[63] Neuspanische Romanzen

nämlich von einem dem Verschiedenes heutzutage spanisch vorkommt

1.

Um die Kirche zu Sankt Paul
einen Schatten sieht man reiten,
mitternachts auf hohem Gaul,
auswattiert die magren Seiten.
Pfeile trägt er nicht noch Köcher,
führt kein Schlachtschwert um die Lenden:
Aber einen Tintenstecher
sorgsam trägt er in den Händen.
Statt des Fähnleins, statt der Lanze
ragt ihm eine ries'ge Feder
hinterm Ohr im stolzen Glanze:
Und die Ohren sind von Leder.
Hinter ihm auf einem Grauen –
oder sag' ich Esel füglich? –
läßt sein Knappe sich erschauen,
wohlbeleibt und höchst vergnüglich.
Nicht zum Kämpfen, nicht zum Fechten,
besser wohl ist der beim Trinken;
eine Wurst hängt ihm zur Rechten,
auf der andern ihm ein Schinken.
[64]
Eine purpurne Melone
sieht man auf der Faust ihm prahlen,
um die Scheitel eine Krone,
aber nur von Eierschalen. –
So in mitternächt'ger Stunde,
auf dem Esel, auf dem Gaul,
reiten sie gespenst'ge Runde
um die Kirche zu Sankt Paul;
klopfen dreimal an die Pforte,
rufen dreimal, äußerst kläglich,
unvernommne, dumpfe Worte –
doch die Tür bleibt unbeweglich!
Unbeweglich, wie sie warten,
wie sie rufen, wie sie klopfen;
ja dem Öle selbst, dem zarten,
das sie auf die Angeln tropfen:
Bis beim ersten Hahnenschreie,
bei des Morgenlieds Gedudel,
heimwärts reiten diese zweie,
kläglich, wie begoßne Pudel. –
Diesen Ritter, diesen Knappen,
weiß ihn keiner mir zu nennen?
Ihre Namen, ihre Wappen,
lehrt die Seltsamen mich kennen!
Wär's vielleicht der große Tote,
der berühmte, vielgenannte,
wär's la Manchas Don Quichote,
wär es Sancho, der bekannte?
Oder aber (sprechet leiser,
denn es graut mich der Gemeinheit) –
wär's vielleicht der künft'ge Kaiser,
ihm voran die deutsche Einheit?

[65] 2.

Sechsunddreißig Vaterländer
hatte sonst der gute Deutsche,
sechsunddreißig bunte Bänder
flicht man jetzt zu einer Peitsche:
Einer Peitsche, leicht und zierlich,
um die Ohren uns zu wippen,
wenn der Mund zu unmanierlich,
wenn zu plauderhaft die Lippen.
Ja, ich schwör's bei diesem Blute,
halten wird man, was versprochen,
wird uns mit derselben Knute,
einheitselig, unterjochen!
Einen Kaiser, ohne Zweifel
werden ebenfalls wir kriegen:
Nikolaus, den großen Teufel –
Und dann wird die Freiheit siegen!

3.

Ach, wie ist die Welt so eitel!
Magre Bissen, fette Kröpfe,
krause Locken, volle Scheitel,
und darunter leere Köpfe –
Ach, wie ist die Welt so eitel!
Ach, wie ist die Welt so eitel!
Kleine Flaschen, große Keller,
goldgestickte seidne Beutel
und darin nicht einen Heller –
Ach, wie ist die Welt so eitel!

[66] 4.

Deutscher Kaiser, deutscher Kaiser,
sag, wie wirst du nur erscheinen?
Trägst du etwa Birkenreiser,
wie der Ruprecht unsrer Kleinen?
Oder führst du, mit Permisse,
eine Spritze zum Klistieren,
um Beschwerden uns, gewisse
drückende, uns abzuführen?
Deutscher Kaiser, deutscher Kaiser,
zwar es fröstelt mir im Blute,
doch ich fasse mich als Weiser –:
führst gewißlich eine Knute!

9.

Ist doch auf der Welt nichts besser
als solch deutscher, solch Professor!
Stillvergnügt, ein mäß'ger Esser,
läßt er fließen sein Gewässer,
füllt es selber noch auf Fässer –
gut verpicht hält es sich besser –
spaltet Haare mit dem Messer:
und indes ein kühner Fresser
stiehlt dem Allerweltsvergesser,
sel'gem Himmelsraumdurchmesser,
vor der Nase stiehlt der Fresser
Braten ihm und Brot und Messer! –
Deutsche Freiheit, dir wär' besser,
stürben sämtliche Professor,
sie – und andre Bettdurchnässer!

