Athyrtis 8

Ihr Töchter der großen Termuthis, rühmt Euch Eurer Abkunft, Blut der Götter rinnt in Euern Adern; die Denkmahle, welche Eure Urväter auf der Erde zurückließen, als sie zu ihrem himmlischen Ursprunge zurückkehrten, zeigen von übermenschlicher [69] Macht. Was Menes und Möris vermochten, kann kein Sterblicher nachahmen. Dort steigt der Mond über die Pyramiden von Sais herauf, hier spiegelt sich der klare Himmel in den Fluthen des Sees, der Euer Vaterland zum Paradies macht; König Möris grub diesen, und Menes baute jene; wenn, und warum das Letztere geschahe, wiederhole ich Euch nicht, Ihr hörtet es in den verflossenen Tagen.

Menes, der Abkömmling der Götter, genoß des Segens der Urheber seines Daseyns während einer langen und glücklichen Regierung; damals maßen noch Jahrhunderte das Leben der Herrscher der Welt; sie hätten verdient ewig zu herrschen, denn sie waren groß und gut, wie die Götter, die ihnen die Krone gaben. Aber nach Menes Tode wandte der Himmel sein segnendes Auge von seinem Lieblingslande, denn die Menschen vergaßen die Lehren, die ihnen der gute König gegeben hatte, und vernachlässigten Opfer und heilige Gebräuche, in welchen er sie ehemals, mit dem Willen der Gottheit bekannt, unterwies.

[70] Damals geschahe es, daß die Sonne ein ganzes Jahr lang Egypten ihren wohlthätigen Glanz entzog. Dicke Finsterniß brütete über die Fluthen des Nils, sie traten über und bedeckten das Land, nicht um es fruchtbar und blühend zu machen, wie wir in unsern Tagen gewohnt sind, sondern es in einen ewigen todathmenden Sumpf zu verwandeln. Bäume und Stauden verdarben. Die Thiere des Landes kamen um, die Ungeheuer des Stroms vermehrten sich, und wuchsen zu furchtbarer Größe heran. Die Menschen starben, und die wenigen, welche in den Wundergebäuden, die König Menes vielleicht aus Ahndung oder Offenbarung dieser schrecklichen Zeiten gebaut hatte, erhalten wurden, führten von den giftigen Dünsten, die der Strom hauchte, geschwächt, ein sieches kränkliches Leben. Der Same der Unsterblichkeit verdarb in ihnen, ein Geschlecht kam auf, wie das unsrige, Erben einer kleinen Anzahl von Jahren, und dann ein Raub des Todes.

Unter den in den ältesten Pyramiden Erhaltenen war auch König Möris, der [71] Urenkel des großen Osymandias, ein frommer und weiser Fürst, wie ehemals Menes. Unglück hatte ihn noch mehr veredelt. Die Götter erbarmten sich seiner, sie ließen ihre Sonne wieder scheinen, sie riefen die Fluthen des Nils zu rück, und zertheilten seinen Ursprung, zur Strafe des Unfugs, den er verübt hatte, in sieben kleine Quellen, die nährlich im Sande rinnen, ungesehen, unbekannt, ein Schimpf des gewaltigen Stroms, den sie erzeugen.

Ungeachtet der Zorn des Himmels sich von Egypten gewandt, und seinen Verheerer bestraft hatte, so war es doch noch immer eine Wohnung des Elends. Es war ein Sumpf, und würde es geblieben seyn, hätten die Götter den frommen König Möris nicht Mittel gelehrt, es zu dem Paradies zu machen, das es jetzt ist. Von ihnen unterrichtet grub er den großen See, der seinen Namen führt, und leitete die verderbliche Feuchtigkeit, die den Boden durchzog, in ein einziges Bette. Wind und Sonne hatten Befehl von den obersten Regierern der Natur; sie vereinigten sich mit [72] den Absichten des Günstlings der Götter. Der Boden ward trocken und kleidete sich mit lachendem Grün. Korn und Früchte wuchsen von selbst. Die Menschen breiteten sich aus, und lebten sie nicht so lang, nicht so überströmt von des Himmels reichsten Segnungen, wie ihre Väter, so lebten sie doch ruhig und unter der Regierung ihres guten Königs glücklich.

König Möris war ein sehr frommer Herr, aber in seinen alten Tagen beging er doch einen Fehler, welchen er sich vielleicht selbst schwerer verzeihen konnte, als ihn die Götter verziehen.

Ein vertriebener Fremdling kam aus Chaldäa, Zuflucht in Egypten zu suchen; er war ein Weiser, war ein Verehrer des einigen Gottes der Natur, wie auch König Möris war, ungeachtet dieser sich bey seinem Gottesdienst gewisser bildlichen Vorstellungen bediente, welche der Fremde verwarf, den eben seine strenge Anhänglichkeit an Wahrheit und Recht aus dem Lande vertrieben hatte, wo damals die ruchlose Semiramis regierte.

[73] König Möris nahm den Chaldäer freundlich, und eine schöne Frau, welche seine Gefährtin war, und die er für seine Schwester ausgab, noch freundlicher auf. Er hatte die Absicht, sie zur Königin von Egypten zu machen, er nahm sie dem Manne, der sich ihren Bruder nannte, und wußte nicht, daß er das heilige Band der Ehe trennte. Die schöne Fremde war des Chaldäers Weib, der Himmel offenbarte dieses dem unschuldigen Verbrecher, und er säumte nicht seinen Fehler zu vergüten, und die, welche an demselben Ursach war, zu bestrafen. Er gab dem Mann sein Weib zurück, aber der 9 Schleyer der Isis bekleidete sie; ein geheimnißvolles Gewebe, welches sich dergestalt so innig anschmiegt, daß keine menschliche Macht es hinwegreißen, daß nur der Tod es zerstören kann.

Die Chaldäerin blieb bis an ihren Tod eine Sonne, die nur durch Wolken schimmerte, doch auch dieser gemilderte Glanz [74] war dem König gefährlich; sein Herz zu heilen und sein Vergehen zu büßen, flohe er den Hof, von welchen er die Fremden, die er liebte, nicht verbannen wollte, und beschloß, sein Leben in der großen Pyramide des Pharao Menes, in welcher er einst zur Zeit der großen Wasserfluth Zuflucht gefunden hatte, hinzubringen. Von da aus regierte er das Land, und ordnete die Erziehung seines Sohnes, des jungen Sesorchis, den er zu einem bessern Könige machen wollte, als er selbst gewesen war, und den er daher auf andern Wegen zur Tugend zu führen gedachte, als die waren, welche er gewandelt hatte. Der weise Chaldäer, den der König, ungeachtet er einst sein Beleidiger war, sehr hoch schätzte, ward der Erzieher des egyptischen Prinzen. Zweyhundert Knaben, die mit diesem Kinde am nämlichen Tage geboren worden waren, wuchsen mit ihm unter der sorgfältigsten Aufsicht heran, keiner von ihnen kannte sich selbst. Alle wußten, daß einer von ihnen zu Egyptens Herrscher geboren sey, alle wurden auch belehrt, diese Stelle einst rühmlich zu bekleiden: doch sorgte der Weise, daß kein Neid gegen denjenigen aufkeimen sollte, [75] welcher bestimmt war, einst vor allen seinen Gespielen als Herrscher hervor zu treten.

Keiner von allen diesen Knaben ahndete und wünschte die künftige Größe weniger, als der, welchem sie wirklich bestimmt war. Die Absichten des weisen Königs waren vollkommen an dem jungen Sesorchis erreicht worden. Sein Herz vor dem kleinsten Hauche des Stolzes und der Schmeicheley zu bewahren, hatte Möris seinen Sohn vom Glanze des Thrones entfernt; ihm zeitig begreiflich zu machen, daß der Krone würdige Tugenden in jedem Stande keimen, und daß es nichts als freye Gunst des Himmels ist, welche einige unter den Menschen bestimmt, diesen Schmuck zu tragen, ließ er ihn unter Gespielen aufwachsen, die man ihn wie Brüder lieben lehrte. So erwuchs Demuth, Ehrfurcht gegen die Gottheit und Menschenliebe in seinem Herzen, vor allem aber richtige Selbstschätzung.

Sesorchis verkannte seine Vorzüge vor manchen seiner Mitgenossen in der Schule des weisen Chaldäers nicht, aber eben so [76] deutlich fiel es ihm in die Augen, daß, wenn einst die Krone der Würdigste erhalten solle, ihm Mancher diesen kostbaren Preis bestreiten würde. Ihn beunruhigte dieses nicht. Sein erleuchteter Erzieher hatte ihm das Lastende der Krone (und Kronen lasteten damals doch noch nicht so wie jetzt) nicht verheelt, er hätte das königliche Diadem gern jedem andern gegönnt, und er sah es nicht ungern, daß einer unter seinen jungen Freunden sich vorzüglich mit dem Glücke schmeichelte, einst Egyptens König zu werden, denn dieser Eine war sein Busenfreund, war Tnephachtus, der schönste und liebenswürdigste aller Schüler des Chaldäers, ein Geschöpf, welches durch sanftes einschmeichelndes Wesen, gefällige Sitten und tausend kleine Talente, sich nicht allein das Herz des jungen Sesorchis, sondern aller Herzen zu eigen machte.

Die Dame mit dem Schleyer der Isis war diesem Knaben besonders gewogen, und ihr hatte Tnephachtus vielleicht seine Träume von künftiger Hoheit vorzüglich zu danken. Die unzerstörbare Wolke, mit welcher ihre [77] unheilstiftende Schönheit bestraft worden war, hatte sie um nichts klüger gemacht. Vorwitzig blieb sie allemal, und läg die Geschichte ihrer künftigen Jahre nicht ganz außerhalb meines Plans, so könnte ich hiervon mehr als einen Beweis anführen.

Ungeachtet ihr ihr Gemahl jede Einmischung in die Erziehung der ihm anvertrauten Kinder untersagt hatte, so machte sie doch wenigstens in Ansehung des schönen Tnephachtus eine Ausnahme. Du bist zum König geboren, sagte sie ihm unablässig; dein ganzes All erhebt dich über all die Kinder, die man deine Brüder nennt, und die es nicht sind. Du allein bist der Sohn des großen Möris, und hast du mir nicht selbst gesagt, welchen Unterschied der König bey Euren jährlichen Besuchen in der Pyramide des Menes unter Euch zu Deinem Vortheil macht?

Was Sarai, so hieß die Chaldäerin, sagte, war nicht ganz ohne Grund, Möris ermangelte nie, wenn der Weise seine zweyhundert Schüler, zur Zeit der Sommernachtgleiche [78] nach Sais brachte, den jungen Tnephachtus besonders zu liebkosen, und viele wollten aus den väterlichen Blicken, mit welchen das Auge des großen Königs immer besonders an diesem Kinde hing, auf eine sehr nahe Verwandschaft schließen. Diesem mochte indessen seyn, wie ihm wolle, so irrte man sich doch gar sehr, wenn man glaubte, der am meisten geliebkoste Knabe sey auch des Königs Herzen der Nächste. Möris mochte den schönen Liebling der Chaldäerin lieben so sehr er wollte, sein Herz hing doch allemal mehr an Sesorchis, seinem ächten anerkannten Sohn, dem bestimmten Erben seines Thrones. Bezeigte er ihm die reinste heißeste Vaterliebe weniger als den Andern, so geschah dieses aus Achtung gegen seinen gemachten Plan. Sesorchis sollte in Unwissenheit seines Standes heranwachsen, sollte einst die Krone erhalten, ohne darauf gerechnet zu haben; dieses zu bewirken, legte Möris den zärtlichen Aufwallungen seines Vaterherzens Fesseln an, und manche falsch gedeutete Liebkosung ward an Tnephachtus verschwendet, welche [79] eigentlich dem bestimmten Thronerben zugedacht war.

So wuchsen die Knaben zu den Waffen, zu den Wissenschaften, zur Tugend heran, bis der entscheidende Augenblick erschien, der das alte Räthsel enthüllen sollte. König Möris starb. Der weise Chaldäer, der schon längst durch göttlichen Ruf in sein Vater land zurückgefordert worden war, verweilte in Egypten nur noch so lang, bis er den erstaunten Sesorchis zum Thronerben erklärt, und seine Ansprüche realisirt und befestigt hatte, dann zog er davon, und die Dame mit dem Schleyer der Isis versicherte im Scheiden noch ihren Liebling, den getäuschten Tnephachtus, daß sie den Fluch, der ihre Schönheit drückte, gern doppelt tragen wolle, wenn sie ihn, so wie sie immer gehofft hätte, als König von Egypten zurücklassen könnte.

Bestürzt war Tnephachtus im höchsten Grade. Der neue König Sesorchis mochte ihn noch so oft versichern, daß er ihm die Krone lieber gegönnt haben würde, als sich [80] selbst, er mochte noch so sinnreich seyn, ihm begreiflich zu machen, daß er sich in Annahme derselben, blos dem Willen der Götter unterworfen habe, und noch so freygebig, ihn durch Reichthum und Ehrenstellen fast an seine Seite zu erheben, dieses fruchtete wenig in einem bösen Herzen, und daß das Herz des getäuschten Tnephachtus bös war, oder aus Wuth über fehlgeschlagene Hoffnung wenigstens bös wurde, wird man in der Folge sehen.

Nach der königlichen Würde war in ganz Egypten keine höhere, als die der Priester. Die Bewahrer der Geheimnisse der Gottheit verdienten den Rang, den sie behaupteten, und sie standen in demselben so fest, daß alle Bemühungen des Chaldäers, dessen Ueberzeugungen in Religionssachen, ein wenig von den in Egypten angenommenen Meinungen abgingen, sie nicht hatten in die Reihe gewöhnlicher Menschen herabziehen können. Als Diener, oder vielmehr als Freunde und Vertraute der Götter, wurden sie den Göttern gleich verehrt. – Ihre Vorrechte übertrafen die des Königs, [81] die Bezirke ihrer Tempel umfaßten halb Egypten, und unterwarfen es ihrer Gerichtsbarkeit, und der Schleyer ihrer Geheimnisse machte sie, indem er alles verhüllte, was sie Menschenaugen entziehen wollten, unverletzlich.

König Sesorchis konnte seinen Freund, seinen Bruder, den geliebten Tnephachtus, nicht besser wegen der verlornen Krone schadlos halten, als wenn er ihm den Zutritt in das Heiligthum des Osiris und der Isis erleichterte; er that hierin, was er vermochte, das Uebrige hing von den Priestern ab, und Tnephachtus war zu schlau, seinen Vortheil zu verkennen, zu erfahren in der Kunst, Menschenherzen zu gewinnen, sich die Richter seines Glücks nicht gewogen zu machen. Er errang sich schnell die Stimme der Priester der Gottheit, er durchging jede ihrer Prüfungen, man fand ihn bewährt, und Sesorchis jauchzte, seinen Liebling so geschwind auf eine Stufe erhoben zu sehen, die dem Throne gleich war. Der Unglückliche! zu spät sollte er erfahren, welch einen fürchterlichen Feind er sich an die Seite gesetzt hatte.

