Ernst Raupach
Kritik und Antikritik
Lustspiel in vier Akten

Personen

[121] Personen.

    • Die Baronin von Fliedershausen, Wittwe.

    • Herr von Schönburg, deren Oheim.

    • Baron von Riedberg.

    • Herr von Horst, sein Stiefbruder.

    • Herr von Feldkirch, ein Landedelmann.

    • Stadtdirector Wittwe.

    • Till, Buchhändler und Commissionsrath.

    • Löwenklau,
    • Ritter, , reisende Studenten.

    • Sophie, der Baronin Kammermädchen.

    • Luchs, Waldhüter.

    • Ein Polizeidiener.

    • Zwei Bediente der Baronin.

    • Ein Bediente des Herrn von Schönburg.

    • [121][123]

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Ein Buchladen; kann auch ein Zimmer sein.
Till und der Baron.

TILL
ein Pack Bücher zusammenschnürend.

Wohin befehlen Sie Ihnen die Bücher zu schicken, Herr – – – Ich weiß nicht, mit wem ich die Ehre habe – –

BARON.
Baron Riedberg. Ich wohne im Schwan; doch die Bücher werde ich holen lassen.
TILL.
Wie Sie befehlen, Herr Baron.
BARON.
Sie bekommen – –?
TILL.
Eine Kleinigkeit: 23 Thaler 4 Groschen.
[123]
BARON
Geld hinwerfend.
Gerade Rechnung: 4 Friedrichsd'ors.
TILL.
Unterthänigen Dank.
BARON.
Schweres Gold für leichte Waare.
TILL.
Wollen Sie Exemplare auf Velin? Die fallen mehr in's Gewicht.
BARON.

Sind aber auch theurer. Es ist eine schlechte Gewöhnung unserer Zeit, daß wir neben der leiblichen Speise auch geistige bedürfen, und dadurch unsere Nahrungssorgen verdoppeln.

TILL.

Verdoppeln wohl nicht. In geistiger Hinsicht ist doch keine Hungersnoth zu fürchten; denn im schlimmsten Falle kann man sich den geistigen Hunger abgewöhnen durch Gewöhnung an den gedankenlosen Müßiggang einer stillen Seele.

BARON.

Gut bemerkt. Sie sind ein Mann von Geist. Es thut mir leid um Sie: denn es wird nächstens eine Tracht Prügel auf Sie regnen, wie noch keine auf eines Menschen Leichnam gefallen ist.

[124]
TILL.

Herr Baron, Sie verstehen die Kunst nicht, die Sie treiben. Ein Prophet muß dem Einzelnen Glück und dem Ganzen Unglück weissagen, wenn er Glauben finden will.

BARON.

Glauben Sie, was Sie wollen. Es thut mir leid, aber ich habe ein Gelübde gethan, einen zweiten Lazarus aus Ihnen zu machen.

TILL.

Sie scherzen. Ein Mann, der so schönes Geld besitzt, besitzt auch hohe Bildung und echte Humanität, und wird also eine humanere Weise finden, sich seinem Nebenmenschen verständlich zu machen. Wie käme ich auch ohne vorläufige Bekanntschaft zu der Ehre?

BARON.
Haben Sie mein Trauerspiel »Atreus und Thyestes in der Südsee« gelesen?
TILL.

Habe ich also die Ehre den geistreichen Verfasser des trefflichen Werkes vor mir zu sehen? Könnte ich nicht so glücklich sein irgend einen Beitrag aus Ihrer geschätzten Feder zu meinem Conversationsblatte – –

[125]
BARON.
Haben Sie das Trauerspiel gelesen?
TILL.
Gelesen eben nicht – – –
BARON.

Ich kann wohl sagen, das Uebermenschliche das Unglaubliche ist darin geleistet. Das Stück spielt auf Neuseeland, nichts als Menschenfresser treten auf; aber Menschenfresser aus Grundsätzen, aus löblicher Anhänglichkeit an die Sitten ihrer Väter. Und doch ist alles sehr zart gehalten und obendrein in einem Akte.

TILL.
Das ist nun freilich das Unglaubliche.
BARON.

Und dieses Kunstwerk hat eine ruchlose Kritik schändlich verläumdet und gelästert, und diese schamlose Recension haben Sie schamlos in Ihr Conversationsblatt aufgenommen. Darum bin ich entschlossen ein furchtbares Beispiel poetischer Gerechtigkeit aufzustellen, das alle Kritiker, Redactoren, Verleger, Setzer und Drucker von nun an bis in alle Ewigkeit schrecken soll. Deshalb bin ich hier mit handfester Begleitung. Aber sein Sie ruhig. Todt geschlagen werden Sie nicht; nur so viel Streiche [126] sollen Sie empfangen, als nur irgend die Justiz für Geld erlaubt.

TILL.

Wäre es nicht besser, Herr Baron, Sie gäben mir das Geld? Ich übernähme es dann wie Sancho, mich selbst zu züchtigen.

BARON.

Bravo, Herr Commissions-Rath! Ich sehe, man hat Sie mir richtig geschildert. Sie sind ein Mann der Scherz versteht. Ich bin der Mann, der eine Gefälligkeit zu schätzen weiß. Sagen sie mir also, ob es wahr ist, was ich gehört habe die Baronin von Fliedershausen sei die Verfasserin der Recension?

TILL.
Sie ist mir anonym zugesandt worden.
BARON.
Keine Ausflüchte! Die Wahrheit soll Ihnen keinen Schaden bringen.
TILL.

Nun ihres Abschreibers Hand war es freilich. – Die Urschrift ist von ihrer eignen Hand gewesen das gesteht der Abschreiber – A.A. die Anfangsbuchstaben ihres Schriftstellernamens Aurora Abendroth, stehen unter der Recension. Ob das nun hinreicht, sie als Verfasserin derselben anzunehmen – –

[127]
BARON.
Vollkommen. Wie aber können Sie Kritiken von einer Frau in Ihre Zeitschrift aufnehmen?
TILL.
Wie sollte ich nicht, Herr Baron? Sie liefert mir die Recensionen unentgeltlich.
BARON.
Pfuy! wie eigennützig!
TILL.

Sie sind vermuthlich sehr lange außer Landes gewesen, sonst würde Ihnen ohne Zweifel bekannt sein, daß man eine kritische Zeitschrift nur herausgiebt, um allen kritischen Lagen, d.h. aller Geldnoth, auf immer vorzubeugen, ja wo möglich ein Rittergut damit zu verdienen.

BARON.
Abscheulich.
TILL.

Ja, Herr Baron, Sie haben gut reden: Sie sind wahrscheinlich im Besitz eines oder mehrerer Rittergüter, und wissen also nicht, wie einem ohne Rittergut zu Muthe ist. O, es ist kein Leben und keine Seligkeit ohne Rittergut! Soll man nun nicht vor allem Andern darnach trachten?

BARON.

Mag sein. Und freilich, seit der wahre Handel [128] danieder liegt, hat man seine Zuflucht zum Papierhandel genommen. Ich pränumerire deshalb auch auf zehn Exemplare Ihres Conversationsblattes, brauche aber natürlich keins. Alles, was ich künftig, versteht sich auf meine Kosten, drucken lasse, gebe ich Ihnen in Kommission und verlange nichts vom Ertrage.

TILL.
O Sie großmüthigster Gönner – – –
BARON.
Und doch sollen das nur die kleinsten Beweise meiner Erkenntlichkeit sein, wenn Sie mir beistehen.
TILL.
Einem so wahren Beschützer der Kunst und Wissenschaft stehe ich gern zu Diensten wenn nur – –
BARON.

Hören Sie. Daß ich mich über solch eine Recension nicht besonders gräme, können Sie leicht denken: was hülfe es auch, da man sich an einer Dame doch nicht rächen kann! Aber ängstigen möchte ich die Baronin ein wenig für ihre scharfe Kritik, so, was man nennt, ihr die Hölle heiß machen. Wollen Sie mir behülflich sein?

TILL.

Wer könnte Ihnen etwas versagen? Ihren goldenen Worten widerstehen? Aber nur unter der [129] Bedingung, daß meine hohe Gönnerin nie etwas von meinem Antheile an der Sache erfahre.

BARON.

Zugestanden. Sie sollen im Gegentheil sich noch ein Verdienst in den Augen der Baronin erwerben; auch kann ja das Ganze nur auf einen Scherz hinauslaufen. Ich bitte nochmals um Ihren Beistand, ohne den ich nichts vermag. Ich kenne die Baronin durchaus nicht; Sie aber sind, wie ich höre, ihr Factotum.

TILL.

Nicht ihr Factotum, Herr Baron nein das nicht. Factotum will viel sagen, will zuviel sagen. Also nicht ihr Factotum, höchstens ihr literarischer Vertrauter. Aber wie meinten Sie denn – – –

BARON.
Das wollen wir jetzt überlegen.
TILL.

Hier mögten wir gestört werden, Herr Baron. Wäre es Ihnen nicht gefällig in dieß Kabinet zu treten? Ein kleines Frühstück, ein Glas Rheinwein, dabei überlegt es sich am behaglichsten.

BARON.
Gut. So thaten unsere Vorfahren, und es war ihrer Sitten schlechteste nicht.
[130]
TILL.
Haben Sie nur die Güte – ich bin sogleich bei Ihnen.

Der Baron geht in das Zimmer.
TILL
sich noch mit Büchern beschauend.

Er pränumerirt und überläßt mir den Ertrag seiner Schriften; sie liefert mir die Recensionen unentgeltlich: das ist eine herrliche Zwickmühle, die mich um einige Jahre dem Rittergute näher bringt. – Ob ich Recht thue? unbezweifelt. Ein guter Bürger muß stets das Wohl des Staates vor Augen haben; der Staat ist aber desto kräftiger und glücklicher, je wohlhabender seine Bürger sind: also ist es die Pflicht eines guten Bürgers, sich zu bereichern. Stehlen und Betrügen ist schändlich und dringt Gefahr: also macht man sich Anderer Torheit zu Nutze. Tertium non datur; und damit gut.


Er folgt dem Baron.

Verwandlung.

2. Auftritt
[131] Zweiter Auftritt.
Ein Zimmer im Hause des Herrn von Schönburg.
Schönburg kommt aus dem Nebenzimmer; ein Bediente folgt.

SCHÖNBURG.

Also da? Wackerer Bursche! Er öffnet die Mittelthüre und spricht hinaus. Herein, du treffliche, zuverlässige Jugend!

3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Vorige, Horst tritt ein.

HORST.
Sie verzeihen – – –
SCHÖNBURG.
Weg damit, junger Herr! Ihn umarmend. Herzlich willkommen!
HORST.
Mein Bruder Riedberg hat mich hierher beschieden und an Sie gewiesen.
SCHÖNBURG.
Auf mein Gebot. Zu dem Bedienten. Friedrich soll das Frühstück im Saale besorgen.

Bediente ab.
[132]
HORST.
Ist mein Bruder noch nicht angekommen?
SCHÖNBURG.

Der hätte mir ausbleiben sollen! Er ist richtig gestern Abend hier eingetroffen. Hat er Sie von unserm Vorhaben unterrichtet?

HORST.
Mit keinem Worte. Sein Brief war eben so kurz als dringend.
SCHÖNBURG.
Ja, es fiel uns erst spät ein, daß wir noch einen Mithelfer an unserm Werke brauchen könnten.
HORST.
Das klingt ja, als gäbe es eine Verschwörung.
SCHÖNBURG.
Eine Verschwörung. Kennen Sie meine Nichte die Baronin von Fliedershausen?
HORST.
Ich habe nicht die Ehre. Aber aus den Briefen meines Bruders weiß ich – – –
SCHÖNBURG.
Daß er in sie verliebt ist. Nun, da wissen Sie wenigstens eine Wahrheit.
HORST.
Aber keine erfreuliche.
[133]
SCHÖNBURG.
Die Wahrheit macht selten Toilette.
HORST.
Mein Bruder ist nicht glücklich in seiner Liebe.
SCHÖNBURG.

Wie man es nimmt. Meine Nichte ist Wittwe, 24 Jahr alt, reich an Geld und Gut, und, trotz ihrer Narrheit, auch an Geist. Dabei ist sie ein Ausbund von Schönheit, wie die Leute sagen und ich selbst glauben würde, wenn ich dreißig Jahre jünger wäre.

HORST.
Mein Bruder würde es beschwören. Aber desto schlimmer für ihn.
SCHÖNBURG.

Wer weiß. Der erste Mann meiner Nichte, der selige Präsident, war ein alter, ehrwürdiger, grundgelehrter Herr; hatte aber, wie es uns alten Burschen zu gehen pflegt, ein schwaches Gedächtniß und vergaß über dem Lesen und Schreiben gewöhnlich seine Frau. Sie, in ihrer jugendlichen Unerfahrenheit, bildete sich nun ein, das Vergessen gehöre zum Ehestande, und suchte ebenfalls den Mann über dem Lesen zu vergessen. So las sie denn und las, bis ihr die Lust ankam, selbst zu schreiben.

[134]
HORST.
Ich weiß: die Romane und Erzählungen von Aurora Abendroth sind schon ziemlich zahlreich.
SCHÖNBURG.

Ein Bienenschwarm ohne Stachel und Honig. Meine Nichte ist selbst zehnmal klüger und liebenswürdiger, als die Heldinnen ihrer Romane.

HORST.
Desto schlimmer für meinen Bruder.
SCHÖNBURG.

Vielleicht auch desto besser. Bei dem alten Präsidenten, und in einer lesenden und schreibenden Ehe konnte meine Nichte natürlich keinen hohen Begriff von dem Glück dieses Standes bekommen – das begreifen Sie.

HORST.
Ich bin nie verheirathet gewesen.
SCHÖNBURG.

O Schalk! ich auch nicht; aber man versetzt sich doch in solche Lagen, um Menschenkenntnis zu erwerben.

HORST.
Die Menschenkenntnis soll bisweilen hoch im Preise stehen?
SCHÖNBURG.

Mag sein! mag sein! Sie wissen, daß Ihr [135] Bruder meine Nichte vorigen Winter bei uns in der Residenz kennen lernte, sich gebührlich in sie verliebte, –

HORST.
Und von der Frau Baronin einen Korb bekam.
SCHÖNBURG.

Keinesweges. Sie zeichnete Ihren Bruder ungewöhnlich aus, und ich bin überzeugt, sie war auf dem besten Wege, ihn zu lieben. Riedberg war vielleicht zu ungeduldig; wir rückten zu schnell mit dem Heirathsplane heraus; da hatte sie ihr Leben der Kunst geweiht, da forderte die Kunst ein ungeteiltes Leben, da war Freiheit die unerläßliche Bedingung alles künstlerischen Strebens, und der Himmel weiß, was noch mehr für Albernheiten. Vielleicht hätten wir dennoch gesiegt, wäre nicht grade damals ihr neuester Roman in einer löschpapiernen Zeitung unverschämt gelobt worden. Das schlug uns gänzlich aus dem Felde und sie wich nun jeder entscheidenden Erklärung aus.

HORST.
Meines Bruders Briefe waren damals voller Verzweigung, wahrhaft Young'sche Nachtgedanken.
SCHÖNBURG.

Es war mir auch wahrhaftig nicht gleichgültig: [136] denn es ist Schade um ein so liebes Weib; und dann habe ich auch nur diese einzige Nichte; hat sie keine Kinder, so kommt einmal mein Vermögen mit dem ihrigen an Menschen, die wenigstens meinem Herzen fremd sind. Ich habe ihr deßhalb unablässig zugesetzt, so daß je eine völlige Spannung zwischen uns obwaltet. Aber meinen Vorsatz habe ich doch nicht aufgegeben, und jetzt sollen Sie uns bei der Ausführung eines köstlichen Planes helfen.

HORST.
Und der besteht?
SCHÖNBURG.
Ihr Bruder hat ein Trauerspiel geschrieben.
HORST.
O weh! das wird ein betrübtes Trauerspiel sein!
SCHÖNBURG.
Heißt: »Atreus und Thyestes in der Südsee.«
HORST.
Wie? diese Fratze ist von meinem Bruder? Pfui.
SCHÖNBURG.
Pfui? – Es galt ein reiches, schönes und geliebtes Weib zu gewinnen. Sie hätten es auch gethan.
[137]
HORST.
Nimmermehr!
SCHÖNBURG.
Nun, so verdienen Sie nicht jung zu sein; hätten mit grauen Haaren zur Welt kommen müssen.
HORST.
Aber wozu?
SCHÖNBURG.

Wir schickten das saubere anonyme Werklein an den hiesigen Buchhändler zur Beurtheilung in seinem Conversationsblatte, weil wir wußten, daß meine Nichte ihm die Recensionen liefert, und hofften, es würde auch dießmal geschehen. Es ist geschehen; die Recension ist da, und nicht eben christlich zu nennen.

HORST.
Das ließ sich denken.
SCHÖNBURG.

Haben es auch gedacht und gewünscht. Nun wollen wir sie damit so lange ängstigen, bis sie in sich geht und Buße thut, zwar nicht in Sack und Asche, aber doch im Brautkleide.

