Der andre Gesang

Noch wust ich nichts von mir, ich lag dahin; doch endlich
Erholte sich mein Geist. Ich fühlte wieder Kraft,
Ich blickte wider auf, ich sah; allein, o Wunder!
Der reinste Sonnen-Glantz erhellt mein Auge schnell.
Ein andres Paradies, ein himmlisches Gefilde
Wies mir sich unverhoft. Ich starrt und zweifelte,
Ob ich noch auf der Welt, ob ich im Himmel wäre:
So wie der erste Mensch, als seines Schöpfers Hauch
Den rohen Leib beseelt, auf einmal Sonn und Himmel
Und Berg und Thäler sah, da er noch nichts gesehn
Und sich erstaunt befrug, wer, wie und wo er wäre.
Die Dichterin, die sich nun wieder sehen ließ
Hob mich leutselig auf von dem begrünten Hügel,
Der meinen Körper trug. Sie sprach mir freundlich zu:
Verbanne alle Furcht, du bist in meinem Reiche.
Aus Liebe trug ich dich dort über Tief und Kluft,
Die meines Reiches Rand von jenen Gräntzen scheidet.
Hier siehst du das Revier, wo Gottes Garten war,
Das zwar der Vorwitz längst jedoch umsonst gesuchet.
Drauf wies mir ihre Hand das prächtig schöne Land
Und meiner Augen Strahl bestrich die gantze Gegend.
Gleich vor uns breitete ein anmuths volles Thal
Die grüne Fläche aus. In seiner Mitten schimmert
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Ein kleiner klarer Teich, auf dessen gleicher Fluth
Der Winde Fauch nicht streicht, noch grosse Wellen jaget.
Sein nasser Schoß zeigt uns er Sonnen Wallen-Bild
Man sieht auch in der Fluth den unbewölckten Himmel.
Die Blumen spiegeln sich um seinen feuchten Rand.
Ein schattenreicher Kreis von Bäumen schließt ihn ein
Und hengen über ihn die blüthenvollen Zweige,
Die auch zugleich die Last der goldnen Früchte drückt,
Die sich im Wasser schön; doch umgekehret zeigten.
Ein schöner Schwanenflug schwimt um das schwancke Rohr
Und spielet ungestört mit flatternden Gefieder.
Manchmal bespielen sie den weissen Federleib
In seinem reinen Naß, oft tauchen sie sich unter.
Manch Flüßgen rinnt hier aus und schlängelt rieselnd sich
Durch diese Wiese hin. Theils sind mit Rosenbüschen,
Narcissen, Lilien und Nelcken eingefaßt,
Wobey die Nachtigall sich Nester baut und schläget.
Es steiget hier und da manch prächtig Ehrenmal
Und manche Säul empor, von Palmen überschattet.
Hier, sprach sie, findest du der wahren Tugend Lohn.
Und edler Thaten Ruhm zum Beyspiel eingeätzet.
Die Nachwelt siehet hier, was Klugheit und Verstand
Lobwürdiges gethan an hundert Ehrenbogen.
Auch selbst die Tugenden besuchen dis Revier.
Wie oft ergötzen sie sich hier in schönen Tagen?
Selbst die Gerechtigkeit, wenn sie den Stuhl verläßt,
Legt in das feuchte Gras so Schwerdt als Wage nieder.
Die Tapferkeit lößt hier auch Helm und Küraß auf,
Sie hengt sie mit dem Schild an jener Palmen Aeste
Und beyde führen denn die Großmuth, Gütigkeit,
Die Keuschheit, Lieb und Treu am Reihn in einem Circel,
Drauf tantzt und singt das Chor um einen hohen Baum,
Die Füsse rühren stets die Erde wechselsweise;
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Oft setzet es sich auch an jenes Brunnen Rand,
Bey dem die Eiche steht, woran sie Kräntze hengen,
Und da sein schwätzig Naß durch glatte Kiesel schlurft,
So füllt es Thal und Wald mit lehrenvollen Liedern.