[82]

Manches Jahr verging. Egypten blühte, das glückliche Volk betete den König an, den es mit Recht seinen Vater nannte. Sesorchis ward der Gemahl der schönen Omphis, die aus dem Stamm der Priester entsprossen war, und der Vater einer Tochter, die er Athyrtis nannte, und sie, um den Namen, den sie führte, und der eine Geweihte der Götter bedeutet, zeitig wahr zu machen, von ihrem siebenden Jahre an unter die Zucht des großen Tnephachtus gab. Diesen Titel führte der sogenannte Bruder des Königs, seit er Oberpriester war, und er hatte es sich vorgesetzt, denselben zu verdienen. Man nahm die Versicherung, die er in einer Rede voll hinreißender Eloquenz hiervon gab, als man ihn zuerst in öffentlicher Versammlunggroß nannte, als einen rühmlichen Beweis seiner Bescheidenheit an, und niemand ahndete weniger, als der tugendhafte Sesorchis, was unter derselben verborgen lag.

Athyrtis wuchs im Isis Tempel, unter der Aufsicht der Gemahlin des Oberpriesters, und von seinen Lehren gebildet heran, [83] und ward ein kleines Wunder; ein Wunder der Weisheit und Tugend, denn schön war sie nicht; die Uebungen, mit welchen sie ihren deutungsvollen Namen, und die für ihr Geschlecht seltene Ehre, zu den innersten Geheimnissen der Gottheit eingeweiht zu werden, verdienen sollte, zernichteten zeitig das, was ihr die Natur von weiblichen Reizen verliehen haben mochte. Ihr Körperbau ward männlich; statt des sanften Lächeln, das ihr Geschlecht so liebenswürdig macht, wohnte schon in ihrem funfzehnden Jahre tiefsinniger Ernst auf ihrer Stirn und ihren Wangen. Die Königin Omphis machte bey den ersten Besuchen, die ihr, seit ihre Tochter die Kinderjahre zurückgelegt hatte, im Tempel abzulegen verstattet wurden, diese Entdeckung, und ward nicht sehr durch dieselbe erfreut; niemand besser, als das Weib, kann den Verlust weiblicher Reize schätzen. Der König, welcher hierin weniger fühlte, tröstete sie mit dem Gewinn, den die Prinzessin bey dem Tausch der Schönheit gegen tiefe Weisheit gefunden hätte; aber am besten ward Omphis durch die Ueberzeugung getröstet, [84] daß das Herz ihrer Tochter, aus ihrem Gesicht mochte geworden seyn, was da wollte, nichts von seiner Güte, nichts von seinen eigenthümlichen Grundzügen edler Weiblichkeit verloren hatte, für welche, wie sie meinte, keine männliche Tugend ihr Geschlecht entschädigen könnte.

Das Urtheil, welches Omphis über ihre Tochter fällte, war richtig, war es in größerm Umfange, als sie vielleicht dachte und wünschte. Hatten die Lehren des Oberpriesters nicht vermocht, wie er wohl gern gewollt hätte, in das Herz seiner Schülerin männliche Fehler an die Stelle weiblicher Tugenden zu pflanzen, so hatte er vielleicht absichtlich auch manche Schwachheit ungerügt und unausgerottet aufwachsen lassen, zu der sie ihr Geschlecht besonders geneigt machte, und von welcher der Falsche in der Folge Vortheil zu ziehen hoffte, denn dieses werdet Ihr demjenigen, welcher den König Sesorchis mit heimlichen Neid auf dem Throne sahe, auf den er selbst Ansprüche zu haben glaubte, dieses werdet Ihr dem großen Tnephachtus wohl zutrauen, daß er [85] nicht ohne heimliche Plane war, den Beneideten zu stürzen, und daß er in der jungen Athyrtis ein Mittel in den Händen zu haben glaubte, Endzwecke zu erreichen, welche er in der tiefsten Falte seines bösen Herzens vor jedermann verbarg.

Wär Athyrtis weniger edel, weniger unerschütterlich gut gewesen, als sie wirklich war, so würde ihm die Ausführung dessen, was er im Sinne hatte, leichter gewesen seyn, so kannte er in ihrem Herzen, das er auf keine Art umzuschaffen vermocht hatte, nur einen Flecken, und dieser war unerschöpfliche Neugier, welcher die Prinzessin mit der Selbstschmeicheley, die auch den besten Seelen eigen ist, den Namen endlosen Triebes nach höherm Wissen gab, und die sie von dem Oberpriester, der noch einen Schritt weiter ging, ungemein gern heiligen Durst nach himmlischer Weisheit nennen hörte.

Tnephachtus gab demselben, wie er versicherte, so viel Befriedigung, als er konnte, aber er trug Sorge, indem er sie zu immer [86] höhern und heiligern Geheimnissen der Gottheit einweihte, ihren Augen immer neue, noch nie betretene Gegenden des Wissens in der Ferne zu eröffnen, und ihr die Einführung in dieselben unter Bedingungen zu versprechen, welche sie, bey ihrem günstigen Vorurtheil für ihren Lehrer, nach Ursach und Folgen zu beurtheilen zu schwach war.

König Sesorchis war groß und gut, war ein Vater seiner Unterthanen, seinen Thron zu erschüttern war Unmöglichkeit, so lange seine alles belebende, alles erfreuende Gegenwart, sein scharfes, alles durchschauendes Auge jedes Gewebe der Bosheit vernichten mußte. Eben sowohl könntet Ihr das Antlitz der Sonne verhüllen, oder das Reich der Nacht da ausbreiten, wo die Regentin des Tages ihren mittäglichen Scepter führt. Wenn sie sich ins westliche Meer gesenkt hat, dann erst steigen die Schatten empor, die Geister der Finsterniß schweben aus der Unterwelt herauf, und wandeln in dem bleichen Lichte des kalten Planeten, der den Thron der entflohenen Sonne eingenommen hat, und die Erde mit seinem [87] unfruchtbaren Schimmer sehr schlecht für ihre entwichene Wohlthäterin entschädigt.

Die Sonne Egyptens, wie man den guten Sesorchis mit Recht nannte, auf ewig untergehen zu machen, dieß wäre wohl der Lieblingswunsch des Oberpriesters gewesen, aber das Leben des Königs ward von den Göttern geschützt, nur falsche unüberlegte Schritte konnten ihn der besondern Obhut derselben entreißen; ihn zu solchen zu bewegen, dazu sollte die unschuldige Athyrtis, ohne es zu ahnden, mitwürken.

Die Geweihte der Götter war das Orakel ihres Hauses. Ein Besuch von ihr in dem väterlichen Pallaste wurde wie die Erscheinung eines überirrdischen Wesens gefeyert. Jedes Wort aus ihrem Munde tönte ihren verblendeten Eltern, wie vom Himmel, und eine von ihr geäußerte Meinung, die nicht augenblicklich befolgt wurde, war eine unerhörte Sache. Selten verließ sie den Tempel um ihre Eltern zu besuchen, wenig waren immer ihre Worte, und zu Rathschlägen ließ sie sich aus rühmlicher [88] Bescheidenheit fast niemals bewegen; aber dieses war eben das Mittel, ihren Besuchen, ihren Worten und ihren Rathschlägen doppelten Werth zu geben. Tnephachtus würkte in allem was sie that, und daß sie in dem Theil ihres Verhaltens, das wir nun schildern wollen, blos als sein Werkzeug handelte, das brauche ich Euch kaum zu sagen. Daß sie nicht Mitschuldige des Verbrechens war, daß sie selbst betrogen wurde, wird Euch eben so klar werden, wenn ich Euch die Geschichte in der Ordnung mittheile, in welcher sie sich begab.

König Sesorchis hatte mit seiner Tochter, seit sie das funfzehnde Jahr angetreten hatte, viel von seinem Wunsche geredet, sie vermählt zu sehen. Sie fühlte die lebhafteste Abneigung gegen den Ehestand, aber Tnephachtus sagte ihr, der Wille ihrer Eltern müßte ihr Gesetz seyn, und sie unterwarf sich allem, was der König zu Erfüllung seiner Wünsche für nöthig hielt. Ihr Bild ward an alle Großen des Landes, in alle auswärtige Königreiche geschickt; dieses war damals das Mittel, der Welt kund [89] zu thun, daß Prinzessinnen sich zu vermählen wünschten. Aber Athyrtis war nicht schön, ihre Weisheit lockte niemand, und von der Größe und dem Reichthum ihres Vaters konnte, nach der damaligen Sitte, ihrem Gemahl nichts zufallen: weder sie, noch ihr Vermählter waren zur Krone bestimmt, nur ihre Kinder hatten Anspruch auf die Thronfolge, und dieser Vortheil war zu entfernt, zu zweifelhaft, um die Verbindung mit einer Person angenehm zu machen, die das Auge durch nichts reizte, und deren geistige Vorzüge von zu erhabener Art waren, um von Alltagsmenschen, deren es damals in allen Landen viel gab, geschätzt zu werden.

So legte Athyrtis ihr zwanzigstes Jahr unbeworben und unvermählt zurück, und sie fühlte sich darum nicht unglücklicher. Sie strebte, aus Liebe zur himmlischen Weisheit, mehr, sich von allen irrdischen Banden loszureißen, als neue zu knüpfen. Immer tiefer in die Mysterien des Diensts ihrer Götter einzudringen, und daselbst Nahrung für ihre nach Wahrheit durstende Seele zu [90] finden, dieß lag ihr am Herzen, und sie kehrte mit Entzücken in die Pyramiden von Dsyse, die Ihr dort ihre mondbeglänzten Häupter erheben sehet, zurück, wo damals der Hauptsitz der egyptischen Weisen war, und wo eben der Oberpriester Tnephachtus sich beschäfftigte, den Orden der Jannes und Jambres zu errichten, welcher in der Folge sich durch übernatürliche Künste so berühmt machte.

Keine Tiefe des Wissens schreckte die forschbegierige Athyrtis zurück. Sie durfte nur Winke von demjenigen bekommen, was ihr Erzieher jetzt vorhatte, so war sie in dem letzten Fallstricke gefangen, den dieser Bösewicht ihrer Schwachheit legte. Er trug Sorge, ihr von dem, wornach ihre Neugier lüstern war, noch gnug zu sagen, um dieselbe zur wüthenden Leidenschaft zu machen, und verschloß der ungedultigen Forscherin dann auf einmal die weitere Aussicht mit der Erklärung: In die Geheimnisse der Jannes und Jambres könne niemand eingeweiht werden, der nicht das Grab des großen Osymandias gesehen habe.

[91] Die weise Athyrtis hatte von dem großen Osymandias viel gehört, sie kannte ihn als einen ihrer nächsten Urväter, sie wußte, daß er einer der mächtigsten Könige Egyptens gewesen war, aber um sein Grab hatte sie sich nie bekümmert. Der Oberpriester sagte ihr, auf ihre Bitte ihr dasselbe zu zeigen, daß er dieses nicht vermöchte, da ihr Geschlecht ihm verwehrte, sie die übernatürlichen Wege wandeln zu lassen, die zu der heiligen Stätte führten, doch versicherte er sie, der König, ihr Vater, habe den Schlüssel zu der geweihten Grabhöle, und es ließe sich glauben, er würde ihr den Eintritt nicht versagen, wenn er gehörig darum ersucht würde.

Die Prinzessin, welche es sich zum Gesetz machte, nirgend eine Gnade zu bitten, als bey den Göttern und ihren Dienern, wählte in dieser Sache den Oberpriester zu ihrem Vorsprecher bey dem Könige, aber Tnephachtus entschuldigte sich, und Athyrtis mußte sich endlich zu einer Reise nach Hofe entschließen, wo sie ihr Gesuch so schnell und mit so dringender Art anbrachte, [92] als es die Heftigkeit ihrer Begierde nach verborgenen Dingen heischte.

Mit so viel Ungedult Athyrtis ihre Bitte vortrug, mit so viel Bestürzung ward sie angehört. O, mein Kind, schrie König Sesorchis, nachdem er seine Tochter bey einer Stunde lang mit unverwandten Augen angesehen hatte, was forderst du von mir? und warum giebst du Wünschen einen neuen Stachel, die auch mir Tag und Nacht vorschweben, und die ich seit langer Zeit fruchtlos bekämpfe. Ja, ich weiß, wo das Grab des großen Osymandias ist, ja, ich habe die Schlüssel zu den heiligen Gegenden, in welchen die Asche des großen Königs ruht, aber wisse, nie betrat mein Fuß den verbotenen Ort, ob mir gleich der Wunsch meines Landes, und mein eigenes Glück den verwegenen Schritt fast unumgänglich zu machen scheinen. Dein Schicksal, das dich zum ehelosen Stande bestimmt zu haben scheint, benimmt mir die Hoffnung, durch dich Enkel und Erben meiner Krone zu sehen. Die Königin Omphis könnte mir noch Söhne und dir Brüder geben, aber [93] ein Traum, welcher mit jedem Mondswechsel, bey jedem Besuch, den ich mit demselben im Tempel des Serapis 10 ablege, regelmäßig wiederkommt, versichert mich schon seit einem Jahre, dieß werde nie geschehen, wenn ich nicht zuvor das Grab des großen Osymandias gesehen habe.

Und was hindert uns, daß wir es nicht augenblicklich besuchen, fiel die ungedultige Prinzessin ihrem Vater ins Wort. Egypten wird, wie Ihr sagt, nie ohne diesen Schritt Könige aus Eurem Stamme sehen, und ich werde nie in die Geheimnisse der Jannes und Jambres eingeweiht werden. Das Mittel zu unserm Glück ist eins, es ist in unsern Händen, laßt es uns sogleich brauchen, laßt uns sogleich aufbrechen, wohin uns die Pflicht der Selbsterhaltung ruft. Ich wenigstens versichere Euch, ich werde sterben, wenn ich das Grab des großen Osymandias nicht gesehen habe.

[94] König Sesorchis verwunderte sich, seine sonst sehr einsylbige Tochter so viel in einem Athem sprechen zu hören, aber er fand das, was sie sagte, darum nichts desto klüger, und nahm sich zum erstenmal in seinem Leben die Freyheit, ihre Aeußerungen zu berichtigen. Selbsterhaltung, mein Kind, sagte er, ist Pflicht, aber nur dann, wenn sie keinen höhern Pflichten Eintrag thut. Wisse, mich und deine Vorväter, so wie meine Nachkommen bindet ein heiliges Gelübde, das stillschweigend auf unserm ganzen Geschlecht haftet, das Grab des großen Königs nicht eher zu betreten, bis wir uns mit dem Tempel des Osiris wegen einer großen Summe Geldes abgefunden haben, welche Osymandias bey Erbauung jenes Wundergebäudes, das du zu sehen wünschest, zu Bestreitung der Unkosten aufgenommen hat. Du kennst das Gesetz unsers Landes, welches den Leichnam des Schuldners, wenn er vor Abzahlung des Geborgten stirbt, zum Unterpfand des Darlehns macht, und die Asche deines Uranherrn ruht eigentlich unter der Verwahrung der Priester, ob ich gleich in der That den Schlüssel [95] zu den heiligen Hallen besitze, der mir jedoch nichts hilft, da ich ihn nicht gebrauchen darf.

