenen Gewand entgegen, und drückte ihre geliebte Ninon mit solcher Inbrunst an sich, als ob nie etwas unter ihnen vorgegangen [132] wär, das Verweise verdiente; sie nahm das bleiche Mädchen, und stellte sie mit triumphirender Miene ihrem Bräutigam vor, welcher Peninnens kaum hörbaren Glückwunsch mit einer stillschweigenden Verbeugung und einem zur Erde gewandten Blick aufnahm. Ich weiß nicht was es war, das ich in seinem Betragen zu lesen glaubte; war es noch Unwillen über Peninnens ehemalige Beleidigung, oder war es Reue, daß er ihre Stelle nicht besser als mit einer Gabriele besetzt hatte. Fräulein Josephe, welche allemal mehr Stolz gegen Peninnen geäußert hatte als ihre Schwester, hielt sich auch jetzt zu vornehm, ihr entgegen zu kommen. Sie stand mit einem verächtlich auf sie herabgesenkten Blick an ein Fester gelehnt da, und schien sich mit ihrem Bräutigam von gleichgültigen Dingen zu unterhalten.

Peninna war in Verlegenheit, ob sie sich ihr nähern sollte, und Josephe vermehrte ihre Bestürzung durch die unglaubliche Unverschämtheit, mit wrlcher sie kein Auge von ihr verwandte und ihre ganze Person zu mustern schien. Eben wollte ich mich ins Mittel schlagen, aber der edle Herr von Sarnim kam mir zuvor. Er gieng mit seiner gewöhnlichen Treuherzigkeit auf Peninnen zu; nahm sie bey der Hand und führte sie seiner Braut, die sich jetzt einige Schritte vorwärts bewegte, entgegen.

Warum so still und niedergeschlagen? fragte er meine Tochter, die sich vergebens bemühte einige Glückwünschungsworte zu stammeln. Vermuthlich[133] Verlegenheit! sagte Josephe, die ihren Kopf auf eine übermüthige Art zurück warf, sie wird nicht wissen, wo sie Worte hernehmen soll, mir ihre Freude zu bezeugen, daß sie mich als die Braut des Herrn von Sarnim sieht. Mamsell Haller, erwiederte der Obristlieutenant, weiß wohl, daß es nur an ihr lag die Stelle einzunehmen, die, – mit der sie mich beehren? rief Josephe, sehr artig! in der That! ich habe also die Ehre, den Namen zu führen, den Ninnchen Haller verschmähte. Josephe drehte sich mit diesen Worten verächtlich auf die andere Seite, und der Obristlieutenant klopfte vertraulich mit seiner Linken auf Peninnens rechte Hand, die er noch in der seinigen hielt. Seyn sie aufgeräumt, liebes Mädchen, sagte er, ich denke keinen Augenblick mehr an das Vergangene, will gewiß ihr Freund seyn, ob sie gleich den alten Wachtmeister nicht zum Manne haben wollten.

Peninna hatte, wie sie mir sagte, alle ihre Fassung nöthig, um die gutgemeinte Rede des freundlichen Alten so zu beantworten, wie sie es verdiente. Die kindische mißlungene Probe, welche sie gewagt hatte, auch diesem edeln Manne aufzulegen, kam ihr wieder in den Sinn, und die Beschämung färbte ihre bleiche Wangen mit so glühender Röthe, als Gabriele mit ihrer Schminke auf den ihrigen nicht hatte erkünsteln können.

Es war unmöglich, daß Empfindungen von dieser Art sich nicht in einigen Worten äußern [134] sollten, und diese mochten wohl so ausdrucksvoll, so ganz aus dem Herzen gesprochen seyn, daß sie ihre Würkung nicht verfehlen konnten. Sie sind verführt worden, sagte der Obristlieutenant, indem er ihre Hand freundlich drückte, und ich habe mich vielleicht übereilt, wir müssen beyde drauf sinnen, unsere Fehler zu verbessern.

Josephe konnte es nicht ausstehen, ihren Bräutigam so lange mit ihrer Nebenbuhlerinn sprechen zu sehen; sie ließ ihn abrufen, konnte aber dennoch nicht verhindern, daß Peninna bey der Tafel, auf des Herrn von Sarnim Begehren, an seiner linken Seite sitzen mußte, und daß er sich mehr mit ihr unterhielt, als mit derjenigen, die ihm das Schicksal zur Gattinn gegeben hatte, und die es für nicht zu früh hielt, ihn am Tage ihrer Verbindung, schon die Erstlinge ihrer Eifersucht und mürrischen Laune schmecken zu lassen. – – – Die Ehre an der Seite des edeln Obristlieutenants zu sitzen, und die Gelegenheit, die sie gehabt hatte, einen Theil seiner ehemaligen guten Meynung wieder herzustellen, machte Peninnen so froh, daß sie ganz wieder sie selbst war; aufgeräumt, ungezwungen, unterhaltend, die Seele des Gesprächs, das in der Gegend, wo sie saß, gehalten wurde.

Der Herr Regierungsrath Berg richtete unterschiedlichemal seine Augen mit einem tiefen Seufzer auf sie, und Gabriele fand, daß einer von den silbernen Armleuchtern auf der Tafel sie [135] blendete und rückte ihn so, daß ihr Bräutigam nichts mehr von Peninnen sehen konnte als höchstens die weisse Feder auf ihrem Hute.

Mir entgieng nicht das geringste von allen diesen Dingen, ich fand eine Art von Beruhigung oder Genugthuung darinnen, und dieser so sehr gefürchtete Abend vergieng besser als ich gedacht hätte. Wir kehrten ziemlich froh nach Hause, und selbst mein Mann gab Peninnen diesen Abend wieder einige freundliche Blicke. Die Lobsprüche, die ihre Gestalt und ihr Betragen bey einigen Anwesenden gefunden hatte, söhnten ihn ein wenig mit ihr aus, und er fieng an zu hoffen, daß sie doch vielleicht noch nicht ihr ganzes Glück verscherzt haben möchte, daß es doch noch vielleicht eine Möglichkeit sey, ihrer auf eine ehrenvolle Art los zu werden.

22. Kapitel. Einige Predigten der Matrone
Zwey und zwanzigstes Kapitel
Einige Predigten der Matrone

Peninna war mir durch die Begebenheiten des gestrigen Abends, durch den Beyfall, den sie in aller Augen gelesen hatte und durch die sichtbare Demüthigung ihrer verrätherischen Freundinnen, fast zu kühn geworden. Ich sah es nicht gern, daß sie sich sobald über ihre Vergehungen durch einen gefälligen Blick von denen, die sie beleidigt hatte, trösten ließ. Meinem Urtheil nach, müssen [136] wir nie so bereitwillig seyn, uns unsere Fehltritte zu verzeihen, als unsere Freunde. Wenn ihre Vergebung sogleich alles bittere Gefühl der Reue austilgt, so sind wir gewiß auf gutem Wege, nächstens wieder zu fehlen, oder wir fallen endlich gar in die unedle abscheuliche Gewohnheit, den guten Seelen, von denen wir wissen, daß ein Blick, eine Thräne ihren Zorn entwaffnen kann, täglich neue Gelegenheiten zu Geduld und Nachsicht zu geben, und nur mit denen behutsam und schonend zu verfahren, die weniger edel denken, und also auch schwerer zu besänftigen sind.

Schon bereitete ich meiner Peninna eine Vorhaltung über diesen Punkt zu, als sich noch eine Gelegenheit zeigte, sie zurecht zu weisen. Kaum hatten wir aus dem Wilteckischen Hause Nachricht erhalten, daß die jungen Ehepaare sichtbar, und wie es nun so die Gewohnheit bey uns mit sich brachte, bereit waren, die Glückwünsche ihrer Hochzeitgäste anzunehmen, so trat meine ältste Tochter, in einem Aufputze herein, in welchem sie wo möglich noch reizender aussah, als in dem gestrigen.

Du willst mich zu Wiltecks begleiten? fragte ich. Wenn sie erlauben, erwiederte sie mit einer kleinen Verbeugung.

Du glaubst also wohl, du wirst der Frau von Sarnim und der Frau Regierungsräthin große Freude mit deiner Erscheinung machen? – Peninna faltete ihren Fächer von einander, sah lächelnd vor sich nieder, und schwieg. – Je nun, [137] fuhr ich fort, ihren neuen Gemahlen wirst du wenigstens nicht unangenehm seyn, du kannst ihnen leicht besser gefallen, als ihre Neuvermählten.

Peninna fühlte das Bittre in meiner Bemerkung. Eine glühende Röthe, die sich über ihr Gesicht verbreitete, und sich bald wieder in ihre gewöhnliche Blässe verkehrte, ersparte mir die Mühe, mich deutlicher zu erklären. – Pfui, Peninna, sprach ich, nachdem ich sie eine Zeitlang steif angesehen hatte, ich schäme mich deiner. Ich kenne keinen häslichern Charakter als den einer Coquette, selbst in dem gelindesten Verstande, den die heutige Welt diesem Worte giebt. Du kennst die Verhältnisse, in denen du mit den Neuvermählten gestanden hast, und bist klug genug, einzusehen, daß inskünftige aller Umgang zwischen euch muß aufgehoben bleiben. Die jungen Frauen verdienen wohl deine Verzeihung, aber nicht deine Freundschaft; und ihre Männer – – sie denken edel genug dich zu verachten, wenn du dich ihnen von nun an weiter zeigen würdest. Ein ehrliches Mädchen entzieht sich den Augen, denen sie vielleicht gefallen könnte, und welche kein Recht haben nach ihr zu blicken. – Willst du vielleicht eine Störerinn des ehelichen Friedens werden? Willst du – –

Hier hielt ich ein. Peninnens Thränen fiengen an zu fliessen; es waren keine Thränen des beleidigten Stolzes, sondern die frommen kindlichen Thränen, die bey einem mütterlichen Verweis aus den Augen einer guten Tochter fliessen. – Ich hatte [138] also meinen Zweck erreicht, und versparte den andern Theil meiner Predigt auf ein andermal, denn geschenkt war er ihr nicht. – Jetzt legte Peninna ihren Putz ab, gieng an ihre häuslichen Geschäfte, und ich machte meinen Ceremonienbesuch allein bey Wiltecks.

Ich fand den Zustand der Sachen im Hochzeithause wie es sich denken läßt. Der Herr von Wilteck und seine Gemahlinn waren so zufrieden, als mein Mann den Tag nach Peninnens Hochzeit gewesen seyn würde. Die Gesichter der jungen Damen klärten sich auf, da sie mich ohne meine Tochter erscheinen sahen. Der Obristlieutenant, der sich sehr verbindlich gegen seine Josephe aufführte, konnte sich doch nicht enthalten, mit seiner gewöhnlichen treuherzigen Art, nach Peninnen zu fragen und sie grüßen zu lassen, und der Regierungsrath saß stumm neben Gabrielen, und schienganz mit seinen Gedanken abwesend zu seyn. Mein Besuch war kurz, wie ich alle meine Ceremonienvisiten mache.

So kurze Zeit ich von Hause gewesen war, so hatte sich doch schon etwas wichtiges in meiner Abwesenheit zugetragen. Meine Tochter kam mir bey meiner Rückkunft mit einem von Freude verklärten Gesicht entgegen. O meine Mutter, rief sie, indem sie mir um den Hals fiel, wir bekommen diesen Nachmittag einen Besuch, der – der – bey dem ich gewiß werde gegenwärtig seyn dürfen, gewiß – ich getraue mir zu sagen – daß [139] es nicht Coquetterie seyn wird – wenn ich – kurz liebe Mutter, Herr Walter hat sich melden lassen, und ich habe ihn angenommen. Nun, nun, sagte ich, du hast wohl gethan, aber Kind, Kind, ich bitte dich, nimm dich in Acht zu gläuben, daß dieser Besuch eine angenehme Beziehung auf dich haben werde. Ich an deiner Stelle würde eher bitten von demselben ausgeschlossen, als dabey gegenwärtig zu seyn. O liebe Mutter, rief sie in einem halb traurigen Tone, wie können sie es doch über das Herz bringen, die liebsten Hoffnungen ihrer Peninna so gleich zu unterdrücken.

Deine Hoffnungen Kind? – Ja liebe Mutter, sie wissen ja wie wir mit Herrn Waltern stehen, – ich hoffe es ist nichts Böses, wenn ich ihnen gestehe, ich glaube er kommt um meinetwillen – und – ich liebe ihn – und ich würde ihm alle Obristlieutenante und Regierungsräthe der ganzen Welt aufgeopfert haben; blos seinetwegen reut mich nichts.

Nun dies Geständniß ist offenherzig genug, sagte ich, aber schäme dich nur nicht, ich bin deine Mutter, die es gern sieht, wenn du ihr keinen deiner Gedanken verhehlst. – O ich hoffe, unterbrach sie mich, die Zeit wird bald kommen, da ich es vor der ganzen Welt gestehen darf, wie ich von Herrn Walter denke, und ich brenne vor Verlangen, ihm die Beleidigung, die ich ihm ehemals in meiner Einfalt zufügte, durch ein solches Geständniß zu vergüten.

[140] Peninna, Peninna! sagte ich mit aufgehobenem Finger, hüte dich dieses Geständniß zu frühzeitig zu thun, du möchtest es nicht ohne Beschämung zurück nehmen können. – Glaubst du, daß ein Mann, wie Walter, eine empfangene Beleidigung so leicht vergißt, als du eine angethane? Mein Gott, liebe Mutter, sprach sie, alles das war ja nur Scherz, und ich muß ja den guten Walter kennen. Wenigstens, schloß ich mit einem etwas verdrüßlichen Tone, wollte ich dir wohl rathen den Brief, den er bey seinem schnellen Abschied aus Hohenweiler an mich schrieb, noch einigemal zu überlesen, ehe du den kleinsten Schritt mit deiner gewöhnlichen Voreiligkeit zu thun wagst.

Ich gieng an mein Schreibepult, nahm ihn heraus und gab ihn ihr, aber ich muß sehr zweifeln, ob sie sich die Zeit genommen hat, ihn zu überlesen, denn sie war bis zur Mahlzeit so unglaublich mit tausend Kleinigkeiten beschäftigt, daß ich nicht wußte, wo ein Augenblick vernünftiger Ueberlegung statt gefunden haben sollte.

Ich seufzte über ihre Verblendung, und that mein möglichstes einen Schleyer über ihre Thorheit zu werfen, damit hernach die Beschämung über ihren Irrthum nicht so gar groß seyn möchte, aber alle meine Vorsicht war vergebens. Mein Mann, dem ich auf Peninnens Bitten, nie etwas umständliches davon gesagt hatte, in wie weit Herr Walter in die ehemaligen albernen Geschichten verwickelt gewesen war, der also auch von [141] dem nachdenklichen Brief, den ich Peninnen zur Beherzigung gab, nichts wußte, hatte von dem' Besuche, der uns diesen Nachmittag bevorstand, gleiche Vermuthungen wie seine Tochter; er sprach über der Mahlzeit öffentlich davon, und Peninna, so sehr ich ihr auch ein wenig Zurückhaltung empfohlen hatte, scheute sich nicht, ungeachtet wir nicht allein waren, denn der Herr Pfarrer speißte mit uns, mit ihrer gewöhnlichen Wärme zu gestehen, daß sie der Meynung ihres Vaters beypflichtete, und daß sie zu sehr von Herrn Walters Verdiensten überzeugt wär, um sich einen Augenblick zu bedenken, wenn ihre Aeltern ihr gebieten sollten, seine Bewerbungen anzunehmen. Mein Mann nannte sie ein vernünftiges Mädchen, und der Herr Pfarrer stand auf und trank mit seiner gewöhnlichen Feyerlichkeit die Gesundheit der zukünftigen Braut.

Ich hätte vor Ungeduld über diese Albernheiten vergehen mögen, und sagte um denselben einigen Einhalt zu thun, ich wisse zuverläßig, daß Herrn Walter Angelegenheiten von ganz anderer Art nach Hohenweiler trieben, und bät also recht sehr weder in Scherz noch im Ernst mehr etwas von solchen Dingen zu gedenken.

Mein Mann sah mich unwillig an, der Pfarrer ward still, und Peninnen traten über die Grausamkeit ihrer Mutter die Thränen in die Augen. Es ist mir oft, vornehmlich in meinen höhern Jahren begegnet, daß man meine Aussprüche [142] für halbe Weißagungen gehalten hat, weil sie immer so glücklich zutrafen. Ich habe nie eine Ursache von diesen seltsamen Erfüllungen meiner oft ohne sonderliche Ueberlegung gesprochenen Worte angeben können, als daß ich immer die Umstände eines jeden Dinges mit meinen beyden offenen Augen ansah, dahingegen andere, die ihrigen vor den selben halb, auch wohl ganz verschlossen.

Leider wurde meine Rede auch hier erfüllt. Ich wußte nicht was Waltern für Angelegenheiten nach Hohenweiler trieben, ungeachtet ich mich dessen rühmte, um meine Absichten damit zu erreichen, aber ich konnte es muthmaßen, und ich wunderte mich daher nicht sehr, als ich des Nachmittags am Fenster stand, und einen Wagen vorfahren sah, aus welchem Herr Walter im niedlichsten geistlichen Ornat, der sich denken läßt, heraussprang, und ein junges Frauenzimmer aus demselben herabhob. Ich entdeckte Peninnen, welche bey mir saß, was ich sah, und was ich vermuthete; – sie ließ die Hände sinken, sah mich steif an, und fragte ob ich scherzte? Ich sahe sie bleich werden, und rieth ihr, lieber das Zimmer sogleich zu verlassen, wenn sie den Anblick von Walters Braut nicht gedächte ertragen zu können. O so müßte ich doch auch weder Stolz noch Selbstgefühl haben, sagte sie, indem sie sich von ihrem Sitz erhob, und sich hoch aufrichtete, wenn ich den Anblick eines Ungetreuen nicht eine Halbe Stunde [143] wollte ertragen können, ohne meine Schwachheit zu verrathen.

Es war jetzt nicht die Zeit, sie zu überführen, wie wenig der arme Walter den Namen eines Ungetreuen verdiente, ich sah es gern, daß ihr ihr Unwille jetzt zur Stütze diente, und es war auch zu spät zu weiterer Wortwechselung, denn eben trat Herr Walter ein, und an seiner Hand ein Mädchen – Himmel, ein Mädchen wie ich, die Mutter von vier schönen Töchtern, wenig gesehen habe.

23. Kapitel. Die Eitelkeit kann mehr Kränkungen verschmerzen
Drey und zwanzigstes Kapitel
Die Eitelkeit kann mehr Kränkungen verschmerzen als die Liebe

Unschuld, Sittsamkeit, und froher Muth lachte auf Charlottens Wangen, Geist und Empfindung sprach aus ihren Augen, ihre Gestalt war die edelste weiblich schöne, die ich je gesehen hatte, und ihr Betragen, das den vollen Ton der Welt hatte, gab ihren Reizen so etwas gebietendes hinreißendes, daß meine arme Peninna ganz im Schatten dastand.

Ich empfieng die Ankommenden wie es ihnen zukam, und wie mir es mein Herz eingab. Ich hatte Waltern immer hochgeschätzt, und das Bewußtseyn, daß ihm in meinem Hause nicht so begegnet [144] worden war, wie er verdiente, gab der Art wie ich ihn bewillkommte, noch mehr verbindliches, als sie vielleicht außerdem gehabt haben würde. Seine Charlotte war eine von denen Personen, die das herz auf den ersten Anblick einnehmen, und es schadete ihr nichts in meiner Achtung, daß sie die Nebenbuhlerinn meiner Tochter war; es wär Unbilligkeit gewesen, wenn sie, die von allem nichts wußte, an allem unschuldig war, den geringsten Nachtheil an dieser Vorstellung hätte haben sollen. Hatte sie mich durch ihren Anblick bezaubert, so nahm sie mich durch ihre Unterhaltung noch mehr ein, und ich konnte es Waltern weiter nicht verdenken, daß er so ganz in sie entzückt, so ganz blind gegen alles außer ihr zu seyn schien. Zwar sprach die mütterliche Liebe in mir, meine Tochter hätte doch nicht so bald, so gänzlich vergessen werden sollen, sie habe doch nicht die Demüthigung verdient, daß man eine andere so im Triumpf vor ihr aufführte, aber denn redeten wiederum Peninnens Beleidigungen, und Charlottens Vorzüge Waltern so kräftig das Wort, daß ich unmöglich auf ihn zürnen konnte.

Mit Peninnens Betragen war ich sehr zufrieden. Ich hatte gefürchtet, sie würde jenes geschwätzige übertriebene muntere Wesen annehmen, unter welchem manche Frauenzimmer ihre gekränkte Empfindlichkeit zu verbergen suchen, und ich hätte ihr gram seyn können, wenn sie diese alberne Rolle gespielt hätte, die das, was sie verhüllen [145] soll, so öffentlich zur Schau legt; aber ich hatte doch immer noch die Freude, dieses so irrige, in vielen Stücken so sehr fehlerhafte Mädchen, auf einer bessern Seite zu sehen, als ich ihr selbst zugetraut hätte.

Sie war freundlich, gefällig und unbefangen in ihrem Betragen; sie nahm einigen Theil an dem Gespräch, aber sie drängte sich nicht hervor; das wenige, was sie sprach, war gut, und ihr ganzes Wesen zeigte, daß sie hier keinen Anspruch auf Bewunderung, nicht einmal auf Bemerkung mache. Charlotte, die nichts von ihren ehemaligen Verhältnissen mit Waltern zu wissen schien, fand Peninnen interessant für sich, sie wandte sich immer an sie mit ihren Reden, sie zeigte in jedem ihrer Worte, daß ihr Herz sich zu ihr hinneigte, daß sie sich so eine Freundinn wünschen möchte, aber Peninna, die sich vermuthlich erinnerte, daß ich ihr diesen Morgen sagte, zwischen ihr und den Frauen ihrer ehemaligen Liebhaber könne kein Umgang statt finden, und die diese Sentenz auf den gegenwärtigen Fall anwenden mochte, blieb zurückhaltend, und erwiederte Charlottens zuvorkommendes Wesen blos mit der gutherzigen Freundlichkeit, die ein kunstloses Landmädchen jedem Freunden zu erweisen pflegt; sie war zu ehrlich, gegen Charlotten, die sie bey allen ihren Vorzügen unmöglich lieben konnte, Empfindungen zu heucheln, die ihrem Herzen fremd waren. Eine andere an ihrer Stelle würde geglaubt haben, ihre Sachen [146] vortreflich zu machen, wenn sie die Nebenbuhlerinn, die sie haßte, mit Liebkosungen überschüttet hätte, sie würde gedacht haben, ihrem ungetreuen Liebhaber durch ein solches Betragen zu beweisen, wie wenig sie seiner neuen Geliebten den Besitz seines Herzens mißgönnte, und – sie hätte ihm durch alles ihr Bestreben nur das Gegentheil anschaulich gemacht. O Mädchens, Mädchens, lernt doch der Natur und euren wahren Empfindungen so treu als möglich handeln, wenn ihr immer, auch in euren nachtheiligsten Lagen, einen Anspruch auf Achtung behaupten wollet.

Endlich gieng dieser Besuch zu Ende, welcher, so wohl mir auch Walter und seine Charlotte gefielen, mir doch endlich anfieng lästig zu werden, und dessen ich überhaupt gern überhoben gewesen wäre. Peninna ward stiller; ich merkte es ihr an, daß sie ihre peinliche Anstrengung nicht lange mehr aushalten könne, und ich war froh, als man aufstand und sich empfahl.

Wie ist dir, meine Peninna? fragte ich, als ich von der Begleitung meiner Besuche zurückkam, und sie in ihren Stuhl zurückgelehnt sitzen fand. Sie streckte ihre Hand nach mir aus, ihre blauen Augen schlossen sich, und sie sank empfindungslos in meine Arme.

Armes, armes Mädchen, wie schwer mußtest du für die Thorheit büßen, mit einem Herzen zu spielen, das dir lieber war als du selbst glaubtest. Walter war nun für dich dahin, auf ewig [147] dahin, und dieses darum, weil du einige Stunden lang geglaubt hattest, du könntest alles wagen, ohne seinen Verlust zu fürchten.

Mein Mann war so wenig bey Walters Besuch, als bey dem darauf folgenden Auftritte gegenwärtig gewesen, aber als er kam, als er den ganzen Vorgang erfuhr, als er aus den eigenen Reden der trostlosen Peninna merkte, daß sie sich selbst den Verlust des Mannes, den sie liebte, zuzuschreiben habe, da brach er mit seinem gewöhnlichen Ungestüm wider sie los, und seine Härte, zusammengenommen mit ihren eigenen Empfindungen, versetzten sie wieder in den Zustand, welcher sie bey der ersten Muthmassung von Walters verscherzter Liebe dem Tode nahe gebracht hatte.

Das Herz ihres Vaters erweichte sich nicht bey der Gefahr, in der er sie sahe, es erweichte sich nicht, da sie, nachdem sie gerettet war, sich zum erstenmal wieder zu seinen Füßen warf, und seine Verzeihung wegen desjenigen erflehen wollte, wofür sie selbst am meisten gelitten hatte, und das einige Mittel ihr Ruhe zu schaffen, war, daß ich Herrn Haller bat, mir zu erlauben, die Tochter, die er ganz verworfen zu haben schien, zu ihrem Großvater zu bringen, welcher bey seinem zunehmenden Alter die zärtliche Pflege weiblicher Hände anfieng nöthig zu haben, und von dem ich wußte, er würde seine immer vorzüglich geliebte Enkelinn [148] mit offenen Armen aufnehmen. Herzlich gern willigte mein Mann ein, und wir reisten ab.

24. Kapitel. Ein ewig langer Brief von dem lieben Samuel
Vier und zwanzigstes Kapitel
Ein ewig langer Brief von dem lieben Samuel

Nicht allein der Wunsch, ein geliebtes Kind in die Arme meines Vaters zu liefern, sondern auch Verlangen, bey ihm Nachricht von einem andern eben so geliebten, zu erhalten, trieb mich nach Traußenthal, wo mein Vater lebte.

Ich hatte ihm nicht sobald von allem, was bisher bey uns vorgegangen war, Nachricht gegeben, und Peninna hatte nach einigen ziemlich ernsten Vermahnungen des ehrwürdigen Greises, nicht so bald wieder ihren Frieden mit ihm gemacht, als wir beyde fast aus einem Munde fragten, was Samuel machte. Peninna klagte, daß sie so lange nichts von ihrem geliebten Bruder gehört, und ich, daß ich nie befriedigende Nachricht auf meine schriftliche Nachfragen nach ihm erhalten habe. Seine Briefe an mich, sagte ich, sind immer so kurz so allgemein in ihrem Inhalte, und mir, sprach Peninna, hat er, seit dem Ermahnungsbriefe bey seinem Abschiede, gar nicht geschrieben.

Wir hatten gute Zeit zu sprechen, denn mein Vater schien in einem so tiefen Nachdenken begraben [149] zu seyn, daß er uns kaum hörte. Fraget mich nicht, fieng er endlich mit einem tiefen Seufzer an. Samuel bleibt sich immer gleich, die Verdrüßlichkeiten, in welche ihn sein, im Grunde nicht tadelnswürdiger Charakter schon in seinen Kinderjahren stürzte, gehen jetzt, da er sich in einer größern Sphäre befindet, ins Große; er bringt sich um sein Glück, und ich sehe nicht, wie ihm endlich zu helfen seyn wird. – Da leset diesen Brief, er wird euch Nachricht von seinem gegenwärtigen Zustand, und auch vielleicht einiges Licht über vergangene Dinge geben, die euch so wie mir, lange unerklärlich geblieben sind. Nun, sagte ich, indem ich zitternd den Brief nahm, und ihn von einander faltete, das Unerklärlichste war mir wohl der Widerwille, den sein Vater von jeher gegen ihn bezeigte, und den ich unmöglich allein auf die Rechnung seines, Herrn Hallern so widerwärtigen Namens, und auf das Ungefällige schieben kann, das sein Betragen in seines Vaters Augen immer hatte. – Dieses ist es eben, fuhr mein Vater fort, wovon du einige Winke in diesem Briefe finden wirst.

Ich ließ Peninnen bey ihrem Großvater, nahm den Brief und entfernte mich. Was ich fand war folgendes.

»Lieber Vater!

Ich muß, ich muß mein Herz vor Ihnen ausschütten sollte es auch schriftlich seyn, da es [150] mir mündlich unmöglich ist. Je länger ich in der Welt lebe, je mehr finde ich, daß ich nicht in dieselbe gehöre! O daß ich einen Winkel auf dieser Erde kennte, den ich mein eigen nennen dürfte, und in welchem ich nebst Ihnen, meiner Mutter und denen von meinen Geschwistern, die noch nicht verdorben sind, mit Ausschliessung aller übrigen menschlichen Gesellschaft leben könnte, oder daß mir die Zuflucht in einem Kloster nicht verschlossen wäre, welches mir, man sage auch was man wolle, doch der einige Ort zu seyn dünkt, wo ein Mensch mit strengen Begriffen von Recht und Unrecht ruhig und ohne Anstoß leben kann. Kränken Sie mich nicht, mein Vater, mit solchen Aeußerungen wie bey unserer letzten Unterredung! Sie haben recht, Sie waren es, der mir diese strengen Grundsätze einflößte, aber die volle Stärke derselben, welche mich, ich fühle es, unglücklich macht, habe ich mir selbst, habe ich dem seltsamen Etwas zu danken, das in mir ist, und das mich zu tiefern Nachforschen treibt, als die Gegenstände, die um mich sind, vertragen können. Freylich sind diejenigen glücklicher, die nur mit ihrem Blicke auf der Oberfläche bleiben, und die Dinge nehmen, wie sie sich ihren Augen darstellen.

Wohin mich auch der Dämon, der mir alles mein Glück verbittert oder mir es unter den Händen vernichtet, einst führen mag, so betheure ich hier vor Himmel und Erde, daß Sie unschuldig an meinem Unglück sind. Ich kann Ihnen dieses [151] nicht besser beweisen, als wenn ich Sie auf vergangene Dinge zurück führe. Es ist wahr, Sie lehrten mich frühzeitig das Gute und das Böse kennen, lehrten mich die Tugend so heiß, so innig lieben, als je ein schwärmerischer Jüngling das hohe seraphische Ideal von einem Mädchen liebte, das er nie in der Würklichkeit erblicken wird. Auch erregten Sie meinen lebhaftesten Abschen gegen das Laster, aber immer sagten Sie mir, ich müßte die volle Strenge gegen das Böse nur auf meine eigenen Handlungen anwenden, mich nie zum Richter anderer aufwerfen, nein, vielmehr für die Fehltritte anderer immer Nachsicht, Entschuldigung und schonendes Mitleid übrig haben. Daß ich der Prediger dererjenigen werden sollte, die die Vorsicht einige Stufen über mich gesetzt hat, daß ich es wagen sollte meinen eigenen Vater zu recht zu weisen, und mir dadurch seine Liebe vielleicht auf ewig zu rauben, dieses lehrten Sie mich nicht, und doch that ich es. Ich war noch nicht dreyzehn Jahr, als mir der Zufall, oder vielmehr einige dienstfertige Freunde, welche die Kinder so gern mit den Fehlern ihrer Aeltern unterhalten, alle die heimlichen Gänge entdeckten, auf welchen der, dessen Namen ich nicht zu nennen wage, sich, meiner Mutter, und uns allen den Untergang zubereitete. Ein anderer Knabe meines Alters würde dieses in den Wind geschlagen, oder sich wenigstens nicht für verbunden gehalten haben, eine handelnde Person dabey vorzustellen. Ich hatte [152] den unsinnigen Einfall, den Irrenden nicht allein schriftlich, sondern auch einmal mündlich auf eine Art an seine Pflicht zu erinnern, die sich freylich besser für Sie als für mich, der ich in seinen Augen noch ein Kind war, geschickt haben würde. Ich weiß, wie mir meine unzeitigen Ermahnungen, besonders die mündliche bekam. Man ließ es nicht genug seyn, mich für meine Kühnheit auf eine Art zu züchtigen, wie ich sie vielleicht verdiente, sondern man bürdete mir Unschuldigen auch in der Folge Dinge auf, die ich verabscheute und die mich eben so strafwürdig gemacht haben würden, als der war, den ich zu bessern wünschte.

Meine Mutter kam hinter die Verirrungen meines Vaters; so viel ich weiß, war er es selbst, der ihr dieselben entdeckte, und doch bekam ich, so oft ich ihn unter vier Augen sahe, von ihm den Namen eines Ausspähers der väterlichen Handlungen, eines Verräthers, eines Störers des häuslichen Friedens. Daß ich gewisse Dinge wußte, wurde mir zum Verbrechen gemacht, und damit man volles Recht habe mich zu hassen, so traute man mir zu, daß ich Sie und vielleicht die ganze Welt Theil an dem nehmen ließ, was mir bekannt war. Sie wissen es, ob ich eher mit Ihnen davon gesprochen habe, als an dem Tage, da ich von meiner Mutter den gänzlichen Fall unsers Glücks erfuhr, und den mir so nöthigen Entschluß faßte, mein Fortkommen in der Welt meinem [153] eigenen Fleiße zu danken zu haben. Was hätte ich denn wohl von mei nem Vater zu erwarten gehabt?

Reifere Jahre haben mir es jetzt begreiflich gemacht, daß ich so viel mit meiner eigenen Besserung zu thun habe, daß mir nicht Muse genug überbleiben würde, anderer Menschen Richter zu seyn; dieses, nicht die Furcht vor den Folgen einer so unzeitigen Lehrsucht, die ich schon bereits erfahren hatte, war es, was mich bestimmte meinen Plan zu ändern, und die Fehler zu vermeiden, die ich hierinnen begangen hatte. Treulich hatte ich eine Zeitlang darüber gehalten, und doch hatte ich keine Ruhe finden können. Mein erster Schritt in die Welt, brachte mich, Sie wissen es, in ein Haus, das ich für die Wohnung der Tugend und Frömmigkeit hielt. Das Geld, mit welchem Sie mich so freygebig versehen hatten, machte mir es möglich, mir ein ruhiges und bequemes Leben zu schaffen, und doch bey meinen wenigen Bedürfnissen immer noch genug übrig zu behalten, auch andern, so wie Sie mich gewöhnt hatten, das Leben zu versüßen.

Um in einer so großen und wegen ihrer Ausschweifungen so berühmten Stadt, wie Berlin, nicht unvermerkt in Verbindungen verwickelt zu werden, die mich selbst auf einen schlimmen Weg leiten, oder mir wenigstens den Anblick des Lasters für meine Ruhe zu oft für die Augen bringen möchten, wählte ich das Haus eines Mannes zu meinem Aufenthalt, dessen Aeußerliches dem Ansehen [154] eines leidenden Heiligen glich, und dessen Worte die Worte eines Engels waren. Er war, wie er von sich ausgab, ein unschuldig vertriebener Geistlicher, welcher lieber gewählt hatte im äußersten Elende zu leben, als sich nach den Grundsätzen seiner Obern zu bequemen, die den Seinigen und den Grundsätzen der Tugend ganz zuwider waren. Er pflegte sehr geheimnißvoll von diesen Dingen zu sprechen, und mir nur so viel davon in den räthselhaftesten Worten zu entdecken, als mich für ihn einnehmen, und mich unter dem, was er mir verschwieg, Geheimnisse von der größten Wichtigkeit vermuthen lassen konnte. Er ließ sich einmal als von ohngefehr merken, daß er Sie, mein Vater, kenne, er wußte Umstände aus Ihrem Leben zu erzählen, die nur Ihrem vertrautesten Freunde bekannt seyn konnten, und es gelang ihm auf diese Art, sich ganz in mein Herz einzuschleichen. Jetzt war er mir nicht mehr fremd, ungeachtet er mir seinen wahren Namen nicht nannte. Wie ein Sohn den Vater so liebte ich ihn, ich freute mich, die Wohlthaten, die ich von Ihnen erhielt, mit demjenigen theilen zu können, der Ihr zärtlichster Freund zu seyn schien. Wir sprachen oft und viel von Ihnen, und ich merkte es anfangs nicht, daß manche seiner Erzehlungen gar nicht dahin abzielten, die hohe Meynung zu bestärken, die ich von dem, der mich zuerst auf den Weg der Tugend führte, zu hegen gewohnt war. Derer Winke, die zu Ihrem Nachtheil gereichten, [155] wurden nach und nach immer mehr. Er schien auch meine Mutter zu kennen, und auch ihrer wurde nicht geschont, doch mußte er seine Beschuldigungen immer in so viel Wahrscheinlichkeit und in einen so schönen Schein der Tugend und Unpartheilichkeit einzukleiden, daß es ihm nur gar zu gut glückte, mein Herz nach und nach von Ihnen loszureißen. Sie wissen, wie eine lange Zeit einesmals vergieng, ohne daß Sie wußten, ob und wie ich lebte. Mein Freund, wie ich ihn damals zu nennen pflegte, wendete diese Zeit, da ich Ihres väterlichen Raths und Unterrichts entbehren mußte, an, Grundsätze in mein Herz auszustreuen, die mir hätten gefährlich werden können, wenn Tugend und Rechtschaffenheit nicht so tief in dasselbe von Ihnen gepflanzt worden wären. Ich fieng an, Verdacht auf meinen vermeynten Freund zu werfen, ich nahm mir vor, Ihnen zu schreiben, Ihnen alles zu sagen, was mich bisher von Ihnen entfernt hatte, Sie zur Rechtfertigung wegen dessen, was man mir von Ihnen gesagt hatte, aufzufodern, und es darauf zu wagen, ob mir meine Kühnheit von Ihnen eben so belohnt werden würde, wie von meinem Vater. Sie ließen sich zur Entschuldigung gegen mich herab; Sie verlangten Ihren Ankläger zu wissen; ich beschrieb Ihnen den, den ich nicht bey seinem rechten Namen zu nennen wußte, und es fand sich, daß mein vermeinter Freund und ihr heimlicher Feind niemand war als der nichtswürdige Katharines, den ich aus [156] ihren Erzählungen auf der schlechtesten Seite kennte, und der, wie ich nun durch fleißiges Nachforschen erfuhr, nicht wie er sich nannte, ein unschuldig abgesetzter, sondern ein wegen tausendfacher Vergehungen vom Amte gejagter Geistlicher war.

So verhaßt mir auch der Name Katharines war, so viel Beweise ich auch für seine schlechte Gesinnungen hatte, so wollte ich ihn doch noch auf eine Probe stellen, ehe ich ihn ganz verdammte und mich von ihm trennte. Ich entdeckte ihn was ich ihm bisher verschwiegen hatte, daß ich allein von ihrer Gütigkeit lebte, daß es, wenn alles wahr sey, was er mir zu Ihrem Nachtheil gesagt hatte, wider meine Grundsätze seyn würde, ferners Unterstützung von einem Manne anzunehmen, den ich nicht länger hochschätzen könne, und daß ich also inskünftige von meinem eigenen Fleiße würde leben, und allen den Vortheilen entsagen müssen, die ich bisher mit ihm getheilt hatte.

Herr Katharines sahe jetzt, daß er durch seine böse Zunge sein eigenes Glück untergraben hatte. Er bemühte sich, mich zu überzeugen, daß man gar wohl von Personen, deren schlechte Denkungsart uns von aller Dankbarkeit und Hochachtung lossprach, Wohlthaten annehmen könne, und als er sahe, daß dieses kein Gehör bey mir fand, so strebte er so ängstlich seine ehemaligen Beschuldigungen gegen Sie zurückzunehmen, ward auf einmal ein so geflissentlicher Vertheidiger und Lobredner von Ihnen, daß ich ihn in seiner wahren Gestalt erblickte, [157] ihm es entdeckte, daß er entlarvt sey, ihm den Rest dessen, was ich an Gelde besaß, zurückließ, um ihn nicht ganz hilflos zu lassen, und mich von ihm trennte.

Sie wissen aus meinen damaligen Briefen, wie das Glück mit mir spielte. Ich hatte genug gelernt, um als Gehülfe eines Rechtsgelehrten mein Unterkommen zu finden. Das Glück schien mich zu suchen, ich bekam Stellen, die mich schnell hätten heben können, man bewunderte meine Kenntnisse bey so jungen Jahren, man war mit meinem Fleiß und meiner Treue zufrieden, aber ich? – Bey dem geringsten Anschein von Ungerechtigkeit oder Bedrückung bebte ich zurück, bey keiner Sache wollte ich eine Feder ansetzen, die ich nicht ganz übersehen konnte, und wo ich nur einen Anschein von Möglichkeit fand, daß irgend ein falscher Schritt gethan worden sey, oder der Handel einen zweydeutigen Ausgang haben könne. – Man war oft herablassend genug, mir das Uebertriebene meiner Begriffe zu demonstriren, man bequemte sich, um mich nicht zu verlieren, auf eine unglaubliche Art nach meinem Eigensinne, aber ich wollte alles Böse das ich sahe, aus dem Grunde gehoben wissen, ließ mich nicht bedeuten, daß dieses unmöglich sey, und verließ jedes Haus, wo man meine Grundsätze zu streng fand, und die Richtigkeit des kleinsten meiner Begriffe von Recht und Unrecht bezweifelte.

[158] Die Welt hätte umgekehrt, Gesetze und Richter in eine ganz andere Form gegossen, und die Erde mit einem Geschlecht von lauter tugendhaften Menschen besetzt werden müssen, wenn ich das hätte treffen wollen, was ich suchte. An statt mich durch meine oftmaligen Aenderungen zu verbessern, gerieth ich immer in schlimmere Hände. Meine Hartnäckigkeit, mit welcher ich das was ich für Recht hielt, zu verfechten pflegte, und die Mühe, die ich mir, ohne meine Schwachheit zu bedenken, gab, denen die ich für Unterdrückte hielt, zu helfen, machte mir mächtige Feinde, und stürzte mich in Verdrüßlichkeiten, die mich nöthigten Berlin zu verlassen.

Sie wissen, lieber Vater, daß ich Sie damals besuchte. Sie wollten mich bereden eine Reise nach Hohenweiler zu thun, um mich meinen Aeltern und meinen Geschwistern zu zeigen, aber was hätte ich da gesollt? Den Anblick meines Vaters scheute ich. In Ansehung meiner Mutter war mein Herz noch nicht ganz von dem Gift gereiniget, den Katharines Lästerungen gegen sie in demselben zurückgelassen hatten. Ich wußte, daß sie edel und gut war, ich trug Bedenken, sie mit der Zumuthung zu kränken, ihre Handlungen vor ihrem Sohne zu rechtfertigen, und doch getraute ich mich nicht ohne dieselbe vor ihr zu erscheinen; sie würde es bald gemerkt haben, daß nur mein halbes Herz bey ihr sey. Meine Geschwister konnten bey dem Umgange, den sie mit dem Wilteckischen [159] Hause hatten, unmöglich so gut seyn, als ich sie wünschte, und ich hatte also nichts, das mich nach Hohenweiler zog.

Sie waren es allein, an dem mein ganzes Herz hieng, und ich rechnete es für mein größtes Glück, daß ich eine Stelle in der Geburtsstadt meines Vaters fand, die meiner Erwartung einigermaßen zu entsprechen schien. So war doch ihre Wohnung, mein Vater, dem Orte meines Aufenthalts nahe, so konnte ich doch, oder vielmehr so kann ich doch, wenn ich will, sie täglich sehen und mich –«

25. Kapitel. Etwas aus der Romanenwelt
Fünf und zwanzigstes Kapitel
Etwas aus der Romanenwelt

Wie? unterbrach ich mich hier in meinem Lesen, Samuel, mein armer betrogener Samuel mir so nahe, und ich habe ihn noch nicht in meine Arme geschlossen? Dieses sagen, und zu meinem Vater eilen, war eins. O wo ist mein Sohn? rief ich ihm zu, wo ist er, daß ich ihn an mein Herz drücke, und ihn selbst frage, was er wider diejenige hat, welche ihn mehr liebt, als ihr Leben?

Hast du den Brief zu Ende gelesen? fragte mein Vater, ich antwortete, daß ich lieber den Rest seiner Geschichte aus seinem Munde hören, als mich länger mit dem todten Buchstaben beschäftigen wollte.

[160] Mein Vater zuckte die Achseln. Vielleicht, sagte er, daß der heutige Tag dir diesen Wunsch gewähren kann. Es ist wahr, Samuel lebt in der Nähe, aber er besucht mich selten, und begnügt sich lieber mir zu schreiben, wie du aus dem Briefe schliessen kannst, den du eben gelesen hast. Er ist in aller Absicht ein Grillenfänger.

Wir sprachen noch über diese Dinge, als sich die Thür öfnete, und ein Jüngling hereintrat, den ich, ungeachtet der Veränderung, die etliche Jahre in seinem Ansehen gemacht hatten, augenblicklich für meinen Sohn erkannte. Ja du bist es! du bist es! schrieen ich und Peninna einmüthig, als wir ihm entgegen flogen, und ihn an unsere Brust drückten. Verwunderungsvolle Ausrufungen von seiner Seite, und Thränen und Liebkosungen von der unsrigen, wechselten lange ab. Fragen, was er wider mich habe, und hinlängliche Rechtfertigung wegen einiger kleinen Flecken, die der boshafte Katharines meinem Charakter anzuhängen gesucht hatte, folgten darauf. Es war sonderbar, daß dieser Samuel der Sittenrichter seines ganzen Hauses seyn mußte, und daß der bessere Theil desselben sich so willig seinem Urtheil unterwarf. Redlichkeit und unbescholtene Tugend muß doch etwas göttliches an sich haben, weil man sich ihre Aussprüche so gern gefallen läßt, sich so emsig um ihren Beyfall bewirbt, und sich so sehr scheut, vor dem Besitzer derselben, und wär er noch so [161] weit unter uns, in einem falschen Lichte zu erscheinen.

Da ich, Samuels Mutter, so geneigt gewesen war, ihn zum Richter meiner Handlungen zu dulden, so konnte sich Peninna seinem Urtheil noch weniger entziehen. Er war mit ihrer Aufführung nicht so leicht auszusöhnen, als ich und mein Vater, und es würde vielleicht ein noch strengeres Gericht über sie gehegt worden seyn, wenn nicht einige Umstände in dem letzten Theil ihrer Geschichte gewesen wären, die ihn zum Mitleid bewogen, und ihn lebhaft an seine eigene erinnert hätten.

Er nahm an, daß sie mir und Peninnen bereits völlig bekannt sey, und gebrauchte sich einiger Ausdrücke, die uns in Verwunderung setzten, weil sie zeigten, daß einige Personen, die an dem Schicksal seiner Schwester Theil hatten, ihm nicht so fremd waren, als wir dachten. Er merkte unser Erstaunen, und versprach uns den Rest seiner Begebenheiten etwas umständlicher zu geben, als wir ihn in dem Verfolg seines Briefes gefunden haben würden. Es war Abend, wir setzten uns in eine Laube des Gartens, und Samuel fieng folgendermaßen an.

So ist Ihnen dann, beste Mutter, noch nichts von dem bekannt, was mich gegenwärtig unglücklich macht, Sie wissen noch nicht, daß derjenige, der schon so oft gegen seinen eigenen Vortheil handelte, jetzt seinem Glück und seiner Ruhe einen tödtlichen Streich versetzt hat? Ich habe mir [162] selbst das Liebste geraubt, das ich auf der Welt hatte, und was das sonderbarste ist, so bitter ich auch die Folgen desjenigen fühle, was ich that, so kann ich doch keine meiner Handlungen bereuen, und nur selten dämmert der Gedanke in mir auf, daß ich geirrt haben könnte; ein Gedanke, welchen bessere Ueberlegung sogleich vernichtet.

Die Stelle, die ich in der Geburtsstadt meines Vaters fand, entsprach meinen Wünschen noch mehr als je eine die ich besessen hatte. – Die Güte meines Großvaters hatte mich in den Stand gesetzt, alle die Wege zu gehen, auf welchen ein junger Mensch den Zutritt vor den Richterstühlen, und die Erlaubniß erhält, die Sache der Bedrängten zu führen. Dieses meinen Wünschen, und ich darf auch wohl sagen meinen Kräften, so angemessene Geschäft, zu Anfang unter der Aufsicht eines ältern Rechtsgelehrten zu treiben, war der Rath meines Großvaters, und sein Vorspruch brachte mich bald in das Haus eines Mannes, der edel und gut wie er, der es werth war, sein Freund zu seyn. Ich war so glücklich, alles das, was er mir unter die Hände gab, gut zu Ende zu bringen, und sein Vertrauen zu mir wuchs dadurch so sehr, daß er mich mit einem Auftrage beehrte, der nicht allein meinem Stolze, sondern noch einem Gefühl schmeichelte, das meinem Herzen theurer, ihm tiefer eingewebt war, als jedes andere.

[163] Der alte Hofrath Hermann hatte ein junges Frauenzimmer in seinem Hause, die schon lange mein Auge auf sich gezogen hatte. Ungeachtet meiner Strenge, war ich doch nie so thöricht gewesen, die Liebe zu verdammen, und hätte ich es auch gleich gethan, so glaube ich doch, die Reize von Hermanns schöner Mündel würden wider meinen Willen Zugang zu meinem Herzen gefunden haben. Charlotte Walter – doch Sie kennen sie, und können also selbst urtheilen, was so ein Mädchen für einen Eindruck auf mein Herz machen mußte.

Peninna und ich sahen uns bey Charlottens Namen bedeutungsvoll an, und Samuel fuhr fort.

Nie hat wohl ein Jüngling einen strengern Begriff von weiblicher Tugend gehabt als ich. Der Aufenthalt in großen Städten hatte mich schon längst in der Meynung bestärkt, daß ich an ein schönes Ideal glaubte, das ich nie realisirt sehen würde. Charlotte überzeugte mich, daß ich bey dieser letztern Meynung geirrt hatte. So schön als Sie ihre Person gesehen haben, so schön ist ihre Seele, und immer war ihre Aufführung, so streng, so untadelhaft, daß – daß selbst ich, keinen Flecken daran finden konnte. Kein Leichtsinn, keine Eitelkeit, keine Koketterie, keine veränderliche Laune, nichts von allen den Fehlern fand sich an ihr, die die meisten Mädchen klein nennen, oder sie wohl gar für eine Monche halten, die ihre [164] Vorzüge in ein vortheilhaftes Licht setzt. Fand ich etwas an Charlotten zu tadeln, so war es ihre Munterkeit, ihr aufgeräumtes Wesen, welches aber zu oft dazu diente auch mich aufzuheitern, und meine schwarzen Grillen, die ich selbst hassen mußte, zu verjagen, als daß ich es im Ernst aus ihrem Charakter hätte wegwünschen mögen.

Man lebte auf einen sehr artigen und ungezwungenen Fuß in des Hofraths Hause, Charlotte und ich sahen uns täglich, und – es kam bald dahin, daß der ernste stille Jüngling eben den Eindruck auf das frohe aufgeräumte Mädchen machte, den sie auf ihn gehabt hatte.

Meine Leidenschaft war zu stark, und Charlottens Herz zu offen, als daß uns unsere beyderseitigen Gefühle lang hätten fremd bleiben sollen, wir erklärten uns einander ohne Rückhalt, und um unserm Verständnisse den kleinsten verdächtigen Anschein zu benehmen, drang ich darauf, daß der Hofrath zum Mitwisser unsers Geheimnisses gemacht werden solle. Mein Wille war der Wille meiner Charlotte, sie ließ sich in allem von mir leiten, und war auch dieses zufrieden, ob sie mir gleich gestand, daß sie sich ein wenig vor der Satyre ihres Vormunds fürchtete, ihr Herz so jung vergeben, es an einen Menschen vergeben zu haben, welcher wenig Jahre mehr hatte, als sie.

Der gutherzige Alte lachte über den Vortrag, den wir ihm gemeinschaftlich thaten; er war mit unserer beyderseitigen Wahl nicht unzufrieden, nur [165] sagte er, wolle er uns treulich rathen, noch in Jahren nicht an eine Verbindung zu denken. Zwar setzte er hinzu, du Charlotte, möchtest heute vor den Altar treten, aber der junge Herr da, von seinen Jahren gar nichts zu gedenken, so hat er noch manche Vorurtheile in seinem Gehirn, die er erst ablegen muß, ehe er ein guter Ehemann werden kann. Glaube mir, gute Charlotte, so wie er jetzo ist, würde er bey aller seiner Liebe dich unglücklich machen, und überdieses, lieben Kinder, wovon wolltet ihr leben, da ihr beyde kein Vermögen habt? – Herr Samuel Haller mag erst auf sein Forkommen denken, sich erst um sein Mädchen verdient machen, ihr ein Heyrathsgut erwerben, ehe er ans Hochzeitmachen denkt.

Hier war Charlottens Vormund nach seinem Schreibepulte gegangen. Er zog ein großes Packet Schriften heraus, und wandte sich mit denselben zu mir. Hier Freund Haller, sagte er, will ich Ihnen etwas geben, dabey sie ihre Geduld, ihre Geschicklichkeit und ihre Liebe zu Charlotten beweisen können. Das Mädchen ist so arm nicht als sie denken. Sie hatte da einmal einen alten Vetter, der im Testament sein Vermögen zwischen sie und einen Schwestersohn, den er hatte, theilte. Dieser sollte das baare Vermögen, und Charlotte ein hübsches Gut bekommen, das seine reinen 1000 Gulden jährlich einbringt. Es waren andere Verwandten da, welche ihre Ansprüche geltend zu machen wußten, die Sache kam zum Prozeß; ihr erster [166] Vormund, Gott hab' ihn selig, verstand das Ding nicht, er gab die Angelegenheiten des armen Mädchens in schlechte Hände, und man wußte es so zu machen, daß der ganze Handel unbeendigt liegen blieb. Der Ehrenmann starb, ich ward Lottchens Vormund; ich habe die Sache wieder hervorgesucht, und denke sie niemand besser anvertrauen zu können, als dem künftigen Gatten der Erbinn. Hier, Herr Haller, nehmen sie, studiren sie Tag und Nacht, die Sache ist verwickelt, und ich will sie loben, wenn sie sie in einem Jahre zu Ende bringen.

O Charlotte, was für ein Auftrag! für dich arbeiten! dir ein Glück bereiten, und es denn mit dir theilen! – Wir waren entzückt über den Vortrag des guten Alten, wir hielten unsere Sache schon für gewonnen, wir umarmten uns, wir umarmten den Hofrath, und wußten nicht, wo wir unsere Danksagungen für die Beschleunigung unsers Glücks anfangen sollten.

Kinder, Kinder! rief er, seyd nicht so voreilig mit euren Hoffnungen! jede Zukunft ist ungewiß, und sollte es die Zukunft des morgenden Tages seyn. Auch leiden Charlottens Ansprüche noch allerdings einigen Zweifel.

Wir achteten wenig auf diese Warnung. Ich fieng noch an dem nämlichen Tage mein Werk an, das ich nicht so leicht fand, als ich gedacht hatte; aber ein Blick von meiner schönen Klientinn [167] und die Hoffnung auf unser künftiges Glück, war hinlänglich, mir jede Mühe zu erleichtern!

Um diese Zeit war es, daß eine neue Person in unserm Hause auftrat. Charlottens Vetter und Miterbe, ward durch die Erneuerung des Prozesses herbey gezogen, er meldete sich bey dem Hofrathe und war nicht ungeneigt, mir die Führung des Antheils, den er an der Sache hatte, ebenfalls zu übertragen. Charlottens Vormund hielt dieses nicht für gut, ich blieb nur der Anwald meiner Geliebten, und Herr Karl Walter wählte sich einen andern.

Bey dem Namen Karl Walter, wurden zwischen mir und Peninnen wieder solche Blicke gewechselt wie bey Charlottens erster Erwehnung: – – Mein Sohn sah unser Augenspiel, seufzte und fuhr fort:

Herr Walter besuchte das Haus des Hofraths oft, er schien Geschmack an meinem und Charlottens Umgang zu finden; man machte ihn mit unserm Verhältniß bekannt, und er ward der vertrauteste Freund von uns beyden. Seligere Stunden als die, welche ich an seiner und Charlottens Seite zubrachte, weiß ich mich nicht zu erinnern! Ach sie sind auf ewig dahin, und nie werde ich ähnliche Freunden schmecken!

Ich vertiefte mich in meinen Arbeiten, ich hob fast täglich neue Schwierigkeiten und sah fast täglich neue entstehen. Indessen war die Sache auf gutem Wege, und noch zwey oder drey Termine, [168] wenn es mir gelang die weitere Appellation an ein höheres Gericht zu verhüten, so war Charlotte im Besitz ihres Gutes, und ich konnte hoffen, meiner Familie in kurzer Zeit das schönste und beste aller Mädchen als meine Braut vorzustellen.

In einer Nacht, da ich meine schon gethanen Arbeiten wieder übersah, die Zeit, die ich zu denen brauchen würde, die ich noch vor mir hatte, berechnete, und um mich gewiß zu überzeugen, daß ich in keinem Punkt etwas versehen habe, der Charlottens Glück beschleunigen oder vergrößern könnte, in alten Documenten wühlte, von welchen mir der Hofrath gesagt hatte, daß sie eigentlich nicht unmittelbar zur Sache gehören, und nur der Nachfrage wegen da wären, stieß ich auf Dinge, die mir ganz neu waren, die mich in Erstaunen setzten. Ich überlas sie von neuem, ich musterte die Besitzer des Guts seit ein paar hundert Jahren, ich untersuchte, verglich, berichtigte, warf Zweifel auf, bekämpfte sie – umsonst, – ich mochte mich quälen wie ich wollte, so fand ich nichts, als daß Charlotte keinen rechtmäßigen Anspruch auf das Gut haben könne. Der Vetter, der es ihr vermacht hatte, besaß es durch Erbschaft von seinem Vater, aber dieser – Himmel, ich schaudere, wenn ich bedenke, durch was für krumme Wege er zum Besitz desselben gekommen war; in dem Innersten von Schwaben lebte eine Familie, welche gegründete Ansprüche auf das hatte, was ich bisher fälschlich für Charlottens [169] Eigenthum hielt. Wie war es möglich, daß ein Besitz, der ehemals unrechtmäßig war, durch Verjährung rechtmäßig werden könne! kalter Schweiß trat mir vor die Stirne, ich fieng die Untersuchung zum zweitenmal an, die Morgenröthe fand mich noch bey meiner mühseligen Arbeit. Ich brachte nichts heraus als die schreckliche Wahrheit, die ich lieber für ein in der täuschenden Nacht ausgebrütetes Hirngespinst gehalten haben möchte.

Mein erster Gang war zum Hofrath. Ich legte ihm meine traurigen Entdeckungen vor, er – –

Doch lassen sie mich alle diese Dinge lieber nur ganz leicht berühren, sie sind zu schrecklich für mich, als daß ich mich lange bey denselben aufhalten sollte.

Der Hofrath dachte anders wie ich, er setzte mir Gründe entgegen, die seine Meynung einigermaßen bewiesen, aber mir doch nicht genug thaten: ich arbeitete schläfrig an Charlottens Prozeß, arbeitete endlich gar nicht mehr daran, denn immer war mirs, als wenn böse Geister mich davon zurück schreckten, und – die Sache gieng verloren. Charlotte war wieder so arm, wie zuvor, war noch ärmer, denn ihr Vormund starb eh er auf die kleinste Art für sie sorgen konnte, und sie war in der traurigen Nothwendigkeit, entweder der Gnade weitläuftiger Anverwandten zu leben, oder mit mir, den sie ungeachtet des Schadens, den ich ihr gethan hatte, immer noch liebte, in [170] Dürftigkeit und Elend zu leben, oder – die Hand eines Mannes anzunehmen, der sie in aller Absicht verdiente und sie glücklich machen konnte.

Ihr Vetter Karl Walter, hatte zu eben der Zeit sei nen Prozeß gewonnen, als ich Charlottens ihren verlor. Er besaß jetzt ein ansehnliches Vermögen, bekam eine von den ersten geistlichen Stellen in der Stadt, wo seine Cousine lebte, war ein Mann von dem besten edelsten Charakter, von einem Aeußerlichen, Peninna mag Zeuge seyn, wie es sich ein Mädchen nur wünschen kann, was für eine Wahl zwischen ihm und dem armen, unglücklichen, grillenhaften, weder von Person noch Geist liebenswürdigen Samuel Haller!

Walter hatte nie vorher Liebe für seine Cousine gefühlt, sein Herz hieng an einer andern; diese höhnte, verschmähte, beleidigte ihn, ließ ihn sehen, daß sie nichts für ihn fühlte; wars denn wohl zu verwundern, wenn er sie verließ, und seine Neigung auf die reizende fehlerlose Charlotte wandte? Er wußte, daß ich sie nicht glücklich machen konnte. Er wandte sich zuerst an mich, um meine Einwilligung zu der Bewerbung um sie zu holen. Mein Herz blutete, aber Charlottens Glück gieng vor, sie mußte mit einem Manne wie Walter glücklich seyn. Es gelang mir endlich nach langer Mühe, ihre Bedenklichkeiten zu überwinden; sie riß ihr Herz von mir los, und ward Walters Frau. Ich beredete mich selbst, ich habe am Tage ihrer Hochzeit die höchste Freude gefühlt, [171] deren ein Sterblicher fähig ist, die Freude seine Freunde durch eigene Aufopferung glücklich gemacht zu haben, aber diese Freude war ein schnell vorübergehender Rausch. Ich fühle es jetzt, daß ich ganz elend bin, ich mag nicht Waltern, nicht seine Gattinn wiedersehen. Ich verlasse diese Gegend, um zu versuchen, ob ich wo anders Ruhe finden kann.

Charlotte hat das ihr zugedachte Gut verloren, es ist in Hände gefallen, die es noch mit mehrerem Unrecht besitzen, als sie es besessen haben würde; mein Gewissen läßt es mir nicht zu, es in dem Besitz derjenigen zu lassen, denen ich es gewissermaßen in die Hände gespielt habe. Ich habe mit Vorwissen Walters und seiner Gattin die Dokumente zusammen genommen, die mir zu meinem Vorhaben nöthig sind, und verlasse mein Vaterland, um diejenigen aufzusuchen, welche gerechten Anspruch auf dasjenige haben, was ihnen ehmals entrissen wurde. Ich werde ihnen ohne die mindeste Rücksicht auf meinen Vortheil dienen, und sehen, ob vielleicht dieses Bestreben, nebst der Veränderung der Gegenstände und des Orts, etwas zur Heilung meines verwundeten Herzens beytragen könne.

[172]
26. Kapitel. Seltsame Aspekten
Sechs und zwanzigstes Kapitel
Seltsame Aspekten

Samuels Erzählung lockte unsere Thränen häufig hervor. Ob Peninna allein um ihren Bruder oder auch um ihren Walter weinte, kann ich nicht sagen. Freylich mußte sein Andenken durch das, was sie gehört hatte, mächtig erneuert worden seyn. Auch Samuel, den ich fast nie weinen sah, vergoß Thränen.

Ich litt für beyde, und suchte beyde zu trösten; ich, die ich selbst Trosts bedurfte, denn Himmel, wie ward mir zu Muthe, wenn ich, ohne Rücksicht auf alles andere, auch nur daran dachte, daß ich meinen Sohn, nachdem ich ihn kaum einen Augenblick gesehen, schon wieder bald von mir lassen sollte, daß er eine Reise auf gut Glück that, deren Ende ich nicht absah, und überhaupt, daß er sich in einer Verfassung befand, in welcher er gar nicht sich selbst hätte überlassen seyn sollen. – – Ich hatte von meinem Manne Urlaub auf einige Wochen genommen, ich setzte noch einige zu, und wendete sie an, meines Sohns Gesellschaft zu genießen, und – mich zu der Trennung zu bereiten, die mir noch schmerzhafter dünkte, als die erste, da er sich heimlich aus meinen Armen losriß. – Was mochte es doch seyn, das mir [173] den Abschied so erschwerte, war es Ahndung, oder –?

Doch ich will mich nicht in Träumereyen verlieren. Wichtigere Gegenstände fordern meine Aufmerksamkeit. Nichts also von der Art, wie ich mich von meinen Kindern losriß. Ich eile nach Hause zurück, wo neue Auftritte meiner warteten.

Nichts konnte mich über das, was ich verlassen mußte, beruhigen, als der Gedanke an meine andern Kinder, zu denen ich eilte. Freylich waren mir Samuel und Peninna, als die ältesten, schon mehr als mir die übrigen seyn konnten, der Umgang mit ihnen war in den meisten Fällen, mehr der Umgang einer Freundinn mit ihren Freunden, als einer Mutter mit ihren Kindern; doch auch Johanne wuchs heran, und gab, ungeachtet sie jünger war als Peninna, genug Proben, daß sie durch eine ernstere und gesetztere Gemüthsart, mir noch lieber werden würde, als ihre Schwester. Albert, ihr Zwillingsbruder kam ihr hierinnen nicht bey; ein leichtsinnigeres, flatterhafteres Geschöpf als er war, habe ich nicht leicht gesehen; er war in jeder Betrachtung jünger als seine Jahre.

So herzlich der Empfang bey meinen Kindern war, so kalt fiel er bey meinem Manne aus. Die Relation, die ich ihm von Samuels Entfernung aus seinem Vaterlande geben konnte, war sehr unvollständig. Was würde er zu der getreuen Erzählung von den Begebenheiten mit [174] Walter und Charlotten gesagt haben? – Die Namen Träumer, und Taugenichts, der sein eigen Glück mit Füßen tritt, welche Samuel so schon oft genug bekam, würden noch häufiger gebraucht worden seyn, und das Herz seiner armen Mutter vollends ganz zerrissen haben. – Halbe Vertraulichkeit findet selten gute Aufnahme; immer vermisset man die andere Hälfte, die man uns vorenthält, und achtet den abgerissenen Theil nicht, da man Anspruch auf das Ganze zu haben glaubt. Herr Haller mußte es merken, daß er nicht alles erfuhr; indessen, die Zeit, da wir von Herz zu Herz mit einander sprachen, da alle unsere Geheimnisse gemeinschaftlich waren, diese glückliche Zeit war längst vorbey, und ich gebe es einem unpartheyischen Richter zu überlegen, ob ich hierbey zu beschuldigen war. Herr Haller war einmal der Mann nicht, der unumschränkte Mittheilung fordern und ertragen konnte. Auch er hatte seine Geheimnisse, Geheimnisse, vor deren Enthüllung mir weit banger war als ehemals, da ich sie ihm mit freundschaftlicher Gewalt entriß, und sie, wie ich hoffen will, nicht mißbrauchte.

Seit meines Mannes Wiederkunft aus Berlin, hatte alles bey uns ein anderes Ansehen gewonnen. Bey meiner Rückkehr von Traußenthal fand ich eine seltsame Unordnung in meinem Hause. In diesem Zimmer Arbeitsleute, welche beschäftigt waren, das alte Täfelwerk heraus zu reissen, in einem andern, meinen Mann nebst den beyden [175] alten Herren von Wilteck bey der schweren Wahl artiger Tapeten, mit welchen man die entblößten Wände bekleiden wollte. Im Hofe standen einige Wagen, mit meinem guten alten Hausgeräthe bepackt, welche man in die Stadt zu einer Versteigerung schaffen wollte, als ich etwas entrüstet fragte, was dieses bedeuten sollte, so öfnete mein Mann mir einige Zimmer, und hofte mit einem kleinen Lächeln, ich würde durch den Tausch nichts verloren haben. Ich schüttelte den Kopf, und sah es den niedlich lackirten Möbeln, die ich hier erblickte, an, daß sie mir die Stelle ihrer Vorgänger schlecht ersetzen würden. Die Kinder trugen mir, als unsere ersten Bewillkommungen vorbey waren, eine Menge kostbare Tändeleyen entgegen, die ihnen der Papa aus Berlin mitgebracht, und die er ihnen mit Vorsatz nicht eher als in meiner Abwesenheit gegeben hatte, an Hannchens Seite glänzte eine goldene Uhr, und mir brachte mein Mann noch am selbigen Abend einen Wust von modischen Dingen zu meinem Gebrauch, deren Namen ich kaum zu nennen wußte. – Ich freute mich wenig über dieses Geschenk, denn zu dem, daß es aus lauter für mich sehr entbehrlichen Kleinigkeiten bestand, so ward es mir auch nicht mit jener Miene gegeben, die dem Geschenk den eigentlichen Werth giebt. Eine gute Quantität feiner Flachs, die mir mein Mann in vorigen glücklichen Zeiten schenkte, oder eine wunderschöne Traube, die er mir als Seltenheit aus unserm Garten brachte, [176] war mir damals lieber. Die liebevollen Gesinnungen des Gebers strahlten damals aus seinen Augen; ich wußte, daß solche Geschenke meines Mannes Vermögen nicht überstiegen; hier aber wußte ich das Gegentheil, und der Geber überreichte mir seine Herrlichkeiten, ohngefehr mit dem Blicke, wie ein Fürst seinem Leibroße eine gestickte Decke auflegen läßt.

Vieles, alles war mir bey diesen Dingen bedenklich, auch dieses, daß die große Veränderung, die ich überall erblickte, recht mit Fleiß auf die Zeit meiner Entfernung verspart worden war. Mein Mann war doch schon eine gute Zeit aus Berlin zurück, Peninna war seitdem krank und wieder gesund geworden. Was konnte Herrn Haller für ein Glück zugestoßen seyn? warum ward es alle diese Zeit über verborgen gehalten worden, und warum wird es nun zum Vorschein gebracht?

Das kleine Julchen trug den Tag nach meiner Rückkunft ein Goldstück herbey, und bat mich, es ihr aufzuheben. Woher hast du es bekommen, liebe Kleine? fragte ich sie. Sie antwortete, sie habe neulich im Kabinet des Papas gespielt, und da sey ein fremder Mann gekommen, welcher ihm viel, viel solche Goldstücke gebracht habe, und da sey sie herbey gelaufen, und habe den Papa gebeten, sie in die Höhe zu heben, damit sie die schönen glänzenden Sachen recht sehen könne, er aber habe sie geschlagen, und ihr denn das Goldstück gegeben, damit sie niemanden etwas von dem [177] lagen möge, was sie gesehen und was der fremde Mann mit dem Papa geredet habe.

Ich hätte den Schlag, den Herr Haller Julchen gegeben hatte, lieber selbst von seiner Hand dulden wollen, wenn ich die ganze Reihe von Fehlern, die er hier in einem Zuge begangen hatte, damit hätte zurückkaufen können. – Ich zwang mich, und suchte einiges davon wieder gut zu machen, indem ich das kleine Mädchen fragte, ob sie glaube, sich hierbey so aufgeführt zu haben, wie sie solle? Sie sah mich mit ihren großen schwarzen Augen an und schwieg. – Merkst du es denn nicht, mein Kind, sagte ich, daß dich dein Vater auf die Probe stellen wollte, ob du geizig und plauderhaft wärest? Du hättest das Gold, das er dir gab, als wollte er deine Verschwiegenheit abkaufen, nicht nehmen und doch schweigen sollen, so aber hast du es genommen, und doch nicht geschwiegen, Was wird nun dein guter Vater von dir denken? – Er wird zu sich selbst sprechen, wenn mein Julchen einmal groß wird, so wird sie sich von jedermann Goldstücke schenken lassen, weil sie so schön glänzen, und wenn sie etwas sieht, das sie nicht ausplaudern soll, so wird sie doch nicht schweigen, wenn man sie gleich darum gebeten, wenn man sie gleich dafür bezahlt – – – O stille, stille Mama! rief das kleine Mädchen, die ich weiß nicht was schimpfliches in dem Worte Bezahlen finden mochte, das ich freylich mit sehr verächtlicher Miene ausgesprochen hatte. Nein, [178] fuhr sie weinend fort, ich will nicht bezahlt seyn, will keine Goldstücke haben, will nicht mehr ausplaudern – – auch nicht mehr neugierig seyn? fragte ich. – – Nun so gehe hin, ich will deinem Papa das Goldstück wieder geben, und ihn bitten, daß er nicht schlecht von seinem Julchen denkt, weil sie so übel in seiner Probe bestanden ist.

Daß ich Herrn Haller nichts von dieser kleinen Begebenheit sagte, versteht sich. Die Geschichte des armen Samuels lehrte mich, wie behutsam ich seyn müßte, damit ihm seine andern Kinder nicht auch nach und nach zuwider würden, wie dieser es ihm geworden war. Das arme kleine Mädchen würde bald bey ihm den Namen einer Verrätherinn erhalten haben, und ich würde in seinen Augen die verächtliche Rolle einer Mutter gespielt haben, die die Kinder zu Ausspähern der Handlungen ihres Vaters macht.

Die Geschichte mit den Goldstücken, welche der fremde Mann brachte, gieng mir doch bey alle dem sehr im Kopfe herum; gern hätte ich gewußt, was der Inhalt seines Gesprächs mit Herrn Haller gewesen sey; aber ich hütete mich wohl, das Kind darum zu fragen; was hätte mir es auch endlich genützt, ein Geheimniß zu wissen, das ich zum Theil errieth, und das mich auf keine Weise erfreuen konnte.

[179]
27. Kapitel. Die Matrone macht einen Fehler [..]
Sieben und zwanzigstes Kapitel
Die Matrone macht einen Fehler wider die Staatsklugheit

Die Goldstücke hatten einen gewaltigen Einfluß auf unsere Verfassung. Und binnen der Zeit von einem Jahre war unser Haus nicht mehr zu kennen. Ungeachtet der Vergoldungen, wenn ich es so nennen darf, die mein Mann überall in unserm Aeußerlichen anzubringen suchte, war ich doch gar nicht gesonnen, etwas in dem Innern meines Hauswesens zu ändern. Mein Mann schien nicht mir mir überein zu denken.

Aber mein Kind, sagte er zu mir, soll denn das ewig in diesem Ton bey uns fortgehen? Ewig die einfach besetzte Tafel, immer die nämlichen Gesichter bey Tische, immer meine Mädchen beym Nährahmen und beym Spinnrocken, immer sie und dich in der simpeln Hauskleidung? Es fehlt euch ja, denke ich, an nichts! ich wehre dir ja nicht deine Ausgaben zu erweitern, mehrere Bedienten anzunehmen –

Lieber Albert, sagte ich, wo denkst du hin? Dann würden unsere Ausgaben bald die Einnahme übersteigen, und du weißt wohl, ein Amtmann, der zu großen Aufwand macht –

Sorge doch dafür nicht, sagte er, du siehst doch wohl, daß sich unsere Umstände verbessert haben?[180] – Ich würde es freylich aus verschiedenen Dingen haben muthmaßen können, erwiederte ich, aber muthmaßen und wissen ist zweyerley; ich gehe in meinen Einrichtungen nicht gern aufs Ungewisse. Auch wüßte ich nicht zu errathen, woher uns ein unvermuthetes Glück kommen sollte.

Giebt es denn keine Lotterien in der Welt? Hast du das englische Loos der Tante vergessen?

Ha, das Verkaufte, meynst du? sprach ich. – Verkauft oder nicht verkauft! fuhr er unwillig heraus. Als wenn es nicht andere Lotterien gäbe; als wenn nicht das Glück endlich auch aufhören könne, mir den Rücken zu wenden.

Vielleicht im Spiele? fragte ich wider meine Art etwas höhnisch.

Ich weiß nicht, ob man mir bey meinem vieljährigen Ehestande, einen einigen Mangel an gehöriger Klugheit und Behutsamkeit in meinem Betragen, wird haben vorwerfen können, aber dieses weiß ich, daß ich jetzt einen Fehler begieng, der meiner Peninna kaum würde zu verzeihen gewesen seyn. Wie konnte ich hoffen bey einem Manne wie Herr Haller mit der Miene des Hohns fortzukommen? was konnte ich davon erwarten, wenn ich mich stellte, eine Sache zu wissen, die man mir verbergen wollte, und dabey man sich, so lange man glaubte, ich sey unwissend, noch einer gewissen Behutsamkeit im Aeußerlichen bediente?

[181] Alle Schranken der Bescheidenheit waren nun durchbrochen. Die üble Begegnung, welche ich gegenwärtig erfuhr, war noch das kleinste von den Uebeln, die ich mir durch meine unbedachtsamen Worte zugezogen hatte. – Andere für mich noch empfindlichere Leiden folgten nach. Mein Mann schonte nun nichts mehr. Das Hausregiment ward meinen Händen fast gänzlich entzogen. Unter dem Vorwande, ich wüßte meine Kinder nicht nach dem Tone zu erziehen, der ihren gegenwärtigen Aussichten zukäme, gab man meinem Albert einen Hofmeister, den ich nicht einmal aussuchen, oder wenigstens seine Wahl mit meinem Beyfall bestättigen durfte. Albert ward nach Berlin, jener Stadt, die mir aus Samuels Beschreibungen so verhaßt war, geschickt, und sein Führer sollte ihm erst dort zugegeben werden. Der Oberste von Wilteck, ein Mann, den ich nie leiden konnte, nahm Alberten mit nach dem Orte seiner Bestimmung, und ich bekam kaum die Erlaubniß, ihm einige mütterliche Lehren mit auf den Weg zu geben.

Meine Töchter bekamen eine Gouvernante, eben die Demoiselle de Robignac, die die beyden nun verheyratheten Fräuleins von Wilteck so herrlich erzogen hatte, und die, da sie das hochadeliche Haus schon seit einem Jahre hatte verlassen müssen, eine Stelle brauchte. Das was ich bisher nur gemuthmaßt hatte, ward jetzt Gewißheit. Mein Mann und die beyden alten Herren von [182] Wilteck, hielten eine gemeinschaftliche Bank zu Berlin, welche ihnen jetzt, da das Glück ihnen günstig war, ein ansehnliches einbrachte. Die Anwesenheit dieser drey würdigen Gefährten wurde wechselsweise bey dem Quell ihrer Reichthümer erfordert. Mein Mann hatte den Anfang gemacht, jetzt war der Oberste dort zugegen, nach ihm sollte die Reihe vermuthlich den alten Herrn, den Gemahl der Frau von Wilteck treffen, und so war es beschlossen, daß es in einer Reihe fortgehen sollte, bis man genug erarbeitet habe, sich zur Ruhe zu setzen. Fr. v. Wilteck seufzte hierüber sowohl als ich, aber wir wurden nicht gehört.

Das löbliche Handwerk ward nun im kleinen, bald in ihrem bald in meinem Hause getrieben, und wir hatten keinen andern Trost als unsere gegenseitigen Klagen. Ich erinnerte denn wohl zuweilen meinen Mann an sein ehemals gethanes Gelübde, nicht mehr zu spielen; aber er behauptete, nichts gelobt zu haben, als nicht unglücklich zu spielen: da er nun in seinem gegenwärtigen Verfahren die Quelle seines Glücks fand, so hielt er sich nicht für meineidig. – Ach mir gefiel das anfängliche Schach und Piquetspielen bey Wiltecks gleich nicht, – es war doch gespielt, und man breche nur ein Gelübde erst auf die kleinste Art! –

[183]
28. Kapitel. Die Hausfranzösinn
Acht und zwanzigstes Kapitel
Die Hausfranzösinn

So lästig mir auch Demoisell de Robignac war, so hielt ich es doch der Klugheit gemäß, mich mit ihr zu vertragen, und nur in der Stille, ihre Gewalt so viel als möglich zu beschränken. Auch sie sahe es ein, daß es ihr Vortheil seyn würde die Frau vom Hause zur Freundinn zu haben. Die Art, mit welcher sie sich bey mir einzuschmeicheln suchte, war mir so verhaßt, als ihre ganze Person. Sie bemühte sich unabläßig, mich mit ihrem Geschwätz zu unterhalten, und diese Unterhaltung war meistens so beschaffen, daß sie mich unruhig und mißgünstig machte. Bald trug sie die Geheimnisse des Wilteckischen Hauses hervor, und ließ mich durch ihre Lästerungen muthmaßen, wie es dem Hallerischen Hause gehen würde, wenn sie es einst verlassen sollte. Bald berechnete sie mir, wie viel den letzten Abend in der ehrsamen Spielgesellschaft gewonnen und verloren worden war, und bald trat sie meiner Ruhe noch näher und erzählte mir was sie für Bemerkungen über meines Mannes Freundlichkeit gegen Rosen, ein Mädchen, das in meinem Hause diente, gemacht habe. Es war lächerlich! Herr Haller, ein Mann schon ziemlich hoch in die Jahre, und Rose, ein flinkes braunes Mädchen von acht und zwanzig Jahren! das hätte [184] noch gefehlt, daß ich in meinem herannahenden Alter, wie eine zweite Sara, auf eine Hagar hätte eifersüchtig werden sollen. Zwar in so weit hatte die Robignac recht, Rose war vordem nicht die tugendhafteste gewesen, und ich hatte meine Barmherzigkeit gegen eine gefallene Sünderinn vielleicht zu weit getrieben, daß ich sie in mein Haus nahm, aber Rose hatte sich bisher so gut aufgeführt, und Herr Haller – nein ich hätte die äußerste Verachtung verdient, wenn ich mich an meinem Manne so hätte vergehen, und der Eingebung der hämischen Französinn trauen wollen. Indessen ermangelten doch Gespräche von dieser Art nie mich unlustig zu machen, und ich suchte die Kinder beständig an meiner Seite zu haben, um vor dem Gift dieser Schlange, das sie klug genug war mir nur insgeheim beyzubringen, sicher zu seyn.