4. Auftritt
[138] Vierter Auftritt.
Vorige, der Baron tritt ein.

BARON.
Bist Du da, August? Herzlich willkommen!
HORST.
Grüße Dich Gott, Bruder. Du siehst, ich halte Wort.
BARON.
Habe Dank! Zu Schönburg. Weiß er schon?
SCHÖNBURG.
Alles haarklein. Was haben Sie ausgerichtet?
BARON.

Den Buchhändler breit geschlagen: der Fuchs ist in die Falle gegangen. Er wird mich der Baronin unter dem entsetzlichen Namen Löwenklau ankündigen.

SCHÖNBURG.

Trefflich! Ich sehe unser Werk schon glücklich vollendet. Aber hört, junge Herrn, die Ehre der Erfindung ist mein.

BARON.

Soll Ihnen auch bleiben, wenn wir überhaupt Ehre erwerben. Aber ich fürchte! – Wie leicht kann uns nicht ein Zufall in den Weg treten. –

[139]
SCHÖNBURG.

So werfen wir ihn hinaus, oder gewinnen ihn für uns: das ist die wahre Feldherrnkunst. Nur Eines noch; Scherz und Spuk so viel Ihr wollt, nur nichts wider den Anstand; Lust und Fröhlichkeit in den Schranken des Anstandes, ist das wahre Leben.

BARON.

Für mich bürgt die Liebe, für meinen Bruder bürge ich. Und Sie, mein theurer väterlicher Freund, bürgen mir für die Verzeihung Ihrer Nichte.

SCHÖNBURG.

Wozu, Barönchen? Liebt sie Dich, wie ich glaube so verzeiht sie alles, wo nichts, so brauchst Du ihre Verzeihung nicht. Punktum!


Der Bediente tritt ein.
BEDIENTE.
Gnädiger Herr, das Frühstück ist bereit.
SCHÖNBURG.
Gut!

Der Bediente geht ab.

Nun kommt! wir wollen uns stärken zu dem nahen Feldzuge. Nachher müßt Ihr in Euern [140] Gasthof; denn der Buchhändler darf nicht wissen, daß ich mit Euch unter einer Decke spiele. Kommt!


Alle drei gehen ab.

Verwandlung.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Ein Gemach im Hause der Baronin. Die Baronin kommt mit Papieren, Sophie folgt ihr mit Schreibzeug und Theebrett.

BARONIN.

Hier will ich arbeiten. Gestärkt durch die Aussicht auf die herbstlich schöne Landschaft, wird hier der Genius mächtiger seine Schwingen regen, als dort in dem düsteren Zimmerraume, ohne erhebende Aussicht, wo mich das Geräusch der Vorübergehenden stört. Ja, es ist ein eigenwilliges Kind dieser Genius, aber ein holdes Wunderkind.


Sophie hat unterdessen den Arbeitstisch geordnet und entfernt sich. Die Baronin setzt sich und ergreift die Feder.

Laß sehen! Sie liest. »Die Natur war längst ihres Schmuckes beraubt, schon hingesunken in den starren Winterschlaf; der Dezembersturm brausete über ihr Grab« – – Halt! Muß es nicht [141] heißen: über ihrem Grabe? Sie besinnt sich ein Weilchen. Ganz gewiß! man würde ja sagen: »Die Nachtigall schlug über ihrem Grabe.« Gut, daß ich es noch bemerkte! Sie will schreiben, hält aber inne und sinnt wieder nach. Aber man würde doch sagen: »Ein Schmetterling flog über ihr Grab.« – Es ist abscheulich, daß solche Armseligkeiten den Flug des Genius hemmen. Welches von beiden ist nun das Rechte? Ich will doch lieber eine andere Wendung brauchen, um den Schulmeistern und Kleinigkeitskrämern keine Blöße zu geben. Zum BeispielSie trinkt. – zum Beispiel – Sie trinkt. – etwa so: »Der Dezembersturm brausete durch das öde Gefild.« Ja, das geht, wiewohl es Schade ist um das Grab. Sie schreibt und liest nachher. »Der Dezembersturm brausete durch das öde Gefild, und warf den eisigen Schnee gegen die hohen Fenster des Schlosses, wo die Frau von Dülmen mit ihren beiden erwachsenen Töchtern im friedlichen Gespräche am Theetische saß!« Gut, wirklich gut! Sie trinkt. Wie nun weiter? Sie will einschenken, findet die Theekanne aber leer. Sophie! Sophie! Sie schellt.


Sophie kommt eilig.
[142]
SOPHIE.
Was befehlen Sie?
BARONIN.
Unachtsame! Du weißt, daß ich dichte, und lässest mich ohne Thee?
SOPHIE.

Sie müssen stark getrunken haben, gnädige Frau, es war noch viel darin. Sie nimmt die Theekanne und entfernt sich.

BARONIN.

Wie nun weiter? – Ich muß jetzt die beiden Mädchen schildern. Sie stehen lebendig vor meiner Seele; ich wollte, sie ständen auch auf dem Papier. Das ist es eben!


Sophie kommt mit der Theekanne zurück.
SOPHIE.

Hier bringe ich neuen Vorrath. Indem sie die Kanne hinsetzt, auf das Papier blickend. Was haben Sie denn schon Schönes gedichtet, gnädige Frau?

BARONIN.

Lies, wenn Du willst. Sie schenkt Thee ein, während Sophie liest. Nun was sagst Du besonders zu dem Contraste? Draußen das wilde Dezemberwetter, und drinnen das behagliche friedliche Beisammensitzen am Theetische: ist das nicht ein trefflicher Gegensatz?

[143]
SOPHIE.
Ach, es ist herrlich! Wer doch auch so was Schönes schreiben könnte!
BARONIN.

Ja, mein gutes Mädchen, das ist freilich nicht jedem verliehen; dazu gehört die Himmelsgabe: Phantasie.

SOPHIE.
Der Himmel ist auch recht unbillig, daß er den Vornehmen alles, und unser einem gar nichts giebt.
BARONIN.

O Du Thörin! daß Du mich um die zwar seltene, aber auch zweideutige Gabe der Phantasie beneidest. Wie gern träte ich sie Dir ab: denn, gute Sophie, glücklich macht sie nicht. Wie oft muß ich den Schlaf entbehren, weil ihre Gebilde ihn von meinem Lager verscheuchen; wie oft zerreißt meine Seele der Kampf mit Wünschen, die sie erzeugt, und die doch hienieden unerfüllbar sind! Nichts Vergangenes ist für mich vergangen, und die Zukunft wird lebendige Gegenwart. Finde ich eine welkende Blume, so erinnere ich mich an alle Freuden, die mir schon verwelkt sind, und sehe ich einen Sarg tragen, so denke ich an den Tod.

SOPHIE.

Das ist freilich recht betrübt. Wenn einem die [144] Phantasie so mitspielt, hätt' ich mich an Ihrer Stelle doch eher der Liebe ergeben als der Phantasie. Der Baron von Riedberg z.B. liebte Sie doch recht aufrichtig, und Sie waren auch, denke ich – – –

BARONIN.

Wie oft soll ich Dir noch befehlen, davon zu schweigen? Die Liebe ist ein herrliches Motiv in der Dichtung, im Leben aber tritt sie ganz anders auf.


Ein Bediente tritt ein.
BEDIENTE.
Herr von Feldkirch ist eben angekommen
BARONIN.
Es wird mich freuen, ihn zu sehen.

Der Bediente geht ab. Sophie entfernt sich.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Die Baronin. Feldkirch tritt ein.

FELDKIRCH
der Baronin die Hand küssend.
Guten Morgen Frau Nachbarin.
BARONIN.

Wilkomnen in der Stadt, lieber Feldkirch. [145] Aber ehe wir von Geschäften reden, wie sagen Sie: »Der Sturm brauset über ihr Grab, oder über ihrem Grabe?«

FELDKIRCH.
Was? über meinem Grabe?
BARONIN.

Behüte! Sie mißverstehen mich. Ich frage, ob Sie sagen: »Der Sturm brauset über das Grab,« oder »über dem Grabe?«

FELDKIRCH.
Keines von beiden.
BARONIN.
Wie so? Eines von beiden müssen Sie doch sagen.
FELDKIRCH.

Das sehe ich nicht ein. Wenn mir der Sturm im Forste, in den Gärten und an den Gebäuden keinen Schaden thut, so rede ich gar nicht davon. Was er mit den Gräbern macht, ist mir einerlei.

BARONIN.
Wenn Sie aber diesen Gedanken auszudrücken hätten, wie würden Sie sagen?
FELDKIRCH.

Ja so. Das weiß ich wirklich nicht. Hätte ich es zu sagen, so würde es von selbst kommen. Ueber's Grab? Freilich: der Tod läuft einem über's [146] Grab. Ueber'm Grabe? Freilich: wir sehen uns Bieder über'm Grabe. Ueber's Grab, über'm Grabe; über'm Grabe, über's Grab – Ach! das sind ja leere Schwindeleien. – Ich bringe Ihnen Geld.

BARONIN
ihren Aerger unterdrückend.
Herzlichen Dank für Ihre freundschaftliche Sorgfalt. Wie steht es auf meinen Gütern?
FELDKIRCH.
Eben nicht schlecht; aber es könnte viel besser stehen. Ich thue, was ich kann, das wissen Sie.
BARONIN.
Wie sollte ich nicht? Kenne ich doch auf der Welt keinen ehrlicheren Mann und tüchtigeren Landwirth.
FELDKIRCH.

Ehrlichern Mann? Mag sein und ist mir lieb. Tüchtigern Landwirth? Das können Sie nicht wissen; denn nehmen Sie mir es nicht übel, Frau Nachbarin, davon verstehen Sie nichts. Wie gesagt, ich thue was ich kann; aber des Herrn Auge ist der Geist, der große Dinge thut. Sie müssen wieder heirathen.

BARONIN.

Nein, lieber Feldkirch, das werde ich nie; diese Veränderung würde mich der Sphäre entreißen, in [147] der ich mich glücklich fühle, würde mich der Kunst entfremden. Wäre mein Gatte ein Uneingeweihter, so würde er meine Beschäftigungen als unnütz und ungehörig tadeln; wäre er eingeweiht, so würde er mir feine Ansichten aufdringen und meine künstlerische Freiheit dadurch beschränken wollen.

FELDKIRCH.

Nun, meine Gnädige, Sie müssen nicht alle über einen Kamm scheeren. Ich z.B. wenn ich Ihr Mann wäre, meinetwegen möchten Sie schreiben so viel Sie wollten. Was sollten Sie auch anders thun? Die Wirtschaft verstehen Sie einmal nicht, und was Häuschen nicht lernt – – Sich etwa zwingen? Bewahre, dabei kommt nichts Gescheidtes heraus. Ich habe schon oft, so wie jetzt, darauf angespielt.

BARONIN.
Und ich habe Ihnen zu verstehen gegeben, daß es nicht möglich ist.
FELDKIRCH.

Warum denn nicht? Ich wurde an demselben Sonntage Vormittags confirmirt, wo Sie Nachmittags getauft wurden. Seit der Zeit habe ich Sie geliebt, und immer nicht heirathen wollen, bis Sie erwachsen wären. Als Sie es endlich [148] waren, kamen die schlechten Jahre, wo es so viel Kummer und Kreuz in der Landwirtschaft gab, daß kein vernünftiger Wirth an's Freien denken konnte. Unterdessen kam der selige Fliedershausen, war Präsident, steinreich, trug einen Orden, und Punktum: Gott habe ihn selig! Sie sind nun schon drei Jahre Wittwe; unsere Güter grenzen; unsere Jahre passen; wir kennen einander von der guten wie von der schwachen Seite: also dächte ich –

BARONIN
ihm die Hand reichend.

Nein, lieber Feldkirch! es ist unmöglich: ich bin einmal herausgetreten aus dem Kreise des Alltagslebens und will nicht das Schicksal der unglücklichen Sappho haben.

FELDKIRCH.
Nun, die habe ich nicht gekannt.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Vorige. Sophie tritt hastig ein.

SOPHIE.

Ach, gnädige Frau, der Commissionsrath Till ist da – ganz verstört – ganz außer Athem bittet um Gotteswillen –

[149]
BARONIN.
Nun, was giebt es denn? Laß ihn kommen.
FELDKIRCH.
Ich gehe unterdessen in ein anderes Zimmer und zähle das Geld auf.
BARONIN.

Nein, lieber Feldkirch, bleiben Sie. Wer weiß, was geschehen ist: wir bedürfen vielleicht Ihres Rathes.

8. Auftritt
Achter Auftritt.
Die Baronin, von Feldkirch, Till kommt erschrocken und außer Athem.

TILL.
Gnädigste – vergeben Sie – Bei Seite. Hat der Teufel den Landjunker hier!
BARONIN.
Was ist geschehen?
TILL
heimlich zu ihr.
Könnte ich Sie nicht ohne Zeugen sprechen? – Es geht um unser Beider Leib und Leben.
BARONIN.
Guter Gott! Um desto eher sprechen Sie vor diesem Freunde: er kann rathen, helfen. Reden Sie.
[150]
TILL.

Wenn Sie befehlen. Laut. Ach, gnädige Frau – es ist ein Wunder Gottes – daß ich hier bin: – von Rechts wegen sollte ich schon des Todes sein. Ach! die unselige Recension!

BARONIN.
Wie? was für eine Recension?
TILL.

Des heillosen »Atreus und Thyestes.« Mich hat sie schier das Leben gekostet; gebe Gott, daß sie kein köstlicheres in Gefahr setze!

BARONIN.
Gerechter Himmel!
FELDKIRCH.
Herr, reden Sie wie andere vernünftige Leute, daß man aus der Sache klug wird.
TILL.

Ich will es versuchen. Ich war mit meinem ältesten Gehülfen draußen in meinem Garten. Stürzen auf einmal vier Männer herein, werfen uns zu Boden; Pistolen vor die Augen; bekennt, brüllt einer, wer hat meinen »Atreus und Thyestes« recensirt? Mich überfällt ein Todesschreck – doch, Sie kennen meine Ergebenheit – keinen Laut, aber mein Gehülfe – junges Blut – die Todesangst –[151] kurz – er platzte heraus: die Frau Baronin von Fliedershausen.

BARONIN.
Gott im Himmel!
FELDKIRCH.
Das ist ja eine verrückte Geschichte!
TILL.

Wenn Sie die Wuth gesehen hätten, die ihn bei Ihrem hochgefeierten Namen ergriff. Flüche spie er aus, wie der Aetna Flammen; aber ich konnte nichts verstehen, als Blut und Blut und blutige Rache.

BARONIN.
O der Barbar!
TILL.

Ich faßte mir ein Herz, machte Vorstellungen, verschaffte mir mit Mühe Gehör. »Sage Er der Baronin,« brüllte er endlich, »sie soll mir Genugthuung, blutige Genugthuung geben oder geben lassen, wenn sie ihres Lebens sicher sein will: in der Buschmühle erwarte ich Nachmittags drei Uhr die Antwort. Damit verschwand er, und ich eilte hierher, um Euer Gnaden die Hiobspost zu bringen.«

FELDKIRCH.

Sind das Geschichten! Es wird einem aberwitzig dabei zu Muthe. Eine Frau Genugtuung? [152] Der Kerl muß schlechterdings dem Tollhause entsprungen sein.

TILL.
Ach, mein gnädiger Herr, Sie wissen wohl, dem Verdienste wird selten die rechte Stelle angewiesen.
BARONIN.
Was rathen Sie mir, lieber Feldkirch?
FELDKIRCH.
Ja, wenn ich nur erst den ganzen Handel verstände.
BARONIN.

Der tolle Mensch hat ein tolles Trauerspiel geschrieben, und ich habe es in dem Conversationsblatte, das der Commisionsrath herausgiebt, beurtheilt, freilich nicht vorteilhaft, denn es ließ sich nichts Gutes davon sagen.

FELDKIRCH.

Weiter nichts? Das sind ja Kinderpossen. Und darum ist der Mensch so wüthend? Nun, die Unvernunft kann doch höchstens nur fünf Minuten dauern. Ich denke, er wird mit sich reden lassen.

TILL.
Ach, gnädiger Herr, da wissen Sie nicht, was ein wüthender Autor, und gar ein wüthender Poet ist.
[153]
BARONIN.

Ja, es muß fürchterlich sein, wenn eine Dichterphantasie ihre Flammen mit den Flammen des Zornes vermählt. Und vollends bei diesem, aus dessen Werk eine gewisse gräßliche Lust an Gräuel – und Blutscenen hervorleuchtet.

FELDKIRCH.

Mag hervorleuchten, was da will, er muß mit sich reden lassen. Ich selbst will zu ihm. Wo ist er denn eingekehrt, und wie heißt er?

TILL.
Die Wohnung weiß ich nicht; aber habe ich in der Angst recht gehört, so heißt er von Löwenklau.
FELDKIRCH.
Gut. Löwenklau oder Bärentatze; ich fahre mit Ihnen nach der Buschmühle.
TILL.