Zuweilen ruhen sie in kluger Einsamkeit,
Benebst den Künsten hier in ihren kühlen Grotten,
Die man mit Moß geziert in jenen Hügeln siehet,
Die als ein grüner Wall den krummen Thal beschützen.
Wenn nasse Perlen noch früh auf den Rosen stehn,
Ergehen sie sich bald in den bemahlten Matten,
Und bald beraubt die Hand den Thal der bunten Zier
Und windet einen Krantz zum Schmuck der weissen Schläfe:
Wie, wenn der Morgenstern das Feld mit Thau besprengt,
Der Bienen fleißigs Volck sein wächsern Lager lässet
Und durch die Blumen hin auf Hyblens Fluren fliegt,
Wo es mit Summen sich die süsse Beute sammlet.
Die Baukunst, Mahlerey, und die aus Holtz und Stein
Durch ihres Meissels Kunst so Thier als Menschen schaffet,
Bedienet hier mein Volck, und eine jede hat
Die Werkstatt und ihr Zeug in dem gewölbten Felsen.
Bald formt der einen Hand aus glatten Marmorstein
Durch den geschärften Stahl viel Säulen, Bogen, Bilder;
Die andre ordnet denn den königlichen Bau,
Woran der Pinsel noch die grösten Thaten schildert.
Und dis mein untres Reich, in dem der junge Lentz
Sich mit dem Herbst umarmt den Frücht und Weinlaub kräntzen,
Und als Gefehrte ihm beständig tantzend folgt,
Ist der beglückte Sitz der tugendhaften Dichter.
Die so die Laster nicht aus lasterhaftem Neid
Nein durch der Tugend Trieb mit ihrer Geissel strafen,
Die Tugenden davor aus der Verachtung Staub
Auf den verdienten Thron erheben und bekrönen;
Die, so die goldne Zeit und Unschuld wiederum
In Wald und Wiesen sich bemühen einzuführen,
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Die auf dem Haberrohr vom Feld und Ackerbau
Von der unschuldigen und keuschen Liebe spielen:
Die, so die Weisheit auch in meiner Sprache selbst
Die wild und rohe Welt zu unterrichten lehrten;
Die, die den Bau der Welt, des Tages lichte Zier,
Der Himmelskugeln Lauf und ihr Gesetz besungen,
Die das verdiente Lob der weisen Könige
Durch ihren hohen Flug bis zu den Sternen führten,
Und ihre Sayten nie durch Schmeicheley befleckt;
Die nur beherschet hier ein ewig froher Friede;
Doch kein gewisser Ort schließt ihre Freude ein,
Weil ihnen alles frey. Bald nimmt sie jenes Wäldgen
In seinen Schatten auf, bald sehn sie von der Höh
Des Berges durch das Feld und singen an den Flüssen.
Hier geht ein Paar vertraut, zwey andre streiten dort
Um den gesetzten Preis. Schau zwischen diesen Hügeln
Die schönen Thäler dort, die nach einander hin
Uns weit und breit gestreckt in dem Gesichte liegen:
Die erste hat ein Strich von Büschen eingefaßt,
Aus denen nach der Reih viel hohe Bäume steigen,
Worunter Heerden gehn und mancher Hirte pfeift.
Die nähsten hält ein Wald in seinem Schoß umschlossen.
Und jene hat ein Fluß, der wie das Silber gläntzt,
Recht mitten durch getheilt. Die scheinen immer kleiner,
Die weiter von uns seyn; bis du die hintersten,
So ein Gebürg umgrentzt, fast nicht kanst unterscheiden,
Sie bilden sich so klein in unsern Augen ab,
Wie eine Landschaft ist, die man mit blauer Farbe
Durch eines Künstlers Hand gantz klein getuschet sieht,
Und die, so nah sie ist, doch weit entfernet scheinet.
In diesen irren sie, wohin die Lust sie führt
In ungestöhrter Ruh. Und hinter jenen Bergen,
Da hat die Sonne auch, nah an des Meeres Rand,
Nebst ihrer Heroldin der Morgenröth ihr Lager.
