[191] 16.

»Der folgende Tag stimmte unsere sanguinischen Hoffnungen wieder stark herab.

San Antonio de Bexar liegt in einem fruchtbar bewässerten Tale, das sich westlich vom Salado hinabsenkt. In der Mitte der Stadt erhebt sich – nach den Regeln der Kriegsbaukunst angelegt – der Alamo. Er hatte achtundvierzig Kanonen leichten und schweren Kalibers und mit der Stadt eine Garnison von beinahe dreitausend Mann. Ehe wir zu ihm gelangen konnten, mußte natürlich die letztere, die gleichfalls stark befestigt war, genommen sein.

Unsere ganze Artillerie bestand in zwei Batterien von vier Sechs- und fünf Achtpfündern, unser Belagerungsheer aus eilfhundert Mann, mit denen wir nicht bloß Tete gegen Stadt und Festung, sondern auch den Feind, der von Cohahuila, ja von allen Seiten drohte, zu machen hatten. Eine etwas schwierige Aufgabe für eilfhundert Mann, werden Sie gestehen! Die Belagerung konnte sich in die Länge ziehen, denn die Belagerten waren für ein Jahr mit allem reichlich versehen, hinter ihren Wällen vor uns sicher; Monate mochten vergehen, ehe es mit unsern neun Kanonen etwas wie eine Bresche zu schießen gelang. Das war jedoch nicht alles; Bedenklichkeiten ganz anderer Art drängten sich uns unangenehmer auf! Würden sich unsere Leute auch willig den Mühseligkeiten und Beschwerden einer langwierigen Belagerung unterziehen? Sie hatten zwar rasch und freudig dem Aufrufe Folge geleistet, auch bei den verschiedenen coups de main, die wir gegen den Feind ausführten, Mut und Ausdauer bewiesen; aber es war doch etwas ganz anderes,coups de main und wieder eine langwierige Belagerung durchzuführen. Eine solche bedingte nicht bloß Mut und Ausdauer, sie bedingte in unserem Falle einen wahren Sklavendienst, vor allem aber den striktesten militärischen Gehorsam. Würden sich unsere Leute den erschöpfenden [192] Tag- und Nachtwachen, den zur Eröffnung der Laufgräben nötigen Arbeiten, vor allem aber dem militärischen Gehorsam wohl unterziehen? Eine sehr zweifelhafte Frage! Die Mehrzahl waren heißblütige Southrons, kühne, verwegene, rasch entschlossene – aber auch trotzige Gäste, deren größte Tugenden eben nicht Geduld und Unterwürfigkeit hießen. Die Farmers aus den Mittelstaaten, die auch in bedeutender Anzahl vorhanden, waren zwar bedächtiger, kühler, auch vollkommen von der Wichtigkeit des Unternehmens durchdrungen, aber wir taten ihnen doch gewiß auch kein Unrecht, wenn wir voraussetzten, daß sie lieber bei ihren Weibern und Kindern, Äckern und Rindern als vor den Wällen von Bexar gelegen wären; der Überrest waren Handwerker aus den nördlichen Staaten, Maurer, Bäcker, Schreiner, die die Kelle, den Backtrog oder Hobel mit der Muskete vertauscht. Auch an Abenteurern besserer und schlimmerer Art fehlte es nicht, die gekommen, lustig liederliche Tage zu leben; ja selbst Verbrecher gab es, die vor den Gesetzen geflohen. Sie wissen, man ist bei solchen Gelegenheiten nicht sehr ekel in der Auswahl, bei unsern geringen Ressourcen durften wir es schon gar nicht sein.

Aber eine solche Weitherzigkeit hat denn doch auch wieder ihre Übelstände, besonders da, wo gerade das, was das schlechte Element zähmt und in Schranken hält, die Macht, zu belohnen, zu bestrafen, so sehr prekär, die Autorität der Behörden noch neu, und folglich schwankend, der Kitt, der den soeben erst aufgeführten gesellschaftlichen Bau verband, nicht gehärtet, wo das Gewicht, der Nachdruck, den nur eine länger bestandene bürgerliche Ordnung geben kann, fehlt. Wir mußten den schlechtesten Subjekten gerade am meisten durch die Finger sehen, Dingen durch die Finger sehen, die den regelrechten Militär empört, am ersten Tage zur Verzweiflung gebracht haben müßten. Das fühlten gerade wir jüngeren Stabsoffiziere – Fanning und ich waren noch am Schlachtfelde zu Obersten ernannt worden – am drückendsten, schüttelten im Kriegsrate die Köpfe am besorgtesten. Eben über diese Belagerung ward in diesem Kriegsrate debattiert. Wir äußerten unverhohlene Zweifel, ob es möglich sein würde, die Belagerung mit so heterogenen Kriegselementen zu einem glücklichen Ausgange zu bringen. Jedenfalls schien es uns klar, daß sie das Schicksal Texas' entscheiden, gleichsam der Prüfstein unseres Kampfes werden müsse. Waren wir imstande, unsere Leute in etwas [193] wie Ordnung, militärische Disziplin zu bringen, dann war Hoffnung, wo nicht, so mochten wir ebensowohl das Feld und Texas zur Stelle räumen. Fanning, Wharton und mir – spukte das Zwischenspiel mit dem Bärenjäger noch sehr widerwärtig in den Köpfen.

Ganz anders räsonierten wieder unsere Alten, mit ihnen General Austin. Sie kannten freilich den Geist unseres Volkes – wir noch nicht.

Es ist aber dieser unser Volksgeist ein ganz eigener Geist.

Unser Sprichwort sagt: Wenn es bei uns kalt ist, so friert es, heiß ist, so glüht es, regnet, so schüttet es: damit ist unser Klima sowie Nationalcharakter bezeichnet. Halbheit liebt unser Volk nicht. Will es etwas, so will es dieses ganz. Schwierigkeiten, Gefahren schrecken es nicht ab, spornen es nur um so mehr an. Die Hälfte mag über dem Kampfe zugrunde gehen, die andere dringt gewiß durch. Kein Volk der Erde – die alten Römer vielleicht ausgenommen – hat diese intense Energie, diese nachhaltende, gewisser maßen furchtbare Willenskraft. Auch vor Bexar bewies es diese.

Den Tagesbefehl, der nach dem Kriegsrate verlesen ward, hörten die Leute ernst, finster an, so daß uns trübe vor den Augen zu werden begann, allein im nächsten Moment waren alle düstern Ahnungen verschwunden. Alle eilfhundert, wie sie waren, traten sie vor, gaben zuerst dem General, dann uns gesetzt und ruhig Hand und Wort, Texas frei zu machen, sollten sie auch alle ihr Leben darüber opfern.

Keine Hurras, kein Enthusiasmus, aber ernste Männerschwüre.

