Bibliotartarus

Ein Heldengedichte

Erster Gesang

Ich will des Jünglings Muth, und die verwegnen Reisen,
Durch jene Finsterniß des grausen Tartars preisen,
Der irrend seinen Lauf durch Feld und Lager nahm,
Und in dem Strausse oft in das Gedränge kam,
Ja, als er kühnheitsvoll in jene Kluft gedrungen,
Zuletzt doch wiederum sich an das Licht geschwungen.
Du Göttin, deren Mund die Wahrheit schertzend singt,
Und durch den klugen Hohn der Thoren Stoltz bezwingt,
Thalia! lehre mich, du Meisterin im Schertzen!
Der grossen Thaten Preiß, und was in seinem Hertzen
Solch eine Glut entflammt, daß er des Orcus Nacht,
Mit seinen Furien, ohn alle Furcht verlacht.
Am besten kanst du mir davon die Nachricht geben:
Denn du erdachtest selbst sein Wesen und sein Leben.
Allein, woher erlangt mein schertzender Gesang
In Deutschland seinen Werth und den beliebten Klang?
Vergeblich würd es jetzt auch Maro selber wagen,
Durch sein erhabnes Lied den Preis davon zu tragen.
Wo nicht der Schellenschall des Reims am Ende klingt,
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Wo man nicht die Vernunft in seine Fesseln zwingt;
So ist Geist, Kunst und Fleiß und alles Oel verloren:
Denn der Geschmack sitzt fast den meisten in den Ohren.
So will ich denn, o Reim! zu dir die Händ erhöhn.
Wie, träumt mir? hör ich nicht dein zauberndes Getön?
Wie bist du, tauber Gott! mir jetzt so bald erschienen?
Durch den in Deutschland nur der Dichter Lorbern grünen.
Dein Schellenzepter klingt, und die Begeisterung
Befält jetzt alles Volck, hoch, niedrig alt und jung.
Sie alle sehen dir, bloß deines Klimperns wegen,
Mit Klatschen, Ruhm und Lob und gantz entzückt entgegen:
So freudig können kaum die frommen Kinder seyn;
Wenn sie am Weynachtsfest und bey der Lichter Schein,
Den Engel, der beschert, von ferne klingeln hören,
Und Kleinigkeiten dann noch ihre Freude mehren.
So ausgelassen ist auch nicht der Dörfer Lust,
So hüpfet nicht das Hertz in Hans und Gretens Brust,
Bey eines Leyermanns zweytönig ewgen Leyern,
Wenn sie ihr Kirchweihfest mit Tantz und Jauchzen feyern.
O Reim! wie groß bist du! du hilfst aus aller Noth.
Auf deinem Ruf stehn mir die Sylben zu Gebot.
Die Worte laufen zu. Ich seh auf deinen Willen
Der Verse Schrancken sich, nebst gantzen Seiten, füllen.
Du krönst mein deutsches Spiel. Du schafst, daß es gefällt.
Du machest, daß mein Schlaf den Dichterkrantz erhält.
Wohlan, so will ich denn zu deinen Schellen schweren,
Und künftig deine Macht, mehr als den Phöbus, ehren.
Auf blase, was ich selbst gedencken solte, ein;
So wird mein Held und ich durch dich verewigt seyn.
Zuerst must du den Stand und Namen meines Helden,
Weil ihn kein Mensch sonst weiß, schertzhafte Muse! melden,
Was singst du? Studio. Wer kennt nicht Studion?
Doch sprich, wer ehrte ihn als seinen theuren Sohn?
Der kühne Held entstammt aus eines Küsters Lenden;
Und wuchs, zu seiner Lust, selbst unter seinen Händen
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Und strenger Ruthe auf. Wann Sontags am Altar,
Des letzten Liedes Vers kaum ausgesungen war:
So folgete der Sohn dem Vater in die Schencke.
Hier druckten Schöpp und Schultz und Pachter gleich die Bäncke.
Der alte Stax erklärt, mit viel Gelehrsamkeit,
Die Predigt noch einmal. Führt von dem State Streit,
Braucht sein Latein, das ihm von Wittenberg geblieben,
Und Studio entbrennt von väterlichen Trieben.
