[290] Sehr seltsam!

»Da gehen sie, die Sprudelköpfe!« brummte er ihnen nach, »feurig wie kochende Vulkane, zündbar wie achtzehnjährige Cadixer Señoritas, großmütig wie eure Ritter von der Tafelrunde und stolz wie Luzifers; aber überhaupt und insbesondere die gloriosesten, nobelsten Bursche, die es geben kann. Soll mir nun John Bull in seinem ganzen alten England zwei Jungens aufweisen wie dieser Oakley und Bentley! Herrliche Jungens! Nur noch alle Vierteljahrhunderte einen Krieg von zwei bis drei Jahren, wie der von Anno zwölf, ihr Mütchen an John Bull zu kühlen, und sie wären die ersten Gentlemen der Welt! So aber tritt ihr Übermut denn doch ein wenig zu ungeregelt lästig bei jeder Gelegenheit hervor – der lange Frieden tut ihnen und uns nicht gut. Ah, dieser Oakley! Bin ordentlich verliebt in ihn; wollte, Alexandrine wäre es, oder in Bentley! Weiß selbst nicht, welchen von beiden ich lieber habe. Wäre mir der kleine Finger von Oakley oder Bentley lieber als der ganze M–y. Gar ein süßes, geschniegeltes Fischbeinmännchen, dieser M–y! Tänzelt um sie herum, hängt an ihr wie eine Klette.«

»Er ist des Todes, wenn er es wagt!« unterbrach ihn hier eine heftige Stimme.

»Was, zum Henker, haben wir denn da schon wie der? Ist denn heute gar keine Ruhe mehr! Immer nur Mord und Totschlag und Kugeln und Pistolen? Wer, im Namen des gesunden Menschenverstandes! Ned, bist du es? Um's Himmels willen! Was soll es nur wieder? Wer tat dir etwas, daß er gleich des Todes sein soll?«

»Wer immer es wagt!« versetzte zornig Ned.

»Wer immer es wagt?« meinte verwundert der Onkel, »was wagt?«

»Seine Augen zu ihr zu erheben!«

»Zu ihr? Zu welcher ihr?« fragte mit einer wahren Schafsmiene der Onkel.

[291] »Bitt' Euch, Onkel, bitte Euch recht sehr, nicht in diesem Tone von einer Dame zu reden, von einer Dame. Sag' Euch, zerreißt mir ordentlich die Ohren, dieser Mißton!«

»Mißton? zerreißt dir die Ohren?« unterbrach ihn der Onkel. »Willst du wohl so gut sein, Ned«, meinte er gähnend, »deine Rede etwas weniger pythonisch, orakulär einzurichten? Wen meinst du denn eigentlich mit deiner Dame, deinem Mißton?«

»Wen ich meine?« rief heftig Ned, »wen ich meine?« seufzte er verzückt, »wen meine ich, als die Herrliche, die Göttliche! Ah, Alexandrine!«

»Alexandrine!« rief der Uncle, »Alexandrine? Was von ihr? Wie kamst du auf sie? Was weißt du von ihr? Hast sie ja in deinem Leben nicht gesehen, kennst sie nicht einmal?«

»Ich sie nicht kennen?« rief der sehr unwillige Ned, »ich sie nicht kennen, die unvergleichlich Herrliche, in der mir erst Licht und Leben –!« frohlockte er schwärmerisch.

»Und so weiter!« unterbrach ihn spöttisch der Onkel. »Würde Tropen und Figuren lassen, wenn ich du wäre, in schlichtem Englisch oder Amerikanisch reden, denn es ist spät oder vielmehr früh und Zeit zum Schlafengehen. Du kennst sie also? Ah, sie war es denn, sie war es, der die Seufzer galten, die uns bei einem Haare einander auch in die Haare gebracht hätten? Und woher kennst du sie, wenn ich zu fragen so frei sein darf?«

»Ich habe die Ehre, Miß Alexandrine von Paris her zu kennen!« versetzte ehrerbietig der Neffe.

»Von Paris?« rief kopfschüttelnd der Onkel, »von Paris? So warst du also in Paris? Aber ich dachte, du hättest dich die ganze Zeit in Texas umhergetrieben? Habe deshalb auch nach Texas geschrieben und durch deinen Vater schreiben lassen. Hast du unsere Briefe nicht erhalten?«

»Nein, ich war die letzten sechs Monate von Hause abwesend, drei Monate in Aufträgen meines Landes und unserer Regierung zu Paris.«

»Von Hause abwesend, drei Monate in Aufträgen deines Landes in Paris?« spottete der Uncle. »Und war unter den Aufträgen deines pretiösen Landes und deiner pretiöseren Regierung auch der – ich weiß in der Tat nicht, wie ich es nennen soll?«

[292] »Nennt es, wie Ihr wollt, Onkel!« fiel ihm ernst, beinahe streng der Neffe ein. »Nennt es, wie Ihr wollt, nur nennt nichts, was dem Bevollmächtigten seiner Regierung zu hören nicht geziemt. Spottet, soviel Ihr wollt, nur spottet nicht über eine Regierung und Männer, deren hohen Geist Ihr nicht kennt, nicht zu ermessen imstande seid. Überlaßt das Euren gepriesenen Sprudelköpfen, wie Ihr sie nennt, die ich aber mit Eurer Erlaubnis etwa mit Ausnahme Oakleys, Bentleys und einiger weniger Hohl- und Schafsköpfe nenne. Überlaßt es ihnen, über Taten und Männer zu spotten, die Achsel zu zucken, die über sie weit zu erhaben sind, als daß sie diese mit Baumwollen und Sklaven angefüllten Gehirnschädel zu würdigen fähig wären. Überlaßt es uns, uns und unsere Taten vor der Welt zu rechtfertigen.«

Der junge Mann war, trotz der Mühe, die er sich gab, gelassen zu bleiben, nicht wenig heftig geworden, nicht so der Onkel, der ganz ruhig erwiderte:

»Oh, das tue ich ja! Behüte mich der Himmel, Eurer Texaser Ehre nahezutreten! Allen Respekt vor deinen Texaser großen Geistern, Helden! Aber wollen für einstweilen diese Helden und Geister beiseite lassen und zu Dingen übergehen, die uns näherliegen. Du hast meine Frage nicht beantwortet.«

»Ich muß Euch ersuchen, mir die Beantwortung dieser Frage zu erlassen, denn sie ist unzart!« bedeutete ihm der Neffe.

