[82] Der Tempel der wahren Dichtkunst

M. Hier. Vida hymn. I. Deo. v. 30-35.

Carmina nunc mutanda, novo nunc ore canendum

Iamque alias sylvas, alios accedere fontes

Edico. Iam nunc polluto calle relicto

Hac iter esto: huc musarum revocantor alumni.

Hac casti vates in relligione manento.


Odi profanvm vulgvs et arceo.


An Hrn. S.G. Langen.

Der erste Gesang

Den Tempel und dein Reich laß mich, o Königin
Der wahren Poesie, durch deinen Trieb besingen.
Komm! führe mich, daß itzt mein Fesselfreyer Fuß
Auf dieser neuen Bahn nicht gleitet oder irret.
Ja gieb, daß sich mein Vers in wahrer Schönheit zeigt,
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Da der vermeinte Schmuck der leeren Reime fehlet;
Damit ein kluger Geist dennoch Vergnügen fühlt,
Ob ein verwehntes Ohr der Ausgang gleich nicht kützelt.
Ihr, die ihr nur allein den Reim zu loben wißt,
Ihr mögt mein Lied und mich nur immerhin verachten.
Solch Tadeln bringt mir Ruhm, wann sonst nur nichts gebricht.
Ja weicht! ihr solt mich auch nicht hören oder loben.
Du aber hörst mir doch, mein Freund! mein Lange! zu?
Ich weiß es, du entziehst dein Ohr den Hochzeitliedern,
Und gönnst es deinem Freund. So komm, ich will mit dir
Durch jenen schweren Weg zur Dichtkunst Tempel steigen.
Die Nacht war da. Die Ruh zog durch die stille Stadt.
Der Träume leichtes Volck flog hin und her im Schatten,
Es gaukelte und schwung die braunen Fittige
Um manches Bett und Haupt und äfte viele Seelen.
Es strahlte schon der Mond dort unter dem Gestirn,
Das schnell, doch unvermerckt, am hellen Himmel rollte,
Sein stilles Silberlicht drang in mein Schlafgemach,
Und dadurch mahlten sich die Scheiben an den Boden.
Die Lampen schliefen ein, die Fenster wurden schwartz,
Da denen, die noch spät der Weisheit Opfer brachten,
Das Buch aus ihrer Hand, der Leib aufs Lager sanck,
Weil der verwachte Fleiß vom Schlaf gefesselt worden.
Die Stille herrschte nun; man hörte nur allein
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Bey jedem Glockenschlag die muntern Wächter rufen:
Als meine Wohnung noch von meiner Sayten Ton
Und nächtlichen Gesang bey später Andacht schalte.
Ich sang, fast gantz entzückt, in dunckler Einsamkeit
Zu meinem Saytenspiel des grossen Davids Psalmen,
Der sich den Dichterkrantz um sein gesalbtes Haar
Und königliches Gold durch seine Lieder flochte.
Ich sang, was dort von ihm der Jordan oft gehört,
Als er noch Blumen laß und seine junge Locken
In bunte Kräntze schloß; wenn er so Tasch als Stab
Ins feuchte Gras gelegt, worauf die Schaafe schweiften.
Die Engel stimmten selbst in seine Lieder ein,
Wenn er die Harfe schlug, daß Wald und Thal erklungen;
Wenn er voll Lust erzählt, wie sein Jehova ihn
An einen frischen Quell auf süsse Weide leite.
Bald dringt sein hoher Geist lobsingend Himmel an,
Und siehet Gott in Pracht und Herrlichkeit und Ehre;
Sein Kleid ist Licht und Glantz, die Winde tragen ihn
Auf ihren Flügeln fort, die Wolcken sind sein Wagen.
Wie des Gefieders Fürst, den dort Arabien
Auf hohen Felsen zeugt, um die bemoßten Klippen
Sich an der Fische Reich, an Bäch und Seen nährt,
Auf ihren Wassern schwebt, der Federn Spitzen netzet,
Und bald durch starcken Flug weit über Hermons Haupt
Und alle Wolcken steigt, und in den lichten Tempel
Der hohen Sonne dringt, wo er in Glut und Glantz
Die goldne Majestät mit starcken Augen schauet.
Oft brennt sein tapfrer Muth. Er bricht mit seinem Gott
Durch Waffen, Heer und Streit, springt über alle Mauren,
Und stürtzet sie, und geht durch Leichen, Schutt und Grauß;
Und so thut er mit Gott die grösten Wunderthaten.
Itzt schreyt er in der Noth der trüben Zeit zum Herrn,
Doch bald wird er getrost und führt mit seiner Harfe
Des Höchsten heiligs Volck, das freye Israel,
Vom Götzenvollen Nil durch die zertheilten Wasser.
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Die Fluth erschrickt und tobt, der Blitz fährt durch die Welt,
