Okurirasûna
Grosse Weltkomödie in fünf Akten

Personen

Personen.

    • Okurirasûna, erhobene Weltgebieterin.

    • Lekafolirâm, abgesetzte Weltgebieterin.

    • Mesmeimônio, zukünftige Weltgebieterin.

    • Erster geheimer Weltrat.

    • Zweiter geheimer Weltrat.

    • Dritter geheimer Weltrat.

    • Vierter geheimer Weltrat.

    • Fünfter geheimer Weltrat.

    • Sechster geheimer Weltrat.

    • Graf Abgrund, siebenter geheimer Weltrat.

    • Scharen von Dienern und Beamten.

1. Akt

Erster Akt

Weltbalkon des Stern-Palastes.
Rechts eine weisse Wand und links eine weisse Wand – rechtwinklig zum Vordergrunde.
Ein Teppich von hellblauer Farbe ohne Muster bedeckt den ganzen Bühnenboden.
Hinten eine meterhohe weisse einfach rechteckige Mauerbrüstung.
[77] Freie Eingänge rechts und links von der Brüstung – zwischen dieser und den hinteren Wandrändern.
Den Hintergrund bildet ein schwarzer Himmel mit vielen Sternen, die aber grösser sind als die Sterne, die von der Erde aus sichtbar werden; die Formen der Sterne sind zumeist eckig; einzelne Nebelflecken wirken bunt.
Ein grosser runder Stern von hellblauer Farbe steht in der Mitte. Zwei blutrote Schweifkometen stehen rechts und links oben.
Es ist so hell wie in einer irdischen Dämmerstunde.
Arm in Arm erscheinen hinten links die beiden ersten Welträte; sie sind weissbärtig, tragen Gehrock, Lackschuhe und schwarzen Zylinder. Der Zylinder des ersten Rats ist mit einem breiten roten Bande umbunden, der des zweiten mit einem gelben Bande. Glacéhandschuhe in Bandfarbe.

ERSTER RAT.

Die Feierlichkeit ist zu Ende. Die Erhebung hat bereits stattgefunden. Wir haben wieder eine gnädige Frau Gebieterin. Endlich!

ZWEITER RAT.
Wie heisst denn nur die Dame?
ERSTER RAT.
Okurirasûna! Okurirasûna!
ZWEITER RAT.
Okurirasûna! Ganz hübscher Name! Und – man wird ihn sich merken müssen.
ERSTER RAT.
Die Dame ist nur noch etwas jung.
ZWEITER RAT.
Wie alt ist sie denn?
ERSTER RAT.
Ach! Ihre Jugend ist das Merkwürdigste an ihr; sie lebt erst sieben und zwanzig Jahrhunderte.
ZWEITER RAT.

Du lieber Himmel! Wenn das blos nicht Misshelligkeiten giebt. Erst zwei Tausend sieben hundert Jahre ist dieses Weibchen alt. Das ist ja noch das reine Kind.

ERSTER RAT.
Ja, das kann eine schöne Geschichte werden.

Die andern fünf Welträte erscheinen. Alle tragen Zylinder, in deren sieben Bändern sich die sieben Regenbogenfarben einzeln zeigen. Handschuhe immer in Bandfarbe. Graf Abgrund hat ein violettes Zylinderband. Alle Herren in Gehröcken und Lackschuhen.
[78]
GRAF ABGRUND
mit fuchsroten Bart-Cotelettes.

Meine Herren! Uralter Sitte gemäss werden wir uns hier auf dem Weltbalkon unsres Sternpalastes der neuen Gebieterin vorstellen. Bereiten Sie sich daher auf kurze Ansprachen vor. Machen Sie's aber kurz. Die holde Dame wird uns, wie ich fürchte, sehr viel zu schaffen machen.

ALLE ANDERN RÄTE.
Ah! Warum?
GRAF ABGRUND.
Sie wills mit ihren Geschäften sehr ernst nehmen.
ERSTER RAT.
Sie trägt wohl ein sehr kindliches Wesen zur Schau, nicht wahr?
GRAF ABGRUND.

Ja, sie sagte mir noch gestern, sie fände es empörend, dass alle Weltgebieterinnen schliesslich ihren Verstand einbüssten – und sie wolle der Welt schon beweisen, dass sie ihren Verstand in ihrer hohen Stellung behalten könnte.


Die Räte lachen herzlich.
ZWEITER RAT.

Bislang hat jede unsrer Weltgebieterinnen nach einigen Jahren ihren schönen Rappel bekommen, und dieser Donna Oku –

ERSTER RAT.
Okurirasûna!
ZWEITER RAT.

Und dieser Donna Okurirasûna wird es nicht besser ergehen. Der schöne Rappel gehört nun mal zum Geschäft.


Die Räte lachen noch herzlicher als vorhin.
GRAF ABGRUND.
Meine Herren! Sind ihre Blendlaternen in Ordnung?

Die Räte leuchten sich mit ihren Blendlaternen, die sie auf der Brust vorgeschnallt haben und für gewöhnlich dunkel halten, gegenseitig ein bischen ins Gesicht und flüstern sich dabei einige Neuigkeiten zu.
GRAF ABGRUND.
Meine Herren! Ich muss um die Feiertagsmiene bitten. Die gnädige Frau Weltgebieterin – naht.

Die Räte stellen sich links vor der Wand in einer Reihe auf; der Graf Abgrund steht dem Vordergrunde am nächsten. Von den Blendlaternen ist nichts mehr zu bemerken. Und hinten rechts erscheint die Okurirasûna. Die rechte Seite ihrer zweiteiligen Schleppe wird von Lekafolirâm, die linke Seite von [79] Mesmeimônio getragen. Die Okurirasûna ist ganz in Weiss gekleidet, und ihre Kleider sind mit Brillanten gradezu übersäet. Brillanten auch an den Fingern und in den Ohren. Keine Handschuhe. Auf dem Kopfe sieben Ringe in den sieben Regenbogenfarben übereinander – so angeordnet, dass jeder höher liegende Ring immer einen grösseren Durchmesser hat. Die Ringe sind in kleinen Abständen von einander entfernt und werden innerlich durch ein Drahtgestell zusammengehalten. Lackartig glänzen müssen die
Ringe. Die männliche und weibliche Dienerschaft in beliebigen phantastischen Kostümen – einzelne mit Hörnern auf dem Kopfe. Lekafolirâm trägt Gürtelgewand à la Morgenrock in Hellblau, Mesmeimônio ein solches in Hellgrün. Kleider ungemusterter Stoff. Die weibliche Dienerschaft hat grosse brennende Laternen, die den Stalllaternen des Erdballs nicht unähnlich sind, in den Händen. Die männliche Dienerschaft setzt einen umfangreichen, mit Federn geschmückten Korbsessel mitten vor die rechts befindliche Wand.
OKURIRASÛNA.
Leuchtet den Herren ins Angesicht!

