Oskar Panizza
Nero
Tragödie in fünf Aufzügen

[Widmung]

[1] ERNEST RENAN


deßen »ANTECHRIST« für den Verfaßer bei


Ausarbeitung seines Buches von tiefer


und nachhaltiger Anregung war


Ihm und seinem Andenken


sei das nachfolgende Werk mit dankbaren


Empfindungen gewidmet.

[1][3]

Personen

Personen.

    • Nero, Zäsar.

    • Lukanus, Dichter,
    • Vatinius, Dichter,
    • Montanus, Dichter,
    • Petronius, Dichter,
    • Terpnus, Harfenschläger,
    • Eukärus, Flötenspieler, , Mitglieder des jungen literarischen Rom, deßen Haupt Nero.

    • Erstes,
    • Zweites,
    • Drittes , Mädchen.

    • Akte, Freigelassene, ehemalige Geliebte Nero's.

    • Seneka, Staatsminister.

    • Burrus, Oberbefehlshaber der Prätorjaner.

    • Tigellinus, Pferdehändler, Vertrauter des Kaisers, später Prätorjaner-Präfekt.

    • Nymphidius, zweiter Befehlshaber der Prätorjaner.

    • Subrius Flavus, Gardetribun.

    • Hasta, Unterbefehlshaber aus Spanien.

    • Kurio Maximus.

    • Epaphroditus, Geheimschreiber des Kaisers.

    • Charmis, Arzt.

    • Doryphoros, Anführer der Augustjani (Klakörs).

    • Phaon, italischer Bauer.

    • Sporus, Freigelaßener.

    • Kosroës, armenischer Gesanter.

    • Erster,
    • Zweiter , Begleiter des Kosroës.

    • [3] Euelpius, Christjanus.

    • Erster,
    • Zweiter , Christjanus.

    • Erste,
    • Zweite,
    • Dritte , Christjana.

    • Erster,
    • Zweiter,
    • Dritter , Leichenträger.

    • Erster,
    • Zweiter , Bote.

    • Ein Mädchen.

    • Erster,
    • Zweiter , Zenturjo.

    • Erster,
    • Zweiter,
    • Dritter , Römer.

    • Erster,
    • Zweiter , Jude.

    • Ein Prätor.

    • Ein Späher.

    • Eine Stimme.

    • Mädchen, Knaben, Christjani, Christjanä, Fakelträger, Bewafnete, Augustjani (Klakörs), Tiridates, der König von Armenien, römisches Volk.

1. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Nero, Lukanus, Batinius, Montanus, Petronius, Terpnus, Eukärus: Mädchen und Knaben bekränzt; später Akte; ein Zenturjo.
Prunkgemach im Palst Nero's. Die von Vorn nach Hinten oblonge Anlage im korintischen Stil trägt in den Seitenwänden Pilaster in Weiß mit vergoldetem (Akantus-) Kapitäl, zu deren Füßen apollinische Bildwerke auf hohen Sokeln vorgebaut sind. Die Zwischenfelder mit üppigen alfresco-Darstellungen, teils erotischen, teils bachischen Inhalts, auf rötlichem Grund. Der Hintergrund dieses Gemachs, dessen Ende durch eine seitlich ja rechts und links der Wand vorgebaute korintische markirt ist, ist frei und führt auf eine quer von rechts nach links verlaufende Säulenhalle von ebenfalls korintischem Charakter, deren Säulen auf hohen Basen stehen, und in deren Durchsichten griechische Bilderwerke auf hohen Sokeln sichtbar werden. Die rükwärtige Mitte dieser Säulenhalle, also der dem Proszenium direkt gegenüber befindliche Abschnitt der hintern Säulenreihe, wird von einem Triumfbogen gebildet, der auf die kaiserlichen Gärten führt und zu Beginn
des Spiels mit einem schwerseidenen Purpur-Vorhang geschloßen ist. Die Decke des Prunksaales selbst bildet eine Kuppel, und ruht auf einem von den erwähnten Pilastern und Säulen gelieferten Architrav, dessen Uebergänge zur Kuppel mit skulpturellem Schmuck in weißem Marmor verkleidet sind. – Den Wänden entlang laufen niedere Purpur-Polster mit goldenen Füßchen. Auf ihnen in halbliegender Stellung Jünglinge und Mädchen in griechischen Kostümen, das lokige Haar mit Rosen oder Epheu bekränzt.
[5] In der Mitte der Szene, aber nach Vorn gerükt, eine längliche, von Rechts nach Links gestellte Prunktafel aus Zitrus-Holz mit Elsenbeinkanten und -Einlagen, deren hintere und Schmalseiten mit niederen Purpur-Polstern besetzt sind. – Es ist ein literarischer Abend. Nero mit seinen Freunden und Gästen nehmen die Tafel ein: er, lorbeerbekränzt, voll süßen Wolwollens, in der Mitte der hinteren Reihe präsidirend, in teils sizender, teils halbliegender Stellung ruhend. Alle in gräzisirendem Gewande, die Jünglinge mit Lorbeer, die Mädchen mit Rosen geschmükt. Nur Nero in ganz weißseidener Toga mit Gold verbrämt. Auf der Tafel goldene Becher und Schüßeln, Papierrollen. Stile, Basen, Blumen, Musikinstrumente. Das Ganze im Charakter eines heiteren Simposions.

NERO
jung fett, als abgelebter Dandy, mit uppiger, rötlich blonder Lokenperüke, im leichtfertigsten griechischen Habit, den Hals offen, glatt rasiert, die Schläfe goldbegränzt.
Na, bringst du's heraus?
LUKANUS
am rechten Ende der Tafel, auf einer Rolle schreibend, skandirend.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
und mit fall'nden Gemändern tritt sie vor die Richter.
Und schweigsam, nur mit dem Schmuk, den Natur ...
NERO
unwillig.

Ach! – ich hab' dir doch gesagt, du kanst mit Hexametern hier nichts machen! ... Laß doch den alten Homer schlafen! ... Nimm das bukolische Maas ...

ERSTES MÄDCHEN
erhebt sich am Tisch, mit schwärmerischer Begeisterung.

Heil Kypris! Der Schaumgeborenen! Der dem Meer Entstiegenen ... Laßt sie umschlingen! ... Laßt sie die Welle umkosen! ... Sie blikt die Herumsizenden mit liebeserfülten Bliken an.

NERO.

Nu fängt Die wieder an! ... Kind, ich sag' dir, wenn jetzt noch einmal den Mund auftust, übergebe ich dich, weiß' Juno! dem Gladjator zur Züchtigung! ...


Die Mädchen fahren alle, auch die auf den übrigen
Polstern, mit großem Geschrei auf ihn los, streken ihm die Hände ins Gesicht, lachen ihn aus.
[6]
ZWEITES MÄDCHEN
lachend.
Ach, sie ist ja noch so schmal! – der Bakulus hat ja noch keinen Plaz auf ihr! ... Gelächter.
ERSTES MÄDCHEN
widervart leistend.
Ueberhaupt! ...
NERO
drohend.

Mein leztes Wort! – Zu Lukanus. Wir können derartige feine Stoffe – wie soll ich sagen?: – nicht lüsterne, sondern in Lust getauchte, in Wonne und Heiterkeit lebende Stoffe, derartig heikle Materjen, sozusagen in durchsichtige Gewänder eingeschloßene Materjen, nicht mit diesem breiten, ermüdenden Versmaas mehr geben ... die Richter ermüden ja! ... ich hätte als Richter Phrynen auch nicht freigesprochen – wenn ich erst ellenlange, motivirende Hexameter hätte mitanhören müßen ...

ZWEITES MÄDCHEN.
Ich auch nicht.
ANDERE MÄDCHEN.
Ich auch nicht.
DRITTES MÄDCHEN
steht auf.
Ich auch nicht? Wer noch?
ALLE MÄDCHEN
stürzen wieder mit schreiendem Ungestüm auf Nero zu, halten ihm die in nakten Arme in's Gesicht, zerren an ihm und verhöhnen ihn.
Wir Alle nicht! Wir Alle nicht! ...
NERO
erhebt sich, zornig.
Wolt Ihr jetzt ruhig sein!! – Ich werf' euch dem Zerberus vor! ... Gelächter.
MONTANUS
am andern Ende der Tafel, troken.
Das muß mit ganz kurzen, knappen Ritmen gegeben werden.
NERO
den Gedanken aufnehmend, zu Lukanus.
Das muß mit ganz kurzen, knappen Ritmen gegeben werden.
ERSTES MÄDCHEN
springt auf, schwärmerisch.
Luna, die silberne,
am violettnen Himmelszelt
hebt langsam den Schleier,
breitet die Arme aus,
umarmend, umarmend –
Ihr Sterne! Ihr Sterne! ...
NERO
zu Lukanus, auf das Gehörte verweisend.
Ja! ... Drohend gegen das erste Mädchen.
[7]
LUKANUS
während das erste Mädchen in ihren fantastisch-trunkenmachenden Gesten fortfährt, verzweifelnd.

Ja, dann kann ich es nicht machen! ... ich kann nicht mit einem solch' komplizirten Stoff mich in ein neues Versmaas hineinarbeiten ...

NERO.

Gib 'mal her! – Was hast du denn geschrieben? – Lukanus reicht ihm die Rolle – liest. – – wär' ganz gut! – die Gedankenfolge ist ganz gut – nur dieses Prügelversmaas von Hexameter! ... es erschlägt Einen förmlich ... Mit einem plözlichen Entschluß. Also! – Zu Terpnus. kanst du ein paar Akorde einlegen? ...

TERPNUS
greift zur Harfe.
Heil Zäsar!
NERO.
Aber ich bemerke gleich: ich improvisire! – Wohlgemerkt! ich improvisire! –
ZWEITES MÄDCHEN.
Er improvisirt!
DRITTES MÄDCHEN.
Er improvisirt!
ALLE MÄDCHEN
fahren wieder mit wildem Ungestüm auf ihn los, figeliren ihm mit ihren weißen Fingern im Gesicht und am Naken herum, und höhnen.
Er improvisirt ... improvisirt! ...
NERO
wütend.
Wolt ihr jetzt ruhig sein? – Ich laß euch zu den Okeaniden in's Waßer schmeißen! ...
ERSTES MÄDCHEN
schmachtend.
Ach, die Okeaniden! ...
ZWEITES MÄDCHEN
ebenso.
Ach, die hübschen Okeaniden! ...
DRITTES MÄDCHEN
ebenso.
Ach, dann umklagen wir den schönen Prometeus ...
ALLE MÄDCHEN
klagend.
Den schönen Prometeus! ... Es will sich wieder ein Sturm erheben.
NERO
wütend, aufspringend.
Silentium! – –
TERPNUS
schlägt ein paar Akorde an.
NERO
der sich wieder gesezt, sich sammelnd.

... ich laße also den Eingang weg, und beginne, wo Hy perides seine Verteidigung geendet, und die Richter, wie es scheint, unbewegt, in düsterem Schweigen verharren ... nur um die Stimmung anzudeuten, die über dieser ganzen, fast keuschen Szene liegt ... Er gestikulirt mit der rechten Hand. [8] nur und mit einem schmeichelnden, anschmiegenden Versmaas dieser ganzen zauberhaften Situazjon gerecht zu werden: – Auf den hintern Polstern erheben sich Einige, Andere lauschen in halb-liegend-aufgereckter Stellung.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

und unberührt, in eisigem Schweigen,

verharren die Richter.


Er gibt Terpnus ein Zeichen; Terpnus fält ein.

Doch plözlich, wie von Minervas Lanze
berührt, in schreklicher Angst Hyperides
löst ihr den Schleier, entknüpft ihr das Haar,
löst die Gewänder, entnestelt die Spangen;
des Busens quellende Fülle, die Arme,
blinken sich los, es blitzt und es schimmert,
niederrauschet das Flik- und das Tüll-Werk,
niederfallen Chiton und der Gürtel,
und entschleiert, ein lachender Frühling,
keusch, wie Selene, schamgegürtet,
steht sie – Phryne? steht die Geklagte? –
nein!: steht Aphrodite, die Göttin,
meerentstiegen, schaumumbrandet,
steht sie selbst, die Kypirische, leuchtend,
um zu zeugen vor strengem Gerichte,
daß im Leibe, im Schönheit erbauten,
– welchen die Götter den Menschen verliehen –
wohne das Arge nicht, wohne das Gute,
wohne die Lust und die Freude, die Schönheit
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Nachläßiger fortfahrend.

Und die Richter, erschroken, begeisert,
gleich, als hätte der Gott sie im Busen
selbst gerührt, verneinen die Frage
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Er war während des Vortrages aufgesprungen, und sezt sich jezt mit Vehagen nieder. Ein Beifallssturm umtost ihn, nachdem Terpnus mit einigen kräftigen Akorden geendet. Man ergreift die Becher, wirft ihm die Kränze hin, stoßt mit ihm an, ruft.

[9]
»Heil Zäsar! Heil! dem Sänger! Heil, dem Asklepiadeïschen! ...«, umringt und umschmeichelt ihn ...
ERSTES MÄDCHEN
in trunkener Stimmung, schwärmerisch, springt auf, wiederholt einen Passus.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Und entschleiert – ein lachender Frühling –
Keusch, wie Selene – schamgegürtet –
steht sie – Phryne? – steht die Geklagte? –
Nein! steht Aphrodite, die Göttin,
meerentstiegen – schaumumbrandet –
steht sie selbst, die Kyprische, leuchtend ...

Ein neuer Beisfallssturm erhebt sich, in den das erste Mädchen miteinbezogen wird. Alles umschlingt und umarmt sich, man trinkt sich zu, sezt sich die Kränze auf's Haupt und ruft.

»Heil! Heil dem Sänger! Heil dem Götlichen! Heil Apollo! ...«
NERO
mit wolwollender Bescheidenheit zu Lukanus.

So ungefähr – meine ich – könte man den Vorwurf behandeln – ohne irgend Etwas vorschreiben zu wollen – ohne mich auf ein bestimtes Versmaas kapriziren zu wollen – sei es nun das Bukolische, sei es das Asklepiadeïsche – nur den Hexameter – meine ich – könte man vielleicht – gerade in diesem Fall – umgehen – oder ihn doch nicht für die entscheidende, mit dem ganzen Entusiasmus einer himmelentstiegenen, Kraft-erfülten Szene in Anwendung bringen wollen ... Akte, ein junges Mädchen, lange, schlanke Figur, ganz in Weiß, mit schwarzen Haaren, ist während der letzten Rede im Hintergrund von Rechts aufgetreten, und lehnt traurig und verkümmert an der rechten Säule des Eingangs. – Man hat sie beobachtet, Alles schaut auf sie hin, und es wird plözlich ganz still. ... – Was ist? – Was gibt's? – Sich umwendend, Akte gewahrend. Akte! – mein Mäuschen, – komm! was fehlt Dir? – Akte kommt mit den Allüren einer der Furcht noch nicht ganz entratenen, ehemaligen Sklavin, die rechte Hand an die Wange gelegt, langsam näher, sezt sich von rückwärts auf das Polster links neben Nero, an den sie sich vertraulich anschmiegt. – Ja, das ist mit diesen Kindern! ... [10] hat die Liebe erst ihr Herz berührt, dann flattern sie freudig, wie Schmetterlinge, gegen die Sonne, – und hat sie die Liebe verlaßen, dann laßen sie die Flügel hängen, und der Flug wird matt und träg, wie in der Dämmerung ... Zu Akte. sei fröhlich, komm', wende dich, sieh her: bekränzte Knaben, bekränzte Gespielinnen ... Vertraulicher. – nicht immer bleiben Herzen beisammen, – man tauscht, man verändert sich ... du Närrchen! ...

AKTE
besint sich einen Moment, dann fält sie plözlich Nero zu Füßen, mit warmer Hingebung.

Zäsar, du hast mich mit Kleidern und Kostbarkeiten beschenkt, hast mir ein Landhaus und Sklaven zur Verfügung gestelt, hast mich, die Sklavin, zu dir erhoben, mich deiner Liebe gewürdigt ... du hast mir nie einen Wunsch abgeschlagen! ...

NERO
gerührt.
Nein, mein Herzchen! – sag', womit kann ich dir dienen? – womit kann ich dich erfreuen? ...
AKTE
bestimter.

Hemme die Strafen! – Laß der Qualen genug sein!: Plözlich mit aufschreiendem Schmerz hinausdeutend.draußen bren nen lebende Menschen auf hohen Standarten – das bläuliche Talg fließt von ihren Gliedern – und unten stehen ihre Brüder und Schwestern – um die verkohlten Teile zu sammeln – und deine Wächter jagen sie fort – wie man die Geier vom Aase jagt ... Sie bricht in wimmerndes Schluchzen aus.

NERO
harmlos.

Ja, sind denn Die noch nicht fertig? – Zu Akte. Aber, Kind, was geht denn das dich an? Bist du denn eine Christjana?Akte verneint heftig kopfschüttelnd.Zu den Tischgenossen. diese Sklavenart läßt halt nicht von ihresgleichen ... Er erhebt sich; Alle stehen auf; die Stimmung ist plözlich umgeschlagen; auch Akte hat sich erhoben und geht schluchzend zur Seite. – Ruft nach hinten. – He da! Zenturjo! – Zenturjo tritt ein. – Ist denn die Illuminazjon nicht zu Ende? –

[11]
ZENTURJO.

Die Fakeln solten unterhalten werden bis nach Schluß des kaiserlichen Banketts, – damit die Herrschaften nach Hause finden.

NERO.
Ja, es wird aber doch schon bald Tag! – Zieh' 'mal auf!

Zenturjo geht nach hinten und zieht den zweiteiligen Vorhang vor dem Triumfbogen zur Seite; man gewint Aussicht auf die kaiserlichen Gärten und erblickt in der Ferne zwei perspektivisch sich nach hinten ziehende Reihen von Feuergarben, die auf hohen, dunklen Traggerüsten mit lautem Flakern, brennen, und zum Teil im Erlöschen begriffen sind. – Akte bricht in krampfhaftes, lautes Weinen aus und läuft nach hinten, wo sie an der Säule links angelehnt, nach hinten gewant, stehen bleibt. – Aller bemächtigt sich eine tief-niederggeschlagene Stimmung. – Man geht auseinander.
NERO
zu Terpnus, beiseite.
Bring' das Mädel nach Haus! ... sehr unangenehm! ... Zum Abgehenden. Sei nett mit ihr! ...

Terpnus geht nach hinten, spricht freundlich mit Akte und geleitet sie fort. Beide links ab. – Inzwischen hat Nero mit dem Zenturjo gesprochen, gibt ihm ein Zeichen. Zenturjo geht nach hinten, schließt den Vorhang vor dem Triumfbogen. Es herrscht eine peinliche Stimmung. Nero geht mit ärgerlicher Miene, die Hände auf dem Rüken, quer über der Szene, von Rechts nach Links, auf und ab,
ohne sich um die Andern zu kümmern. Die Genossen des Gelages stehen mit gesenkten Köpfen herum, bliken sich zuweilen an: die Stimmung ist weg. Man wendet sich langsam, Eines nach dem Andern, verlegen nach hinten, und trent sich nachverschiedenen Seiten, kühl, in gedrükter Stimmung. Alle außer Nero ab.
2. Szene
Zweite Szene.
Nero; Seneka; später Burrus und Tigellinus.
Nero geht allein, tiefsinnig, die Hände auf dem Rücken, auf und ab. Aus seinen gelegentlichen Gestikulazjonen sieht man, daß er stark innerlich bewegt ist. Er scheint freudig [12] das Verlebte nachzuempfinden. Geht auch zum Tisch, liest, nachläßig hingelegt, eine der dortliegenden Rollen mit vielem Behangen nochmals durch und begleitet diesen stillen Genuß mit gelegentlichen Kopf-Niken, Kopf-Schütteln und gestikulatorischen Zeichen, die alle starkes künstlerisches Empfinden ausdrüken.

SENEKA
alter, verwitterter Filosofenkopf, im grauen Vollbart, vom Zenturjo hereinbegleitet, tritt von Rechts ein, mürrisch besorgt.
Heil, Zäsar!
NERO
auffahrend, freundlich.
Ah, du bist es, Seneka! – Schön! – Was bringst du Neues?
SENEKA
langsam, mürrisch.
Schweres, dumpfes Wetter liegt über ganz Rom.
NERO.
Ueber ganz Rom? – Nun?
SENEKA
sucht.
... Schwer, – bei diesem Wetter seine Gedanken zusammenzufaßen ...
NERO.
Hast wieder einen Traktat? ... de clementia – oder sonst? –
SENEKA.
... Ach, – die Schriftstellerei! – undankbares Geschäft ...
NERO
entschieden.

Na, was hast du denn? – heraus!Auf den Tisch zeigend. ich habe hier Maßen zu korrigieren! – Du hast etwas! – Also los! –

SENEKA
will nicht mit der Sprache heraus, trokst.

Zäsar, ich werde alt – Fährt sich über den Kopf. die Gedanken wollen mir nicht mehr recht Stand halten – bin müd'! – du hast mich mit Gunstbezeugungen überhäuft – ich passe für das moderne Leben nicht mehr – die Verantwortung ...

NERO
kek.

Geht das wieder auf ein Demißjons-Gesuch hinaus? – dann mach' die Sache kurz! – Ärgerlich. beim Herkules! ich bin doch wahrhaftig nicht dazu da, um jeden Tag vor meinen Ministern auf den Knieen zu liegen und sie um der heiligen Roma willen zum Bleiben zu bewegen? – Seneka macht eine [13] feierlich-sich-verwahrende Bewegung. – Alles hab' ich dir bewilligt! Alles zugestanden! Die drükendsten Forderungen erfüllt, nur um deine kostbare Anwesenheit mir zu erhalten ...Seneka lehnt das Alles weit von sich ab. – und jetzt immer noch nicht genug? – komst jetzt mitten in der Nacht! – zu meiner besten Zeit! – und störst mich, – und ärgerst mich! ... Was soll ich noch tun? – Ärgerlich. ich kann den Staat nicht in eine stoïsche Gelehrtenrepublik verwandeln! ... Seneka erscheint schwer getroffen. – Meinst du denn, daß wir unser Leben in Aerger und Kummer verbringen wollen? – Das Volk will Freude, will Lustbarkeit! – – – Holt eine der Papierrollen vom Tisch. da lies! Das neue Gedicht von Vatinius – man singt es in allen Gassen! – es ist – es ist gar nicht von ihm! – es ist nach einem alten Gaßenhauer von Vatinius zurechtgezimmert – aber nach Strofen, die direkt im Volk umhergehen – wie das schnalzt! wie das schreitet! – 'n Bischen pöpelhaft, 'n Bischen lasziv, wie die Leute ohne das nicht auskommen – aber das Ganze voll Behangen, voller Lebenslust ... Schmunzelnd, sich entschuldigend. zum Beispiel: die Wendung, wo der Kaiser als Vater des Vaterlandes auch in dem höheren, erhabenen Sinne aufgefaßt wird, daß er der Vater der meisten unehelichen Kinder sei ... na ja, beim Zeus! es ist 'n Bischen kräftig – – und dann die zierliche Wendung: es möchten die künftigen Kinder Rom's sich beeilen, den Kaiser sich als Vater auszusuchen ... aber das Ganze! – die Stimmung, die über dem Ganzen liegt Gibt ihm die Rolle; Seneka prüft nur oberflächlich. – das ist der Ausdruk des Volkes! – das ist direkt der Ausdruk der Volksseele! – das Volk will genießen, es will sich freuen, – es versteht Nichts von eurer Selbstmord-Filosofie ... Seneka wendet sich finster ab.Ärgerlich. es ist ja wirklich wahr! – – Plözlich zu einem andern Gedanken übergehend. das Volk liebt mich! – [14] das Volk hängt an mir, – ich weiß das! ich fühl' das ... das sieht man ja doch, wenn man durch die Straßen geht, was künstlicher Entusjasmus ist, was herzliche, aufrichtige Zustimmung ist ... erinnere dich an das rote Gesicht von dem Fleischer Galba gestern – das glühte ja wie Wassermelone – und wie der jauchzte und mit den Blutwursthänden aplaudirte! ... ja, das sieht man gleich, das ist herzliche Zustimmung – so 'was können unsere Klakörs nicht machen ... Zornig. Wolt ihr mir das Volk abspenstig machen? ... Seneka verwahrt sich hoch und heilig. – Na ja, – also um was handelt es sich? –

SENEKA
zögernd, finster.

Die Massenhinrichtungen der Christjani – im Zirkus – und in deinen Gärten – haben böses Blut allenthalben gemacht! –

NERO
orjentirt.

Ja – ja ja – ich dacht' mir's doch! –Ernst. das war ganz unvermeidlich! – das war durchaus notwendig! – das war der Ausfluß einer wolüberlegten, tiefdurchdachten Regierungspolitik ... das nehm' ich auf mich! –

SENEKA
wie oben, zögernd.
Der Geruch des verbranten Menschenfleisches liegt wie eine Gewitterwolke über der ganzen Stadt!
NERO
sehr entschieden, hinüberdeutend.

Wenn Die in ihren transtiberinischen Bezirken nur nichts Schlimmeres gerochen haben als Menschenfleisch! ... Nach der andern Seite deutend. und wenn nur die Herren Aristokraten auf ihren Besizungen endlich ihre pestilenzialischen Sümpfe austroknen wolten, statt mir bei meinen Straßenbauten, und bei meinen Versuchen, das Meer zu gewinnen, bei jeder Gelegenheit den Weg zu verlegen – dann wollte ich ihnen gern die Christjani bei lebendigem Leibe überlaßen! ... Soll ich vielleicht noch verantwortlich sein, daß der Ostwind nicht eingefallen ist? ...

[15]
SENEKA
wie oben.

Schon die Hinrichtung der vierhundert Sklaven im vorigen Jahr bei Ermordung des Pedanius hat tiefe Verstimmung hervorgerufen! ...

NERO.

Ja, das ist aber die Vorschrift des Gesezes! – das Gesez verlangt, daß bei Ermordung eines freien Bürgers seine sämtlichen Sklaven für den einen Uebeltäter aufkommen.

SENEKA.
Du kontest die Strafe mildern. Man erwartete es, das Volk selbst wolte die Begnadigung ...
NERO.
Soll ich als der höchste Richter im Lande das Beispiel einer Gesezesverlezung geben?
SENEKA
nach einer Pause.
Und daß du diesmal gerade die Juden geschont ...
NERO.

Die Juden? – Die Juden sind mir die verläßigsten Staatsbürger. Sie sind willig, erfahren, geschikt, zu Allem brauchbar, laßen sich überall verwenden, rufen unsere Götter an, opfern unsern Göttern, schiken sich in die Verhältniße, sind fleißig, streben nirgends über ihren Stand hinaus – während diese Christjani mit ihrem unheimlichen Blik, ihrem anmaasenden Dünkel, ihren magischen Zusammenkünften in den finstern Löchern unter der Erde, ein subversives, umstürzendes Element bilden – einen Staat im Staate – die stets bereiten Truppen einer revolutzjonären Bewegung! – Diese Leute müßen ausgerottet werden – stinkt es dabei, um so schlimmer! ... Burrus, dunkelbärtig, großgewachsen, mit zwei Bewafneten tritt ein. Ah, da ist Burrus! – Burrus winkt die Bewafneten ab.Zu Burrus. Sieh' mal!: ich soll hier Rede stehen, daß ich diese Geheimbündler, diese Christjani, für die ungeheuren Laster und Verbrechen, die sie angehäuft haben, endlich zur Rechenschaft gezogen habe ... Seneka verwahrt sich gegen diese Wendung.

BURRUS
troken.

Diese Hinrichtung war notwendig! – Das Volk verlangte sie! – Es hat überall den besten Eindruck gemacht. – Man atmet wieder auf[16] und fühlt sich von einer schweren, verhängnisvollen Last befreit.

SENEKA
scheint seinen Standpunkt preiszugeben.

Herr! Erlaube, daß ich mich entferne ... noch heute ist Senatssizung, wo ... wichtige Beratungen ... meine Anwesenheit ...

NERO
der die Wendung versteht.
Reise glücklich! – Und meinen Gruß den Herrn! ...

Seneka ab.
NERO
der einigemal heftig auf- und abgegangen.

Ah, diese Stoïker! – diese Weltfilosofen mit ihrer Verbrüderung und Menschenliebe ... ich möchte einen dieser Weisheitskrämer nur einmal einen Tag an meinem Plaze sehen ... das Unglück ist ...

BURRUS
ergänzend.

... er hat nur zu viel Anhänger im Volke! ... die Leute glauben wahrhaftig, diese Gelehrten, die gelegentlich über die Götter schreiben, hätten die Gottheiten selbst in ihrem Sak ...

NERO
schimpfend.

Er ist ein Ateïst, wie die andern Alle ... und tut schön ... und opfert ... um das Volk glauben zu machen ...

BURRUS
ironisch.

Das Schönste ist: tust du etwas Gutes, übst du Milde, begnadigst du, dann heißt es: er folgt Seneka's Spuren; seht den treflichen Lehrer und seine Prinzen-Erziehung! ... Tust du Etwas, was dem Volk misfält, dann murren sie, laufen zu Seneka und schimpfen über dich! ...

NERO
wütend.
Er soll mir an's Meßer!
BURRUS
erschroken, begütigend.

So weit wird es wol nicht kommen! – Er ist alt und – vor ehrgeizigen Plänen sicher; auch behagt ihm sein Einsiedlerleben auf seinem suburbanichen Landsiz unter seinen Büchern besser, als die politischen Veleïtäten an einem so stürmischen Hof ...

NERO
wie oben.

Er hat es nicht überwinden können, daß ich mich von seiner Staatskunst emanzi pirt [17] habe ... daß ich ihm über bin! ... Jetzt kramt er mir diese Christensekte aus ... er, der an keine Unterwelt noch an eine Götterwelt glaubt! ... der die magischen und augurischen Künste verachtet ... dessen Intelekt sein einziger Gott ist ...

BURRUS
nikt halb zustimmend, läßt ihm Zeit, sich auszugeben; – dann plözlich die Sprache wechselnd.

Das heißt: die Massenmezelungen der Christjani – in diesem Umfang – haben im Volk Nero nimmt gereizt Stellung.Einlenkend. wenngleich der politische Schachzug als solcher berechtigt erscheinen mag – Betonend. haben im Volk Verwunderung und Unwillen erzeugt!

NERO
mit seinem Unwillen kämpfend.
Was, du auch?! – Hast du nicht selbst den Schritt gutgeheißen?
BURRUS.