Es hatte auch noch einen andern Vortheil, wenn ich meine Töchter wenig von mir ließ; ich war denn desto besser im Stande, das was die Robignac verderbte, gleich wieder gut zu machen. Die Erlernung der französischen Sprache ausgenommen, hatten meine Mädchen wenig Vortheil von dieser Last meines Hauses, dieser Französinn. Ihnen einen guten Ton im Umgange anzugewöhnen hatte sie schlechte Gaben. Anstatt des ernsten gesetzten Wesens, das ich gern an meinen Kindern sahe, gewöhnte sie ihnen ein gewisses albernes Geziere an, das mir unausstehlich war, und das sie un joli air enfantin zu nennen pflegte. Nichts[185] wurde ordentlich und ohne läppische Ausschweifungen und Anspielungen erzehlt, alle Worte, vornämlich die deutschen, wenn man einmal ein deutsches Wort hörte, wurden verkehrt ausgesprochen, und selbst in der Sprache, die sie lehren sollte, beschäftigte sie sich so sehr, den Mädchen zu sagen, wie man nicht sprechen müsse, daß sie am Ende mehr von der Sprache des Pöbels, als den edlern Ausdrücken der großen Welt wußten. – Ganze Gespräche wurden auf diese Art gehalten, wie sie sagte zum Scherz, aber leider kam dieser elende Scherz so oft an die Reihe, daß an den Ernst wenig gedacht wurde. Ein Glück war es, daß das Air enfantin der alten Robignac so abscheulich ließ, daß ich meine Kinder nur aufmerksam zu machen brauchte, um sie von der Nachahmung abzuschrecken. – In die Ausbildung ihrer Grundsätze, wie sie es nannte, mischte sie sich zum Glück nicht, sie pflegte als ein Kompliment gegen mich zu sagen, dieselbe wär in so guten Händen, daß selbst die Hofmeisterinn von Mesdames de France nichts darinnen würde verbessern können.

Hannchen hatte es sich von Anfang zum Schimpf gerechnet, daß sie, ein sechzehnjähriges Mädchen noch unter einer andern Aufsicht als der Aufsicht ihrer Mutter stehen sollte, und hatte daher nie viel auf die Lehren der Robignac gegeben; jetzt, da nun schon fast ein Jahr verflossen war, seit die Gouvernante im Hause war, entzog sie [186] sich ihrem Unterricht noch mehr, und wurde, wie man denken kann, von mir nicht deswegen getadelt. Die Robignac hätte dieses leicht ändern können, wenn sie Herrn Haller von Hannchens Widerspenstigkeit unterrichtet hätte, aber sie war hiezu zu klug, und suchte die Neigung des störrigen Mädchens auf eine geschicktere Art, als durch Zwang zu erwerben.

Es gelang ihr nur gar zu gut, und ich möchte fast aus dem Erfolg glauben, ich sey es zu spät inne geworden, um allen den Schaden zu verhüten, den das gefährliche Mittel sich einzuschmeicheln, dessen sie sich bediente, anrichten konnte. Hannchen las gern. Unsere Hausbibiothek war klein, und bestand meistens aus ernsthaften Büchern. Mademoisell de Robignac besaß einen merkwürdigen Vorrath von französischen Romanen, von welchen Fräulein Gabriele noch den Anfang und das Ende hinweggelesen hatte, und welche kaum Büchern mehr ähnlich sahen. Hannchen hatte ein ziemlich zartes Gefühl für Wohlstand, und ein großer Theil derselben ward also gleich nach Verlesung der ersten Seiten verächtlich hinweggeworfen, indessen blieb doch immer genug solcher Wust übrig, der dem Mädchen das Gehirn verrücken, und ihr Ideen von Liebe und Glück in den Kopf setzen konnten, welche nicht viel taugten.

Hannchen war zu ehrlich, etwas heimlich oder wider meinen Willen zu thun; sie las, aber es war bloßer Zufall, daß ich nichts davon erfuhr. [187] Sie selbst war Ursach, daß ich es endlich gewahr ward. Sie kam eines Tages in der Freude ihres Herzens, über eine Stelle, die ihr besonders gefiel, mir sie vorzulesen. Ich fragte weiter nach. Sie zeigte mir eine ganze Reihe solcher Schartecken, die sie schon gelesen hatte, und eine noch viel größere, durch welche sie sich noch durchzuarbeiten gedachte. Ich sprach mit ihr von der Sache, wie es sich geziemt, und da ich nicht gewiß wußte, ob ich ihren Versprechen und den Gelübden der Robignac trauen sollte, daß inskünftige nichts von dieser Art mehr vorfallen sollte, so glaubte ich dem Unheil nicht besser abhelfen zu können, als wenn ich den Schluß faßte, den man bald hören soll.

29. Kapitel. Die Frau Amtmannin kommt aus dem Regen [..]
Neun und zwanzigstes Kapitel
Die Frau Amtmannin kommt aus dem Regen in die Traufe

Die gemeinschaftliche Goldmine gab so gute Ausbeute, daß zu meinem größten Verdruß, der Ueberfluß in unserm Hause täglich wuchs. Es hätte nur an mir gelegen diesen Ueberfluß noch zu vermehren, denn – – doch das gehört nicht hieher; das Glück, das mir insonderheit zugestoßen war, soll schon ein andermal, und zu rechter Zeit erwehnt werden. Genug ich war so weit entfernt, [188] etwas zur Vergrößerung unsers Glanzes beyzutragen, daß ich vielmehr von demselben abkürzte und hinweg nahm, was mir möglich war, und dafür den Namen einer Geizigen erhielt, welches mir fast lächerlich dünkte. Ich leitete den ergiebigen Strom ja nicht zu seiner Quelle zurück, ich machte nur kleine Kanäle, und ließ sie auswärts fließen, daß auch der Durstige, der nicht zu uns gehörte, sich laben konnte.

In dem Wilteckischen Hause gieng es auf eben die Art her, doch ward daselbst fast noch ein vernünftigerer Gebrauch von dem übelerworbenen Gut gemacht: alle Schulden bezahlt, verpfändete Güter eingelößt, so daß es sich anließ, als könnte die hochadeliche Familie wohl ihr Haupt noch einmal erheben, um mit dem vorigen Lichte in der Residenz zu glänzen.

Frau von Wilteck, vielleicht aus Oekonomie, vielleicht aus Ueberdruß an den Auftritten in ihrem Hause, entschloß sich, Hohenweiler zu verlassen und auf ein eben erst freygemachtes Gut zu gehen, daß sie nahe bey der Residenz besaß. So schwer mir es auch ward, mich von dieser lieben Freundinn zu trennen, so machte doch ein Antrag, den sie mir that, und der mir aus gewissen Ursachen sehr willkommen war, diese Trennung leicht und angenehm.

Sollte man wohl diesen Antrag errathen? sollte man wohl glauben, daß es mir erwünscht seyn konnte, daß sie mich um Hannchens Gesellschaft [189] bat? – Ich bin nun ganz allein, sagte sie, meine Töchter sind verheyrathet, Sie haben noch vier liebenswürdige Mädchen, die Ihnen ihre Einsamkeit versüßen können; wie wenn wir theilten? wenn sie mir Johannen und Jukunden indessen zu meinen Töchtern gäben? Sie werden mir das Leben auf dem Lande erträglich machen, und ich werde ihnen eine Mutter seyn, die wenigstens den zweyten Rang nach Madam Haller wird behaupten können.

Eine Bitte von dieser Art, würde unter andern Umständen, geradezu mit Nein beantwortet worden seyn. Ich konnte keins von meinen Kindern missen, und Hannchen vollends, die mir so lieb war! – Doch war eben sie jetzt die einige Ursach, warum ich die Sache eingieng. Die Gesellschaft der Robignac fieng an, mir immer gefährlicher für sie zu scheinen; die Spielgesellschaften in unserm und dem Wilteckischen Hause waren auch nicht allemal nach meinem Geschmack; und doch mußten wir auf Befehl meines Mannes immer gegenwärtig seyn; die jungen Offiziers aus den benachbarten Orten fanden sich fleißiger dabey ein als sonst, und man hätte blind seyn müssen, wenn man nicht hätte merken wollen, daß sie weniger um der Karten willen kamen, als um zuweilen den Anblick der schönen Haller, wie sie Hannchen nannten, zu genießen.

Ich nahm also die Einladung der Frau von Wilteck für Hannchen an, – nur für sie, denn [190] Jukunde war mir noch zu jung, als daß ich sie aus meinen Augen hätte lassen sollen. Die Frau von Wilteck wandte sich an meinen Mann, und bat ihn, mich zur Einwilligung zu vermögen, er war viel zu galant einer Dame etwas abzuschlagen, und meine schlaue Weigerung machte, daß die Sache von seiner Seite noch weniger Widerrede fand. Ob ich Rosen meiner Tochter als Mädchen mitgeben sollte, darum ward er nicht gefragt, war auch nicht nöthig. Hannchen brauchte eine Bedienung, sie hatte Rosen immer wohl leiden können, und ich hingegen hatte meine Ursachen, letztere gern entfernt zu sehen.

Wie mein Abschied von Samuel und Peninnen, so war auch die Trennung von Hannchen; zärtlich, traurig und ahndungsvoll. Ach ihr betrübten Ahndungen, daß ihr doch so sehr durch die Zukunft gerechtfertigt wurdet! – Ich empfahl der Frau von Wilteck meine Tochter so oft und mit so vielem Eifer, daß sie im Scherz sagte, ich sollte mir sie lieber assecuriren lassen. Der alberne Oberste, der gegenwärtig war, fand den Einfall von der assecurirten Tochter lächerlich, und so ward mir die ganze Abschiedsscene verdorben. – Ich habe es nie gern gesehen, wenn man bey ernsthaften Dingen auch nur eine Miene zum Lachen verzog. – Es ist kein Aberglaube, aber die Thränen kommen in solchem Fall meistens hintennach.

[191]
30. Kapitel. Die alte Frau ereifert sich sehr über einen Brief
Dreyßigstes Kapitel
Die alte Frau ereifert sich sehr über einen Brief

So oft als ich es in den zwey Jahren, daß die Robignac in meinem Hause war, hatte wagen können, meine vier jüngsten Töchter mit ihrer Lehrerinn allein zu lassen, so oft hatte ich meine älteste, und meinen guten Vater besucht. Zuweilen nahm ich auch wohl eine oder etliche von den Mädchens mit mir, aber Herr Haller sah dieses niemals gern; er meynte, sie würden in der Gesellschaft ihres grillenfängerischen Großvaters, und der einfältigen Peninna wenig gutes lernen, und so unterblieb es. Im Grunde sah ich es lieber, wenn er Peninnen schimpfte und verachtete, als wenn er, wie zuweilen geschah, davon sprach, sie von ihrem Großvater hinweg zu nehmen, und sie unter die Zucht der Robignac zu geben, welche ihr, wie er sagte, sehr nöthig wär. Um selbige Zeit hatte ich mein Hausregiment, das mir vor einiger Zeit so geschmälert wurde, unvermerkt wieder ziemlich an mich gebracht, so, daß ich schon ein Wort reden und mich Herrn Hallers Meynung wegen Zurückberufung Peninnens ein wenig widersetzen konnte, nur so weit reichte meine Gewalt noch nicht, die Robignac aus dem Hause zu schaffen; hierzu mußte ich glücklichere Zeiten erwarten.

[192] Ich hatte bey meinen Besuchen zu Traußenthal, immer alles in ganz gutem Zustande gefunden. Mein Vater befand sich wohl bey der zärtlichen Pflege seiner Enkelinn, und Peninna war, wenn auch nicht allemal heiter, doch meistens ruhig. Nur eins wollte mir nicht gefallen; es hatte sich zwischen meinen Lieben zu Traußenthal, und zwischen Herrn Walter und seiner Frau ein Umgang entsponnen, der meines Erachtens kein Gut thun konnte. Madam Charlotte Walter fand das Vergnügen, daß sie an der Seite Peninnens genoß, so unschuldig, daß auch der Neid nichts daran zu tadeln haben könne; ich aber dachte, daß Peninna nicht so sehr geliebt werden würde, wenn sie nicht Samuels Schwester wär. Das Reden von diesem Samuel nahm bey ihren Zusammenkünften kein Ende; Peninna hatte zur Dankbarkeit auch das Vergnügen, etwas von Herrn Walter zu hören, und konnte deswegen Charlotten, an der sie, wie man weiß, im Anfang wenig Gefallen fand, jetzt sehr wohl leiden. Kinder! Kinder! sagte ich zuweilen: Hin ist hin, und für euch beyde ist kein Walter und kein Samuel mehr in der Welt, was soll also das Reden? – daß sie das besser wußten, läßt sich denken, man kennt ja die jungen Leute. – Herr Walter war in diesem Stücke klüger, er kam selten nach Traußenthal, es war auch recht gut, denn man merkte es allemal Peninnen an, wenn er da gewesen war; ich fand sie denn immer stiller und trauriger als gewöhnlich. [193] Daß das Mädchen ihn doch so gar nicht vergessen konnte! Woher mochte doch diese seltsame Beständigkeit in einem so leichtsinnigen Herzen kommen, wie Peninnens Herz war?

Die Unterhaltungen der beyden Freundinnen von Samuel konnten nicht anders als sehr trocken seyn, weil sie blos von alten Vorgängen handeln mußten, denn in diesen zwey Jahren hatten wir nicht öfter als zweymal, und nur sehr kurze unbedeutende Nachricht von ihm gehabt; eine Sache, die mir viel Kummer machte. Mit Freuden hätte ich alle Briefe, die mir in diesen zwey Jahren Monsieur Albert aus Berlin geschrieben hatte, für eine einige Zeile von meinem armen Samuel hingegeben.

Mein armer Samuel, sage ich? hätte ich nicht vielmehr Alberten bedauren sollen? – O in wie schlechten Händen befand sich der Arme! Der Oberste, Herr von Wilteck, und mein Mann, brachten mir jedesmal, wenn sie von ihren Excursionen nach Berlin zurück kamen, die Nachricht mit: man könne keinen artigern, hofnungsvollern Jüngling sehen, als meinen Albert, aber ich habe nichts mehr nöthig, als einen einigen Brief von ihm herzusetzen, um das Gegentheil zu erweisen; versteht sich, keinen von den ersten, denn in diesen herrschte noch der Ton der Treuherzigkeit und Unschuld, den ich liebe, sondern einen, der in die Zeit fiel, von welcher ich jetzt schreibe, und der um so viel mehr einen Platz in dieser Gegend verdient, [194] weil es nöthig ist, daß man etwas von der Lage wisse, in welcher Albert sich gegenwärtig befand.

»Liebe Mutter!

Weiß der Henker, wo ich immer den Muth hernehme, mich wieder an Sie zu wenden, und wenn Sie mich gleich noch zehnmal unfreundlicher abgewiesen hätten als das letztemal. Ich soll aufhören zu seyn was ich bin, soll wieder werden was ich ehemals war, oder mich nicht unterstehen Ihnen zu schreiben? Liebe Mutter, wie soll ich mir das auslegen? Sie allein tadeln mich, und hundert Lober habe ich auf meiner Seite. Wem soll ich beypflichten? Der Herr Oberste, Herr von Wilteck, mein Hofmeister, selbst mein Vater ist mit mir zufrieden. Meine Studien, die Ihnen so schlecht, so superficiell vorkommen, sind nach jener ihrem Urtheil hinlänglich für einen jungen Menschen von Vermögen, und Männer müssen das doch besser verstehen, als eine Dame. Meine Vergnügungen, die Sie zeitverderbend, wohl gar sündlich nennen, findet man hier sehr mäßig und eingeschränkt. Sie sollten sehen, wie andere von meinem Alter leben. Meine Aufführung ist nach dem allgemeinen Urtheile, ordentlich und angenehm, und selbst das, was sie Flüche und ungezogene Reden nennen, gefällt entweder, oder wird als alltäglich kaum bemerkt; was ists denn nun, wenn ich [195] einmal sage oder schreibe – – doch nein, ich habe meinen Brief noch mit keiner unheiligen Redensart entweiht, und ich wills auch noch nicht thun, damit Sie sehen, wie sehr ich Sie liebe. Ja führwahr, Sie haben Recht; wenn ich bey Ihnen wär, so würde es anders seyn, Sie würden aus mir machen können, was Sie wollten. Wenn ich nun so, was ich geschrieben habe, wieder überlese, so dünkt michs, ich würde nicht das Herz haben, so mit Ihnen zu reden wie ich schreibe, wie ich schreiben muß, wenn mein Brief den Augen gefallen soll, vor die er kommt. Herr Reiner, mein Hofmeister, nennt den Ton, wie ich ihn anfangs in meinen Briefen brauchte, Knabenton, und fragt mich, wenn ich ein klein wenig bedenklich über einen Ausdruck bin, ob ich mich vor der Ruthe der Mama fürchte? Der verwünschte lange dürre Kerl mit seiner dünnen Nase und der alten Haarhaube, die ihm dicht auf der Nasenwurzel sitzt, eben kommt er herein, und ich muß meinen Brief verstecken, weil ich Ihnen etwas zu sagen habe, das er nicht sehen darf.

Ich bin in erschrecklichem Geldmangel. Sollten Sie mich weniger lieben, als andere Mütter ihre Söhne? Hier nimmt ein jeder von meinen Freunden seine Zuflucht in solchen Fällen zur Mutter, und wie ich täglich sehe, nicht vergebens. Es giebt hier der Ausgaben so viel; Herr Reiner, der Oberste, und die andern, haben [196] mich meistens selbst auf den Weg gebracht, wo ich so viel verthun muß, und nun lassen Sie mich in der Noth stecken; ist das nicht unvernünftig? Zwar neulich habe ich im Faro, das ich recht gut spiele, fünf Louisdors gewonnen, aber die sind auch wieder zum Teufel – hätt' ich bald gesagt, verzeihen Sie ja beste Mutter; – Helfen Sie meinem Mangel ab, wenns auch nur mit einer Wenigkeit, nur mit zehn Louisdors ist, und ich werde zeitlebens seyn, Ihr gehorsamer Sohn, Albert.

N. S.

Einer von meinen Freunden rieth mir, ich sollte drohen, wenn ich keine Geldhilfe bekäme, so wollte ich unter die Soldaten gehen, aber dieses dünkt mich doch zu kühn, gegen so eine Mutter, wie Sie. Wahr ist freylich, ich bin für meine siebzehn Jahre lang und gut gewachsen, und der Himmel weiß, was ich im Nothfall thun werde.«

Der Bube! wie würde ich diesen abscheulichen Brief doch beantwortet haben, wenn nicht eben zu der Zeit Dinge vorgefallen wären, die meine Aufmerksamkeit auf wichtigere Gegenstände zogen, als auf einen ungerathenen Sohn? Ich gab den Brief Herrn Haller. Albert war ja sein Schooskind; ich durfte nicht besorgen ihn zu sehr wider ihn aufzubringen. Hatte er ihn doch selbst auf den schönen Weg gebracht, auf welchem er sich unglücklich machte. Möchte er doch mit ihm zürnen, [197] ihn bestrafen, ihn seinem Schicksal überlassen, er konnte hier schwerlich mehr thun, als seine Frechheit verdiente.

31. Kapitel. Traurige Scenen
Ein und dreyßigstes Kapitel
Traurige Scenen

Ein Brief von meiner Peninna riß meine Gedanken plötzlich von dem Gegenstande meines Unwillens los, und erfüllte mein Herz mit einer Empfindung, die dasselbe auf einer noch empfindlichern Seite angriff. Himmel, ich sollte ein Gut verlieren, das mir, nebst meinen Kindern das Liebste auf der Welt war, daß ich nach der gemeinen Rechnung zwar lang besessen hatte, aber ach, das mir dennoch viel zu früh für mein Glück entrissen wurde. »Eilen Sie mir zu Hilfe, mir zum Troste herbey,« schrieb meine Tochter mit zitternder Hand; »Ihr Vater und der meinige! – ach Gott, wir werden ihn verlieren! Diesen Morgen fand ich ihn in einer Art von Ohnmacht, in der großen Laube im Garten. Charlotte, welche diese Nacht bey mir geschlafen hatte, und ich, brachten ihn nach vielen vergeblichen Bemühungen, wieder zu einiger Empfindung, aber Sprache und Bewußtseyn sind dahin. Der Arzt, der eben ankommt, spricht, er sey vom Schlage getroffen, und es sey keine Hoffnung – ach ich kann die schrecklichen Worte nicht ausschreiben.[198] – Nach Herr Waltern hat Charlotte schon geschickt; ich wende mich zu Ihnen, ach, es ist, als müßte ich über all Hilfe suchen, alles zu Rettung meines theuren Vaters aufrufen. Eilen Sie, eilen Sie zu Ihrer trostlosen

Peninna.«


Meine Empfindungen waren den Empfindungen meiner Tochter gleich, nur daß sie sich auf eine weniger stürmische Art äußerten. Ich machte eilige Anstalt zu meiner Abreise, und hörte wenig auf das Zureden meines Mannes, und der spruchreichen Robignac. – Daß mein Vater sehr alt war, daß ich ein größeres Glück genossen hatte, als andere Kinder, welche ihre Aeltern oft in den frühesten Jahren verlieren, daß wir endlich alle sterben müssen, und was der trostvollen Gemeinsprüche mehr waren, das wußte ich lange. Ich warf mich in meinen Wagen, und war froh, ruhig weinen zu können, ohne daß sich jemand die Mühe gab, mich mit solchem Troste zu quälen.

Ich reißte ab, ich kam an, meine Pferde waren geflogen, ich hatte kaum zwey Drittheil der gewöhnlichen Zeit auf dem Wege zugebracht, und doch kam ich zu spät. Mein Vater, ach Gott, mein ewig theurer Vater, war eben verschieden. Was für eine Empfindung, den kalt und entseelt vor mir liegen zu sehen, an dem mein ganzes Herz hieng! Dieses ehrwürdige Gesicht, diese wie zum sanften Schlaf geschlossenen Augen, dieser wie zum leisen Sprechen ein wenig geöfnete Mund! – Nein, schrie [199] ich, indem ich auf ihn zustürzte, nein, er ist nicht tod! – Hat man ihm eine Ader geschlagen? hat man – ich konnte nichts mehr sprechen; ich sank in einen Zustand, in welchem ich selbst Aderlaß und Hilfe der Aerzte nöthig hatte.

Wie ich wieder zu mir selbst gebracht wurde, wie meine Empfindungen anfiengen ruhiger zu werden, wie ich nach und nach die Rolle einer vernünftigen Matrone, die der Jugend ein gutes Beyspiel geben muß, wieder annahm, das will ich nicht umständlich beschreiben, so wenig als ich mich dabey aufhalten kann, was wir vier, dem Anschein nach fast auf gleiche Art Gekränkte, alles thaten uns gegenseitig zu trösten. Herr Walter und seine Frau zeigten sich bey dieser Gelegenheit auf einer Seite, die mein ganzes Herz für sie einnahm. Ich handelte wie eine Frau von meinen Jahren in einer solchen Lage handeln muß, und – Peninna war untröstlich.

Es vergiengen Wochen, und ihr Schmerz blieb immer sich selbst gleich, ihr entfielen in der tiefen Betrübniß, in welcher sie war, Worte, die mir räthselhaft schienen, und die mich Dinge ahnden ließen, welche man mir verschwieg. Charlotte war bettlägrig, und ich konnte nicht begreifen, wie sie an dem Tode eines Mannes, den sie erst seit kurzer Zeit kennen gelernt hatte, so gewaltsam erschüttert werden konnte. Der jähe Tod dieses ewig theuren Vaters war mir von Anfang bedenklich vorgekommen, ich hatte Muthmaßungen, [200] daß hier geheime Ursachen zum Grunde lagen die ich nicht errathen konnte, und die man sich mir zu entdecken fürchtete, ich mußte Licht haben, und ich nahm mir vor, Waltern einmal ernstlich zu befragen.

Unsere Unterredung war lang, und die Antworten des jungen Mannes fielen sehr geschraubt aus. Haben Sie vergessen, rief ich endlich, daß Sie mit einer Frau sprechen, welche gelernt hat Unglück zu ertragen? Lassen Sie mich alles wissen! Ungewißheit ist weit quälender für mich, und mein Schicksal kann dadurch nicht härter werden, daß ich von allem benachrichtigt werde. Mein Vater ist todt, meine Peninna schmachtet ihr Leben im langsamen Gram dahin, lassen Sie die Ursachen hiervon seyn welche sie wollen, unmöglich können sie so beschaffen seyn, daß mein Leiden dadurch erschwert wird. – Glauben Sie das, vortrefliche Frau? sagte Walter – Wie wenn Sie zu dem, was Sie bereits verloren haben, noch mehr, ich will zum Beyspiel sagen, eins ihrer Kinder verlieren sollten? – Sie meynen Peninnen? erwiederte ich. Wenn sie fortfährt ihrem Gram nachzuhängen, so weiß ich, daß ich sie verlieren werde, und eben darum will ich die Ursachen ihres gränzenlosen Kummers, die Mittel wissen ihn zu heilen. – Ich rede nicht von Peninnen, erwiederte er, aber wie wenn Sie erführen, daß irgend eine traurige Nachricht das Leben Ihres Vaters abgekürzt, daß vielleicht ihr Sohn – Daß Albert, unterbrach ich[201] ihn, vielleicht seine lächerliche Drohung, Kriegsdienste zu nehmen erfüllt habe, und nun für seine Thorheit leiden müsse? – Haben Sie nur einen Sohn? fragte Walter. Wie wenn nun Ihr Samuel – –

Der Name Samuel, erschütterte mein Innerstes, es war nicht mehr Zeit mich zu schonen, ich mußte alles wissen; Herr Walter brauchte alle Klugheit, den Streich zu mildern, den er meiner Ruhe versetzen mußte, aber war wohl Milderung bey einer solchen Nachricht möglich?

Es war nur allzugewiß, daß plötzlicher Schrecken, das schwache Alter meines Vaters übermocht, und ihn vor der Zeit ins Grab gestreckt hatte. Man fand in der Laube, wo ihn Charlotte und Peninna ohne Empfindung angetroffen hatten, ein Zeitungsblatt, welches aufgehoben, und weil man nicht muthmaßen konnte, daß es eine Beziehung auf den schrecklichen Zufall habe, beyseit gelegt wurde. Man brauchte alle Mittel den unglücklichen Greis ins Leben zurückzurufen, er fieng an sich zu erholen. Sprache und Verstand, welche wie Peninna mir damals schrieb, gänzlich dahin zu seyn schienen, kehrten eine Stunde vor seinem Tode zurück.

Er nannte Samuels Namen, er bestrebte sich den Umstehenden noch mehr zu sagen, aber vergebens; seine Reden waren, auch dem ganz nahe zu seinem Munde geneigten Ohre, nicht mehr verständlich. Er strengte sich heftiger an. Einige [202] gebrochene Worte machten Herrn Waltern auf das in der Laube gefundene Zeitungsblatt aufmerksam; es wurde herbey geholt; der Sterbende ließ es sich reichen, man richtete ihn in die Höhe, er schien mit den Augen, und mit den schon fast erstorbenen Händen eine Stelle zu suchen, die ihm wichtig seyn mußte, aber die Kräfte verließen ihn, und er sank ohnmächtig zurück. Man hielt den ganzen Einfall mit dem Zeitungsblatte für Phantasie, man beschäftigte sich, den Kranken zu sich selbst zu bringen, er erwachte nur, um von neuen die nämliche Idee zu äußern, und durch Zeichen und gebrochene Worte zu bitten, man möchte lesen.

Charlotte las, und stieß endlich auf einen Artickel, der sie, ehe sie ihn ganz zu Ende gebracht, leblos auf den Boden streckte; so lautete er:

»Riedgau am Harz. Vergangenen Dienstag den 23. May hat man in hiesiger Hohlberger Wehr den Körper eines jungen schönen Mannes von zwey bis drey und zwanzig Jahren gefunden, den man, ungeachtet er nur einige Stunden im Wasser gelegen zu haben schien, vergebens strebte, wieder zu beleben. Er war von bräunlicher Gesichtsfarbe und dunkeln Haar. Seine Kleidung, ein hellgrüner Reitrock mit schmalen Golde, und ein ziemlich kostbarer Hirschfänger mit den Buchstaben S. H. lassen muthmassen, [203] daß er von gutem Stande ist. In seinen Taschen hat man, nebst einem grünseidenen Beutel mit fünf Louisdors und einiger Münze, eine emaillirte Dose gefunden, auf deren Deckel das Bild einer Dame mit den Buchstaben C. W. befindlich ist. Sollte sich jemand von den Angehörigen. u.s.w.«

Man kam der ohnmächtigen Charlotte, man kam Peninnen, die sich fast in ähnlichem Zustand befand, zu Hilfe; Herr Walter las die schreckliche Stelle noch einmal, und ward völlig überzeugt, daß der Gefundene niemand anders als mein unglücklicher Sohn seyn könne. Tiefe Traurigkeit breitete sich über die ganze kleine Gesellschaft aus. Der Sterbende, aus dessen gebrochenen Augen einige Thränen quollen, faßte Charlotten und Peninnen, die weinend bey seinem Bette standen, bey der Hand, schien noch einige tröstende Worte sprechen zu wollen, und verschied.

Hier war es, wo ich erschien. Auf Walters Gutachten, verschwieg man mir alles, was meinen Sohn betraf, weil er noch immer hofte, auf genauere Untersuchung, von der Falschheit der schrecklichen Nachricht überzeugt zu werden. Gern hätte er die Reise nach Riedgau selbst übernommen, wenn er es hätte wagen wollen, Charlotten, Peninnen und mich in unserer Traurigkeit allein zu lassen, und mich vielleicht der Gefahr auszusetzen, durch eine unvorbereitete Benachrichtigung von der Sache, ein ähnliches Schicksal mit meinem [204] Vater zu erfahren. Der edle Mann, warum war er doch nicht mein Sohn geworden, hätte wohl ein Kind zärtlichere Sorgfalt für seine Mutter tragen können, als er für mich!

Herr Walter hatte einen Menschen, auf dessen Treue er sich verlassen konnte, nach Riedgau geschickt, er war voller Hoffnung, daß uns dieser bessere Nachricht mitbringen werde als wir vermutheten, und brauchte diese Vorstellung, mich in dem Schmerz, in welchem ich stumm und fast leblos vor ihm saß, ein wenig aufzurichten. Es gelang ihm schlecht! Wer, der das Herz einer Mutter gegen ein geliebtes Kind kennt, wagt es auszusprechen, wie mir in diesen Augenblicken, an die ich nie ohne Schauer denken werde, zu muthe war? – Peninna und Charlotte schienen einen Trost darinnen zu finden, daß ich den ganzen Umfang ihrer Leiden wußte, und daß sie frey von demjenigen mit mir sprechen durften, was ihr einiger Gedanke war. Sie unternahmen es so gar, mich zu trösten, da sie sahen, daß ich noch mehr litt als sie, aber ach, was hätte mich trösten können, als die Nachricht, daß unser Schrecken vergeblich gewesen, daß die ganze Sache ein Irrthum, daß Samuel noch am Leben sey.

Herrn Walters Abgeschickter kam zurück, aber, was er mitbrachte, war nicht Trost, sondern Bestättigung unsers Unglücks. – So sehr er auch seine Abreise beschleunigt hatte, so war er doch viel zu spät ge kommen, als daß er sich den längst [205] beerdigten Körper des Verstorbenen noch hätte zeigen lassen können, um auf seinen Anblick einige Gewißheit zu gründen. Indessen trafen alle Umstände zu genau zu, um uns in einigem Zweifel zu lassen. Seine Kleidung, unterschiedliche uns sehr kenntliche Kleinigkeiten, die man außer dem genannten bey ihm gefunden hatte, und vor allen eine Schreibetafel, in welcher sich unterschiedliche Aufsätze von seiner Hand befanden, rissen uns aus aller Ungewißheit. Mit Mühe und ziemlichen Kosten hatte unser Abgeschickter alle diese Dinge aus den Händen der Obrigkeit des kleinen Orts in die Seinigen gebracht, denn daß der Werth alles dessen, was er bey sich hatte, auf die Aufhebungs- und Begräbnißkosten gegangen war, versteht sich von selbst.

O Himmel, wie ward uns zu Muthe, als wir diese traurige Verlassenschaft unsers Geliebten in unsere Hände bekamen! Was fühlte Charlotte, als ich ihr die Dose mit ihrem Bilde, das sie ihm beym Abschied geschenkt hatte, überreichte! Herr Walter sah ihren Schmerz, und zürnte nicht mit ihr; er selbst betrauerte meinen Sohn, wie man einen Bruder betrauert haben würde.

[206]
32. Kapitel. Das hat der Feind gethan
Zwey und dreyßigstes Kapitel
Das hat der Feind gethan

Lange blieb ich zu Traußenthal, es ward mir schwer, mich von Peninnen und ihren Freunden zu trennen, aber endlich mußte ich doch bedenken, daß ich eine Mutter mehrerer Kinder war. Ich bereitete mich zu meiner Rückreise nach Hohenweiler und sann darauf, wie ich gewisse Dinge, die mir noch außer den Ursachen meines verzehrenden Grams viel Unruhe machten, klüglich einrichten wollte.

Peninna hatte durch den Tod ihres Großvaters einen Zufluchtsort verlohren, welcher fast der einige war, an welchem sie außer dem väterlichen Hause mit Anstand leben konnte. Mein guter Vater hatte mir zwar seine kleine ländliche Wohnung hinterlassen, auch war das größere Haus, das wir jetzt bewohnen, nebst dem Garten unser, aber wie hätte es sich für ein junges Mädchen geschickt, diese Einsamkeit dem Hause ihrer Aeltern vorzuziehen?

Herr Haller, welcher sich in die beyden Trauerfälle, die mich so gewaltsam erschüttert hatten, mit einer philosophischen Gleichgültigkeit fand, welche man bewundern mußte, hatte in seinen letzten Briefen an mich – Er selbst kam so wenig nach Traußenthal, als er seinen drey jüngsten [207] Töchtern erlaubte, mich daselbst zu besuchen. – den Gedanken geäußert, Peninna würde nun in das väterliche Haus zurück kehren, aber es war bloßer Gedanke nicht Wunsch. Er schien seinen alten Widerwillen gegen Peninnen noch nicht abgelegt zu haben, und machte Bedingungen, unter welchen er ihr erlauben wollte, in Hohenweiler zu leben, die weder ihr noch mir gefallen konnten. Unterthänigkeit unter die Hand der Robignac war eine von den vornehmsten, und Peninna fand so wenig Behagen an diesen Aussichten als ich.

Peninna, ein Mädchen über neunzehn Jahr, die schon so lange die Gebieterinn eines Hauses gewesen war, sollte nun erst einer eigensinnigen Französinn, die sie ganz übersehen und nicht anders als verachten konnte, gehorchen lernen? Seltsame Zumuthung! – Ueber dieses mußte ich bey meiner ältesten Tochter eben das Bedenken haben, wie bey Hannchen. Sie war jung und schön wie diese. Ihr Vater, welcher so sehr wünschte ihrer los zu werden, würde nicht ermangelt haben sie zu nöthigen, bey den Gesellschaften in seinem und in dem Wilteckischen Hause gegenwärtig zu seyn; daß sie gefallen würde und müßte war ausgemacht, und das beste, was hätte erfolgen können, wär gewesen, daß sie an irgend einen von den dasigen Herrn, dem es beliebt hätte ernsthafte Absichten auf sie zu haben, verschleudert worden wär.

[208]

Peninna sah dieses alles sowohl als ich, und sie brauchte es zum Mittel mich zu bewegen in einen andern Vorschlag zu willigen, welchen sie mit Charlotten ausgedacht hatte. Diese beyden Freundinnen waren sich so unentbehrlich geworden, daß es ihnen schwer ward sich zu trennen. Peninna versicherte mich, daß die Gewohnheit Waltern täglich zu sehen, den Eindruck, den sein Anblick auf sie machte, sehr geschwächt habe, daß sie gegenwärtig nichts für ihn fühle als wahrhafte Schwesterliebe. Charlotte, die jetzt das ganze Verhältniß kannte, in welchem ihre Freundinn ehemals mit ihrem Manne gestanden hatte, betheuerte, daß sie ganz frey von Eifersucht sey. Herr Walter erklärte sich nie über diesen Punkt, aber sein Betragen gegen Peninnen war so fremd und zurückhaltend, seine Geschäfte so häufig, und sein Herz so redlich, daß – ich endlich meine Bedenklichkeiten aufgab, meiner Tochter erlaubte bey Walters zu bleiben, ihr noch einige gute Lehren gab, und es über mich nahm, ihr Zurückbleiben bey ihrem Vater zu entschuldigen.

Ich kam wieder zu Hohenweiler an. Ich ward von meinen Kindern mit lauter Freude, von Herrn Haller mit kalter Höflichkeit, und von der Französinn mit den ausschweifendsten Schmeicheleyen empfangen. Dinge, welche nicht hinlänglich waren, meine Augen gegen das, was mir mißfiel, zu verschliessen.

[209]

Nicht Tage, viele Wochen waren nöthig, die Unordnungen abzustellen, die sich in meiner Haushaltung eingeschlichen hatten, und meine Töchter, o wie sehr fand ich diese zu ihrem Nachtheil verändert! wie viel Unkraut hatte hier der Feind auf den guten Acker gesäet! Jukunde, jetzt eben vierzehn Jahr alt, hatte in der Zusammensetzung von Vorwitz und übereilten Reden und Handlungen, die man in der Volkssprache Naseweisheit nennt, so zugenommen, daß ich sie nicht mehr kannte. Kein Wunder! Mir, der es nicht an Aufmerksamkeit und guten Willen fehlte dieses in ihr keimende Uebel zu unterdrücken, hatte es schon Mühe genug gemacht hierinnen einigen Fortgang zu haben, wie sehr mußte das Mädchen bey der Vernachlässigung der Robignac, die nur immer an ihrem Aeußerlichen künstelte, und das Innere ungebessert ließ, verwildert seyn.

Amalie wurde durch ihre wenige Schönheit vor der Verzärtelung geschützt. Es ist nur gar zu wahr, daß die meisten Alltagserzieher sich von ihren Augen leiten lassen; daß sie denen, welche etwas Gefälliges in ihrem Aeußerlichen haben, schmeicheln, und die Häßlichen unterdrücken. So war es Amalien gegangen, der beständige Tadel hatte ihr eine gewisse ungeschickte Blödigkeit, einen Eigensinn und Beharrlichkeit auf ihrer Meynung angewöhnt, welchen mütterliche Liebe und Schonung schwerlich aus dem Grunde zu heben vermochte. Julchen war der Spion des ganzen [210] Hauses geworden, sie erzehlte der Französinn von dem, was sie bey ihrem Vater und bey Wiltecks sahe, sie unterrichtete Herrn Haller von allen Handlungen der Robignac und ihrer Schwestern, sie verrieth das Gesind, und richtete dadurch mehr Uebel an, als man von so einer kleinen Kreatur hätte erwarten können. Sie machte gleich am ersten Tage ihre Aufwartung bey mir mit einer Erzählung von allem was in meiner Abwesenheit vorgegangen war, die mir nicht sehr gefallen konnte, und die ich, so lehrreich sie mir auch war, ihr doch eben nicht mit besonderer Freundlichkeit belohnte.

Diese Entdeckungen in Ansehung meines Hauswesens und meiner Kinder, die mir so viel Kummer erweckten, waren noch bey weiten nicht die einigen; es folgten andere nach, welche mich belehrten, wie gefährlich es einer Hausregentinn ist, ihr kleines Gebiet zu verlassen, und es der Willkühr ihrer Widersacher Preis zu geben,

Mademoiselle de Robignac hatte das Herz meines Mannes ganz in ihre Gewalt bekommen. Wär sie jung und schön gewesen, so hätte mich dieses so sehr nicht wundern sollen; ich hätte nur an die Begebenheiten mit der R... und W..., und an Rosen denken dürfen, aber sie, die nie von einem erträglichen Ansehen konnte gewesen seyn, und die jetzt in ihrem dreyßigsten wie sie, oder in ihrem fünfzigsten Jahre, wie andere Leute meynten, eher einer braunen hohläugigten Sybille als [211] einer Herzensbezwingerinn ähnlich sah, wie hätte diese Herrn Haller, der doch ehemals ein Kenner der Schönheit zu seyn schien, gefallen können!

Gleichwohl war es mehr als zu wahr, daß sie herrschte und ich gehorchen mußte, daß ihre übertriebene Schmeicheley eine Hülle war, die sie ihrer Obergewalt anlegte, damit ich nicht gleich von Anfang zu sehr geschreckt, vielleicht einen Sturm wagte, der ihr hätte nachtheilig seyn können. Das Recht war doch gleichwohl auf meiner Seite, und Herr Haller hatte Stunden, wo er niedergeschlagen, verdrüßlich, und folglich auch verzagt war, so daß er vielleicht, wenn ich die Rolle einer bösen Frau hätte spielen wollen, nachgegeben und mir das Feld überlassen haben würde. Aber wo hätte ich die Kühnheit hiezu hernehmen wollen, ich, die ich nur gewohnt war, mit den Waffen der Sanftmuth zu streiten?

Das beste was ich in meiner Lage thun konnte, war mich verstellen; ich hatte es schon einmal erfahren, was man gewinnt, wenn man die Augen zu zeitig über gewisse Dinge aufthut, die man sich bemüht uns zu verhüllen. Ich war gegen die Robignac nachsichtsvoll und gefällig, ich hütete mich, daß unsere beyderseitigen Meynungen so wenig als möglich in Collision kamen, ich verbesserte in der Stille was sie verderbt hatte, und – wartete auf bessere Zeiten.

[212]
33. Kapitel. Mütterliche Leiden
Drey und dreyßigstes Kapitel
Mütterliche Leiden

Ich verlebte meine Tage in einer erzwungenen traurigen Ruhe. Mein Vater war tod. Samuel war dahin, und ich wußte selbst nicht auf was für Art ich um ihn gekommen war, denn mein guter Engel behütete mich, daß die Meynung, welche die Robignac zuweilen einzustreuen suchte, er habe sich selbst in den Tod gestürzt, nie Platz in meiner Seele fand. – Himmel, was würde aus mir geworden seyn, wenn ich dieses hätte annehmen wollen! – Alberts Briefe wurden immer unerträglicher; von Hannchen und der Frau von Wilteck bekam ich gar keine Nachricht, und was ich von Peninnen hörte, war auch nicht so beschaffen, daß ich dadurch getröstet werden konnte.

Die Sache gieng so wie ich gedacht hatte. Charlotte hieng seit Samuels Tode mehr an ihrem Manne als zuvor; die erste Folge dieser aufkeimenden Liebe war Eifersucht. Herr Walter, gewohnt meine Tochter täglich in tausend verschiedenen ihr vortheilhaften Situationen zu sehen, konnte die Rolle, die er sich zu spielen zwang, nicht so gut behaupten, daß nicht die alte Liebe zuweilen hervorgeblickt hätte. Peninna, die die Eifersucht der einen, und die Gesinnungen des andern[213] nicht verkennen konnte, und die am besten wußte, was ihr eigenes Herz gegen Waltern fühlte, saß halbe Tage auf ihrem Zimmer und weinte. Gern hätte sie sich aus dem Hause ihrer Freundinn entfernt, wenn sie andere Zuflucht gewußt hätte; aber wohin sollte sie? Konnte sie sich bey der jetzigen Lage der Sachen nach Hohenweiler wünschen, um meine Sklaverey mit mir zu theilen?

Doch würde dieses vielleicht endlich, als das Klügste, erwählt worden seyn, wenn sich nicht Gelegenheit zu einem andern Schritte gezeigt hätte, den sie, in der Hoffnung, ich würde ihn billigen, so voreilig that, wie schon bey mehreren geschehen war, und der mir mehr Sorge machte, als ihr Aufenthalt in meinem Hause oder ihr Verharren in dem Walterschen gethan haben würde.

An einem Tage, der zu mehreren Kränkungen für mich bestimmt war, erhielt ich folgenden Brief in Gegenwart meines Mannes, den ich hersetzen will, um euch urtheilen zu lassen, ob er von der Beschaffenheit war, vor die Augen eures Vaters zu kommen; ich wollte ihn uneröfnet zu mir stecken, aber die hämische Frage der Robignac, ob ich dem Vater die Nachricht von seiner Tochter, und meinen Kindern, die Freude etwas von ihrer Schwester zu hören, so lang vorenthalten könne, bewegte Herrn Haller, sich desselben zu bemächtigen, und folgendes daraus zu lesen.

[214] »Liebe Mutter!

Sie wissen meine Verfassung in meinem gegenwärtigen Aufenthalte. Walter und ich dürfen nicht länger in einem Hause bleiben; zu sichtbar ist es, daß wir unsere Liebe beyde nur schlecht überwunden haben; Charlotte sieht dieses sowohl als wir beyde, und es war fest bey mir beschlossen, diesen Tag nach Hohenweiler abzureisen und das Haus wieder zu sehen, in welchen wenigstens Ihre Blicke mir freundlich und mit Schonung begegnet seyn würden. Der Strenge meines Vaters würde ich kindliche Unterwerfung, und der Herrschaft der Robignac Muth und Entschlossenheit entgegengesetzt haben, aber glücklicher Weise zeigt sich ein anderer Ausweg, der mich dieser schweren Proben überhebt. Hören Sie wie sonderbar!

Diesen Morgen, da ich schon reisefertig war, und sich nur noch einige Schwürigkeiten wegen der Art meiner Ueberkunft nach Hohenweiler unversehens hervorthaten, ließ sich eine durchreisende Dame, die sich Frau von Berg nannte, bey mir ansagen. Ich besann mich in der Verwirrung, in welcher ich war, nicht gleich auf die Regierungsräthinn Gabriele, und erstaunte nicht wenig, als ich sie in mein Zimmer treten sah. – Aber Himmel, wie verändert an Seel und Körper; bleich, abgezehrt, verfallen, traurig, und dabey doch so sanft und freundschaftlich als ich sie nie gesehen habe. O Peninna, [215] sagte sie, nachdem sie mir einiges von ihrer gegenwärtigen Verfassung entdeckt hatte, möchte es dir gefallen bey mir zu leben! an deiner Seite würde ich mich wieder erholen. Komm, theile mein Glück mit mir, ich will dir Freundinn, Schwester und alles seyn, ich will dir die Leiden versüßen, die ich dir vielleicht ehedem unschuldigerweise machte. –

Ich mußte mich eilig entschliessen; es war mir unmöglich ihre Einwilligung erst einzuholen. Ich ergab mich auf ihr Bitten, und ich schließe diesen Brief, nachdem ich noch um ihren Segen gebeten habe, um mich auf den Wagen zu setzen, der mich nebst der lieben Regierungsräthinn ins Pyrmonter Bad, wohin Gabriele ihrer Gesundheit wegen reisen muß, bringen wird. Bald bald sollen Sie wieder hören von Ihrer

Peninna.


N. S.

Der Regierungsrath vereinigte sich mit den Bitten seiner Gemahlinn, er war so dringend als sie, und wer konnte ihnen widerstehen!«

Dieser Brief hatte schon an sich Stoff genug für mich zur Traurigkeit und Sorgen; denn was für ein Aufenthalt war das Haus des Regierungsraths für meine Tochter? aber alles schwermüthige Nachdenken, das mir diese neue Begebenheit machen konnte, mußte jetzt verschoben werden, um [216] den gegenwärtigen Sturm auszuhalten, welcher sich nach Lesung des Briefs über mich erhob.

Daß Herr Haller durch den Inhalt desselben aufgebracht wurde, und seinen Zorn nicht auf die sanftmüthigste Art äußerte, läßt sich denken, aber man erspare mir die Mühe sein Betragen und seine Worte umständlich anzuführen, welche dadurch noch widerwärtiger gemacht wurden, daß er die Achtung, die er mir wenigstens in Gegenwart der Kinder schuldig war, so ganz vergaß, sich nicht scheute mir vor ihren Ohren Vorwürfe zu machen.

Peninnens Aufenthalt im Walterschen Hause wurde nach den Winken, die sie im Anfang ihres Briefs gab, auf die gehäßigste Art ausgelegt. Ihr Entschluß im Hause des Regierungsraths zu leben, bekam noch widrigere Namen, und die Rolle, die ich bey der Sache spielte, oder gespielt haben sollte, meine Nachsicht, der Widerwille den ich, wie man mir Schuld gab, meinen Kindern gegen ihren Vater einflößte – – o Himmel, ich erröthe vor dem Bilde, das man von mir machte, Die Eloquenz Herrn Hallers und der Französinn machte, daß ich wirklich gefehlt zu haben glaubte, wenigstens war doch das wahr, daß alle Sorgfalt, die ich auf die Erziehung meiner Kinder gewandt, bisher lauter traurige Früchte gebracht hatte, und ist man nicht immer geneigt, alles, auch oft seine eigenen Handlungen, nach dem Erfolg, nicht nach der Absicht zu beurtheilen? – Ich schwieg, und konnte nichts zu meiner Vertheidigung sagen. Peninnens[217] Handlungen in ein gefälligeres Licht zu setzen, machte ich einige Versuche, aber ohne sonderlichen Nutzen. – Die Französinn ahndete die Art, mit welcher ihrer in Peninnens Brief gedacht war, mit großem Geschrey. Herr Haller ward in Führung seiner Sache eben so laut, ich war überstimmt, und konnte nichts thun, als mein Urtheil mit Gelassenheit anhören, welches dieses war, daß es nöthig seyn würde, meine Kinder gänzlich von mir zu nehmen, damit ich den Gift des Widerwillens gegen ihren Vater nicht auch in ihre Herzen ausstreuen möchte.

Ihnen, schloß mein Mann, indem er sich zu der Robignac wandte, ihnen, Mademoiselle, übergebe ich sie ganz allein, und ich werde, um ihnen die Mühe zu erleichtern, sie von den abgeschmackten Vorurtheilen ihrer Mutter abzugewöhnen, und nach dem Sinn ihres Vaters, und dem Ton der großen Welt zu bilden, nächstens eine Reise nach Berlin thun, auf welcher Sie und meine Töchter mich begleiten sollen.

Dieser Entschluß, welcher wirklich die empfindlichste Seite traf, auf welcher ich angegriffen werden konnte, wurde durch einen Brief bestättigt, welcher an diesem Tage des Kummers aus Berlin eintraf. Er war von dem Hofmeister meines Alberts, und meldete, daß der junge Herr nach verschiedenen Ausschweifungen die er gemacht, und besonders nach einem sehr unglücklichen Spiel, bey welchem er, wie man hernach erfahren, alles bis [218] auf die Kleider verlohren habe, unsichtbar geworden sey, und daß keine Nachforschungen des würdigen Hofmeisters, und des Obersten, welcher jetzt in Berlin war, ihn haben ausfündig machen können.

Julchen, die von ihrer Lieblingsneigung des Ausforschens und Angebens nicht lassen konnte, fand diesen Brief, und brachte mir ihn, und ich, ob ich gleich die Erneuerung ihres Fehlers auf die Art ahndete, wie mir es zukam, konnte doch – man verzeihe mir meine Schwachheit, die vielleicht in meiner gegenwärtigen Lage zu entschuldigen war, – mich nicht überwinden ihn ungelesen zu lassen.

Der herrliche Vortheil, den ich von meinem Vorwitz hatte, war die Entdeckung von dem Unglück des armen Alberts, die mein Herz durchbohrte, und alle Funken des mütterlichen Mitleidens wieder in mir anfachte, und – ach Himmel eine andere, die mir fast eben so schrecklich war: die Hand in diesem unglücklichen Briefe zeigte, daß dieser Hochbelobte Herr Reiner, Alberts Hofmeister, niemand anders war, als der böse Katharines, den das Schicksal recht zum Unglück meines Hauses hatte gebohren werden lassen.

Herr Haller war zu wohl überzeugt, daß, wenn ich die wahre Lage der Sachen wüßte, ich weit mehr Ursache haben würde, ihm Vorwürfe wegen Alberts als er mit Peninnens wegen, zu machen, er schwieg also weislich. Die Abreise nach Berlin wurde beschleunigt, und ich – mußte [219] mich von meinen Töchtern trennen, denn keine Bitten, keine Thränen konnten Herrn Haller bewegen, sie bey mir zurück zu lassen.

Einen Trost hatte ich, einen traurigen Trost, der mir, wenn ich nicht so ganz unglücklich gewesen wär, vielleicht eine Quelle der bittersten Sorgen gewesen seyn würde: am Tage der Abreise zeigten sich bey Julchen alle Vorboten der Blattern, welche ihre Schwestern schon überstanden hatten; es war unmöglich für sie, ohne Lebensgefahr Hohenweiler zu verlassen, und ich hatte also die Beruhigung, doch eins von meinen Kindern in meinen Armen zu behalten, und gerade das, welches bey seinen noch ganz unreifen Jahren meine mütterliche Zucht und Sorge am meisten nöthig hatte, und dieselbe durch den besten Erfolg belohnen konnte, da ein weiches noch unverdorbenes Herz meinen Lehren den Eingang erleichtern mußte.

Ich umarmte Jukunde und Amalien, ich erinnerte sie an alle meine Lehren, ich beschwor sie, sich durch nichts von dem Wege der Tugend, und der Liebe zu mir abwendig machen zu lassen, und eilte zu dem Lager meiner kleinen Kranken zurück, um daselbst meine übrigen Kinder zu beweinen, die mir theils ganz entrissen waren, theils, meinem Urtheil nach, in weit größerer Gefahr schwebten, als dasjenige, das da vor mir lag, und durch die Wuth der schrecklichen Krankheit bald ganz entstellt, und an die Pforten des Todes gebracht [220] ward. Hier konnte doch mütterliche Pflege etwas zu seiner Rettung beytragen, und – sollte das schlimmste erfolgen, wie ruhig konnte ich die unschuldige Seele in die Arme ihres Schöpfers zurückfliehen sehen!

34. Kapitel. Eine Predigt zur Unzeit
Vier und dreyßigstes Kapitel
Eine Predigt zur Unzeit

Julchen schwebte lange zwischen Tod und Leben, und sollte auch das Loos auf das letzte fallen, so war doch wenigstens soviel mehr als wahrscheinlich, daß ihre Schönheit, und mit ihr der beste Anspruch eines Mädchens auf zeitliches Glück verloren gieng. Sie war klug oder vielmehr, so jung sie auch war, eitel genug, dieses zu fühlen, und ich hatte alle Mühe, als das Schlimmere überstanden, und ihr Leben außer Gefahr war, sie wegen den Verlust des Geringern zu trösten, und ihre Aufmerksamkeit ganz auf den Dank zu richten, den sie Gott, wegen Rettung des Wichtigern, schuldig war.

Eines Tages, als ich an ihrem Bette saß. und nach einem ernsthaften Gespräch über diesen Gegenstand eben anfangen wollte, der armen Kleinen, die des Tagelichts beraubt dalag, und Trost und Unterhaltung bedurfte, eine von den Geschichten zu erzehlen, mit welchen ich meinen Kindern so manche gute Lehre einzuprägen pflegte, und [221] die ich immer, ohne ganz von der Wahrheit abzugehen, auf ihren gegenwärtigen Zustand einzurichten suchte, hörte ich einen Wagen in unsern Hof gefahren kommen; ich eilte aus Fenster um zu sehen, durch wen die Einsamkeit, in welcher ich jetzt lebte, unterbrochen werden sollte.

Ein, dem schlanken Wuchs nach zu urtheilen, sehr junges Frauenzimmer mit einem schwarzen Flor über dem Gesicht stieg aus. Mein Herz fieng an zu schlagen; ich hörte den behenden Schritt der Kommenden auf der Treppe, er schien mir bekannt zu seyn, aber ehe ich noch im Stande war, die Muthmaßungen, die sich meiner Seele wie dunkle Bilder vorstellten, aus einander zu setzen, ward die Thüre aufgerissen, und die Fremde lag in meinen Armen. Ihr Kuß, das Feuer, mit welchem sie mich an sich drückte, sagte mir, wer sie war, wenn mich auch der noch nicht zurückgeschlagene Flor, und eine kleine Aenderung in ihrer Gestalt hätte täuschen können. O Hannchen, O meine Mutter! tönte zu gleicher Zeit aus unserm Munde.

Freudenthränen, verneute Umarmungen, Fragen, unvollendete Antworten, wechselten lange Zeit unter uns ab, bis wir endlich auf das Rufen der kleinen Kranken hörten, die den Namen ihrer Schwester unablässig wiederholte, und wenigstens um eine Umarmung von derjenigen bat, welche sie nicht sehen konnte.

[222] Hannchen hatte sich immer vorzüglich gern mit ihrer kleinen Schwester beschäftigt, und daraus war zwischen beyden eine Liebe erwachsen, die bey dem großen Unterschied, den die Jahre zwischen ihnen machten, außerordentlich war, und die durch Hannchens lange Abwesenheit nicht hatte geschwächt werden können. Sie flog in ihre Arme.

Julchens trauriger Anblick lockte Hannchen, und die Unmöglichkeit ihre Schwester zu sehen, der Kranken so viele Thränen ab, daß ich endlich genöthigt war, diese Scene, welche wenigstens der einen von ihnen hätte schädlich werden können, zu unterbrechen.

Hört auf Kinder, sagte ich, was hilft das Weinen, wir wollen uns doch endlich aus dem Taumel, in dem wir sind, herausreißen, und einander vernünftige Rechenschaft geben, warum wir bisher so wenig von einander hörten, und warum wir uns nun so plötzlich wiedersehen.

Ist dieses ein Vorwurf, meine Mutter? fragte Hannchen, indem sie ihren Flor nun völlig zurück schlug, und mir ein bleiches abgezehrtes Gesicht, und gesunkene, von Weinen getrübte Augen zeigte, welche mich in Schrecken setzten. Himmel, mein Kind, schrie ich, ohne auf ihre Frage zu antworten, wie siehst du aus! Haben Krankheit oder Kummer diese schreckliche Verheerung angerichtet? Bin ich denn so gar verändert? sprach sie mit unterdrückter Bewegung, und trat vor den Spiegel um ihren Kopfputz in Ordnung zu [223] bringen; nicht doch, liebe Mutter, die Beschwerlichkeiten der Reise, die Unordnung meines Anzugs, – o ich werde mich schon wieder erholen, ich werde mich gewiß wieder erholen. – Hannchen, Hannchen sagte ich mit aufgehobenem Finger, hier ist nicht alles richtig, du hast gelitten, viel gelitten, und ein Leiden, das dich in solchem Grade verändern konnte, ein Leiden, das du deiner Mutter verschweigen willst, spricht selbst von was für Beschaffenheit dieses seyn mag. Hannchen brach in Thränen aus, und winkte nach Julchens Bette, die sich aufgerichtet hatte, und durch doppelte Anstrengung ihrer Gehörnerven das zu ersetzen suchte, was ihr durch den Mangel des Gesichts entgieng.

Ich verstand den Wink meiner Tochter, ich hörte auf in sie zu dringen, wir setzten uns zu der Kranken, und fiengen an von andern Dingen zu sprechen. Hannchens Aufenthalt bey der Frau von Wilteck, ihr langes Stillschweigen, und ihre einsame unvermuthete Rückkehr, war der Gegenstand unserer Gespräche, aber die Antworten meiner Tochter waren so ungewiß, so auf Schrauben gestellt, daß ich nicht wußte, was ich denken sollte, und mich unaussprechlich nach einer einsamen Unterredung mit ihr sehnte. – – – Endlich kam der gewünschte Augenblick.

Julchen schlief, ich setzte mich mit Hannchen an ein Fenster, und dachte nun mein Verlangen zu stillen, und eine umständliche Erzehlung ihrer [224] Angelegenheiten zu bekommen; aber Himmel, wie unzulänglich war das was ich erfuhr! anstatt alles, was ihr bisher begegnet war, im Zusammenhange zu hören, mußte ich ihr jede Kleinigkeit abfragen, und ihre Antworten waren so kurz, so zerstreut, so furchtsam, daß ich nicht wußte, was ich von ihr denken sollte. Das hauptsächlichste, was ich von ihr erfuhr, war dieses, daß sie nicht so glücklich gewesen zu seyn schien, als ich mir geschmeichelt hatte, daß sie bey der Frau von Wilteck seyn müßte, und die Art, mit welcher sie von dieser Frau von Wilteck sprach, hätte mich beynahe gar auf die Meynung bringen können, daß Hannchen nicht mehr ganz so gut von ihr dächte, als vordem, sie nannte ihren Namen mit Kaltsinn, und hätte lieber gar vermieden von ihr zu sprechen, wenn es möglich gewesen wär. Die Ursach ihrer schnellen Entfernung aus ihrem Hause war, wie sie sagte, ein kleiner Zwist zwischen ihr und der Dame, nebst einer Reise, die sie nach der Residenz gethan habe, und auf welcher sie Hannchen nicht habe begleiten wollen. Ich fragte, um die Ursach ihrer seltsamen Verfassung etwa auf einer andern Seite zu entdecken, ob sie neue Bekanntschaften gemacht, ob sie viel Gesellschaft auf dem Schlosse gesehen habe? und sie sagte, man hätte sehr einsam gelebt, und sie habe diese ganze Zeit über kein neues Gesicht kennen gelernt. Zwar fiel sie sich selbst ins Wort, ich vergesse Madam Cathin, die Wirthschafterinn der gnädigen Frau, eine Person von [225] vielen Verdiensten, und die mir sehr viel, vielleicht nur gar zu viel Freundschaft erwiesen hat. Zu viel Freundschaft? wiederholte ich, wie verstehst du das mein Kind? Verzeihen sie, war die Antwort, ich rede wunderlich, ich bin noch so zerstreut, so ermüdet von der Reise, und – und, beste Mutter, sie sollen alles erfahren, geben sie mir nur Zeit, daß ich mich erst ein wenig erhole.

Nun so geh, sagte ich mit einigem Unwillen wegen ihres wunderlichen Bezeigens, geh auf dein Zimmer, laß dich von deinem Mädchen auskleiden, und zu Bette bringen, du kommst mir in der That sehr schwach vor; du hast doch Rosen wieder mit zurück gebracht? – Bey Rosens Namen fieng sie wieder an zu weinen, sie sagte, Rose habe sie verlassen, und als ich mehr hievon wissen wollte, erzählte sie mir zum erstenmal, seit ich sie wieder gesehen hatte, auf eine vernünftige und zusammenhängende Art, wie dieses Mädchen sich von ihr getrennt habe; eine Erzählung, die mich lebhaft einsehen ließ, daß nicht allemal auf die Beständigkeit gebesserter Sünder zu rechnen sey. Rose, die ich darum aus meinem Hause entfernt hatte, um sie der Verführung zu entreissen, hatte, wie es schien, überall Verführer gefunden, oder vielmehr, sie hatte den ärgsten Verführer in ihrem Herzen mit sich genommen; sie war wieder auf die alten bösen Wege gerathen, von welchen ich sie gerettet hatte, und ich gerieth über diese Vereitelung meiner guten Absichten, und über den Irrthum, in [226] welchem ich so lange zu Rosens Vortheil gelebt hatte, in einen solchen Eifer, daß ich eine von meinen längsten und schärfsten Predigten begann, die ich über die Verirruugen vom Pfade der Tugend zu halten pflegte.

Ich sprach mit mehrerm Ernst und Strenge als jemals, denn es war hier die Rede von einer rückfälligen Sünderinn, nicht von einer unschuldig Verführten. Ich vergaß ganz, daß ich nicht Rosen, sondern das arme Hannchen vor mir hatte, welche meine Rede mit so heißen Thränen begleitete, als wenn sie die Verbrecherinn gewesen wär, welcher sie galt. Ich konnte die unschuldige Seele nicht weinen sehen, ich erkannte meinen Fehler, und brach ab. Geh, sagte ich zu dem guten Mädchen, geh frommes schuldloses Geschöpf. Diese Thränen, die du über die Vergehungen einer andern vergießest, müssen dir immer in Gedanken bleiben, und dich lehren, wie bitter eigene Verbrechen zu beweinen seyn müssen. O Gott, erhalte dieses Herz doch immer so weich und rein wie es jetzt ist! Der bloße Gedanke, es könne dereinst verderbt werden, wär im Stande mich vor der Zeit in die Grube zu bringen.

[227]
35. Kapitel. Beweise, daß die erfahrenste Matrone nicht klug [..]
Fünf und dreyßigstes Kapitel
Beweise, daß die erfahrenste Matrone nicht klug genug für ein junges Mädchen ist

Ich konnte vor Unruhe über die Begebenheiten des vorigen Tages und über Hannchens seltsame Gemüthsfassung, kaum die Morgenröthe erwarten, ich eilte in das Zimmer meiner Tochter, um zu sehen, ob sich heute ein Anschein zu meiner Beruhigung zeigte, aber ich fand sie nicht nur so unruhig wie gestern, sondern wirklich krank, sie hatte nicht geschlafen, ihre Augen waren trüb und geschwollen, und ihr Gesicht glühte von einer schrecklichen Fieberhitze. – Sie besserte sich gegen den Nachmittag, so daß sie aufstehen konnte, aber irgend etwas vernünftiges, zur Sache dienendes mit ihr zu reden, ihr den Grund ihrer sonderbaren Verfassung abzufragen, daran war nicht zu denken; der Arzt sagte, ich müsse sie jetzt auf alle Art schonen, sie schien einen Gemüthskummer zu haben, der sich nur durch Freundlichkeit und Nachsicht, nicht durch ernste Untersuchungen erforschen ließ.

Mir war gleich erstes Tages der junge Fähndrich v. Wilteck eingefallen, welcher ehemals einen Eindruck auf das Herz des Mädchens gemacht zu haben schien, und der vielleicht auch jetzt der Grund ihrer Unruhe seyn konnte. Um zu erfahren, ob [228] ich mich irrte, nannte ich seinen Namen in ihrer Gegenwart einigemal als von ohngefehr, und ich merkte, daß ihre Wangen allzeit bey seiner Erwähnung stärker glühten. Ein andermal fragte ich sie, als wir allein waren, ob sie ihn während ihres Aufenthalts bey seiner Mutter gesehen habe? Sie konnte kaum eine Bejahung meiner Frage zitternd hervorbringen, und als ich mehr von ihm zu hören wünschte, so wußte sie in der Bestürzung weiter nichts zu sagen, als daß er jetzt Lieutenant sey.

Ihre Verwirrung hiebey war so groß, daß ich nichts weiter zu wissen brauchte. Die Sache war klar; sie liebte ihn noch, und wenn weiter nichts als dieses die Ursach ihrer Unruhe war, so konnte ich ja noch wohl hoffen, sie zu trösten. Ein kleiner Lieutenant von neugeschaffenem oder gar keinem Adel, war ja wohl keine Parthie, die zu hoch für die Tochter eines reichen Amtmanns war. Jetzt war nicht die Zeit mit ihr von solchen Dingen zu reden; ich bemühte mich nur, ihr im allgemeinen Muth einzusprechen, welches mir um so viel leichter zu thun ward, da ich selbst wieder Muth bekam, und die schrecklichen Dinge, die mir zuweilen von dem Gemüthskummer des Mädchens einfielen, aus dem Sinne schlug.

Julchen war jetzt völlig wieder hergestellt, sie hatte nichts durch die Blattern verlohren, als die Schönheit und Farbe ihrer Haut, ein Fehler, welcher sich, da sie noch sehr jung war, auch [229] wohl wieder verbessern konnte; ich hütete mich indessen wohl, ihr dieses zu sagen, weil ich hofte, auf die übertriebene Vorstellung, die sie von ihrer Häßlichkeit hatte, viel gutes zu bauen. Hannchen war noch immer sehr schwach, sie brachte die meisten Vormittage im Bette zu, und konnte nur des Nachmittags ein wenig aufstehen; doch fehlte es diesen Stunden, die ich mit meinen beyden Töchtern in gesellschaftlicher Ruhe zubrachte, nicht an Annehmlichkeiten. Zwar unsere Gespräche waren nicht allemal heiter und fröhlich, denn wie viel trauriges war mir in Hannchens Abwesenheit begegnet, das ich ihr doch alles, ob wohl mit einiger Schonung mittheilen mußte, aber es gab doch auch wieder Stunden, da das Andenken an unsere Verstorbenen weniger schmerzhaft, die Sorge für die Abwesenden und Verirrten nicht so nagend, und die Aussicht in die Zukunft freyer und unbewölkter war. Ob Hannchen eben diese Linderung fühlte, weiß ich nicht; sie war immer zu still und in sich selbst gekehrt, als daß man sie ganz richtig hätte beurtheilen können, aber sie schien zuweilen doch wenigstens ruhig, und ich nützte denn diese Augenblicke immer, ihr entweder mit entfernten Hoffnungen zu schmeicheln, die ich für die wirksamsten hielt, oder sie auf eine unschuldige Art zu zerstreuen.

Julchen bat mich eines Tages, als wir so ruhig beysammen saßen, doch die Geschichte zu erzählen, welche ich an dem Tage, da Hannchen [230] uns durch ihre Erscheinung so sehr überraschte, eben anfangen wollte, und ich, die schon lange auf diese Aufforderung gewartet hatte, weil ich gesonnen war, unterschiedliches einfliessen zu lassen, das auch Hannchen heilsam seyn konnte, fieng folgendermaßen an.

36. Kapitel. Ein altes Weibermärchen
Sechs und dreyßigstes Kapitel
Ein altes Weibermärchen

Ich entsinne mich, meine Kinder, daß wir beym ersten Eintritt in das Haus, das wir jetzt bewohnen, unsern neuen Aufenthalt nichts weniger als reizend fanden; es ist wahr, die Gewohnheit und manches Gute, das wir an diesem Orte genossen, hat uns mit unserer Wohnung zufrieden gemacht, aber es dünkt mich doch, als wenn einige von uns noch jetzt sich nicht ganz mit diesen hochgewölbten schallenden Sälen, diesen schmalen finstern Gängen, und diesen tiefen düstern Zimmern, die kein modischer Aufputz ganz aufzuheikern vermag, aussöhnen könnten. Julchen getraut sich nicht anders, als an der Hand ihrer Mutter oder Schwester die schmale finstere Treppe hinab in den Garten zu steigen, im Keller sehen die Mägde des Nachts Lichter, das Merkmaal vergrabener Schätze, brennen, und ihr wißt wohl, daß wir das hier gewöhnliche Abendläuten blos darum haben einstellen müssen, weil der Glöckner allemal, [231] wenn er auf den Thurm gieng, durch eine lange Gestalt geschreckt zu werden vorgab, welche er für den Geist eines alten Ritters von Hohenweiler hielt, der in dieser Gegend umgehen soll. Ihr wißt, was ich von solchen Thorheiten halte, indessen ließ ich mir doch neulich die Sage von diesen Dingen in unserm Orte umständlich erzählen, und ich fand einige Funken von Weisheit darinnen, die mich bewegten, sie im Gedächtniß zu behalten, um sie euch einmal mitzutheilen; ihr seyd klug genug, Weisheit und Thorheit zu unterscheiden, das erste zu eurem Nutzen anzuwenden, und das andere zu verlachen.

Die Meynung, die wir von Anfang von diesem Hause hatten, daß es eins von jenen in der Vorzeit so berühmten Raubschlössern gewesen sey, war wie mein Märchen berichtet nicht ungegründet, denn der uralte Besitzer desselben, Franz von Reutlingen genannt, machte es zu seinem beständigen Aufenthalt, und da er so wie viele andere des damaligen Adels nach der Redensart jener Zeiten, von Stegreife lebte, das ist, das Land durchstrich um mit anderer Leuten Hab und Gut seine Schätze zu vermehren, so konnte man seine Wohnung, die der Zufluchtsort seiner Mitgenossen, und der Schauplatz tausendfacher Ungerechtigkeiten war, mit Recht ein Raubnest und eine Mörderhöhle nennen.

Damals war die Gegend rund um her noch nicht bebauet, das Schloß, auf dessen Zimmer er [232] Tag und Nacht auf die Vorüberreisenden lauren ließ, stand noch ganz einsam, und selbst die Stelle, wo jene erhabene Säule an der Nordseite dieser Gegend steht, die dem ganzen Orte den Namen Hohenweiler gab, war damals noch leer, sie ward erst in der Folge zum Denkmaal einer der merkwürdigsten Begebenheiten aus Ritter Franzens Leben gesetzt. – Ich leugne es nicht, wenn mir es etwa in der Dämmerung einmal einfiel, einen Theil des Märchens für Wahrheit zu halten, daß ich mit einem geheimen Schauer vor diesem bejahrten Monument vorübergieng, und Gedanken in mir entstehen fühlte, die ihr errathen werdet, wenn euch die Geschichte so bekannt seyn wird als mir.

Franz von Reutlingen, von Jugend auf an ein rauhes wüstes Leben gewöhnt, das er unter die Geschäfte seines blutgierigen Schwerdts, und unter die Ausleerung voller Becher theilte, von welchen er selten nüchtern aufstand, fühlte wenig von jenen sanftern Empfindungen, die der Menschheit zur Ehre gereichen. Liebe und Freundschaft waren ihm fremde noch niegehörte Namen, denn wer wollte die Verbindung raubsüchtiger Bösewichter zu gemeinschaftlichen Unthaten, Freundschaft, oder das unedle flüchtige Wohlgefallen solcher Leute, an weiblicher Schönheit Liebe nennen?

Unter dem Raube, den man täglich in Franzens Schloß zu gemeinschaftlicher Theilung einführte, befanden sich auch oft junge schöne Mädchen, die Töchter der Benachbarten, die man entweder, [233] wenn sie einem von der ehrsamen Gesellschaft gefielen, beybehielt, oder von ihren Aeltern durch große Summen auslösen ließ. Noch keine von so vielen eingebrachten Schönen hatte Franzens Herz rühren, oder nur einen seiner Blicke an sich ziehen können; das Unglück hatte diesen traurigen Vorzug einem Fräulein aufbehalten, die die schönste und beste von allen ihren Gespielen, und also gewiß am wenigsten geneigt war, Franzens Anträge gutwillig anzunehmen. Sie hieß Perchta, und da sie die Tochter des berühmten Hans von Steegen war, so sahe Ritter Franz wohl ein, daß er ehrerbietiger mit ihr als mit andern verfahren, und sie bey ihrem Vater, der ein reicher, angesehener, und ehrlicher Ritter war, geziemend zur Ehe fordern müsse.

Die Geschichte erwehnt nicht, was Hansen von Steegen, der sonst einen unüberwindlichen Abscheu gegen den raubsüchtigen Adel seiner Zeiten geäußert hatte, bewog, seine Tochter Franzen ohne Weigerung zuzusagen, aber, so viel ist gewiß, daß er es that, und daß die arme Perchta nach der Sitte jener Zeiten einwilligen mußte.

Sie ward also die Frau eines Mannes, den sie nicht lieben konnte, den sie verabscheuen mußte, eines Mannes, der zwar eine Neigung für sie fühlte, die er Liebe nannte, die er aber auf so widrige Art äußerte, daß sie ihr zur Quaal gereichte. Ein Weib war in seinen Augen ein Geschöpf niederer Gattung, das keine Achtung verdiente, [234] und was ist Liebe ohne Achtung? ein Hirngespinnst, das sich kaum denken läßt. – Man mußte so gut seyn wie Perchta, um die Begegnung geduldig zu ertragen, die sie täglich erfuhr. Doch hätte ihr Herz, das ächt und empfindungsvoll war, den traurigen freudenleeren Zustand gewiß nicht lange ertragen können, wenn sie nicht mitten in ihrem Elend eine Quelle des Vergnügens entdeckt hätte, welche ihr das Leben wieder lieb machte, und sie den Stand, in welchen sie ihr Schicksal gesetzt hatte, segnen ließ.

Täglich sahe sie vor ihren Augen Schauspiele der Grausamkeiten aufführen, die ihr Herz durchbohrten, täglich kam Franz von Menschenblute bespritzt, auf sein Schloß zurück, täglich wurden in die Gefängnisse des Schlosses neue Gefangene gebracht, die man, wenn sie sich nicht lösen konnten, entweder ermordete, oder in ihren Kerkern verschmachten ließ. Oft hatte Perchta ihre bittende Stimme zum Besten dieser Unglücklichen erhoben, aber man hatte ihre Worte nicht geachtet, sie wohl gar wegen ihrer Weichherzigkeit verspottet und bedrohet. Sie war klug genug endlich zu schweigen, da sie sahe, daß ihre Mühe vergebens war, und diese Aenderung in ihrer Aufführung machte, daß man glaubte, sie gewöhne sich nach und nach an die Sitte des Schlosses, und würde vielleicht endlich noch so weit kommen, die erhabenen Gesinnungen ihres Gemahls zu erreichen, eine [235] Muthmaßung, welche sie nicht bestritt, und die sie sehr in Franzens Meynung erhob.

Franz ward gefälliger gegen seine Gemahlinn; sie stellte sich habsüchtig, und er bereicherte sie mit den Schätzen der Unterdrückten, sie gab vor, ein Vergnügen an den angefüllten Gefängnissen zu haben, und er machte sie zur Kerkermeisterinn seiner Gefangenen. Welche herrliche Gelegenheit zum Wohlthnn für Perchten! Sie wandte ihre Schätze auf schlaue Art an, die Unglücklichen loszukaufen, ließ es denen, die sie aus dieser oder jener Ursach länger im Kerker behalten mußte, an keiner Erquickung fehlen, schafte die grausame Behandlung der Gefangenen unter dem Vorwande ganz ab, daß dieselbe nur dazu diene, die Einkünfte ihres Herrn zu schmälern, weil mancher durch dieselbe sein Leben einbüssen müsse, dessen Loskaufung dem Schatze noch ein Großes hätte einbringen können. Da man anfieng viel Zutrauen in sie zu setzen, so ward es ihr endlich auch leicht, manchen heimlich loszulassen, und ihm die Summe, die sie auf seine Ranzion gerechnet haben würde, als Wegzehrung mitzugeben.

Ritter Franz merkte nicht, was für einen Handel seine Gemahlinn trieb, er beschenkte sie immer von neuem, und fragte denn wohl zuweilen nach dem Anwachs ihrer Schätze, aber Perchta, welche jetzt sich schon eine Freyheit bey ihrem Gemahl nehmen konnte, affektirte dann entweder den Eigensinn der Geizigen, die aus Furcht, man [236] möchte sie für reich halten, niemanden zeigen, was sie in ihrem Kasten verschliessen, oder sie wandte vor, ihre Reichthümer vergraben zu haben, oder sie hatte irgend einem Kloster eine reiche Schenkung gelobt, welche ihren Vorrath geschmälert hatte. Franz, der die Schenkung an Klöster für ein sehr verdienstliches Werk hielt, und es gern sah, wenn Perchta die Büßung für seine Sünden über sich nahm, tadelte diesen Vorwand so wenig als die andern, und so kam die edle Frau immer glücklich durch, ohne das Vermögen und die Gelegenheit Unglückliche zu retten, welches beydes allein von Franzens Zufriedenheit mit ihr abhieng, einzubüßen.

Eines Tages ward ein alter ehrwürdiger Mann eingebracht, den man blos darum gefangen genommen, und geschworen hatte, ihn übler zu halten, als alle andere, weil er die Hoffnung seiner Räuber hintergangen, und unter dem täuschenden Schein eines ziemlich guten Kleides, nichts als einige Kupfermünze bey sich gehabt hatte. Perchta bat Franzen diesen betrügerischen Alten ganz ihrer Willkühr zu überlassen, und ferner nicht nach ihm zu fragen. Die Bitte ward auf eine Art vorgebracht, welche wenig Gutes für den Gefangenen vermuthen ließ, und der Ritter gewährte sie also ohne Bedenken.