Die Prinzessin ward durch das, was sie aus dem Munde ihres Vaters hörte, sehr nachdenkend gemacht, aber der Wunsch, das Grab des großen Osymandias zu sehen, und durch dasselbe zu den Geheimnissen der Jannes und Jambres zu gelangen, hatte sich ihrer Seele viel zu tief eingeprägt, als daß irgend etwas, selbst die Unmöglichkeit seiner Erfüllung ihn hätte ausrotten können. Sie sann Tag und Nacht auf Mittel, ihren Vater zu Uebertretung des königlichen Gelübdes zu bewegen, dafern es ihrem Scharfsinn nicht glückte, ihn durch irgend einen Nebenweg bey demselben, ohne sein Gewissen zu verletzen, vorüber zu führen. Sich durch Zahlung der verjährten Schuld einen rechtmäßigen Weg in das heilige Grab zu bahnen, war unmöglich, denn die Summe, mit welcher die Krone den Priestern wegen der Eitelkeit des großen Osymandias verhaftet war, war ungeheuer; man hätte das halbe Königreich verpfänden [96] müssen, um die Diener der Gottheit zu befriedigen.

Tnephachtus sah an dem mehr als gewöhnlichen Tiefsinn, welcher die Stirn seiner Schülerin umzog, daß seine Plane auf dem Wege waren vollkommen zu glücken, und er machte seine Anstalten so, daß, dafern alles so ging, wie er vermuthen konnte, auch von seiner Seite nichts vernachlässiget wurde. Athyrtis redete nicht mehr mit ihm von Osymandias, und nicht mehr von Jannes und Jambres, aber eben dieses Stillschweigen sprach deutlicher zu ihm, als alles was sie hätte vorbringen können.

Mein Vater, sagte die Prinzessin, die jetzt mehr um ihre Eltern war, als all die Zeit ihres Lebens, einst zum Könige: Wes sind die Schätze der Erde? der Todten oder der Lebendigen?

Der Lebendigen, mein Kind.

Wer wird einst die Eurigen erben?

[97]

Du, oder die Geschwister, welche dir der Himmel noch geben könnte. Die Götter sind es, welche die Nachkommen zu Eigenthümern der väterlichen Schätze bestimmten.

Wer ist der redlichste Schuldner, der, welcher nie auf Zahlung denkt, weil er sie für unmöglich hält, oder derjenige, welcher es allenfalls mit einiger Gefahr wagt, sich schuldenfrey zu machen, und ein kostbares Unterpfand auszulösen?

Meine Tochter, antwortete der König, deine Fragen verhüllen verborgenen Sinn, rede deutlicher mit deinem Vater; vielleicht, daß Gedanken in dir aufgehen, die ich schon längst insgeheim genährt habe, ohne den Muth zu besitzen, sie ganz auszubilden.

Meine Gedanken, antwortete Athyrtis, gehen dahin, daß wir uns diese Nacht auf die Reise nach dem Grabe des großen Osymandias begeben, und den Schlüssel, welchen die Götter nicht umsonst in Euren Händen gelassen haben, zuerst nützen, das [98] Schatzgewölbe, welches dieses Gebäude wohl so gut, wie alle andere Königsgräber haben wird, zu eröffnen. Ohne Zweifel verschließt es ungemeine Kostbarkeiten, welche nach Eurem eigenen eben gefällten Urtheil Euer sind, und die wahrscheinlich vollkommen hinreichen werden, das Grab Eures Ahnherrn von den Priestern auszulösen. Es ist grausam, Euch eine ewige Schuldenlast aufzubürden, indem man Euch die Mittel benimmt, sie zu bezahlen.

König Sesorchis hatte hiegegen nichts einzuwenden, als daß gleichwohl die Auslösung des heiligen Ortes dem Eintritt in denselben zuvor gehen sollte, und daß also das Verfahren, welches Athyrtis anrieth, allemal Meyneid seyn würde; aber diese Dame hätte nicht so lange unter den Priestern der egyptischen Gottheiten, den Auflösern aller schweren Fragen, gelebt haben müssen, um nicht alles, was ihr Vater gegen ihre Meinung sagen konnte, mit einer Menge Sophismen zu entkräften, die im Grunde dem Könige willkommen waren, und denen er herzlich gern nachgab. –

[99] Was soll ich Euch weiter hierüber sagen? Gnug, die nächste Nacht sah den König, der sich Thronerben wünschte, und die Prinzessin, die nach den Geheimnissen der Jannes und Jambres lüstern war, auf dem verbotenen Wege, auf welchem sie ihr Glück zu finden hofften.

Der Weg von der königlichen Residenz bis in die Ebenen von Lascor war eine kleine Reise; ob sie von den beyden Wanderern in einer Nacht zurückgelegt werden konnte, das mögt Ihr Euch selbst denken. Sesorchis und Athyrtis fanden sie lang und beschwerlich, das erste, wegen der Ungedult, die in ihren Herzen pochte, das zweyte, weil sie nicht gewohnt waren, auf diese Art zu wandern. Die Natur ihrer Reise erforderte es, daß die Pilger einsam waren, und jedem Mittel entsagten, womit sich die Könige von Egypten sonst jeden kleinen Spazierweg zu erleichtern und zu verkürzen pflegten.

Bey Nacht hatten sie die Wanderschaft angetreten, und Nacht war es, da sie das [100] Ende derselben vor sich sahen. Es war eine öde schauervolle Gegend, die sie jetzt betraten. Ein enges Thal, an dessen östlicher Seite der Nil in hohen Ufern rauschte; es lenkte sich auf die letzt abwärts zwischen zwo Reihen Felsen hin, die einander hier und da so sehr naheten, als wollten sie dem Wanderer den Durchzug nicht verstatten. Sie thürmten sich zu beyden Seiten so unabsehlich empor, daß sie dem Auge den Anblick des Himmels benahmen. Man glaubte ehe in einem ungeheuren Gewölbe, als in der freyen Natur zu wandern.

Mein Kind, sagte der König, als der Weg etwas breiter zu werden begann, wundere dich nicht über den Schauer, der dich hier befällt, es ist nicht blos das Schrecken der öden Gegend, das deine Haare emporsträubt, und dein Blut zu Eis macht, es ist die Ahndung von der Gegenwart dir verwandten Schatten. Hier ist die letzte Ruhestätte der Könige von Egypten, hier schlummern deine Väter, ausgenommen den einigen Osymandias, der nicht bey ihnen ruhen wollte. Hier wird Sesorchis ruhen, wenn [101] er einst vor dem Todengericht unsträflich befunden wird, und auch Athyrtis kann dereinst hier eine Stelle bekommen, denn sie ist eine Weise, und verdient unter die Könige gezählt zu werden.

Die schweigende Athyrtis, deren ernste Stimmung durch die Rede ihres Vaters erhöht ward, zählte im Vorübergehen die Eingänge, welche zu beyden Seiten in die Felsen gehauen waren, und wunderte sich, ihre Zahl kleiner zu finden, als die Zahl ihrer Ahnen, die sie sehr wohl im Gedächtniß hatte; dieses ging sehr natürlich zu; nur die guten Könige durften Anspruch auf diese heiligen Gräber machen, und seit dem großen Könige Menes, dem Sohne der Götter, waren nicht alle Könige von Egypten gut gewesen.

Als sie die Gegend der Gräber zurückgelegt hatten, passirten sie mitten durch die Ruinen einer großen Stadt, die schon damals niemand mehr zu nennen wußte. Sesorchis drückte seiner Tochter schweigend die Hand, und sie verstand wohl, was er sagen [102] wollte. Die Denkmale der Vergänglichkeit, die ihnen überall aufstießen, gaben der Seele eine schöne Vorbereitung zu dem Schritte, der nun ganz nahe vor ihnen lag, und der in ihren Augen unsträflicher seyn mußte, als in den unsrigen, sonst würden sie, so gewarnt, vielleicht noch zurückgekehrt seyn.

Es war tiefe Mitternacht. Das Thor zu dem Begräbnißpallast des großen Osymandias thürmte sich am Ende der Ebene vor ihnen auf. Der Mond ging eben unter, und König Sesorchis hielt es für die rechte Zeit, die Fackeln anzustecken, welche sie mit sich genommen hatten. Ob Stahl und Stein ihnen Feuer gaben, oder ob Athyrtis aus dem Tempel des Phtah 11, in welchem sie sich einiger Bekanntschaft rühmte, ein anderes Mittel, die Flamme hervorzurufen, mitgebracht hatte, das ist für uns von keiner Wichtigkeit, gnug sie gingen im Schimmer zweyer Fackeln dahin. Sie standen endlich an dem schwarzen Marmorthore.[103] Der Schlüssel in Sesorchis Hand drehte sich siebenmal in dem ungeheuren Schlosse herum, die Thorflügel sprangen krachend auf, und schlossen sich mit eben solchem Getöse dicht hinter den Eintretenden zu. Sie sahen sich jetzt in einem großen Hofe, oder vielmehr in einem hohen, von ungeheuern Granitsäulen unterstützten Gewölbe. Zwölf Sphinxe, von kolossalischer Größe, ruhten zu beyden Seiten, als wollten sie den Eingang zu dem innern Hauptthor bewachen, welches dem äußern in einer Entfernung von zweyhundert Schritten gerade entgegen lag. Der Künstler schien diesen Ungeheuern eine Art von Leben eingegossen zu hoben. Ihre Augen funkelten, ihre Flügel schienen sich zu regen, einige von ihnen erhoben sich, dem Anscheine nach, langsam auf den Vorderfüßen, und waren im Begriff sich auf denjenigen zu stürzen, welcher den Weg zwischen ihnen hindurch, nach der verbotenen Pforte nehmen wollte. Die Dämmerung und das todte Schweigen, das hier herrschte, vermehrte das Gräßliche der Scene.

[104] Sesorchis und seine muthige Tochter waren zu groß, um von dem Blendwerke des Bildners geschreckt zu werden; ein mächtigeres Schrecken regte sich in ihrem eigenen Selbst, das keinen andern Grund hatte, als das Bewußtseyn einer wenigstens sehr zweydeutigen Handlung.

Athyrtis wandte sich ängstlich um, und sah nach der äußern Pforte zurück, durch welche sie eben gegangen waren. Sie war nicht allein geschlossen, sondern es ließ sich auch von innen kein Mittel sehen, sie wieder zu öffnen, sie schien mit ihren beyden Flügeln aus einem Stück Erz gegossen, und mit unsichtbaren Angeln in die Felsmauern gewachsen zu seyn. Welche Entdeckung! Die Prinzessin bebete, ewig an einem Orte bleiben zu müssen, der ihr schon beym ersten Eintritt nicht gefiel, doch theilte sie ihre Besorgnisse ihrem Gefährten nicht mit; wer hätte sie aufrichten sollen, wenn auch er den Muth verloren hätte?

König Sesorchis ging muthig voran. Athyrtis folgte mit zögerndem Schritte. [105] Die Pforte des innern Gebäudes war nicht verschlossen, ein leichter Druck der Hand öffnete sie. Das Herz der Prinzessin war beklommen, das Herz ihres Vaters noch mehr. Er stutzte vor dem Eintreten 12. Es ist bedenklich, sprach er, indem er sich zu seiner Tochter wandte, einen Schritt weiter zu gehen, ehe wir wohl erwogen haben, was hier unser Geschäft ist, und wohin wir uns zuerst zu wenden haben. Wähle selbst: die Schatzkammern, oder das Grab des großen Osymandias.

Der Himmel selbst entscheidet, rief Athyrtis, welche einen Blick durch die geöffnete Pforte warf, und Gegenstände sah, welche Empfindungen in ihr erregten, die von denen, welche sie bisher erfahren hatte, ganz verschieden waren. Aus dem düstern herzbeengenden Gewölbe, aus dem Gewühl von halblebenden Ungeheuern, zeigte sich ihr die Aussicht auf einen freyen Platz, der keine andere Decke über sich hatte, als den [106] hell gestirnten Himmel, keine andere Grenzen, als eine weit entfernte Kolonade von weißem Marmor, die ihn rings umzog, ohne seine Aussicht zu beschränken, und die, ich weiß nicht in welchem Licht glänzte. In der Mitte stand ein großer einfacher Altar, von welchem ein reines ätherisches Feuer himmelan flammte. Die rothe Glut der Fackeln, welche die Eintretenden trugen, ward von dem Sternenglanz dieser himmlischen Flamme hinweggeblendet; sie fanden sie unnöthig, sie warfen sie beyde, wie durch einen Zug getrieben, zur Erde, und nahten sich beyde, Arm in Arm, wie von einem Geist beseelt, dem erhabenen Gegenstande, der ihre Aufmerksamkeit so sehr fesselte.

Hier laß uns knieen, schrie Athyrtis, die sich nebst ihrem Vater auf die untere Stufe des Altars niederwarf. Hier laß uns anbeten, o Gottheit, die diesen Ort bewohnt! Waren die Triebe unrein, die uns in dieses Heiligthum lockten, war es tolle Neugier, sträflicher Wunsch versagter Gaben, oder gar unedler Durst nach Schätzen, was uns die Kühnheit gab, verbotenen[107] Grund zu betreten, so werde das Vergehen durch diese Thränen gebüßt; und dein Beyfall, o Gottheit, heilige die Schritte, die wir nun gezwungen thun müssen, da die Rückkehr uns verschlossen ist.

Die Sage berichtet, ein Donnerschlag, das gewöhnliche Zeichen der Erhörung, habe dieses Gebet, das mit der heißesten Innbrunst aus dem Herzen der Beter hervordrang, beantwortet 13, und getrost und muthiger haben sich die Knieenden von den Stufen des Altars erhoben, den sie jedoch nicht ehe verließen, bis sie ihre verloschenen Fackeln bey seinem reinen Feuer wieder angezündet hatten.

Sie bedurften ihres Lichts, denn so lange ihre Wanderung durch alle Regionen dieses Wundergebäudes dauerte, die ich zu schildern unterlassen muß, so wich doch die Dunkelheit nicht. Hier schien es [108] niemals Tag zu werden. Die Wanderer gingen mit getrostem Muth, wie sie der Zufall führte. Sie glaubten jetzt jeden ihrer Schritte mit himmlischem Beyfall bezeichnet, und bereuten kaum, das nicht zu finden, was sie eigentlich hier gesucht hatten. Sie durchstrichen Höfe, Säle, Gallerien, Zimmer, sie fanden zwar manches Wunder, aber weder das Grab des großen Osymandias, noch die Schätze, welche dasselbe aus der Verpfändung der Priester lösen sollten. In verschiedenen Gewölbern, welche Inschriften führten, die auf das Letzte zu deuten schienen, fanden sie Truhen mit Asche gefüllt, und in einem andern eine Sammlung seltner Handschriften, welche für die weise Athyrtis allenfalls noch mehr Reiz hatten, als für ihren Vater; in Summa, es schien sich alles hier zu vereinigen, den Wanderern die große Lehre von der Nichtigkeit irdischer Schätze, und dem höhern Werth der Güter des Geistes einzuschärfen.