»Auf alle Fälle ist sie es, aber das ist nicht meine Schuld, finde sicherlich keine sehr große Zartheit darin – sich in Liebesverhältnisse mit der Tochter ohne Vorwissen des Vaters einzulassen!«

»Da haben wir wieder verschiedene Ansichten, Onkel!« versetzte ebenso spöttisch der Neffe. »Ich wieder sehe nichts Unzartes in einer Neigung, ja, wenn Ihr nichts dagegen habt, Liebe, wenn diese Neigung Liebe – aber laßt uns schweigen, Onkel! Ich sehe, daß wir von ganz entgegengesetzten Ansichten ausgehen. Wir Texaser sind weder Geldmänner noch Onkels – bloße Naturmenschen, aber menschliche Menschen.«

»Freut mich, das zu hören«, spottete wieder der Onkel, »freut mich sehr, zweifle auch nicht, daß Ihr menschliche Menschen seid, Naturmenschen, liberale Menschen, ganz und gar nicht so engherzig wie wir hierzulande. Habt es bereits bewiesen. Ist aber nur fatal, mein lieber Texaser General, daß du jetzt in unserm Lande bist, wo wir [293] leider so bornierte, unmenschliche Menschen, Geldmänner und Uncles – das heißt, ganz und gar nicht geneigt sind, uns unsere Töchter und Dollars so mir nichts, dir nichts wegkapern zu lassen. Sind so unmenschlich, auch ein Wörtchen dazu zu sagen.«

»Mister Duncan!« rief gereizt der Neffe.

»Laß uns, wenn's beliebt, weniger militärisch kategorisch imperativ in unserem Zweigespräche sein«, bedeutete ihm der Uncle, »denn du weißt, daß ich mich nicht schieße, hilft also dein tapferer Ton nichts. Und dann ist's spät, nahe an vier. Selbst der Mond will zu Bette, sieh nur.«

Er deutete bei diesen Worten auf den Mond, der sich stark den westlichen Wäldern Louisianas zuneigte.

»Ich habe«, hob er etwas ernster wieder an, »einige Ursache, zu fragen, einiges Recht und Interesse, verstehst du, da ich in Verhältnissen zu dem Vater der Erkiesten deines Herzens stehe, die ich nicht um zehn Söhne und zwanzig Neffen gestört wissen wollte. Es ist bei mir nicht bloß Delikatesse, es ist Pflicht, mußt du wissen, mein liebwerter General! Willst du daher so gefällig sein, mir zuerst zu sagen, wo und wann du Miß Alexandrine zuerst kennenlerntest?«

»Zu Paris im Salon unsers oder vielmehr Eures Gesandten, des Generals C–ß, gerade vor acht Wochen drei Tagen.«

»Sehr pünktlich, in der Zeitrechnung wenigstens, das muß ich sagen!« spottete der Onkel. »Und saht Ihr Euch öfters?«

»Zweimal, das erstemal, als wir einander vom Minister-General aufgeführt wurden, und dann – dann – bei ihrem Abschiedsbesuche.«

»Und nicht öfter? Dann mußt du Zeit und Gelegenheit wahrlich als General wahrgenommen haben – als eine Art Cäsar: Veni, vidi, vici 1. Du siehst, habe mein Salem-Latein noch nicht ganz vergessen. Aber bei Euch Soldaten ist ja love at first sight 2 herkömmlich. Hoffe jedoch, die süßen Regungen werden nicht gegenseitig erwacht sein? Hoffe es um Alexandrinens willen; oder kamet Ihr während dieses zweimaligen Zusammentreffens doch bereits auf das süße Thema? Wäre das ja schnell!«

»Euer herzloser Spott verdient eigentlich keine Antwort«, fiel ihm mit verbissenem Grimme der General ein, »aber ich will Euch [294] antworten, weil, um es frei herauszusagen, ich mich viel zu sehr achte, als daß ich dem Schwestermanne meiner teuren Mutter seinen schnöden und gefühllosen Hohn zurückgeben könnte. Aber in der Tat, Mister Duncan, weiß ich nicht, was Euch berechtigt, in diesem Tone zu mir zu sprechen? Ich glaube, unsere Unterhaltung dürfte hier am besten abgebrochen werden.«

Und so sagend, trat er kurz und stolz zurück; der Onkel hielt ihn jedoch.

