Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
(Quo vadis?)

Erstes Kapitel

[5] Erstes Kapitel.

Petronius erwachte erst gegen Mittag und zwar wie gewöhnlich noch sehr ermüdet. Am Tage zuvor war er bei Nero zu einem Gastmahle eingeladen gewesen, das sich bis spät in die Nacht hineingezogen hatte. Seit einiger Zeit fing seine Gesundheit an zu leiden. Er selbst klagte darüber, daß er am Morgen stets wie an allen Gliedern zerschlagen aufwache und nicht imstande sei, seine Gedanken zu sammeln. Aber das Morgenbad und die damit verbundene sorgfältige Massage durch seine darin geschulten Sklaven brachten dann allmählich sein träges Blut wieder in Bewegung, erfrischten, belebten ihn und erfüllten ihn mit neuer Kraft, so daß er aus dem Salbzimmer, der letzten Abteilung des Bades, wie neuerstanden heraustrat, mit Augen, die von Geist und Heiterkeit strahlten, verjüngt, voller Leben, in rosiger Laune und in so vornehmer, tadelloser Haltung, daß sich selbst Otho nicht mit ihm vergleichen konnte: kurz, wirklich als»arbiter elegantiarum,« als oberster Richter in Sachen des feinen Geschmacks, wie man ihn nannte.

In den öffentlichen Bädern verkehrte er selten und nur dann, wenn ein berühmter Rhetor, von dem man in der ganzen Stadt sprach, auftrat oder wenn aus Anlaß einer Ephebenfeier besonders aufregende Ringkämpfe zu erwarten waren. Er besaß in seiner Villa, »Insula,« eigene Bäder, welche ihm Celer, der berühmte Fachgenosse des Severus, erweitert, umgebaut und mit so erlesenem Geschmacke eingerichtet hatte, daß selbst Nero ihnen den Vorzug vor den kaiserlichen Bädern einräumte, [5] obgleich diese letzteren ausgedehnter und mit ungleich größerem Prunk ausgestattet waren.

Nach jenem Gastmahl also, bei dem er, gelangweilt von Vatinius' Schwätzereien, mit Nero, Lucanus und Seneca über die Frage, ob das Weib eine Seele habe, disputiert hatte, war er spät aufgestanden und hatte wie gewöhnlich ein Bad genommen. Zwei riesige Badediener legten ihn auf einen Tisch aus Zypressenholz, der mit schneeigem ägyptischen Byssos bedeckt war, tauchten ihre Handflächen in wohlriechendes Öl und begannen seinen wohlgestalteten Körper zu salben. Petronius wartete mit geschlossenen Augen, bis die Wärme des Schwitzbades und die Wärme ihrer Hände seine Glieder durchdrang und seine Mattigkeit beseitigte.

Nach einiger Zeit unterbrach er jedoch das Schweigen, schlug die Augen auf und begann nach dem Wetter sowie nach den Gemmen zu fragen, die der Goldschmied Idomeneus ihm heute zur Ansicht zu schicken versprochen hatte. Die Sklaven teilten ihm mit, das Wetter sei herrlich, ein leichter Wind wehe von den Albanerbergen her, und die Gemmen seien noch nicht eingetroffen. Petronius schloß von neuem die Augen und befahl soeben, ihn in den eigentlichen Baderaum, das Tepidarium, zu tragen, als hinter dem Vorhange der Nomenclator sichtbar wurde und meldete, daß der junge Marcus Vinicius, der vor kurzem aus Kleinasien zurückgekehrt war, ihn zu besuchen gekommen sei.

Petronius gab Befehl, den Gast ins Tepidarium zu geleiten, und begab sich auch selbst dorthin. Vinicius war der Sohn seiner älteren Schwester, welche sich vor langen Jahren mit Marcus Vinicius, einem Konsular aus der Zeit des Kaisers Tiberius, vermählt hatte. Der Jüngling diente bis dahin unter Corbulo gegen die Parther und war nach Beendigung des Krieges nach Rom zurückgekehrt. Petronius empfand eine gewisse Zuneigung für ihn, die nahe an Freundschaft grenzte, denn Marcus war ein schöner, kräftig gebauter Jüngling, der es zugleich verstand, in seinen Ausschweifungen [6] ein gewisses ästhetisches Maß zu halten, was Petronius über alles schätzte.

»Sei gegrüßt, Petronius,« sagte der Jüngling, als er mit elastischem Schritte das Tepidarium betrat; »mögen alle Götter dir Glück schenken, namentlich Asklepios und Kypris, denn unter ihrem schützenden Beistande kann dir nichts Übles zustoßen.«

»Willkommen in Rom! Mögest du dich der Ruhe nach dem Kriege erfreuen,« antwortete Petronius, indem er seine Hände aus den Falten des weichen Musselingewebes, das ihn umhüllte, hervorstreckte. »Was gibt es Neues in Armenien, und bist du während deines Aufenthaltes in Asien nicht auch nach Bithynien gekommen?«

Petronius hatte früher Bithynien verwaltet, und was mehr bedeuten wollte, sein Amt mit Strenge und Gerechtigkeit geführt. Dies stand in merkwürdigem Gegensatz zu dem Charakter des Mannes, der wegen seiner Weichlichkeit und seines Hanges zur Üppigkeit allgemein bekannt war; daher liebte er es, sich jener Zeiten zu erinnern, weil sie ein Beweis dafür waren, was aus ihm hätte werden können, wenn er gewollt hätte.

»Ich war zufällig in Herakleia,« entgegnete Vinicius. »Corbulo hatte mich dorthin geschickt mit dem Befehl, Verstärkungen zusammenzuziehen.«

»Ach ja, Herakleia! Ich kannte dort ein Mädchen aus Kolchis, für das ich alle hiesigen geschiedenen Frauen, Poppaea selbst nicht ausgeschlossen, hingegeben hätte. Aber das sind vergangene Geschichten. Erzähle mir lieber, was es Neues an der parthischen Grenze gibt. Wahrlich, diese Vologesus, Tiridates, Tigranes und all diese Barbaren sind mir zuwider, welche, wie mir der junge Arulanus erzählt, bei sich zu Hause noch auf allen vieren kriechen und sich nur in unserer Gegenwart als Menschen gebärden. Aber man spricht jetzt viel von ihnen in Rom, wenn auch nur deshalb, weil es gefährlich ist, von etwas anderem zu sprechen.«

[7] »Der Krieg geht schlecht vorwärts, und wenn Corbulo nicht wäre, so könnte er möglicherweise zu einer Niederlage führen.«

»Corbulo! Beim Bakchos, er ist der wahre Kriegsgott, der leibhaftige Mars, ein großer Feldherr und dabei aufbrausend, ehrlich und töricht. Ich liebe ihn, wenn auch nur deshalb, weil Nero ihn fürchtet.«

»Corbulo ist durchaus nicht töricht.«

»Vielleicht hast du recht; aber es ist alles eins. Die Torheit ist, wie Pyrrhon sagt, um nichts schlechter als die Weisheit und unterscheidet sich in nichts von ihr.«

Vinicius begann nun vom Kriege zu erzählen; als aber Petronius die Lider von neuem schloß, änderte der Jüngling, der seine müden und etwas eingefallenen Züge bemerkte, den Gegenstand der Unterhaltung und begann ihn mit einiger Besorgnis nach seiner Gesundheit zu fragen.

Petronius schlug wieder die Augen auf.

Gesund! ... Nein, er fühle sich nicht wohl. Soweit sei es allerdings noch nicht mit ihm gekommen wie mit dem jungen Sissena, der so stumpfsinnig geworden sei, daß er, wenn man ihn früh ins Bad bringe, frage: »Sitze ich schon?« Aber er sei nicht gesund. Vinicius habe ihn ja dem Schutze des Asklepios und der Kypris empfohlen. Man wisse aber nicht einmal, wessen Sohn dieser Asklepios sei, ob der Arsinoe oder der Koronis, und wenn die Mutter zweifelhaft sei, was solle man dann erst vom Vater sprechen! Wer könne heutzutage überhaupt dafür bürgen, daß er der Sohn seines Vaters sei!

Hier begann Petronius zu lachen und fuhr dann fort: »Ich schickte wirklich vor zwei Jahren drei Dutzend lebende Hähne und einen goldenen Becher nach Epidauros, aber weißt du auch, warum? Ich sagte mir nämlich: mag es helfen oder nicht, auf keinen Fall schadet es mir. Obgleich die Menschen auf der Erde den Göttern noch immer Opfer darbringen, so glaube ich doch, daß sie alle derselben Meinung [8] sind wie ich. Alle! mit Ausnahme vielleicht der Eseltreiber, die sich den Reisenden an der Porta Capena vermieten. Außer bei Asklepios hatte ich ganz dieselbe Erfahrung bei den Söhnen des Asklepios zu machen, als ich voriges Jahr etwas an der Blase litt. Sie wachten eine Nacht im Tempel für mich. Ich sah, daß es Betrüger waren, aber gleichmütig sagte ich mir: was schadet dies mir? Die Welt will betrogen werden, und das Leben selbst ist eine Täuschung. Ebenso ist die Seele eine Täuschung. Man muß jedoch soviel Verstand besitzen, daß man die angenehmen von den unangenehmen Täuschungen unterscheiden kann. In meinem Badeofen will ich mit Ambra bestreutes Zedernholz verbrennen lassen, denn in meinem ganzen Leben zog ich Wohlgeruch üblen Düften vor. Was aber Kypris betrifft, der du mich ebenfalls empfahlst, so erfuhr ich ihren Beistand in dem Maße, daß ich die Gicht im rechten Fuße habe. Im übrigen ist sie eine gute Göttin! Ich nehme an, daß auch du jetzt früher oder später weiße Tauben zu ihrem Altare hinbringen wirst.«

»Du hast recht,« entgegnete Vinicius. »Die Pfeile der Parther haben mich nicht ereilt, aber Amors Pfeil hat mich getroffen ... ganz unerwartet, einige Stadien vor den Toren der Stadt.«

»Bei den weißen Knieen der Charitinnen! erzähle mir dies in einer Mußestunde!« rief Petronius.

»Ich kam eben, um deinen Rat zu erbitten,« antwortete Marcus.

In diesem Augenblicke erschienen aber die Badewärter, die sich mit Petronius beschäftigten. Auch Marcus legte seine Tunika ab und stieg in die mit lauem Wasser gefüllte Wanne, da Petronius ihn zu einem Bade einlud.

»Ah! ich habe nicht einmal gefragt, ob du Gegenliebe gefunden hast,« sagte Petronius, indem er auf Vinicius' jugendlichen, wie aus Marmor gemeißelten Körper blickte. »Hätte dich Lysippos gesehen, so würdest du jetzt als Standbild [9] des Herakles in seiner Jugendblüte das Tor, das zum Palatinus führt, zieren.«

Der Jüngling lächelte geschmeichelt und begann in der Wanne unterzutauchen, wobei ziemlich viel warmes Wasser auf den Mosaikfußboden überfloß, auf welchem Here in dem Augenblicke dargestellt war, wo sie den Schlummergott bittet, Zeus einzuschläfern. Petronius betrachtete ihn mit künstlerischer Befriedigung.

Als Marcus das Bad beendet und sich den Dienern überlassen hatte, erschien der Lektor, einen runden Behälter aus Bronze vor sich hertragend, in dem sich Schriftrollen befanden.

»Willst du zuhören?« fragte Petronius.

»Wenn es ein Werk von dir ist, gern!« entgegnete Vinicius, »ist dies aber nicht der Fall, so möchte ich mich lieber mit dir unterhalten. Die Dichter überfallen jetzt die Leute an allen Straßenecken.«

»Du hast recht. Man kann in keine Gerichtshalle, kein Bad, keine Bibliothek, keinen Buchladen treten, ohne daß man einen Poeten erblickt, der hier seine Affenpossen treibt. Als Agrippa aus dem Osten zurückkehrte, glaubte er, die Leute seien verrückt. Aber die heutige Zeit ist auch dazu angetan. Der Caesar schreibt Verse, und deshalb folgen ihm alle auf diesem Wege. Es ist nur verboten, bessere Verse als er zu machen, und aus diesem Grunde fürchte ich ein wenig für Lucanus .... Ich schreibe aber Prosa und lasse sie weder mir selbst noch anderen vorlesen. Was der Lektor lesen wird, sind die Codicilli des armen Fabricius Vejento.«

»Warum arm?«

»Weil ihm mitgeteilt wurde, er solle sich nach Odyssa begeben und nicht eher nach Hause zurückkehren, bis er erneuten Befehl erhalte. An dieser Odyssee wird er allerdings leichter zu tragen haben, als Odysseus an der seinigen, denn seine Frau ist keine Penelope. Ich brauche dir übrigens nicht erst zu sagen, daß man damit unklug gehandelt hat. Aber man treibt hier alles auf die Spitze. Dies ist ein ziemlich schlechtes, [10] langweiliges Buch, das erst begierig gelegen wird, seitdem der Verfasser verbannt worden ist. Jetzt hört man überall rufen: Scandala! Scandala! und es kann sein, daß Vejento manches erfunden hat, aber ich, der ich die Stadt, unsere Familienväter und unsere Frauen kenne, versichere dich, daß alles noch hinter der Wirklichkeit zurückbleibt. Jetzt sucht jedermann in dem Buche sich selbst mit Besorgnis, Bekannte mit Schadenfreude. In der Buchhandlung des Avirnus schreiben hundert Kopisten das Werk nach Diktat, und sein Erfolg ist sicher.«

»Ist nicht auch von deinen Angelegenheiten darin die Rede?«

»Jawohl; aber der Verfasser befindet sich im Irrtum, denn ich bin zugleich schlimmer und weniger fad, als er mich hinstellt. Sieh, wir haben hier schon längst das Gefühl dafür eingebüßt, was ehrenhaft und was unehrenhaft ist, und mir selbst will es scheinen, als ob in Wahrheit gar kein Unterschied zwischen beiden bestände, obgleich Seneca, Musonius und Thrasea vorgeben, ihn zu kennen. Mir ist alles eins! Beim Herakles, ich spreche so, wie ich denke! Aber den Stolz habe ich mir stets bewahrt, daß ich weiß, was häßlich und was schön ist, und davon versteht zum Beispiel unser rotbärtiger Dichter, Wagenlenker, Sänger, Tänzer und Schauspieler 1 nichts.«

»Fabricius dauert mich trotzdem! Er war ein guter Gesellschafter.«

»Seine Eigenliebe hat ihn ins Verderben gestürzt. Jedermann beargwöhnte ihn, ohne etwas sicheres zu wissen; aber er selbst konnte sich nicht beherrschen und plauderte überall Geheimnisse aus. Hast du die Geschichte von Rufinus gehört?«

»Nein.«

»Wir wollen ins Frigidarium gehen; dort können wir uns abkühlen, und ich erzähle dir dabei die Geschichte.«

[11] Sie begaben sich ins Frigidarium, in dessen Mitte ein Springbrunnen sprudelte, der in hellrosa Farbe schimmerte und veilchenduftendes Wasser von sich gab. Dort setzten sie sich in mit Seide ausgeschlagene Nischen und begannen sich abzukühlen. Eine Weile herrschte Schweigen. Vinicius betrachtete einige Zeit sinnend einen Faun aus Bronze, der, sich über den Arm einer Nymphe beugend, mit seinen Lippen lüstern die ihrigen suchte, und sagte dann: »Der hat recht! Das ist das beste im Leben.«

»Mehr oder weniger! Außerdem liebst du aber auch den Krieg, den ich nicht leiden kann, weil unter den Zelten die Nägel rissig werden und ihre rosige Farbe verlieren. Im übrigen hat jeder seinen eigenen Geschmack. Der Rotbart liebt Gesang, namentlich seinen eigenen, und der alte Scaurus seine korinthische Vase, die in der Nacht sogar vor seinem Bette steht und die er küßt, wenn er nicht schlafen kann. Er hat schon ihre Ränder weggeküßt. Sag' einmal, machst du keine Verse?«

»Nein; ich habe noch nie einen ganzen Hexameter zustande gebracht.«

»Du spielst nicht auf der Laute und singst auch nicht?«

»Nein.«

»Du bist auch kein Wagenlenker?«

»Ich versuchte es seinerzeit in Antiochia, aber ohne Erfolg.«

»Dann bin ich deinetwegen außer Sorge. Und zu welcher Partei gehörst du in der Rennbahn?«

»Zu den Grünen.«

»Dann bin ich völlig außer Sorge, zumal du wirklich großen Reichtum besitzt, wenn auch nicht so großen, wie Pallas oder Seneca. Denn sieh, für uns ist es gegenwärtig gut, Verse zu schreiben, zur Laute zu singen, zu deklamieren und an den Wettfahrten im Zirkus teilzunehmen, aber noch besser und namentlich gefahrloser ist es, keine Verse zu machen, nicht zu spielen, nicht zu singen und nicht im Zirkus aufzutreten. Am besten ist es aber, wenn man es versteht, das zu bewundern, was der Rotbart bewundert. Du bist ein [12] hübscher Bursche; daher könnte dir vielleicht die Gefahr drohen, daß sich Poppaea in dich verliebt. Aber sie hat darin zuviel Erfahrung. Sie hat ihr Liebesverlangen zur Genüge bei ihren ersten beiden Männern gestillt; bei dem dritten sind ihre Wünsche auf etwas anderes gerichtet. Weißt du, daß dieser alberne Otho sie bis zum Wahnsinne liebt? Er irrt auf den Felsen Spaniens umher und seufzt, auch hat er seine früheren Gewohnheiten in dem Grade abgelegt und hat so sehr aufgehört, sich mit seiner Person zu beschäftigen, daß ihm zur Pflege seines Haares jetzt drei Stunden täglich genügen. Wer hätte das erwartet, namentlich von Otho!«

»Ich verstehe ihn,« erwiderte Vinicius. »Aber an seiner Stelle hätte ich etwas anderes getan.«

»Was denn?«

»Ich hätte mir treuergebene Legionen unter den dortigen Gebirgsbewohnern angeworben. Es sind tüchtige Soldaten, diese Iberer!«

»Vinicius, Vinicius! Fast hätte ich Lust, dir zu sagen, daß du dazu nicht imstande wärest. Und weißt du, warum? So etwas tut man zwar, aber man spricht unter keiner Bedingung davon. Was mich betrifft, so hätte ich an seiner Stelle die Poppaea ausgelacht, ebenso den Rotbart und hätte mir Legionen gebildet nicht aus iberischen Männern, sondern aus iberischen Frauen. Zu guterletzt hätte ich Epigramme geschrieben, die ich übrigens niemand vorgelesen hätte, wie es dieser arme Rufinus getan hat.«

»Du wolltest mir seine Geschichte erzählen.«

»Ich werde sie dir im Unctorium erzählen.«

Aber im Salbzimmer wurde Vinicius' Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt, nämlich auf wunderschöne Sklavinnen, die auf die Badenden gewartet hatten. Zwei von ihnen, Negerinnen, die herrlichen Statuen aus Ebenholz glichen, begannen sie mit kostbaren arabischen Parfumerien zu salben, andere, geschickte phrygische Haarkünstlerinnen, hielten in ihren Händen, die weich und geschmeidig waren wie Schlangen, [13] Kämme und Spiegel aus poliertem Stahl; zwei andere, griechische Mädchen aus Kos, Göttinnen an Schönheit ähnlich, warteten als Vestiplicae auf den Augenblick, wo sie säulengerade Falten in die Togen der beiden Männer legen konnten.

»Beim Wolkenversammler Zeus!« rief Marcus Vinicius, »was für auserlesene Geschöpfe du hier hast!«

»Ich ziehe auserlesenes einer großen Anzahl vor,« entgegnete Petronius. »Meine gesamte Dienerschaft in Rom beträgt nicht über vierhundert Köpfe und ich glaube, daß nur Emporkömmlinge eine größere Menge Menschen zu ihrer persönlichen Bedienung brauchen.«

»Schönere Sklavinnen besitzt nicht einmal der Rotbart,« sagte Vinicius, dessen Nasenflügel sich blähten.

»Du bist mein Neffe, und ich bin weder ungefällig wie Bassus, noch ein Pedant wie Aulus Plautius,« entgegnete Petronius mit einer Art gleichmütiger Zuvorkommenheit.

Beim Klange dieses letzteren Namens vergaß Vinicius auf einen Augenblick die koischen Mädchen, und lebhaft den Kopf erhebend, fragte er: »Wie kommt dir Aulus Plautius in den Sinn? Weißt du, daß ich etliche Tage in seinem Hause zubrachte, als ich mir vor der Stadt die Hand verstaucht hatte? Es traf sich, daß Plautius in dem Augenblicke, wo sich der Unfall ereignete, hinzukam, und als er sah, wie sehr ich litt, mich in sein Haus aufnahm, wo mich auch sein Sklave, der Arzt Meryon, wiederherstellte. Hierüber eben wollte ich mit dir sprechen.«

»Worüber? Hast du dich bei dem Unfalle etwa in Pomponia verliebt? In diesem Falle dauerst du mich. Sie ist nicht mehr jung und dabei sehr tugendhaft. Ein schlechteres Verhältnis als dieses kann ich mir gar nicht vorstellen. Brrr!«

»Nicht in Pomponia, ach!« antwortete Vinicius.

»In wen denn sonst?«

»Wenn ich es nur selbst wüßte, in wen. Aber ich weiß nicht einmal genau, wie sie heißt: Lygia oder Callina. Im Hause nennt man sie Lygia, weil sie aus dem Volke [14] der Lygier herstammt; aber sie hat noch ihren eigenen barbarischen Namen: Callina. Es ist ein seltsames Haus, das Haus dieser Familie Plautius; trotz der großen Zahl der Bewohner herrscht eine Stille darin wie in den Hainen von Subiacum. Längere Zeit hindurch wußte ich nicht, daß eine Gottheit darin wohnte. Da sah ich einst bei Tagesanbruch, wie sie sich in dem Springbrunnen im Garten badete. Und bei dem Schaume, aus dem Aphrodite geboren wurde, schwöre ich dir, daß die Strahlen der Morgenröte ihren Leib wie Pfeile durchdrangen. Ich glaubte, daß sie beim Aufgang der Sonne im Lichte zerfließen würde, wie die Morgendämmerung zerfließt. Seitdem sah ich sie zweimal, und seitdem weiß ich auch nicht mehr, was Ruhe ist, kenne ich kein anderes Verlangen, will nichts mehr von dem wissen, was mir die Stadt bieten könnte; ich will keine Weiber, kein Gold, kein korinthisches Erz, keinen Bernstein, keine Perlen, keinen Wein, kein Gelage, ich verlange nur nach Lygia. Ich sage dir im vollen Ernste, Petronius, daß ich mich nach ihr sehne, wie jener Hypnos auf dem Mosaikfußboden deines Tepidariums sich nach Paisitheia sehnte, daß ich mich die ganzen Tage und Nächte nach ihr sehne.«

»Wenn sie eine Sklavin ist, so kaufe sie doch.«

»Sie ist keine Sklavin.«

»Was ist sie denn? Eine Freigelassene des Plautius?«

»Da sie nie Sklavin war, kann sie auch nicht eine Freigelassene sein.«

»Wer ist sie also?«

»Ich weiß es nicht; die Tochter eines Königs oder etwas ähnliches.«

»Du machst mich neugierig, Vinicius.«

»Wenn du mich anhören willst, will ich sofort deine Wißbegierde befriedigen. Ihre Geschichte ist nicht allzulang. Vielleicht hast du Vannius, den König der Sueven, persönlich gekannt, der, aus seinem Lande vertrieben, lange Zeit hier in Rom lebte und sogar wegen seines Glücks im Würfelspiel [15] und seines Geschicks im Wagenlenken berühmt war. Cäsar Drusus setzte ihn wieder auf den Thron. Vannius, der wirklich ein tüchtiger Mann war, regierte anfangs gut und führte glückliche Kriege; später aber begann er nicht nur die Nachbarvölker, sondern auch seine Sueven selbst allzusehr zu bedrücken. Daher beschlossen seine beiden Neffen Vangio und Sido im Verein mit den Söhnen des Hermundurenkönigs Vibilius, ihn zu zwingen, wieder nach Rom zu gehen, um sein Glück im Würfelspiel zu versuchen.«

»Ich weiß, es war zu Claudius' Zeiten, es ist noch nicht allzulange her.«

»Jawohl! Der Krieg brach aus. Vannius rief Jazygen zu Hilfe, seine teuren Neffen aber die Lygier, die von Vannius' Schätzen gehört hatten und von der Hoffnung auf Beute angelockt in so zahlreichen Massen ins Land kamen, daß selbst Cäsar Claudius wegen des Friedens an der Grenze in Besorgnis geriet. Claudius wünschte nicht, sich in die Barbarenkriege zu mischen, schrieb jedoch an Atelius Hister, der die Donaulegion befehligte, er möge den Verlauf des Krieges aufmerksam verfolgen und keine Friedensstörung gegen uns dulden. Hister verlangte nun von den Lygiern das Versprechen, die Grenze nicht zu überschreiten; diese verpflichteten sich nicht nur hierzu, sondern stellten auch Geiseln, unter denen sich die Gemahlin und die Tochter ihres Fürsten befanden. Du weißt ja, daß die Barbaren mit Weib und Kind in den Krieg ziehen. Und meine Lygia ist die Tochter jenes Königs.«

»Woher weißt du dieses alles?«

»Aulus Plautius selbst hat es mir erzählt. Die Lygier überschritten daraufhin wirklich nicht die Grenze. Aber Barbaren kommen und gehen wieder wie eine Windsbraut. So verschwanden auch die Lygier samt ihren Auerochsenhörnern, die sie auf dem Kopfe tragen. Sie erschlugen die Sueven des Vannius sowie die Jazygen; aber auch ihr König fiel, worauf sie mit der Beute abzogen. Die Geiseln blieben in [16] Histers Händen. Kurze Zeit danach starb die Mutter, und da Hister nicht wußte, was er mit dem Kinde anfangen sollte, sandte er es zu Pomponius, dem Statthalter von ganz Germanien. Dieser kehrte nach Beendigung des Krieges mit den Katten nach Rom zurück, wo ihm Claudius, wie du weißt, gestattete, einen Triumphzug zu halten. Das Mädchen ging dabei hinter dem Wagen des Siegers einher. Da aber die Geiseln nicht als Kriegsgefangene betrachtet werden können, so wußte Pomponius seinerseits nicht, was er mit dem Kinde beginnen sollte, und übergab er es nach der Beendigung der Feier seiner Schwester Pomponia Graecina, der Gattin des Plautius. In diesem Hause, wo alles, von der Herrschaft angefangen bis herab zum Geflügel im Hühnerhof tugendhaft ist, wuchs Lygia zur Jungfrau heran, ist aber leider ebenso tugendhaft wie Graecina selbst, dabei jedoch so schön, daß selbst Poppaea im Vergleich zu ihr wie eine Herbstfeige neben dem Apfel der Hesperiden erscheint.«

»Und was weiter?«

»Ich wiederhole dir, daß ich sie seit dem Augen blicke, wo ich sah, wie die Sonnenstrahlen am Springbrunnen ihren Körper durchleuchteten, liebe, ohne an etwas anderes denken zu können.«

»Sie ist also durchsichtig wie eine Lamprete oder eine junge Sardine?«

»Spotte nicht, Petronius. Und wenn du die Offenherzigkeit, mit der ich zu dir über meine Liebe spreche, mißverstehst, so bedenke, daß ein schimmerndes Kleid oft tiefe Wunden bedeckt. Auch das muß ich dir erzählen, daß ich bei meiner Rückkehr aus Asien eine Nacht im Heiligtum des Mopsos schlief, in der Absicht, einen prophetischen Traum zu haben. Und wirklich erschien mir Mopsos selbst im Traum und erklärte mir, daß die Liebe eine große Veränderung in meinem Leben bewirken werde.«

»Ich hörte Plinius sagen, er glaube nicht an die Götter, wohl aber an Träume, und möglicherweise hat er recht. [17] Meine Spöttereien hindern mich nicht daran, bisweilen zu denken, daß es in Wahrheit nur eine einzige ewige, allmächtige, schöpferische Gottheit gibt: Venus Genitrix. Sie verknüpft Seelen miteinander, sie verknüpft Lebendes und Lebloses. Eros rief die Welt aus dem Chaos ins Dasein. Ob er gut daran tat, ist allerdings eine andere Frage; aber da es so ist, so müssen wir seine Macht anerkennen, obgleich es uns freisteht, sie nicht zu segnen ...«

»Ach, Petronius, es ist leichter, auf der Welt Philosophie als einen guten Rat zu hören.«

»So sage mir, was du eigentlich wünschst.«

»Ich wünsche Lygia zu besitzen. Ich wünsche, daß ich mit diesen meinen Armen, welche jetzt in die leere Luft greifen, Lygia umfasse und an meine Brust drücke; ich wünsche ihren Atem einzusaugen. Wäre sie eine Sklavin, so würde ich Aulus für sie hundert Mädchen geben mit in Kalk getauchten Füßen, zum Zeichen, daß sie zum erstenmal zum Verkauf kommen. Ich will sie solange in meinem Hause haben, bis mein Haupt so weiß ist, wie der Soracte im Winter.«

»Sie ist keine Sklavin, gehört aber schließlich doch zur Familie des Plautius; und da sie ein verlassenes Kind ist, so kann sie als Alumna betrachtet werden. Plautius könnte sie dir abtreten, wenn er wollte.«

»Du sprichst so, weil du Pomponia Graecina nicht kennst. Im übrigen lieben beide Gatten sie so zärtlich, wie wenn sie ihre eigene Tochter wäre.«

»Ich kenne Pomponia – die wahre Trauerweide. Wäre sie nicht des Aulus Gattin, so könnte man sie als Klageweib vermieten. Seit Julius' Tode hat sie die schwarze Stola noch nicht abgelegt und sieht überhaupt so abgemagert aus, als wandle sie lebend bereits auf der Asphodeloswiese. Außerdem ist sie eine Univira und daher unter unseren vier- bis fünfmal geschiedenen Frauen ein leibhaftiger Phönix ... Aber ... hast du gehört, daß in Oberägypten jetzt wirklich [18] ein Phönix ausgebrütet worden ist, was nicht häufiger vorkommt als einmal in fünfhundert Jahren?«

»Petronius, Petronius! vom Phönix sprechen wir ein andermal!«

»Worüber soll ich denn mit dir sprechen, lieber Marcus? Ich kenne Aulus Plautius, der zwar meinen Lebenswandel tadelt, aber mir doch eine Art Wohlwollen entgegenbringt und mich vielleicht höher schätzt als andere; denn er weiß, daß ich niemals ein Angeber gewesen bin, wie zum Beispiel Domitius Afer, Tigellinus und die ganze Schar der Freunde des Rotbartes. Obgleich ich mich nicht für einen Stoiker ausgebe, entrüstete ich mich doch nichtsdestoweniger über manche Taten Neros, bei denen weder Seneca noch Burrus etwas Arges fanden. Wenn du glaubst, daß ich etwas für dich bei Plautius tun kann, so stehe ich dir gern zu Diensten.«

»Ich glaube, du kannst es. Du hast Einfluß auf ihn, und außerdem besitzt dein Geist unerschöpfliche Hilfsmittel. Wenn du dich der Sache annehmen und mit Plautius sprechen wolltest ...«

»Du hast eine allzuhohe Meinung von meinem Einflusse und meiner Klugheit, aber wenn es weiter nichts ist, was du verlangst, so will ich mit Plautius sprechen, sobald er in die Stadt zurückkehrt.«

»Sie sind schon seit zwei Tagen zurück.«

»Dann laß uns ins Triclinium gehen, wo ein Mahl für uns bereit steht, und dann, wenn wir uns gestärkt haben, wollen wir uns zu Plautius tragen lassen.«

»Du bist stets gütig gegen mich gewesen,« antwortete Marcus Vinicius lebhaft; »nun aber lasse ich deine Bildsäule – sieh, eine so schöne wie diese hier – unter meine Laren versetzen und bringe ihr Opfer dar.«

Bei diesen Worten wandte er sich den Statuen zu, welche die ganze eine Wand des mit Wohlgerüchen erfüllten Zimmers schmückten, und deutete mit der Hand auf die Bildsäule des Petronius, die ihn als Hermes mit dem Stabe in [19] der Hand darstellte, und fuhr dann fort: »Beim Strahlenglanze des Helios! wenn der göttliche Held Alexandros 2 dir glich, so wundere ich mich nicht mehr über Helena.«

In dieser Versicherung lag ebensoviel Aufrichtigkeit wie Schmeichelei, denn Petronius war, obgleich älter und weniger kräftig gebaut, schöner als selbst Vinicius. Die römischen Frauen bewunderten nicht nur seinen überlegenen Geist und seinen vollendeten Geschmack, der ihm den Beinamen arbiter elegantiarum eingebracht hatte, sondern auch seine äußere Schönheit. Diese Bewunderung war sogar in den Gesichtern jener koischen Mädchen zu lesen, welche jetzt die Falten seiner Toga ordneten, und eine von ihnen, Eunike mit Namen, die ihn heimlich liebte, blickte ihm mit einem Gemisch von Demut und Entzücken in die Augen. Er aber achtete weiter nicht darauf, sondern wandte sich nur lächelnd an Vinicius, indem er das beißende Wort Senecas über die Weiber zitierte: »Animal impudens ...« usw. 3

Dann legte er seine Hand in den Arm seines Gastes und geleitete ihn in das Triclinium.

Im Unctorium begannen die beiden griechischen Mädchen, die Phrygierinnen und die Negerinnen, die Gefäße mit den wohlriechenden Salben wegzuräumen. In diesem Augenblicke erschienen aber hinter dem zurückgeschlagenen Vorhang des Frigidariums die Köpfe der Badewärter und stießen ein leises Pst! aus; auf diesen Ruf sprangen eine der Griechinnen, die Phrygierinnen und die beiden Negerinnen rasch auf und verschwanden augenblicklich hinter dem Vorhange. In den Baderäumen begann nun eine Zeit der Ausgelassenheit und des Übermutes, denen der Aufseher nicht steuerte, weil er [20] selbst häufig an diesen Orgien teilnahm. Übrigens vermutete Petronius dies, aber als kluger Mann, der nicht gern strafte, fand er nichts arges dabei.

Eunike blieb allein im Unctorium zurück. Eine Zeitlang lauschte sie auf das aus der Richtung des Laconicums 4 herübertönende Stimmengewirr und Gelächter, dann nahm sie den mit Bernstein und Elfenbein ausgelegten Stuhl, auf welchem Petronius vor kurzer Zeit gesessen hatte, und stellte ihn vorsichtig vor dessen Bildsäule.

Das Unctorium war von farbigem Sonnenlichte durchflutet, das sich auf den glitzernden Marmorplatten brach, mit denen die Wände bedeckt waren.

Eunike stieg auf den Stuhl und als sie sich in gleicher Höhe mit der Statue befand, legte sie ihr plötzlich die Arme um den Hals. Dann warf sie ihre goldenen Haare zurück, preßte ihren rosigen Leib an den weißen Marmor und drückte ihren Mund voller Inbrunst auf Petronius' kalte Lippen.

Fußnoten

1 Nero.

2 Paris.

3 Die Stelle findet sich in de constantia sapientis und lautet vollständig: Aeque impudens animal est, et nisi scientia accesit ac multa eruditio, ferum, cupiditatum incontinens. (Das Weib ist ein schamloses, und wenn es sich nicht Wissen und hohe Bildung angeeignet hat, unbändiges, zügelloses Geschöpf.)

4 Schwitzbades.

Zweites Kapitel

Zweites Kapitel.

Nach dem Mahle, das sich Frühstück nannte und zu dem die beiden Freunde sich zu einer Zeit niedersetzen, wo gewöhnliche Sterbliche ihr mittägliches Prandium schon längst eingenommen hatten, schlug Petronius vor, etwas zu ruhen, da es nach seiner Meinung zu früh war, um schicklicherweise Besuche machen zu können. Es gebe allerdings Leute, welche ihre Bekannten schon bei Sonnenaufgang zu besuchen pflegen, weil sie glauben, das gehöre zur alten römischen Sitte. Er aber, Petronius, halte dies für barbarisch. Die Nachmittagsstunden seien dazu am geeignetsten, wenn die Sonne auf ihrer Bahn bis über den Tempel des kapitolinischen Jupiter gelangt sei und in schräger Richtung auf das Forum niederschaue. Im Herbste sei es noch heiß, und die Menschen schlafen gern nach dem Essen. Dann sei es angenehm, dem [21] Plätschern des Springbrunnens im Atrium zuzuhören und, nachdem man die vorgeschriebenen tausend Schritte gegangen sei, in dem roten Lichte einzuschlummern, das durch den halbzusammengezogenen purpurnen Bettvorhang dringe.

Vinicius erkannte das Zutreffende seiner Worte an, und sie begannen auf und nieder zu gehen, plauderten gemächlich über die Vorgänge auf dem Palatin und in der Stadt und fingen allmählich an, über das menschliche Leben zu philosophieren. Dann begab sich Petronius ins Cubiculum, schlief aber nicht lange. Nach Verlauf einer halben Stunde trat er wieder heraus, ließ sich Verbenenöl bringen und begann daran zu riechen und sich Hände und Schläfen damit zu reiben.

»Du glaubst gar nicht,« sagte er, »wie sehr dies belebt und erquickt. Jetzt bin ich bereit.«

Die Sänfte wartete ihrer schon längst; sie setzten sich hinein und ließen sich nach dem Vicus patricius, zu dem Hause des Aulus tragen. Die »Insula« des Petronius lag am Südabhange des Palatins in der Nähe der sogenannten Carinae; ihr kürzester Weg hätte daher unterhalb des Forums hingeführt, da aber Petronius zugleich bei dem Goldschmiede Idomeneus vorsprechen wollte, so gab er den Befehl, sie über den Vicus Apollinis und das Forum nach dem Vicus Sceleratus zu tragen, auf welchem Wege sie bei Läden aller Art vorüberkamen.

Riesige Neger hoben die Sänfte empor und setzten sich in Bewegung; ihnen folgten Sklaven, die man Pedisequi nannte. Eine Zeitlang hielt Petronius schweigend seine nach Verbenenöl duftenden Hände an die Nase und schien über etwas nachzudenken. Nach einer Weile sagte er: »Es fuhr mir eben durch den Kopf, daß, da deine Waldgöttin keine Sklavin ist, sie ja das Haus des Plautius verlassen und in das deinige übersiedeln kann. Du würdest sie mit Liebe umgeben und mit Reichtum überschütten, wie ich meine angebetete Chrysothemis, der ich – unter uns gesagt – ebenso im höchsten Grade überdrüssig bin, wie sie meiner.«

[22] Marcus schüttelte den Kopf.

»Nicht?« fragte Petronius. »Im schlimmsten Falle dürfte die Sache vom Caesar abhängen, und du kannst versichert sein, daß der Rotbart dank meinem Einflusse auf deiner Seite stehen wird.«

»Du kennst Lygia nicht!« entgegnete Vinicius.

»Dann gestatte mir die Frage, ob du sie anders kennst, als von Gesicht. Hast du mit ihr gesprochen. Hast du ihr deine Liebe gestanden?«

»Ich sah sie zum erstenmal am Springbrunnen und habe sie später zweimal getroffen. Du mußt wissen, daß ich während meines Aufenthaltes in Aulus' Hause in einer Seitenvilla wohnte, die zur Aufnahme von Gästen bestimmt ist, und infolge meiner Handverstauchung nicht an den gemeinschaftlichen Mahlzeiten teilnehmen konnte. Erst am Abend des Tages, an welchem ich meine Abreise ankündigte, traf ich Lygia beim Essen, konnte aber kein Wort mit ihr sprechen. Ich mußte Aulus und seinen Erzählungen über die Siege, die er über die Britannier davongetragen hat, zuhören und dann seinen Darlegungen über den Untergang der kleinen Gutsbesitzer in Italien, den schon Licinius Stolo aufzuhalten versucht hat. Ich weiß überhaupt nicht, ob Aulus von etwas anderem sprechen kann; glaube auch ja nicht, daß wir davon loskommen, du müßtest denn wünschen, etwas über die Verweichlichung der heutigen Zeit zu hören. Es werden dort Fasanen auf dem Geflügelhof gehalten, aber nicht gegessen, da Aulus fest davon überzeugt ist, daß durch den Tod eines jeden Fasans der Untergang des römischen Reiches beschleunigt werde. Das zweite Mal traf ich Lygia an der Gartenzisterne; sie hielt einen frisch abgebrochenen Zweig in der Hand, tauchte dessen oberes Ende ins Wasser und besprengte damit die ringsherum stehenden Schwertlilien. Sieh dir meine Kniee an. Beim Schilde des Herakles, ich versichere dich, sie haben nicht gewankt, wenn die Parther wie Wetterwolken gegen unsere Manipeln anstürmten; an jener Zisterne [23] haben sie aber gewankt. Und schüchtern wie ein Knabe, der noch das Amulett auf der Brust trägt, flehte ich nur mit den Augen um Erhörung, lange Zeit außer stande, ein Wort hervorzubringen.«

Petronius betrachtete ihn mit einer Art Neid.

»Du Glücklicher!« sprach er, »mögen Welt und Leben auch noch so erbärmlich sein, eins trifft man in ihnen an, das ewig schön sein wird – die Jugend.«

Nach einer Weile fragte er wieder: »Und du hast nicht mit ihr gesprochen?«

»Allerdings. Als ich mich etwas erholt hatte, erzählte ich ihr, daß ich auf der Rückkehr aus Asien begriffen sei, daß ich mir die Hand vor der Stadt verstaucht und Schmerzen gelitten habe, daß ich aber in dem Augenblicke, wo ich dieses gastliche Haus verlassen müsse, fühle, daß Schmerzen in ihm der Freude anderswo vorzuziehen seien, daß hier krank zu liegen besser sei, als anderswo gesund zu sein. Sie hörte meine Worte voller Verwirrung und gesenkten Hauptes an und zeichnete mit dem Zweige etwas in den safrangelben Sand. Dann schlug sie die Augen auf und richtete sie bald auf ihre Zeichnung, bald auf mich, als wollte sie noch etwas fragen und flüchtete dann wie eine Nymphe vor einem häßlichen Faun.«

»Sie muß schöne Augen haben.«

»Wie das Meer, und ich versank in ihnen wie im Meer. Glaube mir, der Archipelagos ist von einem matteren Blau. Bald darauf erschien der kleine Plautius und begann nach etwas zu fragen. Aber ich verstand nicht, was er wollte.«

»O Athene!« rief Petronius aus, »nimm diesem Jüngling die Binde von den Augen, die ihm Eros angelegt hat, denn sonst zerschmettert er am Ende noch seinen Kopf an den Säulen des Venustempels.«

Dann wandte er sich zu Vinicius und sagte: »O du Lenzknospe am Baume des Lebens, du erster grüner Sproß am Weinstock! Ich sollte dich anstatt in das Haus des Plautius [24] nach dem Hause des Gelocius schaffen lassen, in dem sich eine Schule für des Lebens unkundige Knaben befindet.«

»Warum denn eigentlich?«

»Was zeichnete sie in den Sand? War es nicht der Name Amors oder ein von seinem Pfeile durchbohrtes Herz oder etwas ähnliches, aus dem du entnehmen konntest, daß die Satyrn deiner Nymphe schon manche Geheimnisse des Lebens ins Ohr geraunt haben? Wie war es möglich, daß du jene Zeichen nicht ansahst?«

»Ich trage die Toga schon länger, als du glaubst,« versetzte Vinicius, »und bevor der kleine Aulus zu mir kam, sah ich mir diese Zeichen genau an, denn ich weiß ja, daß liebende Jungfrauen in Griechenland und Rom häufig Geständnisse in den Sand schreiben, die ihre Lippen nie aussprechen würden. Rate einmal, was sie zeichnete.«

»Wenn es etwas anderes ist, als ich vermute, so will ich nicht erst raten.«

»Einen Fisch.«

»Wie sagst du?«

»Ich sage: einen Fisch. Was hatte das anderes zu bedeuten, als daß in ihren Adern ebenso kaltes Blut fließt? Ich weiß es nicht. Aber du, der du mich eine Lenzknospe am Baume des Lebens nanntest, wirst gewiß besser imstande sein, mir die Bedeutung dieses Zeichens zu erklären.«

»Mein Lieber, danach mußt du Plinius fragen. Er versteht sich auf Fische. Lebte der alte Apicius noch, so könnte er dir vielleicht auch etwas darüber sagen, da er in seinem Leben mehr Fische gegessen hat, als der Meerbusen von Neapel fassen kann.«

Das weitere Gespräch wurde abgebrochen, denn sie kamen in belebte Straßen, in denen der Lärm der Menschen es unmöglich machte. Über den Vicus Apollinis hinweg wandten sie sich nach dem Forum Romanum, wo an heiteren Tagen vor Sonnenuntergang Scharen von Müßiggängern zusammenströmten, um zwischen den Säulen auf und ab zu gehen, Neuigkeiten [25] zu erzählen und sich erzählen zu lassen, Sänften mit bekannten Persönlichkeiten vorübertragen zu sehen und schließlich in die Gewölbe der Goldschmiede, in Buchhandlungen, in Läden, in denen Geld gewechselt wurde, in Seidenhandlungen, Bronzehandlungen und andere derartige Hallen hineinzugaffen, von denen sich viele in den Häusern befanden, die den dem Kapitol gegenüberliegenden Teil des Platzes umgaben. Die eine Hälfte des Forums, unterhalb des überhängenden Burgfelsens, lag bereits im Schatten; die höher gelegenen Tempelsäulen dagegen hoben sich noch hellschimmernd vom blauen Himmel ab. Die tiefgehenden warfen lange Schatten auf die Marmorplatten – überall stand eine solche Menge von Säulen, daß das Auge sich darin wie in einem Walde verirrte. Es hatte den Anschein, als seien Häuser und Säulen zusammengedrängt. Sie türmten sich übereinander, dehnten sich nach rechts und links aus, zogen sich die Berglehne hinauf, schmiegten sich an die Felswand oder aneinander an wie kleinere und größere, stärkere und schwächere, gelbe und weiße Stämme, die bald mit Architraven und Akanthosblüten geziert, bald mit ionischen Voluten bedeckt waren, bald in eine rechteckige skulpturengeschmückte Steinplatte ausliefen. Oberhalb jenes Säulenwaldes glänzten bemalte Triglyphen, aus den Tympana traten plastische Göttergestalten hervor, auf den Giebelspitzen schienen geflügelte vergoldete Quadrigen sich in die Höhe zu schwingen in den blauen Himmelsraum, der sich so friedlich über der ewigen Stadt wölbte. In der Mitte und an den Seiten des Platzes wogten die Menschen hin und her: scharenweise strömten sie unter die Arkaden der Basilika Julius Caesars, scharenweise saßen sie auf den Stufen der Standbilder des Castor und Pollux und drängten sich um den Vestatempel, von dessen aus riesigen Marmorplatten bestehenden Wänden sie sich gleich Schwärmen von buntfarbigen Schmetterlingen oder Käfern abhoben. Über die mächtigen Stufen zur Seite des dem Jupiter Optimus Maximus geweihten Tempels fluteten neue Menschenmassen [26] herab; vor den Rostra lauschte man den Worten einiger Gelegenheitsredner; hier und da ertönte das Geschrei von Händlern, die Früchte, Wein oder mit Feigensaft vermischtes Wasser feilboten, von Scharlatanen, die wunderwirkende Arzneien anpriesen, von Wahrsagern, die verborgene Schätze verrieten, von Traumdeutern. Bisweilen mischten sich in den Lärm und das Stimmengetöse die Klänge einer Sistra, ägyptischen Sambuka oder griechischer Flöten. Hier und dort brachten fromme oder betrübte Beter Opfergaben zu den Tempeln. In der Mitte der Menschenmenge sammelten sich auf den Steinplatten, voller Begier nach dem verstreuten Opfergetreide, Scharen von Tauben gleich beweglichen hell- und dunkelfarbigen Punkten, schwangen sich hier flügelrauschend empor und ließen sich dort an einem leeren Platz mitten im Gedränge von neuem nieder. Von Zeit zu Zeit öffneten sich die Menschenmassen, um Sänften vorbeizulassen, in denen geputzte Frauenköpfe oder die Gesichter von Senatoren und Rittern mit müden und lebensüberdrüssigen Gesichtern sichtbar wurden. Die vielsprachige Menge rief laut ihre Namen unter Hinzufügung von Spitznamen aus, die entweder Spott oder Anerkennung ausdrückten. Hin und wieder marschierten Abteilungen von Söldnern oder Wachtsoldaten gemessenen Schrittes durch das Gedränge, um die Ordnung auf den Straßen aufrechtzuerhalten. Ringsherum war die griechische Sprache ebenso häufig zu hören, wie die lateinische.

Vinicius, der lange Zeit nicht in Rom gewesen war, betrachtete mit einer gewissen Neugier jene Volksmenge und jenes Forum Romanum, welches im Sturme die Welt erobert hatten, so daß Petronius, welcher die Gedanken seines Gefährten erriet, es ein Quiritennest – ohne Quiriten nannte. In der Tat war das heimische Element beinahe in Gefahr, unter dieser Menge zu verschwinden, die sich aus allen Rassen und Völkern zusammensetzte. Es waren dort Äthiopier zu erblicken, riesige, blonde Gestalten aus dem fernen Norden, Britannier, Gallier und Germanen, schiefäugige Bewohner [27] Sericums, 1 Leute vom Euphrat und Leute vom Indus mit rotgefärbten Bärten, Syrier von den Ufern des Orontes mit schwarzen, sanften Augen, bis auf die Knochen ausgedörrte Bewohner der arabischen Wüste, Inden mit eingefallener Brust, Ägyptier mit ihrem ewig gleichmütigen Lächeln im Gesicht, Numidier und Afrikaner, Griechen aus Hellas, welche ebenso angesehen in der Stadt waren wie die Römer selbst, aber in Wissenschaft, Kunst, Geist und List diesen überlegen waren, Griechen von den Inseln und aus Kleinasien, aus Ägypten, aus Italien, aus Gallia Narbonensis. Neben den massenhaften Sklaven mit durchbohrten Ohrläppchen fehlten aber weder die Freigelassenen, Müßiggänger, für deren Unterhaltung, Nahrung und selbst Kleidung der Caesar sorgte – noch auch freie Fremdlinge, welche die Aussicht auf Lebensgenuß und Reichtum nach der Riesenstadt gelockt hatte, ebensowenig fehlte es an bestechlichen Personen, an Serapispriestern mit Palmzweigen in den Händen, an Priestern der Isis, auf deren Altar mehr Opfergaben niedergelegt wurden als im Tempel des kapitolinischen Jupiter – an Priestern der Kybele mit goldenen Reisähren in den Händen, an Priestern wandernder Götter, an orientalischen Tänzern mit grellfarbigen Mitren, an Amulettenverkäufern, an Schlangenbändigern und chaldäischen Magiern, endlich an Leuten ohne jegliche Beschäftigung, welche sich jede Woche in den Speichern am Tiber Getreide holten, sich um Einlaßkarten zum Zirkus schlugen, die Nächte beständig in den verfallenen Häusern am Tiberufer zubrachten und an heiteren, warmen Tagen unter bedeckten Torbogen, in den schmutzigen Schenken der Subura, auf der Milvischen Brücke oder vor den »Insulae« der Reichen verweilten, wo ihnen von Zeit zu Zeit Reste von den Mahlzeiten der Sklaven zugeworfen wurden.

Petronius war der Volksmenge wohlbekannt. Fortwährend drang an Vinicius' Ohren der Ruf: »Hic est!«[28] »Da ist er!« Er war seiner Freigebigkeit wegen beliebt; namentlich aber war seine Popularität seit der Zeit gestiegen, wo er vor dem Caesar gegen ein Todesurteil gesprochen hatte, das über die ganze »Familia,« das heißt über sämtliche Sklaven des Präfekten Pedanius Secundus ohne Unterschied des Geschlechts und Alters verhängt worden war, weil einer von ihnen in einem Anfalle der Verzweiflung diesen Wüterich getötet hatte. Petronius erklärte zwar wiederholt laut, daß ihm dies alles gleichgültig gewesen sei und daß er mit dem Kaiser nur als Privatmann, als arbiter elegantiarum gesprochen habe, dessen ästhetisches Gefühl sich gegen dieses barbarische Abschlachten, das sich wohl für Skythen, aber nicht für Römer schicke, empöre. Nichtsdestoweniger war Petronius seit dieser Zeit beim Volke, das über dieses Blutbad entrüstet war, beliebt.

Aber er kümmerte sich nicht darum; er mußte daran denken, daß dieses Volk auch den Britannicus, welchen Nero vergiftete, geliebt hatte, ebenso Agrippina, die dieser hatte ermorden lassen, Octavia, die man zu Pandataria in heißem Dampfe erstickte, nachdem ihr vorher die Adern geöffnet worden waren – Rubelius Plautius, den Verbannung getroffen hatte, und Thrasea, dem jeden Tag das Todesurteil gesprochen werden konnte. Die Liebe des Volkes konnte daher eher als schlechtes Zeichen gelten, und der Skeptiker Petronius war zugleich abergläubisch. Die Menge betrachtete er aus einem doppelten Gesichtspunkte: als Aristokrat und als Ästhetiker. Leute, die nach gerösteten Bohnen rochen, welche sie auf der Brust mit sich herumtrugen und außerdem vom Moraspielen an den Straßenecken und Peristylen beständig heiser und schweißbedeckt waren, verdienten in seinen Augen nicht den Namen Menschen.

Er kümmerte sich daher weder um die Beifallsrufe, noch um die Kußhände, die ihm von hier und da zugeworfen wurden, und erzählte Marcus den Fall des Pedanius, wobei er über den Wankelmut des Straßenpöbels spottete, der am Tage [29] nach der schrecklichen Metzelei Nero bei seiner Fahrt nach dem Tempel des Jupiter Stator jubelnd begrüßt hatte. Bei der Buchhandlung des Avirnus ließ er jedoch halten, stieg aus und kaufte ein schön geschriebenes Manuskript, welches er Vinicius überreichte.

»Dies ist ein Geschenk für dich,« sagte er.

»Ich danke dir,« entgegnete Vinicius. Dann sah er auf den Titel und fragte: »Satyrikon? Das ist etwas Neues. Von wem ist es?«

»Von mir. Ich sehne mich aber durchaus nicht nach demselben Schicksale wie Rufinus, dessen Geschichte ich dir erzählen wollte, oder wie Fabricius Vejento; deswegen weiß niemand etwas davon, und auch dich möchte ich bitten, nicht darüber zu sprechen.«

»Du erklärtest, keine Verse zu schreiben,« sagte Vinicius, indem er das Buch in der Mitte aufschlug, »doch sehe ich hier die Prosa stark mit ihnen gemischt.«

»Wenn du es liest, so beachte das Gastmahl des Trimalchio. Was die Verse betrifft, so sind sie mir zuwider, seit Nero ein Epos schreibt. Wenn Vitellius, mußt du wissen, sich erbrechen will, so gebraucht er Elfenbeinstäbchen, die er sich in den Schlund steckt, andere bedienen sich in Olivenöl oder eine Thymianabkochung getauchter Flamingofedern – ich jedoch lese Neros Gedichte – und der Erfolg tritt sofort ein. Ich kann sie nachher wieder loben, zwar nicht mit leichtem Gewissen, doch mit leichtem Magen.«

Nach diesen Worten ließ er die Sänfte bei dem Goldschmied Idomeneus von neuem anhalten, und gab, nachdem er die Angelegenheit mit den Gemmen geordnet hatte, den Befehl, die Sänfte direkt zum Hause des Aulus zu tragen.

»Unterwegs will ich dir zum Beweise, wie groß die Eitelkeit eines Schriftstellers sein kann, die Geschichte des Rufinus erzählen,« sagte er.

Ehe er aber beginnen konnte, bogen sie in den Vicus Patricius ein und hielten nach kurzer Zeit vor Aulus' Wohnung. [30] Ein junger kräftiger Janitor öffnete ihnen die zum Ostium führende Tür, über der eine in einem Bauer eingesperrte Elster sie mit dem lauten Rufe: »Salve« begrüßte.

