»Wär' ich im Bann vor Mekkas Toren«

1.

Eines ist für mich verloren:
Eins beklag' ich, eins bedaur' ich,
dieses nämlich, daß ich leider
nicht als Türke bin geboren!
Denn vor allem Volk der Erde
sind die Türken hoch zu preisen,
sie allein die wahren Menschen,
die Zufriedenen, die Weisen.
Hol' der Teufel unsre Bildung!
Sagt, was bringt es mir für Ehre,
daß ich mühsam mich in Sorgen
um mein Vaterland verzehre?
Daß die Schmerzen des Jahrhunderts
mir in meine Seele schneiden,
und daß mein Glück mir vergällt ist,
weil ich weiß, daß andre leiden?
[36]
Seid ihr etwa darum weiser,
weil ihr euch mit Weisheit brüstet?
Sind wir etwa darum freier,
weil nach Freiheit uns gelüstet?
Nein, wir sind sogar noch schlechter,
dieses dünkt mich unbestritten:
Denn am Fleisch zwar sind die Türken,
doch am Geist sind wir beschnitten.
Wohl, wenn ich ein Türke wäre,
dann die Hände auf dem Bauche,
süße Knasterwölkchen saugt' ich
aus dem ambraduft'gen Schlauche;
neben mir mit nackten Hüften,
eine Sklavin schürt' die Kohlen,
und die andre, die Tscherkessin,
kraute dienstbar mir die Sohlen.
Sanft, mit ausgesprühten Perlen
sollt' ein Springquell mich erfrischen,
und in sein melodisch Plätschern
flötend sich die Bulbul mischen:
Während ich, in Gottes Frieden,
eingemachte Feigen nasche,
oder unter meinem Kaftan
küßt' ich die verbotne Flasche.
Sollt' es aber hin und wieder
mir an Unterhaltung fehlen,
schlummert' ich und ließ zum Schlummer
lust'ge Märchen mir erzählen;
oder einen Christen rief ich,
in das Antlitz ihm zu spucken,
und nicht mit den Augenwimpern
dürfte der Giaur mir zucken! –
[37]
Kriegt' ich selber auch mitunter
ein klein wenig Bastonnade
nun, was wär' es, recht besehen,
für ein übermäß'ger Schade?
Hab' ich Sklaven nicht und Weiber,
die an ihren zarten Füßen
jeden Streich, den ich empfangen,
hundertfach und drüber büßen?
Und so flössen, klar und eben,
unermüdlich meine Tage,
ohne Wunsch und ohne Sorgen,
ohne Leidenschaft und Klage.
Denn was immer, Gut' und Böses,
mir vom Himmel wird beschieden,
weiß ich doch: Allah il Allah!
Und so trag' ich es in Frieden.
Stirbt mein Weib, kauf' ich ein andres,
das noch süßer weiß zu lachen;
stirbt mein Sohn, wohlan, so werd' ich
flugs mir einen neuen machen;
und nun gar die tollen Worte,
welche euch den Frieden stören;
Vaterland und Recht und Freiheit,
diese werd' ich gar nicht hören.

Notes
Erstdruck in: Gedichte, Leipzig 1841.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Prutz, Robert Eduard. 1. [Eines ist für mich verloren]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8A02-8