... als politische Maasregel gutgeheißen!Sehr bestimmt, wenn auch vorsichtig. da das Volk den Anstifter jenes fürchterlichen Brandes, der zwei Drittel Rom's in Asche legte, im kaiser lichen Palast vermutete, so mußte Etwas geschehen, um seinen Gedanken eine andere Richtung zu geben ... Nero steht betroffen, blikt Burrus direkt an. – aber in dieser Ausdehnung! –Mit großer Geste nach hinten weisend. – zwei Miljen weit leuchtend die Fakeln bis nach Kampajen – als wenn wir die Saturnaljen-Feuer angezündet hätten! – und wenn man dann frägt: was da brent? – und hört: lebende Menschen! – Christjani! – dann erfaßt troz des Haßes, der an diesem Namen haftet, die Leute ein Grausen ... die Feuer- Garben rufen ihnen den ersten großen Brand der Stadt in die Erinnerung – und, wie das geht, fragen sie jezt wieder nach einem Brandstifter! ...

NERO
wankt zurück – nach einer Pause.
Hast du nicht eben vor Seneka die Maasregel als eine heilsame, notwendige bezeichnet?
BURRUS.

Herr, ich konte es nicht über mich gewinnen, die Posizjon eines Mannes in deiner Gegenwart [18] zu stärken, der deine Gnade verloren hatte, und dessen Abtreten vom Schauplaz nur eine Frage der Zeit ist ... so wenig ich vermocht hätte, vor ihm die neuesten Vorgänge im Senat Weist auf eine Rolle, die er in der Hand hat. zu erörtern Mit gemachter Betonung. die dein Ansehen zu schmälern geeignet sind und einer dringenden Abhülfe bedür fen ...

NERO
betroffen, aber ruhig.
Um was handelt es sich?
BURRUS
entfaltet die Rolle.

... äh ... Anti stius – du kenst ihn! – ein frecher Patron – der schon damals, vor fünf Jahren, als die Klaköre der Schauspieler im Gefängnis lagen, in seiner Eigenschaft als Tribun deren widerrechtliche Freigebung befahl ... ein Mensch, der sich auf sein Dichter-Talent Unmäßiges einbildet – und dabei seine Amtspflichten versäumt – hat in einem pöpelmäßig gemeinen Libell »das Leben eines Zäsar« dich – du kannst dir denken wie? – verherrlicht, – Leiser. deine geheimsten Beziehungen an den Pranger gestelt – und das Ganze im Kreis tafelnder Freunde – meist Prätoren und liederliche Juristen – unter Hohngelächter vorgetragen. – Er wurde denunzirt, und die Sache kam an den Senat. – Die Angelegenheit war nun soweit ganz glatt: einschlägig war der Paragraf des Zwölf-Tafel-Gesezes »si quis occentavisset sive carmen condidisset ...« 1 und die Strafe war: bei eingezwängtem Hals und entblößtem Leib zu Tode gepeitscht zu werden. – Nun erhob sich unter den Reihen der Senatoren ein Sturm der Entrüstung: Zäsar werde doch nicht dieses veraltete Gesez gegen einen so armseligen Dilettanten zur Anwendung bringen, – gerade Zäsar, der kaiserliche Sänger und Bruder Apoll's, werde einen so armseligen Kläffer, [19] der in Trochäen kakt, mit Verachtung von sich stoßen, und niemals gutheißen, eine so maaslose Strafe zur Anwendung zu bringen, und damit etwa dem Verbrecher noch eine dichterische Bedeutung zu vindiziren ...

NERO
innerlich erregt, aber gelassen.

... hätten einfach die Strafe nach dem Gesez aussprechen sollen, und dann zusehen, was meine Milde beschließt ...

BURRUS
lebhaft.

Das sagte ich auch! – aber Thrasea – du kennst ihn – einer der Wütendsten der stoïschen Schule, der natürlich die Gelegenheit gekommen glaubte, seine Menschheits-Ideale leuchten zu laßen, meinte: du würdest es übel nehmen, in deinem Namen, oder in deinem Betreff wegen eines Schmähgedichts die Totesstrafe auszusprechen ... ein so gütiger Kaiser! ...

NERO
unangenehm berührt.
Ach! ... Auf die Rolle weisend, neugierig. – in welchem Versmaas ist es? –
BURRUS
mit Geste.

Gütiger Apollo! – es sind Hexameter: man glaubt einen Mezgerkarren die Appische Straße herunterkollern zu hören ... kaum wert, dir für die nächste halbe Stunde dein feines Gehör für Silbenmaas zu verderben ...

NERO
harmlos.
Nun, und der Inhalt?
BURRUS.
Oh, schamlose Lügen und Wiedergabe des gemeinsten Stadtklatsches! ...
NERO
fordert ihn mit einer Handbewegung zum Lesen auf.
Na, – laß' 'mal los!
BURRUS
zögert, wirft zu Beginn noch einen flüchtigen Blick auf die Schrift, und gibt dieselbe dann sofort dem Kaiser.

... Es beginnt mit deiner Jugend – spricht von den rohen, trunksüchtigen Anlagen deines Vaters, von der Lasterhaftigkeit deiner Mutter – und erzählt von den ungünstigen Vorzeichen, die bei deiner Geburt gewaltet haben, – es meint, daß es schon zu Beginn ein Beweis von der Unverbesserlichkeit deiner schlimmen Eigenschaften gewesen sei, daß [20] selbst eine so sorgfältige Erziehung, wie die Seneka's, nichts über dich vermocht hätte, – Erregter. es sagt, daß du den Britannikus vergiftet, um den rechtmäßigen Tronerben aus dem Wege zu räumen, und der Lokusta, der Giftmischerin, Straflosigkeit für ihre übrigen Schandtaten für den Fall des Gelingens zugesichert habest, – daß du den Tanzlehrer Paris aus Zorn über deine eigene Ungeschiklichkeit im Tanzen habest zu Tode quälen laßen – daß du als Roßkutscher verkleidet dich Nachts in Kneipen und Vordellen herumtriebest, um mit den Leuten Händel anzufangen, oder an Frauen, die in Begleitung ihrer Ehemänner seien, unzüchtige Anträge zu stellen, – daß Julius Montanus, ein Mitglied des Senats, der bei solcher Gelegenheit sich gegen dich gewehrt, sich habe die Adern öffnen müssen, um nicht eines Majestäts-Verbrechens angeklagt zu werden – Er spricht sich immer mehr in Patos und gestikulirt gegen Nero so, daß das Referat über das Schmähgedicht allmählich den Charakter einer fulminanten Anklage annimt.daß du deine Mutter ermordet, nachdem es dir zweimal mißglükt, durch eigens herbeigeführte Umstände sie das einemal erschlagen, das anderemal auf dem Meer Schiffbruch leiden zu lassen – daß du dann Dank- und Freudenfeste habest abhalten lassen, darüber, daß es dir geglükt, den angeblichen Anschlägen deiner gemordeten Mutter auf dein kostbares Leben zu entgehen, – daß du dir die Köpfe der Legaten Sulla und Paulus aus Gallien und Asien habest holen lassen, nur weil der eine den Namen eines berühmten Revolutionärs getragen, der andere durch seine glänzenden Siege sich dir verdächtig gemacht, – daß du bei den obszönen Festen am Agrippi nischen See die senatorischen Frauen genötigt habest, sich deinen Sklaven und Freigelassenen preiszugeben, nur um deine fixe Idee von griechischer Sinnenlust und freier Liebe zu verwirklichen, – daß [21] du wie ein Kitaröde und Bäkelsänger ganz Griechenland durchzogen, und diese doch von Rom abhängige Provinz, ihre Bürgerschaften und Munizipalitäten gepreßt habest, dir für deine Stümpereien auf der Harfe und deine gaumige Altstimme Siegeskränze – ich weiß nicht: ich glaube in der Höhe von 1800, zu verleihen, womit du dann einen Triumf in Rom abgehalten, – daß du den alten und verdienten Finanzminister Pallas in den Tod getrieben, nur weil er ein Freund deiner Mutter gewesen, und um sein unermeßliches Vermögen einzuheimsen, – daß du Italien und die Provinzen durch willkürliche, unerhörte Steuerauflagen schröpfest und das Land dem Verderben entgegenführest, – Steigert sich neuerdings, mit großer, innerer Teilnahme. daß du die liebenswürdige, 20-jährige Kaiserin, den Abgott des römischen Volkes, erst habest des Ehebruches bezichtigen laßen, dann der Verbanten heimlich die Adern öffnen, und sie endlich im heißen Bade habest erstiken laßen, nur um die abgefeimte Buhlerin Pop päa Sabina ehlichen zu können ... Burrus atemlos.

NERO
der nach den ersten Worten entsezt zurückgewichen, und dann vor dem Anprall sozusagen zusammengebrochen, mit fast tonloser Stimme.
Ist es das? –
BURRUS
vergißt sich, kollert vollends seinen Aerger heraus.

Dann der Brand! – Er weist nach hinten. – der Brand! – das Feuer! – das Feuer! – wenn man Menschen hinrichten wolle, könne man sie erdroßeln, oder zum Tarpejschen Felsen hinabstürzen – aber verbrennen! – lebendig verbrennen – aus Illuminazjonsgründen – als Feuerwerkskörper – das prözelnde Menschenfleisch! – das Geschrei nach Jesus! – der Geruch! ...

NERO
wendet sich ab, verhült das Haupt und begint leise zu weinen; nach längerer Pause, wehrt ihm abgewendet mit der Hand.
Es ist gut!
BURRUS
komt zu sich, mit versteltem Patos seine Rolle zu Ende führend.

... Einer solchen furchtbaren Schmähung gegenüber [22] ziemte es einzig dem Senat, die volle Strenge des Gesezes walten zu laßen. Ein Verhaftsbefehl gegen Antistius ...

NERO
abgewendet, winkt ihm zu schweigen.

Es ist gut! – Da Burrus verhart. – Es ist gut! Wir werden in dieser Sache unsere Entschlüße dem Senat wißen laßen! – Burrus zögert, verbeugt sich, dann nach rechts ab.Nach einer Pause sich umkehrend, in voller Faßung, mit wilder Gewalt nach Hinten schreitend, mit gebalter Faust. Ha, Kanalie! ... ist das die Art, wie Ihr mir komt!? ...

TIGELLINUS
eilig, von links auftretend, in der Rüstung eines Unterpräfekten.
Was ist? – Was ist?
NERO
mit wilder Entschloßenheit.

Ich will Plaz – ich will Raum haben! – ich muß wehren können. – Fort mit diesen schlangenhaften Kreaturen! – Noch immer nach Hinten drohend. diese Senatoren sollen sich nicht zwischen mich und das Volk stellen! – ich will selbst zum Volk, mich direkt an das Volk wenden ... Zu Tigellinus. Eile in den Senat, dem Burrus die Entsezung von dem Komando der Prätorjaner anzukünden! – Laß das Volk wißen, daß ich große Zirkusspiele und Pantomimen für die nächsten Tage angesetzt habe ...

TIGELLINUS.
Die Getreideschiffe aus Aegipten sind angekommen!
NERO.

Verteile sämtliches Getreide gratis an das Volk. – Sag' ihm, daß mein Herz ihm freudig entgegenschlägt – daß ich nur ruhig bin, wenn ich mein geliebtes römisches Volk glüklich weiß! ... Du übernimst von heute an das Komando der Prätorjaner-Kohorten. Jedem der Prätorjäner zahle sofort 4000 Sesterzien aus – sage ihnen: als Ausdruck meiner kaiserlichen Fürsorge für sie und aus Freude über [23] deine Ernennung ... Kündige dem Volk große Tierhazen und Wettrennen an: ich selbst werde den Rennwagen besteigen und um die Gunst und den Beifall meines geliebten Volkes kämpfen ... Eile, eile! Tigellinus nach Links ab.Nach Rechts sich wendend, nochmals die Faust ballend. Ha, Kanalje!! ...


Der Vorhang fält.

2. Akt

[24] Zweiter Aufzug.

Erster, zweiter Christjanus; erste, zweite, dritte Christjana; erster, zweiter, dritter Leichenträger; erster zweiter Bote; Euelpius; ein Mädchen; Christjani, Christjanä; Leichen- und Fakel-Träger; Werkleute.
Es ist der nächste Morgen.
Die Szene stelt einen Abschnitt der Kalixtus-Katakomben bei Rom dar. Es herscht fast Nacht. Als Rückwand zu dem schmalen, nicht die ganze Bühnenbreite einnehmenden, und nur wenige Meter tiefen, aus dem Erdreich ausgehobenen, roh gewölbten Raum – der eigentlichen Szene – erblikt man einen mächtigen, fast die ganze Breite einnehmenden Erd-Pfeiler in roher Behauung, aus denen teils gewölbte, teils vierekige Nischen, groß genug, je eine Leiche aufzunehmen, ausgehoben sind. Die Nischen erscheinen teils mit Ziegelplatten verschloßen, teils sind leer, einige bergen eine in ein straffes Gewand gehülte, die Arme über der Brust gekreuzte, Leiche. Aehnliche Pfeiler begrenzen die Szene rechts und links. Da wo im Hintergrunde rechts und links die Pfeiler zusammenstoßen, läuft beiderseits je ein schmaler, finsterer Stollen geradeaus nach hinten und ein anderer rechtwinklig nach außen; derart, daß die eigentliche Eke von
einem dritten Pfeiler eingenommen wird, von dem jedoch nur die vordere Kante sichtbar ist. Der von der rechten Eke nach hinten auslaufende Stollen ist als zur Erd-Oberfläche führend zu denken. Von dort bricht gelegentlich, beim Hereinbringen der Leichen, schwacher Tagesschimmer herein. Die Wände, und die die Begräbnisnischen dekenden Ziegelplatten sind mit den Ideengehalt der frühchristlichen Kirche illustrirenden simbolischen Zeichen in harter, strenger Ausführung – teils in alfresco gemalt, teils skulpirt – bedekt: Fisch, Taube mit Oelzweig, [25] Delfin, Anker, Palmbaum, Kreuz, das sog. Zeichen Christi u.a. 2 In kleinen Nischen und auf Vorsprüngen stehen einzelne, kleine, nachengestaltige brennende Ton-Lampen, die ein gelbes, trübes Licht verbreiten. – Mitten auf der Szene befindet sich, in seiner Längsrichtung von rechts nach links laufend, ein mächtiger, als quadratischer Blok dem Boden entsteigender Sarkofag, ebenfalls mit Skulpturen geschmükt, der als Tischplatte für die Agapen (Liebesmale) der sich hier geheim Versammelnden dient. Auf ihm stehen größere und kleinere Schüßeln mit Holzlöffeln. Die hintere Längsseite und die beiden Schmalseiten dieses »Tisches« sind mit niederen, dunkelgefärbten, kleinen Hoker-Sizen bestelt.
Das ganze Folgende ist ein großes Geflüster.
Die Mädchen in der einfachen römischen Frauen-tunica, ohne besondere Fältelung, und ohne Falbel oder Schleppe, aber mit Aermeln, und in vorwiegend ganz lichten Farben, kommen einzeln herein, jede die kleine gelb-brennende Katakomben-Lampe in der Hand. Sie gehen langsam, gemeßen, steif: sehen sich vorsichtig um; orjentiren sich; stellen die Lampe auf den Sarkofag in der Mitte, oder in eine Gräbernische, gehen, sobald mehrere sich versammelt, auf sich zu, begrüßen sich mit einer gewißen Freudigkeit, umarmen sich, küßen sich und sagen »Jesus Christus«. 3 Sie verlieren sich dann in den Katakombengängen, wo man sie mit dem Schmüken noch offen daliegender Leichen, mit dem Anbringen kleiner Gegenstände, Ringen, Ohrgehängen, aromatischen Büchsen u. dgl., wol auch mit dem Verschließen der Nischen, mit den Eingraben von Zeichen und Simbolen, beschäftigt sieht. Sie kommen aus den Gängen zurük, beladen sich bei dem großen Sarkofag mit neuen Schmukgegenständen, verlieren sich in andern Gängen, gehen hin und her. Neu Eintretende werden Alle in der förmlichen, herzlichen Weise mit Kuß und Umarmung im Flüsterton begrüßt.
Allmälich kommen die ersten Leichen, halb verbrant, notdürftig in Linien gewikelt, frisch von
den Pfählen genommen. – Alles bricht in krampfhaftes Schluchzen aus. – Ein oder zwei Fakelträger kommen voraus (aus dem rechten, hinteren Stollen), dann zwei Träger mit der Leiche auf den Schultern, die auf den Boden gelegt wird, um agnoszirt zu werden. Alles läuft mit den kleinen Lampen zusammen.

[26]
ERSTER CHRISTJANUS.
Es ist Priszilla!
ALLE UEBRIGEN.
Priszilla!

Alle brechen in lautes Schluchzen aus. Eine der Anwesenden (erste Christjana) verfält in laut-jammerndes Klagen mit lautem, krampfhaftem Hinausschreien. Man nimt sich ihrer an, geleitet sie zum großen Sarkofag in der Mitte, wo sie sich auf einen der Seßel niederläßt, den Kopf in die Arme vergräbt und weiterwimmert.
ERSTER LEICHENTRÄGER.

Sie wurde von ihrem Vater weggerißen. Dann warf sie sich dem Zen turjo in den Weg. Als man sie losmachen wolte, wurde sie mit der Manipel handgemein. So wurde sie mitgenommen.

ZWEITE CHRISTJANA.
Wurde sie gebunden?
ERSTER LEICHENTRÄGER.
Sie wurde gepfählt wie die Uebrigen.
ERSTE CHRISTJANA
stürzt auf.

Laßt mich sie sehen! Laßt mich sie umarmen, sie küßen! Sie drängt sich in den Kreis; wird aber von den Mädchen gewaltsam zu ihrem Plaz zurükgeführt.

DRITTE CHRISTJANA
weisung gebend.

Sezt sie zur Domitilla! Sie geht mit der Lampe voraus, zwei Fakelträger folgen, dann die zwei Leichenträger mit der Leiche; Mädchen und Frauen, die Schmuk und Kräuter von dem Sarkofag genommen, mit ihren Lampen zum Schluß; sie beschreiten den linken, seitlich abgehenden Stollen, wo sie verschwinden. Erste Christjana bleibt mit Mädchen und Frauen zurück.Andere gehen mit ihren Lampen in andere Stollen.


Es kommt ein zweiter Transport. Fakelträger voraus, wie oben.
ERSTE CHRISTJANA
die sich erholt hat, mit ihrer Lampe entgegen.
Woher?
ZWEITER LEICHENTRÄGER.
Aus dem Zirkus.
ERSTE CHRISTJANA.
Seid Ihr in den kaiserlichen Gärten zu Ende?
ZWEITER LEICHENTRÄGER.

Man kann die Leichen nicht abnehmen; sie brennen noch; und der Geruch erstikt die Leute Sezen die Leichen ab.

ERSTE CHRISTJANA.
Kent Ihr die Namen?
[27]
ZWEITER LEICHENTRÄGER.

Es sind zwei Männer, aber unkentlich. Bart und Gesicht verkohlt. Einige sagten: es sei Melchiades, Vater und Sohn. Sie waren an einem Pfahl ... Man hört schluchzen.

ERSTE CHRISTJANA
deutet nach Rechts in den Seitengang.

Sezt sie zu Vitalis, – übereinander! Sie heben die Leichen auf; Mädchen mit Lampen gehen voraus; der Transport schwenkt rechts ab; Mädchen mit Kräutern folgen.


Währenddem kommt der erste Transport aus dem linken Stollen zurück, und trift auf einen dritten Transport, der soeben ankommt. Fakelträger etc. wie oben.
DRITTER LEICHENTRÄGER
unter der Last, erregt.
Die Toten können nicht abgenommen werden. Die Brüder werden verhaftet und abgeführt.
ZWEITER CHRISTJANA.
Woher sind diese?
DRITTER LEICHENTRÄGER.
Aus dem Zirkus. Sie wurden über Nacht heimlich entfernt, da die Wache schlief.
ZWEITE CHRISTJANA.
Habt Ihr die Namen?
DRITTER LEICHENTRÄGER.
Nein. Sie sind gänzlich verkohlt Zeigt eine Münze. dieses Kettchen war an dem Hals des Einen.
ZWEITE CHRISTJANA
die Münze betrachtend, weinend.

Es ist Demetrius! – Er war mit Melania versprochen! – Sie solten heute zusammengegeben werden. Schluchzt.

DRITTE CHRISTJANA
auf der andern Seite.
Wie steht's in den kaiserlichen Gärten?
DRITTER LEICHENTRÄGER.

Dort glüht noch Alles. – Die Brüder wurden erst später entzündet, erst gegen Mitternacht, und sind jetzt noch in voller Glut ... doch können dort die Leichen in nächster Nacht gefahrlos geholt werden: der kaiserliche Präfekt ist unser Freund, und will uns wol ...

DRITTE CHRISTJANA.
Und wieviel bringt Ihr noch?
[28]
ERSTER LEICHENTRÄGER
inzwischen zurük.
Aus den Gärten fünfzig!
DRITTER LEICHENTRÄGER
unter der Last.

Es braucht noch Raum für über Zweihundert – die aus den Gärten – die vom Zirkus – die aus den Aemiliani'schen Grundstüken – zusammengenommen: über Zweihundert; – ohne die, die schon beigesezt sind ... die Brüder sind schon bestelt ...

EINER VOM DRITTEN TRANSPORT.
Die Handwerker folgen uns auf dem Fus ...
ZWEITE CHRISTJANA
zu den Trägern, nach Rechts deutend.
Sezt sie zu Kallistus!

Der Transport bewegt sich quer über die Szene nach Rechts in den nach hinten verlaufenden Stollen. Falkelträger und Frauen mit Lampen voraus, wie oben.
Es kommen hinter dem Transport Handwerker mit
Piken und Schaufeln herein. Sie grüßen sich mit »Jesus Christus«. Frauen mit Lampen begleiten sie und verteilen sie in den Stollen. – Inzwischen ist Transport Zwei zurückgekehrt. – Es kommen neue Transporte. Die Szene fült sich immer mehr mit Menschen, Fakeln und Lichtern. Man hört die Neukommenden sich mit »Jesus Christus« begrüßen; soweit sie nicht Träger sind, sich mit Kuß bewillkommen. – Man hört fortgesetzt Schluchzen, Jammern, Klagen. Es bilden sich Gruppen. Man flüstert und tauscht Neuigkeiten.
EIN MÄDCHEN
Christjana, komt plözlich von hinten durch den Eingang rechts, in aufgelösten Haaren, mit wilder Geberde, in gloßolalirender Sprache, in predigender Manier, mit ausgebreiteten Händen.
Er ist auferstanden! ...
DIE ANDERN
werden aufmerksam, gehen ihr entgegen, wollen sie mit Gruß und Kuß umarmen, werden abgewiesen.
... Wer ist auferstanden? ...
EIN MÄDCHEN
wie oben.

Er ist auferstanden! – Christ ist erschienen – Klaudius ist auferstanden! – Kallistus ist auferstanden! – Mein Bruder ist auferstanden! – Mein Verlobter ist auferstanden! – Meine Schwestern sind alle auferstanden! – Sie kommen Sie deutet hinaus, woher sie gekommen. auf [29] weißen Roßen – sie leuchten wie die Sonne – ihre Lippen sind wie Rubin – ihre Kleider glänzen wie der Schnee auf dem Libanon – in Gloria und Herlichkeit – Hosianna! – Hosianna! ...


Die Frauen umringen sie, wollen sie zur Ruhe bringen. Man hört vielfach weinen und schluchzen.
Zwei Boten kommen ohne Fakeln; sehr erregt.
ERSTER BOTE.
Haltet sie! – Sie ist von Hause entflohen! – Die Unglükliche ...
ZWEITE CHRISTJANA.
Es ist Annia!
ALLE UEBRIGEN.
Annia!
ZWEITER BOTE
halb weinend.

Sie sah ihren Verlobten auf dem Pfahl – in den Gärten – halb erstikt – sie wollte ihn herunterreißen – sie wollte mitverbrennen – schrie in Einem fort seinen Namen – durch die Nacht – lief bis zum Morgen in den kaiserlichen Gärten herum – immerfort den Namen des Verlobten rufend ...

DRITTE CHRISTJANA.
Wer ist es?
ZWEITER BOTE.
Klaudius!
ALLE UEBRIGEN
mit höchstem Erstaunen.
Klaudius!
ZWEITER BOTE
fortfahrend.

... Der Kaiser befahl Stillschweigen – er wolte ruhen – die Wächter brachten sie nach Hause – sie schrie wol die halbe Nacht – fantasierte – heute Morgen ist sie entflohen – die beiden Schwestern suchten sie durch ganz Rom ...


Alles umdrängt sie. Man hört sie bemitleidende Stimmen durcheinander: »Ach, die Aermste.« – »Ist ganz erschöpft!« – »Bringt sie nach Hause!« – »Sie ist verwirt.« – »Schikt sie nach Hause!« – »Hier bringt sie uns Gefahr!« – »Sie wird uns verraten!« – »Sie ist außer sich.« – Die Transporte kommen aus den Stollen zurück. Alles versammelt sich um die Neu-Angekommene. Lichter und Fakeln.
[30]
EIN MÄDCHEN
spricht wie oben, in ihrer seherischen, schwärmerischen Weise mitten durch die Andern; sehr hoher Diskant.

... Komm, meine Taube! – du Tochter Jephtas – ergöze dich mit mir! – Sie betrachtet entzückt die Andern. wie schön ist dein Gang in deinen Schuhen! – Sehet: mein Freund ist gekommen in seinen Garten, daß er eße von seinen Früchten – komt, liebe Schwestern, süße Braut, komt in meinen Garten – ich habe Myrren gebrochen und Würzen in meinen Kleidern – Sie einladend. komt Alle zur Hochzeit! ...


Euelpius, alt und ehrwürdig, mit langem Bart, eh'r jüdisch, in langem, glattem Rock, teilt die Menge und geht auf die Erkrankte zu. Man macht ihm Plaz, begrüßt ihn mit allseitigem »Jesus Christus!«, Viele werfen sich ihm schluchzend an den Hals, küssen seine Hände etc.
EUELPIUS
sehr gemeßen und ruhig, legt der Erkrankten die Hand auf.

Sei ruhig, meine Tochter – der böse Geist hat dich umnachtet – und die Zartheit deiner Sinne in wilden Wahnwiz verkehrt – er gehet umher, wie ein brüllender Löwe – und suchet, den er verschlinget – er hat die Herzen der Heiden verstokt und ihre Sinne dem Bösen zugewant – er hat auch dich umfangen und Täuschung in deine reine Seele gegoßen – Tritt einen Schritt zurük. Weiche von ihr, böser Geist, und befreie die Seele von ihrem Wahn – du hast keinen Teil an ihr! ... Geht nach einer Pause auf sie zu, streichelt sie; – zu den Uebrigen. Bringt sie nach Hause! – Gebt sie den Schwestern! – Sie sollen auf sie Acht haben! – Sie wird heil werden! ...


Das Mädchen wird fortgeleitet. Fakeln voraus. Mit ihr verlaßen ein großer Teil Mädchen und Frauen die Szene. Andere mit ihren Lampen, Werkzeugen, Tüchern, Kräutern etc. verteilen sich in den Gräbergängen. Es bleiben nur Soviele zurük, als an dem in der Mitte befindlichen großen Sarkofag, der als Tisch dient, Plaz haben. Dort nehmen sie, Mädchen und Frauen, Männer und Jünglinge, unter gegenseitigem Geleiten und Sich-Trösten, allmälich in zwangloser, die orientalische Sitte andeutender[31] Weise Plaz, so daß das mechanisch-gleichartige
Dortsizen vermieden ist. Sie hängen sich gegenseitig an der Schulter 4 und flüstern und klagen miteinander. Jedes hat seine Lampe vor sich auf den Tisch gestelt. Je eine Fakel ist von den Fakelträgern an die Wand des Eingangs und an den Pfeiler links, hinten, gesteckt worden. Euelpius an der hinteren Seite in der Mitte, sehr feierlich und ernst, nimt eine der Schüsseln, hält sie vor sich, wendet sich nach Links und gibt mit dem Löffel dem ihm auf der linken Seite Zunächst-Sizenden zu essen; dieser nimt die Schüssel und gibt sie genau so weiter. Euelpius demnächst ebenso nach Rechts, bis die zwei Schüsseln je auf ihrer Seite am Ende angelangt sind. 5
ERSTE CHRISTJANA
schluchzend.
Alles tot! – Klaudius tot! – Demetrius tot! – Mela nia tot! – Priszilla tot! ...
ERSTER CHRISTJANUS.
... Flavius tot! – Lu zina tot! – Paula tot ...
ZWEITE CHRISTJANA.
... Melchiades von den Hunden zerrissen – Eubulos verschwunden – Kallistus gefangen ...
DRITTE CHRISTJANA.

...Annia in ihren Sinnen verwirt! – Die Schwestern geflüchtet! – Viele in ihren Schlupfwinkeln verhungert – Alle zersprengt und gehezt! ... Allgemeines Schluchzen und Klagen.


Pause.
[32]
EUELPIUS
steigert allmälich den bei der Beschwörung Annia's angeschlagenen langsamen und feierlichem Ton bis zum Seherhaften, Begeisterten; er zitirt.

»Diese sind es, die gekommen sind aus großer Trübsal – und haben ihre Kleider gewachsen – und haben ihre Kleider helle gemacht im Blut des Lammes ...«

ZWEITE CHRISTJANA
einfallend, unter Schluchzen.

»... Sie wird nicht mehr hungern noch dürsten; – es wird auch nicht auf sie fallen die Sonne, oder irgend eine Hize .....«

ERSTER CHRISTJANUS
ebenso.

»... Wer überwindet, dem will ich geben mit mir auf meinem Stuhl zu sitzen ... Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. So Jemand meine Stimme hören wird, und die Türe auftun, zu dem werde ich eingehen ...«

ZWEITER CHRISTJANUS
plözlich in einem Anfall ausbrechend, sich erhebend, die Augen verhüllend.

Ist das das Ende? – Das lezte Ende? – Alles tot! – Unsere Brüder tot! – Unsere Lieben alle erschlagen und gemordet Die Zunächstsizenden beruhigen ihn, er sinkt zurück und schluchzt krampfhaft weiter.


Pause.
EUELPIUS
sehr ruhig und pathetisch.

»... Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden – und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens – und will seinen Namen bekennen vor meinem Vater, und vor seinen Engeln ...«

ERSTE CHRISTJANA
beherzigend.

»... Siehe, ich sende Euch wie Schafe mitten unter die Wölfe – und müßet gehaßet werden von Jedermann, um meines Namens willen ...«

ZWEITE CHRISTJANA
ebenso.
»... Ich weiß deine Werke und deine Trübsal und deine Armut ... du aber bist reich! ...«
DRITTE CHRISTJANA
immer bekräftigender.