Und wie Männer lösten sie ihre Schwüre auf eine Weise, die nur derjenige zu würdigen wissen wird, der da aus Erfahrung kennt, was es sagen will, eine feste Stadt zu belagern und zugleich einem Feinde, der mit den Ressourcen einer mächtigen Republik im Rücken hängt, die Spitze zu bieten. Unsere eilfhundert Männer lösten Aufgaben, vor denen, ich sage nicht zu viel, fünftausend der abgehärtetsten Napoleonschen Kaisergardisten zurückgeschreckt wären. In den ersten Wochen verging kein Tag ohne Ausfälle oder Scharmützel. General Cos stand an der Grenze von Texas und Cohahuila mit fünftausend Mann, seine Dragoner umschwärmten uns in allen Richtungen – wahre Parther, die wie die Heuschrecken kamen. Gegen diese aber waren gerade wieder unsere quecksilbrigen Abenteurer am besten zu gebrauchen. Sie hatten Nasen trotz der besten [194] Spürhunde. Auf zwanzig Meilen im Umkreis witterten sie den Feind, und Reiterscharen und Detachements wurden so spielend aufgehoben und eingebracht, daß wir oft unseren eigenen Augen nicht trauten. Tag und Nacht waren sie auf der Lauer; der Mexikaner, der zehn Sekunden lang den Kopf über die Wälle herausstreckte, ward sicher niedergeschossen. Ich kann nicht sagen, daß die militärische Disziplin vollkommen regelrecht gewesen wäre, aber dafür herrschte ein Geist, ein Zusammenwirken, ein Unverrücktes-Ziel-im-Auge-Behalten, das die Kraft unserer elfhundert Männer in der Tat verzehnfachte. Unsere respektablen Farmers und Pflanzer waren anfangs die lässigsten, bald aber sahen auch sie sich mit fortgerissen, vergaßen Weiber und Kinder, Äcker und Rinder. Unsere heißblütigen Kentuckier, Tennesseer, Georgier arbeiteten trotz Negern in den Laufgräben; freilich waren der General und wir Stabsoffiziere ihnen mit gutem Beispiel vorangegangen. In allen schlug ein Herz, ein Sinn, allen schwebte nur eine und dieselbe Idee vor – die Einnahme der Stadt, die Unabhängigkeit, Befreiung von Texas. Was eine große Idee zu bewirken imstande, das sah ich bei dieser Gelegenheit.


Übrigens ist der Mexikaner gleich dem Spanier hinter Wällen und Mauern ein weit bedeutenderer Gegner als im offenen Felde; aber auch hier kam uns das herzlich schlechte Pulver wieder zustatten. Die Kugeln der Belagerten, obwohl wir den Wällen nahe genug standen, erreichten uns nie, fielen so harmlos vor uns nieder, so daß wir jede Woche ein paar tausend einsammeln, sie mit unserm doppelten Dupont-Pulver wirksam zurückgeben konnten. Auch an interessanten Zwischenspielen fehlte es nicht. Fanning hatte einen starken Konvoi von Lebensmitteln mit zwanzigtausend Silberdollar, Travers einen zweiten von vierhundert Pferden eingebracht. Mir gelang ein ähnlicher Fang. Die Belagerung ward uns so zur wahren Schule, die uns erst eigentlich zu Soldaten, zu Kriegern heranbildete.

Nach acht Wochen – wir hatten Bresche geschossen – ergab sich die Stadt, vier Wochen darauf das Fort. Im Besitze eines bedeutenden Artillerieparks zogen wir nun vor Goliad, die bedeutendste Festung in Texas. Sie kapitulierte nach wenigen Wochen. Wir waren sonach Herren des ganzen Landes, der Krieg schien beendet.

[195] Daß er es aber noch nicht war, leuchtete jedem heller Sehenden nur zu deutlich ein. Die Mexikaner sind nicht das Volk, sich eines ihrer schönsten Länder so leicht entreißen zu lassen. Der spanisch zähe Charakter, in den dreihundert Jahren so tief eingewurzelt, gibt nicht leicht auf; dann hegt dieses Volk auch eine sehr gute Idee von sich: Hat es doch die Spanier, die es noch heutigentages für die tapferste Nation der Welt hält, besiegt, aus dem Lande getrieben, wie sollte es nicht uns, eine Handvoll Abenteurer, die es gewagt, sich nicht nur gegen die Dekrete der großen Republik aufzulehnen, sondern sogar ihr Städte und Festungen wegzunehmen – ein Frevel, der auf das schärfste geahndet werden mußte! Die Ehre der großen Republik, vor den Augen der Welt kompromittiert, mußte gerächt, so schnell als möglich gerächt werden! Der Präsident und General en chef ihrer Armeen selbst entschloß sich, den Oberbefehl über das Exekutionsheer zu übernehmen, ein abschreckendes Beispiel für alle Zeiten zu statuieren. Die Empörer sollten vom Erdboden vertilgt, mit Weib und Kind ausgerottet werden. Das war der Refrain ihrer Debatten, ihrer Reden im Kongresse, in den Staaten-Assembleen, ihrer Kanzlerpredigten, ihrer Zeitungsartikel. Die Staaten boten ihre Staats-, der Erzbischof, die Bischöfe ihre bischöflichen Schätze, die Städte, Klöster ihre Stadt- und Klostersäckel an. Zehntausend Mann der besten Truppen wurden sogleich an die Grenzen beordert, zehntausend mehr folgten. Diesen schloß sich der Präsident, Santa Anna selbst mit seinem zahlreichen Generalstabe an.

Donnernde Proklamationen gingen vor ihm her. Das Kabinett von Washington, das nicht nur heimlich, sondern sogar öffentlich durch die Besetzung von Nacogdoches die Aufrührer begünstigt, die südlichen Staaten, die es gewagt, sie durch Geld und Freiwillige zu unterstützen, die gesamte Union sollte auf das härteste gezüchtigt werden. Zuerst sollte Texas von den Aufrührern gereinigt, dann aber in die Union vorgedrungen, alles mit Feuer und Schwert verheert, Washington selbst in einen Steinhaufen verwandelt werden.«

»Wir hörten von diesen tollen Fanfaronaden!« bemerkten hier mitleidig lächelnd mehrere.