Das Bild des großen Osymandias fanden sie hier im Getäfel und im Schnitzwerk der cedernen Säulen überall. In tausend [109] verschiedenen königlichen und menschenfreundlichen Handlungen zeigte er sich hier, und dort prangte er als Freund der Götter vor ihren Altären mit reichen Gaben; eine schöne Sammlung von Lehren für den König. Er nahm sich vor, fleißig hieher zu kommen, und von dem stummen Marmor leben und regieren zu lernen. Doch lebte bey all diesen schönen Entschlüssen der Wunsch noch in ihm, um dessen Erfüllung ihn seine Träume hieher gewiesen hatten, und die Prinzessin fühlte so, wie sie ruhiger ward, die Sehnsucht nach den Geheimnissen der Jannes und Jambres wieder in ihrem Herzen erwachen, aber das Grab des Osymandias, welches gefunden werden mußte, ehe sie die letzte Weihe erhalten, und König Sesorchis einen Wunsch anderer Art erfüllt sehen sollte, war hier nicht zu finden, und schon dachten sie alles aufgeben zu müssen, als der letzte Akt des sonderbaren Schauspiels die Sache entschied.

Von allen hundert Thüren, die sie bisher geöffnet und verschlossen hatten, fehlte nur noch eine; sie glich der großen Pforte [110] des ersten Eingangs auf ein Haar, und setzte durch diese Aehnlichkeit die Wanderer in eine sonderbare Bestürzung. Wo sind wir? fragte Sesorchis seine Tochter, indem er seinen Schlüssel hervorzog, um zum zweytenmal, wie er meinte, die nämliche Pforte zu öffnen, beginnen wir von neuem die Wanderung, die wir bald geendigt zu haben glaubten? Die Flügel des Thors gingen rauschend auf, und die Reisenden sahen bald, daß sie sich in einer noch ganz unbetretenen Gegend befanden. Ein neuer Vorhof, mit einem ungeheuern Gewölbe von oben geschlossen, und wie manche Gegenden dieses Wunderpallasts, von einem Licht erhellt, dessen Art und Ursprung unerrathbar war, that sich vor ihnen auf.

Drey kolossalische Bildsäulen 14 erhoben sich, dem Eingang gegen über, vor einem zweyten Thor. Das Fußgestell der Mittelsten, welche aus einem einigen schwarzen [111] Stein gearbeitet zu seyn schien, übertraf allein die gewöhnliche Menschengröße zweymal; aus dieser Angabe läßt sich auf die Größe des Bildes schließen. Während Sesorchis dieses Wunderbild, welches einen sitzenden König vorstellte, mit sorgfältigem Auge betrachtete, war Athyrtis schon von dem Bilde zur Linken, welches ein seltsames Ungeheuer vorstellte, aus dem sie nichts zu machen wußte, zu dem zur Rechten übergegangen. Es war eine schöne dreyfach gekrönte Frau, die mit lächelndem Stolz, der nichts bösartiges an sich hatte, um sich herzublicken schien. Athyrtis hätte gewünscht, diese übermenschliche Figur etwas kleiner zu sehen, um ihre Schönheit besser beurtheilen und prüfen zu können. Die Innschrift am Fußgestell beschäftigte sie, weil ihr von dem Aufsehen in die Höhe die Augen vergingen, zuletzt am meisten, und sie hatte eben die Worte gelesen: »Ich bin die Mutter, Gemahlin, und Schwester dreyer Könige, bin die Mutter des großen Osymandias;« als Sesorchis den Namen, den Athyrtis mit so viel Freude aussprach, ebenfalls mit Entzücken wiederholte. O meine Tochter, rief [112] er! Endlich haben wir gefunden, was wir suchten! Dieß ist das Bild unsers großen Ahnherrn, und sein Grab ist ohne Zweifel der Boden, auf welchem es steht!

Ein Donnerschlag unterbrach hier das, was Sesorchis weiter sagen wollte, er überraschte die beyden Wanderer so sehr, daß sie halb betäubt zu Boden fielen, und sich nicht ehe wieder erholten, bis ein hellerer Glanz, der sie umgab, und das Gewirr vieler Stimmen, das sie umtönte, ihre Lebensgeister zurückrief.

Sie sahen sich jetzt innerhalb des Thors, vor welchem sie vor wenigen Augenblicken gestanden hatten, sahen sich in einem weiten prächtig erleuchteten Gewölbe, welches das Ansehen eines Gerichtssaals hatte. Dreyßig Männer, in priesterlicher Tracht, saßen im halben Zirkel in dem Innern der Schranken, vor welchen der König und die Prinzessin als Beklagte standen, oder vielmehr, da sie sich jetzt erst von ihrem Fall emporrichteten, als Verurtheilte auf den Knieen lagen.

[113] Ein verhüllter Mann, in der Mitte der furchtbaren Versammlung, der das Haupt derselben zu seyn schien, erhob sich von seinem Sitze, und wandte sich an die erschrockenen Zwey, die sich an den Schranken aufrecht halten mußten.

Verbrecher! rief er mit einer Stimme, welche den Hörern bekannt hätte seyn müssen, wenn die Bestürzung nicht jede Erinnerung betäubt hätte. Verbrecher! wir fragen Euch nicht, wer Ihr seyd! – Wir kennen Dich wohl, Sesorchis und Dich, Tochter der Weisen, welche hier zum erstenmal in einem sonst rühmlichen Leben, Weisheit und Tugend so schimpflich verläugnete, indem sie diesen verbotenen Ort betrat und ihren Vater zu gleichem Frevel verleitete, Verbrecher! ja! wir kennen Euch, und jetzt sollt Ihr Euer Urtheil hören. Sesorchis ist nicht König von Egypten mehr, sondern ein Todter, dessen Leichnam, wenn wir winken, morgen an den Ufern des Nils entseelt gefunden, und vor das Todtengericht gebracht werden wird. Er hat eine Wahl unter drey Dingen: Entweder Tod, oder[114] ewiger Aufenthalt in diesen Gegenden, aus welchen ihn keine menschliche Macht reißen wird, oder Einwilligung in mögliche Bedingungen, die ihm vorgelegt werden sollen. Das Schicksal seiner Tochter richtet sich nach der Wahl, die er treffen wird, und ihr liegt es ob, ihm zuzureden, daß sie vernünftig ausfalle, so wie ihn ihr Rath zu der strafbaren Handlung bewog, um welche er jetzt gerichtet wird.

König Sesorchis immer groß, niemals muthlos in Gefahren, obgleich oftmals schwach, wenn das Glück ihm lachte, zeigte, nachdem er von dem ersten Schrecken zu sich selbst gekommen war, weder Befremdung über das, was man ihm vortrug, noch zaghafte Reue, sich selbst in diese Verlegenheit gestürzt zu haben, er deutete nur an, daß, um seine Wahl zu bestimmen nichts nöthiger seyn würde, als genaue Anzeige der Vorschläge, die man ihm zu thun habe.

König Sesorchis, war die Antwort, hat sich durch Betretung dieses geweihten Ortes gröblich versündigt, eine Buße, die [115] nicht leicht seyn darf, büße sein Vergehen.

Man nenne mir, was man von mir fordert, versetzte der König, und versehe sich zu mir, da ich meinen Fehler selbst fühle, möglichste Folgeleistung.

Sesorchis wird sehen, daß seine Bereitwilligkeit seine Strafe erleichtert, und daß das immer gütige Schicksal in auferlegte Pflichten vielleicht den Keim seines Glücks gelegt hat. –

Und welches sind diese Pflichten, rief der König. Man halte mich nicht länger auf; man sage mir, womit das Verbrechen gebüßt wird, das Grab des großen Osymandias gefunden zu haben.

Nicht es gefunden, nein, es gesucht zu haben, ist Sesorchis Verbrechen. Man zeige ihm die Inschrift des heiligen Bildes, das sein frecher Blick entweihte, und belehre ihn, wie sehr er sich in seinem stolzen Wahn betrügt.

[116] Sesorchis untersuchte, in Begleitung einiger Priester, die Inschrift der Bildsäule seines Urahnherrn nochmals, und fand folgendes:

»Ich bin Osymandias, ein König der Könige! Du, mein Enkel, der Du wünschest, daß Deine Kinder meinen Stuhl besitzen mögen, willst Du wissen, wie groß ich war, und wo mein Grab ist, so übertriff mich in meinen Thaten.«

Verwegener Sterblicher! rief der Sprecher, als der König schweigend und tiefdenkend zurückkam, glaubtest Du das größte Geheimniß der Welt, das Grab des großen Osymandias entdeckt zu haben, das selbst den Weisen verborgen ist? Gehe hin, ahme ihm nach in seinen Werken, werde groß, wie er war, und vielleicht wird dich der Himmel denn mit einer Offenbarung beglücken, welcher Du jetzt noch unwürdig bist, die selbst uns willkommen wär. Ziehe hin, mache Dir Länder und Völker unterthänig, wie er that, und komme dann wieder, das Land im Frieden zu regieren, zu [117] dessen Vergrößerung oder Beglückung Du noch zu wenig gethan hast, um die Ruhe genießen zu dürfen.

König Sesorchis ahndete in diesen Worten Dinge, die ihm nicht behagten, doch hier war nicht der Ort, die kleinste Widersetzlichkeit zu äußern. Er bat um Bedenkzeit; die weise Athyrtis ward ihm zugegeben, und sie ermangelte nicht jeden Ueberredungsgrund zu nützen, ihm jedes Mittel angenehm zu machen, sich und sie aus diesem Kerker zu erlösen.

Sie, mit den Geheimnissen der Priester, in deren Gewalt sie waren, besser bekannt, als irgend jemand, sah hierin weiter als er, sie zeigte ihm die Gefahr der Weigerung, sie schilderte ihm das, was man eigentlich von ihm forderte, einen Zug zu Eroberungen der fernsten Erdenreiche, wie ihn König Osymandias gethan hatte, auf der glänzendsten Seite; sie malte ihm die Ehre, welche mit einer solchen Unternehmung, selbst im Fall, daß sie nicht glücken sollte, verbunden wär; und am Ende demonstrirte [118] sie ihm noch aus der Inschrift des wundervollen Bildes so viel heraus, daß er in Befolgung des gesprochenen Urtheils auch die Erfüllung eigener Wünsche finden könnte. Es war schwer dieses hierin zu finden, aber die sophistische Athyrtis konnte alles beweisen was sie wollte. Sie war hierin ihren Lehrern, den egyptischen Weisen, gleich, und hier besonders ließ es sich nicht anders an, als wenn der Mund des Oberpriesters in allem selbst aus ihr redete.

Und so war es auch. Athyrtis hatte frühzeitig in dem Haupt der Gerichtsversammlung, welche über sie und ihren Vater das Urtheil sprach, den großen Tnephachtus erkannt; man hatte ihr hierüber Stillschweigen aufgelegt, und ihr, indem man ihr die Gefahr zeigte, in welcher sie und der König hier ganz in priesterlicher Gewalt wirklich schwebten, hatte man sie verpflichtet, alles hervorzusuchen, was ihn zu dem Zuge auf Eroberungen in fremde Weltgegenden bereden konnte. Die Prinzessin, selbst voll schwärmerischer Träume künftiger Größe, ließ sich hierin zu allen[119] wirksam finden, was man von ihr verlangte Sie schmeichelte sich, ihren Vater auf seinen Heldenzügen begleiten zu dürfen, und Tnephachtus ließ sie dabey, weil ihm das Mittel sehr wohl bekannt, durch welches er sie, sobald er wollte, ohne Widerrede zurückbehalten konnte.

Erst nachdem Sesorchis in alles gewilliget hatte, was man ihm vorlegte, beliebte es dem Oberpriester, sich ihm zu offenbaren. Sesorchis, der diesen Verräther immer mit gleicher Wärme liebte, freute sich, in dem Richter seinen Bruder gefunden zu haben. Er warf sich in seine Arme, er überzeugte sich, daß sein Urtheil, von ihm abgefaßt, gewiß so milde ausgefallen sey, als möglich. Er ergab sich ruhiger in die Nothwendigkeit, sein Land verlassen zu müssen, weil er sahe, daß selbst sein Busenfreund hierin nichts hatte ändern können. Er beschloß, bey seiner Abreise die Regierung in seinen Händen zu lassen, und der Oberpriester war über dieses Zutrauen so gerührt, daß er den König nicht ohne Beweise seines gegenseitigen guten Willens [120] von sich lassen wollte. Den Tag vorher, ehe der König die Reiche der Nacht verließ, führte er ihn in eins der obern Stockwerke des Wunderpallasts, von welchem er, an der Hand seiner Tochter, einen kleinen Theil durchwandert hatte.

Sesorchis hat noch nicht alles gesehen, was dieses Gebäude von Herrlichkeiten in sich verschließt, sagte er zu ihm, indem er ihn in einen großen Saal führte, in dessen Mitte sich eine ganz goldne 15 Truhe befand, deren Größe sich auf mehrere hundert Ellen belief: Und was würdet ihr denken, fuhr er fort, wenn ich euch sagte, daß hier, eben hier, das Grab des großen Osymandias sey? – Doch nein, ich will meinen Bruder, meinen König nicht täuschen! – Er erfahre mehr, als selbst die geübtesten Schüler der Weisheit wissen, und lerne [121] aus dieser Vertraulichkeit, wie treulich Tnephachtus es mit ihm meine.

Wisse, Sesorchis, die Sage von der hier ruhenden Asche des größten der Könige, ist eine Fabel, welcher sein eigner Wille das Daseyn gab. Sie sollte das Mittel werden, sein Grab zum ewigen Geheimnisse zu machen. Wahrscheinlich fanden seine Gebeine ihre Ruhestatt in den entferntesten Gegenden der Erde, die er Egypten unterwarf, denn auf seiner letzten Reise nach den fernen Inseln ist er gestorben, und ein Mährchen ists, daß man seinen Leichnam nach Egypten zurück gebracht habe.

Könntest du es finden, o Sesorchis! Könntest du sein Grab finden, wie würden die Schüler der Weisheit dich preisen, welche hier das Ende ihres Forschens sehen! Wie glücklich würdest du dein Land machen, das von der Entdeckung der Asche des großen Todten, die Erfüllung verschiedener Weissagungen erwartet, welche seinen Flor vollkommen machen werden!

[122] Gehe hin! Thue wie die Inschrift des heiligen Bildes dich lehrt! Enkel des großen Osymandias! ahme ihm nach, und du wirst wissen wie groß er war, und wo er begraben liegt!

Auch ist für dich mit dieser Entdeckung besonderes Glück verbunden. Wisse, Sesorchis wird seinen Stamm nicht aussterben sehen, Egypten wird bis ans Ende der Tage von seinen Nachkommen beherrscht werden, wenn er sich überwindet, es jetzt zu verlassen. Ich weiß, es wird einem guten Vater nicht leicht, von seinen Kindern zu gehen; aber Sesorchis, der immer so groß als gut handelt, verläßt ja sein Volk um es zu beglücken, er läßt es ja in Händen, deren Treue ihm bekannt ist, in den Händen seines Bruders Tnephachtus, der um die weise Athyrtis zur Mitregentin bittet, und selbst in dieser Bitte einen Beweis ablegt, wie er gegen das Volk und seinen König gesinnt ist.