Und diese sammlet sich alhier die Rosen ein,
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Womit sie sich bekräntzt, wenn sie mit Purpurflügeln
Sich vor der Sonnen schwingt, die durch das goldne Thor
Wie eine Fürstin zieht, der Welt den Tag zu schencken.
Dort aber lincker Hand, wo du das dunkle Thal
An jenem Felsen schaust, dort ist das Haus der Träume,
Die auch im Wachen oft die klugen Dichter sehn,
Und die sich, wie sie nur und wo sie wollen, zeigen.
Zwey Höhlen gehn daselbst von Steinen überwölbt
Tief in den holen Berg, doch an verschiednen Orten;
Die eine Grotte schließt ein Christallienen-Thor,
Das hell und rein pollirt dem besten Spiegel gleichet.
Es schimmert durch sein Glas die schönste Demmerung,
Und macht das frohe Haus der holden Träume kenntlich.
So bricht zur Morgenszeit das ungewisse Licht
Sonst in ein Schlafgemach durch die halb ofnen Fenster.
Die Grotte selbsten ist mit bunten Steinen, Mos
Und Muscheln ausgelegt und seltsam mit Figuren
Sehr wunderlich geziert; aus seinen Wänden springt
Ein sprudelnd heller Quell, der zu dem Schlafe ladet.
In dieser Höle spielt der schönen Träume Chor.
Ein Theil sind Jünglingen, theils Jungfern, theils den Kindern,
Doch alle, auch verstellt, der Wahrheit immer gleich.
Die Flügel ändern stets, so wie ihr Kleid die Farbe,
Bald flattern sie herum, bald tantzen sie verschrenckt.
Bald springen sie verwirrt mit Schertzen durch einander,
Und hüpfen hin und her, bald jagen sie sich rum;
Doch eh man sich versieht, so sind sie schnell verändert.
Zwey Täubchen schnäbeln sich, wo man den Augenblick
Zwey Kinder spielen sah. Ein Jüngling wird zum Rosse,
Das muhtig braust und springt; der andre gar ein Baum.
Die Jungfer wird zum Schwan; die zum gemahlten Pfauen.
Ein Theil verwandelt sich in Säule einer Burg,
Die schnell vor Augen steht. Der wird zu einem König;
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Der einem Todten gar; der einem fremden gleich,
Den man sonst nie gesehn, doch itzo gleich erkennet.
Vor ihre Schwellen hengt der Mohn sein Purpurhaupt,
Er düftet trägen Dunst nebst vielen andern Kräutern,
Und füllt damit den Hain, der dieses Thal beschwärtzt
Und dessen grüne Nacht, der Mittag nie verjaget.
Der grausen Träume Sitz ist eine finstre Kluft.
Ein schwartz und eisern Thor knarrt heulend in den Angeln
So oft es diesen Schwarm aus seinem Rachen speit;
Sonst aber steht sie stets mit Schlössern starck versperret.
Inwendig hausen sie und sehn so schrecklich aus,
Als wie die Drohung selbst. Ihr Arm schwinckt schwartze Fackeln.
Die Schlangen winden sich um ihren wilden Schlaf,
Die sie im Lauf und Streit auf ihren Rücken schmeissen.
Ein Theil kämpft gantz erhitzt, theils ringen voller Wuth
Und die verfolgen sich, die streiten mit den Fackeln,
Daß man um ihren Kopf die Funcken fliegen sieht;
Doch mitten in dem Kampf erscheinen Ungeheuer,
Ein fleckigt Tieger droht mit ofnen Rachen hier,
Dort ein ergrimter Löw, der seine Mahne schüttelt,
Und fält denn reissend an. Ein Drache schlingt und streckt
Den scheuslich blauen Schwantz und sprühet Gluth und Flammen.
An ihre Wohnung stößt ein schlackricht wüstes Feld.