»Will Euch sagen, General«, versetzte dieser schärfer, »will Euch sagen, was mich berechtigt, in diesem Tone zu Euch zu sprechen. Halte mich zu diesem Tone berechtigt, nicht deswegen, weil ich der Schwager Eures Vaters, sondern weil ich der Freund, der Partner, ja gleichsam der Bruder des Mannes bin, dessen Tochter in ihr väterliches Haus zu folgen, ich möchte sagen zu verfolgen. Ihr so kühn seid; weil ich diesem Mann, dem edelsten, dem treusten, zartfühlendsten Freunde, den ich auf der weiten Welt besitze, um keinen Preis zu nahe treten ließe, nicht von meinem Vater, nicht von meinem Sohne zu nahe treten ließe, weil der bloße Schein einer Undelikatesse Undankbarkeit wäre. Undelikat aber würde es in hohem Grade sein, dein Liebesverhältnis zu seiner einzigen Tochter, mit der er wahrscheinlich ganz andere Absichten hat, zu begünstigen. Undelikat muß ich es nennen, General, sich in einem Hause betreten zu lassen, von dem Euch wahrer Zartsinn entfernt haben sollte. Undelikat nenne ich, so mit der Liebe gleichsam zur Türe, ins Haus hineinzufallen, diese Liebe durch Ausrufungen, Seufzer, Streit zu proklamieren. Das nenne ich undelikat, General, und es empört mich, einen Neffen zu finden, ihn in einem Hause installiert zu sehen, in dem er niemanden kennt; denn du kanntest niemanden, wußtest ja nicht einmal, daß ich in Natchez – mit dem Vater der Tochter in freundschaftlichen Beziehungen stehe!«

Des Generals Brust hob sich während der Vorwürfe des Uncles hörbar, die Zähne klapperten ihm.

»Uncle!« brach er endlich in dumpfer Verzweiflung aus.

»Sag mir, wußtest du in der Tat nicht, daß ich mich in Natchez niedergelassen?«

»Ich hatte wohl gehört, daß Ihr Euch im Südwesten aufhaltet – aber wo, wußte ich nicht!« stammelte der Neffe.

»Und bist ihr doch gefolgt?«

[295] »Ich würde ihr in die Hölle gefolgt sein.«

»Sehr schmeichelhaft für sie, nur nicht ganz so für uns. Sie hat dir also Hoffnung gegeben, denn sonst wäre ja dein Folgen Verfolgen?«

»Hoffnung!« murmelte der junge Mann, »Hoffnung!« seufzte er. »Ah, Uncle! Ihr habt nie geliebt; laßt uns schweigen!«

»Jawohl, Ned, hab ich geliebt«, versetzte hastig und plötzlich weich der Uncle, »jawohl hab' ich geliebt, und eben weil ich geliebt habe, kommt mir dein Benehmen so gar unzart vor. Ließe sich viel über das Kapitel sagen, könnte dir dein Vater sagen. Weißt freilich nichts davon, bist seit zehn Jahren auf der Universität und Abenteuern gewesen, – habe aber meine Judith treu, lange und zärtlich geliebt, schier um sie wie Jakob um seine Rahel dienen müssen. Wollte deine Familie, besonders dein Vater absolut nichts von der Mesalliance mit dem Yankee-Kommis, wie sie mich nannten, wissen. Mußten zuletzt noch nach Pennsylvanien hinüber, uns da trauen lassen, durfte sich dann volle sechs Jahre nicht im Hause ihrer Eltern blicken lassen, die arme Judith. Hat viel gelitten, der Tränen bittere vergossen. Erst als ich von Callao, wo mir und Murky der Glücksstern aufging, zurückkam, erst da sah man uns mit freundlicheren Augen an. Freilich wurden wir dann die besten Freunde, sind es noch, wünschen die Bande noch enger zu knüpfen, haben dir auch deshalb nach Texas nachgeschrieben, dachten, du würdest, des ewigen Herumziehens, Revolutionierens müde, dich nach einem ruhigen Herde umsehen wollen. Dachten, du und Eleanor – weißt ja, dein kleines Weibchen Eleanor – sollte es nicht sagen, ist meine Tochter, aber ein herziges Mädchen, die Eleanor!

Du hast also unsere Briefe mit ihrem Bilde nicht erhalten?«

»Bild? Ich verstehe Euch nicht!« rief wie träumend Ned.

»Wohl, wohl! Hoffe, werden uns noch verstehen!« meinte begütigend der Onkel. »Warst immer ein Brausewind, hoffe aber, wird dir Eleanor schon den Kopf zurechtsetzen!«

»Ich verstehe Euch in der Tat nicht, Onkel!« versetzte dringlicher der Neffe, »soviel ich aber verstehe, so muß ich – so schwer mir auch dieses fällt – nein, Onkel! Um keinen Preis wollte ich Euch auch nur einen Augenblick täuschen. Meinen herzlichen Dank für Eure gütigen Gesinnungen, aber –«

»Aber wenn du Alexandrine bloß zweimal sahst, wenn sie dir keine [296] Hoffnung gab«, rief wieder ungeduldig der Onkel, »was willst du nur? Oder hat sie dir doch Hoffnung, Aufmunterung gegeben?«

»Er hat nicht geliebt!« murmelte Ned in sich hinein. »Was nennt er Aufmunterung, Hoffnung? Den seelenvollen Blick, der leuchtend, strahlend, zündend das himmlische Antlitz – Euch selbst verklärt – wechselseitig in den Himmel verzückt, mit namenloser Wonne durchzuckt – nennt er das Hoffnung, Aufmunterung? – Vielleicht ist's, vielleicht nicht! Seltsam, bis jetzt leuchtete es mir, glänzend, strahlend! Auf einmal aber ist mir's, als ob es schwände, das ganze nichts als Täuschung wäre! Täuschung?« fragte er sich, »Täuschung? Nein, es ist nicht Täuschung – ich habe sie empfunden, tief empfunden, die selige, köstliche Wonne! Nur hätte ich sie nicht aussprechen – durch Sprache nicht entheiligen sollen! Acht Wochen habe ich sie in mir getragen, diese Blüten, diese Frühlingsschauer, die meine Liebe befruchtet – aber aussprechen hätte ich sie nicht sollen!«

Und wie der Neffe so geistesabwesend in sich hinein murmelte, lauschte der Uncle so ängstlich! Den Kopf vorgestreckt, hielt er das Ohr hin, um ja keines der Worte zu verlieren.

