[29] Vierter Gesang

Die Rollen wurden noch vor Abend ausgetheilt.
Und zu der Anstalt nicht ein Augenblick verweilt.
Der gute Suppig bath, aus hertzlich-treuer Rache:
Erlaube, daß ich selbst hierbey den Tadler mache.
Jedoch, die Freude muß ihm dieses mahl vergehn:
Er soll, als die Vernunfft, der Kunst zur Seite stehn.
Die war die Neuberin. Was er sich ausgebethen,
Erhielt Fabricius, als Tadler aufzutreten.
Die andern wählte sie, aus Einsicht, durch das Looß,
Denn um die Rollen war das Drängen gar zu groß.
Ein jeder lernete, das, was er reden wolte,
Als ob die Ewigkeit ihn überhören solte;
Die Probe konnte selbst schon sehenswürdig seyn,
Denn in derselben schlich auch nicht ein Fehler ein.
So muthig kan kein Stier das Horn zum Kampfe wetzen,
Kein Löwe, den man will mit einem Tyger hetzen,
Spaziert so tapffer-stoltz, bevor der starcke Feind,
Des Löwen-Kampfes werth, zum Widerstand erscheint.
Weit grösser war der Muth, der in den Helden brannte,
Die hier die Neuberin zu diesem Werck ernannte.
So gar Fabricius, des Tadlers Ebenbild,
War selbst mit Rach und Wunsch, ihm gleich zu seyn, erfüllt.
An allen Ecken ward das Vorspiel angeschlagen;
Auch muste noch dabey der Zettelträger sagen:
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Es wär ein neues Stück. Die List der Neuberin,
Schickt ihn zum Feinde selbst mit einem Zettel hin;
Der ward ihm gleich, von wem? Von Schwaben vorgelesen;
Ist Ganymed wohl ie weit von dem Zevs gewesen?
Des Vorspiels Neuigkeit, die er mit Furcht erblickt,
Der Zettel, den sie ihm so listig zugeschickt;
Und der Gewissens-Wurm begangner Frevelthaten,
Dieß ließ ihn schon voraus auf ihre Rache rathen.
»Er fragte Zweifels voll: Victoria, wie nun?
Ich weiß nicht was mir ahndt; was räthst du mir zu thun?
Die Klugheit fordert zwar, dieß Vorspiel anzuschauen;
Doch, trifft der Inhalt mich; Wer darf dem Pöbel trauen?
Nein, nein, ich bleibe hier. Sie ist des Ruhms nicht werth,
Daß Gottscheds Gegenwart den Schauplatz noch verklärt.
Allein Victoria fieng hönisch an zu lachen.
Kan, sprach sie, dich das Weib auf einmahl furchtsam machen?
Weißt du nicht, was man noch, zu Carpzovs 1 Ehre, spricht?
Sein grosses Hertz wich auch den tollsten Feinden nicht.
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Was that er, als sein Hauß gesteinigt werden solte?
Als ein Studenten-Schwarm die Fenster stürmen wolte?
Der grosse Mann verließ, doch nicht für Furcht, sein Hauß;
Er schlich sich, unvermerckt, zur Hinter-Thüre raus,
Und gieng, als wüst er nichts von den Rebellen-Streichen,
Auf diese Stürmer zu, sein Wohn-Hauß zu erreichen.
Hier stellt er sich behertzt dem rauhen Hauffen dar,
Als zu dem steinigen schon ausgehohlet war.
Sein Anblick war genug, die rasenden zu schrecken,
Und bey den schüchternen die Ehrfurcht zu erwecken.
Die Felsen fielen gleich den Riesen aus der Hand,
Die nach dem Huthe griff. Die Thorheit ward erkannt;
Platz! Schriehn sie, Carpzov kömmt! Ein ieder trat zurücke.
Und wer nennt diese That nicht Carpzovs Meister-Stücke?
Wie? fuhr sie weiter fort, hat ein Magnificus,
Nicht Rang genug, daß er den Pöbel fürchten muß?
Wer seine Feinde flieht ist leicht zu überwinden.
Nein, deine Gegenwart muß ihr die Zunge binden;
Sie muß wenn sie dich sieht, gleich in sich selbst verirrt,
Bedroht, gerührt, geschreckt, bestürtzt, verzagt, verwirrt,
Beschämet und verstummt, vor dir, die Flucht ergreiffen,
Und also Schimpf auf Schimpf und Schand auf Schande häuffen.«
Doch dem Professor gieng diß viel zu bitter ein,
Er wolt und wolt auch nicht dabey zu gegen seyn.
Nein, ja, iedoch, allein, doch zwar, ich darfs nicht wagen;
So sprach sein Zweifel noch, als es schon drey geschlagen.
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Bald rufft er den Pedell, 2 bald sah er nach der Uhr,
Bis endlich ein wohlan! aus seinen Lippen fuhr.
»Wohlan! entschloß er sich, ich will der Frau nicht weichen;
Ich muß doch meinen Zweck ihr noch zum Trotz erreichen.
Geht hohlt Corvinen her! Gleich klopft jemand. Herein!
Ach, redlicher Corvin, erwünscht stellst du dich ein!
Ein Vorspiel drohet mir, und sucht mich zu bestreiten.
Ich muß zugegen seyn. Dein Fuß soll mich begleiten.
Bist du noch, wie zuvor, ein Feind der Neuberin,
So stelle dich, o Freund, zu den Studenten hin!
Und suchet mich das Weib zu lächerlich zu machen,
So mußt du mit Gewalt vor Gottscheds Ehre wachen.
Ermanne deinen Muth, pfeif, fang zu scharren an.
Dem ersten hat es offt der zweyte nach gethan.
Und stimmt der dritte bey, so folgt der gantze Hauffen;
So muß die Frau beschimpft von ihrer Bühne lauffen.«
Der eyfrige Corvin versprach noch mehr als dieß,
Und unsrer Heldin Schimpf war schon bey ihm gewiß.
Sein Fechter-Schritt verrieth, durch drohende Gebehrden,
Die Lust, im Alter noch ein Renomist zu werden.
Die vierte Stunde schlug, die rechte Schauspiels-Zeit.
Gottsched, Victoria, und Schwabe war bereit,
Corvin voraus geschickt, auf den Studenten-Plätzen,
Den Posten seines Amts, bey zeiten zu besetzen.
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Drey Sänfften warteten, an Gottscheds Thüre schon,
Der that die Bitte noch an Phöbus Tochter-Sohn:
»Apoll, und ihr von mir offt angeruffte Schwestern,
Laßt eurem Orpheus nicht von der Bachantin lästern.
Gebt, da mein Fuß, um euch, den Fechter-Platz betrit,
Mir eure Majestät zu der Begleitung mit.«
So ward der schwehre Weg nun endlich angetreten;