Des alten Beyspiel reitzt und spornt des jungen Geist,
Wie einen kleinen Leun, der schon die Zähne weist.
Er brüllt und kratzet schon vor Blutgier in die Erden,
Und wünscht dem Vater gleich, der Thiere Furcht zu werden.
So folgt einst Annibal, Cartagens Kriegesblitz
Amilcarn, noch gantz zart, in Mavors Feld und Sitz,
Bis in Hispanien, wo so viel Blut kaum flosse,
Als man vom Gerstentranck, im Streit, alhier vergosse.
Des jungen Pöners Muth wuchs bey der Waffen Klang.
Hier droht er dir, o Rom! noch schwach, den Untergang;
Wozu des Vaters Sieg ihn stets in Glut gesetzet.
Doch Studio wird mehr als Annibal geschätzet.
Den schreckensvollen Eyd, der jenen Held verband,
That dieser vor sich selbst, mit aufgehabner Hand,
Bey seines Vaters Stock, und fürchterlicher Rute.
Da dieser triumphirt, mit wallend heissem Blute,
Daß er, so lange Puls und Zunge würden gehn,
Trotz dem Verstande! will lateinisch wiederstehn,
So folgete der Sohn des Vaters grossen Schritten,
Wie des Aeneas Kind, doch mit stets stärckern Tritten.
Sein oftrer Sieg ließ ihn so Tag als Nacht nicht ruhn.
Wie vielen Nutzen kan der Väter Beyspiel thun?
Als die drey Lustern nun zu Hause kaum verflossen,
So ward ein höher Thor dem Helden aufgeschlossen.
Voll Lust betrat er hier den so gewünschten Sand,
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Wo er schon würdige und starcke Kämpfer fand.
Hier lernt er vom Orbil, um eines Wortes wegen,
Den allerstrengsten Streit mit jedem zu erregen.
Hier junger Hercules! zogst du die Waffen an.
Dein Streich verschont auch nicht den grauen Priscian.
Und als du überall in allen Birgelagen,
Wie in der Schul auch oft, den Preis davon getragen,
Und alles vor dir wich, und alles vor dir fiel;
So ging dein tapfrer Sinn auf ein erhabner Ziel.
So zeigte sich in dir der Väter ihr Geblüte.
So hebt sich allezeit ein wohlgeschlacht Gemüthe.
Die Zeit erschien nunmehr, da Tellus sich enthüllt,
Und Titan, was da lebt, mit neuer Glut erfüllt.
Mars ließ sein Blutpanir hoch in den Lüften schweben,
Die Lager fingen sich nunmehro an zu heben.
Der blancken Waffen Glantz durchschimmerte das Feld.
Der Wanderburschen Schwarm zog aus in alle Welt.
Und Schüler, die nunmehr ad altiora schreiten,
Sah man den Degen, Kleid und Bücher zubereiten.
Theils aber zogen schon zur hohen Schul hinan,
Und kamen, kaum halb flick, nun mit den Schwalben an.
Auch Studio beginnt den Schulstaub abzuschütteln,
Und fült den hohen Zug. Wie eines Fiebers Rütteln,
Durchlief ein froher Schaur die Glieder, Marck und Bein,
Es nahm ihm Brust und Geist so Lust als Ehrfurcht ein,
Wann, Academia! er deiner nur gedachte,
Und ihm sein neuer Stand die Sinnen schwülstig machte.
Des blossen Namens Kraft verklärete ihn gantz,
Und itzt umstrahlte ihn ein ungewohnter Glantz.
Bey Tage schwebt ihm stets ihr göttlich Bild vor Augen.
Die Nacht selbst konte nicht es zu verdunckeln taugen.
So brante Don Qvichot, er, Manchas gröste Zier,
Und Amadis einst nicht, vor feuriger Begier,
Den hohen Ritterschlag, im Tempel, zu erlangen,
Und von der schönen Hand die Sporen zu empfangen:
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Als Studio, bis ihn die Deposition
Von seinem Staub erlöst, und ihn zum Musen Sohn,
Und der erseufzten Zier des Degens würdig mache.