Dazu wollte ich doch nicht rathen. Wer kann wissen, wie weit sich so ein rasender Mensch vergißt. Sie setzen sich wirklich aus – –

BARONIN.
Wissen Sie einen besseren Rath?
TILL.
Ich muß einmal hin, könnte es also in Ihrem Namen – – –
[154]
FELDKIRCH.
Nichts da! Ich verlasse mich am liebsten auf mich selbst.
BARONIN.
Wie herzlich danke ich Ihnen, theurer Freund!
FELDKIRCH.
Ist nicht der Mühe werth. Zu Till. Es bleibt dabei; um halb drei erwarte ich Sie.
TILL.

Wenn Sie es durchaus wollen, so stehe ich zu Befehl. Geschieht aber ein Unglück, so bin ich außer Schuld: ich habe gewarnt. Bei Seite. Das muß ich schnell dem Baron hinterbringen.


Er empfiehlt sich und geht ab.
FELDKIRCH.
Ist Ihnen nun gefällig, meine liebe gnädige Frau, so gehen wir an unser Geschäft.
BARONIN.
Mir ist ganz schwindlich.
FELDKIRCH.

Sehen Sie, verehrte Freundin, das kommt von Ihrem Schreiben. Wenn es denn doch sein muß, warum lassen Sie es nicht bei Ihren Romanen bewenden? Ich habe selbst vergangenen Winter ein Paar davon gelesen. Nun die Leute darin taugen freilich alle nicht viel, und haben nichts [155] als Schwindeleien im Kopfe, aber im Ganzen, denke ich doch, ist es ein unschuldiger Zeitvertreib. Aber was in aller Welt gehen Sie anderer Leute Schriften an? Wer hat Sie zum Richter darüber gesetzt? Was nicht deines Amtes ist, da laß deinen Vorwitz sein. Und eine Frau soll zur Sühne reden und nicht richten – und obendrein öffentlich und streng! Ey! ey! Richtet nicht, so werdet – –

BARONIN.
Wollen wir nicht unser Geschäft vornehmen?
FELDKIRCH.
Ich stehe zu Diensten. Erst die Geschäfte, dann die Liebe, aber das Richten zuletzt.

Sie gehen Beide in das Nebenzimmer.

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Die Baronin und Sophie.

SOPHIE.

Ach gnädige Frau, ich zittere, daß ich kein Glied stille halten kann, so oft ich an den schrecklichen Menschen denke.

BARONIN.
Du hast ihn ja gar nicht gesehen.
SOPHIE.
Aber der Commissionsrath hat ihn mir so deutlich und fürchterlich beschrieben.
BARONIN.
Till ist ein braver Mann, aber ein Held wahrlich nicht.
SOPHIE.
Ach, wenn Sie nur dieß eine Mal eine Recension geschrieben hätten!
[157]
BARONIN.
Wer kann alles vorher wissen? Ich habe nichts als die Wahrheit gesagt.
SOPHIE.

Aber wenn nun der wüthende Mensch Ihnen aufpaßt, Sie mißhandelt, Ihnen irgend einen entsetzlichen Schimpf anthut?! – Ach Gott! wie leicht ist nicht einem Frauenzimmer beizukommen – – wenn er gar Ihr kostbares Leben – –

BARONIN.
Still! still! Ich will nichts mehr davon hören.
SOPHIE.
Ach Himmel Sie zittern ja selbst, gnädige Frau.
FRAU.
BARONIN. Nun ja – Deine ängstlichen Reden – die unglückliche Lebendigkeit meiner Phantasie –
SOPHIE.

Ach ja! ich merke auch, daß ich vielmehr Phantasie habe, als ich glaubte. Liebe gnädige Frau, wenden Sie sich doch an den Herrn Onkel. Er ist schon vorgestern von seinem Gute zur Stadt gekommen, und noch hier.

BARONIN.

An den, daß er über mich triumphirte? Nein, [158] eher das Aeußerste! eher will ich selbst mit den Waffen in der Hand meine Recension vertheidigen.

SOPHIE.

Ach Gott! ach Gott! So erlauben Sie mir wenigstens die Sache dem Stadtdirector anzuzeigen. Die Polizei muß Sie doch schützen.

BARONIN.
Schützen – freilich. – Aber die Polizei gegen einen Edelmann und Dichter?
SOPHIE.
Der sich aber unadlich und unpoetisch beträgt.
BARONIN.

Freilich – allerdings. – Doch Feldkirch ist nach der Buschmühle gefahren: vielleicht schlichtet er die Sache.

SOPHIE.

Ach, der Herr von Feldkirch ist wohl nicht der Mann dazu. Erlauben Sie nur, meine liebe gnädige Frau – –

BARONIN.

Deine Liebe und Anhänglichkeit rührt mich: aus diesem Grunde mag es sein. Aber laß Deine Aengstlichkeit nicht blicken; sage nur – oder nein! bitte lieber den Director, mich zu besuchen.

[159]
SOPHIE.
Schön. Sie wünschten ihn in einer wichtigen Angelegenheit – – –
BARONIN.
In einer Angelegenheit, schlechtweg, wünschte ich ihn zu sprechen.

Ein Bediente tritt ein.
BEDIENTE.
Der Herr von Horst, der hier durchreiset, wünscht der Frau Baronin seine Aufwartung zu machen.
BARONIN.

Herr von Horst? Der Name klingt mir so bekannt; ich kann mich nur nicht besinnen, wo ich ihn gehört habe.

SOPHIE
heimlich zu ihr.
Wenn es nur nicht der fürchterliche Löwenklau unter erborgtem Namen ist.
BARONIN.
O Himmel! – Was ist der Fremde für ein Mensch?
BEDIENTE.

Ein hübscher, junger und, wie es scheint, recht feiner Herr. Er sagt, er mögte in Euer Gnaden die berühmte Schriftstellerin kennen lernen.

BARONIN.

Ah so! Ja, liebe Sophie, was ist zu thun?[160] Solche Besuche sind nun einmal ein Uebel, das von einem berühmten Namen unzertrennlich ist. Zu dem Bedienten. Es wird mir sehr angenehm sein.


Der Bediente geht ab.
SOPHIE.
Ach! ich zittere am ganzen Leibe. Es wäre doch möglich – – – –
BARONIN.

Freilich – – – Nun, verbirg nur die Bedienten ins Kabinet, daß sie bei der Hand seien, wenn ich etwa ein Zeichen gebe. Aber sonst sollen sie sich ruhig verhalten.

SOPHIE.
Sie sollten lieber den Besuch nicht annehmen.
BARONIN.

Und wenn es nun wirklich ein Kunstfreund ist, der die Dichterin in mir will kennen lernen? Geh, und thue, was ich gesagt habe.


Sophie entfernt sich.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Die Baronin, Horst tritt ein.

HORST.
Darf ich mir schmeicheln, gnädige Frau, daß Sie meine Zudringlichkeit entschuldigen werden?
[161]
BARONIN.
Wenn es der Entschuldigung bedürfte, sollte ich nicht gern entschuldigen, was mir Vergnügen bringt?
HORST.
Aeußerst gnädig.
BARONIN
auf einen Stuhl deutend.
Darf ich bitten!

Sie setzen sich.
HORST.

Leider erfuhr ich erst jetzt, daß dieser unscheinbare Ort so glücklich ist, eine unserer ersten Dichterinnen unter seine Bewohner zu zählen.

BARONIN.
Sehr verbindlich, Herr von Horst.
HORST.

Aber auch im Augenblick der Abreise konnte ich mir das Glück nicht versagen, die Trägerin eines so hoch gefeierten Namens kennen zu lernen.

BARONIN.

Man sollte nie dessen Bekanntschaft suchen, den man aus seinen Schriften kennt. Die Wirklichkeit bleibt immer hinter dem selbstgeschaffenen Bilde zurück; und die Enttäuschung erregt Mißbehagen.

[162]
HORST.

Bild und Wirklichkeit stimmen selten, darin haben Sie Recht, gnädige Frau. Aber Mißbehagen? Vielleicht dann und wann, oft aber auch nur Befremden; zuweilen, wenn auch selten, freudige Ueberraschung, wie hier.

BARONIN.
Freudige Ueberraschung? Dann müssen Sie sich eine gräßliche Vorstellung von mir gemacht haben.
HORST.
Gnädige Frau, Sie leihen meinen Worten einen anderen Sinn, wie ein übelwollender Recensent.
BARONIN
für sich.
O weh. Sie rückt ein wenig von ihm weg.
HORST.

Wenn ich sonst mir eine Schriftstellerin dachte, stand sogleich eine runzel- und würdevolle Matrone, oder ein weiblicher Gnome, oder wenigstens eine verblichene herbstliche Gestalt vor mir. Fortan wird bei diesem Gedanken das strahlende Bild der Jugend und der Schönheit vor mein geistiges Auge treten.

BARONIN
nieder näher rückend.

Keine falsche Münze, Herr von Horst. Aber warum sollten denn nur bejahrte, oder von der [163] Natur vernachlässigte Frauen Schriftstellerinnen sein können?

HORST.

Das weiß ich selbst nicht. Vermuthlich habe ich geglaubt, für eine junge schöne Frau sei es ein anziehenderes Loos durch Liebe zu beglücken und beglückt zu werden.

BARONIN.

Wenn aber eine Frau die Göttergabe Phantasie in der Fülle empfangen hat, daß die Ahnungen eines höheren Seins, die in uns Allen liegen, sich ihr zur Anschauung verdeutlichen, sollte sie dann nicht jenes Glück sehr matt finden, und unwilkürlich in der vollkommeneren Welt der Kunst ein höheres Glück suchen müssen?

HORST.

Dann freilich. Ich bin überwunden. Wenn ich jemals als Schriftsteller auftreten sollte, so würde ich Sie, gnädige Frau, flehentlich bitten, mich nicht zu recensiren.

BARONIN
für sich.
O Himmel. Sie rückt von ihm weg.
HORST.
Werden Sie die Welt bald wieder mit einem neuen Erzeugnisse Ihres schöpferischen Geistes beglücken?
[164]
BARONIN
wieder näher rückend.
Ich habe allerdings eine Arbeit begonnen: wie gestattete auch eine lebhafte Phantasie Untätigkeit!
HORST.
Die Stille dieses Ortes ist gewiß dem schaffenden Genius günstig?
BARONIN.
Sehr günstig für das innere Leben.
HORST.
Und literarisch unwichtig ist der Ort nicht. Erscheint doch hier eine vielgelesene Zeitschrift.
BARONIN
für sich.
O weh! Sie rückt wieder ab.
HORST.
Sie ist nicht ohne Werth. Noch kürzlich stand eine Recension darin – – –
BARONIN
für sich.
O Himmel! Sie rückt weiter.
HORST.
Die Ihnen vermutlich bekannt ist?
BARONIN.
Vielleicht – ich lese nicht alles – entsinne mich nicht.
HORST.

Nie habe ich auf so engem Raume einen größeren Reichthum an Geist, Scharfsinn und tiefer [165] Kenntniß entfaltet gesehen. Der Verfasser muß ein tiefer Denker sein, und doch finden sich wieder häufig Züge jener feinen Menschenkenntnis die nur Ihrem Geschlechte eigen ist. Wäre es möglich, so möchte man auf eine Verfasserin rathen.

BARONIN
wieder näher rückend.
Sollte es denn so ganz unmöglich sein?
HORST.

O, ich wünschte, sie wäre von Frauenhand zur Ehre des Geschlechtes, das ich so innig verehre. Sie hat mich unglaublich gefreut, nicht allein des tiefen Gehaltes wegen, sondern auch weil der abscheuliche »Atreus und Thyestes« und dessen Verfasser dieses Urtheil verdienen.

BARONIN.
Kennen Sie den Verfasser?
HORST.

Leider, gnädige Frau. Es ist ein gewisser Löwenklau, ein reicher Abenteurer, der in allen Ländern Europa's Besitzungen hat; der roh'ste und fürchterlichste Mensch, den ich je gekannt, Schläger aus Blutgier, Trunkenbold aus Ingrimm gegen die Vernunft und gegen Ihr Geschlecht; – dürften Sie hören, was ich erzählen könnte, Sie würden schaudern!

[166]
BARONIN
sehr laut.
Gott stehe mir bei!
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Vorige. Zwei Bediente stürzen, der eine mit einer Feuerzange, der andere mit einer Feuerschaufel aus dem Kabinet; Horst und die Baronin springen auf.

HORST.
Welch eine Erscheinung!

Die Bedienten blicken verlegen auf die Baronin.
BARONIN.
Was wollt Ihr, Unvernünftige? Gewiß habt Ihr Euch wieder geschlagen?
BEDIENTE
für sich.

Ich verstehe. Laut. Wir bitten tausendmal um Verzeihung, gnädige Frau. Wir stritten über Küchen- und Apothekerstücke, griffen zu den Waffen, glaubten nicht, daß jemand hier wäre – – –

BARONIN.

Fort! Macht Ihr Euch noch einmal solcher Zügellosigkeit schuldig, so habt Ihr auf der Stelle den Abschied.


Die beiden Bedienten gehen ab.

Ich muß Sie wegen dieses Auftrittes recht sehr um Verzeihung bitten! Diese Leute werden bei milder Behandlung so übermüthig.

[167]
HORST.

Enthusiasmus für das Schöne verdient doch wohl Verzeihung. Ich will nicht länger beschwerlich fallen, gnädige Frau.

4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Die Baronin, von Horst, von Feldkirch und Till treten ein.

FELDKIRCH.
Da sind wir wieder.
BARONIN
vorstellend.
Herr von Feldkirch, Herr von Horst.
FELDKIRCH.
Freue mich der Ehre.
BARONIN.
Commissionsrath Till, Herausgeber des Conversationsblattes.
HORST.

Es ist mir sehr angenehm, einen Mann kennen zu lernen, der sich ein so besonderes Verdienst um die deutsche Literatur erwirbt.

TILL.

Allzu gütig – allzu gnädig. Heimlich, aber immer komplimentierend. Der Herr Bruder haben den Wüthrich Löwenklau trefflich gespielt.

[168]
HORST.
Sie erlauben, gnädige Frau, daß ich, nochmals um Verzeihung bittend, mich empfehle.
BARONIN.
Reisen Sie glücklich, Herr von Horst.

Horst geht ab.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Die Baronin, Feldkirch, Till.

BARONIN.
Nun? was haben Sie ausgerichtet?
FELDKIRCH.
Der Mensch ist ein wahrer Kannibale.
TILL.
Man könnte sagen, ein wildes Thier.
FELDKIRCH.
Recht, Commissionsrath! Solch ein Unchrist ist mir noch nicht vorgekommen.
BARONIN.
O mein Gott! so erzählen Sie doch!
FELDKIRCH.

Wir fanden ihn schon dort; als er hörte, daß ich von Ihnen käme, lachte er recht satanisch und fragte, ob ich Pistolen bei mir hätte. Kaum hatte ich nein gesagt, so zog er ein Paar aus seinem [169] Gürtel, und reichte sie mir grinsend hin. Was ich auch sagen mochte, er ließ sich auf nichts ein, sondern rief nur immer Blut. Blut! und wollte mir die Pistolen aufdringen.

BARONIN.
Welch unglückseliges Schicksal führt mich mit diesem Wüthrich zusammen!
FELDKIRCH.

Warten Sie, liebe Frau Nachbarin: Ende gut, alles gut! Ich ließ mich nicht irre machen, und – das muß wahr sein – der Commissionsrath stand mir treulich bei: so brachten wir den Rasenden doch so weit, daß er auf eine Unterhandlung einging.

BARONIN.
Und das Ergebniß?
TILL.
Er sagte, wenn nur die Recension nicht so unendlich geistreich wäre – –
BARONIN
freudig.
Sagte er das wirklich?
FELDKIRCH.
Ja, das sagte er; weil sie es aber sei, so könne nur Blut – –
BARONIN.
O der entsetzliche Mensch!
[170]
TILL.
Er gestand, sie sei so reich an beißendem Spotte und schlagendem Witz – – –
BARONIN
freudig.
Gestand er das wirklich?
FELDKIRCH.
Ja, das gestand er, und deßhalb müsse er feine Rache sättigen – und verlange Blut!
BARONIN.
O hören Sie auf! Sie sinkt auf einen Stuhl.
FELDKIRCH.

Nun, nun! hören Sie nur das Ende. Wir ließen uns durch seine kannibalischen Redensarten nicht aus dem Gleise bringen, und kamen denn endlich mit einem Vergleich zu Stande.

BARONIN.
Gott sei Dank! Aufstehend. Und wie lautet er?
FELDKIRCH.

Sie sollen erklären und es ihm schriftlich geben, daß Sie gar nicht die Verfasserin der Recension seien.

TILL.

Und daß Sie gar nicht, und Ihres Erachtens überhaupt, keine Frau im Stande wäre, solch eine Recension zu schreiben. Er will die Erklärung vermuthlich drucken lassen.

[171]
BARONIN
nach einer Pause des höchsten Erstaunens.

Erde, wandelst du noch in deiner Bahn? Leuchtest du noch durch die Himmel, ewige Sonne? Oder ist die Welt zurück gesunken in das gesetzlose Chaos, daß man mir das Unerhörte bietet? Mir, diesen entehrenden Antrag? mir, der Dichterin? Mir, der Verfasserin von Stolz und Liebe, Pflicht und Liebe, Rache und Liebe, Wahn und Liebe, Glauben und Liebe, mir diesen Antrag, und ich lebe noch? und der satanische Gedanke hat nicht auf ewig den Schlag meines Herzens gehemmt?