»Uns gellten sie etwas stark in den Ohren«, versicherte der Texaser, »obwohl ich eben nicht sagen kann, daß sie besonderen Eindruck hervorgebracht hätten. Im Gegenteile, man achtete nur zu wenig auf sie, bereitete sich nicht einmal gehörig vor, den Feind mit aller der [196] Macht zu empfangen, die das Land, ungeachtet seiner äußerst beschränkten Ressourcen, aufzustellen fähig gewesen wäre. Die Wahrheit zu gestehen, waren unsere Leute durch die bisherigen Sukzesse verblendet, dachten es sich nicht möglich, daß die Mexikaner abermals wagen würden, sie anzugreifen. Sie vergaßen, daß die Truppen, gegen die sie bisher gekämpft, mit Ausnahme einiger wenigen Bataillone größtenteils Ausschuß, daß mehrere der mexikanischen Staaten vortreffliche Soldaten, besonders Kavalleristen lieferten, auch daß sie dieses Mal wohl besseres Pulver mitbringen dürften. Viele waffenfähige Männer folgten nicht einmal dem dringenden Aufrufe Burnets, des damaligen Präsidenten von Texas, es vorziehend, ihre Mais- und Cottonfelder zu bestellen. Wir brachten gegen die zwanzigtausend Mann, die gegen uns im Anzuge, nicht viel mehr als zweitausend zusammen, und von diesen mußten wir noch beinahe zwei Dritteile an die beiden Festungen Goliad und Alamo abgeben.

In der erstern ließen wir achthundertsechzig Mann unter dem Oberbefehl unsers unvergeßlichen Fanning, in letzterer etwas über fünfhundert, so daß uns nicht viel über siebenhundert übrig blieben.

Der Feind ging entschlossener vor, als wir erwartet; in der Tat drang er so rasch vor, daß wir, ehe wir es uns versahen, von Goliad zurückgedrängt, dieses sowie Bexar seinem Schicksale überlassen mußten.

Ein trauriges Schicksal! Schon von vornherein hatten wir den argen Mißgriff begangen, daß wir bei unserer geringen Macht, diese noch durch Besetzung zweier Forts zersplitterten, gerade unsere besten, unternehmendsten Leute in sie einsperrten.

Der Amerikaner taugt in Festungen nicht viel. Schon die eingeschlossene Luft sagt ihm nicht zu, der Zwang, die Unfreiheit ertöten seinen Geist und Körper. Er ist der vorige nicht mehr, die Beweglichkeit, Tatkraft, Frische, der Lebensmut verlassen ihn, er wird wie blind und taub. Im Freien bleibt der Amerikaner, zehnmal geschlagen, unüberwindlich; denn ehe man sich's versieht, versetzt er das eilfte Mal seinem Gegner eine Klappe, die die zehn Unfälle ausgleicht, ihn zuletzt als Sieger bewährt. Unsere Kriegsgeschichte bietet Dutzende solcher Fälle dar, wo die Unsrigen, bereits umringt, von allen Seiten eingefangen, sich noch Auswege zu bahnen, dem Feinde die errungenen Vorteile zu entreißen wußten – im Freien nämlich; [197] in Festungen ist, ich wiederhole es nochmals, der tüchtigste Amerikaner halb blind und halb taub.

So vernimmt Fanning in Goliad, daß eine Anzahl vertriebener Landsleute, Weiber, Mädchen und Kinder, vom Feinde verfolgt, der Festung zufliehen. Gefühlvoll, wie er ist, läßt er sich von seiner Sympathie hinreißen, beschließt, den Hilflosen Sukkurs zu senden. Er beordert Major Ward, mit dem Georgier Bataillon auszurücken, die Flüchtigen aufzunehmen, in die Festung zu geleiten. Der Major, die Offiziere stellen vor, bitten, beschwören, – Fanning sieht nur die hilflosen Landsmänninnen, er beharrt auf seiner Order. Der Major zieht mit seinem Bataillon, fünfhundert Mann, aus, den Flüchtigen entgegen. Wie er diesen nahe kommt, sind es statt Landsmänninnen mexikanische Dragoner, die auf ihre in der nächsten Insel verborgenen Pferde springen, sogleich den Kampf beginnen.

Mehr und mehr Feinde kommen von allen Seiten heran; es waren Reiter von Louis Potosi und Santa Fé, vielleicht die beste Kavallerie der Welt, denn die Leute werden gewissermaßen zu Pferde geboren. Zwei Tage lang dauert der Kampf. Die fünfhundert Mann fallen bis auf zwei.


Wir im Hauptquartier, auch nicht träumend von dem furchtbaren Schlage, lassen Fanning die Order zukommen, das Fort zu räumen, sich mit sechs Stück Geschütz an uns anzuschließen. Fanning erhält den Befehl und leistet ihm Folge. Aber was sich wohl mit achthundertsechzig Mann und sechs Geschützen tun ließ, sich nämlich durch einen zahlreichen Feind durchzuschlagen, war nicht mehr mit dreihundertsechzig möglich. Nichtsdestoweniger unternimmt er den Rückzug durch die Präries, wird jedoch auf diesem von dem zehnfach überlegenen Feinde angegriffen, umzingelt, wehrt sich, so umzingelt, volle zwölf Stunden, gewinnt auch, immer vordringend, eine Insel; aber kaum hat er diese erreicht, so ergibt sich, daß alle Munition verschossen. Er nimmt nun die vom Feinde angebotene Kapitulation an, in der ihm zugestanden wird, mit seinen Leuten nach Ablieferung der Waffen heimzukehren. Kaum sind aber die Stutzen abgeliefert, so fällt die wütende Rotte über die Wehrlosen her, und alle werden niedergemetzelt. Bloß einem Vorposten und dreien gelingt es zu entkommen.

Die fünfhundert, die wir in Bexar und Fort Alamo gelassen, erfahren [198] kein besseres Schicksal. Zu schwach, um eine Stadt von vier- bis sechstausend Einwohnern samt einem Fort gehörig zu besetzen, dringt der Feind bald in die erstere ein, die Unsrigen ziehen sich in letzteres zurück. Mit seiner zahlreichen Artillerie gelingt es dem Feinde, einen Teil des Forts in Trümmer zu schießen. Ein furchtbarer Kampf entspinnt sich auf diesen – acht Tage dauert er. Tausende von den Mexikanern fallen, von unseren fünfhundert Landsleuten blieb kein einziger übrig.

Das waren nun harte Schläge, zwei Dritteile unserer besten Männer gefallen, die Festungen in der Gewalt der Feinde, unsere ganze Macht kaum mehr siebenhundert Mann – gegen zahlreiche siegreiche Heere, die immerfort noch Verstärkungen an sich zogen! Wohl ein Moment, die stärksten Männerseelen zu prüfen!

Allenthalben Flüchtlinge zu Tausenden; in ganzen Zügen kamen sie; schwangere, todesmüde Weiber, hilflose Mütter mit saugenden Kindern, Scharen von Mädchen und Knaben auf Mustangs und Wagen gepackt, hinter ihnen her Rotten von Dragonern, die Präries durchschweifend, alles mit Feuer und Schwert verheerend.