»... Fürchte dich vor Keinem, das du leiden wirst: Sei getreu [33] bis an den Tot, so will ich dir die Krone des Lebens geben ...«


Pause. – Man hört noch leises Schluchzen und Klagen.
EUELPIUS
abschließend; sehr feierlich und langsam zitirend.

»... Und Er wird sie weiden und leiten zu den lebendigen Wasserbronnen – und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.« Er blikt Alle feierlich und freudig an.


Alle brechen nacheinander auf, nehmen ihre Lampen (teils in die rechte, teils in die Hand), küßen
sich parweise und flüstern (unter scharfer Betonung der »s« -Laute) »Jesus Christus«. Dann schreiten sie, unter Mitnahme der Fakeln, langsam parweise dem Ausgang zu. Während die Lezten im Begriffe sind, die Bühne zu verlaßen.

Fält der Vorhang.

3. Akt

[34] Dritter Aufzug.

Nero, Kurio maximus, ein Zenturjo; später Tigellinus, Epaphroditus, ein Bewafneter; noch später Nymphidius, Kosroës, Subrius Flavus; erster und zweiter Begleiter des Kosroës, Volk, Senatoren, Soldaten.
Villa Nero's in den Serviljanischen Gärten bei Rom. Terraßenartige Anlage mit weitem Fern- und Tief-Blik. Das Terrain scheint sich im Hintergrund zu senken. Die Szene wird links von der Schmalseite eines in weißem Stein gehaltenen Villenbaues mit Gartenschmuk und hängendem Laubwerk, rechts von einer in dunklerem Stein gehaltenen Grottenanlage mit bildnerischem Schmuk und springendem Wasser begrenzt. Im Hintergrunde mündet von beiden Seiten ein breiter, nach rükwärts von weißer Marmor-Balustrade mit Figuren begrenzter Parkweg. Der mittlere, dem Zuschauer gerade gegenüber liegende Abschnitt der Balustrade erscheint durchbrochen. Von dort sind zwei Treppen, rechts und links, in den tiefer liegenden Park führend, zu denken. Der hintere Abschnitt dieses Zugangs ist wiederum von einer Balustrade mit Statuen begrenzt. Jenseits dieser sieht man aus der Tiefe eine Doppelreihe hochragender Zipressen sich gegen das Gebäude heranziehen. Die Szene hat
demnach als Zugänge: die zwei Treppenaufgänge jenseits der Balustrade; die zwei Parkwege diesseits der Balustrade auf der Höhe der Szene; ein Seiten-Eingang zu dem Villenbau links. Alles in reichem, grünem Flor mit Bosketts, Statuen u. drgl. –
Nero, im bequemen Hauskleid, der einfach wollenen Toga, die nakten Füße nur mit Sandalen bekleidet, das reiche, rötliche Lokenhaar ohne Diadem, etwas verwirt, er selbst [35] mismutig, in klagender Stimmung, unsicher und furchtsam, komt mit dem Kurio maximus (Priester für die Totenopfer) im Gespräch den Parkweg links herauf, hat eine kleine Rolle in der Hand.

KURIO
teilnehmend.
Und Dein sonstiges Befinden? – Zufriedenstellend? ...
NERO
mismutig.

Nein! – Beim Herkules, nein! Nein, ich bin nicht zufrieden. Ich schlafe schlecht – mög' mich Jupiter strafen: seit Wochen weiß ich nicht mehr, was gesunder Schlaf ist! ...

KURIO
wie oben.
Beschwerden durch Träume? ...
NERO.

Träume, – Ahnungen, – schrekhafte Unterbrechungen ... aber auch bei Tag! – nein, nein, – es ist nicht in Ordnung ... ich bin müde, abgespant, verlezt, verbittert ... sag' mal: gibt es Träume bei Tag?

KURIO
stuzt.
... Nein!
NERO.

... ich meine: Zustände, Anwandlungen, die die Kräfte des Geistes, die bei Nacht wirken, bei Tag auslösen – sie – äh – gegen unsern Willen zur Entfaltung bringen ... uns ärgern, molestiren? ...

KURIO
wie oben.
... Nein! – Nicht, daß ich eigentlich wüßte! ...
NERO.

... Und Andere, – Nebenmenschen – die das in Einem zu Wege brächten ... die uns auf solche Weise zu nahe treten könten? ...

KURIO
sehr erstaunt – dann kopfschüttelnd.

Nein! – Sicherlich nicht! – Und dann: wer würde es wagen, bei Dir, Zäsar, solches zu unternehmen? ...

NERO
ablenkend.

... Na ja! – Dann sag' mal: – weshalb ich dich eigentlich rufen ließ: ... das Grabmal der Agrippina – ist das in Ordnung? –

KURIO.
In bester Ordnung.
NERO.
... mit Blumen reich geschmükt?
KURIO.
... mit Rosen und Tulpen reich geschmükt!
NERO.
... und die Marmor-Einfassung?
[36]
KURIO
besint sich.
... ist in Auftrag gegeben, wird herlich ausgeführt!
NERO
mechanisch.

... ist in Auftrag gegeben, – wird herlich ausgeführt ... Komt zu sich. Blumen sollen das ganze Jahr, – das ganze Jahr, – stets in schönstem, frischestem Schmuk dort prangenKurio verneigt sich. – das Beste und Schönste! –Kurio wie oben. – dann: die Manen sind versöhnt? – die Opfer gebracht? – Wein und Wolgerüche nicht gespart? ...

KURIO.
... Alles auf's reichlichste dargebracht! ...
NERO.

... der Tag der Feralien 6 nicht verabsäumt? ... Kurio wie oben.Sich selbst verteidigend. man kann ja nicht mehr tun! – die Lemu ren an ihrem Festtag 7 versöhnt? ... die Lustrazjonen dargebracht? ...

KURIO.
... Wird Alles jedes Jahr auf's gewissenhafteste beobachtet!
NERO
geht, sich besinnend, nach hinten und wieder vor, läßt den Kurio stehen.

... Dann: die Totenopfer für meinen geliebten Pallas? – für den gewesenen Finanzminister Pallas?Kurio bestätigt. – sind ebenfalls besorgt? ... für Monta nus?Kurio wie oben. – der arme Mensch, – 'tut mir leid! – warum mußte er mir auch Nachts begegnen! ... Auf den Kaiser einzuhauen! – auf seinen Kaiser einzuhauen! ... Kurio macht eine begütigende Bewegung. – ja, Unwissenheit schüzt eben hier nicht! ... Dann: was haben wir noch für Leichen?: – den guten Britannicus ... dessen Denkmal möchte ich besonders prächtig herausgerüstet wissen! – weil er [37] doch sehr nahe mit mir verwant war – und an Epilepsie litt! – der Aermste! ... seine Büste ist im Tempel der Minerva aufgestelt? – Kurio bejaht. – bekränzt?! – Kurio wie oben.Wieder auf- und abgehend. dann: die eben beiden Halunken Plautus und Sulla ...

KURIO
bedenklich.
Da haben wir nur die beiden Köpfe! ...
NERO
mechanisch.

... da haben wir nur die beiden Köpfe ... und wo die hingekommen sind? ... na, ich will auch hier ein Uebriges tun, und für die Bei den Aschenurnen aufstellen ... es ist ja jammerschad!: solch' vorzügliche Feldherrn-Talente, solch' mustergültige Truppenführer ... aber, dabei bleibt es nicht, und dann wächst der Ehrgeiz, und dann sehen sie diese Maße Menschen zu ihrer Verfügung, und sehen Kränze und Diademe! ... und wenn man auch nie etwas Gewißes erfährt, – die Staatsräson muß hier vorbauen, muß hier eingreifen! ... also Zum Kurio. ich will für diese Beiden die Libazjonen bringen wie für jeden AndernKurio wie oben. ... dann: unsere liebe, gute, süße Oktavia Fängt zu weinen an. ... das herzige Kind, es tut mir wirklich leid! – Schluchzt, wischt sich ab. erst zwanzig Jahre alt! ... Zum Kurio. also hier soll Nichts gespart werden! ... Pentelischer Marmor zu deiner Verfügung, so viel du willst! ...

KURIO.

Leider gehört die Insel nicht zu meinem Bezirk! – die Kaiserin liegt auf Pandataria 8 bestattet ... doch will ich durch meinen Kollegen ...

NERO.

Ja, tu' das! die Sache liegt mir am Herzen! – Dann: damit wir Nichts vergeßen ...für Poppäa habe ich blutige Tränen geweint – die ewigen Götter wißen es! Blikt schmerzvoll gen Himmel. und unendliche Klagegesänge angestimt! ... selbst gedichtet! ... Er ist schmerzlich ergriffen. ... die beste Kaiserin ist auf [38] ihren Wunsch nach jüdischem Ritus bestattet – ihr Sarkofag auf's glänzendste geschmükt ... hier ist Alles geschehen, was geschehen konnte ... dann: der arme Doryphorus, Tor quatus Silanus, der Tanzlehrer Paris ... Ärgerlich. beim Herkules! ich kann nicht an Alles denken, ich habe selbst den Kopf voll! ... morgen soll ich in den »Trojanern« auftreten, – hier Auf die Rolle zeigend. hat mir Luka nus ein Manuskript zum Korrigiren geschikt ...

KURIO
rasch begütigend.

Für diese und für alle Andern soll auf's Beste gesorgt werden; – die Totenopfer und Lustrazjonen werde ich selbst persönlich überwachen ... nach dieser Seite solst Du ruhig schlafen können, Zäsar – ein allgemeines Totenopfer soll außerdem die Manen aller Derjenigen besänftigen, deren Erinnerung Dir zu nahe treten könte, oder deren Namen du vergeßen haben soltest ... verlaß dich auf mich, Herr! ...

NERO
plözlich in die heitere Stimmung umschlagend, nekisch schmunzelnd, macht kleine Schrittchen wie ein Kind, im Ton eines Bittstellers, auf den Kurio zu, streichelt ihm die Wangen.

Und, nicht wahr, mein lieber, süßer Klaudius, du komst hie und da zu meinen kleinen Gesellschaften! – du solst die Ziter so gut schlagen – wir brauchen einen vierten Ziterschläger – Terpnus ist immer krank – und wir möchten nächstens eine kleine Pantomime »Bachus auf Naxus« aufführen ... nicht wahr, du komst! ...

KURIO
sehr geschmeichelt, mit Würde.

Mein kaiserlicher Herr, was ich auf der Ziter verstehe, geht über das geringe Maas dilettantischen Könnens nicht hinaus, und ...

NERO
wie oben.

Das macht nichts! – Im Chor wirst du dich leicht anschließen ... du tust mir einen großen Gefallen ... und – äh – du verstehst: ich kann nicht Jeden zu mir ziehen – bei der eigentümlichen[39] Stellung, die ich einnehme, und – äh – bei der ungemeßenen Sucht Vieler, sich neben mir als Künstler auszuzeichnen ... muß ich so vorsichtig wie möglich sein ...

KURIO.
Ich stehe zu deinen Befehlen! ...

Sie wenden sich Beide nach Hinten und verfolgen noch das Gespräch.
NERO
in sehr aufgeräumter Stimmung.
Und nicht wahr?: die Träume, das hat nicht so viel zu sagen? ...
KURIO
leichthin.
... Vorübergehende Störungen ohne tieferen Grund! ...
NERO
wie oben.
Und die häßlichen Stimmungen bei Tag werden sich wieder heben? ...
KURIO
wie oben.
... Leichte Belästigungen, die die Götter über uns verhängen, um uns an unsere Pflicht zu mahnen ...
NERO.

Und mit den Totenopfern und Versöhnungen werden die lieben und teuren Schatten, die von uns gegangen sind, unsere Absicht erkennen und ...

KURIO
pastoral.

Die ewigen Götter bliken mit neidlosem Wohlgefallen auf jede unserer guten Taten und auch der düstere Fährmann, der die Seelen geleitet, ist nicht unversöhnlich! ... Er verabschiedet sich. Ab links.

NERO.

Leb' wol, mein lieber Klaudius! – Die Götter schüzen dich! Wirft dem sich Entfernenden eine Kußhand nach; – komt zurück, bleibt plözlich stehen, legt die Hand an die Stirne, schmerzlich. Ach, diese Leiden! – dieses ewige Zuken! – diese Qualen! – und keine Ruhe ...


Ein Bewafneter aus Nero's Leibwache tritt von rechts auf.
BEWAFNETER
meldet.
Herr, ein Zenturjo ist draußen, er komt vom Tribun und will zu dir.
NERO.
Was will er? Was bringt er?
BEWAFNETER.
Er hat einen Sak.
NERO.
Einen Sak?
[40]
BEWAFNETER.
Er bringt einen Kopf.
NERO
begierig.
Einen Kopf? – Schnell laß ihn herein! ...

Zenturjo tritt auf mit einem Sack in der Hand.
ZENTURJO
militärisch.
Herr, ich komme im Auftrag des Tribunen und bringe den Kopf ...
NERO
einfallend.
Burrus'?
ZENTURJO.
Den Kopf Burrus'.
NERO
schmerzlich bewegt, tritt näher.

Laß sehen!Zenturjo öffnet den Sack, zeigt ihm den Kopf.Zurückfahrend, von Schauder ergriffen. Oh! ...Zum Zenturjo. du mußt die Köpfe wa schen! ...das geht nicht! – man muß Alles richtig ausführen! ... ich sehe Menschenköpfe nicht ungern, – aber sie müssen sauber sein! – Der Tot hat etwas Rührendes, – in seiner wachsbleichen Starrheit etwas Friedliches, Versöhnendes – aber man darf den künstlerischen Eindruck nicht stören, – ihn nicht durch Schmuzfleke beeinträchtigen! ...Tritt neuerdings näher. Laß sehen! ... Zenturjo zeigt ihm neuerdings den Kopf. ... Die Nase ist auffallend lang; – Schmerzlich. es war ein prächtiger Mann! – aber zu lebhaft, viel zu lebhaft! ...Zum Zenturjo. Wie benahm er sich? –

ZENTURJO.

Als ich kam, ihm den Tot anzusagen, schien er keineswegs bestürzt – nur die Frauen, die um ihn waren, und die Freunde, ergingen sich in lebhaften Klagen und Verwünschungen ... Bur rus schalt sie und frug: ob das die Grundsäze seien, die er stets hochgehalten, ob das die Lehren seien, die er ihnen stets gepredigt, – ob eine solche Haltung sich für Diejenigen zieme, die ... die ... zur Filosofie Er besint sich, scheint die Materje nicht ganz zu beherschen. ... er sprach von einer ge wißen Filosofie! ...

NERO
leichthin.
Ja, ja, das sind diese Frasen! ...
ZENTURJO
besint sich.
... dann sprach er noch vom Wert des Lebens ...
[41]
NERO
wie oben.
Jawohl, – nachdem es verloren ist! ...
ZENTURJO.

... er reichte dann ruhig die Hände hin und ließ sich die Adern öffnen ... wir hatten den Arzt gleich mitgebracht ... da aber das Blut in Folge seiner Erregung und Beklommenheit nur langsam zu fließen begann, so öffnete Chirurg auch die Adern an den Füßen und Kniekehlen ... so brachte man ihn dann in das heiße Bad, wohin ihm alle Freunde und die Freigelassenen mit Weinen und Klagen folgten ... von dort besprengte er dann die Umstehenden und sagte: er weihe diese Tropfen Jupiter, dem Befreier! ...

NERO
gleichgiltig nikend.
Ja, ja, das sind die üblichen Kraftausdrücke! ...
ZENTURJO
fortfahrend.

... da er aber nur langsam sich entkräftete, – und der Tribun mit der Meldung der vollzogenen Hinrichtung zurückzukehren sich zu beeilen schien – so tauchten ihn die Soldaten einigemale unter – dann hieben wir ihm den Kopf ab – den man uns dir zu bringen befahl ...

NERO
nach einer Pause, während welcher er nachdenklich auf- und abgeht.

... Der Körper soll sofort bestattet werden – den Kopf gib hinzu – er mag ihn der Unterwelt gebrauchen können – und die Exsequien in der feierlichsten Weise abgehalten werden, auch die Opfer und Totenmahle auf meine Kosten in unverkürzter Weise dargebracht werden – wie für einen Mann, der durch zufällige und unglückliche Weise dem Staat und sich Verderben brachte, und so für seine früheren Verdienste nicht belohnt werden konte! ... Zenturjo ab.

NERO
wendet sich nach vorn, überlegt, schmerzlich ergriffen, im Selbstgespräch, halblaut.

Es ist mir leid um den Mann ... einen solchen Präfekten bekomme ich nicht wieder! ... aber er übermaas seine Kräfte – er übermaas seine [42] Kräfte .... Er sezt sich rechts vorn, in der Nähe der Grotte, in einen Gartenstuhl, und vertieft sich in die Rolle, deren Inhalt er mit Riken und Gestikulazionen begleitet.


Ein Bewafneter aus Nero's Leibwache tritt eilig von Rechts auf.
BEWAFNETER
in großer Aufregung, bleibt hinten an der Balustrade stehen und blikt gegen den Park hinab.

Herr, Tigellinus und Epa phroditus kommen in großer Eile den Parkweg herauf – Soldaten und ein Teil der Prätorjaner folgen – es scheint etwas Wichtiges vorgefallen zu sein ...

NERO
steht auf, sich nach Hinten wendend.

... Vielleicht die parthische Gesandschaft mit Tirida tes, die wir jeden Tag erwarten, in Rom angelangt ... Berührt schmerzlich seine Stirne, für sich. mein armer Kopf! – ich bin nicht in der richtigen Verfassung ... die Leute haben uns besiegt, – und es gilt große Schlauheit ...

BEWAFNETER
wie oben, gegen den Garten sehend.

Herr, es scheint etwas Dringlicheres ... Ti gellinus ist außer Atem – – und weiter hinten kommen neue Truppen – neue Befehlshaber ...Nero wendet sich neuerdings nach hinten, bleibt in der Mitte der Bühne erwartungsvoll stehen. – hier ist Tigellinus selbst! ...


Tigellinus, als Prätorjanerpräfekt, hinter ihm Epaphroditus, kommen die Parktreppe rechts herauf: ihnen folgen demnächst Truppen,
Zenturjonen und Tribunen.
TIGELLINUS
außer Atem, auf Nero zu.

... ein unerhörtes Verbrechen! ... Zäsar! – ein Anschlag auf Dein Leben! ... seit Wochen vorbereitet – ist durch einen glücklichen Zufall an's Tageslicht gekommen – Mit warmen Patos, zugleich sich an die hinten Truppen wendend. die ewige Roma hat das Haupt ihres göttergleichen Schüzlings vor Mörderhänden bewahrt! ... Fortuna, die allgütige Göttin hat auf's Neue den stärksten Beweis von der Unersezlichkeit des allgeliebten Nero für Rom, für den Weltkreis geliefert! ... Er zieht sein Schwert. Heil, Zäsar! – Heil! ...

[43]
DIE TRUPPEN
die sich bis dahin im Hintergrund gehalten, brechen jetzt mit ungestümen Jubel vor und ziehen die Schwerter, durcheinander.

Heil, Zäsar! – Heil! – Heil! – dem Liebling der Götter! – dem besten Kaiser, – Heil! Heil dem Woltäter des römischen Volkes ... Sie gestikuliren und unterhalten sich während des Folgenden lebhaft.

NERO
bestürzt und erfreut.
Was ist's? – Was gibt's? –
TIGELLINUS
noch immer außer Atem, nimt seine Rede auf, sehr schnell.
... Du erinnerst dich jenes Sklävinus? ...
NERO.
... des Schlemmers? ... Jaja! –
TIGELLINUS.

Gut!: Gestern komt Milichus, einer seiner Freigelassenen, ein entschlossener Bursche, und erzählt in großer Herzensangst, sein Herr treffe die merkwürdigsten Vorbereitungen: er habe sein Testament aufgesezt, vielen seiner Sklaven die Freiheit geschenkt, habe mit denselben in rührendster Weise getafelt und gezecht, viel von unbestimbaren Schicksal gesprochen, und deutlich, trotz sichtbarer Verstellung, zu erkennen gegeben, daß große und verzweifelte Gedanken und Pläne, über deren Ausgang Unsicherheit herrsche, sein Inneres bewegten. Ihm, Milichus selbst, habe er in sehr geheimnisvoller Weise den Auftrag gegeben, Verbandstoffe und blutstillende Mittel in Bereitschaft zu halten, und ein Dolchschwert, welches aus einem Fortuna-Tempel in Etrurien stamte und stets sorgfältig gehütet worden war, zu schleifen und mit scharfer Spize zu versehen. Er, Milich us, obwol seinem Herrn die Freiheit verdankend, könne es nicht über's Herz bringen, einen so schweren Verdacht und bei der großen Misliebigkeit, die in den höchsten Kreisen gegen Nero bestehe Allgemeiner Unwillen bei den Soldaten. unausgesprochen zu lassen ... Wir erstaunten Er weist auf Epaphroditus. auf's äußerste über eine solche, für den Beklagten wenig wahrscheinliche Meldung. Doch [44] ließ ich in Eile Sklävinus sogleich vorführen und seinem Freigelassenen, wie dieser selbst wünschte, gegenüber stellen. Ruhiger. Sklävi nus erzählt im wolwollendsten Ton, das Meiste beruhe auf Wahrheit, und er müsse in der Tat seine Verwunderung darüber ausdrüken, wie man ihm, dessen Neigung zu Tafelfreuden in ganz Rom bekant seien, aus einem Zechen mit seinen Hausgenossen einen Vorwurf machen könne; ein paar Sklaven schenke er jedes Jahr die Freiheit, dies sei nichts außergewöhnliches; auch revidire er jährlich sein Testament und mache kleine Zusäze, da er in einem Alter sei, in dem man daran denken müsse, daß die Natur bald ihr Recht werde fordern können. Auch das Schleifen des Dolchmeßers erklärte er auf die behaglichste Weise: es gehöre zum Spargelstechen, wovon er, wie bekant, ein großer Freund und Züchter sei: er erlege nämlich die Spargeln wie ein Fechter Macht Bewegung. mit einem Schwertstoß; das sei eine Liebhaberei von ihm; daß das Dolchmeßer aus einem Fortuna-Tempel stame und ein Votivstük sei, richtig; aber er benüze eben für alle Vorkomniße im Leben mit Vorliebe Gebrauchsstüke der Glüksgöttin; denn auch zum Spargelstechen gehöre eben Glück. Aber ein Punkt, nämlich, daß er Vorbereitungen für Wunden und zur Herrichtung blutstillender Mittel angeordnet habe, – des sei eine faustdike Lüge des undankbaren Freigelassenen, der wol gewußt habe, daß ohne diese Hinzutat sein ganzes Lügengebäude in Nichts zerfallen werde ...Wieder den vorigen Ton aufnehmen, schneller. Dies ward mit so sicherem Ton vorgetragen, daß wir bereits im Begriffe waren, Skävinus zu entlaßen, und Milichus in Haft zu nehmen, als die Frau des Milichus erschien und ihren Mann daran erinnerte, daß ja Sklävinus den vorhergehenden Tag in eifriger, geheimnisvoller Unterredung mit Natails gesehen worden sei. Bei dem[45] Namen Natalis kommen mir neue Bedenken, ich heiße alle Anwesenden dableiben, und schike einen Tribun zu Natalis, der ihn scharf inquirirt und ihm auf den Kopf zusagt: Skävinus habe ihn als Verschwornen angegeben. Zusammenfaßend. Natalis, überrumpelt, ge steht und gibt auf Zusicherung der Straflosigkeit weitere fünfzig Senatoren und Ritter an!! Große Bewegung und Beglükwünschung bei allen Gruppen. ... Als der Tag zum Losschlagen war das Zeresfest ausersehen! Zu Deinem Nachfolger war Piso designirt! Ich eile hieher, um Dir, Zäsar, – in Gegenwart dieser Getreuen Er verweist auf die Truppen und ihre Anführer. ...

DIE TRUPEN
brechen in neue Beglükwünschungsrufe aus.

Heil, Zäsar! – Heil, dem besten Kaiser! – dem Beschüzer des Volkes ... dem Beschüzten der Götter! – Heil! –

TIGELLINUS
fortfahrend.

... um Dir die wunderbare Rettung aus Mörderhänden ... das Walten der großen Fortung, die so sichtlich über deinem Haupte seit deinen ersten Lebenstagen gestanden, zu melden ...

NERO
wütend, die Faust ballend.

Die Hunde! – ist das der Dank für meine Fürsorge – für meine Opfer – für meine Geschenke! ... dem Staat schenkte ich sechzig Miljonen Sesterzjen ... Landgüter, Häuser, Gärten, Fischwaßer, Monopole habe ich diesen Leuten zu Duzenden an den Kopf geworfen! ... Zitternd vor Aufregung. ich selbst zu Grunde gerichtet – mein Kopf erschöpft in Sorge und Arbeit für den Staat – Fängt zu weinen an.

TIGELLINUS
geht mit Nero nach vorn, geheimnisvoll.

... wir haben alle Hände voll zu tun! – Angeberei folgt auf Angeberei – man hört immer frische Namen – es gilt die ganze Bewegung mit einem Schlag in unsere Hände zu bekommen ...

NERO
der dem Redner wiederholt mit Gesten seinen Dank ausgedrükt, begierig.
... Ist Thrasea mit in's Nez gekommen?
[46]
TIGELLINUS
finster.
Diesmal leider nicht! – Doch gegen Seneka mehren sich schwere Verdachtsgründe! ...
NERO.
Seneka? Das wäre außerordentlich glüklich.
TIGELLINUS
eifrig.

Enorme Vermögen kommen in Betracht. – Piso allein mit fünfhundert Miljonen Sesterzien. – Es gilt, auf's Eiligste den Testamenten zuvorzukommen und alles Besiztum der Verdächtigen für den Staatsschaz einzuziehen – der Prätor hat über zweihundert Verhaftungen vornehmen laßen. – Konsul Vestinus ist mitverwikelt, ein mehrfacher Miljonär; Flavus ist kompromittirt; Sulpizius Asper ist kompromittirt; Late ranus ist schwer belastet; Mit Betonung. Rufus, – der Komandant deiner Garde, ist mit Piso wahrscheinlich das Haupt der ganzen Bewegung! – Ich habe die Tibermündung sperren, die Mauern besezen laßen; die ganze Etrurische Küste wird bewacht! – Wir müssen enorme Belohnungen für unsere Getreuen aussezen; dem Volk prachtvolle Unterhaltungen bieten – das Volk ist entrüstet über die Vorgänge! – dies Alles verlangt die Heranziehung aller irgendwie erhältlichen Vermögen ... Er ist außer Atem.

NERO
der mit großer Angst und Bestürzung zugehört.

Mögen die Götter dir in deinem Werke beistehen! – geht alles gut, laße ich deine Bildsäule im Tempel der Fortuna aufstellen ... das Volk soll den Woltäter Rom's kennen lernen und wißen, daß mein keiserlicher Dank die Verdienten zu finden weiß ...

TIGELLINUS.

Noch Etwas!: Der Armenische König ist angekommen, um sich durch mit Armenien belehnen zu laßen. Seine Gesanten sind hieher auf dem Wege, um dich zu begrüßen. Es wäre nüzlich, diesen Fremdem von den inneren Vorgängen des Staats nichts wißen zu laßen. Auch ist Tirida tes ziemlich [47] hochmütig und scheint nichts von seinen Hoheitsrechten preisgeben zu wollen. Er ließ sich nur schwer dazu überreden, sein königliches Abzeichen zunächst abzulegen und es erst aus deiner Hand wieder zu empfangen. Die Besprechungen über das Zeremoniell sind noch im Gang. Nach Allem, was man hört, war unsere Niederlage doch empfindlicher, als die ersten Berichte lauteten. Die römischen Legjonen wur den bei Arsomosata unter das Joch geschikt! Und Pantus hat sich als ein gänzlich unfähiger, rein persönlich-ehrgeiziger Feldherr erwiesen, dem einen Triumf zuzuerkennen über das Maas alles Erlaubten ging ... Sieh, wie du mit den Leuten fertig wirst! ...

NERO.
Wo fand die Niederlage statt?
TIGELLINUS.
Bei Arsomosata.
NERO.
Wie wird das ausgesprochen?
TIGELLINUS.
... Ar-so-mo-sata! ... ich weiß auch nicht mehr.
NERO.
Wo liegt es?
TIGELLINUS.

Wo es liegt? – das weiß ich nicht! – Ich glaube, irgendwo in Asien ... ich kann ja einen der Befehlshaber, die die Expedizion mitgemacht haben, fragen ...

NERO.
Wie heißt der Schwiegervater von Tirida tes? – der hat doch eigentlich bei Arsomosa ta gekämpft! ...
TIGELLINUS.

Der Schwiegervater heißt Bolo gaeses und ist er Parther König ... doch will, soviel ich weiß, Tiridates davon selbst nicht viel hören und besteht auf seine Unabhängigkeit und seine selbsterworbene Herrschaft ...

NERO
indem er sich nach hinten wendet, den abgehenden Tigellinus zu begleiten.
Haben sie keine Tempel, keine Götterbilder, keine Kunstschätze? ...
[48]
TIGELLINUS.

Soviel ich weiß, bringen Dir die Gesanten, die deinen Kunstsinn kennen, wertvolle Gastgeschenke mit; – und wenn Du den einen oder andern Wunsch äußern soltest, wird man sich beeilen, Dir zuvorzukommen ... doch sei vorsichtig, diese Armenejer sind schlau, sie wißen zu handeln – ein Armenjer gilt zehn Juden! – und am Ende kämen die armenischen Götterbilder dem römischen Staate teuer zu stehen ... was die armenischen Götter leisten, leisten unsere auch ... Er ist inzwischen mit Nero in der Nähe der Truppen angelangt, nimt jezt wieder patetische Haltung ein, laut. Und so danken wir Alle denn nochmals mit aufgehobenen Händen den ewigen Göttern und der gütigen Fortuna, daß sie uns das Leben des götlichen Kaisers vor den Mordstahlen dieser gemeinen, verbrecherischen Buben bewahrt ...

DIE TRUPPEN
brechen gemeinschaftlich mit erhobenen Schwertern in Freuderufe aus.

Heil Zäsar! – Heil dem Beglüker des Volkes! – Heil dem Schüzling der Götter! – dem göttlichen Nero – dem Woltäter der Soldaten – Heil! – Heil! –


Truppen und Tigellinus unter Freuderufen ab nach dem Parkweg rechts.
NERO
komt mit Epaphroditus zurük.