Sie sinkt wieder auf den Stuhl.
FELDKIRCH.

Nun seh' mir mal Einer die Geschichten! Was hat die Erde und die ewige Sonne, die gar nicht einmal ewig ist, mit unserm Handel zu thun? Wo ist denn der entehrende Antrag und der satanische Gedanke?

BARONIN
wieder aufstehend.

Wie? die abscheulichste Lüge soll ich schriftlich bekräftigen? Mich selbst und den edelsten den schreibenden Theil meines Geschlechtes, beschimpfen? Nimmermehr! der Tod ist ein Kinderspiel gegen diese Erniedrigung.

[172]
FELDKIRCH.

Nehmen Sie mir es nicht übel, Frau Baronin, das sind Possen. Sie haben sich durch liebloses Richten einen bösen Handel zugezogen ich setze mich als Vermittler der Wuth eines Kannibalen aus: und nun wollen Sie den Vergleich nicht annehmen. Warum? Aus Eitelkeit. Ey, das nehmen Sie mir nicht übel, Sie sind eine hübsche gescheidte Frau, aber die Eitelkeit müssen Sie von sich thun, und die verlangte Erklärung geben.

BARONIN.

Nimmermehr! Sie sollten sich schämen, einen so schmählichen Auftrag an mich übernommen zu haben. Hegten Sie wirklich für mich die Gesinnungen, deren Sie sich rühmen, so hätten Sie dem Uebermüthigen sogleich mit dem Degen oder mit Pistolen geantwortet.

FELDKIRCH.

Das verstehen Sie nicht. Sie haben ihn beleidigt, er fordert Genugtuung, das ist in der Ordnung; denn er behandelt Sie wie einen Mann, weil Sie sich doch eines Männergeschäftes angemaßt. Wir haben ihn zur Sühne beredet; er fragt also: ob Sie die Beleidigung zurücknehmen wollen, das ist auch in der Ordnung.

[173]
BARONIN.

Ich nehme sie aber nicht zurück das ist auch in der Ordnung. Sie sind mein Kämpfer, gehen Sie hin und geben Sie ihm Genugthuung.

FELDKIRCH.

Wahrhaftig? Meine Gnädige, Sie sind mir lieb und werth, und wenn jemand Ihre Ehre angriffe, – ich bin in meinem Leben kein Raufbold gewesen – aber ich würde mich nicht besinnen, sondern Degen und Pistolen zur Hand nehmen. Doch solcher Narrenspossen wegen mich herum zu schießen, das werde ich bleiben lassen, so lange ich noch bei Verstande bin.

BARONIN.

Und mit diesen erbärmlichen Gesinnungen wagen Sie es, einer Frau Ihre Hand zu bieten? Wer sein Leben nicht großherzig auf das Spiel zu setzen weiß, der muß sich nicht erkühnen, um die Gunst einer edlen Frau zu werben.

FELDKIRCH.

Das sehe ich nicht ein. Es steht wohl geschrieben: »Seid fruchtbar und mehret Euch«, aber nirgends: Seid großherzig und schlagt Euch todt. Kurz und gut: wollen Sie die Erklärung geben?

[174]
BARONIN.
In alle Ewigkeit nicht!
FELDKIRCH.
Nun so leben Sie wohl. Mein Wagen is angespannt: Unterthäniger!
BARONIN.
Glückliche Reise!

Feldkirch geht ab.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Die Baronin, Till.

TILL.
Ich habe ihm diesen Ausgang vorhergesagt.
BARONIN.
Konnte ich in diesen ehrlosen Vergleich willigen?
TILL.
Nimmermehr! Das Leben ist der Güter höchstes nicht.
BARONIN.

Ja – ganz recht – sehr schön gesagt – hier indeß leidet es keine Anwendung – das sehen Sie wohl ein – – Wie? oder meinen Sie – –?

TILL.
Bei einem so furchtbar excentrischen Menschen ist das Aergste zu fürchten.
[175]
BARONIN.
O, die unselige Recension!
TILL.
Das ist das Loos des Schönen auf der Erde!
BARONIN.
Meinetwegen, aber die Urheber des Schönen sollten doch verschont bleiben.

Ein Bediente tritt eilig herein.
BARONIN.
Was giebt es?
BEDIENT.
Der Stadtdirector.
BARONIN.
Sehr angenehm.

Der Bediente geht ab.

Ich will dem Director die Sache vorlegen. Die Gesetze müssen mich doch schützen.
TILL.
Guter Gott! wenn nur jemand die Gesetze schützte.
7. Auftritt
[176] Siebenter Auftritt.
Vorige. Der Stadtdirector Witte tritt ein.

WITTE.

Unterthäniger! Sie haben gewünscht mich zu sprechen, Frau Baronin. Ich pflege sonst in Amtssachen niemanden zu besuchen – – –

BARONIN.
Ich bin Ihnen sehr verbunden, Herr Director. Wollen Sie nicht gefälligst Platz nehmen?
WITTE.
Muß ergebenst danken. Meiner Geschäfte sind viel. Muß daher auch bitten, so kurz wie möglich – – –
BARONIN.

Es soll geschehen. In der Zeitschrift des Commissionsraths habe ich ein Trauerspiel zwar scharf, aber gerecht beurtheilt. Heute langt der Verfasser hier an; ergrimmt über die Kritik, erzwingt er von dem Commissionsrathe, oder vielmehr von dessen Gehülfen, die Nennung meines Namens, und droht nun auf eine, gegen Frauen unerhörte Weise, mit thätlicher, ja sogar mit blutiger Rache.

WITTE.
Mit blutiger Rache? Ey, das gäbe einen ungewöhnlichen Criminalfall.
[177]
BARONIN.

Den ich mir verbitten muß. Es ist die Pflicht der Polizei, Maasregeln zur Verhütung jedes muthmaßlichen Unglücks zu nehmen: zu dieser Pflicht fordere ich Sie hiermit auf.

WITTE.
Schon recht. Wer ist denn Ihr hitzköpfiger Gegner?
BARONIN.
Ein Herr von Löwenklau.
WITTE.
Löwenklau? – Löwenklau? – Es ist kein Fremder dieses Namens hier angekommen.
BARONIN.
Aber mein Gott, der Commissionsrath hat ihn ja zwei Mal gesehen. Nicht wahr?
TILL.
Ja wohl: die Augen thun mir noch weh davon.
WITTE.
Es ist schlechterdings unmöglich: ich müßte durchaus davon wissen.
BARONIN.
Kann er sich denn nicht incognito hier aufhalten?
WITTE.

Incognito? Meine Gnädige, Sie sind eine[178] Dame, und Ihrem Geschlechte muß man viel zu gute halten: darum will ich auch dieses Incognito nicht gehört haben. Sonst, meine verehrte Frau Baronin, müssen Sie wissen, daß, wo ich an der Spitze stehe, nichts incognito, sondern alles klar und offenbar ist. Ich kenne alle Bewohner hiesiger Stadt, vernünftige und unvernünftige, als wären es meine leiblichen Brüder, wie sollte mir ein fremdes Gesicht entgehen? Am Tritte würde ich es hören, der Luft es riechen, an den Spuren im Gassenkothe es sehen, daß ein Fremder, und gar incognito, hier wäre.

BARONIN.
Ich zweifle nicht, und rechne um desto sichere darauf, daß Sie Maasregeln ergreifen werden.
WITTE.

Aber verehrte Frau Baronin, wie soll ich Maasregeln gegen einen Menschen ergreifen der gar nicht existirt?

BARONIN.
Wie, Sie zweifeln wirklich, und hier steht ein Augenzeuge?
WITTE.

Erlauben Sie, daß ich mir mehr glaube, als dem Commissionsrathe: denn nicht ihm, sondern[179] mir ist die Aufsicht über die Fremden anvertraut; folglich muß ich besser unterrichtet sein, als er.

BARONIN.
Ist es möglich?
TILL.
Nun Herr Director, so setzen Sie doch einen Augenblick die Existenz dieses Menschen voraus.
WITTE.
Das geht nicht, Werthester: das wäre unanständiges Mißtrauen gegen mich selbst.
BARONIN.
Sie wollen also nichts thun, um mich vor den Nachstellungen eines Wüthenden zu sichern?
WITTE.

Sein Sie doch ganz ruhig, gnädige Frau: es giebt ja gar solch einen Menschen nicht, man hat Sie mit Unwahrheit berichtet. Wenn Sie sich aber doch vor dem erdichteten Löwenklau fürchten, so miethen Sie sich ein halbes Dutzend Wächter: mehr könnte ich am Ende auch nicht thun, als Ihnen Polizeiwache geben.

BARONIN.
Sie könnten mehr: den Tollhäusler aus der Stadt verbannen.
WITTE
lachend.

Ach! meine Gnädige, wie soll ich einen Menschen [180] aus der Stadt verbannen, der gar nicht da ist? und um ein Verbrechen zu verhüten, das er gar nicht begehen kann, eben weil er gar nicht existirt?

BARONIN.

Herr Director, ich danke Ihnen für Ihren Besuch, und will Sie nicht länger von Ihren wichtigen Geschäften abhalten.

WITTE.
Untertäniger Diener!

Er empfiehlt sich und geht ab.
BARONIN.

Ich bin müde. Adieu, lieber Commissionsrath, Dank für Ihre treuliche Bemühung. Beobachten Sie unsern Feind und lassen Sie mich wissen, was vorgeht.

TILL.
Ich werde nicht ermangeln, gnädige Frau.

Er geht ab.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
DIE BARONIN
allein.

Nach einer kurzen Pause. Dem Onkel? – Nimmermehr! Ihm, der mein Höchstes, meine Kunst, verachtet und verspottet? – Um keinen Preis der Welt! – – – Wem dann? – [181] Riedberg? Woher kommt mir jetzt dieser Name? – Ja, wenn er hier wäre statt dieses Herrn von Horst – ihm würde ein Wort genügen, ein bittender Blick. – Nein! nein! – auch ihm könnte ich mich nicht anvertrauen. O es ist eine abscheuliche, unwürdige Lage!


Sie geht in's Nebenzimmer.

Verwandlung.


Ein Gehölz hinter dem Garten der Baronin.
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
Löwenklau und Ritter kommen.

RITTER.

Laß uns hier einen Augenblick ruhen, Löwenklau; meine Ferse ist wund gerieben. Ich wollte, der Schuster wäre nie geboren worden, der diese Rabenstiefeln gemacht hat. Er setzt sich. Weiter können wir heute auf keinen Fall, wir müssen in dem Städtchen übernachten. Wollte Gott, ich wäre schon drin!

LÖWENKLAU.
Ha feige Memme! Weichling! armer Ritter!
Aus milchgetränktem Brod mit Eiergelb!
Läßt Dich beherrschen von 'ner schmutz'gen Ferse,
[182] Und nimmst Gesetz an von 'nem schuft'gen Stiefel?
Bist Du dem Stiefel unterthan, so nenne
Ich Dich, 'nes Stiefels Knecht, 'nen Stiefelknecht,
Und zieh fortan die Stiefeln aus an Dir.
RITTER.

Um des Himmels willen! höre auf mit dem Unsinn, er ist unerträglich. Laß überhaupt eine Fratzen: man spielt den Narren nicht ungestraft; es bleibt immer ein gut Theil hängen so wie das Auge gläsern wird vom Brillentragen. Auch hättest Du im ganzen Shakspeare kein schlechteres Vorbild finden können als den Fähndrich Pistol.

LÖWENKLAU.
Ha, schnöder Lästerer! schändlicher Thersytes!
Was ist im Shakspeare schlecht? Kann Schlechtes sein,
Wo Schlechtes nicht kann sein? O Madensack!
Eh Phöbus funfzig Mal zum Hahnrei wird
Im Haus' des Stieres, bist Du schon verfault,
Zum Theil als Gras gefressen schon vom Vieh;
Doch schon zweihundert Jahre lebt der Fähndrich,
Und tausend Jahr noch leben wird der Fähndrich.
Ha, nur in Shakspeare's Welt sind wahre Menschen;
Wir sind nur Schatten, Fratzen, an die Mauer
Mit schwarzer Kohl' auf schmutz'gen Grund gemalt.
[183] O, daß ich wär' ein Mensch an William's Kopf,
Ein Eseltreiber nur – ich wär' doch was!
RITTER.

Nun, etwas bist Du auch jetzt, nämlich ein Narr. Löwenklau entfernt sich unwillig. Es ist doch ein Jammer, daß ein großer Dichter immer so viel Narren macht. Sich umsehend. Wetter! was kömmt da für ein hübsches Mädchen. Ja, du gute, wunde Ferse, da kann ich dir nicht helfen.


Er steht an.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt.
Ritter, Sophie kommt, später Löwenklau.

RITTER.
Guten Tag, schönstes Mädchen.
SOPHIE.
Dienerin.
RITTER.
Ich habe ein Wort mit Ihnen zu reden, süßes Kind.
SOPHIE.
Verzeihen Sie! Ich habe nicht Zeit.

Sie will gehen; Ritter faßt sie bei der Hand, in dem Augenblick kommt Löwenklau zurück.
11. Auftritt
[184] Eilfter Auftritt.
Ritter, Sophie und Löwenklau.

RITTER.
Sieh, welch ein Fang, Löwenklau.
SOPHIE.
Barmherziger Gott! Sie will sich loßreißen, Ritter hält sie fest.
LÖWENKLAU.
Ja, Löwenklau! Und bin ich Löwenklau,
Warum das Rehkalb nun in Deiner Klau',
Da es gehört doch in des Löwenklau?

Er nähert sich Sophien; sie fällt auf die Knie.
SOPHIE.

Ach, gnädiger Herr, sein Sie barmherzig, und schonen Sie meines jungen Lebens. Ich bin nur das Kammermädchen.

LÖWENKLAU.
Bist du Nerissa, oder Jessica?
SOPHIE.
Nein, gnädiger Herr
LÖWENKLAU.
Olivia's Mädchen denn in »Was Ihr wollt?«
Die dem Malvolio list'ge Briefe schreibt?
SOPHIE.
Nein, um Gottes willen! Ich lasse mich auf das Schreiben nicht ein.
[185]
LÖWENKLAU.
Die Amme denn von Julia Capulet?
SOPHIE.
Nein, gnädiger Herr, ich bin noch nie Amme gewesen.
LÖWENKLAU.
Ha, Spuk! so bist Du nichts: und soll ein Nichts
Im Leben sein, wo alles etwas sein soll?
Was Du, Du Nichts, an Licht und Luft verbrauchst,
Das stiehlst Du einem Etwas, räub'risch Nichts!
Drum ist es Schmach, wo man Dein Leben schont.
SOPHIE
weinend.

Ach gnädiger Herr, erbarmen Sie sich mein. Was habe ich denn verbrochen? Kann ich dafür, daß die gnädige Frau das Trauerspiel so schlecht behandelt hat?

LÖWENKLAU.
Hat schlecht behandelt sie das Trauerspiel,
Will traurig ich mit ihrer Schlechtheit spielen.
Ha, diese stachlichte Kastanie

Er hebt eine Kastanie auf.

soll
Die falsche Goneril hinunter schlingen,
Daß an den Stacheln, ihrer Läst'rung Bild,
Sie mir erstick'. Ich wüthe gegen sie,
Wie gegen Desdemona ras't der Mohr;
[186] Und wenn aus Lieb zu seiner bösen Frau
Den frommen König Duncan Macbeth schlug,
So schlag' ich sie, die böse Goneril,
Aus Liebe zu dem frommen Dichter William.
Enthebe Dich! verkünd' es Deiner Frau,
Und sag': der also spricht, ist Löwenklau.

Er wendet sich von Sophien ab; sie etflieht.
12. Auftritt
Zwölfter Auftritt.
Ritter und Löwenklau.

RITTER.

Hahaha. Das nenn' ich eine Tollhausscene. Keines von Euch Beiden hat das Andere verstanden, und ich habe Euch Beide nicht verstanden, und ein Vierter hätte uns alle Drei nicht verstanden. Aber mit deinem Unsinn hast Du das hübsche Mädchen verscheucht.

LÖWENKLAU.
Sie hat den großen William schnöd' gelästert.
RITTER.
Wer? das Mädchen?
LÖWENKLAU.
Die Frau, die Hekate, von der sie sprach.
[187]
RITTER.
Es war ja nicht die Rede von Shakspeare, sondern von einem Trauerspiel.
LÖWENKLAU.
O Stumpfsinn! Trauerspiel ist Er, und Er
Ist Trauerspiel, und Trauerspiel und Er
Sind also Eins, daß Trauerspiel sein Leib,
Er Trauerspieles Geist ist. – –
RITTER.

Meinetwegen! Wir wollen machen, daß wir in die Stadt kommen: denn meinen Gaumen dürstet nach Bier und meinen geschwollenen Fuß nach Brantwein.

LÖWENKLAU.
Ha, schnöder Durst! Ich durste höhern Durst
Nach Blut und Thränen Aller, so ihn schmäh'n,
Und jeder schmäht ihn, der in Abred' stellt:
Jedweder Buchstab' Shakspeare's sey 'ne Welt.

Sie gehen Beide ab.