Und dieser schimmerte nun schon in dem Gemache
An der vom Tobacksdampf beräuchert schwartzen Wand,
Sein Lieschen hatte selbst ein goldgewürcktes Band,
Das Unterpfand der Treu, mit den geküßten Händen
In Schleifen angeknüpft: Du Zierde meiner Lenden!
(Rief er, da er vor ihm entzücket stehen blieb:
Denn die Apostrophe war ihm vor allen lieb;
Wußt er Figuren gleich zu Schocken herzuzählen,
Womit noch die Orbils die leeren Redner quälen.)
Du meiner Lenden Zier! mein blinckend scharfer Schutz!
Und der Verzagten Furcht! und der Verwegnen Trutz!
O du so lange Zeit erseufztes Ehrenzeichen!
Des Stahl, des Rectors Stock, ja alle Zepter weichen.
Ich grüß und ehre dich als mein Palladium.
Du machst mein Glück, mit dir kehrt meine Freyheit um,
Die seinen Bakel floh; und nichts wird sie vertreiben;
So lang du meiner Hand nur wirst getreu verbleiben.
Trotz dem! der sich an mich und deinen Schimmer wagt,
Und des verwegner Mund ein spöttisch Schimpfwort sagt.
Ihn soll – – hiermit nahm er das Eisen in die Hände,
Und bohrte gantz erhitzt auf unbewehrte Wände.
Schlug die durchschnittne Luft mit manchem Kreutzhieb auf,
Fiel aus, sprang hinter sich, steh Hund! Canallie lauf!
So wie ein Leu, (was kan hier sonst ein Gleichniß leihen)
Sich dort in Lybiens verbranten Wüsteneyen
Selbst mit dem Schwantze reitzt, und grimmig, vor dem Streit,
Daß Erd und Himmel schallt, brüllt, tobet, scharrt und schreyt.
Ja wie man in der Brunst, in Polens fetten Auen,
Dem dicksten jungen Stier sich nicht darf nahe trauen;
Wenn durch sein schwartzes Fel der Wespe Stachel dringt,
Und ihn, durch heissen Schmertz, in volles Rasen bringt,
Er springt, er rast herum. Mit Stössen und mit Streichen
Wetzt er sein krummes Horn an wundenvollen Eichen,
Er brült und fordert Luft und Winde brausend raus,
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Und stößt und wirft vor Wuth den Sand, zum Vorspiel, aus.
Der leere Sturm fing sich almälich an zu legen,
Und er betrachtete, gestillt, den neuen Degen,
Vor den des Vaters Huld, mit froher Seel und Hand,
Das Tauf- und Leichengeld voll Hofnung angewandt.
Er bog und übte oft die Stärcke seiner Klingen,
Lies ihr elastisch Stahl oft wieder grade springen.
Und bog es wiederum. Er wird vom sehn nicht sat,
So viel er ihn auch schon herum gedrehet hat.
Bewundert bey sich selbst die silbernen Figuren,
Des Knopfs und Stichblats Gold, wo auf des Hasens Spuren
Die Hunde schiessend ziehn, und eines Jägers Spieß
Hier einen Fuchs durchsticht, der sich belauschen ließ.
Darauf versucht er ihn an seiner lincken Seiten:
Wie herlich werden wir ad altiora schreiten!
So sprach er, und ging erst die Stube auf und ab;
Wobey er, wie er steht, voll Freuden, Achtung gab.
Nachdem spatzirte er die Strassen auf und nieder,
Und vor der Liebsten Haus und Fenster hin und wieder.
Die Leute blieben stehn, die Jungfern gaben acht.
Und bald ward unser Held bewundert, bald verlacht.
Zuletzt must er sich doch nun mit der Sonn entfernen,
Die Valediction zu Hause wohl zu lernen.
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TextGrid Repository (2012). Pyra, Jakob Immanuel. Gedichte. Thirsis und Damons freundschaftliche Lieder. Neuer Anhang einiger Gedichte. Bibliotartarus. Ein Heldengedichte. Erster Gesang. Bibliotartarus. Ein Heldengedichte. Erster Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8ACF-D