Aber Perchta that, wie sie gewohnt war. Die Nacht war nicht sobald eingebrochen, so gieng sie in den Kerker des Alten, sprach freundlich mit [237] ihm, labte ihn mit Speise und Wein, schenkte ihm viel Gold und Silber, und ließ ihn durch einen unterirdischen Gang aus dem Kerker, nachdem sie ihre gewöhnliche Bitte an ihn gethan hatte, mit welcher sie alle ihre Freygelassenen abfertigte, er möchte doch jedermann warnen, sich nicht in den Bezirk dieses gefährlichen Schlosses zu wagen, auch möchte er nicht vergessen, bey Gott und seinen Heiligen für sie zu bitten, daß ihr die Sünde ihres Gemahls nicht zugerechnet, er bekehrt, und wo möglich von weitern Versündigungen abgehalten werden möge.

Sie stand noch mit holder Geberde vor dem Alten, und flehte mit kreuzweis auf die Brust gelegten Händen um die Gewährung ihrer Bitte, da dünkte es ihr, als sähe sie wie das Gesicht desselben sich verklärte, sein Gewand anfienge zu schimmern, und seine ganze Gestalt in Lichtglanz zerflösse. – Ich bin Sankt Peter, der Schutzheilige der Gefangenen, tönte ihr eine ätherische Stimme zu, ich hörte, was du für die Meinen thatest, ich kam herab, die Wahrheit des Gerüchts zu prüfen, ich habe dich rein und lauter erfunden, wie die Engel Gottes, und verspreche dir zur Belohnung deiner Frömmigkeit, die Gewährung einer Bitte, die du einst an dieser Stelle thun mußt. – – Es war eben die Stelle, wo die hohe Säule steht, die ihr, meine Kinder wohl kennt, und deren ich im Anfang gedachte.

[238] Perchta sah der schimmernden Gestalt nach, wie sie in der Luft zerfloß, nahm ihre Laterne, die verloschen war, von der Erde auf, hüllte sich mit einem kleinen Schauer in ihren Mantel, und wandelte den unterirdischen Gang zurück nach ihrer Wohnung, ohne daß sie sich recht besinnen konnte, ob das, was ihr begegnet war, Wahrheit oder Traum sey.

Sankt Peter mußte die Bitte der edeln Frau wohl zu Herzen genommen haben, denn von diesem Tage an kam die Nahrung des Ritters Franz von Reutlingen sehr in Verfall. Die Gegend um das Schloß ward eine Wüste, alle Menschen flohen diesen Bezirk, als ob sie vom geheimen Schrecken zurück gescheucht würden; verirrte sich denn noch ja ein Wanderer in Franzens Gebiet, so mißlungen die Anschläge auf ihn gemeiniglich, so daß Perchtens Gefängnisse ganz leer wurden, und sie weder jemand zu verschliessen, noch freyzulassen hatte; aber Ritter Franzens Schatzkästen wurden es auch, und er fieng an, sich jetzt mehr als vordem nach den Vorräthen seiner Gemahlinn umzusehen.

Perchtens Weigerungen und alle ihre vormals gültigen Entschuldigungen waren vergebens, es wurden ihr alle ihre Schlüssel abgefordert, und eine Untersuchung angefangen, für welche die arme Dame zitterte, denn sie wußte wohl, daß ihre Wohlthätigkeit alle Kästen geleert hatte, und ihr boshafter Gemahl nichts finden würde.

[239] Sie war voller Angst in den Garten gegangen um daselbst ihr Schicksal, das sie wohl absehen konnte, abzuwarten. Aber wie groß war ihr Erstaunen, als sie nach Verlauf einer Stunde Ritter Franzen freundlich und heiter eintreten, und sie zum erstenmal seit ihrem Hochzeittage, mit einiger Zärtlichkeit umarmen sahe. – Perchta, sagte er, du hast wohl hausgehalten, ich sehe, du bist eine so gute Schatzmeisterinn als Gefangenwärterinn; aber du darfst nicht denken, daß ich dir alle deine Schätze nehmen will, hier gebe ich dir indessen einen Theil derselben wieder, es wird ohngefähr der zwanzigste Theil dessen seyn, was ich bey dir gefunden habe. Perchta sah ihren Gemahl mit großen verwundrungsvollen Augen an, sie öfnete den ihr wohlbekannten Beutel, den er ihr in die Hand legte, und fand ohngefähr eben das an Quantität und Gehalt darinne, was sie ehemals Sankt Petern auf die Reise gab, und das nicht wenig gewesen war. Sonderbar, sagte Ritter Franz, daß du alles in solcher schöner Ordnung, alles in solchen schönen Beuteln, und in solchen guten und egalen Münzsorten aufbewahrt hast; fast möchte es mich dauren, dir deine kleine Götzen genommen zu haben.

Perchta schwieg, wie man denken kann, und dankte in der Stille ihrem guten Freunde Sankt Petern, welcher, wie sie leicht errieth, der Urheber dieses Segens war. Sie wandte ihren Schatz zum Wohlthun an, und wunderte sich sehr, ihn [240] nie abnehmen zu sehen. Nicht so Ritter Franz; er brauchte nichts von dem Seinigen zum Wohlthun und doch waren seine neunzehn Beutel längst leer, da Perchta den ihrigen noch nicht geöfnet zu haben schien.

Die Sachen auf dem Schlosse fiengen nun an ein trauriges Ansehen zu gewinnen, Franzens Schätze waren verzehrt, und mit ihnen war auch seine gute Laune dahin. Der heimliche Schatz seiner Gemahlinn schützte zwar das Haus vor Mangel, aber sie trug billiges Bedenken, ein einiges Goldstück aus ihrem gesegneten Beutel zur Ueppigkeit anzuwenden, und ohne Ueppigkeit und Schwelgerey konnte ihr Gemahl nicht leben. Zudem zog sich ein Ungewitter von der andern Seite auf. Der Kaiser hatte lange zu den Raubereyen seines Adels geschwiegen, jetzt erwachte er, dem Unrecht zu steuren, und Ritter Franz stand oben an auf der Liste der Verbrecher.

Nicht lange, so sahe man Reutlingens Schloß von den Kaiserlichen umringt, und obgleich Franz alle seine Freunde und Helfer um sich versammelt hatte, und ein gutes Vertrauen auf seine alte Veste setzte, die schon manchen Angrif unerobert ausgehalten hatte, so siegte doch diesesmal die größere Macht, und die gute Sache. Reutlingens Raubgenossen fielen fast alle im Streite, und Franz ward gefangen und in einen von den Kerkern seines eigenen Schlosses geworfen, in welchem er ehemals [241] so manchen Unglücklichen hatte verschmachten lassen.

Frau Perchten begegnete man mit Achtung; es waren unter den Kaiserlichen einige, welche vormals in Reutlingens blutgierige Hände gefallen, und von ihr gerettet worden waren. Sie prießen ihr Lob gegen ihren Anführer, und man gestand ihr zur Belohnung ihrer guten Thaten, die Freyheit zu, im Schlosse zu schalten, als ob sie noch Gebieterinn desselben sey. Ihre Schönheit fand noch mehr Bewunderer als ihre Tugend, aber sie zog sich sittsam zurück, und bat, als man ihr eine Bitte freygab, um nichts als um die Erlaubniß das Gefängniß mit ihrem Gemahl zu theilen. Seine Freyheit zu erbitten, hatte sie schon vergebens gestrebt, und als die weibliche Schwachheit sie zu dem Einfall verleitete, ob die Loslassung ihres Gemals sich nicht mit Gelde erkaufen ließ, fand sie ihren Beutel leer. Sie sann darauf, ob Franz sich nicht mit List durch den unterirdischen Gang davon bringen ließ, aber jeder Versuch, den sie machte, ward vereitelt, und als sie wirklich einmal die Wachsamkeit seiner Hüter getäuscht, und Franzen schon an den Eingang dieses düstern Weges gebracht hatte, so fand es sich, daß er weiter hin verfallen war, und auch in den Gegenden, wo man sich allenfalls hätte durcharbeiten können, den Einsturz drohte, so daß Franz, der in diesem Augenblick Leben und Freyheit gegen einander abwog, und diese gegen jenes zu leicht fand, lieber [242] in seinen Kerker zurück kehrte, als sich der Gefahr erschlagen zu werden, die seine treue Gemahlinn gern mit ihm getheilt hätte, aussetzen wollte.

Noch ein Mittel zu Franzens Rettung war Perchten übrig. Sie wußte, daß ein Gebet an der Stelle, wo Sankt Peter ihr erschienen war, erhört werden würde, denn er, der bisher so treu in seinen Verheißungen erfunden worden war, hatte es ihr zugesagt; sie sehnte sich dahin um für ihren Gemahl zu bitten, aber wie sollte sie dahin gelangen? Der Ausgang aus dem Schloße ward ihr auf keine Art verstattet, und der unterirdische Weg an den heiligen Ort war verschüttet.

Doch nahm sie ihr Leben in die Hand, wagte sich in einer Nacht in die verfallene Gruft, und hofte sich durch Schutt und Trümmer endlich durcharbeiten zu können, um ihre fromme Absicht auszuführen; aber so leicht ihr auch der Weg ward, vor welchem ihr mit Recht hätte bange seyn können, so schlug ihre Hoffnung doch auf andere Art fehl. Zwar fand sie den Gang so gänzlich von Schutt und Steinen geräumt, und die Gewölber so fest, daß sie auf die Gedanken kam, die Kaiserlichen hätten diesen geheimen Ausweg gefunden, und ihn zu ihrer eignen Bequemlichkeit wieder hergestellt, aber sie ward durch die wenigen Beschwerlichkeiten die ihr aufstiessen, nichts gebessert, denn es war ihr unmöglich den Ausgang zu finden, sie irrte die ganze Nacht in den verschlungenen Gängen und Nebenhöhlen umher, und kehrte endlich [243] gegen den Morgen traurig in ihre Wohnung zurück. So werden denn, schrie sie mit thränenden Augen, alle meine Bemühungen den Unglücklichen zu retten vereitelt? – ach ich merke es wohl, eine unsichtbare Hand ist hier mit im Spiele, und es bleibt mir nichts mehr übrig, als nach der Pflicht einer treuen Gattinn das Schicksal desjenigen zu theilen, mit welchem der Himmel mich nun einmal verbunden hat.

Hier war es, wo sie von dem Anführer der Kaiserlichen die Erlaubniß erbat, bey ihrem Gemahl im Kerker leben zu dürfen. Man bewunderte ihre Treue, und entließ sie an den Ort, den sie sich selbst gewählt hatte. Die Anbeter ihrer Schönheit waren doch nicht besser daran, wenn sie auch frey war; denn ihre Eingezogenheit entzog sie ihrem Anblicke, sie mochte sich nun auf ihrem einsamen Zimmer oder in dem Kerker ihres Mannes befinden.

37. Kapitel. Ein Intermezzo
Sieben und dreyßigstes Kapitel
Ein Intermezzo

So weit war ich in meiner Erzählung gekommen, als der Oberste von Wilteck sich bey mir melden ließ. Seit meines Mannes Abreise nach Berlin hatte ich allen Umgang mit dem hochadelichen Hause aufgehoben; meine liebe Frau von Wilteck war nicht gegenwärtig, und ihr Gemahl, nebst [244] dem Obristen, waren nie Leute nach meinem Geschmack gewesen. Auch hatten sie in meiner gegenwärtigen Einsamkeit mich nie mit ihren Besuchen beunruhigt, und ich wunderte mich um so vielmehr, daß ich heute einen erhalten sollte.

Der Vorwand, unter welchem der Oberste zu mir kam, war ein Brief von meinem Mann aus Berlin, aber die Ungeduld, mit welcher er strebte ein gewisses Gespräch anzufangen, und die Weitläuftigkeit, mit welcher er sich bey demselben aufhielt, ließ mich es bald begreifen, daß das erste nur die Nebenursach seines Kommens war.

Fast ohne alle Veranlassung, ohne allen Eingang, brachte er das Gespräch auf seinen Neffen, den Lieutenant Wilteck, sagte viel zu seinem Lobe, wobey er Hannchen unabläßig ansah, und schloß endlich mit der Nachricht, er sey unter die – schen Truppen gegangen, und werde mit denselben nächster Tage sich nach Amerika einschiffen. Schon jetzt hat er den Charakter als Hauptmann, sagte er, und wie hoch kann er sich in den vier oder fünf Jahren bis zu seiner Rückkunft schwingen? er ist in aller Absicht ein hofnungsvoller junger Mensch, der seiner Familie Ehre machen wird, und Amerika ist recht der Ort, wo er etwas versuchen, und sich mit Reichthümern beladen kann, um in seinem Vaterlande glänzen, und nach der Hand des schönsten und vornehmsten Fräuleins streben zu können.

[245] Ich hörte nicht weiter auf des Menschen albernes grundloses Gewäsch, sondern sahe nur Hannchen verstohlen an, welche noch in der Stellung, mit geschlossenen Augen in ihrem Stuhl zurück gelehnt da saß, die sie bey des Obristen Eintritt angenommen hatte. Ihre zunehmende Bläße bezeigte, was der eben gehörte Vortrag für einen Eindruck auf sie machte. Ich ward in dem Augenblicke in der Meynung bestärkt, daß ihre Liebe zu dem jungen Wilteck, und das Mißfallen, welches das vornehme Haus an derselben gehabt haben mochte, sie wieder in die Arme ihrer Mutter getrieben hatte. Es war ja offenbar, daß der boshafte Obriste seine Neuigkeiten nur darum so ungebeten auskramte, um Hannchen zu kränken, und ihr alle Hoffnung zu der hohen Verbindung abzuschneiden.

Die Mamsell Tochter sind wohl sehr unpaß, sagte der Oberste wieder mit einem hämischen Blick auf Hannchen, nachdem er noch eine lange Weile ununterbrochen und von mir fast unbemerkt fortgeplaudert hatte. Ja in der That, erwiederte ich, indem ich aufstand, ich glaube sie bedarf Ruhe, und es scheint noch nicht, als wenn der einförmige Ton des Gesprächs sie in Schlummer wiegen wollte. Welches ich von Herzen gern glaube, antwortete der abscheuliche Schwätzer mit einem höhnischen Lächeln, indem er gleichfalls aufstand, um sich zu empfehlen. – Gern hätte ich ihm zum Abschied noch etwas bitteres gesagt, aber ich hielt [246] es für besser zu schweigen, und gar nicht beleidigt zu scheinen; im Grunde wußte ich auch noch zu wenig von der rechten Lage der Sache, um einsehen zu können, wohin ich die meiste Stärke meines Unwillens wenden sollte.

Wir waren nun wieder allein, und ich winkte Julchen das Zimmer zu verlassen, weil ich den gegenwärtigen Augenblick für die schicklichste Zeit hielt, endlich von Hannchen Auskunft über so viel verborgene Dinge zu erhalten.

Sage mir, um Gottes willen, rief ich, nachdem ich sie eine Weile angesehen hatte, wie sie so vor mir saß und die Thränen unter ihren geschlossenen Augenliedern hervordrangen, sage mir, was soll ich aus deinem seltsamen Zustande machen? was ist mit dir, während deines Aufenthalts in dem Wilteckischen Hause vorgegangen? Dein Haß gegen die meisten, und deine Neigung gegen Einen aus diesem Hause ist offenbar. Ich will dir das Geständniß ersparen, du liebst den Lieutenant und er dich vielleicht auch, eure Leidenschaft wird von seinen Verwandten gemißbilligt, und man sucht euch von einander zu trennen; sprich, ist dieses nicht der Gegenstand deines Kummers? Hannchen antwortete mir mit einem bejahenden Hauptwink, denn sie vermochte vor Thränen nicht zu sprechen.

Aber, bestes Mädchen, fuhr ich fort, bedenke doch, ob dieses eine hinlängliche Ursache ist, dir das Herz abzunagen! bedenke doch, wie viel Dinge in der Zukunft möglich werden, die wir jetzt ganz [247] aufgeben müssen. Laß doch den jungen Menschen einige Jahrlang in der Welt sein Glück versuchen, er kommt ja zurück, und ist er dir denn noch treu so – oder zweifelst du an seiner Treue? – oder fürchtest du für die Gefahren, die auf der weiten Reise seinem Leben drohen könnten? Deine Winke bedeuten mich, daß dieses nicht der Grund deiner Unruhe ist, nun so sprich, was ist es denn; entdecke dich doch einer Mutter, die dich so sehr liebt, die Trost und Hoffnung für dich in Ueberfluß hat.

Sie warf sich um meinen Hals, und fuhr fort zu weinen, ich begleitete ihre Thränen mit den meinigen, denn ihr Kummer durchbohrte mein Herz. Endlich riß sie sich von mir los, küßte meine Hand, und bat mich, ihr Frist bis morgen zu geben, da sie sehen wollte, ob sie sich zu einer umständlichen Erzählung ihrer Leiden ermannen könne.

Ich drang nicht weiter in sie, sondern setzte alle meine Hoffnung auf den morgenden Tag, aber er erschien, er verlief mehr als zur Hälfte, und Hannchen blieb stumm. Gegen Abend, da ich mich eben gefaßt machte ihr noch einmal ernstlich zuzureden, bat sie mich, doch Julchen rufen zu lassen, und ihr die Geschichte des vorigen Tages vollends zu erzählen.

Ich zuckte die Achseln mit einer unwilligen Miene: denkst du mich zu bereden, fragte ich, daß du in deiner jetzigen Verfassung Geschmack an einem Kindermährchen finden könnest? – Gönnen sie mir, antwortete sie, doch nur noch diese kleine [248] Erholung, diesen kleinen Aufschub, ehe ich mich an eine Erzählung wage, vor welcher mir so bange ist, welche alle Wunden meines Herzens wieder aufreißen wird, welche vielleicht – –

Eben trat Juchen herein, und unser Gespräch ward unterbrochen. Ich ward von beiden an die Fortsetzung der Geschichte erinnert, und ich fieng halb gezwungen an dem Orte an, wo ich des vorigen Tages aufhören mußte.

38. Kapitel. Fortsetzung des Märchens vom Ritter
Acht und dreyßigstes Kapitel
Fortsetzung des Märchens vom Ritter von Hohenweiler

Perchta konnte mit Recht hoffen, ihre Gegenwart würde ihrem Gemahl eine Art von Linderung seyn; und hätte er auch weiter keinen Vortheil von derselben gehabt, als die Freyheit, seinen Kummer in ihren Schoos auszuschütten, so wär schon dieses genug gewesen. Du weißt es, mein Hannchen, wie süß es ist alle Geheimnisse seines Herzens mit einer Person zu theilen, die uns liebt und zu trösten sucht.

Diese Bemerkung war ein wenig zu gesucht. Ritter Franz hatte seiner Frau keine Geheimnisse zu entdecken, und es war offenbar, daß diese Stelle blos um der Zuhörerin willen da war, ein Blick [249] von Hannchen sagte mir, wie gut sie mich verstünde, und ich fuhr fort.

Reutlingen war indessen nicht der Mann, der Geschmack an solchen Ergießungen des Herzens hatte, sein Charakter war zu rauh und hart, weder Rath noch Trost fand bey ihm Eingang, und erst nach vieler Mühe machte ihm seine Gemahlin begreiflich, daß er sich in seiner gegenwärtigen Verfassung durch nichts retten könnte, als durch Demüthigung vor dem Kaiser, und durch Ausführung eines Plans, den sie ihm vorlegte.

Was man auch, sagte sie, an eurem bisherigen Leben mag tadeln können, so ist doch so viel gewiß, daß ihr ein tapferer Mann seyd. Der Kaiser weis tapfere Leute zu schätzen, und wenn ihr euch gegen ihn bezeugt, wie ihr es eurem Herrn schuldig seyd, und mit Bezeugung einiger Reue wegen des Vergangenen um Kriegsdienste bittet, so wird er nicht ermangeln, euch ein kleines Heer anzuvertrauen, mit welchem ihr eure Tapferkeit beweisen, und euch seine Gnade erwerben könnt. Bedenkt doch, daß im Kriege auch Beute zu machen ist, und daß man durch die Thaten gegen einen rechtmäßigen Feind, noch über dies Ruhm und Ehre erwirbt, ein Gut, welches euch euer Schwerdt bisher noch nicht hat gewinnen können.

Reutlingen hieß seine Frau von Dingen schweigen, die sie nicht verstünde, sann hin und her, fand keinen Ausweg aus seinem Elend, und ergriff endlich doch den Rath der weisen Perchta.

[250] Der Kaiser war gnädig, er verziehe Franzen, und machte ihn, nach einigen nöthigen Vorkehrungen zu Versicherung seiner Treue, zum Anführer eines Geschwaders, welches er seinem Sohne, der eben wider die Bayern zu Felde lag, nachsenden wollte.

Reutlingens Schloß blieb als Unterpfand in den Händen des Kaisers; man wollte Frau Perchten zwar aus besonderer Milde erlauben, in Abwesenheit ihres Gemahls darauf zu hausen, aber ihr Vater, Hans von Steegen, fand dieses unziemlich für eine so junge und schöne Frau, wie seine Tochter war; er nahm sie zu sich, und brachte sie weit von hier in ein Kloster, um daselbst Ritter Franzens Rückkunft zu erwarten. – Ihre Abreise gieng so eilig vor sich, daß sie nicht einmal Zeit hatte, wie sie gesonnen war, erst an Sankt Peters Stelle, so pflegte sie den heiligen Ort zu nennen, wo ihr der Heilige die Gewährung einer Bitte versprach, für das Glück ihres Gemahls zu flehen.

Reutlingen hatte im rechtmäßigen Kampfe nicht so viel Glück als bey seinen Raubereyen. Er verrichtete zwar genug tapfere Thaten, aber sie nutzten ihm wenig; andere wußten sie sich zuzueignen, andere nahmen den Ruhm und den Vortheil dahin, und ihm blieben Wunden und verstümmelte Glieder zur Belohnung. Mit einem zerhauenen Arm und einem gelähmten Schenkel kehrte er aus dem Felde zurück, ärmer als er zuvor war, und [251] wegen übel geheilter Wunden, nicht einmal im Stande, Theil an dem Siegsfeste zu nehmen.

Der Kaiser war gerecht, er beklagte den, der bey den wenigen Schritten, die er auf dem Wege der Tugend gethan hatte, so schlechtes Glück fand; er redete freundlich mit ihm, er bot ihm ruhige Dienste an seinem Hofe an, er erhob ihn, als er dieses mürrisch aus schlug, zur Belohnung seiner Kriegsthaten, die er doch nicht einmal alle kannte, in den Grafenstand, und ließ ihn wieder heim auf sein Schloß ziehen, welches er in seiner Abwesenheit hatte bessern und ausbauen lassen, und das er jetzt mit ansehnlichen Freyheiten beschenkte, so daß Franz auf demselben gar wohl leben konnte.

Perchta verließ mit schwerem Herzen ihr ruhiges Leben im Kloster, und eilte zu ihrem Gemahl, von welchem sie glaubte sich nicht anders trennen zu dürfen, als wenn er sie selbst verstieß. Ihr Empfang war noch schlechter als sie ihn erwartet hatte. Reutlingen war ein düstrer Menschenfeind geworden, keine Freude war für ihn mehr auf der Welt, und selbst das, was ihm bey seinem bösen unverbesserlichen Herzen, noch einiger Trost gewesen seyn würde, die Macht Böses zu thun, selbst dieses fehlte ihm. Seine Kräfte waren geschwächt, seine Glieder verstümmelt, seine Schätze verflogen, er war weder fähig sein altes Raubhandwerk wieder vorzunehmen, noch seinen heimlichen Groll gegen den Kaiser auszulassen, den er ungeachtet [252] seines gnädigen Verfahrens gegen ihn, den Urheber seines Unglücks nannte.

Perchta litt am meisten bey seinen fürchterlichen Launen, sie nannte er die Urheberinn seines Unglücks, sie war die einige, die er nach Wunsch quälen, und alles Gift das in seinem Herzen war, über sie ausströmen konnte. Geduld einer Heiligen gehörte dazu, seine Grausamkeit zu ertragen. Ihr einiger Trost war das Gebet, und die Gesellschaft einer gewissen Römhild, die sie im Kloster kennen gelernt, und sie mit sich genommen hatte, weil es ihr unmöglich dünkte, sich von dieser ihr so nahe verwandten Seele zu trennen.

Römhild, ein Fräulein aus einem unbegüterten aber vornehmen Geschlecht, war an Tugend, Schönheit und Unschuld das vollkommene Ebenbild von Reutlingens Gemahlin; sie war ihr ungern in die Welt gefolgt, weil nur das Kloster Reize für sie hatte, die Freundschaft für Perchten machte ihr indessen dieses Opfer leicht, und sie bemühte sich, um ihr Gelübde auf keine Art zu brechen, selbst auf Franzens Schloße ein klösterliches Leben zu führen. Reutlingen selbst bekam sie nur selten zu sehen, auch machte ihr Anblick keinen andern Eindruck auf ihn, als den, den jetzt jedes menschliche Wesen auf sein verwahrlostes Herz zu machen pflegte. Römhild war schön und gut, sie war Perchtens Freundinn; Grund genug für Franzen sie zu hassen, und auf ihr Verderben zu sinnen. Der Trieb Böses zu thun, wozu es ihm doch in [253] den meisten Fällen an Vermögen fehlte, war jetzt so heftig in ihm geworden, daß er darauf dachte, ihn zu befriedigen, es möchte geschehen, auf was Art es wolle.

In jenen finstern Zeiten des Aberglaubens gab es genug Leute, die sich für Zauberer ausgaben, oder vielmehr, um mich nicht zu sehr von dem Ton meiner Geschichte zu entfernen, die es wirklich waren. Reutlingen zog insgeheim die berühmtesten seiner Gegend an sich, um von ihnen die schreckliche Kunst zu lernen, bey wenigen Kräften viel Böses zu thun. Er erwartete große Dinge von seinen abscheulichen Lehrmeistern; er hofte durch ihre Hilfe sich an dem Kaiser und an der ganzen Welt, von welcher er sich verkannt und vernachläßigt glaubte, zu rächen, aber alles was ihm diese armseligen Bösewichter gewähren konnten, war Unterricht in einigen verborgenen Künsten von der geringsten Art, die ihn zu einem Unglücksstifter in einer weit kleinern Sphäre machten, als er sich wünschte.

Perchta kam hinter das gottlose Vorhaben ihres Mannes, sie hoffte es zu hintertreiben, oder wenigstens seine Folgen zu schwächen. Sie wußte, daß eine gewisse Nacht zu Franzens feyerlicher Aufnahme in die Geheimnisse der schwarzen Kunst bestimmt war. Sie erfuhr, daß der Ort, wo das schreckliche Fest gefeyert werden sollte, unter freyem Himmel, daß es kein anderer als derjenige war, den sie Sankt Peters Stelle zu nennen pflegte. [254] Mit verneutem Muth entschloß sie sich, selbst bey der Feyerlichkeit gegenwärtig zu seyn, und das auszuführen, was sie beschlossen hatte.

Die Nacht erschien. Franz entfernte sich mit seinen Helfern vom Schlosse. Perchta schlich sich durch den unterirdischen Gang an den Ort, wo sie wußte, daß sie ihren ruchlosen Gemahl finden würde. Es war ihr diesen Abend besonders schwer geworden, Römhilden, die von diesen Dingen nichts erfuhr, von ihrer Seite zu entfernen, sie hatte sich verspätigt; die den Geheimnissen der Magie geweihte Stunde war bereits verflossen, da sie auf Sankt Peters Stelle anlangte. Sie hörte nur noch die letzten Worte des Beschwörers, in welchen er Franzen mit umumschränkter Macht, Böses zu thun bekleidete, so daß weder Engel noch Heiliger im Stande seyn sollen, seine Absichten zu hindern.

Perchta schauerte in sich zurück vor dem schrecklichen Klange der Worte; sie sah, daß sie zu spät kam Böses zu hindern, aber sie fühlte, daß sie es wenigstens in ihrer Macht hatte, es zum Guten zu kehren. Sie dachte an die freye Bitte, die ihr Sankt Peter gewährt hatte, sie sank auf der heiligen Stelle nieder, und flehte zu Gott, daß alles Böse, das ihr ruchloser Gemahl thun würde, zum Besten derer, denen er zu schaden suchte, gewendet werden möge. Sie fühlte die Versicherung der Erhörung in ihrem Herzen, stand auf, eilte in das Schloß zurück, und legte sich ruhig an Römhilds Seite schlafen.

[255] Ihre Ruhe dauerte nicht länger als ihr Schlaf, denn schon der andere Morgen ließ sie Nachrichten von Unglücksfällen hören, welche vielleicht die Erstlinge von Franzens neuerlernter Kunst waren. Einem benachbarten Ritter, den Reutlingen besonders haßte, war sein schönes Schloß abgebrannt; und der hoffnungsvolle Sohn eines andern war, als er in der ersten Morgendämmerung über den Strom gehen wollen, von der Brücke gefallen und ertrunken.

Reutlingen lachte und sprach, er habe ja selbst nichts als ein altes verödetes Schloß, welches seinetwegen heute abbrennen möchte; auch habe ihm das Glück nie Kinder gegönnt, er glaubte also wohl, daß andere das auch missen könnten, was er entbehren müßte.

Jeder neue Tag überzeugte Perchten, daß es mit Franzens Gabe Böses zu thun, kein Scherz sey; sie wußte nicht, auf was für Art er seine unselige Kunst ausübte, aber daß alles Unheil in der Gegend des Schlosses von ihm her kam, war offenbar, war schon dadurch genug erwiesen, daß dasselbe immer besonders diejenigen traf, die sie liebte. Ein kleines Mädchen, ihre Pathe, die sie zuweilen um ihre Schönheit gelobt hatte, ward von scheußlichen Blattern entstellt, die ihr fast so wenig äusserlichen Reiz überliessen, als dem armen Julchen. Eine andere von ihren Freundinnen, welche sie im Begriff stand mit einem liebenswürdigen jungen Menschen zu verheyrathen, ward von ihrem Bräutigam getrennt; er ward in fremde Lande getrieben, [256] und die Arme behielt nach ihren Gedanken wenig Hoffnung übrig ihn jemals wieder zu sehen. Solche Posten bekam sie alle Tage, und ihr edles empfindungsvolles Herz litt unaussprechlich dabey. Ach Sankt Peter! rief sie oftmals in halber Verzweiflung aus, wo sind deine Versprechungen? wo die Erhörung meiner Bitte? wo ist auch nur eine Spur, daß das gestiftete Böse zum Guten verkehrt worden sey?

Gab es noch etwas, das sie zu trösten vermochte, so war es Römhilds Umgang. Zwar zitterte sie oft nur ihren Namen zu nennen, es sich nur auf die entfernteste Art merken zu lassen, wie sehr sie sie liebte, weil sie fürchtete, daß ihre Freundin eben um ihrer Liebe willen einst würde leiden müssen; zwar fehlte es nicht an Beweisen, daß man wirklich Böses wider Römhilden vorgehabt habe, aber immer war es, als wenn eine unsichtbare Macht für sie wachte, und alles was zu ihrem Nachtheil gereichen konnte, vereitelte.

Auch war Reutlingen wirklich in Verlegenheit, auf welcher Seite er Römhilden recht empfindlich angreifen sollte. Ihre Schönheit achtete sie nicht, sie war arm und hatte also nichts zu verlieren, und was ihr Leben anbelangt, so glaubte Franz nicht, daß ein Mädchen, welches Muth genug hatte sich dem Kloster zu widmen, für dem Tode beben könne. Nur ein Gut hatte sie, das ihr über alles theuer war, und dieses war ihre Tugend, aber wie war es möglich ihr dieses einige wahre [257] und ewige Eigenthum der Seele wider ihren Willen zu rauben? Reutlingen wußte wohl, daß keine Zauberkraft vermögend ist, uns auf den Weg des Lasters zu leiten, wenn wir ihn nicht selbst freywillig wählen. – Er dachte über diesen Gegenstand nach, und nahm seine Maaßregeln.

Franz glaubte schon seit einiger Zeit eine schwache Seite an Römhilden entdeckt zu haben. Seit dem Tage, da er Conraden, einen jungen Edelknaben, in seine Dienste genommen hatte, ließ Römhild sich öfter als sonst sehen; sie schien sich zu freuen, daß die Blicke des schönen Jünglings sich oft und zärtlich auf sie richteten; sie schmückte sich um ihm zu gefallen, suchte seine Gegenwart auf, hörte seine schmeichelnden Gespräche an, und schien ihre Bestimmung ganz zu vergessen. Mit höhnischer Schadenfreude sah Reutlingen die Schwachheit der frommen Nonne, wie er sie zu nennen pflegte, er glaubte gewonnen zu haben, er stellte sich als den besten Freund der Liebenden, er verschafte ihnen alle Gelegenheit sich zu sehen, und auf diese Art gelang es ihm Römhilden zur Verbrecherin zu machen, Römhild fiel –

Römhild fiel? schrie Hannchen mit zusammengeschlagenen Händen. Ja, antwortete ich, und ihr Vergehen durchbohrte das Herz ihrer Freundin, sie fühlte, was ich im ähnlichen Fall fühlen würde. Alle Mäßigung verließ Perchten, sie überhäufte Franzen, den sie den Urheber auch dieses Unglücks nannte, und ihn auf gewisse Art so nennen [258] konnte, mit Vorwürfen. Sie brachte ihren Gemahl, den ohnedem die beständige Ausübung böser Thaten halb des Verstandes beraubt hatte, durch ihre Vorhaltungen dermaßen auf, daß er seinen Dolch zuckte und ihr ihn ins Herz stieß; sie fiel leblos zu seinen Füssen nieder, und ihr Tod war, wie die Geschichte sagt, das erste Signal zu seiner Besserung. Reue und Schrecken über das, was er gethan hatte, streckte ihn dem Anschein nach eben so leblos zu Boden, als seine ermordete Gemahlin, und er erwachte nur zu nie versiegenden Thränen.

Eine andere Epoche von Franzens Leben fieng jetzt an. Seine vorige Thaten begannen sich ihm in ihrem wahren Lichte zu zeigen; er verabscheute sich selbst, und wünschte das Geschehene ungeschehen zu machen. Alle seine Verbrechen stellten sich seiner Seele in ihrem schrecklichsten Lichte dar, und – doch es wär eine zu mühsame Arbeit, einem Ruchlosen durch alle Stufen seiner Reue und Besserung zu folgen. – Genug sey es, daß die Sage berichtet, Franz habe sich wirklich gebessert, und sey, welches mir fast unglaublich dünkt, auch endlich dahin gekommen, seine vorigen Unthaten aus den Gedanken zu bringen, und sich darüber zu beruhigen. Das vornehmste Mittel seiner Beruhigung soll eine Erscheinung seiner verklärten Gemahlinn gewesen seyn, die ihn wegen der begangenen Verbrechen und ihrer Folgen zu trösten strebte. Reutlingens Religion legte ihm körperliche Büßungen seiner Verbrechen auf; eine derselben [259] war, daß er Tag und Nacht auf Sankt Peters Stelle, wo er ehemals das ruchlose Gelübde der Bosheit that, verweilte, und sich dem Frost, der Hitze und allen Ungemächlichkeiten der Witterung aussetzte. Einsmals als er in einer mondhellen Nacht auf dieser Stelle eingeschlummert war, ward er plötzlich durch einen Glanz erweckt, der den Glanz des Mondes, der ihn umstrahlte, noch weit übertraf. Perchta stand vor ihm in himmlischer Gestalt. Traure nicht mehr, lieber Franz, redete sie ihn an, quäle dich nicht mehr mit unnöthigen Büßungen; das Bestreben, das gethane Böse durch gute Handlungen zu vergüten, ist das beste Zeichen der Reue, das du dem Himmel geben kannst. – Kann dein Gram über deine begangenen Verbrechen durch die Vorstellung gemildert werden, daß sie denen, die du zu betrüben suchtest, bey weitem nicht den Schaden thaten, den du ihnen zudachtest, daß sie vielmehr zum Guten verkehrt wurden, so vernimm das, was auch ich auf dieser Welt nicht einsah, und nun erst in einem bessern Leben erfahren habe. – Ach Gott, war nicht selbst mein Tod das Mittel zu meiner jetzigen Glückseligkeit, und zur Bekehrung meines Gemahls?

Auf einmal öfnete sich vor Reutlingens Augen eine weite Aussicht. Alle Personen, wider die er sich jemals vergangen hatte, giengen vor ihn über, und ihre Schicksale, die er zu verwirren gestrebt hatte, entwickelten sich ihm. Die Gesichte, [260] die er wie das Märchen sagt, damals hatte, müssen länger als eine Nacht gedauert haben, so zahlreich waren sie. Ich will nur einige Beyspiele von dem wählen, was uns bereits bekannt ist.

Eins von Reutlingens ersten Gesichten war, wie der Ritter dessen Schloß durch die Macht der schwarzen Kunst in Brand gesteckt wurde, unter den Trümmern seines Hauses einen Schatz fand, der ihn in den Stand setzte nicht allein dasselbe weit schöner als zuvor aufzubauen, sondern auch der Wohlthäter der ganzen Gegend zu werden. Der frühe Tod des ertrunkenen Jünglings, ersparte ihm den Gram seinen Vater, an dem sein Herz hieng, langsam und schmerzhaft sterben, und seinen Freund und seine Geliebte untreu werden zu sehen. Das junge Mädchen, deren Liebhaber aus ihren Armen gerissen wurde, sah ihn in wenig Jahren treu und zärtlich wiederkehren; er war schöner und besser als zuvor, seine Standhaftigkeit war geprüft, seine Tugend bewährt, er machte seine Geliebte ganz glücklich, glücklicher als sie ohne die Trennung von ihm geworden seyn würde.

Und die Kleine? fragte Julchen, welche? sagte ich – Je nun, fuhr sie fort, sie wissen schon, die mit den Blattern. Ach diese! sprach ich lächelnd; sie war ehe sie ihre Schönheit verlor, auf gutem Wege verdorben zu werden, sie war leichtsinnig, unfleißig und eitel, nun, da sie wußte, [261] daß sie sich auf nichts verlassen konnte, als auf Tugend und wahre Verdienste, strebte sie so unablässig nach guten Eigenschaften, daß sie das vortreflichste Frauenzimmer ihrer Zeit wurde, und daß man, wenn man sie handeln sah und reden hörte, nicht einen Augenblick daran dachte, ob sie schön oder häßlich sey.

Julchen schlug freudig in die Hände, und wollte noch etwas sagen, aber Hannchen unterbrach sie, indem sie mich bey der Hand faßte, und traurig fragte: Und Römhild, die arme Römhild was ward aus dieser?

Da sie, antwortete ich, nicht durch Franzens Zaubereyen, sondern durch eigenes Versehen unglücklich war, so kam auch ihre Gestalt nicht mit unter den Erscheinungen vor, die Perchta ihren Gemahl sehen ließ, doch sagt die Geschichte, auch sie habe sich gebessert, und sey glücklich geworden.

Aber sagte Hannchen, diese Römhild, liebe Mutter, sie haben sie doch wohl nur aus eigener Erfindung in die Geschichte eingeflochten, nicht wahr sie thaten es? und warum haben sie es gethan?

Ey, erwiederte ich, wer wird eine Erzählerinn so ausfragen? höre jetzt das Ende meines Märchens. Franz bekam nach der Erscheinung seiner Gemahlinn gleichsam neues Leben, er brachte seine übrige Lebenszeit friedlich auf seinem Schlosse zu. Seine Schätze vermehrten sich, er wußte selbst nicht wie, und er wandte sie an den [262] Bezirk um sein Schloß zu bebauen, und so viel Arme und Verunglückte als er vermochte, in die neuen Wohnungen aufzunehmen; er ward der Vater dieser Leute; ihren Herrn wollte er sich nie nennen lassen. Dieses war der Ursprung eines artigen Dorfs, welches nach und nach zu dem Städtchen heran wuchs, das wir jetzt Hohenweiler nennen. Die Säule, welche ihm den Namen gab, ist nichts als ein Monument, welches Reutlingen zum Andenken von seinen und Perchtens Begebenheiten setzen ließ. Sie war zu jenen Zeiten noch einmal so hoch als jetzt, und auf ihrer Spitze stand ein Bild des heiligen Petrus, welches die Zeit gänzlich zerstört hat. Wenn ihr dieses alte Denkmaal genau untersucht, so werdet ihr auch auf der einen Seite, Spuren von einem ausgehauenen Bilde eines knieenden geharnischten Mannes, und auf der andern, eine Frau in eben dieser Stellung entdecken können, welche vermuthlich Reutlingen und seine Gattinn vorstellen sollen. Von der Inschrift ist keine Spur mehr zu sehen; sie soll lateinisch gewesen seyn, und ohngefähr so viel bedeutet haben: In der Hand der Vorsicht, verwandelt sich das Böse in Gutes. Ein Denkspruch den ich so wahr, ach durch lange Erfahrung, so ganz wahr finde, daß ich wollte, ich könnte ihn jedem jungen Herzen einprägen, welches bey dem ersten Unfall gleich geneigt ist zu glauben, Ruhe und Glück sey nun auf ewig dahin, und nichts könne die empfangene Wunde heilen.

[263] Mache, liebes Mädchen, sprach ich hier zu Hannchen, indem ich sie umarmte, daß du gesund wirst, so wollen wir einen Spaziergang auf Sankt Peters Stelle thun, und ich will dir noch so viel über die verwitterte Inschrift auf der Säule sagen, daß du mir nicht mehr weinen, sondern lauter Gutes in der, Zukunft sehen sollst.

39. Kapitel. Unvermuthetes Unglück
Neun und dreyßigstes Kapitel
Unvermuthetes Unglück

Ich glaubte Hannchen mächtig getröstet zu haben, aber sie kam mir niedergeschlagener und zurückhaltender vor als je. Die versprochene Erzählung ihres eigentlichen Anliegens unterblieb gar, und ich, die ich aus ihrer zunehmenden Schwäche sahe, wie sehr ich sie schonen müsse, beschloß auch nicht ein Wort mehr von meinem Verlangen ihr Geheimniß zu wissen, zu erwehnen, bis sie völlig gesund sey. Ach Gott, diese glückliche Zeit sollte nie kommen! ich sollte es erst nach ihrem Tode erfahren, was ihr das Herz zerrissen hatte, ich sollte dahintergebracht werden, mir selbst Vorwürfe zu machen, daß ich vielleicht durch Unvorsichtigkeit, durch einige ohne auf sie gerichtete Absicht gesprochene Worte, mir den Zugang zu ihrem Herzen versperrt, mir ihr Zutrauen und die Möglichkeit geraubt habe, sie zu retten.

[264] Doch wer weiß, ob hier Rettung möglich gewesen wär; der äußerlichen Ursachen ihr Ende zu beschleunigen, kamen zu viel zusammen. Besorgnisse, Gram, Schrecken, vielleicht auch Freude erschütterten ihren schwachen Bau zu heftig, sie mußte unterliegen.

Nach der boshaften Erzählung des Obristen, von der amerikanischen Reise seines Neffen, war es in die Augen fallend, wie sehr ihre Kräfte abnahmen. Sie hatte oft seltsame Phantasien, in welchen sie die Namen der Wilteckischen Familie mit denen aus dem Märchen von Ritter Reutlingen wunderlich durch einander mischte. Sie schlief wenig, aß fast gar nichts, und lag die meiste Zeit stumm und mit offenen Augen in ihrem Bette.

An einem der Tage da sie am schlimmsten war, saß ich weinend an ihrem Lager. Julchen welche ich hinausgeschickt hatte einige Kleinigkeiten zu besorgen, kam bleich und zitternd herein, winkte mich auf die Seite, und sagte mit leiser Stimme, das Haus sey voller Leute, welche ein sehr verdächtiges Ansehen hätten, und welche mich sprechen wollten. Eben wollte ich hinausgehen, um die Sache zu erforschen, als die Thür mit großem Ungestüm aufgerissen ward, und der Einnehmer hereintrat, welcher mit seinem tönenden Baß zu schreyen anfieng: Madam, hier sind Herren von der Landesregierung, welche die Amtskasse und die etwannigen Effekten des Herrn Gemahls versiegeln wollen. Eine etwas sanftere Stimme, erhob sich[265] hierauf. Der Vornehmste von der Deputation trat hervor, bat tausendmal um Verzeihung, versicherte, daß er dieses Geschäft höchst ungern über sich genommen habe, daß aber die hochlöbliche Landesregierung genöthigt worden sey, einen Verdacht auf die Amtsverwaltung meines Mannes zu werfen, und daß also –

Um Gottes willen, rief ich, meine Herren, bedenken sie, daß sie hier in dem Zimmer einer todtkranken Person sind. – Sie bedauerten hierauf abermal unendlich, und versicherten, daß sie das Zimmer sogleich verlassen wollten, wenn ich sie gefälligst begleiten wolle. – Ich empfahl Julchen die Sorge für ihre Schwester, welche sich hastig aufgerichtet hatte, und alle diese Dinge mit starren Augen ansah, ich aber folgte meinen ungebetenen Gästen.

Ich habe noch nicht deutlich erwähnt, daß ein Glücksfall mich in den Stand gesetzt hatte, mir augenblicklich aus der Verlegenheit zu helfen, in der ich gegenwärtig war. Das englische Loos meiner Tante hatte gewonnen, viel gewonnen; ich hatte das Geld erheben lassen, aber es aus Ursachen, die man errathen kann, gegen einen Schein in fremde Verwahrung gegeben. Ich berief mich hierauf, ich bot mich zur Bürgschaft an, aber man zuckte die Achseln, meynte, der Schein den ich vorzeigte, könne wohl falsch seyn; es wär bekannt, daß die Frau Amtmanninn nie einiges persönliches Vermögen besessen habe; ihre Bürgschaft [266] könne auf keine Weise angenommen werden; die Versiegelung der Kasse müsse vor sich gehen, und man verschiebe die Besichtigung derselben nur aus besonderer Achtung, bis zu Wiederkunft des Herrn Amtmanns.

Ich verstand nichts von dem was Rechtens war; ich mußte endlich schweigen. Man versiegelte, und ich konnte mit Mühe meine und meiner Tochter Habseligkeiten retten, daß uns nicht auch der Zugang zu denselben verschlossen ward. – Beym Abschied band mir noch das Haupt der Deputation besonders ein, ja es nicht zu unternehmen, meinem Manne etwas von diesem Vorgange zu schreiben, denn es würde nur dazu dienen, mich verdächtig zu machen, und übrigens ganz vergebens seyn, weil man schon Sorge getragen habe, daß keiner von meinen Briefen in Herrn Hallers Hände kommen könne. Ich fragte, ob nicht mit Zuziehung des Amtsverwesers, den mein Mann zurückgelassen hatte, eine Aenderung in den Sachen gemacht werden könne, aber ich merkte aus den Antworten, daß dieser selbst den größten Theil an dem ganzen Vorgange habe, vielleicht gar der Angeber meines Mannes gewesen sey.

Ich kehrte zu dem Bette meiner Tochter zurück, und fand sie ohnmächtig unter den Händen Julchens und einiger Mägde. Wir brachten sie wieder zu sich selber, sie schlug die Augen auf, und fragte mit ängstlichem Tone, ob die fürchterlichen Leute fort gegangen wären? Ich sprach ihr [267] tröstlich zu; fragte wie sie sich über eine Sache von so geringer Bedeutung, welche schon fast beygelegt wär, so erschrecken und beunruhigen könne? – Aber ihre Antworten zeigten, daß sie nicht ganz bey sich selber war, und die wahre Beschaffenheit der Sache gar nicht begriffen hatte, sondern nur durch den lärmenden Eintritt der Leute, und ihr rauhes Bezeigen, so ausser sich gesetzt worden war, ohne einzusehen was sie wollten.

Sie räumte den ganzen Auftritt mit ihren eigenen Ideen zusammen, schwärmte viel vom Lieutenant, von Römhild, und der Reise nach Amerika, und mischte das alles so seltsam unter einander, daß man unmöglich errathen konnte, was für eine Idee ihrer Seele eigentlich die meiste Unruhe machte, und auf welcher Seite man die Kur ihres verwundeten Herzens angreifen müsse.

Sie besann sich erst gegen den Abend völlig; sie erzählte uns den Vorgang des Vormittags, als einen fürchterlichen Traum den sie gehabt hatte, und daß wir sie in dieser Meynung bestärkten, brauchte ich wohl nicht erst zu erwehnen. Sie war so abgemattet, daß sie in einen tiefen Schlaf verfiel, der Arzt nannte dieses eine glückliche Krise, und gebot, allen Lärm, alle überflüssige Gesellschaft von ihr zu entfernen, und sie nicht zu stören, und wenn sie zwölf Stunden an einander schlafen sollte.

Ich beschloß nebst Julchen und einer Wärterinn allein bey ihr zu bleiben; die Nacht kam heran, [268] ich ließ die Kleine sich an der einen Seite des Krankenbettes zur Ruhe legen, und setzte mich an die andere, um das Erwachen meiner Tochter abzuwarten.

Eine schrecklichere Nacht als diese, besinne ich mich nicht gehabt zu haben. Die horchende Stille die mich umgab, begünstigte alle traurige Ideen die meine Seele einnahmen. Die Angst um das geliebte Kind, dessen Tod und Leben jetzt auf der Wage lag, war zwar gegenwärtig meinem Herzen der nächste, aber bey weiten nicht mein einiger Kummer; mußten nicht von allen Seiten die empfindlichsten Leiden auf mich zustürmen, wenn ich meine ganze Lage bedachte? – Von unserm gesunkenen Glück, und dem gefährlichen Punkte, auf welchem die Ehre meines Mannes gegenwärtig stand, will ich gar nichts gedenken. Meine Kinder waren es, die mir am meisten am Herzen lagen. War es nicht schrecklich für die Mutter einer so zahlreichen Familie, nicht eins von ihren Lieben in einer glücklichen Lage zu wissen? – Ach und wenn ich an Samuelen dachte, den ich auf so eine unglückliche Art verlieren mußte, wenn ich – nein es ist unmöglich die Quaalen dieser schrecklichen Nacht lebhaft zu schildern, ohne den alten Schmerz zu erneuern, und mich auf gewisse Art selbst für den gegenwärtigen Augenblick unglücklich zu machen.

[269]
40. Kapitel. Eine Hochzeit aus dem Stegreife, und ein Todesfall
Vierzigstes Kapitel
Eine Hochzeit aus dem Stegreife, und ein Todesfall

Die Versiegelung der Kasse unterließ nicht mir viel Sorge zu machen. Ich verstand von allen diesen Dingen gar nichts, ich mußte fürchten irgend etwas zu versehen, wenn ich nicht einen erfahrnen Mann über die Rolle um Rath fragte, die ich dabey zu spielen hatte. Meine Wahl fiel auf Waltern. Er war zwar ein Geistlicher, aber ein Mann der lange in der großen Welt gelebt hatte, und sich in alles zu finden wußte. Ich hatte des vorigen Tages einen Augenblick abgestohlen, um ihm die Sache mit kurzen Worten zu schreiben, und ihm aufs dringendste zu bitten herbey zu eilen, und mir mit seinem guten Rathe zu helfen.

Walters Ankunft, die ich den folgenden Tag erwartete, war fast der einige tröstende Gedanke, der mir in dieser schwärzesten Nacht meines Lebens, vorschwebte. Ich wußte, er konnte mir wenig wirkliche Hilfe leisten, aber welche Erquickung ist nicht der Rath und Trost eines Freundes, einer so verlassenen Person als ich damals war!

Die Morgenröthe brach an. Ich trat ans Fenster um den herrlichen Anblick zu genießen. Ein [270] ofner Wagen, den ich in der Ferne über die beschneyte Gegend fliegen sah, erregte meine Aufmerksamkeit; er kam näher; ich konnte Waltern erkennen. Ich schlich zu dem Bette meiner Tochter, sie schlief noch immer, und ihre ruhige heitere Miene verkündigte, daß ihr wohl war. Ich empfahl sie der Wärterinn und eilte hinaus, um Anstalt zu machen, daß mein ankommender Freund, durch den Hirtenhof hereinführe, damit kein Geräusch die Schlafende wecken möchte.

Walters Empfang, seine Fragen, meine Erzählungen, und seine Rathschläge gehören nicht hieher; wichtigere Gegenstände drängen sich herbey, meine Feder zu beschäftigen. Einige Stunden verflossen ohne daß wir es merkten, mein Freund verstand das Geheimniß mich aufzurichten, und mir die Dinge die mich bekümmerten, aus einem bessern Lichte zu zeigen; er zeichnete mir den Weg vor, den ich zu gehen habe, um mich aus dem Labyrinthe in dem ich war, heraus zu finden. Mein Herz ward ruhiger, und es fehlte nichts mich wieder einige Freude schmecken zu lassen, als bey Hannchens Erwachen einige Spuren der Besserung, einige Hoffnung für sie zum Leben zu sehen. Schon zu lang war ich von ihr entfernt gewesen. Der Schall von der Feldmusik einiger durchmarschierenden Regimenter, hatte mich zittern gemacht, sie möchte auf eine ungestüme Art geweckt worden seyn, doch die Fenster ihres Gemachs giengen auf eine andere Seite, ich beruhigte [271] mich und kehrte, als ich schon auf dem Wege war zu ihr zu eilen, noch einmal um, noch einige Punkte unserer Angelegenheiten mit Waltern zu berichtigen. Wir verwickelten uns von neuen in unsere Ueberlegungen, und ich mußte mich endlich mit Gewalt von ihm losreißen. Hiervon hernach, sagte ich, lassen sie uns zu meiner Tochter eilen, eine ungewöhnliche Angst reißt mich zu ihr hin. –

Ich hatte nebst Waltern bereits das Zimmer verlassen, und näherte mich dem Gemach wo meine Tochter lag, als uns die Wärterinn mit einem verstörten Gesicht entgegenstürzte, und uns bat, eilend zu der Kranken zu kommen, weil sie einen Besuch erhalten habe, welcher dem Anschein nach, einen gefährlichen Eindruck auf ihr Gemüth mache. – Meine Tochter ist also erwacht? fragte ich hastig. Ja Madam, erwiederte sie, ich war ein wenig eingeschlummert, Mamsell Julchen mochte durch die Feldmusik in ein anderes Zimmer gelockt worden seyn, und indessen ist vielleicht die Kranke erwacht. Ich weiß nichts weiter, als daß ich durch einen lauten Schrey ermuntert wurde, und daß ich, als ich die Augen aufschlug, einen jungen Herrn in Uniform vor ihrem Bette auf den Knieen liegen sah. Ich eilte herbey, und ich muß gestehen, daß ich nie einen wunderlichern Zustand gesehen habe. Die Kranke lachte und weinte in einem Athen, drückte den jungen Offizier bald an ihre Brust, und stieß ihn bald mit [272] Ungestüm von sich. Der Fremde schien eben so wenig ganz seines Verstandes mächtig zu seyn, und als ich ihn von ihr reißen wollte, bekam mir der Versuch so übel, daß ich lief um sie, Madam, herbey zu rufen, weil ich in der That nicht weiß was hier zu thun ist.

Es war hier keine Zeit zu verlieren, wir eilten in das Zimmer. Hannchen lag ohnmächtig in den Armen eines jungen Mannes, seine Thränen strömten auf ihr Gesicht, und seine Ausrufungen, bestättigten das was man vermuthen kann, daß er derjenige war, welcher nächst mir den meisten Antheil an der Kranken nehmen mußte.

O Wilteck! schrie ich, indem ich die Kranke seinen Armen entriß, was haben sie gemacht! Sie sind der Mörder meiner Tochter! – Was er antwortete, wie Hannchen wieder zu sich selbst gebracht ward, und was vielleicht noch eine lange Zeit hernach vorgieng, dessen kann ich mich nicht deutlich erinnern; ich war zu betäubt, um mir ganz bewußt zu seyn, was um mich herum vorgieng.

Die Kranke war jetzt völlig wieder bey sich selbst, sie sprach schwach und kaum hörbar, aber vernünftig und zusammenhängend. Sie ließ des Lieutenants Hand nicht aus der ihrigen, nannte ihn ihren lieben Ludwig, und betheuerte, auch der Tod solle sie nicht von ihm trennen. Der Lieutenant war in einer halben Raserey. Seine Geliebte fast sterbend wieder zu finden, das hatte er [273] nicht erwartet. Er war herbey geeilt um ihr bey dem Durchmarsch seines Regiments einen kurzen Besuch zu machen; und sollte sie nun zum letztenmale umarmen. Denn so sehr uns auch Hannchens scheinbare Ruhe, ihre muntern Augen und das sanfte Roth auf ihren Wangen anfangs täuschten, so sagte uns doch der Blick des Arztes was wir nach einer so unzeiligen, außerordentlichen Erschütterung zu hoffen hatten.

Hannchen, die den tiefsten Schmerz in unser aller Augen, und vornehmlich in den Augen ihres Geliebten las, versicherte uns, sie werde nun nicht sterben, da sie ihres Wiltecks Gemahlinn sey.

Meine Gemahlinn? rief der Lieutenant, ja du sollst es werden, und wenn alle Welt uns von einander reißen wollte.

Und du nimmst mich dann mit nach Amerika? sprach die lächelnde Kranke. Nach Amerika? fragte er, bestes Mädchen, was sind das für seltsame Vorstellungen die du dir machst?

Die Erklärungen welche wir einander hierauf gaben, zeigten, daß die Erzählung des Obersten, welche vielleicht etwas beygetragen hatte, Hannchen in den traurigen Zustand zu versetzen, in welchem sie sich jetzt befand, nichts als ein Märchen gewesen war, welches man ersonnen hatte, dem armen Mädchen alle Hoffnung auf ihren Geliebten abzuschneiden.

[274] Ludewig wüthete fürchterlich, und gebrauchte sich einiger Ausdrücke, welche Muthmaßungen in mir erneuerten, die schon durch Hannchens Phanrasien zuweilen erregt worden waren. Er athmete nichts als Rache, und nichts als die Furcht seiner schwachen Geliebten zu schaden, konnte ihn bewegen den Ausbruch seines Zorns ein wenig zu mäßigen.

Er hatte mehr als einen halben Tag auf diese Art bey uns verweilt, und er ward jetzt durch eine Ordonanz abgefordert. Er wollte sich nicht von Hannchen trennen ohne den Namen ihres Gemahls erhalten zu haben. Ich hatte wenig Hoffnung auf das Leben meiner Tochter zu setzen, warum sollte ich ihr noch diesen armseligen letzten Trost versagen? Ueber dieses waren gewisse dunkele Ideen in meinem Gehirn, gewisse Ahndungen in meiner Seele, die es mir selbst erwünscht machten, meine Tochter als Wiltecks Gemahlinn zu sehen.

Walter gab ihre Hände zusammen. Hannchen triumphirte, sich ganz ihres Ludwigs Eigenthum nennen zu können, und hoffte auf längeres Leben. Wilteck, welcher den Zustand der Sachen besser begriff, weinte, daß er das eben erhaltene Glück nicht länger geniessen sollte.

Erst eine zweymal wiederholte Ordre konnte ihn aus den Armen seiner Gattin reißen. Fast mit Gewalt mußten wir ihn entfernen, denn Hannchens Zureden, und die Versicherung die sie ihm [275] gab, sie würde jetzt, da sie seine Gemahlinn sey, seine Entfernung weit ruhiger als sonst ertragen, thaten ganz die entgegengesetzte Wirkung. Ach er wußte es, er fühlte es, daß er sie nie wieder sehen würde!

Wir waren nun allein. Hannchen bat mich meinen Platz ganz nahe an ihrem Bette zu nehmen, um sie ganz verstehen zu können, weil sie sich nun einen Muth fassen wollte, mir alles zu sagen was sie mir bisher verborgen habe; aber ehe sie sich noch völlig zum Sprechen geschickt hatte, fiel sie in einen Schlaf der einige Stunden dauerte, und aus welchem sie, wie der Arzt geweißagt hatte, gegen die Nacht zu heftigen Rasereyen erwachte. Ihre Unruhe dauerte bis gegen den Morgen; in den Zwischenzeiten, da sie sich ein wenig besann, zog sie mich oft zu sich, und schien mir etwas vertrauen zu wollen, aber sie bewegte nur die Lippen, ihre Stimme war mir nicht mehr hörbar.

Ihr Kampf dauerte noch fast den ganzen andern Tag, bis endlich die Lebenskräfte sich völlig aufzehrten, und sie in meinen Armen entschlief.

[276]
41. Kapitel. Unaufgelößte Räthsel
Ein und vierzigstes Kapitel
Unaufgelößte Räthsel

Man entschuldige das Unvollständige in der Beschreibung der letzterwähnten Scenen! Wenig oder gar nichts von gewissen Dingen sagen, ist oft die treffendste Schilderung. Dieses gilt auch von meinen Empfindungen bey Hannchens Sterbebette, und von meinem Leben die erste Zeit nach ihrem Tode. Jener Mahler, der Iphigeniens Aeltern bey ihrer Hinopferung, in dichte Gewänder verhüllt erscheinen ließ, wußte das, was ich fühle, daß älterlicher Schmerz für jeden Pinsel unerreichbar ist.

Ich saß, nachdem schon manche schwarze, melancholische, thränenleere Stunde vorüber geflohen, manche lindernde Zähre verweint war, eines Tages auf dem Zimmer der Verstorbenen, und machte mir ein trauriges Fest, aus der Betrachtung ihrer hinterlassenen, zum Theil unvollendeten Arbeiten, die sie von den künstlichsten Arten sehr schön verfertigte, und einiger wenigen Scripturen, die meistens ernsthafte Dinge zum Gegenstand hatten, und noch vor ihrem Aufenthalte in dem Wilteckischen Hause von ihr verfaßt worden waren; ihre Kränklichkeit hatte ihr nach ihrer Rückkunft, wenig Muße zum schreiben gegönnt.

[277]

Von ohngefähr stieß ich auf eine kleine Kassette, die mir von langer Zeit als das Behältniß von Hannchens liebsten Kostbarkeiten bekannt war. – Vielleicht würde ich es uneröfnet bey Seite gesetzt haben, wenn mich nicht ein darauf befestigter Zettel aufmerksam gemacht hätte. Er war von der Hand der Verstorbenen, und enthielt folgendes:

»Liebe Mutter!

Ein geheimes Gefühl sagt mir, daß ich sterben werde; sollte dieses geschehen, und sollten sie dieses Kästchen unter meinen Sachen finden, so bitte ich, so beschwöre ich sie, es uneröfnet zu lassen, und derjenigen Person zu geben, die ich ihnen nennen werde.

Ich erwarte gegen das Ende des künftigen Monats, den Besuch der Madam Kathin, der Wirthschafterinn der Frau von Wilteck; geben sie ihr dieses kleine Behältniß der geringen Kostbarkeiten die ich besitze; es enthält etwas weniges an Geld, einige Juwelen, und andere kostbare Tändeleyen, deren Werth sie berechnen können, da ich sie alle von Ihrer Güte habe. Die Frau ist redlich, und wird mit diesen Dingen so verfahren wie ich ihr befohlen habe. Aber – liebe Mutter, ich wünschte eben nicht, daß sie sich mit ihr in weitläuftige Unterredungen einliessen; diese Art Leute ist so geschwätzig, so – ich weiß selbst nicht wie ich sagen soll, wie leicht könnten sie etwas von ihrem Hannchen hören, [278] das sie ihnen noch im Tode zuwider machte. Ueberhaupt, da sie nun immer so in mich dringen ein Geheimniß von mir zu erfahren, so würde ich doch – vorausgesetzt daß ich eins hätte – es lieber Ihnen selbst – ach ich weiß nicht, was ich schreibe. Ich werde wohl diesen Zettel, so wie die vorhergehenden, wieder abreissen, und einen andern schreiben. Nichts ist mir recht, was ich Ihnen sage, und meine Angst ist unaussprechlich.«

Ich weiß nicht wie oft ich dieses Blatt überlas, ehe ich den Inhalt davon recht begreifen konnte. Ich untersuchte das darunter gesetzte Datum, es war der 4. Jenner, als der Tag vor dem Besuche des Obristen, an welchem die Zeitung von Wiltecks Reise nach Amerika, einen so nachtheiligen Eindruck auf das Gemüth des armen Mädchens machte. Nachher war sie zu schwach gewesen, so viel schreiben zu können. – Meine Gedanken drehten sich in einem Wirbel herum, ich dachte mir alle auf diesen Tag folgende Scenen, dachte mir ihr ängstliches Bestreben in ihren letzten Stunden, mir etwas zu entdecken, das sie auf dem Herzen hatte, und ihre Bitte, nicht in das Innere ihres Geheimnisses zu dringen, war meinen Gedanken nach aufgehoben. Das Schloß des Kästchens war zersprengt, ehe ich selbst dar an dachte, und alles was es enthielt, lag offen vor meinen Augen.

[279] Ich griff hastig nach einigen Papieren, welche oben auf lagen, ich las einige Zeilen, die mich in Erstaunen setzten; ich wollte weiter gehen, aber ein Geräusch an der Thür machte mich aufmerksam.

Sie ward geöfnet; Julchen trat herein, und führte an ihrer Hand einen jungen Menschen im leinenen Kittel, mit einem Hute, der mit einer Kokarde geziert war. Er sah mich eine Weile schüchtern an, warf sich dann mir zu Füßen, und schrie mit einer von Schluchzen unterbrochenen Stimme: Mutter! Mutter! kennen sie ihren verlohrnen Sohn, ihren Albert nicht mehr?

[7]

Zweytes Bändchen

1. Kapitel. Vom verlohrnen Sohne
Erstes Kapitel
Vom verlohrnen Sohne

Albert? wiederholte ich mit zusammengeschlagenen vor die Stirn gefaltenen Händen. – Alberts Gesicht war auf meinen Schoos gesunken, seine Thränen badeten meine Knie, und er hob erst nach einer lange Weile, die durch ein düsteres Stillschweigen ausgefüllt wurde, ein paar hole von Weinen getrübte Augen nach mir auf, um mein Mitleid zu erflehen. Der Schmerz, der meine ganze Seele durchdrang, machte mich stumm. Julchen nahm mein Stillschweigen für Härte auf, sie warf sich auf der andern Seite vor mir nieder, sie wollte für ihren Bruder bitten, die Worte gebrachen ihr, aber ihr Weinen und Schluchzen war beredter als ihre Zunge. Ich schloß beyde in meine Arme; meine Thränen vermischten sich mit den ihrigen, und meine zwischen beyden gleichgetheilten Liebkosungen, sagten ihnen, daß der wiederkehrende Albert und seine unschuldige Schwester, die mich nie gröblich beleidigte, jetzt gleichen Antheil an meinem Herzen hatten.

Getröstet erhoben sich beyde, ich ließ sie an meine Seite setzen, und nun begann jene verwirrte Art von Unterhaltung unter uns, welche alle unvermuthete Scenen des Wiedersehens, alle Auftritte, wo Schmerz und Freude so wunderlich durch [7] einander gemischt ist wie hier, unter sich gemein haben. – – Albert war mit einem Rekrutentransport durch Hohenweiler gekommen, die Gunst seines Hauptmanns, hatte ihm einen ganzen Tag freygegeben, sich mit seiner Mutter zu letzen, aber – dieser Tag war schon zur Hälfte verflossen, und wir hatten noch nichts gethan, als einander abgebrochene Stücke von unserm bisherigen Ergehen geliefert, vergangene Vergehungen und gegenwärtiges Unglück beweint, und über den armseligen Zustand des geliebten Alberts und die baldige Trennung von ihm getrauert.

Alle Vorräthe des Hauses wurden geplündert, um seinem Mangel abzuhelfen. Julchen trug alles hervor, was sie vermochte, und wir hätten vielleicht nach und nach genug zusammen gebracht, um dem Rekruten Albert einen Packwagen zu seinen Habseligkeiten nöthig zu machen. Er bat um nichts als um ein wenig Geld, und etwas Wäsche, und erbot sich, indessen wir bemüht waren, das letzte nach seinem gegenwärtigen Zustande einzurichten, der ihm weder Spitzen noch Nesseltuch erlaubte, uns die Erzehlung seiner Begebenheiten so vollständig zu geben, als es die wenige Zeit die uns noch übrig war, zuließ.

Wenn es erlaubt wär, fieng er an, daß sich der, welcher seine Mutter auf tausendfache Art betrübte, einer immer zärtlichen nie geschwächten Liebe gegen sie rühmen dürfte, so glaube ich, würde ich es thun können. Verführung war es, was [8] mich von meiner Pflicht ableitete, – doch ich thue besser, ich überlasse meine Entschuldigung derjenigen, die keinen Zorn, nur Mitleiden gegen ihren armen Albert fühlt.

Die Art, auf welche ich aus ihren Armen gerissen wurde, kennen sie; mein Vater wollte mich in der großen Welt erziehen, wie er sich ausdrückte, des Glückes würdig machen lassen, das er mir einst in derselben verschaffen könne. – Sie drückten mich beym Abschied an ihre Brust, und stiessen mich halb zornig zurück, als sie sahen, daß meine Thränen über unsere Trennung nicht so häufig flossen, als sie sollten. Ich gestehe es, die Freude, Hohenweiler zu verlassen, das meinem feurigen Temperament langweilig zu werden begunte, und in die Welt zu kommen, verdrängte den Kummer, ihren Anblick inskünftige entbehren zu müssen, ein wenig. Man hatte in dem Wilteckischen Hause mein Gehirn mit Bildern erfüllt, zu welchen ich keine Originale in unserm Städtchen fand, und mein Herz nach Freuden schmachten gelehrt, die ich nirgends als in der Welt kennen lernen konnte.

Sie wissen aus meinen Briefen, mit was für Entzücken ich die neue Sphäre, in welche man mich in Berlin einführte, begrüßte, wie geitzig ich die Vergnügungen in mich trank, die sich mir darboten. Es ist mir unmöglich meinen Vater für so verblendet zu halten, daß er die Laufbahn, die man mir vorzeichnete, gebilligt oder nur gewußt [9] haben könne, ich glaube nicht, daß derjenige, welcher das Vergnügen liebt, sich Gehülfen in dem Bestreben seine Reichthümer zu verschwenden wünschen könne.

Der Oberste Wilteck, der meinen Vater regierte wie er wollte, und ihn mit sehenden Augen betrog, war es, der mich zum Mittel brauchen wollte, neue Quellen für seine Habsucht zu eröfnen. Er zog von meinem Vater unmäßige Summen, die er vorgab auf mich verwenden zu müssen, die er aber freundschaftlich mit mir zu theilen beliebte; ich war schlau genug dieses inne zu werden, und ihm meinen Unwillen darüber zu bezeigen. Er fragte mich, ob die Nachsicht gegen meine Ausschweifungen für nichts zu rechnen wär, ob ich sie mit dem Antheil, den er an meinen Einkünften nähme, zu theuer zu erkaufen glaubte? Ich möchte seinetwegen das Ganze hinnehmen, und damit nach eigenem Gefallen leben, bis mein Vater Anstalten mache, mich in eine strengere Aufsicht zu liefern als die Seinige, da ich Geld genug ersparen, aber auch dafür nichts von den Vergnügungen schmecken würde, die ich an seiner Seite genöße.

Der Wink, den er gab, als ob er meine Aeußerungen für Geiz hielt, machte mich erröthen, und die Furcht in dem mir so angenehmen Taumel von einem Vergnügen zum andern gestört zu werden, legte mir Stillschweigen auf. Um mich noch tiefer in seine Netze zu verstricken, lehrte [10] mich der Oberste das Spiel, er gab mir verschiedene kleine Handgriffe in demselben als erlaubte überall eingeführte Regeln an, von welchen nur eine gewisse eingeführte Etiquette es unschicklich nenne, anders als verstohlen Gebrauch zu machen. Ich glaubte in meiner Einfalt, was er sagte, und freute mich sehr, in meiner neuerlernten Kunst, eine immerfließende Quelle zu finden, meinen kleinen Bedürfnissen abzuhelfen; zwar fiel die Hälfte meines Gewinns allemal in des Obersten Beutel, aber dieser hatte mich schon gewöhnt zu solchen Dingen zu schweigen, und mich aus Dankbarkeit gegen ihn, meinen Lehrer, mit dem Antheil des erbeuteten Geldes zu begnügen, den er mir gönnen wollte.

Mein Hofmeister, Herr Reiner, den er mir zugegeben hatte, genoß auch einen Theil des Raubes, und war dafür ganz zu seinen Diensten. Sein erster Anblick hatte mir eine fürchterliche Idee von ihm gemacht; seine sonderbare ausgetrocknete Gestalt, sein schleichender Gang, der schleppende Ton seiner Stimme, und der immer zur Erde gesenkte Blick, machten daß ich in ihm einen abgesagten Feind des Vergnügens und einen strengen Tadler meiner Handlungen zu sehen glaubte, aber der Erfolg wieß, daß ich mich geirrt hatte, daß ich mir keinen bequemern Führer als ihn hatte wünschen können. Herr Reiner pflegte immer über die Schwäche seines Gesichtes zu klagen, und ich hatte Ursach zu glauben, daß auch [11] die Sehkraft seines Geistes nicht so gar viel taugen müßte, weil er so wenig von dem zu merken schien, was ich unter Anführung des Obersten that.

Nicht genug, daß dieser würdige Mann meinem Verführer durch nicht hören und nicht sehen, förderlich und dienstlich war, so arbeitete er ihm auch noch auf eine andere Art in die Hände. – Er war seiner Sage nach ein wegen bestrittener Grundsätze vertriebener Prediger; von was für Art seine Religionsmeynungen seyn mochten, habe ich nie errathen können, aber so viel weis ich, daß seine Moral sehr lustig und bequem war; er wußte die guten Grundsätze, die ich aus meinem väterlichen Hause mitbrachte, so künstlich zu untergraben, meine Liebe zu meinen Eltern, vornehmlich zu ihnen, liebe Mutter, so lächerlich zu machen, daß ich bald aufhörte, den Meinungen des Obersten, wie ich anfangs gethan hatte, meine reinen Begriffe von Pflicht, oder die Furcht Sie zu beleidigen entgegen zu setzen. Die Lehren meines Hofmeisters, die sich sowohl zu meinem Triebe zum Vergnügen paßten, machten mich so folgsam gegen den Obersten, daß es ihm nicht schwer ward, mich zu allem zu bereden, was er wollte.

Wie sehr ich nach und nach herabsank, können sie aus dem Tone urtheilen, in welchen meine Briefe nach und nach verfielen, aber Ihnen eine umständliche Erzehlung meiner unglücklichen Verirrungen zu liefern, erlaubt weder die Zeit, noch [12] die Achtung, die ich einer verehrungswürdigen Mutter und einer unschuldigen Schwester schuldig bin; genug, daß ich endlich in Abgründe gerieth, aus denen ich mir nicht mehr zu helfen wußte.

Ich habe schon im Vorhergehenden erwehnt, daß mich der Oberste zum falschen Spiel anführte, um seinen Vortheil daraus zu ziehen. Mein unschuldiges Gesicht, meine Jugend, und vor allen die Unwissenheit daß ich unrecht that, die mir ein gewisses ruhiges unbefangenes Ansehen gab, machten die Sicherheit dererjenigen, die sich mit mir einließen, so groß, daß ich fast täglich beträchtliche Summen zog, und daß mein Verführer anfieng zu glauben, die Hälfte des Gewinnstes wär für mich zu groß, und es wagte größere Ansprüche auf die Beute zu machen, als anfangs verabredet worden. Ich weigerte mich; wir veruneinigten uns, und der Oberste verließ mich, drohend, daß mich mein Verfahren gereuen sollte.

Es war sonderbar, mein ansehnlicher Gewinn verschwand mir unter den Händen, ich fand mich unter der Nothwendigkeit wieder zu spielen, um meine kleinen Vergnügungen bestreiten zu können, und gleichwohl fehlte es mir an Gelegenheit zu solchen vortheilhaften Parthien, wie mir der Oberste zu verschaffen wußte, zudem besaß ich nicht so viel, daß ich eine einige Karte hinlänglich besetzen konnte.

Vielleicht, meine Mutter, erinnern sie sich noch des unsinnigen Briefes, in welchem ich sie um einige Louisdors bat, mich aus einer dringenden [13] Noth zu reißen; er blieb unbeantwortet und ich entschloß mich, meine Uhr und was ich etwa von einigem Werth besaß zu verkaufen, um im Stande zu seyn, mein immer treu erfundenes Glück noch einmal zu versuchen.

Ich faßte mir ein Herz, und gieng ohne die Begleitung des Obristen an einen von den Schauplätzen meines bisherigen Glücks. Man nahm mich mit einigem Kaltsinn auf, weigerte sich aber doch nicht, mich Antheil am Spiel nehmen zu lassen, wie ich in meiner Einfalt, die sich scheute einen Schritt ohne Begünstigung meines bisherigen Führers zu thun, gefürchtet hatte.

Der Oberste war gegenwärtig, that ganz freundlich gegen mich, doch glaubte ich hintennach, ein verdächtiges Augenspiel zwischen ihm und den andern Anwesenden bemerkt zu haben. Meine Louisdor hatten mir beinahe die dreyfache Summe die ich zu Anfang besaß eingebracht. Mein Eifer verdoppelte sich, so wie mein Glück, und ich würde ziemlich bereichert nach Hause gegangen seyn, wenn man mich nicht mit ten in meinem Laufe aufgehalten hätte. – Man fand mein außerordentliches Glück sonderbar, man flüsterte heimlich, daß nur meine Jugend, und mein offener Blick mich vor bösem Verdacht schützen könne. Ich antwortete nach meinem besten Wissen, daß ich alle Regeln des Spiels in acht nähme, und es zufrieden seyn wollte, daß man mich genau beobachtete [14] und mich wegen dessen, was man verdächtig fand, zur Rechenschaft ziehen möge.

Man schwieg, und die nächste Parthie war noch nicht halb zu Ende, als man mich auf einem Kunstgriffe ertappte, den man betrügerisch nannte, und die Worte falscher Spieler, und junger Bösewicht von allen Seiten ertönten. Ich erstaunte, ich vertheidigte mich, ich berief mich auf den Obersten und nannte ihn in diesem Stücke meinen Lehrer, aber dieses diente nur dazu, das Geschrey wider mich zu vermehren. Der Oberste, zufrieden mit dem Gewinn den er von den Betrügereyen anderer zog, pflegte allezeit sehr ehrlich zu spielen, und sein guter Ruf in diesem Stück war entschieden. Man nannte mich einen Undankbaren, einen Verläumder; man ließ mich die übelste Begegnung erfahren, raubte mir zur Vergütung des gegenwärtigen und des ehemaligen Schadens, alles was ich besaß, drohte mir, mich bey der Obrigkeit anzugeben, und sties mich fast nackend zum Hause hinaus.

Diese Begegnung zeigte in was für Hände ich gerathen war, ich war zu einfältig es einzusehen, und irgend ein Mittel zu wissen, wie ich mir helfen, meine Unschuld darthun, und meine Feinde wegen ihres eigenmächtigen Verfahrens zur Rechenschaft ziehen könnte. Ich floh, und glaubte mich überall von der Hand der Gerechtigkeit verfolgt. Ich scheute mich nach Hause zu Herrn Reiner zurück zu kehren, und entschloß mich, das [15] Mittel zu ergreifen, daß ich Ihnen mit solcher Freyheit in einem meiner Briefe, als meine letzte Zuflucht angedeutet hatte, wenn ich keine Geldhülfe bekäme.

Der Himmel weis es, nicht Trotz, sondern Verzweiflung war es, was mich antrieb die Musquete zu nehmen! Wo sollte ich hin? zu meiner beleidigten Mutter? zu dem Vater, dessen Härte ich kannte wenn er zürnte? Zu dem abscheulichen Obersten, der mich in die schimpflichste Verlegenheit gestürzt hatte, ohne sich in derselben meiner anzunehmen? oder zu Herrn Reiner, der eine Kreatur des Obersten war?

Ich war gut gewachsen, war erst siebzehn Jahr, und es ward mir nicht schwer, Dienste zu bekommen. Der Oberste und Herr Reiner mochten nicht vermuthet haben, daß ich diesen Schritt thun würde. Vermuthlich hatte man geglaubt, ich würde zurückkehren, würde mein gehabtes Unglück durch eine Lüge bey meinem Hofmeister zu bemänteln suchen, und der Oberste hätte denn Muße gehabt seinen Frieden mit mir zu machen, und mir Bedingungen zu einem künftigen Einverständnis vorzuschlagen, wie ich sie in der Folge von ihm hören mußte.