Eine schöne Affäre! ... Um ein Haar, und diese Mordgesellen hätten ihr Ziel erreicht! ... In wenigen Tagen war das Fest der Zeres ... Was helfen Uns nun Unsere Garden, wenn Verrat auf allen Seiten lauert und selbst in den Reihen der Prätorjaner seine Helfer findet?! ...

EPAPHRODITUS.

Das Volk bleibt Dir zugetan; es verehrt Dich, es trägt Dich auf den Händen – es verurteilt auf's Heftigste diese subversiven Neigungen der Gebildeten und Filosofen, – und gewiß werden schon die nächsten Tage Dir Gewißheit darüber geben, wie das Volk über Dich denkt.

[49]
NERO.

Ja, auf wie lange? – man kann nicht immer Getreide geben, Wagenrennen veranstalten, diese Unsummen ausgeben – einmal komt ein Hungerjahr, oder eine Laune erfaßt sie, oder eine neue Idee – und dann macht diese ganze Maße Kehrt! ...


Während Nero sich mit Epaphroditus nach Vorne wendet, komt, von Bewafneten begleitet, Nymphidius vom Treppenaufgang rechts.
NYMPHIDIUS.
Herr, die armenischen Gesanten bitten um die Gnade, Dir den Gruß ihres Königs melden zu dürfen.
NERO.
Wie viele sind ihrer?
NYMPHIDIUS.
Es sind, ohne das Gefolge.
NERO
unwirsch, betastet seinen Kopf.

... Ich hab' heute Nacht so schlecht geschlafen! ... mein Kopf ist ganz auseinander ... und jezt diese Affäre in der Hauptstadt! – Ausbrechend. diese Undank barkeit! ... Nach einigem Zögern. bringen sie Gastgeschenke? –

NYMPHIDIUS.
... prächtige Geschenke in Silber und Gold und – eine Ziter.
NERO
aufmerksam.

... eine Ziter? – dann laß' sie herein! Nymphidius mit Epaphroditus ab, die Gesanten einzuholen.Geht mit schmerzlichem Gesichtsausdruck, die Hand an den Kopf gelegt, im Vordergrund auf und ab, spricht halblaut mit sich. ... Ziter – bin begierig ... diese Barbaren! ... – Lukanus, Terpnus, Eukärus – keiner von diesen Leuten da, wenn man sie braucht! – mit seinen elenden Hexametern, dieser Lukanus – 's ist zum Lachen! nein! ich werde keines dieser Gedichte nehmen – Lukanus ist ein Stümper! – ist nicht modern ... Seneka, ja, ja – es wird ihm an den Kragen geh'n, ich hab's ihm immer gesagt – der alte Fuchs, mit seiner Weltweisheit – nun hokt er im Eisen! – keine Gnade! ... 50 Miljonen – seine Samlungen ... und dieser [50] Piso – wer hätte das geglaubt? so reich, so unabhängig – so ein seiner Mensch – kann ihm nicht helfen: wer sich seinem Fürsten vergreift, greift in die götliche Weltordnung ... Wird gestört, bricht ab.


Kosroës und seine zwei Begleiter, in armenischer Tracht, mit Vollbärten, gefolgt von Sklaven, die goldene Gefäße und harfenartige Saiten-Instrumente tragen, treten, von Nymphidius und Epaphroditus geleitet, von der Parktreppe rechts auf.
NYMPHIDIUS
führt sie vor.

Die Abgesanten des armenischen Königs bitten, dem göttlichen Nero untertänigen Gruß darbringen zu dürfen.

KOSROËS
nach tiefer Verbeugung.

Im Auftrage meines Königs komme ich, dem mächtigen Kaiser dem Schuzherrn der asiatischen Völker, untertänigen Gruß zu bieten. Mein Herr bittet den Zäsar, diese Geschenke als Ausdruck seiner Freundschaft annehmen zu wollen.

NERO.
Ich heiße Euch willkommen. Wie geht es dem Könige, meinem Freunde?
KOSROËS.

Er befindet sich in Rom, in Deinem Palaste, und freut sich der vielen Aufmerksamkeiten, die ihm von Deinen Offizieren und dem römischen Volke erwiesen werden.

NERO.
Hat der König die Strapazen der Reise glüklich überstanden?
KOSROËS.
Er befindet sich wol.
NERO
wendet sich den Geschenken zu.
Was schikt mir der König Herliches? – Sind das Zitern oder Harfen?
ERSTER BEGLEITER.
Dies, Herr, ist die Maga dis – mit 20 Saiten, dies das Epigonion mit 40 Saiten.
NERO.
Und die Zahl der Töne?
ZWEITER BEGLEITER.
Die Zahl der Töne ist etwas geringer, da mehrere Saiten in Oktaven gespant sind.
[51]
NERO.
Und gespielt werden sie mit den Händen, oder mit dem Schlaginstrument?
ERSTER BEGLEITER.
Mit den Händen, Herr!
NERO.
Könnt Ihr sie spielen?
ZWEITER BEGLEITER.
Nein, Herr!
NERO.
Wie? So hohe Beamte, in der Umgebung des Königs, können auf der Ziter nicht vortragen?
ERSTER BEGLEITER.
Wir haben eine eigene Zunft, die Musikanten, Herr! welche die Magadis spielen ...
KOSROËS.

Der Ruhm Deines Namens, mächtiger Kaiser, als der eines großen Künstlers, ist durch ganz Asien gedrungen, und mein Herr glaubte, dein Wolgefallen zu erringen, indem er Dir einige Saiteninstrumente des Landes mitübersante. Es befinden sich in unserem Gefolge einige Jünglinge, welche es sich zur Ehre machen werden, dir die Ma gadis vorzuspielen.

NERO.

Schikt sie mir heraus, das wird mich freuen! Auch einige tanzende Mädchen ... Habt Ihr Götterbilder mitgebracht?

ERSTER BEGLEITER.
Nein, Herr!
NERO.
Wer sind Eure Götter?
ZWEITER BEGLEITER
stuzt, nach einer Pause.

Es ist Agdistis, die große Götter-Mutter, und Men, der Herr des Himmels und der Erde, der König der Könige, der allgewaltige Herrscher über alles Sichtbare und ...

NERO
einfallend.

Ja, ja, das sind sie Alle! ... Aber bringt mir sie. – Ich habe eine Samlung ... Korrigirt sich. ich meine: ich – äh – verehre die Gottheiten der mir befreundeten Völkerschaften und stelle sie in die Tempel von Jupiter Stator und Minerva ... es sind Alles mächtige Gottheiten ... und oft wendet man sich zu Diesen und oft zu Jenen ... [52] alle Gottheiten sollen sich unter Rom's mächtigem Schuz wolbefinden – ich habe viel von den parthischen Gottheiten gehört – doch nie welche gesehen – sie sollen sehr schön und mächtig sein – bringt sie mir! – sie sollen mir willkommen sein ... Die Gesanten verbeugen sich.Zurüktretend. Grüßt mir Euren König! ... seine Geschenke haben große Freude gemacht ... Die Feier seiner Installierung werden wir in kürzester Frist mit großer Feierlichkeit von Statten gehen laßen ... Mismutig. wichtige Privatgeschäfte und – Krankheit halten Uns momentan von Rom zurük ... inzwischen mag es Eurem Könige wolgeh'n! ...


Die Gesanten treten unter mehrfacher Verbeugung ab, und verlassen, während die Sklaven die Geschenke auf dem Wege nach links forttragen, über die Parktreppe rechts die Szene.
NERO.
Wenn Seneka diese Rede gehört hätte, er wäre geplazt vor Neid ...
EPAPHRODITUS.

In Wahrheit, Zäsar, sprichst Du geläufig und prunkvoll! – Die Gesanten waren hingerissen von Deiner Erscheinung.

NERO.

Und doch bin ich nichts weniger, wie disponirt; – dieses ewige Kopfweh! ... diese Nachtwachen ... diese Schmerzen, die Schlaflosigkeit ... Er geht wieder seufzend auf und ab.


Tigellinus tritt mit großem Geräusch mit einer Kohorte Soldaten und mehreren Zenturjonen vom Parkweg rechts aus auf. Die Kohorte nimt hinten Aufstellung.
TIGELLINUS
in höchster Eile und mit fast verzweifeltem Ton.

Die Zahl der Verhaftungen hat 800 überschritten. Wir wissen nicht mehr, wohin mit den Leuten. Die Bewegung hat ganz ungemeßene Dimensionen angenommen. Die Schuldigen werden aus dem Senat, sobald sie verurteilt, in größter Eile auf den Richtplatz für Sklaven geschlept und dort kurzweg zusammengehauen – wir können nicht anders! – Der erste [53] Konsul, Lateranus, mußte, um ihn der Volksjustiz zu entreißen, fast auf offenem Marktplaz niedergemezelt werden. Der zweite Konsul, Vestinus, ein Mann ruhigster Gemütsart, aber von einem der Verschwornen angegeben, versuchte gar keine Verteidigung, er rekte, als der Prätor bei ihm eintrat, ohne ein Wort zu sagen, ruhig die Arme hin und ließ sich die Adern öffnen ...

NERO
außer sich, die Hände ringend, schreit.

Beim heiligen Jupiter, was wollen die Leute von mir? ... Bin ich nicht ein guter Kaiser? ... Ist das Heil des römischen Staates nicht Tag und Nacht meine eifrigste Sorge? ... Habe ich nicht mein halbes Vermögen geopfert, um das arme Volk mit Getreide zu versorgen, – gab ich ihm nicht Spiele, Wagenrennen, Triumfgesänge? ... In äußerster Verzweiflung. Was will man von mir? – Hat unter Tiberius, ja hat unter Augustus ein Volk in solchem Glük, in solchem Wolstande gelebt? ...Er geht in heller Verzweiflung auf und ab. ... Epaphroditus ihm nach, sucht auf ihn einzureden.

TIGELLINUS
zu den Zenturjonen, in großer Aufregung.

Der ganze Park wird mit einer dreifachen Reihe Soldaten umgeben. Einlaß wird Jedem verweigert, der nicht zu dem persönlichen Dienst des Kaisers, zu seiner täglichen Umgebung gehört. Auch Offizieren. Der hintere Eingang bei den numidischen Löwen wird mit zwei Kohorten aus den germanischen Legjonen besezt. Die umliegenden Villen sind zu observiren und von der Stadt- Seite dort Eintretende genau zu überwachen! Zenturjonen in verschiedener Richtung ab. ... Nach Vorn kommend, zu Nero. Ein großer Teil der von ihren Mitschuldigen im Laufe der Nacht Angegebenen wurden hier, in Deiner nächsten Umgebung, auf ihren Villen heute Morgen aus den Betten geholt und hieher in Gewahrsam gebracht. In Rom sind die Gefängniße überfült. Der Senat hatte sich als Gerichtshof für die [54] ganze Nacht in Permanenzerklärt. Ganze Züge gefangener Ritter und hoher Beamten durchkreuzten heute Morgen die Stadt. Das Volk steht bestürzt vor dieser Erscheinung und bricht in Verwünschungen auf die Uebeltäter aus ...

NERO
weinend.
Mein liebes, teures, römisches Volk! ...
TIGELLINUS
fortfahrend.

... Es lief zu den Tempeln, brachte Dankopfer der Fortuna und dem Jupiter, und bekränzte Deine Statuen auf dem Forum und auf dem Kapitol ... Ein Teil des Volkes und der Senat sind auf dem Wege hieher, Dich zu beglükwünschen, Dir die Hände zu küßen ...

NERO
wie oben.
O heilige Roma, hast du seit Sulla und Marius Solches in deinen Mauern gesehn? ...

Man sieht im Hintergrund Gefangenen-Transporte vorüberziehen. Die Gefeßelten, barhäuptig, in vornehmer Kleidung, werden von den Soldaten vorwärts gestoßen.
TIGELLINUS
wie oben.

Skävinus und Vita lis sind tot! Piso öffnete sich, als er die Soldaten auf sein Haus zukommen sah, die Adern. Den Seneka gab Vitalis sterbend als Mitwißer an. Die Eparchis, eine verkommene Person, die schon vor vierzehn Tagen die Mannschaften auf Deinen Schiffen zur Untreue verleiten wolte, und seitdem in Haft behalten worden war, wurde heute Nacht drei Stunden gefoltert, um sie zu einem Geständnis zu bewegen, und erhängte sich zulezt am Marterpfosten, um nicht ihre Mitwißer angeben zu müßen ... In diesem Augenblik wird im Hintergrund der Garde-Tribun Subrius Flavus als Gefangener eskortirt.Auf ihn hinweisend. – sogar in die Reihen Deiner Garde hat sich der Verrat geschlichen und Leute, die unter ihrem heiligen Eid zu Deinem Schutz designirt waren, haben Dir die Treue gebrochen und sich zu Deinen Feinden geselt! ... Zu Flavus, der von den Soldaten hereingestoßen. Jezt [55] sprich, Ehrloser, wenn du den Mut hast, die Stimme zu erheben; was trieb dich zum Verrat an deinem gütigen Kaiser? – –

NERO
auf ihn zu.

Undankbarer, den ich mit Woltaten überhäuft, wonach gelüstete es dir, als du zu meinen Feinden übergingst? ...

FLAVUS
untersezter, stiernakiger Mensch, trozig, mit blutunterlaufenen Augen, fast brüllend.

... Ich bin nur Soldat – und kann nicht viel Worte machen! ... ich war meiner Pflicht treu – und habe für Dich gegen die Parther geblutet, solange ich wußte, daß Du der glorreiche Vertreter unseres gemeinsamen, teuren Vaterlandes warst ... Geschrei der Umstehenden, die auf ihn einbringen.Zu den ihn Haltenden, wütend. Greift mich nicht so roh an! diese Arme haben Triumfkränze getragen! ... Zu Nero, spukend. doch verachtete ich Dich, als Du zur Memme wardst – das Schwert mit der Ziter vertauschtest – statt der Feinde Deine Verwanten hinschlachtetest ...

EPAPHRODITUS
dringt mit gezüktem Schwert auf ihn ein.
Schlagt den Hund nieder! ...
FLAVUS
wie oben, mit äußerster Anstrengung, brüllend.
... du Mörder du! – Schänder der römischen Freiheit ... Bluthund! ...

Sie dringen mit wildem Geschrei auf ihn ein und stoßen ihn fort. Nero wendet sich mit erschrokener Geste ab.
TIGELLINUS
zu den Abziehenden.

Macht nicht viel Federlesens! – Eine Grube außerhalb des Parks ausgehoben – den Kopf voraus – den Rumpf hintennach – und zugeschüttet!


Während der Gefangene abzieht und Alles in großer Erregung durcheinandergeht, strömt von allen Seiten eine große Menge Volks, Frauen und Männer, mit Kränzen und Palmwedeln, jubelrufend im Hintergrund zusammen. Sie übersteigen hinten vom Garten aus die Balustraden und bilden eine vielköpfige, sich übereinandertürmende nicht mehr
zu hemmende Maße. Die Senatoren, in weißen Togas mit [56] lorberbekränzten Schläfen, werden als geschloßene Gruppe in der Mitte sichtbar. Alles bricht in Beglükwünschungen und Jubelrufe aus: »Heil Zäsar! – Heil dem Liebling der Götter! – Zäsar Heil!« ... Ehe noch der Sprecher des Senats Zeit hat, vorzutreten, wendet sich.
NERO
im Vordergrund stehenbleibend, das Ganze überschauend, widerwärtig.
Oh, ja, ja! – Ist schon gut! – Gebt Euch keine Mühe! – Morgen treffen wir uns in Rom! ...

Unter wachsendem Tumult, während die Soldaten kaum im Stande sind, die immer mehr anschwellende Menge zurükzuhalten und fortwährendem Freude-Geschrei.

Fält der Vorhang.

4. Akt

[57] Vierter Aufzug.

Nero, ein Zenturjo; später ein Soldat, eine Stimme; noch später Akte; dann Tigellinus, zwei Bewafnete; zulezt Charmis, zwei Diener, zwei Sklaven.
Prunkgemach des Kaisers wie im ersten Akt; rechts vorn ein kleiner Spieltisch mit zwei niederen Sizen, die rechts und links stehen; ein dritter höherer Siz steht nach Hinten.
Nero allein, in weißseidener, goldgeränderter Toga, sonst schmuklos, das Haar ohne Spange, in leisen Sandalen, bequem und ohne Haltung, geht längere Zeit, mit sich selbst meditirend, und offenbar erregt, jenseits des Spieltisches nach Rechts und Links, die Hände auf dem Rüken, auf und ab.

ZENTURJO
von Rechts hinten, bleibt stehen, will nicht stören, wird dann bemerkt.
Ich komme von der Appischen Straße ...
NERO
energisch.
Ist Seneka tot?
ZENTURJO
zögernd.
Er befand sich eben bei ernster Arbeit, als die Kohorte bei ihm eintraf ...
NERO
widerwärtig.
Keine Details! Was soll das? – Ist er tot? – Frech. Is er hin? –
ZENTURJO
langsam.

Er verblutete diesen Morgen ... Wartet. ... wir waren kaum von ihm erwartet, – und doch schien er nicht im Mindesten bestürzt ...

NERO
winkt ihm ab.

Danke, danke! – Verbitte mir ein für allemal diese rührseligen Erzählungen! ...[58] Tiraden! – kann mir schon denken, daß er noch zwei Reden gehalten hat, – und noch den Entwurf zu einem Traktat »über die Unsterblichkeit« losgelaßen hat – Ausbrechend. dieses Geschwäz habe ich zwölf Jahre mitanhören müßen! – Wischi-Waschi! – Kling-Klang! – Profeßorenfrasen! ... und dabei hübsch gegen das Staatsoberhaupt konspiriren ... oh, diese Filosofen! – diese Retoren! – diese Aristokraten des Geistes! ... Er geht heftig hin und her.


Pause.

Zenturjo macht eine Bewegung, um sich zu entfernen. – Ja, ist schon gut! – Zenturjo ab.Bei steigender Erregung, spricht mit sich selbst. ... Wieder Einer – und wieder Einer! – und das hört nicht auf, das wächst nach wie bei der Lernäischen Schlange, sezt sich fort auf Kind und Kindeskind, auf Enkel, auf Gattin und Schwester – stekt an wie eine Idee, wie Feuer um Feuer frißt ... Wartet. Sie wollen nicht! – wollen nicht! – wollen sich mir entgegenstemmen! ... Überlegt. Aber, kann ich das helfen? – Kann ich da etwas machen? – Kann ich? ... Bleibt stehen. Nein! – Sie müßen! Geht weiter. – Sie müßen! – Haben Mir die Götter dieses Reich gegeben, um es verkommen zu laßen? – Soll Ich diese Welt, die Mir in den Schoos fiel, zu einem Spielball für Ande re werden laßen? – Bin Ich nicht der Talentir teste für dieses Imperjum? – Wachen in Meinen Kopf nicht die Blize des Gedankens, die Fakeln des Schenies? – Warum haben Mir, gerade Mir, hierZupft an seiner Toga. diesem Fleisch, diesem Blut, diesen Adern die allheiligen Götter dieses Reich gegeben? Mußten sie nicht wißen, daß Ich der Gemeßenste bin? Oder, für den Fall nicht, daß Ich den gemeßensten Gebrauch machen werde? – Warum wurde Burrus nicht Kaiser? – Warum nicht Seneka? – Warum mußte Britannikus sterben? – Agrippina den Dolchen der Mörder erliegen? – Warum [59] hielten sie das Alles nicht auf? – Betonend. Nein, – sintemal Ich hier bin, von der kaiserlichen Glorie umflamt, von den ewigen Göttern hiehergesetzt, will Ich herrschen, sol len die Andern gehorchen, müß-en die Andern gehorchen, und wenn es Senatoren-Köpfe regnen solte! ... Erfrischt; wischt sich den Schweis ab.


Pause.

... Bitter nikend. Diese Spizbuben von Senatoren – diese Halunken von Potifizes – diese – ah, dieses ganze gehaltshungrige, auszeichnungsbdürftige Gesindel mit seinen kleinen Gedanken, soll Ich das arbeiten laßen? – Diesen bunten Haufen heruntergekommener, hinaufgeturnter Beamten, die für einen gnädigen Blik Alles, – Alles unternehmen – soll Ich Die wirtschaften laßen? ... Mit entschiedener Handbewegung. Nein, diese Meute muß zusammengekoppelt werden, die Guten und die Bösen, – die Guten zur Aufmunterung, die Bösen zur Knebelung – diese Leute wollen das Halsband, brauchen das Halsband, fühlen sich wol im Halsband, sind bestimt für das Halsband –Ausbrechend. ah, ja ja: die Freiheit, die römische Freiheit, die alte, römische Freiheit – ja, das mißt Ihr nicht, daß die nicht mehr kommen kann! – daß dieses mächtige, koloßale Imperjum nicht mehr mit dem tribunizischen Veto, mit der konsularen Tatkraft, mit der Geschiklichkeit eines Szipio Af rikannus übersehen werden kann! – die Freiheit ist hier Deutet auf den Fußboden.hier ist die römische Freiheit versammelt – die römischen Freiheiten steken in meinen Kopfhier Deutet auf seinen Kopf. sind die römischen Freiheiten versammelt! Er argumentirt in die Luft. Alles könt Ihr haben – Lust, Freude, Vergnügen, Pantomimen, Flöten-Konzerte, Gerichtsverhandlungen, Tierhezen, Gottesdienste, Sarturnalien – aber durch Mich – hier Strekt weit die Hände hinaus. durch diese Hände – von Mir gehen alle diese Strahlen aus, die Euch [60] erleuchten, Euch erwärmen – Ich will Euch erleuchten und erwärmen, Euch glücklich und froh machen – aber ich will es, muß es, kann es – versteht doch Euren Kaiser! – Ich teile das Alles aus – hierhin und dahin – gerecht und billig – wie es die allewigen Götter befehlen – denn der, durch den die allewigen Götter zu Euch sprechen, bin Ich! ...


Lange Pause.

Er geht langsam und schwerfällig zu dem Tische rechts, läßt sich, mit dem Gesicht gegen das Proszenium, erschöpft nieder, und stüzt müde den Kopf auf. Und doch – und doch!doch ist dieser Kopf in einer grauenhaften Zerrüttung –Langsam. doch weiß Ich oft nicht, woher diese Gedanken kommen, – wohin sie gehen – Fängt zu weinen an. Ihr dreimal heiligen Götter, was habt Ihr in diesem Kopf beschloßen, das ich nicht ergrübeln kann? ... Ruhig und ernst. bin Ich ein Mißetäter? – bin Ich ein Schuft? – bin Ich ein Mörder? – – hat man Mich nicht zum Aeußersten getrieben? – hat das Staatswol nicht die Opfer verlangt? – haben nicht die Götter durch Mich gehandelt? – kann Ich ein Mißetäter sein? – kann Ich ein Mörder sein? – Leiser und betonend. kann – Ich – Schuft sein? ... Noch leiser, paßt auf. woher diese lemurenhaften Geräusche? Start hinaus. – woher diese Einflüsterungen? – – woher diese Verdächtigungen? – sind das Meine Gedanken? – – kann Ich denn ein Schuft sein? – sind es frem de Gedanken? – wie kommen sie dann in Meinen Kopf? – – Nachdenklich. hab' Ich nicht die Manen versühnt? – Weint. der Mutter dreifach heiliges Opfer gebracht? – die Schatten zwanzigfach besänftigt? – die Magier heilige Sühnopfer bringen laßen? – 60,000 Sesterzien für ihr Grabmal ausgeschüttet – ihre Bildsäule zu den Göttern gestelt – es mit Rosen und Blumen umkränzt – Betonend den Finger erhoben. für etwas, was das heiligste Staatswol erforderte![61]Sinkt wieder zurük, leiser. Alles getan! – Noch leiser. Alles ... Er start mit gläsernen Augen vor sich hin.


Pause.
STIMME
von Rechts aus der Wand, dicht neben ihm, zischen, mit heller Mund- und Rachenstimme, sehr langsam, die zweite Silbe weit hinausdehnend.
Scheu-ß-aaal! –
NERO
erwacht.

Wer? – Ich! – Warum? – – Erwacht ganz. Ich Götter! – Tollheit! – das kann ja nicht sein ... Springt auf. He, Haloo! – Zenturjo! – Halunken! – wo seid Ihr? ... Läuft nach Hinten.

ZENTURJO
stürzt herein, erschroken.
Herr und Gebieter, wer stört Dich?
NERO
befehlend und auf die Wand deutend.

Warst du? ... Wo warst du? – Ohne die Antwort abzuwarten, redreßirt sich. Ach, natürlich! – Tollheit! – Du warst drüben Deutet nach dem Hintergrund. auf der Wache! – Natürlich! – Was willst du? – Ja so! – Na, geh' nur hinüber Inzwischen ist ein zweiter Soldat mit entblößtem Schwert hereingestürzt. – geht nur Alle Beider hinüber! – Was wolt Ihr eigentlich? Er wendet sich ab.Die beiden Sklaven ziehen sich verduzt und langsam zurük.Er fält nach wenigen Schritten auf dem Polster zusammen, wo er schluchzend das Gesicht in der Toga verbiegt. Was ist geschehen? – Was ist geschehen? ...


Pause.
AKTE
tritt langsam mit einem der Soldaten, der leise mit ihr spricht, in stummer Besorgnis von Rechts hinten auf; sie ist ganz in Weiß gekleidet, hager, schlank, bleich, die schwarzen Haare ohne jeden Schmuk; sie bleibt in der Ferne in trostlosem Anblik Nero mit gekreuzten, nach unten gefalteten Händen stehen; dann näher kommend.
Zäsar, eine grenzenlose Angst treibt mich her zu Dir ...
NERO
ist plözlich aufgesprungen, geht stark verwirt, wie wütend auf sie zu.

Ha, Hexe, du bist es! – Zauberin! – Lemure! – was wilst du? – Du warft es! – Du warst es! ... Kanalje, sag': Scheu-ßaaal! sag': Scheu-ßaaal! Dringt auf sie ein.

[62]
AKTE
wirft sich ihm zu Füßen.
Bei allen Göttern, Zäsar ...
NERO
dringt wütend auf sie ein.
Du solst Scheußaal! sagen! ...
AKTE
umklammert ihn.

... solch niedrig Wort ist nie über meine Lippen gekommen! – Töte mich, Zäsar, wenn es Dir Gewinn bringt, wenn es Dich glüklich macht – aber erniedrige mich nicht, erniedrige nicht diejenige, die Du einst zu Dir erhoben – – Zäsar, ich beschwöre Dich bei Deinem goldenen Herzen, bei Deiner Herzensgüte, die ich gekostet, und die das Volk anbetet ... Nero beruhigt sich.Springt auf, umschlingt ihn. – was hast Du? – sag' mir, was hast Du – kann ich Etwas tun? – ich will mein Landgut verkaufen, meine Sklaven verschenken, die Kostbarkeiten, die Du mir einst zu Füßen gelegt, hieher bringen, wenn ich eine Minute der Nachtruhe Dir erkaufen kann ... Er sieht von der Seite zu ihr hinüber und trift ihr Auge. – sag', Du kleiner, dummer Junge, was ist das mit Dir? – was hast Du, mein Kind? – Sie troknet ihm die Stirne. beim Herkules, Du bist ja in tausend Totes-Aengsten Ordnet ihm die Haare. – bist ja wie gefoltert – Sie gehen zusammen nach Rechts zu einem der Wandpolster. ...

NERO
sizend, freundlich, aber noch mistraunisch, Akte zu seinen Füßen.
Hast du 'was gesagt? –
AKTE.
Ob ich 'was gesagt habe? – Ich spreche ja die ganze Zeit mit Dir!
NERO.
Hast du vorhin 'was gesagt?
AKTE.
Vorhin? – Ich habe mit einem Soldaten der Wache gesprochen!
NERO.
Was hat er gesagt?
AKTE.
Er hat gesagt, daß Du krank bist.
NERO.
Krank? – Lächerlich!
AKTE.
Daß Du Dich unwol fühlst.
[63]
NERO.
... Was hat er sonst gesagt?
AKTE.
Er hat Nichts gesagt. – Er wolte mich nicht vorlaßen! Ich sagte: ich müße den Zäsar sprechen ...
NERO.
Wo komst du her?
AKTE.

Ich komme vom Kapitolinischen – wo ich für Dich gebetet habe – und wo sich plötzlich eine furchtbare Angst meiner bemächtigte ...

NERO
schielend.
... Du kleines Närrchen, denkst immer noch an Mich? ...
AKTE
mit unterdrüktem Gefühl.

O, Zäsar, ich liebe nicht den Herrn der Welt in Dir – ich liebe in Dir den guten Menschen, der mich aus dem Staub geholt, mich von der Gaße genommen, mich, die Sklavin, geküßt, vor aller Welt geehrt, mir sein Herz geschenkt – sein – Herz – ge- schenkt ... Sie schluchzt auf seinen Knieen.

NERO
rasch, erhebt sich, geht nach Links vorn, – Akte ihm nach, – mit schmerzlichem Akzent.
... Kind, die Schäferstunden sind vorbei! – die Tändeleien sind vorüber ...
AKTE
stürmisch, ihn umhalsend.

Was hast Du? – Sag' mir! – Du brauchst mich nicht mehr zu lieben! ... Sag' mir, wo Dein Gefühl verwundet ist – Alles ist ja tot um Dich, was Dir hätte nachstellen können: Britanni ... Er fixirt sie scharf, und die verstumt. – – Schmeichelt. Zäsar! – mein Junge! – sag' mir, wo ich Dir helfen kann ... was Dir fehlt ... Ganz Rom rüstet sich, zum Dank für Deine Errettung aus Mörderhänden den Göttern heilige Opfer darzubringen, und, Du allein bleibst kalt, tot, mutlos, verdroßen! –

NERO
grübelnd, sucht in sich, halblaut, langsam.

... Mein Gehör ist so scharf geworden ... ich höre Dinge, die ich beßer nicht hörte ... es ist fatal, Alles in der Welt hören zu müßen ...

[64]
AKTE
gütig.
Was hörst Du? –
NERO
mit sich selbst überlegend.

... Es ist Folge meiner Anstrengung, – in diesem großen Verwaltungskörper – Alles genau – er-hören, er fahren zu wollen – die Folge Er wischt sich über das Gesicht, wie um den richtigen Gedanken zu erhaschen. – eines Bedürfnißes, in alle Poren dieser Welt einzubringen ...

AKTE
harmlos.
Ei, dann schließ Dich doch ein!
NERO.
Ja dann eben hör' ich es!
AKTE
erstaunt.
Dann hörst du es! – Und was? –
NERO
zerstreut.
Ach – Unannehmlichkeiten des Reichs.