»Hoffnung!« murmelte wieder Ned, den Blick auf den Mond gerichtet, der jetzt die Spitzen der westlichen Wälder des jenseitigen Louisianas berührte, »Hoffnung! Vielleicht keine – aber – die Empfindung! Die sollen sie mir nicht rauben, ich will zehren daran, schwelgen – alle Tage meines Lebens, – ich will, ich will! Ah, diese Empfindung! Trieb sie mich ihr nicht sechstausend Meilen nach, über Land und See nach? Fühlte ich, hörte ich, sah ich etwas anderes als sie? Wie harmlos war ich, ehe ich sie sah – wie ganz anders alles, seit ich sie sah! Frankreich, Paris, Texas selbst ist mir verhaßt, zum Ekel geworden! Wäre Texas – der Thron Frankreichs der Preis meines längeren Bleibens gewesen, ich hätte nicht bleiben können – ihr nach, nach Havre müssen!«

»Ned! Ned!« rief ängstlich der Onkel, »was soll das alles? Du sprichst wie ein Geistesabwesender – mit wem sprichst du! Was sagst du vom Throne Frankreichs? Havre?«

Ned fuhr wild auf. »Was ich sagte? Was ich sagte? Wer seid Ihr? – Bah, Uncle Dan, es läßt sich mit ihm nicht reden, er hat nie geliebt!«

»Und ich sage dir, ich habe«, fiel hitzig der Uncle ein, »aber vernünftiger und nicht wie ein Fieberkranker, Mondsüchtiger!«

[297] »Oh, sehr vernünftig, sehr vernünftig!« lachte Ned bitter. »Verschont mich um Gottes willen mit Eurer vernünftigen Liebe!«

»Wohl, will dich verschonen; aber was sagtest du von Havre? Was ist's mit Havre? Etwas Neues von Havre? Baumwolle vielleicht aufgeschlagen?«

»Baumwolle aufgeschlagen?« rief Ned wild. »O Alexandrine! Und diese Baumwollenseelen sind es, die über dein und mein Schicksal entscheiden sollen?«

»Du wirst mich noch böse machen, Ned!« grollte der Uncle, »laß die Baumwollenseelen, kennst sie nicht, und sag', was es mit Havre ist!«

»Mit Havre? mit Havre? Mußte ich nicht nach Havre?« grollte wieder Ned.

»Und warum mußtest du nach Havre?«

»Warum ich nach Havre mußte?« fuhr ungeduldig Ned auf »Leuchtete mir nicht die Hoffnung, sie würde sich in einem New Yorker Paket einschiffen? Oh, sie ging in einem New Orleanser Segler, auf dem mir Passage verweigert wurde!« fügte er traurig hinzu.

»Natürlich!« meinte wieder der Onkel, »der ›Neptun‹ gehört ihrem Vater und mir, und der Kapitän war von uns angewiesen, keine Passagiere als sie, Señorita Theresia und ihr Gefolge aufzunehmen.«

»Und gehörte M–y auch zu ihrem Gefolge?« fragte bitter der Neffe. »Oh, hätte ich diesen M–y nur erwürgen können!«

»Danke schönstens!« spottete wieder der Uncle. »Steht sein Vater seit mehr als zehn Jahren mit uns in freundschaftlicher Verbindung, waren in Handelsverhältnissen, ehe er nach Paris übersiedelte. Doch weiter!«

»Weiter!« stockte der Neffe. »Weiter eilte ich auf den ›Poland‹, dessen Kapitän, dem wackern Anthony, ich noch ein Plätzchen in seinem eigenen Staatszimmer abnötigte. War das ganze Schiff voll. Aber segelten noch an demselben Tage ab, wäre nicht zurückgeblieben, und wenn ich auf dem Verdecke hätte bleiben müssen. Ah, begünstigte der Himmel selbst unsere Fahrt, waren am zwanzigsten Tage in New York.«

»Sehr gute Fahrt das, aber weiter!« meinte der Onkel.

»Den Tag nach meiner Ankunft in New York segelte das New-Orleanser [298] Paket ab; ich bestieg es – am achtzehnten darauf betrat ich die Levee von New Orleans.«

»Und da?« fragte der Uncle.

»Wie ich den Fuß auf das Land setze«, rief begeistert Ned, »war mir auf einmal so seltsam, so wohl und weh, ein so heiliger, frommer Schauer kam über mich!«

»Sehr begreiflich das in New Orleans. Ist ein so frommer, heiliger Ort! Sehr begreiflich da die heiligen Schauer!«

»Ich fühlte ihre Nähe«, fuhr, den Spott überhörend, Ned fort, »es war mir, als ob ihr süßer Atem mir entgegen wehte. Und siehe da, wie ich berauscht um mich schaue, kommt sie mir entgegen, die schönste im schönen Kranze!«

»Etwas weniger poetisch, wenn du so gut sein willst, Ned!« meinte wieder der Uncle.

»Sie kam auf den Fluß zu, in der Richtung, wo die Dampfschiffe liegen. Wohl fünfhundert Schritte von mir schwebte sie oberhalb vorbei, aber auf fünftausend hätte ich sie erkannt.«

»Gehören dazu gute Augen, zweifle, ob indianische das leisten würden.«

»Das Auge der Liebe sieht scharf!« rief schwärmerisch Ned, »Ihr habt nie geliebt, Onkel! Genug, sie war es, sie ging mit mehreren Gentlemen und Damen auf eines der Dampfschiffe. Die Neger, die mit Koffern und Kisten vor- und nacheilten, ließen keinen Zweifel, sie reiste ab. Und es zog mich nun mit solcher unwiderstehlichen Gewalt ihr nach! Ich vergaß alles, Diener, Gepäck, Schiff – alles. Ich mußte ihr nach! Ich rannte die Levee hinan, der Stelle zu, wo sie verschwunden, über die Bretter, die zu den Dampfschiffen lagen.