Die Mädchen tuns, und die sieben Räte heben ihre Zylinder mit steifem Arm in die Höhe.
OKURIRASÛNA.
Bedecken Sie sich, meine Herren!

Die Herren tuns, die Weltgebieterin setzt sich auf ihren Sessel. Lekafolirâm und Mesmeimônio halten die Schleppe rechts und links etwas hinter dem Sessel. Die Dienerschaft gruppiert sich hinten um die Mauerbrüstung, auf der die Laternen in einer Reihe hingestellt werden.
OKURIRASÛNA.

Ich erlaube mir, meinen werten Welträten meine beiden Kolleginnen vorzustellen. Zu meiner Rechten steht die Ihnen ja wohl längst bekannte Donna Lekafolirâm – sie ist die Weltgebieterin der Vergangenheit. Zu meiner Linken steht meine liebe Freundin Mesmeimônio – die Weltgebieterin der Zukunft. Und ich, die kühne Okurirasûna, sitze auf dem alten Balkonsessel und bin die Weltgebieterin der Gegenwart. Jetzt, meine Herren, stellen Sie sich vor! Ganz so wie's der uralte Brauch gebietet – ganz so soll's auch jetzt sein!

[80]
ERSTER RAT
vortretend – den Zylinder in beiden Händen – zwei Frauen beleuchten den Rat mit den Stalllaternen rechts und links und gehen dann wieder nach hinten, wo sie bis zum Vortreten des zweiten Rates bleiben; die andere Dienerschaft verschwindet später allmählich, ohne die übrigen Laternen, die auf der Mauerbrüstung stehen, mitzunehmen.

Gnädigste Frau Weltgebieterin, zu meinem grössten Vergnügen habe ich die Ehre, mich Ihnen als Ihr erster geheimer Weltrat vorzustellen. Ich arrangiere die gesamten astralen Verhältnisse, die sich in unsrer nächsten Nähe befinden – bin gleichsam der Direktor des Zentralsonnendienstes. Jener blaue Stern da drüben gehört noch in mein Ressort.

OKURIRASÛNA.
Auch der Blaue? Ih, das ist ja ein ganz ausgedehnter Wirkungskreis.

Erster Rat geht wieder an seinen Wandplatz.
ZWEITER RAT
vortretend und beleuchtet wie der vorige.

Ich, meine Gnädigste, bin die Seele des zweiten Ringes – oder richtiger: der zweiten Schale, in die sich unsre dunkle Sonne eingekapselt hat. In meinem astralen Distrikt befinden sich nur Nebelsterne, die für unsre gewöhnlichen Augen, die für das Nebulose kein rechtes Organ sind, nicht sichtbar werden. Trotzdem zeichnen sich meine Bücher und Karten durch grosse Übersichtlichkeit aus. Wieder an den Wandplatz.

OKURIRASÛNA.
Die Sache geht ja so schnell und beinahe formlos.
GRAF ABGRUND
von seinem Wandplatz aus.
Es ist ja blos eine Vorstellung. Wir treten genau so auf, wie es die alte Sitte vorschreibt.
DRITTER RAT
wie die beiden ersten Räte.

Die alte Sitte dürfen wir nicht umwandeln, Frau Okurirasûna. Ich stehe an der Spitze der dritten Zone, in der sehr viel leerer Raum ist. Mein Amt ist leicht und lässt mir Zeit, mich auch im Klavierspielen zu üben – was ich aber nur so nebenbei gesagt haben möchte. Auf seinen Wandplatz zurück.

OKURIRASÛNA.
Gehört auch diese Bemerkung zur alten Sitte?
GRAF ABGRUND.

Ward vorgeschrieben vor drei hundert Tausend Jahren und bezieht sich auf eine Angelegenheit, die wir [81] nicht mehr ganz genau kennen und zudem vor Damen nicht erzählt werden kann.

OKURIRASÛNA.
Ich bitte, die Zeremonie zu beschleunigen.
GRAF ABGRUND.
Beschleunigt kann hier nichts werden. Wir können doch nicht die uralten Gebräuche mit Füssen treten.
OKURIRASÛNA.
So befehle ich – fortzufahren – wie's die Sitte gebietet.
VIERTER RAT
wie die Andern, aber bis zum Schluss seiner Rede beleuchtet, nach der die beiden Dienerinnen in der Mitte stehen bleiben.

Ich bin so glücklich, der Vierte zu sein. Meine Zone ist sehr gross, und die Sterne, die in meiner Zone leben, sind nur mit den feinsten Apparaten wahrzunehmen. Meine Sterne, deren Bahnen ich dirigiere und korrigiere, sind die sogenannten traurigen Sterne. Einst wird sich die Melancholie meines Bezirkes auflösen und zu Weihrauch werden. Ich empfehle mich Ihnen, gnädige Frau.


Auf seinen Wandplatz mit Jammermiene.
FÜNFTER RAT
mit einem Sprunge vor – Zylinder schwenkend – wobei er mit dem an eine Laterne stösst.

Meine Zone, vielgeliebte Dame, ist die Zone des grossen Blödsinns. Mein Reich ist nicht von dieser Welt – ich harmonisiere die kosmische Idiotie – und lache nie! Ich bin die fünfte Nummer – vergessen Sie das in Ihrem ganzen Leben nicht mehr! An die Wand zurück – springend.

OKURIRASÛNA.
Dieses Zeremoniell ist ja einfach lächerlich.
GRAF ABGRUND.

Verehrte Weltgebieterin! Sie werden es doch nicht wagen, alte Sitten mit Füssen zu treten, nicht wahr? Darum sage ich kraft meines Amtes: Seien Sie ganz ruhig!

SECHSTER RAT
wie die andern vortretend – aber zögernd.

Ich bin der sechste Geheime! Ich lächle, denn meine Sterne sind nicht zu sehen. Und ich weise ihnen die Bahnen – mit einer innerlichen Kraft – die noch Keiner kennt. Die beiden Dienerinnen mit den Lampen gehen nach hinten und verschwinden. Diese innerliche Kraft spiegelt sich äußerlich nun in meinem Lächeln wieder. Ich begrüsse Dich, Du holde Weltmamsell! Langsam zurück an die Wand.

[82]
OKURIRASÛNA
aufspringend.
Wie? Schreibt das Zeremoniell auch das Wort Weltmamsell vor?
GRAF ABGRUND
vortretend wie die ersten Räte ohne beleuchtet zu werden.