Pause.
AKTE
schmeichelnd.

Komm, Zäsar – laß dich aufheitern! – hol' Terpnus, – er hat 'ne neue Harfe bekommen – laß das dumme Zeug – sei wieder der Alte! ...

NERO.

Nein, laß' Kind! – es ist vorbei! – man lebt nicht eine Sache zweimal – Geh und flehe zu den Manen der Verstorbenen – um Vergebung. – Sie haben sich nach Hinten gewant. – Geh! – Da sie zögert, gebieterisch. Geh!Sie wirft sich ihm zu Füßen, faßt seine Hände, küßt sie, weint; – steht dann auf, und geht, ohne ihn nochmals anzusehen, nach Hinten, zulezt langsam, nach Rechts ab.

NERO
hat ihr nachgesehen, steht etwas nach Links, gegenüber dem Spieltisch, horcht gespant nach der rechten Seite.

Lange Pause – es herscht Totenstille.
STIMME
von rechts, wie oben.
Scheu-ß- aaal
NERO
taumelt zurük totenblaß, mit ringendem Atem; – weicht noch mehr zurük; endlich, wie auf einem Umweg, sich nach Hinten rechts wendend, wo Akte abgegangen, wütend, mit erhobener Faust.
Ha, Kanalje! ... Geht in langsamen, lauernden Säzen nach Rechts hinten ab.

Pause.
ZENTURJO UND SOLDAT
kommen plözlich erschroken hereingestürzt.

Er ermordet uns! – Er rast! – Eil' auf die [65] Wache! – Nach Links zeigend. Dort hinaus! Hier begegnen wir ihm! – Er komt! ... – Beide nach links ab.


Pause.
NERO
komt von Rechts langsam, stark verwirt, mit gezüktem Dolch; schaut sich starr um; horcht gespant; geht dann, wie lauernd, auf die rechte Seite der Tapetenwand, in der Nähe des Spieltischs, von Zeit zu Zeit horchen und aufpaßend; stürzt sich endlich wie wütend auf die Wand, zersticht und zerreißt die Tapete, zersticht die Polster daselbst, wirft sie herab und zerstreut sie im Saal.

Ha, Ihr Halunken – Ihr Mörder! – Diebsgesindel – Ihr Einbrecher! Wagt Ihr so mit dem Herrn der Welt zu sprechen? – Fahrt zum Hades! – An den Galgen mit Euch! – Jammer- – Jammer- – Jammergestalten! ... Er betrachtet in Verzweiflung sein Zerstörungswerk; scheint unsicher über sich; wirft den Dolch weg; jammert und flucht; retirirt endlich voll der furchtbarsten Angst nach Links, wo er sich auf ein Polster flüchtet, die Beine nach oben zieht und mit gespanter Haltung, keuchendem Atem, gänzlich verwirtem Blik die verdächtige Tapetenwand im Auge behält.


Lange Pause.
Man hört draußen Stimmen, Fragen, Rumor. – Endlich tritt Tigellinus mit zwei Bewafneten von Hinten rechts ein.
TIGELLINUS
bleibt erstaunt stehen, mit sicherer Vertraulichkeit.
Bist Du das? – Zäsar! – Was ist? –
NERO
weinerlich.
Mich friert, Tigellinus, mich friert ...
TIGELLINUS
winkt schleunigst die Begleiter fort; diese ab.

Beim dreimal heiligen Genius der Pferdswäscher und Roßbollensamler, ist das eine Aufführung für einen Kaiser? – Laß Dir doch einen thrazischen Ofen kommen! ...

NERO
wie oben.
Ach Tigellinus, es ist – es ist keine leibliche Kälte ...
TIGELLINUS.
Keine leibliche Kälte? – Na, dann laß Dir' ne Hure kommen! – Ruf' die Drusil la! ...
NERO.
Ach, mein süßer Tigellinus, bleib bei mir, es ... es ... mich verzehrt die Angst! ...
[66]
TIGELLINUS.

Gütiger Mars! Da spionier' ich das Reich aus und hole ihm die gefährlichsten Köpfe bis aus Gallien und Asien – und er ergibt sich hier der Furcht! ... Weißt du, daß, wer das Handwerk eines Kaisers ergriffen hat, niemals, nie, für eine Sekunde, aus der Pose des Gottes Strekt sich, macht eine hoheitsvolle Bewegung. fallen darf ... sonst ist er verloren! ... Schauspieler, wie Wir, dürfen nie aus der Rolle fallen, sonst Macht eine droßelnde Bewegung am Hals. pfeift man uns aus! ...

NERO
kriecht allmälich herunter von seinem Siz.
Ja, ich weiß, Du hast Recht ... aber ...
TIGELLINUS
nach Rechts, auf die Zerstörung zeigend.
Was ist denn das? – Haben hier die Germanen gehaust?
NERO
noch voller Angst.
Ich weiß nicht – wie das paßirt ist.
TIGELLINUS.
Wer hat die Tapete zerrißen?
NERO
sich besinnend.
Ich denke das Lattenwerk ist hier gebrochen ...
TIGELLINUS
sieht auf die jämmerliche Erscheinung des Zäsar.

Guter Freund, Du bist ja wieder in Deinem grenzenlosesten Stadium! ... Ruft nach Hinten. He da! – Seine zwei Begleiter kommen.Auf die Wand weisend. Das hier in Ordnung bringen! und ... dem Hauspräfekten sagen laßen, diese Wand neu zu stüzen – bevor dem geheiligten Haupte des Herrschers Gefahr droht! ... Die Diener bringen rasch die Polster in Ordnung und entfernen sich auf einen befehlenden Wink Tigellinus' wieder.Pointirt. diese Leute sindmir ergeben, aber – wenn dich so ein Prätorjaner sieht – in zehn Tagen ist Galba Kaiser! Nero erschrikt. – Ja, beim Herkules, wer mit Anderer Leute Köpfe spielt, muß den seinen beisammen haben! ...

NERO
kleinlaut.
Meinst du, daß Britanni kus ...
TIGELLINUS
gelang weilt.

Jezt gehen wieder die Totenregister an! ... Ärgerlich. Britannikus ist tot! – Agrippina ist tot! – Seneka ist tot – Piso [67] ist tot – Soranus hingerichtet – Sulpizius und Torquatus erdroßelt – die Köpfe von Plautus und Sulla habe ich Dir persönlich überbracht! ... soll ich Dir den Fährmann aus der Unterwelt holen? er würde Dir bestätigen, daß diese Leute über den Acherusischen See gefahren, und er sein Trinkgeld bekommen ...

NERO
kindlich.
... und auch versöhnt sind? –
TIGELLINUS.
Tote haben nichts mehr zu verlangen!
NERO
wie oben.
... ihre Manen versöhnt sind? –
TIGELLINUS.

Die Manen von Leuten, die dem Kaiser nach dem Leben getrachtet haben, haben kein Recht auf sühnende Opfer und Kränze.

NERO.
Und die Lemuren? ...
TIGELLINUS.

Lemuren sind Kinderpoßen für Minderjährige, die in den Bädern noch kein Entrée zahlen ... Kaiser glauben nicht an Lemuren – Pferdehändler glauben nicht an Lemuren – Leute, die mit Blut umgehen, Mezger und Kuttelhändler glauben nicht an Lemuren ... wo kämen die Leute hin? ... schon das Handwerk verbietet derartige Dinge ...Macht eine verzweifelte, verächtliche Bewegung und wendet sich ab.

NERO
etwas gefaßter.
Mein goldiger Tigellinus – ich habe seit Nächten nicht geschlafen! ...
TIGELLINUS.
Ja, Du siehst aus, als hätte Dich der Fährmann wieder aus dem Boote gesezt.
NERO.
Ich bedarf der Ruhe ...
TIGELLINUS.

Ja, und der Hühnerbuljon – Ärgerlich, leise. beim Jupiter, wenn man derartige Zustände hat, bleibt man nicht in der Haupstadt – man geht auf sein Landgut – und macht es wie die Weiber, die sich nur im schönsten Glanze zeigen, und ihre geheimen Zustände im Stillen abmachen, und die Krämpfe verbergen.

NERO
sichtlich erholt.
Ja, ich war krank! – Schike nach Charmis! – ich muß einnehmen ...
[68]
TIGELLINUS.

Ja, er soll Dir zum Schlafen geben – und Dich restauriren ... Geht nach hinten, winkt seinem Bewafneten und gibt ihm einen Befehl. Bewafneter ab.


Pause.
NERO
er hat jezt seinen Anfall überwunden, redreßirt sich, ordnet sich Haar und Toga, seufzt, sieht sich um, kann es nicht begreifen, wird aber immer beßer, geht zulezt langsam und schläfrig, wie ein Rekonvalszent, nach vorn, bestaunt sichtlich die gefährliche Wand, aus der ihm das Entsezen in so furchtbarer Gestalt nahe gekommen, sieht sich nach Tigellinus um, der im Hintergrund eifrig meditirend auf- und ab geht, greift endlich nach einer kleinen Harfe, die auf den Polstern liegt, sezt sich an den Spieltisch rechts, mit Blik in's Proszenium, klimpert und präludirt ein Bischen, und rezitirt endslich in melodramatischer Weise, mit diskreter Harfenbegleitung, als Ausdruk der süßmelancholischen Stimmung, in der Rekonvalszent sich in solchen Momenten befindet, ein Liedchen eigener Komposizion.

An Eurotas' Ufern, im Blumenhain,
Von Wellen umspielt, vom Zephir geküßt,
Saß die Königstochter von Nimfen bedient –
Weiß – weißschimmernde Leda!

Gesunken war die Sonne in's Meer,
Und Luna stieg im Osten empor,
Umglänzte die Tochter mit silbrigem Schein –
Weiß – weißschimmernde Leda!

Und berükt von der Glieder schneeigem Weiß,
Entzündet in heftigem Liebes-Drang,
Erblikt sie der höchste, der heilige Gott–
Weiß – weißschimmernde Leda!

Schnell eilt er hinunter an's brandende Meer,
Und tauscht mit dem Schwan das seidne Gwand,
Und rudert daher mit Stolz und mit Kraft –
Weiß – weißschimmernde Leda!

Der Königstochter entfähret der Schrei,
Sie greift nach Binsen und Weiden um Schuz,
Die Nimfen entfliehen in wilder Hast –
Weiß – weißschimmernde Leda!

[69] Doch der Gott peitscht die Wellen zu wildem Gischt,
Und rekt sich empor und bläst und pfaucht,
Umklammernd, umschmeichelnd das herliche Kind –
Weiß – weißschimmernde Leda!

Und im dunklen Hain, nach gemeßener Zeit,
Die Königstochter gebar ein Ei,
Aus dem sich Kastor und Pollux befreit –
Weiß – weißschimmernde Leda!

Die Helden ertrozten sich Sieg und Ruhm,
Erreichten Italika's glüklichen Strand,
Und zeugten das götliche, Jul'sche Geschlecht –
Weiß – weißschimmernde Leda! – –

Langsamer, melancholisch.

Dein Sohn, o Mutter, ist traurig und krank,
In Mismut versunken sein fürstlicher Sinn,
Lemuren umschwärmen sein tapferes Herz –
Weiß – weißschimmernde Leda! –

Er läßt die Harfe sinken und blikt mit schwärmerischen Augen in die Ferne.
Pause.
Man hört draußen ein Geräusch.
NERO
erwacht aus seinen Träumereien.
Wie?
TIGELLINUS
bleibt stehen, troken.
Den Kopf Thrasea's müßen wir noch haben!
NERO
erschroken, steht auf.
Den Kopf? ...
TIGELLINUS
wie oben.

Den Kopf Tharsea's müßen wir noch haben ... Wir brauchen jezt freie Bahn! ... Er steht an zu wichtiger Stelle! ... Sein Einfluß im Senat ...


Charmis tritt von hinten rechts mit zwei Dienern ein.
TIGELLINUS
ihm entgegen.

Ah, Charmis! – gut, daß du komst ... Sie tauschen hinten Grüße; – auf Nero verweisend, kopfschüttelnd. Eine merkwürdige Indisposizion! ... Ab mit seiner Begleitung. – Die übrigen Soldaten und Begleiter halten sich eine Zeit lang hinten auf, verschwinden während des Folgenden.

[70]
CHARMIS
nach vorne kommend.
Heil, Zäsar! ...
NERO
weiterhin in der weichlich-ängstlichen Stimmung, die sich als Folgezustand der vorausgegangenen Atake ergibt.

Heil, mein lieber Charmis, Heil! – Wie geht's? Was machen die lieben süßen Kinderchen? Wie geht's in der Familie? ...

CHARMIS.
Danke, Zäsar, Danke! – sie wünschen Alle dem Zäsar Heil!
NERO.

Ich bin krank, mein lieber Charmis, krank! – Komm' her! Sez' dich! – Mach' dir's bequem! – Ich muß mit dir reden! – Ach, beim großen Jupiter, was ich durchgemacht, ich kann es Dir nicht sagen: seit zwanzig Nächten hab' ich nicht geschlafen! ...Charmis macht große Augen – im Folgenden kompleter Scharlatan. – Ja, ja! – Sie sezen sich an den Spieltisch. – hör' mal, mein lieber Charmis, – sag' 'mal: komt es vor, daß – Mauern Er deutet an die Wand. – Wände, Tapeten – reden?

CHARMIS
paßt auf.
Wände? Tapeten?
NERO.
Ja, – Wände, Tapeten, Spiegel, Kandelaber, Teppiche? –
CHARMIS
glozt, – nach einer Pause.
... nicht direkt, – daß ich wüßte; – es mag vorkommen! – aber nicht für gewöhnlich ...
NERO
mechanisch.

Nicht für gewöhnlich. – – Aber wer könte innerhalb einer Wand – aus einer Tapete – reden, wenn es vorkäme? –

CHARMIS
glozt.
... wenn Niemand hinterder Wand steht? –
NERO.
... wenn Niemand hinter der Wand steht!
CHARMIS.
... sich Niemand zwischen die Hohlwände hineingeschlichen haben kann?
NERO.
... sich Niemand zwischen die Wände hineingeschlichen haben kann!
[71]
CHARMIS.

Nun, beim Jupiter! nur ein Gott kann in übermenschlicher Weise sich der Wand bedienen, um Unaussprechliches zu künden – nur ein Dämon, der Großes oder Schmerzliches verkünden will, kann durch die Wand, durch Luft, Felder, Bäume, Gras, reden; – nur die Manen eines Verstorbenen können sich so aussprechen wollen...

NERO
dumpf wiederholend.
... nur die Manen eines Verstorbenen ...
CHARMIS.

... nur die Manen eines Verstorbenen, dem früh, zu früh, die irdische Zunge verschloßen ward – und, der Wichtiges verkünden will.

NERO
nach dumpfen Hinbrüten.
So muß ich auf's Neue die Magier kommen laßen, um die Geister zu beschwören ...
CHARMIS
unwillig.

Laß das! – Mit wegwerfender Handbewegung, leise. Schwindler! – Lauter. Um was handelt es sich? – Was hört Zäsar? –

NERO
mit Grausen.

Ich höre Mich beschimpft, meinen Namen beflekt, wie der geringste Sklave Mich nicht nennen würde! – – Verhült das Haupt. »Scheußaal!« – schreit es durch den ganzen Palast – durch alle Räume – durch die Gärten – aus allen Löchern – jede Flamme schreit: »Hund!« – jede Tapete keucht ein Schimpfwort ... Weint.

CHARMIS
stuzt.

– – Aeh – hast Du genau nachgesehen, daß auch kein abgerichteter Spizbube Dich äft? – Daß kein Sklave Dich nart? – Kein bestochener Schelm dich ängstigt! –

NERO
kopfschüttelnd.

Ich peitsche die Sklaven – sie wißen nichts – sie wißen nichts – sie hören nichts – ich höre, nur ich – der Kaiser Schluchzt.

CHARMIS
aufatmend – scharlatanirend.
Ah – ist es [72] das? – Ihr guten Götter! – Lächelnd. das komt vom Blut ...
NERO
aufpaßend.
Vom Blut?
CHARMIS
scharlatanirend.

von – äh – Schnipft mit den Fingern. zu heftigem Blutgang – äh – Blutandrang gegen den Kopf – äh – Ueberbeschäftigung der Sinne – äh – die der Erregung nicht gewachsen – äh – in ihrer Weise antworten ...

NERO
aufmerksam.
... »antworten«! ...
CHARMIS
sehr überlegen.
Ja, – Sensorium! – Resonanzen im Sensorium! – Kopfspielerei ...
NERO
beruhigter.

Und warum Schimpfreden? – Auffahrend. warum die gemeinsten Schimpfreden zwischen dem Ape nin und Sizilien?

CHARMIS
scharlatanirend.

Oh ... Scherze! – – der Kopf, der den ganzen Tag Staatsgeschäfte und heiligste Dinge – sozusagen: die Arbeit eines Gottes verrichtet hat, – erholt sich – spaßt – scherzt – justement! – und taucht nun erst recht in der Goße unter ... Lacht troken. hehe ...

NERO
lacht gezwungen.
Hähä! ... Überlegt, dann sichtlich beruhigt. Und das ist die ganze Katapulte?
CHARMIS
sicher.
Das ist die ganze Katapulte.
NERO.
Hm! – Na, aber hör' mal, Charmis: die Sache ist aber verdamt unangenehm! –
CHARMIS
bedenklich.
Jaaa – Zäsar hätte früher schiken sollen!!
NERO
bedenklich.
– – nun, und was ist dazu tun? –
CHARMIS
sehr überlegen, kurz.
Oh – – nux vomica! ...
NERO
erstaunt und freudig.
Nux vomica?
CHARMIS
wie oben.
Nux vomica!
[73]
NERO.
Und – äh – wie? – in Substanz? – troken? – naß? ...
CHARMIS
wie oben.
Im Diffus – wäßrige Lösung! ...
NERO.
Aha! – Und wie ist sie zu haben?
CHARMIS
untersucht einen kleinen Lederbeutel, den er aus der Toga zieht, gleichgiltig.

Ich weiß nicht, ob ich frischen Extrakt bei mir habe ... es wird sehr viel verlangt, – es ist auch Abortiv-Mittel ...

NERO
sehr erstaunt.
Ah? ...
CHARMIS
überlegen.
Ja, – es abortirt Alles – schlechte Winde, – schlechte Früchte – schlechte Gedanken ...
NERO.
Aha! – – Kannst Du drum schiken? –
CHARMIS
erhebt sich.

Ich denke, Zäsar, mein Famulus wird es wol finden – Im Begriff nach Hinten zu gehen. Verzeihung ... Geht nach Hinten und spricht mit einem seiner Diener.

NERO
stüzt sizend den Kopf in die Hand und versinkt in tiefes Nachdenken; – – sichtlich erleichtert, dem zurükkehrenden Charmis entgegen.

Du verpflichtest mich, Charmis, in ganz außerordentlicher Weise Charmis verbeugt sich tief. – tritst in die Reihe Unserer Freunde und Genoßen ein Charmis wie oben. – der Dank des Zäsar wird nicht ausbleiben! ...

CHARMIS
weltmännisch.

Dem götlichen Zäsar – dem Sproß aus dem erlauchten Hause des Augustus – dem Vater des Vaterlandes – Spielt seinen höchsten Trumf aus. dem gotbegnadeten Künstler – seine Dienste zu weihen, ist das höchste Glük für den Größten wie Geringsten im Volke ...

NERO
sehr gnädig; – wendet das Gespräch.

Wie geht es Dir sonst? – Was machen Deine Olivenpflanzungen? – Du treibst jezt große Baumzucht, habe ich gehört? ... Hat der Frost dieses Frühjahr nicht geschadet?

[74]
CHARMIS
immer sehr unterwürfig.
Danke, Alles gut vorübergegangen.
NERO.
Was machen Deine Fischwaßer? – Wie gedeihen die Muränen 9?
CHARMIS.
Gut, gut.
NERO.
Womit fütterst Du sie?
CHARMIS.
Mit Pferdefleisch.
NERO.
Nicht mehr mit toten Sklaven?
CHARMIS.
Pferdefleisch ist zarter.
NERO.
Ach was! – und Deine Reben? Wie ist Dein Zäkuber 10 gediehen?
CHARMIS
mit Kußhand.
Exzellent!
NERO.
Du bist gut in deine Praxis hineingekommen ...
CHARMIS
untertänig.
Seit mir der götliche Zäsar seine mächtige Gönnerschaft hat zu Teil werden laßen ...
NERO.

Ja – diese numidischen Fürsten zahlen – zahlen gut – und bringen ihre prächtigen Leberkrankheiten mit ...


Inzwischen ist Charmis' Diener zurükgekehrt und übergibt seinem Herrn das befohlene Medikament. Charmis gießt von der Flüßigkeit in einen kleinen Becher und überreicht ihn, nachdem er leicht gekostet, Nero, der ihn leert, und sorgsam die Wirkung beobachtet.
NERO
mit einem bedeutsamen Blik.
Nux vomica?
CHARMIS.
Nux vomica!

Sie stehen jezt Beide mehr gegen den Hintergrund links; von hinten sind gleichzeitig mit Charmis' Diener von Nero's Umgebung zwei Sklaven eingetreten.
NERO
wendet sich nach Vorn, rechts, gegen den Spieltisch, mit einer einladenden Bewegung gegen den Arzt.
Charmis, ein Spielchen?
[75]
CHARMIS
mit verbindlicher Dienstfertigkeit.
Ich stehe zu Befehl.
NERO
winkt einem der Sklaven.
Zwei Beutel mit Sesterzien – und die kleinen indischen Schalen!

Während der Eine der Sklaven den Spieltisch rechts vorn zurechtstelt, der Andere Schalen und Geldbeutel holt, wenden sich Nero und Charmis ebenfalls nach Born und nehmen am Spieltisch so Plaz, daß Charmis rechts mit dem Rüken gegen die Wand, Nero ihm direkt gegenüber sizt. Die Morra 11, welche ein scharfes gegenseitiges Beobachten und Sich-Aug'-in-Auge-schauen verlangt, läßt Beide sich so nahe gegenüber rüken, daß gerade Raum für das Vorstreken der Finger bleibt. Während des Folgenden ziehen sich Diener und Sklaven zurük.
NERO
sizend, ihm einen der Goldbeutel zuschiebend.

Hier dein [76] Beutel, gleichzeitig Dein Honorar – Mit Humor. wenn es verspielt ist, kommen Deine Gärten dran.

CHARMIS
lachend.
Zäsar, ich hoffe, mehr als die beiden Säkchen hier nach Hause zu bringen.
NERO
sich in Positur sezend.
Also!

Beide rüken dicht an den Tisch heran, halten beide Hände zur Faust geschloßen in Gesichtshöhe und bliken sich gegenseitig scharf in's Auge. Mit der Zahl wird jedesmal von jeder Seite eine Anzahl Finger vorgeschnelt.
NERO.
Zwölf!
CHARMIS.
Drei!
NERO.
Acht!
CHARMIS.
Fünf!
NERO.
Sieben!
CHARMIS.
Drei!

Nero hat gewonnen. 12 Charmis übergibt ihm eine Anzahl Sesterzien.
NERO.
Die Olivenernte wird fällig.
CHARMIS.
Noch sind sie nicht reif.
NERO.
Neun!
CHARMIS.
Vier!
NERO.
Drei!
CHARMIS.
Acht!
NERO.
Drei!
CHARMIS.
Vier!

Nero hat wieder gewonnen! Charmis begleicht.
NERO.
Dein Muränenteich mag sich parat halten.
[77]
CHARMIS.
Die Fische brauch' ich, wenn Zäsar zu Gaste zu mir komt.
NERO.
Neun!
CHARMIS.
Sieben!
NERO.
Acht!
CHARMIS.
Sieben!

Beide haben die Zahlen erraten.
NERO.
Zugleich! – – Deine Fische sind noch nicht fett.

Und so weiter. Die Wahl der Zahlen spielt nach dem Gesagten keine Rolle und liegt im Belieben der Schauspieler. – Nach je drei, vier oder fünf Aufrufen wird im Folgenden von einer Seite gewonnen.
Sie spielen. Cahrmis gewint. Nero begleicht.
CHARMIS.
Meine Fische werden wieder munter.
NERO.
Nicht auf lange!

Sie spielen. Nero gewint. Charmis begleicht.
NERO.
Die Frische kehren zurük.
CHARMIS.
Ich hoffe, Zäsar wird mich einladen.
NERO.
Gern. Leider sind sie nur mit Pferdefleisch gefüttert.
CHARMIS.
Das numidische Sklavenfleisch macht sie tranig.
NERO.
Du müßtest einmal einen von den Christiani hineinhängen, deren Blut soll milde und zart sein.

Sie spielen. Nero gewinnt.
NERO.
Jezt kommen Deine Gewächshäuser!
CHARMIS.
Die Götter sind Zäsar günstig.

Sie spielen. Nero gewinnt.
NERO.
Jezt Deine Zitrustische. 13
[78]
CHARMIS.
Noch bleiben mir welche, auf denen Zäsar bei mir speisen kann.

Sie spielen. Nero gewint.
NERO.
Deine babylonischen Teppiche!
CHARMIS.
Du tritst heute hart auf!

Sie spielen. Nero gewint.
NERO.
Deine korinthischen Bronßen!
CHARMIS.
Du räumst meine ganze Villa aus. – Warte bis sich das Glük wendet! ...

Sie spielen. Nero gewint.
NERO.
Deine Götterbilder – wenn du welche hast.
CHARMIS.
Spaße nicht mit den dreimal heiligen Göttern! ...

Sie erheben die Hände auf's Neue wie zum Spiel. Beide sind in Erregung geraten. Schauen sich mit
starren Bliken an. Charmis scheint sein Gegenüber mit groß-aufgerißenen Augen zu fasziniren. Es entsteht eine kurze Pause, während der Beide zum Ausspruch zu kommen zögern. In diesem Moment absoluter Stille ertönt.
DIE STIMME
von rechts, aus der Wand, direkt Nero gegenüber, mit klarem, durchdringendem, anklagendem Laut.
Scheu-ß-aaaal!
NERO
von Entsezen gepakt, springt auf – der Stuhl fält um – start mit fürchterlichem Blik auf Charmis, der ohne Verständis, in seiner Stellung verhart.

Sklavenseele, – ist das der Lohn? – – Zauberer, verfluchter! – – ist das Dein Dank? – habe ich Dich deshalb aus Gallien kommen laßen, – Dich mit Woltaten überhäuft, – Wütend. Dich an meinen Busen genährt – Du Schlange! – daß Du mich jeztSchreit. vergiftest? – mit Stimmen vergiftest? – gotteslästerliche Magie treibst? – Wände sprechen läßt? – Menschen sprechen läßt, ohne daß sie die Lippen bewegen? – mich beschimpfst? – Kanalje! ... Hund Du! ... Er dringt wie wütend auf ihn ein; Charmis, in höchster Angst, retirirt nach rechts hinten; Tisch und Stühle fallen um; von hinten eilen zwei Bewafnete mit entblößten Schwertern herbei; [79] die sich auf Charmis stürzen wollen. – Halt! Laßt Mir die Fliege! ... wozu hätte Ich im Ringkampf den Siegespreis davon getragen Er geht auf ihn los.

CHARMIS
in höchster Angst.
Zäsar, – die Götter haben Dich verblendet! ...
NERO
der seinen Gegner gefaßt hat.

Stirb, elender Magier! – Er hat ihn nach kurzem Ringkampf überwältigt, drängt ihn auf die Polsterreihe rechts, wo er sich auf ihn wirft und ihn erdroßelt – hält lange auf ihm aus; – dann zurüktretend, zu den Bewafneten. Holt Tigellinus. Eilt zum Prätor! – Ruft den Senat zusammen. – Eine große, neue Veschwörung hat sich aufgetan! – Bewafnete ab.


Er geht in großer Erregung, schweisgebadet, auf und ab, nach Hinten und Vorn; von Zeit zu Zeit zu der Leiche zurükkehrend, sie stumm betrachtend; durchmißt nach allen Seien das Gemach, blikt nach der Deke, studiert die Wände, scheint sich im Zustand höchster Erregung und Erwartung zu befinden, geht nochmals nach Hinten, wie um Ausschau zu halten – es herrscht absolute Stille.
Lange Pause.
Endlich kehrt er zurük und bleibt mitten im Saal in stummer Erstarrung nach Rechts gewendet, stehen. In diesem Moment tiefster Stille ertönt nochmals.
DIE STIMME
mit unerbitlicher Schärfe.
Scheu- ß-aaal!

Nero start mit aufgerißenen Augen nach der Wand, taumelt zurük, wendet sich dann plözlich ab, verhült den Kopf und bricht endlich mitten im Saal laut wimmernd zusammen.

Der Vorhang fält.

5. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Doryphoros, Augustjani; später Nero, Tiridates; Erster, zweiter, dritter Römer; Erster, zweiter Jude.
Großer Plaz in Rom. Rechts im Vordergrund eine kleine, geringe Schänke, von Palmen umgeben, auf deren durch ein Zeltdach geschüzten Bänken eine Anzahl Augustjani (Klakörs), rohe Kerle, Plaz genommen haben. Der Vordergrund links bleibt für die Entwiklung des Neronischen Festzuges in der Richtung zur ersten Kuliße frei; die Paßasche dahin ist an der Grenze der Kuliße durch zwei Hermen, von Laubwerk umgeben, markirt. Demnächst, auf der gleichen (linken) Seite, folgt nach Hinten zu in großartiger Halb-Seitenansicht, auf hohem Stufenwerk erreichbar, der glänzende Tempel des Jupiter Stator, deßen Frontseite von acht mächtigen korintischen Säulen gebildet ist, deßen Gibel zum Teil über das Bühnen-Bild hinausragt; zu beiden Seiten flankirt von verschieden-hohen Bronße-Kandelabern mit Flammenwerk. Weiterhin nach Links erblikt man das in der Profilirung vorstehende Reiterstandbild des Julius Zäsar auf hohem Sokel, woran sich auf dieser Seite, und den
ganzen Hintergrund einnehmend, das Stadtbild Rom's anschließt. – Auf dem freien Plaz in der Mitte, der quer mit Seilen hoch überspant ist, an denen farbige Tücher und Kränze hängen, bewegt sich ein bunter Volkshause, Soldaten, Ritter, Senatoren, Auguren, Liktoren mit den Fasces-Bündeln, Weiber, Juden, Gaukler u.s.w. – Es herscht ein reges Durcheinander und man hört ein dumpfes Stimmengewirr aus den Reihen der Sich-Unterhaltenden und miteinander Gestikulirenden. –

[81]
DORYPHOROS
reich geschmükt, tritt zu seinen Leuten rechts Vorn bei der Schänke.
Seid Ihr Alle da?
AUGUSTJANI
durcheinander antwortend.
Jawol, Herr!
DORYPHOROS.
Wie viel seid Ihr?
AUGUSTJANI.