Daß man wegen meiner Verschwindung besorgt war, zeigten alle Zeitungsblätter, die meinen Namen nannten, und meine Person so eigentlich beschrieben, daß man mich kennen mußte; aber man hatte so wenig Lust mich unentgeldlich [16] auszuliefern, als ich, einen Stand zu verlassen, welcher anfieng mir besser als mein bisheriges wüstes Leben zu gefallen. Es ward mir leicht den Dienst zu lernen, meine Gestalt fand Beyfall, und meine durch die letzte Demüthigung etwas gemilderte Gemüthsart, ermangelte nicht mir meine Obern günstig zu machen, man begegnete mir wohl, und ich glaubte mich glücklich.

Herr Reiner hatte meinen Vater von meinem Verluste benachrichtigt, und ich weis nicht, ob ich es allein auf meine Rechnung schreiben soll, daß er, ehe ich mich es versah, in Berlin erschien. Der Zufall wollte es, daß ich im Thor die Wache hatte, als er ankam. Ich sah ihn und meine Schwestern Jucunde und Amalie, ich sah noch eine Dame, die ich wegen der niedergelassenen Kappe nicht erkennen konnte. Ich vermuthete meine Mutter unter dieser Hülle; mein Herz fieng an stärker zu schlagen und meine Augen giengen über. Ich fürchtete, meine Bewegung möchte mich verrathen, und suchte mich so viel möglich zu verbergen; aber ich mußte doch entdeckt worden seyn, denn der Mittag war noch nicht heran gekommen, als ich vorgefordert, und mir angekündigt wurde, ich habe meine Entlassung. Mein Vater sey angekommen, er verlange mich zu sich, und man sey nach den Schritten die er gethan habe nicht gesonnen mich ihm vorzuenthalten. Ungern willigte ich ein. Ich zitterte vor dem erzürnten Angesicht meines Vaters und vor Ihren gerechten Verweisen. Ich [17] liebte meinen Stand, und es würde mir vielleicht gelungen seyn, in demselben zu bleiben, wenn sich nicht der Oberste eingefunden, und mit seinen Vorstellungen durchgedrungen hätte.

Er nahm wieder die Larve des zärtlichen besorgten Freundes vor, wußte seine Vergehungen gegen mich zu beschönigen, nützte meinen Wahn wegen Ihrer Anwesenheit, sagte mir, sie seyen in Verzweiflung mich in Kriegsdiensten zu wissen, und ich würde ihnen das Herz durchbohren, wenn ich hartnäckig auf meinem Sinne beharrte. Brauchte es etwas mehr, mich zur Einwilligung in alles zu bewegen, was man von mir verlangte? Ich legte das Kleid ab, das mir so wohl gefiel, und folgte dem Obersten wohin er mich führte.

Auf dem Wege fieng er an in einem andern Tone mit mir zu reden; er machte mir bange, vor dem Zorn meiner Eltern, wenn sie die wahre Veranlassung meines gethanen Schritts entdeckten, und nöthigte mir endlich durch viele Umschweife, das Versprechen ab, wenn er von gewissen Dingen nichts gedenken solle, auch auf meiner Seite verschwiegen zu seyn, und nie etwas von den Verhältnissen zu erwehnen, in welchen er und ich mit einander gestanden hatten. Ich sahe nicht ein, daß bey diesem Bunde, den wir machten, der Vortheil allein auf seiner Seite war, daß ich so viel nicht verlohren haben würde als er, wenn meinen Eltern alle Ausschweifungen zu denen er mich verführte bekannt worden wären, und daß es eine[18] gefährliche Sache sey, mich so in die Gewalt eines Menschen zu geben, der unser Einverständnis zu meinem Schaden nützen konnte.

Der Oberste stellte mich nun, ohne Furcht durch mich verrathen zu werden, meinem Vater vor. – Mein Empfang war nichts weniger als hart, er nennte mich einen lüderlichen Jungen, der ihn um manchen Louisdor gebracht hätte, lobte meinen Wuchs und meinen Anstand, und sprach, ich sey sein völliges Ebenbild an Leib und Seele.

Meine Augen sahen sich vergebens nach meiner Mutter um, die verkappte Robignac war die, welche ich für sie gehalten hatte. Man zog mich ein wenig mit meinen Fragen nach Ihnen auf, und der Oberste flüsterte mir ins Ohr, ich solle Gott danken, daß sie nicht gegenwärtig wären, ich würde sonst nicht so gut hindurch gekommen seyn.

Meine Schwestern empfiengen mich mit vieler Zärtlichkeit, und sagten, ich müßte gleich des andern Tages Anstalt machen, sie in der ganzen Stadt herum zu führen, und ihnen alles sehenswürdige zu zeigen. Ueber der Mahlzeit wurde unterschiedliches gesprochen woraus ich schlos, daß mein Vater im ganzen Ernste nichts davon wußte, wie ich unter die Soldaten gekommen war; er glaubte blos, daß ich unglücklich gespielt, und dann aus Unmuth diese Partie ergriffen habe. Daß mein allzuglückliches Spiel mich in Beschimpfung und Verzweifelung gestürzt hatte, dieses war ihm unbekannt, und ich sah den Obersten mit einem dankenden [19] Blick für diese Schonung an, ohne zu bedenken, daß er hiebey am meisten auf sich selbst Rücksicht genommen hatte.

Um meinen Vater desto besser zu hindern, hinter seine Betrügereyen zu kommen, hatte er meinen Hofmeister zu entfernen gewußt. Herr Reiner hatte sich ohnedem dadurch schlecht bey ihm empfohlen, daß er meine Verschwindung so übereilt und ohne mit ihm Rücksprache zu halten nach Hohenweiler berichtet, und dadurch meines Vaters Ueberkunft veranlaßt hatte. Nach des Obersten Sinne hätte es ganz anders gehen müssen. Man hätte meinen Verlust verschwiegen, so lang es möglich gewesen wär, hätte sich unter der Hand nach mir erkundigt, so bald man meinen Aufenthalt entdeckt, nur dieses zu hindern gesucht, daß meine Eltern nichts von mir erführen, und indessen das Geld, das zu meinem Unterhalt bestimmt war, brüderlich getheilt. So klug war mein Hofmeister freylich nicht gewesen, dieses einzusehen, und zur Strafe für seine Dummheit brauchte der Oberste nichts weiter zu thun, als meinem Vater zu entdecken, daß der Herr Reiner niemand anders, als der in unserm Hause so sehr verhaßte Katharines sey. Mein Vater, wenn mir es erlaubt ist dieses zu sagen, pflegte zwar seine Liebe und seinen Haß nicht allemal nach den Gesetzen der Billigkeit einzurichten, aber hier machte der Name Katharines einen so widrigen Eindruck auf ihn, daß man fast hätte glauben sollen, er müsse einsmals[20] persönlich von ihm beleidiget worden seyn. Er bekam seinen Abschied.

Ich war also von diesem Mann, der mir immer so widerlich gewesen war, befreyt, und man hielt es für gut, um mir doch noch einige Bildung zu geben, da ich bisher so vernachläßigt worden war, mir einen jungen Menschen zuzugesellen, welcher kaum fünf oder sechs Jahre mehr hatte als ich, und den man für einen Gelehrten hielt, weil er einige Jahr auf verschiedenen Universitäten zugebracht hatte.

Ich konnte mit Herrn Feldners Unterricht leicht zufrieden seyn, denn so viel war doch allemal gewiß, daß er mehr wußte als ich; über dieses wußte ich nicht zu was für einem Stande mich mein Vater bestimmt hatte, ich hatte nie hiervon ein Wort erwehnen hören. Meine Neigung trieb mich zum Soldatenstande, und ich begriff leicht, daß ich in diesem am ersten mit dem würde zufrieden seyn können, was Herr Feldner mich lehren konnte.

Sein Fach waren vornehmlich die schönen Wissenschaften, es gelang ihm mir einen Geschmack an denselben beyzubringen, und sein Einfluß war so stark, daß er sich auch auf meine Schwestern erstreckte. Er lernte Jucunden die italiänische Sprache, und las mit ihr mancherley Bücher; Amalie ward auch seine Schülerinn in verschiedenen Theilen der weiblichen Gelehrsamkeit, doch merkte man es ihm deutlich an, daß er sich nicht [21] besonders gern mit ihr abgab, und daß die Arme immer nur die übergebliebenen Brocken von dem bekam, was er der bella Gioconda, wie er sie nannte, aufgetischt hatte.

Mademoiselle Robignac, war sehr gefällig gegen den Lehrer und die Schülerinnen. Eine kleine Schmeicheley, zuweilen ein paar Zeilen in ihrer Muttersprache zu ihrem Lobe gesungen oder gesagt, waren fähig, sie, der solche Süßigkeiten etwas seltenes waren, so zu betäuben, daß sie nichts davon hörte, wenn Feldner und Jucunde den ganzen Io amo mit einander conjugirten.

Du erzehlst mir erfreuliche Dinge, fiel ich hier Alberten in die Rede. Er seufzte und fuhr fort.

Was mich anbelangt, so einfältig ich auch in manchen Stücken noch immer war, so hatte mich doch der Lauf meiner ehemaligen Vergnügungen klug genug gemacht, keine sonderliche Freude an Feldners Umgang mit meiner Schwester zu haben. Was mich noch einigermaßen ihrentwegen beruhigte, war ihre Flatterhaftigkeit, die sie eines festen Eindrucks unfähig machte, Feldners geringe persönliche Annehmlichkeiten, und Amaliens wachendes Auge.

Amalie hatte Feldnern in ganzem Ernst in ihre Zuneigung genommen; sie fühlte, daß sie ihn nicht durch ihre Reize fesseln konnte, und sie hoffte ihn durch ihre geistigen Vorzüge zu erobern. Ihr Fleis war unermüdet; alles was Feldner Jucunden lehrte, das begriff sie, indessen jene, mit welcher [22] sich ihr Lehrer unendliche Mühe gab, viel zu leichtsinnig war, etwas länger als einen Tag zu behalten. Jucundens Flatterhaftigkeit, Feldners Partheylichkeit und Amaliens Eifersucht, zerstörten bald diese Lehrstunden, welche anfiengen mir so anstößig zu werden, und Auftritte von anderer Art thaten sich hervor.

Meine Schwestern liebten es außerordentlich, sich überall zu zeigen, und ich mußte ihr Führer seyn, wenn ich nicht Feldnern diese Stelle überlassen wollte, welches ich, so sehr er auch darnach strebte, aus vielen Ursachen ungern gethan haben würde. –

Was konnten ein paar Mädchen, die in der Einsamkeit erzogen waren, und die gar nichts davon wusten, wie man sich in einer Stadt wie Berlin mit Behutsamkeit aufführen mußte, ohne einen verständigen Führer für seltsame Abentheuer haben! ob ein Mensch von meinem Alter und meiner wenigen Erfahrung dieses seyn konnte, will ich nicht entscheiden, aber so viel weis ich, es fehlte mir weder an Muth noch an Willen sie zu schützen, dahingegen Feldnern vielleicht beydes mangelte, und wenigstens die eine von den beyden Mädchens wider ihn selbst Schutz vonnöthen hatte.

[23]
2. Kapitel. Fortsetzung von Alberts Geschichte
Zweites Kapitel
Fortsetzung von Alberts Geschichte

Ein kleines Lächeln von meiner Seite unterbrach hier Alberts Rede. So wenig mir auch die Dinge anstunden, welche er vorbrachte, so konnte ich doch nicht unterlassen es belächelnswerth zu finden, daß der unvorsichtige Jüngling, der es so wenig verstand, einen guten Weg für sich selbst zu wählen, so eifersüchtig auf die Ehre seiner Schwestern war, und sich das Ansehen eines Vaters gab, wenn er von ihnen sprach. Er befragte mich um die Ursach meines Lachens, meine Antwort beschämte ihn ein wenig, aber er versicherte mich, ich würde in der Folge finden, daß seine Sorgen nicht unnütz und überley gewesen wären. – – Er fuhr fort:

Meine Schwestern fanden Berlin ganz anders, als sie sich vorgestellt hatten. Sie hatten gehoft, hier außerordentlich bemerkt und bewundert zu werden, und sie erstaunten, daß sie ganz übersehen oder mit gleichgültigen Blicke angestarrt wurden. Sie hatten gehoft, in den besten Gesellschaften Zutritt zu finden, aber mein Vater hatte keine Bekanntschaft als unter Spielern, und das einige Frauenzimmer, dessen Umgangs sie sich rühmen konnten, war unsere Wirthin, eine vornehm gekleidete Person von schlechtem Stand und Sitten. Ich hatte es bisher nach Möglichkeit gehindert, daß sie sich nicht mit ihr öffentlich sehen lassen [24] möchten, ich hatte auch die Robignac von ihnen zu entfernen gesucht, wenn ich sie ausführen mußte, denn die seltsamen Arten dieser Person, zusammen genommen mit Jucundens Leichtsinn, und herum wandernden Augen, und Amaliens zuvorkommender Freundlichkeit gaben ein sehr verdächtiges Ansehen. Man wußte ohnedem nicht recht, was man aus ihnen machen sollte; ihren Vater kannte man auf keine andere Art, als nach dem Geschäfte, das er in Berlin trieb; der Oberste und Herr Feldner, der eine auch ein Spieler, und der andere ein schöner Geist, ich, ein Jüngling, dessen Name während seines ganzen Aufenthalts in dieser Stadt, nie anders als unter jungen Leuten von der leichtsinnigsten Art und am Spieltische gehört worden war, welcher von uns allen war im Stande ihrer Erscheinung in der Welt ein vortheilhaftes Ansehen zu geben!

Und doch war meine Gesellschaft ihnen immer noch die zuträglichste; meine Lehren dienten wenigstens dazu, so lange ich bey ihnen war, ihre Unvorsichtigkeit ein wenig im Zaume zu halten, und da man wußte, daß ich Muth hatte, so wagten die jungen Abentheuer, die etwa Jucundens Gesicht neu und für ein Landmächen artig genug fanden, es in meiner Gegenwart nicht so leicht, sich ihr zu nähern.

Ich weis nicht, was für Ursachen der Oberste haben mochte, meine Wachsamkeit für meine Schwestern ungern zu sehen, ob er vielleicht gesonnen [25] war, aus ihrer Gegenwart in Berlin sowohl seinen Vortheil zu ziehen, als ehemals aus der meinigen; genug er machte mein beständiges Bestreben ihrer zu hüten lächerlich, und als er sah, daß dieses nicht hinlänglich war mich von ihnen zu entfernen, so legte er meiner Schwachheit Fallstricke, welche nur gar zu würksam waren, und mich auf einmal in einen Strudel von Zerstreuungen rissen, die mir nicht erlaubten an etwas anders zu denken, als an mich selbst.

Albert stockte hier ein wenig, und ich, besorgt er möchte nicht ganz aufrichtig gegen mich seyn, faßte seine Hand und bat ihn mit einer Miene, in welcher völlige Verzeihung desjenigen lag, was ich erfahren sollte, mir nichts zu verschweigen, sondern zu bedenken, daß er mit einer Mutter spräche.

Mein Herz, sprach er mit zur Erde gesenktem Blick, war von jeher weich, und mein Auge nicht blind gegen weibliche Schönheit. Der Oberste wußte dieses durch verschiedene Begebenheiten aus den ersten Zeiten meines Aufenthalts in Berlin. Das Abentheuer beym Spiel, das mich unter die Soldaten brachte, hatte mir die Karten so zuwider gemacht, daß kein Zureden des Obersten mich bewegen konnte diesen meinen ehemaligen Lieblingszeitvertreib wieder hervor zu suchen. Er verlor zu viel bey dieser Enthaltsamkeit, als daß er sie nicht auf alle Art hätte zu erschüttern suchen sollen.

[26] Er wußte, daß ich das Schauspiel liebte, wir besuchten es fleißig, er führte mich in die Ankleidezimmer der Schauspielerinnen, und nicht lange, so war ich in den Stricken eines kleinen Mädchens, welches eben erst anfing sich in einigen Nebenrollen zu zeigen, und das also demüthig genug war, mit einer so armseligen Eroberung zufrieden zu seyn, als ich für die erfahrnern Damen des Theaters gewesen seyn würde. So genügsam meine Mariane auch in ihren Forderungen war, so wurden doch durch ihre Hülfe, meine kleinen Einkünfte bald aufgezehrt, und ich war entweder genöthigt, meine Geliebte, die ich für eine Göttinn hielt, aufzugeben, oder meine Zuflucht zu der alten Quelle meines Glücks, zum Spiele zu nehmen. Dieses war der Punkt, wo mich der Oberste haben wollte. Er führte mich an Orte, wo mein Gesicht noch nicht bekannt war, er redete mir meine Scrupel wegen des falschen Spielens aus, und ich fieng gegen etwas bessere Bedingungen als die vorigen, unser gemeinschaftliches Geschäft von neuem an; es brachte genugsamen Gewinn, den Obersten, mich und die kleine Mariane zu befriedigen.

Das Spiel und die Liebe, zu welchen sich auch zu weilen der Trunk gesellte, erhielten mich in so einem Taumel, daß ich wenig zu mir selbst kam; erschienen denn ja einige Stunden des Nachdenkens, so waren sie zu schrecklich, als daß ich sie nicht hätte auf alle Art abzukürzen und zu vermeiden suchen sollen. Ich war nach meiner letzten Verirrung [27] so gut gewesen, der Name falscher Spieler, welcher mir immer in den Ohren ertönte, hatte mir so einen Abscheu gegen diese verderbliche Beschäftigung eingeflößt. Feldners Unterricht, so schlecht er auch war, hatte mir einen Geschmack an der Lektüre beygebracht; ich hatte meine Bücher glücklich gewählt, und in denselben manches gefunden, das mich die Tugend wieder liebgewinnen, und einen festen Fortgang auf ihrem Wege wünschen lehrte, und nun war ich auf einmal, ich wußte selbst nicht wie, in den alten Wirbel hineingeschleudert, und, weil ein Mädchen mit im Spiel war, fester verstrickt als jemals. Was für Stoff zu traurigen Betrachtungen!

Wie es meinen Schwestern gieng, darauf achtete ich jetzt wenig, ich sah zwar oft Gesellschaft bey ihnen die mir nicht gefiel, aber Jucunde durfte nur meine beyläufigen Erinnerungen mit der Betheurung beantworten, daß sie nie einen Schritt von der Tugend abgewichen wäre, noch abweichen würde, so war ich zufrieden gestellt, und eilte wieder zu meiner Mariane, oder zum Spieltisch, um daselbst alles, meine Pflicht, meine Schwestern und mich selbst zu vergessen. Zum Glück sollte ich bald aus meinem Rausche erwachen.

Obgleich mein Vater seine Töchter unter der Aufsicht der Robignac sicher zu seyn glaubte, ob er gleich dem Obersten in Ansehung ihrer blindlings traute, so war er doch nicht ganz fühllos für ihre Ehre. Die jungen Herren, die unser gemeinschaftlicher [28] Verführer bey ihnen einführte, gefielen ihm nicht, und als der Oberste einst kühn genug war, ihm Anträge im Namen eines alten Domherrn zu thun, der Jucunden auf der Promenade gesehen hatte, und nicht die ehrlichsten Absichten auf sie äußerte, so kam er mit ihm auf eine Art zusammen, welche den gänzlichen Bruch verursachte, und den Obersten veranlaßte, Berlin zu verlassen. –

Und nach Hohenweiler zu kommen, schrie ich, um an mir und deiner unglücklichen Schwester seine Rache wegen seiner fehlgeschlagenen Absichten auszulassen!

3. Kapitel. Beschluß
Drittes Kapitel
Beschluß

Ich hatte Alberten noch nichts umständliches von dem Tode seiner Schwester und der traurigen Veranlassung desselben berührt. Wir geriethen jetzt in ein weitläuftiges Gespräch über diesen Gegenstand, welches die Aufmerksamkeit meines Sohns so sehr auf sich zog, und Mitleid und Unwillen bey ihm in so hohem Grad erregte, daß ich ihn mit Mühe auf andere Gegenstände bringen, und ihn, da die Zeit unserer Trennung immer näher heran rückte, zur Vollendung seiner Geschichte bereden konnte.

[29] Des Obersten Abreise, fuhr er fort, war in aller Absicht ein Glück für mich. Längst war ich mein wüstes Leben, längst war ich Marianens überdrüßig, und nichts als seine Drohung, dieses und alles vorhergehende, Ihnen und meinem Vater zu entdecken, wenn ich mich nicht gänzlich von ihm leiten ließ, konnte mich auf dem Wege erhalten, den ich zu seinem Vortheil gehen mußte. – Jetzt da ich wieder mir selbst überlassen war, verließ ich Marianen, verließ ich die Spieltische, und kehrte wieder zu meiner Lektüre und zu meines Vaters Hause zurück. Meine Bücher waren freylich noch dieselben, nur daß ich manche ihrer Lehren durch meine eigene Erfahrung bestätigt und eindringender als zuvor gemacht fühlte, aber wie sehr hatte sich alles bey meinen Schwestern geändert! wie in die Augen fallend war es, daß meine Aufsicht ihnen gefehlt, daß sie weit besser der Führung eines schwächen und selbst fehlerhaften Jünglings, als ihrer eigenen, zu überlassen gewesen wären!

Jucunde war auf eine seltsame Art in die Bekanntschaft eines Frauenzimmers gerathen, welches mir gleich auf den ersten Anblick verdächtig und gefährlicher für ihre Ehre als ihre männlichen Bekanntschaften vorkam. Ein wenig mehr Kenntniß von der Welt in welcher sie gegenwärtig lebte, hatten Jucunden gelehrt, den letztern mit Behutsamkeit zu begegnen, und sie, wenn ihr auch ihre Eitelkeit nicht erlaubte, dies kleine Gefolge ganz abzudanken, doch allemal in einer gewissen [30] Entfernung zu halten; Mamsell Ralph hingegen, war ihre beständige Gesellschaft, ihre Begleiterin auf allen ihren Gängen, oft auch ihre Schlafgesellin, wie es schien, die Vertraute aller ihrer Geheimnisse, und ihr offenbar lieber als ihre Schwester. Daß die Liebe zwischen meinen Schwestern seit einiger Zeit in merkliche Abnahme gerieth, war so sehr nicht zu verwundern; Amalie neidete Jucunden um ihre körperliche Vorzüge und den Beyfall den sie fand, und diese sah es ungern, daß ihre Schwester besser Glück in Erlernung verschiedener Dinge hatte, da sie doch nur Fleiß hätte brauchen dürfen es jener zuvor zu thun. Herr Feldner war eine andere Ursach ihres gegenseitigen Misvergnügens; seit der Zeit, daß sich Jucundens Anbeter vermehrt hatten, war er zu ihrer Schwester übergangen, und Jucunde wollte keinen einigen von ihren Verehrern missen, sie wollte das, was ihren Eroberungen am Gehalt fehlte, wenigstens durch die Menge ersetzen. – Diese Dinge gaben Gelegenheit zu unendlichen Zwistigkeiten zwischen den beyden Schwestern, Mademoiselle Ralph schürte das Feuer der Zwietracht zu, und Mademoiselle Robignac spielte hiebey, so wie bey allen andern Auftritten eine müßige Zuschauerinn. Sie hatte ihre kleine Spiel und Schwatzgesellschaften mit der Hauswirthinn, welche ihr alle Zeit zur Aufmerksamkeit auf ihre Untergebenen benahm, und überdies war Jucunde auch nicht undankbar gegen die Gefälligkeit ihrer Aufseherinn, ihre Neigung zur Freygebigkeit hatte sie auch jetzt nicht verlassen.

[31] Da ich jetzt anfieng mehr und länger zu Hause zu seyn, als bisher, so hielt man es für gut, mir Demoiselle Ralph ordentlich vorzustellen. Sie war ein Mädchen, deren Gesicht, vermittelst der Schminke ein sehr jugendliches Ansehen hatte, welches mit ihrer übrigen Gestalt, die ganz das Gegentheil von dem schlanken Wuchs einer jugendlichem Nympfe war, seltsam kontrastirte. Ihr Anzug war äußerst leicht und ungezwungen, und man würde es vielleicht gewagt haben, ihn lüderlich zu nennen, wenn die niedergeschlagenen Augen der Person die ihn trug, ihre sanfte lispelnde kaum hörbare Stimme, und der unschuldige Ton der Unerfahrenheit und Neuheit, den sie in alles zu bringen wußte, was sie sagte, nicht gemacht hätte, daß man sich der Sünde fürchtete, eine solche Madonne eines Mangels an Sittsamkeit zu beschuldigen.

Mich blendeten indessen diese Dinge nicht, ich konnte in ihr die ausgelernte Buhlschwester, von der niedrigsten Gattung nicht verkennen. Meine Erwiederung ihrer Höflichkeit war sehr kalt, und ich fragte Jucunden in ihrer Gegenwart, wo sie diese Person kennen gelernt habe.

Meine Schwester wollte schon den Mund aufthun, mir ihre Erzählung zu machen, aber die andere legte ihre Hand auf denselben, und bat in schmelzendem Ton sie nicht zu beschämen. – Ich drang auf eine Erklärung, und ich erfuhr endlich nach tausend Zierereyen so viel, daß Jucunde sie [32] auf einem einsamen Spaziergange weinend gefunden habe, daß Neugier und Gutherzigkeit sie bewegt hatten, sich zu ihrer Trösterinn aufzuwerfen, daß eine Geschichte, die zu erkünstelt und zu rührend war, um wahr seyn zu können, ihr Mitleid vollends erregt, und sie bewogen habe, bey unserm Vater um die Erlaubniß zu bitten, sie in unser Haus aufnehmen, und bey unserer Rückreise mit nach Hohenweiler bringen zu dürfen.

Um Gotteswillen! unterbrach ich Alberten, ich entsetze mich, wenn ich an eine solche Vermehrung meiner Gesellschaft denke! – Ich muß heute noch an Herrn Haller schreiben, es erfolge daraus was da wolle, und ihn bitten, daß er Mitleiden mit mir habe, und mir kein solches Unglück ins Haus bringe.

Mamsell Ralph, fuhr Albert fort, mochte selbst keinen Gefallen an einem beständigen Aufenthalt in unserm Hause gefunden haben; sie hatte sich geweigert, Herrn Hallers Güte anzunehmen, und sich nur die Erlaubnis ausgebeten, so oft um ihre himmlische Jucunde seyn zu dürfen, als es ihre anderweitigen Verbindungen möglich machten.

Was dieses für Verbindungen seyn mochten, ließ sich besser muthmaßen als laut sagen. Ich warf einen verächtlichen Blick auf Jucundens Freundinn, welche während der Erzehlung, alle ihre Reize hatte spielen lassen, um meine Aufmerksamkeit zu erregen, und wandte ihr den Rücken. –

[33] Ich glaubte es mit Gewißheit zu wissen, was diese Ralph für eine Kreatur war, ich hätte sie lieber in der nehmlichen Stunde von meiner Schwester entfernt, aber ich merkte wohl, daß dieses keine leichte Sache seyn würde, und daß ich Beweise wider sie nöthig hatte. Tausend Gedanken schwärmten wild durch mein Gehirn. Ich hielt es fürs beste, zuerst zu meinem Vater zu gehen, ihm meine Muthmaßungen zu entdecken, und ihm die Gefahr meiner Schwester begreiflich zu machen.

Ich suchte ihn auf verschiednen Koffeehäusern, und als ich ihn nirgend fand, so lenkten sich meine Schritte, ohne daß ich es fast selbst wußte, nach dem Thiergarten. Ich setzte mich in ein kleines Gebüsch, um meinen Gedanken nachzuhängen. Ich hörte nicht weit von mir einige Personen sprechen, aber ich fand zuviel Beschäftigung in meinem eigenen Gehirn, um auf ihr Gespräch acht zu geben. Nach und nach wurden ihre Stimmen lauter und ich hörte den einen mit vielem Eifer ausrufen: Du magst sagen, was du willst, die Haller bleibt immer ein herrliches Geschöpf, und ich schlage mich mit einem jeden, der mir das leugnen will.

Nun nun, rief der andere, das lohnte auch der Mühe, daß sich ein paar ehrliche Kerls um so eine Kreatur die Hälse brächen! So viel wirst du mir doch zugestehen, daß sie nichts als eine Glücksritterin ist, die es freilich, da sie ihr Handwerk so jung anfängt, weit bringen kann, über [34] dieses hat sie an der Ralph eine gute Lehrmeisterinn – Ralph? schrie der andere, die berichtigte Ralph eine Bekannte von der schönen Haller? – rede deutlicher, oder ich erwürge dich! – Einige andere Stimmen legten sich dazwischen, und ermahnten die beyden Streitenden zur Ruhe. Es ist hier nichts weiter nöthig, erhub der eine seine Stimme, als zu entscheiden, welcher von euch beyden recht hat, und ich fürchte, Ferdinand, du wirst nachgeben, und deine angebetete Fremde für das erkennen müssen was sie ist; du verlierst ja übrigens auch nichts dabey, wir werden sie vielleicht bald in dem Kreise schimmern sehen, in welchem die Ralph ihre Strahlen verloren hat, und was bleibt dir dann zu wünschen übrig? ein ehrliches Mädchen wär doch wohl für einen Purschen wie du bist, unerreichbar.

Kaum konnte ich mich halten, nicht diesen Augenblick loszubrechen. Nur das Verlangen, irgend etwas zu hören das mir nützlich seyn könnte, gab mir Kraft, mich noch einige Zeit zu mäßigen, aber was ich hörte, waren nichts als verneute Lästerungen, Ihr Vater ist ein Spieler, der vermuthlich auch durch sie sein Glück hier zu machen sucht. Sie hat ein Weibsbild bey sich, die das völlige Ansehen einer Kupplerin hat, sprach der andere. Ein dritter fuhr fort: man sieht sie nie in Gesellschaft eines ehrlichen Frauenzimmers, nur einigemal habe ich sie mit ihrer Wirthinn gehen sehen, welche auch nicht viel taugt. Und [35] was ihren Bruder anbelangt, sagte der erste, so wird der von dem Handel mit seiner Schwester auch wohl nicht abgeneigt seyn, man hat ihn, so jung er ist, bereits als einen falschen Spieler ertappt, und man weis, wozu solche Leute fähig sind.

Hier war mir es unmöglich mich länger zurückhalten; ich sprang auf und stürzte mich mit gezogenem Degen mitten unter sie. Halb gebrochene vom Zorn verstümmelte Worte, forderten Rechenschaft, wegen dessen was ich gehört hatte. Man hielt mich anfangs für rasend, und strebte mich zu entwaffnen, eine Sache, die bey der Stärke, die mir der Grimm gab, nicht so leicht war.

Einer aus der Gesellschaft, welchen ich für denjenigen hielt, den ich hatte Ferdinand nennen hören, schlug sich auf meine Seite, und forderte, man solle mich zu Athem kommen lassen, und mich ruhig anhören; – Rache! schrie ich, Rache für die Ehre meiner Schwester, und für meine eigene! Mit diesen Worten stürzte ich mich auf denjenigen, den ich für den Sprecher der Worte hielt, die mir die anstößigsten gewesen waren. – Gönne ihm Zeit sich in Vertheidigungsstand zu setzen, rief Ferdinand mir zu, indem er mich zurückhielt, und denn soll dich kein Teufel hindern, die Genugthuung zu fordern, die ich selbst nehmen würde, wenn deine Rechte nicht näher wären, als die meinigen.

Der andere zog. Ferdinand bewog die Uebrigen uns nicht zu stören. Wir schlugen uns, und [36] ich streckte meinen Gegner nach wenig Stößen in den Staub. – Er ist todt, ertönte aus aller Munde, er ist todt! und sein Mörder soll nicht ungestraft bleiben. – Indessen die andern hinaus eilten Lärm zu machen, oder Hülfe für den Verwundeten zu suchen, warf Ferdinand mir seinen Mantel um, setzte mir den Hut meines Gegners auf, und führte mich, weil ich wegen einiger Verwundungen stark blutete, und ziemlich schwach war, davon.

Wir sprachen nichts mit einander, bis wir dicker ins Gebüsch kamen, da mich mein Führer niedersetzen hieß, und anfing meine Wunden zu untersuchen, sie waren von keiner sonderlichen Bedeutung, wie Ferdinand sagte, und er behandelte sie mit solcher Klugheit, daß ich ihn für einen Kunsterfahrnen halten mußte. Er hieß mich aufstehen, begleitete mich noch eine Strecke, und bedeutete mir denn einen Ort, wo ich diese Nacht ausruhen könnte. Aber Bruder Haller, sagte er, du darfst dich keine Stunde ohne Noth aufhalten, man wird dich verfolgen, und ich eile zu meiner Gesellschaft, damit man nicht merke, daß ich Antheil an deiner Entfliehung habe. Leb wohl, wir sind gute Freunde, folge meinem Rath und werde Soldat, dieß wird die beste Sicherheit für dich seyn. – Ich konnte ihm nicht antworten. Noch ein Druck der Hand, und er verschwand aus meinen Augen.

[37] Ich war noch nicht zwanzig Schritte langsam fortgeschlichen, als ich seine Stimme wieder hinter mir hörte. – Bruder Haller, rief er, ob du wohl Geld bey dir hast? Ich wollte nach meinem Geldbeutel greifen; keine Untersuchung, rief er, hier sind zwey Louisdors, die Hälfte meines Vermögens; keine Ziererey, oder mit uns ists aus. Hiermit war er aus meinen Augen verschwunden, ich sah ihm nach und schüttelte den Kopf, weil ich nicht wußte, was ich aus der seltsamen Erscheinung machen sollte.

Ich suchte nach meinem Geldbeutel, ich hatte wirklich nichts bey mir, als einige Silbermünze. Ferdinands Goldstücke waren auf die Erde gefallen, ich hob sie auf, und wünschte den Geber derselben näher kennen zu lernen. Was wäre ohne ihn aus mir geworden!

Ich folgte seinem Rath in allem, hielt mich kurze Zeit unter Weges auf, und trachtete darnach Kriegsdienste zu bekommen, sie möchten auch seyn, wo sie wollten. Ich erfuhr, daß in einem benachbarten Orte Truppen nach Amerika geworben wurden, und ich – – Himmel! unterbrach ich ihn, ich will doch nicht hoffen! – Ja liebe Mutter, sprach er mit thränendem Blick, indem er meine Hand an sein Herz drückte; mein Schicksal treibt mich nach Amerika. – In dem Wahn, meinen Gegner getödtet zu haben, glaubte ich, mich nicht zu weit entfernen zu können, Ferdinands schriftliche Nachricht, daß er lebe, überzeugte mich[38] von meiner Uebereilung, aber die Rückkehr ist nunmehr unmöglich.

Er wollte mehr sagen, aber eine Erinnerung von seinen Obern, Albert Haller solle nicht länger verweilen, die Zeit des Urlaubs sey verflossen, unterbrach seine Rede. Ach Gott! sprach Albert, indem er in meiner und Julchens Begleitung das Zimmer verließ, nun müssen wir uns trennen, und ich habe Ihnen noch so viel zu sagen, so viel von meinem Bruder Samuel, den ich – – Samuel? wiederholte ich dem armen Verunglückten? – Samuel lebt, sprach er, ich traf ihn. – Ey! so höre auf zu schwatzen und zu winseln, schrie der rauhe Mann, der Alberten abfordern sollte. Ich mußte meine Fragen nach Samuelen aufgeben, die Versicherung, daß er lebe, war alles, was mir Albert wiederholen konnte. – Ich warf mich meinem Sohn weinend um den Hals, und drückte ihm eine ziemlich gefüllte Börse in die Hand. Julchen hieng auf der andern Seite an ihm, er beugte sich zu ihr herab, sie zu küssen, und sie gab ihm das kleine Packet mit der für ihn zubereiteten Wäsche unter den Arm, in welches sie, wie sie mir hernach mit großem Jubel berichtete, noch alles gepackt hatte, was sie von ihrer wenigen Baarschaft vorräthig gehabt hatte.

[39]
4. Kapitel. Samuel bleibt sich immer gleich
Viertes Kapitel
Samuel bleibt sich immer gleich

Wir standen noch lange an der Thür unsers Hauses, und sahen Alberten nach, ohne zu bedenken, daß es Nacht war, und daß der schwache Schimmer des Mondes uns die Gestalt desjenigen, der sich von uns entfernte, kaum wie einen düstern Schatten zeigte. Auch dieser Schatten war uns lieb; bald verschwand er ganz vor unsern Augen, und wir kehrten traurig mit den Gedanken an die lange Trennung und das zweifelhafte Wiedersehen zurück. – Ich warf mich auf einen Stuhl und weinte, und Julchen schmiegte sich schmeichelnd an meine Seite. – Aber Himmel, fuhr ich auf einmal auf, Samuel, sollte es möglich seyn, daß Samuel lebte? Albert hat ihn gesehen, vielleicht nicht weit von hier gesehen? – O Himmel, so werde ich ihn auch sehen, ihn vielleicht bald sehen! Julchen, Julchen, meynst du wohl, daß ich diese Freude ertragen werde?

Diese Nacht und der folgende Tag vergiengen, ohne daß ich für etwas anders Gedanken hatte, als für Albert, für Samuel, und für ihre unglücklichen verführten Schwestern, an deren Lage ich nicht ohne Schrecken denken konnte. Das Andenken der Verstorbenen ward beynahe von der Sorge für die Lebendigen verschlungen. Hannchens [40] Zimmer ward verschlossen, ihre Kassette blieb unbesichtigt, ungeachtet das wenige, was ich von den darinnen enthaltenen Papieren gelesen hatte, hinlänglich war, meine ganze Aufmerksamkeit zu erregen. Die Gegenstände, die meine Seele beschäftigten, waren zu verschieden; kein Wunder, wenn mein Verstand darunter erlegen wär.

Meine Sorgen um die von mir getrennten unglücklichen Kinder war vergebens, mein Herz war des Kummers müde, es schmachtete nach einem Strahl von Freude, ich glaubte denselben in dem Wiedersehen meines auf ewig verlohren geglaubten Sohns Samuel zu erblicken, und die Vorstellung von dieser herrlichen Scene, die, wie ich glaubte, mir nahe bevorstand, behauptete jetzt den ersten Platz unter meinen Gedanken; sie stärkte mich gegen alles, was mich känkte, uud ich konnte nur dieses nicht begreifen, wo Samuel so lange verweilen müsse. Am siebenten Tage erhielt ich einen von seiner Hand überschriebenen Brief, ich erbrach ihn mit Zittern, und las folgendes:

»Nach einer langen Abwesenheit und mancher überstandenen Gefahr, eile ich in Ihre Arme, um Ihnen den Wahn von meinem Tode zu benehmen, in welchen sie vielleicht durch einige Umstände in meiner Geschichte gestürzt worden seyn könnten. Da fand ich in einem Städtchen von ihrer Nachbarschaft, meinen Bruder, meinen Albert – Himmel, in einer elenden Rekrutenkleidung, im Begrif aus Verzweiflung, nach Amerika [41] zu gehen. – O Mutter! Mutter! was ist aus ihren Kindern geworden! Albert aufs Aeußerste gebracht; Amalie und Jucunde auf dem Wege des Lasters; Johanne todt; und dieses, wie man sagt, aus Gram über den Verlurst ihrer Ehre; Peninna in dem Hause des abscheulichen Regierungsraths Berg, als seine deklarirte Mätresse. O Mutter! wo ist die Wachsamkeit für Ihre Kinder! es ist unmöglich, daß wir alle ohne Ihre Schuld so elend seyn können! Nein, ich kann, ich kann Sie nicht sehen! ich möchte mich vergessen, und meinen Mund zu Vorwürfen gegen die öfnen, die mich gebahr, die meinem Herzen noch immer so theuer ist. Sieben Tage bin ich in Ihrer Gegend herumgeschwärmt; der Trieb sie zu sehen und der Entschluß ihren Anblick zu meiden, kämpften lange mit einander; endlich behielt der letzte die Oberhand. Mein Bruder geht nach Amerika, ich will ihm folgen. Was verliere ich denn auch endlich in Europa? schwache weitaussehende Hofnungen? Hirngespinste von wiederkehrender Ruhe? Nein, ich kann unter diesem Himmel nicht ruhig werden. – Meine Anschläge sind zwar zum Theil geglückt, ich hätte vielleicht einige Aussichten auf Glück – – aber nein; meine Eltern, meine Geschwister sind unglücklich, sind mit Schande überhäuft; ich muß fliehen, muß alle diese Dinge zu vergessen suchen, ihr Anblick würde mir jedes Glück verbittern. Ach daß mein einiger bester Freund, mein Vater [42] in Traußenthal, nicht mehr ist! bey ihm könnte ich Rath und Trost finden. Leben Sie wohl, unglückliche Mutter, sorgen Sie wenigstens für Julchen und verzeihen Sie

Ihrem Sohn Samuel.«


Ja wohl unglücklich, schrie ich, unglücklich ohne Rettung! O Samuel ists nicht zu hart, mir alle mein Elend so vor die Augen zu mahlen, mich die Urheberinn desselben zu nennen? – – Ich bin unschuldig, Gott weis, ich bin unschuldig.

Ich weinte lange – – und fuhr endlich über den Gedanken an Peninnen auf. Peninna! schrie ich, in dem Hause des abscheulichen Regierungsraths? – warum abscheulich? ich kenne ihn auf keiner schlechten Seite. – Und sie seine erklärte Buhlerinn? – o Peninna, Peninna, sollte dieses wahr seyn, der Gram würde mich bald in die Grube bringen! – Ich war neben meinem Stuhl auf die Knie gesunken, Thränen badeten meine gefaltene Hände, ich jammerte und flehte zu Gott für meine arme Kinder! Ich musterte sie alle in meinen Gedanken, und schnell fiel Hannchens Name wie ein Stein auf mein Herz, Gott, schrie ich, sollte es wahr seyn, was Samuel von ihr sagt? – Muthmaßungen von dieser schrecklichen Sache hatte ich schon, und der Anfang jenes Briefs, den ich in ihrem Schmuckkästgen fand! – Ich muß Gewißheit haben, ich muß, und sollte mir es das Leben kosten.

[43] Ich eilte in das Zimmer der Verstorbenen, ich schloß die Thür hinter mir zu. Alles was das geheimnisvolle Kästgen enthielt, breitete sich vor mir aus, ich ergriff das Blatt, das ich schon einmal zu lesen anfieng, hielt es einige Zeit in der Hand, ohne den Muth zu haben, es anzublicken, und fand, als ich mich gefaßt hatte, folgendes.

5. Kapitel. An Madame Kathin
Fünftes Kapitel
An Madame Kathin

Werthe Freundinn, mit welcher Empfindung nenne ich Ihren Namen! sie sind die einige, mit welcher ich vertraulich reden kann, die einige Theilnehmerinn meines Geheimnisses! Zwar ich betrat Hohenweiler mit der Hoffnung mich meiner Mutter entdecken zu können, welches in aller Absicht besser für mich wär; aber Himmel, wo soll ich Muth zu dem schrecklichen Geständnisse hernehmen? – Nein, ich wage es nicht! – Wie Sie mir oft wiederholten: ihre Grundsätze sind zu streng, sie würde mich hassen, mich verachten, und wie könnte ich den Haß, die Verachtung einer solchen Mutter ertragen? einer Mutter, die mich so sehr liebt, so große Meynungen von meiner Tugend hat! – Noch heute habe ich auf dem Punkte gestanden, mich ihr zu Füssen zu werfen, und ihr alles zu offenbaren, aber wenn ich denn an das strenge Gericht [44] denke, das sie über Rosen hielt, als ich ihr ihre Geschichte erzehlte, wenn ich mir den Eifer, mit welchem sie sprach, als ob sie die Verbrecherinn, von welcher die Rede war, vor sich hätte; wenn ich mir ihre letzten Worte ins Gedächeniß zurückrufe! »Hannchen, sagte sie, du weinst über fremde Vergehungen; denke wie schwer eigene Verbrechen zu beweinen seyn müssen! O Gott, fuhr sie mit gen Himmel gefalteten Händen fort, erhalte ihr Herz immer so schuldlos und so rein, wie es jetzt ist; der blosse Gedanke, es könne einst verderbt werden, wär im Stande mich ins Grab zu strecken!« – Ich weiß nicht genau ob ihre Worte so waren, der Sinn derselben ist es, aber mich dünkt, es lautete alles viel ernster und strenger als ich sagen kann! Wo soll ich bey solchen Aeußerungen Muth hernehmen mich ihr zu vertrauen?

Liebe Madam, ich bin in sehr großer Angst, mein Fehltritt reut mich so innig, so schmerzlich, daß ich wünschte, ihn mit dem Verlust meines Lebens austilgen zu können, auch sorge ich, meine Mutter möchte aller meiner Behutsamkeit ungeachtet, es dennoch erfahren und mich hassen, und darum bitt ich sie, wenn ich nun todt bin, denn ich werde wohl sterben, meiner Mutter doch nichts davon zu sagen, wie sehr sie sich in ihrer vermeinten Tugendheldinn, in ihrem Hannchen irrte; ein spöttisches Lachen über mich selbst fährt mir heraus, da ich dieses schreibe; niemand kann mich so sehr [45] verachten, als ich mich selbst verachte, selbst mein Ludwig nicht, welcher doch, wie ich gewiß weiß, diejenige, die ihm zu Liebe den Weg der Tugend verließ, nicht einen Augenblick mehr seiner Achtung würdigen wird; ach, und ich liebe ihn so sehr!

Ich habe mich unterbrochen; ich wollte Ihnen vorhin noch sagen, daß Sie um ihrer Selbstwillen, mit meiner Mutter nicht von meinen Vergehungen reden sollen, denn bedenken sie nur, wenn sie nun weiter fragte: Wer hat mein Hannchen verführt, so könnten ihnen doch wohl alle die Gelegenheiten einfallen, die sie mir gaben, Ludwigen zu sehen, alle die Gespräche, mit welchen sie meine Liebe nährten, alle die seltsamen Dinge, mit welchen sie meine Begriffe von Recht und Unrecht erschütterten; wenn ihnen nun dieses einfiel, und sie würden roth, was würde denn meine Mutter denken? Auch von Rosen müssen sie nicht viel sagen; sie wissen wohl, wie viel Nachsicht sie auch gegen sie hatten; wir waren doch einmal ihrer Aufsicht anvertraut, sie hätten über uns wachen, und uns nicht Gelegenheit zum Bösen geben sollen. – Nun ich weis es, sie meynten es gut, sie dachten mich glücklich zu machen, sie verführten mich nicht aus Eigennutz, wie mir Rose einmal sagte, als sie gegen mich über sie klagte. Sie behauptete, die Frau von Wilteck habe ihnen hundert Louisdor geboten, wenn sie machen könnten, daß Ludwig mich verachtete und nicht mehr an mich dächte, und sie hätten geglaubt, ihren Lohn [46] nicht besser verdienen zu können, als wenn sie mich lasterhaft machten. Ach! Rose war zwar ein leichtsinniges sittenloses Ding, deren Gesellschaft mir nicht allemal zuträglich war, aber sie hatte doch auch Stunden, wo sie vernünftig redete; sie warnte mich vor Ihnen und vor der Frau von Wilteck, und ich entschloß mich zu fliehen, damit sie mich nicht endlich so tief ins Verderben stürzen möchten, daß ich Lust und Kraft zur Besserung verlör. Die abscheuliche Frau von Wilteck! Wenn ich noch an die Worte denke, die sie den Tag vor meiner Abreise zu mir sagte! – Hannchen, sprach sie, ich weiß wie du und Ludwig einander lieben, ich bin nicht so grausam euch zu trennen. Die Gemahlinn eines Herrn von Wilteck kannst du nun freylich nicht werden, aber es giebt andere Verbindungen, welche die Liebe eben so dauerhaft macht, als die Gesetze ein rechtmäßiges Ehebündniß. –

So sprach sie; nun glaube ich zwar, daß sie meiner spottete, denn niemand strebte mehr darnach, mich von Ludwigen zu entfernen, als sie, aber wär es denn ein Wunder gewesen, wenn die Vorstellung, nie von meinem Geliebten getrennt zu werden, mich in alle ihre Vorschläge hätte willigen lassen? – Mein guter Engel hat mich zur Flucht angetrieben, und so unglücklich ich auch hier bin, so möchte ich mich doch nicht wieder in das Wiltecksche Haus zurück wünschen.

[47] Noch eine Bitte, meine liebe Madam Kathin, die wichtigste die ich auf dem Herzen habe: Nehmen sie, ich bitte sie um Gottes Willen, nehmen sie sich meines kleinen Ludwigs an, ich habe ihn ihren Händen vertraut, er allein war es, der mir meine Flucht schwer machte, aber mit mir nehmen konnte ich ihn freylich nicht. O Kathin, wenn noch ein Funke von Erbarmen in ihnen ist, so seyn sie diesem armen verlassenen Kinde eine Mutter; ach seine eigene wird ihn bald verlassen müssen, der Gram auch um ihn, nagt an meinem Leben, und ich muß sterben. Zuweilen denke ich doch, es wär um des Kindes willen besser, ich entdeckte meiner Mutter alles; sie würde sich doch seiner erbarmen, wenn sie auch mich verstossen sollte. Aber nein, ich will kein Mistrauen in Sie, meine einige Freundinn, setzen, auch soll Ihnen die Sorge für den armen Kleinen erleichtert werden. Was sein Vater für ihn thut, das wissen sie, und damit auch ich meine Schuldigkeit nicht versäume, so nehmen sie hier mein ganzes Vermögen, alles was ich an Geld und Kostbarkeiten habe, nehmen sie es, und wenden es an, wie sie wollen, nur sorgen sie, sorgen sie mütterlich für mein Kind; es wird einmal Rechenschaft von Ihnen gefordert werden, bedenken sie dieses, und lassen sie mich nicht vergeblich flehen. Aber ich wollte sie auf den Knien für meinen kleinen Ludwig bitten, wenn ich bey ihnen wär. Himmel, wenn ich bey Ihnen wär! was das für ein Gedanke ist! bey Ihnen und bey [48] ihm! wenn ich ihn nur noch einmal, nur noch ein einigesmal sehen sollte, ehe ich sterbe! Ach mein Herz wird von tausend Wünschen, tausend Bekümmernissen, tausend tausendfacher Angst zerrissen, und ich muß sterben!!! Geschrieben an meinem achtzehenten Geburtstage.

Johanna Haller.

6. Kapitel. Ein Gespräch zwischen zwey Matronen
Sechstes Kapitel
Ein Gespräch zwischen zwey Matronen

Man stelle sich den Eindruck vor, den dieser Brief auf mich machte! O Hannchen, wie war dir es möglich, mich so zu verkennen! Wie konntest du Härte und Verstoßung von einer Mutter fürchten, welche nur Mitleid für dich fühlte! So rief ich, als ich zu Ende gelesen hatte, und streckte meine Arme nach dem traurenden Schatten der armen Dulderin aus, welchen ich vor mir schweben zu sehen glaubte. Bittere, bittere Thränen folgten meinen Ausrufungen, Thränen von Reue und quälenden Vorwürfen ausgepreßt. Ach womit mußte ich ihr Zutrauen verscherzt haben? ohne Zweifel lag die Schuld an mir, daß sie es nicht wagte zu sprechen! Meine Aeußerungen gegen das Laster, waren zu streng, ich hielt es für Pflicht die Nachsicht und das Mitleid, das ich gegen die Irrenden fühlte, in meinen Busen zu verschliessen, und äußerlich nur Richterinn zu seyn. Rosens [49] verneute Vergehungen brachten mich auf, das Urtheil, das ich über sie fällte, mußte die schüchterne Seele abschrecken, die in der Bitterkeit ihrer Reue keinen Unterschied zwischen einer verführten Unschuldigen, und einer rückfälligen Sünderin sahe. Und dann das Märchen, damit ich sie, ich weiß auch nicht warum, in ihren letzten Tagen unterhielt! Warum mußte ich die Geschichte von einem gefallenen Mädchen mit einflechten? – War es, bey den wunderlichen Muthmaßungen von Hannchens Traurigkeit, die ich mir oft selbst nicht gestehen mochte, war es meine Absicht, sie durch diesen Theil der Geschichte besser auszuforschen? Warum sprach ich nicht schonender von der Verführten, die ich ihr darstellte? – Warum machte mich der Antheil, den sie an Römhilds Geschichte nahm, nicht aufmerksam? warum kam ich ihrem Geständnisse nicht auf halbem Wege entgegen? O Römhild! Römhild! rief sie noch in ihren letzten Phantasien! Schröcklich tönten mir diese Worte noch immer in den Ohren, ich nahm sie als einen Beweis an, daß ich mit meiner damaligen Erzehlung alles verderbt hatte, und nannte mich die Mörderin meiner unglücklichen Tochter. Dachte ich denn an die Frau von Wilteck, welcher ich meinen liebsten Schatz so unvorsichtig überließ, fiel mir Rose ein, welche fürwahr eine schlechte Gesellschaft für ein unschuldiges Mädchen war, so öfnete sich mir ein neues Feld von Vorwürfen, und ich glaubte unter den schreckensvollen Vorstellungen, die ich mir machte, zu erliegen.

[50] Ich vermuthe, daß ich eine lange Zeit ohne Besonnenheit zugebracht habe; was mich endlich erweckte, war ein Geräusch an der Thür, und Julchens klagende Stimme, welche mich überall suchte, mich endlich in diesem Zimmer vermuthete, und sich vergebens bemühte, es zu öfnen. –

Ich faßte meine Kräfte zusammen, ihr zu antworten, und schlich endlich an die Thür, sie einzulassen. Ach Himmel, liebe Mutter, schrie die Kleine, wie bin ich ihrentwegen in Sorge gewesen! Gottlob, daß ich sie endlich gefunden habe, aber wie bleich sie sind! wie sie zittern! Ach sie sind krank, sehr krank! Gott was soll ich anfangen?

Ich hatte mich auf einen Stuhl zunächst der Thür gesetzt, ich hielt Julchens Hände fest in den meinigen, sah sie mit strömenden Augen an, und bestrebte mich vergeblich zu sprechen.

Ich muß sie zu Bette führen, rief Julchen, und bemühte sich, mich zum Aufstehen zu bringen, die Dame, welche mit ihnen zu sprechen wünscht, muß sich gefallen lassen zu warten, oder wiederzukommen. Eine Dame? wiederholte ich, wo ist sie? ich werde sie sehen müssen. Wer mag sie seyn?

Ich habe sie in den untern Saal treten lassen, antwortete meine Tochter, ich kenne sie nicht, es ist eine dicke Frau, mit einem hochrothen Gesicht. Ihre Kleidung ist fast in dem Geschmack der Demoiselle Robignac, sehr bunt und jugendlich.

Ich ließ mich in mein Zimmer führen, trank ein Glas Wasser, und ließ die Person, die Julchen eine Dame nennte, eintreten.

[51] Verzeihen Sie, Madam, sprach ich, indem ich mich ein wenig von meinem Sitz erhob, eine kleine Unpäßlichkeit – –

Ich bedaure, sagte die andere, meine Geschäfte treiben mich eigentlich nicht zu Ihnen, Madam, sondern zu Mamsell Haller, ihrer Tochter.

Ich habe viel Töchter, Madam, wollten sie die Güte haben, sich deutlicher zu erklären.

Das junge Frauenzimmer, mit welchem ich zu sprechen wünschte, lernte ich im Wilteckschen Hause unter dem Namen Hannchen kennen.

Im Wilteckschen Hause? schrie ich, und fühlte, daß ich bleich ward, ist ihr Name nicht Kathin?

Sie kennen mich? fragte die Frau mit einer Miene, aus welcher ich nicht wußte, was ich machen sollte, und unter was für einem Charakter hat es Mamsell Hannchen beliebt, mich mit ihnen bekannt zu machen.

Sie – Sie hat nie mit mir von Ihnen gesprochen.

Sonderbar! So sollten meine Züge sich also so wenig verändert haben, daß ich Ihnen noch von alten Zeiten her bekannt seyn könnte? sie warf einen Blick in den Spiegel, und ich heftete meine Augen mit mehrerer Aufmerksamkeit auf ihr Gesicht.

Zwar, fuhr sie fort, unter dem Namen Kathin möchte ich ihnen doch wohl nicht von jenen Zeiten kenntlich seyn können.

Aber wohl unter dem Namen Katharines, rief ich, indem ich sie auf einmal für diese Frau erkannte,[52] deren ich im Anfange meiner Geschichte gedacht habe. O Weib! Weib! willst du nimmer aufhören mich zu verfolgen? soll ich so spät noch Proben deiner feindseligen Gesinnungen erfahren?

Sie reden da eine sonderbare Sprache, Madam, erwiederte die Katharines, und erhob sich gravitätisch von ihrem Stuhl. Sie werden sich erinnern, daß ich mit Mamsell Hannchen sprechen wollte; in welchem Zimmer kann ich sie finden?

Suche sie unter den Todten, abscheuliche Verführerinn, rief ich, sie hat den Verlust ihrer Tugend, den sie dir zu danken hat, nicht überleben können. Mein Gott, Madam, erwiederte die Frau, begreifen sie sich doch, sie sind nicht bey sich selbst! Ist Mamsell Hannchen todt, je nun, wir sind alle sterblich, und ich weiß nicht, wie ich dazu komme Vorwürfe darüber zu hören?

Fragen Sie ihr Gewissen, schrie ich, und dann entschuldigen sie sich. Aber todt, Mamsell Haller würklich todt, wiederholte sie, und sollte so gar nichts an mich hinterlassen haben? ich habe ein Pfand von ihr in Händen.

Ja wohl, rief ich, ein theures kostbares Pfand, das ich keine Stunde länger in deinen Händen lassen will. Ich fordere den Sohn meiner Tochter zurück; er ist nunmehr der meinige, und niemand soll mir ihn entreissen.

Ich sehe, Madam, sprach die andere, und setzte sich wieder, ich sehe, sie wissen alles, lassen sie [53] uns vernünftig mit einander sprechen. Nichts mehr von beleidigenden Vorwürfen, wenn ich bitten darf, sie sind auf tausenderley Art in meiner Gewalt, und ich bin nicht gewohnt Beleidigungen unvergolten zu lassen.

In deiner Gewalt? rief ich. Ist nicht meine arme Tochter todt? ist sie nicht zu hoch für deine Verfolgungen? Und mein Enkel, wirst du mir ihm wohl vorenthalten dürfen.

Vielleicht doch wohl, sagte sie, aber nein, nein, sie sollen ihn haben, mir ist nichts damit gedient, fremder Leute Kinder zu ernähren.

Unwürdige! schrie ich.

Und, fuhr sie fort, was das erste anbelangt, so wird es Mamsell Hannchen, tröste sie Gott, wenn sie zu trösten ist, freylich nun gleichviel seyn, was die Welt von ihr spricht; aber ob ihre Mutter viel Ehre davon haben wird, wenn der ganze Vorgang bekannt wird. –

Meine Tochter ist als vermählte Frau von Wilteck gestorben, unterbrach ich sie.

Ja so! sprach sie mit höhnischem Lächeln, nun ich gratuliere von Herzen zu der so schleunig geschlossenen Verbindung, und werde nicht ermangeln, es auszubringen, daß bereits ein Sohn und Erbe vorhanden ist, dem es aber doch vielleicht einmal schwer werden möchte, die Rechtmäßigkeit seiner Geburt zu beweisen.

Wo wollen sie hin? rief ich, und suchte sie zurück zu halten.

[54] Ich will noch, erwiederte sie, zu meiner Muhme, der Frau Pfarrerin hier in diesem Städtchen gehen; ich weiß, sie hört auch gern etwas neues, die Geschichten von der verstorbenen Frau Lieutenantinn von Wilteck, und von dem kleinen Junker Ludwig, werden ihr willkommen seyn, und sie wird vermuthlich bald erscheinen, ihren Glückwunsch zu den erfreulichen Begebenheiten abzustatten.

Der Name meiner alten Feindinn und Lästererinn, erweckte alle meine Besorgnisse, und – sollte man denken daß ich so schwach war, mich zu einer Art von Bündniß mit der niederträchtigen Katharines herabzulassen? Einige Geschenke erkauften ihre Verschwiegenheit, wir wurden einig, daß der kleine Ludwig unter dem Namen meines Pathen zu Hohenweiler eingeführt werden sollte, und das Weib versprach zur Zugabe, mein christliches Gemüth, daß ich mich dieses elterlosen Kindes so mütterlich annähm, gegen die Pfarrerinn und jedermann zu rühmen; ein Versprechen, daß ich ihr mit der äußersten Verachtung zurück gab.

Madam Katharines war jetzt nicht mehr so empfindlich, meine Geschenke hatten sie gefälliger gemacht; sie überhörte jedes unwillige Wort, das mir etwa entfuhr, und war auf einmal so ganz für mich eingenommen, daß sie nicht wußte, wie sie sich von mir trennen sollte. Wir hatten lange unsere Geschäfte mit einander abgethan, und noch konnte ich sie nicht los werden. Sie wollte sich in eine umständliche Erzehlung von Hannchens [55] trauriger Geschichte einlassen, und als ich merkte, wie wenig dieselbe der Wahrheit treu, und zum Vortheil der armen Verstorbenen seyn würde, und ihr Stillschweigen über diesen Punkt auflegte, so kam sie auf ihre eigene Geschichte, und erzehlte mir sehr umständlich, wie übel sie mit Herrn Katharines gelebt, wie sie ihn wegen seiner Untreu angeklagt, wie er darüber vom Amte gekommen und von ihr geschieden worden, und wie sie seit der Zeit als Wirthschafterinn in vielen adelichen Häusern gelebt, und wie sie doch noch immer so viel übrig behalten, ihrem Feinde, so nennte sie ihren Mann, Gutes zu thun. – Ich aber konnte das seltsame Gemisch von Bosheit und heuchlerischer Tugend, woraus alle ihre Reden bestanden, nicht länger aushalten. Ich sagte, daß ich der Ruhe sehr nöthig habe, und fragte, wo sie zu übernachten gedächte.

Bey meiner Muhme der Frau Pfarrerinn, erwiederte sie mit schleppendem Ton. – Ich verstand sie voll kommen, klingelte und befahl ein Zimmer in meinem Hause für sie zurecht zu machen. Sie bewunderte meine unvergleichliche Güte, wie sie sich ausdrückte, lobte Julchen, welche eben eintrat, in den übertriebensten Ausdrücken, und bat sie sich zur Schlafgesellin aus.

Aber ich fürchtete den Hauch dieser giftigen Schlange. Julchen schlief diese Nacht in meinem Zimmer, und ich ließ sie nicht aus den Augen, bis Madam Katharines des andern Tages abgereißt war.

[56]
7. Kapitel. Ein elektrischer Schlag
Siebentes Kapitel
Ein elektrischer Schlag

Die heftigen Gemüthsbewegungen, die ich des vorigen Tages erfahren hatte, griffen meine Gesundheit an, ich war einige Wochen bettlägerig. Ein schleichendes Fieber verzehrte meine Lebenskräfte, eine gänzliche Gleichgültigkeit gegen alles nahm meine Seele ein. Herr Walter besuchte mich in dieser Zeit sehr fleißig, er sprach mit mir von den verwickelten Angelegenheiten meines Mannes, aber ich konnte wenig dazu sagen, und mußte alles seiner Besorgung überlassen. Er suchte die empfindlichsten Seiten meines Herzens zu berühren, er brachte mir meine abwesende Kinder in den Sinn, ich blieb gleichgültig; er rief Julchen an mein Bette, sie weinte und fragte ob ich sie nicht mehr liebte, ich küßte sie, und gab Waltern einen heimlichen Wink sie zu entfernen. »Nur dann würd ich glücklich seyn,« sagte ich, als wir allein waren, »wenn alle meine Kinder so ruhten, wie Hannchen ruht, und ich könnte mich an ihre Seite legen und sterben.«

Ein ganz neuer noch nie gesehener Gegenstand war nöthig, um mich dergestalt zu erschüttern, daß Gefühl und Liebe zum Leben wieder in mir erwachten.

Ich erwachte eines Tages gegen den Abend aus dem matten Schlummer, in welchem ich jetzt [57] immer zu liegen pflegte. Herr Walter saß neben meinem Bette und hielt mit Julchen ein leises flüsterndes Gespräch. Es schien noch ein Drittes gegenwärtig zu seyn, mit welchem sie sich beschäftigten. Ich schlug den Vorhang zurück, und erblickte auf Walters Knien einen kleinen etwa anderthalbjährigen Knaben, der sich an das vor ihm knieende Julchen anschmiegte, und die Liebkosungen, mit welchen sie ihn überhäufte, auf seine Art erwiederte. Ach Ludwig! schrie ich, indem ich mich jähling aufrichtete, ach ja er ists! Geschwind daß ich ihn in meine Arme schließe! Man setzte ihn auf mein Bette, und ich drückte ihn weinend an meine Brust.

Herr Walter war froh, mich weinen zu sehen, er suchte mein Herz noch mehr zu erweichen; er sagte mir tausend rührende Dinge von Hannchen, von dem Zustand ihres armen verlassenen Kindes, von meiner Pflicht ihm Mutter zu seyn, und der Freude die mir seine Erziehung machen würde; es gelang ihm, ich zerschmolz in Thränen, ich konnte nicht aufhören den Kleinen zu liebkosen, der mich mit seinen großen blauen schmachtenden Augen anblickte, dann, als er mich Thränen vergiessen sah, seinen kleinen Mund auch zum Weinen verzog, und sich mit dem Namen Mutter an meinen Hals schmiegte. Nie hat man ein holderes schmeichelhafteres Kind gesehen! Er war schön wie ein Engel, ganz das Ebenbild seiner Mutter. Er sah mich mit Hannchens Blicken an, lächelte mir mit [58] ihrem Munde, und selbst in seiner lallenden Stimme glaubte ich etwas von ihrem sanften liebkosenden Tone zu entdecken. Ich konnte es nicht länger aushalten, ich ließ ihn von mir hinweg nehmen, und forderte ihn eben so schnell zurück.

Ich nahm meine Kräfte zusammen, um einige Anstalten zu seiner Pflege zu machen. Ich wußte nicht, wem von meinen Leuten ich ihn anvertrauen sollte. Ich bat Herr Waltern, doch Charlotten kommen zu lassen, damit sie für ihn sorgen könne; er zuckte die Achseln: Charlotte hatte dringende Geschäfte in ihrem Hause, und ich mußte des andern Tages versuchen aufzustehen, um selbst zuzusehen, daß bey dem Kinde nichts versäumt wurde. Es wurde mir sehr sauer mein Bette zu verlassen, aber meine Kräfte vermehrten sich nach und nach, das neue Geschäft amusirte mich, Liebe und Mitleid gegen das Kind, schlossen mein Herz auch zu andern Gefühlen auf, und Walter frohlockte heimlich, daß es ihm gelungen war mich aus meiner gefährlichen Fühllosigkeit und Unthätigkeit zu reißen.

Jetzt kann ich sie verlassen, sagte er nach einigen Tagen, sie fangen wieder an, einzusehen, daß ihr Leben zum Glück vieler Personen noch sehr nöthig ist. Meine Charlotte soll sie bald besuchen, um sich mit Ihnen über Ihre Wiederherstellung zu freuen, sie hatte nur damals dringende Geschäfte, als es nöthig war, daß sie selbst handelten, um ihre schlafenden Lebensgeister wieder zu erwecken. –

[59] Ich drückte seine Hand und dankte ihm mit der äußersten Nührung für alles, was er für mich that; auch das war dankenswerth, daß er mir den Anblick der Katharines erspart hatte: sie hatte den kleinen Ludwig in eigener Person überbracht, sie hatte mich schlechterdings selbst sprechen wollen, aber er hatte sie so abgefertiget, wie es ihm und ihr zukam, und als sie einige Winke gegeben hatte, daß sie unbezahlt von gewissen Dingen nicht schweigen würde, so hatte er ihr auf eine Art geantwortet, von welcher es sich hoffen ließ, daß sie die Schwätzerinn zu unentgeldlicher Verschwiegenheit bewegen würde.

8. Kapitel. Die Matrone spricht aus einem hohen Tone
Achtes Kapitel
Die Matrone spricht aus einem hohen Tone

Niemand freute sich so sehr über den kleinen Ludwig, als Julchen. Sie war eben in dem Alter, da die Mädchen anfangen sich der Puppen zu schämen, ohne darum die Neigung zu diesem Spielwerk verloren zu haben; nichts ist ihnen zu dieser Zeit erwünschter, als eine lebendige Puppe, ein Kind, in dessen Gesellschaft sie mit Ehren spielen, für das sie auf ihre Art Sorge tragen, und sich dabey ein mütterliches Ansehen geben können. Julchen spielte die gewöhnliche Rolle ihrer Mitschwestern meisterlich. Nie war sie aufgeräumter und [60] liebenswürdiger, als wenn sie Ludwigen zu unterhalten suchte, und nie war ihr Ton ernsthafter und ihre Miene nachdenklicher, als wenn sie mit mir von den Bedürfnissen des Kindes und seiner Pflege sprach, bey welcher sie eine wichtige Person vorzustellen glaubte.

Diese beyden kleinen Leute lehrten mich wieder lachen, und lockten mir zu anderer Zeit Freudenthränen ab. Sie liebten sich unaussprechlich. Ludwig weinte, wenn er seine Spielgesellinn nicht sah, und Julchen dachte an keinen Spaziergang mehr, bat nicht mehr, so wie sie sonst gethan hatte, ich möchte sie doch mit Pfarrers Lorchen umgehen lassen, und achtete keine Freude, wenn nur Ludwig zugegen war.

Meine Freude an dem armen Kleinen, war freylich nicht so rein und unvermischt, als wie Julchens, durch wie vielerley Gedanken an die Vergangenheit und an die Zukunft wurde sie nicht verbittert! und selbst der gegenwärtige Augenblick war in Ansehung seiner nicht an Verdruß und Kummer leer.

Ludwig hieß mein Pathe, aber es war mir nicht verborgen, daß ganz Hohenweiler ihn unter seinem wahren Namen kannte. Das neugierige Julchen war in meiner Krankheit über Hannchens Briefe gekommen, sie hatte oft auch etwas von Walters Gesprächen mit mir über diese Dinge gehört, denn wer kann sich allemal für so einer kleinen Lauscherinn hüten, ich hätte sie in Verdacht [61] haben können, daß sie in ihrer Einfalt etwas gegen die Tochter des Pfarrers ausgeplaudert habe, die sie zuweilen in der Kirche sah, aber ich will lieber glauben, daß Madam Katharines, ungeachtet Walters Drohungen, die Verschwiegenheit gegen ihre Frau Muhme gebrochen habe. So viel war einmal gewiß, daß die Rede aus dem Pfarrhause ausgekommen war.

Der Haß der Hohenweilerischen Frauen gegen mich hatte jetzt seinen höchsten Gipfel erreicht, da er mit einer tiefen, und wie sie meynten, wohlverdienten Verachtung verbunden war: Der Verfall unsers Glücks, das Gerücht von dem Verdacht in meines Mannes Redlichkeit, welcher die Versiegelung der Kasse verursacht hatte, und die böse Rede, welche fast von allen meinen Kindern gieng, berechtigte sie nach ihren Gedanken, zu jeder schimpflichen Begegnung; sie liessen es nicht genug seyn, mich für ihre Person anzufeinden, sie wiegelten auch ihre Männer wider meine Freunde auf, und der Pfarrer kochte Gift und Galle in seinem Herzen wider Waltern, weil ihm seine Frau sagte, daß er ihm ins Amt gegriffen, und Hannchen mit dem Lieutenant vermählt hatte.

Woher doch die Frau alles wissen mochte, was in dem Innersten meines Hauses vorgieng? Sie war in der Gabe der Ausforschung, beynahe der seeligen Madam Haller zu vergleichen, nur daß es ihr an ihrem guten edlen Herzen fehlte.

[62] Täglich bekam ich neue Proben von der Bosheit meiner Verfolgerinnen, sie vereinigten sich mit den beyden alten Herren von Wilteck, die meinem Hause aus verschiedenen Ursachen feind waren, und diese liessen es an keinem Schimpf und Beleidigungen fehlen.

Ich erhielt eines Tages einen in sehr hochtrabenden Worten geschriebenen Brief von des kleinen Ludwigs hochadelichem Grosvater, in welchem mir feyerlich untersagt ward, mich der Ehre zu rühmen, eine Tochter in das Wilteckische Haus verheyrathet zu haben. Ich schickte ihn zurück, nachdem ich folgende Worte darunter geschrieben hatte.

»Ich bin so weit entfernt, diese Sache, deren Wahrheit ich leider nicht leugnen kann, für eine Ehre zu halten, daß ich sie vielmehr als die unglücklichste Begebenheit meines Lebens ewig verschweigen werde, wenn nicht der würdige Gemahl meiner Tochter, den ich unter allen seinen Verwandten allein hochschätze, mich eines Tages zu Aenderung meines Entschlusses bewegen sollte.

H. P. Haller, mit eigner Hand und Siegel.«

Dieß war wohl ein wenig hart, aber ein solcher Brief hatte eine solche Antwort verdient, und sie enthielt über dieses nichts als Wahrheit. – Ich weiß nicht, wie sie aufgenommen wurde, aber die hochadelichen Wiltecke mußten mir wider ihren Willen einen wichtigen Dienst leisten, nehmlich das Gerede von dem unglücklichen Schicksale meiner [63] Tochter und der Herkunft des kleinen Ludwigs zu stillen. Ihr Stolz und mein Gefühl für die Ehre wurde auf gleiche Art durch dasselbe verletzt, und das Gebot, das an die Schwätzerinnen von Hohenweiler ausgieng, hinfort von dieser Sache zu schweigen, schafte mir die Ruhe, die man mir so gern verbittert hätte.

9. Kapitel. Scene des Wiedersehens
Neuntes Kapitel
Scene des Wiedersehens bey einem zärtlichen Ehepaar

Man schafte mir Ruhe, sagte ich? was für ein unschicklicher Ausdruck! Ach die Ruhe schien auf ewig aus meinem Hause geflohen zu seyn! Und wenn ich mich denn ja etwa eine Stunde in Schlummer gewiegt, ja mit Mühe eine traurige Vergessenheit aller meiner Kränkungen erkünstelt hatte, so kam schnell ein Schlag, der mich gewaltsam aufschreckte, und mich alle meine Schmerzen von neuem fühlen ließ.

Wir saßen an einem Abend bey unserer Arbeit und sprachen von gleichgültigen Dingen, der kleine Ludwig war schon zu Bette gebracht, und Julchen bemühte sich, alle die Munterkeit und Laune in unser Gespräch zu bringen, deren sie fähig war; sie war zu jung, um irgend einen Schmerz lange und tief zu fühlen, und dieses machte sie zu der [64] schicklichsten Gesellschafterinn für ihre traurige Mutter. Das Geräusch eines Wagens in unserm Hofe machte uns aufmerksam. Mir schlug das Herz, ich vermuthete die Ankunft meines Mannes, welcher ich längst entgegen gesehen hatte; ob mit Verlangen und Sehnsucht, gebe ich einem jeden zu bedenken. Es konnte mir bey derselben eigentlich nichts erwünscht seyn; einen solchen Mann, wie Herr Haller war, wiederkommen zu sehen, ihn zu solchen Auftritten ankommen sehen, wie sie ihn in Hohenweiler erwarteten, Vorwürfe erwarten zu müssen, daß ich ihn nicht gewarnt hatte, welches in aller Absicht unmöglich gewesen wär, wo konnte da ein Grund zu der geringsten Freude liegen, die uns sonst oft das Wiedersehen eines bloßen Bekannten verursacht. Dachte ich vollends an die Begleiterinnen meines Mannes, so ward mein Schauer vermehrt. Jucunde und Amalie, so verändert, wie ich sie nach Alberts Erzehlung vermuthen mußte, die herrschsüchtige Robignac, und vielleicht gar auch Jucundens neue Freundinn, die lüderliche Ralph; entsetzlich war mir es nur daran zu denken, und ich dachte nicht, daß noch ein größeres Schrecken meiner wartete.

Ich hatte nicht den Muth ans Fenster zu gehen, um die Bestättigung meiner Muthmassung zu holen. Julchen sprang auf, that einen Blick hinaus, rief ihr Vater käme, und flog zur Thür hinaus um ihn zu empfangen. Ich kam ihm an der Thür entgegen und zwang mich, ihn so freundlich [65] zu bewillkommen, als mir möglich war; er stieß mich ungestüm zurück, warf sich in einen Stuhl, und sah mit starrem Blick zur Erde. Julchen, die ihm langsam ins Zimmer nach kam, und vermuthlich keine bessere Aufnahme gefunden hatte als ich, trat in einen Winkel und weinte.

Herr Haller hörte sie schluchzen. Das verdammte Geheul! schrie er, und sprang wütend auf, ist das die Art einen Vater zu empfangen, den man so lang nicht gesehen hat? Ich hieß Julchen hinausgehen, und ihre Schwestern herein führen. Ich weis nicht wo sie bleiben, sagte ich, siehe doch zu, daß ihre Sachen ordentlich hereingeschaft werden, sie werden müde seyn, und können ja nicht vor alles sorgen.

Rede nicht! schrie mein Mann, indem er mich bey der Achsel ergriff, und mich fürchterlich schüttelte; Du weißt, daß Jucunde und Amalie zum Teufel sind, und unterstehst dich, mich durch Nennung ihres Namens zu höhnen? – Ich wiederhohlte die Namen meiner Töchter, und sank fast ohne Besonnenheit auf einen Stuhl. – Ich erholte mich zu einer neuen Frage, die mir vermuthlich auf eben so ungestüme Art beantwortet worden wär, aber ein Ungewitter, das sich von der andern Seite aufzog, vernichtete die Schläge des gegenwärtigen, und öfnete eine neue Scene des Schreckens.

Ohne Zweifel hatte man auf die Ankunft meines Mannes gelauert, um ihm sogleich den Arrest [66] ankündigen zu lassen. Die Deputation, die ich schon einmal zu meinem größten Entsetzen gesehen hatte, trat ein, meldete Herrn Haller, daß, nachdem man schon vor so und so langer Zeit genöthigt gewesen wär, die Kasse zu versiegeln, so würde er sich gefallen lassen, daß man sich bis zur Besichtigung derselben auch seiner Person versicherte. Er fluchte und forderte die Ursach dieses Verfahrens zu wissen. Man gab ihm alle Aufklärung in der Sache, nannte seine Spielsucht, nebst noch einigen Umständen, die verschwiegen wurden, den vornehmsten Grund des Verdachts, und bat ihn sehr, sich nicht durch fernere Weigerung verdächtig zu machen.

Da mein Mann gegen die Macht der Herren die mit ihm sprachen ganz wehrlos war, und sich mit keinem Worte an ihnen vergehen durfte, so war es ja natürlich, daß er seinen Unwillen über mich, die eben so schwach und wehrlos gegen ihn war, ausschüttete. Falsches treuloses Weib! schrie er, und knirschte mit den Zähnen, dieses zu wissen, und mich nicht zu warnen! Fürchte meine Rache, wenn ich je wieder Freyheit erhalte dich zu züchtigen! – Madam Haller hat wie die vernünftige Frau eines sehr unvernünftigen Mannes gehandelt, antwortete einer von den Herren. Sie wurde gewarnt, und hätte sie die Warnung in den Wind geschlagen, so würde sie ohne allen Erfolg ihrer Bemühung, sich in eben solchen Verdacht gestürzt haben, als wie der, mit welchem wir reden, [67] durch sein seltsames Betragen auf sich zieht. So, mein Herr Haller, sie wollten also gewarnt seyn? wollten vielleicht fliehen? Haben sie denn etwas zu fürchten, wenn sie sich unschuldig wissen?

Mein Mann schwieg eine lange Weile, und fragte dann nach dem Amtsverweser. Ihm haben wir unsere besten und sichersten Nachrichten von ihnen zu danken, sagte der Sprecher, und er soll ihnen zu seiner Zeit schon entgegen gestellt werden.