Des Himmels Donner kracht, der Grund der Erden bebet,
Da der erzürnte Gott durch grosse Wasser geht
Und Wagen, Roß und Mann in tiefer Fluth vertilget.
Bald leitet er die Braut zu ihrem Könige
Aus einem prächtigen Pallast von Elfenbeine;
Ihr Kleid strahlt gantz von Gold und streut der Myrrhen Duft;
Der Fürsten Töchter gehn in stoltzem Schmuck zur Seiten.
Er sieht und prophezeyt den Heiland aller Welt,
Er bricht mit ihm durchs Thor, zerstört der Höllen Kerker;
Er folgt mit Jauchzen ihm an seinem Wagen nach
Und zieht im Siegsgepräng mit hundert tausend Schaaren.
Dieß sang ich nach. Gleich ward auf einmal alles hell,
Die Wände zitterten; schnell stand vor meinen Augen
Ein göttlich schönes Bild in vollem Lichte da.
Ein kalter Schauer lief durch die erschrocknen Glieder.
Voll Ehrfurcht sah ich hier die heilge Poesie,
Um ihren Scheitel brennt ein Krantz von lichten Sternen,
Und eine himmlische und ewge Jugend lacht,
So wie die Morgenröth aus ihrem Angesichte.
Sie war sehr prächtig, groß, und so, wie sie sich sonst
Den Söhnen jenes Lichts, den Engeln, pflegt zu zeigen.
Ein perlenweisses Kleid floß von den Schultern ab,
Und ihre Rechte trug die hochgestimmte Harfe;
Die Tugend und Natur und Anmuth folgten ihr,
Als wie drey Gratien, mit fest verschlungnen Händen;
Das reinste Sylbenmaß rauscht, wie ein sanfter Bach,
Mit schönster Harmonie von den beredten Lippen.
Sie selber blickte mich mit heiterm Lächeln an,
Und öfnete den Mund mit diesen Anmuthsworten:
Ich weiß, mein Sohn, ich weiß, daß du die hohe Bahn
Der wahren Dichtkunst suchst. Du hörst des Flaccus Lehren,
Und steigst mit munterm Fuß zu ihrem Heiligthum,
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Das er mit kluger Hand den Dichtern aufgeschlossen.
Du siehst dem Römschen Schwan mit starren Augen nach,
Wenn er die Welt verläßt, und sein erhabner Scheitel
An das Gestirne stößt. Dein Trieb reißt öfters dich
Durch Waffen, Mann und Streit in Marons blutge Felder;
Du wendest in der Hand das Buch des Scaligers,
Du fliehst des Pöbels Staub und gehst des Vida Wegen
Zum höchsten Gipfel nach. Ich tadle dis zwar nicht;
Doch meide nur den Tand verworfner Götzenfabeln:
Itzt aber folge mir, vergiß nun auf einmal
Den lorberreichen Sitz des fabelhaften Pindus,
Wo Phöbus, wie man träumt, sich in der Castalis
Die goldnen Locken wäscht, wo die Camönen tantzen.
Zwar Sion ist entweiht, worauf ich sonst gespielt;
An dessen grünem Fuß Siloens Wasser rieselt,
Um den der Barbar schweift, und ihn zu trüben pflegt.
Doch komm durch jenes Reich zu meinem neuen Tempel.
Sie reichte mir die Hand, ich folgte, doch mit Furcht,
Und nicht mit gleichem Schritt; doch gleich drung Muth und Feuer
In die erschrockne Brust; sie aber ging voran,
Und mischte bey dem Gehn die Stimme in die Sayten.
Bald flog ihr hohes Lied an den bestirnten Sitz
Und prieß der Seelgen Ruh; bald wältzte sie die Worte
Durch das verdammte Reich, wo um die blasse Schaar
Die Bäche Belials mit Schwefel Fluthen brausen.
Und also schreiten wir mit dicker Luft umhült,
Die doch ihr reiner Schein rings um uns her erhellet:
Die Blumen sprossen vor und schmücken ihre Bahn,
Wo ihre Solen nur die Erde sanft berühren.
Das Federvolck sang sie wie ihren Phönix an,
Die Bäume neigten sich mit den belaubten Häuptern,
Und hielten einen Tantz, das Wild verließ den Wald,
Die Löwen strichen sie, der Bär vergaß sein Wüten,
Die Tyger folgten zahm und hörten ruhig zu.
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Die Hirten sprungen auf und meinten noch im Traume
Ein nächtliches Gesicht, halb voller Schlaf, zu sehn,
Der wache Wiederschall sang spielend alle Sylben.
Nun führte uns der Weg in einen Fichten-Wald,
Wo fast um jeden Stamm ein Schwarm mit rauher Kehlen
Nur Hochzeitreime jauchtzt und todte Lieder heult.
O! rief sie, hasse stets den Pöbel toller Reimer.
Wie, wenn die Nacht die Welt in feuchte Schatten hült,