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Schönburg und Horst.

HORST.

Ich versichere Sie, daß ich alle Gewalt, die man in meinen Jahren etwa über sich hat, aufbieten mußte, um mich nicht zu verrathen. So oft ich das Wort Recension oder Recensent in den Mund nahm, rückte sie scheu von mir weg, offenbar argwöhnte sie, ich wäre der fürchterliche Löwenklauen masque. Die Bedienten, die so wunderlich bewaffnet und unvermuthet aus dem Kabinet stürzten, waren gewiß dahin gestellt, um im Nothfalle Hülfe bei der Hand zu haben.

SCHÖNBURG.

O wäre ich doch dabei gewesen! Nun der Spaß in der Buschmühle war auch nicht zu verachten. Ich saß bei einer Tasse Kaffee im Nebenzimmer. [189] Ihr Bruder spielte den rasenden Roland höchst genial. – Der gute Feldkirch sprach sehr gelassen, und sehr vernünftig. –

HORST.
Und wurde eben deßhalb nicht gehört.
SCHÖNBURG.
Recht, junger Herr. Im Gegentheil haben seine vernünftigen Reden unsere Thorheit gefördert.
HORST.

Es ist mir aber doch lieb, daß wir ihn so glücklich los geworden sind, er hätte uns immer noch den Spaß verderben können.

SCHÖNBURG.

Gewiß. Aber nun steht die Sache deliciös. Der Stadtdirector hat meiner Nichte alle Hülfe versagt. Natürlich! Die Polizei könnte ja selbst zur Fabel werden, wenn sie sich mit der Fabelhaften einließe. Nun muß der Hauptschlag geschehen. Sie, theurer Jüngling, spielen jetzt den Löwenklau, aber nur brieflich, schreiben meiner Nichte, fordernde bewußte Erklärung mit dem Zusatz, daß sie auf Ehre versprechen solle, nie mehr zu schreiben, drohen mit allen Aschen Schrecken u.s.w. In dieser Angst giebt entweder die Erklärung, und dann haben wir sie; oder sie wirft sich mir oder dem [190] Baron, der sie nun besuchen soll, in die Arme, und dann haben wir sie auch.

2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Vorige. Der Baron kommt eilig.

BARON.
Onkel! Onkel! er böse Feind hat wieder Unkraut in unsern Waizen gesäet.
SCHÖNBURG.
Element. Haben die Schriftstellerinnen einen so mächtigen Gönner?
BARON.
Ein wirklicher Löwenklau ist angekommen.
SCHÖNBURG.
Maliziös!
HORST.
Unmöglich.
BARON.

Till ist eben bei mir gewesen. Sophie hat diesen Löwenklau mit einem Begleiter im Gehölz hinter dem Garten der Baronin getroffen. Sie macht eine fürchterliche Beschreibung von ihm; er soll wie ein Rasender sich geberdet, und wüthende Drohungen gegen die Verläumderin des Trauerspiels ausgestoßen haben.

[191]
SCHÖNBURG UND HORST
zugleich.
Des Trauerspiels?
BARON.
Ja, ja! es ist unbegreiflich!.
HORST.

Wenn der Zufall solche Streiche macht, so lohnt es nicht mehr der Mühe, sich auf Narrheiten zu legen. Sollte uns der Buchhändler verrathen haben?

BARON.
Das glaube ich nicht.
SCHÖNBURG.

Im Grunde, Ihr Herren, ist uns der Zufall eher günstig als ungünstig. Die furchtsame Sophie wird meiner Nichte Angst wenigstens um 100 Prozent gesteigert haben. Nur das ungebetene Original muß fort.

HORST.
Ja! fort muß der Löwenklau. Ich entführe ihn.
BARON.

Du kommst zu spät. Sophie ist in ihrer Bestürzung zum Stadtdirector gerannt, und hat ihm die Sache mitgeteilt. Er läßt nun den Löwenklau suchen, und hat ihn vielleicht schon jetzt beim Kragen.

SCHÖNBURG.

O verwünscht! Wenn es sich für einen alten [192] Mann schickte, so möchte ich mich herstellen, und den Zufall nach der Formel des Erzbischofs Arnulph verfluchen. Fällt Löwenklau dem Direktor in die Hände, und bringt dieser die Wahrheit an das Licht, so ist unser Spiel verloren.

HORST.
Wenn der Director nicht zu gewinnen ist.
SCHÖNBURG.

Halt, junger Herr. Keinen Fremden eingemischt. Meine Nichte soll nicht zum Spott und zum Gelächter werden. Muth gefaßt. Unsere Entwürfe sind nicht mehr ausführbar, also bei Seite damit. Der Wind hat sich gedreht, also die Segel umgelegt. Mir kommt ein Gedanke. Den Löwenklau bringen wir ohne Wagniß nicht fort, aber vielleicht meine Nichte. Ich gehe zum Direktor, Sie Beide nach Hause, und halten sich ruhig, bis ich Bericht erstattet. Das ist der neue Tagesbefehl; Punktum. Kommt!


Sie gehen alle Drei ab.

Verwandlung.

3. Auftritt
[193] Dritter Auftritt.
Wohnung des Stadtdirectors.
Witte und ein Polizeidiner kommen aus dem Nebenzimmer.

WITTE.
Also da? wirklich da? leibhaftig da?
DIENER.
Ja, Herr Director, mit Haut und Haar.
WITTE.

Es ist nicht möglich. Nein! Ich will nicht glauben, daß es einen Löwenklau in der Welt giebt; ich will zu Gott hoffen, daß es keinen Löwenklau in der Welt giebt. Ich kann mich unmöglich geirrt haben, ich bin Stadtdirector. Wie heißt der Fremde?

DIENER.
Der Herr Director wissen es ja: er heißt Löwenklau.
WITTE.
Ich weiß es nicht. Woher wißt Ihr es?
DIENER.
Er hat es selbst gesagt.
WITTE.

Nun, da sehe mir einer den einfältigen Menschen: gehört zur Polizei und glaubt, was ihm die Leute sagen. Es ist ein Jammer mit Euch Schuften;[194] verständet Ihr nur einiges Latein, so könnte ich Euch auf lateinisch sagen, daß jeder Mensch für einen Schelm gelten muß, bis er das Gegentheil beweist. Kann sich ein Mensch nicht einen falschen Namen geben? Wenn Ihr mich fragtet, wer ich sei, und ich antwortete um Euch zu foppen, Hans-Narr oder Hans-Wurst; würdet Ihr es glauben?

DIENER.
Ja, Herr Director.
WITTE.

Scheert Euch zum Teufel, und laßt den Fremden herein. Der Polizeidiener geht ab. Unmöglich, es kann und darf nicht sein.

4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Witte. Löwenklau tritt in.

WITTE.
Ihr Diener, mein Herr.
LÖWENKLAU.
Mein Diener Ihr? Was? Seid Ihr Lanzlot Gobbo?
Sonst Schmach und Hohn mir, nähm' ich Euch zum Diener.
[195]
WITTE.
Hier wird nicht per Ihr gesprochen. Verstanden junger Bursche? Wer sind Sie?
LÖWENKLAU.
Ein Löwenklau in dieser hohlen Welt;
Ständ' ich in einer markigern, so wär' ich
Vielleicht der Löwe selbst, ein Owen Glendower.
WITTE.

Ihren Paß. Löwenklau reicht ihm den Paß. Ja, so wahr ich lebe! Löwenklau. Guter Gott, was giebt es doch für Menschen in deiner Welt! Löwenklau! Nun, ein Polizeidirector ist doch gewissermaßen auch nur ein Mensch, das muß mich trösten. – – Sie haben ein Trauerspiel geschrieben?

LÖWENKLAU.
Ha! Friedensrichter, Schaal und schaaler Richter,
Les't Ihr so schwarzen Greul auf meiner Stirn?
Wer wagt's zu dichten noch ein Trauerspiel,
Da William hat gedichtet? Schmach und Hohn
Und Untergang dem Wager solchen Frevels!
Aefft Salmoneus den Donner Jovis nach,
Büß ewig er dafür im Erebus!
WITTE
für sich.

Der Mensch ist offenbar verrückt, und weiß daher auch wohl seinen rechten Namen nicht. Ja [196] so, der Paß. Zu Löwenklau. Wenn Sie aber kein Trauerspiel geschrieben, warum haben Sie denn gedroht, die Frau Baronin des Trauerspiels wegen todt zu schlagen?

LÖWENKLAU.
Trotz der Baronin! Schmach der Cressida!
Wo kamen Jacobs bunte Lämmer her?
Den Shakspeare lesen, sollte Tag und Nacht
Der Weiber Arbeit sein: so würd' am End'
Erzielt ein shakspearsch-lebensvoll Geschlecht.
Die Regan aber lästert dies Geschlecht,
Und weil sie schmäht den Schöpfer im Geschlecht,
So schlag ich sie, und alle die so schmäh'n;
Ja, wie Prinz Heinz den Oberrichter schlug,
So, lästert Ihr den William, schlag' ich Euch!
WITTE.

Alle tausend Donnerwetter! Mich, den Stadtdirector? Wart, Bursche, ich will Ihn Mores lehren. Wir haben Hand- und Fußschellen, wir haben Thürme, finstre Thürme voll Ratten. Wart! Er soll fühlen, daß Er in meine Klauen gefallen ist! Er Löwenklau!

5. Auftritt
[197] Fünfter Auftritt.
Vorige. Schönburg ist während des Letzten eingetreten.

SCHÖNBURG.
Guten Abend, Herr Director.
WITTE.
Ergebenster – – –
SCHÖNBURG
stellt sich, als ob er Löwenklau plötzlich erkenne, und wirft sich ihm an den Hals.

Mein theurer junger Freund, sein Sie mir von Herzen gegrüßt. Aber um des Himmels willen, wie kommen Sie hier her?

LÖWENKLAU.
Was? wollt Ihr Flöte spielen, Güldenstern?
SCHÖNBURG.

Ja! ja! es ist ein goldener glücklicher Stern, der uns zusammenführt. Er umarmt ihn, und sagt ihm dabei heimlich. Ich will Sie frei machen junger Freund. Laut. Sagen Sie mir, Theuerster wie befindet sich Se. Excellenz der Herr Minister, Ihr verehrungswürdiger Oheim? Ist Ihre huldreiche Tante, die Frau Generalin Excellenz noch in hohem Wohlsein? O wie verlangt mich, diese Trefflichen wieder zu sehen! Er zieht den höchst erschrockenen Director bei Seite. Sagen Sie mir um Gottes willen, [198] was haben Sie mit dem jungen Mann vor? Sie haben ihn verhaften lassen, den leiblichen Schwestersohn des Polizei-Ministers und der einflußreichen Generalin Stromeck?

WITTE.
Gott kennt mein Herz, und weiß daß ich nichts davon wußte. Die Frau Baronin – –
SCHÖNBURG.

Ich weiß alles. Eine heillose Geschichte! Aber meiner Nichte wird ja anders zu helfen sein. Wollen Sie sich deswegen die härtesten Verweise zuziehen, ja, Ihr Amt aufs Spiel setzen? Guter Gott! ich sehe Sie schon abgesetzt.

WITTE.

Ich beschwöre Sie, sehen Sie mich nicht abgesetzt. Rathen Sie mir, würdigster Gönner, was soll ich thun?

SCHÖNBURG.
Sich mit dem jungen Mann versöhnen, ihn sogleich frei lassen.
WITTE.

Sogleich. Er nähert sich Löwenklau. Gnädiger Herr, wenn irren menschlich ist, und wenn ein hohes Ministerium christlich-billigerweise nicht verlangen kann, daß ein Stadtdirector für 800 Thaler [199] jährlich mehr als ein Mensch sein soll, so ergiebt sich, daß auch ein Stadtdirector irren kann, und sein Irren nicht minder als jedes andere verzeihlich ist. Ich bitte Sie meines Irrthums wegen untertänigst nm Verzeihung. Ihre Freiheit zu beschränken ist mir nie eingefallen. Gott behüte eine Freiheit zu beschränken, von der man so trefflichen Gebrauch macht! Wenn Sie noch morgen unserer Stadt Ihre schätzbare Gegenwart gönnen, so bitte ich mir die Ehre aus, Sie morgen auf eine Mittagssuppe – –

LÖWENKLAU.
Ha Caliban! Du scheußlich Ungeheuer!
Da du entstandst, war schläfrig die Natur,
Und nahm 'ne Masse, zu 'nem Vieh bestimmt,
Und warf sie gähnend in die Menschenform.
Was redest von Irrthum Du? Du bist ein Irrthum;
Und könnt ein Irrthum irren, Wahrheit gäb's;
Du bist mit Lügenschmutz nur angethan:
Drum Hohn und ew'ge Schmach Dir Caliban!
WITTE.

Sehr wohl; haben Sie nur die Gewogenheit mich Sr. Excellenz, dem verehrungswürdigsten Herrn [200] Oheim, und andern verehrungswürdigsten hohen Anverwandten untertänigst zu empfehlen.


Während dieser Rede reicht Löwenklau Schönburgen die Hand und geht dann, von Witten bis an die Thür begleitet, gravitätisch ab.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Schönburg. Witte.

WITTE.
Gott sey gelobt! O, wie viel Dank bin ich Ihnen schuldig – – –
SCHÖNBURG.
Halt! der Dank kommt zu früh.
WITTE.
Sie erschrecken mich. Wie so?
SCHÖNBURG.
Sie sehen wohl, der junge Mensch ist ein Tollkopf.
WITTE.
Ja, wenn er nicht der Neffe eines Ministers wäre, man könnte ihn für verrückt halten.
SCHÖNBURG.

Unter uns! ich glaube, er ist es bisweilen: ich könnte Ihnen Unglaubliches davon erzählen. Jetzt ist er, vielleicht nicht mit Unrecht, wüthend auf [201] meine Nichte; ich kann mich aus guten Gründen durchaus nicht darein mischen. Weiß Gott, was geschehen wird.

WITTE.

Ach Himmel! ich fürchte mich grade nur vor dem, was geschehen wird; sonst weiß ich nichts von Furcht.

SCHÖNBURG.

Ich höre, es kommt noch diesen Abend ein Trupp reisender Studenten nach. Wenn sie nun in der Nacht das Haus meiner Nichte angreifen? Was thun denn Sie?

WITTE.
Ja, was thue ich unglückseliger Director?
SCHÖNBURG.

Legen Sie sich darein, so ist die Frage, ob Sie stark genug sind, die Tollköpfe zu bändigen? und gelingt es Ihnen auch, was wird die Generalin, was wird gar der Minister dazu sagen? Verhalten Sie sich ruhig, und es geschieht ein Unglück, wen wird man beim Kopfe nehmen? Wiederum Sie.

WITTE.
Guter Gott! mußtest du das über mich und meine Stadt verhängen?!
SCHÖNBURG.

Es thut mir herzlich leid, daß ein so trefflicher [202] und pflichtgetreuer Mann in solche Verlegenheit gerathen soll, und obendrein meiner Nichte wegen. Ich kann nichts thun, aber wissen Sie was, gehn Sie zu ihr, sagen Sie ihr, ohne mich zu erwähnen, was zu fürchten steht, machen Sie ihr begreiflich, daß Sie nicht hinreichenden Beistand gewähren können, und bitten Sie sie, noch diesen Abend auf ihr nächstes Gut zu reisen. Sie giebt gewiß nach.

WITTE.
Ja, das will ich, auf der Stelle. Dank tausend Dank, mein würdiger Gönner, für Ihren Rath. Ich gehe.
SCHÖNBURG.
Gute Verrichtung!

Schönburg geht durch die Mittelthüre ab; Witte, nachdem er ihn bis dahin begleitet, ins Nebenzimmer.

Verwandlung.


Wohnung der Baronin.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Baronin kommt aus dem Nebenzimmer, Sophie folgt.

BARONIN.

Schweig! um Gottes willen, schweig! Du wirst mich noch anstecken mit deiner Raserei. Feuer gespien? Ist das nicht baarer Unsinn?

[203]
SOPHIE.

Ach, gnädige Frau, ob er grade wirklich Feuer gespien hat, will ich nicht beschwören, aber er hätte gewiß Feuer speien können, wenn er gewollt hätte. So ein gräßlicher Mensch. Er wurde immer größer, je länger er sprach; und ich denke, zuletzt wuchs er schon über die Bäume hinaus. Er sprach von nichts als von Mohren und Dämonen, von Mord und Todtschlag. Gott! Gott! was soll aus uns werden! Es ist gewiß eine ganze Bande, und die Beiden schlichen nur hinter dem Garten herum, um die Gelegenheit auszuspähen.

BARONIN.

Du hast Recht – das ist sehr wahrscheinlich. Welch ein Unglückstag! – Auf den Director ist nicht zu rechnen. Schicke nach Till, – ich muß ihn sprechen.

SOPHIE.
Ich will nach ihm schicken. Aber das ist nicht der rechte Helfer: ich kenne einen bessern.
BARONIN.
Wen?
SOPHIE.
Als ich vom Director kam, sah ich im Schwan am Fenster den Herrn Baron von Riedberg.
[204]
BARONIN.
Riedberg? – Wunderbar!
SOPHIE.