Aber es lagen ihrer mehr denn vierzig da, eine ganze Flotte von Dampfern!« seufzte er wieder im trostlosen Tone. »Welches barg den köstlichen Schatz? Von vielen tönten die Glocken zur Abfahrt. Ich springe auf das erste, stürze die Treppe in die Kajüte hinab, sehe die Tür des Damensalons offen – o Schmerz! Sie war nicht da. Wieder renne ich hinaus, springe vom Schiffsgeländer weg auf das nächste.«

»Hättest da leicht einen Fehlsprung tun können«, meinte mißbilligend der Uncle, »las erst gestern, wie ein Gentleman durch einen solchen Sprung in die Ewigkeit sprang; fiel in den Mississippi.«

»Wie ich in die Kajüte dieses Dampfers einstürze, läutet die Schiffsglocke [299] zum zweiten und letzten Male – die Tür der Damenkajüte ist aber geschlossen. Das läßt mich vermuten, daß sie den köstlichen Schatz berge. Während ich, zu fragen, ungeduldig nach der Stewardeß renne, gerät der Dampfer in Bewegung, schwingt herum. Die Türe geht auf, ach! mein Himmel war nicht da.«

»Ja, den wirst du freilich nicht auf unsern Mississippidampfern finden!« bemerkte wieder trocken der Uncle.

»Er ward mir zur Hölle, zur wahren Hölle«, fuhr Ned auf, »aber eines tröstete mich, das Dampfschiff, das sie trug, ging so wie das meinige stromaufwärts. Wenn nur das meinige nicht hinten blieb, ich sie nicht verlor! Die Angst, die mich jetzt befiel, diese zu beschreiben! Ich fürchtete wahnsinnig zu werden. Endlich wettete ich hundert Dollar mit dem Kapitän, daß er hinter den sechs Dampfern, die mit uns abfuhren, zurückbleiben würde. Er nahm zwei aus, mit den übrigen vier ging er sie ein.«

»Sag' mir doch, wie heißt dieser pretiöse Kapitän? Wollen ihm das Handwerk bald legen!« fiel hier der Uncle ein.

»Ah, er hielt sich wacker, sehr wacker, der Brave! Einzig zwei der sechs kamen uns vor, aber wir behielten sie doch im Auge, und sie fuhren am folgenden Tage keine halbe Stunde vor uns im Hafen von Natchez ein. Wie wir einfuhren, erscheint auch, wie ein Stern am heitern Himmel, sie – sie, die mein alles ist und bleiben wird. Sie verließ soeben den Dampfer, schwebte Unter-Natchez zu. Unter-Natchez, dieser Ort der Greuel, erschien mir in dem Augenblicke ein Himmel. Oh, was hätte ich darum gegeben, da zu sein!«

»Ned! Ned!« schaltete der Onkel ein, »bist trotz deiner Generalschaft ein großer Narr!«

Ned fuhr, das Kompliment überhörend, fort:

»Aber eine lange, furchtbar lange Viertelstunde verging, ehe es mir gegönnt war, den Boden zu betreten. Endlich, endlich! Noch war sie zu sehen, aber bereits oben auf der Höhe des Bluffs.

Ich rannte, ich flog. Ehe ich die Windungen der Anhöhe hinanrenne, ist sie verschwunden. Alles, was ich sehe, ist ein Wagen, der um die Ecke herum durch die Stadt rollt.«

»Weiter, weiter, Ned!« gähnte der Uncle, »ist Zeit zum Schlafengehen, vier Uhr!«

»Ah, Uncle! Ihr habt nicht geliebt!« seufzte Ned.

[300] »Laß mich zufrieden mit deinem ›nicht geliebt haben‹, verrückt war ich nicht so wie du! Man möchte aus der Haut fahren. Das gehört by Jove in den Kalender! Doch weiter, wie kamst du hieher?«

»Wie ich hieher kam? Wie ich hieher kam? Weiß selbst nicht recht, wie ich hieher kam!« versetzte der Neffe. »Ja, richtig, wie ich den Wagen fortrollen sehe, springe ich dem nächsten Gasthofe zu, rufe nach dem Wirte.«

»Paterson? War bei mir«, fiel der Uncle ein, »brachte mir die saubere Neuigkeit, schüttelte den Kopf. Und wohl mochte er; hält dich für einen Verrückten, Abenteurer oder gar Sporting-Gentleman, der Reißaus genommen.«

»Sporting-Gentleman! Was ist das?«

»Ein Spieler von Profession und Räuber und Mörder aus Liebhaberei oder bei Gelegenheit. Hatten vor ein paar Jahren in Walnuthill ein ganzes Nest dieser Gentry, bis wir ein halbes Dutzend hängten und so Kehraus machten. Doch weiter, weiter! Was hattest, wolltest du mit Paterson?«

»Ein Pferd, ein Pferd! Mein Königreich, meinen Himmel für ein Pferd!«

»Lästre nicht, junger Mann!« fiel streng der Onkel ein.