Der König hatte zwar schon das Versprechen von sich gegeben, sich den Weg gefallen [123] zu lassen, welchen ihn das Schicksal führte, auch konnte und wollte er hier nichts wiederrufen, aber die Schwere und Bedenklichkeit des Schrittes, den er vor sich hatte, beängstigte doch sein Herz.

Alles was die Reise auf nutzlose Eroberungen ihm kosten, alles was mittlerweile über sein Land kommen konnte, schwebte ihm in dunkeln Bildern vor. Die heuchlerische Rede des Oberpriesters blieb unbeantwortet und er hatte gute Muse, ihr noch mehr hinzuzusetzen.

Was ists, hub der Verräther von neuem an, daß das Auge meines Königs, ungeachtet der herzerfreuenden Täuschungen, damit ihm sein Bruder zu laben suchte, noch immer zur Erde zieht? Sollte es ihm etwa an dem einigen Mittel fehlen, das er außer seiner Tapferkeit allerdings noch bedarf, um groß zu werden wie sein Urahnherr war? Befürchtet Sesorchis seine Schätze zu leeren, oder sein Volk mit Kriegssteuern beschweren zu müssen, wenn er den großen Zug zu Unterjochung der Barbaren glücklich vollenden[124] will? – Rede, mein Bruder, und ist meine Muthmaßung richtig, so siehe hier das Mittel auch diesen Zweifel zu heben. Diese güldene Truhe, welche selbst von vielen unserer Weisen für das Grab des großen Königs gehalten wird, enthält nichts als seine Schätze. Sie sind dein, wenn du das Gelübde erneuerst, sie dereinst mit seiner Asche auszulösen. Bringe sie hieher, bringe die heiligen Reste hieher, und leere denn das ungeheure Behältniß, das du vor dir siehst von allen Schätzen die es verbirgt. Nimm schon jetzt so viel davon als dir zu gegenwärtigen Bedürfnissen noth ist; was dir der Priester der Gottheit verstattet, ist kein Raub; du darfst nicht fürchten zu viel zu nehmen, alles ist dein, und du kannst urtheilen, ob hier eine Verminderung bemerkbar seyn wird.

Sesorchis stand, wie verblendet, bey dem Anblick der Schätze, die Tnephachtus in diesem Augenblicke enthüllte. Ich unterlasse, sie Euch zu schildern; Ihr würdet glauben, in dem, was ich hierüber sagen könnte, eine Fabel zu hören. – Königreiche [125] hätte man hier mit kaufen können, wenn Königreiche für etwas geringers als Menschenblut feil wären. Sesorchis, dessen Hauptkummer eben dieses war, nicht allein sein liebes Land verlassen, sondern auch die Größe, die man ihm von fern zeigte, mit Menschenopfern bezahlen zu müssen, that dem Oberpriester einige Vorschläge über die Anwendung dieser Schätze; aber Tnephachtus, welchem daran gelegen war, den König aus seinem Reiche zu entfernen, nahm nichts an, was er bot, sich dieser auferlegten Pflicht zu überheben, fand alles thöricht, was er hierüber sagte, und besiegte endlich den Widerwillen des großen Sesorchis völlig, durch geäußerten Verdacht, als ob Zaghaftigkeit, oder Liebe zu weichlicher Ruhe, der Grund seiner Vorschläge wär.

Verächtlich wandte der König dem Manne, der sich so sehr vergessen konnte, den Rücken zu; er berief sich auf seine schon als Jüngling gemachten Eroberungen, welche dem Throne von Egypten die Araber, und einen großen Theil von Afrika unterworfen, doch beschloß er bey sich selbst, um [126] der Lästerung auszuweichen, als sey er nicht mehr der, welcher er ehemals war, hinfort kein Wort weiter gegen das harte Schicksal zu sagen, welches Egypten um seinen Vater brachte, sondern ruhig den Weg zu gehen, der nun einmal, wie man ihn beredete, seine Bestimmung war.

Sesorchis und Athyrtis verließen des andern Tages den sogenannten Begräbnißpallast des großen Osymandias, doch sorgte die Letztere, daß dieses nicht ehe geschah, bis die Forderungen der Priester an denselben, aus dem großen Schatzbehälter dreyfach befriedigt worden waren.

Tnephachtus hatte vielleicht Recht, diese Zahlung mit höhnischem Achselzucken anzunehmen. Er war der Bewahrer aller dieser Schätze, er kannte vielleicht noch größere, die er verbarg, er stand in der nahen Erwartung, Herr von ganz Egypten zu werden, was konnte man ihm, oder den Tempeln seiner Götter geben, das er nicht schon vorher besessen hätte?

[127] Als der König seine Hauptstadt wieder sah, so war sein erstes Geschäft, die Königin Omphis von seinem unglücklichen Vorwitz und der strengen Strafe desselben zu benachrichtigen: Sie faßte sich mit männlichem Muth, und schwur, ihn auf keinem Pfade zu verlassen, den ihn das Schicksal führen könnte. Athyrtis hatte das nemliche Gelübde gethan, und nichts konnte sie von demselben abwendig machen. Sesorchis wünschte, sie möchte, als Mitregentin des Oberpriesters zurückbleiben. Das Volk, das sie liebte, beschwur sie, den Verlust ihres guten Königs, durch den ihrigen nicht doppelt schmerzhaft zu machen; sie blieb unerbittlich. Doch, als ihr Tnephachtus, da er zuerst den Hof wieder besuchte, etwas von der Einweihung in die Geheimnisse der Jannes und Jambres ins Ohr sagte, welche wohl in Abwesenheit des Königs vorgenommen werden könnte, da war sie auf einmal umgewendet. Sie blieb zurück, blieb gern zurück, und der König, der aus der schnellen Umwandelung ihrer Gesinnungen, nicht die beste Muthmaßung für ihren Verstand und die gute Führung des Regentenscepters [128] faßte, hielt es für nöthig, ihr außer dem Oberpriester, noch ein Rathskollegium an die Seite zu setzen, welches ihr zur Unterstützung dienen, oder vielmehr Fehler, die sie etwa begehen möchte, verhüten oder wieder gut machen könnte.

Es bestand aus hundert und neun und neunzig Personen, auf welche der König ein besonderes Zutrauen setzte, weil sie mit ihm erzogen waren; Ihr werdet die zweyhundert Knaben, deren auch Tnephachtus einer gewesen war, die mit Sesorchis an einem Tage geboren waren, und die König Möris nebst ihm der Aufsicht des weisen Chaldäers untergab, noch nicht vergessen haben.

König Sesorchis nahm Abschied von seinem Volk und stellte sich an die Spitze seiner Heere, er und die Königin Omphis letzten sich mit ihrer Tochter, die sie bis ans Ufer des Meers begleitete. Doch ward Athyrtis zärtlicher von ihrem Vater entlassen, als von ihrer Mutter; Ihr werdet der weisen Omphis nicht unrecht geben, daß sie die Prinzessin heimlich eine Ursach all ihres Unglücks [129] nannte, und den Tag verwünschte, da man sie, um eine außerordentliche Person aus ihr zu machen, und sie über die Grenzen ihres Geschlechts zu erheben, aus ihrer Zucht, in die gefährliche Schule der Priester gegeben hatte.

Die Folgen von den Lehren, die sie daselbst erhielt, hatte die unglückliche Athyrtis schon zum Theil erfahren, aber es gehörte mehr dazu, ihr die Augen völlig zu öffnen, und sie einsehen zu lehren, wie sehr sie den einfachen anmuthreichen Pfad zum wahren Glück, den der Schöpfer dem Weibe vorzeichnete, verfehlt hatte, indem sie sich in Regionen verirrte, welche nicht die ihrigen waren.

Der Oberpriester hatte sich die weise Athyrtis zur Mitregentin gewünscht, sonst würde er, der alles regierte wie er wollte, sie nicht erhalten haben; es war wider seinen Plan, sie mit dem Könige reisen zu lassen, und sich in ihr, sollte Sesorchis von seinem weitaussehenden Unternehmen, die Welt zu erobern, und eine Universalmonarchie [130] zu errichten, nicht lebend zurückkehren, eine lästige Kronprätendentin aufzusparen. Jetzt bedurfte er ihrer noch im Lande, um sich der Liebe des Volks, das ihn haßte und sie anbetete, zu versichern; hatte er ihrer nicht mehr nöthig, so war ihr Schicksal bestimmt, und da, bis zu diesem Zeitpunkte, nichts wichtiges vorfiel, so erlaubet, daß ich Euch ohne weitere Umschweife zu demselben führe.

Jahre waren seit Sesorchis Abreise vergangen. Das Land hatte den Abschied seines Vaters verschmerzt, denn auch unter der Regierung der weisen Athyrtis, und ihrer Räthe war es glücklich, und Tnephachtus war klug genug, von alle dem, was sie gutes stifteten, sich das Verdienst zuzueignen.

Die auswärtigen Unternehmungen des Königs waren gleichfalls von gutem Erfolg, alles, was Beziehung auf Egypten hatte, schien unter besonderm Seegen der Götter zu stehen. Unablässig kamen Nachrichten von den großen Fortschritten des Eroberers an[131] die Ufer des Nils. Aethiopien, die Inseln des Meers, und ganz Indien bis an den Ganges war bereits sein. Dieß war mehr, als der Oberpriester gedacht hatte, und für seine Wünsche war es allzuviel. Er würde vor der Wiederkunft des Weltbezwingers gezittert haben, denn noch waren seine eigenen Anschläge unausgeführt, hätte er nicht gewußt, daß es unmöglich ist, von dem berauschenden Trank des Heldenruhms zu kosten, ohne nach noch tiefern Zügen lüstern zu werden. Er wußte es voraus, daß der, welcher schon so viel gewonnen hatte, nicht säumen würde, seine Siege noch weiter auszudehnen, und damit diese Muthmaßung gewiß erfüllt werden möchte, sorgte er immer dafür, daß nahe um den König einige von seinen Kreaturen waren, die stets zu demjenigen riethen, was in die Plane der Bosheit taugte.

Die klagende Stimme der Königin Omphis, welche, da man schon so viel gewonnen hatte, ernstlich zum Rückzug rieth, ward nicht gehört, die Worte der Rathgeber, die dem Eroberer Scythien, Kolchis, [132] Klein-Asien, und die Inseln des Archipelagus, als freye leicht zu ersiegende Beute, schilderten, fanden dessern Eingang. Der falsche Oberpriester, welcher hier überall wirksam war, hatte beschlossen, wenn ja ein wunderbares Glück, den Helden durch all diese gefahrvollen Unternehmungen, unverletzt hindurch bringen sollte, ihn bis in das ferne Europa zu locken, und ihn durch die weite Entlegenheit und all die Schrecknisse dieses verschrieenen unbekannten Landes desto gewisser zu fällen.

Alles, was der heimtückische Planmacher im Sinn hatte, gelang. Sesorchis kam zwar, zum größten Kummer seines Feindes, immer weiter auf seiner Heldenbahn, aber Tnephachtus auch immer weiter auf dem Wege zur Krone. Er besaß schon alle Macht und allen Reichthum des Landes, besaß so gar die Liebe des Volks. Er war König. Auch König zu heißen, hinderte ihn nichts, als das Leben der Thronerbin. Doch Athyrtis war ja in seiner Hand. Das Mittel sie zu fällen, war leicht. Es bedurfte weder des Gifts, noch des Meuchelmords, [133] es bedurfte keines Blutgerichts noch öffentlicher Verbrechensbeschuldigung und Beraubung ihres Lebens, er durfte nur ihren Wünschen nachgeben, durfte ihr nur zulassen, sich in Abgründe zu stürzen, nach welchen die Thörichte lüstern war, und jede seiner Absichten war erreicht.

Athyrtis war dahin, und er konnte öffentlich vor dem Volke schwören: – (Auch der ärgste Bösewicht scheute damals noch den Meyneid) – er habe ihr Blut nicht vergossen.

Seit Sesorchis das Land verlassen hatte, verging kein Tag, da nicht Athyrtis den Oberpriester an die Geheimnisse der Jannes und Jambres erinnerte, und ihm Vorwürfe machte, daß er sie durch Versprechungen in Egypten zurückgehalten habe, deren Erfüllung sie nun so lang vergeblich erwartet hatte.

Die Zeit war eingetreten, da Tnephachtus nicht länger taub bey ihren Bitten bleiben wollte. – Er kannte die unbezwingbare [134] Begierde, die sie nach verbotenen Dingen hatte, und hielt es also nicht für gefährlich, ihr alle Gefahren, welche ihr bey Erfüllung ihrer Wünsche bevorstanden, mit den lebhaftesten Farben zu schildern, gleich als wollte er dadurch sein eigenes Gewissen bewahren. Er war überzeugt, daß dieses alles nichts fruchten, daß Athyrtis dennoch auf ihrem Sinne beharren und – er entschuldigt seyn würde.

Unglückliche, rief er am letzten Tage vor der Entscheidung des Schicksals der verblendeten Prinzessin, du rennst in dein Verderben! Du willst Wege gehen, welche nie ein Weib betrat! Schon habe ich dir gestanden, daß ehemals die unmögliche Entdeckung des Grabes des großen Osymandias, nur Mittel seyn sollte, dich von deinem Untergang zurückzuschrecken. Dein unauslöschlicher Durst nach verbotenem Wissen ließ dich alles versuchen. Du hast mit dir deinen Vater in Unternehmungen gezogen, die ihn von seinem Lande entfernten, und ihn vielleicht noch um Krone und Leben bringen werden. All dieses schreckt und warnt dich nicht: [135] nun wohlan, so muß ich deutlicher mit dir reden, so muß ich dir die Gefahren näher zeigen, welche auf dem Wege, den du vor dir hast, dich mit der Zerstörung deines eigenen Wesens auf die grausamste Art bedrohen:

Du wirst verborgene Pfade hinabsteigen in die Reiche der Nacht. Feuer und Wasser werden dich bekämpfen. Die Bewohner des Mittelpunkts der Erde werden nicht sobald deine Gegenwart, die Gegenwart eines Weibes, ahnden, so werden sie wider dich wach werden, dich durch tausend Qualen zu vernichten; vielleicht entkommst du ihren blutigen Händen, aber nichts rettet dich von dem Abgrund der alten Nacht, von den finstern Regionen des anarchischen Chaos, das dort unten tobt; Aeonen lang werden alle seine Kräfte aufgeboten werden, die Grundstoffe deines Wesens zu zerstören, umsonst! du wirst leben, und leiden ohne Aufhören. Ueberwindest du endlich, nun so dämmert dir vielleicht einmal der Tag der Weisheit, nach welcher du lüstern bist, und welche vor dir nie ein [136] Weib errang; aber bedenke, wie lang es bis zu diesem entfernten Zeitpunkte ist, und wie klein dir vielleicht selbst alsdenn der Gewinn, den du erringst, gegen die Leiden dünken wird, durch welche du ihn errungen hast.