[67] 10.

Heinrich Laube, Heinrich Laube,
Cicero von Ellenbogen,
Dank dir, Freund: denn unser Glaube,
diesmal hat er nicht gelogen!
Unser Glaube – dieser nämlich,
daß du dich würdst lau bezeigen,
weiberhaft, blasiert und grämlich:
und das alles, Freund, mit Schweigen!
Unser Glaube, daß kein Zweiter
in der Paulskirch sei gesessen,
der zum Knechtesdienst bereiter
und manierlicher beim Essen;
daß von allen sei nicht einer,
deutscher Freiheit Lampenputzer,
weder der als Staatsmann kleiner,
noch der größer sei als Stutzer!
Deine Handschuh, das sieht jeder,
werden alle Tage gelber,
sind so ziemlich auch von Leder; –
doch vom besten bist du selber.

12.

O Brut des Jordan, frisch gelaicht,
nun endlich hast du es erreicht!
Nun endlich ward der Tisch gedeckt,
nach dem die Finger du geschleckt!
Geschmückt mit Lorbeerblätterzier,
Fettäuglein auch drei oder vier,
Diäten drauf und so derlei,
was etwa gut dem Magen sei,
[68]
so prangst du selber jetzt beim Mahl
als Oberreichsmarineaal!
Zwar bist du noch ein wenig grün:
Doch grün den Aal, so liebt man ihn.
Einst sah ich dich, da warst du rot:
Doch damit hat's jetzt keine Not;
du weißt als ein erfahrner Mann,
wie man die Farbe wechseln kann,
und bleibt nur die Marine flott,
so ist das andre dir ein Spott.
Zwar eines weiß ich, macht dir Qual:
daß du nichts weiter als ein Aal,
da du in deinem Stolze doch
weit lieber wärst 'ne Schlange noch.
Doch, guter Wilhelm, sieh es ein,
es muß beim Aal geblieben sein:
Zum Aal zwar bist du gut genug:
Doch Schlangen, guter Wilm, sind – klug.

15.

O Bassermann, o Bassermann,
was bist du für ein Wassermann!
Du siehst ja Wein für Wasser an,
und klares Wasser scheint dir Blut!
Wer strich dir so die Brillen an?
Wo war dein Kopf, wo war dein Mut?
O Bassermann, o Bassermann,
du siehst das Ding ja krasser an,
als Hinkeldey und Wrangel tut!
O Bassermann, o Bassermann,
du vielgeschwätz'ger Wassermann,
fast tritt mich selbst das Wasser an,
und helle Tränen brechen vor,
bedenk' ich, was du sonst für 'n Mann
und was das Volk an dir verlor:
[69]
O Bassermann, o Bassermann,
du armer, kranker, blasser Mann,
geh heim und lege dich aufs Ohr!

18.

Ach ihr teuren Kirchenlichter,
die ihr einst so hell gestrahlt,
die ihr in die Angesichter
so viel Falten euch gemalt:
Ach wie jetzt so anders steht ihr
in der Kirche zu Sankt Paul!
Alle mit der Rechten geht ihr,
alle hänget ihr das Maul!
So viel Fett, so viele Schnuppe
und die Flamme so gering!
Solche buntgestreifte Puppe
und solch schäb'ger Schmetterling!

19.

Berlin. September 1848


O Beckerath, o Beckerath,
nun schaffe du und wecke Rat!
Schon wieder drängt sich an den Thron
die Mutter der Rebellion,
Reaktion, die feile Metze,
mit ihrem Köder, ihrem Netze:
Zu retten Freiheit und Gesetze,
o Beckerath, o Beckerath,
nun sieht auf dich der lecke Staat!
O Beckerath, o Beckerath,
nun sieht auf dich der lecke Staat!
Nun hilft das schöne Reden nicht,
[70]
auch nicht der Schmerz im Angesicht,
der sanfte Mund, die edle Miene,
auch nicht der Beifall der Tribüne:
Nun gilt's, daß man der Freiheit diene,
o Beckerath, o Beckerath,
nun hilft allein die kecke Tat!

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TextGrid Repository (2012). Prutz, Robert Eduard. Neuspanische Romanzen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8A3A-A