Wir sind etwas an die Dreihundert; – der größere Teil sizt drinnen Deuten auf die Schänke. – machen ein Spielchen ...

DORYPHOROS.

Ist gut! Ist gut! – Sieht sich nach den Andern um. – ich möchte nur haben, daß sich alle eingeprägt halten, daß ... Einige gehen hinein, um ihre Kollegen zu holen. ... ja, holt die Leute heraus! – bleibt beisammen! ... Er wartet einen Moment, schaut sich um, daß die Maße des Volks nichts zu hören bekomt; – eine weitere Gruppe Augustjani komt aus der Schänke; sie sammeln sich um ihn. ... ich sage: ich möchte nur haben, daß sich Alle eingeprägt halten, daß es heute einen wichtigen Tag gilt, und daß Alles darauf ankomt, daß Alle mit ganzem Herzen zusammenarbeiten, um dem götlichen Nero eine Freude zu machen ...

AUGUSTJANI
durcheinander.

Ja, ja – da wird es nicht fehlen! – er wird uns auf unserem Plaze finden! – Du kanst beruhigt sein! ...

DORYPHOROS
fortfahrend.

... Der große König Tiridates, welcher über das Land Armeni en herscht, welches in Parthien liegt – oder vielmehr: welcher über das Land Armenien herschen soll, sobald er vom götlichen Nero die armenische Krone aufgesezt erhalten hat – wie sagte ich?: der große König Tiridates, welcher über Armenien herscht, wird mit großem Gefolge da sein, – worunter sich viele Künstler befinden sollen – und wird Zeuge sein von der großen Beliebtheit, deßen sich der götliche Nero bei seinem Volke erfreut – es ist dies nämlich eine große Wichtigkeit, und es hat einen politischen Hintergrund – der fremde König [82] soll also deutlich fühlen, daß der götliche Nero der Abgott seines Volkes ist – besonders nach den lezten traurigen Ereignißen, von denen Ihr wol Alle gehört habt – und die ich Euch hier nicht weiter zu erklären brauche – da sie der Ausdruck des graßesten Undanks sind, – denn der götliche Nero ist der größte Woltäter des römischen Volkes ... Die Augustjani, die bisher schon die breiten Darlegungen mit verschiedentlichem Gemurmel und Ausrufen begleiten, brechen hier in lauten Beifall aus. ... also – demnach – ist es von der größten Wichtigkeit, daß der fremde König merke, wie beliebt der götliche Nero bei sei nem Volke ist! ... denn der fremde König, wenn er nach Hause komt, erzählt davon – wie Solches natürlich ist – und von dem, was er erzählt, und von dem Eindruck, den er empfangen hat, hängt das Verhältnis von Armenien zu dem römischen Reich ab – und das Verhältnis von Parthien, welches an das armenische Reich grenzt! – Die Sache ist also von der größten Wichtigkeit, – denn sie hat einen politischen Hintergrund! Teils beifälliges, teils über die Endlosigkeit der Darlegungen misfälliges Gemurmel bei den Augustjani. – – und komme jezt zu Dem, was ich eigentlich sagen wolte Erneute Aufmerksamkeit der Leute, die sich neuerdings um ihn gruppiren. – es ist nämlich möglich, daß der götliche Nero ein Liedchen singt – teils, um dem Volke eine Freude zu machen, – teils, um die fremden Künstler, die sich im Gefolge des ar menischen Königs befinden, auszuste chen! »Ah!« »Ah!« – bei den Augustjani. – hier ist es nun von Wichtigkeit, daß Ihr Eure Kunst ganz in die Erscheinung treten laß't! – singt nämlich der götliche Nero – es ist dies aber zweifelhaft, denn der Kaiser ist sehr krank, schläft schlecht, sieht schlecht aus, wird von Träumen geplagt und ist sehr geärgert ... ich sage also: singt der götliche Nero, was immerhin zweifelhaft ist, – dann genügt heute nicht einfaches Hoch-[83] Rufen und Markiren von volksmäßigen Freudenlärm, – sondern dann muß aplaudirt werden – hier auf öffentlichem Plaze – ganz wie im Teater oder auf der Rennbahn – Beifälliges Gemurmel. – und dazu genügt nicht unser gewöhnlicher »Hohlziegelton« Er klopft mit gehöhlten Händen ein paar mal aufeinander und erzeugt einen dumpfen, topfähnlichen Laut. wie wir ihn in geschloßenen Räumen, oder vorne an der Orchestra, anwenden, – sondern dann muß mit dem hellen kräftigen »Scherbenschall« eingegriffen werden Er patscht mit flachen Händen aufeinander. – macht das 'mal! – um die Wirkung im freien Raum zu probieren! ... Die Augustjani aplaudiren a tempo mit hellem, patschendem Geräusch. – 's ist zu egal! – das macht Verdacht! – es muß durcheinander gegriffen werden – wie das Volk, wenn es, je nachdem es sein Herz gerührt findet, bald Dieser, bald Jener, einzugreifen begint ... noch 'nmal! – und mit fettem, pastösem Klang! ... Sie aplaudiren kräftiger und durcheinander. ... war beßer! – bedenkt auch die Streke hinüber bis zu jene Säulen! Er deutet auf den Tempel. – und die Maße Leiber, die dazwischen gedrängt sind, und Alles einschluken ... Mit Betonung. auch das helle Patschen der Kinderhändchen nicht zu vergeßen! ...singt aber der götliche Nero nicht! Er hebt Finger. dann beschränken wir uns auf den großen, unisonen Beifall – doch müßen alle Sparten der Gesellschaft, – die süßen Stimmchen der Frauen, und die weichen Laute der Kastrirten, der helle Diskant der Knaben, wie die ranzigen Kehllaute der Mezger – in gehöriger Abtönung zur Verwendung kommen ... Abschließend. Ihr wißt: zwei Tausend Sesterzien der Mann, zwei Tausend fünfhundert für den Verheirateten – die Kinderchen bekommen Geschenke – aber nur wenn Alles klapt und der götliche Nero sein kaiserliches Herz gerührt findet – Im Abgehen nach Links. ... ich muß noch hinüber zu den Alexandrinern [84] wegen des harmonischen Beifalls im übermäßigen Dreiklang – damit nichts Unpaßendes zusammenkomt, und Jedes an seiner Stelle einsezt – also: nehmt Euch zusammen! Ihr wißt: die Zeiten sind schwer, und – die Sache hat einen politischen Hintergrund! ... Er geht, begleitet von dem teils beifälligen, teils höhnischen Gemurmel der Augustjani, mit vielen komischen Attitüden und überflüßigen Fisematenten nach Links ab und verliert sich im Gedränge.


Inzwischen ist die Menschenmenge noch weiter angewachsen. Im Hintergrunde erscheinen Festordner, welche die Menge teilen und die Paßasche am Tempel vorbei gegen die beiden Hermen zu auf der linken Seite frei machen. – Bald kündigen aus der Ferne die langgezogenen Töne der Tubenbläser das Nahen des Festzuges an. Die Idee desselben ist: den mit dem armenischen König Tiridates, der sich persönlich in Rom eingefunden hat, geschloßenen Frieden mit feierlichen Eiden in Gegenwart der Götter zu bekräftigen, und die Belehnung Tiridates' mit der Armenischen Krone, unter der Schuzherrschaft Roms, durch den Kaiser im Tempel öffentlich vorzunehmen; bei dieser Gelegenheit auch den König dem römischen Volk vorzuführen. – An der Spize des Zuges marschiren, nächst einer Abteilung Festordner, welche mit Stäben die Menge teilen, die geschmükten Träger der von Nero teils in Neapel, teils in Griechenland ersungenen und erkämpfen Kunstpreise (Kränze und Lorbeerkronen) mit Tafeln, welche die Namen der
Städte enthalten. Demnächst Senatoren und Magistratspersonen im Amtsschmuk, dann ein Teil des armenischen Gefolges, dann römische Priester mit dem Curio maximus; dann die Opfertiere; eine zweite Priester, Haruspizes, Vestalinnen; dann die 24 Liktoren mit den rotumwikelten, lorbergeschmükten Faszen. Dann der zweirädrige, goldene, von vier weißen Pferden gezogene, von Tubenbläsern umgebene Triumfwagen Nero's. Er selbst, als Triumfator in der weißen Tunika mit der goldgestikten Purpur-Toga, auf dem Kopf die spangenartig sich anschmiegende goldene Strahlenkrone, in der Rechten den Lorbeerkranz, erscheint finster, mistrauisch, seelisch erschüttert, fast gebrochen. – Nachdem der Zug sich bis dahin durch die linke, vordere Kuliße, zwischen die beiden Hermensäulen, entwikelt, hält derselbe mit dem Erscheinen Nero's vor den Tempelstufen, woselbst dieser zunächst nur mit einzelnen »Heil«-Rufen aus den Reihen der Zuschauer begrüßt wird. Der Kaiser schreitet die Tempelstufen hinauf, gefolgt von einem[85] Teil der Priester und Vestalinnen, und gefolgt von Tiridates, der in ähnlichem Wagen gekommen und ebenfalls einen Teil seines Gefolges mit sich in den Tempel nimt. Oben angelangt, wendet sich Nero und begrüßt mit einer großartig-feierlichen Geste das Volk, worauf man Tausende von nakten Armen sich
gegen den Tempel hinstreken sieht und ein ohrenbetäubendes »Heil«-Rufen vernimt, welches von dem taktmäßigen Aplaus der Augustjani begleitet wird. – Dann wendet sich der Kaiser und beschreitet den Tempel. Während im Innern des Tempels die Zeremonjen vorgenommen werden, sieht man eine neugierige und aufgeregte Menge auf dem Plaz sich hin- und her-bewegen.
Links im Vordergrund bildet sich eine Gruppe älterer Römer.
ERSTER RÖMER.

Schlimm sieht er aus, der junge Mann! – Vor acht Jahren sah ich hin, hier, an derselben Stelle, als den ersten Flaumbart dem Gott als Opfer brachte, – frisch wie eine Knospe – ... und jezt! ...

ZWEITER RÖMER.
Kaiser sein ist kein gesundes Geschäft.
DRITTER RÖMER.

Damals war noch die Mutter an seiner Seite! – und Burrus – und Seneka – und Pallas – und Montanus – – und die liebliche Oktavia ... und jezt Alles tot – Alles tot! ...

ERSTER RÖMER.

Wenn es wahr ist, daß die Seelen Gemordeter aus dem Hades heraufsteigen und einem das Herzblut austrinken, dann wundert mich seine Gesichtsfarbe nicht Er deutet gegen den Tempel. der Mann sieht aus wie Mörtel! ...

ZWEITER RÖMER.

Er soll kein Auge die Nacht zutun – läuft herum und schreit – man weiß nicht, mit wem? – antwortet auf Fragen, die kein Mensch hört – holt die Priester und Magier – läßt beschwören und exorziren ... es ist ein Jammer! ...

ERSTER MANN.

Ich sag' Euch: der Mann hat Leichengift getrunken! – legt's Euch aus, wie Ihr wolt ... sprecht von Lemuren, oder von den Klagen [86] der Ruhelosen, der erbarmungslos Gemordeten, die von dem schwarzen Fluß aufsteigen, bis herauf in unsere Seele ... so 'was tötet! das saugt das Blut aus! ...

DRITTER RÖMER
vorsichtig sich umsehend.

Habt Ihr gehört: Thrasea hat auch geblutet! Beide erstaunt. – es ist zu Ende mit ihm! – Er sante ihm 'ne Manipel mit dem Zenturjo hinaus, und die nahmen den Chirurgen gleich mit Macht je eine schneidende Bewegung über jedes Handgelenk. ... Thra sea soll nur gesagt haben ...

ZWEITER RÖMER
sich umsehend.

Beim Herkules! Leute, nehmt Euch in Acht!: nicht nur die Majestätsbeleidigung, – auch das Reden über die Majestätsbeleidigung ist Majestätsbeleidigung – und überliefert Euch dem Liktor! ...

ERSTER RÖMER
vorsichtig.

Im Festestrubel mit dem fremden Monarchen ist Manches nicht an die Oeffentlichkeit gekommen: noch immer fahndet man fleißig nach Verschwornen; der Senat sagte gestern wieder bei militärisch beseztem Haus von Früh bis gegen Mittag: Thermus wurde hingerichtet, Petronius und Soranus wurden zum Tote verurteilt, und selbst des Soranus achtzehnjährige Tochter mußte sich die Adern öffnenDie beiden Andern fahren erschroken zurük. ... weil sie vor Verurteilung ihres Vaters die Zauberer um einen Wahrspruch bat, ob der Vater wol werde zum Tote verurteilt werden! ...

DRITTER RÖMER
nach einer Pause, troken.

Gestern fand sich an Seiner Bildsäule im Miner va-Tempel ein Sak mit Steinen um den Hals gehängt; das solte heißen: Muttermörder werden nach dem Gesez ersäuft! ...


Sie sehen sich plözlich beobachtet und verlieren sich im Gedränge.
Eine zweite Gruppe – zwei Juden – bildet sich rechts im Vordergund.
[87]
ERSTER JUDE.
Haste gehört? – neue Nachrichten aus Gallien? ...
ZWEITER JUDE.
Was is los? – Nix hab' ich gehört? –
ERSTER JUDE.
Vindex hat Aufruhr begonnen – hat sich losgesagt vom Kaiser.
ZWEITER JUDE.
Ich hab' mers gedacht – die ganze Stadt spricht davon.
ERSTER JUDE.
Was meinste? – Wird werden Vindex Kaiser?
ZWEITER JUDE.
Er will nix werden Kaiser – er will Galba machen zum Kaiser.
ERSTER JUDE.
Was meinste? – Wird Galba so freundlich sein gegen die Juden, als Nero ist gewesen?
ZWEITER JUDE.

Was kann mer da sagen? – Galba is ä vornehmer Mann – er is ä freindlicher Mann – er is beliebt bei die Soldaten ... warum soll er nicht sein freindlich gegen die Juden? –

ERSTER JUDE.
Und was meinste? – wird Vindex reüßiren? –
ZWEITER JUDE.

Was kann mer da sagen? – Wenn Vindex will, – und Galba will – und das Heer, was am Rhein steht, will auch – dann wollense alle drei – und wenn sie sich dann beeilen, dann werdense reüßiren ...

ERSTER JUDE.
's is schad' um Nero ...
ZWEITER JUDE.

's is schad' – und is net schad! – Er war ä guter Mann – er hat Geld ausgegeben – aber zulezt wollen die Völker wechseln ihre Regenten ...

ERSTER JUDE.
Was meinste? – auf den Kopf von Vindex sind 40 Miljonen Sesterzien gesezt ...
ZWEITER JUDE.

Ich weiß es! – Vindex weiß es auch! – Weißte, was er gesagt hat? – Er hat [88] gesagt: wer mir den Kopf Nero's bringt, bekomt den meinen. –

ERSTER JUDE
lacht.
Ka schlechter Wiz!

Sie sehen sich beobachtet und verlieren sich im Gedränge.
Nero erscheint jezt wieder am Ausgang des Tempels. Er wird mit tausendstimmigen »Heil!«-Rufen begrüßt, die sich fortsezen, während er und der armenische König die Wagen besteigen. Der in die linke Kuliße eingeschwenkte Zug macht nun Kehrt, defilirt im Vordergrunde quer über die Bühne nach Rechts, uns eilt, gefolgt von Wagen des Kaisers etc., dem Hintegrunde zu. Während die beiden Fürsten vorbeiziehen, hört man immer frenetischere Zurufe: »Heil dem Zäsar!« – »Heil Apollo!« – »Heil dem Göttlichen!« wobei die Augustjani rechts im Vordergrund sich durch taktmäßiges Händeklatschen bemerkbar machen. Durch die hinter dem Wagen marschirenden, mit ihren Feldzeichen den Schluß bildenden Soldaten wird das Zusammenströmen des Volkes noch einige Zeit gehindert. Zulezt aber stürmt die ganze menge mit jauchzenden Zurufen dem Wagen nach, so daß die ganze vordere Hälfte der Bühne leer wird.
Während dem fält der Zwischen-Vorhang.
2. Szene
Zweite Szene.
Tigellinus, Hasta; später ein Zenturjo, Nero, Epaphroditus, Nymphidius, dann: ein Späher, Prätorjaner, Befehlshaber: zulezt Sporus und Phaon.
Prunksaal im Palaste Nero's, wie im vierten Akt; rechts und links im Vordergrund, dicht bei den Wandpolstern, je ein kleiner Tisch von Polsterstühlen umgeben. Tigellinus und Hasta kommen in kolegialem Gespräch von hinten links, begeben sich, öfter stehen bleibend, nach Vorn.

TIGELLINUS.
Somit könte man noch nicht von einem eigentlichen Aufstand sprechen.
HASTA.

Sicherlich nicht. – Und wenn die Garantieen gegeben werden, und das Vertrauen bei den [89] Befehlshabern zurükkehrt, kann Alles sich noch zum Besten wenden.

TIGELLINUS.

Welche Garantieen sollen gegeben werden? – Die Solde wurden regelmäßig ausbezahlt, der Wechsel in den Stellen, das Avançement, hat sich ordnungsgemäß vollzogen, die Truppen sind gut furaschirt, in gesunden Quartieren, nicht überanstrengt, was will man? worüber beschwert man sich?

HASTA.
Herr, er ist die allgemeine Lage ...
TIGELLINUS
unwillig.

Was heißt das: die algemeine Lage? – Soll das heißen: man will sich in die kaiserliche Politik mischen? – Fühlen die Herrn Befehlshaber an der Spize so großer Heeresmaßen sich plözlich den Kopf schwindeln! – Ist es der alte Jammer Rom's, daß kein Legat von draußen heimkehren kann, ohne daß es ihm in den Fingern jukt, ein Wenig Rom erobern zu kommen? ...

HASTA
seufzend, geht zur Seite, wie verzweifelnd, ein Einverständnis zu erreichen; – nach einer Pause.

Darf ich mich meines offiziellen Charakters entkleiden und einen Augenblik als Privatmann sprechen, und nicht zum ersten Ratgeber des Kaisers, sondern zum ehemaligen Kameraden aus den brittanischen Winterquartieren?

TIGELLINUS
troken.
Es sei!
HASTA
gedämpft.
Die allgemeine Lage ist die Furcht vor den Wechselfällen in den Entschlüßen des Kaisers!
TIGELLINUS
beschwichtigend.

Der Kaiser ist krank! kränker, als die Meisten glauben oder auch nur ahnen. Er braucht Ruhe. Er ist erschöpft von den aufreibenden Dankfesten und heiligen Zeremonien in Folge jener unglükseligen Verschwörung. Die Festlichkeiten zu Ehren des Armenjer-Königs haben ihm den Rest gegeben. Er will nichts mehr hören und sehen. Er vergräbt sich in sein Privatkabinet ... Noch wälzen sich ungeheure Projekte in seinen reichen [90] Geiste ... Die Durchstechung des Istmus bei Korint, – die Verbindung des Averner See's mit der Tiber – der Ausbau derdomus aurea ... die halbe Welt lauscht gespanten Ohres den Offenbarungen dieses außergewöhnlichen Ingenjums, um das uns die Welt beneidet! ... Da hat Er wahrhaftig nicht Welt beneidet! ... Da hat Er wahgrhaftig nicht Zeit, sich den weltvergeßenen Klagen einiger unzufriedener Provinzler abzugeben – Betonend. Er weiß sich sicher in den Herzen seines Volkes. Dies genügt ihm. Betonend. Und dies ist »die allgemeine Lage!« ... Laß also den Kaiser ganz aus dem Spiel! –

HASTA
fühlt sich zurükgeschlagen.

... Mag sein, daß die Furcht draußen größer gesehen wird, als sie in Wahrheit ihren Grund haben mag – aber seit den Tagen Palutus' und Cornelius Sulla's fühlen sich die auswärtigen Feldherrn ...

TIGELLINUS
unterbrechend, schroff.

Plautus' Absichten waren in seiner asiatischen Provinz genügsam ruchbar geworden, um seinen Kopf zu fordern, und Sulla, ein verschmizter Heuchler, wäre sicher eines Tages aus seinem aufrührerischen Gallien uns zuvorgekommen, wenn – nicht wir ihm zuvorgekommen wären ... Auch hat der Senat beide Hinrichtungen gebilligt.

HASTA
zögernd.

... Ich will nicht auf die zahllosen Totesbefehle in Folge der jüngsten gegen das geheiligte Haupt des Zäsar gerichteten Verschwörung zu sprechen kommen ...

TIGELLINUS
troken.

... Dazu fehlte wol auch einem Unterbefehlshaber in Spanien jede Möglichkeit der Uebersicht und damit jedes Recht, ein Urteil zu äußern ...

HASTA
schnell.

Herr, wenn ich nicht unter Abstreifung meines militärischen Charakters, sozusagen[91] als Reisender aus der Provinz, hier meine Meinung äußern darf ...

TIGELLINUS
ruhiger.
Immerhin! – ich laß es gelten! –
HASTA
zögernd, den vorigen Saz aufnehmend.

... aber daß Thrasea bluten mußte, diese Vorbild jedes tapferen, hochgemuten Römers, Fast weinend. hat die Graßheit der kaiserlichen Morde ...Tigellinus wendet sich drohend gegen ihn.Er wagt nicht zu vollenden. – hat Furcht und Entsezen hervorgerufen ...

TIGELLINUS
unwillig.

... immer Thrasea, immer dieser Thrasea! ...: es geht nicht, diese abstrakten Ideologen und falschen Staatskonstruktöre erhobenen Hauptes hier in Rom herumlaufen zu laßen! ... mögen sie so tapfer und edelmütig in ihrer Brust sein, wie immer ... diese Tugendboldhaftigkeit verwirt unreife Gemüter und dieses Prozen mit persönlicher Intaktheit sezt kaiserliche Minister in's Unrecht – es gibt auch Staatsverbrecher aus Tugend, und sie sind die gefährlicheren, weil sie die Fikzion erweken, als könne ein solches Weltreich mit Tugend schlechtin regiert werden! ... wir leben nicht mehr in der Zeit der Gracchen, wo man mit einer guten Advokaten-Rede und persönlicher Unbescholtenheit den Straßenpöbel zur Revoluzion treiben konte! ...übrigens hat Thra sea durch fortgesezte Misachtung der kaiserlichen Wünsche und durch konsequente Abwesenheit bei allen Kulthandlungen des kaiserlichen Hauses sich schwer vergangen und ist recte vom Senat verurteilt worden!

HASTA
der stumm nikend den lezten Ausführungen gefolgt.

Die Aussprüche des Senats waren es auch, die immer noch die Zweifelnden zurükhielten, sich den schlimmsten Erwägungen hinzugeben.

TIGELLINUS.
Das will ich auch hoffen!
[92]
HASTA
zögernd.

Und doch hat die Nachricht, daß die liebliche Servilja, das kaum mündige Geschöpf, die aus Angst wegen des des Staatsverrats angeklagten Vaters die Magier um Hülfe anrief, an's Meßer mußte Tigellinus wendet sich unwillig ab. selbst die härtesten Soldaten-Naturen im Lager schwer ergriffen ... man wurde an die rührende Geschichte der Lukrezia und Anderes erinnert ...

TIGELLINUS
unwillig.

... meist ganz entsteltes Geschwäz, welches das Stadt-Gerede müßiger Leute auf seinem Weg in die Provinz zu grausigen Moritaten aufbauscht! ...

HASTA.

... und doch ist es Tatsache, daß der Henker selbst vor dem Ungeheuerlichen nicht zurükgeschrekt, und das junge Geschöpf, um dem Gesez Genüge zu tun, welches Hinrichtung einer Jungfrau verbietet, noch vor der Hinrichtung im Gefängnis entehrt hat! ...

TIGELLINUS
höhnisch.

Wenn Soldaten erst wegen einer wimmernden Jungfrau solche Geschichten machen, dann ist es freilich nicht zu verwundern, wenn sie vor jeder Nachricht, wie vor einem Gespenst, zusammenfahren, – dann möchte ich die Leute erst einmal vor dem Feind sehen, – dann ist es kein Wunder, wenn die Schlachtreiben wanken – mögen dann die Parter kommen und sich Rom's bemächtigen! ...

HASTA.

Herr, verzeiht, – es ist mit der Stimmung in einem Militärlager, bei Leuten, die aus solcher Entfernung zusammenzogen, auf sich allein angewiesen sind, und mit brennender Begierde die Nachrichten aus Rom erwarten, eine eigen Sache ...

TIGELLINUS.

Ich sag' es ja: jede Milje von hier bis zu Euer Legjon sezt jeder Nachricht neue Hörner auf, bis als grausiges Gespenst dann endlich bei Euch anlangt!

[93]
HASTA.
Das ist es Herr, daß selbst das schlimmste Ereignis widerstandlos hingenommen und geglaubt wird.
TIGELLINUS.
Soldaten solten sich an die offiziellen Tagesbefehle halten.
HASTA.

Und doch hat das Alles nicht jene wahnsinnige Furcht vor dem Kommenden erzeugt, als die Hinrichtung Korbulo's.

TIGELLINUS
sich brüsk gegen Hasta wendend.
Was ist mit Korbulo?
HASTA.

Viele kanten ihn als früheren Kameraden. Als die Nachricht eintraf, daß Korbulo, der siegreiche Feldherr gegen die Parter, der der unwandelbaren Gunst des Zäsar sich zu rühmen wußte, nach zwanzigjähriger Dienstzeit aus Asien nach Griechenland gelokt und dort ...

TIGELLINUS
schroff unterbrechend.

Korbulo war am Ende seiner Laufbahn! ... Man konte ihn nicht an der Spize des ungeheuren Heeres nach Italjen kommen laßen! ... Es waren genügend Anzeichen vorhanden, daß in seiner Seele der Funke des Verrats längst Plaz gegriffen hatte ...

HASTA
schnell.

Das ist es, Herr, was Galba fürchtet: daß man in seiner Seele den Funken des Verrats früher entdeke, als er ihn selbst entdekt!

TIGELLINUS
zornig.

Was soll die Rede?! – – Bleiben wir in den Schranken, die der kaiserliche Dienst vorschreibt! ... Welches ist ohne Umschweife die Situazion in den gallischen Provinzen?

HASTA
nach einer Pause, förmlich.

Vindex ist im Begriff, sich zu erheben. Sicherem Vernehmen nach will er nach Spanien, um Galba an der Spize der beiden Heere zum Kaiser auszurufen. Die Stimmung der beiden Herre ist dem Projekt nicht ungünstig. Wie die germanischen Legjonen am Rhein sich zu der Sache verhalten, [94] weiß man nicht. Galba hält dem Kaiser Treue und ist bereit, nach dieser Richtung die unbedingtesten Garantieren zu geben. Aber seine Lage zwischen Vindex hier, und Rufus, den dieser vom Rhein zu Hülfe gerufen, ist prekär. Und die Nötigung, angesichts des unmittelbar eintreffenden gallischen Befehlshabers zu heucheln, und so eines Doppel-Spiels zwischen Vindex und dem Kaiser bezichtigt zu werden, erscheint ihm als die äußerste Gefahr! ...

TIGELLINUS
überlegend, vorsichtig.

... dann wäre es das Einfachste, sogleich nach Gallien abzureisen, Vindex unter der Vorspiegelung eines vollzogenen Kaiserwechsels sicher zu machen, und ihn zu veranlaßen, sich und sein Komando auf Befehl des Senats dem Galba zu unterstellen ... wo selbst sogleich seine Verhaftung bewerkstelligt werden könte ...

HASTA.

... das wäre mit der höchsten Gefahr für den Boten verbunden, da die Befehlshaber in der Provinz längst gewöhnt sind, derartige Mißjonen aus Rom mit geheimen Totesbefehlen bei sich anlagen zu sehen! ...

TIGELLINUS
wie oben.
... dann an Galba nach Spanien mit dem Befehl zur Hinrichtung des Vindex ...
HASTA.

... mit nicht geringerer Gefahr für den boten, da selbst lang-gediente, bewährte und erprobte Feldherren auf diese Weise sich dem Tote verfallen sehen mußten ...

TIGELLINUS.
Du meinst? ...
HASTA.

... daß, sobald ich angelangt bin, und das Geringste von meiner Mißjon ruchbar geworden, ich von der einen oder andern Seite wahrscheinlich zusammengehauen werde, – nur um sicher zu sein, daß ein von mir zu überbringender Totesbefehl nicht ausgeführt werden könne ...

[95]
TIGELLINUS
fährt brüsk zurük, beobachtet scharf sein Vis-à-vis, geht dann ruhig nach Hinten und winkt Soldaten: auf Hasta zeigend.
Dieser Offizier ist verhaftet, – und in sicherstem Gewahrsam zu halten! ...

Hasta blikt mit stummer Entschloßenheit dem Befehlshaber in's Gesicht und geht dann festen Schrittes mit den Soldaten ab.
TIGELLINUS
bleibt einen Augenblik sinnend stehen, geht dann nach Hinten, winkt einem Zenturjo; – zu diesem, dringend.

Ich laße den Kaiser bitten, mir sogleich auf einige Momente Gehör zu schenken ... Wo ist der Kaiser? –

ZENTURJO
überlegend.
... Er bringt Gebete dar ...
TIGELLINUS.
Gebete? ...
ZENTURJO
wie oben.
... er macht die heiligen Waschungen ...
TIGELLINUS
grob.
... heilige Waschungen? ...
ZENTURJO
wie oben.

... zu Ehren der Kaiserin ... seit Sabina tot, – vollzieht er die heiligen Waschungen nach fremdem Ritus, – die sie auch vollzogen ... Überlegt. ... oder, er opfert der syrischen Göttermutter ...

TIGELLINUS
grob.

... der syrischen Göttermutter? ... Geh' rasch, und melde ihm, ich ließe dringend bitten ... ich wartete hier ... Zenturjo rechts ab.Ihm nachrufend. und bringe mir Meldung! ... Er geht langsam, und in tiefes Sinnen versunken, nach Vorn, geht dort einige Zeit nachdenklich auf und ab, – sezt sich dann vorn rechts an den Tisch.


Pause.
NERO
in kompletem Verfall, fahl, furchtsam, gebükt, komt in nachläßiger Kleidung, schlürfend, langsam von Hinten rechts, bleibt bei der Säule, an dieser sich anlehnend, stehend, den Finger am Mund.
TIGELLINUS
wendet sich nach einiger Zeit, wie zufällig, springt auf, schreit.