Der General en chef, der Präsident von Mexiko, Santa Anna, dringt mit seiner Armee in zwei Divisionen heran, die eine längs der Küste auf Velasco zu, die andere gegen San Felipe de Austin; er selbst bildet das Zentrum.

Bei Fort Bend, zwanzig Meilen unter San Felipe, setzt er über den Brazos, rückt gegen Louisburg vor, zieht da sechshundert Mann an sich, verschanzt sich in seinem Lager; seine Stärke beträgt beiläufig fünfzehnhundert Mann.

Unser Hauptquartier unter dem Oberbefehl General Houstons stand vor Harrisburg, wohin sich der Kongreß zurückgezogen.

Es war in der Nacht des zwanzigsten Aprils. Wir lagerten etwa sechshundert Mann – die ganze disponible Macht, die wir noch hatten – vor einer Insel von Sycamores. Trübe, stürmisch hingen die Wolken über die Baumwipfel herein, deren Ächzen und Stöhnen nur zu sehr mit unserer wilden Stimmung harmonierte. Wir saßen um den General und den Alkalden – beide sehr trübe und gespannt. Sie waren öfters aufgestanden, in die Insel hinein, wieder zurückgekehrt. Sie schienen etwas, und zwar höchst ungeduldig, zu erwarten. Totenstille herrschte im ganzen kleinen Lager.

Auf einmal erschallten laut Werdas! – Eine Ordonnanz kam [199] eilig, wisperte dem Alkalden etwas in die Ohren. Er sprang auf, rannte in die Insel hinein, kam nach einigen Minuten zurück und flüsterte dem General ein paar Worte in die Ohren, dieser uns; im nächsten Augenblicke waren wir auf den Beinen.

Alle unsere Leute waren trefflich beritten, mit Stutzen, doppelten Pistolen und Bowie-Messern gerüstet. Ehe zehn Minuten vergingen, waren wir auf dem Marsche. Von den sechs Kanonen, die wir mit uns hatten, nahmen wir bloß vier, aber mit doppeltem Gespanne, mit. Die ganze Nacht ging der Zug im raschen Trabe vorwärts, ein riesig hagerer Mann sprengte als Wegweiser voran. Mehrere Male fragte ich den Alkalden, wer er wäre? ›Werdet es erfahren, wer er ist!‹ war seine Antwort.

Ehe der Morgen angebrochen, hatten wir fünfundzwanzig Meilen zurückgelegt, aber von den vier Kanonen zwei zurücklassen müssen. Noch wußten wir nicht unsere Bestimmung. Der General befahl den Leuten, sich mit Speise und Trank zu stärken. Wir sammelten uns um ihn zum Kriegsrate. Jetzt erfuhren wir den Grund unseres Nachtmarsches. Der Präsident und General en chef der Mexikaner stand keine Meile von uns in einem verschanzten Lager; zwanzig Meilen zurück General Parza mit zweitausend Mann, achtzehn unten am Brazos, General Filasola mit tausend, fünfundzwanzig oben Viesca mit fünfzehnhundert. Nur ein rascher, entschlossener Angriff konnte Texas retten.

Kein Augenblick war zu verlieren, keiner ward verloren. Der General trat unter die essenden, trinkenden Männer und sprach:

›Brüder, Freunde, Bürger! General Santa Anna steht in einem verschanzten Lager, fünfzehnhundert Mann stark. Der Augenblick, der über Texas' Unabhängigkeit entscheidet, ist gekommen. Ist der Feind unser?‹

›Er ist unser!‹ riefen jubelnd die Männer, und mit dem Rufe rückten sie vor.

Zweihundert Schritte vom mexikanischen Lager angekommen, ließen wir unsere zwei Kanonen ihr Kartätschenfeuer eröffnen, hielten aber das unserer Stutzen zurück, bis wir auf fünfundzwanzig Schritte angedrungen; da gaben wir dem Feinde eine Salve, warfen dann Stutzen weg, und Pistole in der Rechten und Linken, Bowie-Messer zwischen den Zähnen, sprangen wir die Brustwehr hinan, schossen die wie betäubt erstarrten Mexikaner mit der einen Pistole vor die [200] Köpfe, griffen dann zu den Bowie-Messern, und mit einem Hurra, dessen grausig wilde Tonleiter mir noch heute durch die Ohren und Nerven gellt, brachen wir in das Lager ein.

Ganz wie beim Entern eines feindlichen Schiffes, – das Schlachtmesser in der Rechten, die Pistole in der Linken – drangen die Leute vor. Was nicht niedergestochen, ward niedergeschossen, mit wildem Jubel, dämonischem Lachen, ganz dem desperaten Ungestüm tollkühner Seeleute, die das feindliche Schiff bereits als das ihrige betrachten.

Ich kommandierte am rechten Flügel, wo die Brustwehr in einer Redoute endigend steiler auflief. Hinangesprungen, war ich abgeglitten; ein zweiter Versuch fiel nicht glücklicher aus. Mit Hilfe eines meiner Hintermänner war ich zum dritten Male emporgeklimmt, aber durch meine eigene Schwere zurückgezogen auf dem Punkte, in den Graben hinabzufallen, als eine Hand von oben mich beim Kragen ergriff und die Brustwehr hinaufzog. In der Verwirrung, dem Tumulte sah ich den Mann nicht, wohl aber das Bajonett, das ihm in dem Augenblicke, wo er mir half, in die Schulter drang. Er zuckte nicht, ließ nicht fahren, bis ich oben war, erst dann wandte er sich mit einem schmerzhaften Rucke zur Seite und hob langsam die Pistole gegen den Mexikaner, als dieser von dem herangesprungenen Alkalden niedergestochen ward. Da kreischte er ein ›no thanks to ye, Squire!‹, das mich selbst in dieser grausigen Szene noch grausig wild durchzuckte. Ich schaute mich um nach ihm, aber bereits war er wieder an der Seite des Alkalden im Kampfe mit einer Rotte desperat sich wehrender Mexikaner begriffen. Er focht nicht wie ein Mensch, der töten, sondern wie einer, der selbst getötet sein will. Wie ein blinder angeschossener Eber drang er mitten unter die Feinde hinein, hieb links und rechts um sich, der Alkalde ihm zur Seite, wieder Hiebe und Stiche von ihm abwehrend.

Um mich hatten sich jetzt ein hundert meiner Leute gesammelt; einen Augenblick überschaute ich das Schlachtfeld, wo wohl meine Hilfe am nötigsten sein dürfte, dann wandte ich mich, um vorzudringen.

In diesem Momente drang die Stimme des Alkalden in mein Ohr.

›Seid Ihr stark verwundet, teurer Bob?‹

Das ›teurer Bob‹, die kreischend ängstliche, beinahe verzweifelte Stimme des Alkalden durchzuckten, hielten mich zurück.

