[46] [48]Des Thirsis Empfindungen, da er ihnen entgegen geht

Du Sohn der Großmuth und der Treue,
O Damon, meine Lust, und ewig meine Zier,
Du würdiger Bewahrer meines Hertzens,
Du durch die Huld des Vaters aller Liebe
Für mich allein bestimmter Freund,
Sieh da das Bild des gantz entzückten Geistes,
Durchschau das ofne Heiligste
Des dir gewiedmeten Gemütes.
Bis in den stillen Grund der Seelen,
Vom allerreinsten Licht erhabner Zärtlichkeit
Durchaus erhellt, verkläret und durchdrungen,
Entzückst du mich, voll himmlischer Gedancken,
Mit dir von der unwürdgen Welt,
Vom Schwarm des Staubs, in ewig heitre Sphären.
O göttlich schöne Einsamkeit!
Nichts ist um mich, als du und Doris.
Ich höre dich, still, ruht ihr Lüfte,
O Doris höre drauf, du süsse Freundlichkeit,
Der Unschuld Bild, der Tugend reine Tochter,
Mein Damon singt von dein und meiner Liebe;
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Der gantze Himmel wird verklärt;
Mein Hertz, beklemmt von innigstem Vergnügen,
Schöpft Luft, bey deiner keuschen Lust,
Erleichtert sich, durch fremde Zähren.
O Freund, wer giebt dich meinem Arm?
Was hält, was hält dich auf? was, bist du noch nicht da?
O Zeit! warum verweigerst du so lange
Der Brust den Trost, dem Wunsche die Vergnügung?
Mein Auge weicht nicht von der Höh,
Wovon der krumme Weg sich zu uns niederdrehet.
Nun, nunmehr kommen sie hervor.
Ach! nicht mein Damon, meine Doris.
Kein Gang in noch entlaubten Schatten
Des rieselnden und schmahlen Schmerlenbachs
Kan meinen Fuß in die begrünten Thäler
Zu sich herab von eurem Wege locken,
Der steil und voller Sand und Kies
Für meine Schenckel jetzt allein ein Lustgang bleibet,
Wo selbst mein niemals müder Schritt
Noch einen neuen Fußsteg zeichnet.
Dann steh ich einsam auf der Höhe
Bey gantzen Stunden still, voll sehnlicher Begier;
Der Wind pfeift mir durch die zerstöhrten Haare,
Doch irrt mein Blick durch alle Weg und Felder
Und über Thürm und Berge hin.
Oft waffn ich auch die allzublöden Augen;
Doch Damon, Doris, kommen nicht;
Und Abends kehr ich traurig wieder.
Die unverzärtelt muntre Lerche,
Wenn sie den Morgenthau, gantz frostig, wie bereift,
Von den geschütterten beperlten Federn sprützet,
Dringt durch die Macht unschuldig heisser Triebe
Bis unters rothe Thaugewölck;
Schaut unter sich Berg, Thäler, grüne Felder,
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Wann die verjüngte Sonn erscheint,
Und wieder in die Wolcken sincket;
Bald flittert sie mit regen Schwingen,
Bald steigt sie schnell empor, bald ruht sie wiederum,
Und hänget hoch an unbewegten Federn;
Bald lehret sie hoch aus den blauen Lüften
Die Welt das Lob des Ewigen;
Bald singet sie, die Gattin zu erfreuen;
Und bald ruft sie ihr kirrend zu;
Zuletzt sinckt sie stillschweigend nieder.
Dieß sah ich, wenn ich nach dir sah,
Und fand mit halbem Trost ein gleich betrübtes Bild.
O fesselte mich nicht das Band der Pflichten,
Die meiner Treu allein vertrauet worden,
So flög ich schon in deinen Arm:
Ich dränge durch die brausend wilden Strudel
Der Stürm in der durchwühlten Luft,
Die Dächer, Feld und Wald bestürmen.
Ich müßt euch sehn, dich und die Doris,
Die Doris, gegen die mein Hertz ein Feuer nährt,
Das in der stärksten Loh doch keinen Dampf erzeuget,
Und die mir selbst das Zeugniß soll ertheilen:
Ja Thirsis war ein edler Freund,
Der mich, so sehr, so zärtlich er mich ehrte,
Nie, wie Tibull des Freundes Weib,
Durch ein verwehrtes Wort beschämte.
Dieß soll, o Freund, die Nachwelt wissen,
Die unsre Lieder liest. Der Jugendzunder liegt
Zwar in dem Blut und Hertzen auch verborgen,
Allein die Majestät von ihrer holden Tugend
Bewafnet auch die meinige
Durch jeden süssen Blick der ehlich reinen Lichter.
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Die Hydra schnaubet Glut und Dampf,
Umsonst, die schwartzen Flammen fallen.
Das kan die Tugend edler Seelen.
Du kanntest deinen Freund, des Mistrauns tolle Brut
Bemeisterte sich nie des grossen Geistes,
Du schaltest nie der ofnen Freundschaft Zeichen,
Wir lebten, wie Geschwister thun.
Wie froh war ich, o Freund! bey euren Küssen?
Vergnügt mit eurer Freundlichkeit,
O solt ich ewig mit euch leben!
Begraben in der Ruh der Liebe,
Von keinem hochgeehrt, von dir allein geschätzt,
Wollt ich bey euch mein Dach mit Zweigen decken,
Wenn Gott mich nicht zu andern Diensten rufte,
Und ich dir nicht zur lieben Last,
Mir selber zum Verdruß um deinetwillen würde.
Die Armuth wär ein Ueberfluß,
Ich hätte gnug. Gott, dich, und Doris.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Pyra, Jakob Immanuel. Gedichte. Thirsis und Damons freundschaftliche Lieder. Freundschaftliche Lieder. Des Thirsis Empfindungen, da er ihnen entgegen geht. Des Thirsis Empfindungen, da er ihnen entgegen geht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8AD3-1