Zäsar! – beim Herkules! – bist Du das? ... Reich und Tron sind in Gefahr! – Die gallischen Legjonen rüken an! – Es gilt zu handeln! – Noch [96] sind Galba und Rufus treu geblieben, und warten auf ein Zeichen, um in Gallien einzufallen! – Hebe einige Legjonen aus, ziehe die illyrischen und afrikanischen Besazungen an Dich, organisire die Seesoldaten, seze Dich an die Spize ... und in wenigen Monaten ist der ganze Putsch niedergeschlagen? ...

NERO
komt mit bittenden Händchen und kleinen Schrittchen näher, mit leiser Stimme, ängstlich.

Die Anzeichen sind nicht günstig! ... ein Lorberbaum im Tempel des Apoll ist abgestorben! ... in der Bildsäule des Herkules hat sich ein Bienenschwarm festgesezt! ... meine Statue – meine goldene Statue – wurde vom Bliz getroffen und – zerschmolz! ...

TIGELLINUS
wütend.

Anzeichen?! ... Sein Schwert ziehend. hier sind die Zeichen, in denen Du siegen wirst! ... Nero, vollständig apatisch, sieht sich ängstlich im Saale um; er scheint den Wänden nicht zu trauen.Verzweiflungsvoll gegen sich ausbrechend. Ihr heiligen Götter, ist das das Amt, das mir zulezt übrig geblieben ist, eine Leiche lebendig zum Sarg zu geleiten? ... ist das ruhmvollen Herrschaft ruhmloses Ende? ... Zu Nero. hab' ich deshalb mit Dir von Kindesbeinen an Mühe Gefahr, Ruhm und Glük geteilt, daß wir jezt wie Feiglinge untergehen, von gallischen Kohorten erschlagen werden?! – Sind deshalb unsere Bildsäulen in den Tempeln aufgestelt worden und wir zu Göttern avanßirt, um jezt wie numidische Sklaven abgetan zu werden?! – Wurde deshalb Mord auf Mord gehäuft und mit übermenschlicher Anstrengung Hekatomben von Senatoren und Adligen geopfert, damit mir jezt selbst unsere Hälse hinreken sollen?! ...

NERO
voll düsterer, Ahnung, warnend.

Die Götter sind gegen unser Unternehmen, – sie zürnen und senden schrekende Zeichen, – Geheimnisvoll. im Traum sah ich vergangene Nacht das Meer – rot, rot wie Blut – es [97] hob sich, und schwoll, – drängte die Tiber herauf, und überflutete das Forum! ... In steigernder Erregung, gestikulirend. ... vor dem Teater des Pompejus – die Bildsäulen – sie stiegen herab – die Helden und Feldherrn Roms kamen herunter von ihren Postamenten, – umringten mich, drohten mir – nirgends ein Ausweg! Er erhebt wie hülfeflehend die Arme. ... vom Grabmal der Agrippina schalten Klagelaute, – schrill – jammernd – hülfeflehend! ... Zu Tigellinus. versöhnet die Gottheit! – holet den pontifex! – rufet die Magier! – eilet! – schnell! – versöhnt die Schatten! – besänftigt die Manen! ... Er bleibt in seiner gespanten, wie angstvoll horchenden Haltung stehen.


Nymphidius und Epaphroditus sind während der lezten Rede eingetreten und überbliken stumm-verwundert die Szene.
TIGELLINUS
zu den Ankommenden, nach Hinten.

Das ist sein Anfall, wie nach dem Tot der Agrippina! – der kann wochenlang dauern, wer kann dies wißen! ... Bitter. das sind diese Künstlernaturen: nach jeder Blutaffäre werden sie sentimental und rufen die Götter an! ... wenn sie dann wieder gesund sind, soll man parat stehen! ... inzwischen kann Alles verloren sein Geht verzweiflungsvoll nach Hinten.

EPAPHRODITUS
zu Tigellinus.

Bereits sind Gerüchte unangenehmster Art in's Volk gedrungen – es heißt: Der Kaiser laufe schreiend Nachts im Palast herum und kämpfe mit unsichtbaren Personen – die längst vergeßenen Schmählieder werden wieder auf offener Straße gesungen und die Büsten des Kaisers mit Unrat beschmiert – die alten Profezeiungen vom Untergang des Julischen Hauses werden wieder hervorgeholt und überall kolportirt – man hält die Priester und Haruspizes auf er Straße an, und fragt: was das für eine neue Krankheit sei, und: ob denn die Bluturteile bei den vielen Verschwörungen gegen des Kaisers [98] Leben nicht zu Recht ergangen seien? ... Stimmungen, die das Allerschlimmste befürchten laßen.

NYMPHIDIUS
zu Nero.

Zäsar, ich beschwöre, Dich, behalte Deine Faßung! ... im Volke sind allerlei Gerüchte verbreitet ... auf dem Forum laufen sie zusammen, sezen Freiheitsmüzen auf und tuscheln mit verdächtigen, höhnischen Mienen! ... ein kleiner, unglüklicher Zufall, und diese ganze Menge erhebt sich wie im Sturmwind! ...

NERO
geheimnisvoll, langsam.

Die Manen der Erschlagenen wachen im Dunkeln .... der finstere Fährmann steht am Fluß und wartet auf die Seelen ... sie reichen ihm den Obolus – und zeigen starr auf ihre Wunden ... sie erheben flehend die Hände und bitten um Rache! ... Er blikt starr vor sich hin und geht dann schleppend nach Vorn links, wo er sich niederläßt.


Nymphidius begibt sich kopfschüttelnd nach Hinten.– Ein Zenturjo tritt von rechts auf.
ZENTURJO
zu Tigellinus.

Ein Späher, wenn ich recht sehe, verlangt zu Dir: er komme aus der Senatssizung, und bittet um Gehör; er habe Wichtiges zu melden.

TIGELLINUS.
Laß ihn herein!

Zenturjo ab, komt mit Späher zurük.
SPÄHER
eifrig.

Ein neuer Bote, Herr, scheint aus Gallien angelangt zu sein. Doch wurde er, da inzwischen die Verhaltung des Hasta bekant geworden, abgefangen, und in den Senat gebracht: Darnach ist Vindex von den ger manischen Legionen besiegt und hat sich den Tod gegeben Freudiges Erstaunen bei Allen, außer Nero. ... der Bote wurde mit neuen Briefschaften versehen und sogleich aus Rom hinausgeleitet ... zugleich hat der Senat aus eigener Machvollkommenheit die Aushebung jüngerer Mannschaften in den italischen Provinzen angeordnet und will auch die Regimenter aus Apulien und Sizilien an sich ziehen! ...

[99]
EPAPHRODITUS.

Damit haben wir den ersten Akt einer angemaasten Gewalt des Senats, und wenn es nicht jezt noch gelingt, diese offenbaren Rechts- Verlezungen mit blutiger Strenge zu unterdrüken, so stehen wir vor der Revoluzjon! ...

NYMPHIDIUS
zu Tigellinus.
Laß den ganzen Senat verhaften –, oder zusammenhauen!
SPÄHER.

Die Senatoren sind vielfach von Bewafneten umgeben und ein großer Teil ihrer Freigelaßenen, scheint es, sind ebenfalls mit Waffen versehen worden!

TIGELLINUS.

Auch bin ich der Prätorjaner nicht sicher. Und so lange Auf Nero weisend. Zäsar sich nicht persönlich dem Volke zeigt, vermag ich nichts ... Mit sich kämpfend, in äußerster Entschloßenheit, zu Nero eilend. Wenn ich noch Etwas über Dich vermag, und Du diese lezte und kostbarste Minute ausnüzen willst, um Dich und Deinen Tron zu retten, so steh auf, gürte Dich, lege die toga praetexta an mit den kaiserlichen Ehrenzeichen, und gehe hinaus auf das Forum, und zeige Dich dem Volke ... noch stehen die Prätorjaner zu Deiner Seite, – die germanischen Legjonen halten Treue, – noch ist Nichts verloren ...

NERO
nach einiger Zeit müde den Kopf erhebend, wispernd und angstvoll.

... rettet den römischen Staat ... fleht zu den Göttern! ... Geheimnisvoll. besänftigt die Schatten ... versöhnt die Verstob'nen ...


Inzwischen haben sich im Hintergrund eine Menge Bewafneter eingefunden; ein Teil der Prätorjaner verhandelt mit den Anführern und mit Nymphidius. Tigellinus, der Nero mit einem Blik unsäglicher Verachtung längere Zeit festgehalten, geht nach
Hinten und nimt an den Verhandlungen Teil. Es scheint lebhaft diskutirt zu werden, wobei die Anführer mit Gesten auf den im Vordergrund stumpfsinnig dortsizender Kaiser verweisen, um die unschlüßigen [100] Prätorjaner zum Entschluß zu treiben. Einige der Prätorjaner kommen nach Vorn, überzeugen sich von der desolaten Verfaßung des Kaisers. Endlich legt sich die Verwirrung, ein Teil der Truppen nach den Andern verläßt den Hintergrund (nach Rechts.); zulezt kommen noch zwei Zenturjonen, holen die im kaiserlichen Gemach selbst an den Säulen lehnenden Waffen und Schilde, bliken noch einmal unschlüßig den dortsizenden Kaiser an, und verlaßen dann wie die Andern die Szene.
Lange Pause.
NERO
erhebt sich, wie aus einem Zustand schrekhafter innerer Erlebniße, geht mit vorgebengtem Körper, die Hände seitlich vor dem Kopf gehalten, wie um seine Gedanken zusammenzufaßen, schleppend nach Hinten, laut und angstvoll rufend.

... Rettet den Staat! – Rettet die ewige Roma! ... Er erblikt Niemand, schaut sich schrekenerfült um, geht bis in die hintere Gallerie. Tigellinus! – Tigellinus! – Nymphidius! ... He da!: Prätorjaner! – Prätorjaner! ... Komt geknikt und abgeschlagen zurük, schlept sich nach Vorn und läßt sich kraftlos auf seinen Siz zusammensinken.


Pause.
Sporus (Mädchenrolle), der Lieblingsknabe des Kaisers, komt, sich angsterfült umsehend, in großer Hast, von Hinten rechts, bleibt erstaunt stehen, als er den Kaiser in sich versunken dortsizen sieht, geht vorsichtig näher, bleibt stehen überzeugt sich, tritt endlich auf den Kaiser zu. – Nero erwacht brüsk.
SPORUS
mitleiderfült.
Zäsar!
NERO.
Wo sind sie hin?
SPORUS
kindlich.
Wer hin?
NERO.
Wo sind sie Alle hin?
SPORUS.
Sie sind fort.
NERO.
Tigellinus?
SPORUS.
Er ist geflüchtet.
NERO.
Nymphidius?
SPORUS.
Er ist in den Senat.
NERO.
Die Legjonen? – Die Mannschaften? – Die Zenturjonen? –
[101]
SPORUS.
Sie sind Alle fort – sie sind untreu geworden – sie sind abgefallen ...
NERO
mit Nachdruk.
Die germanischen Legjonen? ...
SPORUS.

... abgefallen wie die Andern – Kindlich, mit Handbewegung. der Palast ist leer – die Türen stehen offen – Alles ist fort Weint. ...

NERO
überrascht.

Und Du, mein Herzensjunge? – Hast Du Deinen Kaiser nicht verlaßen? – Bist Du der Einige, der mir treu geblieben? Er drükt ihn mit großer Wärme an sich.

SPORUS
fast weinend.

... Phaon schikt mich! – er rät zu dringender Eile! – ein kleines Landgut, zwischen hier und den Serviljanischen Gärten, ist zu Deiner Aufnahme bereit gehalten ... bis beßere Zeiten anbrechen ...

NERO
fast freudig, den Jungen im Arme haltend.

... bis beßere Zeiten anbrechen ... ja, mein Junge, wir wollen fort, wir eilen zu den Göttern ... zu den heiteren, ewigen, glükseligen Göttern ... die beßer unsere Kunst und unser Menschentum verstehen, als diese Barbaren, die nur Neid und Tüke für die Auserwählten der Götter haben ... eilen wir nach Griechenland – überall werden sich offene Arme mir entgegenstreken – die Städte werden sich rüsten, uns festlich zu empfangen ... Sporus fängt zu schluchzen an. ... Egipten hat mir seine Herrschaft angetragen – die Parter wollen mich auf ihren Tron erheben – Juda hoft mich als König zu erlangen – alles strekt die Hände nach mir aus und will mich zum Fürsten haben – doch wir fliehen zu den Göttern, zu den Göttern Griechenlands, zu den Unsterblichen ...

SPORUS
drängt.

Eile! – es ist keine Zeit zu verlieren! ... die Prätorjaner haben Dich verlaßen – in den Tempeln werden Deine Bildsäulen umgestürzt[102] – die Menge rast auf dem Forum ... im SenatEr schluchzt und kann nicht weiter sprechen.

NERO
mit angstvollem, will sich erheben, doch sinkt er kraftlos zusammen; – endlich gelingt es ihm, an Sporus sich anklammernd, aufzustehen; auf ihn gestüzt, wendet er sich nach Hinten; im Abgehen.

Nimm die Harfen mit – und die Siegesgesänge! – und Terpnus soll folgen – und Lu kanus – und Vatinius – und der Flötenspieler ... und alle die Mädchen und Knaben ...


Auf halbem Wege bleibt er plözlich stehen, verfält in einen Weinkrampf, droht umzusinken – doch Sporus drängt ihn vorwärts. Als sie sich eben weiter nach Hinten wenden, kommen von Rechts in haftiger Eile Phaon (im ländlichen Bauern-Habit) und Epaphroditus.
EPAPHRODITUS
in höchster Besorgnis.

Dringendste Eile ist vonnöten! – Auf Phaon verweisend. dieser Treueste hat ein verborgenes Landhaus in der Nähe der Tiber, wo er Dich unterbringen will! – Pferde stehen bereit! – Eilet! ... Nero wird mit Mühe vorwärts gebracht.


Während Alle nach Rechts abgehen.
Fält der Zwischenvorhang.
3. Szene
Schluß-Szene.
Nero, Epaphroditus, Sporus, Phaon, später ein Prätor mit zwei Zenturjonen und Soldaten, zulezt Christjanä mit Akte.
Eine Waldlichtung in der Nähe Roms, mit nach Hinten aufsteigendem Terrain: rechts im Hintergrunde erblikt man die etwas verfallene Anlage eines römischen Landhauses; ein Weg führt ja von Rechts und Links (erste Kuliße) auf die Lichtung; in der Mitte reicht Gestrüpp und Buschwerk bis nahe in den Vordergrund.

NERO
halb beileidet, erschöpft, blutend, auf Epaphroditus gestüzt, von Rechts sich hereinschleppend.

Ich kann nicht weiter! ... [103] Wir müßen hier bleiben! ... Epaphroditus sieht sich um. – oh, die Hunde sind dem Edelwild auf der Fährte ...

EPAPHRODITUS.
Herr! hier im Gebüsch! – Sie werden Dich erschlagen, wie einen Mörder! ...
NERO
ausbrechend.

O, Ihr dreimal heiligen Götter, war das Ende, das Ihr über Euren Liebling, über Euren Schüzling, den Auserwählten vor Tausenden, den besten Kaiser beschloßen! ... Dringend. hör', Epaphroditus, – und auch Du, Spor us, – die par Worte müßt Ihr meinem lieben Volke überbringen, sie ihm jeden Tag vorsagen, – sagt ihm! – sagt ihm!: was ich Alles mit ihm vor hatte, – wie es der Gegenstand meiner höchsten Liebe, meiner zärtlichen Sorgfalt, meiner glücklichsten Fantasieen – Verzweifelnd. o welch' ein Künstler stirbt in mir! – meiner glüklichsten Fantasieen gewesen – sagt ihm, was ich Alles für es getan, welche Kampfspiele und Wettfahrten ich ihm bereitet, welche Bäder ich gebaut, welche Zirkuße ich aufgeführt, für seine Freude besorgt, – wie ich selbst in die Rennbahn getreten, die Roße gelenkt, in Siegeswagen gestürmt, – nur um es zu beglüken, um es zufrieden zu machen, – hörst Du, Epaphroditus? – hörst Du, Sporus?Zu Epaphroditus. Du mußt das Alles aufschreiben und es laut vorlesen: alle meine Künste, meine Herrschertugenden, meine Stimme, die mir Apoll verliehen, meine Melodieen, habe ich für das Volk, für das heilige, römische Volk vergeudet, dahingegeben, – die achtzehnhundert zweiunddreißig Siegeskronen, die ich in Griechenland erbeutet, habe ich für das Volk, für den Ruhm des römischen Namens, ersungen und errungen ...Er hat sich außer Atem geredet, will zusammenbrechen, – immer schluchzender. – ich war mir Nichts, das Volk war mir Alles! – Hätte man mir gefolgt! – Ist das – die Treue? – Ich hätte diesem Volke den [104] Erdkreis er obert! – o, Apollo, vermagst Du es mit anzusehen? – welcher Undank! – ich hätte diesem Volk die Welt wie einen Spielball zu Füßen gelegt! – o jammervolle Verblendung! – welch' eine Schöpfung, welch' eine Mischung göttlichster Eigenschaften, welch' gottbegnadeter Künstler geht mit mir zu Grunde! ...

PHAON
von Rechts hereinstürzend.

Zäsar! rette Dich! Sie kommen! – Der Senat hat Dich nach dem Zwölf-Tafel-Gesez verurteilt! – Dich trift die Strafe als Feind des Staates! –

NERO
in höchster Angst.
Welche Strafe ist das?
PHAON
verlegen.

Beim Herkules, Du hast sie selbst gegen den Dichter Antistius verhängt! ... bei lebendigem Leibe zu Tode gepeitscht werden ...

NERO
außer sich, in höchster Angst.

Ihr Götter, ist denn Niemand hier, hier der mich dieser äußersten Schmach entzieht? – Holt mehrere Dolche aus der Toga. Hier, – hier sind Dolche! – Nehmt! – mein Arm zittert – o Ihr Götter, ist denn Keiner hier, der mir den Selbstmord vormacht? – Seid Ihr Stoïker, seid Ihr Filosofen? – Sporus! herziger Junge, habe ich Dich deshalb aus Griechenland geholt, Dich mit Woltaten und Zärtlichkeiten überhäuft? ... kanst Du jezt nicht für Deinen Kaiser sterben? – ist denn kein Tropfen Helden-Blut in Euren Adern? –


Sporus tritt mit kühner Geste zurük, holt den Dolch aus der eignen Toga und will ihn gegen sich selbst züken. Phaon fält ihm in den Arm. Inzwischen hört man von Rechts Getümmel und Stimmen.
NERO
mit schöner Geste, hält den Dolch etwas von sich entfernt gegen die Brust gerichtet.
Stoßt in das Herz des besten Kaisers!
EPAPHRODITUS
reißt die ganze Gruppe entschloßen nach Hinten gegen das Gebüsch zu.
Fort! – Die beste Zeit ist schier verloren! –

[105] Sie schleppen Nero nach Hinten in das Gebüsch, wo die ganze Gruppe nur teilweise verschwindet. Bald darauf hört man dort einen dumpfen Schrei, – dem das Fallen eines Körpers folgt.
Pause.
Prätor mit zwei Zenturjonen und einer Abteilung Soldaten treten in großer Eile von Rechts auf.
ERSTER ZENTURJO
orjentirt sich, eilt auf das Gebüsch zu.

Ich fürchte, er hat uns die 60,000 Sesterzien, die auf seinen Kopf gesezt sind, vom Maule weggeschnapt. Betritt das Gebüsch.


Phaon und Epaphroditus erscheinen mit gesenkten Mienen, um sich dem Prätor auszuliefern.
PRÄTOR
als er des Phaon ansichtig wird.
Aha, das ist er, der ihm Unterschluf gegeben! – Verhaftet ihn! ...
EPAPHRODITUS.
Er gab sich selbst den Tot. – Sein lezter Seufzer galt dem römischen Volk.
PRÄTOR.

Verhaftet Beide! Phaon und Epaphroditus werden ergriffen.Zum zweiten Zenturjo. Eile, dem Senat zu melden: daß Nero hier, auf dem Landgut des Phaon, tot gefunden wurde ...Inzwischen haben andere Befehlshaber und Soldaten das Gebüsch betreten.Zum ersten Zenturjo, der zurükkomt. – ist er tot? ...

ERSTER ZENTURJO.
Wie ein Schwein liegt er da ...
PRÄTOR
fortfahrend.

... daß Nero hier auf dem Landgut des Phaon tot gefunden wurde – anscheinend gab er sich selbst den Tot – Phaon und Epaphroditus seien dabei verhaftet worden ... Zenturjo ab.

ERSTER ZENTURJO.

Ich hätt' ihn nicht für so fett gehalten ... Soldaten schleppen den Sporus aus dem Gebüsch herbei. – Da ist noch so ein Jüngelchen!

PRÄTOR
mit einem Wink gegen die Soldaten.
Nehmt ihn hinzu!

Phaon, Epaphroditus und Sporus werden abgeführt. – Der Prätor hat inzwischen ebenfalls das Gebüsch betreten. – Während dem nähert sich von Links eine Schaar [106] Christjanä mit Akte, je zu Zweien, wie auf einem Erholungsgang begriffen,
Akte an dem ganz weißen, rein römischen und vornehmeren Kostüm kentlich, sowie mit unverhültem Haupt, während die Anderen, wenn auch in vorwiegend lichte Farben gekleidet, doch mehr judäo-römischen Schnitt aufweisen und das Haupt vom Obergewand mitbedekt tragen; einige haben den Trauerschleier umgeschlungen.
ERSTER ZENTURJO
lautrufend zu ihnen.

Nero ist tot! – Galba zum Kaiser ausgerufen! – Auf das Gebüsch verweisend. Da liegt das Scheusal – halbnakt – wie ein Wildschwein im Wald gefält! ...


Die Gruppe bleibt plözlich mit dem Ausdruk tiefen Entsezens stehen. Akte ist mein einem Schrei herausgetreten und hat sich mit gesenktem Knie gegen das Gebüsch zu, wie verehrungsvoll, niedergelaßen. Dann löst sie einen Teil ihres Leiche zu bedeken.
PRÄTOR
der inzwischen das Gebüsch verlaßen, zu den Soldaten, ohne im Geringsten die Neu-Ankömlinge zu beachten.

Ein Teil bleibt hier zur Wache! – Die Uebrigen mit mir! – Mit dem größten Teil der Soldaten rechts ab.


Die zurükgebliebenen Soldaten verteilen sich rings um das Gebüsch in den Hintergrund, ohne die folgende Szene zu stören, so daß der Abgang rechts
(vordere Kuliße) vollständig frei wird.
Christjanä brechen von den umstehenden Palmen Zweige ab, betreten von Links das Gebüsch, legen die Zweige wie segnend über die Leiche nieder, verlaßen dasselbe nach der entgegensezten Seite und kommen dann vom Hintergrund einzeln wieder zurük. Sie treffen sich vorn parweise, küßen sich feierlich mit dem Ausruf »Jesus Christus!« und verlaßen parweise, wie sie gekommen, mit umschlungenen Händen, langsamen, feierlichen Schrittes, und tief ergriffen, nach Rechts die Szene. Als eben die Lezten das Gebüsch verlaßen.
Fält der Vorhang.
[107]
Fußnoten

1 Statt des lateinischen Textes kann der betreffende Schauspieler auch sagen: »über die Abfassung von Schmähgedichten«.

2 Siehe für diese Darstellung: Kraus, F.X., Roma sotterranea, 2. Aufl., Freibung i./B. 1878.

3 Die »s« müßen hier, da nur Flüsterlaute in das Publikum dringen, scharf betont werden.

4 Siehe das bekante Abendmals-Bild Lionardo's.

5 Die Agape, das »Liebesmal«, welches hier dargestelt werden soll, war nicht etwa das den späteren Jahrhunderten angehörende »Abendmal«, sondern eine gemeinschaftliche Malzeit profanen Charakters, wenn auch unter den strengen Vereins-Verboten der römischen Kaiserzeit und durch die dadurch gebotene Heimlichkeit einer gewissen Feierlichkeit und Herzlichkeit nicht entbehrend, und ging aus dem jüdischen Totenmal hervor. Das Sich-gegenseitig-den-Bißen-in-den-Mund-Schieben simbolisirt den komunistischen Charakter der Gleichheit und Brüderlichkeit, unter dem die ersten christlichen Gemeinden lebten.

6 Feralien, Feralia, das Fest der Verstorbenen am 2. Februar.

7 Die Lemuren, Lemures, die als wandernd gedachten Seelen Verstorbener, die die Lebenden molestirten, bei ihnen Wahnsinn erzeugten, und die man sich durch Sühngebräuche ferne hielt. Ihr Festag am 9. Mai.

8 Kleine Felseninsel an der Kampanischen Küste.

9 bekante Fischart.

10 geschäzte Weinsorte.

11 Die Morra, das uralte Finger-Spiel, welches die Römer von den alten Egiptern übernahmen, und das auch heute noch das verbreiteste Glüks-Spiel der Italjener ist, besteht in dem plözlichen und a tempo-Vorstreken irgend einer Zahl Finger zweier sich direkt gegenüber sizender, sich fest im Auge behaltender Spieler, die gleichzeitig und ebenfalls a tempo die Zahl der Finger des Gegners durch lautesRufen zu erraten suchen; derart, daß z.B. der eine Spieler drei Finger vorstrekt und gleichzeitig laut »Fünf!« ruft (womit er die Zahl der vom Gegner mutmaslich vorgestrekten Finger zu erraten sucht); während der Gegner im gleichen Momente, sagen wir: vier Finger vorstrekt und dabei seinem Vis-à-vis vielleicht »Zwei!« entgegenruft; so daß also vier Tempi, zwei Ausrufungen und zwei Fingerstreken, a tempo fallen. Hat Keiner die Zahl der Finger seines Gegners erraten, was jeder der Spieler sofort erkent und sieht, so erfolgt sofort neuer Aufruf und neues Vorstreken. Errät ein Spieler die Zahl der vorgestrekten Finger seines Mitspielers, so hat er gewonnen und zieht den betreffenden Gewinn ein, worauf das Spiel sogleich seinen Fortgang nimt. Erraten beide Gewinn auf. Der Aufruf erfolgt blizschnell und in Zweischenräumen von Bruchteilen von Sekunden. Das sich gegenseitig Fest-im-Auge-behalten und ein gewißer Takt garantiren das a tempo-Ausstreken und Zurufen von jeder Seite.

12 In diesem Falle hätte also Charmis sieben Finger gestrekt. Da aber die Zahl der jeweilig vorgestrekten Finger kaum vom Zuschauerraum aus kontrolirt werden kann, noch soll, so bleibt das Maas von Akurateße in dieser Hinsicht den Schauspielern überlaßen, deren Hauptaufgabe zu dem es sein wird, a tempo mit der Zahl einzutreffen.

13 Eine der kostbarsten Holzarten des römischen Altertums.

Geschichtliche Uebersicht

Geschichtliche Uebersicht 1
der Ereignisse unter Nero, 53–68 n. Chr., nach Tazitus, Sueton, Dio Cassius u.A.

»Fata nos ducunt, et quantum cuique restat, prima nascentium hora disposuit.«

SENECA, de providentia.


Nero wird 16-jährig mit Oktavia vermählt und im gleichen Jahre Kaiser.

[1] [Er stand im Hinblik auf seine Ahnen in dem ungünstigen Verhältnis, seine geistige Erbschaft in der Richtung zum Vater und dessen Ahnen datiren zu müssen. Diese Ahnenreihe hatte ihm ausserdem nur schlimme Mitgift darzubieten. Für die Richtung zum Vater sprach schon das rote Haupt- und Barthaar. Von einem seiner väterlichen Ahnen aus der 5ten Generazion, der Konsul war, hatte ein gleichzeitiger Redner die Wendung gebraucht, »er habe eine Stirn von Eisen und ein Herz von Blei«. Grosse Furchtsamkeit finden wir hei einem Mitglied der vierten Generazion vor ihm. In der dritten Generazion, bei seinem Grossvater, zeigt sich schon jener heftige Drang zu Schaustellung und künstlerischer Betätigung in Schauspielen, Gladiatorenkämpfen Tierhezen u. dergl. Der Schlimmste aber war der ihm Zunächststehende: sein eigener Vater: Domitius Aënobarbus. Sueton nent ihn einen »in allen Beziehungen abscheulichen Menschen« (omni parte vitae detestabilem). Es kommen hier bei habitueller Trunkenheit jene plözlichen Anfälle von perversem Denken hinzu, wie sie eine durch den Alkohol aufgestörte, halb traumhafte Psiche zu Wege bringt, und wie sie dann von einem im Besiz grosser Machtmittel Sich-Befindenden oft sogleich in Taten umgesezt werden, so z.B., wie er bei Gelegenheit einer Ausfahrt in der Nähe Roms einen jungen Knaben aus purer Laune durch Einhauen auf die Pferde absichtlich überfahren liess, oder wie er seinen eigenen Freigelassenen, der bei einem Bankett nicht mehr weiter trinken konnte, zusammenhauen liess. Auch schwere sexuelle Verirrungen, wie Blutschande mit der Schwester, und in ihrem Wesen nicht mehr erkante erbärmliche Betrügereien, die er in hoher Stellung sich gegen Kutscher und dergl. zu Schulden kommen liess, weisen auf sitliche Abgestumpftheit in vorgeschrittenem Maasse hin. Also Totschlägertum, sitliche Taubheit, perverses Fühlen und Denken, impulsives Handeln und dabei starke künstlerische Veranlagung mit Hereinragen des Traumhaft-Erlebten in die Tages-Psiche bei der väterlichen Aszendenz. – Von Seite der Mutter, Agrippina, einer genjalen Verbrecher-Natur, hatte Nero, wenn er von ihr Züge besass, keine Kompensazion des meist fürchterlichen väterlichen Erbes zu erwarten. – Und so finden wir ihn denn, wie seine Eltern waren; verschieden nur, wie zwei Mosaikbilder, die nacheinander aus denselben Steinen zusammengesetzt werden, verschiedene dessins aufweisen können. – Ein Schöngeist und [2] frasenhafter Moral-Redner, wie Seneka, konte an diesem Prinzen, den er erzog, nichts ändern. – Ihn geisteskrank zu nennen, wie Wiedemeister (Der Cäsarenwahnsinn der Julisch Claudischen Imperatorenfamilie. Hannover 1875) wolte, ist unwissenschaftlich und unpsichiatrisch; auch wenn man die Spanne Zeit übersieht, die uns von ihm trent; von einer Perjode, in der es nicht, wie bei uns heute, ein bürgerliches oder wissenschaftliches Miljö gab, das hätte bestimmen können, was bei soinom Herscher »geisteskrank« war; sondern in der der Kaiser als »Gott« eo ipso gesund war. Aber auch bei Uebersehen des Unterschiedes der psichologischen und psichiatrischen Klassifikazion der Menschennatur zwischen damals und heute, auch bei strengster Anwendung des heutigen Maasstabes und der heutigen Nomenklatur – was, nebenbei gesagt, unhistorisch wäre – kann man Nero nicht geisteskrank nennen. Er war zum Teil imbeziller Natur, hatte melancholische Raptuse mit schreckhaften Angstzuständen, halluzinirte dann gelegentlich, und stand in seinem Denken und Handeln unter dem Einfluss einer starken Impulsivität. Aber daran leiden ja so viele Leute. Und das hindert doch nicht am Kaiser-Sein.] –

Nero's Liebesverhältnis zu Akte, einer Freigelassenen, deren Stammbaum er, um sie heiraten zu können, auf königliche Ahnen zurükzuführen befiehlt.