Man bat mich hierauf mit vieler Höflichkeit, das Zimmer zu verlassen, und im Hause hinzugehen, wo es mir beliebte, nur dasselbe auf keine Art zu verlassen. Mein Mann bekam einige Mann Wache, und die Herren empfahlen sich, mit der Nachricht, daß sie morgen gegen den Abend wiederkommen würden, um die Kasse zu untersuchen. Mir ward verboten, mit meinem Manne zu sprechen, und ich lies mir dieses Verbot sehr wohl gefallen. Für ihn arbeiten war besser, als die längsten Gespräche, die ohnedem für mich wohl nicht sehr tröstlich ausgefallen seyn würden.

Ich setze mich hin, um so wie ich mit Waltern verabredet hatte, an ihn zu schreiben, und ihm die Ankunft meines Mannes zu berichten; er hatte mir versprochen in diesem Fall sogleich nebst einem geschickten Rechtsgelehrten zu erscheinen, um die Sache wo möglich ins Reine zu bringen. Meine Gelder von dem Lotterie gewinnst waren auch schon erhoben und in Herrn Walters Händen, so daß ich hoffen konnte, da alle Hülfsmittel bereit waren, [68] Herrn Haller noch einmal zu retten. Was mich zu dieser Rettung bewog, war freylich nicht mehr so wie sonst, zärtliche Liebe; sein Betragen hatte dieselbe längst aus meiner Brust gescheucht: aber er war mein Mann, meine und meiner Kinder Ehre hieng von der Seinigen ab, und ich war noch immer nicht ganz ohne Hoffnung, er könne vielleicht gebessert werden.

10. Kapitel. Ein wahrer Freund
Zehentes Kapitel
Ein wahrer Freund

Nachdem diese Geschäfte abgethan waren, nahm ich mir erst Muße, das ganz zu überdenken, was mich kurz vor der Ankunft der fürchterlichen Herren fast bis zur Ohnmacht erschütterte, und was mich jetzt, da ich mir es von neuem lebhaft vorstellte, fast in den nehmlichen Zustand stürzte.

Amalie und Jucunde waren nicht da, waren wie Herr Haller sich zierlich ausdrückte, zum Teufel; was konnte ich mir bey diesem Ausdrucke vorstellen, und wie sollte ich aus meinen fürchterlichen Zweifeln kommen? Mein Mann war ohne einen einigen Bedienten erschienen, von welchem ich im Nothfall etwas hätte erfragen können; sein Gepäck, das so gering war, als man es kaum auf einer Lustreise braucht, zeigte, er müsse Berlin in großer Eil verlassen haben; mit ihm selbst konnte, [69] durfte und – mochte ich auch nicht reden! – Himmel, was für ein Zustand, was für eine schreckliche Ungewißheit! was für eine fürchterliche Nacht, die nur von der bey Hannchens Sterbebette übertroffen wurde!

Julchen war in derselben mein einiger Trost, sie wachte und weinte mit mir, sie tröstete mich, und zeigte, ungeachtet ihrer Jugend, so viel Verstand in allen ihren Reden, daß ich würklich glauben muß, Unglück mache vor den Jahren klug; das arme Mädchen, was hatte sie nicht binnen kurzer Zeit in meiner Gesellschaft gelitten, und wie gut hatte sie sich in den meisten Fällen bezeigt! zu ihrem Lobe sey dieses geschrieben, damit ihre Enkel es noch lesen, und sich ihrer freuen.

Herr Walter hatte die Ankunft meines Mannes eher erfahren, als ich sie ihm berichten konnte. Mein Brief hatte ihn schon auf dem Wege nach Hohenweiler angetroffen, er hatte ihn gelesen, und seine Reise so beschleunigt, daß er mit anbrechendem Morgen eintraf.

Wie dankte ich diesem treuen hülfreichen Freunde für seine Eilfertigkeit! mir war es, als wären wir schon halb gerettet, da er nur da war, da ich ihm nur alle unsere Sachen von neuem empfohlen, und ihn von allem was sich seit gestern zugetragen unterrichtet hatte. Unsere Unterhaltung war kurz, die Zeit war kostbar, und er eilte zu Herrn Haller, um bey ihm bessere Auskunft über seine Angelegenheiten zu holen, als ich ihm geben konnte. Ich rief ihm nach, mir ja Nachricht von [70] meinen verlornen Töchtern zu bringen; sie lagen mir am meisten am Herzen, das übrige, das ich ohnedem glücklich geendigt zu sehen hoffte, bekümmerte mich weit weniger. Man verweigerte Herr Waltern den Zutritt bey meinem Manne nicht; sein Stand, und sein durchgängig guter Charakter, entkräfteten allen Verdacht eines geheimen Verständnisses mit dem Beschuldigten zum Nachtheil der Gerechtigkeit.

Die Zeit, bis ich Waltern wieder sah, war eine Zeit der ängstlichen Erwartung. Nach einer dreystündigen Conferenz mit meinem Manne erschien er, und war so aufgebracht wider ihn, daß ihm etliche Worte entwischten, die ich nie zuvor und nie nachher aus dem Munde dieses edeln sanftmüthigen Mannes gehört habe.

Unsre Sachen standen schlimmer als ich dachte. Zwey Drittheil von dem was mir das Glück zugewandt hatte, mußten wahrscheinlich darauf gehen, um die Kassendefekte zu ersetzen, und das Dritte war vielleicht kaum hinlänglich, die Ehre meines Mannes durch Mittel zu erhalten, die Herrn Walter nicht ganz gefallen wollten. Einmal war soviel gewiß, daß die Mitwisser des Geheimnisses nicht unbezahlt schweigen würden, was sollte man also thun? Ich bat nichts zu schonen um mich und die Meinigen vor Schimpf zu bewahren, der Rechtsgelehrte, den Walter mitgebracht hatte, demonstrirte, und er mußte endlich schweigen. Ich habe meine Meynung gesagt, sprach[71] er, ich habe bey der Sache gethan was ich konnte, ich lasse ihre Angelegenheiten in den Händen eines geschickten Mannes, und ich bin also nichts mehr hier nütze, sondern ich kehre zurück. – Es giebt ohnedem heute einige Amtsgeschäfte, die ich keinem andern übertragen kann. – Er sah nach der Uhr, berechnete die Zeit, da er wieder zu Hause seyn könne, und sprach, er müsse sogleich abreisen.

Walter! rief ich, sie zürnen, sie zürnen mit mir, die nichts verbrochen hat! – O Madam Haller, sprach er mit seiner gewöhnlichen vielsagenden Miene, wüßten Sie, was mein Herz für Sie und ihre Kinder fühlt! wie es mich schmerzt, daß Sie so alles für einen Unwürdigen hingeben, daß sie vielleicht, ihm zu liebe, gar von den strengsten Begriffen des Rechts, die sie mit mir gemein haben, abgehen müssen, und sich damit doch wohl nichts erkaufen, als Undank, und Verneuerung der alten Scenen! – Sollte ich meinen Mann in seinem Unglück verlassen? fragte ich, sollte ich nicht alles thun ihn zu retten? Thun sie das was ihnen ihr edles Herz eingiebt, sagte er, und sie werden nicht ganz irren können.

Er drückte meine Hand, küßte Julchen, und den kleinen Ludwig, und verließ uns. Ich begleitete ihn. Um Gottes willen, sagte ich, nur noch ein Wort; was haben Sie von meinen Töchtern erfahren. Alles, was ich von Herrn Haller herausbringen konnte, antwortete er, war, daß [72] Amalie sich mit einem Mann ohne Amt und Vermögen, mit eben dem Feldner, den sie aus Alberts Geschichte kennen, eingelassen habe, und mit ihm davon gegangen sey. Jucunde ist in ihres Vaters Hause geblieben, bis den letzten Tag, da unglückliches Spiel, welches ihn um alles brachte, und andere Verdrüßlichkeiten, ihn nöthigten Berlin augenblicklich zu verlassen. Er kam in halber Verzweifelung nach Hause, und machte sogleich Anstalten zur Abreise. Er fragte nach Jucunden, und man sagte ihm, sie sey diesen Morgen mit Mamsell Ralph ausgegangen und noch nicht zurück gekommen, gegen den Abend habe sie ihren Koffer und einige Kleinigkeiten abholen lassen, und Mamsell Ralph, die dabey gewesen, habe ein Kompliment an Herrn Haller bestellt, und Mamsell Jucunde und sie giengen voraus, er möchte bald folgen. Herr Haller, fuhr Walter fort, durfte wie er sagte, nicht auf Jucunden warten, oder sich mit ihrer Nachsuchung abgeben, er reißte ab. – Ach Gott, schrie ich, er reißte ab, und ließ Jucunden, Gott weis in welchen Händen! Was wird aus der Armseligen geworden seyn! – Fassen Sie Muth, ehrwürdige Frau, sprach mein Freund, die Unschuld hat einen Schützer, der sie retten kann. – Unschuld? rief ich, Unschuld und Jucunde? – Madam Haller, sagte Walter, sie müssen, sie müssen sich schlechterdings fassen. Ihre gegenwärtige Lage braucht ihre ganze Aufmerksamkeit. Verschliessen Sie jetzt ihre Augen vor allen andern Dingen. [73] Das Schicksal ihrer Töchter können sie nicht ändern, auch ich kann es nicht, aber daß ich ganz müßig dabey sitzen werde, das trauen Sie doch wohl Ihrem Sohn, Ihrem Walter nicht zu? – Edler, edler Mann! rief ich ihm nach, als er sich von mir losriß und sich auf sein Pferd schwang, o möchte ich das Recht haben, dich Sohn zu nennen!

11. Kapitel. Julchen findet einen Schatz
Eilftes Kapitel
Julchen findet einen Schatz

Dieses war ein trauriger, ängstlicher Tag für mich. Gegen den Abend kamen die Herren zu Besichtigung der Kasse. Der Rechtsgelehrte verfügte sich zu ihnen, und zu Herrn Haller, er bat mich, als er von mir gieng, alles zu hoffen, und zu bedenken, daß wenn ich keine Kosten sparte, alles gut gehen müsse. Dem ohngeachtet ward die Sache diesen Tag noch nicht beendigt. Ein gutes Zeichen schien mir es indessen zu seyn, daß einer von den Herren Deputirten zu mir kam, und sich sehr höflich von mir, in seinem und seiner Gefährten Namen beurlaubte. Er sagte, man hätte unendliche Hochachtung für mich, selbst mein Mann sey gerührt. Die Sache sey auf gutem Wege; freylich ob man nach diesen Vorgängen Herrn Haller nicht lieber rathen müsse, um mehrerer Sicherheit willen die Amtsverwaltung von Hohenweiler [74] aufzugeben, das wär eine nachdenkliche Frage, indessen würden sie morgen mit dem frühesten wiederkommen, und alles ohne Rumor zu Ende bringen. – Der Mann hüllte diese Dinge in einen solchen Schwall von fremden unverständlichen Worten, daß ich nicht daraus hätte klug werden können, wenn mich der Rechtsgelehrte nicht belehrt hätte.

Es war Nacht, als ich' endlich mit Julchen allein war. Sie gab mir eine Arzeney ein, die mir mein Arzt verschrieben hatte, und setzte sich an mein Bette, weil sie, wie sie sagte, etwas wichtiges mit mir zu bereden hätte. Zum Andenken für ihre Enkel, setze ich die Worte des guten Kindes ohne Zusatz hier ein.

Liebe Mutter, sagte sie, sie dürfen nicht denken, daß ich allein müßig und sorglos bey meines Vaters Unglück bin. Hören sie, was ich mir ausgesonnen habe. Ich kann die Geschichte des Ritters von Hohenweiler, die sie mir und Hannchen einmal erzehlten, gar nicht vergessen. Mich dünkt, wir sind jetzt in dem nehmlichen Fall wie Frau Pertcha, als die Kaiserlichen das Schloß belagerten, und Franzen gefangen nahmen, und als Perchta ihrem Gemahl durch den unterirdischen Gang davon half; nun gelang es ihr zwar nicht, aber mein Vater ist auch lange so böse nicht wie Ritter Franz, und Gott wird uns schon helfen.

Ich wollte Julchen unterbrechen, aber sie fiel mir um den Hals und bat mich, sie doch immer [75] ausreden zu lassen, damit sie nicht irre in ihrer Rede würde, auf welche sie den ganzen Tag gesonnen habe, um sie recht ordentlich vorzubringen.

Ich weiß wohl was sie sagen wollten, liebe Mutter, fuhr sie fort, sie wollten mir einwenden, daß der gewölbte Gang, der bis zu Sankt Peters Stelle führt, wahrscheinlich längst verfallen wär, aber nein nein, das weiß ich besser. Sie sind so gütig gewesen, und haben mir den Keller in meine Aufsicht gegeben, wenn ich nun so manchmal da unten war, und die Geschichte vom Ritter Reutlingen fiel mir ein, so trieb mich die Neugier, alle Winkel durchzusuchen, ob ich nicht irgend etwas finden könnte, das eine Beziehung auf die alte Geschichte hätte, und da fand ich eines Tages eine Thür, die in einen gewölbten Gang führte, der so hoch wie eine Kirche war, und in einem so abgelegenen Winkel stack, daß sie gewiß nie etwas davon gesehen haben.

Mädchen, unterbrach ich sie, du hättest den Muth gehabt, in einem finstern Keller, allein herumzuirren, um neue Entdeckungen zu machen?

Ja, liebe Mutter, sagte sie, nun so zur Uebung. Sie beschämten mich einmal in Hannchens Gegenwart, und sprachen, ich hätte nicht so viel Muth des Nachts allein in den Garten zu gehen; von der Stunde fieng ich an, mich zu bessern, und ich habe es nach und nach so weit gebracht, daß ich bey Tag und bey Nacht, mit Licht und im Finstern in den Keller gehen will, ohne den kleinsten [76] Schauer zu fühlen. Ich bin eines Tages so weit in dem Gange gewandert, so weit, daß ich gewiß glaube, ich würde endlich den Ausgang bey der Säule gefunden haben, wenn mir nicht mein Licht ausgegangen wär, und ich also den Rückweg hätte suchen müssen. Im Finstern? wollte ich fragen, aber sie sprach von der Sache mit so viel Gleichgültigkeit, daß ich Bedenken trug, ihr durch Bezeugung einer Verwunderung merken zu lassen, daß sie etwas besonders gethan habe.

Nun, sagte ich, mein Kind, das ist alles ganz gut, wiewohl unnützer Vorwitz allemal ein Fehler bleibt, aber ich sehe noch nicht, was du damit haben willst.

Wenn wir nun, fuhr sie fort, meinen Vater durch diesen Gang heimlich davon führen könnten, so wär er ja auf einmal allem entgangen, was ihm diese bösen Leute vielleicht anthun können!

Julchen, sprach ich, ich sehe, du meynst es herzlich gut, aber wir würden, wenn wir deinen Plan ausführten, deinen Vater nur noch unglücklicher machen. Ich will dir ein Exempel sagen, damit ich dir es beweisen kann. Du führtest vorhin an, daß ich dich zu meiner Kellnerinn gemacht habe; wenn ich nun einmal in meinen Keller käm, und ich fänd, daß hier Boutellien und hier ganze Fässer fehlten, ich kostete meinen Wein und er wär sauer und verdorben, und ich fänd an einigen Orten nichts als Unreinlichkeit und zerbrochene Scherben. Wo ist meine Kellermeisterinn [77] Julchen? würde ich fragen. Und ich, sprach die Kleine würde sogleich da seyn, und Rechenschaft geben, daß ich an allen diesen Dingen unschuldig wär, denn gewiß, liebe Mutter, sie können glauben, daß ich sehr gute Ordnung halte. Wenn du nun aber nicht da wärest, fuhr ich fort, und jedermann sagte, du wärest entflohen, würde ich denn nicht glauben, du hättest meinen Wein getrunken, und ihn muthwillig verderben lassen? du fürchtetest dich für der Untersuchung und wärest geflohen, weil du dich nicht getrautest deine Unschuld zu behaupten? – Nein, mein Kind, ein Unschuldiger flieht nicht. Man hat einen bösen Verdacht auf deinen Vater, und du, als ein gutes Kind, wirst nicht zweifeln, daß er sich rechtfertigen kann; wenn wir ihn nun aber diese Nacht durch Reutlingens unterirdischen Gang davon führen, so steht sein Name morgen in allen Zeitungen als der Name eines Verbrechers, und seine Ehre ist auf ewig dahin.

Julchen ward sehr nachdenkend über das, was ich ihr sagte. Als Perchta, fieng sie endlich wieder an, ihren Gemahl nicht heimlich davon führen konnte, so wünschte sie wenigstens an Sankt Peters Stelle für ihn zu beten; ach Gott, ich betete gern für meinen Vater an diesem Orte, wenn ich wüßte, daß es hülfe, denn mir ist sehr angst für ihn, und ich fürchte, daß man ihn tödten wird; sie rang bey den letzten Worten ihre kleinen Hände und fieng so heftig an zu weinen, daß ich mich vergebens bemühte, sie zu trösten.

[78] Lege dich zu Bette, mein Kind, sagte ich, nachdem sie ein wenig ruhiger ward. Bete du für deinen Vater auf deinem Zimmer, das übrige sind Schwärmereyen. Ich werde dir nie wieder ein Märchen erzehlen, wenn du dir die seltsamen Dinge, die darinnen vorkommen, so fest in den Sinn setzen willst, als wenn sie wahr wären.

Ich hängte meinen Worten noch einigen Trost wegen ihres Vaters an; ich versicherte sie, daß man ihn nicht tödten, und daß er bald wieder frey seyn würde.

Sie legte sich schluchzend nieder, warf sich noch lange unruhig hin und her, und wiederholte, als sie endlich einschlief, im Traume oft Reutlingens und ihres Vaters Namen. Endlich bemächtigte sich der Schlaf auch meiner. Die Arzeney, die ich des vorigen Abends genommen hatte, und die, wie mir der Arzt sagte, ein Beruhigungsmittel war, mußte etwas einschläferndes enthalten haben, denn ich schlief so sanft und fest, als bey meiner damaligen Verfassung sonst nicht möglich gewesen wär.

Erst der hohe Tag erweckte mich. Man sagte mir, die Herren von der Deputation wären schon vorhanden, und forderten etliche Bouteillen Wein zum Frühstück. Ich befahl Julchen zu rufen, und vermuthete, als man sie nicht fand, sie würde schon hinab gegangen seyn, das verlangte zu holen. – Ich schickte ihr nach; man kam zurück, und sagte, man habe den Keller offen gefunden, aber nichts von Julchen gesehen.

[79] Ich erschrack, doch suchte ich mein Schrecken zu verbergen, versorgte eilig meine durstigen Gäste, entfernte jedermann von mir, und schickte mich denn an, eine Untersuchung anzufangen, vor welcher mir bange war. Ich dachte an Julchens Gespräche von gestern Abend, ich kannte ihren Vorwitz, und ihren Hang zu dem, was man Schwärmerey nennt, ein Ding, das ihr zwar noch nicht dem Namen nach bekannt war, wozu sie aber schon frühzeitig solche Anlagen zeigte, die einer F... und A... Ehre gemacht haben würden. Das Gebeth an Sankt Peters Stelle, und die Angst des armen Mädchens, für ihres Vaters Leben, fiel mir ein. Der Keller war offen gefunden worden, Julchen hatte den Schlüssel; gewiß war sie hinab gegangen, und was mußte ich fürchten, da sie noch nicht wieder zurück war!

Ich eilte hinunter. Ich suchte sie in allen Gewölbern ohne sie zu finden, ein Handschuh von ihr, den ich auf der Erde fand, zeigte mir, daß sie würklich da gewesen war. Meine Angst vermehrte sich. Ich suchte weiter, und fand endlich die Thüre, von welcher sie mir gesagt hatte, und welche ganz offen stand. Ich stieg zehn Stufen tiefer hinab, und befand mich nunmehr in einem hohen gewölbten Gange, wie Julchen mir ihn beschrieben hatte, welcher den Schall meiner Tritte fürchterlich aus allen seinen Vertiefungen zurück gab. Ich gieng eine lange Weile; ich rief Julchens Namen; nichts antwortete mir, als der Wiederschall. Ich ward [80] immer ängstlicher, ich achtete nicht mehr auf den Weg, und ehe ich mich es versah, stolperte ich über etwas, das mir vor den Füßen lag, und sank zu Boden. Mein Licht war verloschen, ich griff nach dem worüber ich gefallen war, und bald überzeugte mich mein Gefühl, daß es Julchen war, die ausgestreckt auf dem Boden lag, und ganz steif zu seyn schien. Ich erhob ein fürchterliches Geschrey ich schüttelte sie, ich richtete mich auf, und bemühte mich, auch sie in die Höhe zu bringen. Meine Bemühungen, sie zu sich selbst zu bringen, waren nicht vergebens; sie erholte sich, und warf sich als sie mich an der Stimme erkannte, um meinen Hals.

Ach, rief sie mit ängstlichem Ton, sind wir denn noch in dem fürchterlichen Keller? Ach und es ist so finster! O Mutter, wie übel ist mir mein Vorwitz bekommen! Hast du Schaden genommen? fragte ich. Ach nein Mutter, sagte sie, blos der Schrecken hat mich so betäubt. Wir wollen doch gleich fortgehen, ich will gern alles im Stiche lassen, was ich gefunden habe.

Schwärmst du noch? sprach ich in unwilligem Tone. Komm, komm, wir wollen suchen uns im Finstern heraus zu finden, und ich will mich unterwegens besinnen, was ich so einem großen, klug seyn wollenden Mädchen für eine Strafe auflegen muß, daß sie durch ihren kindischen Vorwitz, sich und ihre Mutter hätte ums Leben bringen können. Julchen sagte nichts zu ihrer Vertheidigung, und [81] bat mich nur, sie voraus gehen zu lassen, weil sie den Weg besser wisse als ich.

Es währte nicht lange, so kamen wir wieder an die Stufen, welche aufwärts in unsern Weinkeller führten, und von da ward es uns sehr leicht den Weg in die Oberwelt wieder zu finden.

Wir waren nicht so bald in meinem Zimmer, als sich Julchen mir zu Füßen warf und mich mit tausend Thränen um Verzeihung bat. Ach ich zittere, schrie sie, wenn ich bedenke, was noch weiter hätte erfolgen können; nicht weit von dem Orte wo sie mich fanden, gehen noch etliche Stufen abwärts, und wenn sie nun diese verfehlt hätten, und hinab gestürzt wären!

Nachdem unser Friede wieder gemacht, und ich gänzlich außer Sorgen war, daß sie keinen Schaden genommen hatte, nahm ich sie ernstlich vor, und fragte sie, was ihr geträumet hätte, sich, wie ich vermuthen müßte, in der Nacht, ohne alle Ursach in den Keller zu begeben. – Ja wohl geträumt, sagte sie, mir träumte die ganze Nacht nichts als vom Ritter Reutlingen, und Sankt Peters Stelle, endlich wars als wenn ich an diesem Orte wär, und für meinen Vater betete, und auf einmal stand er ganz frey und so freundlich an meiner Seite, als ich ihn lange nicht gesehen habe. Ich wachte auf, und es war ein Traum. Ich weinte sehr, und schlief von neuem ein; da sah ich meinen armen Vater, ganz im Blute schwimmend vor mir liegen, und Frau Perchta, die bey mir stand, [82] sagte, ich hätte ihn retten können, wenn ich für ihn an Sankt Peters Stelle gebethet hätte.

Mit Schrecken fuhr ich aus dem Schlafe auf, und Erwachen, Aufstehen, das Licht nehmen, und das Zimmer verlassen, war eins. Ich wundere mich, wie es möglich ist, daß sie nicht erwacht sind, denn ich war so außer mir, daß ich nichts schonte, und alles mit großem Geräusch that. –

O Julchen, Julchen, sagte ich, mir ist bange um dich; was wird in der Zukunft aus so einer Träumerinn werden? ein schwacher Verstand und eine feurige Einbildungskraft sind ein paar fürchterliche Gesellschafter; wer nicht bey Zeiten den ersten zu stärken und die andere zu bändigen sucht, für den ist ein Platz in jenen Häusern aufgehoben, – du verstehst mich, – doch fahre fort.

Ich befand mich, erzehlte sie weiter, in dem unterirdischen Gange, ohne selbst zu wissen, wie es zugieng. Ich fragte mich, was ich hier wollte, mein Traum fiel mir wieder ein, und ich setzte meinen Weg weiter fort. Ich wollte und mußte den Ausgang bey St. Peters Stelle finden, und o wie herzlich würde ich daselbst für meinen Vater gebethet haben! Ich war nach meiner Rechnung an dem Orte, wo der Ausgang seyn mußte.

O wie schlecht kannst du die Weite des Weges berechnen, sagte ich, wenn du den Ausgang an dem Orte hast finden wollen, da du lagst, daselbst kann kaum die Helfte des unterirdischen Ganges zu Ende seyn, von dem die Sage etwas meldet.

[83] Wohl möglich, fuhr Julchen fort, aber weiterhin waren solche tiefe düstre Nebenhölen, vor welchen mir, so viel Muth ich auch gefaßt hatte, die Haut schauerte; überdieses sahe ich etwas in der Mauer, das einer Thüre glich, und ich glaubte nun auf dem rechten Wege zu seyn, und nichts weiter nöthig zu haben, als sie zu eröfnen. Ich schlug mit dem großen Kellerschlüssel an dieselbige, sie war von morschem Holze, und sprang sogleich auf.

Anstatt des gehoften Ausgangs aufs freye Feld, fand ich ein Behältniß mit Fächern, welches bis auf einen kleinen irdenen Krug, der auf dem untersten Regale stand, ganz leer zu seyn schien; ich konnte mich nicht enthalten hinein zu sehen, und wollte eben einen Freudenschrey über einige glänzende Medaillen, die ich darinnen erblickte, ausstossen, als eine Bewegung, die ich etwa machte, eins von den obern Regalen, auf welche hinauf zu sehen, ich zu klein war, erschütterte, so daß alles, was es enthielt, zu mir herabkam. Ich bekam einige nachdrückliche Stöße; ich sah mich nach dem um, was mich verletzt hatte, und der Anblick eines scheuslichen Todtenkopfs, stürzte mich in den Zustand, in welchem sie mich gefunden haben. – – Hier schloß Julchen ihre nächtliche Geschichte.

Ich schüttelte den Kopf zu der seltsamen Erzehlung, und die Erzehlerinn, welche wohl merkte, daß ich noch glaubte einen Traum zu hören, bat mich ich möchte nur noch einmal mit ihr hinabkommen, [84] um mich selbst von der Wahrheit dessen, was sie sagte, zu überzeugen. Ich hielt es nicht für gut, dieses zu thun, oder sie eher von mir zu lassen, bis ich ihr meine Gedanken über diesen Vorgang nochmals gesagt hatte. Der guten Lehren waren viel, die ich ihr bey dieser Gelegenheit gab, und ich bemühte mich, sie mit solchem Ernst vorzubringen, daß ich hoffen konnte, sie würden einigen Eindruck machen. Für mich selbst aber zog ich in der Stille auch eine Lehre von Wichtigkeit aus diesem Abentheuer; nehmlich, wie behutsam die Märchenerzehlerinnen zu verfahren Ursach haben; alle junge Personen haben einen Wohlgefallen an abentheuerlichen Geschichten, aber wie verschieden ist der Eindruck, den dergleichen Dinge auf diese Art von Zuhörern haben! Ich erzehlte mein Märchen zwo jungen Mädchen von ganz verschiedenem Alter und Gemüthsart, aber ich hatte nicht Ursache mich bey einer von beyden, der Würkungen desselben sehr zu erfreuen.

12. Kapitel. Wiederkehrendes Ehestandglück
Zwölftes Kapitel
Wiederkehrendes Ehestandglück

Ich würde vielleicht Julchens Bitten, mit ihr nochmals in den Keller zu kommen, nachgegeben haben, wenn nicht ein Auftritt von ganz anderer Art, sich mir eröfnet und alle meine Gedanken auf wichtigere Gegenstände geleitet hätte.

[85] Die Thüre ward aufgerissen; mein Mann stürzte herein. Er warf sich mir um den Hals, und schrie: o Weib, derengleichen es auf der Welt nicht geben kann! ich bin frey, frey durch dich, und das fürchterlichste Unglück befalle mich, wenn ich je deine Güte misbrauche! – Noch war mir es unmöglich, seine Liebkosungen zu erwiedern, ich faßte seine Hände, und sah ihn mit einem steifen forschenden Blicke an, den er wohl zu verstehen schien. Ich weis was du sagen willst, sprach er, aber wenn ich dir jemals das vergesse, was du in diesen Tagen an mir gethan hast, so soll – – Halt ein, unterbrach ich ihn, wozu brauchst du Betheurungen bey derjenigen, welche so geneigt ist, dir auf dein bloßes Wort zu glauben? – Julchen, umarme deinen Vater, du siehst er ist nun frey, und deine frommen Wünsche sind erhört. Julchen umfaßte seine Kniee und badete seine Hände mit ihren Thränen, er beugte sich zu ihr herab, und begegnete ihr so liebreich, daß mein ganzes Herz dadurch bewegt ward.

O Albert! rief ich, und drückte seine Hand, wärs möglich, daß wir noch einmal mit einander die alten glücklichen Tag sehen könnten?

Der Rechtsgelehrte trat in diesem Augenblick ein, und endigte diese Scene der Zärtlichkeit und Versöhnung. Er blieb diesen Tag bey uns. Wir sprachen den ganzen Abend von der Art, wie die verdrüßliche Sache beygelegt worden war; Dinge welche zu sehr mit der Hohenweilerschen Amtsverfassung [86] zusammen hiengen, und mir selbst in vielen Stücken zu unverständlich waren, als daß sie sich gut wiederholen ließen.

Wir dankten und lohnten unserm Freunde wie es sich gebührte, und er verließ uns. –

Nun war ich mit meinem Manne wieder allein; unser Ehestand fieng sich gleichsam von neuem an, und eine ganz neue Epoche meines Lebens begann. Freude und Dank füllten unsere Gespräche in den ersten Tagen aus, nach und nach, als wir auf unsere verlornen Kinder zu reden kamen, wurden unsere Unterhaltungen weniger angenehm. Ich fragte nach Amalien und Jucunden; ich wollte umständlichere Auskunft über ihr Schicksal haben, und ob ich mich gleich bemühte, allen Ton des Vorwurfs zu vermeiden, so war doch schon die bloße Nachfrage ein Vorwurf für ihn. Er bat mich, ihn nicht an vergangene Dinge zu erinnern, und ein paar ungerathene Töchter ihrem Schicksal zu überlassen. Viel lieber, möchte ich dich fragen. fuhr er fort, wie wir um Hannchen gekommen sind; es gehen wunderliche Gerüchte von ihrem Tode.

Ich fühlte wohl, daß dieses Erwiederung meines vermeynten Vorwurfs seyn sollte, aber ich hielt nicht für gut es zu ahnden. Ich erzehlte ihm die Sache ganz plan und ohne Bemäntelung, und belegte sie mit dem Briefe der Verstorbenen. Ich stellte ihm Ludwigen als seinen Enkel vor; er machte ihm einige Liebkosungen, nannte ihn einen schönen Jungen, und sagte, er würde ihn lieben, [87] wenn er nicht in die Wilteckische Familie gehörte. Die verdammten Wiltecke! fuhr er fort, sie kamen nach Berlin, wie sie sagten, mich abzuholen, aber sie legten die letzte Hand an mich, mich so ganz auszuziehen, wie ich hier angekommen bin. Sie sind mit meinem Raube davon geschlichen, und werden sich wohl nie wieder in dieser Gegend blicken lassen, sonst wollte, sonst müßte ich eine in die Augen fallende Rache an ihnen nehmen.

Vergiß das Vergangene, mein Albert, sagte ich, und frage mich lieber nach deinen andern Kindern, vielleicht daß ich dir etwas Angenehmes von ihnen sagen kann. – Gewiß von Peninnen? fragte er mit einem Blick, den ich ihm nicht verzeihen konnte. Peninna ist wohl, wie ich hoffe, sagte ich, aber weist du, daß Samuel lebt? daß das Gerücht von seinem Tode falsch war? Samuel? sprach er mit gleichgültiger Miene; wenn ich lieber von meinem Albert etwas hören sollte. Das war ein verzweifelter Junge! Da hatte er in Berlin eine Ehrensache, die schlimmer hätte ablaufen können, wenn der Kerl, den er verwundete, todt geblieben und er nicht entflohen wär.

Es war viel in den Reden meines Herrn Gemahls, das mir misfiel, aber ich übergieng es mit Stillschweigen, und gab ihm die Nachricht, die er verlangte. Alberts Rettung erfreute ihn so sehr, als ihn sein Entschluß, nach Amerika zu gehen betrübte. Der dumme Junge, sagte er, hätte hier bleiben und mein Amtsverweser werden können.

[88] Von Samuelen sagte er sehr spöttisch, er hätte wohl gethan in die neue Welt zu gehen, er möchte nun dort Heiden bekehren, oder Reichthümer sammeln wollen; im ersten Falle, sagte er, wird ihm die Märtyrerkrone nicht entstehen, und im andern wird er ohne Zweifel so viel vor sich bringen, daß er uns noch einmal in die ehemaligen glänzenden Umstände versetzen kann.

Die Wendung, die dieses Gespräch nahm, war mir zu anstößig, als daß ich es nicht hätte abbrechen sollen. Ich schwieg und vermied in der Folge alle Gelegenheit, von solchen Dingen zu sprechen. Nur einer Frage nach der Robignac konnte ich mich nicht enthalten; die Antwort fiel sehr kurz und unvollständig aus; es schien, es kostete Herrn Haller einige Ueberwindung, zu gestehen, daß er sich auch in dieser Person geirrt habe, daß er in derjenigen, die er mir in der Erziehung meiner Kinder vorzog, die Verführerinn derselben, daß er in ihr eine falsche Freundinn fand, die ihn bey dem ersten Anschein des widrigen Glücks verließ, und ihre Untergebenen dem Unglück preis gab.

13. Kapitel. Gute Nacht Hohenweiler
Dreyzehntes Kapitel.
Gute Nacht Hohenweiler

Daß Herrn Hallers Herz nicht gebessert, daß es bey weitem nicht einmal dasjenige mehr war, wie [89] ich es in den ersten Jahren unserer Verbindung gekannt hatte, das war ausgemacht; indessen bildete ich mir doch ein, in seinem Aeußerlichen eine glückliche Aenderung zu finden. Gelegenheiten unangenehme Dinge aus seinem Munde zu hören, gab es genug, aber es war mir doch möglich, ihnen auszuweichen. Gegen Julchen war er bey weitem kein zärtlicher Vater, und Ludwig bekam von ihm wenig freundliche Blicke, aber es gelang mir doch, wenn ich sie zu gewissen Zeiten aus seinen Augen entfernte, öffentliche Ausbrüche eines unverschuldeten Zorns zu verhüten. Zudem dachte er an kein Spiel mehr, denn seine Verführer die Wiltecke hatten unsere Gegend verlassen, und was das allerbeste war, er nahm sich seines Amts mit einem Eifer und einer Genauigkeit an, wie man nur von einem Manne erwarten kann, den das Unglück gewitziget hat, und welcher Verlangen trägt, vergangene Fehler vergessen zu machen. Daß er keinen Gehülfen in seinem Amte mehr hatte, war ihm ebenfalls ein großer Vortheil.

Ich fieng nun an, mein Haupt wieder zu erheben, und ich denke noch daran, mit was für einem Triumph ich den ersten Sonntag nach Beylegung der unglücklichen Sache, mit Julchen zur Kirche gieng. Schade war es, daß der Herr Pfarrer, ich weiß nicht ob von ohngefehr, über den Text predigte: Rahel weinte über ihre Kinder, und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen; und aus denselben, die Thränen[90] unglücklicher Eltern über verwahrloßte Kinder vorstellte. – Was für eine Betrachtung für mich! meine triumphierende Miene sank zur tiefsten Wehmuth herab, mein Julchen, auf die ich stolz war, erinnerte mich an ihre verlohrnen vier Schwestern, und ich war nicht im Stande dem gaffenden Blicke der Pfarrerin so zu begegnen, wie ich mir vorgenommen hatte.

Ich war den ganzen Tag traurig, und wie ich schon mehr gemerkt habe, – ihr wißt, daß ich etwas auf Ahndungen halte – diese Traurigkeit bedeutete mir nichts Gutes. Noch an selbigem Abend bekam ich Briefe von Herrn Waltern, daß alle seine Bemühungen, Nachricht von Jucunden und Amalien zu erhalten, fruchtlos gewesen wären; auch von Peninnen hätte er nichts erfahren können, als daß sie in Wien noch in dem Hause des Regierungsraths in großem Ansehen lebte. – Was für eine zweydeutige Rede! bey wem war sie in Ansehen? bey dem Herrn, oder bey der Frau? – Doch Peninna, ich traute auf deine Tugend! – Am Rande von Walters Brief, stand noch dieses, er habe eben erfahren, daß Amalie Feldnern geheurathet hätte.

Die traurigen Posten des Sonntags, wurden am Montage mit noch schlimmern vermehrt. – Mein Mann ward vor seine Obern gefordert, und bedeutet, man habe einige Ursachen zu wünschen, daß er seine Amtsverwaltung niederlegen möchte; Ursachen, nach welchen ihm zu rathen wär, nicht [91] gar zu eifrig zu fragen. – Doch gedächte man nicht, ihn vom Amte zu treiben, sondern man wollte ihm nur sagen, daß sein voriger Amtsverweser gesonnen sey, das Amt zu pachten, und daß seine Bedingungen vortheilhafter wären, als die seinigen; er möchte daher bey sich überlegen, ob er im Stande wär, ihn zu überbieten.

Ganz trostlos kam mein Mann nach Hause. Wir erwogen die Sache mit einander, und die Liebe zu Hohenweiler, machte, daß wir uns entschlossen, über Vermögen zu thun, um nur nicht von dem geliebten Orte getrennt zu werden.

Herr Haller trug seinen Entschluß vor, aber er war nicht hinlänglich, ihn bey seinem Amte zu erhalten, denn leider fand sich noch ein Dritter, welcher sich erbot noch höhern Pacht zu zahlen, und also meinen Mann und seinen Nebenbuhler, den Amtsverweser, beyde verdrängte.

Fast rasend sah ich meinen Mann nach diesem Vorgange in mein Zimmer treten; nur mit gebrochenen Worten konnte er mir sein Unglück entdecken, er schäumte vor Wuth, und sank fast ohnmächtig auf einen Stuhl nieder. So tief ich auch diesen Streich des Schicksals fühlte, so kam mir doch meines Mannes Betragen bey demselben, übertrieben vor. Ich tröstete ihn so gut ich konnte, und fragte endlich nach dem Namen unsers Nachfolgers. Ach sagte er, wenn du diesen Namen, diesen abscheulichen Namen hören wirst, dann wirst du mir den Zustand, in dem du mich[92] siehst, nicht mehr verdenken. Katharines, der Erbfeind deines Hauses, denn dir habe ich diesen Störer meines Glücks zu danken, Katharines ists, der mich von meiner Stelle stößt.

Katharines? wiederholte ich, nun wohl, gleichgültig ist es mir nicht, diesen Menschen uns überall im Wege zu finden; indessen wenn er das leisten kann, wozu er sich anheischig macht, so sehe ich nicht, warum ich ihm nicht das Amt zu Hohenweiler, so gut gönnen sollte, als einem andern.

Ha der Verräther, schrie er, ich, ich selbst habe ihn in den Stand gesetzt, mich zu verdrängen. Er ist jetzt reich, und ich bin ein Bettler; ihm ward das Glück zu theil, das mir bestimmt war! rasend, rasend möchte ich werden, wenn ich mir das denke!

Ich forschte den räthselhaften Reden meines Mannes weiter nach, und erfuhr – Himmel, kaum kann ichs sagen; ich fühle wohl, meine philosophische Verachtung der Reichthümer ist noch nicht gros genug, um bey allen Streichen des Glücks gelassen zu bleiben. Ihr werdet euch noch des englischen Looses erinnern, welches mein Mann thöricht genug war zu verkaufen. Unser Herr Pfarrer drang es ihm damals, weil er sahe, daß er Geld brauchte, für eine Kleinigkeit ab; er hatte Kommission von seinem Vetter Herrn Katharines, ihm ein Loos in der nehmlichen Lotterie zu verschaffen. Es reute meinen Mann bald hernach, er suchte vergebens, sein Loos wieder zu bekommen, und er warf einen bittern Haß auf denjenigen, [93] der ihn um seine Anwartschaft auf ein zweifelhaftes Glück gebracht hatte. Nun stelle man sich vor, wie ihm zu Muthe seyn mußte, als er jetzt erfuhr, daß dieses Loos, das er so lüderlich verschleuderte, Herrn Katharines in den Besitz von zehn tausend englischen Pfund gesetzt hatte; ein Glück, das dieser Schleicher, der Himmel weis aus welchen Ursachen, bisher verborgen hielt.

Ich schwieg, nachdem ich diese Erzählung endlich ganz aus meines Mannes Munde erpreßt hatte; Herr Haller schwieg auch, aber unser Schweigen war die Hülle des tiefsten Schmerzes, der sich denken läßt. Ich war nicht geitzig, wie ich hoffe, aber ich hatte Kinder; konnte ich es gleichgültig ansehen, daß uns das, was uns die Vorsehung bestimmt zu haben schien, so recht aus den Händen gerissen wurde? – Auch mein Gewinnst war in der Luft verflogen, die Absichten meiner guten Tante waren vereitelt, und ich und die Meinen schienen dazu bestimmt zu seyn, wenn das Glück vor unsern Füßen lag, viel eher die darnach ausgestreckte Hand zu verlieren, als es erreichen zu können.

Ich ziehe einen Vorhang über die Wuth meines Mannes, bey diesem traurigen Vorfall; er schien wirklich in Gefahr zu seyn, den Verstand zu verlieren, und ich mußte für ihn zittern, wenn ich an die Zukunft dachte. Wir mußten Herrn Katharines weichen; seine würdige Gemahlinn hatte Mittel gewußt, sich mit ihm auszusöhnen, [94] sie machte sich oft Gelegenheit nach Hohenweiler zu kommen, um sich ihre neue Wohnung zu besehen, und ich mußte es also auch noch erleben, daß meine alte Feindinn, die Verführerinn meiner Tochter, über mich triumphirte, und meinen bisherigen Platz in meiner ruhigen Wohnung einnahm.

Wir verliessen Hohenweiler, und Julchen vergas nicht, mich den Tag vor unserer Abreise noch in den unterirdischen Gang zu locken, welches bisher durch andere Dinge war verhindert worden. Sie hatte ihren gefundenen Schatz liegen lassen, wie sie ihn fand, oder vielmehr wie er durch ihren Fall in Unordnung gebracht worden war; ein kleines zertrümmertes irdenes Gefäß mit einigen hundert umhergestreuten alten Gold- und Silberstücken, ein Todtenkopf und etliche menschliche Rippen und Schulterknochen, eine verloschene Lampe und ein Schnupftuch, das das erschrockene Mädchen auf der Stelle hatte liegen lassen, dieß war es was wir fanden. – Sehen sie, liebe Mutter, sprach die Kleine, daß ich nicht träumte! Ich schüttelte den Kopf, und konnte mich nicht enthalten, das ganze Behältniß in der Mauer zu untersuchen; ich fand nichts als noch etliche wenige Goldstücke, und einige Todtenbeine. – Julchen bat um Erlaubnis, ihren Schatz ihrem Vater bringen zu dürfen. Er ist so traurig, sagte sie, vielleicht wird ihn das freuen. Er nahm es an, aber es freute ihn nicht, vielmehr stürzte ihn der [95] Gedanke, ein Haus verlassen zu müssen, in dessen Keller ein Schatz gefunden worden war, vollends in Verzweifelung; er konnte sich die Möglichkeit nicht ausreden, es könnten hier noch mehrere Schätze verborgen seyn, um die er nun gebracht würde.

14. Kapitel. Ein irrendes Fräulein
Vierzehntes Kapitel
Ein irrendes Fräulein

Wer kann sich die traurige Lage eines Mannes, der mit einem auf solche Art zerrütteten Gemüth, mit einem von solchen Hirngespinnsten erfüllten Kopf, in eine müßige Einsamkeit geht, wer kann sie sich schrecklich genug vorstellen! Wir bezogen unser geliebtes Traußenthal von neuem, aber es war mir nicht mehr der paradiesische Ort wie vormals. Die Geister meiner abgeschiedenen Freunde, der Schatten meines verstorbenen Vaters, und meiner hier gebohrnen nun verlornen Kinder, begegneten mir auf allen Schritten. Meine Gesellschaft bestand aus einem mürrischen oft halb wahnsinnigen Manne, aus einem jungen Mädchen, das ich liebte, und um deren trübe, so elend zugebrachte Jugend ich trauten mußte, und aus einem heranwachsenden Knaben, dessen aufblühende Schönheit, dessen himmlisches Lächeln, nicht die Kraft [96] hatte ihn für übler Begegnung zu schützen, oder das harte Herz seines Hassers zu erweichen. Wer kann mir sagen, welcher von diesen dreyen Gegenständen meines Kummers, meine Seele am tiefsten verwundete?

Gab es ja noch etwas, das mir in dieser Verfassung, Trost und Linderung seyn konnte, so war es Walters und Charlottens Gesellschaft; wir sahen uns fast täglich, und ob gleich Herr Haller wenig Geschmack an ihnen zu finden schien, so gab es doch Stunden, in welchen er selten zum Vorschein kam, und wir sicher seyn konnten, daß wir von seinen finstern Blicken nicht in unserer Ruhe gestört wurden.

In einer von diesen süßen seligen Stunden war es, daß sich eine Begebenheit zutrug, welche mich eine Person kennen lehrte, die in der Folge einen wichtigen Einfluß auf mein Glück hatte, und die auch jetzt schon mehr in die Schicksale der Meinigen verflochten war, als ich denken konnte.

Ein Fräulein von Vöhlen ließ sich bey mir ansagen. Von Vöhlen? wiederholte ich, nie habe ich diesen Namen gehört. Mir klingt er sehr bekannt, sprach Walter, ich dächte Charlotte, fuhr er fort, indem er sich zu seiner Gattinn wandte, die gegenwärtige Besitzerinn des Guts, das dir einmal bestimmt war, wär uns Fräulein von Vöhlen genannt worden. Sie müssen wissen, Madam Haller, setzte er hinzu, daß uns vor einiger Zeit die Akten von der Endigung dieses Prozesses [97] vorgelegt wurden, und daß wir eine nochmalige feyerliche Entsagung von allen Rechten, auf das streitige Gut von uns geben musten. Wir gaben sie von Herzen gern, unser alter Freund Samuel, hatte uns längst die Augen über die Unrechtmäßigkeit unserer Ansprüche geöfnet, und so sehr man sich auch von verschiedenen Seiten bemühte, uns zu bewegen, die Sache noch mehr zu verwirren, indem wir uns in den Rechtshandel mischten, so hielten wir doch für gut, ganz still dabey zu sitzen, und ich denke, wir thaten recht, nicht wahr Charlotte, dieß ist auch deine Meynung? O ja, sagte Madam Walter, in einem Tone, der mir mehr aufgefallen seyn würde, wenn sich nicht in dem Augenblick die Thüre geöfnet hätte, und die gemeldete Dame eingetreten war.

Ich gieng ihr entgegen. Ein jugendliches Geschöpf in simpler Reisekleidung, nahte sich mir, und fragte mich in schüchternem Tone, ob sie die Ehre hätte, mit Madam Haller zu sprechen? Ich bejahte die Frage, wir nahmen Platz, und es erfolgte eine lange Pause, welche ich endlich durch die Frage unterbrach, welche Angelegenheit mir das Glück verschafte, das Fräulein von Vöhlen kennen zu lernen. – In der That, Madam, stotterte sie, eine der wichtigsten Angelegenheiten meines Lebens. Sie sahe vor sich nieder und ein paar Thränen tröpfelten aus ihren Augen.

Ich schwieg, weil ich hoffte, sie würde sich deutlicher erklären. Fassen sie Muth, mein Fräulein, [98] sagte ich endlich, entdecken sie mir alles, die gegenwärtigen Personen können ihnen keinen Zwang anlegen. Dieser Herr hier, thut mir die Ehre mich Mutter zu nennen, und dieses junge Frauenzimmer – Ist also ihre Tochter? unterbrach sie mich mit einem etwas munterern Tone, o Jukunde oder Amalie Haller, oder wie sie heißen mögen, erlauben sie, daß ich sie umarme und sie Schwester nenne! Sie war auf Charlotten zugegangen, und schloß sie so fest in ihre Arme, als ob sie ihre älteste Busenfreundinn vor sich hätte. – Auch sie, auch sie muß ich an meine Brust drücken, fuhr sie fort, indem sie sich zu mir wandte, und sie Mutter nennen.

Ich erwiederte ihre Liebkosungen mit vielem Feuer. Ohne schön zu seyn, hatte sie so etwas unwiderstehlich einschmeichelndes in ihrem Wesen, so viel Unschuld und Redlichkeit in ihrem Blick, und selbst in ihrer Furchtsamkeit war so etwas hinreißendes, daß man von ihr eingenommen ward, ohne selbst zu wissen, durch welchen Zauber dieses zugieng.

Wie? rief ich, sie kennen meine ganze Familie, sie nennen mich Mutter, sie schliessen mich mit solcher Wärme in ihre Arme, und ich hörte heute ihren Namen zum erstenmal? – Aber nicht zum letzten, wie ich hoffen will, sprach sie. Wenn ich nur erst alle ihre Kinder beysammen sehen werde, denn denke ich, wird sich schon einer finden, der mich Ihnen vorstellt, und mir Ihre Gewogenheit, [99] ihren Umgang, ach einen langen ungetrennten Umgang von ihnen erbittet.

Ich sah Waltern und Charlotten, mit Verwunderung an, ich wußte nicht, was ich aus der sondenbaren Art, mit welcher das Mädchen sprach, machen sollte.

Madam Haller, fieng sie nach einem kleinen Stillschweigen in einem Tone an, als wenn sie sich scheute, alles zu sagen, was sie auf dem Herzen hatte; Sie haben Söhne – ich will sagen, sie haben einen Sohn. – Darf ich fragen, wo Herr Samuel Haller ist? – Ich bitte, legen sie mir diese Frage nicht übel aus, sie wissen nicht, in welcher Verbindung ich mit ihrem Sohne stehe.

Mein Sohn? sprach ich; er stand in einer Verbindung mit ihnen, und es war ihm möglich, Sie zu verlassen? Daß er sein Vaterland, seine Mutter, seine Familie verließ, und nach Amerika gieng war schon genug, aber ein Mädchen, wie sie, vielleicht eine Geliebte, eine Braut zu verlassen? – Das ist unerklärlich! –

Nach Amerika? wiederholte die Fremde, nun so bin ich in der That elend! Ach ich werde ihn nie wiedersehen, und sie, werden mich von sich stossen, mich für eine Abentheurerinn, für eine Landläuferinn halten, weil ich niemand habe, der ihnen die Wahrheit meiner Worte beweißt.

Dieser Auftritt hatte in der That genug abentheuerliches an sich, um die Furcht des guten Mädchens wahr machen zu können, aber sie hatte etwas [100] in ihrem Ansehen, das allen Verdacht widerlegte. Ich mußte mehr von ihr wissen. Sie kannte meinen Sohn, sie stand, wie sie sagte, in Verbindung mit ihm, die Nachricht von seiner Entfernung, gab ihrem unschuldigen Gesicht einen Ausdruck von so tiefem ungeheucheltem Schmerz, Ursachen genug für mich, mich für sie zu interessiren. – Ich gab Waltern und Charlotten einen Wink uns allein zu lassen, ich besorgte, die Gegenwart mehrerer Zeugen, möchte ihr eine deutlichere Erklärung erschweren, und glaubte, wenn wir allein wären, glücklicher in meinen Nachforschungen zu seyn.

Sie müssen offenherzig mit mir sprechen, liebes Fräulein, sagte ich, und rückte meinen Stuhl näher zu dem ihrigen. Wie lernten Sie Samuelen kennen? welche Verbindung fand zwischen ihnen statt? und was haben Sie durch ihn verloren?

Ach alles! schrie sie mit Thränen; ihm hatte ich mein Glück zu danken; mit ihm wollte ich es theilen. Wenn ich meinem Herzen trauen darf, so war er nicht gleichgültig gegen mich, und nun flieht er vor mir, flieht ohne dabey an mich zu denken, ohne mir zu sagen, warum oder wohin! – – – –

Ha! dachte ich, wieder eine neue Probe von deinen Grillenfängereyen, Samuel! – Aber Fräulein, sprach ich zu der Fremden, darf ich nicht um eine umständlichere Erklärung aller dieser Dinge bitten?

[101] Und, fuhr sie fort, ohne auf mich zu hören, er sagte mir noch, beym letzten Abschied; ich gehe zu meiner Mutter, ihr unser Verhältniß selbst vorzulegen, und sie darüber urtheilen zu lassen, bey ihr, meine Klare, kannst du meinen Entschluß erfahren, wenn das Schicksal – – – Ach Madam Haller, unterbrach sie sich, sie wissen seinen Entschluß, sie wissen ob er meine Hand angenommen oder verworfen hat!

Liebes Kind, sagte ich, alles was sie mir da vortragen, sind mir dunkle Räthsel; ich habe meinen Sohn vor seiner Abreise nicht gesehen, nur einen Brief erhielt ich von ihm, in welchem er mir entdeckte, daß er nach Amerika gehe, weil unter dem europäischen Himmel kein Glück für ihn vorhanden sey.

Kein Glück! schrie Klara mit gerungenen Händen; Himmel kein Glück, und er hatte doch mich! – Zeigen sie mir den Brief, Madam, er kann, er kann nicht so geschrieben haben.

Samuels Brief war nicht so beschaffen, daß ich ihn vor fremde Augen konnte kommen lassen; ich versicherte Klaren, daß er nur Familienangelegenheiten enthalte, und ihrer mit keinem Worte gedenke.

Sie gerieth in ein finsteres Stillschweigen. Walter trat herein, und entschuldigte seine Gattinn, die sich wegen einer kleinen Unpäßlichkeit hätte nach Hause begeben müssen. Die Dame war also nicht ihre Tochter? sprach Klare, indem [102] sie wie aus einem Traume auffuhr. Madam Charlotte Walter, erwiederte ich, die Gattinn dieses Herrn. Charlotte? sagte sie, drum wohl erwiederte sie meine Liebkosungen so kalt; wer kann es ihr verdenken? wer wüßte, ob ich so freundlich gegen sie gewesen wär, wenn ich gewußt hätte, daß ich meine Nebenbuhlerinn umarmte.

Charlotte, sagte ich, ist die Gemahlinn dieses Herrn, und denkt längst nicht mehr an vergangene Dinge. Ich sagte dieses, weil ich einen kleinen Verdruß in Walters Gesicht über Klarens Worte zu sehen glaubte. Sie zuckte die Achseln, und meynte, sie müßte Charlotten glücklich preisen, wenn dieses wahr wär, sie hielt es nicht für so leicht, einen Mann, wie Samuel Haller, zu vergessen.

Nach Walters Abschied glaubte ich glücklicher in meinen Nachforschungen bey der Fremden zu seyn, aber vergebens; sie blieb nachdenkend und sehr einsylbig in ihren Worten. Es ward spät; ich fragte sie, ob sie bey mir übernachten wollte, sie sprach, sie könnte nicht leugnen, sie habe auf diese Einladung gerechnet, und nehme sie sehr gern an. – Ich gab ihr das kleine Haus ein, das mein Vater ehemals bewohnte, und überlies ihr, auf ihre Bitte, Julchen zur Gefärthinn, die indessen hereingekommen und von ihr, als Samuels Schwester, sehr liebreich bewillkommet worden war.

[103]
15. Kapitel. Liebesgeschichte eines Klostermädchens
Fünfzehntes Kapitel
Liebesgeschichte eines Klostermädchens

So war also meine Familie auf einmal mit einer Person vermehrt, die ich nicht kannte, aus welcher ich nicht wußte, was ich machen oder in wiefern ich ihren Worten trauen sollte. – Julchen sagte mir, sie habe diese Nacht wenig geschlaffen, und Samuels Namen unzählich oft genannt, auch habe sie bey ihr ein Porträt ihres Bruders gesehen.

Es vergiengen unterschiedliche Tage, ehe ich eine zusammenhängende Erzehlung der Dinge die ich wissen wollte, von ihr erhalten konnte. Ihr stilles verschlossenes Wesen riß mich aus der Verlegenheit, unter was für einem Schein ich sie meinem Manne vorstellen sollte, eine verlassene Geliebte von Samuelen würde schlechte Aufnahme bey ihm gefunden haben. Zum Glück verrieth sie sich gegen ihn mit keinem Worte. Er nahm es mit seinem gewöhnlichen mürrischen Wesen auf, als ich ihm sagte, sie sey eine Fremde, die eine kurze Zeit bey uns zu wohnen wünschte, und sie war viel zu sehr in sich selbst gekehrt, als daß sie seine finstern Blicke hätte bemerken sollen.

Endlich kam doch die gewünschte Stunde, die meine Neugierde befriedigen sollte. Ich fühle es, sagte sie eines Tages, daß ich ihnen Rechenschaft von gewissen Dingen schuldig bin, die Sie so nahe [104] angehen als mich, und die ich Ihnen nur gar zu lange vorenthalten habe. Wenn sie ihren Sohn, so wie sie mich versichern, seit der Zeit, daß ich ihn kennen lernte, nicht gesehen haben, so werden sie ohne Zweifel manches von mir erfahren, das ihnen ganz neu seyn muß, und das über verschiedene ihnen dunkle Stellen seines bisherigen Schicksals ein Licht verbreiten wird.

Von meiner eigenen Person und meinen Schicksalen kann ich ihnen wenig sagen. Ich bin noch sehr jung, ich brachte die größte Zeit meines Lebens in einem Kloster zu, in welchem ich erzogen ward, und der erste merkwürdige Zeitpunkt meines Lebens, war der, da ich ihren Sohn kennen lernte.

Meine Eltern hatte ich in meiner frühsten Kindheit verlohren, sie waren arm, und das was von ihrem Vermögen, nach der Theilung zwischen mir und einem Bruder auf mich kam, war eben hinlänglich mir den Aufenthalt in einem Kloster zu verschaffen, in welchem man auch jungen Frauenzimmern, die der katholischen Religion nicht zugethan waren, den Zutritt verstattete, wenn sie von gutem Stande waren, und angesehene Vorsprecher hatten; unser Haus war mit der Familie von Wilteck etwas verwandt, Wiltecks, ungeachtet sie sich nicht des alten Adels rühmen können, wie das Haus von Vöhlen, hatten einigen Einfluß in dieser Gegend, und durch sie gelang es mir, an dem einigen Orte unterzukommen, wo ich von dem [105] wenigen, das ich besaß, mit einigem Anstand leben konnte.

Mein Bruder war in Kriegsdiensten, er konnte wenig zu meiner Unsterstützung thun, allein seine Zärtlichkeit gegen mich, die der elterlichen nahe kam, die ich so kurze Zeit genossen hatte, und seine Besuche, die er mir so oft gönnte, als es der Dienst verstattete, machten mich mit meinem Stande zufrieden, und ließen mich kaum vermuthen, daß es ein höheres Glück auf der Welt gäbe. – Ich war zu jung, um Plane für die Zukunft zu machen, und zu unverständig, um einzusehen, was ich ohne eine sonderbare Wendung des Glücks dereinst für eine elende Rolle in der Welt spielen würde. Mein Bruder war nicht so unbesorgt in diesem Stück, mein künftiges Schicksal machte ihm Kummer, und er beklagte oft gegen mich den gesunkenen Zustand unsers Hauses, welches vor Zeiten eins von den größten in Schwaben war, aber nach und nach in Verfall gerieth, und zu Zeiten meines Urgrosvaters, endlich durch gottlose Ränke um das letzte kam, was es von seinen Herrlichkeiten übrig hatte.

Mein Bruder kannte die Lage der Sachen, er wußte, daß Geld und ein geschickter Sachwalter vielleicht im Stande seyn würden, uns wieder in den Besitz unserer Gerechtsamen zu bringen, aber wo sollten wir diese beyden Erfordernisse finden? Zudem hatte mein Bruder zu wenig Einsicht in die Rechte, um entscheiden zu können, ob nicht [106] vielleicht, wie ihn andere versichern wollten, die Sache zu verjährt wär, um mit Glück geführt werden zu können.

Zu dieser Zeit war es, daß mein Bruder einmal zu mir kam, und ein Zeitungsblatt mit sich brachte, um mir einen Artikel in demselben vorzulesen, in welchem gebeten wurde, wenn noch einige Nachkommen der alten schwäbischen Familie von Vöhlen vorhanden wären, so möchten sie sich zu R... bey einem gewissen Samuel Haller melden, welcher ihnen Dinge von Wichtigkeit zu entdecken hätte.

Mein Bruder nahm Abschied von mir, und sagte, daß er gesonnen wär, dieser Sache nachzuforschen. Die Einladung, setzte er hinzu, ist zwar ziemlich unbestimmt und räthselhaft; aber ich weis nicht, was mir für eine Idee vorschwebt, es könne etwas gutes für uns dahinter verborgen seyn, und Leute wie wir, die vom Glück so ganz verlassen zu seyn scheinen, dürfen nichts versäumen, was einem Ausgang aus ihrem dunkeln Zustande ähnlich sieht. –

Meines Bruders Versprechen bald wieder zu kommen, und mir fleißig zu schreiben, tröstete mich ein wenig über den Abschied, und die Vorstellung, was wohl der Grund der räthselhaften Einladung seyn möchte, die ihn von mir gelockt hatte, war mir eine angenehme Beschäftigung in der Einsamkeit. Tausenderley Luftschlösser, so bunt und seltsam wie sie nur in dem Gehirn einer jungen unerfahrnen [107] Person Platz haben können, wurden in dieser Zeit von mir erbaut, und ich sah mit Verlangen dem ersten Briefe meines Bruders entgegen, um bey genauerer Nachricht auch meine Vorstellungen erweitern und besser ausschmücken zu können.

Es dauerte sehr lang ehe ich etwas von den Dingen erfuhr, die meine Einbildungskraft so sehr beschäftigten. Ein Brief von ihm gab mir nur sehr dunkele unvollständige Nachricht von dem, was ich zu wissen verlangte, er sagte wenig von dem, was Herr Samuel Haller an ihn zu bestellen gehabt habe, aber desto weitläuftiger breitete er sich über die Person und den Charakter dieses edeln Mannes aus. Alles was er von ihm sagte, wär schon hinlänglich gewesen, die Einbildungskraft eines Klostermädchens in Feuer zu setzen, wenn er auch seinen Brief nicht mit den Worten beschlossen hätte: O Klare, dir so einen Gemahl, und mir so einen Bruder! O daß ihn das Schicksal nicht adelich geboren werden lies! Doch welcher Stand ist meinem Haller unerreichbar und was ist Adel gegen Tugend?

Das Bild, das ich mir von dem neuen Freunde meiner Bruders schuf, schwebte mir unabläßig vor Augen, und immer tönten mir die Worte des Briefs in den Ohren: Dir so einen Gemahl, und mir so einen Bruder, und was ist Adel gegen Tugend.

[108] Die folgenden Briefe fuhren fort, räthselhaft zu seyn, sie sprachen von einem unerwarteten Glück, von baldiger Befreyung aus dem Kloster, von künftigen seligen Tagen an der Seite seines Hallers, den er nicht anders als den Schöpfer unsers Glücks nennte; Worte, die meine Neugier verdoppelten, und meine Neigung, fast möchte ich es Liebe nennen, für den Unbekannten, auf den höchsten Gipfel brachten.

Da mein Herz auf diese Art vorbereitet war, konnte es wohl wunderbar seyn, wenn die Erscheinung dieses Hallers, des schönsten Jünglings, den ich je gesehen habe, mich vollends ganz für ihn einnahm? Er kam in Gesellschaft meines Bruders, mich aus dem Kloster abzuholen, und mich in das Schloß zu führen, daß wir seiner Grosmuth zu danken hatten.

Ihnen, die die grosmüthige Absicht ihres Sohns, in welcher er mein Vaterland beträt, wissen, die Absicht eine verunglückte Familie aufzusuchen, und ihr zu ihren verlornen Rechten zu helfen, ihnen brauche ich dieses nicht zu erklären. Mein geliebter Haller hatte, so bald mein Bruder seine Abkunft bewiesen hatte, unsere Sache mit Ernst vorgenommen, alle erforderliche Documente waren in seinen Händen; er vertheidigte unsere Rechte, ohne Rücksicht auf seinen Vortheil. Die Unkosten, welche uns dieser Prozeß machte, und die wir uns so ungeheuer vorgestellt hatten, waren gering, und wir sahen uns im Besitz eines artigen Gutes, ehe [109] wir es versahen. Himmel, wie soll ich meine Empfindungen beschreiben, als ich diesen angenehmen Ort zuerst betrat! Der Gedanke, daß ich alles dieses dem großmüthigen Haller zu danken hatte, verschönerte es in meinen Augen, und die Dankbarkeit brachte meine Liebe auf den höchsten Gipfel.

Herr Haller ließ es sich gefallen, eine Zeitlang bey uns in unserm neuen Eigenthum zu verweilen; er ward nach und nach vertraulicher gegen uns, er entdeckte uns alle seine Begebenheiten, und auch seine unglückliche Liebe zu Charlotten. Es ist billig, sagte mein Bruder, da sie um der unbekannten Familie von Vöhlen willen, eine Geliebte einbüßten, daß eben dieselbe sich bestrebt, ihnen ihren Verlust zu ersetzen. Kann Klarens Besitz sie über Charlotten trösten, so nehmen sie sie aus meiner Hand mit der Hälfte desjenigen an, was wir durch ihre Großmuth besitzen; hätte ich etwas kostbareres als diese Schwester, ich müßte es ihnen geben, aber sie ist alles, was mir das Glück übergelassen hat.

Ich war dabey, als mein Bruder Hallern diesen Antrag that, ich glaubte in seinen auf mich gerichteten Augen Liebe zu lesen, und ich überließ meinem Bruder freudig meine Hand, um sie in die seinigen zu legen.

Haller schwieg lange; endlich rief er: Ja, ich nehme ihr unschätzbares Geschenk an; kann irgend ein weibliches Geschöpf mich Charlotten vergessen lehren, so ist es die holde unschuldige Klare. [110] Aber auch nur ihre Hand ist es, was ich besitzen will; Äntheil an ihrem Vermögen zu haben; ist mir unmöglich, ist – ist mir ein Gedanke, dessen ganze Widrigkeit ich mir selbst nicht entwickeln kann. Klare ist noch jung, sie bleibt in ihrer Verwahrung, und ich verfolge meinen angefangenen Weg, der mich ja wohl endlich zu einem kleinen Glücke führen wird, das ich mit dieser unschuldigen Seele theilen kann.

Herr Haller war unbeweglich in seinem Eigensinn; mein Bruder mußte nachgeben, und ich ward die Braut des Mannes, der mir ja wohl keinen größern Beweiß seiner Liebe geben konnte, als daß er meine Hand ohne alle Rücksicht auf seinen Vortheil annahm, sie allein für hinlängliche Belohnung desjenigen ansah, was er für uns gethan hatte. O gewiß, gewiß, er liebte mich, und ich bestrebte mich, ihm seine Neigung mit vollem Herzen zu erwiedern.

Wie glücklich war ich zu dieser Zeit! wie glücklich im Besitz so eines Bräutigams, und so eines Bruders! O daß mir erst der eine, und bald darauf der andere so schnell mußte entrissen werden, der eine auf den Wegen des Vergnügens und unschuldiger Neckerey, wie sie unter jungen Leuten gewöhnlich ist, und der andere auf eine noch räthselhaftere, mir noch unbegreifliche Art.

Mein Bruder hatte meinen Geliebten beredet, mich an einem Tage durch Verwechselung ihrer Kleider zu täuschen; beyde wollten sich in der [111] Abenddämmerung bey mir in einer Laube einfinden, wo ich mich gern aufzuhalten pflegte, und ein jeder sollte die angenommene Rolle des Bruders und des Bräutigams so natürlich als möglich spielen, damit sie sich dann über meine Bestürzung lustig machen, und mir den Wahn benehmen könnten, den ich einesmals äußerte, ich wollte meinen Haller unter tausenden kennen, ohne sein Gesicht zu sehen. Der ernsthafte Samuel nannte dieses, wie er mir hernach sagte, unnütze zwecklose Tändeley, aber sein fröhlicherer Freund, schalt ihn einen Grillenfänger, und behauptete, daß kleine Possen von dieser Art, Leben und Freude in die Gesellschaft brächten, und daß er und seine nonnenhafte Klare Aufmunterung nöthig hätten.

Die Mummerey ward künstlich genug angefangen; Haller und mein Bruder hatten würklich einige Aehnlichkeit mit einander; die Dämmerung kam der Täuschung zu Hülfe, und mein Bräutigam hatte lange bey mir in der Laube gesessen, und in der Gestalt meines Bruders tausend Dinge aus meinem Munde von mei ner Liebe zu ihm gehört, die meine Schüchternheit mir nicht verstattet haben würde vorzubringen, wenn ich ihn gekannt hätte.

Mein vermeinter Bruder sprach wenig, und sah immer ängstlich aus der Laube, als wenn er auf die Ankunft eines dritten wartete. Du siehst dich nach meinem Haller um? fragte ich. – Ach wenn er so gern in meiner Gesellschaft wär, wie [112] ich in der seinigen, er würde nicht so lange verweilen. Ich sagte noch mehr Dinge von dieser Art, und mein Gefährte konnte endlich seine Verstellung, die ihm schon längst zur Last war, nicht länger behaupten. Er unterbrach meine Klagen über sein vermeintes Ausbleiben mit einer Umarmung. Die Entdeckung des ganzen Geheimnisses folgte darauf, und wir wurden einig, wenn nun der verstellte Haller ankommen würde, die Sache so zu drehen, daß das Gelächter über ihn hinaus gieng. Tausend aufgeräumte Einfälle kamen hierbey zum Vorschein. Ich habe meinen Geliebten fast nie so lustig gesehen wie damals. Er ahndete so wenig als ich etwas von dem Unglück das uns bevorstand, und seine anfangs bezeigte Aengstlichkeit, kam nur aus der Mühe her, mit welcher er seine Verstellung behauptete; auch im Scherz war er nicht lange im Stande, einen anderen als seinen wahren Charakter zu zeigen.

Es ward immer dunkler, und der letzte Akt unsers Lustspiels wollte noch nicht angehen. Wir machten uns auf, dem Verkleideten entgegen zu gehen; wir fanden ihn nicht. Wir durchstrichen vergebens die ganze Gegend, und kehrten fast um Mitternacht mit tausend Besorgnissen nach Hause. Im Schlosse konnte man uns nichts sagen, als daß mein Bruder gegen den Abend in Herrn Hallers grünem Reitkleide ausgegangen sey, und ihm so ähnlich gesehen habe, wie sein Zwillingsbruder. Er habe gelacht, als man ihm dieses gesagt hätte, [113] und ernstlich verboten, mir nichts von dieser Mummerey zu entdecken, weil er mich mit seiner Verkleidung zu täuschen gedächte.

Mein Haller und ich waren unfähig diese Nacht eine Stunde zu ruhen. Mit der ersten Morgendämmerung war schon jedermann im Schlosse fertig, die Nachsuchung von neuem anzufangen. – Ich blieb zurück, und erwartete in tödtlicher Angst, was man mir für Nachricht von meinem Bruder bringen würde. Alle Abgeschickten kamen unverrichteter Sache zurück; die einhellige Aussage aller war, die Wasser wären so angelaufen, daß man befürchten müsse, der Verlorne sey, wenn er etwa in der Dämmerung über den langen Steg nicht weit vom Schlosse habe gehen wollen, vom Wiederschein geblendet worden und in den Strom gerathen. Ich war in Verzweifelung, und Haller, der meinen Bruder herzlich liebte, befand sich in keinem bessern Zustande.

Ich fiel in eine schwere Krankheit, mein Bräutigam setzte in dieser zeit seine Nachforschungen fruchtlos fort, und erst nachdem ich längst wieder hergestellt war, erfuhren wir durch die Zeitungen, daß weit von unserm Wohnorte bey einem Dorfe am Harz ein Ertrunkener gefunden worden wär, welcher nach der Beschreibung mein Bruder gewesen seyn mußte.

Mein Haller reißte ab, um die Sache selbst zu untersuchen. Er brachte mir die traurige Bestättigung unserer Furcht, und sich einen Grund [114] zu neuem Kummer mit. Er hatte zu Riedgau erfahren, daß man sich bereits von andern Orten nach dem Ertrunkenen erkundigt, und nach genauer Untersuchung aller Umstände, einige Kleinigkeiten die der Verunglückte bey sich gehabt, mit ziemlichen Unkosten an sich gebracht, um diese traurige Erbschaft den Verwandten desselben auszuliefern. Mein Geliebter schloß aus allen Umständen, daß diese Erkundigung von seinen Eltern gekommen seyn müsse. Man hielt ihn bey den Seinigen für todt, er wußte wie er geliebt wurde, und er brannte für Verlangen, seine Geliebten aus dem Kummer zu reißen. Meine Bitten hielten seine Abreise noch auf, und er mußte sich begnügen, sein Leben durch einen Brief nach Hohenweiler zu berichten.

Durch einen Brief? unterbrach ich Klaren, ich habe keinen erhalten. Und was hätte er mich auch geholfen, mein guter Vater war damals schon das Opfer des Schreckens über diesen unglücklichen Ausgang eines elenden Kinderspiels geworden. – O Jugend, Jugend! wenn wirst du doch lernen, was für Unglück aus deinen Possen entstehen kann? – Gott! mein Vater mußte sterben, weil ein müßiger Junker an einem entfernten Orte, an einem Abende nicht wußte, was er vor Langeweile anfangen sollte! – – Ich war sehr aufgebracht, und würde gewiß in diesem Tone noch lange fortgefahren haben. Aber Klarens schüchterner auf mich gerichteter Blick rührte mich; ich [115] bat sie, fortzufahren, und mir zu verzeihen, wenn ich ihren Bruder, der freylich durch seine Spielerey am meisten gelitten habe, auf eine zu empfindliche Art getadelt hätte.

Herr Haller, fuhr das Fräulein fort, blieb auf meine Bitte noch eine Zeitlang bey mir, aber wie verändert war seit meines Bruders Tode sein Betragen gegen mich! Furchtsam, kalt, zurückhaltend. Er sagte mir es oft nicht undeutlich, es fänd keine Verbindung mehr unter uns statt, und wenn ich ihn weinend um die Ursache fragte, so sah er mich starr an, und sprach: Klare, verschenke deine Güter, so will ich dein seyn. Nur die arme Klara ist ein Mädchen für mich, die Besitzerinn dieses Schlosses kann und darf nie die Meine werden.

Dieses waren wunderliche Reden, ich bat vergebens um deutlichere Erklärung, und ich mußte ihn so sehr lieben wie ich that, um nicht durch seinen Eigensinn aufgebracht zu werden.

Er sagte, er wollte und müßte sich von mir trennen, und als er sah, wie mich das erschütterte, so suchte er mich mit den Worten zu täuschen, er wollte zu seiner Mutter gehen, ihr unsere beyderseitige Lage vorstellen, sie entscheiden lassen, ob er in der gegenwärtigen Verfassung mein Gemahl werden könne, und sich nach ihrem Urtheil richten. – Ich merkte endlich wohl, daß er sich scheute die Güter mit mir zu theilen, die Charlotte durch seine Gerechtigkeitsliebe verloren hatte, [116] aber ich war nicht geneigt, diese übertriebene Delikatesse, auf die Rechnung seiner Rechtschaffenheit zu schreiben; in meinen Augen war dieses noch Ueberbleibsel von Liebe zu Charlotten. Ich ward eifersüchtig – und die Wahrheit zu gestehen, ich bin es noch.

Die letzte Bitte, die ich an Herrn Haller that, war, mich nach Wien zu meiner Cousine, der Regierungsräthinn von Berg zu begleiten, welche mich nach dem Tode meines Bruders eingeladen hatte, bey ihr zu leben. Mein Geliebter willigte ein. Wir langten zu Wien an. Herr Haller, der die Regierungsräthinn noch als Fräulein von Wilteck gekannt haben mußte, und nicht die vortheilhafteste Meynung von ihr hegte, bezeigte wenig Lust sich von mir bey ihr einführen zu lassen, er hätte es lieber gesehen, wenn ich selbst, meinen Entschluß bey ihr zu leben geändert hätte, er rieth mir, mit ihm zu seiner Mutter zu reisen, und bey ihr es abzuwarten, wie sich unser Schicksal entwickeln würde.

Ein Umstand machte, daß er seine Meynung änderte. Er erfuhr, daß eine Mamsell Haller sich bey der Regierungsräthinn aufhielte, sie war – verzeihen Sie, Madam, daß ich es sagen muß – sie war – in einem etwas zweifelhaften Rufe, und, er wünschte durch mich zu erfahren, ob dieses Frauenzimmer eine von seinen Schwestern sey, und ob sie den Namen – in der That, Madam, ich weiß nicht recht, wie ich sagen soll – den [117] Namen einer – einer vertrauten Freundinn des Herrn Regierungsraths wirklich verdiene.

Um Gotteswillen, Fräulein, unterbrach ich hier Klarens Rede, halten sie mich nicht länger aufstürzen sie mich nicht in Verzweifelung! was fanden Sie!

Ich weis nicht, erwiederte Klare, mit einigem Stocken, ob mein Urtheil hier gültig seyn kann. Sie wissen wohl, ein Mädchen, das im Kloster erzogen ist, so lange in der Einsamkeit gelebt hat, hegt vielleicht überspannte Begriffe vom Schicklichen und Unschicklichen. – Und – überhaupt, es gefiel mir in dem Hause des Regierungsraths gar nicht, es herrschte daselbst ein gewisses wüstes, unregelmäßiges Leben, das ich nicht gewohnt war. – Was nun Mamsell Peninnen anbelangt, so wüßte ich nicht das geringste an ihr zu tadeln, als das Wohlgefallen, mit welchem sie an allen Lustbarkeiten des Hauses Theil zu nehmen schien; der Regierungsrath bezeigte sich gegen sie ehrerbietig und seine Gemahlinn freundlich, aber wenn sie den Rücken wandte, so sprach der erste von ihr mit dem Entzücken eines Liehabers, und die andere mit der Strenge einer eifersüchtigen Tadlerinn. Ich habe Gabrielen über sie weinen gesehen, und sie von ihr das Unglück ihres Hauses nennen hören.

Herr Haller, dem ich alles dieses sagte, legte es sehr übel aus, und als er Peninnen vollends einmal in Gesellschaft des Regierungsraths, im [118] Glanz einer Feenköniginn im Schauspiel erscheinen sah, und unterschiedliche zweydeutige Urtheile über sie hörte, da gab er den Vorsatz auf, sich ihr zu entdecken. Er bat mich, ihr nichts von ihm, oder der Verbindung, in welcher ich mit ihm gestanden habe, zu sagen. Er verließ Wien, um, wie er sagte, zu seiner Mutter zu reisen, und ihr die Entscheidung unsers Schicksals aufzutragen.

Ich blieb nach seinem Abschied noch eine Zeitlang bey meiner Cousine, ich gewann Peninnen lieb, und bedauerte sie. – – Und sie hatten nicht die Menschlichkeit, unterbrach ich Klaren, die Unglückliche zu warnen? – Wie konnte ich das? antwortete sie; Peninna taumelte von einem Vergnügen zum andern, sie war fast nie zu Hause oder allein. Meine Cousine, die Regierungsräthinn, rieth mir überdem, mich vor ihr zu hüten, weil sie eine ganz eigene beleidigende Art habe, gutgemeinte Warnungen zu erwiedern, und wahrscheinlich alles bey ihr verlohren sey.

In wie weit Mamsell Haller diesen Vorwurf verdiente, weis ich nicht; ich habe nichts als Sanftmuth und Güte von ihr gesehen, und würde vielleicht ihre eifrigste Vertheidigerinn geworden seyn, wenn ich nicht vorher von Vorurtheilen wider sie eingenommen gewesen wär, welche Gabriele sorgfältig zu nähren suchte.