Auf dem Wege vom zweiten Zimmer, Ostium genannt, nach dem Atrium sagte Vinicius: »Hast du bemerkt, daß hier die Türhüter nicht mit Ketten gefesselt sind?«

»Ein sonderbares Haus,« antwortete Petronius leise. »Ohne Zweifel ist es dir bekannt, daß Pomponia Graecina in dem Verdachte steht, Anhängerin eines orientalischen Aberglaubens zu sein, der in der Verehrung eines gewissen Chrestos besteht. Es scheint, daß Crispinella dieses Gerede über sie aufgebracht hat, die es Pomponia nicht verzeihen kann, daß ihr ein Mann fürs ganze Leben genügt. Univira! Es ist heutzutage leichter, in Rom eine Schüssel norischer Pilze zu bekommen. Man hat Pomponia vor ein Familiengericht gestellt ...«

»Du hast recht, es ist ein sonderbares Haus. Später werde ich dir erzählen, was ich hier sah und hörte.«

Unterdessen waren sie bis ins Atrium gelangt. Der hier angestellte Sklave, Atriensis genannt, befahl dem Nomenclator, die Gäste anzumelden, und schob diesen Lehnstühle und Fußbänke hin. Petronius, der erwartet hatte, in diesem ernsten Hause beständigen Trübsinn anzutreffen, war noch nie hier gewesen und sah sich daher mit einer gewissen Überraschung und einem Gefühl der Enttäuschung um, denn das Atrium machte eher einen heiteren Eindruck. Eine Flut strahlenden Lichtes ergoß sich durch eine große Öffnung von oben und spiegelte sich tausendfach in einem Springbrunnen wider. Ein viereckiges Becken in der Mitte, das zur Aufnahme des bei schlechtem Wetter durch die Öffnung im Dach einfallenden Regens bestimmt war und Impluvium hieß, war von Anemonen und Lilien umgeben. Namentlich die Lilien schienen im Hause beliebt zu sein; denn es standen da ganze Beete voll weißer und roter Lilien, außerdem blaue Schwertlilien, deren zarte Blätter vom Wasserstaube wie versilbert waren. Mitten in dem nassen Moose, in welchem die Töpfe [31] mit den Lilien verborgen waren, und dem Blättergewirr standen kleine Statuen aus Bronze, Kinder und Wasservögel darstellend. In der einen Ecke beugte eine ebenfalls in Bronze gegossene Hirschkuh ihren von der Feuchtigkeit grün angelaufenen Kopf zum Wasser nieder, als wolle sie trinken. Der Fußboden des Atriums bestand aus Mosaik; die Wände, teils mit rotem Marmor ausgelegt, teils mit Fischen, Vögeln und Greifen auf Holz bemalt, ergötzten die Augen durch ihr Farbenspiel. Die Türen der Nebenzimmer waren mit Verzierungen aus Schildpatt oder sogar aus Elfenbein geschmückt; an den Wänden zwischen den Türen standen die Statuen von Aulus' Ahnen. Im ganzen konnte man gediegenen Reichtum erkennen, der fern von Luxus, aber vornehm und selbstbewußt war.

Petronius, dessen Haus ungleich größer und prunkvoller war, konnte hier jedoch nichts aufdringliches entdecken, was seinen Geschmack beleidigt hätte – und wollte sich eben mit dieser Bemerkung an Vinicius wenden, als ein Sklave, der Velarius, den Vorhang, der das Atrium vom Tablinum trennte, auseinander schlug, und im Innern des Gemaches lud Aulus Plautius sie ein, näher zu treten.

Dieser war ein Mann, der sich dem Abende seines Lebens näherte, mit schneeweißem Haupte, aber kräftig, mit energischem Gesichte, das etwas klein war, aber auch etwas an den Kopf eines Adlers erinnerte. Jetzt malte sich in seinen Zügen etwas wie Verwunderung, ja Unruhe über die unvermutete Ankunft des Freundes, Genossen und Vertrauten Neros.

Petronius war zu sehr Weltmann und zu scharfsinnig, um dies nicht zu bemerken; er erklärte daher sofort nach der ersten Begrüßung mit der ganzen Beredsamkeit und Offenheit, die ihm zu Gebote stand, daß er komme, um für die Hilfe zu danken, welche der Sohn seiner Schwester in diesem Hause gefunden habe, und allein Dankbarkeit sei der Grund seines Besuches, zu dem ihn übrigens seine alte Bekanntschaft mit Plautius ermutigt habe.

[32] Aulus versicherte ihn seinerseits, der Gast sei willkommen, und was die Dankbarkeit betreffe, so habe auch er diese Empfindung, wenn auch Petronius gewiß nicht die Veranlassung dazu errate.

Petronius erriet es in der Tat nicht. Vergebens richtete er seine braunen Augen nach oben und bemühte sich, sich den geringsten Dienst, den er Aulus oder sonst jemandem geleistet hatte, ins Gedächtnis zurückzurufen. Er erinnerte sich an keinen, es müßte denn der Gefalle sein, den er Vinicius zu tun im Begriffe stand. Doch so etwas konnte allerdings absichtslos geschehen sein, aber auch nur absichtslos.

»Ich liebe und achte Vespasianus sehr,« antwortete Aulus, »dem du das Leben gerettet hast, als es ihm einmal passierte, daß er unglücklicherweise beim Anhören der Verse des Kaisers einschlief.«

»Es war ein Glück für ihn, daß er sie nicht hörte,« entgegnete Petronius; »doch will ich nicht leugnen, es hätte unglücklich ablaufen können. Der Rotbart wollte durchaus einen Centurio mit der freundlichen Aufforderung zu ihm schicken, sich die Adern zu öffnen.«

»Doch du, Petronius, hast ihn ausgelacht.«

»So ist es, oder vielmehr im Gegenteil: ich sagte Nero, daß, wenn Orpheus es verstanden habe, durch seinen Gesang wilde Tiere einzuschläfern, er einen ebenso großen Triumph davongetragen habe, da es ihm gelungen sei, Vespasian zum Einschlafen zu bringen. Den Rotbart kann man unter dem Vorbehalt tadeln, daß man dem leichten Tadel eine größere Dosis Schmeichelei beimischt. Unsere gnädige Augusta Poppaea versteht dies ausgezeichnet.«

»Leider, so sind die Zeiten,« antwortete Aulus. »Mir fehlen zwei Vorderzähne, die mir ein Stein, von der Hand eines Briten geschleudert, eingeschlagen hat, und daher kommen meine Worte zischend heraus. Aber doch habe ich die schönste Zeit meines Lebens bei den Briten zugebracht.«

[33] »Weil eine siegreiche Zeit war,« setzte Vinicius hinzu.

Aber Petronius, welcher fürchtete, der alte Feldherr könne anfangen von seinen früheren Kriegen zu erzählen, gab dem Gespräche eine andere Wendung. In der Nähe Praenestes hätten Landleute einen toten jungen Wolf mit zwei Köpfen gefunden, und bei einem Gewitter hätte jüngst der Blitz einen Flügel des Lunatempels zerstört – ein Vorfall, der namentlich im Spätherbste unerhört sei. Ein gewisser Cotta, der ihm dieses erzählt habe, habe zugleich hinzugefügt, daß die Priester dieses Tempels auf Grund dieses Ereignisses den Untergang der Stadt oder mindestens den Fall eines großen Hauses prophezeit hätten, der nur durch außerordentliche Opfer abgewendet werden könne.

Aulus drückte nach Anhörung dieser Erzählung seine Ansicht dahin aus, daß man solche Wunderzeichen nicht leicht nehmen dürfe und daß vielleicht die Götter über die furchtbare Zunahme der Lasterhaftigkeit erzürnt seien; dies sei auch gar nicht verwunderlich, und in einem solchen Falle seien Sühnopfer völlig am Platze.

»Dein Haus, Plautius, ist nicht groß,« entgegnete Petronius, »obgleich ein großer Mann darin wohnt; das meinige ist aber in Wahrheit viel zu groß für einen solchen Taugenichts von Eigentümer, obgleich es ebenso klein ist. Wenn es sich aber um den Untergang einer so bedeutenden Sache wie zum Beispiel des Palastes des Caesars, der domus transitoria, handelte, würde es sich für uns wohl lohnen, Opfer darzubringen, um deren Untergang abzuwehren?«

Plautius gab auf diese Frage keine Antwort, eine Vorsicht, die Petronius etwas verdroß, denn trotz seiner völligen Unfähigkeit, Gutes und Böses unterscheiden zu können, war er niemals ein Angeber gewesen, und man konnte mit ihm ohne alle Gefahr sprechen. Daher gab er dem Gespräch abermals eine andere Wendung und begann Plautius' Wohnung und den guten Geschmack, der in dem Hause herrsche, zu rühmen.

[34] »Es ist ein alter Familiensitz,« antwortete Plautius, »auf dem ich nichts geändert habe, seitdem er mir als Erbteil zugefallen ist.«

Nachdem der Vorhang, der das Atrium vom Tablinum trennte, weggezogen worden war, konnte man das ganze Haus übersehen, so daß der Blick durch das Tablinum, das daran stoßende Peristyl und den jenseits von diesem liegenden Saal bis zum Garten schweifte, der sich von fern wie ein helles Bild, umgeben von einem dunklen Rahmen, ausnahm. Fröhliches Kindergelächter drang von dort bis ins Atrium herüber.

»Ach, Feldherr,« sagte Petronius, »gestatte uns, diesem heiteren Lachen, das anzustimmen heute so schwer ist, in der Nähe zu lauschen.«

»Gern,« erwiderte Plautius, indem er sich erhob. »Mein kleiner Aulus und Lygia spielen dort Ball. Was jedoch das Lachen betrifft, so meine ich, Petronius, daß es unserem ganzen Leben daran mangelt.«

»Das Leben ist des Lachens wert; also lache ich darüber,« versetzte Petronius; »aber hier klingt das Lachen ganz anders.«

»Petronius,« fügte Vinicius hinzu, »lacht übrigens oft tagelang nicht, dafür aber dann mitunter ganze Nächte hindurch.«

Bei diesen Worten durchschritten sie das Haus der Länge nach und gelangten in den Garten, wo Lygia und der kleine Aulus mit Bällen spielten, während eigens in diesem Spiele unterwiesene Sklaven, Sphaeristae genannt, diese von der Erde aufhoben und ihnen wieder in die Hand gaben. Petronius warf einen raschen, flüchtigen Blick auf Lygia, und der kleine Aulus sprang, als er Vinicius erblickte, herbei, um ihn zu begrüßen. Dieser schritt jedoch weiter und verneigte sein Haupt vor dem schönen Mädchen, welche mit einem Balle in der Hand errötend dastand, mit aufgelöstem Haar und bei nahe atemlos.

[35] In dem von Efeu, Wein und Geißblatt beschatteten Gartentriclinium saß Pomponia Graecina, und die Gäste näherten sich ihr, um sie zu begrüßen. Obgleich Petronius in Plautius' Hause nicht verkehrte, kannte er sie doch, denn er hatte sie bei Antistia, der Tochter von Rubelius Plautus, und ferner in Senecas und Pollios Hause gesehen. Er konnte sich der Bewunderung nicht entschlagen, welche ihm ihr ernstes und dabei freundliches Gesicht, die Vornehmheit ihrer Haltung, ihrer Bewegungen, ihrer Sprache einflößten. Pomponia widersprach seiner Meinung über die Frauen in solchem Grade, daß dieser Mann, der bis ins Mark verderbt und selbstbewußt war wie niemand sonst in Rom, nicht nur für sie eine gewisse Hochachtung empfand, sondern auch ihr gegenüber etwas von seinem Selbstvertrauen einbüßte. Und als er ihr nun für ihre Sorge um Vinicius dankte, entschlüpfte ihm wie unwillkürlich der Ausdruck »domina,« den er sonst nie in den Mund nahm, wenn er zum Beispiel mit Calvia, Crispinella, mit Scribonia, mit Valeria, Solina und anderen Frauen der großen Welt sprach. Nachdem die Begrüßungen und Danksagungen vorüber waren, begann er sein Bedauern auszusprechen, daß er Pomponia so selten sehe und sie niemals im Zirkus oder im Amphitheater treffe, worauf sie ihm ruhig, ihre Hand in die ihres Gatten legend, antwortete: »Wir sind alt und lieben beide immer mehr die häusliche Ruhe.«

Petronius wollte widersprechen, aber Aulus Plautius fügte mit zischender Stimme hinzu: »Und wir fühlen uns immer fremder unter Menschen, die sogar unsere römischen Götter mit griechischen Namen benennen.«

»Die Götter sind schon längst zu bloßen rhetorischen Figuren geworden,« erwiderte Petronius gleichgültig; »seitdem aber griechische Rhetoren uns unterrichten, fällt es mir zum Beispiel selbst leichter, Hera an Stelle von Juno zu sagen.«

Bei diesen Worten richtete er seine Blicke auf Pomponia, wie um auszudrücken, daß er in ihrer Gegenwart an keine [36] andere Gottheit denken könne, und machte dann seine Einwendung gegen das, was sie über ihr Alter gesagt hatte: »Gewiß, die Menschen altern rasch; aber es gibt auch solche, welche ein völlig anderes Leben genießen, und auch Gesichter, welche Saturn vergessen zu wollen scheint.« Petronius sagte dies mit einer gewissen Aufrichtigkeit, weil Pomponia Graecina, obgleich sie über den Mittag des Lebens hinaus war, sich eine ungewöhnliche Frische der Gesichtsfarbe bewahrt hatte und, da ihr Kopf klein und ihre Züge feingeschnitten waren, trotz ihrer schwarzen Kleidung und trotz ihres ernsten Wesens daher mitunter den Eindruck einer bedeutend jüngeren Frau machte.

Unterdessen hatte sich der kleine Aulus, der sich mit Vinicius während dessen Aufenthaltes im Hause eng befreundet hatte, diesem genähert und ihn eingeladen, am Ballspiele teilzunehmen. Hinter dem Knaben war auch Lygia in das Triclinium getreten. Unter dem rankenden Efeu, mit den über ihr Gesicht dahinhuschenden Lichtstrahlen, erschien sie jetzt Petronius noch reizender als auf den ersten Blick und wirklich einer Nymphe ähnlich. Da er sie aber noch nicht angeredet hatte, erhob er sich von seinem Sitze, neigte das Haupt vor ihr und begann statt der gewöhnlichen Begrüßungsformel die Worte zu zitieren, mit denen Odysseus die Nausikaa begrüßte:


Bist du der Sterblichen eine, die rings umwohnen das Erbreich,

Dreimal selig dein Vater fürwahr und die würdige Mutter,

Dreimal selig die Brüder zugleich!


Selbst Pomponia gefiel die auserlesene Höflichkeit des weltgewandten Mannes. Lygia hörte ihm ihrerseits verwirrt und errötend zu, ohne den Mut zu besitzen, die Augen aufzuschlagen. Aber allmählich zuckte ein mutwilliges Lächeln um ihre Mundwinkel, und in ihren Zügen war der Kampf zwischen mädchenhafter Scheu und dem Wunsche, zu antworten, deutlich zu erkennen; augenscheinlich überwog jener Wunsch, denn sie erhob plötzlich die Augen zu Petronius [37] und erwiderte mit den Worten Nausikaas, die sie in einem Atem und fast wie eine auswendig gelernte Lektion hersagte:


Fremdling, dieweil kein schlechter noch törichter Mann du erscheinest ...


Dann wandte sie sich um und flog davon wie ein erschrecktes Vöglein.

Die Reihe zu erstaunen war diesmal an Petronius, denn er hatte nicht erwartet, homerische Verse aus dem Munde eines Mädchens zu vernehmen, über dessen barbarische Abkunft er von Vinicius unterrichtet worden war. Er warf daher einen fragenden Blick auf Pomponia; doch konnte ihm diese nicht antworten, da sie soeben lächelnd den stolzen Ausdruck beobachtete, der sich auf dem Gesichte des alten Aulus zeigte.

Dieser konnte seinen Stolz nicht verbergen. Erstens liebte er Lygia wie seine eigene Tochter, und zweitens betrachtete er trotz seiner altrömischen Vorurteile, die ihn veranlaßten, gegen die griechische Sprache und ihre Verbreitung zu donnern, diese für den Gipfel gesellschaftlicher Bildung. Er selbst hatte sie nicht recht erlernen können, und das verdroß ihn im stillen. Er war daher froh, daß dieser anspruchsvolle Mann, der zugleich eine hohe literarische Bildung besaß und geneigt war, das Haus, in dem er sich befand, für barbarisch zu halten, eine Antwort in dieser Sprache und in homerischen Versen bekommen hatte.

»Es ist ein Pädagoge im Hause, ein Grieche,« sagte er, indem er sich an Petronius wandte, »der unseren Sohn unterrichtet, und das Mädchen hört bei den Lektionen zu. Sie ist zwar noch eine Bachstelze, aber eine liebliche Bachstelze, die wir beide in unser Herz geschlossen haben.«

Petronius blickte durch die Efeu- und Caprifoliumranken hinaus in den Garten und auf die drei, die dort spielten. Vinicius hatte die Toga abgelegt und warf nun, nur mit der Tunika bekleidet, den Ball in die Höhe, den Lygia, die ihm gegenüber stand, mit erhobenen Armen aufzufangen bemüht [38] war. Das Mädchen hatte auf den ersten Blick keinen großen Eindruck auf ihn gemacht. Es erschien ihm zu schlank. Aber von dem Augenblicke an, wo er Lygia im Triclinium näher betrachtet hatte, dachte er bei sich, daß so vielleicht Aurora aussehen könnte, und es entging ihm als Kenner nicht, daß sie keine alltägliche Erscheinung sei. Alles betrachtete und alles würdigte er: sowohl ihr klares, rosiges Antlitz, die frischen, wie zum Küsse geöffneten Lippen, die in tiefem Meeresblau erstrahlenden Augen, die alabasterweiße Stirn, die Fülle der dunklen Haare, die im durchscheinenden Lichte wie Bernstein oder korinthisches Erz leuchteten, den schlanken Hals, die herrlich herabfallenden Schultern und die ganze geschmeidige, anmutige, in der Maienblüte der Jugend prangende und blumenfrische Gestalt. Es erwachte in ihm der Künstler und Verehrer der Schönheit, und er fühlte, daß man unter das Standbild dieses Mädchens »Frühling« schreiben könne. – Mit einem Male dachte er an Chrysothemis und mußte spöttisch lachen. Sie kam ihm mit ihrem Goldpuder in den Haaren und mit ihren geschwärzten Brauen völlig verwelkt vor wie ein Rosenstrauch und eine Rose, die ihre Blätter verliert. Und dennoch beneidete ihn ganz Rom um diese Chrysothemis. Dann rief er sich Poppaea ins Gedächtnis zurück, und auch diese berühmte Poppaea kam ihm wie eine seelenlose Wachspuppe vor. In diesem Mädchen, das einer Tonfigur aus Tanagra glich, wohnte nicht nur der Frühling, sondern auch eine strahlende »Psyche,« die durch ihren rosigen Leib hindurchleuchtete wie die Flamme durch den Schirm der Lampe.

»Vinicius hat recht,« dachte er, »und meine Chrysothemis ist alt, alt ... wie Troja!«

Dann wandte er sich an Pomponia Graecina und sagte, nach dem Garten deutend: »Jetzt verstehe ich, Domina, daß ihr in der Gesellschaft dieser beider das Haus den Festen auf dem Palatin und im Zirkus vorzieht.«

»Ja,« erwiderte sie, den Blick auf den kleinen Aulus und Lygia richtend.

[39] Der alte Feldherr fing nun an, die Geschichte des Mädchens zu erzählen und das, was er vor langen Jahren von Atelius Hister über das im äußersten Norden wohnende Volk der Lygier gehört hatte.

Unterdessen hatten die drei mit dem Ballspiel aufgehört und wandelten eine Zeitlang im Sande des Gartens auf und ab, wobei sie sich von dem dunklen Hintergrunde der Myrten und Cypressen wie drei weiße Statuen abhoben. Lygia führte den kleinen Aulus an der Hand. Nachdem sie etwas umhergegangen waren, setzten sie sich auf eine Bank bei dem Fischteich, der in der Mitte des Gartens lag. Aber bald sprang Aulus davon, um die Fische in dem klaren Wasser zu necken. Vinicius aber fuhr in dem Gespräche fort, das er kurz vorher begonnen hatte.

»Ja,« sagte er mit leiser, bebender Stimme, »ich hatte die Praetexta kaum abgelegt, als man mich zu den asiatischen Legionen sandte. Die Stadt kannte ich nicht – weder das Leben noch die Liebe. Ich wußte zwar einiges aus Anakreon und Horaz auswendig, aber ich konnte nicht wie Petronius beliebig Verse zitieren, wenn das Herz vor Bewunderung verstummt und keine eigenen Worte finden kann. Als Knabe ging ich zu Musonius in die Schule, der uns sagte, das Glück beruhe darauf, daß man sich in den Ratschluß der Götter füge, und hänge somit von unserem Willen ab. Ich glaube jedoch, daß es etwas anderes ist, größer und herrlicher, was nicht von unserem Willen abhängt, denn nur die Liebe kann es verleihen. Die Götter selbst streben nach diesem Glücke; daher folge auch ich, Lygia, der ich die Liebe bisher nicht gekannt habe, ihrem Vorbilde und suche die, dir mir dieses Glück verleihen könnte.«

Er schwieg – und einige Zeit hindurch ließ sich nichts hören als das leise Plätschern des Wassers, in das der kleine Aulus Steinchen warf, um die Fische damit zu necken. Nach einer Weile jedoch begann Vinicius von neuem mit noch sanfterer und leiserer Stimme zu sprechen: »Du kennst doch [40] Vespasians Sohn Titus? Man erzählt, daß er, kaum dem Knabenalter entwachsen, Berenike so liebte, daß der Gram um sie ihm beinahe das Leben kostete. So würde auch ich zu lieben vermögen, Lygia. Reichtum, Ruhm, Macht sind wesenloser, vergänglicher Rauch. Der Reiche findet einen, der reicher ist als er; den Berühmten verdunkelt der noch größere Ruhm eines anderen, den Mächtigen besiegt ein noch Mächtigerer. Kann aber der Caesar, kann selbst ein Gott größere Wonne genießen oder glücklicher sein als der gewöhnliche Sterbliche, wenn an seiner Brust ein anderes teures Wesen atmet oder wenn er die Lippen der Geliebten küßt? Darum macht die Liebe uns den Göttern gleich, Lygia!«

Sie hörte voller Unruhe und Staunen zu und doch zugleich mit dem Gefühle, als vernehme sie den Klang einer griechischen Flöte oder Laute. Es erschien ihr in diesem Augenblicke, als ob Vinicius ein wundervolles Lied sänge, das schmeichelnd an ihr Ohr drang, ihr Blut in Wallung brachte und zugleich ihr Herz mit Furcht und Zagen, aber auch mit ungeahnter Wonne erfüllte ... Es kam ihr vor, als spreche er von etwas, was schon vorher in ihr gelegen habe, von dem sie sich aber keine Rechenschaft zu geben vermochte. Sie fühlte, daß er in ihr etwas wecke, das bis jetzt geschlummert hatte, und daß in diesem Augenblicke ein verschwommener Traum sich in eine immer klarere, schönere und herrlichere Gestalt verwandle.

Die Sonne stand längst über dem westlichen Ufer des Tiber und versank allmählich hinter dem Janiculus. Auf den unbewegten Zypressen leuchtete das Abendrot und die ganze Luft war von ihm erfüllt. Lygia erhob ihre blauen Augen zu Vinicius, als erwache sie aus dem Schlafe, und plötzlich kam er, der sich im Abendschimmer mit flehendem Blicke über sie beugte, ihr schöner vor als alle Männer und alle griechischen und römischen Götter, deren Statuen sie an den Tempelfassaden gesehen hatte. Zart umschloß er mit seinen Fingern ihre Hand oberhalb des Gelenkes [41] und fragte: »Errätst du nicht, Lygia, wovon ich zu dir spreche?«

»Nein,« entgegnete sie so leise, daß Vinicius es kaum hören konnte.

Er glaubte es ihr aber nicht, sondern ihre Hände immer näher an sich ziehend, hätte er sie an sein Herz geschlossen, das unter dem Einfluß des von dem schönen Mädchen in ihm erweckten Verlangens wie ein Hammer schlug, und sie mit glühenden Worten bestürmt, wenn nicht in diesem Augenblicke der alte Aulus auf dem von Myrten beschatteten Fußpfade erschienen wäre und, näher gekommen, ihnen zugerufen hätte: »Die Sonne geht unter; hütet euch daher vor der Abendkühle und scherzt nicht mit Libitina ...«

»Nein,« antwortete Vinicius, »ich habe die Toga noch nicht wieder angelegt und spüre die Kühle nicht.«

»Aber sieh doch, schon ist beinah die Hälfte der Sonnenscheibe hinabgesunken,« entgegnete der alte Krieger. »Wollten die Götter, ich könnte das milde Klima Siziliens genießen, wo sich abends die Leute auf den Straßen versammeln, um mit Chorgesängen den scheidenden Phoebus zu feiern.«

Und vergessend, daß er selbst eben erst vor Libitina gewarnt hatte, begann er von Sizilien zu erzählen, wo er Güter und ausgedehnte Ländereien besaß, auf denen er gern verweilte. Auch erwähnte er, daß ihm bisweilen der Gedanke gekommen sei, sich nach Sizilien zurückzuziehen und dort sein Leben in Ruhe zu genießen. Wenn der Winter das Haar gebleicht habe, der habe genug an der winterlichen Kälte. Noch sei das Laub nicht von den Bäumen gefallen und über der Stadt lächle noch der blaue Himmel; wenn aber der Weinstock gelbe Blätter bekomme, wenn Schnee auf den Albanerbergen falle und die Götter die Campania mit rauhen Winden heimsuchten, dann sei es leicht möglich, daß er mit seinem ganzen Haushalt auf seinen ländlichen Ruhesitz ziehe.

[42] »Du willst Rom verlassen, Plautius?« fragte Vinicius in plötzlichem Schreck.

»Schon lange hege ich diesen Wunsch,« entgegnete Aulus; »denn man lebt dort ruhiger und sicherer.«

Und von neuem rühmte er seine Gärten, seine Viehherden, sein im Grünen verstecktes Haus und die mit Thymian und Pfefferkraut überwachsenen Hügel, in denen Bienenschwärme summten. Aber Vinicius achtete nicht auf diese bukolischen Gesänge, er dachte nur daran, daß er Lygia verlieren solle, und blickte nach Petronius aus, als ob er einzig und allein von ihm Hilfe erwarte.

Petronius hatte unterdessen neben Pomponia Platz genommen und sich an dem Anblicke des Sonnenuntergangs, des Gartens und des am Fischteich sitzenden Paares erfreut. Die weißen Gewänder der beiden erglänzten vor dem dunklen Hintergrunde der Myrten in der Abendsonne wie Gold. Am Himmel begannen sich die Wolken purpurn und violett zu färben und opalartig in verschiedenen Tönen zu schimmern. Ein Streifen am Himmel war lilienweiß. Die schwarzen Umrisse der Zypressen traten noch deutlicher hervor als am hellen Tage, während sich die Menschen, die Bäume und der ganze Garten an dem Abendfrieden erlabten.

Petronius wurde von dieser Stille in der Natur und namentlich von der Seelenruhe dieser Menschen seltsam berührt. Auf dem Antlitz Pomponias, des alten Aulus, ihres Sohnes und Lygias lag etwas, was er auf den Gesichtern, von denen er alle Tage oder, besser gesagt, alle Nächte umgeben war, nie bemerkt hatte: es lag eine gewisse Heiterkeit, Ruhe, Milde auf ihnen, die eine unmittelbare Folge des Lebens waren, das hier alle führten. Und mit einer gewissen Verwunderung dachte er daran, daß hier möglicherweise eine Schönheit und eine Genußfreudigkeit herrschten, von denen er, der beständig nach Schönheit und Genuß verlangte, keine Ahnung habe. Er konnte diese Gedanken nicht in sich verfließen und sagte, sich zu Pomponia wendend: »Ich dachte [43] im stillen darüber nach, wie verschieden doch eure Welt von der Welt ist, über die Nero herrscht.«

Sie hob ihr seines Antlitz zum dämmernden Abendhimmel und sagte ruhig: »Nicht Nero regiert die Welt, sondern Gott.«

Es trat für einen Augenblick Schweigen ein. Jetzt hörte man in der Allee dicht beim Triclinium die Schritte des alten Feldherrn, des Vinicius, Lygias und des kleinen Aulus, aber bevor diese anlangten, fragte Petronius noch: »Du glaubst also an die Götter, Pomponia?«

»Ich glaube an den einen allgerechten und allmächtigen Gott,« entgegnete die Gattin des Aulus Plautius.

Fußnoten

1 Chinas.

Drittes Kapitel

Drittes Kapitel.

»Ich glaube an den einen allmächtigen und allgerechten Gott,« wiederholte Petronius nach einer Weile, als er sich mit Vinicius zusammen wieder in der Sänfte befand. »Wenn ihr Gott allmächtig ist, so herrscht er über Leben und Tod; und wenn er allgerecht ist, dann sendet er den Tod nach Verdienst. Warum trägt also Pomponia Trauer um Julia? Wenn sie um Julia trauert, so murrt sie damit gegen ihren Gott. Ich muß diese Schlußfolgerung unserem rotbärtigen Affen wiederholen, denn ich behaupte, in der Dialektik dem Sokrates gleich zu kommen. Was die Frauen betrifft, so stimme ich mit ihm überein, daß jede drei bis vier Seelen besitzt, aber keine einzige eine vernünftige Seele hat. Lassen wir Pomponia mit Seneca oder Cornutus darüber disputieren, was diese unter ihrem großen Logos verstehen ... Lassen wir sie einmal die Schatten des Xenophanes, Parmenides, Zenon und Platon heraufbeschwören, die sich dort in den kimmerischen Gefilden langweilen wie ein Zeisig im Käfig. Ich wollte mit ihr und Plautius von etwas anderem sprechen. Bei dem heiligen Leibe der ägyptischen Isis! Wenn ich ihnen gleich offen heraus gesagt hätte, weshalb wir gekommen [44] wären, so fürchte ich, so hätte ihre Tugendhaftigkeit einen Lärm gemacht wie ein eherner Schild, auf den man mit einer Keule schlägt. Und ich hatte nicht den Mut dazu! Glaube mir, Vinicius, ich hatte nicht den Mut! Pfaue sind schöne Vögel, aber sie schreien zu laut. Ich fürchtete das Geschrei. Aber deine Wahl muß ich loben. Die wahre rosenfingrige Eos ... Und weißt du, an wen sie mich erinnerte? An den Frühling! – nicht an den unseren hier in Italien, wo hier und da ein Apfelbaum Blüten treibt, die Olivenhaine grau bleiben wie immer, sondern an den Frühling, den ich einmal in Helvetien sah, jung, frisch, duftig-grün ... Bei der bleichen Selene – ich wundere mich nicht über dich, Marcus. Wisse jedoch, daß du eine Diana liebst und daß Aulus und Pomponia bereit sind, dich in Stücke zu zerreißen, wie die Hunde einst den Aktaion zerrissen.«

Vinicius hob den Kopf nicht empor und schwieg eine Zeitlang, dann begann er mit vor Erregung stockender Stimme: »Ich begehrte sie früher und begehre sie jetzt noch mehr. Als ich ihre Hände ergriff, glühte ein Feuer in mir auf. Ich muß sie besitzen. Wenn ich Zeus wäre, so würde ich sie mit einer Wolke umgeben, wie er Jo umgab, oder ich würde als Regen auf sie herabfallen, wie er auf Danae fiel. Ich möchte ihre Lippen küssen, bis sie Schmerz empfände. In meinen Armen möchte ich sie wimmern hören. Ich möchte Aulus und Pomponia erschlagen, dann sie rauben und auf meinen Armen in mein Haus tragen. Ich will heute nicht schlafen. Ich werde einen Sklaven peitschen lassen und seinem Stöhnen zuhören ...«

»Beruhige dich!« rief Petronius. »Deine Leidenschaft äußert sich wie bei einem Zimmermann in der Subura.«

»Es ist mir alles einerlei. Ich muß sie besitzen. Ich habe dich um Rat gefragt; aber wenn du kein Mittel findest, so werde ich es selbst finden. Aulus betrachtet Lygia als seine Tochter; warum sollte ich auf sie wie auf eine Sklavin blicken? Und wenn es keinen anderen Ausweg gibt, so soll [45] sie die Tür meines Hauses schmücken, sie mit Wolfsfett salben und als Gattin an meinem Herde sitzen.«

»Beruhige dich, rasender Abkömmling von Konsuln! Nicht deswegen führen wir Barbaren, an unsere Wagen gebunden, im Triumphe einher, um ihre Töchter heiraten zu können. Hüte dich vor dem Äußersten! Erschöpfe die geraden, anständigen Mittel und laß dir und mir Zeit zum Nachdenken. Auch mir erschien Chrysothemis als die Tochter Jupiters und doch heiratete ich sie nicht – ebenso wie auch Nero Akte nicht geheiratet hat, trotzdem sie für eine Tochter des Königs Attalos galt ... Beruhige dich! Bedenke, daß, wenn Lygia Aulus um deinetwillen zu verlassen wünscht, er kein Recht hat, sie zurück zu halten. Wisse aber auch, daß du nicht nur selbst glühst, sondern daß Eros auch in ihr die Flamme entfacht hat. Ich bemerkte es, und mir kannst du glauben. Habe Geduld. Für alles sind Mittel und Wege zu finden, aber heute habe ich schon zu viel gedacht, und das ermüdet mich. Dagegen verspreche ich dir, mich morgen deiner Liebe erinnern zu wollen, und Petronius müßte nicht Petronius sein, wenn er nicht ein Mittel fände.«

Wiederum schwiegen beide – endlich sagte Vinicius nach einer Weile ganz ruhig: »Ich danke dir, und möge Fortuna dir gnädig sein.«

»Gedulde dich.«

»Wohin läßt du uns tragen?«

»Zu Chrysothemis.«

»Du bist glücklich, da du diejenige besitzest, die du liebst.«

»Ich? Weißt du, was mich noch an Chrysothemis amüsiert? Daß sie mich mit einem meiner eigenen Freigelassenen, dem Lautenspieler Theokles, betrügt, und glaubt, ich wüßte das nicht. Einst liebte ich sie, und jetzt amüsieren mich ihre Lügen und ihre Dummheit. Begleite mich zu ihr. Sollte sie anfangen mit dir zu kokettieren und mit dem Finger Buchstaben auf den Tisch zu schreiben, wisse dann, daß ich nicht eifersüchtig bin.«

[46] Sie ließen sich also beide zu Chrysothemis tragen. Im Vorhofe aber legte Petronius die Hände auf Vinicius' Schulter und sagte: »Warte! Ich glaube ein Mittel entdeckt zu haben.«

»Mögen dich alle Götter dafür segnen.«

»So ist es! Ich glaube, der Plan kann nicht fehlschlagen.«

»Ich lausche deinen Worten – meine Athene!«

»Wohlan, in einigen Tagen wird die göttliche Lygia in deinem Hause die Frucht der Demeter genießen.«

»Du bist größer als der Caesar!« rief Vinicius voller Begeisterung.

Viertes Kapitel

Viertes Kapitel.

Wirklich hielt Petronius Wort.

Den Tag nach seinem Besuche bei Chrysothemis verschlief er zwar ganz, aber abends ließ er sich nach dem Palatin tragen und hatte mit Nero eine vertraute Unterredung. Die Folge davon war, daß am dritten Tage ein Centurio an der Spitze von über zehn Prätorianern vor Plautius' Hause erschien.

Es waren unsichere und schreckensvolle Zeiten. Boten dieser Art waren meistens zugleich Verkündiger des Todes. Als daher der Centurio den Hammer auf Aulus' Tür fallen ließ und der Aufseher des Atriums meldete, daß sich im Vorhause Soldaten zeigten, herrschte Schrecken im ganzen Hause. Sofort umringte die ganze Familie den alten Feldherrn, denn alle wußten, daß die Gefahr vor allem ihm drohe. Pomponia legte ihm die Arme um den Hals und hielt ihn mit aller Kraft umklammert, ihre blaugewordenen Lippen bewegten sich rasch und flüsterten leise Worte. Lygia, deren Gesicht kreidebleich war, küßte seine Hand, und der kleine Aulus hielt sich an seiner Toga fest – aus den Gängen, aus den Zimmern im oberen Stockwerke, die für die Dienerschaft bestimmt waren, aus den Gesindestuben, aus den Baderäumen, aus den Kellergewölben, aus dem ganzen Hause strömten[47] Scharen von Sklaven und Sklavinnen zusammen und stießen den Ruf: »Wehe uns Armen!« aus; die Sklavinnen fingen laut an zu weinen, einige begannen sich schon die Wangen zu zerkratzen, andere ihr Haupt mit Tüchern zu verhüllen.

Nur der alte Feldherr selbst, sein ganzes Leben lang gewohnt, dem Tod fest ins Auge zu sehen, bewahrte seine Ruhe und sein kurzes, adlerartiges Gesicht blieb unverändert, wie aus Stein gemeißelt. Nach einer Weile, als er den Lärm beschwichtigt und die Diener weggeschickt hatte, sagte er: »Laß mich, Pomponia. Wenn mein Ende nahe ist, so werden wir noch Zeit haben, Abschied voneinander zu nehmen.«

Mit diesen Worten schob er sie sanft beiseite – sie aber rief: »Gott gebe, daß dein Los auch das meinige ist, Aulus!«

Dann fiel sie auf ihre Kniee und begann mit solcher Kraft zu beten, wie sie nur die Sorge um ein teures Haupt zu geben vermag.

Aulus schritt ins Atrium, wo ihn der Centurio erwartete. Es war der alte Gajus Hasta, sein früherer Untergebener und Waffengefährte aus dem britischen Krieg.

»Sei gegrüßt, Feldherr,« sprach er. »Ich überbringe dir einen Befehl und einen Gruß vom Caesar. Hier ist ein versiegelter Brief zum Zeichen, daß ich in seinem Namen komme.«

»Ich bin dem Caesar dankbar für seinen Gruß, und dem Befehl werde ich nachkommen,« erwiderte Aulus. »Sei gegrüßt, Hasta; sprich, welches ist der Zweck deines Kommens?«

»Aulus Plautius,« begann Hasta, »der Caesar hat erfahren, daß in deinem Hause die Tochter des Königs der Lygier weilt, welche jener König noch bei Lebzeiten des göttlichen Claudius den Händen der Römer als Unterpfand überantwortete, daß die Grenze des Reiches von den Lygiern nicht überschritten werde. Der göttliche Nero ist dir dankbar, daß du ihr so lange Jahre hindurch Gastfreundschaft bei dir gewährt [48] hast; da er aber dein Haus nicht länger belästigen will und ebenso der Meinung ist, daß dieses Mädchen als Geisel unter den Schutz des Caesars und des Senates gestellt werden müsse, so befiehlt er dir, sie meinen Händen zu übergeben.«

Aulus war zu sehr Soldat und zu abgehärtet, als daß er sich einem Befehle gegenüber ein nutzloses Wort des Bedauerns oder der Klage gestattet hätte. Doch wurde eine Falte des Jähzorns und des Schmerzes auf seiner Stirn sichtbar. Vor diesen zusammengefalteten Brauen hatten einst die britischen Legionen gezittert, und noch in diesem Augenblicke zeigte sich die Furcht davor in Hastas Zügen. Aber jetzt fühlte sich Aulus Plautius dem Befehle gegenüber machtlos. Eine Zeitlang blickte er auf die Täfelchen, auf das Siegel, dann richtete er seine Augen auf den alten Centurio und sprach ganz ruhig: »Warte hier im Atrium, Hasta, bis die Geisel dir übergeben wird.«

Nach diesen Worten begab er sich in den anderen Flügel des Hauses, in den Saal, Oecus genannt, wo Pomponia Graecina, Lygia und der kleine Aulus ihn voller Angst und Schrecken erwarteten.

»Niemandem droht der Tod oder Verbannung nach entfernten Inseln,« sagte er, »und dennoch ist der Bote des Caesars kein Glücksbringer. Er kommt deinetwegen, Lygia.«

»Lygias wegen?« fragte Pomponia erstaunt.

»So ist es!« antwortete Aulus.

Dann wandte er sich zu dem Mädchen und begann: »Lygia, du bist in unserem Hause wie unser eigenes Kind gehütet worden, und wir beide, Pomponia und ich, lieben dich wie unsere Tochter. Aber du weißt auch, daß du nicht unsere Tochter bist. Du bist eine von deinem Volke den Römern überlieferte Geisel, die Obhut über dich steht dem Caesar zu, und jetzt nimmt dich der Caesar aus unserem Hause weg.«

[49] Der Feldherr sprach ruhig, aber in etwas seltsamem, ungewohntem Tone. Lygia hörte seine Worte mit halbgeschlossenen Augen an, als ob sie nicht verstände, worum es sich handle; die Wangen Pomponias wurden bleich. In den Türen, die vom Gange in den Oecus führten, begannen sich von neuem die erschreckten Gesichter von Sklavinnen zu zeigen.

»Dem Willen des Caesars muß gehorcht werden,« sagte Aulus.

»Aulus,« rief Pomponia, das Mädchen mit ihren Armen umschlingend, als wollte sie sie beschützen, »es wäre besser für sie, zu sterben!«

Lygia aber warf sich an ihre Brust und rief: »Mutter, Mutter,« da sie vor Schluchzen keine anderen Worte finden konnte.

Auf Aulus' Zügen malten sich von neuem Zorn und Schmerz.

»Stände ich allein in der Welt,« sagte er finster, »so würde ich sie nicht lebend hergeben, und meine Verwandten könnten heut' noch dem Jupiter Liberator Opfer für uns darbringen. Aber ich habe kein Recht, dich und unser Kind, das noch glücklichere Tage erleben kann, dem sicheren Tode zu überliefern. Ich will noch heute zum Caesar gehen und ihn bitten, den Befehl zurückzunehmen. Ob er mich anhört, weiß ich allerdings nicht. Inzwischen lebe wohl, Lygia, und wisse, daß sowohl ich wie Pomponia stets den Tag segnen werden, an dem du dich an unserem Herde niederließest.«

Bei diesen Worten legte er ihr die Hand aufs Haupt, aber trotzdem er sich bemühte, ruhig zu bleiben, zitterte doch tiefer Vaterkummer in seiner Stimme, als Lygia die tränengefüllten Augen zu ihm erhob, dann seine Hand ergriff und an ihre Lippen führte.

»Sei gesegnet, du Freude unseres Alters und Licht unserer Augen!« sagte er.

[50] Rasch schritt er ins Atrium hinaus, um sich nicht von der eines Römers und Feldherrn unwürdigen Rührung übermannen zu lassen.

Unterdessen geleitete Pomponia das Mädchen ins Cubiculum und begann sie zu trösten, aufzurichten, ihr Mut einzuflößen und Worte zu sprechen, die in diesem Hause, wo nebenan, in dem anstoßenden Raume noch das »Lararium« und der Herd stand, an dem Aulus Plautius, alter Sitte getreu, den Hausgöttern Opfer darbrachte, seltsam genug klangen. Die Stunde der Prüfung habe jetzt geschlagen. Vorzeiten habe Virginius die Brust der eigenen Tochter durchbohrt, um sie aus Appius' Händen zu retten; noch früher habe Lucretia ihre Schande mit dem Leben bezahlt. Das Haus des Caesars sei eine Höhle der Schande, des Lasters und des Frevels. – »Aber wir, Lygia, wissen, warum wir nicht das Recht haben, Hand an uns zu legen. Ja! Das Gesetz, unter dem wir beide stehen, ist ein anderes, mächtigeres, heiligeres; es erlaubt uns jedoch, uns gegen Laster und Schande zu wehren, sollten wir diese Verteidigung auch mit Tod und Marter zu büßen haben. Wer unbefleckt aus dem Hause der Verderbnis hervorgeht, dem gebührt ein um so größerer Ruhm. Die Erde ist ein solches Haus, aber zum Glück währt das Leben nur einen Augenblick; und der Auferstehung werden wir nur teilhaftig, wenn wir im Grabe gelegen haben, jenseits dessen nicht Nero herrscht, sondern die Allbarmherzigkeit – wo wir an Stelle des Schmerzes Freude, an Stelle der Tränen Seligkeit genießen.«

Dann sprach sie von sich selber. Ja, sie ist ruhig – aber in ihrer Brust fehlt es nicht an schmerzlichen Wunden. Noch sind die Augen ihres Aulus' verblendet, noch hat sich der Quell des Lichtes nicht auf ihn ergossen. Es ist ihr nicht gestattet, auch ihren Sohn in der Wahrheit zu erziehen. Wenn sie nun daran denkt, daß es bis an ihr Lebensende so bleiben und daß vielleicht eine Zeit der Trennung von ihnen kommen wird, tausendmal länger und schrecklicher als die zeitliche, über die sie beide jetzt Schmerz empfinden, so [51] vermag sie es nicht zu fassen, wie ohne sie selbst im Himmel ein Glück für sie möglich sein könnte. Viele Nächte schon hat sie durchweint, viele im Gebet und Flehen um Gnade und Erbarmen zugebracht. Doch sie legt ihr Leid in Gottes Hände – sie hofft – sie vertraut. Und wenn jetzt ein neuer Schlag sie trifft, wenn der Befehl des Wüterichs ihr jetzt ein teures Haupt entreißt, sie, die Aulus das Licht seiner Augen nannte, auch jetzt noch ist sie getrost, denn sie weiß, daß es eine Macht gibt, die größer ist als die Neros, und ein Erbarmen, das mächtiger ist als dessen Zorn.

Sie drückte das Haupt des Mädchens noch fester an ihre Brust. Diese sank nach einer Weile auf ihre Kniee, verhüllte ihre Augen in den Falten von Pomponias Gewand und verharrte so lange Zeit im Schweigen; als sie sich erhob, war in ihren Zügen schon etwas Ruhe bemerkbar.

»Ich trauere um dich, Mutter, um den Vater und um den Bruder; aber ich weiß, daß Widerstand zu nichts führen und euch alle ins Verderben stürzen würde. Aber ich gelobe dir, daß ich deine Worte niemals im Hause des Caesars vergessen werde.«

Noch einmal schlang sie ihre Arme um den Hals Pomponias, und als sie dann beide in den Oecus zurückkamen, nahm sie Abschied von dem kleinen Plautius, dem alten Griechen, der beider Lehrer gewesen war, von ihrer Zofe, die sie bis dahin bedient hatte, und von sämtlichen Sklaven.

Einer von diesen, ein hochgewachsener, breitschultriger Lygier, der im Hause Ursus genannt wurde und der seinerzeit mit Lygias Mutter und ihr selbst mit der übrigen Dienerschaft in das römische Lager gekommen war, fiel ihr jetzt zu Füßen, warf sich dann vor Pomponia auf die Kniee und sagte: »O Domina! Gestatte mir, mit meiner Herrin zu gehen, damit ich ihr diene und im Hause des Caesars über sie wache.«

»Du bist nicht unser, sondern Lygias Diener,« er widerte Pomponia Graecina; »aber wird man dich in das Haus des [52] Caesars lassen und in welcher Weise wird es dir gelingen, über sie zu wachen?«

»Ich weiß es nicht, Domina; ich weiß nur, daß Eisen in meinen Händen zerbricht, als wäre es Holz ...«

Aulus Plautius, der in diesem Augenblicke eintrat, erhob, als er hörte, worum es sich handelte, nicht nur keine Einwendungen gegen Ursus' Wunsch, sondern erklärte, er habe nicht einmal das Recht, ihn zurückzuhalten. Sie lieferten Lygia als Geisel, auf die der Caesar Anspruch erhob, aus – und waren daher verpflichtet, auch ihr Gefolge zu entlassen, das zugleich mit ihr unter die Obhut des Caesars überging. Dabei flüsterte er Pomponia zu, sie könne Lygia unter dem Vorwande des Geleites so viele Sklaven mitgeben, wie sie für angemessen hielte – denn der Centurio dürfe deren Mitnahme nicht verweigern.

Für Lygia lag darin ein gewisser Trost. Auch Pomponia war froh, daß sie das Mädchen mit Dienerschaft nach ihrem Belieben umgeben konnte, und bestimmte dazu außer Ursus zwei geschickte Haarkünstlerinnen aus Cypern und zwei germanische Bademägde. Ihre Auswahl fiel ausschließlich auf Anhänger der neuen Lehre, und da sich auch Ursus seit einigen Jahren dazu bekannte, so konnte sich Pomponia auf die Treue dieser Diener verlassen und tröstete sich zu gleich mit dem Gedanken, daß die Saat der Wahrheit im Hause des Caesars ausgestreut werden würde.

Auch schrieb sie einige Worte an die Freigelassene Neros, Akte, und bat sie, sich Lygias anzunehmen. Pomponia hatte sie zwar nie bei den Versammlungen der Anhänger des neuen Glaubens gesehen, hatte aber von diesen erfahren, daß Akte ihnen nie einen Dienst verweigert habe und daß sie eine eifrige Leserin der Briefe des Paulus von Tarsos sei. Überdies wußte sie, daß die junge Freigelassene ihr Leben in beständiger Schwermut zubringe, daß sie in der Tat ganz anders als die anderen Frauen in Neros Hause und überhaupt der gute Geist des Palastes sei.

[53] Hasta versprach, Akte den Brief selbst zu übergeben. Auch hielt er es für natürlich, daß eine Königstochter ein Gefolge aus ihren Dienern haben müsse, und machte nicht die geringsten Schwierigkeiten, diese mit nach dem Palaste zu nehmen, sondern wunderte sich vielmehr über ihre geringe Anzahl. Doch bat er um Eile aus Furcht, man könne ihm Mangel an Eifer in der Ausführung von Befehlen zum Vorwurf machen. Die Abschiedsstunde schlug. Die Augen Pomponias und Lygias füllten sich von neuem mit Tränen; Aulus legte dem Mädchen noch einmal die Hand aufs Haupt, und nach einer Weile geleiteten die Soldaten, unter dem Geschrei des kleinen Aulus, der zur Verteidigung seiner Schwester dem Centurio mit seinen Fäustchen drohte, Lygia zum Hause des Caesars.

Der alte Feldherr befahl darauf, seine Sänfte für ihn bereit zu halten; inzwischen begab er sich mit Pomponia aus dem Vorhofe in die Pinakothek und sagte zu ihr: »Höre mich an, Pomponia. Ich gehe zum Caesar, obgleich ich glaube, es ist nutzlos, und obgleich die Worte Senecas nichts mehr bei ihm gelten, will ich auch bei Seneca vorsprechen. Heutzutage besitzen Sophonius, Tigellinus, Petronius oder Vatinius größeren Einfluß. Was den Caesar betrifft, so hat er vielleicht nie in seinem Leben etwas vom Volke der Lygier gehört, und wenn er die Auslieferung Lygias als einer Geisel verlangte, so geschah dies deswegen, weil ihn jemand dazu beredet hat; und es ist leicht zu erraten, wer dies getan hat.«

Sie sah ihn mit einem raschen Blicke an.

»Petronius?«

»Jawohl.«

Sie schwiegen eine Weile; dann fuhr der alte Feldherr fort: »Das kommt davon, wenn man jemanden von diesen Leuten ohne Ehre und Gewissen über seine Schwelle läßt. Verflucht sei die Stunde, in der Vinicius unser Haus betrat! Er war es, der Petronius zu uns brachte. Wehe Lygia, [54] denn es handelt sich ihnen nicht um eine Gattin, sondern um eine Konkubine.«

Seine Sprache wurde infolge seiner Wut, seines ohnmächtigen Grimmes und seines Schmerzes über das geraubte Kind noch zischender als sonst. Eine Zeitlang beherrschte er sich gewaltsam, und nur seine geballten Fäuste verrieten, wie heftig dieser innerliche Kampf war.

»Bis jetzt habe ich die Götter verehrt,« sagte er; »nun aber glaube ich, daß es keine Götter in der Welt gibt, sondern nur einen, das verworfene, rasende Ungetüm, dessen Name Nero ist.«

»Aulus,« erwiderte Pomponia; »Nero ist nur eine Handvoll verwesenden Staubes vor Gott.«

Er begann mit langen Schritten auf dem Mosaikfußboden der Pinakothek umherzugehen. In seinem Leben standen große Taten verzeichnet, aber kein großes Unglück; daher traf ihn dieses jetzt unvorbereitet. Der alte Soldat hatte eine größere Zuneigung zu Lygia gefaßt, als er selbst wußte, und jetzt konnte er sich nicht an den Gedanken gewöhnen, daß sie ihn verlassen habe. Außerdem fühlte er sich gedemütigt. Schwer ruhte eine Hand auf ihm, die er verabscheute, und doch fühlte er, daß vor ihrer Macht die seinige ein Nichts war.

Als er aber dann seine innere Wut, die ihn zu keinem klaren Denken kommen ließ, bemeistert hatte, sagte er: »Ich glaube, Petronius hat sie uns nicht genommen, um sie dem Caesar zu überliefern, denn er will sich Poppaea nicht zur Feindin machen. Folglich ist sie für ihn selbst oder für Vinicius bestimmt. Noch heute werde ich Gewißheit darüber haben.«

Nach einiger Zeit brachte ihn die Sänfte nach dem Palatin. Pomponia aber ging, als sie allein zurückgeblieben war, zu dem kleinen Aulus, der nicht aufhörte, um seine Schwester zu weinen und Drohungen gegen den Caesar auszustoßen.

Fünftes Kapitel

[55] Fünftes Kapitel.

Aulus hatte mit Recht erwartet, gar nicht vor das Angesicht Neros zugelassen zu werden. Er erhielt zur Antwort, der Cäsar sei beim Lautenspieler Terpnos mit Singen beschäftigt und empfange überhaupt nur diejenigen, die er selbst herbefohlen habe. Mit anderen Worten bedeutete dies, Aulus solle es auch künftighin nicht versuchen, eine Audienz zu erhalten.

Dagegen empfing Seneca, obgleich fieberkrank, den alten Feldherrn mit der ihm gebührenden Ehrerbietung; als er aber hörte, worum es sich handle, lachte er bitter und sagte: »Ich kann dir nur einen Rat geben, edler Plautius, nämlich den, dem Caesar nie zu zeigen, daß mein Herz deinen Kummer teilt und daß ich dir helfen möchte; denn wenn der Caesar auch nur den geringsten Argwohn in dieser Beziehung schöpft, so kannst du überzeugt sein, daß er dir Lygia nie zurückgibt, mag er auch keinen anderen Grund dafür haben, als mir zum Trotze zu handeln.«

Auch riet er ihm ab, sich an Tigellinus, Vatinius oder Vitellius zu wenden. Es sei zwar möglich, bei ihnen mit Geld etwas auszurichten; sie seien vielleicht auch geneigt, Petronius einen Possen zu spielen, dessen Einfluß sie zu untergraben bemüht seien; doch sei es im höchsten Grade wahrscheinlich, daß sie es dem Caesar verrieten, wie unendlich teuer Lygia dem Plautius sei, und dann würde der Caesar sie um so weniger herausgeben. Dann sagte der alte Philosoph mit beißender Ironie: »Du hast geschwiegen, Plautius, du hast jahrelang geschwiegen, und der Caesar liebt die schweigsamen Leute nicht. Wie konntest du auch seine Schönheit, seine Tugend, seinen Gesang, seine Vortragskunst, seine Fertigkeit im Wagenlenken und seine Verse nicht in den Himmel erheben? Wie konntest du den Tod des Britannicus nicht verherrlichen, keine Loblieder zu Ehren des Muttermörders [56] anstimmen und keine Glückwünsche aus Anlaß der Erdrosselung Octavias darbringen? Es ist dies ein Mangel an Vorsicht, lieber Aulus, welche wir, die wir ein so glückliches Leben am Hofe führen, im reichsten Maße besitzen.«

Bei diesen Worten ergriff er einen Becher, den er am Gürtel trug, schöpfte damit Wasser aus der Fontäne des Impluviums, erfrischte seine brennenden Lippen und fuhr fort: »Ach, Nero besitzt ein dankbares Herz. Er liebt dich, weil du Rom gedient und den Namen der Stadt an den Enden der Welt berühmt gemacht hast, und er liebt mich, weil ich der Lehrer seiner Jugend gewesen bin. Ich weiß deshalb, siehst du, daß dieses Wasser nicht vergiftet ist und daß ich es ruhig trinken kann. Wein in meinem Hause dürfte weniger zuverlässig sein, aber wenn du Durst hast, so trinke getrost von diesem Wasser. Die Aquädukte leiten es bis aus den Albanerbergen her, und wer es vergiften wollte, müßte sämtliche Brunnen Roms vergiften. Wie du siehst, ist es auf dieser Erde immer noch möglich, in Sicherheit zu leben und ein ruhiges Alter zu genießen. Ich bin freilich krank, aber ich leide mehr an der Seele als am Körper.«

»Dies war in der Tat der Fall. Seneca besaß nicht jene Seelenstärke, wie sie zum Beispiel Cornutus und Thrasea bewiesen hatten, und daher war sein Leben eine Kette von Nachgiebigkeiten dem Laster gegenüber gewesen. Er fühlte es selbst, erkannte es selbst, daß ein Anhänger der Grundsätze Zenons aus Kition einen anderen Weg hätte einschlagen müssen, und er litt darunter mehr als unter der Furcht vor dem Tode.«

Doch der Feldherr unterbrach jetzt seine bitteren Betrachtungen.