Ein schädlich fauler Dunst fült die verstockte Luft,
In welchen sich die Last der Donner Wolcken wältzt,
Die sonst durch Gluth und Knall den bangen Schlaf zerstöhrn.
Den Schlüssel aber trägt als ihre Hüterinn
Die leichte Phantasie, die um die beyden Thore
Gantz ausgelassen schertzt und hin und wieder fliegt,
Und stets bald die bald die pflegt da heraus zu ruffen;
Doch die Vernunft sitzt dort auf der erhabnen Burg
Als ihr gestrenger Fürst, sie trägt den weisen Zepter
Und herschet über sie, ob sie gleich Unmuths voll
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In der verschloßnen Kluft um ihre Riegel hausen;
Geschehe dieses nicht, so würde sie verwirrt
Der Menschen Seelen stets betriegen und erschrecken,
Wie in dem Reiche dort, wo meine Feindin herscht,
Da sie unordentlich wie bey Beseßnen schwärmen.
Deswegen sind sie hier in Hölen eingespert,
Und sie ist Königin, damit sie ihre Zügel
Nach den Gesetzen stets bald diesen schiessen läst,
Bald die zurücke zieht und wieder unterdrücket.
In jenen Feldern dort ist alles das geschehn,
Was kluge Dichter euch in Liedern hinterlassen.
Ach! alles trotzte da und grif ergrimt zum Schwerdt,
Als Ajamemnons Stoltz die schöne Sclavin raubte.
Die Zwietracht wütete und dieses Helden Zorn
Ließ manchen tapfern Geist zur schwartzen Höllen fahren.
Er sah und weidete sein rachbegierig Hertz;
Da Hund und Geier sich mit ihren Därmen schlepten.
Hier hat Penelope durch ihre keusche List
Der Freyer Ungestüm zehn Jahre aufgehalten;
Hier hat die Dido sich nach des Aeneens Flucht
In Schwerdt und Gluth gestürtzt, ihr Laster zu bestrafen.
Anchisens Sohn, der viel zu Land und auf der See
Und in den Streit erlitt, hat hier die Stadt gegründet;
Hier stieß er seinen Stahl erhitzt in Thurnus Brust,
Und dessen Seele floh mit Achtzen zu den Schatten:
Der freche Ajax fiel aus rasend stoltzem Scham
Selbst in sein eigen Schwerdt, und mit ihm Trotz und Hochmuth
In Blut besprützten Sand; des Ajamemnons Sohn
Hat durch den Mutter-Mord des Vaters Mord gerochen,
Orest hat hier getobt; als ihn der Mutter Geist
Zur Strafe für ihr Blut verfolget und gequälet.
Wie rasend floh er hier die Töchter jener Nacht,
Die mit den Schlangen sich zu seiner Qual bewafnet;
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Hier forschte Oedippus selbst sein Verbrechen aus,
Und ächtzte, da er sich die Augen ausgerissen,
Woran man noch das Blut geronnen kleben sah,
Als ihn die Rache spät, doch desto härter stürtzte.
Der klugen Dichtergeist ruft dort durch seltne Macht
Ein längst verwestes Volck aus den vermorschten Urnen,
Und stellet sie aufs neu der bösen Welt belebt
Zum Abscheu, oder auch zum Beyspiel vor die Augen;
Wiewohl sie setzen sie in einen andern Stand;
Allein sie lassen sie nicht anders thun und reden,
Als was sie selber wohl in solchem Stand gethan,
Und wie es die Natur und Kunst und Tugend heisset.
Und jetzo hat mein Arm die schnöde Götzenbrut
Aus meinen Gegenden getrieben und verbannet.
Durch diesen Abgang wird mein Reich nicht arm noch leer;
Die Dichter sollen es mit Tugendbildern füllen.
Ich faßte jedes Wort mit muntern Ohren auf,
Und als ihr Mund sich schloß, so fing ich an zu fragen:
Wo, grosse Dichterin! ist denn dein Heiligthum?
O! führe mich doch hin zu den geweihten Quellen.