Er kultivirt das literarisch-filosofische und poetisch-retorische »junge Rom«, das er schon als Prinz um sich zu versammeln pflegte, und dessen talentirtestes Mitglied der Dichter Lukanus war. [Nero's hervorragende künstlerische Qualifikazion ausser Zweifel.]

Verschlechterung seines Verhältnisses zur Kaiserin-Mutter Agrippina [zwei Verbrecher-Naturen stehen sich hier gegenüber und beobachten sich].

Der Finanzminister Pallas, ein Günstling Agrippinas, wird entlassen.

Brintannikus, sein Stiefbruder, und durch die geschikten Operazionen Agrippina's von der Tronfolge Ausgeschlossene, beim Mittagessen auf seine Anordnung und in seiner Gegenwart vergiftet.

Er beargwöhnt den Prätorjaner-Präfekt Burrus, dessen altrömischer Ordnungssinn dem Staat einen gewissen Bestand sichert.

[3] Er fürchtet, dass die verbrechengeübte Mutter, deren Einfluss er sich entzogen, ihm zuvorkomme, und beschliesst, ihr zuvorzukommen. – Massenhafte Denunziazionen gegen die Kaiserin und deren Günstlinge.

Nero in den Bordellen, und in unerkanter Maskerade Nachts auf der Strasse, wo er sich an den wüstesten Raufszenen beteiligt.

Der Senator Montanus zum Tote gezwungen, weil er bei einer nächtlichen Prügelei seine Frau, auf dieNero unsitliche Angriffe gemacht, verteidigt, und dabei unbewusst den Kaiser geschlagen hatte.

Vornehme Römerinnen beteiligen sich insgeheim an den verbotenen Kulthandlungen der jungen jüdisch-christlichen Gemeinde.

Nero wird wegen der von Korbulo in Armenien erfochtenen Siege in Rom zum Imperator ausgerufen.

Sabina Poppäa, eine »professional beauty« ihrer Zeit, von vornehmer Abkunft, die Gemahlin Otho's, von Nero begehrt; er wird von ihr à distance gehalten.

Agrippina, die Kaiserin-Mutter, wegen angeblicher Nachstellungen gegen Nero, auf dessen Befehl, nach wiederholtem Mislingen, ermordet. Seneka und Burrus, die einzigen Männer altrömischer Strenge in der Umgebung des Kaisers, dieser Anführer der Garden, jener oberster Staatsleiter, scheinen dieser Fikzion Glauben zu schenken, um auf ihren Posten bleiben zu können. – Erster nächtlicher Angstanfall Nero's. Er vergräbt sich in Kampanien. – In der Hauptstadt werden auf Senatsbeschluss in allen Tempeln Dankfeste für die Errettung abgehalten; des Kaisers Bildnis neben das goldene der Minerva in der Kurie aufgestelt; alljährliche Festspiele zur Feier des Tages. – Der Stoïker Thrasea verlässt angesichts dieser Beschlüsse demonstrativ den Senat. – Dem aus seinem Angst-Kollaps sich erholenden, nach Rom zurükkehrenden Kaiser geht die gesamte Bürgerschaft und der Senat im Festgewand entgegen, als dem »Sieger [4] über die allgemeine Sklaverei« (publici servitii victor), wie sich Tazitus höhnisch ausdrükt.

Rosswettrennen. Er besteigt öffentlich den Rennwagen. Mimt öffentlich. Mit Beifall überschüttet. Einführung des griechischen Habits. Des Kaisers Popularität unbestritten.

Nero gründet die Juvenalia, eine Art Subskripzions-Bälle im Freien, zu denen man sich einschreiben lassen musste; dieselben fanden im sogenanten Augustïeschen Hain statt, und waren mit musikalischen Vorträgen und Komödien-Aufführungen verbunden.Demimonde und Frauen aus den höchsten Ständen drängten sich in gleicher Weise zu diesen Festen. Kings um einen den Mittelpunkt des Festes bildenden Teich waren Verkaufs-Butiken aufgeschlagen, in denen die genanten Damen Luxusgegenstände ausboten. Die mänlichen Festteilnehmer erhielten Marken, deren Verausgabung ihnen die Gunst je einer der Verkäuferinnen sicherte. [Es muss daran erinnert werden, dass die römischen Saturnalien eine ähnliche Umkehrung der Stände und Vergessen der sozialen Unterschiede für einen bestimten Tag des Jahres vorsahen, und dass das Sich-Preisgeben von Frauen zu Ehren der Venus oder des ägiptischen Anubis, als Kulthandlung, wenn auch in vergröberter Form, längst in Rom Eingang gefunden hatte.]

Nero selbst tritt bei dem Fest als Ziterschläger und Sänger auf. – Zur Sicherung des Beifalls wird das Augustjaner-Corps aus den Reihen der römischen Ritter gebildet.

Nero gibt ästetische Soireen, versammelt die jungen, noch unbekanten Dichter um sich, liest ihnen seine, meist extemporirten, Verse vor. Er gilt als entschieden talentirt.

Er gründet nach griechischem Vorbild die sogenannte Neronia, Wettspiele auf dem Gebiet der Retorik, Dichtkunst, Pantomimen, Gesang, Schauspielkunst, des Faustkampfes, der Pferdewettrennen.

Schwere Niederlage der Römer in Britanien, welches nur unter grossen Verlusten wieder zur Botmässigkeit zurükgeführt werden kann.

[5] Vierhundert Sklaven werden hingerichtet im Sinne des römischen Gesezes, wonach bei Ermordung eines freien Römers die gesamte Dienerschaft solidarisch kriminell verpflichtet war. Das Volk rottet sich zusammen und verlangt Abschaffung des veralteten Gesezes, dessen Durchführung Nero durch militärische Absperrung des Hinrichtungsplazes erzwingt.

Der Prätor Antistius ein junger Jurist, liest die von ihm verfassten Schmähgedichte auf den Kaiser in humoristischer Tischgesellschaft vor, wird denunzirt, wegen Majestätsbeleidigung angeklagt, im Senat die Totesstrafe gegen ihn beantraft. Der Stoïker Thrasea wendet sich gegen das Menschlich-Unwürdige dieses Verfahrens, beantragt und erringt Freispruch unter Vermögenskonfiskazion und Deportazion, auf welchem Urteilsspruch der Senat troz des Aergers des Kaisers besteht.

Burrus auf Anordnung Nero's vergiftet. Der Sterbende sagt: Ego me bene habeo!

Seneka beargewöhnt, wegen seines Reichtums beneidet, wegen seiner Indifferenz gegen des Kaisers Kunstbestrebungen gehasst, durch den Tot Burrus' isolirt.

Tigellinus, ehemaliger Pferdehändler, Freund Nero's, wird an Burrus' Stelle Gardepräfekt.

Plautus. Befehlshaber in Asien und Sulla, Befehlshaber in Gallien, deren Heeresmassen dem Kaiser Furcht einflössen, werden durch Kooperation Nero's mit Tigellinus durch gedungene Schergen ermordet und ihre Köpfe Nero überbracht. Der Senat bestätigt nachträglich die Totesurteile und beschliesst Dankfeste zur Errettung des Kaisers.

Nero verstösst die öffentlich nie hervorgetretene, noch sehr junge Kaiserin Oktavia wegen »Unfruchtbarkeit« und heiratet seine Mätresse Poppäa Sabina, deren Bildsäulen auf dem Forum und in den Tempeln aufgestelt sind. Das Volk, welches sich der Oktavia annimt, ihre Bildsäulen mit Blumen bekränzt, die Bildsäulen der Poppäa umstürzt, wird durch Militär auseinandergetrieben. Der Versuch, Oktavia des Ehebruchs [6] zu bezichtigen, scheitert an der Standhaftigkeit der gefolterten Kammerfrauen, von denen eine sagt: »Die Scham meiner Herrin ist reiner als des Kaisers Mund.« Endlich erbietet sich Anizetus der s.Z. gedungene Mörder Agrippina's, den Ehebruch mit Oktavia zu beschwören. Oktavia wird nunmehr wegen Ehebruchs auf die Insel Pandateria verbant. Wenige Tage später trift der geheime Tofeshefehl ein. Es werden ihr die Adern geöffnet und die langsam Sich-Verblutende zuleztim Bad erstikt. Ihr Haupt wird derPoppäa überbracht. Für die Götter werden die ühlichen Weihegaben beschlossen.

Doryphorus, kaiserl. Geheimschreiber, und der frühere Finanzminister Pallas, werden auf Anordnung Nero's, dieser wegen seines ungeheuren Vermögens, jener als Gegner der Ehe Nero's mit Poppäa, vergiftet.

Feldzug gegen die Parther. Die Römer unter Paëtus besiegt. – In Rom werden trozdem Triumfe über die Parther abgehalten und Siegesbogen errichtet.

Poppäa gebiert dem Nero eine Tochter. Der Göttin der Fruchtbarkeit wird ein Tempel errichtet. Das Kind stirbt aber im 4. Monat.

Nero's Bild im Gimnasium vom Bliz getroffen, zu einem Metallklumpen zusammengeschmolzen.

Tiridates, der König von Armenien, lässt sich herbei, sein königliches Diadem in Rom, aus der Hand Nero's entgegenzunehmen.

Der Schuster und Wizbold Vatinius macht sich am Hofe Nero's durch seine schamlosen Gedichte ebenso wie durch seine geheimen Anklagen gegen die Aristokratenpartei beliebt.

Torquatus Silanus, aus vornehmem Hause, der sich seiner entfernten Verwantschaft mit dem Kaiser Augustus rühmte, und mit seinen reichen Mitteln freigebig um sich warf, wird dadurch verdächtig, einer Staatsumwälzung günstig zu sein, und öffnet sich, der sicheren Verurteilung entgegensehend, die Adern.

Erotisches Fest auf dem Teiche Agrippa's mit[7] Lustknaben, Buhldirnen und Bordellstazionen an den Ufern, in welch' letzteren sich sowol Mädchen derDemi-monde wie vornehme Römerinnen preisgeben. [Auch dieses Fest scheint auf saturnalischer, den Gedanken an ehemaligen »Freiheit und Gleichheit« nahebringender Grundlage aufgebaut gewesen zu sein, wobei das ästetisch-menschlich schöne griechische Vorbild von den harten Römern verbestialisirt zu sein scheint.]

Nero lässt sich bei dieser Gelegenheit, sich als Weib, einen der Lustknaben mit Namen Pythagoras mit allen Formen und unter feierlichem Gepränge antrauen.

Neuntägige Feuersbrunst in Rom, wobei von vierzehn Bezirken zehn mehr weniger zerstört wurden, und die angesichts des furchtbaren Elends einen tiefen Eindruck im Volk hinterliess. Mancherlei Gerüchte gaben Nero die Schuld. [Von neueren Forschern zurückgewiesen. Die Ueberlieferung, er habe während des Brandes als Kitaröde gekleidet von der Plattform seines Palastes sein eigenes Gedicht »Der Untergang Troja's« rezitirt, ist, wie alles Legendäre, auf seinen Charakter zugeschnitten und soweit bene trovato, erscheint aber rein menschlich genommen kaum möglich, und ist daher von der modernen Kritik ebenfalls zurückgewiesen worden.]

Nero benüzt die durch den Brand gegebene neue Raumverteilung, um sich durch die Inscheniöre Severus und Zeler einen Palast von nie gesehener Pracht erbauen zu lassen: die domus aurea.

Das widersinnige Projekt des Kaisers, einen Kanal vom Avernus-See bis zur Tibermündung längs des Meeres quer durch Berge und Sumpfstrecken anzulegen, mißlingt. [Hier, bei rein einer tollen Fürsten-Laune entsprungenen Plänen, die lebhaft an die gelegentlichen, unausführbaren Aufträge Ludwig's II. von Baiern erinnern, müsste die psichjatrische Forschung einsezen, um eventuell die Geisteskrankheit Nero's zu erweisen, nicht bei seinen zeitweiligen, durch die Ereignisse motivirten Angstanfällen und nächtlichen Halluzinazionen.]

Gnadengebete wegen des Brandes an Vulkan, Zeres, Proserpina und Juno.

Massenhinrichtung der Christjaner, die als »Auswurf der Menschheit und Kehricht der Welt« (I. Korinth. [8] 4, 13) gut genug schienen, den Verdacht der Brandstiftung von des Kaisern Haupte abzulenken. In Folge der ungewöhnlich grausamen Hinrichtungsart aber, welche die Opfer in mit Talg getränkten Säken bei eintretender Dunkelheit lebendig Illuminazionskörper in den kaiserlichen Gärten anzünden liess, wante sich das Empfinden der Römer selbst dieser verhassten Sekte (odium generis humani) wieder zu, und vom Kaiser ab. – Während dieser aus Menschenfakeln gebildeten Illuminazion liess sich Nero, umgeben von römischen Kokotten (ambubajae) und spanischen Kurtisanen, im Kostüm des Apollo auf einem von nakten Bachantinnen gezogenen elfenbeinernen Wagen über die mit Goldsand bestreuten Parkwege seiner Gärten führen. Massen von Nimfen, Weihrauchfässer schwingend, liefen vorher, andere folgten nach und warfen dem Kaiser Blumenkränze zu.

Unerhörte Steuer-Eintreibungen durch ganz Italien und in den Provinzen, Plünderung der goldnen Weihgeschenke aus den Tempeln in Italien, Asien, Achaja, Einschmelzung der goldnen Gefässe und Götterbilder, um Geld zur Fortführung der kaiserlichen Bauten in Rom zu erhalten.

Seneka zieht sich, um der Verantwortung für diese Maasnahmen, die wachsende Unzufriedenheit erregen, zu entgehen, auf seine Landgüter zurück. Nero's Versuch, sich des unbequemen, moralisch sich gebärdenden Ministers [der von Heuchelei nicht frei, und durch Wucher sich ein enormes Vermögen verdient hatte] durch Vergiftung zu entledigen, mislingt.

In der Verschwörung des Piso macht sich endlich der Widerstand gegen die kaum mehr erträgliche Tirannei Luft; diese Verschwörung, dahin gehend, den beim Volk wegen seiner Verschwendung unmässig populären, aber durch seine Schlemmerei und absolutistischen Mord-Gelüste das Reich dem Abgrund zuführenden Kaiser, den »Teater-Prinzen«, am Tag der Zeres-Feierlichkeiten zu ermorden und den durch Vermögen und Bildung hoch angesehenen Stoïker Piso auf den Tron zu erheben, woran sich die höchsten Würdenträger, [9] Senatoren, Konsuln, Prätoren, Garde-Offiziere, Ritter u.a. beteiligen, wird durch einen Zufall verraten, und von Nero und dem GardepräfektenTigellinus zu grausamen Hinrichtungen und Verfolgungen Beteiligter und Unbeteiligter, sowie zu massenhaften Güter-Konfiskazionen benüzt. Schaaren Verdächtiger werden verhaftet; die Eparchis, eine Mitwisserin, wird gefoltert, und hängt sich, um nicht, durch die Folterqualen erschöpft, Geständnisse machen zu müssen, am Folterstuhl selbst auf. Piso öffnet sich die Adern; Konsul Plautius Lateranus nach seiner Verurteilung auf dem Forum ohne Weiteres niedergehauen. Seneka öffnet sich auf Befehl die Adern. Flavus enthauptet; ebenso Zenturjo Sulpizius Afer. Dem unbeteiligten Konsul Vestinus schikt man den Chirurgen und öffnet ihm die Adern; ebenso dem, Dichter Lukanus. – Viele verbant, darunter Rufius Krispinus, der als früherer Gatte der Poppäa unbequem geworden war. – Tigellinus' Bildsäule auf dem Forum aufgestelt. Massen-Geschenke an das Heer. Jedem Soldaten 2000 Sesterzien. Kriechende Unterwürfigkeit des Senats. Weihgeschenke an die Götter. Ununterbrochene Dankfestlichkeiten. Vorschlag im Senat: Nero als Gott schon bei Lebzeiten anzubeten [die Vergottung des Kaisers, die Apoteose, fand seit Zäsar in der Regel erst nach dessen Tote statt.]

Nero tritt neuerdings in den »Neronien« als Künstler und Wagenlenker auf.

Nymphidius, zweiter Präfekt der Garden.

Poppäa Sabina von Nero im Zorn erschlagen.

Kassius, Rechtsgelehrter, in hohem Alter, erblindet, und Silanus, von hoher Abkunft, werden, da sie durch ihr hohes Ansehen gefährlich erscheinen, der erste verbant, der zweite ohne Urteil hingerichtet.

Der ehemalige Prokonsul Luzius Vetus, seine Schwiegermutter Sextia, sowie seine Tochter Politta werden, da sie als Verwante des i.J. 62 von Nero ermordeten Feldherrn Plautus gefährlich erscheinen, von Nero ohne Weiteres zur Hinrichtung befohlen, und diese durch Oeffnen der Adern vollzogen. Nach[10] vollendeter Tat erfolgte die regelrechte Anklage vor dem Senat und die Verurteilung.

An der Pest sterben ca. 30,000 Menschen.

Publius Antejus und Ostorius Skapula werden wegen Befragung des Orakels über ihre eigene Zukunft (welches die Möglichkeit staatsumwälzender Profezeihungen bot) denunzirt. Von dem Moment an gelten Beide so gut als verurteilt. Dem Unvermeidlichen komt Antejus durch Oeffnen der Adern zuvor. Dem ahnungslos in Ligurien (Süd-Frankreich) auf seiner Villa befindlichen Ostorius wird der Chirurg hinausgeschikt. [Hier entschuldigt sich Tazitus beim Leser seiner Annalen wegen dar Monotonie der aufgezählten Morde, die bei äusserlich verschiedenen Umständen innerlich immer dieselben Motive zeigten: Furcht vor Verschwörung und Gier nach grossen Vermögen, und verspricht, sich kürzer zu fassen.]

Innerhalb weniger Tage öffnen sich auf einen kaiserlichen Wink hin die Adern: Annäus Mela, ZerjalisAnizius, Rufius Krispinus und der ehemalige Freund Nero's und bekante Schlemmer Petronius.

Der ehemalige Prätor Minuzius Thermus wird Tigellinus zulieb hingerichtet.

Thrasea, neben Seneka das Haupt der stoïschen Filosofenschule, republikanischer Tipus, einer der ersten Römer seiner Zeit, und einer der wenigen ganz intakten Charaktere, wird wegen verschiedener kleiner Ehrfurchtsverlezungen, wie ostentatives Wegbleiben von kaiserlichen Festen, und dann hauptsächlich, weil er im Majestätsbeleidigungsprozess gegen den Dichter Antistius Verbannung statt Totesstrafe beantragt hatte, selbst zum Tote verurteilt und öffnet sich die Adern.

Barea Soranus, gegen den Nero langjährigen Hass genährt, weil derselbe in seiner Stellung als Prokonsul von Asien die vom Kaiser gewünschte geheime Entführung der Statuen und Götterbilder Pergamon's verhindert hatte, wird unter nichtigem Vorwand angeklagt und mit seiner 16-jährigen Tochter Servilia hingerichtet; leztere, weil sie während des Prozesses die[11] Magier über den Ausgang desselben befragt hatte. Das Mädchen wurde, da sie als Jungfrau nach dem Gesez nicht hingerichtet werden durfte, vor der Hinrichtung vom Henker im Gefängnis entehrt.

Triumfzug des Armenischen Königs Tiridates durch Rom, wo derselbe sich von Nero das königliche Hoheitszeichen über Armenien aufsezen lässt.

Nero besucht die Fechterspiele seines GünstlingsVatinius, eines ehemaligen Schusters und Wizboldes in Benevent.

Er besucht in seiner Eigenschaft als pontifex maximus den sonst für Niemand zugänglichen Tempel der Vesta und schändet dort die Vestalin Rubria.

Vermutlich im Anschluss hieran neuerdings Anfälle von schrekhaften Angstzuständen und Halluzinazionen. Er erlässt ein Edikt: die Liebe zur Vaterstadt und zum römischen Volke gehe ihm vor alle seine Wünsche.

Vollendung der domus aurea, einer immensen Parkanlage mit Gärten, Wiesengründen, Tiergehegen, einem künstlichen Salzsee mit Meerungeheuern und ähnlichen Spielereien; die Portiken, welche die einzelnen Teile verbanden, erstrekten sich auf über eine römische Meile; im Palast selbst, der mit unerhörtem Aufwand von den Inschenjören Severus und Zeler auf der Höhe des Mons Esquilinus erstelt, die 120 Fuss hohe Kolossalstatue Nero's in Gold von Zenodorus. Parfümirte Springbrunnen, Sääle mit beweglichen Kuppeln, elfenbeinausgelegte Zimmer, babilonische Teppiche bis zu vier Miljonen Sesterzien das Stük, mit Goldsand bestreute Parkwege. »Endlich wohne ich wie ein Mensch!« –

Plünderung der Tempel Asiens und Griechenlands an Statuen und Götterbildern; aus dem Apollotempel zu Delphi allein 500 Stük. Verminderung des Goldwertes der Münzen, enorme Steuerauflagen in den Provinzen, Einziehung des Vermögens politisch Verurteilter oder Verdächtiger zur Erhöhung der kaiserlichen Einnahmen.

Erbauung eines Privat-Fortuna-Tempels auf dem[12] Gebiet der domus aurea aus einem fast unbezahlbaren, nur in Kappadozien vorkommenden, milchweissen, harten, durchsichtigen Stein, der in die fensterlose, vollständig geschlossene Rotunde ein blaues, magisches Licht durchbrechen liess. [Diese Neigung zur Farbenberanschung, die ganze, entschieden künstlerische, Geistesrichtung, die sich in der Lust zu architektonischer Ausnüzung von landschaftlichen Schönheiten und in grandjosen Wunderbauten dokumentirt, bei gleichzeitiger persönlicher innerlicher Verrohung bis zum Henkerhaften und Kannibalischen, wiederholt sich später fast bis einzelne Züge getren bei Ludwig II.]

Tierhezen, Wettrennen, Pantomimen, Zirkus- und Teater-Vorstellungen werden dem stets vergnügungshungrigen Volke geboten. Bei Gelegenheit der Hinrichtung der unter keinem Gesichtspunkt Mitleid verdienenden Christjani tritt eine neue Art Schaustellung in Szene: die Verurteilten werden zur Darstellung tragischer Rollen benüzt, deren Träger in dem Stüke selbst den Tod finden. Aus den mitologischen Legenden werden dabei die unzüchtigsten Stoffe ausgesucht und, je nach der Art, im Zirkus oder auf dem Teater dargestelt. Besonders beliebt ist: die von einem Stier zu Tote geschleifte Dirze, oder: die von einem Stier heimgesuchte Pasifaë. Hiezu wurden nakte Christenmädchen benüzt, und Nero ging dabei so weit, sich in eine Stierhaut zu hüllen, aus einem Käfig vorzubrechen, um mit fürchterlichem Gebrüll über das an einen Pfahl gebundene nakte Christenmädchen herzufallen. Zum Schluss gingen als Pluto verkleidete Diener über die Szene, prüften mit glühenden eisernen Ruten die Dortliegenden, und erschlugen die etwa noch atmenden Körper.

Der für Griechenland und den Orjent schwärmende, das barbarische Rom verachtende, Kaiser tritt endlich seine längst projektirte Reise nach Griechenland an.Helios, ein Freigelassener, als Regent aufgestelt. Während 11/2 Jahren ziet Nero unter Beiseitesezung aller politischen Erwägungen als Schauspieler und Wagenlenker durch die grösseren griechischen Städte, um sich [13] den Titel eines Periodonikes zu verdienen (d.i. Eines, der in den vier grossen griechischen Kampfspielen, den Olimpischen, Pitischen, Nemeïschen und Istmischen, den Siegespreis errungen). Sein Repertoir umfasste: »Die Kanake in Kindesnöten«, »Der geblendete Oedipus«, »Der Brudermörder Thyestes«, »Der rasende Herkules«, »Der wahnsinnige Alkmäon«, »Der Muttermörder Orestes«. – Während der Reise lässt er sich – diesmal als Mann – mit einem jungen Griechen, der auffallende Aehnlichkeit mit der verstorbenen Poppäa Sabina hatte, NamensSporus, trauen. Sporus tritt in Weiberkleidern auf und wird als Kaiserin angeredet. Ganz Griechenland feiert die Hochzeit mit. Ein Chirurg erhält den Auftrag,Sporus durch eine Operazion zum Weib zu machen. [In der Hofgesellschaft fält der Wiz: es wäre ein Glük für die Menschheit gewesen, wenn Nero's Vater auch eine solche Gemalin gehabt hätte.]

Korbulo, der erste Feldherr Rom's damaliger Zeit, der während 15 Jahren die römischen Waffen siegreich gegen die Parther geführt, wird von dem mistrauischen Kaiser nach Griechenland entboten und erhält heim Landen den Totesbefehl. Er stösst sich das Schwert in die Brust mit den Worten »Geschieht mir recht!« –

Währenddem treffen beunruhigende Nachrichten aus Rom ein, von wo Helios zur Rükkehr mahnt.

Mit 1808 Siegerkronen beladen zieht Nero in Neapel ein (März). Dann in Rom: »Heil Nero, dem Apollo!«

Aufstand des Statthalters Vindex in Gallien, der den spanischen Statthalter Galba auf den Tron erheben will. – Nero scheint die Grösse der Gefahr nicht zu erfassen. Bleibt untätig.

Zusammenkunft des Befehlshabers der Rheinischen Legjonen, Rufus, mit Vindex bei Vesontio. WährendRufus nicht abgeneigt erscheint, sich an der Erhebung zu beteiligen, geraten die beiderseitigen Heere in Folge eines Misverständnisses und bei gegenseitigem, durch lokale Umstände bedingtem, Hass aneinander,[14] die rheinischen Legjonen siegen über die Gallier undVindex stürzt sich in sein Schwert.

Im April fall auch Galba von Nero ab.

Nero hatte die ganze Zeit mit Kindereien vertrödelt, sich unfähig eines entschiedenen Widerstandes, grossartiger Maasnahmen, gezeigt, die Gefahr als solche gar nicht erfasst, war dann zwischen Wutausbrüchen und dumpfer Verzweiflung hin- und hergeworfen, um schliesslich mit aufgebrauchtem, widerstandsunfähigem Hirn, wie ein gelähmtes Kind, das ganze Geschik über sich ergehen zu lassen.

Der Senat verständigt sich mit den Prätorjanern, begibt sich in deren Lager, und ruft (Juni) Galba zum Kaiser aus.

Nero in psichischem Verfall am 3. Juni in seiner Villa in den Serviljanischen Gärten von aller Welt verlassen, flieht mit Epaphroditus seinem Schreiber,Sporus, seinem Lieblingsknaben, und Phaon, einem Freigelassenen, auf des lezteren Landgut, das tief in den Wäldern verstekt liegt, wohin ihm römische Reiterei nachsezt. Er lässt sich von Epaphroditus den Dolch in die Kehle stossen. »Welch' ein Künstler stirbt in mir!« 301/2 Jahre alt. Am 9. Juni 68. Nur seine alte Amme Ekloge und die verlassene Akte kümmerten sieh um seine Leiche und sorgten für Bestattung.

[15]

Fußnoten

1 Durch das hier Mitgeteilte wolte ich dem strebsomen Schauspieler, so z.B. dem Darsteller derNero', Gelegenheit geben, sich in die damals in voller décadence befindliche, römische Kaiserzeit etwas einzuleben, und ihn an den Vorstudien, die ich selbst für das Werk machte mühelos teilnehmen zu lassen. Das Markanteste, was hier aus den Quellen mitgeteilt ist, kann heute für uns historisch nicht erfaßt werden; dafür fehlen uns psichologisch die Vorbereitungen. Wir müßten Römer, und zwar Römer der damaligen Zeit, sein. So oft wir uns beim Lesen er vielen Graßheiten und Unbegreiflichkeiten moralisch rühren wollen, befinden wir uns auf falscher Fährte. Wir sind gewohnt. Alles, was sich als Dichtkunst oder historisches Kunstwerk uns darbietet, auf dem Brüsstein jüdisch-christlichen Empfindens zu analisiren: dieser Brüsstein ging Nero und seiner Zeit gänzlich ab. Schon Tazitus, der nur ein halbes Jahrhundert nach Nero schrieb, steht, etisch genommen, unter ganz anderen Anschauungen. Allein der Umstand, daß Nero der beliebteste Monarch der gesamten römischen Kaiserzeit war, muß vorsichtig machen in Anwendung von Gesichtspunkten, die zu falschen Resultaten führen müssen. Was wir einzig tun können, ist, historische Ereignisse und Personen durch möglichst moderne Kunstsprache uns menschlich näher zu bringen, alles Archaisieren zu unterlassen, und sie nur unter jenen welt-moralischen Gesichtspunkten zu beleuchten, die für die Völker Asiens wie des Abendlandes gleichmäßig gültig waren; um ein großes Beispiel anzuführen: wie Goethe seine »Iphigenie« schuf, oder wie Dürer die »Passion« in die Bildsprache des 16ten Jahrh. übersezte. – Um einen Maasstab für die schauspielerische Auffassung zu geben, dürften immerhin Tazitus' »Annalen«, Buch XI–XVI (in vorzüglicher deutscher Uebersezung von Ad. Stahr. Berlin 1879) sich am geeignetsten erweisen, obwol er, durchtränkt von stoischen Grundsäzen, mit viel zu großem sitlichen Zorn anNero herangeht. Wer dann noch etwa ErnstRenan's »Antechrist« lesen will, dürfte sich das Hauptsächliche angeeignet haben, um Nero als psichopatischen Herscher auf der Bühne darzustellen.

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TextGrid Repository (2012). Panizza, Oskar. Dramen. Nero. Nero. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-66F5-A