»Edler Annaeus,« sagte er, »ich weiß, wie der Caesar dir die Sorge vergilt, die du ihm in seiner Jugend gewidmet hast. Aber der Urheber der Entführung des Mädchens aus unserem Hause ist Petronius. Nenne mir ein Mittel, ihm beizukommen, nenne mir den Einfluß, dem er unterliegt, und wende außerdem selbst deine ganze Beredsamkeit [57] an, welche dir deine alte Freundschaft zu mir einzugeben vermag.«

»Petronius und ich,« versetzte Seneca, »sind Leute aus zwei feindlichen Lagern. Ich kenne kein Mittel, mit dem ihm beizukommen wäre, er ist von keinem Einflusse abhängig. Es kann sein, daß er trotz all seiner Verderbtheit noch mehr wert ist als diese Schufte, mit denen Nero sich täglich umgibt. Aber ihm nachweisen zu wollen, daß er schändlich handelt, hieße nur Zeit verschwenden; Petronius hat schon längst die Fähigkeit eingebüßt, Böses und Gutes zu unterscheiden. Beweise ihm, daß seine Handlungsweise häßlich ist, dann wird er sich ihrer schämen. Wenn ich mit ihm zusammentreffe, werde ich ihm sagen: Deine Tat ist eines Freigelassenen würdig. Wenn das nicht hilft, dann hilft nichts.«

»Ich danke dir dafür,« entgegnete der Feldherr.

Dann ließ er sich zu Vinicius tragen, den er traf, wie er sich gerade mit einem Sklaven, seinem Fechtlehrer, in den Waffen übte. Beim Anblick des jungen Mannes, der sich in dem Augenblicke ruhig einer Waffenübung widmete, während der Gewaltstreich gegen Lygia ins Werk gesetzt wurde, faßte Aulus ein furchtbarer Zorn, der sich auch, kaum daß der Vorhang hinter dem Fechtmeister gefallen war, in einer Flut heftiger Vorwürfe und Anklagen Luft machte. Als aber Vinicius erfahren hatte, daß Lygia entführt sei, wurde er vor Schreck so bleich, daß selbst Aulus ihn keinen Augenblick länger für einen Mitschuldigen an der Gewalttat halten konnte. Die Stirn des jungen Mannes bedeckte sich mit Schweißtropfen; das Blut, das einen Augenblick hindurch zum Herzen geströmt war, flutete in glühenden Wellen wieder zum Antlitz zurück; seine Augen begannen zu sprühen, seine Lippen zusammenhängende Fragen hervorzustoßen. Eifersucht und Wut stürmten wechselsweise auf ihn ein wie ein Gewitter. Er glaubte, Lygia sei, sowie sie einmal die Schwelle des Hauses des Caesars überschritten habe, auf immer für ihn verloren. Als aber Aulus Petronius' Namen [58] aussprach, fuhr dem jungen Soldaten der Argwohn rasch wie ein Blitz durch den Sinn, Petronius habe ihn genarrt und wolle sich entweder durch die Überlassung Lygias von neuem die Gunst des Caesars gewinnen oder sie für sich selbst behalten. Daß jemand, der Lygia einmal gesehen habe, sie nicht sofort begehren sollte, wollte ihm nicht in den Kopf.

Seine maßlose Heftigkeit, das Erbteil seiner Familie, riß ihn in diesem Augenblicke fort wie ein wildes Pferd und raubte ihm die Besinnung.

»Feldherr,« sprach er mit stockender Stimme, »kehre nach Hause zurück und warte dort auf mich. Sei überzeugt, selbst wenn Petronius mein leiblicher Vater wäre, würde ich an ihm die Lygia zugefügte Schmach rächen. Kehre nach Hause zurück und erwarte mich. Weder Petronius noch der Caesar sollen sie besitzen.«

Dann wandte er sich mit geballten Fäusten zu den Wachsfiguren, die bekleidet im Atrium standen, und stieß hervor: »Bei diesen Totenmasken! Lieber will ich sie und mich hinmorden!«

Nach diesen Worten tobte er in unsinniger Wut im Atrium umher und stürmte endlich, nachdem er Aulus noch einmal die Worte: »Erwarte mich!« zugerufen hatte, hinaus und eilte nach Petronius' Hause, wobei er unterwegs mehrere Fußgänger unsanft beiseite stieß.

Einigermaßen beruhigt kehrte Aulus nach Hause zurück. Er war der Meinung, wenn Petronius den Caesar bewogen hätte, Lygia abholen zu lassen, um sie Vinicius zu übergeben, so würde Vinicius sie wieder in sein Haus zurückbringen. Endlich lag für ihn ein nicht geringer Trost in dem Gedanken, daß Lygia, wenn nicht befreit, so doch gerächt und durch den Tod vor der Schmach bewahrt würde. Er war überzeugt, Vinicius würde alle seine Versprechungen halten. Er hatte seine Wut gesehen und kannte die den Angehörigen dieser Familie eigene namenlose Heftigkeit. Obgleich er selber Lygia wie ein leiblicher Vater liebte, hätte er sie lieber [59] getötet als dem Caesar ausgeliefert, und er würde es unzweifelhaft getan haben, wenn er nicht an seinen Sohn, den letzten Sproß der Familie, gedacht hätte. Aulus war Soldat; von den Stoikern hatte er zwar kaum gehört, aber in seinem Charakter war er nicht weit von ihnen entfernt, und nach seiner Auffassung und Überzeugung war der Tod leichter zu ertragen und besser als die Schande.

Als er nach Hause zurückgekehrt war, beruhigte er Pomponia und teilte ihr seine Hoffnungen mit; beide warteten mit Spannung auf Nachrichten von Vinicius. So oft sich im Atrium die Schritte eines Sklaven hören ließen, glaubten sie, es sei vielleicht Vinicius, der ihnen die geliebte Tochter zurückbringe, und waren von ganzem Herzen geneigt, beide zu segnen. Aber die Zeit verging, und es kam noch immer keine Nachricht. Erst am Abend hörte man mit dem Hammer an die Tür klopfen.

Nach kurzer Zeit trat ein Sklave ein und übergab Aulus einen Brief. Obgleich es der alte Feldherr liebte, Selbstbeherrschung zu zeigen, nahm er ihn mit zitternder Hand entgegen und begann ihn mit solcher Hast zu lesen, als handle es sich um das Wohl seines ganzen Hauses.

Plötzlich verdüsterte sich sein Gesicht, wie wenn der Schatten einer vorüberziehenden Wolke darauf gefallen wäre.

»Lies,« sagte er, indem er sich an Pomponia wandte.

Pomponia nahm den Brief und las, wie folgt: »Marcus Vinicius sendet dem Aulus Plautius seinen Gruß. Was geschah, geschah nach dem Willen des Caesars, dem ihr Gehorsam schuldet, wie Petronius und ich ihm gehorchen müssen.«

Dann entstand langes Schweigen.

Sechstes Kapitel

[60] Sechstes Kapitel.

Petronius war zu Hause gewesen. Der Türhüter hatte es nicht gewagt, Vinicius zurückzuhalten, der wie eine Windsbraut ins Atrium stürmte und, als er erfuhr, der Hausherr sei in der Bibliothek zu treffen, mit demselben Ungestüm dorthin stürzte, wo er Petronius beim Schreiben fand, ihm das Rohr aus der Hand riß, es zerbrach, zur Erde warf, dann die Hand auf seine Schulter legte, sein Gesicht dem seines Oheims näherte und ihn mit heiserer Stimme fragte: »Was hast du mit ihr gemacht? Wo ist sie?«

Aber plötzlich geschah etwas unerwartetes. Der schmächtige und entnervte Petronius packte die auf seiner Schulter liegende Hand des jungen Riesen, dann die andere, hielt beide mit einer von den seinigen mit der Kraft einer eisernen Zange fest und sagte: »Ich bin nur am Morgen schwach, am Abend besitze ich meine alte Stärke. Versuche, ob du dich befreien kannst. Ein Weber muß dich Gymnastik und ein Grobschmied Lebensart gelehrt haben.«

In seinem Gesicht drückte sich nicht einmal Zorn aus, nur in seinen Augen blitzte es von Mut und Entschlossenheit. Nach einer Weile gab er Vinicius' Hände frei, der gedemütigt, beschämt und in voller Wut vor ihm stand.

»Du hast eine Hand von Stahl,« sagte er; »aber bei allen Göttern der Unterwelt schwöre ich dir, daß ich dir, wenn du mich betrogen hast, einen Dolch in den Leib stoße, und wäre es selbst in den Zimmern des Caesars.«

»Wir wollen ruhig miteinander sprechen,« erwiderte Petronius. »Stahl ist härter als Eisen, wie du siehst; obgleich sich vielleicht aus einem deiner Arme zwei von meinen machen lassen, brauche ich dich doch nicht zu fürchten. Im Gegenteil, ich schäme mich deiner Roheit, und wenn der Undank der Menschen mich noch in Staunen setzen könnte, möchte ich mich über deine Undankbarkeit wundern.«

[61] »Wo ist Lygia?«

»Im Lupanar, das heißt im Hause des Caesars.«

»Petronius!«

»Beruhige dich und nimm Platz. Ich bat den Caesar um zwei Dinge, die er mir gewährte: erstens, Lygia aus dem Hause des Aulus abholen zu lassen und zweitens, sie dir zu übergeben. Hast du nicht einen Dolch in den Falten deiner Toga verborgen? Vielleicht stößt du mich damit nieder! Aber ich rate dir, noch ein paar Tage zu warten, denn man würde dich in den Kerker werfen, und inzwischen würde sich Lygia in deinem Hause langweilen.«

Es trat Schweigen ein. Vinicius betrachtete Petronius eine Zeitlang mit verdutzten Augen und sprach dann: »Verzeihe mir! Ich liebe sie, und die Liebe verwirrt mir den Verstand.«

»Bewundere mich, Marcus. Vorgestern sagte ich dem Caesar folgendes: Mein Schwestersohn Vinicius hat sich dermaßen in ein schmächtiges Mädchen verliebt, das bei Aulus erzogen wird, daß sein Haus sich infolge des Seufzens in ein Dampfbad verwandelt hat. Weder du, sagte ich, Caesar, noch ich, die wir wissen, was wahre Schönheit ist, würden tausend Sesterzen für sie geben, aber dieser Bursche war von jeher dumm wie Bohnenstroh und ist jetzt vollends närrisch geworden.«

»Petronius!«

»Wenn du nicht begreifst, daß ich dieses sagte, weil ich Lygia nicht in Gefahr bringen wollte, so bin ich geneigt zu glauben, daß ich recht hatte. Ich redete dem Rotbart vor, ein Mann von so feinem ästhetischen Gefühl wie er dürfe ein solches Mädchen nicht schön finden, und Nero, der bisher noch nie gewagt hat, mit anderen Augen als den meinigen zu sehen, wird nichts an ihr schön finden, und wenn er dies nicht tut, sie auch nicht begehren. Es war nötig, sich vor dem Affen zu sichern und ihn an die Kette zu legen. Für Lygia hat er also jetzt keine Augen, wohl aber Poppaea, und [62] sie wird offenbar bemüht sein, sie sobald wie möglich aus dem Palaste zu entfernen. Ich habe natürlich ferner dem Rotbart gesagt: Nimm Lygia fort und gib sie Vinicius! Du hast ein Recht, dies zu tun, denn sie ist eine Geisel, und wenn du so handelst, kränkst du Aulus. Er stimmte zu. Er hatte auch nicht den mindesten Grund, sich zu weigern, um so weniger, als ich ihm eine Gelegenheit verschaffte, ehrenhafte Leute zu quälen. Man wird dich zum amtlichen Vormund der Geisel ernennen und deinen Händen diesen lygischen Schatz anvertrauen, und du als Freund der tapferen Lygier und zugleich als treuer Diener des Caesars wirst nicht nur nichts von diesem Schatze vergeuden, sondern dir Mühe geben, ihn zu vermehren. Um den Schein zu wahren, behält der Caesar sie einige Tage in seinem Hause und sendet sie dann zu deiner Insula, du Glücklicher!«

»Ist das wahr? Droht ihr dort im Hause des Caesars keine Gefahr?«

»Wenn sie für immer dort zu bleiben hätte, so würde Poppaea mit der Giftmischerin Locusta über sie sprechen, aber einige Tage lang hat sie nichts zu fürchten. Im Palaste des Caesars leben zehntausend Menschen. Es kann sein, daß Nero sie überhaupt nicht zu Gesicht bekommt, um so mehr, als er mir die Ordnung der ganzen Angelegenheit überlassen hat. Soeben war der Centurio bei mir, um mir zu melden, daß er das Mädchen in den Palast geleitet und der Obhut Aktes übergeben hat. Diese Akte ist eine gute Seele, deswegen stellte ich Lygia unter ihren Schutz. Pomponia Graecina ist augenscheinlich selbst dieser Ansicht, denn sie hat ihr geschrieben. Morgen ist bei Nero ein Gastmahl. Ich habe dir einen Platz neben Lygia besorgt.«

»Verzeihe mir meine Heftigkeit, lieber Gajus,« sagte Vinicius. »Ich glaubte, du hättest sie für dich oder für den Caesar holen lassen.«

»Deine Heftigkeit könnte ich dir schon verzeihen, aber schwerer fällt es mir, rohes Benehmen, ungesittetes Schreien [63] und eine an Moraspieler erinnernde Stimme zu verzeihen. Ich liebe derartiges nicht, Marcus, hüte dich davor. Wisse, daß Tigellinus der Vertraute des Caesars ist, und wisse auch, daß, wenn ich das Mädchen für mich haben wollte, ich dir gerade ins Gesicht sehen und das folgende sagen würde: Vinicius, ich nehme dir Lygia weg und werde sie so lange behalten, bis ich ihrer überdrüssig bin.«

Bei diesen Worten sah er Vinicius mit seinen braunen Augen, in denen ein kalter, hochmütiger Ausdruck lag, so durchdringend an, daß der junge Mann völlig in Verwirrung geriet.

»Es ist meine Schuld,« sagte er. »Du bist gütig und ehrenhaft, und ich danke dir von ganzem Herzen. Nur gestatte mir noch eine Frage an dich zu richten. Warum hast du Lygia nicht sofort in mein Haus geleiten lassen?«

»Weil der Caesar den Schein zu wahren wünscht. Die Leute werden in Rom darüber sprechen, daß wir Lygia als Geisel aus Aulus' Hause abgeholt haben; daher wird Lygia, solange sie darüber sprechen, im Hause des Caesars bleiben. Dann wird man sie dir in aller Stille zuführen, und die Sache ist damit abgetan. Der Rotbart ist ein feiger Hund. Er weiß, daß seine Macht unbegrenzt ist, und doch will er jeder Handlung ein Mäntelchen umhängen. Hast du dich schon so weit erholt, um ein wenig philosophieren zu können? Verschiedenemal ist mir der Gedanke gekommen: Warum bemüht sich das Verbrechen, selbst wenn es von einem mächtigen, vor jeder Verantwortlichkeit geschützten Manne wie dem Caesar ausgeht, stets um den Anschein des Rechtes, der Gerechtigkeit und Tugend? Wozu all diese Sorge? Ich bin der Ansicht, daß sich die Ermordung des Bruders, der Mutter und der Gemahlin wohl für einen asiatischen König, aber nicht für einen römischen Caesar schickt; wenn mir dies aber passierte, so würde ich keine Entschuldigungsbriefe an den Senat schreiben. Nero schreibt sie aber – Nero sucht den Schein, denn Nero ist feig. Tiberius war jedoch nicht feig, und trotzdem suchte er jedes [64] seiner Verbrechen zu rechtfertigen. Warum ist dem so? Welch seltsame, unfreiwillige Huldigung, die das Laster hiermit der Tugend darbringt! Und weißt du, was ich glaube? Sieh, dies geschieht deshalb, weil das Verbrechen häßlich, die Tugend dagegen schön ist. Folglich ist ein wahrhaft ästhetisch Gebildeter zugleich tugendhaft. Also bin ich tugendhaft. Ich muß heute den Schatten des Protagoras, Prodikos und Gorgias etwas Wein zum Opfer ausgießen. Es scheint, als ob auch Sophisten zuweilen von Nutzen sein können. Höre mich an, denn ich bin noch nicht zu Ende. Ich nahm Lygia ihrem Pflegevater weg, um sie dir zu übergeben. Schön. Lysippos würde aus euch eine wundervolle Gruppe geschaffen haben. Ihr seid beide schön – folglich ist auch meine Handlungsweise schön, und wenn sie schön ist, kann sie nicht schlecht sein. Siehe Marcus, vor dir sitzt die Tugend selbst in der Gestalt des Petronius. Lebte Aristeides noch, so wäre es seine Pflicht, zu mir zu kommen und mir hundert Minen für den kürzesten Vortrag über die Tugend zu überreichen.«

Doch Vinicius, der für die Wirklichkeit des Lebens mehr Sinn hatte als für abstrakte Vorträge über die Tugend, sagte: »Morgen werde ich Lygia sehen und werde sie dann täglich, immer und bis zu meinem Tode in meinem Hause haben.«

»Du wirst Lygia besitzen, und ich werde Aulus auf dem Halse haben. Er wird die Rache aller Götter der Unterwelt auf mich herabbeschwören. Und wenn der Kerl wenigstens vorher Unterricht über ordentliche Vortragsweise nehmen wollte! So aber wird er mich anfahren, wie mein früherer Türsteher meine Klienten angefahren hat. Ich habe ihn übrigens dafür zur Strafe ins Arbeitshaus gesperrt.«

»Aulus war bei mir. Ich versprach, ihm Nachricht über Lygia zu schicken.«

»Schreibe ihm, daß der Wille des göttlichen Caesars das oberste Gesetz sei und daß dein erster Sohn den Namen Aulus tragen werde. Der alte Mann muß doch wenigstens [65] einen Trost haben. Ich bin bereit, den Rotbart zu bitten, er möge ihn morgen zum Gastmahle einladen. Im Triclinium soll er dich neben Lygia sehen.«

»Tu dies nicht,« sagte Vinicius. »Sie dauern mich, namentlich Pomponia.«

Dann setzte er sich hin, um jenen Brief zu schreiben, der dem alten Feldherrn seine letzte Hoffnung zerstörte.

Siebentes Kapitel

Siebentes Kapitel.

Vor Akte, der früheren Geliebten Neros, hatten sich einst die stolzesten Häupter Roms gebeugt. Aber schon damals hatte sie keine Lust, sich in Staatsgeschäfte zu mischen, und wenn sie ihren Einfluß auf den jungen Herrscher jemals geltend machte, so geschah dies nur, um Gnade für jemand zu erbitten. Still und bescheiden verdiente sie sich den Dank mancher und machte sich niemand zum Feinde. Selbst Octavia konnte ihr nicht gram sein. Ihre Neider hielten sie für völlig ungefährlich. Man wußte von ihr, daß sie Nero nach wie vor in trauernder, schmerzlicher Liebe zugetan sei, die nicht mehr von der Hoffnung, sondern nur von der Erinnerung an jene Tage lebte, wo dieser Nero nicht nur jung und ihr Verehrer, sondern auch besser war. Man wußte, daß sie ihre Seele und ihre Gedanken nicht von jenen Erinnerungen loszureißen vermochte, aber auch keinen Wunsch mehr hatte; da aber auch in der Tat nicht zu befürchten war, der Caesar könne je zu ihr zurückkehren, so betrachtete man sie als gänzlich ungefährlich und ließ sie aus diesem Grunde in Frieden. Poppaea sah sie nur für eine stille, völlig harmlose Dienerin an und machte daher nicht einmal den Versuch, sie aus dem Palaste zu entfernen.

Da der Caesar sie jedoch einst geliebt und sich von ihr ohne Gewalttätigkeit und in ruhiger, ja gewissermaßen freundschaftlicher Weise getrennt hatte, so nahm man immer noch eine gewisse Rücksicht auf sie. Nero hatte ihr nach ihrer [66] Freilassung eine Wohnung im Palaste, zu der ein eigenes Schlafzimmer gehörte, sowie genügend Dienerschaft zugewiesen. Und weil früher Pallas und Narcissus, obgleich sie Freigelassene des Claudius waren, nicht nur an den Gastmählern ihres früheren Herrn teilnahmen, sondern auch als Minister einflußreiche Ehrenstellen innehatten, so wurde auch Akte mitunter zur Tafel des Caesars geladen. Dies geschah vielleicht deshalb, weil ihre Schönheit in der Tat eine Zierde des Festes bildete. Im übrigen hatte Nero in bezug auf die Auswahl seiner Gesellschaft schon längst jede Rücksicht fallen gelassen. An seiner Tafel fand sich das bunteste Gemisch von Leuten aller Stände und Berufe zusammen. Es waren Senatoren, namentlich solche, die sich bemühten, zugleich Hofnarren zu sein, alte und junge Patrizier, begierig nach Genuß, Luxus und Gunst. Frauen waren dabei, Trägerinnen berühmter Namen, die sich aber nicht scheuten, sich des Abends die blonde Perücke aufzusetzen und um des Vergnügens willen in abgelegenen Straßen Abenteuer zu suchen. Auch hohe Beamte waren da und Priester, welche bei vollen Bechern gern ihre eigenen Götter verspotteten, daneben eine Schar von Leuten jeder Art, bestehend aus Sängern, Schauspielern, Musikern, Tänzern und Tänzerinnen; aus Dichtern, die, während sie Verse deklamierten, an die Sesterzen dachten, die ihnen vielleicht dafür zu teil wurden, daß sie Neros Verse rühmten, aus hungrigen Philosophen, welche die Speiseschüsseln mit gierigen Blicken verfolgten, im übrigen aus berühmten Wagenlenkern, Seiltänzern, Wundertätern, Märchenerzählern, Spaßmachern, endlich aus Abenteurern, die durch die Mode oder ihre Torheit zu vorübergehender Berühmtheit gelangt waren und unter denen es auch nicht an solchen fehlte, welche die durchlöcherten Ohrläppchen, das Zeichen der Sklaven, unter ihren langen Haaren versteckten.

Die vornehmeren Gäste saßen unmittelbar an der Tafel, die geringeren sorgten für Unterhaltung während des Essens und warteten auf den Augenblick, wo die Diener ihnen gestatten [67] würden, sich auf die Überreste von Speise und Trank zu stürzen. Für Gäste dieser Art sorgten Tigellinus, Vatinius und Vitellius die mitunter genötigt waren, ihnen auch Kleider zu beschaffen, die zu den Gemächern des Caesars paßten. Dieser liebte übrigens solche Gesellschaft, weil er sich unter ihnen am meisten gehen lassen konnte. Der Prunk des Hofes vergoldete und bedeckte alles mit Glanz und Schimmer. Hoch und niedrig, Nachkommen berühmter Geschlechter und Leute vom Straßenpflaster der Stadt, große Künstler und armselige Pfuscher drängten sich zu dem Palaste, um ihre geblendeten Augen an der fast jeden menschlichen Begriff übersteigenden Pracht zu laben und sich dem Spender jeder Gnade, jedes Reichtums und jedes Gutes zu nähern, dessen bloßer Blick in der Tat erniedrigen, aber auch über alle Maßen erhöhen konnte.

Heut hatte auch Lygia an einem derartigen Gastmahle teilzunehmen. Furcht, Ungewißheit und eine Art Betäubung, die nach dem plötzlichen Umschwung ihres Geschickes nicht zu verwundern waren, kämpften in ihr mit dem Wunsche, Widerstand zu leisten. Sie fürchtete sich vor dem Caesar, sie fürchtete sich vor den Menschen, sie fürchtete sich vor dem Palaste, dessen Getöse ihren Geist verwirrte, sie fürchtete sich vor den Gelagen, über deren Schamlosigkeit sie Aulus, Pomponia Graecina und deren Freunde hatte erzählen hören. Obgleich sie ein junges Mädchen war, war sie doch nicht unerfahren, denn zu jener Zeit drang die Kunde des Schlechten frühzeitig selbst bis zu den Ohren der Kinder. Sie wußte daher, daß ihr in diesem Palaste die äußerte Gefahr drohe, vor der sie übrigens auch Pomponia in der Abschiedsstunde gewarnt hatte. Da sie jedoch einen jugendfrischen, von der Verderbnis unberührten Sinn besaß und dem erhabenen Glauben anhing, der ihr von ihrer Pflegemutter eingepflanzt worden war, hatte sie das Gelöbnis, sich vor dem Verderben zu bewahren, ihrer Mutter, sich selbst und jenem göttlichen Lehrer abgelegt, an den sie nicht nur glaubte, sondern den sie [68] auch um der Milde seiner Lehre, der Bitterkeit seines Todes und der Herrlichkeit seiner Auferstehung willen mit der ganzen Innigkeit ihres kindlichen Herzens liebte.

Ebenso war es ihr klar, daß jetzt weder Aulus, noch Pomponia Graecina für ihr Verhalten verantwortlich seien, und sie überlegte daher, ob es nicht besser sei, Widerstand zu leisten und nicht an dem Feste teilzunehmen. Einerseits sprachen Angst und Unruhe laut in ihrer Seele, andererseits tauchte in ihr der Wunsch auf, Mut, Ausdauer zu zeigen und sich der Marter und dem Tode preiszugeben. So zu handeln hatte der göttliche Lehrer ja geboten und selbst das Beispiel dazu gegeben. Und Pomponia hatte ihr gesagt, daß die Eifrigsten unter den Gläubigen mit allen Kräften ihrer Seele nach einer solchen Prüfung verlangten und darum beteten. Und Lygia hatte mitunter, als sie noch bei Aulus war, einen ähnlichen Wunsch gehegt. Sie sah sich als Märtyrerin, mit Wunden an Händen und Füßen, weiß wie Schnee, strahlend in überirdischer Schönheit, von ebenso weißen Engeln in den Himmel getragen, und an derartigen Visionen ergötzte sich ihre Phantasie. Es lag darin viel kindliche Schwärmerei, aber auch etwas wie Selbstgefälligkeit, die Pomponia tadelte. Nun aber, wo der Widerstand gegen den Willen des Caesars eine schreckliche Strafe nach sich ziehen und das in Träumen geschaute Märtyrertum zur Wirklichkeit werden konnte, gesellte sich zu der schönen Vision, zu der Selbstgefälligkeit noch etwas wie mit Furcht gepaarte Neugierde, welche Strafe, welche Art Qualen für sie bestimmt seien.

So wurde ihre noch halb kindliche Seele nach zwei Richtungen gezogen. Akte jedoch, die dieses Schwanken bemerkte, sah das Mädchen so erstaunt an, als ob es im Fieber spräche. Sich dem Willen des Caesars widersetzen? Gleich im ersten Augenblick seinen Zorn auf sich laden? Dazu müsse man ein Kind sein, das nicht wisse, was es spreche. Aus Lygias eigenen Worten gehe hervor, daß sie in Wahrheit keine Geisel, sondern ein von seinem Volke verlassenes Mädchen sei. [69] Kein Völkerrecht schütze sie, und auch wenn sie unter dessen Schutz stände, so sei der Caesar doch mächtig genug, in einem Wutanfalle dieses Recht mit Füßen zu treten. Es habe dem Caesar beliebt, sie abholen zu lassen, und er werde von nun an über sie Bestimmung treffen. Von nun an hänge sie von seinem Willen ab, neben dem es auf Erden keinen anderen gebe.

»So ist es,« fuhr sie fort; »auch ich habe die Briefe des Paulus von Tarsos gelesen, und weiß, daß über der Erde Gott lebt und der Sohn Gottes, der auferstanden ist, doch auf der Erde gibt es nur einen Caesar. Bedenke dies, Lygia. Ich weiß auch, daß dein Glaube dir nicht gestattet, das zu sein, was ich gewesen bin, und daß ihr, wie die Stoiker, von denen mir Epiktet erzählte, wenn euch die Wahl zwischen Schande und Tod freisteht, nur den Tod wählen dürft. Aber woher weißt du, daß nur der Tod deiner wartet und nicht auch die Schande? Hast du nichts von Sejanus' Tochter gehört, welche noch ein kleines Mädchen war und auf Tiberius' Befehl aus Rücksicht auf ein Gesetz, welches verbietet, eine Jungfrau mit dem Tode zu bestrafen, erst die Schande und dann den Tod erleiden mußte? Lygia, Lygia, reize den Caesar nicht. Wenn der entscheidende Augenblick naht, wo du zwischen Schande und Tod zu wählen hast, wirst du handeln, wie dein Glaube es dir gebietet; doch suche das Verderben nicht freiwillig auf, reize aus geringfügigen Gründen nicht eine irdische und dabei grausame Gottheit.«

Akte hatte mit großer Güte und sogar mit Begeisterung gesprochen und näherte nun, da sie von Natur etwas kurzsichtig war, ihr zartes Antlitz dem Lygias, um daraus zu entnehmen, was für einen Eindruck ihre Worte gemacht hatten.

Lygia legte aber vertrauensvoll ihre Arme um Aktes Hals und sagte: »Du bist so gut, Akte!«

Akte, der diese Anerkennung und dieses Vertrauen wohl taten, schloß sie an ihr Herz und antwortete dann, nachdem [70] sie sich von den Armen des Mädchens frei gemacht hatte: »Mein Glück ist hin, meine Freude ist hin; aber schlecht bin ich nicht.«

Dann begann sie mit raschen Schritten im Gemache auf und ab zu gehen und wie in Verzweiflung mit sich selbst zu sprechen: »Nein, auch er war nicht schlecht. Er selbst glaubte damals, er sei gut, und wünschte gut zu sein. Ich weiß es am besten. Alles kam erst später ... als er zu lieben aufhörte ... Andere haben ihn zu dem gemacht, was er ist – andere – und Poppaea.«

Dann füllten sich ihre Augen mit Tränen. Lygia verfolgte sie einige Zeit mit ihren blauen Augen und sagte endlich: »Du bedauerst ihn?«

»Ich bedauere ihn!« antwortete die Griechin leise.

Und wieder fing sie an mit vor Schmerz gerungenen Händen und traurigem Antlitz im Zimmer umherzugehen.

Lygia fragte furchtsam weiter: »Liebst du ihn noch?«

»Ich liebe ihn.«

Nach einer Weile fügte sie hinzu: »Außer mir liebt ihn niemand.«

Es trat Schweigen ein, und inzwischen suchte Akte ihre durch Erinnerungen getrübte Ruhe wiederzuerlangen, und als endlich ihr Antlitz wieder den gewohnten Ausdruck stillen Grames trug, sagte sie: »Wir wollen von dir sprechen, Lygia. Denke nicht einmal daran, dich dem Caesar zu widersetzen. Das wäre Wahnsinn. Im übrigen beruhige dich! Ich kenne dieses Haus gut und bin überzeugt, daß dir von seiten des Caesars nichts droht. Hätte Nero dich für sich entführen lassen, so hätte man dich nicht nach dem Palatin gebracht. Hier herrscht Poppaea, und Nero befindet sich, seitdem sie ihm eine Tochter gebar, noch mehr unter ihrer Herrschaft ... Nein! Nero hat allerdings befohlen, du sollst am Gastmahle teilnehmen, aber er hat dich bisher noch nicht gesehen und auch nicht nach dir gefragt und kümmert sich also nicht um dich. Vielleicht hat er dich von Aulus und Pomponia nur [71] aus Zorn über sie weggenommen ... Mir hat Petronius geschrieben, ich solle dich unter meinen Schutz nehmen. Auch Pomponia hat mir geschrieben, wie du weißt; es ist daher möglich, daß sie im Einverständnisse miteinander sind. Vielleicht auch hat er es auf ihren Wunsch getan. Wenn dies der Fall ist, wenn auch er sich auf den Wunsch Pomponias deiner annimmt, so droht dir nichts, und wer weiß sogar, ob dich Nero nicht auf seine Fürsprache hin zu Aulus zurückschickt? Ich weiß nicht, ob ihn Nero allzusehr liebt, aber das weiß ich, daß er es selten wagt, anderer Meinung zu sein als Petronius.«

»Ach, Akte!« entgegnete Lygia, »Petronius war bei uns, bevor man mich wegholte, und meine Mutter war überzeugt, daß Nero meine Auslieferung auf seinen Wunsch verlangte.«

»Das wäre schlimm,« sagte Akte.

Aber dann fuhr sie nach kurzer Überlegung fort: »Petronius hat vielleicht nur in Neros Gegenwart bei einem Abendessen erzählt, er habe bei Aulus eine Geisel der Lygier gesehen, und Nero, der auf seine Macht eifersüchtig ist, hat dich vielleicht nur deshalb verlangt, weil Geiseln dem Caesar gehören. Überdies liebt er Aulus und Pomponia nicht. Nein! Ich glaube nicht, daß Petronius, wenn er dich Aulus entführen wollte, in dieser Weise gehandelt hätte. Ich weiß nicht, ob er besser ist als die anderen, mit denen sich der Caesar umgibt, aber er ist anders ... Vielleicht findest du übrigens außer ihm noch einen anderen, der für dich eintritt. Hast du bei Aulus niemand aus der näheren Umgebung des Caesars kennen gelernt?«

»Ich habe Vespasian und Titus öfters gesehen.«

»Der Caesar liebt sie nicht.«

»Und Seneca.«

»Wenn Seneca etwas empfiehlt, so genügt dies für den Caesar, um anders zu handeln.«

Das klare Antlitz Lygias begann sich mit Röte zu überziehen.

[72] »Und Vinicius ...«

»Ich kenne ihn nicht.«

»Es ist ein Verwandter von Petronius der vor kurzem aus Armenien zurückgekehrt ist.«

»Und würde er für dich eintreten?«

»Ja.«

Akte lächelte freundlich und sagte: »Dann wirst du ihn sicher beim Feste treffen. Du mußt daran teilnehmen, erstens deswegen, weil du mußt ... Nur ein solches Kind wie du könnte anders darüber denken. Zweitens, wenn du in Aulus' Haus zurückzukehren wünschst, so mußt du Mittel und Wege finden, Petronius und Vinicius zu bitten, ihren Einfluß für dich behufs deiner Rückkehr geltend zu machen. Wären sie hier, so würden beide dir dasselbe sagen wie ich, daß es Wahnsinn und sicheres Verderben wäre, Widerstand zu versuchen. Der Caesar würde wahrscheinlich deine Abwesenheit gar nicht bemerken, wenn er sie aber bemerkte und glaubte, du hättest gewagt, sich seinem Willen zu widersetzen, so wäre für dich keine Rettung mehr. Gehe, Lygia ... Hörst du den Lärm im Hause? Die Sonne sinkt, und die Gäste werden bald eintreffen.«

»Du hast recht, Akte,« erwiderte Lygia, »ich werde deinen Rat befolgen.«

Wieviel zu diesem Entschlusse der Wunsch beitrug, Vinicius und Petronius zu treffen, wieviel die weibliche Neugier, einmal im Leben an einem solchen Gastmahle teilzunehmen, dabei den Caesar, den Hof, die berühmte Poppaea und andere Schönheiten sowie die unerhörte Pracht zu sehen, von der man in Rom Wunderdinge erzählte, davon konnte sich Lygia selbst keine sichere Rechenschaft geben. Aber Akte hatte mit ihrem Rate recht, und das Mädchen fühlte dies sehr wohl. Sie mußte gehen, und da die Notwendigkeit und die einfache Vernunft den geheimen Wunsch unterstützten, so schwankte sie nicht länger.

[73] Akte führte sie dann in ihr eigenes Unctorium, um sie zu salben und anzukleiden, und obgleich in dem Hause des Caesars kein Mangel an Sklavinnen war und Akte deren zu ihrer persönlichen Bedienung mehr als genug hatte, so entschloß sie sich aus Vorliebe zu dem Mädchen, dessen Unschuld und Schönheit ihr Herz bezaubert hatten, es selbst anzukleiden. Und zugleich hatte es den Anschein, als ob in der jungen Griechin, trotz ihrer Traurigkeit und trotzdem sie die Briefe des Paulus von Tarsos gelesen hatte, noch etwas von dem alten hellenischen Geiste zurückgeblieben wäre, auf welchen die Schönheit stärker wirkte als sonst etwas auf der Welt. Als sie Lygia entkleidet hatte, konnte sie beim Anblick ihrer zugleich schlanken und vollen, wie aus Perlen und Rosen geschaffenen Gestalt einen Ausruf des Staunens nicht unterdrücken, und einige Schritte zurücktretend, betrachtete sie mit Entzücken den unvergleichlichen, jugendprangenden Körper des Mädchens.

»Lygia!« rief sie endlich, »du bist tausendmal schöner als Poppaea!«

Im ernsten Hause Pomponias erzogen, wo man selbst dann, wenn die Frauen unter sich waren, Zurückhaltung beobachtete, stand das Mädchen, reizend wie ein schöner Traum, im herrlichsten Ebenmaß, als wäre es ein Werk des Praxiteles oder ein Gedicht, aber verwirrt, bescheiden errötend, mit zusammengedrängten Knieen, die Hände vor den Busen gepreßt und mit gesenkten Augen da. Endlich erhob sie mit einer plötzlichen Bewegung die Arme, entfernte die Nadeln, welche ihre Haare zusammenhielten und war in einem Augenblick, schneller, als man den Kopf bewegen konnte, in diese eingehüllt wie in einen Mantel.

Akte näherte sich ihr und sagte, indem sie die schwarzen Flechten berührte: »O, welch schönes Haar hast du! ... Ich will keinen Goldstaub darauf streuen; die Locken schimmern an verschiedenen Stellen selbst wie Gold ... Nur vielleicht hier und da will ich etwas Goldstaub auflegen, aber dünn, [74] dünn, als ob ein Sonnenstrahl sie verklärte ... Eure lygische Heimat muß wunderschön sein, wenn solche Mädchen dort geboren werden.«

»Ich kann mich nicht an sie erinnern,« entgegnete Lygia. »Ursus erzählte mir nur, daß es bei uns Wälder, Wälder und Wälder gäbe.«

»Und in den Wäldern blühen Blumen,« versetzte Akte, während sie ihre Hand in ein Gefäß mit Verbenenöl tauchte und Lygias Haar damit befeuchtete.

Als sie damit fertig war, begann sie den Körper des Mädchens leicht mit wohlriechenden Ölen aus Arabien zu salben und bekleidete es dann mit einer weichen, goldverbrämten Tunika ohne Ärmel, über die noch ein schneeweißer Peplos zu werfen war. Da sie jedoch zuvor das Haar zu ordnen hatte, zog sie Lygia inzwischen eine Art Hauskleid an, das Synthesis hieß, und übergab sie, während sie sich selbst auf einen Sessel niederließ, auf einige Zeit den Händen von Sklavinnen, um aus der Entfernung dem Kämmen zuzusehen. Zwei Sklavinnen begannen zugleich Lygias Füße mit weißen, purpurgestickten Sandalen zu bekleiden, die sie kreuzweise mit goldenen, um die alabasterweißen Knöchel gewundenen Bändern befestigten. Als endlich das Haar geordnet war, warfen sie dem Mädchen einen Peplos in schönen, leichten Falten über; nachdem Akte dann Lygias Hals mit Perlen geschmückt und ihr Haar stellenweise mit Goldstaub betupft hatte, ließ sie sich selbst ankleiden, indem sie die ganze Zeit über Lygia voller Entzücken betrachtete.

Doch war sie bald fertig, und sobald die ersten Sänften vor dem Haupttore zu erscheinen begannen, betraten sie beide den bedeckten Seitenportikus, von dem aus sie das Haupttor, die inneren Galerien und den von Säulen aus numidischem Marmor umgebenen Hofraum überblicken konnten.

Immer größere Menschenmengen schritten unter den hohen Bogen des Tores hindurch, auf dessen Giebel Lysias' herrliche Quadrigen Apollo und Diana zum Himmel emporzutragen [75] schienen. Lygias Augen wurden von dem stolzen Anblick geblendet, von dem Aulus' bescheidenes Haus ihr nicht die leiseste Ahnung zu geben vermocht hatte. Es war im Augenblick des Unterganges der Sonne, und ihre letzten Strahlen fielen auf den gelben numidischen Marmor der Säulen, der in ihrem Schimmer wie Gold glänzte und zugleich ins Rosenrote hinüberspielte. Zwischen den Säulen, neben den weißen Bildsäulen der Danaiden und anderen, die Götter und Heroen darstellten, drängten sich Scharen von Männern und Frauen, die auch ihrerseits Statuen glichen, denn sie waren mit Toga, Peplos und Stola bekleidet, die in weichen Falten anmutig bis auf den Fußboden fielen und auf denen die Strahlen der untergehenden Sonne erglänzten. Ein riesiger Herakles, dessen Haupt noch beleuchtet, der aber von der Brust abwärts bereits in dem von den Säulen geworfenen Schatten lag, schaute von oben auf die Menschenmenge herab. Akte zeigte Lygia die Senatoren in breitgesäumten Togen, in verbrämten Tuniken und mit Halbmonden auf den Schuhen, die Ritter und berühmten Künstler, römische Damen in römischen, in griechischen, phantastischen orientalischen Gewändern, die Haare in Turm- oder Pyramidenform angeordnet oder nach Art der Göttinnenstatuen auf die Stirn herabhängend oder mit Blumen geschmückt. Viele der Männer und viele Frauen nannte Akte mit Namen und fügte diesen kurze, bisweilen furchtbare Geschichten hinzu, die Lygia mit Grausen, Staunen und Verwunderung erfüllten. Es war für sie eine seltsame Welt, durch deren Schönheit ihre Augen geblendet wurden, deren Kehrseite ihr Mädchensinn aber nicht fassen konnte. In der Abenddämmerung am Himmel, in den regungslosen, in der Ferne verschwimmenden Säulenreihen, in den statuengleichen Menschen lag etwas wie erhabene Ruhe; es hatte den Anschein, als müßten inmitten dieser geradlinigen Säulen Halbgötter sorglos, glücklich und zufrieden leben, während Akte leisen Tones immer neue schreckliche Geheimnisse dieses Palastes [76] und dieser Menschen enthüllte. Dort war der bedeckte Portikus zu sehen, dessen Säulen und Fußboden noch von dem Blute gerötet waren, das Caligula verspritzte, als er unter dem Dolche Cassius Chaereas fiel; dort wurde seine Gattin ermordet; dort wurde sein Kind gegen einen Stein geschleudert; dort unter jenem Flügel lag der Kerker, in dem der jüngere Drusus vor Hunger seine Hände benagte; dort wurde der ältere vergiftet; dort zitterte Gemellus vor Entsetzen und wälzte sich Claudius in Krämpfen, dort Germanicus. Allenthalben hatten diese Wände von den Seufzern und Klagen Sterbender widergehallt, und diese Menschen, die jetzt in Togen, verbrämten Tuniken, mit Blumen und Edelsteinen geschmückt, zu Feste eilten, waren vielleicht morgen zum Tode Verurteilte. Auf manchem Gesichte verbarg vielleicht ein Lächeln die Angst, die Unruhe, die Furcht vor dem kommenden Tage; vielleicht nagten fieberhafte Gier und Neid in diesem Augenblicke an den Herzen dieser anscheinend sorglosen, unbekümmerten Halbgötter. Lygias erschreckte Gedanken konnten den Worten Aktes nicht folgen, und indem diese wunderbare Welt ihre Augen mit immer größerer Macht fesselten, wandte sich ihr das Herz vor Entsetzen um, und in ihrer Seele erhob sich plötzlich eine unsägliche, unendliche Sehnsucht nach ihrer geliebten Pomponia Graecina und nach dem stillen Hause des Aulus, wo Liebe herrschte, nicht das Verbrechen.

Unterdessen strömten vom Vicus Apollinis neue Scharen von Gästen herbei. Von jenseits der Tore hörte man den Lärm und das Geschrei der Klienten, die ihre Patrone begleiteten. Der Hof und die Kolonnaden wimmelten von Sklaven und Sklavinnen des Caesars, von kleinen Knaben und Prätorianern, welche die Wache im Palast versahen. Hier und dort zeigten sich zwischen den weißen oder braunen Gesichtern die schwarzen Züge eines Numidiers, mit einem Federbusch auf dem Helme und großen goldenen Ringen in den Ohren. Lauten, Zithern, kunstvolle Sträuße von trotz [77] des Spätherbstes gezogenen Blumen, Lampen aus Silber, Gold und Bronze wurden einhergetragen. Immer lauter mischte sich der Lärm der Gespräche in das Plätschern des Springbrunnens, dessen von der Abendröte bestrahltes Wasser aus der Höhe auf die Marmorplatten herabfiel und auf ihnen wie zu Tränen zerstäubte.

Akte hatte zu erzählen aufgehört; Lygia aber blickte unverwandten Auges auf die Menge, als suche sie jemand. Plötzlich bedeckte tiefe Röte ihr Gesicht. Zwischen den Säulen traten Vinicius und Petronius hervor und wandten sich dem größeren Triclinium zu; schön, ruhig, in ihren Togen weißen Göttergestalten vergleichbar. Als Lygia inmitten all der fremden Menschen diese beiden bekannten und befreundeten Gesichter erblickte, war es ihr, als ob ihr ein schwerer Stein vom Herzen falle. Sie fühlte sich weniger verlassen. Jene unendliche Sehnsucht nach Pomponia und dem Hause des Aulus, welche sie noch vor kurzem verzehrt hatte, verlor mit einem Male alles qualvolle. Das Verlangen, Vinicius zu sehen und mit ihm zu sprechen, erstickte jede andere Regung in ihr. Vergebens rief sie sich alles schlechte, was sie über das Haus des Caesars gehört hatte, die Erzählungen Aktes, die Warnungen Pomponias ins Gedächtnis zurück; trotz dieser Erzählungen und dieser Warnungen fühlte sie plötzlich, daß sie an diesem Feste nicht nur teilnehmen müsse, sondern auch teilzunehmen wünsche; bei dem Gedanken, daß sie bald jene holde, teure Stimme hören werde, die zu ihr von Liebe und einem der Götter würdigen Glück gesprochen hatte und seitdem wie ein Lied in ihren Ohren nachklang, durchdrang ein Gefühl der Seligkeit ihr ganzes Wesen.

Aber mit einem Male erschrak sie über diese Empfindung. Sie glaubte, in diesem Augenblicke jener reinen Lehre, in der sie erzogen worden war, Pomponia und sich selber untreu zu werden. Sich dem Zwange zu fügen, ist etwas anderes, als über diesen Zwang erfreut zu sein. Sie fühlte sich schuldig, unwürdig und verworfen. Mutlosigkeit erfaßte [78] sie, und sie hätte weinen mögen. Wäre sie allein gewesen, sie wäre auf ihre Kniee gesunken und hätte angefangen, sich die Brust zu schlagen und zu rufen: »Meine Schuld, meine Schuld!« Akte ergriff aber jetzt ihre Hand und führte sie durch die inneren Gemächer in das große Triclinium, wo das Fest stattfinden sollte. Vor den Augen wurde es ihr dunkel, in den Ohren dröhnte es ihr vor innerer Bewegung, und die Schläge ihres Herzens benahmen ihr den Atem. Wie im Traume sah sie tausende von Lampen auf den Tischen und an den Wänden strahlen, wie im Traume hörte sie die Rufe, mit denen man den Caesar begrüßte, wie durch einen Nebel er blickte sie diesen selbst. Der Lärm betäubte, der Glanz blendete, die Wohlgerüche berauschten sie. Sie verlor den Rest ihrer Besinnung und vermochte kaum Akte noch zu erkennen, die sie auf einen Sitz an der Tafel niederdrückte und dann selbst neben ihr Platz nahm.

Nach einer Weile ließ sich eine leise, wohlbekannte Stimme von der anderen Seite vernehmen: »Sei gegrüßt, du Schönste unter den irdischen Mädchen und den himmlischen Sternen! Sei gegrüßt, göttliche Kalline!«

Lygia, die sich einigermaßen erholt hatte, schlug ihre Augen auf: neben ihr saß Vinicius.

Er war ohne Toga, denn die Bequemlichkeit und der herkömmliche Brauch verlangten das Ablegen der Toga bei Gastmählern. Seinen Körper bedeckte nur eine scharlachrote, mit silbernen Palmblättern bestickte Tunika ohne Ärmel. Die Arme waren nackt und nach orientalischer Mode mit zwei breiten, oberhalb des Ellbogens befestigten goldenen Spangen geschmückt und weiter unten von sämtlichen Haaren befreit, weich, doch äußerst muskulös, wahre Soldatenarme, die vortrefflich zu Schwert und Schild paßten. Auf dem Haupte trug er einen Rosenkranz. Mit seinen über der Nase zusammenstoßenden Brauen, mit den leuchtenden Augen und der gebräunten Gesichtsfarbe erschien er als das Urbild von Jugend und Kraft. Lygia kam er so schön vor, daß sie, obgleich [79] ihre erste Bestürzung schon vorüber war, kaum zu antworten vermochte: »Sei gegrüßt Marcus ...«

Er entgegnete: »Glücklich meine Augen, die dich sehen; glücklich meine Ohren, die deine Stimme vernehmen, die mir lieber ist als die Klänge der Flöten und Zithern. Wenn ich wählen sollte, wer bei diesem Gastmahle neben mir weilen sollte, du, Lygia, oder Venus, ich würde dich wählen, Göttliche!«

Er schaute sie an, als wollte er sich an ihrem Anblicke laben und sie mit den Augen versengen. Sein Blick schweifte von ihrem Antlitz nach dem Halse und den bloßen Armen, umfaßte ihre reizende Gestalt, fand sie bezaubernd, verschlang sie, aber neben dem Verlangen erglänzten darin Glück und Wonne, sowie grenzenloses Entzücken.

»Ich wußte, ich würde dich im Hause des Caesars treffen,« fuhr er fort, »aber doch ergriff meine Seele bei deinem Anblick solche Wonne, als ob mir ein völlig unerwartetes Glück begegnete.«

Lygia, die sich erholt hatte und fühlte, daß er in der ganzen großen Menschenmenge und in diesem Hause das einzige ihr nahestehende Wesen sei, begann mit ihm zu sprechen und ihn nach allem zu fragen, was für sie unverständlich war und was ihr Furcht einflößte. Woher wußte er, daß er sie im Hause des Caesars treffen würde, und wozu war sie hier? Weswegen hatte sie der Caesar von Pomponia weggenommen? Sie fürchte sich hier und wünsche zu Pomponia zurückzukehren. Sie würde sterben vor Sehnsucht und Unruhe, wenn sie nicht hoffte, daß Petronius und er sich beim Caesar für sie verwenden würden.

Vinicius erwiderte, er habe sich bei Aulus selbst über ihre Entführung erkundigt. Warum sie hier sei, wisse er nicht. Der Caesar gebe niemandem Rechenschaft über seine Befehle und Gebote. Doch solle sie sich nicht fürchten. Er, Vinicius sei bei ihr und werde ihr beistehen. Lieber wolle er die Augen einbüßen, als sie nicht mehr sehen, lieber wolle [80] er das Leben verlieren, als sie verlassen. Sie sei seine Seele, darum werde er sie auch wie seine Seele hüten. Er wolle ihr in seinem Hause einen Altar errichten wie seiner Gottheit, auf dem er Myrrhen und Aloe, im Frühjahr aber Krokusblumen und Apfelblüten opfern. Und da sie sich im Hause des Caesars ängstige, so bürge er ihr dafür, daß sie in diesem Hause nicht bleiben werde.

Obgleich er gewunden sprach und mitunter sogar seine Zuflucht zu Erdichtungen nahm, so lag doch Wahrheit in seinen Worten, denn seine Gefühle waren echt. Auch ergriff ihn aufrichtiges Mitleid, und ihre Worte gingen ihm so zu Herzen, daß, als sie ihm zu danken und zu versichern begann, Pomponia werde ihn seiner Güte wegen lieben und sie selbst werde ihr ganzes Leben lang ihm dankbar sein, er seine Rührung nicht bemeistern konnte und es ihm schien, als würde er nie im Leben einer Bitte von ihr widerstehen können. Sein Herz fing an zu schmelzen. Ihre Schönheit berauschte seine Sinne, und er begehrte sie, aber er fühlte zugleich, daß sie ihm sehr teuer sei und er sie wirklich wie eine Gottheit verehren könne; er fühlte auch das unwiderstehliche Bedürfnis, von ihrer Schönheit und seiner Verehrung für sie zu sprechen. Als daher der Lärm des Gelages zunahm, rückte er näher an sie heran und begann ihr schmeichelnde, süße Worte zuzuflüstern, die der Tiefe seines Herzens entsprangen, wohllautend wie Musik und berauschend wie Wein.

Und er berauschte sie. Inmitten all dieser Fremden, die sie rings umgaben, erschien er ihr immer vertrauter, immer lieber, durch und durch treu und ihr von ganzer Seele ergeben. Er beruhigte sie, er versprach, sie aus dem Hause des Caesars zu bringen, er versprach, sie nie zu verlassen und ihr seine Dienste zu weihen. Außerdem hatte er damals bei Aulus nur im allgemeinen mit ihr von Liebe und Glück gesprochen, die sie gewähren könne, jetzt aber gestand er ihr offen, daß er sie liebe, daß sie ihm das Liebste und Teuerste auf Erden sei. Lygia hörte solche Worte zum [81] erstenmal von männlichen Lippen, und je länger sie ihnen lauschte, desto klarer wurde es ihr, daß etwas in ihr wie aus einem Schlummer erwache, daß etwas sie mit Glückseligkeit erfülle, wobei unermeßliche Wonne mit unermeßlichem Weh verbunden sei. Ihre Wangen begannen zu glühen, ihr Herz zu schlagen, ihre Lippen sich wie vor Staunen zu öffnen. Angst ergriff sie, daß sie auf solche Beteuerungen höre, und doch wünschte sie um nichts auf der Welt, auch nur ein Wort davon zu verlieren. Zuweilen schlug sie die Augen nieder, dann erhob sie wiederum den klaren Blick zu Vinicius, scheu und doch fragend, als dränge es sie, ihm zu sagen: »Sprich weiter!« Der Lärm, die Musik, der Blumenduft und der Wohlgeruch arabischer Spezereien begannen sie von neuem zu betäuben. Es war Sitte in Rom, bei Tafel zu liegen; zu Hause hatte Lygia ihren Platz zwischen Pomponia und dem kleinen Aulus; jetzt aber lag Vinicius neben ihr, jung, stattlich, liebeglühend; sie empfand die Glut, die in ihm loderte, und fühlte zugleich Beschämung und Freude. Es wandelte sie eine Art von Ohnmacht, Bewußtlosigkeit und Selbstvergessenheit an, wie wenn der Schlaf sie übermannte.

Ihre Nähe begann aber auch auf Vinicius einzuwirken. Sein Gesicht wurde bleich. Seine Nüstern blähten sich wie bei einem arabischen Renner. Man konnte sehen, wie sein Herz mit ungewöhnlicher Kraft unter der Scharlachtunika schlug, denn sein Atem wurde kurz, und die Worte stockten in seinem Munde. Zum erstenmal war er hier so nahe bei ihr. Seine Ge danken begannen sich zu verwirren; in seinen Adern fühlte er ein Feuer brennen, das er vergebens mit Wein zu löschen suchte. Nicht der Wein, sondern ihr wunderschönes Antlitz, ihre bloßen Arme, ihre jungfräuliche Brust, die unter der goldgestickten Tunika wogte, und ihre mit den weißen Falten des Peplos verhüllte Gestalt berauschten ihn immer mehr. Endlich ergriff er ihre Hand oberhalb des Gelenkes, wie er es schon damals in Aulus Hause getan hatte, [82] und sie an sich ziehend, begann er mit bebenden Lippen zu flüstern: »Ich liebe dich, Kalline ... meine Göttin!«

»Laß mich los, Marcus,« rief Lygia.