Gabriele ist falsch; einige freundliche Blicke, die ihr Gemahl auf mich geworfen, oder ein kleines Lob, das er mir ertheilt haben mochte, machte [119] sie zu meiner heimlichen Feindinn. Ich mußte fürchten, mein guter Ruf möge durch ihre böse Zunge ebenfalls leiden. Ich hielt es für gut, Wien zu verlassen. Ich wußte ja Zuflucht bey der Mutter meines Geliebten, ich konnte hoffen, ihn noch daselbst zu finden, und wenn ich seine Vorurtheile herzhaft angriff und ihre Schwäche erwies, vielleicht bey einer günstigen Richterinn eine vortheilhafte Entscheidung unsers Schicksals zu finden. Gewiß war mir es weniger um mein Glück als um das seinige zu thun, ich wußte mein Vermögen, und auch vielleicht meine Person konnte ihn glücklich machen.

Ich kam hier an; aber meine Augen suchten meinen Samuel vergeblich; diese fehlgeschlagene Hoffnung machte mich muthlos, die Nachricht von seiner fernen Reise stürzte mich in Verzweiflung, sie war der sicherste Beweis seiner ganz erloschenen Liebe, und des Verlangens, sich von mir loszumachen. Sollte mich nun auch die Hoffnung auf die Liebe und den Schutz seiner Mutter getäuscht haben, Himmel! was würde dann aus mir werden!

[120]
16. Kapitel. Die alte Frau eifert wider das leidige Theaterwesen
Sechzehntes Kapitel
Die alte Frau eifert wider das leidige Theaterwesen

Klare gerieth nach Endigung ihrer Geschichte in ein tiefes Nachdenken, und ich fand in derselben, auch für mich, so viel Stoff zu traurigen Betrachtungen, daß ich mich kaum aus demselben emporreissen konnte, um ihr ihre letzten Worte mit der herzlichsten Versicherung meiner Liebe zu erwiedern und die Bitte hinzuzufügen, sie möchte sich nicht von mir trennen, mich nicht den Eigensinn meines Sohns – den ich unter uns gesagt, nicht ganz tadeln konnte – entgelten lassen.

An eine Trennung von Ihnen, sagte sie, ist nicht zu denken, ich gehöre von nun an zu ihrer Familie, und werde sie nicht verlassen, und wenn Herr Walter heute sterben, und Charlotte Samuels Gattinn werden sollte. Er hat Geschwister, welche das Gute, was ich für ihn im Sinne hatte, nicht so undankbar verschmähen werden, wie er.

Ich hielt nicht für gut, dieses letzte anders als mit einer kleinen Verbeugung zu beantworten. Es war mir im Grunde eben so widerlich als Samuelen, einen Vortheil von dem Charlotten entzogenen Vermögen zu genießen. Die Vorstellung, daß Charlotte kein rechtmäßiges Eigenthum verloren, und Klare kein unrechtmäßiges gewonnen [121] hatte, hatte wenig Kraft bey mir. Mein Sohn hatte die Hand bey diesen Dingen zu sehr im Spiel gehabt; es war leicht für unsere Feinde, hier Nebenabsichten zu vermuthen; zwar lag die Wahrheit am Tage, aber kehrt sich die Tadelsucht an die Wahrheit? –

Ich hatte Ursach zu glauben, daß Charlotte selbst die Sache nicht mehr aus dem rechten Gesichtspunkte ansah. Gewisse Reden, die Herr Walter zuweilen führte, ließen mich muthmaßen, daß seine Gattinn nicht allemal klug genug war, ihre Ohren dem Zuflüstern böser Leute zu verschliessen. Das verlorne Gut kam ihr nicht aus dem Sinne, und die Rolle, welche Samuel dabey spielte, und die sie im Anfange völlig billigen mußte, erschien ihr jetzt aus einem ganz andern Lichte. Das Fräulein von Vöhlen, war ihr ein Dorn im Auge, war ihren Gedanken nach zugleich die Räuberinn ihres Vermögens und ihres Geliebten, war vielleicht eine alte vor ihr geliebte Bekanntinn Samuels gewesen, und alles hatte sich also ganz natürlich zu ihrem Schaden, und Klarens Vortheil schicken müssen.

O meine Kinder, wer kann die ganze Verheerung übersehen, welche Verläumdung und daraus erwachsener böser Verdacht in den besten Herzen anzurichten vermag; diese Ungeheuer sind im Stande, die edelste Seele, wenn sie schwach genug ist ihnen Gehör zu geben, zu den unedelsten Vorurtheilen zu erniedrigen.

[122] Auch Klare fühlte wenig Neigung für Madam Walter, und wenn es verdrüßliche Stunden in unserm kleinen Zirkel gab, so waren es diejenigen, da diese beyden Nebenbuhlerinnen von ungefähr zusammenkamen. Sie waren beyde zu wohl erzogen, als sich zu offenbarer Aeußerung ihres Widerwillens, oder zu jenen kleinen versteckten Sticheleyen herabzulassen, welche, so witzig sie auch seyn mögen, allemal den Mund, der sie hervorbringt, entehren; aber die übertriebene Höflichkeit, die beyde gegen einander, aus Furcht nicht unhöflich zu seyn, bezeigten, der gezwungene Ton ihrer Unterhaltung, und andere unnennbare Kleinigkeiten, machten, daß ich es gewiß so viel als möglich vermied, beyde zusammen zu bringen.

Charlotte war nicht die einige, welche Klaren mit ungewogenen Augen ansah; auch mein Mann hatte wenig Gefallen an ihrer Gegenwart. Sein ehemaliger Hang zur Verschwendung, hatte sich seit seinem letzten Unfall, auf eine mir unbegreifliche Art in Geiz verkehrt; er haßte alles, wovon er glaubte, daß es ihm Unkosten machte, und es war nöthig, es ihm deutlich vor Augen zu legen, daß das Fräulein von Vöhlen, ob sie sich gleich zu unserer Familie rechnete, doch von ihrem eigenen Gelde lebte, um ihn zu bewegen, ihr mit der Achtung zu begegnen, welche sie vermöge ihres Standes und ihrer Verdienste fordern konnte.

[123] Alle diese Dinge waren gewiß nicht im Stande mir mein Leben angenehm zu machen, aber gern würde ich sie ertragen haben, wenn nur nicht wichtigere Sorgen an meinem Herzen genagt hätten. Ach meine Kinder! meine verlornen Kinder; – Warum mußte ich doch so gar nichts von ihnen hören? – Von meinen Söhnen konnte ich denken, daß die weite Entfernung ihr Stillschweigen verursachte. Aber warum schwieg Peninne? warum schrieb sie nicht ein einigesmal an ihre Mutter? war diese Nachläßigkeit nicht ein offenbarer Beweis ihrer Schuld? Und Jucunde! und Amalie! arme verwahrloste Geschöpfe! was mochte aus euch geworden seyn!

Alle Nachforschungen, die mein Freund Walter nach ihnen anstellte, waren fruchtlos, nur ein einigesmal brachte ein Freund von ihm, welcher aus Manheim kam, die Nachricht, er habe daselbst einen Theaterdichter, Namens Feldner, gekannt, und eine junge Person als Franziska in Lessings Minna auftretten gesehen, welche man ihm Jucunde genannt hätte. Der Zuname traf nicht zu, aber es ließ sich freylich vermuthen, daß Jucunde, wenn sie diesen Stand ergriffen haben sollte, ihren Namen verändert haben würde.

Ich habe schon im Vorhergehenden meine altfränkischen Meynungen vom Theaterwesen geäußert, und man kann also glauben, daß mir diese Nachricht, so unzuverläßig sie auch war, wenig Freude machte. – Ich wollte Gewißheit hiervon [124] haben, und hielt mir deswegen alle mögliche Theaterzeitungen und Theaterkalender und wie das Zeug alles heißt; eine Art von Lektüre, von welcher ich nie geglaubt hätte, daß sie einmal nach meinem Geschmack seyn würde. Ich fand den Namen, den Jucunde nach des Manheimer Freundes Aussage gegenwärtig führte, nie bey Hauptrollen; sie ward nie auf die pompöse glorreiche Art erwehnt, wie die andern Schauspielerinnen. Ihre Reize wurden nie so zergliedert, wie bey den Uebrigen, und ich konnte aus keinem Zuge urtheilen, ob von meiner Jucunde die Rede sey. Alles was ich schliessen konnte, war nur dieses, daß sie, im Fall meine Furcht gegründet sey, eben keinen Stern erster Größe auf dem Theater vorstellen müsse; eine Entdeckung, die mir nicht zuwider war. Ich kannte Jucundens Eitelkeit, ich hoffte, es würde mir leichter werden, sie von ihrem gefährlichen Stande abzubringen, wenn sie in demselben nicht ganz den Beyfall finden sollte, den sie vielleicht mehr als andere verdiente.

Ich machte schon Anstalten, mich durch eine treue Person, die Jucunden kannte, von der Wahrheit zu überzeugen, und sie vielleicht in meine Arme zurückzubringen, als ich erfuhr, daß die Gesellschaft, bey welcher ich sie vermuthete, den bisherigen Ort ihres Aufenthalts abermals verlassen habe; man sprach verschiedentlich davon wohin sie sich wenden würde, einige sagten nach Wien, andere nach Petersburg, wieder andere [125] nach Leipzig. Meine Entwürfe waren also abermals vereitelt, ich wußte nicht wo ich meine Verlorne suchen sollte, und war von allen diesen Orten so weit entfernt, daß ich meine Hoffnung sie zu retten ganz aufgeben mußte.

17. Kapitel. Man urtheile nicht nach dem Scheine
Siebzehntes Kapitel
Man urtheile nicht nach dem Scheine

Auf die Sorgen die mir diese fehlgeschlagene Hofnung machte, war mir eine Freude aufbehalten, welche aber nur kurze Zeit dauerte, und die doch zugleich der Anfang einer größern und dauerhaften war.

Ein Brief von Peninnen! Mit Entzücken erkannte ich ihre Hand auf der Aufschrift, und mit einem Gemisch von Angst und süßer Erwartung, erbrach ich ihn. Hier ist er.

»Liebe Mutter!

Darf ich Sie noch so nennen? oder ist nicht vielmehr dieses harte mütterliche Stillschweigen ein Beweis, daß ich ganz von Ihnen verstossen, ganz vergessen bin? Was habe ich gethan, daß Sie mit mir zürnen? Ist etwas tadelhaftes in meinen Handlungen, so hätte mich ja eine einige Belehrung von Ihnen zurecht weisen können, ich habe sie Ihnen ja alle so aufrichtig vorgelegt, keinen Schritt gethan, den ich Ihnen nicht vorher gemeldet hätte.

[126] Wär Hohenweiler nicht so ein bekannter Ort, wär es nur eine Möglichkeit, daß meine Briefe Sie verfehlt haben könnten, so wollte ich mich beruhigen, aber so etwas läßt sich gar nicht denken. Gewiß gewiß, Sie zürnen mit mir! Wer weis, wer mir Ihr Herz geraubt hat, und ich hätt es sicher nicht gewagt, Ihnen noch einmal zu schreiben, sondern alles was ich Ihnen zu sagen habe, auf den fröhlichen Tag des Wiedersehens verspart, dem ich nun, ach bald bald, entgegen sehe, wenn ich nicht diese glückliche Gelegenheit hätte, Ihnen ein Geschenk zu machen, das Ihnen gewiß das kostbarste seyn wird, das Sie sich wünschen können. – Kennen Sie diese beyden Personen, die Ihnen diesen Brief überreichen? O ihr Herz wird Ihnen ihre Namen nennen, wenn auch mannichfaches Unglück ihre Züge verändert haben sollte. Nehmen Sie sie wieder an, so wie Sie einst ihre Peninna wieder zu Gnaden annehmen werden. Wie das Schicksal sie und mich zusammenbrachte, werden sie aus ihrem eigenen Munde hören.

Von meiner eigenen Verfassung nur so viel: Ich bin, wie Sie aus meinem letzten Briefe wissen werden, sehr glücklich, glücklicher, als ich hätte hoffen können, je zu werden. Zuweilen dauert es mich doch, Sie wissen was für ein gutherziges Geschöpf ich bin, – daß das Unglück meiner ehemaligen Freundinn der Grund meiner Erhebung seyn mußte; indessen, ich bin unschuldig, [127] und im Grunde haben auch die gewesenen Fräuleins von Wilteck es nicht sehr um mich verdient, daß ich zärtliche Gesinnungen gegen sie hege. Ueber Gabrielen muß ich lachen; wenn ihre feindseligen Blicke mich ermorden könnten, so wär ich gewiß nicht mehr im Lande der Lebendigen. – Nun auch kein Wort mehr. Mein Geliebter ersucht Sie, diese Kleinigkeiten zu seinem Andenken zu tragen, er brennt für Verlangen, wie er sagt, Ihnen persönlich zu danken, daß sie seine Peninna so für ihn erzogen, so ganz zu dem gebildet haben, was sie in seinen Augen ist.«

Gott! Was für ein Brief! schrie ich. Von Anfang bis zu Ende ein langes, abscheuliches Räthsel. Ich warf ihn auf die Erde, und sties eine kleine Kapsel die er enthielt, und die gleichfalls auf den Boden gefallen war, mit den Füßen auf eine Seite. Sie sprang auf, und eine Menge schimmernde Juwelen fielen mir in die Augen.

Verdammter Lohn von der Schande meiner Tochter! schrie ich, und sie ist frech genug mir ihn vor die Augen zu legen? frech genug zu glauben, ich werde ihn mit ihr theilen?

Ich gieng eine Weile halb ausser mir im Zimmer auf und nieder, endlich nahm ich den Brief von neuem, ich las ihn von Anfang bis zu Ende, ohne ihn zu verstehen, ohne fast etwas dabey zu denken. Nur die letzte Worte, der Unwürdige, den Peninna so frech war ihren Geliebten zu nennen, [128] wollte mir danken, daß ich sie für ihn erzogen, sie dazu gebildet habe, was sie in seinen Augen sey, nur diese leuchteten mir mit fürchterlicher Lebhaftigkeit in die Augen. Ich dachte von Sinnen zu kommen, Elende! schrie ich, spottest du meiner, ich dich zu dem erzogen, was du bist? – Schrecklich! schrecklich! das erleben zu müssen! den Hohn eines Kindes, eines verworfenen, verwahrlosten Kindes erleben zu müssen.

Eine gänzliche Betäubung folgte auf diesen Ausbruch von Heftigkeit. Julchen riß mich aus derselben, sie trat hüpfend ein. Ach Mutter, Mutter schrie sie, wissen sie denn, wer eben gekommen ist? Wissen sie wer den Brief gebracht hat? Wissen sie denn – – –

Laß mich! erwiederte ich und ich bemühte mich sie mit der Hand von mir abzuwehren, ich weis nichts, als daß ich die unglücklichste Mutter von der Weit bin; weis nichts, als daß ich fürchten muß, auch vielleicht in dir eine Boshafte zu erziehen, die dereinst meines grauen Alters spottet.

Mit gefaltenen Händen, und fest auf mich gerichteten Blicken stand Julchen vor mir; Thränen tröpfelten aus ihren Augen, und ihre bekümmerte Miene fragte mich: Was hab ich gethan, diesen Vorwurf zu verdienen?

Ich zog sie zu mir, und drückte sie an meine Brust. Ich konnte nicht sprechen, aber meine Thränen sagten ihr, daß mich meine Uebereilung reute, daß mein Herz nichts wider sie hätte.

[129] Julchen unterbrach endlich diese stumme Scene. Darf ich nun, sprach sie, indem sie von der Stelle aufsprang, wo sie vor mir gekniet hatte, darf ich nun meine Schwestern herein rufen?

Deine Schwestern?

Ja, ja Amalien und Jucunden; ich bringe sie sogleich, aber – liebe Mutter, keinen zornigen Blick für die Armen, keinen Vorwurf; ach sie sind so traurig, sie bedürfen keine weitere Kränkung. – Ich rufte ihr nach, um sie noch einmal zu fragen, ob es möglich sey? ob ich recht gehört habe? aber fort war sie, und ich befand mich in einem neuen Erstaunen, das so groß als das erste, nur von angenehmerer Art war.

18. Kapitel. Jucunde und Amalie
Achtzehntes Kapitel
Jucunde und Amalie

Julchen blieb lange außen. Ich ergriff in dieser Zwischenzeit Peninnens Brief noch einmal, ich sties auf die Stelle, in welcher sie der Ueberbringerinnen desselben gedachte, ich hatte dieselbe ganz übersehen, der übrige Inhalt war zu sonderbar, zu wichtig, um mir Gedanken für etwas anders übrig zu lassen. Jetzt erst begriff ich, was Peninna sagen wollte, und die lebhafteste Freude bemeisterte sich meiner Seele. Mit offenen Armen würde ich meinen Verlornen entgegen geeilt seyn, wenn ich [130] meinem Herzen hätte folgen wollen, aber ich hielt es für gut, den mütterlichen Wohlstand ein wenig in acht zu nehmen, und sie, Julchens Vorbitte ohngeachtet, mit etwas strenger und ernster Miene zu empfangen.

Kommt, kommt ihr Lieben, hörte ich Julchens liebkosende Stimme von außen keine Furcht! keine Einwendungen! Habt ihr denn so ganz vergessen, wie gütig unsere Mutter ist? – Ach sie hat sich nach euch gesehnt, hat so oft um euch geweint, wie sollte sie sich nicht freuen euch wieder zu sehen? –

Das fehlte noch, dachte ich bey mir selbst, daß die kleine Zauberinn mir das Herz vollends weich machte.

Die drey Schwestern traten ein. Ich war an ein Fenster getreten um meine Bewegung zu verbergen. Endlich mußte ich mich doch umkehren. Julchen sah aus wie ein tröstender Engel, der ein paar reuige Sünder vor ihren Richter führt, und ihre Gefährthinnen, wie ein paar busfertige Magdalenen.

Vermuthlich Madam Feldner, und die berühmte Schauspielerinn Jucunde? – fragte ich, indem ich mich bemühte, einen festen Ton anzunehmen. –

Julchen wandte sich weg, und schlug die Hände zusammen, als wollte sie sagen: so waren denn also meine Vorbitten ganz vergebens? Die beyden andern warfen sich zu meinen Füssen. Gebrochne [131] Worte: Reue, Vergebung, Verführung, waren alles, was ich verstehen konnte. Das letztere durchbohrte mir das Herz. Ich wußte, daß sie verführt waren. So jung, und in solchen Händen, wer hatte da nicht verführt werden sollen!

Stehet auf, rief ich und bemühte mich immer noch meinen ernsten Ton beyzubehalten, stehet auf! Dieß sind Theaterstreiche! – Sie blieben liegen und netzten meine Knie mit ihren Thränen. Stehet doch auf, wiederholte ich, ihr wisset, daß ich das Knieen nie vertragen konnte! – Sie blickten auf, der weichere Ton meiner Stimme machte ihnen Muth mich anzusehen, sie sahen mein mit Thränen überströmtes Gesicht, sie sprangen auf, und warfen sich in meine Arme.

Was soll ich mehr sagen? ich behauptete meine vorgenommene Rolle schlecht; ich war nicht mehr die strenge Richterinn, war ganz Mutter, und ob ich gleich nicht im Stande war, ein Wort zu sagen, so fühlten doch die armen Büßenden, ihre Verzeihung in der Wärme, mit welcher ich sie an meinen Busen drückte. Auch sie waren stumm. Aber Julchen machte die Freude desto lauter, sie wußte nicht, auf was für Art sie sie äußern sollte, sie war ausser sich, und das Verlangen, das ihr eigen war, auch andere an dem was sie glücklich machte, Theil nehmen zu lassen, würde sie vielleicht bewogen haben, das ganze Haus herbey zu rufen, um sich mit ihr über die Scene zu erfreuen, die sie entzückte, wenn ich [132] nicht ihre Absicht gemerkt, und sie zurückgehalten hätte.

Was willst du machen? fragte ich. O lassen sie mich, rief sie, ich muß, ich muß mehr Theilnehmer zu unserer Freude holen; erlauben sie mir wenigstens Klaren – – Um Gotteswillen, sprach Jucunde, stellen sie uns niemand fremden zur Schau! ich wollte lieber, daß ich mich hier vor jedermann verbergen könnte. – Sey ohne Sorgen, erwiederte ich, deine Schwester überlegt nicht was sie sagt. Geh Julchen, laß mich mit deinen Schwestern allein, und wenn du etwas nützliches thun willst, so gehe zu deinem Vater, und bereite ihn auf den Anblick deiner Schwestern vor, und sey bey ihm eine eben so eifrige Fürbitterinn, als du bey mir warest.

Ich war nun mit Amalien und Jucunden allein, und es ist unnöthig, den Inhalt unsers Gesprächs zu wiederholen. Es war so, wie es zwischen einer beleidigten, doch zur Vergebung willigen Mutter, und, zwischen verirrten doch wiederkehrenden Kindern statt haben konnte. Unsere Unterredung bedurfte keiner Zeugen. Die reuigen Sünderinnen waren so gedemüthigt, daß ich ihnen die Beschämung, das umständliche Bekenntniß ihrer Sünden in Gegenwart ihrer jüngern Schwester zu thun, gern ersparte.

Ich bin meinen Lesern den Inhalt dieses Bekenntnisses schuldig, aber sie sollen ihn haben, nicht so wie ich ihn damals in der ersten Bestürzung [133] der Sprechenden erhielt, sondern in dem Zusammenhange, wie mir es Jucunde einige Tage hernach ablegte. Also nichts von den Fragen, die ich an sie that, nichts einmal von denen, die ich Peninnens wegen vorbrachte, und von der unbefriedigenden Antwort, die ich darauf erhielt, sondern alles in seiner Ordnung.

19. Kapitel. Enthält unter andern Denkwürdigkeiten
Neunzehntes Kapitel
Enthält unter andern Denkwürdigkeiten, einen meisterhaften Liebesbrief

Die junge Rednerinn Juliane, hatte auch an ihrem Vater die Kraft ihrer Worte bewiesen. Zwar hatte sie sich gerade zu einer Zeit in sein Zimmer gedrungen, da er ausdrücklich verboten hatte, ihn zu stören, zwar hatte sie erst seinen ganzen Unwillen erfahren müssen, ehe er sie hörte, aber ihr rührendes Weinen und Bitten, ihre kunstlosen mahlerischen Vorstellungen von dem traurigen Zustande ihrer Schwestern, von ihrer Reue und von ihrem Versprechen künftiger Besserung, würkten endlich doch so viel auf Herr Hallern, daß er seine Töchter, als ich sie zu ihm brachte, mit Schonung aufnahm. Die Worte, welche er mit ihnen wechselte, enthielten zu wenig merkwürdiges und zweckmäßiges, um mir im Gedächtniß geblieben zu seyn, auch schienen sie keinen besondern [134] Eindruck auf die Büßenden zu haben. Freylich sahen sie in ihrem Vater denjenigen, der sie aus der Sicherheit in den Armen ihrer Mutter riß, und sie ohne Vorsicht der Verführung entgegen führte; freylich stand dem Mitgenossen bey mancher ihrer gefahrvollen Vergnügen, dem Anführer auf den schlüpfrigen Pfaden der Welt, das ernste väterliche Ansehen, das er einige Augenblicke lang zu behaupten strebte, nicht sonderlich an, und man konnte es seinen Töchtern nicht verdenken, daß sie dieses fühlten.

Nach meinem Willen hätte das Fräulein von Vöhlen, unsere Hausgenossin, nichts von Amaliens und Jucundens geheimen Angelegenheiten erfahren sollen, aber ich hatte Julchen oft im Verdacht, daß sie in der Freude ihres Herzens, ihr alles geplaudert habe; Klare that zu zurückhaltend gegen die Neuangekommenen, sie behauptete zu sehr das Ansehen gegen sie, das ungefallene oder vielmehr ungeprüfte Tugend, so gern gegen diejenigen annimmt, welche einmal gestrauchelt haben. – Herr Walter betrug sich gegen meine Töchter, als ich sie ihm vorstellte, so gut und edel wie sein ganzer Charakter war, und Charlotte – hatte sich seit einiger Zeit zu sehr geändert, um viel von ihr erwarten zu können. Desto besser – so hing das Herz meiner wiedergefundenen Kinder desto fester, desto inniger an mir, und ich hatte es ganz in meiner Gewalt es von neuem nach meinem Sinne zu bilden.

[135] In einer von den einsamen Stunden, die wir zusammen zubrachten, erfolgte die Erzehlung, welche ich so treu als möglich zu liefern gedenke.

Unsern ersten Eintritt in die Welt, fieng Jucunde an, hat Ihnen, wie sie sagen, Albert bereits beschrieben. Mit neugierigen Blicken mischten wir uns in das bunte Gewühl, verschlangen alles mit unsern Augen, fällten von allem unser Urtheil, und handelten nach demselben, ohne zu merken, daß wir falsch geurtheilt hatten, und also auch verkehrt handeln mußten. Eine vornehme Kleidung und ein gewisses stolzes oder herablassendes Betragen, war uns das Merkmal von gutem Stande und überlegenen Einsichten. Wir hatten nicht das Glück anständige Gesellschaft zu sehen, und glaubten uns also, mitten unter schimmerndem Pöbel, in der wahren großen Welt. Die verächlichen Blicke des Neides auf unser gutes noch unverblühtes Ansehen, demüthigten uns, und das Wohlgefallen, mit welcher Frechheit und Ausgelassenheit die Augen auf uns heftete, schätzten wir uns zur Ehre, und triumphirten über unsere elenden Siege.

Erkünstelter Kummer und verstellte Thränen reizten uns zu Mitleid, und alberne voreilige Bereitwilligkeit zu helfen, und wo wir das laute Jauchzen der Freude hörten, da strebten wir Zutritt zu haben, ohne zu wissen, wie übel diesen Jauchzenden meistens insgeheim zumuthe war, und wie bald wir, indem wir an ihrem Jubel Theil nahmen, ähnliche Schmerzen erfahren würden.

[136] Jucunde, unterbrach ich sie, du deklamirst mir zu viel, du kannst das Theaterwesen noch nicht vergessen. Ich bitte dich, erzähle kurz, deutlich, und ohne zu vieles Wortgepränge. – – – – – Jucunde fuhr fort:

Ohne mich also zu weitläuftig über die mancherley Auftritte auszubreiten, die wir sahen, und bey welchen wir auch zum Theil handelnde Personen vorstellten, will ich nur zu demjenigen eilen, welcher mein Schicksal entschied.

Nur das deinige? unterbrach ich sie, ich wünschte auch von Amalien etwas zu hören. Ich weiß, daß jedermann sich bestrebte, dich in einen Wirbel von Zerstreuungen zu schleudern, daß die Robignac, der Oberste, und Gott weis, wer alles, seinen Vortheil aus deiner Verführung zu ziehen suchte, weis es, daß Feldner, welcher anfangs dein Anbeter war, durch den nichtswürdigen Schwarm der dich umgaukelte, zurückgeschreckt wurde; aber wie kam er zu Amalien? war es Verzweifelung oder Liebe, was ihn dich vergessen machte?

Jucunde schont mich, sagte Amalie, sie scheut sich, es zu sagen, daß ich ihn zuerst liebte, daß ich ihn an mich lockte. Ich suchte seine Eifersucht zu nähren, feuerte ihn an, sich an seiner Treulosen zu rächen, bemühte mich, da es mir an persönlichen Annehmlichkeiten gebrach, ihn durch meine Unterhaltung zu fesseln, und meine Nebenbuhlerinn durch Witz und Talente auszustechen, und so gelang mir es endlich, ihn an mich zu ziehen. [137] Er versprach mir aus Rache seine Hand; er machte sich einen artigen Plan zu unserm gemeinschaftlichen Fortkommen, der sich auf unsere beyderseitigen Wissenschaften gründete, und wir nutzten die erste Gelegenheit, das Haus meines Vaters zu verlassen. Wir ließen uns trauen; er trat seine Stelle als Theaterdichter bey einer kleinen Truppe an, und ich erkühnte mich als Schriftstellerinn, Ehre und Vortheil zu erwerben.

Ich warf hier einen mitleidigen Blick auf Amalien, und Jucunde nahm das Wort von neuem.

Das geheime Verständniß zwischen Feldnern und meiner Schwester, hatte schon eine Zeitlang gedauert, ohne daß ich es achtete oder nur zu bemerken schien. – Der Eintritt der Demoiselle Ralph in unser Haus veränderte die Scene. Sie kennen aus Alberts Erzehlung die abentheuerliche Art, auf welche ich mit ihr in Bekanntschaft gerieth, und die meinen damaligen romanhaften Ideen so angemessen war. (Herr Feldner, hatte mich Romane lesen gelehrt, und ich hielt es für meine Pflicht, die Dinge, die sie enthielten, zu realisiren.) Meine neue Freundinn war in meinen Augen eins von den erhabensten Tugendmustern; ihre erkünstelte Erzehlung von ihren Schicksalen, hatte sie bey mir zu diesem Range erhoben, und wer mich von diesem Wahne abbringen wollte, war ein Verläumder, ein von ihren Feinden erkaufter Bösewicht, ein Feind meiner Ruhe. Ich hätte nur die Augen aufthun dürfen, um ein gerechteres [138] Urtheil zu fällen. Die Geflissenheit, mit welcher sie strebte, Uneinigkeit zwischen Amalien und mir zu stiften, wär schon hinlänglich gewesen, mir sie auf einer Seite zu zeigen, welche mit ihren andern vorgeblichen Tugenden schlecht übereinstimmte.

Demoiselle Ralph hatte selbst Absichten auf Feldnern, sie haßte Amalien, weil er gern mit ihr umgieng, und sie suchte mich wider beyde aufzubringen, um sich an ihnen zu rächen. – Verzeihe, verzeihe, Amalie! Die Kränkungen, die ich dir anthat, kamen nicht aus meinem Herzen; ein böser Geist mischte sich zwischen uns und suchte uns zu trennen.

Amalie bemühte sich, eine Thräne in ihrem Auge zu zerdrücken, und schloß Jucundens dargebotene Hand, zärtlich in die ihrigen.

Ein anderer Irrweg, auf welchen mich meine neue Verführerinn zu leiten suchte, redete die Erzehlerinn weiter, entsprang aus dem Wahne, den sie mir von einer ungebundenen Freyheit einzuflössen suchte, die das höchste Gute der Jugend sey, ohne die das Leben uns wie ein Traum, ungenossen verstreichen würde.

Mein Vater hatte zu viel zu thun, um diese Freyheit, die ich wohl zu gebrauchen entschlossen war, einzuschränken, und Mamsell Robignac, war nicht fühllos gegen die Reize eines kleinen Geschenks. Mein Vater war freygebig gegen mich, und wenn ich seine Geschenke mit meiner Aufseherinn [139] theilte, so waren ihre Augen vor allem verschlossen; sie ließ mich machen, was ich wollte, und dankte mir noch dazu, daß ich ihr Zeit verschafte, die Gesellschaft unserer Wirthinn zu geniessen, sich mit ihr bey einer Parthie Piket und einem Glas Rosolis des Lebens zu freuen, oder in einer zahlreichern Gesellschaft solcher Damen wie sie und ihre Freundinn, zu präsidiren, und über die Fehler des lieben Nächsten Gericht zu halten. Mein Gott Jucundgen, sagte sie denn manchmal zu mir, wir sind auch einmal jung gewesen. Wie hätte ich bey den Fräuleins von Wilteck auskommen wollen, wenn ich nicht gefällig gewesen wär! Die guten Kinder die! sie haben ihre Jugend redlich genossen, und sind doch noch gnädige Frauen geworden. Sie sind noch so jung und so hübsch, wer weiß was Ihnen einmal beschert ist.

Himmel! unterbrach ich Jucunden, in was für Händen bist du gewesen!

Gott sey Dank, antwortete sie, daß ich die Freyheit, die man mir gönnte, nicht ganz auf die Art genoß, wie ich gekonnt hätte. Nacht und Tag mit der Ralph herumzuschwärmen, nach allen neuen Dingen, die zu sehen waren, zu laufen, von den Seiltänzern an, die kürzlich aus Frankreich kamen, bis auf den jungen Prediger der seine Anzugspredigt in einer Hauptkirche hielt; mich an allen öffentlichen Orten zu zeigen, denen Impertinenzen der jungen Herren, die mir die schlechte Gesellschaft, in welcher ich mich zeigte,[140] zuzog, und die sie mir, als den hier eingeführten Ton angab, mit Hohn und Neckereyen, oder im höchsten Nothfall mit der Flucht ein Ende zu machen, und denn am Abend, wenn ich von den Schwärmereyen des Tages ermüdet, mit meiner Gefährthinn zur Ruhe gieng, über die gehabten Abentheuer zu lachen, das war meine Freude. Häusliche Stille, Arbeit, Eingezogenheit waren Dinge, die ich kaum mehr dem Namen nach kannte, die, wie mir Ralph sagte, nur für arme, alte und häsliche Personen, nicht für ein Mädchen wie ihre himmlische Jucunde taugten.

Das Bewußtseyn, daß ich die Tugend bey meinem freyen Leben nicht gerade verletzte, gab mir eine gewisse Ruhe und Selbstzufriedenheit, die ich für gutes Gewissen hielt. Daß ich Sittsamkeit und Wohlstand beleidigte, daß ich oft ohne es zu wissen, die Rolle der verworfensten Dirne spielte, das kam mir gar nicht in den Sinn, denn meine Gespielinn nannte dieses den durchgängig bey jungen Frauenzimmern eingeführten Ton; eine Lüge, die ich nicht entdecken konnte, da ich mit dem größern und edlern Theil der Mädchen der Stadt, in welcher ich lebte, nicht den geringsten Umgang hatte, sie an den meisten Orten, die ich mit der Ralph besuchte, natürlicher Weise gar nicht zu sehen bekommen konnte. In einem Stück glückte es meiner Verführerinn doch nicht, mich nach ihrem Beyspiel zu bilden: nie konnte ich mich entschliessen, den leichtsinnigen Anzug, den ich endlich[141] an ihr gewohnt ward und entschuldigen lernte, selbst zu tragen. Ich kleidete mich allemal mit einem gewissen Anstand, meine Freundinn mochte mir es so oft sagen, als sie wollte, daß es nicht Mode sey. Vielleicht war dieses das Mittel, die Achtung dererjenigen, deren Augen ich auf mich zog, immer noch einigermaßen zu erhalten; denn gewiß ist eine lockere lüderliche Tracht eine Art von Affiche, die einem jeden den Charakter derjenigen die sie trägt, deutlich muthmaßen läßt. Doch wüßte ich nicht, wie weit mich Gefälligkeit und Ueberredung endlich gebracht hätten; vielleicht wär es der Ralph endlich geglückt, alles aus dem Wege zu räumen, was mir noch das Ansehen eines nicht ganz verdorbenen Mädchens erhielt; und wie leicht wär es dann geschehen, daß ich aufgehört hätte, das zu seyn, wofür niemand mich mehr hätte halten wollen.

Zum Glücke nahte die Zeit heran, da mir die Augen über den wahren Charakter meiner Busenfreundinn sollten geöfnet werden. Der erste Lichtstrahl verbreitete sich an dem Tage über denselben, da ich Mamsell Ralph meinem Bruder Albert vorstellte. Der Unwille, die Verachtung, mit welcher er sie betrachtete, setzte mich schon in Verwunderung, aber als er ihr den Rücken kehrte und uns verließ, und sie ihm ein paar Flüche von der pöbelhaftesten Art nachsandte, da sah ich sie mit Erstaunen an, und würde sie vielleicht ganz für das erkannt haben, was sie war, wenn diese Schlange [142] nicht auch hier einen Ausweg gewußt hätte. – Närrchen, fragte sie, was willst du denn mit deinen großen Wunderaugen? was hab ich denn gesagt? – Worte, erwiederte ich, welche nie in den Mund eines gesitteten Frauenzimmers kommen sollten. – Kann wohl seyn, sagte sie, denn ich habe sie von deiner Robignac gehört, ich verstehe noch zu wenig von eurer Sprache, um zu wissen, wie die gesitteten und wie die ungesitteten Frauenzimmer schimpfen; und schimpfen wollte ich deinen unhöflichen Bruder, der nicht weis, wie er sich gegen ein Mädchen von meiner Art betragen soll. Die Ralph hatte in so weit recht, sie sprach das Französische schlecht, uud nur darum, weil in unserm Hause nichts anders geredet wurde; es war also möglich, daß sie nicht wußte was sie sagte, und ich entschuldigte sie.

Den Tag darauf erhielt ich eine nachdrücklichere Warnung, die ich aber eben so wie die erste in den Wind schlug. – Daß mein Bruder Albert die Nacht nach dem Tage da die vorige Scene zwischen ihm und der Ralph vorgieng nicht nach Hause kam, konnte mir nicht auffallen, weil dieses eine sehr gewöhnliche Sache war, aber als gegen den Mittag die ganze Stadt voll davon war, er habe im Thiergarten einen jungen Menschen im Duell erstochen, und sey entflohen, als alle angestellte Nachforschungen vergebens waren, als wir erfuhren, daß man ihm nachsetzte um ihn zur Rechenschaft zu ziehen, und ich für sein Leben zittern [143] mußte; wie soll ich beschreiben, wie mir da zu Muthe ward! Ich hatte Alberten allezeit geliebt, ob mir gleich seine Ermahnungen oft lästig waren, und ich sie bey dem, der selbst nichts weniger als fehlerfrey war, lächerlich fand.

Gegen den Abend dieses angstvollen Tages erhielt ich folgenden Brief, den ich Ihnen wegen seines originellen Tons selbst zu lesen vorlegen muß.

Jucunde zog ein Blatt aus ihrer Brieftasche, und ich las folgendes:

»Mamsell Haller!

Sie gefallen mir, und ich sehe sie gern wo sie mir vorkommen; wie wohl ich, auf meine Ehre wollte, sie kämen mir etwas seltener vor die Augen. Es sollte mir weh thun, wenn ich Sie durch die Gewohnheit nach und nach weniger hübsch fände.

Doch das gehört nicht hieher; zur Sache: Da hat sich Ihr Bruder gestern Abend im Thiergarten Ihrentwegen mit einem geschlagen; er that recht daran, der brafe Kerl, und hätte er kein Herz dazu gehabt, so wär ich da gewesen; ich, sehen Sie – Ich habe ihm davon geholfen, und ihm einen Weg vorgeschlagen, da ihm kein Teufel was anhaben soll; denn er ist ihr Bruder, und steht mir auch vor seine Person wohl an. – Hätts freylich nicht nöthig gehabt, denn sein Gegner ist nicht todt, aber nun, hin ist hin, und Sie müssen sich beruhigen; kann wohl einmal [144] als ein großer Mann wiederkommen, und hier wär doch nicht viel aus ihm geworden.

Was ich noch sagen wollte, Mamsell, war das: Menagiren Sie sich doch ein bisgen, wegen der sogenannten Mamsell Ralph. Sie sollen ja wie die Leute sagen, mit ihr umgehen, und eben darum hat sich ihr Bruder gestern geschlagen; ich weiß nichts von dieser Bekanntschaft, denn ich bin einige Wochen nicht in Berlin gewesen, und komme nun wieder, und freue mich recht auf ihren Anblick, aber ewig und ewig sollte mir es leid thun, wenn ich Sie mit der Ralph gehen sähe, denn die ist ihnen – – nun ich denke, Sie verstehen mich. Ich bin zwar auch, Gott verzeih mirs, kein Tugendspiegel; aber sehen Sie, eben darum kann ich Ihnen sagen, daß nichts an dem Weibsbilde ist, und daß es schade um Sie wär, wenn sie Sie verführen thäte. Sie sind so hübsch und sehen so gut und ehrlich aus, daß ich Sie mir selbst nicht gönnen würde, wenn ich nicht gedächte besser zu werden. Hören Sie, lassen Sie sich rathen; Sie haben, glaube ich, noch eine Mutter zu Hause, machen Sie, daß Sie aus Berlin kommen, und geradeswegs zu ihr, wenn sie nicht etwa auch von der Art ist, wie, – Sie müssen mirs nicht übel nehmen – Ihr Herr Vater, und das andere Menschenvolk in Ihrem Hause. – Armes, gutes, unschuldiges Geschöpf! Sie dauren mich bey meiner Ehre, und wenn ich besser und reicher wär, als ich bin, [145] Sie müßten heute meine Frau werden. Nun wir sehen uns wohl einmal wieder, denken Sie zuweilen an

den unbekannten Ferdinand

20. Kapitel. Ferdinand spielt seine Rolle fort
Zwanzigstes Kapitel
Ferdinand spielt seine Rolle fort

So ernsthaft die Dinge in meinen Augen waren, welche mir Jucunde vortrug, so konnte ich mich doch nicht enthalten, über dieses seltsame Sendschreiben zu lachen. Diesen Ferdinand kenne ich, dem Namen nach, sagte ich, indem ich meiner Tochter den Brief zurück gab; wenn ich dir das umständlich erzehlen werde, was ich von Alberten kurz vor seiner Abreise gehört habe, so wirst du auch seinen Namen nennen hören. Es ist ein Mensch, der mich wirklich interessirt; er handelte edel gegen deinen Bruder, er nahm sich deiner gekränkten Ehre an, und warnte dich in der gefährlichen Lage in der du dich befandst; es ist unmöglich, daß er so ganz verdorben seyn konnte, als er in anderer Betrachtung zu seyn scheint. Der Himmel bringe ihn von seinen Verirrungen zurück; das erste was ich ihm aus Dankbarkeit wünschen kann. – – –

Was mich anbelangt, fuhr Jucunde in ihrer Erzehlung fort, so bekümmerte ich mich damals [146] wenig um den Schreiber dieses Briefs, der Inhalt desselben zog meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Die Nachricht von der Rettung meines Bruders, von dem Leben desjenigen, den er nach jedermanns Vorgeben getödtet haben sollte, und die Vorstellung, daß Alberts Gefahr dadurch, im Fall er auch eingeholt werden sollte, sehr vermindert werden würde, erfüllten mich mit Entzücken. Das Bekenntniß von der Macht meiner Reitze, welche das abentheuerliche Sendschreiben enthielt, war mir zu plump, als daß ich es einiger Achtsamkeit hätte würdigen sollen. Die Warnungsworte wegen meiner Freundinn machten einen etwas stärkern Eindruck; aber Mamsell Ralph, die als meine Vertraute freylich den Brief sogleich zu sehen bekam, wußte für alles Ausflüchte, und aller Verdacht, den mir der treuherzige Unbekannte einzuflößen gesucht hatte, wurde durch sie bald so völlig vernichtet, daß ich sie um Verzeihung bat, daß ich den Lästerungen ihrer Feinde nur einen Augenblick hatte Gehör geben können, und zur Versiegelung meines vernenten Vertrauens ihr versprach, noch diesen Abend einen Maskenball mit ihr zu besuchen, zu welchem sie von einem Vetter Billets bekommen hatte. – Ich hatte ihre Meynung, liebe Mutter, die sie oft über diese Art von Lustbarkeiten äußerten, noch nicht so ganz vergessen, daß ich nicht immer einen geheimen Widerwillen gegen dieselben hätte haben sollen, und ich hatte daher, so oft Mamsell Ralph mich bey diesem Feste der [147] Narrheit hatte einführen wollen, allemal den Mangel eines anständigen Führers vorgewendet, und ihr die Unschicklichkeit vorgestellt, wenn zwo junge Mädchen, in einem Gewühl von lauter Unbekannten, ohne einen Schützer erschienen. Mamsell Ralph hatte mir zwar eingewendet, daß bey dieser Art von Bällen, die Gesellschaft nie so gros sey; daß man sie kenne; daß sie mir für alle Gefahr stehen wolle, und daß es übrigens an dem Ort, wohin sie mich zu führen gedächte, gar nichts ungewöhnliches sey, Frauenzimmer ohne männliche Begleitung auftreten zu sehen; aber dem ohnerachtet war es ihr nie geglückt, mich zum Mitgehen zu bewegen.

Diesen Abend machte sie meine Einwilligung zu einer Bedingung ihrer Verzeihung, sie stellte sich untröstlich, daß ich dem Briefe des Unbekannten zu ihrem Nachtheil nur einen Augenblick hatte glauben können, und das einige Mittel sie zu befriedigen, sie von der völligen Tilgung meines Verdachts zu überzeugen, war, daß ich mich entschloß, sie auf die Maskerade zu begleiten.

Sie hielt mich fest bey meinem Worte, sie machte alle Anstalten zu unserer Erscheinung, und nützte die Zwischenzeit bis zu der Stund, da wir uns in den Wagen setzen wollten, um zu diesem Feste der Finsterniß zu fahren, mich mit Neugier und Verlangen nach dem was ich sehen würde zu erfüllen. Sie versprach mir, außer dem Anblick der bunten Scene, und dem Vergnügen des Tanzes, [148] das ich mit jedermann gemein haben würde, auch noch eine besondere Freude, nehmlich die Bekanntschaft eines jungen Herrn vom ersten Range, welcher mich auf den öffentlichen Spaziergängen gesehen habe, von mir ganz entzückt sey, und gegen einige ihrer Verwandten geäußert habe: Mamsell Haller sey das schönste Mädchen, das er kenne; so eine Gemahlinn wie die göttliche Jucunde würde er den vornehmsten und reichsten Fräulein vorziehen, und er könne nicht ruhen, bis er dieses bescheidene Veilchen aus der Dunkelheit hervorgezogen, und zum Gegenstand des Neids und der Bewunderung des ganzen Hofs erhoben hätte.

Ich war nicht so ganz einfältig, viel auf alle diese Dinge zu bauen, aber die Neugierde quälte mich, ich wollte doch nur sehen, nur hören, nur wissen, was eigentlich von diesen bezaubernden Märchen zu halten sey. Du magst dich denn, sagte Mamsell Ralph, diesen Abend mit deinen eigenen Augen überzeugen; aber fuhr sie fort, sey vernünftig, und erwarte nicht etwa, daß ein Mann von solchem Range, wie ein Sclave zu deinen Füssen kriechen soll. Doch ich denke, dein neuer Liebhaber, der unbekannte Ferdinand, hat dich schon an einen Ton gewöhnt, der dich nicht stolz werden läßt, und ich vermuthe wenigstens, daß der, den ich dich kennen lehren will, nicht zu seiner Dame sagen wird: er möchte sie nicht zu oft sehen, um ihrer nicht überdrüßig zu werden, sie solle machen, daß sie nach Hause zur lieben [149] Mutter käme, und was dir dein artiger Korrespondent alles für Sächelchen vorpredigt. – Eine beißende Parallele zwischen dem unbekannten Ferdinand, und dem mir eben so unbekannten Helden der Demoiselle Ralph, beschloß die Vorlesung, die mir meine edle Freundinn hielt. Wir rüsteten uns zum Balle, und fuhren Abends nach eilf Uhr ab.

Es würde zu weitläuftig fallen, Ihnen mein Erstaunen über die neuen Gegenstände, die sich meinen Augen darboten, und alle Auftritte dieses Abends zu schildern. Mamsell Ralph hatte mich schon nach und nach zu sehr an den Ton der Ausgelassenheit und wilden Freude gewöhnt, als daß mir hier etwas hätte auffallend seyn sollen, und was mir etwa außerordentlich vorkam, wurde mit der Sitte des Orts entschuldigt, welche mir, da ich ihn noch nicht besucht hatte, freylich unbekannt seyn mußte.

Mamsell Ralph hatte mich einen großen Theil der Nacht unter dem Vorwande vom Tanzen zurück gehalten, daß sie meine Hand für denjenigen aufheben müße, welchem sie mich diesesmal vorzustellen gedächte. Sie selbst hatte wenig Versuchungen gehabt, ihren Sitz zu verlassen, denn ob sie gleich sowohl als ich, und viele von den anwesenden Damen, sich mit bloßem Gesichte zeigte, und alle Künste angewendet hatte, ihre Reize zu erhöhen, so schien sie doch wenig Aufmerksamkeit zu erregen; man übersahe sie als eine alte Bekannte, [150] und versammelte sich nur um mich, mit einer Zudringlichkeit, die selbst mich, die ich unbescheidenes Angaffen gewohnt war, in Verlegenheit setzte, und mich den Mangel einer Maske bedauren ließ.

Es war weit nach Mitternacht, als endlich der lange Erwartete erschien; Mamsell Ralph zeigte mir ihn von weitem, er trug die Kleidung eines Spaniers, und stellte eine gute Person vor. Meine Gefährtinn wandte alle Beredsamkeit an, mir seine Vorzüge in ein noch helleres Licht zu setzen, und mich vorzubereiten, ihn gefällig aufzunehmen, wenn er sich uns nähern würde. Sie wurde in ihren Demonstrationen so laut, daß sie die Aufmerksamkeit derjenigen, die vor uns vorübergiengen, erregte. Ein Matros trat aus dem Haufen hervor, sahe mir und meiner Beysitzerinn steif ins Gesichte, stampfte mit dem Fuß, ergriff meine Hand, und schwur, ich müsse mit ihm tanzen. Das Einreden der Mamsell Ralph und mein Sträuben half nichts, und ich war in den Kreis der Tanzenden geschleudert, ich wußte nicht wie.

Mein Gefärthe ließ mich nicht von der Hand, und mein Bitten, und meine sichtbare Ermattung, bewegte ihn erst nach unterschiedlichen Tänzen, mir eine Viertelstunde zur Erholung zu gönnen. Er führte mich in ein Erfrischungszimmer, und flüsterte mir im Hingehen zu, es sey ihm lieb, mich unter dem Vorwande meiner Ermüdung allein sprechen zu können, weil er mir viel zu sagen habe.

[151] Seine Hoffnung auf ein einsames Gespräch, und meine Neugierde nach dem, was er mir zu vertrauen hätte, wurden beyde getäuscht. Wir fanden das Kabinet schon mit Leuten erfüllt, unter welchen sich auch der gerühmte Spanier der Demoiselle Ralph befand. Der Matros bat mich, mich zu setzen, bediente mich mit Limonade, und bemühte sich immer seinen Stand so zu nehmen, daß niemand von den Anwesenden mich ganz erblicken könne: dieses diente nur dazu, desto mehr Augen auf mich zu richten, und die Menge derer, die mich umgaben, vernichtete sein Bestreben, mir etliche Worte ins Geheim zu sagen, bald völlig.

Er schien verlegen, ward nachdenkend, und seine Entwürfe, die er machen mochte, schienen durch den Eintritt der Demoisell Ralph auf einmal zur Zeitigung zu kommen.

Mademoiselle, sagte er ganz laut zu mir, da ihm die Menge der Unstehenden das heimlich Reden verbot, sie sehen außerordentlich blaß, und ich wünschte, daß sie wir erlaubten, sie zu einer Sänfte zu begleiten. Ich versicherte, daß ich bis auf die Erhitzung vom Tanze völlig wohl sey; er behauptete das Gegentheil mit so vielem Eifer, daß ich endlich wirklich eine Unbehaglichkeit zu fühlen glaubte, und um ein Glas Wasser bat. Sogleich waren zwanzig Hände bereit, mir das begehrte zu reichen, und zehn Stimmen erhoben sich, mir Aderlaß, Hirschhorn, und der Himmel weis was alles, als würksamere Mittel anzurathen.

[152] Stille, meine Herren, sprach mein Gefährthe mit leiser Stimme, aller Lärm ist hier im Stande eine Ohnmacht zu beschleunigen, ich bin ein Arzt, und weiß zuverläßig, daß Ruhe der Dame im gegenwärtigen Falle das zuträglichste seyn wird, geben sie mir Gelegenheit, sie unvermerkt aus dem Zimmer und an ihre Sänfte zu bringen; dies ist alles warum ich bitte.

Das vielfältige Zureden hatte mich wirklich dahin gebracht, daß ich glaubte sehr übel zu seyn; ich bat mit schwacher Stimme, meine Freundinn, das eben eingetretene Frauenzimmer, zu meiner Hülfe herbey zu rufen, aber ich ward nicht gehört, und man führte mich zu dem nächsten Eingange des Zimmers hinaus, ohne daß die Personen, welche sich auf der andern Seite befanden, etwas davon gewahr wurden.

Der Matros führte mich in eine Sänfte, ohne im Stande gewesen zu seyn, ein Wort mit mir zu sprechen, denn die ganze Anzahl derer, welche im Kabinet um mich versammelt gewesen waren, begleitete mich, wie sie sagten, aus Besorgnis wegen meiner Gesundheit. Ich sagte den Trägern meine Wohnung, und der Matros wandte sich unwillig auf die Seite. Ich wunderte mich, als ich ein wenig zu mir selbst kam, mich so wohl zu befinden; auch keine Spur von der Unpäßlichkeit, die mich vor einer Viertelstunde angewandelt hatte, war mehr übrig. Ich dachte an die Vorgänge des heutigen Abends, an Mamsell Ralph, den[153] Matrosen und den Spanier; das Gewirr von Ideen machte, daß ich endlich gar nicht mehr mußte was ich dachte, und so kam ich bey meiner Wohnung an.

Das erste was mir in die Augen fiel, als ich aus der Sänfte trat, war der Matros, der mich bisher begleitet hatte.

Mamsell, sagte er, indem er mich ziemlich matrosenmäßig bey der Hand nahm, sie sind so unbesonnen, daß sie noch endlich einmal so ankommen werden, daß ihnen niemand helfen kann. Hätte ich sie heute wohl von dem verfluchten Balle hinweggebracht, wenn ich sie nicht beredet hätte, daß sie sich übel befänden? Weis Gott was die Ralph mit ihnen vor hat? vermuthlich will sie sich mit ihrer Schönheit forthelfen, da die ihrige nichts mehr gilt. Denken sie an den heutigen Brief, und seyn sie auf ihrer Hut.

Ich wollte wetten unterbrach ich Jucunden, daß dieser Matros und der unbekannte Ferdinand eine Person waren. – Er sey wer er wolle, fuhr sie fort, so schien er recht bestimmt zu seyn, mich überall zu treffen, und sich überall zu meinem Hofmeister aufzuwerfen.

Seine Warnungen wurden des andern Tages von der glatten Zunge der Mamsel Ralph völlig vernichtet und lächerlich gemacht. Sie stellte alles was sie angieng auf der vortheilhaftesten Seite, und mein Betragen, den Tanz mit dem Matrosen, meine Entfernung in das Erfrischungszimmer, [154] die Unpäßlichkeit die ich mir hatte aufdichten lassen, und mein unzeitiges Nachhausegehen ohne sie, so gehäßig vor, daß ich mich von Herzen schämte, und wieder in dem Falle war, um Verzeihung zu bitten, und meine erzürnte Freundinn zu besänftigen.

Ich fuhr fort, mich mit der Ralph im Schauspiel und an andern Orten öffentlich zu zeigen, und ich konnte fast keinen Gang thun, daß mir die Stimme meines ungebetenen Warners nicht bald von dieser, bald von jener Seite über die Achseln schallte; ich ward es endlich gewohnt, lachte mit der Ralph darüber, und dachte nicht mehr daran, einen ernsthaften Gebrauch von der Stimme meines Schutzengels zu machen, bis sich die wichtige Begebenheit zutrug, welche mir auf einmal die Augen öfnete, mir sie öfnete, als es fast zu spät war, zurückzukehren, als wenigstens mein Schicksal durch meine Unvorsichtigkeit jenen Stos bekam, der mich in einen Stand schleuderte, den ich wohl nie freywillig gewählt haben würde.

Erlauben Sie mir, beste Mutter, dieses Vorgangs so kurz als möglich zu gedenken. Die Gelegenheit dazu war fast die nehmliche, wie an dem Abende, da der Matrose für meine Sicherheit sorgte, nur daß derjenige, den Mamsel Ralph mir jenesmal in der Tracht eines Spaniers von ferne zeigte, sich mir jetzt näher entdeckte, und mir seine Absichten so unverhüllt bekannte, daß ich von dem lebhaftesten Abscheu erfüllt wurde. – Die verrätherische [155] Ralph hatte mich in seinen Händen gelassen, und sich entfernt. Niemand würde wahrscheinlichlich mein Retter gewesen seyn, und ich wär vermuthlich genöthigt gewesen, meinem unbescheidenen Liebhaber vom Balle in ein Haus zu folgen, das er und Mamsell Ralph, wie er sagte, schon längst für mich zubereitet hätten, um daselbst unter dem Titel seiner beständigen Freundinn zu leben, wenn nicht die Lebhaftigkeit unsers Wortwechsels, einen Herrn aus einem Nebenzimmer herbeygezogen hätte. Er hatte sich in einen weisen Mantel gehüllt, so daß ich wenig von seiner Person sehen konnte, aber der Ton seiner Stimme, entdeckte mir bey den ersten Worten, die er sprach, meinen treuen Warner. O rief ich, retten, retten sie mich! jetzt sehe ich die Wahrheit ihrer Worte ein! – Wenig Worte waren hinlänglich ihm ein Licht über meine gegenwärtige Verfassung zu geben, er regalirte den, aus dessen Gewalt er mich riß, mit ein paar kräftigen Flüchen, und führte mich davon, ohne daß der andere das Herz gehabt hätte, es ihm zu wehren.

Es war kein Wagen vorhanden, der uns aus diesem gottlosen Hause, wofür ich es nun erkannte, bringen konnte, und wir traten also unsern Weg zu Fuße an. Wir waren fast eine ganze Straße lang gegangen, ohne daß wir ein Wort mit einander gewechselt hätten; aber nun fieng er eine Ermahnungsrede an, auf welche er vermuthlich den ganzen Weg über gesonnen haben mochte. [156] Sie war so nachdrücklich, und er machte es mir anfangs so unmöglich, das kleinste Wort zu meiner Vertheidigung einzuschieben, daß ich glaubte ein Recht zu haben, mich über seine Freyheit beleidigt zu finden. Ich antwortete ihm auf eine Art, die auch ihn verdroß, er warf mir meine oftmalige Verschmähung seiner Warnungen vor, und beschuldigte mich, daß doch vielleicht ein geheimer Wohlgefallen an dem Laster, das ich mich zu verabscheuen stellte, in meinem Herzen verborgen seyn müsse. Ich war nicht sanftmüthig genug, dieses ohne Gegenrede aufzunehmen, und wir trennten uns endlich in vollem Zorn, er mit dem Versprechen, nie wieder nach einer Person zu fragen, welche Freundes Warnung nicht zu vertragen wisse, und ich mit der Versicherung, daß ich inskünftige meine eigene Hüterinn seyn wolle, um alle fremde Hülfe und Warnung unnöthig zu machen.

O du Undankbare, unterbrach ich hier Jucunden, war dieses der Dank gegen einen Mann, welcher sich deiner annahm, ohne die geringste Verbindlichkeit dazu zu haben?

Seine Art mit mir zu sprechen, erwiederte sie, war in der That ein wenig hart, und konnte wohl die Empfindlichkeit eines so sehr geschmeichelten Mädchens reitzen; indessen hatte ich es verdient, daß man aus diesem Ton mit mir redete, und es hätte mir freylich geziemt, dieses zu bedenken. Aber zu dem Beleidigenden, das ich in seiner Rede fand, kam auch noch dieses, daß ich eine [157] ganz andere Sprache erwartet hatte. Ich hatte in so manchem Roman Geschichten gelesen, mit welchen mein gegenwärtiges Abentheuer einige Aehnlichkeit hatte; immer war der Retter des bedrängten Mädchens ein demüthiger Verehrer ihrer Schönheit und Tugend und ein pathetischer Lobredner ihrer gekränkten Unschuld; wie sehr mußte es mich nun verdrießen in meinem Befreyer nichts von dem allen zu finden, und aus seinem Munde anstatt der honigsüßen Sprache des Liebhabers, Vorwürfe und Gesetzpredigten zu hören?

21. Kapitel. Der Verdacht wider Peninnen vermehrt sich
Ein und zwanzigstes Kapitel
Der Verdacht wider Peninnen vermehrt sich

Ich kannte Jucundens gebesserte Gesinnungen zu gut, um ihre letzten Worte als eine Vertheidigung ihres Verfahrens aufzunehmen, ich sah es, daß sie in denselben nichts that, als über ihre albernen Romangrillen spotten, und hielt es also für unnöthig, hier eine meiner Belehrungen anzubringen. Ich schwieg und die Erzehlerinn fuhr fort.

Ich befand mich wenig Schritte von meines Vaters Wohnung, als mein Schutzengel sich von mir trennte. So erzürnt ich auf ihn war, so konnte ich mich doch nicht enthalten, ihm nachzusehen. Der Morgen fieng schon an zu dämmern, und ich konnte seine weiße Lichtgestalt noch lang [158] unterscheiden, bis sie sich endlich in eine entlegene Straße verlor. Ich schickte ihm einen Seufzer nach, und konnte mich nicht enthalten, es zu bedauren, daß ich ihn so im Zorn von mir gelassen hatte; ach wie bald sollte die Zeit kommen, da ich einen Rathgeber, wie ihn nöthig gehabt hätte, da er der einige Freund gewesen wäre, dessen ich mich an dem damaligen Orte meines Aufenthalts hätte rühmen können. Ich gieng langsam nach unserer Wohnung zu; die Thür war verschlossen, aber im untern Zimmer, welches die Frau vom Hause bewohnte, war Licht. Ich klopfte an; man öfnete mir.

Mein Gott, Mamsell Jucunde! rief mir die Magd entgegen, welche mich einließ. Stille! stille, Kind! sprach ich leise, ich habe mich verspätigt, ich will niemand wecken. Wenn ist mein Vater, und wenn Mamsell Ralph nach Hause gekommen?

Der Papa? und Mamsell Ralph? schrie die Dirne, nun ja, was das betrift! – Nein, Madam, fuhr sie fort, und steckte den Kopf in die Unterstube um die Wirthinn zu rufen, ich bitte sie um Gotteswillen, da ist Mamsell Jucunde; was in aller Welt doch das zu bedeuten haben mag?

Die Wirthinn kam heraus, mein Anblick setzte sie in eben so große Verwunderung, als ihre Magd, ich konnte nicht einsehen, was an meiner Erscheinung so wunderbares sey, wir sprachen alle zu gleicher Zeit und verstanden uns nicht, bis mir endlich [159] ein schreckliches Licht aufgieng, und ich einsah, daß ich ganz allein und von allen verlassen zu Berlin zurückgeblieben war. Mein Vater war diese Nacht, vermuthlich wegen unglücklichen Spiels oder anderer Verdrüßlichkeiten, schleunig abgereißt, er hatte nach mir gefragt, aber als ich nicht vorhanden gewesen war, sich keine große Mühe weiter um mich gegeben. Mamsell Ralph hatte den Tag vorher, unter dem Vorwand, es geschäh auf meinen Befehl, alle meine Sachen ausräumen lassen, vermuthlich um sie in die Wohnung zu bringen, die sie mir bey dem bereitet hatte, den ich noch bis jetzt nicht anders als nach der Maske, in der ich ihn sahe, den Spanier zu nennen weiß, oder sie im Falle, daß ich widerspenstig wär, als eine kleine Schadloshaltung für meine Gesellschaft zu behalten, von welcher sie, nach dem Vorgang voriger Nacht wohl einsehen konnte, daß sie für sie verloren seyn würde.

So war ich also ganz verlassen und zu Grunde gerichtet; vergessen und vernachläßigt von einem unnatürlichen Vater, und geplündert von einer verrätherischen Freundinn! Kein Donnerschlag hätte mich so zu Boden stürzen können, wie diese Nachricht; ich warf mich auf einen Stuhl, und war der Ohnmacht nahe.

Es würde zu weitläuftig seyn, alles was auf diese für mich so schreckliche Scene erfolgte, zu erzehlen; es sey genug, daß ich bey dieser Gelegenheit die wahre Gesinnungen derer, die mir bisher [160] geschmeichelt hatten, aus dem Grunde kennen lernte. Meine bisherige Wirthinn wollte mir kaum den Aufenthalt in ihrem Hause noch auf den kommenden Tag gönnen, und nur der Anblick meiner goldenen Uhr, des einigen was ich noch besaß, die ich zum Glück diesen Tag getragen hatte, konnte sie zu einiger Nachsicht bewegen. Ich gab sie ihr, sie zu verkaufen, und tröstete mich im übrigen auf den Beystand der Demoiselle Robignac, von welcher ich gewiß glaubte, daß sie mich nicht verlassen, und mir Mittel verschaffen würde, nach Hohenweiler zurück zu kommen.

Mamsell Röbignac führte schon seit einiger Zeit nicht mehr den Namen meiner Gouvernante; sie hatte sich mit meinem Vater, der ihren Geiz nicht mehr so befriedigen konnte wie vormals, entzweyet und das Haus verlassen; dem ohngeachtet aber war sie täglich in unserer Wohnung, sie besuchte ihre Busenfreundinn, und zuweilen auch mich, und ich konnte also darauf rechnen, sie bald zu sehen, und mich bey ihr Raths zu erholen.

Ich fand wenig von dem, worauf ich rechnete, wenig guten Rath, mehr gute Lehren, und gar keine Hülfe. Mademoiselle Robignac, war im Begriffe eine Kostschule für junge Frauenzimmer anzurichten, sie bot mir eine Stelle in derselben als Unterlehrerinn an, aber ich war durch die betrügerische Ralph behutsam geworden, ich erkundigte mich etwas genauer nach der Einrichtung ihres Erziehungsinstituts, und die Nachrichten die ich einzog, [161] waren so sonderbar, daß ich mich nach der angebotenen Stelle nicht sehnte. Mamsell Robignac war beleidigt, meine bisherige Wirthinn konnte niemand in ihrem Hause dulden, welcher kein Geld hatte; meine goldene Uhr hatte sich in ihren Händen in Semidor oder Tompack verwandelt. Es war eine Kleinigkeit, was ich dafür bekam. Das was ich, nachdem ich meinen Aufenthalt von etlichen Tagen in ihrem Hause bezahlt hatte, übrig behielt, war mit dem, was ich aus einigen andern verkauften Kleinigkeiten lößte, eben hinlänglich mir eine kleine Kammer bey einer armen Frau zu miethen, welcher ich während meines Aufenthalts in Berlin Gutes gethan hatte, und die mir versprach, mir von ihren Bekannten Arbeit zu verschaffen, welche mich so lange bis sich bessere Aussichten für mich zeigten, nothdürftig nähren könne. An die Rückreise nach Hohenweiler war gar nicht zu gedenken, und ich konnte mich nicht überwinden, in meiner gegenwärtigen elenden Verfassung nach Hause zu schreiben, und um Hülfe zu bitten.

So hatte ich einige Wochen gelebt, und würde wahrscheinlich ein Leben von dieser Art, das ich gar nicht gewohnt war, nicht lange ausgehalten haben; aber plötzlich änderte sich die Scene. Meine Schwester, meine Amalie, erschein mir wie ein tröstender Engel in dieser Finsterniß, und führte mich auf einen Weg wo ich ruhig und bequem leben konnte, ohne darum den Pfad der Tugend zu verlassen.

[162] Eine Umarmung der beyden Schwestern, unterbrach hier die Erzehlung, und Amalie nahm nach einiger Zeit, weil Jucunde zu gerührt war, um sprechen zu können, das Wort.

Sie wissen, liebe Mutter, fieng sie an, auf was für Art ich aus meines Vaters Hause kam; ich war Feldners Frau, wir lebten beyde beym Theater, und fanden unser reichliches Auskommen. Vollkommen wär unser Glück gewesen, wenn ich der Bühne nicht allein mit meiner Feder hätte dienen können. Uns fehlte eine zweyte Liebhaberinn, ich versuchte es aufzutreten; meine Action und meine Stimme war, wie jedermann gestand, ohne Tadel, aber meine Person fand keinen Beyfall. Meine Eitekeit ward gekränkt, aber ich wußte mich zu beruhigen. Mein Mann und ich hatten von der Abreise meines Vaters gehört; Jucunde war nach derselben noch in Berlin gesehen worden, ich war ihrentwegen in Sorge. Feldner kannte ihre Talente, der Direktor der Gesellschaft kannte ihre Person und versprach sich von ihrer Erscheinung Vortheil. Wir kundschafteten ihren Aufenthalt aus, und ich ward abgeschickt, sie in unsern fröhlichen Kreis einzuladen.

Jucunde nahm unsere Vorschläge an, sie verlies die Wohnung des Elends, und die mühsame Handarbeit, die sie kümmerlich nährte. Fast ohne allen Unterricht betrat sie die Bühne, sie schien für dieselbe gebohren zu seyn. Was ihr an Uebung fehlte, ersetzte ihre Schönheit, und nie hatte unser [163] Haus häufigern Zulauf, als wenn man gewiß war sie erscheinen zu sehen. Sie entzückte das Publikum als Franziska, und wenn sie im Westindier als – –

Hier unterbrach ich Amalien; sie sprach mir in zu hohem Tone vom Theater, ich konnte es nicht leiden, wenn man diesen Dingen das Ansehen von Wichtigkeit gab. Das Lob, das sie Juncunden beylegte, durchbohrte mir das Herz. Es war schlimm genug, daß ich selbst gestehen mußte, daß meine arme Jucunde damals fast keinen andern Weg zu ihrem Fortkommen vor sich hatte, als diesen. Hör auf, sprach ich zu Amalien, und laß deine Schwester weiter reden.

Die Lobeserhebungen, fieng Jucunde von neuem an, welche mir meine Schwester beylegt, sind partheyisch. Man fand mich nur so lange erträglich als ich neu war. Niedrige List und Kabale raubte mir den Beyfall, auf den ich noch allenfalls hätte Anspruch machen können. Man ließ mich nur in solchen Rollen auftreten, denen ich nicht gewachsen war. Unter dem Vorwande mich zu erheben, gab man mir hohe tragische Rollen, in welchen ich ausgeklascht ward, da ich hingegen als Soubrette, oder komische Liebhaberinn, ganz in meinem Fach und des allgemeinen Beyfalls sicher war. Der Neid meiner Gespielinnen verfolgte mich auf noch empfindlichere Art: man fieng an meiner Schwester in den Kopf zu setzen, daß der Herr Feldner seine ehemalige Liebe zu mir wieder [164] hervorsuchte und – und – kurz es war nichts an der Sache, und wenn es auch so gewesen wär – so hätte Amalie auf meine Redlichkeit rechnen könne.

Jucundens Stocken, und Amaliens tiefgeholter Seufzer bey dieser Stelle, belehrte mich was ich zu glauben hatte. Ich gebot der Erzehlerinn, um ihr ihre unangenehme Rolle abzukürzen, nicht zu weitläuftig zu seyn, und sie beschloß ihre Geschichte folgendermaßen.

Herr Feldner hatte unsere Truppe, ich weiß selbst nicht warum verlassen. Wir veränderten unsern Aufenthalt verschiedenemal, und ich gewann nach und nach so einen Widerwillen vor dem Theater, daß ich es gewiß verlassen haben würde, wenn ich ein anderes Mittel zu meinem Forkommen gewußt, oder in meinem väterlichen Hause auf die schonende Aufnahme eines verirrten Kindes hätte rechnen dürfen, die ich daselbst gefunden habe.

Wir kamen, nachdem wir verschiedene Städte besucht hatten, nach Wien, und fanden Feldnern daselbst. Amalie freute sich ihren verlornen Gatten wiederzufinden, ich aber zitterte, und sahe wie in einem Spiegel was uns seine Gegenwart für ein Schicksal prophezeite. – Um die Sache ohne weitere Umschweife heraus zu sagen, Herr Feldner haßte seit einem gewissen Zeitpunkte mich und meine Schwester. Er hatte bey dem Wiener Publiko viel Einfluß, und so war es natürlich, daß kein Stück von meiner Schwester aufgeführt werden [165] konnte, welches nicht durch ihn fiel, und ich in keiner Rolle auftrat, wo ich nicht anstatt des Beyfalls das Gezische des Hohns zum Lohne hinnehmen mußte. Die Stimme der besser und heller sehenden wurde unterdrückt und unser gemeinschaftlicher Feind behielt die Oberhand.

An einem von den Tagen, da ich und Amalie vor einer sehr zahlreichen Versammlung auf diese Art gelitten hatten, und um dem spottenden Auge unserer Verfolger zu entkommen, unsern Heimweg durch eine Hinterthür des Schauspielhauses hatten nehmen müssen, fanden wir in unserer Wohnung eine Karte ohngefehr dieses Inhalts:

»Wenn Madam Feldner, und Mademoisell N... so wie man Ursache hat zu vermuthen, Amalie und Jucunde Haller sind, so werden sie gebebeten, sich in den Wagen zu setzen, welcher diesen Abend gegen zehn Uhr vor ihrem Hause halten, und sie zu einer Freundinn führen wird, welche ihr Unglück betrauert, und sie demselben zu entreißen wünscht.«

Wer erfahren hat, wie begierig wir nach erlebten Verdrüßlichkeiten, den kleinsten Trost zu ergreifen pflegen, welcher sich uns darbietet, der stelle sich die Freude vor, welche wir über diesen Zettel empfanden. O Amalie, rief ich, man kennt, man bedauert uns hier, man will uns retten! Amalie schüttelte den Kopf, wußte nicht worinnen diese Rettung bestehen sollte, fürchtete neues Unglück, und konnte doch nicht ermüden, den Zettel [166] immer von neuem zu lesen, und auszurufen, daß ihr die Hand bekannt sey, und daß wir doch vielleicht jemanden finden würden, dessen Anwesenheit uns Freude machen könne.

Die gewünschte Stunde erschien, wir warfen uns in den Wagen, welcher uns – ach liebe Mutter, sie errathen es – in die Arme unserer Peninna führte. Ists wohl möglich, eine Scene wie diese zu beschreiben? Wir wußten nichts von ihrer Anwesenheit in Wien; sie bis heute nichts von der Unsrigen. Sie hatte das Schauspiel besucht, hatte in der armen mishandelten, durch unbilligen Tadel des lärmenden Parterre aus aller Fassung gebrachten Actrice ihre Schwester erkannt. Auf eingezogene Erkund gung hörte sie, daß diese Madam Feldner, die Verfasserinn des heutigen Stücks, die Schwester der ausgepochten Schauspielerinn sey; die Beschreibung ihrer Person ließ sie Amalien erkennen, und ihre Maasregeln waren genommen.

Sie ließ uns zu sich holen, um aus unserm Munde unsere wahre Verfassung zu vernehmen, und uns, wenn wir ihrer Vorsorge noch würdig wären, Mittel zu verschaffen, in das Haus unserer Eltern zurückzukehren. Die halbe Nacht gieng hin, nicht uns unsere Schicksale zu erzehlen, sondern uns über einander zu freuen, mit einander zu weinen, und Plane für die Zukunft zu machen. Erst am folgenden Tage erfolgte eine kurze Erzehlung von unserer Seite, denn Peninna konnte nicht [167] viel um uns seyn, und am dritten Tage unsere Abreise.

Aber mein Gott, unterbrach ich Jucunden, wie fandet ihr eure Schwester? wen saht ihr bey ihr, und was für ein Ansehen hatten die Dinge, die sie umgaben? wir fanden sie erwiederte Jucunde, so gut, so schön, und so froh wie jemals. Sie wohnte sehr prächtig, als was sie umgab athmete Ueberfluß, aber wir sahen außer ihr niemand als ihr Mädchen. Unser Aufenthalt bey ihr wurde sehr geheim gehalten. Sie schente sich nicht, es uns zu gestehen, daß sie sich schämte ihre Schwestern auf dem Theater gefunden zu haben, daß sie froh sey, daß ich von niemand in ihrer Gesellschaft außer ihr gekannt worden sey, und daß sie alles mit solcher Verschwiegenheit anzulegen wissen werde, daß niemand etwas davon erfahren solle, daß wir da gewesen, oder wohin wir gekommen wären.

Eine vortreffliche Intriquenmacherinn! rief ich aus, aber ich bitte euch, was sagte sie von ihrer gegenwärtigen Lage? Uns irgend etwas umständlich zu erzehlen, erwiederte Amalie, dazu war keine Zeit. Sie nannte sich glücklich, sprach beym Abschied von baldigem Wiedersehen, beschenkte uns reichlich, und klagte über nichts, als über das Stillschweigen ihrer theuren Mutter. Keiner von den Briefen, sagte sie, die sie nach Hohenweiler abgelassen, sey beantwortet worden, und sie setzte ihre einige Hoffnung auf den Brief, den sie uns [168] mitgab, und auf unsere Vermittelung, wenn irgend ein Unwille, den sie nicht verschuldet habe, sich in dem mütterlichen Herzen solle eingeschlichen haben.

Höret auf, rief ich voll Unwillen, höret auf von dieser Verworfenen! keine von den Vorbitten, keine von den Entschuldigungen, die ich auf euren Lippen schweben sehe! Sagt mir nur noch zum Beschluß, was euch auf eurer Reise merkwürdiges begegnete.

Nichts, erwiederte Jucunde, als daß wir den Aufenthalt unserer Eltern zu Hohenweiler suchten, und ihn zu Traußenthal fanden. Wir wurden von der jetzigen Amtmannin zu Hohenweiler sehr unfreundlich empfangen, und bey nahe für Landläuferinnen gescholten. Amalie hatte den Einfall, ob etwa Peninnens unbeantwortete Briefe, von welchen sie mit so vieler Wehmuth sprach, weil sie nach Hohenweiler addressirt waren, in unrechte Hände gerathen wären, aber die Nachfrage darnach ward uns so beantwortet, daß wir sie nicht zu wiederholen verlangten.

Ihr hättet sie euch auch ersparen können, sagte ich, es ist hier nicht die Rede von verlornen Briefen, sondern von einer ungerathenen verlornen Tochter, welche ihre Schuld mit solchen elenden Behelfen bemänteln will.

[169]
22. Kapitel. Herr Haller beweißt durch sein Exempel
Zwey und zwanzigstes Kapitel
Herr Haller beweißt durch sein Exempel, daß Müßiggang der Anfang aller Thorheit ist

Jucundens Geschichte war zum Ende. Das unglückliche Mädchen war in meinen Augen mehr als halb entschuldigt; sie war verführt worden. Leichtsinn und Unbekanntschaft mit der Welt hatten sie auf einen schlüpfrigen Weg hingerissen, und sie hatte doch Festigkeit genug gehabt, sich auf demselben aufrecht zu erhalten, ohne der Tugend ganz untreu zu werden. Amalie hatte weniger Entschuldigung für sich; sie war nicht schön, ihrer Versuchungen zu Fehltritten waren wenig, sie war ihre eigene Verführerinn gewesen, sie hatte sich einem Manne aufgedrungen, der ihrer nicht werth war, hatte freywillig einen Stand gewählt, von welchem sie wußte, daß ich ihn verabscheute; Ursachen genug, sie in meinen Augen verhaßt zu machen. Doch auch für sie sprach die mütterliche Liebe, und noch mehr das Mitleiden: war sie nicht gestraft genug, an einen Mann wie Feldner gefesselt zu seyn? Waren ihr nicht alle Wege zum Glück verschlossen? und bestand nicht ihre ganze Aussicht auf Aenderung ihres Schicksals, in der elenden Hoffnung auf die Wiederkehr eines Mannes, welcher sie haßte und verachtete, eines Mannes ohne Charakter, ohne Grundsätze, ohne Amt und Vermögen?

[170] Mein Kopf schwindelte mir, wenn ich an diese Dinge dachte. Nichts war im Stande, die schwarze Gedanken über diesen Gegenstand, die meine Seele erfüllten, zu verdrängen, als die noch schwärzern Vorstellungen von Peninnens Schicksal. Ich verglich den Brief dieser Unglücklichen mit dem was mir ihre Schwestern von ihr zu sagen wußten, und alles räthselhafte war mir aufgeklärt. Sie hatte Gabrielen von der Seite ihres Gemals gedrängt, sie lebte in seinem Hause als seine erklärte Buhlerinn; sie prangte noch mit ihrem glänzenden Elend und scheute sich nicht, mich mit ihrem baldigen Anblick zu bedrohen, mir ihre Schande selbst vor die Augen zu legen. Ihr Bezeigen gegen ihre Schwestern, der geheimnisvolle Aufenthalt in ihrem Hause, ob sie ihm gleich einen andern Vorwand gab, die wenige Zeit, die sie bey ihnen zubrachte, um ja die Gelegenheit zu vermeiden, sie gründlich von allem was sie angieng, zu benachrichtigen, der Glanz der sie umgab, die Geschenke, die sie machen konnte, alles, alles bestätigte die Geschichte, die ich mir von ihr zusammen geträumt hatte, und der Entschluß, sie auf ewig aus meinem Herzen und aus meinen Augen zu verbannen, war fest gefaßt.