Tnephachtus hatte seine Bilder mit zu starken Farben gezeichnet, als daß sie auf die Prinzessin einen Eindruck hätten machen sollen; sie kannte die hyperbolische Art, deren sich die Priester, deren Oberhaupt sie vor sich hatte, im Reden zu bedienen pflegten. Sie verstand nicht, was man ihr sagte, sie wollte es nicht verstehen, und – beharrte auf ihrem Sinne.

Des andern Tages übergab Tnephachtus die Schülerin der verborgenen Weisheit, nachdem er sie nochmals vor allem Volke ermahnt und eingesegnet hatte, den Priestern, und sie ging den Weg, – den sie nie wieder zurückkommen sollte.

Das Volk wartete ein Jahr lang auf ihre Rückkehr, es betrauerte sie als eine Todte, es verehrte sie weiter hin als eine [137] Göttin, es bauete ihr Tempel und Altäre, aber Tnephachtus war König, nicht bloß der Macht, sondern nun auch dem Namen nach. Der Gewißheit von dem Tode der Prinzessin folgte die Nachricht von dem Untergange, den Sesorchis in dem wilden, weit entfernten Europa, mitten in seinen Siegen, gefunden haben sollte. Der Oberpriester war nach ihm der Nächste zu Kron und Thron, kaum war es nöthig für ihn, da er bereits das Scepter in Händen hatte, zu erweisen, daß er der Sohn des Königs Möris und der schönen Chaldäerin sey, man glaubte ihm indessen alles, was er wollte, auch das unwahrscheinlichste, dieses war damals eins der Vorrechte der Könige von Egypten.

Tnephachtus sahe nicht sobald seinen Thron unerschütterlich befestiget, so hielt er es für gut, die Larve, die er bisher zu Erreichung seiner Absichten getragen hatte, völlig abzulegen. Das Volk sahe ihn wie er war. Der vorgebliche Beglücker des Landes war ein Tyrann. Man sagt, die Menschheit bringe keine Ungeheuer hervor, [138] welche das Böse, ohne Rücksicht auf Vortheil, um des Bösen willen, lieben sollten, aber bald möchte ich behaupten, Tnephachtus sey eine schreckliche Ausnahme von dieser Regel gewesen.

Man muthe mir nicht zu, seine Unthaten zu schildern. Vielleicht war es die Verzweiflung, welche sie ihm eingab, die Verzweiflung, so viele Jahre lang eine so unselige Mühe aufgewandt, so manches Verbrechen begangen zu haben, ein Gut zu erlangen, das ihn nun nicht beglückte. Er suchte Heilung der Schmerzen, mit welchen ihn die Furien marterten, in Häufung neuer Missethaten. Er entsagte öffentlich den Göttern und fluchte der Asche derjenigen, vor deren Abkömmling er sich ausgab. Um diesen Unthaten ewige Dauer zu geben, ließ er sie in Erz und Marmor hauen. Wenn Ihr die Ruinen von Theben, der verheerten Königsstadt, die damals blühte, besuchet, so werdet Ihr noch ein Denkmal von der Schande des großen Verbrechers finden.

[139] »Fluch den Königen Menes und Möris!« so lautet die Inschrift 16 eines entweihten Steins: »Fluch den Sklaven der Götter! Sie stifteten ihrem Osiris und ihrer Isis, die Menschen waren, wie sie, Tempel und Opfer; sie lehrten dem im Staube entsprossenen Geschlecht, das sich für den Hauptzweck der Schöpfung hält, den Korn- und Oelbau, sie gewöhnten es durch üppigen Genuß des Weines und durch den Zauber der Tonkunst, sich im Taumel der Lust für Götter zu halten. Tnephachtus, welcher es erfahren hat, daß dem Menschen keine Freude ziemt, [140] ruft feyerlich den Fluch über das Andenken derer, welche Schmeichler des Menschengeschlechts waren, nicht seine Beglücker!«

Tnephachtus konnte fast nicht elender werden, als er durch sein verwahrlostes Herz mitten im Schoos des Glücks war, doch die erzürnten Götter bestimmten ihn, nachdem sie Jahre lang seinen Thaten schweigend zugesehen hatten, eine Strafe, welche ihre beleidigte Ehre vor der Welt noch in die Augen fallender rächen sollte, als es die heimlichen Gewissensqualen des Verbrechers konnten.

Das unerwarteste geschah, was sich ereignen konnte, was die Guten im Volke sich schon längst nicht mehr zu hoffen getrauten, und wofür sich der Tyrann schon seit Jahren nicht mehr fürchtete. Sesorchis, der nun zehnmal in den entferntesten Gegenden der Erde den Frühling sich erneuern gesehen, der seine Eroberungen bis an den Strom ausgedehnt hatte, welcher die äußersten Grenzen des wilden unbekannten Europa [141] ausmacht 17, der siegreiche Sesorchis, seiner Eroberungen müde, kehrte zurück. Er hätte noch dreymal mächtiger seyn müssen, als er war, um sie alle zu behaupten.

Er mußte sich begnügen hier und da Städte mit seinem Namen genannt, hier und da Bildsäulen als Denkmale seiner Siege, errichtet zu haben; männliche, mit Schild und Schwerd, wo er männlichen Widerstand fand, weibliche, mit Rocken und Spindel, wo man sich ihm zaghaft, ohne Gegenwehr, ergab. Dieses, nebst vieler Beute, und einer ungeheuern Menge Sklaven war der einige Gewinn, den er von seinen Siegen hatte. Ein wenig Weltkenntniß und aufgeklärte Denkart, die er mit sich brachte, war jedoch nicht bey der Berechnung der gemachten Beute zu vergessen. Das Grab des großen Osymandias hatte er nirgends gefunden, es aber auf die letzt auch wenig gesucht, und als er jetzt in Egypten wieder ans Land stieg, und der Traum seiner jüngern Tage, die [142] Ursach der Reise, die ihm zehn der schönsten Jahre seines Lebens gekostet hatte, ihm lebhafter vorschwebte, da wars ihm gar eigen, als hätte man ihn gutes Fleißes einem Hirngespinnste nachgeschickt, und als zieme es ihm, Rache an dem Verwegenen zu nehmen, der ihn aus verrätherischen Absichten solchergestalt von seinem Lande entfernen durfte.

Daß Tnephachtus gegenwärtig in Egypten nicht als Statthalter, sondern als König herrschte, davon war ihm das Gerücht bereits auf dem Indischen Meere entgegen gekommen. Die Nachricht von dem Verlust seiner Tochter erhielt er in der Ebene von Said. Heiße Thränen flossen um sie, doch noch bitterer würde Athyrtis betrauert worden seyn, hätte die Königin Omphis nicht ihren Gemahl auf der Reise mit zwey Prinzen beschenkt, davon der eine das fünfte und der andere das siebende Jahr noch nicht zurückgelegt hatte. Sie waren die Wonne ihres Vaters; das Herz ihrer Mutter hing an ihnen. Schön wie Liebesgötter, und klug wie kleine Genien versprachen sie ihrem Vater reichen Ersatz dessen, was er etwa an [143] seiner unglücklichen Tochter verloren haben konnte.

König Sesorchis rüstete sich, dem verrätherischen Besitzer seines Throns mit den Waffen zu begegnen. Hätte Tnephachtus sich ihm mit Heereskraft entgegengestellt, er wär verloren gewesen, denn auf Widerstand war derjenige, welcher sich die ganze Erde bis an die Cimmerischen Gegenden unterworfen hatte, wohl gefaßt; auf heimtückische Hinterlist war er es nicht. –

Tnephachtus kam seinem Bruder zu Pelusium entgegen; das Gerücht ging vor ihm her: er erscheine, dem rechtmäßigen Könige von Egypten Krone und Scepter in die Hände zu legen, die er nur als sein treuer Stellvertreter verwaltet habe.

Der milde Sesorchis ward schon durch diese Sage entwaffnet; noch mehr legte sich sein Zorn, als jetzt Tnephachtus selbst erschien, als der Mann ihm gegenüber stand, den er die meiste Zeit seines Lebens wie einen Bruder geliebt hatte, und den sein gutes Herz, allem Anschein zum Trotz, noch jetzt [144] nicht ungehört als einen Verräther verdammen wollte. Zu dem günstigen Vorurtheil, zu der erwachenden alten Liebe gesellte sich Mitleid. Tnephachtus war unglücklich, man durfte ihn nur sehen, um dieses zu wissen. Das Leiden seiner verwahrlosten Seele, seines mit Verbrechen belasteten Gewissens, war auf seiner Stirn geschrieben. Sesorchis sah die Folgen seiner heimlichen Qualen, aber ihre Ursachen errieth er nicht. Tnephachtus hatte binnen der zehnjährigen Abwesenheit des Königs, mitten im Schoos königlichen Wohllebens merklicher gealtert, als der Weltbezwinger Sesorchis unter den unfreundlichsten Himmelsstrichen, unter Arbeit und Mangel.

Tnephachtus sahe und errieth die Gefühle die sein Bruder für ihn hegte, und er war klug genug, den günstigen Eindruck zu seinem Vortheil zu verstärken. Man sprach sich eine Stunde lang ohne gewisse Gegenstände genau zu berühren, die Tnephachtus gern übergangen haben wollte. Nähere Erklärungen wurden für die Zukunft aufgespart. Der Verräther sprach viel von seiner [145] Sehnsucht nach dem Abwesenden, von seinen Leiden um ihn, und der drückenden Sorge des Königreichs, und Sesorchis entließ ihn endlich, völlig überzeugt, daß Tnephachtus blos durch Trauer um ihn, blos durch für ihn übernommene Mühseligkeiten, das elende Geschöpf geworden war, das er jetzt vor sich sah.

Sesorchis dachte den unglücklichen Bruder auf alle Art zu schonen. Tnephachtus hatte außer wenigen Dienern kein Gefolge bey sich, auch er ließ all seine Leute einige Meilen zurückgehen, und behielt nur so viel Personen um sich, als zu seiner und der Königin Bedienung unumgänglich nöthig waren. Einige Zelte wurden den Zelten des Tnephachtus gerade gegen über aufgeschlagen. Morgen wollte man sich bey einem gemeinschaftlichen Mahle ausführlicher sprechen.

Als die Königin Omphis sich des Nachts in das ihr bestimmte Gezelt begab, um zur Ruhe zu gehen, und bereits alle ihre Leute in die ihrigen entlassen hatte, – (sie pflegte [146] niemand in ihrem Zimmer schlafen zu lassen als ihre Kinder) – da fand sichs, daß sie doch nicht allein war. Eine kleine Alte saß in einem Winkel des Zeltes, bey einem Feuer von Lotosblättern, das nicht wenig dampfte, und schien die eintretende Königin nicht einmal gewahr zu werden. Omphis, immer sanfter und gefälliger, als sonst Königinnen zu seyn pflegen, war durch ihre weiten Reisen, und die mancherley Mühseligkeiten, die sie auf denselben, so gut als der geringste unter König Sesorchis Leuten, ausgestanden hatte, noch mehr von dem Stolze geheilt worden, der Fürstinnen sonst bewegt, jede Beleidigung ihrer Hoheit, jede kühne Annäherung der Geringern, streng zu ahnden.

Sie erzürnte sich nicht über die Anwesenheit der fremden Frau; sie fragte sie blos, was sie hier mache?

Ich wärme mich, Königin! war die Antwort.

Ist das der einzige Ort, wo du dich wärmen könntest? fragte Omphis lachend.

[147] Laß mir diesen! antwortete sie. Kenntest du mich, du würdest mir die Ruhe, unter deinem Gezelt, nicht versagen!

Wer bist du?

Du wirst mich einst kennen lernen. Sterbliche haben, unter der Hülle hülfloser Fremdlinge, oft Götter beherbergt.

Du erinnerst mich an den Besuch der großen Isis im Hause der Königin Astarte, versetzte die fromme Omphis mit Andacht.

Ich bin nicht Isis, aber ich will dir deine Gastfreyheit lohnen, wie sie dieselbe der phönizischen Königin belohnte.

Die Götter bewahren meine 18 Kinder! schrie Omphis, mit einer schreckensvollen Miene!

[148] Du hast Kinder? – Zeige mir sie, daß ich sie küsse!

Omphis holte die Knaben, die man schon zur Ruhe gelegt hatte. Die Alte drückte sie an ihre Brust, segnete sie und weinte über ihnen. Aber, ehe sich es die Königin versah, lagen beyde im Feuer, es vergrößerte sich, und Dampf und Glut schlugen über ihnen zusammen.

Entsetze dich nicht! sagte die Alte, welche die halb ohnmächtige Königin abwehrte, sich dem Flammenbette zu nahen, wo ihre Söhne ruhten. Dieses Feuer verletzt deine Kinder nicht, es härtet sie für die Begebenheiten des künftigen Tages. Von [149] dieser Glut bewährt, kann keine irrdische Flamme sie beschädigen. Merke dir dieses, und nutze es, wo du es nutzen kannst. Glücklich sind die Söhne des großen Sesorchis, wenn sie ihren Vater besser dienen können, als die unglückliche Athyrtis es vermochte! Möchten sie doch die Vergehungen ihrer Schwester aussöhnen!

Der Königin kam als die letzten Worte der Alten in der Luft verhallten, ein Schauer an. Das ganze Gesicht, (für Gesicht mußte sie es halten,) war ver schwunden. Von der Fremden und von dem Feuer war keine Spur mehr zu sehen. Alle Lichter waren verloschen. Die Königin hörte ihre Kinder sanft auf ihrem Lager athmen; sie tappte in der Dunkelheit nach denselben, um sich von der Gewißheit zu überzeugen. Ein Kuß auf ihre Wangen, und der Name Mutter, den beyde im halben Erwachen lallten, versicherte sie völlig. Sie warf sich auf ihr Lager, sie sank in tiefen Schlaf, und würde am Morgen das Ganze für Traum gehalten haben, hätte nicht ein Häufchen halb verbrannter Lotosblätter, welches ihre Leute [150] auf der Stelle fanden, die ihr noch wohl erinnerlich war, der Sache ein anderes Ansehn gegeben.

Doch sie schlug sich dieselbe aus dem Sinne, und rüstete sich, der gestern genommenen Verabredung nach, heute nebst ihrem Gemahl, und den beyden kleinen Prinzen bey dem Mahl zu erscheinen, das Tnephachtus in seinem Gezelte, das Fest der Wiederkehr seines Bruders zu feyern, bereitet hatte. Nur diese fünf Personen sollten die Tischgesellschaft ausmachen; der edle Sesorchis wünschte, es möchte niemand gegenwärtig seyn, wenn es zwischen ihm und seinem Bruder zu Erklärungen käm, die doch vielleicht denselben hier und da in Verlegenheit setzen könnten.

Die Bewillkommung schien von allen Seiten herzlich zu seyn; doch Wahrheit und Redlichkeit befand sich nur bey dem guten Könige und den Seinigen; im Herzen des falschen Oberpriesters – (diesen Titel beliebte der bisherige König von Egypten wiederanzunehmen) – brütete teuflische Bosheit. Sie glimmte sichtbar in seinen falschen [151] Augen, sie malte sich gräßlich auf seinen bleichen verzogenen Wangen, doch Sesorchis und seine Gemahlin, die keine großen Gesichtskenner waren, sahen hier nichts, was in ihnen schreckensvolle Ahndung erregen konnte; ihre Herzen fühlten nur Mitleid, und waren begierig, alle die Unfälle zu vernehmen, die ihren geliebten Bruder aus dem schönsten Manne in ganz Egypten zu einen Gespenst hatten machen können. Die Kinder schienen sich ein wenig vor ihm zu fürchten, doch auf einiges Zureden ihrer sanften Mutter, nahten auch sie sich, sahen mit unschuldiger Holdseligkeit zu ihm auf, und kamen seinen Küssen entgegen.