Doch er fuhr fort mit umnebelten Augen: »Meine Göttin! – Liebe mich!«

In diesem Augenblicke ließ sich die Stimme Aktes, die auf der anderen Seite von Lygia lag, vernehmen: »Der Caesar beobachtet euch.«

Vinicius wurde von plötzlichem Zorn über den Caesar und Akte ergriffen. Ihre Worte hatten den Bann seines Rausches gebrochen. Dem Jüngling wäre selbst die Stimme eines Freundes in diesem Augenblicke verhaßt gewesen; er glaubte aber, Akte wolle absichtlich sein Gespräch mit Lygia unterbrechen.

Das Haupt erhebend, und über Lygias Schulter nach der jungen Freigelassenen sehend, sagte er daher spöttisch: »Die Zeit ist vorüber, Akte, wo du bei Gelagen deinen Platz neben dem Caesar hattest, und man sagt, dir drohe die Gefahr, blind zu werden; wie kannst du ihn daher sehen?«

Doch sie antwortete beinahe traurig: »Dennoch sehe ich ihn ... Auch er ist kurzsichtig und betrachtet euch durch einen Smaragd.«

Alles, was Nero tat, erregte selbst bei seiner unmittelbaren Umgebung Argwohn; Vinicius konnte sich daher fassen und wieder zu sich kommen und begann in unauffälliger Weise nach dem Caesar hinzusehen. Auch Lygia, die diesen zu Beginn des Mahles in ihrer Verwirrung nur wie durch einen Nebel erblickt, und später, durch Vinicius' Anwesenheit und die Unterhaltung abgelenkt, sich überhaupt nicht nach ihm umgesehen hatte, richtete jetzt zugleich neugierig und erschrocken ihre Blicke auf ihn.

Akte hatte die Wahrheit gesprochen. Der Caesar hatte sich über den Tisch gebeugt, ein Auge geschlossen und hielt mit der Hand vor das andere einen runden, geschliffenen Smaragd, dessen er sich stets bediente, um jemand zu beobachten. [83] Einen Augenblick begegnete sein Blick dem Lygia, und das Herz des Mädchens zog sich vor Entsetzen zusammen. Als sie, noch ein Kind, auf Aulus' sizilischem Landgute lebte, erzählte ihr eine alte ägyptische Sklavin von Drachen, die in Berghöhlen hausen, und jetzt war es ihr, als ob sich plötzlich das grünliche Auge eines solchen Drachens auf sie hefte. Wie ein Kind, das sich fürchtet, ergriff sie Vinicius' Hand mit der ihrigen, und durch ihren Kopf begannen sich Gedanken ohne Zusammenhang in rasender Flucht zu jagen. War das nicht er, der Schreckliche, der Allmächtige? Sie hatte ihn bis dahin nie gesehen und glaubte, er sehe anders aus. Sie hatte sich ein gräßliches Gesicht mit versteinerter Bosheit in den Zügen vorgestellt, und sah nun einen großen Kopf, der auf einem dicken Halse saß und zwar einen furchterregenden, aber dabei fast lächerlichen Eindruck machte, denn er hatte von fern Ähnlichkeit mit dem Kopfe eines Kindes. Eine Tunika mit amethystfarbenem Saum, die zu tragen gewöhnlichen Sterblichen verboten war, warf einen bläulichen Schimmer auf sein breites, kurzes Gesicht. Er hatte dunkle Haare, die nach einer von Otho eingeführten Mode in vier Locken nebeneinander angeordnet waren. Einen Bart trug er nicht, da er ihn vor kurzem dem Jupiter zum Opfer gebracht hatte, wofür ihm ganz Rom seinen Dank aussprach – obschon man sich im stillen zuflüsterte, er habe es deswegen getan, weil er, wie bei allen Angehörigen seiner Familie ins Rote hinüberspielte. Auf seiner über den Brauen stark hervortretenden Stirn lag jedoch etwas Olympierhaftes. Auf den zusammengezogenen Brauen konnte man deutlich das Bewußtsein seiner Allmacht lesen, doch unter dieser an einen Halbgott erinnernden Stirn sah das Gesicht eines Affen, Trunkenboldes und Kannibalen hervor, ausdruckslos, voll wechselnder Begierden, trotz seiner Jugend von Fett strotzend und doch krankhaft und häßlich. Lygia erschien es unheilverkündend, vor allem aber ekelhaft.

[84] Nach einer Weile legte er den Smaragd weg und betrachtete das Mädchen nicht länger. Jetzt erblickte sie seine vorspringenden blauen Augen, im grellen Lichte blinzelnd, glasig, geistlos, den Augen Verstorbener gleichend.

Er wandte sich an Petronius und sagte: »Ist das jene Geisel, in die sich Vinicius verliebt hat?«

»Jawohl,« antwortete Petronius.

»Wie heißt ihr Volk?«

»Lygier.«

»Vinicius hält sie für schön?«

»Bekleide einen morschen Olivenbaum mit dem Peplos einer Frau, und Vinicius wird ihn für schön erklären. Aber in deinem Antlitze, o unvergleichlicher Richter, habe ich schon das Urteil über sie gelesen. Du brauchst es nicht erst auszusprechen. So ist es. Zu dürr und zu mager! In Wahrheit ein Mohnkopf auf dünnem Stengel; aber du, o göttlicher Schönheitsfreund, schätzest am Weibe den Stengel, und hundertmal, tausendmal hast du recht! Das Gesicht allein hat keinen Wert. Ich habe viel von dir gelernt, aber eines so sicheren Blickes sind meine Augen noch nicht fähig ... Aber ich bin bereit, mit Tullius Senecio um seine Geliebte zu wetten, daß, obgleich es bei einem Gastmahle, wo alle liegen, schwierig ist, über die ganze Gestalt zu urteilen, du dir schon selbst gesagt hast: Zu eng in den Hüften!«

»Zu eng in den Hüften,« erwiderte Nero, mit den Augen blinzelnd.

Ein kaum merkliches Lächeln huschte um Petronius' Mund; Tullius Senecio aber, der sich bis dahin mit Vestinius unterhalten, oder besser gesagt, die Träume verspottet hatte, an welche dieser glaubte, wandte sich an Petronius und sagte, obgleich er nicht die geringste Ahnung hatte, worum es sich handelte: »Du irrst dich – ich stimme dem Caesar zu.«

»Sehr gut,« fiel Petronius ein. »Ich behauptete eben, du besäßest einen Funken Verstand, der Caesar aber bleibt dabei, du seiest ein ausgemachter Esel!«

[85] »Habet,« sagte Nero lachend und den Daumen nach unten kehrend, wie es im Zirkus geschah zum Zeichen, daß ein Gladiator verwundet worden war und nun den Todesstoß erhalten sollte.

Vestinus aber, welcher glaubte, das Gespräch drehe sich um die Träume, rief: »Und ich glaube doch an Träume, und Seneca sagte mir einmal, daß auch er daran glaube.«

»Letzte Nacht träumte mir, ich sei Vestalin geworden,« sagte Calvia Crispinella, indem sie sich über die Tafel beugte.

Hierauf begann der Caesar in die Hände zu klatschen, die anderen folgten seinem Beispiele und eine Zeitlang ertönte ringsherum Händeklatschen, denn Crispinella, die verschiedene Male geschieden war, war wegen ihrer unglaublichen Zügellosigkeit in ganz Rom berüchtigt.

Sie ließ sich aber nicht aus der Fassung bringen, sondern sagte: »Was wollt ihr denn? Sie sind alle alt und häßlich. Nur Rubria sieht einem Menschen ähnlich, und so würden wir zwei sein, obgleich auch Rubria Sommersprossen hat.«

»Gestehe nur, keusche Calvia,« sagte Petronius, »daß du nur im Traume eine Vestalin hättest sein wollen.«

»Und wenn der Caesar es beföhle?«

»Dann würde ich glauben, daß selbst die wunderbarsten Träume in Erfüllung gehen könnten.«

»Und sie gehen in Erfüllung,« sagte Vestinus. »Ich verstehe die Leute, welche nicht an die Götter glauben; wie aber kann man nicht an Träume glauben?«

»Und Prophezeiungen?« fragte Nero. »Man prophezeite mir einst, Rom werde untergehen und ich den ganzen Orient beherrschen.«

»Prophezeiungen und Träume sind zusammengehörige Dinge,« erwiderte Vestinus. »Einst sandte ein Prokonsul, ein großer Ungläubiger, einen Sklaven in den Tempel des Mopsus mit einem versiegelten Briefe, den er niemandem zeigen durfte, um zu sehen, ob der Gott die in dem Briefe [86] enthaltene Frage beantworten könne. Der Sklave schlief eine Nacht im Tempel, um einen wahrsagenden Traum zu haben; dann kehrte er zurück und erzählte folgendes: Es erschien mir im Traume ein Jüngling, strahlend wie die Sonne, der nur das eine Wort zu mir sprach: Den schwarzen. Als der Prokonsul dieses hörte, erblaßte er, wandte sich zu seinen Gästen, die gleich ihm ungläubig waren, und sagte: Wißt ihr, was in dem Briefe stand?«

Hier schwieg Vestinus, hob den weingefüllten Becher zum Munde und begann zu trinken.

»Was stand in dem Briefe?« fragte Senecio.

»In dem Briefe stand die Frage: Welchen Stier soll ich opfern, den weißen oder den schwarzen?«

Aber die Aufmerksamkeit, welche diese Erzählung erweckt hatte, wurde durch Vitellius abgelenkt, der schon berauscht zum Gelage gekommen war und nun plötzlich ohne jede Veranlassung in ein sinnloses Gelächter ausbrach.

»Worüber lacht denn das Talgfaß?« fragte Nero.

»Das Lachen unterscheidet den Menschen vom Tiere,« antwortete Petronius, »und er hat kein anderes Mittel, um zu beweisen, daß er nicht ein wildes Schwein ist.«

Vitellius brach mitten im Gelächter ab, leckte seine von Saucen und Fett glänzenden Lippen ab und begann die neben ihm Sitzenden mit solcher Verwunderung anzustarren, als habe er sie nie in seinem Leben gesehen.

Dann erhob er seine einem Polster gleichende Hand und sagte mit heiserer Stimme: »Der Ritterring ist mir vom Finger gefallen, den ich von meinem Vater geerbt habe.«

»Der ein Schuster war,« ergänzte Nero.

Aber Vitellius brach von neuem in unsinniges Gelächter aus und begann den Ring in Calvia Crispinellas Peplos zu suchen.

Dabei ahmte Vatinius das Geschrei eines erschreckten Weibes nach. Nigidia aber, Calvias Freundin, eine junge Witwe mit dem Gesichte eines Kindes und den Augen einer [87] Buhlerin, sagte laut: »Er sucht etwas, was er nicht verloren hat.«

»Und was ihm nichts nutzen würde, wenn er es auch fände,« setzte der Dichter Lucanus hinzu.

Das Mahl wurde belebter. Scharen von Sklaven trugen immer neue Gerichte auf; aus großen mit Schnee gefüllten und mit Efeu bekränzten Gefäßen wurden fortwährend kleinere Mischkrüge mit verschiedenen Weinsorten herausgenommen. Jedermann trank nach Belieben. Von Zeit zu Zeit fielen Rosen von der Decke auf die Tafel und die Gäste herab.

Petronius begann Nero zu bitten, das Fest mit seinem Gesange zu beehren, bevor die Gäste betrunken wären. Ein Chorus von Stimmen unterstützte seine Worte, aber Nero fing an Einwände zu machen. Es handle sich dabei nicht allein um den Mut, obgleich er diesen jedesmal verliere ... Die Götter wüßten, was ihm jeder Versuch koste ... Zwar scheue er davor nicht zurück, denn man müsse etwas für die Kunst tun, und da ihm überdies Apollo einigermaßen mit Stimme begabt habe, so sei es unrecht, göttliche Gaben unbenutzt zu lassen. Er betrachte dies sogar als eine Rücksicht, die er auf das Reich zu nehmen habe. Heute sei er aber wirklich heiser. In der Nacht habe er sich zwar Bleigewichte auf die Brust gelegt, aber dies habe nichts geholfen ... Er denke sogar daran, nach Antium zu gehen, um Seeluft zu atmen.

Lucanus fing jedoch an, ihn im Namen der Kunst und der Menschheit zu bitten. Jedermann wisse, der göttliche Dichter und Sänger habe eine neue Hymne auf Venus vollendet, gegenüber welcher die des Lucretius dem Heulen eines hungrigen Wolfes gleiche. Möchte doch dieses Fest in Wahrheit zum Feste werden. Ein so gütiger Herrscher dürfe seinen Untertanen keine solche Pein auferlegen: »Sei nicht grausam Caesar!«

»Sei nicht grausam!« wiederholten alle, die in seiner Nähe saßen.

[88] Nero streckte seine Hand aus zum Zeichen, daß er nachgeben müsse. Auf alle Gesichter trat nun ein Ausdruck der Dankbarkeit, und aller Augen richteten sich auf ihn. Doch zuvor ließ er noch Poppaea mitteilen, daß er singen wolle, und erklärte, sie sei nicht zum Feste gekommen, weil sie sich nicht wohl fühle; da ihr jedoch keine Arznei so gute Dienste leiste wie sein Gesang, so würde es ihm leid tun, wenn sie diese Gelegenheit nicht benutzen könnte.

In der Tat erschien Poppaea bald. Sie hatte bis jetzt Nero wie einen Untertanen beherrscht, wußte aber, daß, wo seine Eitelkeit als Sänger, Wagenlenker oder Dichter ins Spiel komme, es gefährlich sei, diese zu verletzen. Sie erschien daher, schön wie eine Göttin, gleich Nero in ein Gewand mit amethystfarbenem Saum gehüllt, und mit einer Halskette aus riesigen Perlen, die einst von Masinissa erbeutet worden waren, mit goldglänzendem Haar, voller Anmut und, obgleich schon von zwei Männern geschieden, mit dem Gesicht und der Haltung einer Jungfrau.

Sie wurde mit lauten Zurufen und der Bezeichnung: »göttliche Augusta« begrüßt. Lygia hatte noch nie in ihrem Leben eine ähnliche Schönheit erblickt und wollte ihren eigenen Augen nicht trauen, denn sie wußte, daß Poppaea Sabina eins der nichtswürdigsten Weiber auf der Welt war. Sie wußte von Pomponia, daß sie den Caesar zur Ermordung seiner Mutter und seiner Gemahlin angestiftet hatte, sie kannte sie aus den Gesprächen der Gäste und Diener im Aulusschen Hause; sie hatte gehört, daß nachts ihre Statuen in der Stadt umgestürzt worden seien; sie hatte von Epigrammen gehört, deren Verfasser mit den schwersten Strafen belegt wurden und die dennoch jeden Morgen wieder an den Mauern der Stadt erschienen. Doch jetzt, beim Anblick dieser berüchtigten Poppaea, die bei den Anhängern Christi als die Verkörperung des Bösen und des Lasters betrachtet wurde, war es ihr, als ob so nur Engel oder himmlische Geister aussehen könnten. Sie vermochte geradezu ihre Augen nicht[89] von ihr zu wenden, und unwillkürlich entschlüpfte ihren Lippen die Frage: »Ach, Marcus, ist das möglich?«

Er jedoch, vom Weine erregt und beinahe zornig, daß so viele Dinge ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen und sie von ihm und seiner Unterhaltung ablenkten, sagte: »Jawohl, sie ist schön, aber du bist tausendmal schöner. Du kennst dich selbst nicht, sonst würdest du dich in dich selbst verlieben wie Narcissus ... Sie badet sich in Eselsmilch, aber dich hat Venus in ihrer eigenen gebadet. Du kennst dich nicht, ocelle mi ... Schau nicht auf sie; richte deine Augen auf mich, ocelle mi! Berühre mit deinen Lippen diesen Becher Wein, und dann will ich die meinigen an dieselbe Stelle legen ...«

Er näherte sich ihr immer mehr, doch sie begann von ihm weg nach der Seite zu rücken, wo Akte saß. Aber jetzt wurde Schweigen geboten, denn der Caesar hatte sich erhoben. Der Sänger Diodoros hatte ihm eine Laute von der Art überreicht, die man Delta nannte, Terpnos, der ihn beim Spiele zu begleiten hatte, näherte sich mit einem Instrument, das Stablium hieß. Nero stützte die Delta auf die Tafel und erhob die Augen; eine Zeitlang herrschte im Triclinium tiefes Schweigen, das nur von dem Geräusch unterbrochen wurde, welches die von der Decke herabfallenden Rosen fortwährend verursachten.

Dann begann er seine Hymne auf Venus zu singen oder besser gesagt, in singendem, rhythmischem Tonfall zu den Klängen der beiden Lauten zu deklamieren. Weder die Stimme, obgleich etwas angegriffen, noch die Verse waren schlecht, so daß die arme Lygia von neuem Gewissensbisse bekam, denn obgleich die Hymne die heidnische unkeusche Venus verherrlichte, kam sie ihr nur allzu schön vor, und der Caesar selbst erschien ihr mit seinem Lorbeerkranze auf dem Haupte und seinen emporgeschlagenen Augen edler, viel weniger furchtbar und weniger abstoßend als beim Beginn des Mahles.

[90] Die Gäste beantworteten den Gesang mit stürmischem Beifall. Die Ausrufe: »O himmlische Stimme« wurden ringsumher laut; einige Frauen erhoben die Hände zum Himmel und verharrten zum Zeichen des Entzückens in dieser Stellung, selbst als der Gesang schon zu Ende war; andere trockneten sich die Augen von Tränen; im ganzen Saale summte es wie in einem Bienenstocke. Poppaea beugte sich mit ihrem goldschimmernden Haupte herab, zog Neros Hand an die Lippen und hielt sie lange wortlos fest. Der junge Pythagoras aber, ein Grieche von wunderbarer Schönheit, derselbe, mit dem sich später der schon halbwahnsinnige Nero unter Beobachtung aller Zeremonien durch die Flamines vermählen lassen wollte, kniete jetzt zu seinen Füßen nieder.

Doch Nero blickte gespannt auf Petronius, auf dessen Lob es ihm stets vor allem ankam; dieser aber sagte: »Was die Musik betrifft, so muß Orpheus in diesem Augenblicke so gelb vor Neid sein, wie Lucanus hier neben dir; und was die Verse anlangt, so bedauere ich, daß sie nicht schlechter sind; denn dann wäre ich vielleicht imstande, Worte zu finden, mit denen ich sie gebührend loben könnte.«

Lucanus aber nahm ihm die Anspielung auf seinen Neid nicht übel; er wußte ihm im Gegenteil eher Dank und begann, indem er schlechte Laune heuchelte, zu murmeln: »Verfluchtes Schicksal, das du mich dazu verurteilt hast, zu derselben Zeit wie ein solcher Dichter zu leben. Ich würde sonst einen Platz im Andenken der Menschen und auf dem Parnaß haben und muß jetzt verbleichen wie Lampenlicht vor der Sonne.«

Petronius, der ein erstaunliches Gedächtnis besaß, begann nun Stellen aus der Hymne zu wiederholen, einzelne Verse zu zitieren, die schönsten Gedanken zu rühmen und zu zergliedern. Lucanus, der angesichts der Schönheit der Dichtung seinen Neid vergessen zu haben schien, setzte Petronius' Lobsprüche begeistert fort. Auf Neros Gesicht spiegelte sich Befriedigung und maßlose Eitelkeit, die nicht nur an Narrheit[91] grenzte, sondern ihr vollständig glich. Er selbst wiederholte ihnen die Verse, die er für die schönsten hielt, und begann endlich Lucanus zu trösten und ihm zu sagen, er möge nur den Mut nicht verlieren, denn wie man das bleibe, was man von Geburt aus sei, so schließe die Ehrfurcht, welche die Menschen dem Jupiter erweisen, nicht die Ehrfurcht vor den anderen Göttern aus.

Darauf erhob er sich, um Poppaea zu begleiten, die wirklich unwohl war und sich zurückzuziehen wünschte. Aber er hieß die Gäste, welche sich erhoben hatten, wieder Platz nehmen und versprach, zurückzukehren. Wirklich kehrte er nach einiger Zeit zurück, um sich von neuem an dem Weihrauchdufte zu berauschen und den weiteren Schaustellungen beizuwohnen, die er selbst, Petronius oder Tigellinus für das Fest angeordnet hatten.

Von neuem wurden Verse zitiert oder Dialoge zum Vortrag gebracht, in denen Schwulst die Stelle des Geistes vertrat. Nachher stellte Paris, der berühmte Mime, die Abenteuer der Jo, der Tochter des Inachos, dar. Die Gäste, und namentlich Lygia, denen solche Schauspiele neu waren, glaubten Wunder und Zauberkünste zu sehen. Paris vermochte lediglich durch Bewegungen der Hände und des Körpers Dinge auszudrücken, die sich anscheinend im Tanze nicht darstellen ließen. Seine Hände fuhren in der Luft umher und schufen aus ihr eine Wolke, die, strahlend, lebend, zitternd, liebeheischend die halb ohnmächtige, wonnebebende Gestalt einer Jungfrau umfloß. Es war ein Gemälde, nicht ein Tanz, ein glänzendes Gemälde, das die Geheimnisse der Liebe entschleierte, bezaubernd und schamlos, und als nun nach dem Schlusse des Schauspiels Korybanten hereinrasten und mit syrischen Mädchen zum Klange von Lauten, Flöten, Zimbeln und Tambourins einen bakchantischen Tanz begannen, der von wildem Geschrei und noch wilderer Ausgelassenheit begleitet war, da war es Lygia, als glühe in ihren Adern lebendes Feuer, als müsse der Blitz auf dieses Haus [92] herabflammen oder die Decke über den Häuptern der Schmausenden zusammenbrechen.

Aber aus dem goldenen Netze, das an der Decke befestigt war, fielen nur Rosen herab, und der schon halbberauschte Vinicius sagte zu ihr: »Ich sah dich im Hause des Aulus am Springbrunnen und gewann dich lieb. Es war in der Morgendämmerung; du glaubtest unbemerkt zu sein, aber ich sah dich. Ich sehe dich so auch jetzt noch, obgleich der Peplos dich mir verbirgt. Wirf den Peplos ab wie Crispinella. Sieh, Götter und Menschen verlangen nach Liebe. Es gibt außer ihr nichts auf der Welt. Lehne dein Haupt an meine Brust und schließe die Augen.«

Lygias Pulse an Schläfen und Händen schlugen zum Zerspringen. Sie hatte den Eindruck, als ob sie in einen Abgrund stürze und Marcus, der ihr anfangs so hilfsbereit und vertrauenerweckend erschienen war, anstatt sie zu retten, sie in diesen hineinziehe. Ein brennender Schmerz durchzuckte sie. Die Furcht vor diesem Feste, vor Vinicius und vor sich selbst bemächtigte sich ihrer von neuem. In ihrer Seele erklang eine Stimme, ähnlich der Pomponias, die ihr zurief: Lygia, rette dich! Aber etwas sagte ihr auch, daß es schon zu spät sei, daß, wen eine solche Glut ergriffen, wer dem allen, was sich bei diesem Gastmahle ereignete, zugesehen, wessen Herz so geschlagen habe wie das ihrige, als sie Vinicius' Worte vernahm, und wen ein solcher kalter Schauder ergriffen habe wie sie, als er sich ihr näherte, daß der rettungslos verloren sei. Eine Schwäche überkam sie. Zuweilen war es ihr, als sollte sie in Ohnmacht fallen, und dann würde sich etwas Schreckliches ereignen. Sie sah, daß es aus Furcht vor des Caesars Zorn niemand wagte, aufzustehen, ehe sich dieser selbst erhob; wenn dies aber auch nicht der Fall gewesen wäre, so hätte sie nicht mehr die Kraft dazu gehabt.

Das Gelage war noch lange nicht zu Ende. Sklaven trugen noch neue Schüsseln auf und füllten unaufhörlich die [93] Becher mit Wein und vor der in Hufeisenform aufgestellten Tafel traten zwei Athleten auf, um den Gästen das Schauspiel eines Ringkampfes zu geben.

Bald begannen sie zu ringen. Die kraftvollen von Öl glänzenden Körper bildeten eine einzige Masse, ihre Knochen krachten in den stahlharten Armen, aus den zusammengepreßten Kinnladen erklang das Knirschen der Zähne. Bisweilen hörte man nur das rasche, dumpfe Stampfen ihrer Tritte auf dem mit Safran bestreuten Fußboden; bald standen sie wieder bewegungslos, still da, so daß die Zuschauer eine aus Stein gehauene Gruppe vor sich zu haben glaubten. Die Augen der Römer folgten voller Entzücken dem Spiel der auf das äußerste angespannten Muskeln des Rückens, der Beine und der Arme. Aber der Kampf dauerte nicht allzulange. Denn Kroton, ein Meister und Leiter einer Gladiatorenschule, galt nicht umsonst für einen der stärksten Männer des Reiches. Sein Gegner begann immer schwerer zu atmen, dann zu röcheln; sein Gesicht färbte sich blau, schließlich drang Blut aus seinem Munde, und er stürzte zu Boden.

Stürmischer Beifall folgte auf die Beendigung des Kampfes. Kroton setzte einen Fuß auf die Schultern des Gegners, kreuzte die riesigen Arme über der Brust und blickte sich triumphierend im Saale um.

Nun erschienen Männer, welche Tiere und deren Stimmen nachahmten, Jongleure und Possenreißer; aber nur wenige blickten nach ihnen, denn der Wein hatte die Augen der Zuschauer schon umnebelt. Das Gastmahl verwandelte sich allmählich in eine wüste Säuferorgie. Die syrischen Mädchen, welche vorher die bakchantischen Tänze aufgeführt hatten, mischten sich jetzt unter die Gäste. Die Musik ging in ein regelloses wildes Getöse von Zithern, Lauten, armenischen Zimbeln, ägyptischen Sistren, Trompeten und Hörnern über. Als aber einige der Gäste zu reden wünschten, begann man den Musikern zuzurufen, sie möchten sich rasch entfernen. [94] Die Luft, überladen mit dem Dufte der Blumen und der wohlriechenden Öle, mit denen schöne Knaben die Füße der Gäste während des Mahles benetzten, angefüllt mit dem Safrangeruch und den Ausdünstungen der Menschen, wurde stickig und schwül; die Lampen brannten düsteren Scheines, die Kränze fielen von den Häuptern herunter, die Gesichter wurden blaß und bedeckten sich mit Schweißtropfen.

Vitellius fiel unter den Tisch. Nigidia entblößte sich bis zum Gürtel und lehnte ihr betrunkenes Kinderköpfchen an Lucanus' Brust, und dieser, ebenfalls berauscht, begann den Goldstaub aus ihrem Haar wegzublasen und ließ seine Augen mit namenlosem Entzücken auf ihrer Brust ruhen. Vestinus wiederholte mit der Beharrlichkeit eines Betrunkenen zum zehntenmal die Antwort des Mopsus auf den versiegelten Brief des Prokonsuls. Tullius aber, welcher die Götter verachtete, sagte mit gedehnter, von Schlucken unterbrochener Stimme: »Wenn der Sphairos des Xenophanes rund ist, siehst du, so kann man ja einen solchen Gott mit dem Fuße vor sich herstoßen wie ein Faß.«

Aber Domitius Afer, ein alter Sünder, der sich auch mit Angebereien befaßte, entrüstete sich über eine solche Rede und beschüttete sich aus Empörung darüber die ganze Tunika mit Falerner. Er habe stets an die Götter geglaubt. Man sage, Rom werde untergehen, ja es gebe sogar solche, welche behaupteten, es sei schon im Untergehen begriffen. Und gewiß ... Aber wenn es geschehen sollte, so geschehe es nur deswegen, weil die Jugend keinen Glauben mehr besitze, und ohne Glaube könne es auch keine Tugend geben. Man habe auch die alten rauhen Sitten verlassen, und niemandem käme es in den Sinn, daß Epikureer den Barbaren keinen Widerstand leisten wurden. Aber es sei alles vergeblich. Was ihn betreffe, so bedauere er, daß er in einer solchen Zeit lebe; er müsse seine Zuflucht zu Vergnügungen nehmen, um den Kummer zu verscheuchen, der ihn sonst bald dahinraffen werde.

[95] Bei diesen Worten zog er eine syrische Tänzerin zu sich heran und begann ihr Hals und Schultern mit seinem zahnlosen Munde zu küssen. Als der Konsul Memmius Regulus dies sah, lachte er, warf seinen kahlen, mit einem schief sitzenden Kranze geschmückten Kopf empor und rief: »Wer sagt, daß Rom untergehe? Dummheit! Ich als Konsul weiß es am besten. Videant consules! Dreißig Legionen schirmen unsere pax Romana! ...«

Hier legte er die Fäuste an die Schläfen und begann aus vollem Halse zu brüllen: »Dreißig Legionen! ... dreißig Legionen ... von Britannien bis zur parthischen Grenze!«

Aber plötzlich hielt er inne, legte den Finger an die Stirn und rief: »Bei allen Göttern, es sind sogar zweiunddreißig.«

Er fiel unter den Tisch, wo er nach einiger Zeit begann, Flamingozungen, gebratene Pilze, gefrorene Schwämme, Heuschrecken in Honig, Fische, Fleisch und alles, was er gegessen und getrunken hatte, von sich zu geben.

Doch Domitius ließ sich durch die Zahl der Legionen, welche den römischen Frieden beschirmten, nicht beschwichtigen. »Nein, nein! Rom muß untergehen, denn der Glaube an die Götter und die alten Sitten sind geschwunden. Rom muß untergehen, und das ist schade! Denn das Leben ist doch schön, der Caesar gnädig und der Wein gut. Ach, es ist zu schade!«

Er stützte seinen Kopf auf die Schulter der syrischen Bakchantin und brach in Tränen aus.

»Was ist doch das zukünftige Leben! Achilleus hatte recht, daß es besser ist, ein Sklave auf der Welt unter der Sonne zu sein, als ein König auf den kimmerischen Gefilden. Und doch ist es die Frage, ob es wirklich Götter gibt, obschon der Unglaube die Jugend verdirbt.«

Lucanus hatte unterdessen allen Goldpuder aus den Haaren Nigidias geblasen, die in ihrer Betrunkenheit eingeschlafen war. Nun nahm er Efeuzweige aus der vor ihm stehenden [96] Vase, bekränzte die Schlafende damit und begann, nachdem er mit dieser Beschäftigung zu Ende war, die Anwesenden mit seligen und fragenden Blicken anzusehen.

Dann bekränzte er auch sich selbst mit Efeu, indem er im Tone der tiefsten Überzeugung hinzufügte: »Ich bin überhaupt kein Mensch, ich bin nur ein Faun.«

Petronius war nicht betrunken, Nero dagegen, der anfangs aus Rücksicht auf seine »himmlische« Stimme wenig getrunken hatte, hatte gegen das Ende zu Becher auf Becher geleert und sich berauscht. Er wollte sogar weitere Verse von sich singen, diesmal griechische, aber er vergaß sie und sang aus Irrtum eine Ode Anakreons. Pythagoras, Diodoros und Terpnos begleiteten ihn dazu; da er aber immer aus dem Takte kam, hörten sie bald auf. Nero begann als Kenner und Schönheitsfreund Pythagoras' Anmut begeistert zu preisen und ihm vor Entzücken die Hände zu küssen. So schöne Hände hatte er nur einmal gesehen; wem gehörten sie doch gleich?

Er legte die Hand an seine feuchte Stirn und sann nach. Nach einer Weile nahm sein Gesicht einen angstvollen Ausdruck an: »Ah, bei meiner Mutter, bei Agrippina!«

Plötzlich traten düstere Bilder vor seinen Geist.

»Man sagt,« sprach er, »sie wandle nachts bei Mondschein auf dem Meere bei Bajae und Bauli umher ... Sie wandelt bloß, wandelt bloß, als ob sie etwas suche. Und wenn sie einem Boote begegnet, so sieht sie es an und geht vorüber, der Fischer aber, nach dem sie geblickt hat, stirbt.«

»Kein schlechtes Thema!« sagte Petronius.

Vestinus streckte seinen Hals aus wie ein Storch und flüsterte geheimnisvoll: »Ich glaube nicht an die Götter, wohl aber an Geister – o!«

Aber Nero achtete nicht auf ihre Worte, sondern fuhr fort: »Und doch habe ich die Totenfeier begangen. Ich will sie nicht sehen. Es sind jetzt schon fünf Jahre her. Ich mußte sie verurteilen, ich mußte es, denn sie hatte Mörder [97] nach mir geschickt, und wenn ich ihr nicht zuvor gekommen wäre, so hättet ihr heute meinen Gesang nicht hören können.«

»Wir sagen dir dafür unseren Dank, Caesar, im Namen der Stadt und der Welt,« rief Domitius Afer.

»Wein her! und laßt die Pauken schlagen!«

Der Lärm begann von neuem. Lucanus, ganz mit Efeu umwunden, versuchte ihn zu überbieten; er stand auf und rief: »Ich bin kein Mensch, sondern ein Faun und wohne in den Wäldern! E ... cho ... ooo!«

Schließlich betrank sich der Caesar, Männer und Frauen betranken sich. Vinicius war nicht weniger berauscht als die anderen, und außerdem erwachte in ihm neben der Lüsternheit die Händelsucht, die ihn jedesmal überkam, wenn er das Maß überschritt. Sein gebräuntes Gesicht wurde noch bleicher, und seine Zunge stotterte, als er in leisem, aber doch zugleich gebieterischem Tone sagte: »Reiche mir deine Lippen! Heute, morgen, alles gleich! Genug davon! Der Caesar hat dich von Aulus wegholen lassen, um dich mir zu schenken, verstehst du? Morgen schicke ich nach dir, verstehst du! ... Der Caesar versprach dich mir, ehe er dich holen ließ ... Du mußt mein sein ... Reiche mir deine Lippen! ich will nicht bis morgen warten ... reiche mir rasch deine Lippen!«

Er wollte sie umarmen, aber Akte begann sie zu verteidigen, und auch Lygia selbst sträubte sich mit ihrer letzten Kraft, denn sie fühlte, daß sie sonst zu grunde gehen müßte. Vergebens versuchte sie aber mit beiden Händen seine haarlosen Arme zurückzustoßen; vergebens bat sie ihn mit einer Stimme, in welcher Schmerz und Schreck zitterten, er möge dies unterlassen und Mitleid mit ihr haben. Sein nach Wein riechender Atem kam ihr immer näher, und sein Gesicht berührte beinahe das ihre. Es war nicht mehr der alte, gütige und ihr beinahe teure Vinicius, sondern ein betrunkener, teuflischer Satyr, der sie mit Entsetzen und Ekel erfüllte.

[98] Aber ihre Kräfte verließen sie immer mehr. Vergebens bog sie sich zurück und wandte ihr Gesicht ab, um seinen Küssen zu entgehen. Er erhob sich, umfaßte sie mit beiden Armen, drückte ihren Kopf an seine Brust und versuchte keuchend seine Lippen auf ihren blassen Mund zu drücken.

In diesem Augenblicke jedoch riß eine furchtbare Kraft seine Arme mit solcher Leichtigkeit von ihrem Halse fort, als wären es die eines Kindes, und stieß ihn beiseite, wie einen trockenen Zweig oder ein welkes Blatt. Was ging vor? Vinicius rieb sich die umnebelten Augen und erblickte plötzlich neben sich die riesige Gestalt des Lygiers Ursus, den er in Aulus' Hause kennen gelernt hatte.

Der Lygier blieb ruhig stehen und sah Vinicius nur mit seinen blauen Augen so drohend an, daß dem jungen Manne das Blut in den Adern gerann, dann nahm er seine Königin auf den Arm und verließ gleichmäßigen, ruhigen Schrittes das Triclinium.

Akte folgte ihnen auf dem Fuße.

Vinicius blieb einen Augenblick wie versteinert sitzen, dann raffte er sich auf und begann nach dem Ausgange zu eilen, und zu rufen: »Lygia, Lygia!«

Doch Begierde, Verblüffung, Wut und Wein hinderten ihn am Gebrauche seiner Füße. Er stolperte ein und das andere Mal, dann faßte er den nackten Arm einer Bakchantin und fragte blinzelnden Auges: »Was ist denn los?«

Sie ergriff einen Becher Wein, reichte ihn ihm mit einem Lächeln in den umnebelten Augen und sagte: »Trinke!«

Vinicius trank und fiel zu Boden.

Die Mehrzahl der Gäste lag bereits unter dem Tische; andere schritten schwankenden Fußes durch das Triclinium, andere schliefen auf Polsterbänken schnarchend oder im Schlafe das Übermaß des Weines von sich gebend, und auf die betrunkenen Konsuln und Senatoren, auf die betrunkenen Ritter, Dichter, Philosophen, auf die betrunkenen Tänzerinnen und Patrizierinnen, auf diese ganze Welt, die noch alles [99] beherrschte, die jetzt leblos, bekränzt und mit aufgelösten Kleidern dalag und für den Untergang reif war, fielen aus dem an der Decke befestigten goldenen Netze unaufhörlich Rosen um Rosen.

Draußen aber begann es hell zu werden.

Achtes Kapitel

Achtes Kapitel.

Niemand hielt Ursus zurück oder fragte ihn auch nur, was er tue. Diejenigen Gäste, die nicht unter dem Tische lagen, weilten nicht mehr auf ihren Plätzen. Als daher die Diener den Riesen eine der eingeladenen Frauen auf dem Arme hinaustragen sahen, glaubten sie, ein Sklave führe seine betrunkene Herrin fort. Überdies war Akte bei ihnen, und ihre Gegenwart zerstreute jeglichen Verdacht.

Auf diese Weise gelangten sie aus dem Triclinium in das anstoßende Gemach und von da in den zu Aktes Wohnung führenden Gang.

Lygia hatte ihre Kraft in dem Maße verlassen, daß sie wie leblos an Ursus' Arme hing. Als ihr jedoch die kühle, reine Morgenluft entgegen wehte, schlug sie die Augen auf. Die Umgebung wurde immer heller. Nachdem sie eine Zeitlang die Säulenreihe entlang gegangen waren, bogen sie in einen Seitenportikus ein und betraten von da nicht den Hof, sondern den Garten des Palastes, wo sich die Wipfel der Pinien und Zypressen bereits in der Morgensonne röteten. Dieser Teil des riesigen Gebäudes war unbewohnt, und die Töne der Musik sowie der Lärm des Festes drangen immer undeutlicher an ihre Ohren. Lygia war es, als sei sie der Hölle entronnen und in Gottes freie Welt versetzt. Es gab also noch etwas außer jenem gräßlichen Triclinium. Es gab Himmel, Morgenrot, Licht und Stille. Plötzlich schossen dem Mädchen Tränen in die Augen, und weinend sagte es, auf den Arm des Riesen gestützt: »Nach Hause, Ursus! nach Hause, zu Aulus!«

[100] »Laß uns gehen!« antwortete Ursus.

Inzwischen waren sie in das kleine Atrium gelangt, das vor Aktes Wohnung lag. Hier geleitete Ursus Lygia zu einer Marmorbank gegenüber dem Springbrunnen; Akte begann sie zu trösten und gab ihr den Rat, sich zur Ruhe zu begeben, indem sie versicherte, für den Augenblick drohe ihr keine Gefahr, da die betrunkenen Gäste nach dem Gelage bis zum Abend schlafen würden. Aber Lygia wollte sich lange Zeit hindurch nicht beruhigen lassen und wiederholte nur, die Hände an die Schläfen pressend, wie ein Kind, die Worte: »Nach Hause, zu Aulus!«

Ursus war dazu bereit. An den Toren standen zwar Prätorianer, aber er würde schon an ihnen vorbeikommen. Die Soldaten würden herausgehende Leute nicht aufhalten. Vor dem Tore wimmelte es von Sänften. Die Gäste begännen in ganzen Scharen herauszuströmen. Niemand würde sie zurückhalten. Sie würden sich unter der Menschenmenge verlieren und könnten geradeswegs nach Hause gehen. Was ginge ihn dies übrigens an? Wie seine Königin befehle, so müsse es sein. Dazu sei er hier.

Und Lygia wiederholte: »Ja, Ursus, wir wollen gehen.«

Akte mußte Vernunft für beide haben. Sie würden hinaus gelangen, jawohl! Niemand würde sie zurückhalten. Aber es sei nicht gestattet, aus dem Hause des Caesars zu fliehen, und wer es tue, begehe ein Majestätsverbrechen. Sie würden hinausgelangen, aber am Abend werde ein Centurio an der Spitze einer Abteilung Soldaten Aulus und Pomponia Graecina das Todesurteil überbringen, Lygia aber werde von neuem in den Palast gebracht werden, und dann gäbe es für sie keine Rettung mehr. Falls Aulus sie unter sein Dach aufnehme, erwarte ihn und seine ganze Familie sicherer Tod.

Lygia ließ die Arme sinken. Es gab keinen Ausweg. Sie mußte zwischen dem Verderben der Familie des Plautius und ihrem eigenen wählen. Als sie zum Feste ging, [101] hatte sie noch die Hoffnung, Vinicius und Petronius würden sie vom Caesar losbitten und der Pomponia zurückgeben, jetzt aber wußte sie, daß diese selbst den Caesar veranlaßt hatten, sie von Aulus wegführen zu lassen. Es gab keinen Ausweg. Nur ein Wunder konnte sie vor diesem Abgrunde retten, ein Wunder und die Macht Gottes.

»Akte,« rief sie voller Verzweiflung, »hast du gehört, was Vinicius sagte, daß mich der Caesar ihm geschenkt habe und daß er heut abend Sklaven schicken und mich in sein Haus schleppen lassen wolle?«

»Ich hörte es,« erwiderte Akte.

Sie faltete die Hände und schwieg. Die Verzweiflung, mit welcher Lygia gesprochen hatte, fand in ihrem Herzen kein Echo. Sie war ja früher selber Neros Geliebte gewesen. Obgleich ihr Herz gut war, vermochte sie doch die Schmach eines solchen Verhältnisses nicht zu fassen. Als frühere Sklavin war sie zu sehr an die Gesetze der Sklaverei gewöhnt, und außerdem liebte sie Nero immer noch. Wenn er zu ihr zurückkehren wollte, sie würde ihm die Arme entgegenbreiten wie dem Glücke. Es war ihr klar, daß Lygia entweder die Geliebte des jungen, schönen Vinicius werden oder sich und die ganze Familie des Aulus ins Verderben stürzen müsse, und begriff nicht, wie das Mädchen überhaupt schwanken konnte.

»In dem Hause des Caesars,« sagte sie nach einer Weile, »könntest du nicht sicherer sein als bei Vinicius.«

Es kam ihr nicht in den Sinn, daß, welche Ausdrücke sie auch immer wählen mochte, ihre Worte bedeuteten: »Füge dich in dein Los und werde Vinicius' Konkubine.«

Aber Lygia, die auf ihren Lippen noch seine von tierischer Begierde entflammten und wie glühende Kohlen brennenden Küsse fühlte, stieg das Blut vor Scham nur bei der Erinnerung daran ins Gesicht.

»Niemals,« rief sie heftig. »Nie werde ich hier oder bei Vinicius bleiben.«

[102] Akte unterbrach diesen Ausbruch.

»Aber,« fragte sie, »ist dir denn Vinicius so verhaßt?«

Doch Lygia vermochte nicht zu antworten, da ihr von neuem die Tränen in die Augen schossen. Akte zog sie an ihre Brust und versuchte sie zu trösten. Ursus atmete schwer und ballte die riesigen Fäuste, denn seiner Königin mit der Treue eines Hundes ergeben, konnte er es nicht ertragen, sie weinen zu sehen. In seinem lygischen, halbwilden Herzen stieg der Wunsch auf, in den Saal zurückzukehren, um Vinicius und im Notfalle auch den Caesar zu erwürgen; doch er fürchtete, seine Herrin dadurch zu gefährden, und wußte nicht genau, ob eine solche Tat, die ihm ganz einfach erschien, sich für einen Bekenner des gekreuzigten Lammes schicke.

Nachdem Lygia sich etwas beruhigt hatte, fragte Akte von neuem: »Ist er dir denn so sehr verhaßt?«

»Nein,« erwiderte Lygia, »ich darf ihn nicht hassen, denn ich bin Christin.«

»Ich weiß es, Lygia. Aus den Briefen des Paulus von Tarsos weiß ich auch, daß ihr euch nicht mit Schande beladen und den Tod nicht mehr fürchten dürft als die Sünde; doch sage mir, gestattet dir dein Glaube, den Tod anderer zu verursachen?«

»Nein.«

»Wie kannst du dann die Rache des Caesars auf das Haus des Aulus herabbeschwören?«

Eine Weile herrschte Schweigen. Vor Lygia tat sich von neuem ein bodenloser Abgrund auf.

Die junge Freigelassene fuhr fort: »Ich frage, weil du mir leid tust und die gute Pomponia und Aulus und ihr Kind. Ich lebe lange in diesem Hause und weiß, was des Caesars Zorn für Folgen hat. Nein! Ihr dürft nicht von hier fliehen. Nur ein Ausweg bleibt dir: Vinicius zu bitten, daß er dich Pomponia zurückgibt.«

Aber Lygia fiel auf die Kniee, um einen anderen um [103] Erbarmen anzuflehen. Nach einiger Zeit kniete auch Ursus nieder. Und beide begannen im Hause des Caesars beim Strahle der Morgensonne zu beten.

Akte sah zum erstenmal ein solches Gebet und vermochte ihre Augen von Lygia nicht abzuwenden, die, von ihr im Profil gesehen, mit erhobenem Haupt und erhobenen Händen zum Himmel blickte, als ob sie von dort Rettung erwarte. Die Morgensonne warf ihr Licht auf ihr dunkles Haar und den weißen Peplos und brach sich in dessen Falten; ganz von Glanz umflossen schien Lygia selbst eine Lichtgestalt zu sein. Auf ihrem blassen Antlitz, auf den geöffneten Lippen, in den zum Himmel emporgehobenen Armen und Augen war überirdische Inbrunst zu lesen. Und Akte verstand es jetzt, warum Lygia niemals Konkubine sein konnte. Vor der früheren Geliebten Neros zerriß gleichsam ein Stück des Vorhanges, der eine ganz andere Welt, als ihre eigene war, von der ihr bekannten trennte. Dieses Gebet in diesem Hause des Lasters und Verbrechens setzte sie in Erstaunen. Einen Augenblick früher war es ihr gewesen, als ob es für Lygia keine Rettung gebe, jetzt begann sie zu glauben, etwas Unerwartetes könne sich ereignen, ein Retter werde erscheinen, so machtvoll, daß selbst der Caesar sich mit ihm nicht messen könne, ein beschwingtes Heer werde dem Mädchen herab zum Beistand eilen oder die Sonne werde Lygia ihre Strahlen unterbreiten und sie zu sich hinaufziehen. Sie hatte schon von vielen Wundern bei den Christen gehört und glaubte nunmehr, alles müsse buchstäblich wahr sein, da Lygia mit dieser Inbrunst betete.

Endlich erhob sich Lygia mit hoffnungsfreudigem Antlitz. Auch Ursus stand auf, näherte sich der Bank und blickte seine Herrin an, ihrer Befehle gewärtig.

Doch ihre Augen umflorten sich wieder, und zwei große Tränen begannen langsam ihre Wangen hinabzurinnen.

»Gott segne Pomponia und Aulus,« sagte sie. »Ich darf nicht das Verderben auf sie herabbeschwören und werde sie daher niemals wiedersehen.«

[104] Dann wandte sie sich an Ursus und sagte ihm, er bleibe ihr nun allein auf der Welt und müsse nun ihr Vater und Beschützer sein. Sie dürften nicht bei Aulus Zuflucht suchen, um den Zorn des Caesars nicht auf ihn zu laden. Aber sie könne auch weder im Hause des Caesars noch bei Vinicius bleiben. Ursus solle sie daher mit sich nehmen und aus der Stadt führen, um sie irgendwo zu verbergen, wo weder Vinicius noch dessen Sklaven sie auffinden könnten. Sie wolle ihm überall hin folgen, und wäre es übers Meer, über die Berge, zu den Barbaren, wo man den Namen Roms nie gehört habe und wohin des Caesars Macht nicht reiche. Ursus solle sie mit sich nehmen und retten, denn er bleibe ihr allein übrig.

Der Lygier war bereit, und zum Zeichen seines Gehorsams warf er sich vor ihr nieder und umfaßte ihre Füße. Aber auf Aktes Gesicht, die ein Wunder erwartet hatte, spiegelte sich Enttäuschung. Vermochte dieses Gebet nur so viel? Aus dem Hause des Caesars fliehen hieße sich eines Majestätsverbrechens schuldig machen, das notwendig Strafe verdiene, und selbst wenn es Lygia gelänge, sich zu verbergen, so würde der Caesar sich an Aulus und seiner ganzen Familie rächen. Wenn sie fliehen wolle, so möge sie aus Vinicius' Hause fliehen. Dann werde der Caesar, der es nicht liebe, sich in fremde Angelegenheiten zu mischen, Vinicius vielleicht nicht einmal bei der Verfolgung unterstützen; auf jeden Fall aber werde es kein Majestätsverbrechen sein.

Lygia aber dachte folgendermaßen: Aulus sollte nicht wissen, wo sie sich aufhielte, nicht einmal Pomponia. Sie wolle nicht aus Vinicius' Hause entfliehen, sondern unterwegs. Er habe ihr in seiner Betrunkenheit verraten, daß er sie am Abend durch seine Sklaven abholen lassen wolle. Er habe sicher die Wahrheit gesprochen, die er nicht ausgeplaudert haben würde, wenn er nüchtern gewesen wäre. Offenbar sei er selber oder vielleicht zusammen mit Petronius vor dem Gastmahl beim Caesar gewesen und von ihm die Erlaubnis [105] bekommen, sie am nächsten Abend abholen lassen zu dürfen. Und wenn er sie heute vergesse, so werde er morgen nach ihr schicken. Aber Ursus werde sie retten. Er werde erscheinen, sie aus der Sänfte heben, wie er sie aus dem Triclinium herausgeführt habe, und dann würden sie in die weite Welt gehen. Niemand könne Ursus widerstehen. Ihm könne nicht einmal jener furchtbare Athlet Widerstand leisten, der gestern im Triclinium gerungen habe. Doch weil Vinicius vielleicht eine große Anzahl Sklaven schicken werde, so solle Ursus sogleich zum Bischof Linus gehen und ihn um Rat und Hilfe bitten. Der Bischof werde sich aus Erbarmen ihrer annehmen, nicht zugeben, daß sie in Vinicius' Hände falle, und Christen befehlen, Vinicius zu helfen und sich an ihrer Rettung zu beteiligen. Sie würden sie entführen und vor Ge fahren schützen; dann werde es Ursus gelingen, sie aus der Stadt zu bringen und irgendwo vor der römischen Macht zu verbergen.

Ihr Antlitz begann sich von neuem zu röten, und ein Lächeln überflog ihre Züge. Neue Zuversicht erwachte in ihr, als habe sich die Hoffnung auf Rettung bereits verwirklicht. Stürmisch warf sie sich an Aktes Brust, küßte sie mit ihren schönen Lippen auf die Wange und fragte: »Du wirst uns nicht verraten, Akte, nicht wahr?«

»Beim Schatten meiner Mutter,« entgegnete die Freigelassene, »ich verrate euch nicht. Bete nur zu deinem Gott, daß Ursus imstande sei, dich zu entführen.«

Die blauen kindlichen Augen des Riesen strahlten vor Glück. Ihm sei es nicht gelungen, einen Plan auszudenken, so sehr er sich auch seinen armen Kopf zermartert habe; aber so etwas ... dazu sei er imstande. Und ob es bei Tage oder bei Nacht geschehen solle, sei ihm ganz gleich ... Er wolle zum Bischof gehen, denn der Bischof lese am Himmel, was erforderlich sei und was nicht. Aber auch von Christen könne er eine Menge um sich scharen. Dies sei für ihn eine Kleinigkeit, denn er habe zahlreiche Bekannte unter den Sklaven, [106] Gladiatoren und Freien, sowohl in der Subura wie jenseits der Brücken. Er würde ihrer tausend, ja zweitausend zusammenbringen. Er werde seine Herrin entführen, und es werde ihm auch gelingen, sie aus der Stadt zu bringen und zu entkommen. Er begleite sie, und wenn es bis ans Ende der Welt wäre, in das Land, aus dem sie stammen und wo man nichts von Rom weiß.

Hier begann er scharf vor sich hinzusehen, als wolle er die zukünftigen Ereignisse oder unermeßliche Entfernungen durchdringen.

»In den Wald? Ha, welch ein Wald, welch ein Wald!«

Aber nach einer Weile machte er sich von diesen Betrachtungen frei: Ja, er wolle sogleich zum Bischof gehen und am Abend mit etwa hundert Mann die Sänfte erwarten. Und dann sollen nicht nur Sklaven, sondern sogar Prätorianer den Versuch wagen, ihm Lygia zu entreißen!! Es sei niemandem zu raten, ihm unter die Faust zu kommen, selbst in einer eisernen Rüstung ... Sei denn Eisen so fest? Wenn er ordentlich auf das Eisen schlage, so halte der Kopf darunter den Hieb sicher nicht aus.

Doch Lygia erhob mit großem, aber zugleich kindlichem Ernste den Finger: »Ursus! du sollst nicht töten!« sprach sie.

Der Lygier legte seine, einem Hammer gleichende Hand an den Hinterkopf und begann sich brummend mit großem Eifer den Nacken zu reiben. Er müsse sie doch befreien, »sein Augenlicht.« Sie selbst habe gesagt, die Reihe sei nun an ihm. Er wolle sich so viel wie möglich Mühe geben. Wenn aber doch etwas gegen seinen Willen geschehe, ohne daß er es wolle? ... Er müsse sie doch befreien! Und wenn etwas geschehe, so wolle er es so bereuen, so fromm zum unschuldigen Lamme beten, daß das gekreuzigte Lamm sich über ihn armen Sünder erbarme ... Er wolle doch das Lamm nicht erzürnen, aber seine Hände seien so schwer ...

Große Zärtlichkeit lag dabei auf seinen Zügen; er wollte aber seine Gefühle verbergen und ließ sich daher auf ein [107] Knie nieder, indem er sagte: »Nun will ich zum heiligen Bischof gehen.«

Akte aber umfaßte Lygias Hals und brach in Tränen aus.

Wiederum erkannte sie, daß es eine Welt gebe, in der selbst das Leiden ein größeres Glück gewähre als alle Pracht und aller Lebensgenuß im Hause des Caesars; wiederum hatte sich das Tor, das ihr den Weg zum Lichte versperrte, etwas geöffnet; aber sie fühlte zugleich, wie unwürdig sie sei, dieses Tor zu durchschreiten.

Neuntes Kapitel

Neuntes Kapitel.

Lygia empfand bitteren Schmerz, wenn sie an Pomponia Graecina, die sie von ganzem Herzen liebte, und an das ganze Haus des Plautius dachte; doch ging ihre Trauer bald vorüber. Sie fühlte sogar eine gewisse Genugtuung bei dem Gedanken, daß sie für ihren Glauben Reichtum und Überfluß dahingebe und ein unstetes, unbekanntes Leben beginne. Vielleicht lag auch etwas von kindlicher Neugier darin, wie dieses Leben in fernen Ländern, unter Barbaren und wilden Tieren wohl sein werde; noch mächtiger, tiefer und vertrauensvoller war aber ihr Glaube, daß sie durch diese Handlungsweise den Geboten ihres »göttlichen Meisters« nachkomme, und daß dieser daher über sie, als über sein gehorsames und treues Kind wachen werde. Und was konnte ihr in diesem Falle wohl Übles begegnen? Sollte sie leiden, so würde sie in seinem Namen leiden. Sollte sie unerwartet sterben, so würde er sie zu sich nehmen, und einst, wenn auch Pomponia stürbe, würden sie für alle Ewigkeit vereint bleiben. Früher, als sie noch bei Aulus lebte, zermarterte sie sich ihren kindlichen Kopf mit der Vorstellung, daß sie, eine Christin, nichts für jenen Gekreuzigten tun könne, von dem Ursus mit solcher Hingebung sprach. Jetzt aber hatte die Stunde geschlagen. Lygia fühlte sich vollkommen glücklich und begann mit Akte von ihrem Glücke zu sprechen, welche ihr jedoch nicht zu folgen [108] vermochte. Alles zu verlassen, Haus, Reichtum, die Stadt, die Gärten, die Tempel, die Portikus, alles, was schön sei, zu verlassen, ein sonniges Land und nahestehende Menschen zu verlassen, und weswegen? Um sich vor der Liebe eines jungen, schönen Ritters zu verbergen? ... In Aktes Kopf ließen sich diese Dinge nicht vereinigen. Mitunter fühlte sie, daß Lygia recht daran tue, ja daß sie sogar möglicherweise von einem unendlichen geheimnisvollen Glücke erfüllt sei, aber sie konnte sich keine klare Rechenschaft darüber geben, besonders da Lygia noch ein Wagestück bevorstand, das möglicherweise ein schlechtes Ende und ihr geradezu das Leben kosten konnte. Akte war furchtsam von Natur, und mit Schreck dachte sie daran, was der heutige Abend bringen könnte. Aber sie wollte mit Lygia nicht von ihren Befürchtungen sprechen. Als es jedoch inzwischen heller Tag geworden war und die Sonne ins Atrium schien, begann sie Lygia zuzureden, sich die nach einer schlaflos zugebrachten Nacht nötige Ruhe zu gönnen. Lygia war damit einverstanden, und beide begaben sich ins Cubiculum, das infolge des früheren Verhältnisses Aktes zum Caesar geräumig und mit aller erdenklichen Pracht ausgestattet war. Hier legten sie sich nebeneinander nieder, aber Akte konnte trotz ihrer Müdigkeit nicht schlafen. Seit langem war sie traurig und unglücklich, aber jetzt begann sie von einer Art Unruhe ergriffen zu werden, welche sie nie zuvor empfunden hatte. Bis dahin war ihr das Leben nur schwer und hoffnungslos vorgekommen, jetzt erschien es ihr mit einem Male als schmachbeladen.