Ihm müssen Sie sich anvertrauen; er wird Sie vertheidigen, bis zum letzten Blutstropfen; er wird sein Leben für Sie lassen.

BARONIN.

Ich glaube selbst: – aber – es ist unmöglich. Womit könnte ich ihm diesen Dienst vergelten? womit, als mit der Erfüllung seines Wunsches? ja, mich seinem Schutze anvertrauen, hieße, ihm ein feierliches Versprechen geben.

SOPHIE.
Nun, das sollen Sie ja auch, gnädige Frau.
BARONIN.
Nimmermehr. Mein Leben ist Höherem geweiht.
SOPHIE.

Heiliger Himmel! Menschenfresser und Seelen-Verkäufer stellen Ihnen nach, und Sie wollen sich einem Manne nicht anvertrauen, der Sie von ganzem Herzen und von ganzer Seele liebt, und der Ihnen doch auch nicht gleichgültig ist?

BARONIN.
Wer sagt das?
SOPHIE.

Ach, liebe gnädige Frau, wie sollte unsereins [205] das nicht merken? Nicht wahr, ich darf ihn her bitten lassen?

BARONIN.
Nichts mehr davon! Es ist unmöglich!
SOPHIE.

Unmöglich? Nun wenn Sie nicht reden wollen, so will ich reden. Ich gehe jetzt zu ihm, und entdecke ihm Ihre Noth, ich bitte ihn um Hülfe.

BARONIN.
Unverschämte! dann komme mir nie wieder vor die Augen.
SOPHIE.
Auch das. Aus mir mag werden, was da will; Sie sollen aber nicht Verderben.

Sie will gehen.
BARONIN
sie haltend.

Höre, Sophie, gutes Mädchen. Wolltest Du mir diesen tödtlichen Gram verursachen? Ich habe ich doch immer geliebt; dich mehr als Freundin, denn als Dienerin behandelt, Dich, wenn Du krank warst, eben so treulich gepflegt wie Du mich –

SOPHIE
wirft sich weinend in ihre Arme.
Ja, das haben Sie. – Helfe uns Gott!

Ein Bedienter tritt in.
[206]
BEDIENTER.
Der Herr Baron von Riedberg – – –
BARONIN
leise.

O Himmel! Laut. Führe ihn hierher, und bitte ihn, einen Augenblick zu verziehn. Der Bediente geht. Ich muß mich sammeln.

SOPHIE.
Ach, liebe gnädige Frau, überwinden Sie –
BARONIN.
Um Gottes willen, schweig!

Sie geht in Nebenzimmer, Sophie folgt. Bald darauf tritt ein.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
DER BARON.

Ich habe den Ueberblick über das Ganze unsers Spiels verloren; aber ich fürchte, der Alte will es muthwillig verlängern, weil es ihn ergötzt. Die Liebe denkt anders; das Herz verdammt dies Spiel mit der Geliebten, ob es auch der Verstand als zweckmäßig billigt. Je weiter wir es treiben, desto schwerer wird die Vergebung. O möchte sie sich mir jetzt anvertrauen, und jeden weitern Schritt überflüssig machen.

9. Auftritt
[207] Neunter Auftritt.
Der Baron. Die Baronin kommt zurück.

BARONIN.

Willkommen, Herr Baron. Welch eine Ueberraschung, Sie hier zu sehen! Wollen Sie nicht gefälligst Platz nehmen? Wie haben Sie denn den Sommer zugebracht?

BARON.
Ich kann nicht sagen heiter, auch erwarten Sie wohl diese Antwort nicht, meine Gnädige?
BARONIN.
Ich meinte, wo?
BARON.

Auf meinen Gütern, gnädige Frau. Jetzt führt eine notwendige Reise mich hier durch. Ich fand Ihren verehrungswerthen Oheim, und von ihm erfuhr ich, daß auch Sie hier wären. Auf ihn also fällt ein Theil der Schuld, daß ich Ihre den Musen geweihte, so schöne Früchte bringende Einsamkeit störe.

BARONIN.
Wie, Herr Baron, auch hier Schmeicheleien? –
BARON.

Schmeichelei? Es wäre betrübend für mich, wenn Sie das wirklich glaubten, gnädige Frau: [208] Sie hätten es dann nie der Mühe werth geachtet, in der längern Zeit, wo ich das Glück Ihres Umgangs genoß, auch nur einen prüfenden Blick auf ich zu werfen.

BARONIN.

Thue ich Ihnen Unrecht, so ist es Ihre Schuld, denn Sie verläumden sich selbst durch Ihre galanten Wendungen.

BARON.
So mögen die Wendungen erscheinen, wenn der Verstand die Worte des Herzens auslegt.
BARONIN.

Das müssen Sie meiner Beschäftigung zuschreiben, wo auch im Augenblicke der Begeisterung doch der Verstand die Zügel halten muß.

BARON.
Darf die Welt hoffen, bald wieder ein schönes Geschenk von Ihnen, gnädige Frau, zu empfangen?
BARONIN.
Ein Geschenk, – es mag sein; aber ob ein schönes – –
BARON.

Wie anders? Die Musen sind Ihnen die höchste Gunst schuldig, als Entschädigung für den Genuß, den Sie ihnen aufopfern.

[209]
BARONIN.
Einen Genuß?
BARON.
Sollte es für ein Herz, wie das Ihre, kein Genuß sein, Andere zu beglücken?
BARONIN.

Beschränktheit ist einmal des Menschen Loos. Wir sind zu klein, um mehr als einen Wirkungskreis auszufüllen, und, zur Wahl gezwungen, wählen wir natürlich den, zu dem wir uns am meisten berufen fühlen.

BARON.
Es heißt zwar, daß man auch im Gebiete der Kunst auf Dornenpfade stoße.
BARONIN.
Vielleicht; und wenn auch. Wir Frauen kommen gewiß leichter darüber weg, weil wir leiser auftreten.
BARON.
Sie sind aber auch zarter und daher leichter zu verwunden.
BARONIN
verlegen.
Allerdings.
BARON.

Und um wie viel schmerzlicher muß jedes Leiden in einem Lebenskreise sein, wo der Mensch durchaus [210] allein steht, nur allein stehen kann. O! gnädige Frau, ich wünschte, Sie wären in irgend einer Verlegenheit, ja, in einer Gefahr, daß ich Ihnen beweisen könnte, für Sie zu handeln, Sie zu vertheidigen, zu beschützen, sei das höchste Glück meines Lebens.

BARONIN.

Ich glaube es Ihnen, lieber Baron, und erkenne gewiß dankbar Ihre freundschaftliche Gesinnung, die auch genügend Ihren sonderbaren Wunsch erklärt. Doch dem Himmel sei Dank, ich bin weder in Verlegenheit noch in Gefahr.

BARON.

Nicht? – In der That – ich glaubte. Ihr Oheim ließ einige Worte fallen – nannte einen gewissen Löwenklau –

BARONIN
sehr verlegen.
Wie? mein Oheim? Ist es möglich?
BARON.
Leider schien er von der Sache selbst nur wenig unterrichtet.
BARONIN
sich mit Gewalt sagend und zum Lachen zwingend.

Natürlich! wie könnte er es auch mehr sein. Das Ganze ist weiter nichts, als eine unschuldige. Mystification, die ich mir mit dem streitsüchtigen [211] Oheim erlaubt habe. Ich schreibe nämlich ein kleines Lustspiel, worin dieser Löwenklau die Hauptperson ist.

BARON.
Ein Lustspiel?
BARONIN.

Allerdings, und da es mein erster Versuch in dieser Art ist, so bin ich freilich in einiger Verlegenheit, ja in Gefahr gänzlich zu scheitern.

BARON.
Ein Lustspiel?
BARONIN.
Nun ja! Befremdet es Sie, Herr Baron? Trauen Sie mir es nicht zu?
BARON.
O gewiß – ganz zuverlässig. – Also ein Lustspiel? Es wird doch heiter endigen?
BARONIN.
Natürlich, es ist ja ein Lustspiel.
BARON.

Ein Lustspiel! Bei Seite. Alles vergebens!Laut. Gnädige Frau, ich will nicht länger stören, um so mehr, da ich noch diesen Abend weiter zu reisen gedenke. Es gewährt mir hohe Freude, Sie in so heiterer Stimmung gefunden zu haben, daß Sie[212] ein Lustspiel dichten können. Beehren Sie diesen Winter die Residenz wieder mit Ihrer Gegenwart, so werde ich dort das Glück haben, Ihnen mit allen Gebildeten zu huldigen.

BARONIN.
Sehr gütig, Herr Baron. Reisen Sie glücklich!

Der Baron empfiehlt sich und geht ab.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt.
DIE BARONIN
allein.

Nach einer kurzen Pause. Hätte ich nicht doch besser gethan – –? Sein Anerbieten war so innig – – Nein! nein! nein! – – Es ist wahr – mein Herz fühlt sich seltsam zu diesem Manne hingezogen – – Aber was ist das sogenannte Herz anders, als ein Inbegriff dunkler Vorstellungen? – Ich kenne die Sphäre des Lichtes – ich habe das bessere, höhere Theil gewählt: ich bleibe ihm treu.


Ein Bediente tritt ein.
BEDIENTE.
Der Herr Stadtdirector.
BARONIN.
Sehr angenehm.

Der Bediente geht ab, gleich darauf tritt ein.
11. Auftritt
[213] Eilfter Auftritt.
Witte. Die Baronin.

WITTE.
Die Frau Baronin werden verzeihen –
BARONIN.
Was bringen Sie mir für Nachricht?
WITTE.
Nachricht? Allerdings – gewissermaßen Nachricht.
BARONIN.
Ich höre an Ihrem Tone, daß es keine erfreuliche ist.
WITTE.
Ach gnädige Frau, wo sollte ein Stadt- und Polizeidirector etwas Erfreuliches hernehmen?
BARONIN.
Zur Sache, wenn ich bitten darf.
WITTE.

Aufzuwarten. Aus inniger Hochachtung für Sie, gnädige Frau, und Ihren höchst würdigen Herrn Onkel, habe ich in Betreff des bewußten Löwenklau Nachforschungen angestellt, und es hat sich wirklich ein solcher vorgefunden.

BARONIN.
Daß ließ sich denken, und Sie sehen nun, daß er wirklich existirt.
[214]
WITTE.

Erlauben Sie, gnädige Frau, Sie scheinen geneigt, daraus zu schließen, ich hätte mich vorhin, als ich sein Dasein verneinte, unziemlicher Weise geirrt; das wäre aber ein gewaltiger Fehlschuß. Sein Dasein in der Welt überhaupt habe ich mit nichten geleugnet, sondern nur seine Existenz für unsere Stadt, und darin hatte ich Recht; denn für diese existirt er erst seit einer Stunde, wo er sie betreten hat.

BARONIN.
Sehr wohl! sehr wohl! Haben Sie ihn gesprochen, zurecht gewiesen, verhaften lassen?
WITTE.
Ich habe ihn allerdings vorladen lassen.
BARONIN.
Nun? nun?
WITTE.

Nun? Ja, gnädige Frau, Gott läßt seine Sonne scheinen über Gute und Böse, sonst hätte diesen Löwenklau wohl nie ein Sonnenstrahl getroffen.

BARONIN.
O mein Gott!
WITTE.

Ja, das sage ich auch: denn es ist ein wahrhaft gräßlicher Mensch, ein Mensch, der – der –[215] wie beschreibe ich ihn doch gleich? Ja – ich weiß nicht, ob die Frau Baronin jemals meinen einäugigen Polizeisoldaten Jobst gesehen haben, wenn er an einem Sonn- oder Festtage betrunken ist?

BARONIN.
Niemals! Niemals!
WITTE.

Recht. Wie sollten Sie auch? Nun ich kann Sie versichern, der Jobst ist in diesem Zustande der leibhaftige Satan; aber gegen den Löwenklau ist er rein nichts, eine stille Seele, ein wahres Schaaf.

BARONIN.
Gerechter Himmel! Sie haben ihn doch festsetzen lassen?
WITTE.

Erlauben Sie, gnädige Frau das geht so schnell nicht. Man kann ihm doch eigentlich kein Vergehen zur Last legen. Drohungen – unbestimmte Drohungen – die sind kein hinlänglicher Grund. Es blieb mir also nichts weiter übrig, als ihn mit einem Verweise zu entlassen.

BARONIN.
Wie? mit einem Verweise? – –
WITTE.

Ja, den hat er derb bekommen. Ich trat mit[216] der ganzen Würde meines Amtes vor ihn, und sagte: O Kannibal! Du scheußlich Ungeheuer!

BARONIN.
Gut! gut! Aber was sind Sie nun entschlossen zu thun?
WITTE.

Zu thun? Gar nichts, gnädige Frau. Es ist eine grundböse Geschichte. Diesen Abend kommt die ganze Bande reisender Studenten an, zu der Löwenklau und sein Begleiter gehören. Da nun diese beiden schon um Ihren Garten herumgeschlichen sind, so fürchte ich einen nächtlichen Angriff –

BARONIN.
Ich beschwöre Sie, ergreifen Sie Maaßregeln.
WITTE.

Ach, gnädigste Frau! – Ich habe alles in allem sieben Polizei-Soldaten, aber es ist keiner darunter, dem nicht irgend ein Glied, z.B. ein Fuß, ein Arm, ein Auge u.s.w. fehlte, so daß, wenn ich die noch vorhandenen Gliedmaaßen der sieben zusammen zähle, nicht mehr als drei vollständige Menschen heraus kommen. Was soll ich also für Maaßregeln ergreifen?

BARONIN.
Die Bürgerschaft aufbieten.
[217]
WITTE.

Das dürfte ich nur im höchsten Nothfalle, und ehe die Bürger dann zusammen kämen, könnte schon alles erdenkliche Unglück geschehen sein.

BARONIN.
Sie sehen, wie dringend die Gefahr ist, und wollen nichts thun?
WITTE.

Die Gefahr ist dringend – höchst dringend, aber thun kann ich nichts, gnädige Frau, als Ihnen einen Rath geben. Ihr nächstes Gut liegt nur zwei Stunden von hier. Es ist ein so lieber freundlicher Herbstabend, und – ach –! was geht über den Genuß der schönen Natur! Wie wäre es, wenn Sie sich in den Wagen setzten, und durch den höchst angenehmen Kiefernwald hinausführen? So wären wir beide aller Sorge und Angst überhoben.

BARONIN.
Und das ist alles, was – – –
WITTE.

Weiß Gott, alles. Ich bitte Sie, gnädige Frau, ja ich flehe Sie an, um Ihres eigenen Heiles willen, meinem Rathe zu folgen.

BARONIN.
Ich werde es überlegen.
[218]
WITTE.

Wollte Gott, ich hätte ein Gut! wie gern würde ich hinaus fahren Wenn Sie erlauben, gnädige Frau, so empfehle ich – – – –

BARONIN.
Nach Belieben! nach Belieben, mein Herr. Leben Sie wohl!

Witte empfiehlt sich und geht ab.
12. Auftritt
Zwölfter Auftritt.
DIE BARONIN
allein.

Himmel! was fange ich an? – Welch ein unerhörtes Ereigniß, – es verwirrt meine Gedanken. – Mußte ich grade auf solch ein Ungeheuer stoßen? – Was beginnen? – Den Onkel – – oder den Baron – – Nein! nein! – Fliehen – er hat Recht, – fliehen ist doch wohl das Beste.

13. Auftritt
Dreizehnter Auftritt.
Die Baronin. Till sieht zur Thüre hinein.

TILL.
Ist es vergönnt?
BARONIN
heftig erschreckend.
Gerechter Gott!
[219]
TILL.
Ich bin es, gnädige Frau. Sie haben befohlen – –
BARONIN.
Ach! Sie sind es? – Ja, ich wollte Sie sprechen.
TILL.
Der Director ging eben von Ihnen. Hat er sich endlich dazu verstanden, seine Pflicht zu thun?
BARONIN.

Er? was weiß er von Pflicht. O über dies Geschlecht von Feiglingen und Thoren, bei denen eine bedrängte Frau vergebens Hülfe sucht! Ich will mich furchtbar darüber aussprechen in meiner nächsten Schrift.

TILL.
Ach, gnädige Frau. Die nächste Schrift ist nicht so nahe, wie die nächste Gefahr.
BARONIN.
Sie glauben also wirklich an Gefahr?
TILL.
Ich glaube nicht nur, ich schaue! Ach, wenn ich jener Aeußerung des Entsetzlichen gedenke – –
BARONIN.
Welcher Aeußerung? Reden Sie.
TILL.

Als ich bemerkte, daß Sie die verlangte Erklärung [220] mir geben würden, erwiderte er teuflisch lachend: Sie wird mehr thun, wenn sie erst in meiner Gewalt. Also eine Entführung –––

BARONIN.

Allmächtiger – In der Gewalt dieses Bösewichts! – Warum verschwiegen Sie nur – ich hätte doch die Erklärung – – –

TILL.

Die hätten Sie nie gegeben. Wer einmal, wie Sie, heimisch ist in der höhern Welt der Geister, den kann die niedere irdische Furcht nicht mehr überwältigen.

BARONIN.