Allerdings! Nehmen Sie wieder Platz! Okurirasûna setzt sich wieder. Ich bin der siebente Rat und bedeutender als die Andern, deshalb werde ich auch nicht beleuchtet wie die Andern – das Bedeutendste muss immer im Dunkeln bleiben; der Ring, den ich bearbeite, dehnt sich, wie Sie das wohl vermutet haben, bis ins Unendliche hinein – ja – umfasst das Unendliche von oben bis unten und nach allen andern Dimensionen – durchaus. Darum heisse ich auch der Graf Abgrund. Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen. Ich darf, Frau Okurirasûna, wohl anitzo nur noch bemerken, das hiermit der erste Akt Ihrer anstrengenden Welttätigkeit zu Ende ist.

OKURIRASÛNA
steht auf – mit Würde.

Jawohl, ich begreife den Sinn Ihrer alten Sitten sehr gut. Nach diesem Vorgang kommt Ihr Abgang – aber dann kommt die – Arbeit!

GRAF ABGRUND
verbeugt sich, geht an seinen Platz und ruft laut.
Hut hoch! Links um Kehrt! Marsch!

Und im Gänsemarsch mit hochgehobenem Zylinder marschieren die sieben Räte wie preussische Soldaten hinten raus.
Vorhang!

2. Akt

Zweiter Akt

Konferenzzimmer im Sternpalast.
Rechts eine weisse Wand und links eine weisse Wand – beide aber in der Mitte geteilt und so weit von einander gerückt, dass ein Durchgang entsteht.
Hinten auch eine weisse Wand, die fast dicht an die Seitenwände stösst.
[83] Die weissen Wände stehen immer rechtwinklig zu einander. Vorne links ein glatter niedriger Diwan mit kleinem runden Tonnentisch. Vorne rechts ein Himmelsglobus mit bunten Punkten und Linien und Figuren. Sieben kleine runde tonnenartige Stühle ohne Lehne. Hellgrüne Stoffbezüge mit silbernen Kometen an Tisch und Stuhl; auch die hellgrüne Diwandecke zeigt vorne silberne Kometen.
Auf dem Fussboden hellblaue Decke ohne Ornament wie im ersten Akt.
Die hintere Wand wird von hinten und von den Seiten durch Licht, das sich hinter farbigen Gläsern befindet, an einzelnen Stellen bunt gemacht, sodass rote blaue grüne oder andersfarbige Kreise Ringe und andere Farbenflecke entstehen; die Formen können stellenweise auch wolkenartig wirken, dürfen aber nichts Gesichtsartiges haben.
Auf den sieben Stühlen, die unregelmässig über das ganze Zimmer verteilt sind, stehen die sieben
Zylinder der Welträte, die beim Aufgehen des Vorhanges sämtlich ihre Handschuhe anziehen.
Die Okurirasûna sitzt in einen weiten gelben Mantel gehüllt auf dem Diwan in europäischer Manier; auf dem Mantel ist ein grosser himbeerroter Komet mit sieben Schweifen zu sehen.
Die Kopfbedeckung mit den sieben Ringen steht auf dem Diwantisch.

GRAF ABGRUND.
Wir wünschen Euer Gnaden eine angenehme Siesta!

Die Herren ergreifen ihren Zylinder, drücken ihn mit beiden Händen an ihre Brust und verbeugen sich dabei vor der Weltgebieterin, die freundlich nickt. Während die Herren rechts abgehen, kommen von links Lekafolirâm und Mesmeimônio herein.
OKURIRASÛNA.
Seid mir willkommen. Ich danke Euch, dass Ihr sofort gekommen seid. Setzt Euch.

Lekafolirâm setzt sich auf [84] einen Stuhl, Mesmeimônio auf eine Fussbank, die neben dem Diwan steht – sodass Mesmeimônios Kopf Okurirasûnas Knie berühren kann. Die Kleider von beiden wie im ersten Akt.
LEKAFOLIRÂM.
Armes Kind!
OKURIRASÛNA.
Warum Arm? Ich bin nicht zu bedauern. Ich bin sehr glücklich.
MESMEIMÔNIO.
Ist das wahr? O, erzähle!
OKURIRASÛNA.

Das kann ich garnicht so rasch erzählen. Es ist zu viel. Vor drei Tagen glaubte ich noch, dieser ganze Sternpalast sei blos ein grosses Tollhaus und meine Welträte seien veritable Herren. Aber nun haben mir meine Welträte drei Tage hindurch fast ohne Unterbrechung Vorträge gehalten – und jetzt bin ich einfach toll vor Begeisterung


Springt auf und geht herum.
LEKAFOLIRÂM.
Armes Kind!
OKURIRASÛNA.

Wie kannst Du mich nur immerfort bedauern? Lass das! Ich verstehe dich nicht. Mesmeimônio, höre blos auf mich.

MESMEIMÔNIO.
Ich höre mit beiden Ohren. O, erzähle!
OKURIRASÛNA.

Liebe liebe Freundin! Es ist zu viel! Sieh nur! da drüben die geheimnisvolle Wand – sie zeigt Dir ein Bild aus der vierten Zone, in der die traurigen Sterne sind, die lieber nicht leben möchten – oder vielmehr immer anders leben möchten.

MESMEIMÔNIO.

Das sind also traurige Sterne? Wundervoll sehen sie aus. Wie schön müssen dann erst die heiteren Sterne sein!

OKURIRASÛNA.

Ja! Ja! Die ganze Welt ist schön! Und wenn ich bedenke, dass ich jetzt dieser ganzen Welt – allen sieben Zonen – zu gebieten habe, dann begreife ich zuweilen, dass die Weltgebieterinnen wohl mal ihren Verstand verlieren können.Sie umarmt die Lekafolirâm, die gleich aufsteht. Meine liebe liebe Lekafolirâm! nenne Dich nicht arm und nenne mich auch nicht arm! Wir haben das herrlichste Glück genossen! Vergiss das nicht! Sei glücklich, dass Du mal der Welt gebieten durftest – allen diesen unzähligen Trillionen von Sternscharen! [85] Solch ein Glück kann doch nicht ewig dauern – das kanns doch nicht! Genug, wenn wir's ein paar Jahrzehnte aushalten!

LEKAFOLIRÂM.

Dass die Welt herrlich ist – das glaube ich schon. Dass ich aber damals, als ich Deine Rolle zu spielen hatte, der Welt gebieten durfte – das glaube ich nicht. Man hat mir, als ich daran zweifelte, gesagt, dass ich meinen Verstand verloren hätte. Nun – ich habe nichts davon gemerkt. Nur traurig bin ich geworden. Und frei reden darf man hier nicht – denn die Wände könnten Ohren haben.

OKURIRASÛNA.

