Brief für die, welche sich an den Hof wagen wollen

[123] Mein Herr,


Geben Sie noch nicht alle Hoffnung auf. Nun bin ich endlich auf dem Wege, mein Glück zu machen und ein Mann von Wichtigkeit zu werden. Seit acht Tagen habe ich Ihren Rat befolgt; und was Sie mir geraten haben, ist die Stimme der Natur gewesen, denn ich finde mich ungemein leicht darein.

Am Montag habe ich mit dem Kammerdiener Brüderschaft getrunken. Die ganze Antichambre ist schon auf meiner Seite; und der kleine Läufer, welcher die Gnade hat, Seiner Excellenz Narr zu sein, fängt an, eifersüchtig auf meine witzigen Einfälle zu werden, und glaubt, Seine Excellenz würden sich halbtot lachen, wenn sie meine Schwänke hören sollten. Arbeit genug für einen Tag, aber auch Ruhm genug.

Dienstags legte ich den Grundstein zu meinem Glück. Kennen Sie das Mädchen, welches anfängt, dem gnädigen Herrn gleichgültig zu werden? Ich brauchte nicht mehr als zwei Stunden, sie auf meine Schmeicheleien aufmerksam zu machen. Sie hat über das Herz ihres Herrn immer noch Gewalt genug, um mein Glück zu unterstützen. Und Seine Excellenz sind so erkenntlich, daß Sie wünschen, das Glück dieses Mädchens auf eine dauerhafte Art zu befestigen.

Am Mittwoch habe ich ein Amt angetreten, welches zwar in der Welt kein Aufsehen macht, aber auf meiner Stube wichtig genug ist. Diesen und denfolgenden Tag brachte ich damit zu, verschiedene Klienten zu versichern, daß ich mir ein ungemeines Vergnügen daraus machen würde, ihnen bei aller Gelegenheit zu dienen. Ich weiß nicht mehr, wer sie waren.

Am Freitag hat mich mein Schneider ausgebildet, und ich hätte wahrhaftig in mir das nicht gesucht, was ich nunmehr wirklich in mir finde.

Gestern (Samstag) habe ich einige von meinen alten Gläubigern abgewiesen und 1500 Thaler aufs neue geborgt. Ich borgte sie mit einer sehr guten Art, und ich glaube, der Kaufmann soll mich verstehen. So klug ist er wenigstens, daß er sie von mir nicht wieder fordern wird. 1500 Thaler ist eine Kleinigkeit, aber bedenken Sie, mein Herr, daß ich nicht länger als seit 6 Tagen bei Hofe bin.

Heute früh bin ich in der Kirche gewesen. Meine Weste that ihre Wirkung. Der Prediger gefiel mir nicht so wie vor 8 Tagen, da ich noch kein Hofmann war. Wenn ich nicht irre, so predigt der Mann zu pedantisch. Für den Pöbel mag er [124] ganz erbaulich sein. Seine christlichen Tugenden treten so bürgerlich einher. Bewundern Sie immer diesen Einfall, er hat mir heute viel Ehre in der Kapelle gemacht. Morgen ist der zweite Feiertag, um deswillen werde ich zur Ader lassen.

Leben Sie wohl! Es ist meinem neuen Stande gemäß, daß ich meine alten Freunde nach und nach vergesse. Gewiß vergesse ich Sie zuletzt; ich null aber doch thun, was mir möglich ist. Versuchen Sie es über 8 Tage. Begegnen Sie mir. Ich werde Sie ansehen, ein paar große Augen machen. »Ich sollte Sie kennen, mein Herr!« werde ich sprechen. Sie werden mir Ihren Namen sagen. Ich werde, als vom Traum erwachend, zurückspringen, Sie umarmen und ohne Ihre Antwort zu erwarten, mich aus Ihren Armen losreißen, weil mich höchstdringende Geschäfte nötigen, nach Hause zu eilen; mein Bedienter wird Ihnen meine Wohnung sagen. Grüßen Sie meine Freunde, aber ich bitte Sie, ja incognito. Ich halte sie hoch, aber die Zeiten ändern sich. Der Hof giebt auf alle meine Bewegungen acht. Wie gesagt, grüßen Sie die ehelichen Leute. Wenn ich's recht überlege, habe ich eben nicht Ursache, mich ihrer zu schämen. Leben Sie wohl. Ich habe die Ehre zu sein,


Mein Herr,

Deren dienstwilliger Freund

– –


N.S.


Vornehme Leute pflegen des Wohlstands wegen gemeiniglich an einem oder mehreren Artikeln der Religion zu zweifeln. Geben Sie mir einen guten Rat, an welchem ich zweifle. Ich dächte, weil ich erst anfange, mich in der Welt zu zeigen, ich zweifelte zur Zeit noch an der Hölle. Kommt Zeit, kommt Rat! Was meinen Sie?

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Rabener, Gottlieb Wilhelm. Satire. Sammlung satirischer Schriften. 2. Satirische Briefe. Brief für die, welche sich an den Hof wagen wollen. Brief für die, welche sich an den Hof wagen wollen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8B69-7