Sie haben Recht. Aber es ist Pflicht zu thun, was die Klugheit gebietet; ich will fort, auf das entfernteste meiner Güter: dort, in der Mitte meiner Unterthanen, die mich lieben, bin ich sicher.

TILL.
Aber auch auf der Reise? Wenn er Sie nun unterwegs anfiele?
BARONIN.
Wie sollte er es erfahren? Noch diesen Abend reise ich ab. Sind Sie mein Freund?
TILL.
Meiner hohen Gönnerin getreuer Knecht bis in den Tod.
[221]
BARONIN.

Ich will heimlich abreisen. Besorgen Sie mir in aller Stille einen Miethswagen. Der Kutscher darf nicht wissen, wen, noch wohin er fährt. Sobald es dunkel geworden, bringen Sie ihn in das Wäldchen hinter meinem Garten. Ich nehme niemanden mit, als Sophie, und zu größerer Sicherheit legen wir Mannskleider an. Sie schicken mir in einigen Tagen meine Leute und meine Sachen nach.

TILL.

Ihr Plan, gnädige Frau, ist nicht ohne Gefahr, weder für Sie, noch für mich. Doch es koste, was es wolle. Sie müssen von geistiger oder leiblicher Schmach gerettet werden, und ich sehe kein anderes Mittel.

BARONIN.
Kann ich auf Ihren Beistand rechnen?
TILL.
Wie auf Ihren eigenen Muth.
BARONIN.
So lassen Sie uns keine Zeit verlieren.
TILL.
Ich eile: alles soll zur rechten Zeit besorgt seyn.
BARONIN.
Sie sollen keine Undankbare an mir finden: ich [222] liefere Ihnen von nun an jeden Monat eine Recension.
TILL.
O überschwänglich reiche Vergeltung!
14. Auftritt
Vierzehnter Auftritt.
DIE BARONIN
allein.

O magische Kraft des Geistes! Was fesselt diesen Mann so eng an mich, daß er, die eigene Gefahr vergessend, einzig der Sorge für meine Rettung sich hingiebt? Was anders, als die erhabene Natur? So unterjocht, ohne es zu wollen, der höhere Geist überall den niederen, und lenket, selbst über dem Leben stehend, dennoch durch seinen unsichtbaren Einfluß den Lauf des Lebens.Ab.

4. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
LUCHS
kommt die Treppe herab.

Na, die sind gut aufgehoben und wenn sie sonst wollen, können sie recht fürstlich auf dem Heu schlafen. Es wäre doch ganz unchristlich gewesen, wenn ich die armen jungen Leute nicht eingenommen hätte, verirrt hatten sie sich, müde waren sie, und finster ist es auch schon. Man soll schon aus christlicher Liebe die Reisenden beherbergen, wie vielmehr, wenn man einen Thaler, Er zieht in Thalerstück aus der Tasche. so einen blanken Thaler zu kriegt; denn ich sage immer: ein Thaler ist ein Thaler, und zu allen Dingen nütz. Freilich, wenn es der gnädige Herr erführe – er hat mir sagen lassen: ich sollte allein zu Hause sein, er würde mit etlichen Herren kommen. Na, wie sollte er es [224] denn erfahren? Den lieben jungen Herrn habe ich es auf die Seele gebunden, sich nicht zu rühren, und lange wird doch der gnädige Herr hier nicht bleiben.

2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Luchs. Schönburg und Horst in Reisemänteln treten ein.

SCHÖNBURG.

Guten Abend. Zu Horst. Jetzt, lieber Horst, sind wir auf meinem Grund und Boden, und diese Figur hier ist mein Waldhüter oder Waldgeist, Luchs.

LUCHS.
Ja, der alte, ehrliche Luchs.
SCHÖNBURG.

Alt bist Du, ein Luchs bist Du nicht, und Deine Ehrlichkeit wird erst am jüngsten Tage offenbar werden. Jetzt gehe hinaus, und passe am Wege auf. Es wird von der Stadt her ein Wagen mit zwei Herren kommen. Sollte hier in der Nähe etwas an dem Wagen brechen, so führe die beiden Herren hierher, aber ohne ein Wort von uns zu sagen, hörst Du? Wenn das geschehen ist, lässest Du Dich nicht weiter blicken.

[225]
LUCHS.
Sehr wohl. Er geht ab.
SCHÖNBURG.
So weit wären wir denn glücklich.
HORST.
Möge uns das Glück auch bis zum Schlusse begünstigen.
SCHÖNBURG.

Wie sollte es nicht? Meine Nichte muß gleich hier fein; Sie geben das Vorspiel; je kräftiger, desto besser; sobald Till ankommt, treibt er die Sache auf die Spitze, zum Schlusse erscheint Ihr Bruder als verirrter Reisender dort am Fenster, wird zum Ritter angenommen, bringt Rettung und Alles ist richtig!

HORST.

Läßt sich eine so geistreiche Frau auf diese unglaubliche Weise hinter Licht führen, so ist es ein Wunder.

SCHÖNBURG.

Nichts als Natur, reine Natur. Sie kennt das wirkliche Leben etwa so, wie wir das Innere von Afrika. Das ärgert mich grade, daß eine so junge Personage, die ihre Welt- und Menschenkenntniß nur aus Theezirkeln, Assembleen, Badeparthien [226] und Romanen geschöpft hat, sich hinsetzt und ein Stück Welt nachschaffen will.

HORST.
Mich dünkt, ich höre sie kommen.
SCHÖNBURG.
Wahrhaftig! Schnell fort! daß wir ihnen nicht in den Wurf kommen.

Sie gehen ab; bald darauf erscheinen.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Die Baronin und Sophie in Mannskleidern und Reisemänteln.

BARONIN.

Unseliger Zufall! daß grade hier etwas brechen mußte. Hätten wir nur den Ort erreicht wo die Wege sich scheiden, so wäre die Verfolgung schwieriger geworden.

SOPHIE.

Gott im Himmel! mußte es so weit kommen? eine liebe gnädige Frau, eine so berühmte Dichterin, jetzt flüchtig, bei Nacht und Nebel im Walde, wo uns Räuber erschlagen, Wölfe fressen, Gespenster erdrosseln können!

BARONIN.
Tröste Dich, mein gutes Mädchen! Dergleichen Schicksalswechsel kommt in den besten Romanen vor.
[227]
SOPHIE.

Ach! hätten Sie sich nur dem Baron von Riedberg anvertraut Er hätte es für Sie mit der ganzen Welt aufgenommen.

BARONIN.
Ich glaube, ja, ich weiß es. Doch, es war unmöglich.
SOPHIE.
Oder, hätten Sie die Erklärung – – –
BARONIN.

Auch Du? O, ich fühle es immer mehr, wie hoch mich der Schöpfer über alles gestellt hat, was mich umgiebt. Aber ich will mich auch dieses Vorzugs würdig zeigen, und muthig meinem Schicksale entgegen gehen, sei es Leben oder Tod.

SOPHIE
weinend.

Ach, liebe gnädige Frau, sprechen Sie doch nicht so. Weinen Sie lieber mit, es wird einem nur schwerer, wenn man sich zurückhält. Warum wollen Sie sich vor mir Zwang anthun. Ich sehe es ja wohl, Sie sind selbst vor Angst halb todt, blaß wie eine Leiche; Ihre Stimme zittert.

BARONIN.

Ich glaube es selbst. – Ja, ich will es Dir nicht leugnen, meine treue Gefährtin im Unglück, ich fürchte mich entsetzlich. Es ist nicht meine[228] Schuld, sondern die Schuld meiner reizbaren Nerven, meiner zu lebhaften Phantasie. Aber mein irdisch Theil soll nicht siegen über meinen Geist.

SOPHIE.
Ach! ich mache meinem irdischen Theil niemals den Sieg streitig, es führt doch zu nichts –

Stimmen und Tumult draußen.
BARONIN.
Gott! was ist das?
SOPHIE.
Himmel! das sind sie! Lassen Sie uns fliehen.
BARONIN.

Es ist ja nur ein Ausgang hier – unmöglich –, und meine Kraft ist hin. – Vielleicht erkennen sie uns nicht, und wenn – liebe Sophie – gieb Du Dich für die Baronin aus.

SOPHIE.
Ich? Ach, liebe gnädige Frau! ein Mädchen läuft doch mehr Gefahr als – – –
BARONIN.
Wankt Deine Treue schon?
SOPHIE.
Nein! nein! In Gottes Namen, was auch geschehe.
[229]
BARONIN
sie umarmend.
Gutes, treues Mädchen, in meiner nächsten Erzählung will ich Dich verherrlichen.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Horst tritt ein, bewaffnet und verlarvt.

HORST.
Mordelement, guten Abend, meine Herren!
BARONIN
mit männlicher Stimme wie alles Folgende.
Gleichfalls.
HORST.
Sie haben Ihren Wagen zerbrochen?
BARONIN.
Leider.
HORST.
Haben Sie nicht einen Wagen mit Frauenzimmern gesehen?
BARONIN.
Einen Wagen wohl; ob mit Frauenzimmern, weiß ich nicht: es war schon dunkel, und sie fuhren schnell.
HORST.
Hölle und Teufel! das ist sie gewesen!
BARONIN.
Sie reisen also einer Frau nach?
[230]
HORST.
Mordelement! wir setzen ihr nach.
BARONIN.
Vermutlich ihrem Manne oder ihren Aeltern entflohen?
HORST.

Bewahre! sie hat weder Vater noch Mutter, noch Mann noch Kind: kurz und gut, es ist eine Schriftstellerin.

BARONIN.
Eine Schriftstellerin? der setzen Sie nach?
HORST.
Ja wohl! Ein Freund auf den wir hier warten, will ihrer habhaft werden, um sie zu züchtigen.
BARONIN.
Züchtigen? eine Dame?
HORST.

Was da! was da! Wenn eine Frau den Degen oder die Autorfeder zur Hand nimmt, so hat es sich ausgedamt. Sie hat eine niederträchtige Recension gegen meinen Freund geschrieben.

BARONIN.
Das ist ja ganz entsetzlich!
HORST.
Die Recension ist abscheulich, höllisch, boshaft.
[231]
BARONIN.
Ist es möglich?
HORST.
Und unglaublich dumm und albern.
BARONIN
mit ihrer natürlichen Stimme.
Das kann nur ein Dummkopf behaupten.
HORST
wüthend.

Dummkopf? Ich? Er zieht den Degen. Empört euch, Sterne! fallt herab Elemente! wenn ich mich nicht gräßlich räche. Heraus mit der Klinge! Herab mit dem Mantel. Wo ist Ihr Degen?

BARONIN.
Um Gottes willen hören Sie mich? Ich habe es nicht so gemeint.
HORST.

Was gemeint? Hier wird nicht gemeint, nur gehauen, gestochen, geschossen, geblutet. Sie sind ohne Degen. Er zieht Pistolen aus dem Gürtel, und dringt ihr eine auf. Nehmen Sie! Ich bin der Beleidigte: habe den ersten Schuß. Stellen Sie sich! Ein Vaterunser! Die Seele Gott empfohlen! Es geht schnell.

BARONIN
indem sie die Pistole fallen läßt.
Halten Sie ein! Ich bin kein Mann, bin die Baronin von Fliedershausen.
[232]
HORST.

Mordelement! Gnädige Frau, da muß ich meiner barschen Reden wegen um Verzeihung bitten. Aber das kommt davon, wenn die Damen Männer spielen.


Geschrei und Tumult draußen.

Das ist Löwenklau. Er eilt hinaus.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Baronin. Sophie. Dann Löwenklau und Ritter.

BARONIN.
O weh! weh! Sie setzt sich erschöpft auf einen Schemel.
SOPHIE.
Ach Gott! hätten Sie sich nur dem Baron –
LÖWENKLAU
tritt aus der Kammer auf die Vortreppe.
BARONIN.
Du hast Recht – wäre er hier – mit Freuden –
LÖWENKLAU.
Wer wagt es hier noch Löwenklau zu sein?
Und was will Fliederthee im Mannsrock hier?
SOPHIE
neben der Baronin auf die Knie sinkend.
Gott erbarme sich unser! Da ist der Löwenklau!
[233]
BARONIN.
Entsetzlich Schicksal, wüthend schleuderst du
Von einem Schreckniß mich dem andern zu!
LÖWENKLAU
ist herabgestiegen.
RITTER
ist ebenfalls aus der Kammer getreten, und kommt während des Folgenden auch herab.
LÖWENKLAU.
Ha! Traum der Sommer- oder Winter-Nacht!
Vermummt in Kraft hier zwei Gebrechlichkeiten?
Ist's Königin Gertrud und Ophelia?
BARONIN
nebst Sophien aufstehend, für sich.

Gerechter Gott! er ist wahnsinnig. Nun ist mir alles klar. Laut zu Löwenklau. Herr von Löwenklau, ich kann nicht läugnen, daß ich die Recensentin Ihres »Atreus und Thyestes« bin. Vielleicht hat mich mein Eifer zu weit geführt, und, ist dies der Fall, so thut es mir herzlich leid. Hören Sie nur die Bitte einer wehr- und schutzlosen Frau. Lassen Sie sich die Unruhe und Angst genügen, die Sie mir schon verursacht haben.

SOPHIE.

Ja, gnädiger Herr, ich habe schon so viel vor Angst geweint, wie man mit dem besten Willen über ein Trauerspiel weinen kann.

[234]
RITTER
bei Seite.
Hilf Himmel! die sind verrückt!
LÖWENKLAU
zu Rittern.
Ha, Bruder Trinkulo! hat Williams Sturm
Uns auf das Eiland Prosperos geworfen?
Daß diese Dunst- und Spukgestalten hier,
Nicht Kön'gin Gertrud, nicht Ophelia,
Frau Hurtig nur und Dortchen Lakenreißer – –
RITTER
ihn zurückdrängend.

Ich bitte Dich, Löwenklau, lass' mich reden – Gnädige Frau, es muß hier ein Mißverständniß obwalten. Sie sprechen, als hätten wir die Ehre Ihnen bekannt zu sein.

BARONIN.

Und sind Sie es nicht allzu wohl? Haben Sie nicht den Commissionsrath Till und seinen Gehülfen grausam gemißhandelt, um meinen Namen zu erfahren? Haben Sie nicht mit blutiger Rache gedroht? nicht eine entehrende Erklärung von mir verlangt?

LÖWENKLAU.
Ha! wo sind Macbeths Hexen? Hexen her!
Es giebt 'nen Sabbath hier auf dürrer Haide.
RITTER.

Ich bitte Dich, schweig. Nein, gnädige Frau, [235] wir haben das alles nicht gethan, kennen auch keine von den Personen, deren Sie erwähnen. Für mich ist alles unbegreiflich, vielleicht aber vermögen Sie das Räthsel zu lösen, wenn Sie erfahren, was uns begegnet ist. Gegen vier Uhr Nachmittags kommen wir bei dem nächsten Städtchen an. Wir ruhten einige Augenblicke in einem Kastanienwäldchen aus, und fanden dort ein Mädchen, eine Kammerjungfer, die bei dem Namen Löwenklau in eine unglaubliche Angst gerieth.

LÖWENKLAU.
Ha! bei Othello, Hamlet, König John.

Auf Sophien zeigend.

Da steht das Nichts aus dem Kastanienwald.
RITTER.
Ja, beim Himmel!
SOPHIE.
Ach ja, gnädige Herren, ich bin es. Lassen Sie mich nur ein Nichts bleiben.
LÖWENKLAU.
Du sollst es bleiben, will Dich nicht vernichten,
Weil ein vernichtet Nichts ein Etwas wär'.
BARONIN
zu Rittern.
Ich bitte recht sehr, fahren Sie fort.
RITTER.

Wir wollten in der Stadt übernachten, aber[236] kaum hatten wir das Wirthshaus betreten, so wurde Löwenklau vor den Polizeidirector gefordert der mancherlei unbegreifliche Fragen an ihn richtete. Eben so unbegreiflich war das Erscheinen eines ältlichen Herrn, eines Unbekannten.

LÖWENKLAU.
Kein Unbekannter war's, 's war Güldenstern,
Und wo nicht Güldenstern, so Rosenkranz,
Und 'nen Minister lieh er mir zum Ohm.
RITTER.

Allerdings; Dadurch befreite er ihn aus den Händen der Polizei. Mein Freund, aufgebracht über dieses Ereigniß, wollte nun nicht in der Stadt bleiben; ich gab nach; wir kamen hierher. Für einen Thaler räumte uns der Waldhüter endlich jene Kammer ein. Kaum hatten wir uns zurückgezogen, so kam der Herr, den Löwenklau an der Stimme für seinen Befreier erkannte, und mit ihm ein gewisser Horst.

BARONIN.
Himmel! mein Onkel und der Herr von Horst.
RITTER.

Sie sind also vermuthlich die Nichte, von der die Rede war; Sie würden bald ankommen, hieß es; Horst sollte ein Vorspiel mit ihr spielen, ein [237] gewisser Till sollte die Sache aufs Aeußerste treiben, und endlich ein Baron als Retter am Fenster erscheinen.

BARONIN.

Der Baron? Till? mein Onkel? Horst? Himmel! jetzt besinne ich mich, Horst ist des Barons jüngerer Stiefbruder. Nun ist mir alles klar. Zu Löwenklau. Sie haben also den Atreus und Thyestes nicht geschrieben?