»Ein Pferd wollte ich!« wiederholte dieser, »und er schaut mich an, schüttelt den Kopf. Ich reiße meine Brieftasche heraus, halte ihm einige Hundert-Dollar-Noten vor die Nase. Er schaut mich noch kopfschüttelnder an, frägt nach meinem Namen, ich nenne mich.«

»War, wie gesagt, bei mir, denn kennen uns von Baltimore her. Wunderte mich nicht wenig, wie er mir die Geschichte erzählt und daß der Verrückte oder sonst etwas – sich für Oberst Morse von Texas ausgebe. War das auch eigentlich die Ursache, warum ich herabkam. Dachte mir wohl, daß da etwas Apartes im Spiele sein müsse, beschrieb dich als so ungestüm, drohend!«

»Wer wird nicht ungestüm sein«, fiel heftig der Neffe ein, »wenn der Himmel auf dem Wurfe steht? Ich hätte den Publicaner erwürgen mögen, wie er kopfschüttelnd, grinsend vor mir stand, mich von allen Seiten beschaute. Ich frage, ob er nicht einen Wagen gesehen? Ja! sagt er, fährt soeben die Südstraße zum St. Catharine hinab.

Endlich ist das Pferd gesattelt, ich springe darauf, jage die Südstraße hinab. Eine halbe Meile vor mir sehe ich richtig den Wagen. [301] Ich ihm auf Leben und Tod nach. Er fährt aber rasend schnell. Ein paar Meilen hatte ich zu jagen, ehe ich ihn erreiche. Wie ich ihn endlich erreiche, finde ich mich umringt von mehreren hundert Damen und Gentlemen zu Pferde und in Wagen. Ich war auf Eurer Rennbahn, inmitten Eures Wettrennens.«

»Der St. Catharine-Rennbahn, wußtest du das nicht? Ist die erste Rennbahn am Mississippi, unsere Wettrennen die ersten im Süden.«

»Ich sah es, aber auch, daß der Wagen sie nicht enthielt. Die Damen, die ausgestiegen, waren mir fremd.«

»Und wie kamst du hieher in Käpt'n Murkys Kajüte?«

»Weiß es selbst nicht recht, weiß nur, daß ich in der Eile – der Verwirrung, nach Käpt'n Murky fragte, so erfuhr, daß seine Pflanzung in der Nähe – kaum drei Meilen von der Rennbahn abliege, daß mehrere Gentlemen sich da das Rendezvous gegeben, zum Diner geladen hatten. Wurde versichert, daß ich gleichfalls sehr willkommen sein würde; ja man drang in mich – den Unbekannten – mit zu kommen. So kam ich denn, halb widerstrebend, halb verlangend.«

»Wohl, wohl!« sprach nun um vieles milder der Onkel, »das sieht denn doch wieder so arg nicht aus, als ich befürchtete; ist zwar mehr als Tollheit dabei, wahre Liebesraserei, aber ist Liebesraserei von Amors Zeiten her blind, hast folglich ein Privilegium. Das wollen wir dir auch gerne ins Haben schreiben, nur mußt du auch wieder das Sollen nicht vergessen.«

»Das Sollen?«

»Das Sollen, Ned! Das, was du, ich will nicht sagen dem texasischen General ... denn der wiegt bei uns, wie du leicht begreifen magst, nicht sehr schwer, etwas anderes wäre es, wenn du amerikanischer oder englischer General wärest – aber was du dir als Gentleman schuldig bist. Auf das dürfen wir nicht vergessen, Ned!« mahnte der Onkel. »Dein Liebesrausch war heftig, sehr heftig, aber solche heftige Räusche vergehen auch in der Regel wieder um so bälder.«

»Nie, nie!« seufzte Ned.

»Wollen sehen, Ned!« versetzte der Onkel, »wollen jetzt schlafen gehen. Kannst hier schlafen, obwohl ich es unter den Umständen lieber gesehen hätte, wenn du im Gasthofe geblieben wärest.«

»Ich fühle das Unzarte meines Hierbleibens«, versetzte Ned, »und darum –«

[302] »Ohne Zweifel liegt etwas Unzartes darin«, meinte wieder der Onkel, »da es jedoch auf die Art und Weise kam, hat es wieder etwas, ich möchte sagen, Zartes. Nur mußt du beizeiten hinauf nach Natchez. Hier darf dich niemand finden; es sähe aus wie abgekartetes Spiel.«

»Ich begreife!« murmelte Ned.

»Du kannst ein paar Stunden ausschlafen, aber dann mußt du, wie gesagt, hinauf nach Natchez. Paterson will ich ein paar Worte sagen lassen. Heute dürfte ich wohl wenig Zeit mehr haben, aber morgen wollen wir weiter von der Sache reden. Läßt sich noch alles recht gut ausgleichen. Wirst sehen, wenn du ausgeschlafen, werden dir die Dinge ganz anders erscheinen.«

Ned schüttelte den Kopf.

»Weiß nicht, Onkel, kam hieher mit so seltsam bewegtem, freudigem Herzen, so voll Hoffnung, aber nun –«

»Wohl, und nun?« fragte der Onkel.

»Aber nun fühle ich so trostlos, so verzagt!« murmelte Ned. »Nur eines wünschte ich von ihren Lippen zu hören, und dann –«

»Und dann?«

»Dann Himmel oder Hölle, Seligkeit oder Verdammnis!«

»Sachte, sachte, Mann! Laß vor allem die ›sie‹ aus dem Spiele!« mahnte wieder der Uncle. »Leben hier nicht in Texas, wo sich Liebschaften über Nacht abmachen und zu Heiraten werden. Lassen sich nicht übers Knie brechen, derlei Affären, denn haben andere Leute auch noch ein Wörtchen dareinzureden, verstehst du? Handelt sich hier um eine Affäre von drei-bis viermalhunderttausend Dollar!«

»Wie meint Ihr das, Onkel?«

»Wie ich das meine? Sehr natürlich meine ich es. Sie bekommt zum wenigsten dreimalhunderttausend Dollar mit, ist sein einziges Kind!«

»Aber Governor Caß sagte mir, sie sei die Tochter eines unserer Kauffahrerkapitäne!« entgegnete beklommen Ned.

