Bittschrift eines Pedanten in Form der Chrie

(Aphthonianische Chrie.)


Hochedelgeborne Frau,

Hochzuehrende Frau Bürgermeisterin!


Sokrates, die Zierde Griechenlands, der Phönix seiner Zeit, der Weise, welcher unter den andern Weisen hervorleuchtete, gleichsam als der Mond unter den kleinen Feuern – Sokrates, sage ich, den, Hochedelgeborne Frau, Xantippe selbst nicht von seiner philosophischen Höhe herunter zanken konnte: dieser hat sehr wohl und gelehrt einen Ausspruch gethan, der zu deutsch also lautet:


Drum glaubet mir zu dieser Frist,

Daß die Natur, so schön sie ist,

Dennoch den Unterricht vermißt.


Er wollte damit gleichsam andeuten, daß die vortrefflichsten Gemüter der Jugend die meiste Zucht nötig hätten, oder wie es nach dem eigentlichen Verstande unsers Grundtextes lauten möchte, daß sie mehr als andre der vernünftigen Anweisung eines gelehrten Schulmannes bedürfen.

Denn wie notwendig ist es nicht, Hochzuehrende Frau Bürgermeisterin, daß man der Natur zu Hilfe komme, welche nur den rohen Stoff zu großen Geistern schafft und das Übrige der sorgfältigen Ausbildung der Schulleute überläßt!

[113] Unrecht, ja dreimal und viermal unrecht thun diejenigen, welche diese Vorsorge verabsäumen, und da sie der Himmel in ein Amt quasi in speculam gesetzt hat, darauf zu sehen, daß das Beste einer Stadt und des gemeinen Wesens überhaupt befordert werde – dennoch die Sorge für die Schulen verabsäumen und die Sache nicht für so wichtig halten, allen Stein zu bewegen, damit sie fleißige und geschickte Lehrer dahin setzen und diesen die Unterweisung der Jugend anvertrauen möchten, die diese Unterweisung desto nötiger hat, je hoffnungsvoller sie ist.

Pferde von der besten Art müssen am meisten durchgearbeitet werden. Sie machen es bei dem edlen Jener ihren Herren oft am schwersten; aber desto nötiger ist es, sie sorgfältig zuzureiten. Ein träges, unedles Pferd braucht diese Bemühung nicht, aber es ist auch nur für den Pflug geboren.

Wer war größer als Dionysius der Zweite, da er noch Tyrann und der Schrecken von Sicilien war? Das widrige Glück konnte ihm den Thron nehmen, aber niemals die Begierde, der Welt zu nutzen. So groß er gewesen war, so wenig schämte er sich doch, die griechische Jugend zu lehren; und mit der Hand, womit er ganze Länder zerstört hatte, mit eben der Hand suchte er die Kinder der Korinthier zur Weisheit zu führen.

Wie unglücklich diejenigen sind, so die Zucht ihrer Kinder verabsäumen, das beweisen die traurigen Folgen, welche zuerst ihre eigenen Familien empfinden, und welche nach diesem das ganze gemeine Wesen treffen. Diese unglücklichen Eltern mochten sich wohl lassen vom Homer zurufen: »War' ich doch ledig geblieben und ohne Kinder gestorben!«

Sie sehen hieraus deutlich, Hochedelgeborne Frau, wie nötig es ist, daß E.E. Wohlw. Rat dieser Stadt das erledigte Schulrektorat ungesäumt besetze, und mit einem Mann besetze, dessen Standhaftigkeit, dessen Fleiß, dessen Treue, dessen Ansehen, dessen Gelehrsamkeit, dessen weise Einsichten und die großen Wahrheiten, die uns Sokrates und Homer hinterlassen haben, dessen – – jedoch, ich sage nichts weiter, Sie werden mich verstehen. Ich habe mich mit meinem Ansuchen an Sie gewendet, da ich weiß, daß Ihr teurer Ehegemahl in diesem Jahre unter Ihren Auspicien an der Regierung ist. Erlange ich das Vergnügen, daß Sie mit Ihren vielgeltenden und erleuchteten Füßen in meine Meinung herabsteigen, so bin ich glücklich, und ich weiß gewiß, daß sodann der ganze Ehrenfeste Rat hinterdrein steigt.

[114] Ich verharre in dieser großen Hoffnung ad extremum usque vitae halitum,


Hochedelgeborne Frau,

Hochzuehrende Frau Bürgermeisterin,

Ew. Hochedelgeb.

gehorsamst ergebenster, ehrendienstwilligster – –

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Rabener, Gottlieb Wilhelm. Satire. Sammlung satirischer Schriften. 2. Satirische Briefe. Bittschrift eines Pedanten in Form der Chrie. Bittschrift eines Pedanten in Form der Chrie. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8BA6-0