In ihrem Kopfe entstand immer größere Verwirrung. Das Tor zum Lichte begann sich bald zu öffnen, bald zu schließen. In dem Augenblicke aber, als es sich auftat, wurde sie von diesem Lichte so geblendet, daß sie nichts deutlich sehen konnte. Sie ahnte vielmehr nur, daß in jener Helle eine Art Glück verborgen liege, das jedes Maß übersteige und im Vergleich zu dem jedes andere in dem Grade [109] nichtig sei, daß, wenn zum Beispiel der Caesar Poppaea verstoßen und sich ihr, Akte, von neuem in Liebe zuwenden wollte, selbst dies Glück dagegen verschwinden würde. Plötzlich kam ihr der Gedanke, daß dieser Caesar, den sie liebte und den sie unwillkürlich für eine Art Halbgott hielt, so armselig sei wie irgend ein Sklave und daß dieser Palast mit seinen Säulen aus numidischem Marmor in Wahrheit nichts besseres sei als ein Steinhaufen. Zuletzt jedoch begannen jene Empfindungen, von denen sie sich keine Rechenschaft geben konnte, sie zu quälen. Sie versuchte zu schlafen, aber von Unruhe durchwühlt, konnte sie es nicht.

Endlich wandte sie sich, in der Meinung, Lygia, der so viele Gefahr und Unsicherheit drohte, könne ebenfalls nicht schlafen, zu ihr, um mit ihr über die Flucht am Abend zu sprechen.

Aber Lygia schlief ruhig. In das dunkle Cubiculum drangen durch den nur lose zusammengezogenen Vorhang einige helle Strahlen, in denen goldene Sonnenstäubchen tanzten. Bei diesem Lichte erblickte Akte Lygias feines Antlitz, das auf dem wohlgebildeten Arme ruhte, ihre geschlossenen Augen und die etwas geöffneten Lippen. Sie atmete regelmäßig, so wie man es im Schlafe tut.

»Sie schläft, sie kann schlafen,« dachte Akte, »sie ist noch in Kind.«

Trotzdem fuhr es ihr nach einer Weile durch den Sinn, daß dieses Kind lieber entfliehen wolle als Vinicius' Geliebte werden und das Elend der Schande, ein unstetes Leben dem Einzuge in ein Haus in der Nähe der Carinae, kostbaren Kleidern, glänzendem Schmuck, Festen und den Klängen von Lauten und Zithern vorziehe.

»Warum?«

Und sie begann Lygia zu betrachten, als ob sie die Antwort auf diese Frage in den Zügen der Schlafenden lesen wolle. Sie betrachtete die klare Stirn, den sanften Schwung der Brauen, die dunklen Flechten, die leicht geöffneten Lippen, [110] die sich in ruhigen Atemzügen hebende Brust des Mädchens und dachte und dachte dann von neuem: »Wie verschieden sie von mir ist!«

Sie sah auf Lygia wie auf ein Wunder, eine Art göttlicher Erscheinung, einen Liebling der Götter, hundertmal schöner als alle Blumen im Garten des Caesars und alle Skulpturen seines Palastes. Aber im Herzen der Griechin wohnte nichts von Neid. Im Gegenteil, bei dem Gedanken an die dem Mädchen drohenden Gefahren erfaßte sie tiefes Mitleid. Es erwachte in ihr etwas wie Muttergefühl; Lygia erschien ihr nicht nur schön, wie ein schöner Traum, sondern auch sehr teuer, und ihre Lippen dem dunklen Haar des Mädchens nähernd, fing sie an, es mit Küssen zu bedecken.

Aber Lygia schlief ruhig weiter, als wäre sie daheim unter der Obhut Pomponia Graecinas. Und sie schlief ziemlich lange. Die Mittagsstunde war schon vorüber, als sie ihre blauen Augen aufschlug und sich mit großem Erstaunen im Cubiculum umzusehen begann.

Augenscheinlich wunderte sie sich, daß sie nicht daheim, in Aulus' Hause war.

»Du bist es, Akte?« fragte sie endlich, als sie in der Dämmerung das Gesicht der Griechin erkannte.

»Ja, ich bin es, Lygia.«

»Ist es schon Abend?«

»Nein, Kind, aber Mittag ist schon vorüber.«

»Und Ursus ist noch nicht zurück?«

»Ursus sagte nicht, daß er zurückkehren werde, sondern daß er am Abend mit einer Anzahl Christen auf die Sänfte warten wolle.«

»Richtig.«

Dann verließen sie das Cubiculum und begaben sich in das Bad, wo Akte Lygia bediente und dann zum Frühstück einlud, und darauf in die Gärten des Palastes, in denen keine gefährliche Begegnung zu befürchten war, da der Caesar [111] und seine bevorzugten Höflinge noch schliefen. Lygia sah zum erstenmal in ihrem Leben diese herrlichen Gärten voll Zypressen, Pinien, Eichen, Olivenbäumen und Myrten, zwischen denen eine unendliche Menge von Bildsäulen schimmerte, ruhige Teichflächen erglänzten und ganze Haine von Rosen blühten, benetzt vom Wasserstaube der Springbrunnen; hier öffneten sich bezaubernde Grotten, bewachsen mit Efeu oder Weinlaub, dort segelten silberne Schwäne auf dem Wasser; zwischen Bildsäulen und Bäumen bewegten sich zahme Gazellen aus den Wüsten Afrikas und buntfarbige Vögel aus allen Ländern der Erde.

Die Gärten waren leer; nur hier und da arbeiteten Sklaven, den Spaten in der Hand, und sangen dabei mit halblauter Stimme ihre Lieder; andere, denen eine kurze Rast gegönnt war, saßen an den Teichen oder im Schatten der hohen Bäume, in dem zitternden Lichte, das die sich durch das Laub drängenden Sonnenstrahlen erzeugten, andere endlich begossen die Rosen oder die blaßlilafarbenen Safranblüten. Akte ging mit Lygia lange umher, alle Wunder der Gärten betrachtend, und obgleich es Lygia an Gemütsruhe fehlte, war sie doch noch allzu sehr Kind, um sich der Lebenslust, der Neugierde und der Verwunderung nicht widerstandslos zu überlassen. Es kam ihr sogar in den Sinn, daß, wenn der Caesar gut wäre, er in einem solchen Palaste und in solchen Gärten äußerst glücklich sein müßte.

Endlich jedoch ließen sie sich, etwas ermüdet, auf einer Bank nieder, die fast völlig von dichten Zypressen versteckt war, und begannen von dem zu sprechen, was ihnen am schwersten auf der Seele lag, nämlich der Flucht Lygias am Abend. Akte war viel weniger von dem Gelingen dieser Flucht überzeugt als Lygia. Mitunter erschien sie ihr sogar als ein tollkühnes Unternehmen, das nicht glücklich enden könne. Sie fühlte immer tieferes Mitleid mit Lygia. Es kam ihr auch der Gedanke, es sei hundertmal sicherer, eine gütliche Einigung mit Vinicius zu versuchen. Nach einer [112] Weile begann sie zu fragen, wie lange Lygia Vinicius kenne und ob sie nicht glaube, daß er sich möglicherweise bewegen lasse, sie Pomponia zurückzugeben.

Aber Lygia schüttelte traurig ihr dunkles Haupt.

»Nein. In Aulus' Hause war Vinicius anders, sehr gut, aber seit dem gestrigen Gelage fürchte ich ihn und will lieber zu den Lygiern fliehen.«

Akte fuhr fort: »Doch in Aulus' Hause war er dir teuer?«

»Ja,« erwiderte Lygia, das Haupt sinken lassend.

»Du warst aber keine Sklavin, wie ich es war,« sagte Akte nach einiger Zeit nachdenklich. »Vinicius würde dich vielleicht heiraten. Du bist eine Geisel und Tochter des Lygierkönigs. Aulus und seine Gattin lieben dich wie ihre eigene Tochter, und ich bin überzeugt, sie würden bereit sein, dich an Kindesstatt anzunehmen. Vinicius würde dich vielleicht heiraten, Lygia.«

Aber sie antwortete leise und noch trauriger: »Ich will lieber zu den Lygiern fliehen.«

»Lygia, wünschst du, daß ich sogleich zu Vinicius gehe, ihn wecke, wenn er schläft, und ihm dasselbe sage, was ich dir vor einer Weile gesagt habe? Ja; meine teure Lygia, ich will zu ihm gehen und ihm sagen: Vinicius, dies ist eine Königstochter und ein teures Kind des berühmten Aulus; wenn du sie liebst, dann gib sie Aulus zurück und hole sie dir als Gattin aus seinem Hause.«

Aber das Mädchen antwortete mit so leiser Stimme, daß Akte sie kaum verstehen konnte: »Ich will lieber zu den Lygiern fliehen.«

Und zwei Tränen hingen an Lygias gesenkten Wimpern.

Das Geräusch nahender Schritte unterbrach die weitere Unterhaltung, und ehe Akte Zeit fand, zu erkennen, wer käme, erschien Sabina Poppaea vor der Bank mit einem kleinen Gefolge von Sklavinnen. Zwei von diesen hielten an goldenen Griffen befestigte Büschel von Straußenfedern über [113] das Haupt der Augusta, mit denen sie leicht fächelten und Poppaea zugleich vor den noch brennenden Strahlen der Herbstsonne schützten. Vor ihr schritt eine Äthiopierin, schwarz wie Ebenholz und mit strotzenden, wie von Milch schwellenden Brüsten und trug ein Kind auf den Armen, das in goldverbrämten Purpur gehüllt war. Akte und Lygia erhoben sich und glaubten, Poppaea würde an der Bank vorübergehen, ohne sie zu beachten; diese blieb aber vor ihnen stehen und sagte: »Akte, die Glöckchen, die du für das Püppchen sandtest, waren schlecht befestigt; das Kind riß eins ab und steckte es in den Mund; es war ein Glück, daß Lilith es noch rechtzeitig bemerkte.«

»Verzeihung, erhabene Göttin,« antwortete Lygia, die Hände über der Brust kreuzend und das Haupt neigend.

Jetzt begann Poppaea Lygia zu betrachten.

»Was ist das für eine Sklavin?« fragte sie nach einer Weile.

»Es ist keine Sklavin, göttliche Augusta, sondern ein Pflegekind Pomponia Graecinas und Tochter des Königs der Lygier, die von diesem den Römern als Geisel ausgeliefert worden ist.«

»Und sie ist gekommen, dich zu besuchen?«

»Nein, Augusta. Sie wohnt seit gestern im Palaste.«

»War sie beim gestrigen Feste?«

»Ja, Augusta.«

»Auf wessen Befehl?«

»Auf Befehl des Caesars.«

Poppaea begann Lygia noch aufmerksamer zu betrachten. Diese stand mit gesenktem Haupte vor ihr, bald neugierig die strahlenden Augen erhebend, bald sie mit den Lidern bedeckend. Plötzlich zeigte sich eine tiefe Falte zwischen den Brauen der Augusta. Eifersüchtig auf ihre eigene Schönheit und Macht, lebte sie in beständiger Sorge, eines Tages von einer glücklichen Nebenbuhlerin gestürzt zu werden, wie sie selber Octavia gestürzt hatte. Darum erweckte jedes schöne [114] Gesicht im Palast ihren Argwohn. Mit dem Auge eines Kenners betrachtete sie jeden Teil von Lygias Erscheinung, prüfte jeden Zug ihres Gesichtes und erschrak. Das ist eine wahre Nymphe, dachte sie. Sie stammt von Venus ab. Und mit einem Male kam ihr der Gedanke, der ihr bisher noch nie bei dem Anblicke irgend welcher Schönheit gekommen war: daß sie bedeutend gealtert habe. Verletzte Eitelkeit regte sich in ihr, sie wurde von Unruhe gepeinigt, und mannigfache Befürchtungen begannen sich rasch in ihrem Kopfe zu kreuzen. »Vielleicht hat Nero das Mädchen nicht gesehen oder, als er durch den Smaragd blickte, nicht erkannt. Aber was würde sich ereignen, wenn er ein solches Wunder von Schönheit eines Tages bei hellem Sonnenlichte erblickte? ... Zudem ist sie keine Sklavin, sie ist eine Königstochter, zwar aus barbarischem Stamme entsprossen, aber immerhin eine Königstochter! ... Unsterbliche Götter! Sie ist so schön wie ich und jünger!« Die Falte zwischen ihren Brauen wurde noch tiefer, und ihre Augen begannen unter ihren blonden Wimpern in kaltem Glanze zu funkeln.

Dann wandte sie sich an Lygia und begann mit scheinbarer Ruhe zu fragen: »Hast du mit dem Caesar gesprochen?«

»Nein, Augusta!«

»Warum bist du hier und nicht bei Aulus?«

»Es ist nicht mein Wille, Herrin. Petronius hat den Caesar bewogen, mich von Pomponia fortzunehmen; ich bin hier gegen meinen Willen, Herrin ...!«

»Und wünschtest du zu Pomponia zurückzukehren?«

Diese letzte Frage hatte Poppaea mit sanfterer und freundlicherer Stimme gestellt, so daß sich in Lygias Herzen plötzlich neue Hoffnung regte.

»Herrin,« sagte sie, die Hand nach ihr ausstreckend; »der Caesar hat versprochen mich als Sklavin dem Vinicius zu übergeben; aber ich flehe dich an, nimm dich meiner an und sende mich zu Pomponia zurück.«

[115] »Petronius also hat den Caesar dazu gebracht, dich von Aulus fortzunehmen und dem Vinicius zu übergeben?«

»Ja, Herrin. Vinicius wird mich noch heute abholen lassen, aber du habe Mitleid mit mir, du Gütige.«

Bei diesen Worten kniete sie nieder und wartete, indem sie den Saum von Poppaeas Gewand erfaßte, klopfenden Herzens auf ihre Antwort; Poppaea aber sah sie eine Weile mit einem Gesicht an, über das ein böses Lächeln flog, und sagte dann: »Ja, ich verspreche dir, daß du noch heut die Sklavin des Vinicius wirst.«

Und sie schritt davon wie ein schönes, aber böses Gespenst. Zu den Ohren Lygias und Aktes drang nur noch das Geschrei des Kindes, welches aus unbekanntem Anlaß zu weinen begann.

Lygias Augen füllten sich von neuem mit Tränen; nach einer Weile aber ergriff sie Aktes Hand und sagte: »Wir wollen zurückkehren. Hilfe ist nur von dort zu erwarten, woher sie kommen kann.«

Sie kehrten ins Atrium zurück, das sie bis zum Abend nicht verließen. Als es dunkel wurde und die Sklaven vierfache Lampen mit großen Flammen herein brachten, wurden sie beide sehr blaß. Ihr Gespräch stockte jeden Augenblick. Beide lauschten, um zu hören, ob sich jemand nähere. Lygia wiederholte unaufhörlich, daß, wie sehr es sie auch schmerze, Akte verlassen zu müssen, sie es dennoch vorziehe, daß sich alles noch heute vollziehe, da Ursus in der Dunkelheit jetzt schon auf sie warten müsse. Doch ihr Atem wurde infolge der Erregung, in der sie sich befand, rascher und lauter. Akte suchte fieberhaft so viel Kleinodien, wie sie konnte, zusammen, befestigte sie an einem Zipfel des Peplos und bat Lygia, diese Gabe und dieses Hilfsmittel zur Flucht nicht zu verschmähen. Mitunter entstand eine tiefe Stille, während welcher sie fortwährend Gehörstäuschungen ausgesetzt waren. Beiden war es, als hörten sie bald ein Flüstern hinter dem Vorhang, bald das ferne Weinen eines Kindes, bald Hundegebell.

[116] Mit einem Male bewegte sich der Vorhang am Eingange geräuschlos, und ein hochgewachsener, finsterer Mann mit einem von Pockennarben entstellten Gesicht erschien wie ein Geist im Atrium. Lygia erkannte auf den ersten Blick Atacinus, einen Freigelassenen von Vinicius, der auch schon in Aulus' Hause gewesen war.

Akte schrie auf, Atacinus aber verbeugte sich tief und sagte: »Marcus Vinicius entbietet der göttlichen Lygia seinen Gruß und erwartet sie in seinem festlich bekränzten Hause zum Mahle.«

Die Lippen des Mädchens wurden kreideweiß.

»Ich komme,« sagte sie.

Und sie schlang zum Abschiede ihre Arme um Aktes Hals.

Zehntes Kapitel

Zehntes Kapitel.

Vinicius' Haus war in der Tat mit dem Grün von Myrte und Efeu geschmückt; um Wände und Türen zogen sich Laubgehänge, und die Säulen waren mit Weinreben umkränzt. Im Atrium, an dessen Eingange zum Schutze gegen die Kühle der Nacht ein Vorhang aus Purpurwolle befestigt worden war, war es hell wie am Tage. Es brannten hier Lampen mit acht und zwölf Flammen, welche die Gestalt von Schiffen, Bäumen, Tieren, Vögeln oder Statuen, die mit wohlriechendem Öl gefüllte Schalen trugen, aufwiesen und aus Alabaster, Marmor, vergoldetem korinthischen Erz gearbeitet waren, zwar nicht so wundervoll wie jener berühmte Leuchter aus dem Apollotempel, dessen sich Nero bediente, aber schön und von berühmten Meistern angefertigt. Ein Teil der Lichter war durch alexandrinisches Glas oder durchsichtige Gewebe vom Indus von roter, blauer, gelber, violetter Farbe gedämpft, so daß das ganze Atrium von buntem Lichte durchflutet war. Überall duftete es nach Narden, an die sich Vinicius im Orient gewöhnt hatte und die jetzt sein Lieblingsparfum waren. Auch das Innere des Hauses, [117] in dem sich Gestalten männlicher und weiblicher Sklaven tummelten, war hell erleuchtet. Im Triclinium war ein Tisch für vier Personen gedeckt, denn außer Vinicius und Lygia sollten auch Petronius und Chrysothemis am Mahle teilnehmen.

Vinicius hatte in allem nach Petronius' Worten gehandelt, der ihm geraten hatte, nicht selbst zu Lygia zu gehen, sondern den Atacinus mit der vom Caesar ausgewirkten Erlaubnis zu schicken, sie selbst in seinem Hause zu empfangen und mit Höflichkeit, ja mit Ehrerbietung zu begrüßen.

»Gestern warst du betrunken,« sagte er zu ihm. »Ich bemerkte dich; du hast sie behandelt wie ein Steinklopfer aus den Albanerbergen. Sei nicht allzu ungestüm und bedenke, daß guter Wein langsam getrunken werden muß. Wisse auch, es ist süß, zu begehren, doch süßer, begehrt zu werden.«

Chrysothemis hatte darüber ihre eigene, etwas abweichende Meinung; aber Petronius nannte sie seine Vestalin, seine Taube und begann ihr den Unterschied auseinanderzusetzen, der zwischen einem geübten Zirkuswagenlenker und einem Knaben bestehen müsse, der zum erstenmal eine Quadriga besteige. Dann wandte er sich an Vinicius und fuhr fort: »Gewinne ihr Vertrauen, heitere sie auf, sei großmütig zu ihr. Ich will kein trauriges Fest mitmachen. Schwöre ihr selbst beim Hades zu, daß du sie zu Pomponia zurückbringen willst, und es wird dann deine Sache sein, daß sie morgen lieber hier bleibt als fortgeht.«

Dann fügte er, auf Chrysothemis deutend, hinzu: »Seit fünf Jahren habe ich diese schüchterne Turteltaube täglich mehr oder weniger auf diese Art behandelt, und ich kann mich nicht über ihre Sprödigkeit beklagen.«

Chrysothemis schlug mit ihrem Fächer aus Pfauenfedern nach ihm und sagte: »Habe ich dir denn je Widerstand geleistet, du Satyr?«

»Mit Rücksicht auf meinen Vorgänger ...«

»Hast du nicht zu meinen Füßen gelegen?«

[118] »Um deine Zehen mit Edelsteinen zu schmücken.«

Chrysothemis sah unwillkürlich auf ihre Füße, an deren Zehen in der Tat Edelsteine blitzten, und beide, sie und Petronius, begannen zu lachen. Doch Vinicius hörte nicht auf ihre Neckereien. Sein Herz schlug unruhig unter dem gestickten Gewande eines syrischen Priesters, das er zu Lygias Empfange angelegt hatte.

»Sie müssen bereits den Palast verlassen haben,« sagte er wie zu sich selbst sprechend.

»Sie müssen es,« entgegnete Petronius; »ich kann dir inzwischen von den Prophezeiungen des Apollonios aus Tyana oder jene Geschichte des Rufinus erzählen, die ich noch nicht vollendet habe, aus welchem Grunde, kann ich mich nicht mehr entsinnen.«

Aber Vinicius lag ebensowenig an Apollonios von Tyana wie an der Geschichte des Rufinus. Seine Gedanken weilten bei Lygia, und obgleich er fühlte, daß es schicklicher sei, sie zu Hause zu empfangen, als in der Rolle eines Häschers in den Palast zu dringen, so bereute er es doch zuweilen, nicht selbst gegangen zu sein, um sie früher zu sehen und im Dunkel der Doppelsänfte neben ihr Platz zu nehmen.

Unterdessen brachten die Sklaven einen mit Widderköpfen verzierten Dreifuß und eherne Becken mit Kohlen herein, auf welche sie kleine Stückchen Myrrhenharz und Narde streuten.

»Jetzt biegen sie in die Carinae ein,« sagte Vinicius.

»Er kann nicht warten; er wird ihnen entgegeneilen und sie noch verfehlen,« rief Chrysothemis.

Vinicius lächelte wie geistesabwesend und sagte: »Im Gegenteil; ich will warten.«

Aber seine Nasenflügel fingen an sich zu erweitern, und sein Atem ging schwer. Petronius bemerkte dies und zuckte die Achseln.

»Nicht für eine Sesterze steckt etwas von einem Philosophen in ihm,« sagte er, »und ich werde aus diesem Marssohne nie einen Menschen machen können.«

[119] Vinicius hörte gar nicht auf ihn.

»Jetzt sind sie an den Carinae.«

Sie bogen in der Tat nach den Carinae ein. Sklaven, Lampadarii genannt, schritten voran, andere, Pedisequi mit Namen, zu beiden Seiten der Sänfte, Atacinus, der den ganzen Zug überwachte, hinterdrein.

Aber sie kamen nur langsam vorwärts, denn die Laternen ließen in der gänzlich unbeleuchteten Stadt den Weg nur schlecht erkennen. Die Straßen in der Nähe des Palastes waren leer, kaum daß hier und da ein Mann mit einer Laterne vorüberging, aber weiterhin waren sie ungewöhnlich belebt. Aus fast jeder Straße kamen Leute, zu dreien und vieren, alle ohne Laternen, alle in dunklen Mänteln. Einige schlossen sich dem Zuge an, indem sie sich unter die Sklaven mischten, andere in größerer Zahl, kamen aus der entgegengesetzten Richtung. Einige taumelten hin und her, als wären sie betrunken. Mitunter wurde das Vorwärtskommen so schwierig, daß die Lampadarii zu rufen begannen: »Platz für den edlen Tribunen Marcus Vinicius!«

Lygia bemerkte diese dunklen Menschenmassen durch die zurückgeschlagenen Vorhänge der Sänfte und begann vor Erregung zu zittern. Abwechselnd stritten sich Hoffnung und Furcht in ihrem Herzen. »Er ist es! Es ist Ursus mit den Christen. Jetzt wird es sich rasch entscheiden,« sagte sie mit bebenden Lippen. »O Christus, hilf; o Christus, rette!«

Atacinus, der anfänglich jenem ungewöhnlichen Leben auf den Straßen keine Beachtung geschenkt hatte, fing endlich an unruhig zu werden. Es lag etwas Auffallendes darin. Die Lampadarii mußten immer öfter rufen: »Platz für die Sänfte des edlen Tribunen!« Von den Seiten her näherten sich unbekannte Leute dermaßen der Sänfte, daß Atacinus den Sklaven befahl, sie mit ihren Stöcken zurückzutreiben.

Plötzlich ertönte an der Spitze des Zuges ein Schrei, und in einem Augenblick verlöschten sämtliche Lichter. In [120] unmittelbarer Nähe der Sänfte entstand Gedränge, Verwirrung, Kampf.

Atacinus erkannte, es handle sich geradezu um einen Angriff.

Bei diesem Gedanken erschrak er. Es war allgemein bekannt, daß der Caesar häufig zu seinem Vergnügen mit einer Schar von Augustianern Überfälle unternehme, sowohl in der Subura wie in anderen Stadtteilen. Es war bekannt, daß er von diesen nächtlichen Angriffen mitunter sogar Beulen und blaue Flecke davontrug; wer sich aber verteidigte, ging zum Tode, und wäre es selbst ein Senator gewesen. Das Wachthaus, dessen Besatzung die Pflicht hatte, die Ordnung in der Stadt aufrecht zu erhalten, lag nicht allzuweit entfernt, aber während solcher Angriffe schien die Wache taub und blind zu sein. Unterdessen hatte die Verwirrung in der Nähe der Sänfte den höchsten Grad erreicht; die Leute begannen zu ringen, aufeinander loszuschlagen, einander zu Boden zu werfen und mit Füßen zu treten. Atacinus kam der Gedanke, daß er vor allem sich selbst und Lygia in Sicherheit bringen und die übrigen ihrem Schicksale überlassen müsse. Er zog daher Lygia aus der Sänfte, nahm sie auf den Arm und suchte in der Dunkelheit zu entkommen.

Aber Lygia begann zu rufen: »Ursus, Ursus!«

Sie war weiß gekleidet, und daher war es leicht, sie zu erkennen. Atacinus suchte deshalb mit seiner anderen freien Hand gewaltsam seinen eigenen Mantel um sie zu schlingen, als furchtbare Fäuste ihn im Genick packten und auf seinen Kopf eine riesige zermalmende Masse wie ein Stein niederfiel.

Er stürzte augenblicklich zu Boden wie ein am Altar Jupiters vom Beile getroffener Stier.

Die Sklaven lagen größenteils an der Erde oder retteten sich im Schutz der Dunkelheit an den Häusern entlang. Auf dem Platze blieb nur die in der Verwirrung zertrümmerte Sänfte zurück. Ursus brachte Lygia nach der Subura; [121] seine Gefährten folgten ihm und zerstreuten sich allmählich unterwegs.

Die Sklaven begannen sich vor Vinicius' Hause zu versammeln und zu überlegen, was sie tun sollten. Sie wagten nicht einzutreten. Nach kurzer Überlegung kehrten sie zum Kampfplatz zurück und fanden hier einige Leichen, unter ihnen Atacinus. Er bewegte sich noch, aber nach einer kurzen heftigen Zuckung streckte er sich und war tot.

Dann hoben sie ihn auf, gingen zurück und blieben zum zweitenmal vor dem Tore stehen. Aber sie mußten ihrem Herrn melden, was sich zugetragen hatte.

»Laßt Gulo die Meldung erstatten,« begannen einige Stimmen zu flüstern – »das Blut fließt ihm vom Gesichte wie uns, und der Herr liebt ihn; für Gulo ist es weniger gefährlich als für andere.«

Der Germane Gulo, ein alter Sklave, der den Vinicius in seiner Kindheit gewartet hatte und der ihm von seiner Mutter vererbt worden war, sagte: »Ich will es melden, aber kommt alle mit. Laßt seinen Zorn nicht auf mich allein fallen.«

Vinicius fing schon an seine Geduld völlig zu verlieren. Petronius und Chrysothemis lachten über ihn, aber er ging mit raschen Schritten im Atrium auf und ab, indem er beständig wiederholte: »Sie müßten schon hier sein! ... Sie müßten schon hier sein.«

Er wollte hinausgehen, aber die beiden anderen hielten ihn zurück.

Plötzlich aber ließen sich in der Vorhalle Schritte vernehmen, die Sklaven stürzten alle zusammen ins Atrium, stellten sich rasch an die Wand, hoben die Arme in die Höhe und begannen wimmernd zu wiederholen: »Aaaa! ... aa!«

Vinicius sprang auf sie zu.

»Wo ist Lygia?« rief er mit schrecklicher, veränderter Stimme.

»Aaaa!«

[122] Da trat Gulo mit seinem blutenden Gesichte vor und rief hastig mit kläglicher Stimme: »Sieh unser Blut, Herr! Wir haben gekämpft! Sieh unser Blut, Herr, sieh unser Blut.«

Aber er hatte seine Worte noch nicht beendet, als Vinicius eine eherne Lanze ergriff und dem Sklaven mit einem Schlage die Hirnschale zerschmetterte; dann faßte er sich mit beiden Händen an den Kopf, wühlte mit den Fingern im Haare herum und wiederholte fortwährend mit heiserer Stimme: »O ich Unglücklicher, ich Unglücklicher!«

Sein Gesicht wurde blau, die Augen traten ihm aus den Höhlen, Schaum stand auf seinen Lippen.

»Die Peitsche!« brüllte er endlich mit unheimlicher Stimme.

»Herr! Aaaa! Erbarmen!« stöhnten die Sklaven.

Petronius erhob sich mit dem Ausdruck des Ekels im Gesicht.

»Komm, Chrysothemis!« sagte er, »wenn du Fleisch sehen willst, so werde ich dir den Laden eines Schlächters an den Carinae öffnen lassen.«

Er verließ das Atrium; im ganzen Hause, das mit dem Grün des Efeus geschmückt und zu einem Feste gerüstet war, hörte man aber nach einiger Zeit Stöhnen und das Saufen der Peitsche, das beinahe bis zum Morgen dauerte.

Elftes Kapitel

Elftes Kapitel.

In dieser ganzen Nacht ging Vinicius nicht zur Ruhe. Einige Zeit nach Petronius' Weggang sammelte er, da die Schmerzenslaute der gepeitschten Sklaven weder seinen Schmerz noch seinen Zorn zu lindern vermochten, eine Schar anderer Diener um sich und begab sich an ihrer Spitze, obgleich es schon spät in der Nacht war, auf die Suche nach Lygia. Er durchforschte das esquilinische Viertel, dann die Subura, den Vicus Sceleratus und sämtliche benachbarte Straßen. Dann[123] umschritt er das Kapitol, ging über die fabricische Brücke nach der Insel und durchlief dann einen Teil der Stadt jenseits des Tiber. Aber es war ein zweckloses Unternehmen, da er selber keine Hoffnung hatte, Lygia aufzufinden, und wenn er sie trotzdem suchte, so geschah dies hauptsächlich in der Absicht, die schreckliche Nacht mit irgend etwas auszufüllen. In der Tat kehrte er erst gegen Tagesanbruch zurück, als die Karren und Maulesel der Gemüsekrämer sich in der Stadt zu zeigen begannen und die Bäcker schon ihre Läden öffneten. Als er zurückgekehrt war, befahl er, die Leiche Gulos wegzuschaffen, die bisher niemand zu berühren gewagt hatte, dann ordnete er an, daß die Sklaven, denen Lygia entkommen war, in das Arbeitshaus auf seinen Gütern geschickt werden sollten, was eine beinahe furchtbarere Strafe war als der Tod; endlich warf er sich auf eine Polsterbank im Atrium und begann planlos darüber nachzudenken, auf welche Weise er Lygia auffinden und wieder in seine Gewalt bringen könne.

Auf sie zu verzichten, sie zu verlieren, sie nicht wiederzusehen, erschien ihm als ein Ding der Unmöglichkeit, und bei dem bloßen Gedanken daran packte ihn der Wahnsinn. Die eigenwillige Natur des jungen Kriegers war zum erstenmal in seinem Leben auf Widerstand, auf einen anderen unbezwinglichen Willen gestoßen, und er konnte es gar nicht fassen, wie es zugehe, daß jemand es wagen könne, sich seinen Wünschen zu widersetzen. Vinicius hätte es lieber gesehen, daß die ganze Welt und Rom in Trümmer fielen, als daß er nicht zum Ziele seiner Wünsche gelangte. Man hatte ihm den Becher des Genusses beinahe von den Lippen weggerissen; es kam ihm daher vor, als sei etwas Unerhörtes geschehen, das nach göttlichem und menschlichem Recht die Rache herausfordere.

Vor allem aber wollte und konnte er sich nicht in sein Schicksal fügen, weil er nie zuvor in seinem Leben etwas so heiß begehrt hatte wie Lygia. Es war ihm, als ob er ohne [124] sie nicht leben könne. Er konnte es sich nicht vorstellen, was er morgen ohne sie beginnen, wie er die folgenden Tage zubringen sollte. Bisweilen geriet er in einen Zorn über sie, der an Wahnsinn grenzte. Er wünschte sie in seine Gewalt zu bekommen, um sie zu schlagen, sie an den Haaren ins Cubiculum zu schleppen und seine Rache an ihr zu kühlen, bald erfaßte ihn eine grenzenlose Sehnsucht nach ihrer Stimme, ihrer Gestalt, ihren Augen, und er fühlte, er sei imstande, sich ihr zu Füßen zu werfen. Er rief nach ihr, zerbiß sich die Finger und schlug sich mit den Händen vor den Kopf. Er bemühte sich aus allen Kräften, ruhig nachzudenken, wie er sie wiedererlangen könnte, und vermochte es nicht. Tausende von Mitteln und Wegen schossen ihm durch den Kopf, aber die einen waren immer toller als die anderen. Schließlich blitzte der Gedanke in ihm auf, kein anderer könne sie geraubt haben als Aulus, im schlimmsten Falle müsse Aulus wissen, wo sie sich verborgen halte.

Er sprang auf, um in Aulus' Haus zu stürmen. Sollte dieser sie ihm nicht herausgeben, sollte er seine Drohungen verlachen, so würde er zum Caesar eilen, den alten Feldherrn des Ungehorsams zeihen und ein Todesurteil gegen ihn auswirken; zuvor aber wollte er ihm und seiner Gattin das Geständnis entreißen, wo sich Lygia befinde. Aber auch dann, wenn sie Lygia freiwillig auslieferten, würde er sich rächen. Zwar hatten sie ihn einst in ihr Haus aufgenommen und gepflegt, aber das galt nichts mehr. Mit dieser einen Kränkung hatten sie ihn jeder Dankbarkeit gegen sie überhoben. In seiner Rachsucht und Wut begann er sich mit Behagen in dem Gedanken an Pomponia Graecinas Verzweiflung zu gefallen, wenn der Centurio dem alten Aulus das Todesurteil überbringen würde. Er war beinahe sicher, ein solches zu erlangen. Petronius würde ihm darin unterstützen. Überdies versage auch der Caesar seinen Freunden, den Augustianern, keinen Wunsch, es sei denn, daß persönliche Abneigung oder eigenes Verlangen ins Spiel käme.

[125] Und plötzlich blieb ihm das Herz beinahe stehen unter dem Eindruck eines fürchterlichen Argwohns.

Wenn nun der Caesar selbst Lygia geraubt hätte?

Jedermann wußte, daß der Caesar oft in nächtlichen Überfällen einen Zeitvertreib suchte, wenn ihn die Langeweile plagte. Selbst Petronius nahm an solchen Abenteuern teil. Ihr Hauptvergnügen dabei war es allerdings, Weiber aufzugreifen und auf einem Soldatenmantel so lange emporzuschnellen, bis sie ohnmächtig wurden. Jedoch nannte Nero selbst jene Ausflüge »Perlenfischerei,« denn es kam mitunter vor, daß sie in Stadtteilen, die von zahlreichen armen Leuten bewohnt waren, auf eine wahre Perle von Schönheit und Jugend stießen. Dann verwandelte sich die »Sagatio,« wie man das Werfen mit dem Soldatenmantel nannte, in eine wirkliche Entführung, und die Perlen wurden entweder auf den Palatin oder in eine der zahllosen Villen des Caesars gebracht, oder Nero schenkte sie endlich einem seiner Gefährten. So mochte es auch mit Lygia geschehen sein. Der Caesar hatte sie bei Gelegenheit des Festes erblickt, und Vinicius zweifelte keinen Augenblick, daß sie ihm als das schönste Weib, das er bis dahin gesehen habe, erschienen sei. Wie konnte es anders sein! Freilich hatte Nero sie in seinem Hause auf dem Palatin gehabt und hätte sie offen zurückhalten können, aber der Caesar hatte, wie Petronius richtig bemerkte, keinen Mut zu Verbrechen und zog, selbst wo er offen handeln konnte, es stets vor, im geheimen zu handeln. Diesmal mochte ihn auch die Furcht vor Poppaea dazu veranlaßt haben. Vinicius kam nun die Überlegung, daß Aulus wohl nicht gewagt haben dürfte, ein ihm vom Caesar überlassenes Mädchen gewaltsam zu entführen. Wer würde dies überhaupt wagen? Vielleicht jener riesenhafte Lygier mit den blauen Augen, der sich erdreistet hatte, ins Triclinium zu treten und Lygia auf dem Arme aus dem Saale zu tragen? Wohin konnte dieser aber mit ihr fliehen, und wohin konnte er sie führen? Nein! Eine solche Frechheit würde kein Sklave [126] besitzen. Somit konnte es niemand anders als der Caesar getan haben.

Bei diesem Gedanken wurde es Vinicius dunkel vor den Augen, und kalter Schweiß trat auf seine Stirn. In diesem Falle war ihm Lygia für immer verloren. Aus jedem anderen Arme hätte er sie gerissen, aus diesem nicht. Jetzt konnte er mit besserem Rechte als früher wiederholen: »Wehe mir Unglücklichem!« Seine Phantasie zeigte ihm Lygia in Neros Armen, und zum erstenmal in seinem Leben erkannte er, daß es Vorstellungen gibt, denen schlechterdings kein Mensch gewachsen ist. Erst jetzt fühlte er, wie heiß und innig er sie liebte. Wie einem Ertrinkenden blitzschnell sein ganzes vorheriges Leben im Geiste vorüberzieht, so begann ihm Lygia vorzuschweben. Er sah sie, er hörte jedes ihrer Worte. Er sah sie am Springbrunnen, er sah sie in Aulus' Hause und beim Feste. Er fühlte von neuem ihre Nähe, sog den Duft ihres Haares ein, empfand die Wärme ihres Körpers, die Wonne der Küsse, mit denen er während des Festes ihre unschuldsvollen Lippen bedeckt hatte. Sie erschien ihm noch tausendmal schöner, begehrenswerter, lieblicher, tausendmal mehr die einzige Auserwählte aus der Zahl sämtlicher Sterblichen und sämtlicher Götter als je. Und wenn er daran dachte, daß dies alles, was ihm so aus Herz gewachsen, ihm so in Fleisch und Blut übergegangen war, möglicherweise in Neros Besitze sei, ergriff ihn ein rein physischer, aber so furchtbarer Schmerz, daß er den Wunsch hegte, mit dem Kopfe gegen die Wände des Atriums so lange zu rennen, bis er zerschelle. Er fühlte, er könne wahnsinnig werden und würde es sicher werden, wenn ihm nicht die Rache übrig bliebe. Und wie er früher geglaubt hatte, nicht leben zu können, wenn er Lygia nicht wiedererlangte, so glaubte er jetzt nicht sterben zu können, bevor er sie gerächt habe. Dieser einzige Gedanke gewährte ihm eine Art Erleichterung. »Ich will dein Cassius Chaerea werden!« sprach er zu sich selbst, wenn er an Nero dachte. Nach einer Weile ergriff er mit der [127] Hand Erde aus den Blumentöpfen, die um das Impluvium herumstanden, und schwur einen furchtbaren Eid bei Erebos, Hekate und seinen eigenen Hausgöttern, seine Rache bis zu Ende durchzuführen.

In der Tat empfand er Erleichterung. Er hatte wenigstens etwas, wofür er lebte und was ihn Tag und Nacht beschäftigen sollte. Dann gab er die Absicht, sich zu Aulus zu begeben, auf und ließ sich nach dem Palatin tragen. Auf dem Wege dorthin überlegte er es sich, daß, wenn man ihm den Zutritt zum Caesar verweigere oder ihn untersuche, ob er keine Waffen bei sich habe, dies ein Beweis dafür sei, daß der Caesar Lygia geraubt habe. Doch er trug keine Waffen bei sich. Er hatte überhaupt alle Besonnenheit verloren, aber wie Menschen, die ausschließlich mit einem Gedanken beschäftigt sind, beharrte er auf seiner Rache. Er wollte nicht, daß sie ihm vor der Zeit vereitelt werde. Daher bemühte er sich vor allem, Akte zu sprechen, weil er von ihr die Wahrheit zu erfahren wünschte. Zuweilen durchzuckte ihn die Hoffnung, vielleicht auch Lygia zu sehen, und bei diesem Gedanken begann er zu zittern. Wenn der Caesar sie nur entführt hatte, ohne zu wissen, was er geraubt habe, und sie ihm heute noch zurückgäbe! Aber nach einiger Überlegung wies er diese Vermutung von sich. Wenn man sie ihm hätte zurückgeben wollen, so hätte man dies schon gestern getan. Akte allein konnte alles aufklären, und sie mußte er vor allem sprechen.

Als er zu diesem Entschlusse gekommen war, befahl er den Sklaven, ihre Schritte zu beschleunigen, und dachte unterwegs in buntem Durcheinander bald an Lygia, bald an seine Rache.

Er hatte gehört, die Priester der ägyptischen Göttin Pacht könnten mit Krankheit schlagen, wen immer sie wollten, und beschloß, sie um ein solches Mittel zu ersuchen. Im Orient hatte man ihm auch gesagt, die Juden seien im Besitze gewisser Beschwörungen, mit deren Hilfe sie den Körper ihrer [128] Feinde mit Geschwüren bedeckten. Unter seinen Sklaven hatte er zu Hause einige Juden; er nahm sich daher vor, sie nach seiner Rückkehr so lange foltern zu lassen, bis sie ihm ihr Geheimnis verrieten. Mit der größten Genugtuung dachte er aber an das kurze römische Schwert, das einem ebensolchen Blutstrome den Weg bahnt, wie er aus Gajus Caligulas Adern geflossen war und auf den Säulen des Portikus unvertilgbare Flecke zurückgelassen hatte. Er war jetzt bereit, sämtliche Bewohner Roms hinzumorden, und hätten ihm die Rachegötter verheißen, alle Menschen, er und Lygia ausgenommen, sollten untergehen, er würde mit Freuden zugestimmt haben.

Als er jedoch vor dem Torbogen stand, kehrte ihm seine ganze Geistesgegenwart zurück, und beim Anblick der Pretorianerwache dachte er wiederum daran, daß, wenn man ihm beim Eintritt auch nur die geringste Schwierigkeit mache, dies ein Beweis dafür sei, daß sich Lygia mit dem Willen des Caesars im Palaste befinde. Aber der wachthabende Centurio lächelte ihm freundlich zu, ging ihm ein paar Schritte entgegen und sagte: »Sei gegrüßt, edler Tribun. Wenn du vom Caesar eine Audienz wünschst, so bist du zu ungelegener Zeit gekommen, und ich weiß nicht, ob du ihn wirst sprechen können.«

»Was ist vorgefallen?« fragte Vinicius.

»Die göttliche kleine Augusta erkrankte gestern unerwartet. Der Caesar und die Augusta Poppaea sind bei ihr mit den Ärzten, die man aus der ganzen Stadt berufen hat.«

Dies war ein wichtiges Ereignis. Als man dem Caesar dieser Tochter gebracht hatte, war er tatsächlich vor Freude außer sich gewesen und hatte sie mit übermenschlicher Freude empfangen. Vorher schon hatte der Senat Poppaeas Schoß mit der größten Feierlichkeit dem gnädigen Schutze der Götter empfohlen. Es wurden Gelübde getan und in Antium, wo die Entbindung stattfand, prächtige Spiele abgehalten; außerdem war den beiden Fortunen ein Tempel [129] errichtet worden. Nero, der in nichts Maß zu halten verstand, liebte auch dieses Kind über alle Maßen; auch Poppaea hatte die Tochter lieb, obgleich nur aus dem Grunde, daß sie ihre Stellung befestigte und ihren Einfluß zu dem allbeherrschenden machte.

Von der Gesundheit und dem Leben der kleinen Augusta konnte möglicherweise das Geschick des gesamten Reiches abhängen; aber Vinicius war so mit sich selbst, seiner eigenen Angelegenheit und seiner Liebe beschäftigt, daß er auf den Bericht des Centurios kaum achtete und sagte: »Ich wünsche nur mit Akte zu sprechen.«

Dann trat er ein.

Aber Akte war ebenfalls bei dem Kinde, und er mußte lange Zeit auf sie warten. Erst gegen Mittag erschien sie, mit abgespannten und bleichen Zügen, die bei Vinicius' Anblick noch bleicher wurden.

»Akte,« rief Vinicius, sie bei der Hand ergreifend und in die Mitte des Atriums ziehend, »wo ist Lygia?«

»Danach wollte ich dich fragen,« entgegnete sie, ihm vorwurfsvoll ins Gesicht blickend.

Trotzdem er sich vorgenommen hatte, sich ruhig nach Lygia zu erkundigen, faßte er sich doch von neuem mit beiden Händen an den Kopf und begann mit vor Schmerz und Wut verzerrten Zügen: »Sie ist fort! Sie wurde mir unterwegs geraubt!«

Nach einer Weile faßte er sich jedoch, näherte sein Gesicht dem Aktes und sagte mit zusammengepreßten Zähnen: »Akte, wenn dir dein Leben lieb ist, wenn du nicht ein Unglück veranlassen willst, dessen Tragweite du nicht zu ahnen vermagst, antworte mir offen: hat der Caesar sie entführt?«

»Der Caesar hat gestern den Palast nicht verlassen.«

»Beim Schatten deiner Mutter, bei allen Göttern! ist sie nicht im Palast?«

»Beim Schatten meiner Mutter, Marcus, sie ist nicht im Palaste, und der Caesar hat sie nicht entführt. Seit [130] gestern ist die kleine Augusta krank, und Nero ist nicht von ihrer Wiege gewichen.«

Vinicius atmete auf. Das, was ihm als das Schrecklichste erschienen war, hatte sich nicht bewahrheitet.

»Somit,« sprach er, sich auf eine Bank niederlassend und die Fäuste ballend, »haben Aulus und Pomponia sie geraubt, und in diesem Falle Gnade ihnen!«

»Aulus Plautius war heut morgen hier. Er konnte mich nicht sprechen, weil ich mit dem Kinde beschäftigt war, aber er hat sich bei Epaphroditus und anderen Dienern des Caesars erkundigt, und ihnen dann erklärt, er werde noch einmal wiederkommen, um mich zu sprechen.«

»Er wollte den Verdacht von sich ablenken. Wüßte er nicht, was aus Lygia geworden ist, so würde er sie bei mir gesucht haben.«

»Er hat mir einige Worte auf einer Schreibtafel hinterlassen, aus denen du entnehmen wirst, daß er wußte, Lygia sei auf deine und Petronius' Veranlassung auf des Caesars Befehl aus seinem Hause abgeholt worden, und daher in der Erwartung, sie werde zu dir geschickt werden, heut früh in deinem Hause war, wo man ihm mitteilte, was geschehen sei.«

Bei diesen Worten ging sie in ihr Cubiculum und kehrte nach einiger Zeit mit dem Täfelchen zurück, das ihr Aulus zurückgelassen hatte.

Vinicius las es und schwieg; Akte aber schien seine Gedanken von seinem finsteren Gesichte abzulesen; denn nach einer Weile sagte sie: »Nein Marcus, Lygia selbst hat gewünscht, was geschehen ist.«

»Du wußtest es, daß sie entfliehen wollte!« rief Vinicius.

Sie blickte ihn mit ihren kurzsichtigen Augen beinahe feindselig an.

»Ich wußte es, daß sie nicht deine Konkubine werden wollte.«

»Und was bist du denn dein ganzes Leben lang gewesen?«

»Ich war früher eine Sklavin.«

[131] Aber Vinicius hörte nicht auf zu rasen; der Caesar habe ihm Lygia geschenkt, daher brauche er nicht zu fragen, was sie früher gewesen sei. Er werde sie finden, selbst wenn sie sich unter die Erde verborgen habe, und dann werde er mit ihr machen, was ihm beliebe. Ja, sie solle seine Konkubine werden. Er wolle sie peitschen lassen, so oft es ihm beliebe. Sei er ihrer einmal überdrüssig, so werde er sie dem niedrigsten seiner Sklaven geben oder auf einem seiner Güter in Afrika eine Handmühle treiben lassen. Er werde sie jetzt suchen und finden, aber nur in der Absicht, um sie zu peinigen, mit Füßen zu treten und ihren Trotz zu brechen.

Er geriet immer mehr in Wut und verlor so sehr alles Maß, daß selbst Akte erkannte, er stoße stärkere Drohungen aus, als er ausführen könne, und daß Zorn und Schmerz aus ihm sprachen. Mit seinem Schmerz hätte sie Mitleid gefühlt, doch seine Übertreibungen erschöpften ihre Geduld, so daß sie ihn endlich fragte, weshalb er zu ihr gekommen sei.

Vinicius fand nicht sogleich eine Antwort. Er sei zu ihr gekommen, weil er so gern wünschte, Nachricht von ihr zu erhalten; eigentlich aber habe er nur zum Caesar gewollt, und da er diesen nicht sprechen konnte, sei er zu ihr gekommen. Lygia habe sich durch ihre Flucht dem Willen des Caesars widersetzt; daher wollte er ihn bitten, nach ihr in der ganzen Stadt und im ganzen Reiche suchen zu lassen, sollte es dazu auch sämtlicher Legionen bedürfen und jedes Haus im Reiche durchforscht werden müssen. Petronius werde seine Bitte unterstützen, und noch am heutigen Tage solle das Suchen seinen Anfang nehmen.

Akte antwortete ihm: »Gib acht, daß du sie nicht dann erst für immer verlierst, wenn man sie auf Befehl des Caesars gefunden hat.«

Vinicius runzelte die Brauen.

»Was bedeutet dies?« fragte er.

»Höre mich an, Marcus. Gestern war ich mit Lygia hier im Garten, und wir trafen Poppaea mit der kleinen Augusta, [132] welche von der Negerin Lilith getragen wurde. Abends wurde das Kind krank, und Lilith behauptet, es sei behext worden und zwar von jenem fremden Mädchen, dem sie im Garten begegnet seien. Wird das Kind gesund, so wird man den Vorfall vergessen, im entgegengesetzten Falle aber wird Poppaea die erste sein, welche Lygia der Zauberei beschuldigt, und dann gibt es für sie keine Rettung, man mag sie finden, wo man will.«

Es entstand eine kurze Pause; dann sagte Vinicius: »Vielleicht hat sie das Kind behext, wie sie mich behext hat.«

»Lilith behauptet, das Kind habe sofort zu schreien angefangen, als es bei uns vorübergetragen worden sei. Und in der Tat, es schrie. Unzweifelhaft war es schon krank, als man es in den Garten trug. Marcus, suche Lygia selber, wo du willst; aber sprich, solange die kleine Augusta nicht wieder gesund ist, über sie nicht mit dem Caesar, denn du würdest die Rache Poppaeas auf sie herabbeschwören. Ihre Augen haben deinetwegen schon genug geweint, und alle Götter mögen das Haupt der Armen beschützen!«

»Du liebst sie, Akte?« fragte Vinicius finster.

In den Augen der Freigelassenen glänzten Tränen.

»Ja,« antwortete sie.

»Sie hat dir auch nicht mit Haß vergolten wie mir.«

Akte betrachtete ihn eine Weile, als zaudere sie oder als wolle sie erfahren, ob er im Ernste spreche; dann entgegnete sie: »O du ungestümer, verblendeter Mann: sie liebte dich ja.«

Vinicius sprang unter dem Eindruck dieser Worte wie besessen empor. »Das ist nicht wahr.« Sie hasse ihn. Woher könne Akte es wissen? Habe Lygia ihr am zweiten Tage ihrer Bekanntschaft ein Geständnis gemacht? Was sei das für eine Liebe, die ein unstetes Leben, schmachvolle Armut, Ungewißheit, was der morgende Tag bringen könne, oder gar einen elenden Tod einem bekränzten Hause vorzieht, in welchem der Geliebte sie zum Feste erwartet? Es sei besser für ihn, wenn er derartiges gar nicht höre, denn er sei im[133] Begriffe, wahnsinnig zu werden. Er hätte das Mädchen nicht gegen alle Schätze dieses Palastes hergegeben, und es habe fliehen können! Was sei dies für eine Liebe, die sich vor der Freude fürchte und sich und dem Geliebten Schmerz zufüge? Wer könne dies fassen, wer begreifen? Hätte er nicht noch die Hoffnung, sie wiederzufinden, so würde er sich in sein eigenes Schwert stürzen. Liebe ergibt sich, sie leistet keinen Widerstand. In Aulus' Hause habe es Augenblicke gegeben, in denen er an sein nahes Glück geglaubt habe, aber jetzt wisse er, daß sie ihn gehaßt habe, ihn noch hasse und mit Haß gegen ihn im Herzen sterben werde.

Aber jetzt machte die für gewöhnlich so schüchterne, milde Akte ihrem Unwillen Luft: Auf welche Weise habe er versucht, sie zu gewinnen? Statt bei Aulus und Pomponia um sie zu werben, habe er sie ihren Eltern durch Betrug und List geraubt. Er habe sie nicht zu seiner Gattin, sondern zu seiner Konkubine machen wollen, sie, das Pflegekind eines vornehmen Hauses, sie, die Tochter eines Königs. Und er habe sie in dieses Haus des Lasters und der Schande gebracht, habe ihre unschuldsvollen Augen durch den Anblick eines schamlosen Gelages beleidigt, habe sie wie eine Dirne behandelt. Habe er vergessen, wie es in Aulus' Hause zugehe und wer Pomponia Graecina sei, die Lygia erzogen habe? Besitze er denn nicht soviel Verstand, um zu wissen, daß es auch andere Frauen gebe als Nigidia, als Calvia Crispinella, als Poppaea und als alle, die er im Hause des Caesars antreffe? Habe er beim Anblicke Lygias nicht sofort erkannt, daß sie ein reines Mädchen sei, das den Tod der Schande vorziehe? Woher wisse er, zu welchen Gottheiten sie bete, und ob diese nicht keuscher, nicht besser seien als die unzüchtige Venus oder als Isis, welche von den der Ausschweifung ergebenen Frauen Roms verehrt werde? Nein! Lygia habe ihr kein Geständnis gemacht, habe ihr aber gesagt, sie suche Rettung bei ihm, bei Vinicius; sie habe die Hoffnung gehegt, er werde beim Caesar für sie die Heimkehr [134] erwirken und sie zu Pomponia zurückführen. Und bei diesen Worten sei sie errötet wie ein liebendes und vertrauendes Mädchen. Ihr Herz habe für ihn geschlagen, er aber habe sie erschreckt, verletzt und mit Abscheu vor ihm erfüllt. Jetzt solle er sie nur mit Hilfe der Soldaten des Caesars suchen, aber er solle auch wissen, daß, wenn Poppaeas Kind sterbe, der Verdacht auf Lygia falle und ihr Untergang unvermeidlich sei.