Wie meinst du das? Ich verstehe Dich nicht. Meinst Du, all die kolossalen Sternkarten und all die kolossalen Rechnungen und die weit ausschauenden Untersuchungen der astralen und kosmischen Verhältnisse, mit denen hunderte unsrer Beamten ihr Leben ausfüllen – diese grossen Dinge sollten blos zum Spasse da sein?

LEKAFOLIRÂM.
Ich – weiss es nicht.
MESMEIMÔNIO.
Die Okurirasûna ist doch zur Weltgebieterin erhoben worden – also ist sie's doch.
OKURIRASÛNA.
Ich fühle, dass ichs bin – und das genügt mir.
LEKAFOLIRÂM.
Armes Kind!
OKURIRASÛNA.

Ich verbitte mir, dass Du mich so nennst. Sie setzt sich wieder auf ihren Diwan. Aber ich habe Euch rufen lassen, um Euern Rat zu hören. Haltet Ihrs nicht für richtig, dass ich jetzt vor die Völker unsrer Sonne trete und in einer gewaltigen Rede kurz und klar sage, wie ich mein Amt ausfüllen will? – Mein Amt als Weltgebieterin? Was meint Ihr?

MESMEIMÔNIO.
Das musst Du tun.
LEKAFOLIRÂM.
Das kannst Du tun.

Laut aufschluchzend.
OKURIRASÛNA.

Flenn hier nicht! Ich verbitte mir das! Sie klingelt, und es erscheint ein rot gekleideter Diener mit Hörnern auf dem Kopfe. Hole mir den Grafen Abgrund her! Diener ab. Sieh, Mesmeimônio, die grünen Flecke da hinten an der Wand sind astrale Organe, mit denen es den Sternen möglich ist, alle Gedanken, die im Weltraume gedacht werden, sofort aufzunehmen. Mit diesen grünen Organen können die Sterne ohne Weiteres mit jeder Weltpartie mitleben – indem sie dasselbe[86] denken wie diese. Die Organe können, wenn sie auf unsere Centralsonne gerichtet sind, ohne Weiteres wissen, was ich denke und was Du denkst.

GRAF ABGRUND.
Ich stehe zu Diensten.
OKURIRASÛNA.

Ich danke Euch für Eure Bereitwilligkeit. Ich möchte vor die Völker unsres Sterns treten und in einer Rede sagen, wie ich mein Amt als Weltgebieterin zu verwalten gedenke. Darf ich die Rede halten?

GRAF ABGRUND.
Da muss ich erst die andern Räte fragen.

Er klingelt, der rote Diener erscheint wieder, der Graf schreibt was auf einen Zettel und giebt ihn flüsternd dem Diener, der eilig verschwindet.
OKURIRASÛNA
die aufgestanden ist und erregt umhergeht und sich Luft fächelt mit einem schwarzen Fächer.
Ich danke Euch, Herr Graf.
GRAF ABGRUND.
O, bitte! keine Ursache! Sehr gern geschehen. Darf ich Euer Gnaden allein sprechen?
OKURIRASÛNA.
Gewiss!

Lekafolirâm und Mesmeimônio nahen ehrfürchtig der Okurirasûna, küssen ihr die Hand und gehen
links ab.
GRAF ABGRUND
auf und abgehend, die Handschuhe ausziehend und seinen Zylinder bald auf den einen Stuhl und bald auf den andern legend.
Das Wetter – ist heute – draussen – etwas neblig.
OKURIRASÛNA
setzt sich wieder auf den Diwan.
Wollt Ihr damit etwas Symbolisches sagen?
GRAF ABGRUND.

O Du heilige – Okurirasûna! Wohl gibt es in der Welt einen grossen Rausch – einen Rausch, der grösser ist als alles Andre – in dem wir uns so viel einbilden können – dass schlechterdings das Diesseits und Jenseits der Welt vergeht – und Wir nur da sind – Wir – Wir – und alles Andre Nichts – tatsächlich Nichts ist. Versteht Ihr mich?

OKURIRASÛNA.

Noch nicht ganz. Sprecht Ihr von Zuständen, die mir bekannt sein sollen – oder von Zuständen, die ich kennen lernen soll?

GRAF ABGRUND.
Glaubt Ihr, dass man lenken kann, was man [87] noch nicht kennt?
OKURIRASÛNA.

Wie soll ich das verstehen? Ihr kennt doch die Welt, und durch Euch kenne ich die Welt doch auch. Demnach ist sie mir doch bekannt, und folglich kann ich sie auch lenken.

GRAF ABGRUND.

Seid Ihr auch ganz gewiss, das Ihr im Ernste den Spass und im vollkommensten Spasse die Ernstfalten zu allen Zeiten herausfindet?

OKURIRASÛNA.
Das klingt ja so geheimnisvoll.

Der rote Diener bringt einen Brief, den der Graf gleich liest.
GRAF ABGRUND.

Die geheimen Welträte erklären sich mit Eurer Rede einverstanden. Ihr könnt auf dem Weltbalkon vor die Völker unsrer Centralsonne hintreten und dort reden, so viel Euch beliebt.

OKURIRASÛNA
drückt ihm die Hand.
O, wie danke ich Euch! Wie danke ich Euch! Ich werds ganz kurz machen.
GRAF ABGRUND.

Freut mich, zu hören! Jedenfalls werden übermorgen die gesamten Völker unsrer dunklen Sonne zusammengetrommelt sein. Aber –

OKURIRASÛNA.
Nun? Was ist?
GRAF ABGRUND.
Nehmt Ihr Euer Amt auch nicht zu ernst?
OKURIRASÛNA.
Das kann doch nicht ernst genug genommen werden.
GRAF ABGRUND.

Und wisst Ihr auch schon ganz genau, was Ihr eigentlich wollt? Ihr könntet uns in Ungelegenheit bringen, wenn Ihr nicht klar sprechen würdet. Es ist doch immer eine fatale Angelegenheit, gleich so die ganze Welt – verbessern zu wollen! Das wollt Ihr doch – nicht wahr?

OKURIRASÛNA
mit starker Stimme.
Herr Graf, ich weiss, was ich zu tun habe.
GRAF ABGRUND.

Donnerwetter! Eine solche Weisheit ist ja noch garnicht dagewesen. Da gestattet gütigst, dass ich mir erlaube, Euch, Frau Weltgebieterin, einfach anzubeten – auf meinen Knieen!


Er stürzt vor ihr auf beide Kniee und faltet die Hände – sie lächelt.
Vorhang!
[88]

3. Akt

Dritter Akt

Die Szene des ersten Aktes.
Vor der Mauerbrüstung, zwei Meter über dem Fussboden, befindet sich eine weisse Schallglocke, aus der oben ein dicker weisser Schlauch herausragt, der in grossem Bogen hinter der Mauerbrüstung nach unten führt. Die Glocke kann aus Papier sein und von dem kompakten Schlauche gehalten werden.
Es erscheinen wieder wie im ersten Akt zuerst die beiden ersten Welträte.