Ich nahm ihren letzten Brief, nahm die Juwelen, welche sie die Kühnheit hatte, mir als eine Art von Bestechung zu schicken, und siegelte beydes ein, ohne es mit einer Erklärung meiner Gesinnungen gegen sie zu begleiten. Ich hatte es [171] versucht, ihr einige Worte zu schreiben, aber unzufrieden mit allem, was aus meiner Feder floß, hatte ich diese Versuche verrichtet, und war entschlossen, daß sie nie wieder etwas von meiner Hand lesen sollte. Nicht einmal die Aufschrift würdigte ich selbst zu machen. Ich trug es Jucunden auf. Sie weinte, Amalie bat, und suchte ihre Schwester zu vertheidigen, aber ich war unerbittlich, und untersagte beyden, der verworfenen Wienerinn, wie ich Peninnen nannte, ein Wort im Guten oder im Bösen zu schreiben, wie wohl hätte insgeheim geschehen können, wenn ich es nicht verboten hätte. Einander zu lieben, für einander zu bitten, sich gegenseitig zu entschuldigen, und einander in Verlegenheiten mit Rath und That beyzustehen, war aller meiner Kinder Weise, und ich konnte solches wohl leiden, wenn es nur nicht auf Unkosten der Gerechtigkeit, und meines mütterlichen Ansehens geschahe.

Wie demjenigen, welcher durch die Hand des Wundarztes ein schadhaftes Glied von seinem Leibe trennen läßt, um sein Leben zu erhalten, zu Muthe ist, so war mir, als ich mich nun nach meinen Gedanken ganz von Peninnen losgemacht hatte. Angst und Schrecken vor dem fürchterlichen Schritte, empfindliche Schmerzen, und ach der Gedanke, daß doch wohl ein gelinderer Weg hätte gewählt werden können, nach demselben. Peninna war ehemals mein Liebling, war mein Stolz – aber nein, sie hatte aufgehört tugendhaft [172] zu seyn, und ich durfte nicht mehr an sie denken. – Hannchens Fall kam mir denn zuweilen wohl in den Sinn, aber er war bey weitem nicht der ihrige. Bey jener sprach Liebe, verführte Unschuld, und bittere Reue für die Verbrecherinn, aber was hatte diese für sich anzuführen? – Sie hatte den Regierungsrath, in dessen Hause sie lebte, nie geliebt, mehrere Weltkenntniß als Hannchen hatte, mußte sie zu keinem so leicht zu verführenden Gegenstande machen, und was die Reue anbelangt? – Ha die Reue! Peninna triumphirte in ihrem Verbrechen, und Hannchen ward durch Gram und Beschämung über dasselbe getödtet.

Von diesem Zeitpunkte, von diesem an Peninnen zurückgeschickten Briefe an, begann eine neue Epoche meines Lebens, die sich durch stille Schwermuth vor allen andern auszeichnete. Wir sahen wenig Gesellschaft. Herr Walter und Charlotte kamen, seit das Fräulein von Vöhlen in meinem Hause lebte, aus Ursachen die sich errathen lassen, seltener als sonst mich zu besuchen. Ich war die meiste Zeit mit meinen drey Töchtern allein, und wenn Julchen sich zuweilen von uns trennte, so war es um bey Klaren zu seyn, welche sie und den kleinen Ludwig vorzüglich liebte, und gern um sich hatte. Mein Mann liebte die Einsamkeit, und lies sich wenig als bey der Mahlzeit sehen. Ich hatte schon längst meine eigenen Gedanken über seine Aufführung gehabt, Gedanken die durch sein [173] düsteres nachdenkendes Wesen, durch Julchens Entdeckungen, und ach durch den endlichen Erfolg nur gar zu sehr bestättiget wurden.

Julchens Trieb zu Nachforschungen konnte durch nichts ganz ausgerottet werden, und das sonderbarste war, daß selbst denn, wenn sie auf keine Entdeckungen ausgieng, sich ihr dieselben ungesucht darboten. Sie war diejenige, die im ganzen Hause alles zuerst sah, hörte, und vermuthete.

Sie hatte mich schon längst auf gewisse Leute aufmerksam gemacht, welche viel bey ihrem Vater aus und eingiengen, sich halbe Tage mit ihm verschlossen, und mit niemand im ganzen Hause ausser ihm, ein Wort wechselten. Das närrische Mädchen konnte das Märchen vom Ritter Reutlingen noch immer nicht vergessen, und sie verglich die Gesellschafter ihres Vaters oft mit Franzens Lehrmeistern in der Magie; eine Vergleichung, welche durch das Ansehen dererjenigen, von welchen die Rede war, ziemlich gerechtfertiget wurde. Es waren ernste, bleiche, gedankenvolle Leute, in schlechter altväterischer Tracht, mit stummen verschlossenem Munde und weiten tief zur Erde gesenkten oder feyerlichen gen Himmel gehobenen Augen, konnte man in ihnen wohl die einigen Zauberer unserer Zeit, die Unterthanen des wunderbaren Königs der Philosophen verkennen?

Herrn Hallers gegenwärtiger Haupttrieb, der Durst nach Gold war mir bekannt, und es war mir nie unwahrscheinlich gewesen, daß er denselben [174] auf die thörichtste Weise zu befriedigen suchen würde. Die Art, mit welcher er zuweilen von dem kleinen Schatze sprach, welchen Julchen einsmals in dem Hohenweiler Keller fand, und ihm überlies, hatte mich oft in Furcht gesetzt, er würde zum Schatzgräber werden, aber die Unmöglichkeit in Ritter Reutlingens unterirdischen Gang zu kommen, welchen er für den Behälter unermeßlicher Reichthümer hielt, hatte seine Begierde nach Schätzen auf eine andere Seite gelenkt: er glaubte die Erfüllung seiner Wünsche kürzer haben zu können, wenn er nach der Quelle alles Goldes, nach dem Stein der Weisen trachtete. Die geheimnisvollen Schriften der Alchymisten wurden seine einige Lektüre, alle Adepten des ganzen Bezirks seine vertrauten Freunde, und das innere seiner Zimmer, gewann gar bald das Ansehen eines Laboratoriums. Niemand durfte sich in dieses Heiligthum wagen, und ich würde wahrscheinlich nicht sobald etwas von der innern Gestalt desselben erfahren haben, wenn nicht Julchen an dem Tage, da sie bey ihrem Vater für ihre Schwestern bitten wollte, sich eingedrungen, und alles erblickt hätte, was bisher noch kein unheiliges Auge beschaute.

Mich dünkt, ich habe es schon erwähnt, wie übel ihr ihre Zudringlichkeit bekam, doch erhielt sie Verzeihung, weil Herr Haller wirklich, seit dem im Keller gefundenen Schatze, eine Art von Liebe für sie hegte, und sie, da er denselben zu den ersten seiner alchymischen Versuche angewendet hatte, gewissermaßen [175] für den Grund und die Schöpferinn seines künftigen Glücks hielt.

Herr Haller war, nachdem sich sein Zorn über Julchens ungebetene Erscheinung gelegt hatte, viel zu beschäftigt gewesen, sie von der Vortrefflichkeit des Geheimnisses aller Geheimnisse zu über zeugen, und sie hatte seine langweiligen Demonstrationen viel zu bald unterbrochen, um ihren Vorsatz, für ihre Schwestern zu bitten, auszuführen, als daß bey so wichtigen Unterhaltun genein Augenblick hätte übrig bleiben sollen, ihr Verschwiegenheit über das geschehene aufzulegen, und so war es natürlich, daß ich alles erfuhr, und durch Julchens Entdeckung überzeugt wurde, wie richtig ich bisher Herrn Hallers geheime Beschäftigungen gemuthmaßt hatte.

Ob diese Ueberzeugung im Stande war, mein ohnedem auf tausenderley Art gekränktes Herz zu beruhigen, gebe ich einem jeden zu bedenken. Ach Himmel! ich sah voraus, wohin uns dieser neue Irrweg meines unglücklichen verlornen Mannes endlich führen würde! – und was noch mehr, ich klagte mich selbst wegen dieses Unglücks an, nannte mich nach meiner Gewohnheit die Urheberinn alles Bösen.

Ich gieng weit in die Vergangenheit zurück, ich erinnerte mich, daß ich es war, die ihn durch List, durch das Testament seines Onkels, bey welchem ich die Hand im Spiele hatte, nach Hohenweiler brachte, um ihn von meinen Nebenbuhlerinnen [176] in seiner Geburtsstadt zu entfernen. Hätte er Hohenweiler nie gesehen, sagte ich zu mir selbst, so würde er nie in die Bekanntschaft der Herren von Wilteck gerathen seyn, welche der Grund zu allem Unglück in unserer Familie ist; sein böses Schicksal hätte ihn nicht in seinen besten Jahren vom Amte getrieben; sein geschwächter guter Ruf hätte ihm nicht den Weg zu jeder andern Beschäftigung seines Standes verschlossen, und er wär nicht in ein müßiges geschäftloses Leben gerathen, welches die ungeheuersten Misgeburten von Ausschweifungen auszuhecken pflegt, und das dem thätigen Geist des Menschen so unangemessen ist, daß er sich ehe dem Verbrechen, oder den seltsamsten lächerlichsten Thorheiten überläßt, als ganz unwirksam bleibt!

Wie sinnreich ist doch der Unglückliche sich selbst zu quälen! Diese angeführten Betrachtungen erschwerten mir mein Schicksal im ganzen Ernst, und es kam mir nur selten in den Sinn, daß wenn ich jenesmal nicht so gehandelt hätte, wie ich that, die Dinge freylich anders, aber bey Herrn Hallers festgesetzter Neigung zu Irrwegen schwerlich besser gegangen seyn würden.

Ich that unrecht mich mit fruchtlosen Grübeleyen zu martern; ein vernünftiges Nachsinnen auf Mittel zu unserer Rettung wär unstreitig heilsamer gewesen, aber hatte ich nicht schon allen meinen Scharfsinn zu diesem Endzwecke vergeblich angestrengt? und sprang nicht die Mine, ehe man [177] wußte von welcher Seite man der Gefahr entgegen arbeiten sollte?

Man erlaube mir an dieser Stelle, welche ohnstreitig eine der traurigsten meines Lebens ist, kurz zu seyn. Herr Haller erfuhr das Schicksal aller seiner Vorgänger; er ward ein Raub der Betrüger. In dem Augenblicke, da sie ihm mit der Hoffnung geschmeichelt hatten, seine Arbeit würde durch den herrlichsten Anblick belohnt werden, den sich sein zerrütteter Verstand denken konnte, verliessen sie ihn, und hinterliessen ihm anstatt der erwarteten Schätze, Kohlenstaub und Asche, und für die gerühmte Essenz der Unsterblichkeit, das Gefühl eines durch ungesunde Arbeiten erschöpften Körpers, und einer durch getäuschte Hoffnung gänzlich ermatteten Seele.

Die geringen Ueberbleibsel unsers Vermögens, die wir mit nach Traußenthal brachten, waren dahin; auch diesen unsern geliebten Aufenthalt mußten wir aufgeben, denn diejenigen, welche meinen Mann mit ihrem Gelde bey seinen Arbeiten unterstützten, hatten nunmehr ein näheres Recht auf unsere Wohnung. Sie mußte verkauft, und zu Bezahlung unserer Schulden angewendet werden.

Herr Haller war in Verzweifelung, ich und meine beyden ältesten Töchter trauerten, daß wir die geliebte Hütte mit dem Rücken ansehen mußten, und Julchen, welche immer mehr zu den lebhaftesten Gefühlen der Schwärmerey heranreifte, und dieselbe insgeheim durch dazu passende Lektüre nährte, [178] letzte sich mit den Schutzgeistern ihres Lieblingsaufenthalts, und befahl ihnen, die stille Wohnung der Unschuld und des Friedens, bey ihren künftigern Besitzern nie durch Laster oder wildes sittenloses Geräusch entweihen zu lassen.

Niemand war bey der ganzen Sache ruhiger als Fräulein Klare von Vöhlen, sie tröstete uns mit der kalten Miene der Unempfindlichkeit, und wir wußten von sicherer Hand, daß sie unter denen, welche nach dem Besitz unsers kleinen Hauses strebten, eine der vornehmsten war. Hätte sie es doch hinnehmen mögen, wir hätten es ihr ja so gern als jedem andern, der den gesetzten Preis dafür zahlte, gönnen wollen, aber daß sie so heimlich dabey verfuhr, das gab der ganzen Sache ein so falsches, verrätherisches, schadenfrohes Ansehen, daß wir ganz irre an ihr wurden.

Wir hatten mit Madam Charlotte Walter, die, wie man weis, Klaren ohnedem nicht wohl leiden konnte, manche Konferenz über diesen Punkt, und das Urtheil fiel nie zu ihrem Besten aus. Klare hatte zu viel Stimmen wider sich. Jucunde und Amalie, gegen welche sich das Fräulein von Vöhlen allemal sehr stolz und adelich bezeugt hatte, schlugen sich gleich auf Charlottens Seite, ich war neutral, und die Beschuldigte hatte also niemanden für sich, als Herrn Walter, welcher von keinem Menschen Böses dachte, und Julchen, welche Klaren immer geliebt hatte, und zu standhaft in ihrer Freundschaft war, um bey [179] dem schlimmsten Anschein wankend zu werden.

23. Kapitel. Der Leser lernt das Fräulein von Vöhlen kennen
Drey und zwanzigstes Kapitel
Der Leser lernt das Fräulein von Vöhlen kennen

Die Zeit nahte heran, da wir Traußenthal verlassen mußten. Wir wußten, daß es verkauft war; das dafür gezahlte Geld war in den Händen unsers Advokaten, der unsere Schuldner nach dem gemachten Akord damit befriedigen sollte; wer aber der Käufer unsers geliebten Eigenthums war, wußten wir nicht, mochten auch nicht rathen, Klarens Name kam uns bey dieser Gelegenheit allemal zuerst in den Sinn, und wir alle waren darinnen einig, daß sie in diesem Falle nicht ganz so gehandelt hatte wie eine edle Freundinn handeln sollte. Die Geheimhaltung dieser an sich so unschuldigen Sache, der Eigensinn mit welchem der Käufer des Guts – nehmlich sie unter verdecktem Namen – auf der Beybehaltung alles Hausgeräths, das wir eigentlich nicht zu veräußern gedachten, bestanden hatte, die Hartnäckigkeit, mit welcher uns, im Fall das Glück uns einst wieder günstig werden sollte, der Wiederkauf versagt ward, und die leichtsinnige Freude, die ungeachtet aller dieser Tücke in Klarens Auge glänzte, alle diese Dinge warfen ein so [180] gehäßiges Licht auf ihren Charakter, daß wir sie kaum vor unsern Augen leiden, ihr kaum mit der, einer Fremden gebührenden Höflichkeit begegnen konnten.

Was mich, Herrn Waltern, und Julchen anbelangt, so wußten wir uns hierinnen zu mäßigen, und wir waren vornehmlich Ursach, daß eine Einladung des Fräuleins von Vöhlen zu einem Valetschmauß, nicht so wie die Widriggesinnten wollten, ausgeschlagen wurde; aber Charlotte, Jucunde und Amalie, nahmen sich nicht so sehr in acht ihren Widerwillen gegen Klaren blicken zu lassen, und sie äußerten ihn auch selbst bey diesem angeführten Valetschmauß auf so augenscheinliche Art, daß es mich oftmals reuete, bey diesem Feste erschienen zu seyn.

Das Fräulein von Vöhlen bewohnte, wie ich schon erwehnt habe, das kleine Haus, welches ehedem das Eigenthum meines Vaters war, und an diesem mir so theuren Orte wurde das Abschiedsfest gegeben.

Mit traurigem Herzen verfügte ich mich nebst den Meinigen in die bezaubernde Gegend, die ich nun bald verlassen sollte; mich dünkte, alles grünte, blühte und duftete schöner als sonst; Fräulein Klare, als Wirthinn, kam uns in wohlgewähltem Putze, und mit vor Freude glänzendem Gesicht entgegen. Wir ärgerten uns alle über ihre Unempfindlichkeit, und selbst Herr Walter konnte sich, bey gegebener Gelegenheit, der Worte nicht entbrechen: [181] ein Valetmahl sey allezeit ein trauriges Fest, und sollte von Rechtswegen mit so viel Ernst als ein Begräbniß gefeyert werden.

Den andern Gästen fehlte es auch nicht an bedeutenden Winken, ihr Misfallen über die Wirthinn zu bezeugen. Madam Walter war steifer und ceremoniöser als jemals. Jucunde ließ ihren Witz spielen, und Amalie zeigte, wie sie oft pflegte, ihre Belesenheit, in mancherley Sentenzen, die auf den gegenwärtigen Fall paßten. Klara konnte weder Amaliens Gelehrsamkeit, noch Jucundens spottenden Witz, noch die ganze Charlotte mit allem was sie um und an sich hatte, leiden, und sie war zuweilen nicht sehr zurückhaltend mit ihrer Meynung über diese Dinge gewesen, aber diesesmal zwang sie sich außerordentlich, und es war unmöglich, etwas zu sagen, oder zu thun, das ihr eine verdrüßliche Miene abgenöthigt hätte.

Ich erhielt mich bey der ganzen Sache leidend, und nur am Ende des Mahls, als wir schon bald auseinander gehen wollten, konnte ich mich nicht enthalten, Klaren mit etwas höhnischer Miene zu fragen; ob es uns erlaubt wär, sie noch zuweilen zu Traußenthal zu besuchen, wenn wir diesen Ort verlassen hätten?

Mich? fragte sie, wie wissen Sie denn, ob ich nicht eben so wohl als sie diese Wohnung aufgeben muß?

Fräulein, sprach ich, wie können sie so gegen eine Person reden, welche sie ehemals ihres Vertrauens[182] würdigten? was habe ich gethan, um ihre Achtung zu verlieren?

Charlotte und meine beyden ältesten Töchter fächerten sich gewaltig, und sahen sich mit sonderbaren Blicken an.

In der That, Madam, antwortete mir Klare nach einem kurzen Stillschweigen, ich verstehe ihren Vorwurf nicht ganz; hat jemand über Mangel an Zutrauen zu klagen, so bin ich es vielleicht, und – und was das andere betrift. – Wahrhaftig, Madam, so kommt es blos auf die nunmehrige Besitzer von Traußenthal an, ob sie mich noch länger in meiner Wohnung dulden wollen.

Ich sah beissende Antworten auf den Lippen von Klarens Widersacherinnen schweben, aber ein Wink von mir hies sie schweigen, und ich ließ es dabey bewenden, daß ich das Fräulein nur mit einem forschenden Blicke ansah, als wollte ich die Ursach ihrer Verstellung errathen.

Ich weis nicht, Madam, sprach Klare, warum sie mich so bedeutend ansehen; habe ich etwas Unschickliches oder ihnen Unangenehmes gesagt?

Keins von beyden, Fräulein, aber etwas sehr sonderbares. Wenn sie selbst, wie ich aus guter Hand weis, die Käuferinn von Traußenthal sind, so weiß ich nicht, wie ich ihre vorhergehende Rede erklären soll. Liebes, liebes Fräulein, was haben wir gethan, daß sie sich so vor uns verstellen? soll dieses vielleicht Aufhebung der alten Freundschaft, vielleicht heimlicher Wink seyn, daß wir [183] heute zum letztenmal die Erlaubniß haben, sie hier zu sehen?

Klare ward gewaltig roth. Ich kann ihnen auf alles dieses nichts antworten, erwiederte sie, als daß, wenn ich künftig noch in meiner Wohnung bleiben werde, es nicht als Eigenthümerinn derselben, sondern blos, so wie bisher, auf Vergünstigung der Besitzer geschehen wird. Nicht mir gehört ihr ehemaliges Eigenthum, sondern ein paar Unmündigen, welche – welche – zum Glück, Madam habe ich den Kontrakt, der über den Kauf des Guts im Namen der beyden jungen Personen geschlossen worden ist, durch einen Zufall in meiner Verwahrung, und kann ihnen denselben zu Bezeugung der Wahrheit dessen, was ich sage, vorlegen.

Klare holte aus einem Schranke eine Schrift hervor, und überreichte sie Herr Waltern, sie laut zu verlesen.

Wenn ich bitten darf, sagte ich, nur gleich den Namen der Käuferinn; ich sehe nicht ein, warum das Fräulein von Vöhlen sich scheut, die Eigenthümerinn von Traußenthal zu heissen.

Herr Walter las, und sahe Klaren an; las wieder, und warf einen Blick voll Erstaunen auf mich. Juliane Haller, und Johann Ludwig von Wilteck, Käufer des Guts Traußenthal? wiederholte er zu verschiedenen malen, warf denn die Schrift hinweg, und faßte Klaren hastig bey der [184] Hand. Fräulein, rief er, wache ich oder träume ich? ists möglich was ich jetzt gelesen habe?

Sehr möglich, sprach Klare. Traußenthal gehört niemand andern als meinem guten Julchen, und dem kleinen Ludwig, und sie, Herr Walter, werden gebeten, die Sache als Vormund der beyden Eigenthümer zu unterschreiben. Kommt her, lieben Kinder, und sagt mir, ob ihr mich, so wie bisher eure Eltern thaten, in eurem nunmehrigen Eigenthum dulden wollt?

Sie hatte den kleinen Ludwig, der noch nichts von diesen Dingen verstehen konnte, in die Höhe gehoben, und an ihre Brust gedrückt. Julchen hieng sich von der andern Seite an ihren Hals, und konnte Klarens Frage nur mit Thränen beantworten; wir Uebrigen versammelten uns um das großmüthige Mädchen herum, und forderten Erklärung über das, was wir noch nicht ganz begreifen konnten.

Herr Walter las den Kontrakt, ob ihm gleich Klare es verwehren wollte, von Anfang bis zu Ende, und wir sahen, daß das edle Fräulein von Vöhlen, das Gut würklich in Julchens und Ludwigs Namen gekauft hatte, und daß zur Bestätigung des Ganzen nichts weiter fehlte, als Herrn Walters Unterschrift, welcher als Vormund der beyden jungen Käufer angegeben war.

Es ist unmöglich, die hierauf folgende aus Freude, Erstaunen und Danksagung, zusammengesetzte Scene zu beschreiben; sie dauerte bis weit [185] nach Mitternacht, da wir uns erst trennten, und wie ich behaupten kann, nicht alle gleich vergnügt waren. Die großmüthige Klare fand unsere Danksagungen und Freudebezeugung zu groß, und ward traurig. Charlotte, und meine beyden ältesten Töchter arbeiteten unter einer gewaltigen Beschämung, und Herr Haller, der bey der ganzen Sache meistens eine stumme Person gespielt hatte, fand sich ein wenig beleidigt, daß man seinen Kindern, bey seinen Lebzeiten einen Vormund setzte. Nur Herr Walter, Julchen, und ich schmeckten ganz die reine Freude, welche Klarens Großmuth uns zugedacht hatte; wir freuten uns, uns mit ihrem Verfahren nicht allein aussöhnen zu können, sondern es auch noch so weit über alle unsere Vorstellungen von ihrer Denkungsart, erhaben zu sehen; wir waren ihr gern Verbindlichkeit schuldig, denn wir liebten sie, und dankten ihr weniger mit Worten, als mit den Gefühlen unsers Herzens, welche über allen Ausdruck giengen; ich setze Herr Waltern mit Vorbedacht mit mir und Julchen in eine Reihe, denn er war ganz der Mann, der fremdes Glück wie sein eignes fühlen konnte.

24. Kapitel. Was Herr Haller anstatt des Steins der Weisen fand
Vier und zwanzigstes Kapitel
Was Herr Haller anstatt des Steins der Weisen fand

Der erste Strahl des künftigen Morgens fand mich schon bey Klarens Bette. Ich mußte allein [186] mit ihr sprechen, mußte ihr nicht allein danken, sondern auch Erklärung über ihr ganzes bisheriges Verfahren haben. – Es wäre zu wünschen, daß mein Gedächtniß treu genug seyn möchte, mir unser ganzes damaliges Gespräch, so wie es von Mund zu Munde, von Herz zu Herzen gieng, in die Feder zu sagen; aber ich werde alt, die Vergeßlichkeit die meinen Jahren eigen ist, raubt mir oft Scenen nicht lang vergangner Zeiten hinweg, die mir unaussprechlich wichtig und theuer sind, und Kleinigkeiten aus meiner frühen Jugend, stellen sich mir dagegen mit aller Lebhaftigkeit, mit allen den Umständen vor, wie ich sie damals belebte; ein betrübter Tausch für solche Personen, welche nicht am Ende ihres Lebens in die Kindheit zurück sinken, sondern noch nahe am Grabe, Gefühl für wichtige Dinge, und Verachtung gegen Tändeleyen hegen.

Unaussprechlich wichtig war mir das Gespräch mit Klaren, es enthüllte mir ihre schöne Seele ganz, ohne mir ihre kleinen Schwachheiten zu verstecken; es zeigte mir mit wie viel Ueberlegung sie den großmüthigen Schritt zu unserm Besten that, jeder Umstand desselben bewies, daß sie auf alles gesonnen hatte, was uns unser Eigenthum wieder entreissen konnte. Herrn Hallers anscheinender Besserung war nicht zu trauen, sie hatte uns schon zu oft getäuscht. Selbst die Möglichkeit uns noch einmal zu Grunde zu richten, mußte ihm benommen werden. Unser wiedererlangtes Eigenthum [187] war weit sicherer in den Händen zweyer Unmündigen, als es in seinen oder in den meinigen gewesen seyn würde. Herr Walter war der Schützer ihrer Rechte, und wir konnten hoffen, uns des Guten, das uns Klare zutheilte, bis an unser Ende zu freuen.

So behutsam das Fräulein auch in allen ihren Ausdrücken war, so konnte ich doch hier und da einige Bekümmerniß darüber hervorblicken sehen, daß wir sie noch bisher als eine Fremde behandelt, ihr nicht ganz das Zutrauen gegönnt hatten, das sie verdiente; sie bat am Ende unsers Gesprächs, sie doch nur endlich ganz als meine Tochter, und mich als die Eigenthümerinn alles dessen, was sie hätte, anzusehen, ihr alles was mich kränkte, zu vertrauen, und fest zu glauben, das keins von meinen Kindern mehr für mich fühlen könne, als sie. Sollten Sie meine Bitte nicht statt finden lassen, setzte sie hinzu, so sind sie nicht für ähnlichen heimtückischen Streichen sicher, wie der letzte, ich liebe sie zu sehr, als daß ich mich nicht um das bekümmern sollte, was sie beunruhigt. Ich erfahre endlich alles, und wenn man nicht vertraulich gegen mich ist, so setze ich auch meinen Kopf auf und schweige, und gehe meinen Gang fort ohne mich darum zu bekümmern, was die Leute von mir denken.

Ich glaubte in diesem letzten Theil ihrer Rede einige Seitenblicke auf Charlotten zu finden, die sich oft ähnlicher Ausdrücke ohne besondere Schonung [188] bedient hatte, aber ich hielt es für gut, dieselben zu überhören, Klare und Charlotte hätten sich freylich diese kleinen Feindseligkeiten ersparen können, aber ich wußte, daß es schwer seyn würde diese beyden Nebenbuhlerinnen zu vereinigen, und hatte zu lange in der Welt gelebt, um mich zu wundern, daß auch der edelste Charakter seine Flecken habe.

Ich bat Klaren blos, von meiner mütterlichen Zuneigung völlig überzeugt zu seyn, und zu glauben, daß nicht allein Julchen, sondern auch meine andern Kinder, sie so liebten, wie sie verdiente. O, sagte sie, ich verkenne Madam Feldners und Mamsell Jucundens Vorzüge nicht, aber das Gefühl, wie sehr sie mir überlegen sind, wird doch immer machen, daß sich mein Herz mehr zu dem frommen unschuldigen Julchen hinneigt, welche keine andern Ansprüche kennt, als die man ihr selbst zugesteht, und die ihr ihre ofne unverderbte truglose Seele giebt. –

Nach dieser wichtigen Begebenheit, die mir Klaren doppelt theuer machte, lebten wir geraume Zeit in der Ruhe, die uns unser äußerlich wiederhergestelltes Glück vergönnte, und die uns unsere geheimen Bekümmernisse erlaubten.

Mein und meiner Kinder vornehmstes Bestreben gieng dahin, Herrn Haller sein Leben, wo nicht angenehm, doch erträglich zu machen, und wo möglich, Vergessenheit des Vergangenen und Hoffnung froher Zukunft in sein Herz zu pflanzen. Es [189] gelang uns schlecht; er blieb düster und schwermüthig, die Zukunft hatte für ihn keine Reize, und von der Vergangenheit blieben ihm nicht allein Reue und Gram, sondern auch gewisse Ideen und Vorurtheile zurück, welche, wie es schien, nur durch die Hand des Todes ausgelöscht werden konnten.

Seine Neigung zur Alchymie war unheilbar, und so gewiß er überzeugt war, daß er bisher von Betrügern hintergangen wurde, so war doch nichts im Stande, ihn zu überführen, daß die ganze Sache, die seine fixe Idee ausmachte, ein Hirngespinst sey. Daß er fortfuhr an dem sogenannten großen Werke für sich im Stillen zu arbeiten, blieb uns allen, sogar Julchen, ein Geheimniß, bis ein schrecklicher Zufall, es ihr und uns allen eröfnete.

Bey einem von den Morgenbesuchen, welche sie ihrem Vater in aller Frühe zu machen pflegte, fand sie ihn nicht so wie gewöhnlich in dem vordersten seiner Zimmer. Sie öfnete die nächste Thür, und ein widerlicher Geruch kam ihr entgegen; sie gieng noch weiter, bis sie endlich bey Eröffnung des innersten Kabinets, von einem schwefelartigen Dampf, der sie umzog, zu ersticken vermeynte. Sie hatte Muth genug dennoch hineinzugehen; der Qualm war zu dick, um etwas unterscheiden zu können, aber bey mehrerer Annäherung sah sie ihren armen Vater aller Besonnenheit beraubt, auf dem Boden liegen; der Augenschein wies, was seine Beschäftigung gewesen war, und daß eine zersprungene Retorte das Unglück angerichtet habe.

[190] Eine andere als dieses wackere Mädchen würde vom Schrecken übermannt an der Seite ihres Vaters ohnmächtig zu Boden gesunken, und nebst ihm in der vergifteten Luft ein Opfer des Todes geworden seyn; sie behielt Muth und Kräfte genug, den leblosen Körper in das äußerste Zimmer zu schleppen, und daselbst, weil sie zu schwach war, mehr zu thun, das Fenster zu eröffnen, und durch ihr Geschrey Hülfe herbey zu rufen.

Klare war die erste, die ihres Julchens ängstliche Stimme gehört hatte. Als wir andern ankamen, fanden wir die beyden Mädchen mit Versuchen beschäftigt, den Betäubten wieder zu sich selbst zu bringen. Herr Haller schlug die Augen auf, aber nur um sie von neuem zu schliessen. Alle würksamere medicinische Hülfe, so schleunig sie auch herbey geschaft wurde, kam zu spät, er war bereits verschieden.

Ich habe diesen fürchterlichen Auftritt kurz und schwach beschrieben, bey gewissen Gegenständen fliegt die Feder, und die Gedanken eilen darüber hin, wie ein Furchtsamer in der Mitternacht über geöfnete Gräber. Und sollte ich noch einmal so lang leben, als ich bereits gelebt habe, so würde die Zeit nicht vermögend seyn, den Eindruck zu verlöschen, den diese Scene des Schreckens auf meine Seele machte. Alles schwebt mir noch mit fürchterlicher Deutlichkeit vor Augen, und wollte ich die Züge auffassen, und sie so lebendig wie sie sich [191] mir darstellten, auf das Papier werfen, sich müßte zum zweytenmal erliegen, wie ich damals erlag.

Ich war nicht so stark wie Julchen. Das Schrecken warf mich zu Boden, und der Todesengel versetzte mir den Schlag, den er einst wiederholen wird, um mich ins Grab zu strecken.

25. Kapitel. Die Frau Obristlieutenantinn von Sarnim tritt auf
Fünf und zwanzigstes Kapitel
Die Frau Obristlieutenantinn von Sarnim tritt auf

Die Besorgniß um mein Leben hatte den Kummer meiner Kinder gehteilt. So tief der traurige Tod ihres Vaters ihre Seele verwundet hatte, so war doch die erste Hoffnung zu meinem Wiederaufkommen, welche ihnen nach einigen Wochen aufgieng, schon im Stande sie merklich zu trösten; und nun vollends meine gänzliche Wiedergenesung! O ihr Lieben, Dank euch für eure Zärtlichkeit, für welche diese Welt kein Gleichniß hat! Euer Entzücken über das Wiederaufblühen dieses schwachen hinsinkenden Lebens war zu groß, es gehörte ganz in jene Gegenden jenseits des Grabes, wo kein Tod uns unsere Wiedergeschenkten von neuem entreissen kann.

Ich lebte von neuem, um neue ganz unvermuthete Freuden zu erfahren, die Dunkelheiten meines Lebens sollten sich nun nach und nach aufklären, [192] damit der Abend desselben so heiter würde, als kaum sein Morgen war. –

An einem der ersten Maytage war es, da ich meinen ersten Ausgang in den Garten hielt. Amalie leitete meine noch wankenden Schritte zu einer Laube, in welcher vormals mein Vater gern zu sitzen pflegte, und meine übrigen blühenden Töchter folgten mir. Die Frühlingssonne schien sanft und mild durch das dünne Laub und erwärmte meine noch von dem Hauch des Todes erstarrten Glieder; rund um mich blühte und lachte alles, und ich feyerte still, das Fest meiner Auferstehung zum irdischen Leben.

Meine Lieben lagerten sich rund um mich her, und zerstreuten durch ihr holdes Geschwätz meine ersten Gedanken; ach liebe Mutter, fieng auf einmal Julchen an, ich habe einen Fehler begangen! Sie sagten vorhin, sie wollten diesen Tag ganz in der Einsamkeit feyern, und ich bin so unbesonnen gewesen, einen Besuch, der sich ohngefehr vor einer Stunde bey ihnen melden lies, anzunehmen.

So war der Fehler eher begangen, erwiederte ich lachend, als das Gebot erschien, das ihn zu einem Fehler machte, und du hast also deine Verzeihung; über dieses wüste ich nicht, wer zu uns kommen könnte, als Herr Walter und seine Gattinn, und für diese bin ich immer zu Hause.

O nein, sagte Julchen, nicht Herr Walter und Charlotte, die Frau von Sarnim ists, welche um Zutritt bey ihnen bittet.

[193] Die Frau von Sarnim? wiederholte Klare, meine Kousine Josephe? fast sollte ich glauben, liebes Mädchen, du irrtest dich, und der Besuch müßte nicht unserer Mutter sondern mir gelten.

Julchen behauptete das Gegentheil, und Klare führte zur Bestättigung ihrer Meynung an, daß ihre Kousine Josephe sich gegenwärtig in einer Verfassung befände, in welcher sie nicht glaubte, daß sie sich gern von jemand als von ihren nächsten Verwandten würde sehen lassen. Sie kennen Josephen, liebe Mutter, fuhr sie fort, indem sie sich zu mir wandte, sie kennen sie noch als Fräulein von Wilteck; sie wissen auch vielleicht noch, auf was für Art sie Frau von Sarnim wurde. Man nützte den Unwillen, denn der brave Obristlieutenant auf ein anderes Mädchen geworfen hatte, das ihn vielleicht besser verdiente, und Josephe ward seine Frau, ehe er fast selbst wußte, wie er dazu gekommen war. Da nicht Liebe oder Achtung sie zur Gemahlinn des Herrn von Sarnim machte, sondern von seiner Seite nur Ueberredung, und von der ihrigen nichts als der Wunsch einen andern Namen als Fräulein von Wilteck zu führen, so dauerte ihr Einverständniß auch kaum den Hochzeittag aus. Der gegenseitige Widerwille wuchs mit der Zeit. Herr von Sarnim führte seine Gemahlinn in die Welt, um ihrer wenigstens den größten Theil der Zeit los zu werden. Josephe verabscheute seine Gesellschaft nicht allein eben so herzlich, sondern sie fand auch den Umgang mit [194] andern jüngern und schönern Männern so reizend, daß der alte Herr endlich die Augen aufthun und Untreu ahnden mußte. Josephe war so unvorsichtig in ihrer Aufführung, daß dem Oberstlieutenant die Scheidung leicht ward, und schon seit länger als Jahr und Tag sind sie getrennt. Josephe lebt auf einem einsamen Landgute, darf sich in der großen Welt nicht mehr sehen lassen, und soll eigentlich nicht einmal den Namen desjenigen mehr führen, den sie so gröblich beleidigt hat.

Ich begleitete Klarens Erzehlung mit einigen von meinen Anmerkungen, die ich gern einzustreuen pflege, wenn junge Leute gegenwärtig sind; man kann diesem leichtsinnigen Geschlechte, gewisse Dinge nicht zu oft einschärfen, und Josephens Geschichte gab mir die schönste Gelegenheit, mich weitläuftig über den Punkt auszubreiten, daß eine auf schlechten Grund gebaute Sache nie ein gutes Ende nehmen könne, und daß ein übel erworbenes Glück nie von langer Dauer sey.

Ich wollte eben meine kleine Rede schließen, weil ich glaubte, die Aufmerksamkeit meiner Zuhörerinnen ermatten zu sehen, als wir am Ende der Allee, welcher unsere Laube entgegen sties, einen ansehnlichen Mann in prächtiger Uniform zum Vorschein kommen sahen. Mein für meine Jahre noch ziemlich scharfes Gesicht lies mich eine bekannte Phisiognomie erkennen, und Klare sprang mit den Worten auf, Himmel, mein Kousin, der Obristlieutenant von Sarnim!

[195] Sie flog ihm entgegen, und ich lies mich von mei nen Töchtern aus der Laube leiten, um den edeln Mann zu empfangen, den ich allezeit so hoch geschätzt und mir ehemals so sehr zum Sohn gewünscht hatte. Der Gedanke an vergangene Zeiten fiel mächtig auf mein Herz, ich sprach zu mir selbst: würde die leichtsinnige Peninna sich nicht besser für diesen Mann geschickt haben, als die lüderliche Josephe? hätte sie ihren Gatten nicht glücklicher gemacht? – Aber die Vorstellung von dem, was Peninna jetzt in meinen Augen war, vernichtete plötzlich diesen Gedanken, und ich dankte Gott, daß der edle Sarnim, wenn er nun einmal bestimmt war, durch eine lasterhafte Frau zu leiden, nicht durch eine Tochter von mir unglücklich werden mußte.

Klare führte den Obristlieutenant uns entgegen, ich empfieng ihn, wie man alte Freunde empfängt, und wir giengen zusammen in die Laube. – Unsere Unterhaltung nach den ersten Komplimenten, war trockener als ich vermuthet hatte. Wir befanden uns alle unter einer gewissen Verlegenheit, welche machte, daß wir nicht recht wußten was wir sagen sollten. Der Obristlieutenant war außerordentlich still und ernsthaft. Klare und ich hatten nicht ihn, sondern seine geschiedene Gemahlinn erwartet, wir waren neugierig, die Ursach dieses Irrthums zu wissen, aber wie war es möglich den Herrn von Sarnim nach Josephen zu fragen? – wir beredeten uns endlich, es müßte hier eine[196] Namensverwechselung vorgegangen seyn, und man habe uns die Frau von Sarnim angesagt, da doch nur von dem Obristlieutenant die Rede gewesen war.

Diese leichte und wahrscheinliche Auflösung, brachte uns wieder ins Gleis; wir sprachen von mancherley Dingen, aber der Herr von Sarnim wollte nicht so recht einstimmen, er schien etwas auf dem Herzen zu haben, welches ihn alles, was wir sagten, nur mit halben Ohren hören ließ. Selbst die Erzehlung von Herrn Hallers Tode, um die er uns sehr angelegentlich bat, und die wir ihm so umständlich gaben, als es sich bey einem Fremden thun lies, war nicht im Stande den gewöhnlichen Strom von Beileidsbezeugungen und Erzehlungen ähnlicher Fälle herbey zu führen. Alles was der Obristlieutenant sagte, war, er habe die Nachricht von dem Trauerfall erst diesen Morgen in unserer Gegend erfahren, und er sey wahrhaft und innig davon gerührt worden; er habe sich eine Freude darauf gemacht, auch Herrn Haller zu sehen, und müsse nun seine angenehmen Hofnungen so zerstört finden.

Der bekümmerte Ton, mit welchem Herr von Sarnim sprach, benahm dem, was er sagte, das Ansehen eines bloßen Kompliments, und ich erwiederte seine Rede also auch anders, als man bloße Komplimente zu erwiedern pflegt. – Er sagte wenig darauf, blickte oft aus der Laube nach dem Ende der Allee, und stand endlich gar auf.

[197]

Sie müssen mir verzeihen, Madam, sagte er, wenn ich sie auf einen Augenblick verlasse. Ich bin nicht allein gekommen. Meine neue Gemahlinn, welche mich begleitete, und die ich ihnen und Herrn Haller vorzustellen gedachte, wurde durch die Nachricht von dem Tode des letztern, die wir, die Wahrheit zu gestehen, erst in ihrem Hause erhielten, so erschüttert, daß sie schlechterdings nicht im Stande war, mir sogleich zu folgen; sie bat mich voraus zu gehen, ihre – Madam Haller wollte ich sagen, auf ihren Anblick vorzubereiten, und ihr eine gute Aufnahme zu erbitten; darf ich auf das letzte hoffen? darf ich auf Freundlichkeit und unpartheyisches Gehör, für meine arme Gemahlinn hoffen, wenn sie auch bey Madam Haller ein von Vorurtheilen eingenommenes Herz finden sollte?

Sie setzen mich in Erstaunen, Herr Obristlieutenant, sagte ich; die Gemahlinn eines solchen Mannes, kann überall Achtung und gute Aufnahme erwarten.

Schon genug vorerst, rief der Obristlieutenant; nehmen Sie sie nur erst in dieser Betrachtung mit ihrer gewöhnlichen Güte auf, und das übrige wird nachkommen.

Er entfernte sich schleunig; wir wollten ihm folgen, um seiner Dame mit der gebührenden Ehrerbietung zu begegnen, aber er hielt uns zurück, und erlaubte nicht einmal Klaren mitzugehen.

[198] Wir sahen uns alle unter einander an, als er fort war, wir wiederholten alle Theile seines Gesprächs, beherzigten seine Zerstreuung, und fanden in allem so viel Räthselhaftes, daß wir mit unsern Muthmaßungen noch nicht zu Ende waren, als er schon wieder mit seiner Begleiterinn in die Laube trat.

Er hatte einen andern Weg als die Hauptallee mit ihr genommen; wir hatten sie nicht kommen gesehen, und ihr Anblick überraschte uns also ausserordentlich, vornehmlich da die Dame ihren Schleyer zurückschlug, und uns ein Gesicht zeigte, das ich hier nicht vermuthet hatte.

O Peninna schrie ich, und sank auf meinen Sitz zurück. O meine Mutter! rief sie, und fiel mir zu Fuße!

26. Kapitel. Eine neue Person tritt auf
Sechs und zwanzigstes Kapitel
Eine neue Person tritt auf, die dem Leser in der Folge nicht ganz unbekannt seyn wird

Wollen Sie ihre Tochter nicht mit einer mütterlicher Umarmung beglücken? fragte der Obristlieutenannt, als ich verzog sie auf die Art zu bewillkommen, wie ich gethan haben würde, wenn ich dem blinden Triebe meines wallenden Herzens hätte folgen wollen.

[199] O edler Mann, rief ich, Peninne, ihre Gemahlinn? – glauben Sie, daß mich dieses gegen ihre Vergehungen blind machen kann? – Nein, es erschwert ihre Strafbarkeit; sie verdienten eine Gattinn, die ganz rein und fehlerlos wär, keine wiederkehrende Sünderinn, wie ich allenfalls glaube, daß diese vielleicht seyn mag.

Peninna verbarg ihr Gesicht in meinen Schoos und weinte.

Aber mein Gott, Madam, rief der Obristlieutenant, mit einem Unwillen in seinem Blick, den ich noch nie bey ihm gesehen hatte, welches sind die Vergehungen, die sie dieser Unschuldigen aufbürden? Hat nicht vielmehr sie Ursach über Vernachlässigung, über unmütterliche Härte, über hartnäckiges Stillschweigen, und endlich gar über schimpfliche Zurückschickung eines kindlichen Briefs, und eines Geschenks zu klagen, welches, da es von mir, von einem Manne kam, für den sie einige Achtung zu haben vorgeben, doch wohl bessere Aufnahme verdient hätte.

Peninna hatte ihr mit Thränen benetztes Gesicht aufgerichtet, und es mit bittendem Blick nach ihrem Gemahl gewandt. Keine Vorwürfe! rief sie, mein Geliebter, ich will lieber schuldig seyn, als meine Mutter beschuldigen hören. – Der Obristlieutenant lies sich nicht stören, er redete fort und ich fand in seinen letzten Worten etwas, das mir einen dämmernden Schein von Licht gab.

[200] Steh auf mein Kind, sagte ich zu der Knienden, es ist möglich, daß hier Irrthum und Misverstände vorwalten. Wir wollen eins das andere hören, und dann urtheilen.

Peninna konnte sich nicht länger halten; der erste freundliche Blick den ich ihr gab, machte ihr Muth mir um den Hals zu fallen; ich konnte meine Gefühle nicht länger unterdrücken, ich erwiederte ihre Liebkosungen mit all der Zärtlichkeit deren ich fähig war, und meine Thränen flossen in die ihrigen. Kind! Kind! rief ich, o daß es möglich wär, daß du dich ganz entschuldigen könntest! doch auch als eine gebesserte Verbrecherinn sollst du mir willkommen seyn.

Madam, rief der Obristlieutenant noch immer mit nicht ganz besänftigtem Blick, ich weis nicht was für Vergehungen sie meiner Gemahlinn schuld geben, aber wenn mein Wort, meine Bürgschaft etwas bey ihnen gilt, so nehmen sie dieselbe für die Tugend ihrer Tochter an. Peninna hat, so lange sie in Wien war – und das ist doch wohl die fürchterliche Epoche, in welche ihre vorgeblichen Vergehungen fallen sollen – gleichsam unter meinen Augen gelebt, ich bin ein Zeuge aller ihrer Schritte gewesen, und ich konnte den Beyfall, den ich jeder Handlung dieses unvergleichlichen Mädchens geben mußte, auf keine nachdrücklichere Art bestätigen, als daß ich sie zu meiner Gemahlinn machte. Oder glauben Sie, daß Sarnim eine Unwürdige mit seiner Hand beehren würde? daß[201] er das Unglück eine lasterhafte Frau zu haben, zum zweytenmal zu erfahren wünschte?

Der Obristlieutenant sagte diese Worte mit einem edlen Stolze, der ihm ein wahrhaftig großes Ansehen gab; es war etwas Ueberzeugendes in seiner Rede. Ich streckte meine Arme nach Peninnen aus. Sollte es möglich seyn, rief ich, daß ich in dir meine unschuldige, ganz meine ehemalige Peninna umarmte?

O Mutter, erwiederte sie und umfaßte meine Kniee von neuen, ich beziehe mich auf meine Briefe und sollten diese nicht in ihre Hände gekommen seyn, so kann eine Erzehlung von meinem bisherigen Leben, aus meinem oder meines Gemals Munde ja alle Zweifel aufklären.

Daß diese Erzehlung an diesem Tage nicht erfolgte, läßt sich denken. Ich war zum Anfang mit dem zufrieden, was ich gehört hatte, und was ich vermuthen konnte. Ich lies Peninnen aus meinen Armen, sie ward von ihren Schwestern und von Klaren, doch wie mir es schien, von der letztern mit einiger Kälte bewillkommet, und wir wandten den übrigen Theil des Tages an, einander Bruchstücke von unserm bisherigen Ergehen zu liefern. Ich erklärte Peninnen woraus mein Verdacht gegen sie erwachsen war. Samuels Brief, Klarens Bericht, Amaliens und Jucundens unvollkommene Nachrichten, ihr eignes langes Stillschweigen, und dann der räthselhafte Brief von ihr, welcher recht darzu geschrieben zu sey schien, allen bösen [202] Verdacht in mir zu nähren, alles dieses legte ich ihr und ihrem Gemahl vor, und beyde kamen darinnen mit mir überein, daß der Schein sehr wider Peninnen gewesen sey – Man versprach mir alles aufzuklären, und konnte sich nur in den Punkt wegen der ausgebliebenen Briefe nicht finden. Daß sie nach Hohenweiler addreßirt gewesen waren, und uns da nicht gefunden hatten, war ausgemacht; daß sie in die Hände des Katharines und seiner würdigen Gattinn fielen, lies sich vermuthen; aber was für Ursache sie haben konnten, sie zu unterschlagen hätte sich nicht ausdenken lassen, wenn wir nicht darinnen überein gekommen wären, daß es, so unglaublich es auch scheint, doch noch Leute giebt, welche Böses thun, ohne Rücksicht auf weitern Nutzen, blos darum, weil es böse ist, und andere unglücklich macht; auch konnte in diesem Fall die Neugierde der Frau Amtmannin Katharines, und die Schadenfreude ihres Mannes, wohl einige angenehme Nahrung gefunden haben, wodurch ihnen die Ausübung dieses Bubenstücks belohnt wurde. – – –

Herr von Sarnim und Peninne, hatten, da sie aus Unwissenheit unsers gegenwärtigen Aufenthalts uns zuerst in Hohenweiler suchten, genug von diesem würdigen Paare gesehen, um diese Muthmaßungen nicht unwahrscheinlich zu finden. Man hatte sie mit übertriebener Höflichkeit aufgenommen, ihnen kaum zu sagen gewußt, wo wir uns gegenwärtig aufhielten, allerley hämische Winke [203] wegen meiner und meiner Kinder Aufführung gegeben, und sich sorgfältig gehütet, von Herrn Hallers Tode, der doch in der ganzen Gegend bekannt war, etwas zu gedenken; vermuthlich um uns doch die Freude des Wiedersehens durch den plötzlichen Schrecken zu verbittern, den die traurige Nachricht der armen Peninne machen mußte, wenn sie sie ohne alle Vorbereitung erhielt.

Der Obristlieutenant stampfte mit dem Fuße, und sties einen fürchterlichen Fluch aus, den ich nie aus seinem Munde gehört hatte. Er schwur, er müßte Gewißheit von diesen Dingen haben, und schickte des andern Tages seinen Kammerdiener mit einem Briefe nach Hohenweiler, um Erkundigung hierüber einzuziehen.

Der Kerl, der Katharines, sprach er, hat einen braven Purschen in seinen Diensten, welcher lange als Korporal unter meinem Regimente gedient hat, er war arm, aber von gutem alten Adel; der Narr, er könnte jetzt Officier seyn, aber es war eine unruhige Seele, der Dienst im Frieden war ihm zu langweilig, er wartete vergebens auf Krieg, wo er sich auf einmal zu heben dachte. Er wollte es auf andere Art versuchen, das Studieren kam ihm in den Kopf, er erhielt seinen Abschied, gieng auf die Universität, legte sich, wie ich höre, dort auf die lüderliche Seite, und hat doch, wie es scheint, nun so viel gelernt, in Hohenweiler den Amtsverweser vorzustellen. Er kam nicht eher zum Vorschein, als da uns schon der [204] Amtmann und sein Weib mit vielen Ceremonien in den Wagen begleitete. Was zum Teufel, schrie ich, als ich ihn über den Hof gehen sah, ist das nicht mein ehemaliger Korporal Harold? Unser jetziger Herr Amtsverweser, kakelte die Amtmannin. Ich fragte, ob ich nicht ein paar Worte mit ihm sprechen könne, aber Katharines entschuldigte ihn, und sagte, ich würde wohl an seinem Anzuge bemerkt haben, daß er eben im Begriff sey auszureiten. – An diesen Harold habe ich geschrieben, er war ein guter Laurer als er unter meinem Regimente war, und ich bin versichert, er wird aus Consideration für seinen alten Obristen, alles versuchen, hinter die Bosheiten des niederträchtigen Katharines zu kommen.

27. Kapitel. Peninnens Geschichte
Sieben und zwanzigstes Kapitel
Peninnens Geschichte

Dieser Tag war dazu bestimmt, alle meine Zweifel über Peninnens bisherige Aufführung zu heben.

Wir saßen des Nachmittags alle beysammen. Es war ein schwüler Frühlingstag, das erste Gewitter hatte uns aus dem Garten ins Zimmer getrieben. Ich saß am geöfneten Fenster in meinem Lehnstuhl, und athmete die Wohlgerüche der erfrischten Natur. Meine Kinder saßen um mich her bey ihrer Arbeit, der Oberste rauchte seine [205] Pfeife und Peninna begann ihre Erzehlung wie folget:

Ich weis in der That nicht, auf was für Art ich meine Geschichte anfange. Soll ich sie liebe Mutter bis zu Ende derselben in der Täuschung lassen, aus welcher ich selbst erst vor kurzer Zeit gerissen wurde? soll ich sie in dem Wahne erhalten, den ich selbst so lange hegte, daß Gabriele mich aus alter Freundschaft in ihr Haus nahm, oder entdecke ich ihnen die abscheuliche Verschwörung wider mich, welche der Grund dieses in meinen Augen so glänzenden Glücks war?

Sie wissen, was mich aus Walters Hause trieb, auch mein Gemahl weis es; ich hielt es für unbillig, demjenigen, welcher in aller Absicht so edel gegen mich handelte, ein Geheimniß aus meiner ehemaligen Neigung für Charlottens Gatten zu machen, auch sehe ich nicht ein, warum ich nicht von einer Schwachheit gegen ihn hätte reden sollen, welche die Zeit, und die Liebe, und die innige Hochachtung für den, dem ich jetzt angehöre längst vernichtet hat.

Ein zärtlicher Blick und ein feuriger Händedruck des Obristlieutenantes, lohnte Peninnen, für diese mit ihrer eigenen holdseligen Art vorgebrachten Worte. Sie zog seine Hand an ihre Lippen, und ich dachte in meinem Herzen, es könne keinen reizendern Anblick geben, als eine junge und schöne Frau, welcher die redliche treue Liebe gegen einen bejahrten Gemahl so ganz aus den Augen blickt, [206] wie hier der Obristlieutenantinn von Sarnim. Sie fuhr fort:

Den Aufenthalt in Walters Hause, mit dem Leben zu Hohenweiler zu vertauschen, war der einige Ausweg den ich kannte, und sie werden sich noch erinnern, liebe Mutter, daß die Verfassung in meinem väterlichen Hause damals gar nicht so war, daß ich mich, ungeachtet ich Sie daselbst fand, sehr nach demselben sehnen konnte.

Wie ein Engel vom Himmel trat Gabriele auf, und zeigte mir einen dritten Weg, an den ich nie gedacht hatte, und den ich mir nicht reizender hätte wünschen können. Sie kam mit der Miene der Unschuld und der alten Vertraulichkeit; es wurde ihr leicht meinen Unwillen über vergangene Dinge zu tilgen. Sie redete mit mir die Sprache des Herzens, entdeckte mir ihre ganze Lage, klagte mir ihre eigene Kränklichkeit, und die Hypochondrie ihres Mannes, und versicherte mich, daß ihnen meine Gesellschaft zu der erwünschtesten Aufheiterung dienen würde, schilderte mir die glänzenden Scenen der großen Welt, in welche sie versprach mich einzuführen, und – ich war gefangen.

Einige Einwendungen, welche sich auf die ehemalige Liebe des Regierungsraths gegen mich bezogen, und die ich mit ziemlicher Schüchternheit vorbrachte, wurden mit großem Gelächter aufgenommen. Gabriele versicherte mich, mit einem etwas empfindlichen Ton, die Liebe des Regierungsraths gegen sie wäre älter, als die zu mir; nur [207] Verzweifelung über ihre ehemalige Hörte, hatte ihn zu meinem Verehrer gemacht, und ich hätte keine Ursach mich für einen Rückfall zu mir zu fürchten, ihr Gemahl sey zu glücklich durch sie, um an fremde Liebe zu denken.

Ein Blick in den Spiegel, und ein stolzes Zurückwerfen ihres Kopfs, verwies es mir, daß ich so unbesonnen eine Furcht vor der Macht meiner eignen Reitzungen in Vergleichung mit den ihrigen geäußert hatte, und ich wußte meinen Fehler durch nichts, als durch die sorglose Einwilligung in alles was sie verlangte, zu verbessern. Ich konnte, ich mußte ja wohl ruhig über die Folgen des Schrittes seyn, den sie mir zumuthete, da sie es war.

Aber wahrhaftig, unterbrach ich Peninnen, ich kann auch nicht einsehen, was die Regierungsräthinn für Absichten haben konnte, dich zu sich zu locken, wenn sie der Treue ihres Mannes nicht ganz versichert war? Du sprichst von Fallstricken, von Anschlägen wider dich, und ich sehe nicht ein, wo sie liegen können, und was man darunter suchen konnte, dich auf Irrwege zu leiten; welche, wenn sie dahinaus giengen, wie ich vermuthe, ja Gabrielen am nachtheilichsten werden mußten.

Die ganze Sache, fuhr die Erzehlerinn fort, bezieht sich auf einen in dem hochadelichen Wilteckischen Hause angenommenen Grundsatz: Liebe könne durch nichts leichter getilgt werden, als durch zwanglosen ungestörten Umgang, und die eifersüchtigste Gattinn könne sich durch nichts der [208] Rückkehr ihres Ungetreuen gewisser versichern, als wenn sie ihre Nebenbuhlerinnen ganz in seine Gewalt hingäbe.

Der Regierungsrath hatte nie aufgehört mich zu lieben; er war mit Gabrielens Heirath in dem Augenblicke des Unwillens wider mich übereilt worden, er konnte sich kaum die ersten Tage seines Ehestandes zwingen, seine Verachtung gegen seine Gemahlinn, und seine immer noch dauernde Neigung gegen mich zu verhelen. Gabriele liebte ihn würklich, sein Bezeigen stürzte sie in Verzweiflung, und sie suchte in ihrem Kummer Rath bey ihrer Mutter, welche ihr ihn auf die vorhin angeführte Art gab.

Ich konnte mich nicht enthalten, bey dieser Stelle von Peninnens Erzählung einen tiefen Seufzer auszustossen. Ich kannte diesen edeln Wilteckischen Grundsatz aus der Erfahrung; auf ähnliche Art war man mit meiner unglücklichen verstorbenen Tochter umgegangen; man hatte ihre Tugend aufgeopfert, um des Lieutenants Liebe zu ihr zu tödten.

Peninna, welche noch zu kurze Zeit wieder bey mir war, um umständlich von Hannchens Geschichte benachrichtiget zu seyn, verstand meinen Seufzer nicht; sie deutete ihn vermuthlich allein auf sich, und gieng in ihrer Erzählung weiter. –

Frau von Wilteck hatte einige Mühe Gabrielen zu dieser verzweifelten Kur einer unrechtmäßigen Liebe zu bereden, und sie siegte nur endlich [209] durch ihr eigenes Beyspiel. Sie führte an, daß Demoiselle Robignac auch ehemals diejenige war, welche dem alten Herrn von Wilteck weit besser als seine Gemahlinn gefiel; die Nachsicht und Gefälligkeit der klugen Frau von Wilteck brachte es dahin, daß die gefährliche Französinn, bald der Gegenstand der tiefsten Verachtung ihres ehemaligen Liebhabers ward, und Gabriele jauchzte über die Vorstellung, ihren Gemahl nach dem Beyspiel ihres Vaters einst mit verneuter Treue zu ihr zurückkehren, und mich, die sie von Herzen haßte, in seinen Augen zu dem verächtlichen Charakter einer Robignac erniedrigt zu sehen.

Abscheulich! schrie ich, indem ich die Erzählerinn unterbrach, fast zu abscheulich, um geglaubt zu werden!

Und doch wahr, erwiederte der Obristlieutenant. Wie glücklich wär meine Peninna gewesen, wenn sie diese Dinge gleich von Anfange gewußt hätte! sie erfuhr sie erst spät durch mich, und auch ich hätte nie ein solches Gewebe von Bosheit vermuthen können, wenn ich nicht durch einen Zufall hinter dasselbe gekommen wäre.

Peninna nahm das Wort von neuem: Gabriele war froh mich in ihrer Gewalt zu haben. Sie stellte mich ihrem Gemahl vor, und die Bestürzung die er über meinen Anblick, und über meinen Entschluß bey seiner Gemahlinn zu leben, blicken ließ, war zu sichtlich, um mir und der Regierungsräthinn zu entgehen. Gabrielens Gesicht ward [210] mit einer glühenden Röthe überzogen, und ich dachte bey mir selbst, die gute Frau möchte doch wohl einen zu vortheilhaften Begrif von der ungetheilten Liebe ihres Gemahls für sie haben. Der Entschluß auf meiner Hut zu seyn, allen Umgang mit meinem ehemaligen Liebhaber zu fliehen, und seine Gattinn, die in meinen Augen so unschuldig und truglos handelte, nicht mit Undank zu belohnen, war fest gefaßt.

Ich fand bald, daß ich Ursach zu diesem Entschluß hatte. Sie beste Mutter, gaben mir einesmals die Lehre, ein ehrliches Mädchen müsse sich jedem Auge entziehen, welches kein Recht hätte, nach ihr zu blicken, wenn sie sich nicht, selbst bey ihren Verehrern, in schlechten Kredit setzen wolle, und ich ward jetzt von der Wahrheit dieses Satzes überzeugt.

Der Regierungsrath schien aus der Kühnheit, mit welcher ich es wagte, sein Haus zu meinem Aufenthalte zu machen, schlechte Folgen für meine Tugend zu ziehen. Er verfolgte mich überall; er strebte nach einer einsamen Unterredung mit mir, und als er dieselbe, aller meiner Behutsamkeit ungeachtet, endlich fand, so nützte er diese Gelegenheit, mich so ungescheut von seiner nie verloschenen Liebe zu unterhalten, daß mir die Augen völlig aufgiengen, und ich die Gefahr, in welche ich mich gestürzt hatte, deutlich vor Augen sah.

Ich begegnete ihm auf die Art, wie er es verdiente, aber wenn ich mich auch für den gegenwärtigen [211] Augenblick seiner entschlagen hatte, so wußte ich doch nicht, ob ich in Zukunft für ähnlichen Auftritten sicher wär.

Ich war unschlüssig, was ich thun sollte. Sollte ich fliehen? sollte ich Gabrielen von der Sache benachrichtigen? das erste dünkte mich zu romanhaft, und das andere grausam. Ich wußte von den teuflischen Anschlägen meiner sogenannten Freundinn nichts, und es gieng mir nahe, sie aus dem süssen Wahn von der Treue ihres Gemahls, in welchem ich sie glaubte, zu reissen.

Wir befanden uns gegenwärtig zu Pyrmont im Bade, die Gewohnheit erforderte es, die ganze Kurzeit dem Müßiggange und den Vergnügungen zu weihen; ich konnte hoffen, daß die Leidenschaft meines Verfolgers gegenwärtig nur durch die ungewohnte Muße genährt würde, und daß, wenn wir in Wien angelangt wären, mehrere Geschäfte dieselbe schwächen würden; auch nahm ich mir vor, dann mich so einzurichten, daß ich nie mit ihm in einer Gesellschaft wär, und ihm so wenig als möglich vor die Augen käme; ein Entschluß, der nicht so leicht auszuführen als zu fassen war.

Wir giengen nach Wien zurück. Gabriele machte mich mit allen Schauplätzen der großen Welt bekannt, und ich darf sagen, daß ich keine verächtliche Rolle auf denselben spielte. Ich war eine ganz neue Erscheinung, Gabriele schien etwas darunter zu suchen, daß sie mich mit allem möglichen Glanz auftreten ließ, und ich taumelte eine [212] Zeitlang, trunken von einer Ergötzlichkeit zur andern. Konnte etwas das Vergnügen, das ich genoß, schwächen, so war es der lästige Regierungsrath, dessen Anblick ich nirgend entfliehen konnte, und der mich mit seinen verdrüßlichen Unterhaltungen überall umlagert hielt. – Ich ward nach gerade des Geräusches überdrüßig, ich hofte meinem widrigen Gesellschafter zu entfliehen, und entschloß mich, inskünftige die Einsamkeit zu wählen.

Aber auch hier ward ich von meinem Verfolger vertrieben. Die äußerste Verachtung, mit welcher ich ihm begegnete, diente nur dazu, meinen Werth in seinen Augen zu erhöhen. Er schwur, er könne mich nicht vergessen; er wolle sich von Gabrielen scheiden lassen, und mich zu seiner Gemahlinn machen, und als er sahe, daß er auch mit diesen Anerbietungen nicht auskam, so fieng er an, eine andere Rolle zu spielen, welche mich nöthigte, meinen Entwurf zum stillen einsamen Leben aufzugeben, und mich lieber mitten in den Wirbel der modischen Zerstreuungen zu stürzen, als seinen Anfällen ausgesetzt zu seyn.

Wer mich zu dieser Zeit gesehen hat, der mußte mich wohl für die ausgelassenste Thörinn halten, welche im ganzen Bezirk des schwindelnden Wiens zu finden war, aber wer in mein Herz geblickt hätte, würde mich anders beurtheilt haben. Unter dieser frohen Außenseite, unter diesem schimmernden Putz, schlug ein von Sorgen zernagtes Herz; ich wußte nicht, wie ich dem glänzenden [213] Elend, unter welchem ich schmachtete, entfliehen sollte; wußte nicht, wenn ich blieb, was endlich mit mir werden würde, und hatte keinen andern Trost, als den Umgang des edeln Obristlieutenants, meines jetzigen Gemahls. O hätte ich nur das Herz gehabt, ihm meinen eigentlichen Kummer sogleich zu entdecken, so aber war das einige, womit ich mir zu helfen suchte, daß ich mich immer an seiner Seite hielt, ihn am liebsten zu meinem Begleiter bey öffentlichen Lustharkeiten wählte, und wenn ich zu Hause blieb, immer um seine Gesellschaft bat.

Ja wahrhaftig, fiel der Obristlieutenant ein, ich wußte manchesmal nicht, wie ich mit der kleinen Hexe daran war, fast hätte ich denken können, sie habe sich, nachdem sie mich durch ihre ehemalige Laune von sich gescheucht hatte, noch hinten nach in mich verliebt; denn welcher ehrliche Kerl, der nur ein bischen gute Meynung von sich hegt, wird denn denken, daß seine Gesellschaft blos darum gesucht wird, um einen andern zu verjagen?

Mein lieber Sarnim, mein Schutzengel, fuhr Peninne fort, war mir in der That die beste Vertheidigung gegen die Gesellschaft meines Verfolgers; der Regierungsrath scheute sich vor ihm fast allein, und ich brauchte oft nur seinen Namen zu nennen, um ihn los zu werden. Ich hatte zuweilen mich Gabrielens zu eben diesem Endzwecke bedienen wollen, aber die Erwehnung ihrer hatte bey ihrem Gemahl keine Kraft, und ihre Gesellschaft [214] zu haben war vollends unmöglich; sie war ihrem teuflischen Anschlage der Leidenschaft ihres Gemahls in allem nachzusehen zu treu, als daß sie ihm eine einige Gelegenheit, mich ohne Zwang zu sehen, hätte entwenden sollen; und ließ ich etwa ein zweydeutiges Wort über meine verdrüßliche Verfassung fallen, so brach sie in ein lautes Gelächter aus, und fragte mich, ob ich etwa auf meine alten Grillen gerathen, und sie bereden wollte, daß ihr Gemahl seine ehemaligen Absichten auf mich noch nicht aufgegeben habe?

Zu dieser Zeit war es, als das Fräulein von Vöhlen in unserm Hause erschien. Ich hofte an ihr eine Gespielinn, und eine Gefährtinn zu finden, welche mich vor lästiger Gesellschaft schützen könne; aber – darf ich es in ihrer Gegenwart sagen? – Gabriele wußte mich wider sie einzunehmen, sie machte mir ein Bild von ihr, welches ich damals für so richtig gezeichnet hielt, als ich gegenwärtig von dem Gegentheil überzeugt bin.

Ich hoffe, das werden sie, gnädige Frau, fiel die erröthende Klare meiner Tochter in die Rede; Gabriele spielte die nehmliche Rolle in Ansehung ihrer gegen mich, und ich fürchte, ich bin durch die Erzehlung, die ich bey Madam Haller von ihnen machte, Ursach gewesen, daß Unwille und Misverständnisse in ihrem Herzen genährt wurden.

Wollte Gott, erwiederte die Obristlieutenantinn, sie wären die einige gewesen, deren schlechte Meynung von mir ich zu bekämpfen gehabt hätte. [215] Falscher Verdacht läßt sich ja noch wohl aus einem guten Herzen ausrotten, wenn man ihm die Wahrheit vor Augen legt; aber wie will man diejenigen überzeugen, welche nicht überzeugt seyn wollen? welche sich freuen, an andern einen Schein von ihren eigenen Lastern zu finden, um sich damit entschuldigen zu können?

Ich ward nach und nach gewahr, daß alle meine strenge Anhänglichkeit an Tugend und Unschuld mich nicht für bösen Ruf schützen konnte. Gabriele zürnte, daß ihre Anschläge so schlecht glückten, und daß sie sehen mußte, wie die Neigung ihres Gemahls durch meine Standhaftigkeit eher wuchs als abnahm. Ich entgieng allen ihren Fallstricken, von welchen ich ihnen manche Auftritte melden könnte, wo ich dem Verderben, durch eine Hand, die ich damals noch nicht kannte, recht augenscheinlich entgegen geführt ward, wenn ich nicht immer noch hofte, meine damals an sie, meine Mutter geschriebenen Briefe, die das meiste davon enthalten, wieder in meine Hände zu bekommen, und sie ihnen vorlegen zu können.

Da die Regierungsräthinn meine Tugend nicht stürzen konnte, so wollte sie wenigstens meinen guten Ruf zerstören. Die Leidenschaft ihres Gemahls für mich, mußte einem jeden in die Augen fallen. Der Glanz, in welchem mich die betrügerische Freygebigkeit meiner Freundinn erscheinen ließ, erregte Neid, und, da man meinen Stand und Vermögen kannte, den Verdacht, ich prangte mit dem [216] Lohne meiner Schande. Gabrielens verstohlne Winke, und künstlich angebrachte Thränen und Klagen, gaben meiner Ehre vollends den letzten Stoß, und es ward bald durchgängig behauptet, daß Peninna Haller die erklärte Geliebte des Regierungsraths sey. Das Gericht setzte mich der – setzte mich den verworfensten meines Geschlechts an die Seite. –

Sage es doch nur heraus, was du auf dem Herzen hast, unterbrach Herr von Sarnim seine Gemahlinn, du willst sagen, man habe dich der lüderlichen Josephe, meiner verworfenen Gattinn, an die Seite gesetzt. – Die Ausschweifungen dieses Ungeheuers, waren damals so stadtkündig geworden, daß ich sie nicht länger an meiner Seite dulden konnte, ohne meiner eigenen Ehre zu schaden; ich ließ mich von ihr scheiden, und diese Scheidung war die Veranlassung, daß ich hinter alle Anschläge kam, welche die Wilteckischen Furien wider die unschuldige Peninna geschmiedet hatten. Ich durchsuchte Josephens nachgelassene Papiere, und fand unter denselben, eine gute Parthie Briefe, welche zwischen Gabrielen, Josephen und ihrer Mutter über diesen Punkt gewechselt worden waren. – – Ich erstaunte. Ich eilte zu Peninnen, um ihr diese schrecklichen Geheimnisse zu eröfnen. Ich fand sie in Thränen, sie war eben aus einer Gesellschaft nach Hause gekommen, wo sie die Erstlinge von der Verachtung eingeerndtet hatte, in welche sie der böse Ruf, in den sie unschuldiger Weise gerathen[217] war, zu stürzen begann. Hier hatte sie zuerst deutlich erfahren, was man von ihr hielt, und es fehlte nicht viel, daß man es ihr frey unter die Augen sagte, daß sie die Mätresse des Regierungsraths sey.

Ich wußte ihre Unschuld. Sie weinen zu sehen, durchbohrte mir das Herz. Ich hatte die Beweise von der Bosheit ihrer Feinde in den Händen, und mein Entschluß, wie ihr zu helfen, und auch mein Glück wieder herzustellen wär, wär gefaßt. Ich tröstete sie, so gut ich konnte, ich bat sie, sich einige Tage eingezogen zu halten, und unter dem Schein einer Unpäßlichkeit, jedermann von sich entfernen. Auch der überlästige Regierungsrath, mußte sich durch diesen Vorwand abweisen lassen.

Ich nützte diese zeit, alle meine Anstalten zu machen; ich bat, als ich mit denselben zu Stande war, eine große Gesellschaft von den vornehmsten Personen aus unserer Bekanntschaft zusammen, und vergas vor allen andern diejenigen nicht, welche meiner Peninna bey der letzten Gesellschaft, die sie besuchte, so schimpflich begegnet hatten. Auch der Regierungsrath und seine Gemahlinn waren nicht vergessen.

Meine Gäste waren alle in meinem Hause versammelt. Man hatte von meiner Einladung etwas außerordentliches erwartet, und sich daher in vollem Glanz eingefunden. Man war eben im Begriff, sich zum Spiel niederzusetzen, als ich mit [218] meiner reizenden, unschuldigen, erröthenden Peninna eintrat.

Alles ward rege. Es entstand ein unvernehmliches Geflüster, welches bald in ziemlich laute Schmähungen ausartete; die Damen riefen nach ihren Bedienten, und die Herren nahmen Hut und Degen zur Hand. Ich fragte nach der Ursach dieses Aufstandes, niemand wollte reden, bis die alte Generalinn von *** das Wort nahm, und mir im Namen der ganzen Gesellschaft meldete, daß sie mich für zu edel und gesittet gehalten hätten, eine Person, wie Mamsell Haller, in ihre Gesellschaft zu bringen, und darum auf meine Einladung erschienen wären; daß ich ihnen aber verzeihen müßte, daß sie nun, da sie ihren Irrthum inne würden, mein Haus sogleich verließen, und es nicht eher wieder betreten würden, bis ich ihnen Genugthuung für diesen Schimpf gegeben hätte.

Ich glaube, ich habe so ziemlich die Stimme und das Ansehen darnach, mir Gehör zu verschaffen; ich führte die Generalinn sehr höflich nach ihrem Stuhl zurück, bat um eine Viertelstunde Aufmerksamkeit, und trug denn ohngefehr dasjenige vor, was ich bisher gesagt habe, nur vielleicht mit etwas mehrerm Feuer und Nachdruck. Zum Beweis meiner Worte, ließ ich dann die wichtigsten von den vorerwehnten Briefen, von Hand zu Hand gehen, und als ich sahe, was dieses für Würkung that, so gab ich der Sache dadurch das [219] völlige Gewicht, daß ich Peninnen bey der Hand nahm, und sie der Gesellschaft als meine Braut vorstellte. Ich, sagte ich, ich war der Zeuge aller ihrer Handlungen, ich getraue mich für ihre Unschuld so zu sprechen, wie für meine Ehre, und ich führe sie zur Bestättigung meiner guten Meynung, zur Bestättigung, daß ich sie allen Damen der ganzen Welt, selbst allen in dieser gegenwärtigen Versammlung vorziehe, zum Altar, und mache sie zu meiner Gemahlinn.

Peninna und ich waren vorher schon unserer Sachen eins geworden, sie bezeigte sich also bey dieser Gelegenheit so, wie es ihr zukam. Die ganze Gesellschaft war wie umgekehrt; Entschuldigungen und Glückwünsche strömten von allen Seiten herbey. Die alte Generalinn umarmte meine Braut, und bat um die Ehre sie als Mutter zum Altar zu führen. Im Nebenzimmer war alles zur Trauung bereitet; die ganze Gesellschaft folgte uns dahin, bis auf Gabrielen und ihren Mann, welche zu deschämt gewesen waren, um in der Gesellschaft bleiben zu können, und gleich, da die Briefe zum Vorschein kamen, ihren Abschied in der Stille genommen hatten.

Peninne, meine holde unschuldige reizende Peninne, war nun meine Frau, und lehrte mich das Leben, das mir die nichtswürdige Josephe verbittert hatte, liebgewinnen. Jedermann billigte meine Wahl. Die Obristlieutenantinn von Sarnim wurde vergöttert, und die beschimpfte Peninne [220] Haller ganz vergessen. Man drängte sich um uns, man stellte Feste uns zu Ehren an, und raubte uns dadurch die schönen Tage, die wir so gern im einsamen Genuß unsers Glücks zugebracht hätten.

An einem von diesen ersten Tagen nach unserer Vermählung war es, daß Peninna im Schauspiel ihre Schwester auf dem Theater erblickte; was sie that, ist bekannt, und ich glaube, man wird die geheimnißvolle Art, mit welcher sie die beyden Unglücklichen, die sie retten wollte, zu sich kommen ließ, welche man hier so tadelhaft gefunden hat, jetzt entschuldigen. Der Augenblick, da die Schmähsucht eben erst aufgehört hatte, Peninnens Ehre zu verlästern, war gewiß nicht die schicklichste Zeit, ihr neuen Stoff zu albernem Geschwätz in den Weg zu werfen. – Ich schätze Amalien und Jucunden, und sie sollen sehen, daß sie an mir einen Bruder haben werden, welcher ihr Glück zu machen weis; aber sie werden selbst gestehen müssen, daß der Stand, in welchem sie von ihrer Schwester gefunden wurden, nicht so beschaffen war, daß er ihr oder mir Ehre machen konnte, und daß meine Peninna wohl that, die Sache so geheim zu behandeln, daß selbst ich nichts davon erfuhr. –

Sie entdeckte mir nach der Abreise ihrer Schwestern alles, und ich fand nichts daran zu tadeln, als daß sie nicht deutlich mit ihnen von ihrer gegenwärtigen Verfassung gesprochen hatte. – Mit [221] was für Herzen, sagte die gutmüthige Seele, hätte ich meine unglücklichen Schwestern von meinem Glück benachrichtigen können, ohne sie öffentlich an demselben Theil nehmen zu lassen? Dieses war unmöglich, und ich ließ es also dabey bewenden, ihnen einen Brief an unsere Mutter mitzugeben, welcher alles enthält, was sie wissen müssen, und was sie am besten aus ihrem Munde hören werden; mich dünkt, diese Erzählung, aus meinem Munde würde Beschämung und Vorwurf ihrer Verirrungen gewesen seyn.

Ich war mit allem zufrieden, was Peninne gethan hatte, und freute mich, sie nach dieser Begebenheit ruhiger als zuvor zu sehn. Das bisherige Stillschweigen ihrer Mutter auf alle ihre Briefe, hatte sie oft sehr beunruhigt, sie glaubte, ganz von ihr vergessen zu seyn, und sie setzte jetzt große Hoffnungen auf die Vermittelung ihrer Schwestern, und den durch sie abgeschickten Brief, daß dadurch alle Misverständnisse aufgehoben werden würden.

Aber wie erstaunten wir, als wir nach einiger Zeit diesen Brief, ohne eine Zeile zur Beantwortung zu rück erhielten; auch das kleine Geschenk, das ich für die Frau, die ich so sehr verehrte, bestimmte, und das meine Gattinn nebst dem Briefe abgeschickt hatte, war verschmäht worden, und es enthielt Spuren, daß man ihm, diesem unschuldigen Merkmahl meiner Achtung mit der äußersten Geringschätzigkeit begegnet hatte.

[222] Meine Frau war in Verzweiflung, und ich kann nicht läugnen, daß auch ich nicht kaltsinnig bey der Sache blieb. Ein alter Soldat ist in solchen Dingen empfindlich. Sie müssen mir verzeihen, Madam, wahrlich, ihr Betragen kränkte mich in der Seele, und ich weis es nicht, ob ich in meinen Ausdrücken über diesen Punkt, allemal in den Schranken der Sanftmuth geblieben bin, wenigstens hat mir meine Peninne zuweilen so etwas vorgeworfen. Auch Amalie und Jucunde, bekamen ihren Theil an meinem Unwillen; sie waren in meinen Augen Friedensstöhrerinnen, oder hatten wenigstens ihren Auftrag schlecht ausgerichtet.