[201] Ich schaute mich um.

Bob, wie er leibte und lebte, lag blutig, ohnmächtig in den Armen des Alkalden.

Noch einen Blick warf ich auf ihn, und dann rissen mich die Meinigen vorwärts, mitten in das Getümmel hinein, dem Zentrum des Lagers, wo der Kampf am heißesten, zu.

Etwa fünfhundert Mann, der Kern der feindlichen Armee, hatte sich da um Generäle und Generalstab wie ein Bollwerk gesammelt. Ein furchtbarer Knäuel, der sich verzweifelt wehrte! General Houston hatte sie mit dreihundert Mann angegriffen, war aber nicht im stande gewesen, ihre Reihen zu durchbrechen.

Was das erstemal nicht gelungen, gelang beim zweiten Angriff. Ein wildes Hurra gaben meine Leute, schossen jeder eine Pistole ab, und dann sprangen sie zugleich über die Leichen der Gefallenen und Fallenden in die zerrissenen Reihen ein.

Ein gräßliches Metzeln erfolgte. Nicht Menschen mehr waren diese sonst so friedlich ruhigen Bürger – eingefleischte Teufel! Ganze Reihen von Feinden fielen unter ihren Messern. Sie mögen sich eine Idee von der Gräßlichkeit dieser Metzelei geben, wenn ich Ihnen sage, daß die ganze Schlacht vom Angriffe bis zur Gefangennehmung der sämtlichen Mexikaner innerhalb zehn Minuten entschieden war, binnen dieser weniger denn zehn Minuten aber beinahe achthundert Feinde niedergeschossen, -geschmettert und -gestochen waren.

Alle wären sie ohne Ausnahme niedergemetzelt worden – das Rachegeschrei: ›Keinen Pardon, denkt an Alamo, an Goliad, an den braven Fanning, Ward!‹ brüllte von allen Seiten – aber General und Stabsoffiziere warfen wir uns vor die auf den Knien liegenden und ›Misericordia! quartel por el amor de Dios!‹ heulenden Mexikaner, drohten, unsere eigenen Leute niederzustechen, wenn sie nicht dem Blutbade ein Ende machten.

Das wirkte. Es gelang, den Rasenden Einhalt zu tun und so einen Sieg, der in der Geschichte Texas' gewiß als einer der schönsten glänzen wird, vor dem Makel unmännlicher Grausamkeit zu bewahren.

Aber erschöpft taumelte ich von der gräßlichen Schlachtbank zur Stelle hin, wo ich den Alkalden mit Bob gelassen.

Dieser lag wohl aus sechs Wunden blutend nur wenige Schritte [202] von der Stelle, wo er mich heraufgezogen. Zu Kissen dienten ihm zwei übereinandergeschichtete Leichname. Das Haupt hielt ihm der zur Seite kniende Alkalde – so schmerzerfüllt, den Blick so wehmutsvoll düster auf die brechenden Augen, die erstarrenden Züge des Sterbenden geheftet! Wunderbar ergriff mich diese Szene. Ich trat mit etwas wie frommem Schauder näher.

Bob war im Sterben begriffen. Aber es war nicht das Sterben eines Mörders, nicht mehr die gräßlich wilden Züge des Totschlägers, sein stierer, verzweifelnder Blick – eine heitere Ruhe, ein frommes, besseres Bewußtsein verklärte die Züge, die Augen waren hoffend, flehend gen Himmel gerichtet.

Wie ich mich über ihn beugte, ihn mit bewegter Stimme fragte, wie er fühle, schien er seine Geisteskräfte nochmals sammeln zu wollen. Er erkannte mich aber nicht mehr.

Nach einer Weile stöhnte er: ›Wie steht es um die Schlacht?‹

›Wir haben gesiegt, Bob! Der Feind ist tot oder gefangen, kein einziger entronnen.‹

›Sagt mir‹, röchelte er wieder nach einer Weile – ›habe ich meine Schuldigkeit getan? Darf ich zu Gott hoffen?‹

Mit erschütterter Stimme versetzte der Alkalde:

›Der Gottessohn, der dem Schächer am Kreuze verziehen, er wird auch Euch gnädig sein. Seine Heilige Schrift sagt: Die Engel im Himmel haben größere Freude über einen bekehrten Sünder als über neunundneunzig Gerechte. Hoffet, Bob! Der Allbarmherzige wird Euch gnädig sein!‹

›Dank' Euch, Squire!‹ röchelte Bob, ›– seid ein wahrer Freund, ein Freund bis in den Tod, im Tode. Wollt Ihr nicht für meine arme Seele beten? Ich fühle, sie ist am Scheiden. Mir wird so wohl!‹

Der kniende Alkalde betete:

›Unser Vater, der du bist in dem Himmel!‹

Unwillkürlich kniete ich neben ihm nieder.

Bei den ersten Bitten bewegten sich noch die Lippen des Sterbenden, dann verzog sie der Todeskrampf. Bei den Schlußworten – denn dein ist das Reich und die Herrlichkeit – war das Auge bereits gebrochen, das Leben entwichen.

Mit schmerzvollen Blicken starrte der Richter den Leichnam eine Weile an, dann stand er auf und sprach leise:

[203] ›Der Gott droben will nicht den Tod des Sünders, sondern daß er lebe und sich bekehre. So dachte ich damals, als ich ihn heute vor vier Jahren vom Aste des Patriarchen schnitt.‹

›Heute vor vier Jahren –?‹ sprach ich erschüttert. ›Und Ihr habt ihn also abgeschnitten, auf daß er sich bekehre? Und hat er sich bekehrt? War er es, der uns gestern ins Lager vor Harrisburg die Nachricht vom Feinde brachte?‹

›Er hat mehr als das getan‹, versetzte der Alkalde, und eine Träne brach nach der andern hervor, ›er hat todesmüde und lebenssatt vier Jahre sein elendes, verachtetes, geächtetes Dasein fortgeschleppt. Vier Jahre hat er uns gedient, für uns gelebt, gekämpft, den Spion gemacht, ohne Hoffnung, Aussicht, Ehre, Trost, ohne eine einzige ruhige Stunde, ohne einen andern Wunsch als den Tod. Die erhabenste Tugend, der höchste Patriotismus würde zurückschaudern vor den Opfern, die dieser Mann uns – Texas gebracht. Und er war ein sechsfacher Mörder!

Gott wird seiner Seele gnädig sein! Wird er nicht?‹ fragte er wieder leise.

›Er wird es!‹ versetzte ich erschüttert.