In Vinicius stritten Zorn und Schmerz und setzten sein Herz in wilden Aufruhr. Die Nachricht, Lygia liebe ihn, erschütterte seine Seele bis in ihre Tiefen. Er erinnerte sich ihrer, wie sie in Aulus' Garten mit errötenden Wangen und strahlenden Augen seinen Worten lauschte. Es war ihm, als habe sie damals in der Tat begonnen, ihn zu lieben, und plötzlich ergriff ihn bei diesem Gedanken das Gefühl einer Seligkeit, die tausendmal größer war als die, welche er erstrebt hatte. Er mußte daran denken, daß er sie in der Tat mit ihrer Zustimmung und noch dazu als liebendes Weib hätte besitzen können. Sie würde die Tür seines Hauses bekränzt und mit Wolfsfett gesalbt und sodann als Gattin auf dem Schaffell am Herde gesessen haben. Er würde aus ihrem Munde das Gelübde vernommen haben: »Wo du Gajus bist, dort bin ich Gaja,« und sie wäre auf ewig sein gewesen. Warum hatte er nicht so gehandelt? Er war allerdings dazu bereit gewesen. Jetzt war sie fort, und vielleicht konnte er sie nicht finden, wenn er sie aber fände, so war er möglicherweise an ihrem Tode schuld, und selbst wenn ihm dies erspart bliebe, würden weder Aulus und Pomponia noch sie selbst ihn wieder zu Gnaden annehmen. Dann begannen sich seine Haare von neuem vor Zorn zu sträuben, aber dieser richtete sich nicht mehr gegen Aulus oder Lygia, sondern gegen Petronius. Dieser war an allem schuld. Wäre er nicht gewesen, so brauchte Lygia nicht umherzuirren, sie wäre jetzt seine Gattin, und keine Gefahr würde über ihrem teuren Haupte schweben. Und nun war es geschehen, und es war [135] zu spät, das Unheil wieder gutzumachen, das sich nicht wieder gutmachen ließ.

»Zu spät!«

Es war ihm, als öffne sich ein Abgrund vor seinen Füßen. Er wußte nicht, was er beginnen, was er tun, wohin er sich wenden sollte. Akte wiederholte wie ein Echo die Worte: »Zu spät,« welche ihm aus fremdem Munde wie ein Todesurteil klangen. Nur das eine war ihm klar: er mußte Lygia wiederfinden, denn sonst würde ein Unglück geschehen.

Er hüllte sich mechanisch in seine Toga und wollte sich eben entfernen, ohne sich von Akte zu verabschieden, als der Vorhang, der die Eingangshalle von dem Atrium trennte, zurückgeschlagen wurde und plötzlich die trauernde Gestalt Pomponia Graecinas vor ihm sichtbar wurde.

Offenbar hatte auch sie von dem Verschwinden Lygias gehört und kam nun, weil sie glaubte, es werde für sie leichter sein als für Aulus, Akte zu sprechen, zu dieser, um Erkundigungen einzuziehen.

Als sie jedoch Vinicius erblickte, wandte sie ihm ihr zartes, blasses Antlitz zu und sagte nach einiger Zeit: »Marcus, möge Gott dir das Unrecht vergeben, das du uns und Lygia zugefügt hast.«

Er stand mit gesenkter Stirn in dem Gefühl des selbstverschuldeten Unglücks da und wußte nicht, welcher Gott ihm vergeben sollte, noch weshalb Pomponia von Vergebung sprach, da sie doch hätte von Rache sprechen müssen.

Endlich entfernte er sich ratlos, schwer bekümmert, betäubt von Gram und Staunen.

Im Hofe und unter den Galerien standen Scharen besorgter Menschen. Mitten unter den Palastsklaven erblickte man Ritter und Senatoren, welche gekommen waren, um sich nach dem Befinden der kleinen Augusta zu erkundigen, sich zugleich im Palast zu zeigen und einen Beweis ihrer besorgten Teilnahme zu geben, sei es auch nur vor den Sklaven des Caesars. Die Nachricht von der Erkrankung des »göttlichen« [136] Kindes hatte sich augenscheinlich rasch verbreitet, denn vor den Toren zeigten sich immer neue Gestalten, und vor dem Eingange waren ganze Scharen zu sehen. Einige der Anwesenden, welche Vinicius aus dem Palaste kommen sahen, baten ihn um Nachricht; doch er ging weiter, ohne auf die Fragen zu achten, bis Petronius, der ebenfalls gekommen war, um sich zu erkundigen, ihn leicht vor die Brust stieß und anhielt.

Vinicius hätte sich bei seinem Anblick unzweifelhaft hinreißen lassen und sich im Palaste des Caesars einer gesetzwidrigen Handlung schuldig gemacht, wenn er nicht, als er Akte verließ, so gebrochen, erschöpft und verzweifelt gewesen wäre, daß ihn in diesem Augenblicke sogar sein angeborener Jähzorn verlassen hatte. Er stieß Petronius zur Seite und wollte vorübergehen, aber dieser hielt ihn fast mit Gewalt zurück.

»Wie befindet sich die Göttliche?« fragte er.

Doch jener erzwungene Aufenthalt erbitterte Vinicius von neuem, und im Nu flammte sein Zorn wieder empor.

»Der Hades soll sie und dieses ganze Haus verschlingen!« erwiderte er zähneknirschend.

»Still, Unglückseliger!« rief Petronius, und sich nach allen Seiten umsehend, fuhr er hastig fort: »Wenn du etwas über Lygia erfahren willst, so komm mit mir. Nein! Hier sage ich dir nichts. Komm mit mir; dann werde ich dir meine Ansicht über die Sache in der Sänfte mitteilen.«

Er legte seinen Arm um seinen jungen Neffen und führte ihn eilig aus der Nähe des Palastes hinweg.

Darauf kam es ihm am meisten an, denn Nachrichten hatte er keine. Da er ein kluger Mann war und trotz seines gestrigen Unwillens große Zuneigung zu Vinicius empfand, sich endlich auch für alles Geschehene verantwortlich fühlte, so hatte er schon seine Vorkehrungen getroffen. Als sie in der Sänfte Platz genommen hatten, sagte er. »Ich habe meinen Sklaven Auftrag gegeben, an allen Toren zu wachen, [137] auch gab ich ihnen eine Beschreibung des Mädchens und jenes Riesen, der sie beim Caesar aus dem Festsaale trug; denn es unterliegt keinem Zweifel, daß er es ist, der sie entführt hat. Höre mich an! Es ist möglich, daß Aulus sie auf einem seiner Güter verbergen will, und in diesem Falle werden wir erfahren, nach welcher Richtung man sie fortbringt. Wenn sie sie aber an keinem Tore bemerken, so ist dies ein Beweis dafür, daß sie noch in der Stadt ist und daß wir noch heute mit der Nachforschung in der Stadt beginnen können.«

»Aulus weiß nicht, wo sie sich befindet,« entgegnete Vinicius.

»Bist du sicher, daß dem so ist?«

»Ich habe Pomponia gesehen. Auch sie sucht sie.«

»Gestern konnte sie die Stadt nicht verlassen, denn nachts sind die Tore geschlossen. Zwei von meinen Leuten stehen jetzt an jedem Tore. Der eine muß der Spur Lygias und des Riesen folgen, der andere sofort zurückkehren, um Nachricht zu bringen. Wenn sie in der Stadt ist, so werden wir sie schon finden, denn jener Lygier ist wegen seiner Größe und Stärke leicht erkennbar. Du hast von Glück zu sagen, daß der Caesar sie dir nicht raubte; ich kann dich versichern, daß er es nicht getan hat, denn auf dem Palatin gibt es für mich keine Geheimnisse.«

Aber Vinicius empfand noch größeren Schmerz als Zorn, und mit vor Erregung zitternder Stimme begann er Petronius zu erzählen, was er von Akte erfahren hatte und welche neue Gefahren über Lygias Haupte schwebten. Diese seien so furchtbar, daß es notwendig sei, falls man die Flüchtlinge entdecke, sie auf das sorgfältigste vor Poppaea zu verbergen. Dann begann er Petronius wegen seines Rates heftige Vorwürfe zu machen. Wäre er nicht gewesen, so könnte alles anders sein. Lygia befände sich noch bei Aulus, und er, Vinicius, könnte sie täglich sehen und heut glücklicher sein als der Caesar. Je weiter er in seiner Erzählung kam, in desto heftigere [138] Erregung geriet er, und endlich begannen ihm Tränen des Schmerzes und des Zorns aus seinen Augen zu tropfen.

Als Petronius, der überhaupt nie geglaubt hatte, daß sein junger Neffe so heiß lieben und von solchem Verlangen ergriffen werden könne, diese Tränen der Verzweiflung erblickte, sagte er mit einem gewissen Erstaunen zu sich selber: »O mächtige Gebieterin von Cypern, du allein beherrschst die Götter und Menschen!«

Zwölftes Kapitel

Zwölftes Kapitel.

Als sie vor Petronius' Hause abstiegen, meldete ihnen der Vorsteher des Atriums, daß keiner von den an die Tore entsandten Sklaven zurückgekehrt sei. Der Atriensis hatte ihnen Lebensmittel und unter Androhung von Peitschenhieben den erneuten Befehl überbringen lassen, auf alle die Stadt verlassenden Personen sorgfältig achtzugeben.

»Du siehst,« sagte Petronius, »sie sind unzweifelhaft noch in der Stadt, und in diesem Falle werden wir sie schon finden. Laß aber auch deine Leute an den Toren wachen, namentlich diejenigen, welche Lygia abholen sollten; denn die werden sie leicht wiedererkennen.«

»Ich ließ sie in die Ergastula auf dem Lande bringen,« sagte Vinicius, »werde aber sofort den Befehl erteilen, sie an die Tore zu schicken.«

Dann schrieb er einige Worte auf ein Wachstäfelchen und übergab es Petronius, der es sofort nach Vinicius' Hause bringen ließ.

Dann betraten sie den inneren Portikus, setzten sich dort auf eine Marmorbank und begannen zu plaudern.

Die goldhaarige Eunike und Iras schoben ihnen Bronzeschemel unter die Füße, rückten einen Tisch an die Bank und begannen ihnen aus prachtvollen, enghalsigen Gefäßen, die aus Volaterrae und Caecina stammten, Wein in Schalen zu gießen.

[139] »Hast du unter deinen Sklaven jemand, der jenen riesigen Lygier kennt?« fragte Petronius.

»Atacinus und Gulo kannten ihn. Atacinus fiel aber gestern bei der Sänfte, und Gulo habe ich erschlagen.«

»Es tut mir leid um ihn,« entgegnete Petronius; »er hat nicht nur dich, sondern auch mich auf seinen Armen getragen.«

»Ich wollte ihm schon die Freiheit schenken,« erwiderte Vinicius; »aber lassen wir das. Wir wollen von Lygia sprechen. Rom ist ein Meer ...«

»Perlen fischt man gerade im Meere ... Gewiß werden wir sie weder heut noch morgen finden, aber wir finden sie nichtsdestoweniger bestimmt. Du machtest mir soeben Vorwürfe, daß ich dir zu diesem Wege geraten hätte; der Weg an sich aber war gut und wurde erst dann schlecht, als er zu einem üblen Ausgange führte. Du hörtest doch von Aulus selbst, daß er samt seiner ganzen Familie nach Sizilien zu gehen beabsichtigte. Auf diese Weise würde das Mädchen ebenfalls weit von dir entfernt sein.«

»Ich wäre mit ihnen gegangen,« versetzte Vinicius, »und auf jeden Fall befände sie sich in Sicherheit; jetzt aber wird Poppaea, wenn ihr das Kind stirbt, selbst glauben, daß Lygia die Schuld daran trägt, und es dem Caesar einreden.«

»So ist es. Auch mich beunruhigt dies. Aber das kleine Püppchen kann wieder gesund werden. Sollte es aber sterben, so werden wir auch in diesem Falle schon Mittel und Wege finden.«

Petronius dachte eine Weile nach und sagte dann: »Poppaea ist sozusagen Anhängerin der jüdischen Religion und glaubt an böse Geister. Der Caesar ist abergläubisch. Wenn wir das Gerücht aussprengen, böse Geister hätten Lygia entführt, so wird dies Gerücht Glauben finden, namentlich da sie weder vom Caesar noch von Aulus Plautius geraubt wurde und wirklich auf geheimnisvolle Weise entkommen ist. Der Lygier allein konnte es nicht bewerkstelligen, er muß [140] Helfershelfer gehabt haben; wie konnte aber ein Sklave im Laufe eines Tages so viele Leute zusammenbringen?«

»Die Sklaven von ganz Rom stehen einander gegenseitig bei.«

»Und bezahlen es gelegentlich mit ihrem Blute. Ja, sie helfen einander, aber nicht gegen Leute ihres Standes, und hier wußten sie, daß Rache und Strafe die deinigen treffen würden. Wenn du ihnen den Gedanken an böse Geister eingibst, so werden sie sofort behaupten, mit eigenen Augen solche gesehen zu haben, weil sie in diesem Falle unschuldig wären. Mache den Versuch und frage einen, ob er nicht gesehen habe, wie sie Lygia durch die Luft entführten, und sie werden dir sofort bei der Aegis des Zeus schwören, daß dem so gewesen ist.«

Vinicius, der ebenfalls abergläubisch war, betrachtete Petronius mit plötzlich erwachter, heftiger Unruhe.

»Wenn Ursus niemand hatte, der ihm beistand, und Lygia nicht allein rauben konnte, wer hat sie denn dann geraubt?«

Petronius begann zu lachen.

»Siehst du,« sagte er, »man wird es schon glauben, da sogar du halb und halb daran glaubst. So ist unsere Welt, die über die Götter spottet. Man wird daran glauben und nicht mehr nach Lygia forschen; unterdessen bringen wir sie fern von der Stadt irgendwo unter, entweder in einer von meinen oder von deinen Villen.«

»Wer konnte ihr aber wohl zu Hilfe kommen?«

»Ihre Glaubensgenossen,« erwiderte Petronius.

»Wer sind die? Welche Gottheit verehrt sie? Ich müßte darüber besser Bescheid wissen als du.«

»In Rom verehrt fast jede Frau eine andere Gottheit. Es steht fest, daß Pomponia sie in der Verehrung der Gottheit aufgezogen hat, an die sie selbst glaubt; welche dies aber ist, weiß ich nicht. Eins ist sicher: niemand hat sie je in einem von unseren Tempeln unseren Göttern Opfer darbringen sehen. Man hat sie sogar beschuldigt, Christin zu [141] sein; aber dies ist unmöglich. Ein Familiengericht hat sie von dieser Anklage freigesprochen. Von den Christen erzählt man sich, daß sie nicht nur einen Eselskopf anbeten, sondern auch Feinde des menschlichen Geschlechts seien und die abscheulichsten Verbrechen begehen. Daher kann Pomponia keine Christin sein, denn ihre Tugendhaftigkeit ist allgemein bekannt, und eine Feindin des menschlichen Geschlechtes kann ihre Sklaven nicht so behandeln, wie sie es tut.«

»In keinem Hause werden sie so gut behandelt wie bei Aulus,« versetzte Vinicius.

»Du siehst also. Pomponia sprach zu mir von einem Gott, der der alleinige, allmächtige und allerbarmende sein soll. Wohin sie die anderen alle gebracht hat, ist ihre Sache; es genügt, daß dieser ihr Logos nicht allzu mächtig sein kann; im Gegenteil muß er ein sehr schwacher Gott sein, da er nur zwei Gläubige aufzuweisen hat, nämlich Pomponia und Lygia, Ursus mit eingeschlossen. Es muß eine größere Anzahl von diesen Gläubigen geben, und diese sind Lygia zu Hilfe gekommen.«

»Dieser Glaube befiehlt, zu verzeihen,« entgegnete Vinicius. »Ich traf Pomponia bei Akte, und sie rief mir zu: Möge dir Gott das Unrecht verzeihen, das du Lygia und uns zugefügt hast.«

»Augenscheinlich ist ihr Gott, ihr Kurator, ein sehr gütiger Gott. Nun, nimm seine Verzeihung an, und laß dir von ihm zum Zeichen der Vergebung das Mädchen zurückbringen.«

»Ich werde ihm morgen eine Hekatombe opfern. Ich habe weder Lust zu essen, noch zu baden oder zu schlafen. Ich werde mir eine Blendlaterne holen und sie in der ganzen Stadt suchen. Vielleicht treffe ich sie in irgend einer Verkleidung. Ich bin krank.«

Petronius betrachtete ihn mit einer Art Mitleid. In der Tat waren Vinicius' Augen geschwollen und glänzten in Fieberglut; wie ein dunkler Streifen umgab ein ungewöhnlich [142] verwachsener Bart seine kräftig hervortretenden Wangen; das Haar hing wirr herab, und er glich in der Tat einem Kranken. Iras und die goldlockige Eunike sahen ihn ebenfalls mitleidig an; aber er gab sich nicht die Mühe, sie anzusehen, und weder er noch Petronius beachtete die Gegenwart der Sklavinnen, als wären es Hunde, die um sie herumwedelten.

»Das Fieber schüttelt dich,« sagte Petronius.

»So ist es.«

»Höre mich. Ich weiß nicht, was dir der Arzt verordnen würde; aber ich weiß, was ich an deiner Stelle täte. Sieh, bis ich diese da gefunden hätte, würde ich bei einer anderen dasjenige suchen, was mir bei jener entging. Herrliche Mädchen habe ich in deiner Villa gesehen. Widersprich mir nicht. Ich weiß, was Liebe ist, und weiß auch, daß, wenn man nach einer Verlangen trägt, keine andere an deren Stelle treten kann. Aber bei einer schönen Sklavin kann man stets, wenn auch nur für den Augenblick, Zerstreuung finden.«

»Ich habe kein Bedürfnis danach,« entgegnete Vinicius.

Aber Petronius, der aufrichtige Zuneigung für ihn fühlte und wirklich seinen Schmerz lindern wollte, begann nachzudenken, wie er seinen Zweck erreichen könnte.

»Vielleicht haben deine Sklavinnen nicht mehr den Reiz der Neuheit für dich, aber (und dabei blickte er abwechselnd auf Iras und Eunike und legte endlich seine Hand auf die Hüfte der goldlockigen Griechin) sieh diese Charis! Erst vor wenigen Tagen bot mir der jüngere Fontejus Capito für sie drei wunderschöne Knaben aus Klazomenae; selbst Skopas hat keinen schöneren Leib geschaffen. Ich begreife selbst nicht, warum sie mir bisher so gleichgültig gewesen ist, während mich doch kein Gedanke an Chrysothemis zurückhält. Nun, ich schenke sie dir, sie sei dein!«

Die goldlockige Eunike wurde bei diesen Worten blaß wie die Wand, schaute angstvollen Blickes auf Vinicius und erwartete in atemloser Spannung dessen Antwort.

[143] Dieser sprang plötzlich auf, drückte die Hände an die Schläfen und sprach rasch wie jemand, der, von einer Krankheit ergriffen, nichts hören will: »Nein, nein! Nichts von ihr, nichts von anderen ... Ich danke dir, aber ich brauche sie nicht. Jene will ich in der ganzen Stadt suchen. Laß mir einen gallischen Mantel mit Kapuze bringen. Ich gehe über den Tiber ... Wenn ich doch wenigstens Ursus finden könnte!«

Er entfernte sich eilig. Petronius sah ein, daß er wirklich nicht imstande war, länger bei ihm zu bleiben, und versuchte nicht, ihn zurückzuhalten. Vinicius' Antwort erklärte er sich aus einem augenblicklichen Widerwillen gegen jede Frau, die nicht Lygia war, und da er sein hochherziges Versprechen nicht umsonst gegeben haben wollte, wandte er sich zu der Sklavin und sagte: »Eunike, du wirst dich baden, salben und anziehen und dann zu Vinicius gehen!«

Sie fiel jedoch vor ihm auf die Kniee und begann ihn mit gerungenen Händen anzuflehen, sie nicht aus dem Hause zu geben. Sie gehe nicht zu Vinicius und wolle hier lieber Holz ins Hypokaustum tragen, als dort erste Dienerin zu sein. Sie wolle nicht, sie könne nicht! sie flehe ihn an, sich ihrer zu erbarmen. Er möge sie täglich peitschen lassen, wenn er sie nur nicht aus dem Hause schicke.

Vor Angst und Erregung wie Espenlaub zitternd, streckte sie ihm die Arme entgegen, während er erstaunt zuhörte. Eine Sklavin, welche sich weigerte, einem Befehl zu gehorchen, welche sagte: »Ich will nicht und ich kann nicht!« war in Rom etwas so unerhörtes, daß Petronius kaum seinen Ohren trauen wollte. Endlich zog er die Brauen zusammen. Er war zu fein gebildet, um grausam zu sein. Seine Sklaven hatten, namentlich was Erholung betraf, viel mehr Freiheit als andere, aber nur unter der Voraussetzung, daß sie ihren Dienst pünktlich taten und den Willen ihres Herrn wie den eines Gottes verehrten. Im Falle des Ungehorsams gegen diese beiden Bedingungen war er imstande, keine [144] Strafe zu sparen, die nach allgemeinem Gebrauch zulässig war. Da er außerdem keine Widersetzlichkeit, überhaupt nichts, was ihn in seiner Gemütsruhe stören könnte, duldete, sah er eine Weile auf die Knieende herab und sagte dann: »Rufe mir Tiresias und kehre mit ihm hierher zurück.«

Eunike erhob sich zitternd, mit Tränen in den Augen und ging hinaus, um nach kurzer Zeit mit dem Aufseher des Atriums, dem Kreter Tiresias, zurückzukehren.

»Nimm Eunike mit dir,« befahl ihm Petronius, »und gib ihr fünfundzwanzig Streiche, aber so, daß die Haut nicht verletzt wird.«

Nach diesen Worten begab er sich in die Bibliothek, setzte sich an einen Tisch aus rosenrotem Marmor und begann an seinem »Gastmahl des Trimalchio« zu arbeiten.

Aber Lygias Flucht und die Krankheit der kleinen Augusta beschäftigten ihn in seinen Gedanken so sehr, daß er nicht lange zu schreiben vermochte. In der Tat war jene Krankheit ein schwerwiegendes Ereignis. Petronius mußte daran denken, daß, wenn der Caesar glaube, Lygia habe die kleine Augusta bezaubert, die Verantwortung auch auf ihn fallen könne, weil das Mädchen auf seinen Wunsch in den Palast aufgenommen worden war. Er rechnete jedoch darauf, daß es ihm bei dem ersten Zusammentreffen mit dem Caesar gelingen werde, ihm auf irgend eine Weise den ganzen Widersinn eines solchen Verdachtes klarzumachen; außerdem rechnete er auf eine Art Neigung, die Poppaea für ihn empfand, die sie zwar sorgfältig verbarg, aber nicht so sorgfältig, daß er sie nicht hätte bemerken können. Nach einer Weile zuckte er die Achseln über seine Befürchtungen und entschloß sich, ins Triclinium zu gehen, um etwas zu genießen und sich dann nach dem Palast, nach dem Marsfelde und zu Chrysothemis tragen zu lassen.

Auf dem Wege nach dem Triclinium, vor dem Eingange zu der für die Dienerschaft bestimmten Galerie, erblickte er plötzlich an der Wand mitten unter den anderen Sklaven [145] die schlanke Gestalt Eunikes, und da er vergaß, daß er Tiresias keinen anderen Befehl gegeben habe, als sie zu peitschen, runzelte er von neuem die Stirn und begann sich nach ihm umzusehen. Als er ihn nicht unter der Dienerschaft erblickte, wandte er sich an Eunike und fragte: »Hast du die Streiche bekommen?«

Sie warf sich ihm abermals zu Füßen, führte einen Augenblick lang den Saum seiner Toga an ihre Lippen und antwortete dann: »Jawohl, Herr! Ich habe sie erhalten! Jawohl, Herr!«

In ihrer Stimme lag etwas wie Freude und Dankbarkeit. Es war klar, sie glaubte, die Streiche seien an die Stelle ihrer Entfernung aus dem Hause getreten und sie dürfe jetzt bleiben. Petronius, der dies bemerkte, wunderte sich über diesen leidenschaftlichen Widerstand der Sklavin, war aber ein zu genauer Kenner der menschlichen Natur, um nicht zu erkennen, daß nur die Liebe einen solchen Widerstand nähren könne.

»Hast du einen Geliebten in diesem Hause?« fragte er.

Sie hob ihre blauen, tränengefüllten Augen zu ihm empor und antwortete so leise, daß er sie kaum zu verstehen vermochte: »Ja, Herr!«

Und mit diesen Augen, mit dem nach hinten zurückgeworfenen Haar, mit Furcht und Hoffnung in den Zügen, war sie so schön, blickte sie ihn so flehend an, daß Petronius, der als Philosoph selbst die Macht der Liebe verherrlichte und als Ästhetiker jeder Schönheit seine Huldigung darbrachte, für sie eine Art mitleidige Regung empfand.

»Wer von diesen ist dein Geliebter?« fragte er, mit einer Kopfbewegung auf die Dienerschaft deutend.

Es erfolgte keine Antwort; Eunike neigte nur das Haupt bis auf seine Füße herab und blieb stumm.

Petronius betrachtete die Sklaven, unter denen sich schöne, stattliche Jünglinge befanden; aber auf keinem Gesichte konnte er etwas lesen, alle zeigten vielmehr ein seltsames Lächeln. [146] Dann sah er noch eine Weile auf die vor ihm liegende Eunike herab und ging dann schweigend ins Triclinium.

Nach dem Mahle ließ er sich nach dem Palaste und von da zu Chrysothemis tragen, bei der er bis tief in die Nacht hinein blieb. Nach seiner Rückkehr ließ er Tiresias rufen.

»Hast du Eunike gepeitscht?« fragte er.

»Ja, Herr. Du wolltest jedoch nicht, daß ihre Haut verletzt würde.«

»Habe ich mit Bezug auf sie keinen anderen Befehl gegeben?«

»Nein, Herr,« antwortete der Atriensis ängstlich.

»Es ist gut. Welcher von den Sklaven ist ihr Geliebter?«

»Keiner Herr.«

»Was weißt du sonst noch von ihr?«

Tiresias begann mit etwas unsicherer Stimme zu sprechen: »Eunike verläßt nie des Nachts ihr Cubiculum, in dem sie sich mit der alten Acrisiona und Iphis befindet; nachdem du gebadet hast, Herr, hält sie sich auch nicht mehr im Badezimmer auf. Die anderen Sklavinnen lachen über sie und nennen sie Diana.«

»Genug,« sagte Petronius. »Mein Neffe Vinicius, dem ich Eunike heute früh zum Geschenke machen wollte, hat sie nicht angenommen; sie bleibt also im Hause. Du kannst gehen.«

»Darf ich dir noch mehr von Eunike berichten, Herr?«

»Ich befahl dir, alles zu sagen, was du weißt.«

»Die ganze Familia, Herr, spricht von der Flucht des Mädchens, das im Hause des edlen Vinicius wohnen sollte. Nach deinem Weggange trat Eunike zu mir und sagte, sie kenne einen Mann, dem es gelingen werde, jenes Mädchen aufzufinden.«

»Ah!« rief Petronius. »Was ist das für ein Mann?«

»Ich kenne ihn nicht, Herr; ich glaubte jedoch, dir davon Mitteilung machen zu müssen.«

[147] »Es ist gut. Laß diesen Mann morgen in meinem Hause auf die Ankunft des Tribunen warten, den du in meinem Namen bitten wirst, mich morgen früh zu besuchen.«

Der Atriensis verbeugte sich und ging.

Petronius begann wider seinen Willen über Eunike nachzudenken. Von Anfang an war es ihm klar gewesen, daß die junge Sklavin nur deswegen wünschte, Vinicius möge Lygia wiederfinden, um nicht gezwungen zu werden, sein Haus zu verlassen. Dann aber fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf, jener Mann, den Eunike empfahl, könne ihr Geliebter sein, und dieser Gedanke verstimmte ihn sofort. Es gab freilich ein einfaches Mittel, die Wahrheit zu erfahren; er brauchte ja nur Eunike rufen zu lassen. Aber es war schon spät; Petronius fühlte sich nach dem langen Aufenthalte bei Chrysothemis ermüdet und sehnte sich nach Schlaf. Als er sich nach dem Cubiculum begab, kam es ihm in den Sinn – er wußte nicht, warum – daß er in Chrysothemis' Augenwinkeln heute Falten gesehen habe. Auch erkannte er, daß ihre Schönheit in ganz Rom mehr, als es sich gebührte, gepriesen wurde und daß Fontejus Capito, der ihm drei schöne Knaben aus Klazomenae für Eunike geboten hatte, das Mädchen noch viel zu billig kaufen wollte.

Dreizehntes Kapitel

Dreizehntes Kapitel.

Am folgenden Morgen war Petronius im Unctorium kaum mit dem Ankleiden fertig, als der von Tiresias herbeigerufene Vinicius erschien. Er wußte schon, daß von den Toren keine Nachricht eingetroffen sei, und statt daß diese Kunde ihn mit Hoffnung erfüllt hätte, da sie ein Beweis dafür war, daß sich Lygia noch in der Stadt befand, drückte sie ihn noch schwerer danieder, da er zu fürchten begann, Ursus könne sich sofort nach dem Überfall und also früher mit ihr aus der Stadt geflüchtet haben, bevor die Sklaven des Petronius begonnen hätten, die Tore zu bewachen. Zwar schloß man im Herbste, [148] wenn die Tage kürzer wurden, die Tore zeitiger, aber sie wurden auch für solche, welche die Stadt verlassen wollten, geöffnet, und deren Zahl war nicht gering. Über die Mauern konnte man auch auf andere Arten gelangen, und diese waren zum Beispiel den Sklaven, die aus der Stadt fliehen wollten, nur allzugut bekannt. Allerdings hatte Vinicius seine Leute auch auf alle Straßen, die nach der Provinz führten, und zu den Wachen in den kleineren Städten gesandt mit der Ankündigung von der Flucht zweier Sklaven, mit einer genauen Beschreibung von Ursus und Lygia und mit dem Versprechen einer Belohnung für deren Ergreifung. Es war jedoch zweifelhaft, ob die Flüchtigen bei dieser Verfolgung eingeholt werden konnten und selbst wenn dies der Fall war, ob die Ortsbehörden sich berechtigt fühlen würden, sie auf das private, durch keinen Praetor unterstützte Ersuchen des Vinicius hin anzuhalten. In der Tat hatte er keine Zeit gehabt, sich eine solche amtliche Unterstützung zu verschaffen. Vinicius selbst hatte den gestrigen ganzen Tag in der Verkleidung eines Sklaven in allen Straßen der Stadt nach Lygia gesucht, ohne daß es ihm jedoch gelungen wäre, die geringste Spur oder das geringste Anzeichen von ihr zu entdecken. Zwar hatte er die Diener des Aulus gesehen, aber auch sie schienen etwas zu suchen, und dies bestärkte ihn nur noch mehr in der Meinung, daß Aulus Lygia nicht entführt habe und daß auch er nicht wisse, was aus ihr geworden sei.

Als Tiresias ihm daher mitteilte, ein Mann habe sich erboten, sie ausfindig zu machen, eilte er so schnell wie möglich zu Petronius und hatte ihn kaum begrüßt, als er auch schon nach jenem Manne fragte.

»Wir werden ihn sogleich sehen,« entgegnete Petronius. »Es ist ein Bekannter von Eunike, die in diesem Augenblicke kommen muß, um mir die Falten meiner Toga zu ordnen, und die uns nähere Auskunft über ihn geben wird.«

»Ist das die Sklavin, die du mir gestern schenken wolltest?«

[149] »Ja, dieselbe, die du gestern verschmähtest, wofür ich dir übrigens dankbar bin, da es keine bessere Vestiplica in der ganzen Stadt gibt.«

In diesem Augenblicke erschien die Vestiplica, fast ehe er noch zu Ende gesprochen hatte, nahm die Toga von einem mit Elfenbein ausgelegten Sessel und öffnete sie, um sie Petronius über die Schultern zu legen. Ihr Antlitz war von Klarheit und Ruhe erfüllt, und aus ihren Augen strahlte die Freude.

Petronius betrachtete sie und fand sie sehr schön. Nach einer Weile, als sie ihn in die Toga gehüllt hatte und anfing, diese zu ordnen, wobei sie sich zeitweilig bückte, um sie in Falten zu legen, bemerkte er, daß ihre Arme von wunderbar zarter, rosiger Farbe waren und Busen und Schultern den halb durchsichtigen Schimmer der Perlen oder des Alabasters zeigten.

»Eunike,« sagte er, »ist jener Mann hier, von dem du gestern mit Tiresias sprachst?«

»Ja, Herr!«

»Wie nennt er sich.«

»Chilon Chilonides, Herr.«

»Was ist er?«

»Arzt, Weiser und Wahrsager, der im Schicksal des Menschen zu lesen und die Zukunft zu deuten versteht.«

»Hat er auch dir die Zukunft verkündet?«

Eunike wurde von flammender Röte übergossen, die selbst ihren Ohren und ihrem Nacken einen rosigen Schimmer verlieh.

»Ja, Herr.«

»Was hat er dir geweissagt?«

»Daß mich Schmerz und Glück treffen werde.«

»Schmerz hat dich gestern von Tiresias' Hand getroffen, und darum muß auch das Glück nachkommen.«

»Es ist schon gekommen!«

»Wieso?«

[150] »Ich bleibe,« flüsterte sie ganz leise.

Petronius legte die Hand auf ihren goldenen Scheitel.

»Du hast heute meine Falten gut geordnet, und ich bin mit dir zufrieden.«

Unter dieser Berührung füllten sich ihre Augen im Nu mit Tränen des Glückes, und ihre Brust begann heftig zu wogen.

Petronius und Vinicius begaben sich in das Atrium, wo Chilon Chilonides auf sie wartete, der bei ihrem Eintritt eine tiefe Verbeugung machte. Bei dem Gedanken an den Verdacht, den Petronius gestern gehegt hatte, dieser Mann könne möglicherweise Eunikes Geliebter sein, umzog ein Lächeln seinen Mund. Der Mann, der vor ihm stand, konnte keiner Frau Geliebter sein. In dieser seltsamen Figur lag sowohl Gemeines wie Lächerliches. Er war noch nicht alt; in seinem ungepflegten Barte und seinen Locken zeigte sich jedoch hier und da ein graues Haar. Er hatte einen eingefallenen Leib und vorgebeugte Haltung, so daß er auf den ersten Blick bucklig zu sein schien. Über jenem Höcker erhob sich ein großer Kopf mit den Zügen eine Affen, zugleich aber auch eines Fuchses mit klugem Ausdruck. Sein gelbliches Gesicht war mit Warzen durchsetzt, und seine von diesen völlig bedeckte Nase konnte möglicherweise auf eine allzustarke Vorliebe für die Flasche hindeuten. Seine nachlässige Kleidung, die aus einer dunklen Tunika aus Ziegenwolle und einem zerrissenen Mantel aus demselben Stoff bestand, verriet wirkliche oder erheuchelte Armut. Petronius mußte bei seinem Anblick an den homerischen Thersites denken und sagte daher, indem er Chilons Verbeugung mit einer Handbewegung beantwortete: »Sei mir gegrüßt, göttlicher Thersites! Was machen deine Schwielen, die dir Odysseus vor Troja schlug, und wie geht es ihm selbst auf den elyseischen Gefilden?«

»Edler Herr,« entgegnete Chilon Chilonides, »Odysseus, der Weiseste unter den Toten, sendet durch mich dem Petronius, dem Weisesten unter den Lebenden, seinen Gruß mit [151] der Bitte, meine Schwielen mit einem neuen Mantel zu bedecken.«

»Bei der dreigestaltigen Hekate,« rief Petronius, »die Antwort ist einen Mantel wert.«

Das weitere Gespräch wurde jedoch durch den ungeduldigen Vinicius unterbrochen, der hastig fragte: »Weißt du auch genau, was du unternehmen willst?«

»Wenn die Sklaven zweier vornehmer Häuser von nichts anderem sprechen und wenn halb Rom die Neuigkeit wiederholt, so ist es nicht schwer, davon zu wissen,« erwiderte Chilon. »Gestern nacht wurde ein im Hause des Aulus Plautius aufgewachsenes Mädchen namens Lygia oder eigentlich Kallina geraubt, während es durch deine Sklaven, Herr, vom Palaste des Caesars nach deiner Insula geleitet wurde. Ich übernehme es, sie in der Stadt ausfindig zu machen oder, wenn sie die Stadt verlassen hat, was aber wenig wahrscheinlich ist, dir anzuzeigen, edler Tribun, wohin sie geflohen ist und wo sie sich aufhält.«

»Gut,« entgegnete Vinicius, dem die Genauigkeit der Antwort gefallen hatte, »welche Mittel stehen dir hierzu zu Gebote?«

Chilon lächelte verschmitzt und sagte: »Die Mittel hast du, Herr; ich habe nur den Geist.«

Petronius lächelte ebenfalls, denn sein Gast belustigte ihn in hohem Grade.

»Dieser Mann kann das Mädchen finden,« dachte er.

Unterdessen runzelte Vinicius seine buschigen Augenbrauen und sagte: »Elender Wicht, wenn du mich des Gewinnes wegen betrügst, lasse ich dich mit Knütteln totschlagen.«

»Ich bin Philosoph, Herr, und ein Philosoph kann nie nach Gewinn lüstern sein, namentlich nicht nach solchem, welchen du mir großmütigerweise angeboten hast.«

»Ah, du bist Philosoph?« fragte Petronius. »Eunike sagte mir, du seiest Arzt und Wahrsager. Woher kennst du Eunike?«

[152] »Sie kam zu mir mit der Bitte um Hilfe; denn mein Ruhm war auch zu ihren Ohren gedrungen.«

»Welcher Hilfe bedurfte sie?«

»Gegen die Liebe, Herr. Sie wünschte von unerwiderter Liebe geheilt zu werden.«

»Und hast du sie geheilt?«

»Ich tat noch mehr, Herr; ich gab ihr ein Amulett, das Gegenliebe sichert. In Paphos auf Cypern liegt ein Tempel, Herr, in dem ein Gürtel der Venus aufbewahrt wird. Ich gab ihr zwei Fäden aus diesem Gürtel, die in einer Mandelschale eingeschlossen sind.«

»Und ließest du dich gut dafür bezahlen?«

»Man kann nichts in genügender Weise auf bloße Gegenseitigkeit hin tun – und ich, dem zwei Finger an der rechten Hand fehlen, spare zusammen, um mir einen Sklaven zum Schreiben zu halten, der meine Gedanken aufzeichnen und meine Lehre der Welt mitteilen soll.«

»Zu welcher Schule gehörst du denn, göttlicher Weiser?«

»Ich bin Zyniker, Herr, denn ich habe einen zerrissenen Mantel; ich bin Stoiker, denn ich ertrage die Armut mit Geduld; ich bin Peripatetiker, denn da ich keine Sänfte besitze, gehe ich zu Fuße von einer Weinschenke zur anderen und lehre unterwegs diejenigen, welche mir einen Krug Wein zu zahlen versprechen.«

»Und beim Kruge wirst du Rhetor?«

»Heraklit sagt: Alles fließt, und kannst du leugnen, Herr, daß auch der Wein fließt?«

»Er behauptete auch, das Feuer sei eine Gottheit, und diese Gottheit ist die Röte deiner Nase.«

»Der göttliche Diogenes von Apollonia behauptete aber, die Luft sei der Grundstoff, und je wärmer die Luft sei, um so vollkommener seien auch die von ihr erzeugten Geschöpfe; aus der wärmsten nun stammen die Seelen der Weisen. Da aber im Herbste die Tage kälter werden, muß der wahre Weise seine Seele mit Wein erwärmen ... Denn wolltest du [153] es etwa ebenfalls leugnen, Herr, daß ein Krug, wenn er auch mit dem schlechten Weine aus Capua oder Telesia gefüllt ist, über alle Gebeine des hinfälligen menschlichen Körpers Wärme verbreitet?«

»Chilon Chilonides, wo ist deine Heimat?«

»Am Schwarzen Meere. Ich bin in Mesembria geboren.«

»Chilon, du bist groß!«

»Und unerkannt,« fügte der Weise trüben Sinnes hinzu.

Vinicius wurde jetzt von neuem ungeduldig. Angesichts der Hoffnung, die sich ihm zeigte, wünschte er, daß Chilon sofort ans Werk gehe, und die ganze Unterhaltung schien ihm nur Zeitvergeudung zu sein, wegen der er auf Petronius ärgerlich war.

»Wann wirst du deine Nachforschung beginnen?« fragte er, sich an den Griechen wendend.

»Ich habe sie bereits begonnen,« entgegnete Chilon. »Und wenn ich hier bin und auf deine huldreichen Fragen antworte, stelle ich auch meine Nachforschungen an. Habe nur Vertrauen, verehrter Tribun, und wisse, daß, wenn du dein Sandalenband verlörest, es mir gelingen würde, dieses selbst oder den zu finden, der es auf der Straße aufgehoben hat.«

»Bist du schon zu ähnlichen Diensten verwendet worden?« fragte Petronius.

Der Grieche erwiderte mit zum Himmel emporgeschlagenen Augen: »Heutzutage werden Tugend und Weisheit zu wenig geschätzt, als daß selbst ein Philosoph nicht gezwungen wäre, sich auf andere Weise seinen Lebensunterhalt zu erwerben.«

»Auf welche Weise erwirbst du dir deinen?«

»Indem ich alles weiß und die mit Nachrichten versorge, die sie brauchen.«

»Und dich dafür bezahlen?«

»Ach, Herr, ich muß mir einen Schreiber kaufen. Sonst stirbt meine Weisheit mit mir.«

[154] »Wenn du noch nicht soviel zusammengebracht hast, daß es zu einem neuen Mantel reicht, so können deine Dienste nicht besonders wertvoll sein.«

»Die Bescheidenheit hindert mich daran, sie zu rühmen. Bedenke aber auch, Herr, daß es heutzutage keine solchen Wohltäter mehr gibt, wie sie früher häufig zu finden waren und denen es ein ebenso großer Genuß war, einen Dienst mit Gold zu belohnen, als eine Auster von Puteoli zu schlürfen. Nicht meine Dienste sind geringwertig, wohl aber ist die Dankbarkeit der Menschen gering. Wenn zuweilen ein wertvoller Sklave entrinnt, wer wird ihn finden, wenn nicht der einzige Sohn meines Vaters? Wenn sich an den Mauern Epigramme gegen die göttliche Poppaea angeheftet finden, wer wird die Verfasser ermitteln? Wer wird bei den Buchhändlern die Verse gegen den Caesar aufsuchen? Wer wird melden, was man in den Häusern der Senatoren und Ritter spricht? Wer wird Briefe befördern, die man den Sklaven nicht anvertrauen will, wer wird die Neuigkeiten an den Türen der Barbiere erlauschen, für wen haben Weinschenken und Bäckerläden kein Geheimnis, zu wem haben die Sklaven Vertrauen, wer kann jedes Haus in seiner ganzen Ausdehnung vom Atrium bis zum Garten durchschauen? Wer kennt alle Straßen, Gassen, Verstecke, wer weiß was in den Bädern, im Zirkus, auf den Märkten, in den Ringschulen, in den Schuppen der Sklavenhändler und selbst in den Arenen gesprochen wird?«

»Bei den Göttern! genug, edler Weiser!« rief Petronius, »denn wir können deine Dienste, deine Tugenden, deine Weisheit und deine Beredsamkeit nicht mehr fassen. Genug! Wir wünschten zu wissen, wer du bist, und wissen es jetzt.«

Doch Vinicius freute sich, denn er glaubte, daß dieser Mann gleich einem Jagdhunde, dem man einmal die Fährte gezeigt hat, nicht ruhen werde, bis er das Versteck Lygias aufgefunden habe.

»Gut,« sagte er, »brauchst du keine Kennzeichen?«

[155] »Ich brauche Waffen.«

»Von welcher Art?« fragte Vinicius erstaunt.

Der Grieche streckte die eine Hand aus und machte mit der anderen die Bewegung des Geldzählens.

»So sind heutzutage die Zeiten, Herr,« sagte er seufzend.

»Du willst also der Esel sein,« sagte Petronius, »der die Festung mit Hilfe von Goldsäcken erobert?«

»Ich bin nur ein armer Philosoph, Herr,« erwiderte Chilon demütig, »das Gold habt ihr.«

Vinicius warf ihm eine Börse zu, welche der Grieche in der Luft auffing, trotzdem ihm zwei Finger an der rechten Hand fehlten.

Dann richtete er sich auf und sagte: »Herr, ich weiß schon mehr, als du ahnst. Ich bin nicht mit leeren Händen hergekommen. Ich weiß, daß das Mädchen nicht von Aulus entführt worden ist, da ich mit seinen Dienern gesprochen habe. Ich weiß, daß sie nicht auf dem Palatin ist, wo alle um die kranke kleine Augusta beschäftigt sind, und ich kann mir sogar vielleicht denken, warum ihr es vorzieht, dem Mädchen lieber mit meiner Hilfe nachzuforschen, als mit Hilfe der Wachen und Soldaten des Caesars. Ich weiß, daß des Mädchens Flucht durch einen Diener bewirkt wurde, der mit ihr aus demselben Lande stammt. Er konnte bei den Sklaven keine Unterstützung finden, denn die Sklaven halten alle zusammen und würden ihm nicht gegen die deinigen beistehen. Nur ein Bekenner seines Glaubens konnte ihm helfen ...«

»Hörst du, Vinicius?« unterbrach ihn Petronius; »habe ich dir nicht Wort für Wort dasselbe gesagt?«

»Große Ehre für mich,« entgegnete Chilon. »Das Mädchen, Herr,« fuhr er fort, sich von neuem an Vinicius wendend, »verehrt ohne Zweifel dieselbe Gottheit wie die tugendhafteste Frau Roms, die wahrhaft edle Matrone Pomponia. Ich habe auch gehört, daß Pomponia in ihrem Hause den Kultus irgend einer fremden Gottheit eingeführt hat, konnte [156] aber von ihren Dienern nicht erfahren, was für ein Gott dies ist, noch wie seine Verehrer heißen. Wenn ich dies ermitteln könnte, würde ich zu ihnen gehen, der frömmste unter ihnen werden und so ihr Vertrauen erwerben. Aber du, Herr, der du, wie ich ebenfalls weiß, längere Zeit im Hause des edlen Aulus zugebracht hast, kannst du mir darüber keine Auskunft geben?«

»Nein, leider nicht,« erwiderte Vinicius.

»Ihr habt mich lange nach verschiedenem gefragt, edle Herren, und ich habe die Fragen auch beantwortet; gestattet nun, daß ich jetzt einige stelle. Hast du, verehrter Tribun, nie irgendwelche Statuen, Opfergaben, Abzeichen, Amulette bei Pomponia oder bei deiner göttlichen Lygia bemerkt? Hast du nie gesehen, daß sie sich untereinander Zeichen geben, die nur ihnen verständlich sind?«

»Zeichen? ... Warte einmal ... Ja! Ich sah einmal, wie Lygia einen Fisch in den Sand zeichnete.«

»Einen Fisch! Aa! Ooo! Tat sie dies einmal oder öfters?«

»Nur einmal.«

»Und bist du sicher, Herr, daß sie ... einen Fisch zeichnete? Oo!«

»Ja,« erwiderte Vinicius hastig. »Errätst du, was dies bedeutet?«

»Ob ich's errate!« rief Chilon.

Und indem er sich zum Zeichen des Abschieds verbeugte, fügte er hinzu: »Möge Fortuna euch beiden in gleicher Weise alle Gaben auf den Weg streuen, werte Herren!«

»Laß dir einen Mantel geben!« rief ihm Petronius nach.

»Odysseus sagt dir in Thersites' Namen Dank,« erwiderte der Grieche.

Er verbeugte sich ein zweites Mal und ging.

»Was sagst du zu diesem edlen Weisen?« fragte Petronius seinen Neffen.

[157] »Ich glaube, daß er Lygia finden wird,« rief Vinicius voller Freude; »ich glaube aber auch, daß, wenn es ein Reich der Spitzbuben gäbe, er König in diesem Reiche sein könnte.«

»Ohne Zweifel. Ich muß mit diesem Stoiker näher bekannt werden; aber jetzt will ich nach seinem Fortgange das Atrium räuchern lassen.«

Chilon Chilonides aber hatte sich in seinen neuen Mantel gehüllt, wog unter dessen Falten bald in der einen, bald in der anderen Hand die von Vinicius erhaltene Börse und freute sich zugleich an deren Gewicht sowie an dem Klang des Geldes. Indem er langsam dahinschritt und sich umsah, ob ihn auch niemand aus Petronius' Hause beobachte, ging er am Portikus der Livia vorüber und wandte sich, als er bis zur Ecke des Clivus Virbius gekommen war, nach der Subura.

»Ich muß zu Sporus gehen,« sagte er zu sich selber, »und Fortuna etwas Wein spenden. Endlich habe ich gefunden, wonach ich schon lange suchte. Er ist jung, erregbar, freigebig wie die cyprischen Minen und imstande, sein halbes Vermögen für diesen lygischen Weißhänfling aufzuopfern. Ja, gerade einen solchen Mann habe ich schon längst gesucht. Man muß jedoch vorsichtig mit ihm sein, denn seine gefurchten Brauen verkünden nichts Gutes. Ach! das Geschlecht der Wölfe beherrscht heutzutage die Welt! ... Petronius ist weniger zu fürchten. O ihr Götter! Kuppelei macht sich heut besser bezahlt als Tugend. Ha! Sie zeichnete einen Fisch in den Sand? Wenn ich wüßte, was das bedeutet, will ich an einem Stück Ziegenkäse ersticken! Aber ich werde es schon erfahren! Fische leben jedoch im Wasser, und es ist schwieriger, etwas im Wasser als auf dem Lande zu suchen: ergo wird er mich für den Fisch besonders bezahlen. Noch eine solche Börse, und ich könnte den Bettelsack von mir werfen und mir einen Sklaven kaufen ... Was würdest du aber sagen, Chilon, wenn ich dir den Rat gäbe, nicht einen Sklaven, sondern eine Sklavin zu kaufen? ... Ich kenne dich! [158] Ich weiß, du bist damit einverstanden ... Wenn sie schön wäre wie zum Beispiel Eunike, du selber verjüngtest dich in ihrer Nähe, und zugleich würdest du an ihr eine gute und sichere Einnahmequelle haben. Ich verkaufte dieser einfältigen Eunike zwei Fäden aus meinem eigenen alten Mantel ... Sie ist dumm, aber wenn Petronius sie mir schenkte, würde ich sie nehmen. Ja, ja, Chilon, Sohn des Chilon ... Du hast Vater und Mutter verloren! ... Du bist eine Waise, kaufe dir daher zum Troste eine Sklavin. Sie muß zwar irgendwo wohnen, aber Vinicius wird ihr schon eine Wohnung besorgen, in der auch du Unterschlupf finden wirst. Sie muß sich kleiden, Vinicius wird ihr das Kleid bezahlen, und sie muß essen, er wird für ihren Lebensunterhalt sorgen. Ach, welch schweres Dasein! Wo sind die Zeiten, in denen man sich für einen Obolus so viel Bohnen mit Speck kaufte, wie man mit beiden Händen fassen konnte oder ein Stück Blutwurst in Ziegendarm, so lang wie der Arm eines zwölfjährigen Knaben ... Aber hier wohnt ja dieser Schuft von Sporus! In der Weinschenke wird es leichter sein, etwas zu erfahren.«

Mit diesen Worten betrat er die Schenke und bestellte sich einen Krug »Dunklen;« als er aber das mißtrauische Gesicht des Wirtes erblickte, nahm er ein Goldstück aus der Börse und legte es auf den Tisch, indem er sagte: »Sporus, ich habe heute vom Morgengrauen bis Mittag mit Seneca zusammen gearbeitet, und dies gab mir mein Freund mit auf den Weg.«

Die hervorquellenden Augen des Sporus traten bei diesem Anblick noch weiter aus ihren Höhlen heraus, und bald stand der Wein vor Chilon. Dieser benetzte seinen Finger damit, zeichnete einen Fisch auf den Tisch und fragte: »Weißt du, was dies bedeutet?«

»Ein Fisch? Nun, Fisch ist Fisch.«

»Du bist dumm, obgleich du so viel Wasser in den Wein gießt, daß du darin möglicherweise auch einen Fisch finden [159] könntest. Es ist ein Symbol, das in der Philosophensprache das Lächeln der Fortuna bedeutet. Wenn du es erraten hättest, würdest auch du dein Glück haben machen können. Halte die Philosophie in Ehren, das rate ich dir, denn sonst würde ich mir eine andere Schenke suchen, wozu mir mein persönlicher Freund Petronius schon längst geraten hat.«

Vierzehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel.

Mehrere Tage lang ließ sich Chilon nach diesen Ereignissen nirgends blicken. Vinicius, den es seit dem Tage, wo er von Akte erfahren hatte, Lygia liebe ihn, noch weit mehr verlangte, sie zu finden, begann seine Nachforschungen auf eigene Hand, da er die Hilfe des Caesars weder in Anspruch nehmen wollte noch konnte, der zu sehr mit seiner Sorge um die Gesundheit der kleinen Augusta beschäftigt war.

Doch halfen weder die in den Tempeln dargebrachten Opfer, noch Gebete und Gelübde, noch endlich die Kunst der Ärzte und alle Zaubermittel, zu denen man schließlich seine Zuflucht genommen hatte. Nach einigen Tagen starb das Kind. Der Hof und ganz Rom trauerte. Der Caesar, der bei der Geburt des Kindes vor Freude außer sich gewesen war, war jetzt vor Verzweiflung außer sich. Er verschloß sich in seine Gemächer und nahm zwei Tage lang keine Speise zu sich. Obgleich der Palast sich mit Scharen von Senatoren und persönlichen Freunden des Caesars füllte, die gekommen waren, um ihr Mitgefühl und ihr Beileid auszudrücken, wünschte er doch niemand zu sehen. Der Senat versammelte sich zu einer besonderen Sitzung, in der das verstorbene Kind für göttlich erklärt wurde; es wurde der Beschluß gefaßt, ihm einen Tempel zu errichten und einen besonderen Priester zu seinem Dienste zu bestellen. In den übrigen Tempeln wurden ihm zu Ehren Totenopfer dargebracht, Statuen aus kostbarem Metall wurden gegossen. Die [160] Bestattung vollzog sich unter außerordentlich Feierlichkeiten, und das Volk wunderte sich hierbei über den aufrichtigen Schmerz, den der Caesar zeigte; weinte mit ihm, streckte die Hände nach Gaben aus und belustigte sich zu alledem an dem niegesehenen Schauspiel.

Petronius war über diesen Tod erschrocken. Es war in ganz Rom bekannt, daß Poppaea ihn der Zauberei zuschrieb. Die Ärzte bestärkten sie in dieser Meinung, da sie auf diese Weise die Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen erklären konnten, ebenso die Priester, deren Opfer sich als nutzlos erwiesen hatten, sowie die Zauberer, die für ihr Leben zitterten, und das Volk. Petronius war jetzt froh, daß Lygia geflogen war; denn er wünschte Aulus und Pomponia nichts Böses, sich selbst und Vinicius nur Gutes. Als daher die Zypresse, die zum Zeichen der Trauer vor dem Palatin aufgestellt war, hinweggenommen wurde, begab er sich zu dem für die Senatoren und Freunde des Caesars anberaumten Empfang, um zu erfahren, inwieweit Nero den Gerüchten über Zauberei Gehör geschenkt habe, und den Folgen vorzubeugen, die sich möglicherweise daraus ergeben konnten.

Er kannte Nero und wußte daher, daß dieser, auch wenn er nicht an Zauberei glaubte, sich stellen könnte, als glaube er daran, um seinen Schmerz zu betäuben oder um an irgend jemand Rache zu nehmen und um dem Verdachte vorzubeugen, als hätten die Götter begonnen, ihn seiner Freveltaten wegen zu strafen. Petronius traute es dem Caesar nicht zu, daß er seine eigene Tochter aufrichtig und tief lieben könne, wenn er auch eine flüchtige Neigung für sie empfinden mochte, und war überzeugt, daß sein Schmerz übertrieben sei. Er täuschte sich auch nicht. Nero hörte die Reden der Senatoren und Ritter mit unbeweglichen Zügen und starr auf einen Punkt gerichteten Augen an, und es war augenscheinlich, daß, selbst wenn er wirklich Schmerz empfand, er zugleich auch daran dachte, was sein Schmerz wohl für einen Eindruck auf die Anwesenden machen werde. Er gebärdete sich wie Niobe und [161] bot eine Darstellung des Vaterschmerzes, wie sie ein Schauspieler auf der Bühne geben würde. Er vermochte außerdem nicht einmal seinen sprachlosen und gleichsam versteinerten Kummer durchzuführen, denn bald machte er eine Bewegung, als wolle er sein Haupt mit Staub bestreuen, bald seufzte er tief auf. Als er aber Petronius erblickte, sprang er auf und rief mit tragischer Stimme, damit ihn alle Anwesenden verstehen könnten: »Ach! ... Du bist an ihrem Tode schuld! Auf deinen Rat betrat der böse Geist diese Mauern, der ihr mit einem einzigen Blicke das Leben aus der Brust saugte ... Wehe mir! Ich wünschte, meine Augen hätten nie das Licht des Helios erblickt ... Wehe mir! Weh, weh!«

Und seine Stimme noch verstärkend, stieß er ein verzweiflungsvolles Geschrei aus; aber Petronius entschloß sich in diesem Augenblicke alles auf einen Wurf zu setzen; er streckte seine Hand aus, ergriff rasch das seidene Tuch, das Nero stets um den Hals trug, und hielt es ihm vor den Mund.