Ein später Wandersmann bey halben Monden Scheine
In finstern Büschen irrt und Raben, Eule, Krähn
Erbärmlich krächzen hört, so war mir hier zu Muthe.
Zwey Wege zeigten sich da, wo der Wald sich schloß,
Der eine war umpflantzt mit Myrthen und mit Lorbeern,
An seinem Eintritt stand die falsche Poesie
Die in dem eitlen Schmuck unechter Steine prahlte,
Das dünn gewebte Zeug des weiten Kleides schwoll
In tausend Falten auf. Mit übermahlten Rosen
War ihr Gesicht geschmückt, die Glieder schienen starck,
Doch war es lauter Schwulst und ein verstelltes Wesen.
Zu ihrer Lincken war ein prächtig Opernhaus,
Und mitten drauf ein Thron auf einer stoltzen Bühne.
Die Wollust brüstet sich darauf in geilem Schmuck
Und ein verführtes Volck trinckt ihren Zauberbecher.
Zu ihrer Rechten zog ein buntes Pfauenpaar
Die Ehrsucht voller Stoltz auf einem goldnen Wagen
Und breitete den Schweif wie ein beaugtes Rad.
Sie rief und suchte mich durch falschen Ruhm zu locken.
Der reiche Geitz schloß selbst die vollen Schätze auf,
Er zeigte mir sein Gold, mich dadurch anzureitzen,
Daß ich der Laster Brut mein Spiel verkaufen soll.
Die falsche Dichtkunst fing mich also an zu locken:
Komm, lerne hier die Kunst, wie man recht hurtig reimt,
Es soll mein Gnadenwind in deines Geistes Segel
Auf allen Meeren wehn, die Gift und Neid beschäumt,
Jedwede Zeile soll nach Mosch und Ambra riechen.
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Dein Reim wird lauter Gold und Diamanten streun,
Mein grosser Anhang wird dein goldnes Lied bewundern.
Komm zu mir in mein Reich, es soll dich nicht gereun.
Du solst in einem Thal bey schönen Nymphen spielen.
Laß die bedornte Bahn: denn, glaub, es wird so seyn,
Daß du oft weinen mußt, eh du wirst singen können.
Darauf erschalte gleich die weichlichste Music,
Gleich tantzt und sang in Creiß ein reitzend Chor Syrenen;
Doch meine Führerinn entriß ihr allen Schmuck,
Und rief: weich, Lasterbrut! so gleich verschwand auch alles.
Nicht anders, als wenn sonst der Sonnen sinckend Licht
Die Abendwolcken mahlt, woran man sich Palläste,
Und Schlösser, Thürme, Thier und Menschen bilden schaut,
Da, eh man sichs versieht, schnell alles wieder schwindet.
Der andre Weg war da, wo sich der Berg entzog,
Und nach dem Thale sanft und Stufenweise senckte.
Hier schwärmten manchmal auch noch Lüste, Reizungen
Und der Begierden Schwarm in mancherley Gestalten;
Fast alle Augenblick sah ich ein neues Bild,
Das immer schöner ward, vor meinen Augen flattern.
Ich hörte manchen Ruf und manche Lockungen
Und viel Syrenen hier betrügrisch reitzend singen;
Jedoch der Dichtkunst Lied besiegte diese Brut,
Und dämpft in meiner Brust die Kraft der Zauber-Lieder.
Indessen kamen wir bis an des Berges Grund,
Doch kont ich meinen Schritt nicht sicher weiter setzen,
Denn alles lag vor mir in Wolcken eingehüllt,
Die aber liessen nichts, so nah es war, erkennen;
Wie, wenn den Creiß der Luft ein Nebel trübe macht,
Man kaum den nächsten Baum und Thurm kan dunkel schauen.
Und gleich vor meinem Fuß sah ich mit Furcht und Graun,
Wie eine tiefe Kluft den ungeheuren Rachen
Entsetzlich aufgesperrt, ihr grauser Abgrund sanck
Voll Rauch und Dampf hinab bis an das Thor der Höllen.
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Viel schwartze schroffe Stein und Felsen hingen hier
An den abschüßigen und aufgeborstnen Seiten,
Kaum fiel mein Blick hinab, so stieg mein Haar empor;
Die Zunge klebte mir vor Schrecken an den Gaumen,
Ein Schwindel fing mein Haupt mit Sausen an zu drehn.
Die gantze Gegend schien mit mir herum zu gehen,
Ich taumelte, und schnell verging Gefühl und Sinn,
Und eine schwartze Nacht zog über meine Augen.
Ich weiß nicht, wie mir ward und was mir da geschah.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Pyra, Jakob Immanuel. Der erste Gesang. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8AEF-5