Eine Weile stand er in tiefem Sinnen verloren; dann rief er plötzlich: ›Er muß es sein, Oberst! Er muß; denn glühte nicht in diesem Bob bis zu seinem letzten Atemzuge ein gewaltig göttlicher Funke? Loderte er nicht mächtig in ihm für Bürgerglück und Nächstenwohl? Lebte, litt er nicht für seine Mitbürger, Mitmenschen? Ah! wüßtet Ihr, Oberst!‹

Er zuckte, hielt inne, wie einer, der befürchtet, zuviel zu sagen.

Ich schaute ihn erstaunt an. Der Mann war auf einmal so außer sich geraten. Es fehlte nicht viel, daß er es unkonstitutionell an Gott gefunden hätte, Bob nicht zu begnadigen.«

»Ganz amerikanisch das!« unterbrach den Obersten hier der Supreme Judge.

»Doch merkte ich auch«, fuhr dieser fort, ohne auf die Unterbrechung zu achten, »daß hier denn noch etwas mehr als gewöhnliche Sympathie – daß ein wichtiges Geheimnis im Spiele sei. Der Alkalde war so gar außer sich, er, der sonst so kühl, ruhig, durch nichts aus dem Gleichgewicht gebracht werden konnte, sprach, gebärdete sich wie ein Wahnsinniger. Ich suchte ihn dem Wahlplatze, auf dem [204] es wieder sehr laut werden zu wollen schien, zuzuziehen. Er, stieß mich beinahe rauh zurück.

›Ah! wüßtet Ihr! Dieser Bob –!‹

›Was ist mit diesem Bob, teurer Alkalde?‹

Er sah mich mit einem scheuen Blicke an, murmelte:

›Geht, geht, überlaßt mich meinem Schmerze!‹

Noch zauderte ich, aber mehrere meiner Leute kamen gerannt, zogen mich mit Gewalt dem Walplatze zu.

Alles war da in der größten Verwirrung, Santa Anna nicht unter den Gefangenen – entwischt. Die Entdeckung, war soeben gemacht worden, brachte die Gemüter in die furchtbarste Gärung. Begreiflich! An ihm war selbst mehr als an der gewonnenen Schlacht gelegen; denn Urheber der Invasion, allgewaltiger Präsident Mexikos, General en chef seiner sämtlichen Armeen, mußte seine Gefangennehmung das Schicksal des Krieges entscheiden. Der Sieg, so glänzend er auch ausgefallen, war verhältnismäßig nichts ohne ihn, denn eben die Gewißheit, ihn in unsere Gewalt zu bekommen, dem Kriege so mit einem Schlage ein Ende zu machen, hatte mehr als alles zur verzweifelten Tapferkeit angespornt. Und nun war er entwischt!

Ein sehr kritischer Moment! Wir hatten unter unsern Leuten ein paar Dutzend unglaublich desperater Gesellen, mit denen wir immer, die Pistole in der einen, den Degen in der andern Hand, unterhandeln mußten. In einem Knäuel zusammengedrängt standen sie, Blicke auf die Gefangenen schießend, die uns in gar keinem Zweifel ließen.

Kein Augenblick war da zu verlieren. An der Spitze unserer bewährtesten Männer drangen wir rasch vor, nahmen die Gefangenen in unsere Mitte, und nachdem wir sie gesichert, begannen wir unser Verhör mit ihnen.

Es ergab sich, daß Santa Anna noch zu Anfang der Schlacht, ängstlich unsern Angriff beobachtend, in seinem Reisewagen gesehen worden. Er mußte also während unseres Eindringens in das Lager geflüchtet, konnte nicht sehr weit sein. Wir ließen diese frohe Botschaft sogleich durch Tagesbefehl verkündigen, trafen dann schleunig Anstalten zur Verfolgung des Flüchtlings. Hundert unserer Leute wurden mit den Gefangenen nach Harrisburg, hundert andere dem Flüchtlinge nachgesandt. Mir ward die letztere Aufgabe zuteil.

Trefflich ausgerastete Pferde gab es; wir bestiegen sie und jagten [205] in die Prärie hinaus. Eine heiße Jagd, wie Sie sich leicht vorstellen mögen, hing doch das Schicksal Texas' von ihrem glücklichen Erfolge ab! Den möglichst größten Umkreis beschreibend, drangen wir auf der einen Seite bis in die Nähe der Division Filasolas, auf der andern in die Parzas vor; dann rückten wir näher aneinander, wieder unserm Lager zu. Lange war all unser Spüren vergebens; über vierzehn Stunden waren wir bereits im Sattel, mehr als hundert Meilen geritten, noch keine Spur von dem für uns so köstlichen Wilde!

Bereits waren wir dem Lager wieder sieben Meilen nahe gekommen, als endlich einer unserer tüchtigsten Jäger die Spur eines zarten Mannesfußes entdeckte, die in der Richtung nach einem Sumpfe sich hinzog. Wir folgten dieser Spur, gerieten in den Sumpf und fanden in diesem bis auf den Gürtel im Schlamme steckend einen Mann etwa vierzig Jahre alt, aber ganz unkenntlich vor Schlamm und Kot. Halbtot zogen wir ihn heraus, wuschen ihn, erkannten ihn an den milden, aber tückischen blauen Augen, der hohen schmalen Stirn, der langen, dünn anfangenden, fleischig endigenden Nase, der herabhängenden Oberlippe und dem langen Kinn. Der Beschreibung nach konnte es kein anderer als Präsident Santa Anna sein. Er war es auch, obwohl mich seine unglaubliche Feigheit lange in Zweifel ließ, denn auf die Knie warf er sich vor uns, um Gottes, aller Heiligen willen bat er, ihm nichts am Leben zu tun. Keine Versicherung, Beruhigung, selbst mein Ehrenwort und Schwur vermochten nicht, ihn zum Gefühl dessen, was er sich selbst schuldete, zu bringen.

Ich war sehr froh, als wir mit ihm im Lager ankamen.

Gerade wie wir einritten, wurde Bob mit militärischen Ehren begraben. Alle Offiziere waren bei dem Leichenbegängnisse. Das wunderte mich nicht sosehr, aber daß der Alkalde als Leidtragender erschien., das machte mich staunen. Ich fragte, forschte, aber er gab keine Antwort. Nie sprach er mehr ein Wort über Bob, und wenn ich die Rede auf ihn lenkte, verzog sich immer sein Gesicht in düstere Falten.


Was weiter folgte – fuhr der Oberst fort – wissen Sie aus den öffentlichen offiziellen und nicht offiziellen Berichten.