Sie drehete hierauf den hohen Blick auf mich,
Der, was er trift, erhellt und allen Dunst durchdringet,
Und wandte ernsthaft ein: ich will zwar deinen Fuß,
So wie ich dir verhieß, in meinen Tempel leiten;
Allein wen Sünd und Tod mit Höllenbanden drückt,
Der darf mit frechem Schritt nicht meine Höh entweihen;
Doch wilst du künftig stets die Bahn der Bösen fliehn;
So will ich dir den Weg zu meinem Sitz eröfnen.
Und den trägt jener Berg, der über Wolck und Luft
Sein palmenreiches Haupt biß zu den Sternen strecket.
Kein Blick erreichet ihn, kein Vogel schwingt sich hin.
Er hört sehr fern und tief die Donner dumpfig schüttern.
Sein breiter Rücken liegt voll Felsen, die sehr steil
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Und gantz unwegbar sind, doch tritt in meine Spuren,
So wird der rauhe Weg leicht zu besiegen seyn.
Drauf ging sie vor mir hin, wir sahen unterwegens
Der grösten Männersitz. Zur Rechten strecket erst
Ein Schloß nach Süd und Nord zwey wohlgebaute Flügel.
Hier, sprach sie, wohnt Homer und dorten dein Virgil,
Da siehst du, wie Horatz die edle Leyer stimmt,
Und wie Theocritus in grüner Hirten Tracht
Vor jener Hütten sitzt, die Zweig und Blumen schmücken.
Sie haben zwar ihr Lied durch Götzentand entweiht;
Doch diesen Fehler deckt die grosse Tugend-Liebe,
So sich sonst überall in ihren Liedern zeigt,
Die manches Christenlied an Reinigkeit beschämen.
Und dort in jenem Bau, der einem Schauplatz gleicht,
Thront der Euripides, und Sophocles zur Seiten.
Es ist bedaurenswerth, daß diese Dichter noch
Auch in der blinden Nacht des Aberglaubens irrten.
Wie lehrreich ist nicht schon ihr edles Trauerspiel
In dem die Wollust nicht, wie bey dem neuern herschet.
Den edlen Tyberschwan schließt diese Laube ein,
Die hier ein Lorberbaum mit Schatten überwölbet.
Du trifst in diesem Wald auch andre Dichter an.
Allein die so zwar wohl noch nach den Regeln singen;
Doch zu den Lastern nur mit Liedern opfern gehn,
Trennt jener tiefe Fluß von diesem selgen Reiche.
Da sind sie allezeit der Leidenschaft Raub.
Dort singt Ovidius, Catullus und Tibullus,
Nebst dem Propertius manch geiles Bulerlied.
Die Sappho sitzt und klagt auf ihrem weisen Felsen.
Viel andre jauchzeten mit trunckenem Geschrey,
Sie taumeln hin und her: so schwermten die Bacchanten
Auf des Cytherons Höh, wenn man sie bey der Nacht
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Lyäens nasses Fest mit Brüllen feyern hörte.
Es rauscht in einem Thal ein kleiner Palmenwald,
Wodurch ein Flüßgen lief. Hier sah ich dich, mein Lange,
Wie du an einem Stamm in grünem Schatten ruhst,
Und nun dein tönend Spiel mit neuen Sayten rüstest.
Sogleich beflügelte die Freundschaft meinen Fuß.
Ich riß mich zu ihm hin, nachdem wir uns umfangen,
Und ich mich schon mit ihm zum Singen zugeschickt,
Sah ich ein heilig Kleid ihm seine Schultern decken.
Ich fragte gleich, woher die fromme Zierde sey;
Als meine Führerin sich zu ihm naht, und sagte:
Da dich des Höchsten Arm zu seinen Altar führt;
So will ich dich nun auch zu meinen Priester weihn.
Sie nahm ihn bey der Hand, und ich begleite sie;
Doch fast erschreckte mich des Berges grause Höhe,
Den ich nur halb gesehn. Um seine Schultern war
Ein himmelblau Gewölck mit Gold durchwürckt gegossen.