ERSTER RAT.
Das Benehmen unsrer gnädigen Frau ist in der Tat höchst seltsam.
ZWEITER RAT.

Jetzt wieder diese Ansprache an die dummen Völker! Wirklich, die gute Oku ist zu jung – zu jung! Das hab ich ja gleich gesagt.

ERSTER RAT.
Und der Abgrund wird immer giftiger.
ZWEITER RAT.
Ja, es steigen die reinen Weltdünste aus unsrem Abgrund heraus.
ERSTER RAT.
Sehr ungesund – auch für uns!

Graf Abgrund erscheint mit den vier anderen Herren.
GRAF ABGRUND.

Sei gegrüsst, vieledle Schallglocke! Du wirst uns schon mit den Völkern in Verbindung bringen: durch Dich werden wir wieder mal unsern Völkern so recht verständlich werden. Meine Herren, entblössen Sie vor diesem technischen Wunder – diesem Volkssymbol – Ihr Haupt!


Alle tuns.
ZWEITER RAT.
Wo sind denn die Völker?

Die Herren bedecken sich wieder.
GRAF ABGRUND.

Fragen Sie doch nicht so, als ob sie meine Worte ernst nehmen möchten; die Völker sind, wo sie immer sind – zu Hause.

ERSTER RAT.
Ja! Die liebe Häuslichkeit!
GRAF ABGRUND.

Wir haben fast unsre gesamte Dienerschaft und Beamtenschaft unten im grossen Karossenhof antreten lassen – und diesen Herrschaften wird es ein Kleines sein, die Stimmen des Volkes täuschend nachzuahmen.

[89]
SECHSTER RAT.

Dann wollen wir doch mal probieren, Herr Graf, ob diese Völkerimitation pflichtschuldigst den üblichen Beifall zum Ausdrucke bringen kann. Frau Okurirasûna ist noch bei Ihrer Toilette. Reden Sie mal, Graf, in die Nachtmütze hinein! Ich werde die Stimme des Volkes dirigieren.


Er beugt sich über die Brüstung und klatscht in die Hände.
GRAF ABGRUND.
Schön! So wollen wir mal eine Rede improvisieren.

Er stellt sich unter die Schallglocke mit dem Gesicht dem Publikum zugekehrt, nimmt den Hut mit beiden Händen und presst ihn an die Brust und wirft nun den Kopf ins Genick und spricht nachher nach oben in die Schallglocke hinein.
ZWEITER RAT.
Wir wollen den Redner zunächst mal beleuchten

Sie tuns mit ihren Blendlaternen.
GRAF ABGRUND.

Eine Erleuchtung überkommt mich! Ehrwürdige Völker unsrer ehrwürdigen Centralsonne! Wir sind Euch für Eure heilige Einfalt zu grossem Danke verpflichtet – denn Eure heilige Einfalt giebt uns zu essen und zu trinken und zu leben, wie's Welträten zukommt. Glaubt mir, Völker, ich bewundre Euch! Der sechste Rat hinten schwenkt seinen Zylinder über der Brüstung und ein Beifallsgeschrei dringt aus grosser Tiefe dumpf empor. Ihr seid klüger als die andern Völker auf den andern Sonnen und Sternen! Abermals Beifall. Ihr habt Euch frei gemacht und habt Euch auf Euch selbst gestellt! Beifall. Niemand hat Euch was zu sagen! Beifall. Und trotzdem Ihrs nun garnicht nötig habt, lasst Ihr uns doch einen guten Tag leben – ganz freiwillig! Das ist brav von Euch! Ihr lasst Euch von uns weissmachen, dass wir die Sterne lenken – und dafür ernährt Ihr uns und gebt uns Alles, was uns Spass macht! Völker, ich bewundre Euch!


Tosender Beifallssturm.
ERSTER RAT.
Meine Herren, beenden Sie Ihre Scherze; die gnädige Frau kommt mit Eilschritten herbei.
GRAF ABGRUND
setzt wieder den Zylinder auf.
Na? Wie wars?

Die sechs Räte rufen: »Herrlich!« »Entzückend!« »Süperb!« »Meisterhaft!« »Ueberraschend!« »Skurril!« und schütteln dem Grafen gratulirend die Hände. Danach erscheint die Okurirasûna von rechts genau wie im ersten Akt – nur tragen diesmal[90] die Diener und Dienerinnen auf zwei Meter hohen Stöcken brennende Kerzen in grossen flachen Schalen.
OKURIRASÛNA.
Wo sind denn nun die Völker? Und was soll diese weisse Glocke?

Lekafolirâm und Mesmeimônio ordnen die beiden Hälften der Schleppe.
GRAF ABGRUND.

Sofort will ich Euer Gnaden alle Fragen beantworten. Ich muss nur zunächst die Dienerschaft auffordern, sich an beiden Wänden in Reih und Glied zu stellen.


Die Dienerschaft tuts.
OKURIRASÛNA.
Jetzt bin ich neugierig. Wo sind die Völker?
GRAF ABGRUND.

Ja, glaubten Euer Gnaden, die Völker hätten hier auf dem Weltbalkon sich versammeln können? Die Völker sind unten vor den tausend Toren des Sternpalastes versammelt und warten, dass Euer Gnaden reden werden.

OKURIRASÛNA.
Ja, wie soll ich das denn machen?
GRAF ABGRUND.

Nichts einfacher als das! Diese Glocke ist eine Schallglocke, ein technisches Wunder. Sprechen Sie da von unten hinein, so wird der Schall Ihrer Stimme nach tausend Seiten übertragen – und alle Völker hören Ihre Stimme so laut – dass die Ohren der Völker nur so dröhnen. Passen Sie auf, ich will Ihnen mal die Sache vormachen.


Der sechste Rat verschwindet hinten rechts, die anderen Räte bleiben stehen, wo sie gerade stehen – mit den Zylindern auf dem Kopfe.
OKURIRASÛNA.
Machen Sie's kurz, Herr Graf!
GRAF ABGRUND
wie vorhin nach oben sprechend.