Doch dem Verhängniß kan kein Mensch entgegen bethen.
Der Schauplatz wimmelte, die Logen waren voll,
Und eine blieb nur leer, die Gottsched haben soll.
Und hierum war auch noch die Neuberin zu loben,
Weil sie den besten Platz dem Dichter aufgehoben.
Von seiner Ankunfft war ihr gleich die Post gebracht,
Und zur Eröffnung auch die Anstalt schon gemacht.
Der Vorhang zog sich auf, das Spiel ward angefangen.
O Gottsched wärest du dießmahl nicht hingegangen!
Kaum trat die Neuberin als Schauspiel-Kunst hervor,
So hob ihr Auge sich schon siegreich-stoltz empor;
Als wenn es noch vorher dem Feinde rathen wolte,
Daß er durch schnelle Flucht die Rettung suchen solte.
Doch den Professor ließ die Schickung nicht entfliehn,
Ehrgeitz, Victoria und Schwabe hielten ihn.
Er dacht, es würde sie sein Ansehn noch bezwingen,
Wo nicht, so müste doch der Streich Corvins gelingen.
Umsonst, der Anschlag fehlt. Der Tadler zeigte sich,
Daß Gottsched bey sich selbst bekannte: das bin ich;
Er sah sich horchend um, und wo ein Mund sich rührte,
Da dünckt ihn, daß man auch von ihm Gespräche führte.
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Sein Ansehn wagte noch das letzte Meister-Stück;
Sein Auge waffnete noch einen grossen Blick;
Kurtz ein verzognes Bild von den vier Facultäten,
War ietzo das Gesicht des grimmigen Poeten.
Sinckt nicht hierbey der Muth dem frechsten Feinde hin?
Vielleicht dem Mauvillon, nur nicht der Neuberin.
Die Rache war gerecht, drum muste sie geschehen;
Sie wünschte weiter nichts als ihn bestürtzt zu sehen.
Sein sträfliches Gesicht macht ihr auch offenbahr,
Daß ihr des Tadlers Bild erwünscht gelungen war.
Ihr Feind war schon besiegt, jedoch zum triumphiren,
Wolt ihr das Glück den Sieg mit mehr bezwungnen zieren.
Das Vorspiel war fast halb, als Gottsched durch den Stab,
Dem laurenden Corvin, aus Angst, das Zeichen gab.
Dem ward schon in der That um den Professor bange,
Und zu der Krieges-List währt ihm die Zeit zu lange.
Kaum sah er Gottscheds Winck, so scharrte schon sein Fuß;
So pfiff auch schon sein Mund. Es sprach Fabricius;
Doch blieb er ungestöhrt und rieth nicht auf Corvinen:
Der trunckne Fischer 3 that dieß sonst vor allen Bühnen.
Allein die Neuberin errieth die Arglist gleich,
Doch sie erwartete mit Großmuth diesen Streich.
Sie fieng zu reden an; Man pfiff und scharrte wieder,
Und dieses mahl bekam Corvin zwey treue Brüder,
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Die lermten mit. Nie kräht der Hünermann allein;
Man hört, wo Hähne sind, auch gleich mehr Hähne schreyhn.
Die Neuberin schwieg still; Ihr Auge schien zu fragen:
Hat niemand Hertz genug, den Lärm zu untersagen?
Ein Schauspiels-Patriot, ein ältlicher Student,
Der sich bereits, vorlängst, die Hörner abgerennt:
Jedoch entschlossen war, das freye Purschen-Leben,
Erst durch den Todt einmahl gezwungen aufzugeben;
Der jederzeit Geschmack an dieser Bühne fand,
Und ihr auch, Tag vor Tag, vier Groschen zugewandt,
Rief überlaut: Seyd still! und warnete Corvinen,
Zuerst bescheidentlich mit Worten und mit Minen;
Allein umsonst, Corvin nahm keine Warnung an;
Er lärmte fort, weils ihm noch dreye nachgethan,
Und that sein tapffers Amt zu dem er sich verschwohren.
Doch dem Studenten gieng hier die Gedult verlohren:
Und, da der größte Theil auf seiner Seite war,
Riß er die Neuberin behertzt aus der Gefahr.
Er drang mit andern durch biß zu dem tollen Hauffen.
Im Geiste war Corvin zwar schon davon gelauffen;
Jedoch, aus Angst und Eyl, ließ er den Cörper da,
Drum kam Gedräng und Stoß ihm unvermuthet nah.
Er stämmte sich und rieff: Mein Herr, was soll dieß heissen?
Will man die Kleider gar uns von dem Leibe reissen?
Er dacht auch in der That anietzt mehr an sein Kleid,
Als an sein vorig Amt und Gottscheds Sicherheit.
Doch, statt der Antwort, ward ihm noch ein Stoß gegeben,
Und er fing würcklich an schon in der Lufft zu schweben.
Hier galt kein Wiederstand, noch weniger ein Wort,
Man drängte den Corvin, nebst seinem Häufgen, fort;
Und ließ nicht eher nach, bis diese sechs Barbaren,
Die sich zu tief gewagt, mit Schimpf verjaget waren.
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Durch den Scharmützel ward die Ruhe hergestellt.
Die Schönen, welchen stets der Muth am ersten fällt,
Belachten nun den Kampf der zwey erhitzten Heere,
Der Kunst, der Neuberin, und der Vernunfft zur Ehre.
Nur dem Professor blieb der Helden-Muth entwandt.
Wie Mitzler 4 einst erblaßt auf der Catheder stand,
Als Priscian erschien, und ihn zur Rede setzte,
Warum er sein Geboth so freventlich verletzte:
So bleich und so bestürtzt stund der Professor da;
Doch weit betroffener schien noch Victoria.
Ihr gröstes Schrecken war erst bey des Vorspiels Ende:
Da klopffte iedermann, aus Beyfall, in die Hände.
Was solte Gottsched thun? Erzörnt nach Hause gehn?
Die Klugheit müßt er nicht, die er doch lehrt, verstehn.
Er zwang sich, denn sonst wars um seinen Ruhm geschehen,
Gar, aus Verstellung, noch das Vorspiel anzusehen.
Jedoch der Donner kömmt offt spät dem Blitze nach,
Bey dem Beschluß erschien die Neuberin und sprach:
Daß, da sie künfftigsmahl den Cato spielen wolte,
Dieß Vorspiel wiederum den Anfang machen solte.
Hier fiel der Vorhang zu, und Gottsched eilte fort,
Bereute seinen Gang, verdammte diesen Ort,
Und suchete nunmehr sein Zimmer zu gewinnen,
Ein Mittel zum Verboth auf morgen auszusinnen.