»Wohl, und so ist sie. Er war Kapitän, hat noch immer Anteil an einigen Schiffen, ist aber seit mehr denn zehn Jahren auch Pflanzer.«

»O Schmerz!« seufzte Ned.

»War arm, so wie ich, steht aber jetzt, Gott sei Dank, in seinen eigenen Schuhen so wie ich.«

»Schmerz! Schmerz!« seufzte Ned.

[303] »Kann ihr, ohne sich zu entblößen«, fuhr, das Schmerz, Schmerz überhörend, der Onkel fort, »dreimalhunderttausend Dollar mitgeben. Ist in jeder Hinsicht eine der brillantesten Partien, einer der glänzendsten Preise, der manchem Herzklopfen verursachen, manchen magnetisch anziehen – abstoßen wird. Zieht bereits von Paris an, ist ihr M-y von Paris, von New Orleans Bluffs herauf gefolgt. Oakley und Bentley werden auch nicht säumen, sich in die Schranken zu stellen; sind beide jung, reich, aus den ersten Familien. Welche Hoffnung hast du solchen Prätendenten gegenüber?«

»Die Hoffnung«, versetzte mit Würde der Neffe, »daß Miß Alexandrine wenigstens – den armen Texaser General nicht nach dem schnöden Maßstabe von dreihundert Sklaven und fünfhundert Baumwollenballen messen wird.«

Die letzteren Worte waren wieder sehr bitter gesprochen.

»Sei vernünftig, Ned!« mahnte der Uncle, »und nimm nicht als Beleidigung, wo keine gemeint ist. Ich bin dein Onkel und halte es für Pflicht, dir die Augen zu öffnen; willst du sie aber mit Gewalt verschließen, je nun, meinethalben; leben in einem freien Lande!«

Ned stierte den in den Wäldern Louisianas versunkenen Mond an.

»Sie ist Käpt'n Murkys einziges Kind, seine Freude, sein Trost. Er hat keine Kosten gespart, ihr die glänzendste Erziehung zu geben, sie für die höchsten Kreise der Gesellschaft zu bilden. Kannst du nun wohl mit etwas wie gesundem Menschenverstände erwarten, daß er sie dir da unter deine Texas-Freibeuter mitgeben werde?«

»Uncle!« rief aufprallend Ned.

»Nimm nur die Dinge, wie sie sind«, mahnte wieder der Onkel, »täusche dich nicht, sieh nicht bloß mit eigenen, sondern auch fremden Augen, setze dich in die Lage des Vaters. Was würdest du als Vater sagen, wenn einer mit solchen Zumutungen käme? Sie nach Texas senden, hieße ja gerade, die Perlen vor die Schweine werfen; er gibt sie dir gewiß nicht nach Texas mit, hier aber hast du kein Vermögen, denn dein Vater lebt noch – und hat fünf Kinder; von deinem Weibe aber wirst du dich doch nicht ernähren lassen wollen, dazu, hoffe ich, hast du zuviel Selbstgefühl?«

»Ich habe mir in Texas so viel erworben, daß ich unabhängig, ja glänzend leben kann!« versetzte der General.

»Ja, aber wird sie dir dahin folgen? Sie, die für die glänzenden Zirkel Washingtons, New Yorks oder Paris' gebildet ist, sie, die [304] einen Baron M–y, einen unserer reichsten Louisianasöhne, jede Stunde wählen kann?«

Der General stöhnte.

»Nimm mir's nicht übel, Ned!« fuhr dringlicher der Onkel fort, »aber ich finde in deiner Liebe und noch mehr dem Ungestüm, dem du dich überlassen, etwas wahrhaft unliebsam Undelikates. Weil du dir in Texas gefällst, soll ein zartes, im Luxus, in allen Bequemlichkeiten des Lebens auferzogenes Geschöpf, das du zweimal gesehen, dir ohne weiteres dahin in die Wildnis folgen!«

»Onkel!« stöhnte Ned, »um Gottes willen, Onkel! Ihr zerreißt mir das Herz!«

»Das will ich nicht, nur dir die Augen öffnen, dich zum Bewußtsein dessen bringen, was du dir, dem Gegenstande deiner Liebe schuldig bist.«

»Uncle!« würgte mit hohler Stimme Ned heraus, »Ihr habt recht, von diesem Gesichtspunkte aus sah ich nicht; jetzt sehe ich, Ihr habt recht!«

Und so sagend erfaßte er mit beiden Händen so krampfhaft die Säule der Galerie.

»Wohl, freut mich, wenn du zur Besinnung kommst, einsiehst, was du dir und ihr schuldig bist. Tröste dich aber, Liebe hat noch kein Herz, außer in Romanen, gebrochen. Gibt noch andere ebenso schöne, reiche Mädchen. Eleanor, sollte es nicht sagen, aber sie ist ein braves, wackeres Mädchen; und haben uns, dein Vater und ich, darauf versessen, ein Paar aus euch zu machen. Waret schon vor zehn Jahren einander bestimmt, war ja immer dein kleines Weib. Und sie hat dich, weiß es, gerne, würde dir nach Texas folgen, wenn du ja absolut wieder dahin willst.«

Der Neffe preßte die Säule der Galerie krampfhaft, gab aber keine Antwort.

»Wenn du aber, wie wir hoffen, des ewigen Fechtens und Revolutionierens müde und gesonnen bist, solid zu werden, bekommt sie ein paarmal hunderttausend Dollar, so daß du mit deiner Praxis als Jurist standesgemäß leben kannst. Wird hier zum Beispiel viel Geld von Juristen gewonnen, bringt es ein guter Jurist in fünf bis zehn Jahren zum Pflanzer. Hast darum lauter junge Juristen, selbst unsere obersten Richter, Kanzler sind lauter junge Leute, aber sobald[305] sie ein fünfzig-, sechzigtausend Dollarchen gesammelt, werden sie Pflanzer, so unsere Mediziner, Prediger.«

Der junge Mann gab noch immer keine Antwort.