Es hatte unser Schritt den Berg nunmehr erreicht.
Ein schwartzer fauler Fluß schleicht langsam an den Wurtzeln
Mit trägen Beugungen stillschweigend ruhig fort
Und wältzet Purpur, Kron und Zepter an dem Grunde.
Seht! sprach sie, dieser Strom heißt die Vergessenheit.
Der muß, was eitel ist, in seine Fluth versencken,
Wer auf die Höh verlangt. Wir warffen alles hin.
Alsbald erblickten wir gleich vor uns eine Brücke,
Dieselbe führte uns auf einen schmalen Steg,
Und der durch einen Wald von traurigen Cypressen.
Den Fortgang machten uns viel scharffe Steine schwer,
Worüber Dornen sich dicht durch einander flochten.
Es kostet, sagte sie, viel Schweiß; doch unverzagt:
Die Müh belohnt sich selbst. Wir kletterten mit Seufzen
Und grosser Arbeit fort, und hörten überall
Nur ächtzen, winseln, flehn, und Buß und Klagelieder.
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Das Ende war nun da, der saure Gang vollbracht;
Sie aber zeigte uns noch einen Brun zum Waschen.
Nach diesen gingen wir auf einen Blumensteg
Durch das Gewölcke hin, das uns umher bedeckte.
Wir wurden überall von Feuchtigkeiten naß,
Die Tropfen blieben uns an Haar und Kleidern hengen.
Ich glaubte, daß ich gar des Himmels Lieder hörte,
Und seht! Ihr Tempel lag in vollem Glantze da,
So wie die Sonne sich früh auf den Bergen zeiget,
Rund um den gantzen Berg zog sich auf beyden Seiten
Zuerst ein Tannenhain, darauf ein Lorberbusch,
Und denn ein holder Wald von zackicht breiten Palmen,
Sie stiegen nach und nach und stufenweis hinan.
Des Berges Haupt umzirckt ein Krantz von hohen Cedern,
Es ist an Quellen reich. Hier rauscht ein Fluß von Most
Und springt von Stein auf Stein: dort irret um die Stämme
Ein süsser Honigquell. Hier schäumt ein Bach von Milch,
Und jeder Zweig ertönt von singendem Gefieder.
Der laue West spielt hier mit frischen Blumen stets,
Kein Sturm bringt Wolcken her, und schwärtzt die hellen Lüfte,
Der Himmel lachet stets mit immer heiterm Schein,
Hier küst sich Fried und Lust. Die Bürger jenes Reiches
Der selgen Ewigkeit, wo ihr geschwinder Fuß
Die Sterngewölber tritt, besuchen diese Spitze.
Sie lassen um den Quell die Feuerrosse oft
Mit ihren Wagen stehn; wenn sie hier auf der Erden
Entweder den Befehl des Höchsten ausgericht,
Und, oder aus der Höh von ihren Schlössern kommen.
Sie lehnen ihren Spieß und Schild an einen Baum,
Und pflegen ihren Schlaf mit Blumen zu bekrönen,
Ein Chor singt wechselsweis, und sitzt um einen Bach,
Theils schweben in der Luft im Cirkel an den Federn,
Theils aber mischen sich mit ihren Harfen oft
Auch in der Dichter Chor. Fahrt fort ihr Himmelssöhne!
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An deren Liedern Gott selbst ein Gefallen trägt,
Wenn ihr um seinen Thron mit Lobgesängen dienet;
Vergönnet, daß ich mich an eurer Harmonie
Entzückt ergötzen mag; da ich, vom Steigen müde,
An einem kühlen Quell auf feuchten Blumen ruh,
Und durch sein labend Naß mich wiederum erfrische.

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TextGrid Repository (2012). Pyra, Jakob Immanuel. Gedichte. Thirsis und Damons freundschaftliche Lieder. Neuer Anhang einiger Gedichte. Der Tempel der wahren Dichtkunst. Der andre Gesang. Der andre Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8AF7-2