Fußnoten

1 (Carpzovs) Diese Begebenheit erzehlet man in der That von dem berühmten Herr Carpzov, der ehemahls Pastor, an der St. Thomas-Kirche, zu Leipzig war.

2 (Bald rufft er den Pedell) Ein Pedell hat allemahl die Aufwartung bey dem Rector der Universität in Leipzig.

3 (Der trunckne Fischer) Dieser war ein Bürger und Färber in Leipzig, der die Schauplätze offt in seiner Trunckenheit besuchte, und durch den Unfug, den er daselbst anrichtete, allen Zuschauern zur Last wurde.

4 (Wie Mitzler) Herr Lorentz Mitzler, der die musicalische Bibliotheck heraus giebet, hatte das Unglück, daß man ihm, als er in Leipzig öffentlich disputirte, Donat-Schnitzer vorwarf. Wie diese Disputation abgelauffen, ist zu schmertzlich für ihn, durch eine umständliche Erzehlung, seine alte Wunde wieder aufzureissen. Herr Gottsched wird mir Recht geben, daß ich ihn mit Herr Mitzlern verglichen habe; Er zählt denselben, in seiner Vorrede zum 2ten Theile der deutschen Schau-Bühne, ja selbst unter die geschickten Leuthe.

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TextGrid Repository (2012). Rost, Johann Christoph. Gedichte. Das Vorspiel. Vierter Gesang. Vierter Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-9E65-D