Mit Santa Annas Gefangennehmung war der Krieg in der Tat am Ende. Noch an demselben Abende ward zwischen uns und dem Chef der Armeen von Mexiko Waffenstillstand abgeschlossen. Er [206] selbst sandte dem ihm zunächst kommandierenden General Filasola Order, sich mit seiner Division sowie der General Parzas nach Bexar zurückzuziehen. General Viesca erhielt den Befehl, nach Guadaloupe Vittoria aufzubrechen. So waren zwei Drittel Texas' geräumt, wir einen Monat später wieder im Besitze des ganzen Landes. Zugleich hatte sich der Ruf von unserem Siege unglaublich schnell verbreitet. Von allen Seiten kamen Volontärs; nach drei Wochen hatten wir wieder eine Armee von mehreren tausend Mann, mit denen wir den Feind nacheinander aus seinen Positionen manövrierten. Zum Gefechte kam es nicht mehr, denn er hielt nicht mehr Stich; hundert der Unsrigen waren hinlänglich, Tausende von Mexikanern zu verjagen. Ehe noch Santa Anna an die Zentralregierung von Washington abgeliefert wurde, war Texas ganz frei.

Er hatte jedoch manche Unannehmlichkeiten, ja Mißhandlungen zu erdulden, dieser Santa Anna, doch war es seine Schuld; denn obwohl es rohe Leute unter den Unsrigen gab, würde sich doch keiner so tief erniedrigt haben, einen gefangenen Feind zu kränken. Auch war es nicht so sehr die unmenschliche Grausamkeit, mit der er gegen schuld- und schutzlose Weiber und Kinder gewütet, als die wahrhaft ekelhafte Niederträchtigkeit und Feigheit, die empörten, ihm diese Mißhandlungen zuzogen. Später, als Gesetz und Disziplin wieder in Kraft traten, hörten sie freilich auf, – er wurde ganz seinem hohen Range gemäß behandelt; es ist dieses jedoch eine Saite, deren Berührung einigermaßen unangenehme Empfindungen heraufruft!

Doch genug und mehr als genug von ihm. Er wird schwerlich mehr je wagen, seinen Fuß auf texasischen Grund und Boden zu setzen, so wenig als ein anderer, und wagt er es, so wird sein Los nicht glücklicher ausfallen. Texas ist jetzt in der Verfassung, in der es wohl Mexiko, Mexiko aber nicht ihm mehr furchtbar sein kann. Es besitzt ein Heer, dem es ein leichtes wäre, bis zum alten Tenochtitlan vorzudringen – die ganze Republik über den Haufen zu werfen.

Das wollen wir jedoch nicht. Auf Texas hatten wir volles Anrecht; dieses Anrecht haben wir auch behauptet. Von der mexikanischen Regierung eingeladen, waren unsere Bürger mit Hab und Gut, mit Weibern und Kindern gekommen, hatten sich unter unsäglichen Mühseligkeiten und Drangsalen Häuser und Pflanzungen, Dörfer und Städte gebaut und gegründet. Nachdem sie diese gebaut und [207] gegründet, kamen die heimtückischen Machthaber und wollten sie wieder aus dem Lande hinaus, die Städte und Pflanzungen für sich haben. Europäische Sklaven würden gehorcht, freie amerikanische Männer haben – empört widerstanden.

Da haben Sie die kurzgefaßte Geschichte der Gründung, Entstehung, Empörung und – Freiheit Texas'.

Recht gerne gebe ich übrigens Ihnen zu, daß bei dieser Gründung, Entstehung und Empörung manches mit untergelaufen, das ebensowenig die strenge Prüfung der Moralphilosophie als der völkerrechtlichen Kritik aushalten dürfte; aber Staaten und Reiche werden weder auf der Kanzel, noch auf dem Katheder – sie werden auf dem Schlachtfelds, in den Kabinetten, durch offene oder heimliche Gewalt gegründet.

Jede Gewalttätigkeit, Eroberung aber ist schon an und für sich ungerecht, Verbrechen. Bei jeder Eroberung sind Ungerechtigkeit, Verbrechen im Spiele; auch bei der unsrigen waren sie es, nur mit dem Unterschiede, daß wir sie zwar benutzten, aber nicht selbst Verbrecher, nicht die Gebote der Natur, nicht die der Offenbarung je verletzten. Hatte Mexiko ein Recht auf Texas, so hat es dieses durch Unrecht, an uns begangen, nicht nur längst eingebüßt, die hohen Interessen der Freiheit, politischer sowohl als religiöser, forderten dringend die Losreißung von dem verdorbenen Mutterlande.

So räsonierten unsere großen Revolutionsmänner. Ich gestehe, daß diese Räsonnements nichts weniger als stichhaltig von den Hugo Grotius und Puffendorf gefunden werden dürften; allein was wäre aus England, was aus der Welt geworden, wenn Professoren des Völkerrechtes das Rad der Weltgeschichte gerollt hätten!

Wer gab den britischen Handelsleuten Rechte auf Ostindien, wer ihren Königen auf Massachusets, Rhode Island, Virginien?

Das Recht des Stärkeren, nicht wahr? Es hat aber dieses Recht des Stärkeren wieder bei allem Unrechte, das es in seinem Gefolge mit sich bringt, sehr viel Gutes, ja so viel Gutes, daß es das Schlimme bei weitem überwiegt. Die gewaltsame Besitzergreifung der Wildnisse von Massachusets und Virginien hat eines der größten Reiche der neuern Zeiten gegründet, die Faktoreien in Ostindien werden einst ein in tausendjährigem Schlafe gelähmtes Volk zu gleichem Ziele führen! Das Weltrad wird in seinem raschen Laufe nicht von Zwerg-, sondern von Riesenhänden getrieben. In seinen gewaltigen [208] Revolutionen zermalmt es die Schwachen, die Stärkeren bewältigen – leiten es. Solche starken Riesenhände waren auch – lächeln Sie, soviel Sie wollen – in Texas tätig; wahre Riesenseelen, Männer, ich wiederhole es, die unter den groben Filzhüten die feinsten Köpfe, unter den rauhen Hirschwämsern die wärmsten Herzen, die eisernsten Willen bargen, die Großes wollten, die dieses Große auch mit den geringsten Mitteln durchgeführt, religiöse und politische Freiheit errungen, einen neuen Staat gegründet haben, der, so unbedeutend er Ihnen gegenwärtig erscheinen mag, sicher zu großen Dingen bestimmt ist.

Auf alle Fälle gereicht die Gründung dieses Texas-Staates unserer Handvoll von Bürgern zur Ehre. Sie hat bewiesen, diese Handvoll, wie sie die größten Dinge mit den geringsten Mitteln durchzuführen wisse.