LÖWENKLAU.
Hat Shakspeare je von Menschenfraß geschrieben?
Und schrieb ich je, so schrieb ich Shakspear'n ab.
RITTER.
Ich kann auf meine Ehre versichern, daß mein Freund noch nie etwas geschrieben hat.
BARONIN.

Meine Herren. Sie haben mir zufällig einen höchst wichtigen Dienst erwiesen, und es ist Ihnen vielleicht angenehm zu erfahren, daß Sie diesen Dienst der nicht unbekannten Schriftstellerin Aurora Abendroth geleistet haben.

RITTER.
Wir schätzen uns sehr glücklich.
BARONIN.

Sie haben keine Undankbare verpflichtet. Sollten [238] Sie in Ihrer Laufbahn je des Beistandes bedürfen, so wird es mich freuen, wenn Sie sich an mich wenden, wie an eine Freundin, eine Schwester. Jetzt aber bitte ich Sie dringend, sich zu entfernen und verborgen zu halten, bis ich dieses Haus verlassen habe, dann aber über die Vorgänge dieses Tages das tiefste Schweigen zu beobachten. Versprechen Sie mir das?

RITTER.
Sie können darauf rechnen, gnädige Frau.
LÖWENKLAU
auf Sophien deutend.
Ist aber diese, Herrin, Eure Magd,
So seid ja Ihr's, die William hat gelästert.
BARONIN.

Ich Shakspearn gelästert? den großen Dichter, dem Keiner an Wahrheit und Tiefe gleich kommt? Ich bewundere ihn, ich bete ihn an.

LÖWENKLAU
mit ausgebreiteten Armen.
Komm! meine Tochter, komm, Cordelia,
Ans Herz des vielgekränkten Königs Lear.
BARONIN.
Zu Ihrer Tochter bin ich wohl zu alt. Sein Sie Laertes, ich Ophelia.
[239]
LÖWENKLAU
ihr die Hand reichend.
Leb Schwester wohl!

Auf die Kammer deutend.

Ich gehe nach Paris.
Leb wohl ist bitter; doch Willkommen, süß!

Er kehrt mit Rittern in die Kammer zurück.
BARONIN.
Mein Kopf glüht von diesen Träumen des Wahnwitzes.
SOPHIE.
Ach, gnädige Frau, ich weiß gar nicht, ob ich noch einen Kopf habe.
BARONIN.
Abscheulicher, schändlicher Verrath!
SOPHIE.
Hätte ich nur meine Thränen wieder, die ich so umsonst vergossen habe!
BARONIN.
Und grade von denen, die ich für die Treusten hielt, vom Baron, von Till. –
SOPHIE.

Ja, der abscheuliche Commissionsrath! Ich wünschte, er heirathete mich, wie wollt' ich ihm das Leben schwer machen.

BARONIN.

Guter Gott! wie konnte ich so thöricht sein? Wenn dieser Vorfall ruchbar wird, so bin ich verloren. [240] Und wird nicht die Kunde davon, bei der Berühmtheit meines Namens, den ganzen Kreis der Zeitschriften reissend durchlaufen, wie die Flamme die dürre Stoppel? Schreckliches Schicksal! Die gefeierte, beneidete Dichterin wird ein Gegenstand des Spottes und Hohnes; vielleicht sogar auf dem Theater dem Gelächter der Menge Preis gegeben.

SOPHIE.
Aber, gnädige Frau, Sie könnten sich ja nun stellen, als hätten Sie alles errathen.
BARONIN.

Was würde es helfen? Ich stehe allein; meine Behauptung wäre verdächtig. Dein Zeugniß ebenfalls – – Es gäbe ein anderes Mittel – – gewiß – – das hülfe. – Ich höre kommen, wahrscheinlich ist es Till.

SOPHIE
geht nach der Thür, Till tritt ein.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Vorige. Till.

SOPHIE.
Alle guten Geister!
TILL.

Ach, herzliebe Mademoiselle, ich wollte ich[241] wäre ein Geist, ich käme gewiß nicht wieder in dieses Jammerthal.

BARONIN.
Wie kommen Sie denn hierher?
TILL.

Ach, gnädige Frau, wir sind, Gott weiß wie, verrathen worden. Kaum hatte ich Sie im Wäldchen verlassen, so wurde ich aufgegriffen und mit verbundenen Augen in den Wagen neben den entsetzlichen Löwenklau geworfen.

SOPHIE.

Ach, Sie armer Commissionsrath! hätte ich doch nicht geglaubt, daß Sie hübsch genug wären, um entführt zu werden.

BARONIN.
Vermutlich kommen Sie als Löwenklau's Gesandter. Was bringen Sie mir?
TILL.

Es freut mich außerordentlich, Sie so gefaßt zu sehen. Er giebt ihr ein Papier. Diese Schrift enthält Löwenklau's Forderung.

BARONIN.

Auf dem Gipfel des Unglücks kehrt uns der Muth zurück. Lesend. Die schon geforderte Erklärung, noch mehr – wie? – Auf Ehre soll ich versprechen, [242] nichts mehr drucken zu lassen? Nimmermehr. Ich bin auf das Aeußerste gefaßt. Gehen Sie!

TILL.
Ach, gnädige Frau, bedenken Sie doch –
BARONIN.

Hier ist nichts zu bedenken, gehen Sie, und verkünden Sie meinen Entschluß. Komme, was kommen soll. Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude!


Till geht ab.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Baronin. Sophie.

SOPHIE.
O der Judas! wollte nur Gott, ich würde seine Frau!
BARONIN.

Ja, es ist der beste Ausweg: dem Oheim wird auf diese Weise sein Triumph entrissen, den andern Stillschweigen auferlegt, und mein Herz – – nun, es sagt Ja und Amen dazu. Sich zu Sophien wendend. Der Baron wird gewiß an's Fenster kommen; stelle Dich hin und mache auf, wenn er klopft.

[243]
SOPHIE
an's Fenster tretend.

Es ist abscheulich von ihm, aber ich dächte, Sie heiratheten ihn doch, wenn er auf den Knien um Verzeihung bittet.


Es wird an das Fenster geklopft, Sophie öffnet, der Baron steht davor.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
Vorige. Baron.

SOPHIE
thut als erschräke sie.
O Himmel!
BARON.

Erschrecken Sie nicht, meine Herren! Ich bin ein verirrter Reisender, der hier einen Wegweiser oder ein Nachtlager sucht.

SOPHIE
lachend.
Ach, gnädige Frau! der Herr Baron von Riedberg.
BARONIN
hinzu tretend.
Wahrhaftig. Es freut mich, lieber Baron, daß wir uns wieder treffen.
BARON
sehr verlegen.
Gnädige – Frau –
BARONIN.

Es spricht sich hier unbequem: wollen Sie sich [244] nicht gefälligst herein bemühen? der Eingang ist freilich nicht der schicklichste, doch muß ich bitten. Das Fenster ist groß genug, und wir helfen Ihnen. Sie reicht ihm die Hand, Sophie thut ein Gleiches und der Baron steigt höchst verwirrt zum Fenster herein. Nun, willkommen, lieber Baron! Sophie, einen Sessel! Sophie bringt einen zweiten Schemel. Darf ich bitten!

BARON
wie oben.
Entschuldigen Sie, gnädige Frau.
BARONIN.

Die Möbeln sind hier freilich einfach; doch das ist ländlich und romantisch. Sie scheinen erstaunt; was befremdet Sie?

BARON.
Wie? – Sie hier zu finden – im Walde – bei Nacht – in dieser entstellenden Kleidung.
SOPHIE.
Da muß ich doch gar sehr bitten, die Mannskleider stehen der gnädigen Frau recht hübsch.
BARONIN.

Und Sie sollten doch nicht darüber erstaunen, da Sie Mitarbeiter gewesen sind an dem Lustspiele, das wir aufführen.

BARON.
An dem Lustspiele?
[245]
BARONIN.

Allerdings. Ihr Plan war auch im Ganzen nicht übel, nur im Einzelnen haben Sie manchen Fehlgriff gethan. So mußten weder Sie noch Herr von Horst unter Ihren wahren Namen hier erscheinen, am allerwenigsten sich bei mir zeigen. Freilich Ihren Zweck zu erreichen, durften Sie nie hoffen, denn Sie mußten sich wohl sagen, daß eine Dichterin gar bald so einen Lustspielplan durchschauen würde.

SOPHIE.
Ja wohl, eine Dichterin sieht durch ein Brett.
BARON
sich der Baronin zu Füßen werfend.

O gnädige Frau, können Sie mir vergeben, daß ich an dem thörichten kränkenden Scherze gegen Sie Theil genommen? Lange habe ich mich dagegen gesträubt; aber der Vorschlag Ihres Oheims war dem heißesten Wunsche meines Herzens so günstig, das Ziel, das er mir in der Ferne zeigte, so herrlich – –

BARONIN.

Ich bitte, keine sentimentale Scene im Lustspiel. Sie wissen, das Komische schließt das Gefühl aus. Stehen Sie auf.

[246]
BARON.
Wenn ich auf Ihre Verzeihung hoffen darf?
BARONIN
ihm die Hand reichend.
Vorläufig die Versicherung, daß ich keinen Groll gegen Sie hege.
BARON
aufstehend.
O was soll ich – –?
BARONIN.

Mich anhören; die Zeit ist kurz. Sie können leicht denken, welche Lust es mir gewährte, die zu mystifiziren, die mich mystifiziren wollten. Sophie kann es bezeugen.

SOPHIE.

Ja wohl! Wir haben was Ehrliches mit einander gelacht, und ich mußte mich in die Zunge beißen, wenn Till von dem entsetzlichen Löwenklau sprach.

BARONIN.

Diese Lust aber, verbunden mit meiner nur allzu lebhaften Phantasie, hat mich das richtige Maaß der Verstellung überschreiten lassen, und ich sehe mich jetzt außer Stande, meinem Oheim zu beweisen, daß er in die Grube gefallen ist, die er mir bereitet. Sie sollen mir diesen Mißgriff verbessern helfen.

[247]
BARON.
O sagen Sie, gnädige Frau, wie? Ich bin zu allem bereit.
BARONIN.

Trotz Ihrer Theilnahme an der Verschwörung haben Sie mir doch einen großen Beweis Ihrer Freundschaft gegeben, denn Sie wollten mein Vertrauen erzwingen, um mir das Aeußerste zu ersparen. Wollen Sie nun bestätigen, was ich meinem Oheim sagen werde, so reiche ich dem Besiegten freiwillig den Preis, den er, das fühlen Sie wohl, fruchtlos durch einen Sieg zu erringen strebte.

BARON.
O Himmel! Verstehe ich das beglückende Wort? Er will abermals niederknien.
BARONIN.
Nicht so! lieber Baron. Gewähren Sie meine Bitte?
BARON.
Alles – alles – mit Freuden!
BARONIN.
So geh, Sophie und bitte die übrige Gesellschaft herein.
SOPHIE
geht ab.
9. Auftritt
[248] Neunter Auftritt.
Baron. Baronin.

BARON.

O, meine schöne, gütige Freundin! nicht um über Ihren Oheim zu triumphiren, beglücken Sie mich – nein! Sie haben einen edlern für mich süßern Grund, nicht wahr?

BARONIN.

Lassen Sie mich, lieber Riedberg – ich war immer – Ihre Freundin – mehr als Sie glaubten – mehr als ich selbst glaubte. Abbrechend. Wo haben Sie denn den abscheulichen Atreus und Thyestes hergenommen?

BARON.
Ich habe ihn von einem Primaner für 3 Thaler gekauft.
BARONIN.
So ist meine Recension doch gerecht!
BARON.
Und unnachahmlich schön und geistreich geschrieben.
BARONIN
den Arm um seine Schultern legend.
Finden Sie das im Ernst, mein theurer Freund?
BARON
ihre Hand küssend.
Gewiß, Geliebte.
10. Auftritt
[249] Zehnter Auftritt.
Die Vorigen. Sophie komm mit, Schönburg, Horst und Till zurück.

BARONIN.
Guten Abend, lieber Onkel! sehr erfreut, Herr von Horst – –
SCHÖNBURG.
Was in aller Welt, Nichte, ist denn heute Fasching?
BARONIN.

Er ist zu Ende Onkel, werfen Sie die Maske weg! Ihr Plan war mir verrathen, ehe die Ausführung begann, und hier Auf den Baron deutend. steht der Verräther, der mich von allem unterrichtet und nur auf meinen Rath Theil daran genommen hat.

HORST.
O, Felonie!
SCHÖNBURG.
O schwarzes Herz
BARON.

Verzeihen Sie, lieber Onkel, daß ich der schönen Nichte mehr gehorchte, als dem gütigen Oheim Die Hand der Baronin ergreifend. Dieß war der köstliche Lohn.

[250]
SCHÖNBURG.
HORST. TILL. Ist es möglich?
BARONIN.
Allerdings, mein bräutlicher Frennd.
SCHÖNBURG.

Nun, dann will ich in Gottes Namen der Gefoppte sein. Das ist der schönste Schluß, Nichte, den Du je gedichtet hast. Ich strecke gern das Gewehr, und gewiß Freund Horst auch.

HORST.
Zuverlässig, da ich meinen Bruder so glücklich sehe.
SCHÖNBURG.
Eigentlich verdient es der Verräther nicht.
BARONIN.

Auch ohne diesen Verrath wäre Ihr Plan gescheitert, weil Sie ganz und gar die Dichterin in mir vergessen hatten.

SOPHIE.
Ja, wer uns will fangen, muß früh aufstehn.
HORST.
Aber wie täuschend, gnädige Frau, ahmen Sie Angst und Schrecken nach.
BARONIN.
Lebhafte Phantasie.
[251]
TILL.
Gnädige Frau, darf ich meinen untertänigen Glückwunsch –
BARONIN.

Schweigen Sie, Treuloser, dem ich mein Vertrauen geschenkt, manchen wichtigen Dienst geleistet habe, und der mich nun zum Dank so schändlich hintergeht.

SCHÖNBURG.
Schämen Sie sich, Herr! es ist empörender Undank.
BARON.
Schändlicher Verrath aus schnödem Eigennutz.
HORST.
Ein abschreckendes Beispiel, Herr, sollte man an Ihnen geben.
TILL.

Nun so soll doch gleich die ganze Welt Maculatur werden. Sie haben mich verleitet, Sie haben umsonst aus bloßem Muthwillen gethan, wozu ich mich doch nur aus Vernunftgründen verstand. Soll ich nun auch den Schimpf haben, da ich ohnehin durch Verlust von Recensionen und Verlagsartikeln den Schaden haben werde?

[252]
BARON.
Sie mögen sich an den Viergroschenbändchen Ihres verunstalteten Shakspeare's erholen.
TILL.
Hole der Teufel den Shakspeare!
11. Auftritt
Eilfter Auftritt.
Vorige. Löwenklau. Ritter.

LÖWENKLAU
stürzt herab.
RITTER
hinter ihm, ohne seiner lebhaft werden zu können.
BARONIN.
Welch ein Unglück!
SCHÖNBURG.
Es wird Tag!
LÖWENKLAU.
Wem reiß ich hier die Zung aus? saget, wem?
Wer sprach den Fluch von Shakspeare'n und vom Teufel?
HORST
auf Till deutend.
Dieser Herr dort, Buchhändler Till.
LÖWENKLAU
allmählich gegen Till vorschreitend.
Ha, Till und Kümmel, freches Unkraut Du!
[253] Du Weber-Zettel mit dem Eselskopfe.
Krummbeiniger Richard, Herzausschneider Shylok.
Du Abschaum von dem Hexenkessel Macbeths!
Laß Dich umarmen von des Löwen Klau,
Daß sie zermalme deinen Knochenbau.
TILL
der nun nicht mer, wie bisher, zurückweichen kann.
Um Gottes willen retten Sie mich von diesem Rasenden.
SCHÖNBURG
dazwischen tretend, zu Löwenklau.
Ich bitte, junger Herr!
LÖWENKLAU.
Ha, Güldenstern!
SCHÖNBURG.

Ja, edler Dänenprinz! es liegt nun am Tage, daß, während bald die Einen, bald die Andern das Spiel zu lenken glaubten, der Zufall mit uns allen gespielt, und uns auf seinem Wege zum Ziele geführt hat. Das Ganze ist also eine wahre Comödie, in die kein Blutvergießen paßt.

SOPHIE.
Wenn es eine Komödie ist, so muß ich zum Schlusse auch einen Mann bekommen.
[254]
BARONIN.
Pfui! das ist altfranzösische Manier, und nicht mehr Mode.
SOPHIE.
Ja, leider kommt jetzt alles Vernünftige aus der Mode.
LÖWENKLAU.
'Ne Comödie? – Hätt' Shakspeare sie gemacht,
Wer könnte sattsam wohl ihr Lob verkünden?
Doch, da ein And'rer sie zu Weg gebracht,
So bitt' ich sehr, sie schaal und platt zu finden.

Notes
Erstdruck: Hamburg (Hoffmann und Campe), 1827. Uraufführung am 19.04.1825, Hoftheater, Berlin.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Raupach, Ernst. Kritik und Antikritik. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8D41-4