»Herr!« rief er feierlich, »Rom und die Welt sind vor Schmerz verstummt; aber bewahre du doch deine Stimme für uns!«

Die Anwesenden waren starr vor Staunen, selbst Nero war es für einen Augenblick; nur Petronius behielt seine Fassung. Er wußte nur zu gut, was er tat. Außerdem erinnerte er sich, daß Terpnos und Diodoros den strengen Befehl hatten, dem Caesar den Mund zu schließen, wenn er seine Stimme zu sehr anstrengen und sie dadurch gefährden sollte.

»Caesar,« fuhr er mit derselben Feierlichkeit und demselben Kummer fort, »wir haben einen unermeßlichen Verlust erlitten; beraube uns nicht noch auch dieses Schatzes des Trostes!«

In Neros Gesicht zuckte es, und nach einiger Zeit traten ihm die Tränen in die Augen; er legte plötzlich seine Hände auf Petronius' Schultern, barg sein Haupt an dessen Brust [162] und begann unter Tränen zu wiederholen: »Du allein von allen dachtest daran, du allein! Petronius, du allein!«

Tigellinus wurde gelb vor Neid; Petronius aber sagte: »Gehe nach Antium! Dort kam sie zur Welt, dort ward dir die größte Freude zu teil, dort wirst du auch Trost finden. Laß die Seeluft deine göttliche Kehle stärken, laß deine Brust den Salzduft einatmen. Wir, deine Treuen, werden dir überallhin folgen, und wenn wir deinen Schmerz durch unsere Freundschaft lindern, so wirst du uns dafür mit deinem Gesange erfreuen.«

»Ja,« erwiderte Nero niedergeschlagen; »ich will eine Hymne ihr zu Ehren dichten und sie in Musik setzen.«

»Und dann wirst du die Sonnenwärme in Bajae genießen.«

»Und sodann Vergessenheit in Griechenland.«

»In der Heimat der Dichtung und des Gesanges.«

Und die starre, düstere Stimmung wich allmählich, wie die Wolken zerflattern, die die Sonne verdecken, und sofort begann ein Gespräch, das zwar noch voll von Trauer, aber auch voll von Zukunftsplänen war und die Reise, Kunstausstellungen und selbst die Festlichkeiten berührte, welche die bevorstehende Ankunft des Königs von Armenien, Tiridates, erforderlich machte. Tigellinus versuchte zwar noch einmal, auf die Zauberei zurückzukommen, aber Petronius, schon im voraus des Sieges gewiß, nahm die Herausforderung sofort an.

»Tigellinus,« sagte er, »glaubst du, daß die Zauberei den Göttern etwas anhaben kann?«

»Selbst der Caesar hat davon gesprochen,« antwortete der Höfling.

»Der Schmerz sprach, nicht der Caesar; aber was für eine Meinung hast du darüber?«

»Die Götter sind zu mächtig, um dem Zauber zu unterliegen.«

»Willst du etwa dem Caesar oder seiner Familie die Göttlichkeit abstreiten?«

[163] »Peractum est!« murmelte Eprius Marcellus, der in der Nähe stand und damit den Ausruf wiederholte, den das Volk tat, wenn ein Gladiator in der Arena einen solchen Stoß erhielt, daß er keines zweiten bedurfte.

Tigellinus verbarg seinen Ärger in sich. Zwischen ihm und Petronius bestand seit langem Eifersucht um Neros Gunst, und Tigellinus mußte die Erfahrung machen, als ob sich Nero in seiner Gegenwart weniger oder vielmehr gar keinen Zwang auferlegte und daß Petronius, so oft sie in ein Wortgefecht gerieten, ihn an Geist und Witz übertraf.

So geschah es auch jetzt. Tigellinus schwieg und prägte seinem Gedächtnis nur die Senatoren und Ritter ein, die, als Petronius sich tiefer in den Saal hineinbegab, ihn sofort umringten, da sie wußten, daß er nach diesem Vorfalle in der Gunst des Caesars wieder feststand.

Petronius verließ nach einiger Zeit den Palast und begab sich zu Vinicius, um ihm sein Zusammentreffen mit dem Caesar und Tigellinus zu berichten.

»Nicht nur von Aulus Plautius und Pomponia und von uns beiden,« sagte er, »habe ich die Gefahr abgewendet, sondern auch von Lygia, die man jetzt nicht suchen wird, sei es auch nur deswegen, weil ich jenen rotbärtigen Affen überredet habe, nach Antium und von dort nach Neapel oder Bajae zu gehen. Und er wird es tun. In Rom hat er es noch nicht gewagt, öffentlich im Theater aufzutreten; ich weiß aber, daß er seit langem die Absicht hegt, in Neapel aufzutreten. Zudem träumt er von Griechenland, wo er in allen bekannteren Städten singen und dann, mit allen Kränzen geschmückt, die ihm die Graeculi darbringen werden, im Triumph nach Rom zurückkehren will. In dieser Zeit werden wir Lygia suchen und in Sicherheit bringen können. Aber wie? Ist nicht unser edler Philosoph hier gewesen?«

»Dein edler Philosoph ist ein Betrüger. Nein, er ist nicht hier gewesen, hat sich nicht gezeigt und wird sich auch nicht wieder zeigen.«

[164] »Ich habe eine bessere Meinung, wenn auch nicht von seiner Ehrlichkeit, so doch von seinem Verstande. Er hat schon einmal deiner Börse Lebensblut entzogen und wird daher wiederkommen, sei es auch nur, um es ihr zum zweitenmal zu entziehen.«

»Er soll sich hüten, daß ich ihm nicht sein eigenes Blut entziehe.«

»Tu das nicht. Gedulde dich, bis du klare Beweise für seinen Betrug hast. Gib ihm kein Geld mehr, sondern versprich ihm statt dessen eine hohe Belohnung, sobald er zuverlässige Nachrichten bringt. Willst du auch auf eigene Hand etwas unternehmen?«

»Meine zwei Freigelassenen, Nymphidius und Demas, suchen sie an der Spitze von sechzig Mann. Dem Sklaven, der sie findet, habe ich die Freiheit versprochen. Außerdem habe ich Leute auf alle Straßen gesandt, die von Rom wegführen, damit sie sich bei den Herbergswirten nach dem Lygier und dem Mädchen erkundigen. Ich selber will Tag und Nacht in der Hoffnung auf einen glücklichen Zufall die Stadt durchstreifen.«

»Wenn du Nachricht hast, so laß es mich wissen, denn ich muß nach Antium.«

»Gut.«

»Und wenn du dir eines Morgens beim Erwachen sagst, daß es sich um eines Mädchens willen nicht verlohnt, sich so abzuquälen und seinetwegen so viel Umstände zu machen, so komme zu mir nach Antium. Dort fehlt es nicht an Weibern und an Vergnügungen.«

Vinicius begann mit raschen Schritten auf und ab zu gehen; Petronius betrachtete ihn einige Zeit und sagte endlich: »Sage mir im Ernst – nicht wie ein Hitzkopf, der sich etwas einredet und darüber in Aufregung gerät, sondern wie ein vernünftiger Mensch, der einem Freunde antwortet: Liebst du diese Lygia immer noch in derselben Weise?«

[165] Vinicius blieb stehen und sah Petronius mit einem Ausdrucke an, als habe er ihn nie zuvor erblickt, dann begann er von neuem ruhelos umherzuwandern. Es war augenscheinlich, daß er einen Zornesausbruch unterdrückte. Endlich traten ihm infolge der Erkenntnis seiner Hilflosigkeit, seines Schmerzes, seines Ärgers und seiner unstillbaren Sehnsucht zwei Tränen in die Augen, welche eindringlicher zu Petronius sprachen als die beredtesten Worte.

Nach einigem Nachdenken sagte er daher: »Nicht Atlas trägt die Welt auf seinen Schultern, sondern das Weib, und manchmal spielt es damit wie mit einem Balle.«

»So ist es!« entgegnete Vinicius.

Petronius wollte sich verabschieden. Aber in demselben Augenblicke meldete ein Sklave, daß Chilon Chilonides in der Vorhalle warte und bitte, bei dem edlen Herrn vorgelassen zu werden.

Vinicius befahl, ihn sofort hereinzuführen; Petronius aber rief: »Ha, habe ich es dir nicht gesagt? Beim Herakles! Bewahre nur deine Ruhe; sonst wird er dir befehlen, nicht du ihm.«

»Gruß und Hochachtung dem edlen Kriegstribunen und dir, Herr!« Mit diesen Worten betrat Chilon das Atrium. »Möge dein Glück so groß sein wie dein Ruhm, und möge dein Ruhm die ganze Welt durchfliegen von den Säulen des Herakles an bis zu den Grenzen der Arsaciden.«

»Sei gegrüßt, du Gesetzgeber der Tugend und Weisheit,« entgegnete Petronius.

Vinicius aber fragte mit erzwungener Ruhe: »Was bringst du?«

»Das erste Mal brachte ich dir die Hoffnung, jetzt aber bringe ich dir die Gewißheit, daß das Mädchen aufgefunden werden wird.«

»Das heißt, du hast es noch nicht gefunden?«

»So ist es, Herr; aber ich habe erfahren, was jenes Zeichen bedeutet, das sie vor deinen Augen zeichnete; ich weiß, [166] wer die Leute sind, die sie entführten, und ich weiß, unter welches Gottes Anhängern sie zu suchen ist.«

Vinicius wollte von dem Stuhle, auf dem er saß, aufspringen; aber Petronius legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte, sich an Chilon wendend: »Sprich weiter.«

»Bist du vollkommen sicher, Herr, daß das Mädchen einen Fisch in den Sand zeichnete?«

»Jawohl!« fuhr ihn Vinicius an.

»Dann ist sie eine Christin, und Christen haben sie entführt.«

Alle schwiegen einen Augenblick.

»Höre, Chilon,« sagte endlich Petronius. »Mein Neffe hat dir eine beträchtliche Summe Geldes für die Auffindung des Mädchens zugesagt, aber eine ebenso große Zahl Peitschenhiebe, wenn du ihn zu betrügen versuchst. Im ersteren Falle kannst du dir nicht nur einen, sondern drei Schreiber kaufen, im zweiten wird dir die Philosophie aller sieben Weisen mit Einschluß deiner eigenen nicht die Schmerzen lindern.«

»Das Mädchen ist eine Christin, Herr!« rief der Grieche.

»Merke auf, Chilon! Du bist kein Dummkopf! Wir wissen, daß Junia Silana zusammen mit Calvia Crispinella Pomponia Graecina beschuldigten, Anhängerin des christlichen Aberglaubens zu sein; aber wir wissen auch, daß ein häuslicher Gerichtshof sie von dieser Anklage freisprach. Möchtest du dies aufs neue behaupten? Möchtest du uns einreden wollen, daß Pomponia und mit ihr zugleich auch Lygia zu den Feinden des menschlichen Geschlechts gehören können, zu den Quellen- und Brunnenvergiftern, zu den Verehrern eines Eselskopfes, zu den Leuten, die kleine Kinder schlachten und die schmutzigsten Ausschweifungen begehen? Bedenke, Chilon, ob die Thesis, die du uns aufstellst, nicht etwa als Antithesis auf deinen Rücken zurückfällt.«

Chilon streckte seine Hände aus zum Zeichen, daß er unschuldig sei, und sagte dann: »Herr! sprich auf griechisch [167] die folgenden Worte aus: Jesus Christus, Sohn Gottes, Erlöser.« 1

»Gut; ich habe sie gesprochen! Was folgt daraus?«

»Nimm nun die Anfangsbuchstaben jedes einzelnen dieser Worte und sprich sie so aus, daß sie ein einziges Wort bilden.«

»Ichthys!« sagte Petronius erstaunt.

»Sieh, daher ist ein Fisch das Symbol der Christen geworden,« sprach Chilon mit Selbstbewußtsein.

Wiederum schwiegen sie. In den Schlußfolgerungen des Griechen lag etwas so Schlagendes, daß sich beide Freunde des Staunens nicht erwehren konnten.

»Vinicius,« fragte Petronius, »irrst du dich auch nicht und hat Lygia wirklich einen Fisch gezeichnet?«

»Bei allen Göttern der Unterwelt, es ist zum Verrücktwerden!« rief der junge Mann erregt. »Wenn sie mir einen Vogel gezeichnet hätte, würde ich gesagt haben: einen Vogel.«

»Sie ist also eine Christin!« wiederholte Chilon.

»Das heißt,« sagte Petronius, »Pomponia und Lygia vergiften Quellen, schlachten auf der Straße aufgefangene Kinder und ergeben sich Ausschweifungen! Unsinn! Vinicius, du weiltest längere Zeit in ihrem Hause, ich war nur kurze Zeit bei ihnen, aber ich kenne Aulus und Pomponia, ja selbst Lygia zur Genüge, um sagen zu können: Unsinn und Dummheit! Wenn der Fisch das Symbol der Christen ist, was sich in der Tat schwer leugnen läßt, und wenn die beiden Frauen Christinnen sind, dann, bei Proserpina! sind die Christen offenbar nicht das, wofür wir sie halten.«

»Du sprichst wie Sokrates, Herr,« entgegnete Chilon. »Wer hat je einen Christen verhört? Wer hat ihren Glauben untersucht? Als ich vor drei Jahren von Neapel hierher, nach Rom, reiste (o, warum bin ich nicht dort geblieben), [168] gesellte sich ein Mann zu mir, ein Arzt, namens Glaukos, von dem es hieß, er sei Christ; trotzdem aber gewann ich die Überzeugung, daß er gut und tugendhaft war.«

»Hast du von diesem tugendhaften Manne nicht erfahren, was der Fisch bedeutet?«

»Leider nicht, Herr! Unterwegs stieß jemand in einer Herberge den ehrwürdigen Greis mit einem Messer nieder, während Frau und Kind von Sklavenhändlern weggeschleppt wurden. Ich jedoch verlor bei der Verteidigung die beiden Finger hier. Aber da es bei den Christen, wie die Leute sagen, nicht an Wundern fehlt, so hege auch ich die Hoffnung, daß sie mir wieder wachsen.«

»Wie? Bist du Christ geworden?«

»Seit gestern, Herr, seit gestern! Dieser Fisch machte mich zum Christen. Man sollte nicht glauben, was für eine Macht darin verborgen ist. In einigen Tagen werde ich der eifrigste der Eifrigen sein, damit sie mich in alle ihre Geheimnisse einweihen, und habe ich das erreicht, so werde ich auch in Erfahrung bringen, wo sich das Mädchen versteckt hält. Vielleicht lohnt sich dann mein Christentum besser als meine Philosophie. Ich habe auch dem Merkur ein Gelübde getan, daß, wenn er mir das Mädchen suchen hilft, ich ihm zwei Kühe von demselben Alter und derselben Rasse, denen ich die Hörner werde vergolden lassen, opfern werde.«

»Also erlaubt dir dein Christentum von gestern und deine Philosophie, in deren Besitze du dich schon längere Zeit befindest, an Merkur zu glauben?«

»Ich glaube immer an das, was mir zu glauben nötig ist; dies ist meine Philosophie, mit der sich allerdings auch Merkur befreunden muß. Unglücklicherweise ist er, wie ihr wißt, werte Herren, ein mißtrauischer Gott. Er traut nicht einmal den Versprechungen tadelloser Philosophen und möchte die Kühe vielleicht im voraus haben. Aber es ist eine sehr hohe Ausgabe. Nicht jeder ist ein Seneca, und ich habe nicht das Geld dazu. Wenn jedoch der edle Vinicius mir auf [169] Rechnung der Summe, die er mir versprochen hat, etwas geben wollte ...«

»Keinen Obolus, Chilon!« sagte Petronius, »keinen Obolus! Vinicius' Freigebigkeit wird deine Erwartungen übertreffen, aber erst dann, wenn Lygia gefunden ist, das heißt, wenn du uns ihr Versteck nennen kannst. Merkur muß dir die beiden Kühe kreditieren, obgleich ich mich weiter nicht wundere, daß dies nicht nach seinem Sinne ist, und ich erkenne darin seinen Scharfblick.«

»Hört mich, werte Herren! Es ist eine wertvolle Entdeckung, die ich gemacht habe, denn obgleich ich das Mädchen selbst noch nicht gefunden habe, so habe ich doch den Weg gefunden, auf dem es gesucht werden kann. Ihr habt Freigelassene und Sklaven in der ganzen Stadt und der ganzen Provinz herumgeschickt; hat einer von ihnen euch irgendwelche Andeutung gemacht? Nein! Ich allein habe eine gemacht. Und ich sage euch noch mehr. Unter euren Sklaven können Christen sein, ohne daß ihr es wißt, denn dieser Aberglaube ist schon überall verbreitet, und anstatt euch zu nützen, könnten sie euch schaden. Es ist daher nicht gut, daß sie mich hier sehen, und darum, edler Petronius, gebiete Eunike Schweigen, und du, gleich edler Vinicius, erkläre, ich verkaufte dir eine Salbe, die den damit bestrichenen Pferden im Zirkus den Sieg sichere ... Ich allein werde nach dem Mädchen suchen und ich allein werde die Flüchtlinge finden. Vertraut mir und wisset, daß das, was ihr mir auch immer im voraus zahlt, für mich nur eine Aufmunterung ist; denn ich hoffe stets auf noch mehr und werde um so größere Gewißheit haben, daß die ausgesetzte Belohnung mir nicht entgeht. Ach ja! Als Philosoph verachte ich das Geld, obgleich weder Seneca noch selbst Musonius oder Cornutus dies tun, die doch keinen Finger bei der Verteidigung eines anderen verloren haben und selber schreiben können, um ihren Namen der Nachwelt zu überliefern. Aber abgesehen von dem Sklaven, den ich mir kaufen will, und von dem Merkur, dem ich die Kühe gelobt [170] habe (und ihr wißt, wie teuer das Vieh jetzt ist), macht die Nachforschung selbst viele Auslagen notwendig. Hört mich nur geduldig an! In den letzten Tagen habe ich mir bei dem beständigen Gehen die Füße wund gelaufen. Ich habe Weinschenken besucht, um mit den Leuten zu sprechen, bin zu Bäckern, Fleischern, Öl- und Fischhändlern gegangen. Ich habe alle Straßen und Gassen durchstreift, bin in den Verstecken entlaufener Sklaven gewesen, habe hundert Asse beim Moraspiel verloren. Ich bin in Waschhäusern, Trockenhütten und Garküchen gewesen, habe Eselstreiber und Bildhauer aufgesucht, ebenso Leute, die Blasenleiden kurieren und Zähne ziehen, ich habe mit Verkäufern getrockneter Feigen geplaudert, bin auf den Begräbnisplätzen gewesen, und wißt ihr, zu welchem Zwecke? Um überall einen Fisch zu zeichnen, dabei den Leuten ins Gesicht zu sehen und zu hören, was sie zu diesem Zeichen sagen würden. Lange Zeit konnte ich nichts in Erfahrung bringen, bis ich endlich einmal einen alten Sklaven an einem Brunnen sah, der mit Eimern Wasser schöpfte und dabei weinte. Ich näherte mich ihm nun und fragte ihn nach der Veranlassung seiner Tränen. Nachdem wir uns auf die Stufen des Brunnens gesetzt hatten, erzählte er mir, er habe sein ganzes Lebenlang Sesterze um Sesterze erspart, um seinen lieben Sohn loszukaufen, aber sein Herr, ein gewisser Pansa, habe das Geld wohl genommen, als er es ihm anbot, seinen Sohn aber als Sklaven weiterbehalten. Und darum weine ich, sagte der alte Mann, denn obgleich ich mir immer sage: Der Wille Gottes geschehe! so kann ich armer Sünder doch meine Tränen nicht zurückhalten. Wie von einer Ahnung ergriffen, feuchtete ich meinen Finger mit Wasser an und zeichnete ihm einen Fisch, worauf er sagte: Auch meine Hoffnung ruht in Christus. Ich fragte nun: Hast du mich an diesem Zeichen erkannt? Er antwortete: Ja, und Friede sei mit dir! Ich begann darauf, ihn auszufragen, und der ehrliche alte Mann erzählte mir alles. Sein Herr, jener Pansa, ist selber ein Freigelassener [171] des großen Pansa und bringt Steine auf dem Tiber nach Rom, wo Sklaven und gedungene Leute sie aus den Schiffen ausladen und zur Nachtzeit zu den Bauten bringen, um bei Tage den Straßenverkehr nicht zu behindern. Unter diesen Arbeitern befinden sich viele Christen, und auch sein Sohn ist darunter; da aber die Arbeit über seine Kräfte geht, möchte er ihn deswegen loskaufen. Doch Pansa behält lieber das Geld und den Sklaven. Während mir der Alte dies erzählte, begann er von neuem zu weinen, und ich vermischte meine Tränen mit den seinen; denn die kamen mir leicht wegen meines guten Herzens und der Schmerzen an meinen Füßen, die ich mir durch das übermäßige Gehen zugezogen hatte. Ich fing auch an, ihm zu klagen, daß, da ich erst vor wenigen Tagen aus Neapel hierher gekommen sei, ich keinen von den Brüdern kenne und auch nicht wisse, wo sie sich zum gemeinsamen Gebete versammelten. Er wunderte sich, daß mir die Christen in Neapel nicht Briefe an die Brüder in Rom mitgegeben hätten, ich erzählte ihm aber, daß sie mir unterwegs gestohlen worden seien. Dann sagte er mir, ich möchte in der Nacht an den Fluß kommen, er wolle mich mit den Brüdern bekannt machen, die mich dann zu ihren Bethäusern und zu den Ältesten führen würden, welche die christliche Gemeinde leiten. Als ich dies hörte, war ich so erfreut, daß ich ihm die zum Loskauf seines Sohnes nötige Summe gab in der Hoffnung, der freigebige Vinicius würde mir sie doppelt ersetzen ...«

»Chilon,« unterbrach ihn Petronius, »in deiner Erzählung schwimmt die Lüge auf der Oberfläche der Wahrheit wie das Öl auf dem Wasser. Du hast uns wichtige Mitteilungen gemacht, das ist nicht zu leugnen. Ich glaube sogar, daß wir auf dem Wege zu Lygias Auffindung einen großen Schritt vorwärts getan haben; aber umhülle deine Nachrichten nicht mit Lügen. Wie heißt jener alte Mann, von dem du erfahren hast, daß die Christen sich gegenseitig an dem Zeichen des Fisches erkennen?«

[172] »Euricius, Herr. Es ist ein armer, unglücklicher alter Mann. Er erinnerte mich an den Arzt Glaukos, den ich gegen die Mörder verteidigte, und daher rührte er mir das Herz.«

»Ich glaube dir, daß du ihn kennen gelernt hast und daß du imstande sein wirst, diese Bekanntschaft auszunützen; aber du hast ihm kein Geld gegeben. Du hast ihm kein As gegeben, verstehst du? Du hast ihm nichts gegeben.«

»Aber ich half ihm seinen Eimer heraufwinden und sprach mit dem größten Mitgefühl von seinem Sohne. Ja, Herr! was läßt sich vor Petronius' Scharfsinn verbergen? Nun denn, ich gab ihm kein Geld, oder vielmehr, ich gab es ihm, aber nur im Geiste, im Gedanken, und das hätte ihm genügen müssen, wenn er ein wahrer Philosoph gewesen wäre ... Ich gab es ihm deswegen, weil ich eine solche Handlung für unerläßlich und nützlich hielt, denn bedenke, Herr, wie ich mir damit sofort die Herzen aller Christen gewonnen, mir den Zutritt zu ihnen verschafft und welches Vertrauen ich mir dadurch bei ihnen erworben habe.«

»Das ist wahr,« sagte Petronius, »und du mußtest so handeln.«

»Gerade deshalb bin ich hergekommen, um die Tat ausführen zu können.«

Petronius wandte sich an Vinicius: »Laß ihm fünftausend Sesterzen auszahlen, aber nur im Geiste, im Gedanken ...«

Aber Vinicius sagte: »Ich gebe dir einen jungen Mann mit, der die nötige Summe bei sich führt. Du sagst dem Euricius, dieser junge Mensch sei dein Sklave, und zahlst dem Alten vor dessen Augen das Geld aus. Da du jedoch eine wichtige Mitteilung gemacht hast, erhältst du das Doppelte für dich. Komme heut abend her, um den jungen Mann und das Geld abzuholen.«

»Du bist ein wahrer Caesar!« rief Chilon. »Gestatte mir, Herr, dir mein Werk zu widmen; gestatte aber auch, [173] daß ich heut abend nur des Geldes wegen komme, denn Euricius sagte mir, daß alle Kähne schon ausgeladen seien und neue erst in einigen Tagen von Ostia anlangen. Friede sei mit euch! So verabschieden sich die Christen voneinander. Ich will mir eine Sklavin kaufen, das heißt, ich wollte sagen: einen Sklaven. Die Fische werden mittels des Köders gefangen und die Christen mittels des Fisches. Pax vobiscum! pax! ... pax! ... pax! ...«

Fußnoten

1 Die Worte lauten griechisch: Ἰησοῦς Χριστός, Θεοῦ Ὑιός, Σωτήρ. Das aus den Anfangsbuchstaben dieser Worte gebildete Wort lautet: ἰχϑύς (Fisch).

Fünfzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel.

Petronius an Vinicius.


»Durch einen zuverlässigen Sklaven sende ich dir aus Antium diesen Brief und bitte dich, obgleich deine Hand mehr an Schwert und Lanze als an das Schreibrohr gewöhnt ist, ihn ohne allzulangen Verzug durch denselben Boten zu beantworten. Ich ließ dich auf guter Fährte und voller Hoffnung zurück und denke daher, daß du entweder schon dein süßes Verlangen in Lygias Armen gestillt hast oder es tun wirst, bevor der richtige Wintersturm von dem Gipfel des Soracte her über die Campania einherbraust. Lieber Vinicius, möge die goldene Göttin Cyperns deine Lehrmeisterin sein, dafür sei du der Lehrmeister jener lygischen Morgengöttin, die vor der Sonne der Liebe flieht. Bedenke immer, daß Marmor an sich, obgleich höchst kostbar, nichts ist und daß er seinen wahren Wert erst dann erhält, wenn ihn die Hand des Künstlers zum Bilde formt. Sei du ein solcher Künstler, carissime! Die Liebe allein genügt nicht; man muß zu lieben und die Liebe zu lehren wissen. Wollust fühlt auch der Pöbel und selbst das Tier; doch der wahre Mensch unterscheidet sich hauptsächlich dadurch von ihnen, daß er sie gewissermaßen zu einer edlen Kunst umgestaltet, sich, wenn er sich ihrer erfreut, ihren ganzen göttlichen Wert vergegenwärtigt und an ihr nicht nur die Sinne, sondern auch den Geist sättigt. Oft, wenn ich hier die Hohlheit, die Ungewißheit [174] und Langeweile unseres Lebens betrachte, kommt mir der Gedanke, du habest vielleicht das bessere Teil erwählt und nicht der Hof des Caesars, sondern Krieg und Liebe seien die beiden einzigen Dinge, für die es sich lohnt, geboren zu werden und zu leben.

Im Kriege warst du glücklich, sei es jetzt auch in der Liebe, und wenn du gern wissen willst, was am Hofe des Caesars vorfällt, so will ich dir von Zeit zu Zeit darüber Nachricht geben. Wir sitzen jetzt hier in Antium fest und pflegen unsere himmlische Stimme, wir empfinden immer noch Abneigung gegen Rom und gedenken uns im Winter nach Bajae zu begeben und wenigstens in Neapel öffentlich aufzutreten, dessen griechische Bürgerschaft uns besser aufnehmen wird, als das Geschlecht der Wölfe, das an den Ufern des Tiber haust. Aus Bajae, Pompeji, aus Puteoli, Cumae, Stabiae werden die Leute herbeiströmen, und es wird uns weder an Beifall noch an Kränzen mangeln, und das wird uns eine Ermutigung zu der beabsichtigten Reise nach Achaja sein.

Doch die Erinnerung an die kleine Augusta? Ja! Wir beweinen sie noch. Wir singen so wundervolle Hymnen eigener Komposition, daß sich die Sirenen vor Neid in den tiefsten Grotten Amphitrites verbergen. Dafür würden die Delphine auf uns lauschen, wenn sie nicht das Rauschen des Meeres daran hinderte. Unser Schmerz ist noch nicht besänftigt; wir werden ihn also den Menschen in allen Gestalten, über welche die Plastik verfügt, vor Augen stellen und dabei sorgfältig acht geben, ob er uns schön steht und ob die Menschen seine Schönheit zu würdigen wissen. Ach, mein Lieber! wir werden wohl als Possenreißer und Komödiant sterben.

Alle Augustianer und Augustianerinnen sind hier, die fünfhundert Eselinnen, in deren Milch sich Poppaea badet, und die zehntausend Sklaven nicht miteingerechnet. Zuweilen ist es hier auch ganz vergnüglich. Calvia Crispinella altert; man sagt, sie habe Poppaea gebeten, das Bad gleich nach ihr nehmen zu dürfen. Lucanus schlug Nigidia ins Gesicht, da [175] er sie im Verdacht hatte, Umgang mit einem Gladiator zu pflegen. Sporus hat seine Frau im Würfelspiel an Senecio verloren. Torquatus Silanus bot mir für Eunike vier kastanienbraune Rosse, die in diesem Jahre unzweifelhaft den Sieg davontragen werden. Ich lehnte ab, und auch dir danke ich, daß du sie nicht angenommen hast. Was Torquatus Silanus betrifft, so ahnt der Ärmste gar nicht, daß er bereits mehr Schatten als Mensch ist. Sein Tod ist beschlossene Sache. Und weißt du, worin sein Verbrechen besteht? Er ist ein Urenkel des göttlichen Augustus. Es gibt keine Rettung für ihn. So ist unsere Welt!

Wie du weißt, erwarteten wir Tiridates. Unterdessen hat Vologeses einen beleidigenden Brief geschrieben. Da er Armenien erobert habe, so bitte er, daß man es ihm zu Tiridates' Gunsten überlasse, wenn nicht, so gebe er es auch dann nicht heraus. Reine Narrenspossen! Wir beschlossen also den Krieg. Corbulo soll dieselbe Vollmacht erhalten, wie sie der große Pompejus zur Zeit des Seeräuberkrieges besaß. Einige Zeit allerdings schwankte Nero: er fürchtet offenbar den Ruhm, den sich Corbulo im Falle des Sieges erwerben wird. Man dachte sogar daran, unserem Aulus den Oberbefehl anzubieten. Dem widersetzte sich Poppaea, der Pomponias Tugend augenscheinlich ein Dorn im Auge ist.

Vatinius hat uns interessante Gladiatorenkämpfe geschildert, die in Beneventum stattgefunden haben. Da kann man sehen, was dem Sprichwort: ne sutor supra crepidam zum Trotz heutzutage aus einem Schuster werden kann! Vitellius ist der entfernte Nachkomme eines Schusters, aber Vatinius der leibliche Sohn eines solchen. Möglicherweise hat er auch selbst noch den Pechdraht gezogen! Der Schauspieler Aliturus gab gestern den Oedipus ganz wundervoll. Da er ein Jude ist, fragte ich ihn unter anderem, ob Christen und Juden dasselbe seien? Er antwortete mir, die Juden hätten eine ewige Religion, die Christen seien aber eine neue Sekte, die vor kurzem unter den Juden entstanden sei. Zur Zeit des [176] Tiberius sei ein Mann gekreuzigt worden, dessen Anhänger sich von Tag zu Tag mehren und ihn für einen Gott halten. Es scheint, daß sie keine anderen Götter, namentlich nicht die unsrigen, anerkennen. Ich sehe nicht ein, was ihnen das schaden könnte. Tigellinus zeigt mir jetzt offene Feindschaft. Indessen kann er mir nicht viel anhaben; nur in einem Punkte hat er etwas vor mir voraus. Er hängt mehr am Leben, und zugleich ist er ein größerer Schuft als ich, was ihm dem Rotbart näher bringt. Die beiden werden sich früher oder später verständigen, und dann wird die Reihe an mich kommen. Wann dieser Fall eintreten wird, weiß ich nicht, wohl aber, daß er einmal eintreten muß. Inzwischen muß man sich amüsieren. Das Leben an sich wäre ganz gut, wenn nur der Rotbart nicht wäre. Seinetwegen empfindet man mitunter einen Ekel vor dem eigenen Leben.

Es ist ein leeres Gerede, wenn man das Buhlen um seine Gunst mit dem Wetteifer im Zirkus, mit einer Art Spiel oder Kampf vergleicht, in welchem der Sieg der Eitelkeit schmeichelt. Ich erkläre es mir zwar mitunter so – und doch komme ich mir zuweilen genau wie dieser Chilon vor und um kein Haar besser als er. Wenn du ihn entbehren kannst, so schicke ihn hierher zu mir. Ich liebe seine erbaulichen Reden. Grüße deine göttliche Christin von mir, oder bitte sie vielmehr in meinem Namen, dir gegenüber kein Fisch zu sein. Gib mir Nachricht über deine Gesundheit und deine Liebe; lerne lieben, lehre lieben und lebe wohl!«


M.G. Vinicius an Petronius.


»Lygia ist noch nicht gefunden. Hoffte ich nicht, sie binnen kurzem zu finden, so würdest du keine Antwort erhalten; denn wenn einem das Leben verleidet ist, hat man keine Lust, Briefe zu schreiben. Ich wollte mich überzeugen, ob Chilon mich nicht betrog; ich hüllte mich daher in der Nacht, in der er das Geld für Euricius abholte, in meinen Soldatenmantel und folgte ihm und dem Sklaven, den ich ihm mitgegeben[177] hatte, unbemerkt nach. Als sie an dem bestimmten Orte anlangten, blieb ich in einiger Entfernung, hinter einem Portikuspfeiler versteckt, stehen und überzeugte mich, daß Euricius kein Gebilde der Phantasie war. Am Ufer stromabwärts lud eine Anzahl Leute bei Fackelschein Steine aus einem großen Kahne aus und schichtete sie am Ufer auf. Ich sah, wie Chilon sich diesen näherte und einen alten Mann anzureden begann, der ihm nach einiger Zeit zu Füßen fiel. Die anderen umringten die beiden und stießen Rufe der Verwunderung aus. Vor meinen Augen gab der Sklave dem Euricius den Beutel; dieser nahm ihn und fing mit zum Himmel erhobenen Händen an zu beten, und neben ihm kniete ein zweiter, augenscheinlich sein Sohn. Chilon sprach noch etwas, was ich nicht verstehen konnte, und segnete die beiden Knieenden sowie die anderen, indem er in der Luft ein Zeichen in Form eines Kreuzes machte, welches diese Leute augenscheinlich verehren, denn alle beugten ihre Kniee. Es wandelte mich die Lust an, unter sie zu treten und demjenigen, der mir Lygia ausliefern würde, drei solcher Beutel zu versprechen, aber ich fürchtete, alles, was Chilon erreicht hatte, zu verderben, und ging, nachdem ich noch einige Zeit gewartet hatte, nach Hause.

Dies geschah wenigstens zwölf Tage nach deiner Abreise. Seitdem war Chilon oft bei mir. Er erzählte mir, daß er sich bei den Christen eines großen Ansehens erfreue. Er behauptet, daß, wenn er Lygia noch nicht gefunden habe, dies daher komme, daß es in Rom selbst eine zahllose Menge Christen gebe; daher kennen sich nicht alle untereinander und können auch nicht alles wissen, was sich unter ihnen zutrage. Auch seien sie vorsichtig und im allgemeinen wortkarg, doch glaubt er, es werde ihm gelingen, alle ihre Geheimnisse zu erfahren, wenn er erst mit den Ältesten, die Presbyter genannt werden, bekannt sei. Er kennt schon einige von ihnen und hat sie auszufragen gesucht, aber vorsichtig, um durch seinen Eifer keinen Verdacht zu erwecken und sich seine Aufgabe [178] zu erschweren. Und obgleich mir das Warten schwer fällt und ich nicht viel Geduld habe, so sehe ich doch ein, daß er recht hat, und warte.

Auch hat er erfahren, daß sie Versammlungsorte zum Beten haben, häufig vor den Toren der Stadt, in leerstehenden Häusern und selbst in Sandgruben. Dort beten sie zu Christus, singen und halten gemeinschaftliche Mahle ab. Solcher Orte gibt es viele. Chilon vermutet, Lygia besuche absichtlich andere als Pomponia, damit diese im Falle einer gerichtlichen Untersuchung getrost beschwören könne, sie wisse nichts über ihren Aufenthaltsort. Es ist möglich, daß die Presbyter ihr diese Vorsichtsmaßregel empfohlen haben. Kennt Chilon erst diese Orte, so will ich ihn hinbegleiten, und wenn die Götter mir die Gnade erweisen, daß ich Lygia erblicke, so schwöre ich dir bei Jupiter, daß sie dann meinen Händen nicht entrinnen soll.

Ich denke unablässig an diese Gebetsorte. Chilon will nicht, daß ich ihn begleite. Er fürchtet sich, aber ich kann nicht ruhig zu Hause bleiben. Ich würde sie sofort erkennen, selbst in Verkleidung oder hinter einem Schleier. Sie versammeln sich dort bei Nacht; aber ich werde sie auch des Nachts erkennen. Überall würde ich sie an ihrer Stimme und ihren Bewegungen erkennen. Ich will selber in Verkleidung hingehen und jedermann mustern, der ein und aus geht. Ich denke beständig an sie und werde sie daher erkennen. Chilon muß morgen kommen, und dann gehen wir hin. Ich werde Waffen bei mir tragen. Einige meiner Sklaven, die ich in die Provinz geschickt hatte, kehrten zurück, ohne etwas ausgerichtet zu haben. Aber jetzt bin ich sicher, daß sie hier in der Stadt ist, vielleicht gar nicht weit von mir. Ich sah mir selbst eine Menge Häuser unter dem Vorgeben, mieten zu wollen, an. Bei mir wird sie es hundertmal besser haben, denn dort wohnen ganze Scharen armer Leute. Außerdem wird mir für sie nichts zu teuer sein. Du schreibst, ich habe das gute Teil erwählt, ich habe jedoch Kummer und Sorge [179] gewählt. Zuerst wollen wir in die Häuser gehen, die innerhalb der Stadt liegen, dann vor die Tore. Die Hoffnung auf etwas oder alles erwacht jeden Morgen in mir, sonst wäre ein Weiterleben unmöglich. Du sagst, man müsse zu lieben wissen; nun, ich weiß, wie ich zu Lygia von Liebe zu sprechen habe, aber jetzt empfinde ich nur Sehnsucht, ich warte nur auf Chilon, und mein Haus ist mir unerträglich geworden. Lebewohl!«

Sechzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel.

Chilon ließ sich jedoch geraume Zeit nicht mehr blicken, so daß Vinicius anfangs nicht wußte, was er davon denken solle. Umsonst sagte er sich, daß Nachforschungen, wenn sie zu erwünschten und sicheren Ergebnissen führen sollen, Zeit erfordern. Sein Blut empörte sich ebenso wie sein feuriges Wesen gegen die Stimme der Vernunft. Untätig zu sein, abzuwarten, still sitzen und die Hände in den Schoß zu legen, war zudem seiner ganzen Natur derart zuwider, daß er sich auf keinen Fall dazu entschließen konnte. Aber die Straßen der Stadt im dunklen Sklavenkleide nutzlos zu durchstreifen, erschien ihm nur als Bemäntelung der eigenen Untätigkeit und konnte ihm keine Befriedigung gewähren. Seine Freigelassenen, gewandte Männer, denen er befohlen hatte, Nachforschungen auf eigene Hand anzustellen, waren weit weniger glücklich gewesen als Chilon. Neben der Liebe, die er für Lygia empfand, erwachte jetzt noch die Hartnäckigkeit des Spielers in ihm, der durchaus gewinnen will. Vinicius war immer so gewesen. Von frühester Jugend hatte er alles, was er wollte, mit der Leidenschaftlichkeit eines Menschen durchgesetzt, der es nicht versteht, daß ihm etwas unerreichbar und er gezwungen sein solle, darauf zu verzichten. Zwar hatte die militärische Zucht seinen Eigenwillen auf einige Zeit gebändigt, aber sie hatte ihm auch zugleich die Überzeugung eingeprägt, daß jeder Befehl, den er einem Untergebenen [180] erteilte, unbedingt vollzogen werden müsse. Sein langer Aufenthalt im Orient unter einem kriechenden und an sklavischen Gehorsam gewöhnten Volke hatte ihn nur in der Meinung bestärkt, daß es für sein »Ich will« keine Beschränkung gebe. Jetzt war daher auch seine Eigenliebe tief verwundet. Außerdem lag in diesen Schwierigkeiten, in diesem Widerstande und gar in der Flucht Lygias etwas für ihn Unverständliches, ein Rätsel, mit dessen Lösung er sich vergebens den Kopf zermarterte. Er fühlte, daß Akte die Wahrheit gesagt habe und daß er Lygia nicht gleichgültig sei. War dies aber der Fall, warum zog sie dann ein unstetes, armseliges Leben seiner Liebe, seiner Zärtlichkeit und dem Aufenthalt in seinem prächtigen Hause vor? Auf diese Frage vermochte er keine Antwort zu finden, und es dämmerte ihm nur eine Art dunkler Ahnung auf, daß zwischen ihm und Lygia, zwischen seinen und ihren Anschauungen, zwischen der Welt, in der er und Petronius lebte, und der Lygias und Pomponia Graecinas ein Unterschied und eine Unmöglichkeit, sich gegenseitig zu verständigen, liege, tief wie ein Abgrund, den nichts überbrücken oder ausfüllen könne. Dann schien es ihm, als müsse er Lygia verlieren, und bei diesem Gedan ken büßte er noch den Rest seines seelischen Gleichgewichtes ein, den ihm Petronius erhalten wissen wollte. Es gab Zeiten, in denen er selbst nicht wußte, ob er Lygia liebe oder hasse, er begriff nur, daß er sie finden müsse und daß er sich eher von der Erde verschlingen lassen wolle, als sich nicht an ihrem Anblick und an ihrem Besitze zu erlaben. In seinem Geiste sah er sie mitunter so deutlich, als stände sie vor ihm; er erinnerte sich jedes Wortes, das er zu ihr gesprochen und das er von ihr gehört hatte. Er fühlte ihre Nähe; er fühlte sie an seiner Brust, in seinen Armen, und dann ergriff ihn ein Verlangen nach ihr wie eine verzehrende Flamme. Er liebte und begehrte sie. Und wenn er daran dachte, daß sie ihn liebe und ihm freiwillig alles gewähren könne, was er von ihr verlangte, so [181] erfaßte ihn ein bitterer, ungeheuchelter Schmerz, und tiefe Rührung ergriff ihn mit Sturmesgewalt. Aber er hatte auch Augenblicke, in denen er vor Wut erbleichte und sich an dem Gedanken an die Demütigungen und Qualen, mit denen er Lygia, wenn er sie gefunden habe, überhäufen wolle, berauschte. Er wollte sie nicht nur besitzen, sondern als niedergetretene Sklavin besitzen, und zu gleicher Zeit fühlte er, daß, wenn ihm die Wahl gelassen würde, entweder ihr Sklave zu sein oder sie nie mehr in seinem Leben wiederzusehen, er lieber ihr Sklave sein wolle. Es gab Tage, an denen er an die Striemen dachte, welche die Geißel an ihrem rosigen Körper zurücklassen werde, und zu gleicher Zeit diese Wunden küssen wollte. Auch der Gedanke schoß ihm durch den Kopf, daß er glücklich sein würde, sie töten zu können.

Unter dieser Aufregung, dieser Marter, Pein und Ungewißheit litt seine Gesundheit und selbst seine Schönheit. Er wurde zum unvernünftigen und grausamen Herrn. Die Sklaven und selbst die Sklavinnen nahten ihm zitternd, und da er ohne jeden Grund über sie ebenso erbarmungslose wie ungerechte Strafen verhängte, so begannen sie ihn im stillen zu hassen. Da er jedoch sowohl dies wie seine Vereinsamung fühlte, sann er nur immer mehr auf Rache. Nur Chilon gegenüber hielt er an sich aus Furcht, dieser könne sonst seine Nachforschungen einstellen. Als der schlaue Grieche dies bemerkte, suchte er noch größeren Einfluß auf ihn zu gewinnen und immer höhere Forderungen zu stellen. Zuerst versicherte er Vinicius bei jedem Besuche, daß die Angelegenheit leicht und rasch von statten gehe, dann begann er selber Schwierigkeiten zu entdecken und verhehlte nicht, daß sie die Nachforschungen noch längere Zeit fortsetzen müßten, wenn er sich auch nach wie vor für einen endgültigen Erfolg verbürge.

Endlich nach langen Tagen des Harrens kam Chilon mit so verstörtem Gesicht zu Vinicius, daß der junge Mann bei seinem Anblick erblaßte und, auf ihn zuspringend, kaum die [182] Kraft hatte, zu fragen: »Befindet sie sich nicht unter den Christen?«

»Gewiß, Herr,« antwortete Chilon, »aber ich traf den Arzt Glaukos bei ihnen.«

»Von wem sprichst du, und was ist das für ein Mann?«

»Du hast wohl den alten Mann vergessen, Herr, mit dem ich von Neapel nach Rom reiste und bei dessen Verteidigung ich diese beiden Finger verlor, ein Verlust, der mich daran hindert, das Schreibrohr in der Hand zu halten. Räuber, welche ihm Weib und Kind entführen wollten, stachen ihn mit einem Messer nieder. Ich verließ ihn sterbend in der Herberge zu Minturnae und beweinte ihn lange Zeit! Leider habe ich mich überzeugt, daß er noch am Leben ist und der Christengemeinde in Rom angehört.«

Vinicius, der nicht verstand, wo Chilon hinaus wollte, begriff nur so viel, daß jener Glaukos ein Hindernis für Lygias Auffindung sei; daher unterdrückte er den in ihm aufsteigenden Ärger und sagte: »Wenn du ihn beschütztest, so müßte er dir doch dankbar sein und dir helfen.«

»Ach, edler Tribun, selbst die Götter sind nicht immer dankbar; was ist da erst von den Menschen zu erwarten? Ja, er müßte mir dankbar sein. Leider aber ist er ein alter Mann von schwachem und durch das Alter und manche trübe Erfahrung verdüstertem Geiste; aus diesem Grunde ist er mir nicht nur nicht dankbar, sondern klagt mich, wie ich von seinen Glaubensgenossen erfahren habe, an, ich sei mit den Räubern im Einverständnisse gewesen und ich sei der Urheber seines Unglücks. Das ist der Lohn für meine beiden Finger!«

»Ich bin sicher, Schuft, daß es so ist, wie er sagt!« rief Vinicius.

»Dann weißt du mehr als er, Herr,« erwiderte Chilon mit Würde, »denn er vermutet nur, daß es so war, was ihn aber nicht hindern würde, die Christen zusammenzurufen und sich grausam an mir zu rächen. Er hätte es ohne Zweifel [183] auch schon getan und wäre ebenso unzweifelhaft dabei von den anderen unterstützt worden. Zum Glück aber kennt er meinen Namen nicht, und im Bethause, wo wir uns trafen, bemerkte er mich nicht. Ich jedoch erkannte ihn sofort und hätte ihn im ersten Augenblicke gern umarmt. Nur die Klugheit und die Gewohnheit, jeden Schritt, den ich unternehmen will, zu überlegen, hielten mich davon ab. Nachdem ich daher das Bethaus verlassen hatte, begann ich mich nach ihm zu erkundigen, und seine Bekannten erklärten mir, er sei der Mann, den sein Gefährte auf der Reise von Neapel hierher verraten habe ... Ich hätte sonst gar nicht gewußt, was er da erzählt.«

»Was geht mich das an! Sprich, was hast du im Bethause gesehen?«

»Dich geht es nichts an, Herr, mir aber liegt genau so viel daran, wie an meiner gesunden Haut. Da ich aber wünsche, daß meine Lehre mich überlebe, so würde ich lieber auf die Belohnung verzichten, die du mir versprochen hast, als mein Leben um des schnöden Mammons willen in Gefahr bringen, ohne den ich als wahrer Philosoph zu leben und die göttliche Weisheit zu erforschen vermag.«

Vinicius näherte sich ihm jedoch mit unheildrohendem Gesichte und begann mit dumpfer Stimme: »Und wer sagt dir, daß dich der Tod von der Hand des Glaukos früher trifft als von der meinen? Woher weißt du, Hund, daß meine Sklaven dich nicht sofort im Garten verscharren werden?«

Chilon, der ein ausgemachter Feigling war, sah Vinicius an und erkannte auf den ersten Blick, daß noch ein einziges unbedachtes Wort ihn rettungslos ins Verderben stürzen würde.

»Ich will sie suchen, Herr, und werde sie finden!« rief er hastig.

Beide schwiegen – und währenddessen war nur das rasche Atmen des Vinicius und der entfernte Gesang der im Garten arbeitenden Sklaven zu vernehmen.

[184] Nach einiger Zeit erst nahm der Grieche, als er bemerkte, daß der junge Patrizier sich etwas beruhigt hatte, wieder das Wort: »Der Tod ging dicht an mir vorüber, aber ich sah ihm mit derselben Ruhe wie Sokrates ins Auge. Nein, Herr, ich habe nicht gesagt, daß ich die Nachforschungen nach dem Mädchen aufgebe, ich wollte dir nur mitteilen, daß diese Nachforschungen jetzt mit großer Gefahr für mich verbunden sind. Du hast seinerzeit gezweifelt, ob jener Euricius wirklich auf der Welt ist, und obwohl du dich mit deinen eigenen Augen überzeugt hast, daß meines Vaters Sohn die Wahrheit gesprochen hat, argwöhnst du jetzt, daß ich den Glaukos erfunden habe. O, wenn er nur ein Phantasiegebilde wäre, wenn ich mit voller Sicherheit unter den Christen verkehren könnte, wie ich es früher getan habe, so würde ich dafür mit Freuden die arme alte Sklavin hingeben, die ich vor drei Tagen gekauft habe, damit sie mich bei meinem Alter und bei meiner Verkrüppelung pflege. Aber Glaukos lebt, Herr, und wenn er mich nur ein einziges Mal erblickt, würdest du mich nicht mehr lebend sehen, und wer würde dir in diesem Falle das Mädchen ausfindig machen?«

Dann schwieg er von neuem und begann seine Tränen zu trocknen, dann fuhr er fort: »Wie kann ich aber nach Lygia suchen, solange Glaukos lebt? Bei jedem Schritte kann ich ihm begegnen, und tritt dieser Fall ein, so bin ich verloren, und mit mir gehen zugleich meine Nachforschungen zugrunde.«

»Worauf zielst du? Wozu rätst du? Was wünschst du, das geschehen soll?« fragte Vinicius.

»Aristoteles lehrt uns, Herr, daß geringere Dinge für größere aufgeopfert werden müssen, und König Priamos sprach häufig davon, daß das Alter eine schwere Last sei. Diese Last des Alters und Unglücks ruht schon längst auf Glaukos, und zwar so schwer, daß der Tod für ihn eine Erlösung wäre. Denn was ist der Tod nach Seneca anders als eine Erlösung?«

[185] »Treibe deine Narrenspossen mit Petronius, nicht mit mir, sondern sage, was du willst.«

»Wenn die Tugend Narrheit ist, dann mögen mir die Götter die Gnade gewähren, stets ein Narr zu sein. Ich wünsche, Herr, diesen Glaukos zu beseitigen, denn so lange er lebt, schwebt mein Leben, schweben meine Nachforschungen in beständiger Gefahr.«

»Dinge meinetwegen Leute, die ihn mit Knütteln totschlagen; ich werde sie bezahlen.«

»Sie werden dir zuviel abverlangen, Herr, und werden später das Geheimnis gegen dich ausnutzen. Es gibt so viel Schufte in Rom wie Körner Sandes in der Arena; aber du glaubst nicht, was sie für Forderungen stellen, wenn sich einmal ein ehrlicher Mann ihrer Schurkerei bedienen muß. Nein, würdiger Tribun! Und wenn nun gar die Wache die Mörder auf frischer Tat ertappte? Dann würden sie unzweifelhaft angeben, wer sie gedungen hat, und du würdest in Ungelegenheiten kommen. Mich werden sie nicht angeben, denn ich nenne ihnen meinen Namen nicht. Du tust unrecht, wenn du mir nicht traust; denn abgesehen von meiner Ehrlichkeit mußt du bedenken, daß es sich hierbei für mich um zwei andere Dinge handelt: um meine gesunde Haut und um die Belohnung, die du mir versprochen hast.«

»Wieviel brauchst du?«

»Tausend Sesterzen; du wirst verstehen, Herr, daß ich ehrliche Schufte wählen muß, solche, die nicht, wenn sie das Geld genommen haben, auf Nimmerwiedersehen damit verschwinden. Gute Arbeit, gute Bezahlung! Auch für mich muß dabei etwas abfallen, damit ich die Tränen trocknen kann, welche ich aus Schmerz um Glaukos vergieße. Ich rufe die Götter zu Zeugen an, wie sehr ich ihn liebe. Wenn ich heute tausend Sesterzen bekomme, so ist seine Seele nach zwei Tagen im Hades, und erst dort wird er erkennen, wie sehr ich ihn geliebt habe, falls er nämlich dann noch Erinnerung und das Denkvermögen besitzt. Ich werde die Leute [186] unverzüglich aufsuchen und ihnen sagen, daß ich von morgen abend an für jeden Tag, den Glaukos noch am Leben bleibt, hundert Sesterzen zurückbehalte. Auch habe ich einen bestimmten Plan, der mir unfehlbar erscheint.«

Vinicius versprach ihm noch einmal die geforderte Summe, verbot ihm aber, fernerhin von Glaukos zu sprechen, und fragte ihn dann, was er sonst für Nach richten bringe, wo er die ganze Zeit über gewesen sei, was er gesehen und entdeckt habe. Aber Chilon konnte nicht viel Neues erzählen. Er sei noch in zwei anderen Bethäusern gewesen und habe jede Person, namentlich aber die Frauen betrachtet, jedoch keine gesehen, die Lygia ähnlich gewesen wäre. Die Christen zählten ihn aber jetzt zu den Ihrigen und verehrten ihn, seitdem er das Geld zur Loskaufung von Euricius' Sohn gegeben habe, als einen Mann, der auf Christi Pfaden wandele. Ferner habe er von ihnen erfahren, daß einer ihrer größten Gesetzgeber, ein gewisser Paulus aus Tarsos, sich in Rom befinde und auf Grund der von den Juden gegen ihn erhobenen Anklagen eingekerkert sei; diesen wolle er aufsuchen. Am meisten aber freue ihn eine andere Nachricht, nämlich, daß der oberste Priester der ganzen Sekte, der Christi Jünger gewesen sei und dem dieser die Leitung der Christen der ganzen Welt übergeben habe, binnen kurzem ebenfalls nach Rom kommen werde. Alle Christen wünschten, ihn mit eigenen Augen zu sehen und seine Predigt zu hören. Es würden dann einige große Versammlungen abgehalten werden, an denen auch er, Chilon, teilnehmen werde, und mehr noch, weil es dabei leicht sei, sich im Gedränge zu verbergen, wolle er Vinicius mitnehmen. Dann würden sie Lygia zweifellos finden. Sei Glaukos einmal aus dem Wege geräumt, so sei dies nicht einmal mit großer Gefahr verknüpft. Rächen könnten sich augenscheinlich auch die Christen, aber im allgemeinen seien sie friedliche Leute.