Hört, Völker der dunklen Centralsonne! Begrüsst Eure neue Weltgebieterin! Sie ist da und wird gleich reden. Rauschendes Beifallsgebrüll. Ich will Euch mal was sagen! Ihr braucht mir keinen weiteren Beifall raufzubrüllen! Spart Eure Lungenkraft für Eure grosse Okurirasûna! Gedämpftes Stimmengemurmel. Wisst Ihr, wie gross die Welt ist? Ich wills Euch sagen: Die Welt ist so gross, dass in ihr auch alle Tollheiten Platz haben; alle Tollheiten, die wir und Andre ausbrüten, haben in der Welt Platz. Auch dieTollheit, in der sich ein Madenwurm für ein Allwesen hält, hat in der grossen Welt Platz. Gemurmel. Kraft meines Amtes sage [91] ich Euch: Seid ganz still! Wenn Ihr Euch über dem All fühlt, so ist das ebenso verzeihlich, als wenn Ihr Euch unter dem All fühlt – auch ebenso verzeihlich, als wenn Ihr Euch in dem All oder als All oder hinter dem All fühlt. Ihr könnt Euch die grössten Dinge einbilden – es schadet das Alles nichts. Die Grandiosität der Welt wird durch Euren Einbildungseifer nicht im mindesten tangirt. Vergesst das nie: Selig sind, die sich recht viel einbilden können! Der Graf setzt wieder seinen Zylinder auf, kommt vor und verbeugt sich vor der Okurirasûna. Haben Sie mich gehört?

OKURIRASÛNA.
Nein! Ich musste an meine eigene Rede denken.
GRAF ABGRUND.

So! Das muss ich aber bedauern. Na, dann reden Sie, Madam! Stellen Sie sich so hin, wie ich's gemacht habe.


Sie tuts. Rechts und links stehen die Schleppenträgerinnen. Die fünf Räte, zu denen sich jetzt auch der sechste gesellt, stehen, wo sie standen und legen die Hand ans Ohr, um besser hören zu können.
ZWEITER RAT.
Graf Abgrund, gehen Sie in den Hintergrund?
GRAF ABGRUND.
Sofort!

Er verschwindet hinten rechts.
OKURIRASÛNA
mit nach oben gekehrtem Gesicht; ihr Kopfgestell mit den sieben Ringen wird von ihr fester auf den Kopf gedrückt.

Ich sehe diese ganze Welt bis in die fernste Tiefe, und ich fühle die Bedürfnisse dieser ganzen Welt. Ich sehe, dass viel überflüssiger Zorn in dieser Welt ist, der die Harmonie des Ganzen stört. Diesen Zorn will ich ausrotten – denn ich will nicht blos dem Namen nach Eure Weltgebieterin sein. Ich will die Sterne, die Zwietracht säen, vernichten. Und ich will die Sterne, die Alles herrlich machen, erheben – so hoch – wie ich selbst erhoben bin. Wilder Beifall. Ich will all die Leiden ausmerzen. Abermals Beifall. Sie ziemen sich nicht für ein grosses Weltendasein. Ich will den Abscheu vernichten, den viele Sterne vor ihresgleichen haben. Stärkster Beifallssturm. Ich will, dass Alle einander achten und sich nicht umbringen, da ich die Wut verachte und verabscheue, Sehr lange anhaltender Beifall. Ich will, dass überall Friede und Freude herrsche [92] und nicht Zank und Gemeinheit. Murmeln und Bewegung in der Tiefe. Das will ich – und als WeltgebieterinSchreiend. werde ich das durchsetzen. – Ich wills! Und Kreischend. ich werde ausführen – das, was ich will! Ich kann nicht mehr!


Graf Abgrund kommt schnell vor, sie sinkt ohnmächtig in die Arme ihrer Schleppenträgerinnen, die sie unter grosser Erregung der Räte hinten rechts abführen. Die Dienerschaft folgt ohne jede Ordnung, und die Räte sehen sich entsetzt und sich hinter den Ohren krauend an.
GRAF ABGRUND
als die Dienerschaft auch weg ist.

Setzen wir uns, meine Herren! Er setzt sich wie ein Orientale mit untergeschlagenen Beinen unter die Glocke. Die andern Herren setzen sich rechts und links ebenso hin – im Halbkreise.

ZWEITER RAT.
Ja!
GRAF ABGRUND
die Arme mit gespreizten Fingern in die Höhe reckend.
Ach ja!

Vorhang!

4. Akt

Vierter Akt

Scene wie im zweiten Akt.
Aber auf der hinteren Wand sind jetzt nur hell- und dunkelblaue Flecken von unregelmässiger Form sichtbar. Okurirasûna stehend und die sieben Räte, die auch stehen, bereits die Handschuhe an und die Zylinder in der Hand haben.

OKURIRASÛNA
in einem weiten zinnoberroten Mantel mit Goldkometen.

Meine Herren, was Sie von mir verlangen, ist denn doch zu viel. Die ganze Sache ist doch keine pure Vertrauensangelegenheit. Wenn ich Befehle erteilen darf, so will ich doch auch wissen, ob meine Befehle ausgeführt werden – oder nicht.

[93]
GRAF ABGRUND.

Gnädige Frau, wir haben schon in aller Form erklärt, dass unser Auftreten durch Traditionen bestimmt wird, die durch Jahrtausende geheiligt sind. Wir müssen so handeln – wie wir handeln.

OKURIRASÛNA.

Dann können Sie mir ja Vieles erzählen. Gesetzt, ich würde der Meinung sein, dass alle Sterne, die von unsrer Sonne aus sichtbar werden, zu vernichten seien. Würden Sie die Vernichtung arrangieren? Ich frage den ersten meiner Räte.

ERSTER RAT.
Ich bezweifle, gnädige Frau, dass Sie jemals einen so grausamen Befehl erlassen könnten.
OKURIRASÛNA.
Das ist keine Antwort auf meine Frage.
GRAF ABGRUND.

Wir Alle nehmen an, dass die gnädige Frau zufrieden ist, wenn blos die astralen Friedensstörer vernichtet werden.

OKURIRASÛNA.

Gewiss würde ich dadurch zufriedengestellt sein – aber ich möchte auch die Gewissheit haben, dass die Friedensstörer tatsächlich vernichtet werden. Vor Monaten habe ich den Befehl gegeben, jenen blauen Stern der ersten Zone zu vernichten. Ich möchte nun sehen, wie weit der Vernichtungsprozess gediehen ist. Man müsste heute bereits eine Veränderung in der Farbe des Sterns wahrnehmen; die hellblauen Partieen haben sich, wie Sie mir das an den dort befindlichen Wandfiguren Weist auf die hintere Wand. erklärten, in dunkelgrüne verwandelt.

GRAF ABGRUND.

Es ist unsre Pflicht, die Weltgebieterin nicht an die Teleskope ran zu lassen. Die persönliche Besichtigung der astralen Vorgänge strengt Sie, gnädige Frau, derart an, dass Sie auf Wochen hinaus die weiteren kosmischen Verhältnisse in ihren Zusammenhängen nicht mehr verfolgen und somit auch nicht mehr lenken können.

OKURIRASÛNA.