Wir haben der Fehler viele, sehr viele, aber wir besitzen auch wieder Tugenden, die siegend über diese Fehler und Gebrechen hervortreten, uns Großes verbürgen. Die Tugenden sind aber eine unerschütterliche Willensfestigkeit und ein – alles aufopfernder Patriotismus, ein Patriotismus, der selbst in der tiefsten moralischen Verworfenheit noch glänzend sich bewährt. Nicht betrauern, nicht bemitleiden dürfen wir Bob, aber seinem aufopfernden Patriotismus Gerechtigkeit widerfahren lassen, das dürfen wir. Und wo ein solcher Patriotismus herrscht, läßt sich Großes erwarten.«


Der Oberst schwieg und erhob sich.

Seine Zuhörer blieben jedoch sitzen, schauten Bilder und Armleuchter, Fußteppiche und Bouteillen an – keiner sprach ein Wort. Mehrere Minuten herrschte eine tiefe Stille.

Endlich stand der General auf.

»Oberst!« sprach er, »Ihr habt uns da etwas erzählt, auf das ich, so wahr ich lebe, nichts zu sagen weiß. Ich kann nicht, auf Ehre! Ich kann nicht. Wunderbare Gedanken durchkreuzen mir das Gehirn. Die Skizze des Krieges, die Aufschlüsse, die Ihr uns über den Ursprung desselben, den Fortgang gabet, sind sehr dankenswert. Ihr gabt uns in der Tat einen Leitfaden, mit Hilfe dessen wir die Zustände Texas' erst jetzt richtig zu beurteilen imstande sind. Das ist, wie gesagt, höchst dankenswert. Auch stimmt, was Ihr von dem [209] Treffen am Salado, der Belagerung von Bexar, der Schlacht bei Louisburg sagtet, vollkommen mit dem überein, was wir bereits aus offiziellen und nicht offiziellen Berichten wissen. Ich danke Euch verbindlichst dafür. Nur Eure Geschichte mit Bob – verzeiht mir, diese Eure Geschichte mit Bob, Oberst, diese Geschichte, so wahr ich lebe! – ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll! Je länger ich darüber nachdenke, desto seltsamere Gedanken kommen mir. Wenn ich nicht wüßte, daß Ihr von einem guten, einem unserer besten Häuser, fürwahr, Oberst –!«

»Es läßt sich, meiner Seele, nichts darauf sagen«, fiel Oberst Oakley ein, »ganz bizarre Gedanken kommen einem.«

Der Texaser versetzte ruhig, doch ein bißchen spöttisch:

»Es sollte mir leid tun, Gentlemen, euren zarten Gewissen einen Stachel zurückgelassen zu haben. Erinnert euch jedoch, daß ihr es waret, die mich aufgefordert zu erzählen, wie ich nach Texas kam. Das tat ich nun, und da mich mein Geschick mit Bob und dem Alkalden verflocht, ja ich recht eigentlich durch die beiden in das von Texas hineingezogen ward, so mußte ich ihrer wohl erwähnen. Doch, wie gesagt, sollte es mir unendlich leid tun, euch auch nur den leisesten Skrupel verursacht zu haben. Tröstet euch jedoch, denn auch ich hatte diese Skrupel, und lange hatte ich sie; jetzt aber sind sie mir vergangen; denn allmählich sah ich ein, daß mein Freund, der Alkalde, der, ich versichere, gleichfalls aus sehr gutem Hause ist, ganz, recht hatte, wenn er sagte, daß es uns wahrlich nicht zukomme, über Menschenwert und Unwert das Endurteil abzugeben oder gar uns über arme Teufel zu schokieren, durch die der große Staatsmann droben weit wichtigere Endzwecke erreicht als wir mit einem ganzen Dutzend kleiner – reicher Teufel.«

Er verbeugte sich leicht und trat dann zurück.

Es entstand wieder eine Pause.

»Wollen darüber ausschlafen«, riefen endlich mehrere Stimmen.

»Ausschlafen?« schrie der rotnasige Steward, scherzweise der Mayordomo genannt, »ausschlafen! Ohne Punsch ausschlafen – ohne Punsch, der erst Skrupel löset!«

»Freund Phelim!« gab ihm der Supreme Judge zur Antwort, »es ist Zeit zu gehen und zu schlafen, die Uhr weiset auf Mitternacht.«

»Hohe Zeit!« bekräftigten alle.

»Ausschlafen! Mitternacht!« schrie Phelim. »Honies! hochachtbare, [210] ehrenhafte, tapfere, großmächtige Honies! Ausschlafen, ohne euren Rum, euren Punsch getrunken zu haben, Honies

»Phelim! Phelim!« rief lachend der General, »ich glaube, du hast statt unser getrunken. Halte dafür, wollen den Punsch und Rum auf das nächste Mal lassen.«

»Aufs nächste Mal lassen!« schrie wieder mit gellender Stimme Phelim. »Um Jasus, ja Sankt Patricks willen! Hochachtbare Herren! Das nächste Mal, bedenkt, Herren! Das nächste Mal seid ihr alle, wo Kishogue ist. Erbarme dich ihrer, Sankt Patrick! Sie wissen nicht, was sie tun!«

Und so schreiend, heulend hopste, sprang der Irländer so toll im Saale herum!

»Den Punsch aufs nächste Mal!« schrie er außer sich, »den Johannistrunk verschmähen! – Wollt ihr? Wißt ihr, was ihr tut?

Sankt Patrick!« heulte er wieder, »sie wissen nicht, was sie tun, wissen nicht, daß sie sich Kishogues Fluch zuziehen.«

»Kishogues Fluch!« rief lachend Oberst Oakley.

»Lacht nicht, Oberst! Lacht nicht! Bitte, beschwöre Euch, lacht nicht, sonst weint ihr, ehe vierundzwanzig Stunden vergangen.«

»Was will nur der närrische Bursche?« fragte, der Tür zutretend, der General.

»Kishogues Fluch!« schrie abwehrend Phelim.

»Was habt Ihr aber mit Eurem Kishogue?« rief wieder der General. »Ihr habt des Kishogue zu viel, sehe ich.«

»Zuviel?« schrie der Irländer, »zuviel?« heulte er, mit Händen und Füßen um sich schlagend.

»Was ist Euch, Phelim? Was habt Ihr mit Eurem Kishogue?«

»Was ich mit Kishogue habe? Wollt ihr's wissen, was ich habe? Ganz Irland weiß es. Wollt ihr? Wollt ihr? – O tut's doch, fürtrefflichste, hochachtbarste, gewaltigste Herren! Tut, hört doch, geht nicht eurem Untergange entgegen!«

»Wohl, so sag an!« sprach ernster der General.

»Ei, will, will!« sprudelte der Irländer heraus. »Will, wenn Ihr hören wollt. Wer Ohren hat, zu hören, der höre!«

Mit rollenden Augen hob er an.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Sealsfield, Charles. Erzählungen. Das Kajütenbuch oder Nationale Charakteristiken. Die Prärie am Jacinto. 16.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0A23-F