Tnephachtus bat, während der Mahlzeit möchte nichts von Untersuchungen vorkommen, welche den Geist der Fröhlichkeit vertreiben könnten; Sesorchis versprachs , und die Königin bat nur um Freyheit, nach ihrer Tochter fragen zu dürfen.

Ihr haltet sie für todt, ich weiß es, antwortete der Oberpriester; aber, was würdet ihr sagen, wenn ich sie lebend in eure Arme führte?

[152] Freudenthränen stürzten aus den Augen der schönen Omphis, sie faßte die Hand des falschen Tnephachtus, und konnt nur ein: – Sollte es möglich seyn? – über die Lippen bringen. – Sesorchis fühlte nicht viel minder, als sie. Die Knaben riefen jauchzend: sie hätten diese Nacht von ihrer Schwester Athyrtis geträumt, und Tnephachtus bat, man möchte nur erst die Mahlzeit geendigt seyn lassen, so wolle er selbst gehen, die Prinzessin herbeyzuholen.

Unglücklicher Sesorchis! Betrogene Omphis! daß ihr nicht in der Entfernung des Tyrannen, das Signal zu dem schrecklichsten Tode ahndetet! –

Sie befanden sich ganz in der Gewalt des Bösewichts, die wenigen Leute, die sie um sich hatten, welche in einem entfernten Gezelt von den Bedienten des Oberpriesters bewirthet wurden, waren schon längst unter dem Schwerd ihrer verrätherischen Wirthe gefallen. Tnephachtus hätte die königliche Familie auf ähnliche Art hinrichten lassen können, doch dieser Tod war ihm zu gemein [153] für die Gehaßten. Langsam, und nicht ohne Qualen, sollten sie sterben. Der Gottesläugner Tnephachtus kannte nur eine Kraft in der Natur, der er etwas göttliches beymaß, sie war das alles zerstörende Feuer; ihm wollte er seine Feinde opfern. Das Zelt in welchem er sie bewirthet hatte, war zum Opferaltar zugerichtet, und so, wie er den Fuß aus demselben setzte, war der Stab über die Verurtheilten gebrochen.

Sie ahndeten nichts hiervon. Omphis rief noch dem Verräther nach: ihr sehnendes Herz nicht zu lang auf den Anblick der geliebten Tochter warten zu lassen, und wandte sich dann zu ihren Gemahl, einige entzückte Worte über das nahe Glück mit ihm zu wechseln; aber kaum so viel Zeit, als man zu Rede und Gegenrede nöthig hat; und die Sprechenden wurden auf die schrecklichste Art unterbrochen. Ein bläulichter Duft zog sich über die Tafel und erfüllte das ganze Gezelt. Die Seitenwände begannen zu dampfen und zu glimmen, dort loderte schon ein Theil der geölten Leinewand, aus welcher dieselben bestanden, hell in die Höhe; [154] hier wehte ein Wirbelwind, der durch hin pfiff, die Flamme von einer andern Seite der erschrockenen Tischgesellschaft, welche voll Entsetzen aufgesprungen war, und sich in eine Gruppe zusammenschmiegte, über die Häupter. Die Decke des Paldachins flammte bereits über ihnen und drohte einzustürzen. Die Geschwindigkeit ist nicht zu schildern, mit welcher die erste Vorstellung von dem einbrechenden Unglück, zum Gefühl völliger Hülflosigkeit überging.

Der König nahm seine Gemahlin, die den kleinen Asychis auf den Armen trug, an die eine, den ältesten Prinzen Amosis an die andere Hand, und suchte sich einen Weg durch die Flammen zu bahnen; aber welch Entsetzen! das mörderische Zelt war mit einem flammenden Pfuhl umgeben, der zwar nicht breit war, aber doch, jede Flucht unmöglich machte. Voll Verzweiflung eilte man auf diese, auf jene Seite, überall eine Aussicht wie in den Abgrund der Hölle und die Gewißheit unvermeidlichen Verderbens! Schon fingen die Kleider des Königs Feuer, der Knabe auf dem Arm der [155] Königin breitete die seinigen über sie, als wollte er sie vor den Flammen schützen. Die Kinder lächelten wie die Engel, während sich die Verzweiflung auf dem Gesicht ihrer Eltern malte.

Denkst du an unsern Traum, Asychis? fragte der älteste Prinz, indem er zu seinem kleinen Bruder aufsah. Ja, Amosis, antwortete das Kind, ich denke daran.

Meinst du, daß es Zeit sey, zu thun, wie Athyrtis sagte?

Ja Bruder! laß uns eilen, ehe es zu spät ist! zwar zittre ich, doch laß uns eilen!

Asychis wand sich mit diesen Worten aus den Armen seiner Mutter, und stürzte sich über den flammenden Pfuhl der das Gezelt umzog, indessen Amosis seinen Vater beym Gewand faßte, und verständiger als sein Bruder, welcher gehandelt hatte ohne zu sprechen, ihm begreiflich zu machen suchte, daß er sich jetzt gleichfalls über den Feuergraben breiten, und daß sein Körper einen Weg für den großen Sesorchis bilden würde, unversehrt durch die Glut zu kommen.

[156] Mutter, rief Asychis der halb ohnmächtigen Königin, eile doch! rette dich, und nimm mich dann mit dir, mir ist nicht ganz wohl in diesem Flammenbette! Amosis rufte seinem Vater auf ähnliche Art zu, auch wars, als wenn in diesem Augenblicke eine verborgene Gewalt den König und die Königin ergriff und sie nöthigte, den schrecklichen Weg aus den Flammen, über die Körper ihrer Kinder zu 19 gehen, den sie freywillig, wohl nie gegangen seyn würden.

Beyde waren gerettet und sahen sich voll Erstaunen an. Die Knaben rissen sich unversehrt aus den Flammen, und warfen sich in ihre Arme. Laß uns fliehen, laß uns fliehen, Mutter! rief der kleine Asychis, daß uns die Flamme nicht erreiche! Zaghafter! schrie der älteste Prinz, der an der Hand seines Vaters beherzt zurück in die Glut sah, wie schlecht hast du begriffen, was unsere Schwester sagte! Mir war wohl [157] in dem Flammenbette das mich nicht versehren konnte, ich wollte wohl, es wär mir etwas übler gewesen, damit ich mich rühmen könnte, etwas für meinen Vater gelitten zu haben.

Aber, um der Götter willen, meine Kinder! schrie Omphis, welche jetzt erst zu Worten kommen konnte: Was sind dies für Wunder?

Weiter kein Wunder, meine Mutter! antwortete Asychis, als daß uns beyde diese Nacht geträumt hat, wie eine Person, die sich unsere Schwester nannte, und die wir nicht kannten, ob ihr uns gleich oft von ihr sagtet, uns im Feuer härtete, und uns thun lehrte, wie ihr gesehen habt. Mir ists lieb, daß es vorüber ist, denn ich fürchtete mich sehr vor den Schmerzen des Feuers, ungeachtet mir es mitten in der Glut nicht anders war, wie in einem kühlen Bade!

Lieblinge des Himmels! Geschenk der Götter! schrie Sesorchis, der die kleinen Retter seines Lebens an seine Brust drückte. Welch eine That, im Anfang eures jugendlichen [158] Lebens! Was wird aus euch werden, wenn ihr so fortfahrt, wie ihr begonnen habt!

Die Königin Omphis zerfloß in Thränen. Sie dachte an ihr eigenes Gesicht, das sie ihrem Gemahl mittheilte. Sie hatte noch tausend Fragen an die Kinder über ihre Schwester Athyrtis, aber sie konnten ihr nicht mehr sagen, als sie bereits wußte.

Der immer noch furchtsame Asychis drang auf mehrere Entfernung von den flammenden Schreckensort. Noch einmal sahe man zurück in die Glut. Das Ganze stürzte eben zusammen und ein gellendes Geschrey, wie von einer Menschenstimme aus tiefer Ferne beschloß die Greuelscene, von welcher man nun mit verdoppelten Schritten hinwegfloh.

Wo werden wir nun Zuflucht finden? sagte Omphis im Fliehen, daß uns die Wuth des Tyrannen nicht noch ereile?

Er ist nicht mehr! antwortete Asychis. Dort, das Häufchen schwarze Asche, bey welchem wir eben vorüberkommen werden, [159] ist das Ueberbleibsel seines verworfenen Körpers. Von diesem Hügel wollte er unsern Untergang ansehen, aber ihn selbst verzehrte das Rachfeuer des Himmels.

Der König und die Königin sahen den kleinen Redner mit Erstaunen an, welcher einen kurzen Verweis von seinem ältern Bruder, wegen verletzten Stillschweigens über gewisse Dinge, erhielt. Doch nicht lang, so fiel der gute Amosis in den nämlichen Fehler.

Sesorchis hielt, als man mit Grauen vor der Asche des gerichteten Tnephachtus vorüber geeilt war, noch einmal Rath mit seiner Gemahlin, wohin man nun sich wenden wollte. Sie stimmte auf Rückkehr zum Heer, aber der älteste Prinz bat, man möchte sich nicht bedenken, den Weg nach der nahen Residenz vollends zurückzulegen, wo alles zu ihrem Empfang in fröhlicher Unruh sey. Die hundert und neun und neunzig Männer, setzte er hinzu, die mit meinem Vater erzogen wurden, und die er dem Lande zu Regierern überließ, [160] waren nicht alle Verbrecher, wie der, welcher ihre Zahl voll machte, der treulose Tnephachtus. Die Guten hatten ein großes Uebergewicht über die Bösen, und sie sind es eben, die das Volk zum Empfang ihres Königs bereiteten, und die euch gerettet, oder am Tnephachtus gerächt haben würden, wenn die Götter hier nicht selbst gehandelt hätten.

Es lag am Tage, daß die Söhne des Königs von Egypten vom Geist der Weissagung beseelt waren, und daß die Gabe, im Feuer unverletzlich zu seyn, welche sie ihr ganzes Leben hindurch behielten, noch die kleinste war, welche ihnen der Himmel verliehen hatte. Ihre Eltern sahen sie mit Ehrfurcht an, und dankten den Göttern; aber sie schwiegen, weil sie nicht wußten, wie sie sich in Gegenwart dieser Kinder mit Anstand hierüber erklären sollten.

Man hatte die Hauptstadt noch bey weiten nicht erreicht, so sahe man bereits [161] eine große Menge Volks sich dieser Gegend nahen. Sie schienen von der Ankunft ihres guten Königs vollkommen unterrichtet zu seyn, sie trugen ihm Palmen entgegen, und empfingen ihn mit Lobgesängen. Die hundert und neun und neunzig Regenten des Landes führten den Zug. Sie trugen alle die Miene hocherfreuter redlicher Treue auf dem Gesicht, aber die Prinzen belehrten in der Stille ihre Eltern, welchen sie zu trauen hatten. Omphis fragte diese Leute, wo sie die Prinzessin gelassen hätten, die man bey der Reise in das Ausland ihrem Schutze anvertraute. Einige antworteten mit weitläuftigen Entschuldigungen, andere mit Schweigen und einer Thräne im Auge; schon dieses war genug, diese Leute zu charakterisiren, wenn man sie auch sonst nicht gekannt hätte.

Die Königin Omphis konnte mitten in der Herrlichkeit und Ruhe, die sie nun umgab, die geliebte Tochter nicht vergessen. Den König beschäftigten die Angelegenheiten seines Reichs, sie hatte übrige Muse,[162] die unglückliche Athyrtis überall zu vermissen, und ihrem ungewissen Schicksal mütterliche Thränen zu weinen.

Als einst diese gute Königin bey einbrechendem Abend einsam auf ihrem dämmernden Zimmer saß, und sehnend wünschte, nur zu wissen, was aus ihrer Tochter geworden sey, da bebte auf einmal unter ihren Füßen der Boden. Eine kleine Flamme fuhr herauf, und die Alte stand vor ihr, welche ihr die Nacht vor der schrecklichen Feuerscene auf der Ebene von Pelusium erschienen war.

Da bin ich und lebe, o Omphis, rief sie, nachdem sie die Königin eine Weile angesehen hatte, umarme mich, Mutter! ich bin Athyrtis, deine Tochter!

Du bist meine Wohlthäterin, die Retterin meines Lebens, schrie die Königin, die sie fest an den Busen drückte, dieses sagt mir mein Herz, und in dem Augenblicke, da ich dir danken kann, ist Athyrtis [163] vergessen. Du hast nicht nöthig ihren Namen zu borgen, um mir theuer zu seyn.

Ihr verstoßt mich! rief die Fremde, mit einem traurigen Blicke, der sie nicht verschönerte, ihr verläugnet die Stimme eures Herzens, weil euch meine Gestalt nicht schmeichelt.

Wie? sagte Omphis voll Erstaunen, sollte es möglich seyn, daß du wahr redetest?

Unmöglich scheint es freylich, erwiederte Athyrtis, mit einem Blick auf einen großen Spiegel! Die Mutter noch in fast jugendlicher Blüthe, die Tochter eine zusammengeschrumpfte Alte! Doch, ich habe gelitten was keine Jahrhunderte fassen, der Verfall meines Körpers ist nicht zu bewundern. Auch traure ich nicht über ihn: diejenigen, deren Werth nur in dem besteht, was das Auge reizt, mögen weinen, wenn Kummer und Jahre ihren einigen Vorzug vernichten; der Geist, welcher nie altert, wird durch das, was den Körper[164] zerstört, nicht herabgewürdiget, nur veredelt.

Es war sehr schön was Athyrtis sagte, doch die Thränen, die dabey aus ihren Augen flossen, ließen fast bezweifeln, ob die große Wahrheit, die ihre Worte enthielten, auch ganz von ihr gefühlt wurde. Sie war ein Frauenzimmer, und wir müssen ihr hierin, so weise sie auch war, schon etwas zu gut halten.

Auch die Königinn weinte bey dem was ihre Tochter sagte. Es schien ihr noch immer unmöglich, sie so wieder zu finden. Tausend Fragen über das Wie? und Wodurch? schwebten auf ihren Lippen, aber siehe, da hüpften die Prinzen herein, und verhinderten was sie sagen wollte.

Sie ists! sie ists! schrie der kleine Asychis, der sich der Fremden in die Arme stürzte, es ist unsere Schwester Athyrtis! Sprich, Geliebte! haben wir nicht wohl ausgerichtet, was du uns lehrtest?

[165]

Amosis umschlang indessen die Knie dieser wunderbaren Person, er nannte sie die Lebensretterin seiner Eltern, und dankte ihr auf eine Art, welche den Verstand weit übertraf, den seine Jahre mit sich brachten.