Sie sind wirklich so schlau, dass es mir schwer fällt, Sie nicht für die gemeinsten Betrüger zu halten – die mit mir blos eine lächerliche Komödie aufführen.


Die Räte schreien entrüstet: »Aber!« »Was ist denn los?« »Unerhört!« und Aehnliches.
[94]
ZWEITER RAT.
Das ist ein Vorbote des schönen Rappels – ist Ihnen das nicht klar?
ERSTER RAT.

Ich mache die gnädige Frau in allem Ernste darauf aufmerksam, dass Sie sich die Gesundheit Ihres Verstandes bewahren wollten.

SECHSTER RAT.
Zu den Worten aber, die Sie zu äussern beliebten, könnten wir nur lächeln.

Die sieben Räte lächeln.
OKURIRASÛNA
nach einer Weile.
Verzeihen Sie mir – es war nur ein Scherz.
GRAF ABGRUND.
Wir wünschen Euer Gnaden eine angenehme Siesta.

Alle Räte lächelnd mit Bücklingen rechts ab. Von links erscheinen wieder wie im zweiten Akt Lekafolirâm und Mesmeimônio, die erstere in Schwarz, die letztere in Weiss.
OKURIRASÛNA
aufgeregt in ihrem Mantel auf und ab gehend, während sich die beiden andern Frauen auf den Diwan setzen.
Kinder, das war wieder eine Scene! Da hättet Ihr dabei sein sollen!
LEKAFOLIRÂM.
Was war los?
OKURIRASÛNA.
Ich wollte mich mit meinen eigenen Augen davon überführen, dass meine Befehle ausgeführt werden.
MESMEIMÔNIO.
Und was sagten sie?
OKURIRASÛNA.

Sie sagten, das widerstrebe den Traditionen – und ausserdem würden mich die Beobachtungen an den Teleskopen derart anstrengen, dass ich in meinem Amte gestört und behindert werden dürfte.

MESMEIMÔNIO.
Ja, brauchst Du denn die Teleskope dazu? Könntest Du Dich nicht mit blossem Auge überführen?
LEKAFOLIRÂM.
Ich würde doch Alles ruhig so gehen lassen. Glaube mir, es ist das Beste.
OKURIRASÛNA.

Oho! Da bist Du aber im Irrtum. Mesmeimônio, ich danke Dir für Deinen Rat. Aber zunächst muss ich denn doch ein ganz ernstes Wort mit Dir, Lekafolirâm, sprechen.

LEKAFOLIRÂM.
Bitte! Sprich nur!
OKURIRASÛNA.

Wenn, wie ich leider Grund habe zu vermuten, die Weltgebieterin einfach eine lächerliche Figur ist – so halte [95] ich's für lächerlich, wenn sich eine Weltgebieterin etwas Derartiges gefallen lassen wollte.

LEKAFOLIRÂM.
Und weiter?
OKURIRASÛNA.
Was denn? Verlangst Du noch mehr?
LEKAFOLIRÂM.
Was willst Du denn tun?
OKURIRASÛNA.

Diesen Gaunern hier die Larve vom Gesichte reissen und die Völker darüber aufklären, dass sie in diesem Sternpalaste blos schlaue Schmarotzer auffüttern.

LEKAFOLIRÂM.
Das Eine wird Dir nichts nützen, und das Andre wird Dir nicht gelingen.
OKURIRASÛNA.
So? Nun – das werden wir sehen.
LEKAFOLIRÂM.
Du wirst unklug handeln.
OKURIRASÛNA.
Sag doch lieber, ich sei eine dumme Gans.
LEKAFOLIRÂM.
Das sage ich nicht. Tu, was Du willst! Ich bin es müde, Dein Vertrauen – zu erkämpfen.
OKURIRASÛNA.
Und ich bin es müde, Deine apathischen Grobheiten zu hören.
MESMEIMÔNIO.
Nun wollen wir aber zusehen, was sich tun lässt.
OKURIRASÛNA.

Ja, liebe Mesmeimônio! Sieh, da drüben ist der blaue Stern der ersten Zone, wie er sich im grössten Teleskope zeigen soll. Nun habe ich befohlen, diesen Stern zu zerstören. Und meine Räte haben mir erklärt, dass dieses möglich ist – durch Mittel, die ich allerdings nicht beurteilen kann. Denn um diese Mittel zu beurteilen, müsste ich über tausend Jahre Dinge studieren, die mir doch etwas zu – trocken erscheinen. Also: der blaue runde Stern wird nach Angabe meiner Räte durch sehr komplizierte Apparate jetzt wirklich zerstört; die hellblauen Flecke sollen jetzt schon dunkelgrün sein.

MESMEIMÔNIO.
Das muss sich mit blossem Auge wahrnehmen lassen.
OKURIRASÛNA.
Auch die Form des Sternes hat sich in der Mitte nach beiden Seiten auseinandergezogen.
MESMEIMÔNIO.
Das muss sich ebenfalls mit blossem Auge wahrnehmen lassen.
LEKAFOLIRÂM.
Das hat ja Alles keinen Zweck.
[96]
OKURIRASÛNA.
Liebe Freundin, würdest Du mich verraten?
LEKAFOLIRÂM.
Nein – das hätte auch keinen Zweck.
OKURIRASÛNA.

Gut, so wollen wir auf den Weltbalkon gehen und sehen, ob wir eine Veränderung an dem blauen Stern bemerken.

LEKAFOLIRÂM.
Handle aber nicht unvorsichtig.
MESMEIMÔNIO.
Wollen wir nicht sofort hingehen?
OKURIRASÛNA.
Liebe Lekafolirâm, ich weiss, was ich zu tun habe. Noch bin ich die Weltgebieterin.
MESMEIMÔNIO.
Kommt! Lasst uns eilen! Aber auf den Zehen! Ganz leise! Dass Niemand was merkt!

Die drei Frauen schleichen leise auf den Zehen links hinaus. Ein paar Sekunden hindurch ist Niemand auf der Bühne. Dann kommt von rechts der rote Diener mit den Hörnern, blickt sich um, geht – auch auf den Zehen – zum Globus, betastet ihn, geht zum Diwantisch und betastet dort die sieben Ringe auf Okurirasûnas Kopfputz – lächelt, schüttelt mit dem Kopf und geht wieder rechts ab – und wieder ist ein paar Sekunden hindurch Niemand auf der Bühne.
Vorhang!

5. Akt

Fünfter Akt

Dieselbe Scene wie im ersten Akt.
Statt der beiden roten Kometen steht aber jetzt nur einer am Himmel und zwar einige Handbreiten über dem runden blauen Stern in der Mitte mit nach oben gerichtetem Schweif.

ERSTER RAT
wie im ersten Aufzuge von links mit dem zweiten Rate zusammen auftretend.
Was wollen wir denn hier? Ich dächte, wir hätten schon genug über die Sache geredet.
[97]
ZWEITER RAT.