»Wollen das aber morgen oder übermorgen weiter besprechen«, fuhr der Onkel fort, »gehst jetzt auf ein vier, fünf Stunden zu Bette und dann hinauf nach Natchez. Darf dich Murky hier nicht treffen, Alexandrine schon gar nicht, sähe das, weißt du wohl, sehr quer aus. Will's ihm aber sagen, daß du hier warst.

Ziehen nächstens herab, die Alexandrine und Señorita Theresia«, hob er wieder an, »und sowie sie gezogen, ziehst du zu mir; – morgen. – Nächste Woche erwarte ich Eleanor zurück.«

»Morgen«, versetzte plötzlich sich aufrichtend Ned, »bin ich in New Orleans, nächste Woche auf meinem Wege nach Frankreich.«

»Du wolltest?« rief erschrocken der Onkel.

»Ja, Onkel!« sprach mit hohler, aber fester Stimme Ned, »Ihr habt mir die Augen geöffnet, ich sehe, fernere Schritte wären hier undelikat; denn nach Texas kann sie mir nicht folgen, von Texas aber zu lassen, wäre Charakterlosigkeit. Mein Entschluß ist gefaßt. Das Herz wird mir bluten, blutet bereits, wird wahrscheinlich verbluten, aber Ihr habt recht. Rücksichtslos, unzart darf, will ich nicht sein, nicht einmal scheinen. Oh! es war«, seufzte er, »ein köstlicher – köstlicher Rausch, Traum; aber – ah, Uncle! Ihr könnt das nicht fühlen, denn Ihr habt nie geliebt; doch danke ich Euch, daß Ihr mir die Augen geöffnet.

Herzlichen Dank«, fuhr er mit brechender Stimme fort, »herzlichen Dank, auch für Eure gütige Gesinnung, was Eleanor betrifft – die gute, liebe Eleanor! Sie wird glücklich sein, ich zweifle nicht. Innigen Dank, Onkel, aber ich kann nicht! Liebe läßt sich nicht wie Wechsel übertragen. Ah, Uncle! der Kopf wird mir so schwindlig! Ist's das lange Nachtschwärmen?« Wie er so sprach, taumelte er besinnungslos an das Geländer der Galerie an.

»Ned, Ned!« rief in großer Angst der Uncle. »Ned, um's Himmels willen, Ned? Fasse dich, sei doch ein Mann! Es kann alles noch gut werden. Komm, ich will dich zu Bette bringen lassen, selbst bringen. Schlafe ein paar Stunden aus, und hast du ausgeschlafen, so glaube mir –«

»Keinen Augenblick länger hier!« fiel ihm Ned ein, »keinen Augenblick; [306] mir ist bereits leichter. Lebt wohl, Uncle! Verzeiht, wenn ich Euch beleidigt. Wollt Ihr mir einen Gefallen tun, so laßt mein Pferd satteln.«

»Ned! Du wirst doch nicht?« rief der Onkel, »es wäre Wahnsinn!«

»Gott weiß, was es ist!« stöhnte Ned, »aber ich sage Euch, ich befürchte wahnsinnig zu werden; Gott behüte mich davor! Laßt mich aber – laßt mir mein Pferd satteln; wenn Ihr es nicht tut, gehe ich zu Fuße.Fare well, Onkel!«

»Ned!« schrie der Onkel außer sich.

Ned riß sich mit Gewalt vom Onkel los.

»Fare well, Onkel! Es muß geschieden sein!«

»Muß es?« fragte eine dritte Stimme, und zugleich trat ein Mann vor, der den jungen General scharf in die Augen faßte.

Dieser starrte ihn außer sich an.

»Ich bin Käpt'n Murky«, sprach der Mann, »werdet Ihr auch meine Bitte zurückweisen? Ich bitte Euch, zu bleiben.«

»Käpt'n Murky!« rief erschüttert der Neffe.

»Murky!« schrie der Onkel, »Murky! Ihr seid es? Um Himmels willen, was soll das? Wie kommt Ihr hieher?«

»Ah, Duncan! Es ist doch gut, daß mir in den Sinn kam, sogleich Vorbereitungen zu ihrem Empfange zu treffen!«

»Aber das alles ließe sich ja morgen tun! Murky, Murky! Was ficht Euch nur an?«

»Morgen wäre es zu spät, eine halbe Stunde später wäre es schon zu spät gewesen. Duncan – Duncan! seid Ihr denn immer noch so hart wie Eure Dollars?«

Der Vorwurf schien dem Onkel schwer aufs Herz zu fallen; er sprang erschüttert auf Murky zu.

»Hart, sagt Ihr, Murky, hart? War ich's, Ned? Wohl, so will ich nun weicher sein, hörst du, Ned? Will weicher sein, denn Murky will es; aber bleibe, Ned, es wäre Wahnsinn!«

Ned stand, mit sich kämpfend. »Wahnsinn!« murmelte er, »Wahnsinn! Und ist's nicht Wahnsinn zu bleiben, wenn Bleiben –?«

»Der Wahnsinn, der zwei Monate währt«, versetzte mild der Kapitän, »gibt schöne Hoffnung fürs ganze Leben. Bleibt, General! Euer Wahnsinn ist ein edler!«

Der General gab keine Antwort, aber krampfhaft drückte er die Hand des Kapitäns.

Fußnoten

1 Ich kam, ich sah, ich siegte.

2 Liebe auf den ersten Blick.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Sealsfield, Charles. Erzählungen. Das Kajütenbuch oder Nationale Charakteristiken. Der Kapitän. Sehr seltsam!. Sehr seltsam!. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-09F7-C