Die Königin zerfloß in Thränen über die Scene, die sie vor sich hatte. Sie mußte glauben, was sie sah. Sie schloß die drey Kinder des großen Sesorchis in ihre Arme, und nannte sich die glücklichste Mutter, der Erde solche Bürger gegeben zu haben.

Nennt mich keine Erdenbürgerin mehr, sagte Athyrtis, o Mutter, ich gehöre nur halb unter die Zahl derer, welche ihr, die noch nie den Tod schmeckten, Lebendige zu nennen pflegt.

Ich habe ihn tausendfach empfunden. – Sehet hier die Ursach der Aenderung, die ihr an mir wahrnehmt. Die Ursach, warum ich euch nur auf Augenblicke sehen kann, warum ich bald, bald zu denen zurückkehren [166] muß, in deren stille Gesellschaft ich mich besser schicke, als in die eurige!

Fluch über den treulosen Tnephachtus! schrie die Königin: Er war es, der diese Blume in ihrer Blüthe verheerte.

Ich klage über niemand! antwortete Athyrtis. Mein eigner Vorwitz war mein Fall. Stolz, Eitelkeit, Durst nach verbotenem Wissen, und mancher daraus entspringende falsche Zug meines Charcters, konnte viel leicht nicht anders bestraft, nicht besser ausgetilgt werden, als durch die Qualen, die ich litt!

Aber, werden wir nie erfahren, was mit dir vorging?

Ich dürfte euch nur die Worte wiederholen, mit welchen Tnephachtus, sey es aus wahrem oder falschem Herzen, mich vor dem Schritte warnte, der mich ins Verderben stürzte, so würdet ihr in ziemlich gut getroffenen Bildern alles wissen. Ich habe gewagt, [167] was vor mir nur ein Weib wagte. Es war die große Semiramis. Die Geschichte von ihr ist euch bekannt, und sie ist ohngefehr die Meinige. Semiramis stieg einst hinab in die unterirdischen Wohnungen verbotener Weisheit, sie unterzog sich Prüfungen, die nicht für weibliche Kräfte gemacht sind, aber, als man ihr die glühende 20 Stirnbinde umlegte, um sie auch durchs Feuer zu bewähren, da verließ sie die mühsam erhaltene Fassung. Ein durchdringendes Geschrey das sie ausstieß, verrieth den öden Wohnungen der Todten, daß hier ein Weib sey, durch ihre Gegenwart die heiligsten Geheimnisse der Isis zu entweihen. Die unterirdischen Rachheere, welchen jene große Königin mit Mühe entging, wurden auch wider mich wach. Immer auf dem Punkte erreicht zu werden, flohe ich Jahre lang durch die innersten Regionen der Erde, vor meinen wüthenden Verfolgern, bleichen Grabgestalten mit Todtengebeinen bewaffnet, [168] die sie fürchterlich gegen mich schwangen. – Zuletzt – doch, was soll ich euch Geheimnisse enthüllen, welche besser verborgen bleiben. Meine Gestalt ist die beste Schilderung von allem, was ich weiter sagen könnte. Der Lohn all meiner Leiden war endlich in der That eine etwas edlere Existenz, als die gemeinen Sterblichen haben, und ein höherer Grad des Wissens, als euch beschieden ist, aber – – Laßt mich abbrechen!

Gegenwärtig bin ich Oberpriesterin im Tempel des 21 Hephästos, eine Stelle, die mich zu der Hülfe, die ich euch in eurer schrecklichsten Stunde geleistet habe, geschickter machte, als zu irgend einer andern, die mich aber auch verbindet, euch nur selten zu sehen. Lebt wohl! lebt wohl! allemal mit den ersten Strahlen des Neumonds sehet ihr mich wieder.

Was Athyrtis verspochen hatte, geschah, und, o wie sehnlich sah man allemal dem [169] ersten Schimmer des wiederkehrenden Planeten entgegen! – Auch König Sesorchis versäumte selten seine Tochter zu sehen. Mit ihrer geänderten Gestalt war man bald ausgesöhnt, da niemand ihr die Verschönerung und Veredlung ihrer Seele abläugnen konnte, sie war groß, und erhub sie zu den Geistern des Aethers; doch wollte ich Euch, ihr Töchter der großen Termuthis, nicht rathen, ähnliche Vorzüge auf ähnlichen Wegen zu suchen, so lange die Pfade zu erlaubtem Wissen noch leicht und lieblich sind, und die Welt bey vieler Schönheit, Gutmüthigkeit und Tugend uns mittelmäßige Weisheit sehr gern zu gute hält.

Athyrtis ward in ihren monatlichen Besuchen die Rathgeberin ihres Vaters, die Mitbeglückerin seines Volks. – Egypten blühte unter dem großen Sesostris, dieses war der deutungsvolle Name mit welchem man den mächtigen Weltbezwinger gegenwärtig nannte. Es reute ihn, sich denselben mit so viel Zeit und Mühe erkauft zu haben. Er fand, daß er alles das, was [170] ihn jetzt erst zum guten Könige machte, zehn Jahre früher hätte thun können.

Er begünstigte den Ackerbau und schützte Handel und Gewerbe. Er gewann dem Nil durch künstliche Kanäle viel Grund ab, und sicherte das Land durch eben dieses Mittel vor den Ueberschwemmungen in so weit sie die Gränzen überstiegen die zur Fruchtbarmachung Egyptens nöthig sind, und ihm hätten schädlich werden können.

Er führte die große Mauer, von welcher wir den Anfang im Mondlicht von dieser Höhe nur wie eine dünne Wolke sehen, sie reicht von Pelusium bis gen Heliopolis, und diente den Völkern des Nils zum Schutz wider die räuberischen Araber.

Erst nachdem Sesostris dieß alles und noch vielmehr gethan hatte, dachte er daran, seinen Namen durch Tempel, Obelisken und Bildsäulen zu verewigen, die noch heute der verheerenden Hand der Zeit trotzen.

[171] Seine Söhne behielten die ihnen von ihrer überirdischen Schwester verliehenen Gaben; sie wurden nach ihrem Vater Gesetzgeber und Wohlthäter Egyptens. Es giebt noch der Denkmale viel die ihren Namen unsterblich machen. Wer in den Ruinen von Theben Steine findet, auf welche der Künstler drey mit Flammenkronen gezierte Figuren eingehauen hat, davon die mittelste eine alte Frau, die beyden andern zwey lächelnde Jünglinge vorstellen, der spreche mit frommer Erinnerung: dieß sind Amosis, Asychis und Athyrtis, die Lieblinge des Himmels, die Kinder des großen Sesostris.


[172] Als ich des Nachts, nachdem ich diese Geschichte erzählt hatte, mit meinen Freundinnen Iphis und Nephtis auf meinem Zimmer allein war, erstickten sie mich fast mit ihren Liebkosungen. Ihr seyd ein Wunder, Almé Rusma! schrie Nephtis. Wisset ihr auch, daß wir in der ältesten unserer Prinzessinnen eine zweyte Athyrtis haben? und daß es Euch die große Termuthis ewig danken würde, wenn ihr durch die nachdrücklichen Lehren, die Eure Fabel enthielt, sie zurückgeschreckt haben solltet, Wege zu gehen, auf welche ein Verführer bereit ist sie zu verlocken? – Ihr kennt den weisen Amur, welcher zuweilen die Pyramiden von Dsyse verläßt um uns zu besuchen; wir dürfen ihm den Zutritt nicht wehren, denn –

Iphis unterbrach hier das gesprächiche Mädchen, welches bereit schien bis an den Morgen fort zu plaudern, mit der Anmerkung, daß es spät sey: ich aber vom [173] vielen Reden ermüdet, ergab mich sehr gern darein, die Kundschaft von den Angelegenheiten der Prinzessin Zaide und des weisen Amur ein andermal zu erhalten.


Ende des ersten Theils.

Fußnoten

1 Die Almé der Egyptier gehört zu dem Luxus dieses Landes. Diesen Namen führen eine gewisse Art Mädchen, die, um das Publikum mit ihren Talenten ergötzen zu können, eine sorgfältigere Erziehung genossen. Schönheit der Stimme, Kenntniß der Musik und der Dichtkunst, muß bey einer Person, die sich zu dieser Lebensart begiebt, mit Anstand, Weltsitte und körperlichen Reizen verbunden seyn. Daß ihr Ursprung sehr alt ist, erhellt aus dieser Geschichte. Ein Lieblingsvergnügen der Egyptischen Damen ist noch jetzt, die Almé kommen zu lassen. Auch bey großen Gastmahlen, welche die Vornehmen geben, spielen diese Mädchen ihre Rolle, doch gehören diejenigen, welche auf diese Art öffentlich figuriren, schon unter die unedlere Klasse dieses Ordens. Ihr Geschäft und das Mittel, die Anwesenden zu unterhalten, ist üppiger Tanz und verliebte Gesänge. Die Almé des innern Pallasts läßt sich nie zu so kleinen Künsten herab, sie erscheint nur vor Damen, höchstens, in Gegenwart derselben, vor den Brüdern und Söhnen des Hauses. Sie unterhält ihre Freundinnen, (als Freundin wird sie von den Größten behandelt, und immer großmüthig belohnt,) mit religiösen und moralischen Erzählungen, in welchen aber Liebe und Fabelwerk nicht fehlen darf, oder mit zärtlich traurigen Gesängen, für welche ihre Landsmänninnen einen entschiedenen Geschmack haben. Die Kleidung dieser höhern Klasse von Virtuosinnen, ist ungemein schön und anständig. Ein schwarzes seidnes Gewand mit einem weiten schleppenden Ueberwurf von weißen Flor fließt in gefälligen Falten um sie her; ein goldner Gürtel faßt es dicht unter der Brust zusammen, und dem dunkeln natürlich gelockten Haar darf einiger Schmuck nie fehlen. Die Kostbarkeit desselben ist Beweis von der Würde der Almé und den Belohnungen, die ihre Verdienste erhalten. – Auch die gemeinen Leute haben ihre Almés, welche aber von der Majestät der hier beschriebenen nichts an sich haben, und in ihrem Betragen alles übertreffen, was man sich an Ueppigkeit und Ausgelassenheit denken kann.

2 Ptolemäus Philadelphus, der Sohn des Stifters der Alexandrinischen Bibliothek, welche aus 100000 Volumen bestanden haben soll, ließ sich von dem Hohenpriester Eleazar, 273 Jahr vor Christi Geburt, das Jüdische Gesetzbuch schicken. 72 Weise begleiteten dasselbe, mit dem Auftrage, es in die Sprache zu übersetzen, welche der König wählen würde, denn sie waren gelehrt in allen Sprachen der Erde. Ihnen soll man das Werk zu danken haben, das den Namen der Septuaginta oder der Uebersetzung der 72 Dollmetscher führt.

3 Er ließ, auf Befehl seines Fürsten, mit den Büchern, welche die Barbaren verachteten und nicht zu brauchen wußten, viele Tage lang die Badstuben heizen. Dieses geschahe in der Mitte des siebenten Jahrhunderts nach Christi Geburt, man berechne hiernach Sophers Alter.

4 In den Tagen der Almé Rusma.

5 Almé; eine Gelehrte.

6 Um den vergötterten Wohlthäter der Egyptier, ihren Nil immer bey Guten zu erhalten, und ihn zu bewegen, daß er seine fruchtbarmachende Ergießung ja nie versäumte, opferten ihm die alten Bewohner des Landes der Wunder jährlich eine Jungfrau. Die Abschaffung dieses barbarischen Gebrauchs unter der Regierung der Sarazenen, macht einen Theil des Inhalts von dem hier gedachten Mährchen aus. welches der Leser kennen lernen wird, wenn es der Almé gelingen sollte, das Buch des weisen Sophers zu Ende zu bringen.

7 Das Innere des Damenpallasts war jedem Manne verschlossen. Es war außerordentliche Gunst der egyptischen Schönen, wenn der Mann, der Sohn, der Bruder vom Hause, besonders zu der Zeit, wenn die Almé gegenwärtig war, Zutritt erhielt; denselben als ein Recht zu verlangen, würde die äußerste Unhöflichkeit und die kühnste Beleidigung der weiblichen Rechte gewesen seyn.

8 Wir, die weder die Pflicht, welche der weise Sopher seiner Tochter auflegte, noch das Gesetz der alexandrinischen Weisen zu beobachten haben, erlauben uns, die ersten Geschichten, welche Almé der egyptischen Dame erzählte, zu übergehn. Sie enthalten nichts als allbekannte egyptische Mythen, und das Mährchen von der Tochter des großen Sesorchis, oder Sesostris, wie er gemeiniglich genennt wird, ist das erste, in welchem wir allenfalls einiges Interesse für den Leser hoffen dürfen.

9 Von ihm in der Folge mehr.

10 Wer in diesem Tempel schlief, pflegte viel zu träumen, und natürlich immer das, was die Priester wollten.

11 Das Feuer.

12 It is religion to proceed.

13 Damals, so sagt unsre Urschrift, beschloß die Gottheit, sie zwar zu strafen, aber sie nicht ganz fallen zu lassen.

14 Viel von diesen Statuen soll noch in sehr späten Zeiten kenntlich gewesen seyn.

15 Sie soll dreyhundert Ellen in der Länge, eine in der Breite und Höhe betragen haben, und mit astrologischen Figuren deutungsvoll und kunstreich verziert gewesen seyn. Die Perser führten sie hinweg.

16 Die Alten, welche etwas von dieser, in einem Thebaischen Tempel gefundenen Inschrift gedenken, schreiben sie einem spätern Tnephachtus zu, welcher durch Unfall, bey einem langen Aufenthalt in der Wüste, zu den äußersten Bedürfnissen der Menschheit herabgebracht, solchergestalt den Urhebern des Luxus, dessen Andenken dem unglücklichen Könige sein Leiden so schwer machte, geflucht haben soll.

17 Mit Erlaubniß der klugen Almé: Nur bis an die Donau.

18 Dieser ängstliche Ausruf bezieht sich zu genau auf die hier erwähnte egyptische Fabel, als daß wir sie, so bekannt sie ist, ganz unberührt lassen könnten. Isis ward in der Gestalt einer alten Frau von der phönizischen Königin beherbergt. Sie machte sich selbst zur Wärterin des jungen Prinzen, den sie so ungemein liebte, daß sie ihm zur Unsterblichkeit verhelfen wollte. Sie ging damit sehr wunderlich zu Werke. Alle Nächte legte sie ihn in die glühende Asche des Feuerheerds, ihn solchergestalt zum Halbgott zu rösten. Die Königin kam einst hinter die bedenkliche Operation, entriß das Kind voll Entsetzen seiner Wohlthäterin, und brachte es auf diese Art um die Hälfte der ihm zugedachten Gabe.

19 Daher wahrscheinlich die Sage der Alten: Sesorchis habe, um sich zu retten, seine Kinder dem Feuer geopfert.

20 Etwas hiervon in einem alten Roman, Lamekis.

21 Des Gottes Phtah, oder des Feuers.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Naubert, Benedikte. Märchen. Alme oder Egyptische Märchen. Erster Theil. Athyrtis. Athyrtis. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5EB2-A