Durchaus nicht! Es ist kein Spass. Gesetzt, wir hätten kein so dummes Volk – so würden wir doch wahrhaftig nicht im Stande sein, den ausserordentlich grossartigen Geschehnissen im Reiche der kosmischen Grandiosität zu folgen. Meinst Du, man würde uns um rein idealer Zwecke willen hier durchfüttern? Oh nein – man muss die Völker mit kitzelnden Machtphantasieen zu ködern wissen. Und darum ist ein Betrug einfach anständig. Oder – meinst du das Gegenteil?

ERSTER RAT.

Ich meine, dass es immerhin bedenklich sei, diese Komödie von der sogenannten Sterndirektion aufzuführen.

ZWEITER RAT.

Bedenklich! Natürlich ist das ganze Leben bedenklich! Aber mir erscheint es wichtiger, in unsrem Sternpalast die grossen Vorgänge im kosmischen Weltall zu verfolgen – als – weniger wichtige Angelegenheiten in Betracht zu ziehen. Bist du nicht auch der Meinung?

ERSTER RAT.
Allerdings – der Meinung schliesse ich mich vollkommen an.

Beide Räte wieder rechts ab, während Okurirasûna, Lekafolirâm und Mesmeimônio von links hereinkommen.
LEKAFOLIRÂM.
Jetzt glaube ich, dass auch mich der schöne Rappel ergreifen wird.
OKURIRASÛNA.
Was erlaubst Du Dir? Ich habe noch meinen Verstand.
LEKAFOLIRÂM.
Wenn ich Deinen Verstand ansehe, so habe ich bald meinen Verstand nicht mehr.
OKURIRASÛNA.
Schweig! Mesmeimônio, sage mir: hat sich an dem blauen Stern irgend etwas verändert?
MESMEIMÔNIO.
Keine Spur! Der ist, wie er war!
OKURIRASÛNA.
Nun, dann bitte ich Euch, mich zu verlassen.
LEKAFOLIRÂM.
Wir wünschen Euer Gnaden eine angenehme Siesta.

Beide ab.
OKURIRASÛNA
allein, beugt sich über die Brüstung, klopft an die Wände und rennt mit den Füssen stampfend herum – währenddem schreit sie in kurzen Absätzen das Folgende.

Heda! Kommt heran! Ihr verfluchten Betrüger! Ihr Schwindelnarren! Ihr gemeinen Schufte! Ihr erbärmlichen Halsabschneider! Ihr! [98] Kommt heran! Ich werde Euch die Wahrheit geigen: Heraus! Ihr Schmarotzer! Hierher!

ERSTER RAT.
Der gnädigen Frau ist wohl nicht wohl! Darf ich die Aerzte rufen?
OKURIRASÛNA.
Ersparen Sie sich die Mühe, Sie altes Ochs.

Die andern sechs Räte erscheinen nach einander von beiden Seiten. Lekafolirâm und Mesmeimônio, die zurückkamen, werden gleich wieder hinausgedrängt.
ZWEITER RAT.
Na ja! Der Ausbruch des vollendeten Rappels ist zum Ereignis geworden.
SECHSTER RAT.

Wir hörten schon die nötigen Dokumente. Halten Sie gefälligst Ihr gnädigstes Maul, gnädigste Okurirasûna! Sie werden sofort für verrückt erklärt werden.


Geht nach hinten und pfeift gellend über die Mauerbrüstung in die Tiefe hinunter.
OKURIRASÛNA.
Ihr Hallunken, Ihr habt mich betrogen; der blaue Stern sieht so aus, wie er immer ausgesehen hat.
GRAF ABGRUND.

Man binde diesem rabiaten Frauenzimmer Arme und Beine und stopfe ihm einen Knebel in den etwas zu kühnen Mund.

FÜNFTER RAT.
Ich finde es urkomisch, dass immer die Frauen den grossen Mund riskieren.
SECHSTER RAT
während Okurirasûna von drei Räten, ohne Widerstand zu leisten, gefesselt wird.
Ich lächle über diese ganze Weltgebieterei.
GRAF ABGRUND.

Mein lieber Herr Weltrat, es ist durchaus nicht geistreich von Ihnen, dass Sie unsre Institutionen belächeln. In offiziellen Augenblicken wenigstens könnten Sie sich das gefälligst abgewöhnen.

OKURIRASÛNA
plötzlich kreischend.
Hilfe! Sie wird geknebelt.

Der sechste Rat fängt sie, während sie in Ohnmacht fallen will, geschickt auf und hält sie von hinten an den Armen fest. Die sechs andern Räte ziehen ihren Zylinder und verbeugen sich vor ihr. Aus der Tiefe ertönt Wehgeschrei.
GRAF ABGRUND.

Gnädigste Frau Weltgebieterin, wir erklären [99] Ihnen hiermit, dass das Wehgeschrei der Völker nichts Andres bedeutet, als dass Sie auch verrückt geworden sind. Sie waren eben für den Sternpalast der dunklen Centralsonne noch nicht reif.

ZWEITER RAT.
Sie waren eben noch zu jung.
GRAF ABGRUND.
Arrangiert gefälligst das althergebrachte Arrangement der Absetzungszeremonie.

Die sechs ersten Räte fallen, während jetzt der Graf die Okurirasûna vor sich festhält, auf beide Kniee vor ihr hin, schwenken die Zylinder und leuchten ihr mit ihren Blendlaternen ins Angesicht.
ERSTER RAT
aufstehend.
Wir sind tatsächlich nicht Euretwegen da. Bravorufen der andern Räte.
ZWEITER RAT
aufstehend.
Wir sind tatsächlich nur unsretwegen da.

Gelächter der Räte.
DRITTER RAT
aufstehend.
Wir haben ein heiliges Recht, die Völker zu betrügen.
VIERTER RAT
aufstehend.
Die Völker können glücklich sein, dass wir sie betrügen.
FÜNFTER RAT
aufstehend.

Wenn wir die Völker nicht betrügen würden, hätten die Völker von der Grandiosität der Welt keine blasse Idee.

SECHSTER RAT
aufstehend.
Ich lächle blos.

Die sechs Räte umwandeln die Okurirasûna in grösseren und kleineren Kreisen, beleuchten sie mit ihren Blendlaternen, lächeln und lachen und
strecken vor ihr die Zunge raus und schneiden Grimassen und tanzen und springen dazu, während hinten aus der Tiefe jämmerliches Wehgeschrei ertönt.
Vorhang!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Scheerbart, Paul. Drama. Revolutionäre Theaterbibliothek. Band II. Okurirasûna. Okurirasûna. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-C0F8-8