Peninne setzte ihre ganze Hoffnung auf eine mündliche Unterredung; sie sehnte sich nach Hohenweiler zu ihren Eltern, und ich hätte die angenehme Reise dahin, längst mit ihr unternommen, wenn nicht meine Geschäfte mich theils noch eine Zeitlang zu Wien aufgehalten, theils meine Gegenwart auf meinen Gütern nothwendig gemacht hätten; ich habe sie nunmehr alle besucht, alles auf denselben in Richtigkeit gebracht, nur das eine neugekaufte, haben wir noch nicht gesehen; es ist in ihrer Nachbarschaft, in denke mit meiner Frau morgen dahin abzugehen; es soll inskünftige unsere beständige Wohnung seyn. Es würde mir leid thun, wenn wir uns so bald wieder von denen, die wir lieben, trennen müßten.

[223]
28. Kapitel. Tod des Tyrannen dieser Geschichte
Acht und zwanzigstes Kapitel
Tod des Tyrannen dieser Geschichte, des Herrn Katharines

Hier endigte der Obristlieutenant seine Erzählung, und es läßt sich denken, was für Eindruck sie auf uns alle machte.

Ich hab es für unnöthig gehalten, die Entschuldigungen, Rechfertigungen, und alle Aeußerungen der Freude, des Kummers und der Verwunderung, mit einzuflechten, an welchen sie hier und da unterbrochen wurde, und eben so unnöthig dünkt es mich, die Scene, welche auf dieselbe folgte, zu schildern. Lang getrennte Freunde, Eltern und Kinder, die durch Misverständnisse entzweyt, und nun wieder vereinigt wurden; Unglückliche, welchen sich endlich eine heitere Aussicht auf dauerhafte Ruhe zeigt, werden am besten wissen, was unter uns vorgieng, und mir die schwere Schilderung ersparen; und wer hat nicht in seinem Leben, im Großen oder im Kleinen einen solchen Auftritt erfahren! – – –

Es ist wohl nicht leicht auf dieser veränderlichen Welt, eine Freudenstunde, welche nicht durch eine Wolke getrübt wird; gut, wenn der verfinsternde Schatten, nicht uns unmittelbar tritt, wenn die Thräne, die in unsern Jubel fließt, nur eine Thräne des Mitleids und der so allgemeinen Menschenliebe, [224] nicht des tiefen herznagenden Kummers über eigene Leiden seyn darf.

Des Obristlieutenants Kammerdiener, welchen er nach Hohenweiler geschickt hatte, kam zurück. Er schien bestürzt zu seyn, und meldete auf Befragen nach der Ausrichtung seiner Bothschaft, Herr Harold habe wahrscheinlich noch keine Zeit gehabt, den an ihn abgeschickten Brief zu eröfnen, weil alles zu Hohenweiler wegen des plötzlichen Todes des Amtmanns in großer Verwirrung gewesen sey. Herr Harold habe, als er den Namen des Obristlieutenants von Sarnim gehört, ihn eilig zurückreiten heissen, um seinen Herrn zu versichern, daß er, sobald er sich von seinen Geschäften losmachen könne, selbst kommen wollte, um ihm und der Familie Haller von allem Nachricht zu geben, was sie zu wissen verlangten.

Wir erstaunten alle über den plötzlichen Tod des Amtmanns, welchen der Obristlieutenant gestern noch gesund und wohl gesehen hatte, und unser Erstaunen verwandelte sich in eiskaltes Entsetzen, als der Bothe sich deutlicher erklärte, und uns berichtete, wie ihm bey dem ersten Schritt in das Städtchen, das Gerücht entgegen gekommen sey, der Amtmann habe sich diese Nacht in einem Keller des Schlosses erschossen; ein Gerücht, welches hernach, als er im Schlosse ab trat, durch den Augenschein bestättigt wurde.

Man erspare mir die schreckliche Beschreibung oder Scene, die uns unser Erzehler hierauf lieferte.[225] Katharines hatte sich würklich das Leben genommen, und das Gerücht schob diesen entsetzlichen Entschluß, auf die Verzweifelung, in welchen den Elenden eine getäuschte Hoffnung von ganz besonderer Art gestürzt hatte.

Die Begierde nach noch mehrerem Reichthum als er bereits besaß, hatte ihn auf den Einfall gebracht, einen Schatz zu heben, welcher, nach der gemeinen Sage, im Schloßkeller verborgen liegen sollte. Er war schwach genug gewesen, nachdem er das halbe Schloß vergebens unterminirt, die Sache ganz nach der Vorschrift des Aberglaubens anzufangen. Er hatte zu dem Ende eine Menge Betrüger um sich versammelt, welche ihn am Ende eben so getäuscht hatten, wie Herr Hallern die Adepten.

Die Nacht, welche bestimmt gewesen war, ihn zum Herrn unermeßlicher Schätze zu machen, war die Nacht seines Todes geworden. Man hatte ihn am Morgen mit zerschmetterter Hirnschaale in dem unterirdischen Gewölbe gefunden, und nicht weit von ihm einen Zettel, in welchem die Ruchlosen, die ihn bewogen hatten, ihm mit niedrigen Hohn für die Schätze dankten, welche er ihnen aus seinem Kasten habe zufliessen lassen, und mit welchen sie nun vergnügt Hohenweiler verließen; sie versicherten, ihres Wissens wären dieses die einzigen, welche das Schloß zu Hohenweiler enthielt, und er möchte also lieber, anstatt des fruchtlosen Nachsuchens die verfallenen und durchgrabenen Gewölber [226] wieder aufbauen, und durch Schaden klug werden. Wahrscheinlich hatte diese Nachricht dem Unglücklichen das Mordgewehr in die Hand gegeben.

Gegen die Nacht erschien Herr Harold selbst, und lieferte uns eine ausführliche Beschreibung dessen, was wir bereits gehört hatten; das schrecklichste in derselben war mir dieses, daß man in den Papieren des Amtmanns, einen Brief von meinem verstorbenen Mann gefunden hatte, welcher wahrscheinlich die erste Veranlassung zu der unglücklichen Schatzgräberey gewesen war, die dem elenden Katharines das Leben kostete. Herr Haller meldete in demselben dem Amtmanne: eine seiner Töchter habe in den letzten Tagen seines Aufenthalts zu Hohenweiler in einem unterirdischen Gange einiges altes Geld gefunden, von welchem er ihm einige Stücke zum Beweis mitschicke. Ihm sey es wahrscheinlich, daß noch ein weit größerer Schatz daselbst verborgen liegen müsse, und er erbiete sich, ihm den Ort, wo er es vermuthe, anzuzeigen, wenn er sich gefallen ließ, ihn zum Gefährten in der Aufsuchung des Schatzes anzunehmen, und ihm die Hälfte des Gefundenen zu gönnen. Katharines hatte sich gestellt, als wenn er von diesen Dingen nichts glaubte, hatte Herrn Haller sein Begehren abgeschlagen, und das unglückliche Geschäft, das ihm das Leben kostete, für sich allein unternommen.

[227] Ein kalter Schauer überlief mich bey dieser Erzählung, aber mein Gefühl war nichts gegen dasjenige, was die arme kleine Schwärmerinn, Julchen dabey empfand. – Ich sahe sie bleich werden, und bald darauf ohne Empfindung niedersinken. Ihren Namen bey so einer schrecklichen Begebenheit erwehnen hören, auf gewisse Art, die Veranlassung dazu gegeben haben, das war zu viel für ihr weiches Herz. Sie hatte die traurige Gabe des Nachgrübelns um Stoff zu Gram zu finden, und sich über die unschuldigsten Dinge Gedanken zu machen, von ihrer Mutter geerbt.

Ein Glück war die Gegenwart des Obristlieutenants für sie, sein vernünftiges und herzhaftes Zureden machte einigen Eindruck, und Peninna bat ihren Gemahl, die arme weichherzige Seele, mit sich nehmen zu dürfen, als sie des andern Tages auf ihr neuerkauftes Gut mit ihm abreißte, ob vielleicht die Veränderung der Gegenstände ihr die Zerstreuung des Kummers erleichtern möchte.

29. Kapitel. Begreift den Zeitraum von etlichen Jahren
Neun und zwanzigstes Kapitel
Begreift den Zeitraum von etlichen Jahren

Wir strebten vergebens, Peninnen länger bey uns aufzuhalten. Ihr Gemahl würde vielleicht zu erbitten gewesen seyn, aber sie ließ sich selbst nicht durch die Vorstellung zum Dableiben bewegen, daß [228] wir diesenTag Herrn Walter und seine Gattinn erwarteten, welchen wir von ihrer Wiederkunft Nachricht gegeben hatten. Diese Behutsamkeit, mit Walters, so wenig als möglich zusammen zu kommen, blieb Peninnen immer eigen, und sie begegnete ihnen, wenn sie sie ja sehen mußte, allemal freundschaftlich, doch nie mit der vorigen Vertraulichkeit.

Ich fand etwas Edles in diesem Zug ihres Betragens; andere würden vielleicht nichts als Gefühl ihrer Schwäche, und Furcht, ehemalige Empfindungen bey Walters Anblicke erneuert zu sehen, in demselben wahrgenommen haben; aber gereichte nicht eben dieses Gefühl, eben diese Furcht ihr zur Ehre? Sie war entschlossen, ihren Gemahl auch mit keinem Gedanken zu beleidigen, und sie war klug genug, ohne weitere Rücksicht auf ihre Stärke oder Schwäche, lieber die Gelegenheit zu vermeiden, ihre Pflicht auf die kleinste Art zu verletzen.

Herr Walter und seine Frau eilten diesmal auch eben nicht sehr mit ihrer Ankunft; sie langten erst des andern Tages an, und man konnte es beyden anmerken, daß sie sich vor Peninnens Anblick scheuten. Charlottens Miene heiterte sich ziemlich auf, als ich die Vermählung meiner Tochter mit dem Obristlieutenant bekannt machte, und Herr Walter stammelte seinen Glückwunsch mit sichtlicher Verwirrung.

[229] Charlotte ward nach und nach außerordentlich munter, selbst Klare bekam heute einige freundliche Blicke, aber als gegen das Ende des Besuchs der Name meines Sohns Samuel einmahl erwehnt wurde, und das Fräulein von Vöhlen einige besondere Theilnehmung an seinem Schicksale zeigte, so war das gute Einverständniß wieder dahin, und das alte steife und preciöse Wesen kam wieder zum Vorschein. Es war doch Schade, daß in einer sonst so guten Seele einig Funken des Neides glimmen sollten! Die Frau wußte wahrhaftig nicht was sie wollte; sie liebte ihren Mann, und konnte Samuelen doch nicht vergessen; sie sah Peninnen wegen des einen, und Klaren wegen des andern mit scheelen Blicken an, und war bey diesen widersprechenden Gesinnungen sicher nie glücklich zu werden. Warum mußte doch das Schicksal die ersten Lieblingswünsche dieser Armen zerstören! Als Samuels Frau wär sie glücklich und ohne Tadel gewesen, und die kleinen bösen Tücke ihres Herzens, wären wahrscheinlich nie zum Vorschein gekommen.

Auch Klare war von diesem schwarzen Flecken nicht rein. Nicht allein Charlotte war und blieb ein Gegenstand ihres Widerwillens, sondern auch gegen Peninnen blickte immer, sie mochte sich auch zwingen wie sie wollte, einiger Kaltsinn hervor. Gabriele hatte einmal ihr Herz wider sie eingenommen, freylich mußte sie nun einsehen, daß sie ihr Unrecht gethan hatte, aber eben dieses Gefühl [230] des ihr angethanen Unrechts, machte sie schüchtern und zurückhaltend gegen sie, und die Vorstellung, daß sie, diese Peninne, ein Bürgermädchen, den Platz einnahm, den eine Verwandte von ihr ehemals besessen hatte, streute gewiß auch den Saamen der Misgunst in ihrem Herzen aus.

Es betrübte mich oft, wenn ich diese Dinge erwog, und die Charaktere meiner Töchter auch mit in die Prüfung nahm, unter so vielen, würklich liebenswürdigen Personen, kaum ein Julchen, kaum eine Peninne zu finden, welche bey allen ihren Schwachheiten und Fehlern doch im Grunde wahrhaftig gut und edel dachten.

O ihr Menschenkenner, ihr steht auf einem gefährlichen Posten; euer Forschungsgeist, und das bewafnete Auge des Naturkenners, vernichtet Güte und Schönheit; er und ihr wendet euch oftmals mit Abscheu von Gegenständen hinweg, welche wir gemeinen Seelen mit bewunderndem Beyfall anstaunen, und in unserer Täuschung glücklich seyn.

Man verzeihe mir diese Ausschweifung. Die damalige Epoche meines Lebens, die sich durch Ruhe und Muse auszeichnete, gab mir Gelegenheit zu mancher Betrachtung, und wie kann man es einer schreibseligen oder geschwätzigen Alten zumuthen, ihre Gedanken alle in dem Innersten ihres Herzens zu verschliessen? –

Wie ich gesagt habe, meine bisher so unruhigen Tage fiengen an gegen den Abend meines Lebens ruhiger zu werden, alles um mich her war [231] so heiter und still wie an einem schönen Septembertage, wenn die lachende Natur ihr Abschiedfest feyert, und nur hier und da gelbes Laub oder abgemähte Felder uns erinnern, daß der Winter herannaht. Ich hatte fast alle meine Kinder um mich; die, welche mir nicht so nahe waren, besuchten mich, oder holten mich, wenn ich zu ihnen kam, mit Freude und wie im Triumpf in ihre Wohnungen ein, und von denen ganz Abwesenden, o Himmel, von meinem Samuel, von meinem Albert, hatte ich gute Nachricht. Sie waren auf der Rückreise begriffen, sie hatten in dem Lande, wo mancher Elend und Tod erbeutete, Ruhm und Ehre erworben, und ob sie gleich weder Lasten von Goldsand, noch rohe Diamanten mitbrachten, ob sie gleich weder reiche Vettern zu beerben, noch amerikanische Wittwen zu heyrathen vorgefunden hatten, so schien mir es doch, daß sie nicht ganz so arm in ihr Vaterland zurückkehrten, als sie es verlassen hatten.

Man denke sich mein Glück, denke sich das gegenwärtige Gute, das ich genos, und die Aussicht auf die größte Freude dieser Erde, auf das Wiedersehen dererjenigen, die ich so lang entbehren mußte!

Die Hoffnung erleichterte mir die lange Erwartung, es schlichen Jahre dahin, und ich sahe meine Söhne immer noch nicht, aber tröstende Briefe sagten mir, daß sie jetzt hier, jetzt an einem andern Orte wären, daß sie hier durch Geschäfte, [232] dort durch Vergnügungen aufgehalten würden, und so gab ich mich zufrieden.

In meinem Hause fehlte es auch nicht an Auftritten, welche mir die Zeit kürzten! Peninna beschenkte ihren Gemahl mit einem Sohne. Der redliche Obristlieutenant, welcher immer für das Glück meiner Kinder wachte, machte Amaliens Gatten ausfindig, riß ihn von dem leidigen mir so verhaßten Theaterwesen los, machte ihn zum Aufseher seiner entfernten Güter, vereinigte ihn wieder mit seiner verlassenen Frau, und ließ beyde wohlbeschenkt nach dem Ort ihrer Bestimmung abreisen; Jucunde – doch nein, diese darf ich nicht so kurz abfertigen, ich fange ihr zu Ehren ein neues Kapitel an, und nähere mich mit demselben zugleich einem wichtigen Zeitpunkte meines Lebens.

30. Kapitel. Krieg
Dreyßigstes Kapitel
Krieg

Wir lebten einsam; niemand als die Personen, welche ich zu meiner Familie rechnete, gieng bey uns aus und ein, und wenn nicht zuweilen der Herr Amtsverweser von Hohenweiler, den Obristlieutenannt seinen alten Gönner bey mir suchte, oder eine Bestellung von ihm an mich hatte, so konnte ich mit Recht sagen, daß kein Fremder meine Schwelle betrat.

[233] Aber dieser Herr Harold kam auch so oft, suchte den Herrn von Sarnim in Traußenthal, wenn er wissen mußte, daß er nicht zugegen war, und brachte Bestellungen von ihm, wenn ich ihn eine Stunde vorher gesehen hatte, daß endlich sein Gesicht so gewöhnlich bey mir ward, daß man ihn kaum mehr für einen Fremden rechnen konnte.

Der unglückliche Tod des Katharines hatte alles auf dem Amte zu Hohenweiler in der größten Unordnung gelassen; es fanden sich ansehnliche Defekte in der Kasse; Madam Katharines hatte sich in der Stille aus dem Staube gemacht, und verschiedene Dinge von Wichtigkeit mit sich genommen; die untergrabenen Gewölber des Schlosses drohten den Einsturz; man hatte würklich in einem Winkel des Kellers noch etwas von altem Gelde gefunden; dieses und eine Menge andere Dinge gaben Herrn Harold unzählige Gelegenheiten nach Traußenthal zu kommen, und es schien nicht anders, als hielt er mich für die Oberaufseherinn des ganzen Hohenweilerischen Kreises, welcher er von allem, was sich in demselben zutrug, genauen Rapport abstatten müßte.

Mir war übrigens sein Zuspruch nicht entgegegen; er war ein hübscher gesetzter Mann, ohne Umstände, mit dem es sich gut umgehen ließ, und hätte er mit seiner ansehnlichen Figur, eins von den artigen Puppengesichtergen verbunden, welche unsere junge Mädchen so gern sehen, so hätte ich aus manchen Umständen schliessen können, daß ihn [234] meine Jucunde, die einige von meinen Töchtern; welche jetzt beständig um mich war, nicht ungern sähe; aber daran war nicht zu denken. Ein hageres von der Sonne verbranntes Gesicht, ein paar finstere schwarze Augen, und einige Schmarren über Mund und Wangen, machten Herr Harolden selbst in meinen Augen zu keinem reizenden Gegenstande, und sein offnes gerades Wesen, das ich ihm ganz gern verziehe, war oft so beschaffen, daß es nach dem Urtheil eines verwöhnten Mädchens, wohl den Namen der Unhöflichkeit verdienen konnte; was hätte denn einer blühenden Schönheit, wie Jucunde, an ihm gefallen können?

Doch hatten ihre Augen einen besondern Ausdruck, so oft sie ihn erblickte. Wenn er mit mir sprach, so schien sie alle seine Gesichtszüge zu mustern; warf er denn einen flüchtigen Blick auf sie, so sanken ihre Augen schnell zur Erde. Nie sprach sie in seiner Gegenwart, brauchte heute tausenderley erzwungenen Vorwand bey seinem Besuche nicht gegenwärtig zu seyn, und erröthete morgen vor Schrecken, wenn er da gewesen war, ohne von ihr gesehen zu werden.

Ich fand wenig Gefallen an diesem wunderlichen Wesen; ich nannte es gegen sie, Ueberbleibsel von dem ehemaligen Theaterleben, und sie, welche wohl wußte, daß dieses fast der größte Schimpf war, den ich ihren Handlungen beyzulegen pflegte, hielt es für gut, aufrichtig gegen mich zu seyn, und mir ihre Gedanken von Herrn Harold, [235] so weit sie selbst sie sich zu erklären wußte, frey zu entdecken.

Sie thun mir unrecht, liebe Mutter, sagte sie, wenn sie mein Betragen gegen diesen Mann für Koketterie, oder gar für Liebe halten. Ich suche so wenig seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, als er die meinige erregen würde, wenn ich gewisse Ideen unterdrücken könnte, welche sich mir mehrmal bey seinem Anblick aufdringen, und die ich selbst nicht zu enträthseln weis.

Seine Person ist mir ein Gegenstand, den ich schon irgendwo, vielleicht im Traum gesehen habe. Ich forsche in seinen Zügen, und finde immer mehrere Aehnlichkeit mit einem Schattenbilde, das mir nur dunkel vorschwebt. Eine Art von dankbarer Zuneigung reißt mich zu ihm hin, und macht mir seine Erscheinung erwünscht, und gleichwohl erregte der Ton seiner Stimme eine Erschütterung in mir, die keinesweges angenehm ist, und die ich Schrecken oder ahndende Erinnerung widriger vergangener Dinge nennen würde, wenn ich wüßte wohin ich dergleichen Empfindungen rechnen sollte.

Ich schüttelte den Kopf gewaltig über das unverständliche schwärmerische Gewäsch des Mädchens. Es war eben zu selbiger Zeit jene für Teutschland so wichtige Epoche der Empfindlichkeit eingetreten; das arme Julchen, die bey ihrer Schwester der Obristlieutenantinn, bey welcher sie lebte, mehr Nachsicht fand als bey mir, hatte schon angefangen ihren angebohrnen Hang zu solchen [236] Dingen mit der damaligen Modelektüre auf eine Art zu nähren, welche mir bange für sie machte, und ich hätte aus Jucundens Reden bald urtheilen sollen, sie müsse ihr einige von ihren Büchern mitgetheilt, und sie mit ihren unerklärlichen Empfindungen und ahndenden Gefühlen angesteckt haben. Ich gab Jucunden meine Gedanken zu erkennen; sie seufzete und schwieg, und es vergieng wieder eine lange Zeit, ohne daß ich eine Veränderung in den gewöhnlichen Erscheinungen bemerkt haben sollte, nur davon ward ich nach und nach immer gewisser, daß Jucunde Harolden nicht gleichgültig sey; was für äußerliche Merkmale ich hiervon hatte, darüber könnte ich meinen Lesern verschiedene Bücher zum nachschlagen nennen, in welcher sie die Symptomen einer angehenden Liebe deutlich auseinander gesetzt finden werden, aber ich will mich bey diesen Dingen nicht aufhalten, sondern zu wichtigern Begebenheiten übergehen, welche nicht allein mich, sondern auch die ganze Gegend betrafen, in welcher wir lebten.

Der Krieg, welcher in unserer Landschaft so große Verheerung anrichtete, brach aus. Der Obristlieutenant mußte zu seinem Regimente; seine Gemahlinn, welche sich keinen Augenblick von ihm zu trennen wußte, begleitete ihn, und lies ihre Kinder, einen Knaben und zwo Mädchen bey mir. Klaren wurde gerathen, sich auf ihre Güter zu begeben, und sie durch ihre Gegenwart vor dem Verderben [237] zu schützen, aber sie war zu schwach und furchtsam, einen so vernünftigen Entschluß zu ergreifen. Ich und die Meinen, fanden unsere Sicherheit nicht länger in dem geliebten Traußenthal, wir überliessen es dem General des in der Nähe liegenden feindlichen Heers zur Wohnung, und giengen nach Hohenweiler, um bey unserm alten Freund Harold, welcher jetzt durch die Unterstützung des edlen Obristlieutenants, Amtmann daselbst war, Zuflucht zu suchen.

Hätte Harold seinem Trieb zum Soldatenleben nachgeben wollen, er wär seinem alten Gönner ins Feld gefolgt. Das Wort Krieg erregte alle seine Heldenentwürfe in seinem Herzen, welche er ehemals, weil der ihm so verhaßte Friede kein End nehmen wollte, dem Studieren aufopferte; er hätte sichs gefallen lassen, wieder von unten auf zu dienen, und sein Avancement von der Zeit, von seiner Tapferkeit, und von dem vielsagenden Wörtlein von erwartet, welches er bisher ganz vergessen hatte, und nun erst aus dem bürgerlichen Aktenstul hervorzusuchen gesonnen war. Aber des Obristlieutenants Zureden, und Peninnens Bitten drangen durch, beyde waren froh ihrer verlassenen Familie einen braven und entschlossenen Mann zurück zulassen, welcher derselben bey den bedenklichen Aussichten, Schutz und Zuflucht seyn könne, und Harold fand in seinem eigenen Herzen etwas, das ihn in dieser Betrachtung zum Bleiben bewegte; Jucunde war ja in dieser Gegend, und ihrentwegen[238] konnten ja auch wir andern wohl auf seinen Beystand rechnen.

31. Kapitel. Man flieht in Reutlingens unterirdischen Gang
Ein und dreyßigstes Kapitel
Man flieht in Reutlingens unterirdischen Gang

Die Ruhe, welche wir in Hohenweiler zu finden geglaubt hatten, dauerte nicht lange. Derjenige Theil der feindlichen Truppen, welcher im ganzen Lande wegen seiner zwecklosen Grausamkeit verschrieen war, nahte sich unserer Gegend. Herr Harold, ehemals selbst ein Kriegsmann, hatte immer Muth und Klugheit genug gehabt, denen durchmarschierenden Truppen so zu begegnen, daß der ganze Kreis, welcher unter seiner Aufsicht stand, wenig Ueberlast empfand, und die Einwohner von Hohenweiler konnten sich rühmen, in Vergleichung mit ihren Nachbarn, kaum die Schrecknisse des Kriegs zu kennen; aber sie für dem Feinde der sich uns nunmehr näherte zu schützen, dazu war weder Muth noch Klugheit hinlänglich. Wir konnten jeden Abend von unsern Thürmen aufgehende Feuer erblicken, Vorbothen desjenigen, was uns bevorstand.

Der Feind rückte ein. Hohenweiler ward mit einer unerschwinglichen, der Größe des Orts gar nicht angemessenen Brandschatzung belegt. Julchen [239] war die erste, welche ihren ganzen Reichthum, der durch die Freygebigkeit des Obristlieutenants ihres Schwagers, nicht ganz unbeträchtlich war, zur Rettung der armen Einwohner von Hohenweiler anboth. Ich opferte alles auf, was ich an Schmuck und Silberzeug besaß, Jucunde und Klare thaten auch das Ihrige, und Herr Harold, so sehr er über die Ungerechtigkeit, unschuldige Weiber zu berauben, murrte, sahe doch, daß es so seyn mußte, und vermehrte unsere Kollekte mit allem was im Hohenweilerschen Keller gefunden worden war, und was die Obrigkeit, ihm als dem Finder auf des Obristlieutenants Anregen ehemals zugesprochen hatte. Wir brachten ein ganz artiges Sümmchen zusammen, und es ließ sich hoffen, der Feind würde, wenn er gleich baares Geld erblickte, sich zur Nachsicht bewegen lassen.

Aber leider reichte unser Zusammengebrachtes noch nicht ganz an die Hälfte der Forderung, und die Hälfte mußte schlechterdings ganz geliefert werden, wenn man auf vierzehntägige Nachsicht hoffen wollte. – Herr Harold wandte sich an die Vornehmste des Orts, er stellte ihnen vor, was wir gethan hatten, die wir eigentlich gar nicht mehr nach Hohenweiler gehörten, und ermahnte sie zu einer ergiebigen Beysteuer; die meisten von ihnen wollten die Last auf die ärmern Einwohner wälzen, die Harold nicht zu drücken gedachte, wandten gewisse Vorrechte und Freyheiten vor, und nur einige von ihnen liessen sich bewegen[240] ihre Sicherheit mit einigen entbehrlichen Kostbarkeiten zu erkaufen. Harolds letzte Zuflucht war nur noch der Pfarrer, er war ein bekanntlich reicher Mann, noch eben derselbe, welcher nebst seiner Frau schon in den vorhergehenden Blättern erwehnt worden ist, aber die Antwort, welche Harold erhielt, lies sich errathen.

Die Frau Pfarrerinn, welche allein gegenwärtig war, erwies, daß ein Geistlicher bey solchen Gelegenheiten nichts zu zahlen schuldig sey, als ein kleines Kontingent, welches ihr Mann ja bereits erlegt habe; über dieses versicherte sie, sie wisse aus guter Hand, der Feind würde, wenn es aufs äußerste kommen sollte, doch nichts weiter thun, als das alte Schloß blos zum Schrecken hinwegbrennen, und sie sähe nicht ein, was sie und ihr Mann für Verbindlichkeit hätten, anderer Leute Sicherheit mit ihrem Gelde zu erkaufen.

Herr Harold kehrte ihr verächtlich den Rücken, und brachte uns ängstlich Harrenden, die Schreckenspost nach Hause, daß alles verlohren sey. Wir machten Anstalt unsere besten Sachen in den Keller zu räumen, aber wir wurden übereilt, und Herr Harold welcher besorgt war, irgend ein unheilig Auge möchte an Jucundens Schönheit hangen bleiben, eilte nur sie und uns in den Keller zu bringen, welcher in Ritter Reutlingens unterirdischen Gang führte, den er hatte stützen und bis zu dem Ausgang auf das Feld räumen lassen, so daß wir hoffen konnten, in demselben [241] ohne alle Gefahr zu seyn, und im höchsten Nothfall doch den Weg zur Flucht offen zu haben.

Wer vermag die Angst zu schildern, in welcher wir uns an diesem schauerlichen Orte befanden! Herr Harold hatte uns augenblicklich verlassen müssen, und kaum Zeit übrig behalten, die eisernen Riegel hinter uns zuzuschieben, und die Schlösser vorzulegen.

Die Einbildung vergrößerte die Gefahr, in welcher wir uns befanden. Wir glaubten bald wüthendes Mordgeschrey, bald knisternde Flammen und einstürzende Bälke über uns zu hören. Jucunde zitterte für Harolden, und gab durch ihr ganzes Betragen zu erkennen, daß jene dunkeln unerklärlichen Gefühle, von welchen sie ehemals mit mir sprach, nur gar zu bald in Liebe ausgeartet waren; sie war die letzte, die sich entschloß, auf Julchens Antrieb, tiefer hinab, in Ritter Reutlingens Gewölbe zu steigen. Sie wähnte weiter oben, demjenigen, den sie in Gefahr glaubte, näher zu seyn, und nur die Vorstellung, daß sie ihm mit ihrer nahen oder fernern Gegenwart doch nicht zu helfen vermöchte, bewegte sie, uns endlich zu folgen.

Wir stiegen hinab, aber ob wir gleich überzeugt waren, daß wir uns hier für Feuer und für Ueberfall gleich sicher befänden, so wollten doch unsere Herzen nicht anfangen, ruhiger zu schlagen. Der Ort war würklich nicht darnach, uns ruhige Empfindungen einzuflössen, zu den Schrecknissen, [242] welche ihm schon zu jenen Zeiten, nicht fehlten, da ich ihn kennenlernte, kam auch noch jetzt seine Baufälligkeit; Katharines hatte ihn fürchterlich durchwühlt, die gesunkenen Gewölber drohten überall den Einsturz, die hier und da angebrachten Stützen schienen sich zu beugen, und der frische Schutt welcher uns an verschiedenen Stellen aufsties, zeigte, daß wir vor dem Nachsinken nicht sicher wären.

Der beste Rath für uns war den Ausgang zu suchen, welcher uns aufs Feld führte, und uns nahe bey demselben aufzuhalten. Wir machten uns auf den Weg, und Julchen, welche ehedem diesen Ort mehrmals durchwandert hatte, both sich zur Führerinn an; aber wie sollten wir uns in den verschlungenen Gängen zurecht finden? Harold hatte vergessen uns die Gegend des Ausgangs zu bezeichnen, und wir mußten uns endlich entschliessen, wieder zurück zu kehren.

Wir fanden in der zweyten Vertiefung der Gruft nicht weit von der Stelle, wo ich Julchen ehemals ohnmächtig fand, die ich meine Begleiterinnen schon beym ersten Vorübergehen hatte bemerken lassen, einen Platz, wo die Gewölber fester zu schein schienen. Wir waren ermüdet, und entschlossen uns, auf etlichen hinabgehenden Stufen niederzusetzen.

Was hilft es uns endlich, meine Kinder, sagte ich, uns durch fruchtlose Angst abzumatten; unser Schicksal ruht in einer Hand, die uns zu retten [243] weis, die vielleicht in dieser Stunde, welche so finster und schreckensvoll für uns ist, die Anlage zu unserm Glück macht. Wir wollen die Augen vor der Gegenwart und der Zukunft verschliessen, und in die Vergangenheit zurückgehen, ob wir in derselben vielleicht Trost und Erleichterung finden können.

O meine Mutter, rief Julchen, Klare und Jucunde haben die schöne Geschichte vom Ritter Franzen und seiner frommen Gemahlinn noch nicht gehört, mich dünkt, sie sollte sich in diesen Gewölbern, welche so manche von denen in derselben vorkommenden Auftritten gesehen haben, gut erzehlen lassen!

Ich war nicht aufgelegt zu einer ordentlichen Erzehlung, aber wir geriethen unvermerkt in ein tiefes Gespräch über einige Umstände dieses Märchens, über seinen Einfluß in die Geschichte meines Hauses, über Hannchens Tod, Julchens nächtliche Wallfarth in dieses Gewölbe, den gefundenen kleinen Schatz, und eine Menge Dinge welche mit diesen Begebenheiten in Verbindung standen, und ich war eben im Begriff, einige mir sehr tröstlichen Lehren aus dem Ganzen zu ziehen, als Klare auf einmal aufsprang, und mit wildem Blick die Stelle am Gewölbe wo sie gesessen hatte anstarrte. Was sehe ich, schrie sie, Spuren? Spuren von Blut? – Vielleicht ist hier die Stelle! – Gott ich bin ausser mir!

[244] Wir betrachteten alle den Ort, den sie uns bezeichnete, und verschiedene Merkmale machten es nur gar zu gewiß, daß auf diesem Flecke der unglückliche Katharines sich das Leben genommen hatte.

Mit bleichen von Schrecken verlängerten Gesichtern starrten wir uns an; unsere Haare sträubten sich empor; die fürchterliche Scene an welche wir noch gar nicht gedacht hatten, mahlte sich sichtbar vor unsern Augen. Ein kalter Schauer goß sich durch unsere Gebeine, und ein schreckliches Gellen saußte in unsern Ohren. Die jungen Mädchen nahmen die Flucht in den obern Keller, als ob Geister sie verfolgten, und ich folgte, etwas weniger erschrocken, aber vielleicht noch tiefer als sie von dem Andenken dieses Unglücklichen verwundet, der hier sein Leben endete, langsam nach.

Athemlos langten wir in dem obersten Gewölbe an, wir hatten noch nicht Luft genug geschöpft, um zu Worten kommen zu können, als wir ein Geräusch an der Kellerthür hörten, welches beynahe gemacht hätte, daß wir an den fürchterlichen Ort zurückgeflohen wären, von welchem wir herkamen.

[245]
32. Kapitel. Wiedersehn
Zwey und dreyßigstes Kapitel
Wiedersehn

Die Schlösser wurden eröffnet, die Riegel hinweggezogen, die Thür sprang kreischend auf; es war zu spät zu entfliehen; und wofür hätten wir auch fliehen sollen? Der Ausruf: Friede, Friede, welcher aus Herrn Harolds Munde tönte, war schon im Stande, uns alle Furcht zu benehmen. Er war der erste von den Herabsteigenden, ihm folgten drey Offiziers, deren Uniform uns zeigte, daß wir in Freundes Händen waren.

Madam Haller, redete mich Herr Harold an, welcher noch immer an der Spitze der Ankommenden stand, ich hoffe, sie werden meinen Friedensgruß nicht zu weit ausdehnen; rund um uns her ist noch alles Krieg, aber diese Helden hier, haben unserm geliebten Hohenweiler einen Interimsfrieden gebracht. Die Pechkränze waren schon in allen Winkeln aufgehängt, die Fackel zu unserm Verderben war schon angezündet, da kam das Gerücht von unsern anrückenden Freunden; unsere Widersacher fühlten sich zu schwach, und stahlen sich auf der Nordseite davon, als unsere Retter von Süden her, anmarschirt kamen. Das Geschäft sie nach Würden zu bewillkommen, raubte mir bis jetzt die Zeit, Rapport in den Keller von dem Zustand der Sachen abzustatten. Diese Herren [246] hörten nicht sobald, daß hier die Rede von gefangenen Damen sey, als sie sich erboten, mich zu begleiten, und selbst Hand an ihre Befreyung zu legen.

Zweyerley war mir noch ausser der Ueberraschung bey der ganzen Sache, in Harolds Rede bedenklich; der ganz ungewöhnlich muntere Ton derselben, und das geflissentliche Bestreben während derselben, sich stets so zu drehen, daß das schwache Licht der Leuchten, die wir bey uns hatten, und der düstre Schein der vom Gewölbe herabhangenden Lampe nicht auf diejenigen fiel, welche ihm folgten.

O so entziehen sie uns doch nicht länger den Anblick unserer Befreyten, rief einer von den hinter ihm stehenden Offiziers, indem er ihn bey den Schultern faßte und auf die Seite drehte.

Madam, sagte Harold und faßte den andern bey der Hand, hier sehen sie den tapfern Anführer unsrer Retter, den Herrn Rittmeister von – O schweigen sie rief der Rittmeister mit einer bekannten Stimme, rauben sie mir das Vergnügen nicht, ungenennt von Madam Haller erkennt zu seyn.

Er nahte sich mir, faßte meine Hand, drückte sie an seinen Mund, blickte mich an, und fragte mit einer Thräne im Auge: Kennen sie mich nicht? kennen sie ihren –

Vielleicht hätte ich seine Frage mit ja beantworten können, wenn ich Zeit gehabt hätte, mich [247] zu besinnen, und nicht durch einen lauten Schrey, den Klara aussties, auf einen andern von den Ankommenden aufmerksam gemacht worden wär.

O Haller, mein geliebter Haller, rief Klare aus, und sank fast ohnmächtig in die Arme des ältesten von Harolds Begleitern. Dieser Ausruf und ein fest auf ihn gerichteter Blick ließ mich in einem Nun erkennen, wen ich vor mir hatte. Ich riß mich von der Hand des Rittmeisters los, und stürzte mich auf den, welcher Klaren umfaßt hielt, ohne etwas anders als den Namen Samuel aussprechen zu können.

Samuel riß sich aus Klarens Armen, und warf sich in die meinigen, wir blieben lange, unvermögend ein Wort zu sprechen, in dieser Stellung, und nichts hätte meine ihn fest umschliessenden Hände von ihm losmachen können, als eine Stimme, welche mir auf der andern Seite zutönte. Haben sie denn nur einen Sohn? ward ich mit einem Accente gefragt, der mein Herz durchbohrte. Ich wandte mich um, ein Jüngling lag zu meinen Füßen, den ich augenblicks erkannte und mit Namen genennt haben würde, wenn Jucunde mir nicht zuvorgekommen wär, welche ihre Arme um seinen Hals schlug, und den Namen Albert zehnmal in einem Athem wiederholte.

Das ist zu viel, zu viel Freude auf einmal! rief ich mit einer von Thränen gehemmten Stimme, riß mich von Alberten, den ich jetzt fest umfaßt hielt, los, um Samueln an meine Brust zu [248] drücken, und sties diesen von mir, um wieder auf jenen zuzueilen. Julchen, Klare und Jucunde spielten fast die nehmliche Rolle. Die Worte: Sohn! Mutter! Bruder! Geliebte! Schwester! ertönten von allen Seiten, und waren lange Zeit der einige vernehmliche Laut, den jedes unter uns auszusprechen vermochte.

Der arme Rittmeister, welcher mich zuerst bewillkommte, und ein so gutes Zutrauen auf mein Gedächtniß hatte, daß es mir seinen Namen melden würde, gieng allein leer aus; ich hatte ihn ganz vergessen. Lieber Gott, wo hätte ich Gedanken für ihn hernehmen wollen! ich hatte ja Samuelen, hatte Alberten wieder, sah und hörte nichts außer ihnen, hätte über sie mich selbst und die halbe Welt vergessen können!

Herr Rittmeister, rief Herr Harold endlich, wir sind hier im schlechten Ansehen; Küsse und Umarmung ohne Zahl werden hier ausgetheilt, und an uns denkt niemand. Wir wollen diese Trunkenen allein lassen, sie werden uns wohl folgen, wenn der Rausch vorüber ist.

Ich ermannte mich auf diese Erinnerung ein wenig, entschuldigte mich bey dem Rittmeister, hatte aber nicht so viel Nachdenken, mich nach seinem Namen zu erkundigen, sondern wandte mich geschwind wieder zu meinen Söhnen, um Fragen an sie zu thun, wel che zu schnell hinter einander herströmten, und in welche sich die Stimmen der drey Mädchen zu sehr mischten, als daß sie hätten verstanden und beantwortet werden können. –

[249] Wie lange diese Scene dauerte, weis der Himmel, auch ist mir unbekannt, ob wir selbst, oder ob die Ungeduld unserer beyden Zuschauer ihr endlich ein Ende machte. – Ich war berauscht, war betäubt, der Kopf schwindelte mir, ich glaubte zu träumen, und das erste wessen ich mich nach dieser stürmischen Scene deutlich erinnerte, ist daß ich mich auf einmal in meinem Zimmer befand, auf den Knien lag, und meine gefaltene Hände, auf welche mein Kopf herabgesunken war, mit meinen Thränen badete. Wir hatten den ersten Schauplatz meines Glücks verlassen, ohne daß ich es in den Gedanken, die mich so sehr beschäftigten, gewahr geworden war.

Die Stellung, in der ich mich befand, bewies, daß ich die Einsamkeit gesucht hatte, um Gott für mein unaussprechliches Glück zu danken, aber die Besonnenheit fehlte mir, ich konnte nicht danken, ich stand auf, und eilte in das Zimmer, wo ich die Stimmen meiner Kinder hörte.

Samuel kam mir entgegen, er führte mich an ein Fenster und eine halbstündige gelassene Unterredung brachte mich völlig zu mir selber. Albert schob sich in die Stelle seines Bruders ein. Wir setzten uns bald darauf zur Tafel, und ich fieng nun erst an, alles Glück des heutigen Tages ruhig und in vollem Umfang zu geniessen. – Himmel! gerettet, aus so großer Gefahr gerettet zu seyn; zween Söhne wieder zu finden, welche ich so lange Jahre hatte entbehren müssen, sie in solchem [250] Stande, sie als meine Retter wieder zu sehen! Nein, bey Gott, dies war zu viel, um ganz empfunden, und doch mit Fassung ertragen zu werden!

33. Kapitel. Neu entstandene und wieder erneuerte Liebe
Drey und dreyßigstes Kapitel
Neu entstandene und wieder erneuerte Liebe

Wir saßen bey der Tafel, ich zwischen meinen Söhnen, der unbekannte Rittmeister mir gegen über, zwischen Julchen und Jucunden, Klare bey Samuel und Harold neben der, bey welcher er nie zu sitzen versäumte. Unser Gespräch war ruhig und interessant; die Rettung des heutigen Tages, war der Hauptinhalt desselben, da fuhr Julchen plötzlich auf, ach Gott! schrie sie, über all der Freude habe ich meine Kinder vergessen!

Ein sechszehnjähriges Mädchen so reden hören, und sie denn mit der Angst einer wahren Mutter aus dem Zimmer eilen sehen, mußte den Neuangekommenen auffallend seyn. Ich erklärte der Gesellschaft das Räthsel. Peninnens Kinder nebst dem kleinen Ludwig waren zu der Zeit, als Herr Harold uns so schnell in den Keller verschloß, mit ihren Wärterinnen bey einer unserer Freundinnen, die wir noch in Hohenweiler hatten; es war unmöglich, sie zu uns holen zu lassen, und die Ungewißheit, wie es ihnen ergehen würde, war kein geringer Theil unserer Unruhe [251] in jenen Angststunden gewesen, da wir das ärgste befürchteten.

Die Freude über meine wiedergefundenen Söhne hatte mir wahrhaftig auch das Andenken an die lieben Kleinen geraubt, und Julchen war die erste, welche sich ihrer erinnerte. Ich war mit meiner Erzehlung, in welcher ich aber nur aus gewissen Ursachen Peninnens Kinder erwehnte, und des kleinen Ludwigs nicht gedachte, noch nicht zu Ende, als Julchen wieder erschien, und den kleinen Wilteck mit sich brachte. Sie rapportirte, die Kleinen wären wieder im Hause, und hätten bereits geschlafen, aber Ludwig habe, als er sie erblickt hätte, nicht ablassen wollen, bis sie ihn mit sich genommen habe. Sie verneigte sich hierauf gegen den Rittmeister, und bat um Erlaubniß, den Knaben neben ihn setzen zu dürfen, und erst nach ihm Platz zu nehmen.

Ludwig war ein Engel von einem Kinde, schön wie seine Mutter, und so fromm und wohlgezogen als ihn nur das sanfte Julchen hatte bilden können; für sein Alter wußte er schon diejenigen, die sich mit ihm abgaben, ziemlich zu unterhalten, und er blieb dem Rittmeister, welcher kein Auge von ihm verwandte, und sich auf tausenderley Art mit ihm beschäftigte, keine Antwort schuldig; ich weis nicht, wie es kam, daß der Rittmeister unter allen möglichen Fragen, welche man an Kinder thut, auf diejenige zuletzt kam, welche immer zuerst gebraucht wird diesen Kleinen die Zunge zu lösen.

[252]

Wie heißest du, mein Engel, fragte er seinen kleinen Nachbar. Ludwig von Wilteck, erwiederte er, und das – auf Julchen zeigend, ist meine Mutter. – Ludwig von Wilteck? schrie der Rittmeister, und riß den Kleinen auf seinen Schoos, Ludwig von Wilteck? o komm an meinen Busen mein Sohn. Und dieses ist deine Mutter? O theure liebenswürdige Pflegerinn meines Kindes, ich muß, ich muß sie umarmen, verzeihen sie meine Kühnheit, ich bin, ich bin ja der Vater ihres Zöglings. Er hatte Julchen gleichfalls zu sich gezogen und sie an seine Brust gedrückt. Sie machte sich beschämt und beleidigt los, entfernte sich, und stellte sich mit glühendem Gesicht hinter meinen Stuhl. Ich begriff von allen diesen Dingen nichts, aber der Rittmeister lies mir keine Zeit zum Nachdenken, er sprang von seinem Stuhl auf, eilte mit dem kleinen Ludwig in seinen Armen auf mich zu, und machte mir eben die Liebkosungen, welche Julchen so übel aufgenommen hatte. O Mutter! Mutter! schrie er, kennen sie mich, kennen sie den Gemahl ihrer Tochter nicht mehr?

Wer kann die Empfindungen beschreiben, mit welchen ich die beyden Ludwige zugleich in meine Arme schloß. Den Gemahl, den Sohn meines verewigten Hannchens! – O Mutterfreuden! keine Entzückungen der Erde sind euch zu vergleichen!

Der Rittmeister hatte wohlgethan, daß er es bis hie her verschoben hatte, sich zu offenbaren; in [253] dem ersten Rausch der Freude über Samuel und Albert, würde seine Name nur schwachen Eindruck auf mich gemacht haben, aber jetzt war mein Herz freyer, es hatte sich nun schon an den Gedanken gewöhnt, meine Verlornen wieder zu besitzen, es hatte Raum auch für andere Freuden, und die Gegenwart dieses Mannes, welcher mir um Hannchens willen so theuer seyn mußte, war kein geringer Zuwachs meiner Glückseligkeit.

Immer hatte ich ihn geliebt; die Geschichte mit Hannchen warf zwar einen Schatten auf meine Neigung für ihn, aber wie ungerecht hätte ich seyn müssen, wenn ich ihn wegen des Unglücks dieser Unschuldigen hätte anklagen wollen! er war sowohl verführt worden als sie, er hatte sie allen Kabalen zum Trotz bis in den Tod geliebt, hatte gethan was in seinem Vermögen war, um ihre letzten Stunden zu erheitern, und – war der Vater meines Enkels; nur er konnte diesem verlassenen Kinde, das Glück verschaffen, und den Namen bestättigen, der ihm zukam; wie froh mußte ich also seyn ihn wieder zu sehen, ihn ganz so zu sehen, wie ich wünschte.

Der Rittmeister war außer sich. Seinen Sohn wieder zu finden, ihn in meinen Händen, ihn so wieder zu finden, wie er war, das war ein Glück das er nicht hatte vermuthen können. Er hatte ihn in den Händen der ehrlosen Katharines gelassen; sie hatte nicht für gut gehalten, ihn zu benachrichtigen, daß ich ihn ihr abgefordert hatte, [254] sondern ihn lange mit lügenhaften Nachrichten getäuscht, um die Summen, die zu des Kindes Unterhalt bestimmt waren, für sich ziehen zu können. – Der Rittmeister war durch den Dienst nach und nach zu weit von seinem Vaterlande entfernt worden, um den Grund oder Ungrund ihrer Nachrichten untersuchen zu können. Es hatte ihm, wie er sagte, am Muth gefehlt, sich an mich zu wenden, und mir die Sorge für ein Kind aufzutragen, dessen Daseyn, wie er meynte, mir vielleicht nicht einmal bekannt war.

Er würde unser? Gegend in dem festen Wahn betreten haben, seinen Sohn noch in den Händen seiner ersten Pflegerinn zu finden, wenn ihm nicht ein Zufall denselben benommen, und ihn in die schrecklichste Ungewißheit wegen des Schicksals seines Kindes gestürzt hätte.

Madam Katharines hatte, wie man weis, nach dem traurigen Ende ihres Mannes, Hohenweiler heimlich verlassen. So wohl sie sich bedacht hatte, um für Mangel sicher zu seyn, so war sie doch – wie sie vorgab, durch den Krieg – so herabgekommen, daß der Rittmeister sie in Böhmen, bey einem feindlichen Regimente, in dessen Hand er als Kriegsgefangener gerathen war, als Marquetenderinn, angetroffen hatte. Seine erste Frage war nach seinem Sohne, und dieses Weib, welcher es nie an wahrscheinlichen Erdichtungen fehlte, hatte ihm eine lange Geschichte vorgelogen, nach welcher er seinen Ludwig in den Händen von Zigeunern [255] vermuthen mußte, welche ihr ihn, wie die Boshafte vorgab, bey einer einsamen Reise durch den Böhmerwald geraubt hatten.

Wie mußte dem Rittmeister zu Muthe seyn, als er so unvermuthet von dem Ungrund dieser Erzehlung und aller Sorgen, die er sich um seinen Ludwig gemacht hatte, überzeugt wurde! Welche Ueberraschung, ihn wieder zu finden, ihn so wieder zu finden, wie er war.

Die halbe Nacht verstrich unter Gesprächen, welche von diesen Dingen veranlaßt wurden. Der Rittmeister wollte seinen Sohn nicht aus den Armen lassen, und Julchen mußte ihm endlich den Kleinen, welcher zu jung war um alles was um ihn vorgieng ganz zu fassen, und der unter den Erzählungen seines Vaters endlich auf seinem Schooß einschlummerte, mit Gewalt entreissen; Sie behauptete, es würde dem Kinde schaden, länger der Nachtluft ausgesetzt zu seyn, und führte ihn zu Bette. – Der Rittmeister sah ihr mit Entzücken nach, und gerieth in ein tiefes Nachdenken, aus welchem ihn erst ihre Wiederkunft ein wenig ermunterte.

Es war weit nach Mitternacht, als wir erst aus Scheiden gedachten. Der Becher der Freude war frisch unter uns herumgegangen. Die alte, jetzt aus der Mode gekommene, löbliche Sitte, den Namen seiner Freunde beym Trinken zu nennen, war noch bey uns eingeführt. Wir tranken eines auf des andern Wohlergehen, und Albert, welcher [256] bey Harolden saß, und besonders wohl mit ihm dran zu seyn schien, ergriff, als Jedermann des braven Amtmanns von Hohenweiler Gesundheit trank, sein Glas, schüttelte Harolds Hand, und rief: nun Bruder Ferdinand, es gehe dir wohl!

Ferdinand? rief Jucunde, und setzte ihr zum Trinken gefaßtes Glas wieder nieder.

O Schwätzer! erwiederte Harold, war das unsere Abrede?

Ferdinand! Ferdinand! fuhr Jucunde mit zusammengeschlagenen Händen fort, mein Warner! mein Schutzengel! was würde ich ohne ihn jetzt seyn! O Himmel, wo hatte ich diese Zeit über meine Augen, um ihn nicht zu erkennen!

Aller Augen wandten sich auf Jucunden, Harold ergriff ihre Hand, drückte sie fest an seine Brust, und sah ihr mit einem Blick ins Auge, als wollte er fragen: Ists möglich, daß diese kalte Seele Gefühl hat? – Jucunde merkte, daß sie zu viel gesagt, zu feurig gesprochen hatte; sie wand ihre Hand aus Harolds Händen los, sahe beschämt vor sich nieder, und ein paar Thränen fielen aus ihren Augen.

Albert und Harold wurden von allen Seiten mit Fragen bestürmt, und ihre Antworten zeigten, daß der wackere Amtmann von Hohenweiler kein anderer war, als jener Ferdinand, welcher Jucundens Ehre im Thiergarten zu Berlin so herzhaft vertheidigte, der Alberten, nach dem darauf erfolgten Zweykampfe, davon half, und sein kleines Vermögen beym Abschied mit ihm theilte; welcher [257] Jucunden so oft vor ihrer ehrlosen Gesellschafterinn warnte, und einigemal ihr thätlich aus Verlegenheiten half, in welchen sie, ohne seine Hülfe, ihren Untergang hätte finden können.

Albert hatte ihn, als er nach Hohenweiler kam, auf den ersten Blick gekannt, sie hatten die alte Freundschaft erneuert. Harold hatte ihm offenherzig seine Absichten auf Jucunden entdeckt, die er jetzt gegen sie und uns alle bekannte, und beyde waren einig geworden, den Namen Ferdinand nicht eher zu nennen, bis alle Hoffnung verschwunden wär, daß Jucunde endlich sich auf das Gesicht ihres alten Freundes besinnen würde.

Wie konnte ich das? rief Jucunde, mein Schutzgeist kam mir allemal zu schnell aus den Augen, als daß ich eine feste Idee hätte von ihm fassen können, selbst der Name Ferdinand, den ich ihm gab, und der mir jetzt die Augen öffnet, beruhte auf bloßen Muthmassungen, das eine Mahl, da ich etwas länger dieses Ferdinands Gegenwart genoß, ward ich durch die Maske, welche er trug, und das anderemal durch seine Kleidung, durch die Bestürzung in der er mich fand, und durch die Nacht verhindert, ihn so deutlich zu sehen, daß ich mich seiner nach Jahren wieder erinnern könnte. Aber seine Stimme, o Himmel, seine Stimme! was für sonderbare unerklärliche Eindrücke machte sie auf mich! Meine Mutter weis, was ich ihr hierüber gesagt habe, und ich kann es noch nicht begreifen, wie es möglich war, daß es mir nicht [258] bey dem ersten Laut derselben, den ich hörte, einfiel, daß eben diese Stimme es war, welche jene mir ewig unvergeßlichen Worte aussprach, die mich damals so sehr beleidigten, und die mir doch, wie ich sicher weis, in der Folge dienten, meinen Vorsatz, immer gut zu seyn, nie zum Laster abzuweichen, zu befestigen.

Und was waren das für Worte, fragte Harold, indem er die Hand seiner Beysitzerinn zärtlich an seine Lippen drückte.

O Ferdinand, erwiederte Jucunde, es war hart, es war grausam, was sie mir sagten; sie beschuldigten mich: »es müsse doch wohl ein geheimer Wohlgefalle an dem Laster, das ich mich zu verabscheuen stellte, in meinem Herzen verborgen seyn.« Ich fühlte es, meine unverbesserliche Unbesonnenheit, schien diesen Vorwurf zu verdienen, aber mein Stolz empörte sich. Ich haßte sie in diesem Augenblick von ganzem Herzen, und gelobte mir es in der Stille an, ihnen zum Trotz tugendhaft zu bleiben, und die Falschheit ihres Urtheils von mir zu beweisen; und ich denke ich habe mein Gelübde gehalten.

Ja das haben sie, rief Harold, ich selbst kann es ihnen bezeugen, denn ob ich ihnen gleich damals, als ich im Zorn von ihnen schied, versprach, mich inskünftige nicht um ihre Handlungen zu bekümmern, so war mir es doch unmöglich, mein Versprechen zu halten. Keiner ihrer Schritte blieb von mir unbeobachtet, und alles was ich thun [259] konnte, war, daß ich aufhörte sie zu warnen, aber ich hatte dieses auch nicht mehr nöthig; helfen hätte ich ihnen mögen, wenn ich nicht zu arm dazu gewesen wäre. Wie beklagte ich sie, als ich erfuhr, daß sie von allen betrogen und verlassen in Berlin zurück geblieben waren! wie bewunderte ich sie, als ich endlich ihre kleine dunkle Wohnung auskundschaftete, und zuweilen ein Augenzeuge von ihrem stillen arbeitsamen und kümmerlichen Leben war. Sie müssen sich noch eines gewissen alten podagrischen Vetters erinnern, welcher bey ihrer damahligen Wirthinn, aus und eingieng, dieser angebliche Vetter, dieser verkleidete Alte war ich, und sie konnten mich freylich nicht erkennen, da sie allemal, wenn jemand erschien, der ihnen fremd war, sich gleich in ihre Kammer zurück zogen.

Als ich sie in der Folge auf einmal als Schauspielerinn zum Vorschein kommen sah, da empörte sich mein Unwille von neuem wider sie. Nie haßte ich sie herzlicher, als wenn sie sich unter allgemeinem Beyfall am vortheilhaftesten zeigten, und ich leugne es nicht, daß ich manche Kabale, welche ihre Nebenbuhlerinnen machten, um sie vom Theater zu scheuchen, treulich unterstützte, und oft, anstatt ihnen das Lob zu ertheilen, das ihre Kunst verdiente, meine Stimme mit dem Hohn ihrer Feinde vereinigte.

Sie sollten, sie mußten, einen Stand verlassen, welcher, so untadelhaft sie sich auch in demselben bezeugten, doch zu gefährlich für sie war, als [260] daß ich sie in demselben hätte dulden können. – Das Bestreben über ihre Tugend zu wachen, zog mich nach und nach selbst von dem Wege des Lasters ab. Es kann ihnen nichts neues seyn, daß ich bey aller Strenge gegen sie, doch mir manche Ausschweifungen erlaubte. Welcher Tugend kann sich ein Schläger und Spieler rühmen? auch wissen sie wohl, daß sie mich ein paarmal an Orten gesehen haben, an welchen sich ein tugendhafter Jüngling nie befinden sollte. Ihnen zu Liebe legte ich tausend Fehler ab. Ich ward wieder fleißig, und vertiefte mich einmals so sehr in ein mir aufgetragenes gerichtliches Geschäft, daß ich sie aus den Augen verlor. Die Schauspielergesellschaft, bey welcher sie waren, hatte, während ich einige Wochen von unserm bisherigen Aufenthalt abwesend war, die Stadt verlassen. Bisher war ich ihnen überall gefolgt, nun hatte ich ihre Spur verloren. Ich erfuhr erst hintennach, daß sie in Wien gewesen waren, das Theater heimlich verlassen hatten, und gegenwärtig bey ihren Eltern lebten.

Ich jauchzte über diese Botschaft; ich suchte eine Stelle in dem Hause ihres Vaters zu bekommen, um ihres Anblicks täglich genießen zu können. Einer von meinen Freunden rekommandirte mich dem Amtmann von Hohenweiler, als Schreiber. Ich gieng an den Ort ab, wo ich sie zu finden hoffte, und erstaunte, in demjenigen, dem man mich empfohlen hatte, nicht ihren Vater, sondern [261] den Herrn Katharines zu sehen, welcher mir ganz unbekannt war. Ich hatte mich einmal verbindlich gemacht, und ich mußte bleiben. Zum Glück erfuhr ich, daß sie gegenwärtig nebst ihren Eltern zu Traußenthal, also nur wenig Stunden von Hohenweiler lebten. Bey dieser kleinen Entfernung konnte ich ja hoffen sie zuweilen zu sehen; aber so süß mir auch diese Hoffnung war, so sehr täuschte sie mich. Sie waren nirgends sichtbar als in der Kirche ihres Orts, und in dem Hause ihrer Eltern war es unmöglich für einen Fremden, ohne ganz besondere Empfehlung einen Zutritt zu erlangen. Ich kannte niemanden in der ganzen Gegend, welcher Bekanntschaft mit dem Hallerschen Hause hatte, und ich mußte mir also gefallen lassen, um mein Leben nicht ganz freudenlos hinzubringen, alle Sonntage ein paar Stunden weit zu reiten, um einen elenden Prediger zu hören und sie zu sehen.

Wie lange ich dieses ausgehalten haben würde, weis ich nicht. Meine Geschäfte, und mein Fleiß, welcher mich endlich zu dem erhabenen Posten von Herrn Katharines Amtsverweser steigen ließ, waren nur Pallietifkuren wider das Andenken an sie; und die sonntäglichen Visiten, die ich Ihnen in der Kirche gab, waren nicht mehr recht hinlänglich mich zu befriedigen; da führte das Glück meinen ehemaligen Obristlieutenant, den Herrn von Sarnim herbey, durch ihn erhielt ich Zutritt in ihrem Hause, konnte sie sehen so oft [262] ich wollte, und freute mich schon auf den Augenblick, wenn sie in mir den berlinischen Ferdinand erkennen, und mir dadurch Gelegenheit zu einer Erklärung geben würden, nach der ich mich so sehr sehnte, und welche ich jetzt ohne Bedenken gethan haben würde, da ich in einem Stande lebte, welcher mir erlaubte zu reden, und mir selbst schon genugsame Beweise von meiner aufrichtigen Rückkehr zur Tugend gegeben hatte, um Muth zu haben, meine Hand einem guten Mädchen anzubieten.

Sie wissen, wie lange ich mich in meiner Erwartung betrogen habe, und hätte Albert nicht meinen Namen vorhin von ohngefehr genannt, so besorge ich, wir hätten zehn Jahre lang in einem Hause leben können, ohne daß sie in mir einen alten Bekannten gesucht hätten.

War denn der Name Ferdinand das einige, was ihnen von mir im Sinne blieb? Zog keine geheime Sympathie sie zu dem Herzen hin, daß sie so sehr verehrte? – O ihr Empfindler, ich werde euch in Zukunft doppelt hassen, da ihr mich mit einer eurer schönsten Ideen, dem geheimen Einverständniß, für einander bestimmter Seelen, so jämmerlich getäuscht habt.

Mein Herz sagt mir, ich und Jucunde sind für einander geboren, meine ganze Seele hängt an ihr, und sie? – – – fühlt nichts für mich, ihr Herz ist stumm, flößt ihr keinen Gedanken, keine Vorstellung von den Dingen ein, die mir so gewis sind.

[263]
34. Kapitel. Ferdinand Harold bedankt sich [..]
Vier und dreyßigstes Kapitel
Ferdinand Harold bedankt sich für die gute Meynung seiner Schwiegermutter

Harold, erwiederte Jucunde, wenn ich Ihnen meine wahre Meynung offenherzig gestehen soll – –

Es ist spät, unterbrach ich meine Tochter, aus Furcht, sie möchte sich mit einem Geständniß übereilen, das sie nach allen Regeln des Wohlstandes und altväterlicher Sitte mir zuerst zu thun schuldig war. Es ist spät, und ich halte es für besser, wenn wir jetzt zur Ruhe gehen, und Herr Harolden morgen mit unsern Gesinnungen bekannt machen. Wir standen alle auf, und trennten uns nach einem von allen Seiten zehenmal genommenen Abschied, nicht um zu schlafen, sondern wachend über die Vorgänge dieses seltsamen Tages zu träumen.

Der folgende Tag ward durch Herrn Harolds feyerliche Anwerbung um Jukunden merkwürdig gemacht. Es gieng alles dabey so ordentlich und regelmäßig zu, wie ich es liebe. Ich hatte mit dem Mädchen schon vorher über die Sache gesprochen, und ich versprach sie dem, der sie in aller Absicht so wohl verdiente. Es freute mich doch, daß Jucunde vernünftig genug dachte, sich über die wenigen Reitze von Herrn Harolds von der Sonne verbrannten Gesichts, und die Schmarren [264] über Mund und Wangen hinweg zu setzen, auch gefiel mir es, daß sie meynte, des Amtmanns oft gar zu zwangloses Betragen, und seine sehr ungekünstelten Ausdrücke, ließen sich schon bey seinem guten redlichen Herzen übersehen, und sie hoffte durch Nachgeben und Gefälligkeit wohl mit ihm auszukommen.

Mein Kind, sagte ich, du urtheilst wie ein vernünftiges Frauenzimmer thun muß, auch muß ich dir sagen, daß ich Ferdinanden in der Zeit, da ich ihn kenne, so viel abgemerkt habe, daß er, ich weis nicht aus welcher närrischen Laune, mehr Rauhigkeit und Härte affektirt, als ihm würklich eigen ist. Ich glaube, du wirst diesen rohen Diamant schleifen können, daß seine ganze glänzende Seite zum Vorschein kommt.

O meine Mutter, erwiederte sie, wie sollte ich das! Meinen Mann bessern? ihn vielleicht beherrschen? nein nimmermehr!

Gut, gut meine Tochter, sprach ich, bleib bey dieser Meynung, wenn du kannst, und solltest du in Zukunft anders denken, so übe die Gewalt, die du über ihn hast, und die du gewiß nie misbrauchen wirst, nur allemal so aus, daß er es nie gewahr wird, daß du das Regiment, welches ihm zukommt, mit ihm theilest.

Der Krieg ist in meinen Augen nie die Zeit gewesen, Hochzeiten und Freudenfeste anzustellen. Es ist sündlich zu jauchzen, wenn das ganze Land trauert, auch hat man wenig Exempel, daß so etwas [265] gut abläuft; daß ich daher schlechterdings darauf bestand, Harolds und Jucundens Verbindung bis zum geschlossenen Frieden aufzuschieben, läßt sich denken.

Ein wenig Murren erfolgte denn wohl von dieser und jener Seite, aber ich war Mutter, und wußte mein Ansehen zu behaupten.

An einem von den folgenden Tagen, als wir des Abends beysammen saßen, und von diesem und jenem sprachen, erinnerte ich meine Söhne, mir die Geschichte von ihrem Aufenthalt in Amerika, wie sie versprochen hatten, umständlich zu liefern. Ich wußte noch von allen ihren Angelegenheiten wenig mehr, als daß sie Ehre und Glück in diesen weit entfernten Gegenden fanden, daß sie das Kriegsschwerd in die Scheide steckten, und ihr Vaterland mit sehr friedlichen Gedanken betraten.

Aber welchem Helden, der einmal den Pfad des Ruhms betrat, schlägt das Herz nicht höher empor, wenn er das, uns zaghaften Weibern so schreckliche Wort Krieg nennen hört.

Die beyden Brüder, fanden ihr Vaterland bey ihrer Wiederkunft, in den Waffen. Das Schicksal führt sie dem Rittmeister von Wilteck entgegen; Ueberredung und eigne Wahl brachte sie zum zweytenmal in die Uniform. Sie waren beyde bey ein paar heissen Expeditionen gegenwärtig. Ihre Tapferkeit zeichnete sie vor allen andern aus, und verschafte ihnen die Stellen, welche sie gegenwärtig besassen.

[266] Dieses war alles was ich von der Geschichte meiner Söhne wußte, selbst der glückliche Zufall, der sie an jenem merkwürdigen Tage so unvermuthet zu unserer Rettung herbey führte, war mir noch nicht ganz klar, und ich erwartete eben die vollständige Erzehlung aller dieser Dinge aus ihrem Munde; als ein unvermutheter Lärm auf den Strassen sie von meiner Seite entfernte.

Wie ein Donnerschlag tönte mir die Post in den Ohren; daß schleunige Ordre gekommen sey, unsere Beschützer sollten noch in der nehmlichen Nacht Hohenweiler verlassen, und zu ihrem Regimente stossen.

Niemand war nach mir so traurig über diese Nachricht als Klare. Himmel, sie sollte ihren Samuel so schnell wieder einbüssen, ihn, welcher den ersten zärtlichen Auftritt im Keller ausgenommen, sich noch gar nicht so gegen sie bezeugte, daß sie seiner Liebe gewiß seyn konnte. Samuels Eigensinn und seine überspannten Begriffe von Recht und Schicklichkeit, waren durch Erfahrung und Weltkenntniß freylich ein wenig geändert, aber bey weitem nicht ganz getilgt worden. Er liebte Klaren, aber der Gedanke, daß sie die Besitzerinn von den Gütern war, welche seine Rechtschaffenheit Charlotten ehemals entzogen hatte, würde ihn vielleicht ewig abgehalten haben, ihr seine Hand zu geben, wenn das Glück sich nicht dazwischen gelegt, und Klaren wieder so arm gemacht hätte, als sie ehedem war.

[267] Einige Tage vor der obenerwehnten Ordre zum Abmarsch, erhielt Klare Post, daß die ganze Gegend, in welcher ihre Güter lagen, das traurigste Schicksal erfahren hatte. Das Feuer und der wütende Feind hatte alles, was sie besaß, so von Grund aus verheert, daß ihr nichts mehr übrig war, als ein Haufen zu Grunde gerichteter Bauern, und die Stelle, wo ehemals ein Dorf und ein Schloß stand.

Seit diesem für Klaren so schrecklichen Tage ließ sich eine große Aenderung in Samuels Betragen merken. Seine Geflissenheit sie zu trösten artete in Zärtlichkeit aus, und ich glaube, wenn es dem Feinde möglich gewesen wär, das Andenken dieser verhaßten Güter ganz von der Erde zu vertilgen, oder wenn irgend jemand sein näheres Recht zu der Stelle, wo sie ehemals standen, zu erweisen gewußt hätte, Samuel würde Klaren noch heute seine Hand angetragen haben.

An dem Morgen, an welchem unsre Beschützer Hohenweiler verließen, bemerkte ich, daß Klare und Samuel ein langes heimliches Gespräch mit einander hielten, dessen Inhalt ich vermuthlich erst in der Zukunft erfahren werde.

Bald nach dieser Trennung von unsern Geliebten, bekamen wir in Hohenweiler so viel Luft, daß wir auf die Rückkehr nach Traußenthal denken konnten. Der Krieg zog sich nach der Grenze hin, und das Gerücht von dem nahe bevorstehenden Frieden, vermehrte sich von Tag zu Tage.

[268] Ein Brief von dem Rittmeister von Wilteck, den ich in den ersten Wochen unsers Aufenthalts, in unserer alten geliebten Wohnung erhielt, rechtfertigte meine Muthmassungen, die ich gleich den ersten Abend, da er sich uns zu erkennen gab, von einer angehende Liebe zu Julchen hegte. – In der That, Julchen durfte sich nur zeigen um Eroberungen zu machen. Wenn sie auch nicht unter ihren Schwestern die schönste heissen konnte, so war sie doch bey weitem die liebenswürdigste. Die geringe Meynung die sie von ihren eigenen Reitzen hatte, und die ich, so falsch sie auch war, nie bestreiten mochte, machte sie zu einem doppelt interessanten Gegenstande. Ein Mädchen, die bey der schönsten Gestalt, und den holdesten einnehmendsten Zügen, dem Abdruck ihres englischen Herzens, nicht schön zu seyn glaubt, wie unwiderstehlich reißt sie die Herzen zu sich! Und ihr Charakter, so wie er sich hier und da in dieser Geschichte zeigte, selbst ihr kleiner Hang zu romantischer Schwärmerey, der sich nicht durch empfindelndes Wesen, sondern durch stille Größe, und tausend gemeinen Seelen unerreichbare Handlungen äußert, wie sehr mußte alles dieses zusammengenommen, einen Mann wie den Rittmeister fesseln. Er schrieb mir in den feurigsten Ausdrücken, daß sie sein ganzes Herz erobert habe, daß sie allein ihm die Stelle ihrer Schwester zu ersetzen vermöchte, und daß – doch, wer kann all das übertriebene Geschwätz dieser jungen Leute nachschreiben.

[269] Wahr ist es, keine bessere Gattinn wüßte ich ihm, und keine bessere Mutter dem kleinen Ludwig zu wünschen als mein Julchen, aber dieses Julchen hängt so mit ganzer Seele an gewissen Chimären, welche sie bey dem Rittmeister nicht realisirt finden wird, es schwebt ihr so ein überirdisches Bild männlicher Vollkommenheit vor, das sie zu ihrem Sponsen erkohren hat, daß ich nicht weis, wie sie sich zu einem irdischen Rittmeister wird herablassen können. – Ich will sie noch ein paar Jahre so hingehen lassen, vielleicht daß sie es denn einsehen lernt, daß sie einem Hirngespinnst nachstrebt, und vielleicht daß die Vorstellung, ihres Lieblings des kleinen Ludwigs Mutter zu werden, und den Gemahl ihrer verstorbenen Schwester glücklich zu machen, alsdenn etwas dazu beyträgt, sie dahin zu lenken, wohin ich wünsche; Wunsch andere zu beglücken ist ja die Hauptleidenschaft dieses guten Mädchens.

Ihr das schlimme Ende recht anschaulich zu ma chen, welches alle die von Romanen eingeflößte Grillen zu nehmen pflegen, hat sich leider vor kurzem ein trauriges Beyspiel in meiner eigenen Familie gezeigt. Ich habe erwehnt, was der edle Obristlieutenant von Sarnim für Amalien und ihren Mann that. Sie lebten auf seinen Gütern ruhig und bequem, aber nicht glücklich; keines nahm sich des Amtes an, das er ihnen aufgetragen hatte. Madam Feldner vertrieb sich die Zeit mit Romanschreiben, und Herr Feldner [270] lies es sich angelegen seyn, dergleichen zu spielen. Amaliens Liebe zu ihrem Manne ward mit Untreu belohnt und ihre Werke wurden in der litterarischen Welt nicht so aufgenommen, als sie ihren Gedanken nach verdienten. Der Gram über beydes nagte an ihrem Leben, sie fiel in eine Abzehrung, und es ist noch zweifelhaft, ob der Schrecken über ein neuentdecktes Liebesverständniß ihres Mannes mit dem Gärtnermädchen, oder über eine an eben dem Tage gelesene hämische Rezension eines ihrer Lieblingswerke, ihrem Leben ein Ende machte.

Sie war meine Tochter, ihr Ende gieng mir nahe; aber freylich fühlte ich bey der Nachricht von ihrem Tode bey weitem dasjenige nicht, wie ehemals bey Hannchens Sterbebette. Indessen konnte ich doch diese gemäßigte Traurigkeit, die ich selbst fühlte, bey andern nicht vertragen. Herrn Feldners Brief, welcher mir die Trauerpost brachte sprach so kühl und gelassen von seinem Verluste, daß ich mit dem lebhaftesten Unwillen gegen ihn erfüllt ward, und Julchen das trostvolle Schreiben zu lesen hinreichte. Ich bitte dich, sagte ich, erkennest du in dieser Sprache wohl denjenigen, von welchem deine unglückliche Schwester tausendmal versicherte, er sey der Einzige auf der Welt, den sie hätte lieben können, der Inbegriff aller Vollkommenheit die sich bey einem Sterblichen denken ließen? Mädchen! daß dir es nur nicht einmal mit deinen überirdischen [271] Idealen auch so ergeht! Doch du bist gut und folgsam, und wirst deiner Mutter trauen, die es aus der Erfahrung weis, daß sich von allen eurem Romanenzeug nichts aufs wirkliche Leben anwenden läßt.

Es waren der Lehren noch mehr, welche ich Julchen gab, und ich habe Ursach zu glauben, daß sie Eindruck machten.

Mein Zorn über den nichtswürdigen Feldner ward in wenig Tagen noch durch die Nachricht vergrößert, die ich von des Obristlieutenants Gütern erhielt. Feldner hatte sich aus dem Staube gemacht, und alles in der größten Unordnung hinterlassen. Guter edler Sarnim, wie unglücklich bin ich, daß du, der Wohltäter meiner Familie, durch die Unvernunft und Bosheit der Meinigen leiden mußtest.

Ich schüttete in einem Briefe an den Obristlieutenant mein ganzes Herz über diesen Punkt aus, und seine Antwort war mir so tröstend als ich sie wünschen konnte. »Habe nicht auch ich, schrieb er, unter denen Personen, welche ich, wenigstens ehemals zu meiner Familie rechnete, mehr als fünfe die mich beschimpfen, gegen einen der mir Ehre macht? Was ist Gabriele und ihr Mann? welche nun durch gegenseite Untreue bald auf eben dem Punkte stehen werden, wo ich vor einigen Jahren mit Josephen war? Was ist diese Josephe und ihre Mutter? beyde leben mit einander auf dem einsamen Gute, das [272] ich ihnen angewiesen habe, und machen sich, die eine durch fortgesetzte Lüderlichkeit, und die andere durch den Trunk, zum Spott, aller die sie kennen. Der alte Wilteck und der sogenannte Oberste haben das Land gar verlassen müssen, um den Nachstellungen der Obrigkeit zu entgehen, und der einige, der mir also von diesem Hause noch überbleibt, um mich über die andern zu trösten, ist der brave Rittmeister von Wilteck; welcher, wenn das Glück und Schwester Julchen günstig ist, zum zweytenmal mein Schwager werden soll.

Ach Mutter, Mutter, was für Freuden stehen Ihnen bevor, wenn der Friede uns wieder zu ihnen bringt! Ihre Söhne haben sich brav gehalten, man spricht von großen Avancements; ich soll nichts verrathen, aber so viel weis ich, daß ich mich auch vorhin gewaltig verschnappte, den künftigen Bräutigam unsers Julchens noch Rittmeister zu nennen.«

Ich theilte, wie ich gewohnt war, diesen Brief Herrn Walter und seiner Frau mit, als sie kamen uns zu besuchen. Charlotte entdeckte am Rande eine Anmerkung von Samuelen die Klaren betraf, und die ihr das Köpfgen ein wenig wirblich machte. Das dich! über die verwünschte Misgunst! – Nun ich denke wohl, wenn Klare ihr einmal aus den Augen seyn wird, so wird sich alles das schon legen, ich weis ja wie es mit Peninnen gieng; wenn diese und Samuel nichts mehr von sich hören [273] lassen, so kann Herr Walter und seine Gattinn noch eins der glücklichsten Ehepaare werden, die es auf dieser mangelhaften Welt giebt. Daß Samuel so wie bisher sich hüten wird, seiner ehemaligen Geliebten vor die Augen zu kommen, und den Gedanken an vergangene Zeiten zu erneuern, ist ausgemacht, er denkt in diesem Stück so delicat wie Peninne, und Herr Walter kann seinetwegen ruhig seyn.

Harold und Jucunde sehen dem Frieden und ihrer Verbindung mit Verlangen entgegen, und wenn Julchen sich mit der Zeit einmal bequemt Frau von Wilteck, zu werden, so bleibt mir nur der einige Albert noch übrig, in den Stand zu bringen, den ich so vorzüglich finde, ungeachtet ich alle seine Leiden in ihrem ganzen Umfange erfahren habe. Aber wo soll ich unter den Töchtern des Landes eine antreffen, welche fähig wär, dieses flatterhafte Herz zu fesseln? O dieser Albert, ein so warmer Bewunderer der weiblichen Schönheit, und doch so unempfänglich für jeden festen Eindruck! – –

Meine Kinder, euch widmete ich diese Blätter, euch hielt ich diesen Spiegel vor, um euch zu zeigen, was ihr ehemals waret, was ihr zum Theil auch noch seyd, und was eure Mutter um euch gelitten hat. Glücklich bin ich, daß ich euch alle auf einen Punkt gebracht habe, der mich wegen eures künftigen Schicksals ruhig seyn läßt, ich habe eure Geschichte bis auf den Augenblick, [274] in welchem wir leben, fortgesetzt; die Zukunft ist mit Dunkelheit umhüllt, doch dünkt mich, meine Augen sind scharf genug, in derselben viel Gutes für euch und mich zu erblicken. O Himmel für mich? erlaubt mir mein schwaches hinsinkendes Alter wohl die Hoffnung, noch lange Zeuginn eures Glücks zu seyn? – Wie die Vorsicht will! Rückt mich der Tod unerwartet von eurer Seite, so giebts noch eine Welt, deren Bewohner den Bürgern der Erde gewiß nicht so fern sind, als man glaubt. O der Gedanke, euch unsichtbar zu umschweben, euch im stillen Mondstrahl zu belauschen, wenn ihr in traulichen Gesprächen von mir, der Hingeschiedenen, beysammen sitzt, und meinen letzten Willen, durch immer wachsende Liebe unter euch zu erfüllen sucht, oder wenn eins unter euch, einsam wandelt, und an mich und meine Lehren denkt, ihm meine Gegenwart durch ein leises Flüstern zu verrathen, dieser Gedanke, ob er gleich eher der kleinen Schwärmerinn Julchen, als mir, einer Matrone aus der alten Welt ähnlich sieht, hat so viel Entzückendes für mich, daß ich ihn nicht aufzugeben weis, daß ich ihn, er sey in dem Auge des Denkers, was er wolle, beybehalten will, um mir den Gedanken an die baldige, ach lange, lange Trennung von euch, ihr Lieben zu erleichtern.

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TextGrid Repository (2012). Naubert, Benedikte. Romane. Die Amtmannin von Hohenweiler. Die Amtmannin von Hohenweiler. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5E9D-B