Darauf begann Chilon mit einer Art Erstaunen zu erzählen, er habe nie bemerkt, daß sie Ausschweifungen begingen, [187] Quellen und Brunnen vergifteten, Feinde des menschlichen Geschlechts seien, einen Esel verehrten oder Kinderfleisch äßen. Nein, davon habe er nichts gesehen. Gewiß werde er unter ihnen auch Leute finden, die für Geld Glaukos beseitigten; aber ihre Lehre fordere, soviel ihm bekannt sei, nicht zum Verbrechen auf, sondern befehle im Gegenteil das Vergeben der Beleidigung.

Vinicius mußte an die Worte denken, die ihm Pomponia Graecina bei Akte gesagt hatte, und im allgemeinen erfüllten ihn Chilons Mitteilungen mit Freude. Wenn auch sein Gefühl für Lygia anscheinend vom Haß verdrängt worden war, so gewährte es ihm doch eine gewisse Erleichterung, zu erfahren, daß die Lehre, zu der sie und Pomponia sich bekannten, weder eine verbrecherische noch eine abstoßende sei. Es erwachte in ihm aber auch ein dunkles Gefühl, daß gerade diese unbekannte und geheimnisvolle Verehrung für Christus die Kluft zwischen ihm und Lygia bilde; und so begann er diese Religion plötzlich zu fürchten und zu hassen.

Siebzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel.

Es mußte Chilon wirklich daran liegen, Glaukos aus dem Wege zu räumen, da dieser, obgleich bejahrt, doch durchaus kein gebrechlicher Greis war. In dem, was Chilon Vinicius erzählt hatte, lag ein beträchtlicher Teil Wahrheit. Er hatte seinerzeit Glaukos gekannt, ihn verraten, an Räuber verkauft, ihm seine Familie und sein Vermögen geraubt und Mördern ausgeliefert. Aber die Erinnerung an diese Ereignisse bereitete ihm wenig Unruhe, denn er hatte ihn nicht in der Herberge, sondern auf freiem Felde bei Minturnae sterbend zurückgelassen und nur das eine nicht vorausgesehen, daß Glaukos von seinen Wunden genesen und nach Rom kommen könne. Als er im Bethause seiner ansichtig wurde, erschrak er wirklich und hätte im ersten Augenblicke am liebsten die Nachforschungen nach Lygia aufgegeben. Anderseits [188] aber fürchtete er sich noch viel mehr vor Vinicius. Er erkannte, daß er zwischen der Furcht vor Glaukos und der Rache eines mächtigen Patriziers, dem ohne Zweifel ein noch Mächtigerer, Petronius, zu Hilfe kommen werde, zu wählen habe. Angesichts dieser Alternative konnte Chilon nicht länger schwanken. Er hielt es für besser, ohnmächtige Feinde zu haben, als mächtige, und obgleich seine feige Natur sich einigermaßen vor blutigen Mitteln scheute, hielt er es doch für nötig, Glaukos durch fremde Hand aus dem Wege räumen zu lassen.

Es handelte sich jetzt nur noch um die Wahl der Leute, und auf diese gerade bezog sich der Vorschlag, den er Vinicius gemacht hatte. Bei seinem nächtlichen Umhertreiben in den Weinschenken und seinem Verkehr mit obdachlosen Leuten ohne Ehre und Gewissen wäre es ihm ein leichtes gewesen, darunter auch solche zu finden, die zu jeder Tat bereit waren, noch leichter freilich aber solche, die, wenn sie bei ihm Geld bemerkten, sich bereit erklären würden, den Mord zu begehen, dann aber nach Empfang des Geldes die ganze Summe von ihm mit der Drohung erpressen würden, ihn den Händen des Gerichts zu übergeben. Übrigens empfand Chilon bereits seit einiger Zeit Widerwillen gegen das zerlumpte, abstoßende und zugleich gefährliche Gesindel, das sich in den verdächtigen Häusern in der Subura oder jenseits des Tiber zusammendrängte. Da er alles nach sich beurteilte und weder die Christen noch ihre Religion genau genug kannte, so glaubte er auch unter ihnen willige Helfershelfer zu finden; da sie ihm auch zuverlässiger als andere zu sein schienen, so beschloß er, sich an sie zu wenden und die Angelegenheit auf eine Weise darzustellen, daß sie die Tat nicht nur der Belohnung willen, sondern auch aus Frömmigkeit unter nehmen würden.

Mit diesem Entschlusse begab er sich abends zu Euricius, von dem er wußte, daß er ihm aus ganzer Seele ergeben sei und daß er alles zu seiner Unterstützung tun werde. Da er [189] jedoch von Natur vorsichtig war, gedachte er keineswegs ihm in seine wahren Absichten einzuweihen, die ja in offenem Widerspruch zu dem Glauben des alten Mannes an seine Tugend und Gottesfürchtigkeit standen. Er brauchte Leute, die zu jeder Tat bereit waren, und wollte mit diesen über die Sache in einer Weise sprechen, daß sie in ihrem eigenen Interesse nie ein Wort darüber verlautbaren würden.

Der alte Euricius hatte sich nach dem Loskaufe seines Sohnes einen jener kleinen Kramläden gemietet, die sich in der Nähe des Circus Maximus befanden, und verkaufte darin den Zuschauern der Spiele Oliven, Bohnen, ungesäuertes Brot und Honigwasser. Chilon traf ihn zu Hause, wie er seinen Laden einrichtete, begrüßte ihn im Namen Christi und begann mit ihm von der Angelegenheit zu sprechen, wegen der er zu ihm gekommen war. Er erinnerte ihn an die Wohltat, die er ihm erwiesen hatte, und sagte, er müsse sich dafür dankbar zeigen. Er brauche zwei bis drei starke, unerschrockene Männer, um eine Gefahr abzuwehren, die nicht nur ihm, sondern sämtlichen Christen drohe. Er sei freilich arm, da er fast alles, was er besessen habe, Euricius gegeben habe; trotzdem würde er diese Leute für ihre Dienste bezahlen, vorausgesetzt, daß sie ihm vertrauten und seine Weisungen pünktlich befolgten.

Euricius und sein Sohn, Quartus, hörten ihm als ihrem Wohltäter beinahe andächtig zu. Beide versicherten, sie selbst seien bereit, alles zu tun, was er von ihnen verlange, da sie glaubten, ein so heiliger Mann könne ihnen nichts zumuten, was nicht mit der Lehre Christi übereinstimme.

Chilon versicherte sie, daß dem so sei, hob die Augen zum Himmel empor und schien zu beten; in der Tat überlegte er jedoch, ob er nicht gut täte, das Anerbieten anzunehmen, das ihm möglicherweise tausend Sesterzen ersparen konnte. Aber nach einiger Überlegung verwarf er es. Euricius war alt, vielleicht nicht so sehr durch das Alter gebeugt wie durch Kummer und Krankheit geschwächt, Quartus zählte [190] erst sechzehn Jahre, während Chilon gewandte und vor allem starke Männer brauchte. Was die tausend Sesterzen betraf, so hoffte er, dank dem Plane, auf den er verfallen war, auf jeden Fall einen beträchtlichen Teil für sich behalten zu können.

Sie bestanden jedoch eine Zeitlang auf ihrem Anerbieten, gaben aber nach, als er es bestimmt ablehnte.

»Ich kenne den Bäcker Demas, Herr, in dessen Mühlen Sklaven und Tagelöhner arbeiten. Einer von diesen letzteren ist so stark, daß er es nicht nur mit zwei, sondern sogar mit vier anderen aufnehmen könnte; ich selbst habe gesehen, wie er einen Stein aufhob, den vier Männer nicht von der Stelle bewegen konnten.«

»Wenn er ein gottesfürchtiger Mann ist und den Brüdern eine Wohltat erweisen will, dann mache mich mit ihm bekannt,« sagte Chilon.

»Er ist Christ, Herr,« entgegnete Quartus, »da bei Demas in der Mehrzahl Christen arbeiten. Es gibt dort Nacht- und Tagarbeiter; jener Mann ist für die Nacht gedungen. Wenn wir jetzt gehen, dürften wir sie beim Abendessen treffen, und du könntest dann ungehindert mit ihm sprechen. Demas wohnt am Emporium.«

Chilon willigte sofort ein. Das Emporium lag am Fuße des Aventinhügels, daher nicht allzuweit vom Circus Maximus entfernt. Man konnte, statt über den Hügel zu gehen, dem Laufe des Flusses folgen und hatte dabei noch einen bedeutend kürzeren Weg.

»Ich bin alt,« sagte Chilon, als sie unter der Kolonnade entlang schritten, »und mitunter leide ich an Gedächtnisschwäche. Ja! ich weiß wohl, daß unser Herr Christus durch einen seiner Jünger verraten worden ist, aber auf dessen Namen kann ich mich im Augenblicke nicht entsinnen.«

»Judas, Herr, der sich erhängt hat,« entgegnete Quartus, der sich in seinem Innern etwas wunderte, daß man diesen Namen vergessen konnte.

»Ja, richtig! Judas! Ich danke dir,« versetzte Chilon.

[191] Eine Zeitlang schritten sie schweigend weiter. Als sie zum Emporium kamen, das geschlossen war, gingen sie daran vorbei um die Speicher herum, in denen Getreide an die Bevölkerung verteilt wurde, und wandten sich dann nach links, den Gebäuden zu, welche die Via Ostiensis einschließen, bis zu dem Mons Testaceus und dem Forum Pistorium. Hier blieben sie vor einem hölzernen Schuppen stehen, aus dessen Innerem das Geklapper von Handmühlen drang. Quartus ging hinein, Chilon aber blieb draußen, da er es nicht liebte, sich vor einer größeren Menschenmenge zu zeigen, und in beständiger Furcht schwebte, der Zufall könne ihn mit dem Arzte Glaukos zusammenführen.

»Ich bin auf diesen Herkules gespannt, der in dieser Mühle arbeitet,« sprach er zu sich selber, indem er zu dem hellscheinenden Mond emporblickte. »Ist er ein geriebener Halunke, so wird er mich etwas kosten; ist er aber ein tugendhafter Christ und ein dummer Kerl dazu, so wird er alles umsonst tun, was ich von ihm verlange.«

In seinen weiteren Betrachtungen wurde er durch Quartus gestört, der in diesem Augenblicke mit einem anderen Manne heraustrat. Dieser war nur mit einer Tunika, Exomis genannt, bekleidet, die so getragen wurde, daß sie den rechten Arm und die rechte Brust unbedeckt ließ. Dieses Gewand, welches dem Körper völlig freie Bewegung gestattete, trugen namentlich die Arbeiter. Als Chilon den Ankömmling gewahr wurde, atmete er erleichtert auf, denn noch nie in seinem Leben hatte er solche Schultern und eine solche Brust gesehen.

»Dies ist der Bruder, Herr, den du zu sehen wünschtest,« sagte Quartus.

»Der Friede Christi sei mit dir,« erwiderte Chilon, »Quartus, sage du dem Bruder, ob ich Glauben und Vertrauen verdiene, und dann geh in Gottes Namen nach Hause, denn dein ergrauter Vater soll nicht länger allein bleiben.«

[192] »Dies ist ein heiliger Mann,« sagte Quartus, »der sein ganzes Vermögen hingab, um mich, den er gar nicht kannte, loszukaufen. Unser Herr und Heiland möge ihm dafür seinen Lohn im Himmel geben.«

Als der hünenmäßige Arbeiter dies hörte, beugte er sich herab und küßte Chilons Hand.

»Wie heißt du, Bruder?« fragte der Grieche.

»In der heiligen Taufe erhielt ich den Namen Urban, ehrwürdiger Vater.«

»Urban, mein Bruder, hast du Zeit, um mit mir ungestört zu sprechen?«

»Unsere Arbeit beginnt um Mitternacht, und jetzt wird erst unser Abendbrot zubereitet.«

»Dann haben wir Zeit genug. Laß uns zum Flusse gehen, dort wirst du hören, was ich dir zu sagen habe.«

Sie gingen hin und setzten sich auf die steinerne Ufereinfassung. Es herrschte tiefes Schweigen, das nur durch das entfernte Geräusch der Handmühlen und durch das Rauschen des Flusses unterbrochen wurde. Chilon betrachtete nun das Gesicht des Arbeiters, das ihm trotz des etwas ernsten und traurigen Ausdrucks, wie ihn gewöhnlich die Gesichter der in Rom lebenden Barbaren zeigten, dennoch gutmütig und ehrlich erschien.

»Recht so!« sagte er zu sich selbst. »Dies ist ein guter, einfältiger Mensch, der Glaukos umsonst totschlagen wird.«

Dann fragte er: »Urban, liebst du unseren Herrn Christus?«

»Ich liebe ihn aus tiefster Seele,« erwiderte der Arbeiter.

»Und deine Brüder, deine Schwestern, jene, die dich in der Wahrheit und im Glauben an Christus unterwiesen haben?«

»Auch sie liebe ich, Vater.«

»Dann sei Friede mit dir.«

»Auch mit dir, Vater.«

[193] Von neuem trat Schweigen ein – nur in der Ferne klapperten die Mühlen, und unten rauschte der Fluß.

Chilon blickte zu dem rein und klar am Himmel stehenden Monde empor und begann mit leiser, flüsternder Stimme von Christi Tod zu sprechen. Es war, als rede er nicht zu Urban, sondern rufe jenen Tod sich nur selbst ins Gedächtnis zurück oder vertraue dieses Geheimnis der schlummernden Stadt an. Es lag darin etwas Gewaltiges und dabei Rührendes. Der Arbeiter weinte, und als Chilon nun zu seufzen und zu beklagen begann, daß sich beim Tode des Erlösers niemand gefunden habe, der ihn, wenn auch nicht gegen die Kreuzigung, so doch wenigstens gegen die Schmähungen der Landsknechte und Juden verteidigt hätte, da begannen sich die riesigen Barbarenfäuste vor Schmerz und unterdrückter Wut zu ballen. Der Tod erschütterte ihn nur, aber bei dem Gedanken an jenen Pöbel, der das Lamm auf seinem Wege zur Kreuzigung verhöhnt hatte, empörte sich seine kindliche Seele, und wilde Rachgier ergriff ihn.

Chilon fragte nun plötzlich: »Urban, weißt du, wer Judas war?«

»Ich weiß, ich weiß! aber er hat sich erhängt!« rief der Arbeiter.

In seiner Stimme lag etwas wie Bedauern, daß der Verräter sich selbst sein Urteil gesprochen hatte und ihm daher nicht mehr in die Hände fallen konnte.

Chilon fuhr fort: »Wenn er sich nun aber nicht erhängt hätte und ihm einer der Christen zu Lande oder zu Wasser begegnete, müßte dieser dann nicht die Marter, das Blut, den Tod des Erlösers an ihm rächen?«

»Wer würde dies nicht tun, ehrwürdiger Vater!«

»Friede sei mit dir, du treuer Diener des Lammes. Ja! wir dürfen die Kränkungen, die uns selbst zugefügt werden, verzeihen; wer aber hat das Recht, die Kränkungen, die gegen Gott verübt werden, zu verzeihen? Wie die Schlange eine Schlange erzeugt, wie Sünde aus Sünde und Verrat aus [194] Verrat entsteht, so ist aus Judas' giftigem Samen ein anderer Verräter entsprossen, und wie jener den Heiland an die Juden und römischen Kriegsknechte verriet, so will dieser, der unter uns weilt, Christi Schafe den Wölfen überliefern, und wenn niemand dem Verrate vorbeugt, wenn niemand beizeiten der Schlange den Kopf zertritt, so droht uns allen der Untergang, und mit uns wird auch zugleich die Verehrung des Lammes ausgerottet.«

Der Arbeiter sah ihn mit furchtbarem Entsetzen an, als glaube er nicht recht zu hören; der Grieche aber verbarg seinen Kopf unter einem Zipfel seines Mantels und sprach mit einer wie aus den Tiefen der Erde herauftönenden Stimme: »Wehe euch, ihr Diener des wahren Gottes, wehe euch, ihr Christen und Christinnen!«

Wieder trat Schweigen ein; wieder hörte man nur das Klappern der Mühlen, den dumpfen Gesang der Mühlknechte und das Rauschen des Flusses.

»Vater,« fragte endlich der Arbeiter, »was ist das für ein Verräter?«

Chilon erhob sein Haupt. Was das für ein Verräter sei? Ein Sohn des Judas, ein Sohn seines giftigen Samens, der vorgebe, Christ zu sein, und in die Bethäuser gehe, nur um die Brüder beim Caesar zu verklagen, daß sie den Caesar nicht als Gott verehrten, daß sie die Brunnen vergifteten, Kinder schlachteten und die Stadt zerstören wollten, daß kein Stein auf dem anderen bleibe. In einigen Tagen würden die Prätorianer den Befehl erhalten, Greise, Frauen und Kinder einzukerkern und hinzurichten, genau so, wie sie die Sklaven des Pedanius Secundus zum Tode führten. Und all dies habe jener zweite Judas getan. Wenn aber niemand den ersten Judas bestraft, wenn niemand Rache an ihm genommen und Christus in der Stunde der Marter beschützt habe, wer werde diesen bestrafen, wer die Schlange zertreten, bevor der Caesar auf ihr Zischen gehört habe, wer werde ihn aus dem Wege räumen, wer werde die [195] Brüder und den Glauben an Christus vor dem Untergange retten?

Urban, der immer noch auf der steinernen Brustwehr saß, sprang plötzlich auf und rief: »Ich werde es tun, Vater.«

Chilon erhob sich ebenfalls, betrachtete einen Augenblick prüfend das vom Monde beschienene Gesicht des Arbeiters, dann erhob er seinen Arm und legte langsam seine Hand auf dessen Kopf.

»Geh unter die Christen,« sagte er feierlich; »geh in die Bethäuser und frage die Brüder nach dem Arzte Glaukos, und wenn sie dir ihn zeigen, dann töte ihn im Namen Christi! ...«

»So ... Glaukos?« wiederholte der Arbeiter, als wollte er sich den Namen ins Gedächtnis prägen.

»Kennst du ihn vielleicht?«

»Nein, ich kenne ihn nicht. Es gibt Tausende von Christen in ganz Rom, und sie kennen sich nicht alle untereinander. Aber morgen nacht versammeln sich alle Brüder und Schwestern im Ostrianum, weil ein großer Apostel Christi gekommen ist, um uns zu unterweisen, und dort werden mir die Brüder Glaukos zeigen.«

»Im Ostrianum?« fragte Chilon. »Das ist doch wohl außerhalb der Stadttore? Die Brüder und sämtliche Schwestern? nachts? außerhalb der Stadttore im Ostrianum?«

»Ja, Vater; dort ist unser Friedhof zwischen der Via Salaria und der Via Nomentana. Wußtest du denn nichts davon, daß uns der große Apostel dort unterweisen wird?«

»Ich war zwei Tage lang von Hause fort und habe daher seinen Brief nicht zu Gesicht bekommen. Ich weiß jedoch nicht, wo das Ostrianum liegt, da ich erst vor kurzem aus Korinth gekommen bin, wo ich die Christengemeinde leitete ... Aber es ist gut, und sobald Christus es dir eingibt, so geh in der Nacht nach dem Ostrianum, mein Sohn, dort wirst du mitten unter den Brüdern Glaukos treffen und ihn auf dem Rückwege nach der Stadt töten. Dafür werden dir alle[196] deine Sünden vergeben werden. Und nun: Friede sei mit dir ...«

»Vater ...«

»Ich höre, Diener des Lammes.«

Auf dem Gesicht des Arbeiters spiegelte sich Verlegenheit und Unschlüssigkeit. Kurz zuvor hatte er einen Menschen, vielleicht auch zwei getötet, und die Lehre Christi verbietet das Töten. Er hatte sie nicht zu seiner eigenen Verteidigung getötet, aber selbst dies wäre verboten gewesen. Auch aus Gewinnsucht hatte er es nicht getan, Christus bewahre ihn davor. Der Bischof selber hatte ihm Brüder zum Beistand gegeben, aber nicht erlaubt, jemand zu töten. Er hatte aber gegen seinen Willen getötet, denn Gott hat ihn mit zu großer Kraft ausgerüstet ... Und jetzt büßt er schwer dafür ... Andere singen während des Mahlens, aber er, der Unselige, denkt an seine Sünde, an die Kränkung, die er dem Lamme zugefügt hat ... Wieviel hat er schon gebetet und geweint! wieviel zum Lamme gefleht! Und doch fühlt er, daß er immer noch nicht genug gebüßt hat ... Und jetzt hatte er wieder versprochen, einen Verräter zu töten ... Gut! Es ist nur erlaubt, selbsterlittene Kränkungen zu verzeihen; darum wird er ihn töten, und wäre es auch vor den Augen sämtlicher Brüder und Schwestern, die im Ostrianum versammelt sind. Aber zuvor soll Glaukos von den Ältesten unter den Brüdern, von dem Bischof oder von dem Apostel verurteilt werden. Töten ist nicht schwierig, und einen Verräter töten ist so angenehm wie einen Wolf oder einen Bären erlegen. Aber wenn Glaukos unschuldig ums Leben käme? Wie kann er sich einen neuen Mord, eine neue Sünde und eine neue Beleidigung des Lammes auf sein Gewissen laden?

»Zu einer Untersuchung fehlt die Zeit, mein Sohn,« erwiderte Chilon; »denn der Verräter wird vom Ostrianum geradeswegs zum Caesar nach Antium gehen oder sich im Hause eines gewissen Patriziers, in dessen Diensten er sich befindet, verbergen. Aber ich will dir hier ein Zeichen geben. [197] Wenn du dieses, nachdem du Glaukos getötet hast, vorzeigst, so werden der Bischof und der große Apostel deine Tat segnen.«

Bei diesen Worten holte er eine Münze hervor und suchte dann im Gürtel nach einem Messer. Als er es gefunden hatte, kritzelte er in das Metall der Sesterze das Zeichen des Kreuzes und übergab sie dem Arbeiter.

»Hier ist das Urteil gegen Glaukos und das Zeichen für dich. Wenn du es nach Glaukos' Tode dem Bischof vorzeigst, so wird er dir diesen Totschlag vergeben, den du gegen deinen Willen verübt hast.«

Der Arbeiter streckte unwillkürlich seine Hand nach der Münze aus; da er aber den ersten Mord noch allzufrisch im Gedächtnis hatte, zog er sie wie im Gefühl des Schreckens plötzlich zurück.

»Ehrwürdiger Vater,« sagte er mit zitternder Stimme, »wirst du diese Tat auf dein Gewissen nehmen, und hast du selbst gehört, wie Glaukos die Brüder verriet?«

Chilon sah ein, daß er irgendwelche Beweise bringen, irgendwelche Namen nennen mußte, denn sonst hätten im Herzen des Riesen leicht Zweifel erwachen können. Plötzlich schoß ihm ein glücklicher Gedanke durch den Kopf.

»Höre, Urban,« sagte er; »ich wohne in Korinth, komme aber von Kos, und hier in Rom unterweise ich eine Sklavin aus meinem Lande, namens Eunike, in der Lehre Christi. Sie dient als Vestiplica im Hause eines Freundes des Caesars, eines gewissen Petronius. Dort, in jenem Hause habe ich gehört, wie Glaukos sich anheischig machte, alle Christen zu verraten, und außerdem einem anderen Ohrenbläser des Caesars, Vinicius, versprach, unter den Christen für ihn ein gewisses Mädchen zu suchen ...«

Hier brach er ab und blickte erstaunt auf den Arbeiter, dessen Augen auf einmal wie die eines wilden Tieres aufflammten, während das Gesicht den Ausdruck rasender Wut und Erbitterung annahm.

»Was ist dir?« fragte er beinahe erschreckt.

[198] »Nichts, mein Vater. Morgen töte ich Glaukos!«

Der Grieche schwieg; nach einiger Zeit ergriff er den Arm des Arbeiters und drehte ihn so, daß das Mondlicht voll auf sein Gesicht fiel, und begann ihn aufmerksam zu beobachten. Augenscheinlich schwankte er, ob er ihn weiter ausfragen und sich über alles Klarheit verschaffen oder sich für jetzt mit dem begnügen solle, was er erfahren hatte oder vermutete.

Endlich siegte die ihm angeborene Vorsicht. Er atmete ein paarmal tief auf und fragte dann, indem er von neuem seine Hand auf den Kopf des Arbeiters legte, in feierlichem, eindringlichem Tone: »In der heiligen Taufe gab man dir also den Namen Urban?«

»Jawohl, mein Vater.«

»Dann sei Friede mit dir, Urban.«

Achtzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel.

Petronius an Vinicius.


»Es steht schlimm mit dir, carissime! Unzweifelhaft hat Venus dir den Sinn verwirrt und Verstand, Gedächtnis und die Fähigkeit geraubt, an etwas anderes als an die Liebe zu denken. Lies einmal, was du mir auf meinen Brief geantwortet hast, und du wirst daraus entnehmen können, wie gleichgültig du auf alles herabsiehst, was nicht Lygia ist, wie dein Denken sich nur mit ihr beschäftigt, immer wieder zu ihr zurückkehrt und sie gleichsam umkreist wie ein Falke die erschaute Beute. Beim Pollux! Finde sie schnell, sonst wird aus dir, soweit die Flamme dich nicht in Asche verwandeln konnte, ein ägyptischer Sphinx, der, wie man sagt, von Liebe für die blasse Isis ergriffen, taub und gleichgültig für alles ist und nur die Nacht erwartet, um mit versteinertem Auge nach der Geliebten zu schauen.

Durchstreife des Abends verkleidet die Straßen, besuche selbst in Begleitung deines Philosophen die christlichen Bethäuser. [199] Alles, was Hoffnung erweckt und die Zeit totschlägt, ist lobenswert. Aber um meiner Freundschaft willen tu das eine: jener Ursus, der Sklave Lygias, ist anscheinend ein Mann von unglaublicher Körperkraft; dinge dir daher Kroton und gehe nur mit zwei Begleitern aus. Das wird sicherer und vernünftiger sein. Da Pomponia Graecina und Lygia zu den Christen gehören, so sind diese gewiß keine solchen Schufte, wie man allgemein annimmt; bei der Entführung Lygias haben sie aber den Beweis geliefert, daß, wenn es sich um ein Lamm aus ihrer Herde handelt, mit ihnen nicht zu spaßen ist. Wenn du Lygia erblickst, so weiß ich, du wirst dich nicht mäßigen können, sondern den Versuch machen, sie auf der Stelle fortzutragen. Wie solltest du dies aber allein mit Chilon fertig bringen? Kroton aber wird sich schon Rat wissen, selbst wenn zehn solcher Männer wie Ursus Lygia verteidigten. Laß dich von Chilon nicht ausbeuten, spare aber bei Kroton das Geld nicht. Von allen Ratschlägen, die ich dir geben kann, ist dies der beste.«

Hier hat man bereits aufgehört, von der kleinen Augusta oder davon zu sprechen, daß sie infolge von Zauberei gestorben ist. Poppaea gedenkt ihrer noch zuweilen, aber des Caesars Geist ist mit etwas anderem beschäftigt; wenn es übrigens wahr ist, daß sich die göttliche Augusta wieder in anderen Umständen befindet, so wird auch bei ihr die Erinnerung an dieses Kind spurlos verschwinden. Wir waren jetzt einige Tage in Neapel oder vielmehr in Bajae. Wenn du noch an etwas zu denken vermagst, so muß ein Echo von unserer Lebensweise an deine Ohren gedrungen sein, denn ganz Rom spricht gewiß von nichts anderem. Wir begaben uns geradeswegs nach Bajae, wo uns anfangs Erinnerungen an die Mutter und Gewissensbisse befielen. Aber weißt du, wie weit es mit dem Rotbart schon gekommen ist? Daß selbst der Muttermord für ihn nichts anderes ist, als ein Stoff zu poetischer Behandlung und zum Vorwurf einer Tragikomödie. Früher fühlte er in der Tat Gewissensbisse, aber [200] einzig und allein nur darum, weil er ein Feigling ist. Jetzt, wo er sich überzeugt hat, daß die Erde nach wie vor unter seinen Füßen feststeht und daß kein Gott an ihm Rache nimmt, heuchelt er sie nur, um das Volk durch sein Schicksal zu rühren. Manchmal springt er in der Nacht auf, da er sich von den Furien verfolgt glaubt – weckt uns, sieht sich scheu um und nimmt die Haltung eines Komödianten an, der die Rolle des Orestes spielt, und zwar eines schlechten Komödianten, deklamiert griechische Verse und gibt acht, ob wir ihn auch bewundern. Und wir bewundern ihn augenscheinlich, und statt ihm zu sagen: »Geh' zu Bett, du Possenreißer!« jammern auch wir in tragischem Tone und beschützen den großen Künstler vor den Furien. Bei Kastor! Die Nachricht wenigstens muß dir zugegangen sein, daß er schon öffentlich in Neapel aufgetreten ist. Alle griechischen Tagediebe waren aus Neapel und den benachbarten Städten zusammengeströmt und erfüllten die Arena mit einem so durchdringenden Knoblauch- und Schweißgeruch, daß ich den Göttern dankte, daß ich, anstatt in den ersten Reihen mitten unter den Augustianern zu sitzen, mit dem Rotbart hinter der Szene war. Und wirst du es glauben, daß er Furcht hatte? Er fürchtete sich in der Tat! Er nahm meine Hand und legte sie sich aufs Herz, das in der Tat in beschleunigten Schlägen klopfte. Er atmete kurz, und als er auftreten mußte, wurde er blaß wie Pergament, und seine Stirn bedeckte sich mit Schweißtropfen, obgleich er sah, daß in jeder Reihe mit Knütteln bewaffnete Prätorianer saßen, bereit, im Notfalle mit diesen die Begeisterung anzufachen. Aber dieser Fall trat nicht ein. Keine Affenherde aus der Umgegend Karthagos könnte so heulen, wie es dieser Pöbel tat. Ich sage dir, der Knoblauchgeruch drang bis auf die Bühne, Nero aber verbeugte sich, legte die Hand aufs Herz, warf Kußhände und brach in Tränen aus. Dann stürzte er wie ein Betrunkener auf uns zu, die wir ihn hinter der Szene erwarteten, und rief: »Was sind alle Triumphe im Vergleich zu dem meinen!« [201] Dabei heulte der Pöbel noch unaufhörlich und klatschte Beifall, da er sehr wohl wußte, daß er es in seinem eigenen Interesse tat, für Geschenke, Schmausereien, Lotterielose und ein abermaliges Auftreten des kaiserlichen Possenreißers. Ich wunderte mich nicht darüber, daß sie klatschten, denn etwas derartiges hatten sie bis dahin noch nicht gesehen. Und jeden Augenblick wiederholte er: »Ja, die Griechen! Ja, die Griechen!« Und es will mir scheinen, als ob seine Abneigung gegen Rom noch im Wachsen begriffen sei. Er ließ sofort Eilboten nach Rom mit der Nachricht von dem Triumphe entsenden, und wir erwarten in diesen Tagen den Dank des Senats. Unmittelbar nach dem ersten Auftreten Neros ereignete sich hier ein sonderbarer Vorfall. Das Theater brach plötzlich zusammen, aber erst dann, als sämtliche Zuschauer es verlassen hatten. Ich war am Orte des Unglücks und bemerkte keine einzige Leiche unter den Trümmern. Viele, selbst unter den Griechen, betrachten dieses Ereignis als Strafe der Götter für die Erniedrigung der Caesarenwürde; er dagegen erblickt darin eine Gnade der Götter, welche seinen Gesang, und diejenigen, welche ihm lauschten, in ihren augenscheinlich Schutz genommen hätten. Es wurden daher in allen Tempeln Opfer dargebracht und feierliche Dankgottesdienste veranstaltet – für ihn aber ist es eine neue Aufmunterung zu der Reise nach Achaja. Vor einigen Tagen sagte er jedoch zu mir, er besorge, daß das römische Volk damit unzufrieden sei und sich empören werde, sowohl aus Liebe zu ihm wie aus Furcht, die Getreideverteilungen und die Spiele könnten im Falle einer längeren Abwesenheit des Caesars unterbleiben.

Wir gehen jedoch nach Benevent, um uns die Schusterpracht anzusehen, in der sich Vatinius hervortut, und von da unter dem Beistande der göttlichen Brüder der Helena nach Griechenland. Was mich betrifft, so habe ich das eine gelernt, daß, wenn man sich unter Wahnsinnigen befindet, ebenfalls wahnsinnig wird und, was noch schlimmer ist, [202] an wahnsinnigen Possen seine Freude findet. Griechenland und die Reise auf tausend Schiffen, einem Triumphzuge des Bakchos gleichend, umgeben von Nymphen und Bakchanten, mit Kränzen aus Myrtenzweigen, Weinlaub und Geißblatt, Wagen mit Tigern bespannt, Blumen, Thyrsosstäbe, Kränze, Evoerufe, Musik, Poesie und das beifallspendende Hellas – all dies ist schön, aber wir haben noch kühnere Pläne. Wir möchten etwas wie ein orientalisches Märchenreich schaffen, ein Reich voller Palmen, Sonnenschein und Poesie, das die Wirklichkeit in einen Traum und das Leben in ein einziges wonniges Entzücken umwandelt. Wir möchten Rom vergessen und den Schwerpunkt der Welt irgendwo anders hin, an eine Stelle zwischen Griechenland, Asien und Ägypten, verlegen, nicht das Leben von Menschen, sondern von Göttern führen, nicht wissen, was Alltäglichkeit bedeutet, auf goldenen Schiffen im Schatten purpurner Segel durch den Archipel fahren, Apollon, Osiris, Baal in einer Person sein, rosig wie die Morgenröte, golden wie die Sonne, silbern wie der Mond, herrschen, singen, träumen ... Und wirst du es glauben, daß ich, der ich ja noch für eine Sesterze gesunden Menschenverstand und für ein As Urteilsfähigkeit besitze, mich trotzdem diesen Phantomen überlasse und zwar nur aus dem Grunde, daß, wenn sie auch unmöglich zu verwirklichen, doch zum mindesten großartig und außergewöhnlich sind? Ein solches Märchenreich würde noch in ferner, ferner Zeit, nach vielen Jahrhunderten den Menschen wie ein Traum vorkommen. Solange Venus nicht die Gestalt dieser Lygia oder wenigstens einer solchen Sklavin wie Eunike annimmt und die Kunst sie verschönt, so lange ist das Leben selbst leer und trägt oft das Antlitz eines Affen. Aber der Rotbart wird seine Pläne nicht verwirklichen, wenn auch nur aus dem Grunde, weil in jenem orientalischen Märchenreiche der Poesie kein Platz sein kann für Verrat, Gemeinheit und Mord und in ihm trotz allen poetischen Scheines nichts steckt als ein schlechter Komödiant, ein ungeschickter Wagenlenker und ein [203] einfältiger Tyrann. Doch inzwischen töten wir jeden, der in irgend einer Weise unser Mißfallen erregt. Der arme Torquatus Silanus weilt bereits bei den Schatten; er öffnete sich vor einigen Tagen die Adern. Lecanius und Licinius werden ihr Konsulat voller Furcht antreten, der alte Thrasea wird dem Tode auch nicht entgehen, denn er wagt es, ehrlich zu sein. Tigellinus konnte in bezug auf mich noch nicht den Befehl erwirken, ich solle mir die Adern aufschneiden. Man bedarf meiner noch, nicht allein als arbiter elegantiarum, sondern auch als eines Mannes, ohne dessen Rat und Geschmack die Reise nach Achaja möglicherweise mit einem Mißerfolge enden könnte. Ich muß jedoch öfters daran denken, daß ich früher oder später so enden muß, und weißt du, worauf es mir dann hauptsächlich ankommen wird: darauf, daß der Rotbart nicht jenen Onyxbecher erhält, den du kennst und bewunderst. Bist du in der Stunde meines Todes bei mir, so schenke ich ihn dir, bist du fern, so zerschmettere ich ihn. Indessen habe ich noch das schusterliche Benevent, das olympische Griechenland und das Fatum vor mir, das jedem seine Bahnen weist, mögen diese auch unbekannt und unberechenbar sein. Bleibe gesund und dinge dir Kroton, sonst verlierst du Lygia ein zweites Mal. Wenn du Chilonides nicht mehr brauchst, so schicke ihn zu mir, wo ich auch immer bin. Möglicherweise mache ich einen zweiten Vatinius aus ihm, und vielleicht zittern noch Konsulare und Senatoren vor ihm wie vor dem Ritter Pechdraht. Es würde sich lohnen, ein solches Schauspiel zu erleben. Wenn du Lygia gefunden hast, so gib mir Nachricht, damit ich für euch ein Paar Schwäne und ein Paar Tauben im hiesigen Venustempel opfere. Einmal sah ich im Traume Lygia auf deinen Knieen sitzen und wonnetrunken nach deinen Küssen verlangen. Gib dir Mühe, daß dieser Traum in Erfüllung gehe. Möge keine Wolke deinen Himmel trüben; sollte sich aber doch eine blicken lassen, so sei sie von der Farbe und dem Duft der Rosen. Bleibe gesund und lebe wohl!

Neunzehntes Kapitel

[204] Neunzehntes Kapitel.

Kaum hatte Vinicius zu Ende gelesen, als Chilon leise und unangemeldet zu ihm in die Bibliothek trat, da die Diener Befehl hatten, ihn zu jeder Tages- oder Nachtstunde vorzulassen.

»Möge die göttliche Mutter deines hochherzigen Ahnherrn Äneas,« sagte er, »dir ebenso günstig sein, Herr, wie mir der Sohn der Maja günstig gewesen ist.«

»Das heißt?« fragte Vinicius, indem er von dem Tische, an dem er saß, aufsprang.

Chilon richtete sich auf und sagte: »Gefunden!«

Der junge Patrizier war so erregt, daß er längere Zeit kein Wort hervorbringen konnte.

»Du hast sie gesehen?« fragte er endlich.

»Ich habe Ursus gesehen, Herr, und mit ihm gesprochen.«

»Und weißt du, wo sie sich verstecken?«

»Nein, Herr. Ein anderer würde dem Lygier aus Eitelkeit zu verstehen gegeben haben, er errate, wer er sei; ein anderer hätte zu erfahren gesucht, wo er wohne, und würde dabei entweder einen Faustschlag erhalten haben, infolgedessen ihm alle irdischen Angelegenheiten gleichgültig gewesen wären, oder hätte den Argwohn des Riesen erregt und ihn veranlaßt, mit dem Mädchen womöglich noch diese Nacht ein anderes Versteck aufzusuchen. Ich tat nichts davon, Herr. Ich begnügte mich damit, zu wissen, daß Ursus bei einem Müller in der Nähe des Emporium arbeitet, der Demas heißt wie dein Freigelassener, und es genügt mir deshalb, weil jetzt der erste beste Sklave, dem du dein Vertrauen schenkst, des Morgens seiner Spur folgen und das Versteck beider aufspüren kann. Ich bringe dir nur die Gewißheit, Herr, daß, da sich Ursus hier befindet, auch die göttliche Lygia in Rom ist, und zweitens die Nachricht, daß sie heut nacht fast zweifellos im Ostrianum sein wird ...«

[205] »Im Ostrianum? Wo ist das?« unterbrach ihn Vinicius, der offenbar den Wunsch hegte, sofort nach dem genannten Orte zu eilen.

»Es ist ein altes unterirdisches Gewölbe zwischen der Via Salaria und Via Nomentana. Jener Pontifex Maximus der Christen, von dem ich dir erzählte, Herr, und den sie bedeutend später erwarteten, ist schon angekommen und wird heute nacht in jener Katakombe taufen und lehren. Sie verheimlichen ihre Religion, weil das Volk, obgleich bis jetzt noch keine Edikte erlassen sind, welche sie verbieten, sie haßt und sie daher vorsichtig sein müssen. Ursus selbst sagte mir, daß sie heut alle ohne Ausnahme im Ostrianum zusammenkommen wollten; denn ein jeder wünscht den zu sehen und zu hören, der der erste Jünger Christi gewesen ist und den sie Apostel nennen. Da bei ihnen die Frauen in der Religion ebenso unterwiesen werden wie die Männer, so wird vielleicht Pomponia die einzige Frau sein, die nicht anwesend ist, da sie es vor Aulus, dem Verehrer der alten Götter, nicht verantworten könnte, deswegen in der Nacht das Haus zu verlassen. Lygia jedoch, Herr, die unter dem Schutze von Ursus und der Ältesten der Gemeinde steht, wird ohne Zweifel mit den anderen Frauen hingehen.«

Vinicius, der bis dahin wie im Fieber gelebt und sich nur die Hoffnung aufrecht erhalten hatte, fühlte jetzt, da die Hoffnung in Erfüllung zu gehen schien, mit einem Male eine solche Schwäche, wie sie jemand empfinden mag, der nach einer seine Kräfte übersteigenden Reise am Ziele anlangt. Chilon bemerkte dies und beschloß, Nutzen daraus zu ziehen.

»Allerdings werden die Tore von deinen Leuten bewacht, Herr – und die Christen müssen dies wissen. Aber sie brauchen keine Tore. Der Tiber braucht sie auch nicht, und wenn auch der Weg vom Flusse bis dorthin weit ist, so lohnt es sich doch, einen weiten Weg zu machen, um den großen Apostel zu sehen. Übrigens können sie tausend Mittel haben, [206] über die Mauern zu gelangen, und ich weiß dies bestimmt. Im Ostrianum wirst du Lygia finden, Herr, und wäre sie auch selbst nicht dort, was ich jedoch nicht glaube, so wird Ursus wenigstens zugegen sein, denn er hat mir versprochen, Glaukos zu töten. Er selbst hat es mir gesagt, er wolle da sein und ihn töten, hörst du, edler Tribun? Du folgst ihm also entweder auf dem Fuße nach und kundschaftest aus, wo Lygia wohnt, oder du läßt ihn von deinen Leuten als Mörder festnehmen und zwingst ihn, wenn du ihn in den Händen hast, zu dem Geständnis, wo Lygia wohnt. Ich habe das meinige getan. Ein anderer, Herr, würde dir gesagt haben, er hätte mit Ursus zehn Kannen vom besten Wein trinken müssen, um ihm das Geheimnis zu entlocken; ein anderer hätte dir gesagt, er habe tausend Sesterzen im Scriptae duodecim-Spiele an ihn verloren oder er habe dies Geheimnis für zweitausend Sesterzen erkauft ... Ich weiß, du würdest mir das Doppelte zurückerstatten, aber trotzdem will ich einmal in meinem Leben ... das heißt, ich wollte sagen wie immer, ehrlich sein, denn ich weiß, daß deine Freigebigkeit, wie der hochherzige Petronius sagte, alle meine Hoffnungen und Erwartungen übertreffen wird.«

Vinicius aber, der als Soldat nicht nur allen Ereignissen gegenüber gewöhnt war, sich zu beherrschen, sondern auch demgemäß zu handeln, überwand bald eine vorübergehende Schwäche und sagte: »Du wirst nicht vergebens auf meine Freigebigkeit rechnen; zuvor aber begleitest du mich nach dem Ostrianum.«

»Ich nach dem Ostrianum?« fragte Chilon, der nicht die geringste Lust hatte, dorthin zu gehen. »Ich, edler Tribun, versprach dir, Lygia ausfindig zu machen, aber ich machte mich nicht anheischig, sie dir zu entführen ... Bedenke, Herr, was aus mir würde, wenn jener lygische Bär, nachdem er Glaukos zerrissen hat, sich überzeugte, daß er ihn nicht mit vollem Recht zerrissen hat? Würde er nicht mich (allerdings mit Unrecht) als den Urheber des vollbrachten Mordes betrachten? [207] Vergiß nicht, Herr, daß, je größer ein Philosoph ist, es ihm desto schwerer fällt, auf törichte Fragen gemeiner Leute zu antworten. Was würde ich ihm also erwidern können, wenn er mich fragte, warum ich den Arzt Glaukos beschuldigt habe? Wenn du aber glaubst, ich betrüge dich, dann schlage ich dir vor: bezahle mich erst dann, wenn ich dir das Haus zeige, in dem Lygia wohnt, und gib mir heute nur einen kleinen Beweis von deiner Erkenntlichkeit, damit ich, wenn dir, Herr (mögen alle Götter dich schützen!), irgend ein Unglück zustoßen sollte, nicht ganz unbelohnt bleibe. Dein gutes Herz würde dies nicht ertragen.«

Vinicius ging zu einem Kästchen (»Arca« genannt), das auf einem marmornen Sockel stand, entnahm ihm einen Beutel und warf ihn Chilon zu.

»Hier sind Scrupula,« sagte er, »wenn Lygia in meinem Hause ist, erhältst du einen ebensolchen Beutel voll Aurei.« 1

»Jupiter!« rief Chilon.

Vinicius runzelte die Brauen.

»Du bekommst hier zu essen, dann kannst du dich ausruhen. Bis zum Abend rührst du dich nicht von der Stelle, und wenn es Nacht wird, begleitest du mich nach dem Ostrianum.«

In den Zügen des Griechen spiegelten sich eine Zeitlang Furcht und Zaudern. Dann beruhigte er sich jedoch und sagte: »Wer kann dir widerstehen, Herr? Nehmen wir diese Worte als gutes Vorzeichen, wie es ähnlich unser großer Held im Ammontempel tat. Was mich betrifft, so haben diese Skrupel (dabei zeigte er auf den Beutel) die meinigen vertrieben, wobei ich noch gar nicht von der Gesellschaft spreche, die für mich ein Glück und eine Freude ist ...«

Vinicius unterbrach ihn aber ungeduldig und begann ihn über die ganze Unterredung mit Ursus auszufragen. Eins [208] wurde ihm daraus klar, daß er entweder noch in dieser Nacht das Versteck Lygias entdecken oder sich ihrer selbst auf dem Rückwege vom Ostrianum bemächtigen könne. Und bei diesem Gedanken erfüllte ihn wahnsinnige Freude. Jetzt, wo er fast die Gewißheit hatte, Lygia zu finden, war auch sein Zorn und Grimm gegen sie verschwunden. Für diese Freude verzieh er ihr jede Schuld. Er dachte an sie nur als an die Geliebte und heiß Ersehnte und hatte den Eindruck, als solle sie von einer langen Reise zurückkehren. Er hatte den Wunsch, seine Sklaven herbeizurufen und ihnen zu befehlen, das Haus mit Blumen zu schmücken. In diesem Augenblick empfand er nicht einmal gegen Ursus Groll. Er war bereit, allen alles zu verzeihen. Chilon, gegen den er bisher ungeachtet seiner Dienste eine gewisse Abneigung empfunden hatte, erschien ihm zum erstenmal als eine angenehme und zugleich außergewöhnliche Persönlichkeit. Sein Haus kam ihm glänzender vor, seine Augen und sein ganzes Antlitz strahlten vor Glück. Er begann wieder Jugendmut und Lebenslust zu empfinden. Seine frühere düstere Stimmung hatte ihn noch nicht hinlänglich über das Maß seiner Liebe zu Lygia belehrt. Er fühlte dies erst jetzt, wo er hoffen konnte, sie zu besitzen. Die Sehnsucht nach ihr erwachte von neuem in ihm, wie im Frühling die von der Sonne bestrahlte Erde zu neuem Leben erwacht, aber sein Verlangen war jetzt gleichsam weniger blind und wild, sondern freudiger und sehnsuchtsvoller. Auch unbegrenzter Tatkraft wurde er sich bewußt und war überzeugt, daß, wenn er nur Lygia mit eigenen Augen erblickte, alle Christen der ganzen Welt, ja nicht einmal der Caesar selbst sie ihm wieder entreißen würden.

Chilon, durch Vinicius' Freude ermutigt, nahm von neuem das Wort und begann seinen Rat zu erteilen. Nach seiner Ansicht war noch kein Grund vorhanden, die Sache als gewonnen zu betrachten; im Gegenteil sei die größte Vorsicht notwendig, ohne welche das ganze Unternehmen noch scheitern könne. Ebenso beschwor er Vinicius, Lygia nicht [209] direkt aus dem Ostrianum zu entführen. Sie müßten mit Kapuzen auf dem Kopfe und mit vermummtem Gesichte hingehen und sich damit zufrieden geben, alle Anwesenden aus einem dunklen Winkel zu beobachten. Selbst wenn sie Lygia erblickten, würde es am sichersten sein, ihr in einiger Entfernung zu folgen, sich zu merken, in welches Haus sie trete, und dieses am nächsten Morgen nach Sonnenaufgang mit einer großen Schar von Sklaven zu umzingeln und sie am hellen Tage abzuholen. Da sie eine Geisel sei und eigentlich dem Caesar gehöre, so könnten sie dies ohne Furcht vor Verantwortung tun. Falls sie sie im Ostrianum nicht anträfen, würden sie Ursus nachgehen, und der Erfolg wäre dann der gleiche. Er könne nicht eine große Schar von Sklaven in die Katakombe mitnehmen, denn dies könne leicht die Aufmerksamkeit auf sie lenken, und dann brauchten die Christen nur alle Lichter zu löschen, wie sie es bei der ersten Entführung getan hätten, um sich zu zerstreuen oder in der Dunkelheit in Verstecke, die nur ihnen bekannt seien, zu flüchten. Dafür sei es aber nötig, sich zu bewaffnen, und noch besser, ein paar zuverlässige und kräftige Leute mitzunehmen, um gegebenenfalls an ihnen Hilfe zu haben.

Vinicius gab ihm in allem recht, und da er zugleich an Petronius' Rat dachte, ließ er durch einige Sklaven Kroton zu sich rufen. Chilon, der jedermann in Rom kannte, beruhigte sich ersichtlich, als er den Namen des bekannten Athleten hörte, dessen übermenschliche Kraft er mehr als einmal in der Arena bewundert hatte, und erklärte, gern nach dem Ostrianum mitgehen zu wollen. Der Beutel voll großer Aurei schien ihm mit Krotons Hilfe viel leichter zu verdienen.

Gutgelaunt setzte er sich daher nach einiger Zeit zu dem Mahle, das ihm später der Hüter des Atriums vorsetzen ließ, und erzählte während des Essens den Sklaven, er habe ihrem Herrn eine wunderwirkende Salbe verkauft, mit der es genüge, den Huf des schlechtesten Pferdes einzureiben, damit es alle anderen weit hinter sich lasse. Ein Christ seiner Bekanntschaft [210] habe ihn die Zubereitung gelehrt, denn die Christen verständen sich weit besser auf Zauberei und Wunder als selbst die Thessalier, obgleich Thessalien seiner Zauberei wegen berühmt sei. Die Christen hätten überhaupt großes Zutrauen zu ihm, aus welchem Grunde könne sich jeder leicht denken, der die Bedeutung des Fisches kenne. Bei diesen Worten beobachtete er aufmerksam die Gesichter der Sklaven in der Hoffnung, unter ihnen vielleicht einen Christen entdecken und Vinicius davon Mitteilung machen zu können. Da er sich aber in dieser Hoffnung getäuscht sah, begann er außergewöhnlich viel zu essen und zu trinken, wobei er nicht aufhörte, den Koch zu loben und zu versichern, er beabsichtige, ihn dem Vinicius abzukaufen. Seine Freude wurde nur durch den Gedanken beeinträchtigt, in der Nacht mit nach dem Ostrianum gehen zu müssen; er tröstete sich aber damit, daß er den Weg ja verkleidet, in der Dunkelheit und in der Gesellschaft zweier Männer machen werde, von denen der eine seiner Stärke wegen der Abgott von ganz Rom, der andere ein Patrizier und Offizier von hohem Range war. »Selbst wenn man Vinicius erkennen sollte,« sprach er zu sich selber, »wird niemand wagen, Hand an ihn zu legen, und was mich betrifft, so werden sie froh sein können, wenn sie meine Nasenspitze zu sehen bekommen.«

Dann suchte er sich die Unterredung mit dem Arbeiter ins Gedächtnis zurückzurufen, und die Erinnerung erfüllte ihn mit neuer Befriedigung. Er zweifelte nicht im mindesten daran, daß jener Arbeiter Ursus gewesen war. Aus den Mitteilungen Vinicius' und der Sklaven, die Lygia aus dem Palaste des Caesars abgeholt hatten, kannte er die ungewöhnliche Körperkraft dieses Mannes. Und auch darin lag nichts Auffallendes, daß er an Ursus gewiesen worden war, als er sich bei Euricius nach außergewöhnlich starken Leuten erkundigte. Ferner mußte er aus der Wut und Bestürzung des Arbeiters, als er Vinicius und Lygia erwähnte, erkennen, daß diese beiden Personen ihn näher interessierten; [211] der Arbeiter hatte auch von der Buße für die Tötung eines Menschen gesprochen, und Ursus hatte den Atacinus getötet; endlich entsprach die äußere Erscheinung des Arbeiters genau der Beschreibung, die Vinicius ihm von dem Lygier entworfen hatte. Nur der Name konnte Zweifel erwecken, aber Chilon wußte bereits, daß die Christen bei der Taufe häufig andere Namen erhielten.

»Schlägt Ursus den Glaukos tot,« sprach Chilon zu sich selber, »so ist dies zweifellos das beste; schlägt er ihn nicht tot, so ist auch dies ein gutes Zeichen, denn es beweist, wie schwer die Christen ein Mord ankommt. Ich stellte diesen Glaukos als den leiblichen Sohn des Judas und als Verräter aller Christen dar; ich war so beredt, daß sich selbst ein Stein empört und mir versprochen hätte, auf Glaukos' Haupt herabzustürzen, und dennoch konnte ich diesen lygischen Bär kaum dazu bringen, seine Pranke auf ihn zu legen ... Er schwankte, wollte nicht, sprach von seiner Reue und Buße. Augenscheinlich ist dies bei ihnen nicht etwas Alltägliches. Selbsterlittenes Unrecht muß man verzeihen, und seltsamerweise steht es ihnen im allgemeinen nicht frei, sich zu rächen, ergo: beruhige dich, Chilon, was kann dir drohen? Glaukos darf sich an dir nicht rächen ... Wenn Ursus den Glaukos einer so großen Schuld wegen, wie es der Verrat an allen Christen ist, nicht totschlägt, um so weniger wird er dich um einer so kleinen willen, wie den Verrat eines einzigen Christen, totschlagen. Übrigens will ich, wenn ich einmal diesem verliebten Tauber das Nest seiner Turteltaube gezeigt habe, meine Hände in Unschuld waschen und sofort nach Neapel übersiedeln. Auch die Christen sprechen von einer Art Händewaschung; dies ist augenscheinlich bei ihnen die Art und Weise, wie man bei ihnen einen etwaigen Streit endgültig beilegt. Was für gute Menschen doch diese Christen sind, und wie schlecht man von ihnen spricht! O ihr Götter, das ist die Gerechtigkeit der Welt! Doch mir sagt diese Religion deshalb zu, weil sie den Totschlag verbietet. Doch wenn sie [212] nicht zu töten erlaubt, so erlaubt sie ohne Zweifel auch weder zu stehlen, noch zu betrügen, noch falsches Zeugnis abzulegen, und ich will daher nicht behaupten, daß sie leicht sei. Sie befiehlt offenbar nicht nur, als ehrlicher Mann zu sterben, wie es die Stoiker tun, sondern auch als ehrlicher Mann zu leben. Wenn ich zu Vermögen komme und ein Haus besitze wie dieser Vinicius und ebenso viele Sklaven, dann würde ich vielleicht auch Christ, das heißt so lange, wie es mir paßt. Denn ein reicher Mann kann sich alles erlauben, selbst die Tugend ... Ja! es ist eine Religion für die Reichen, und ich verstehe daher nicht, wie sie so viele Anhänger unter den Armen besitzt. Was für einen Nutzen haben diese davon, und warum lassen sie sich die Hände durch die Tugend binden? Ich muß einmal darüber nachdenken. Inzwischen danke ich dir, Hermes, daß du mich diesen Dachs finden ließest ... Aber wenn du es nur wegen der zwei weißen einjährigen Kühe mit vergoldeten Hörnern getan hast, so will ich nichts von dir wissen. Schäme dich, Argostöter! Daß ein so weiser Gott es nicht vorausgesehen hat, daß er nichts bekommt! Ich will dir meine Dankbarkeit zum Opfer darbringen; wenn du aber außer dieser meiner Dankbarkeit noch zwei Rinder verlangst, so bist du selbst das dritte und verdientest im besten Falle ein Ochsenknecht zu sein, aber kein Gott. Nimm dich in acht, daß ich den Menschen nicht etwa als Philosoph beweise, daß du gar nicht existierst, denn sonst würden alle aufhören, dir zu opfern. Es ist besser, sich mit den Philosophen zu vertragen.«

Indem er so mit sich und Hermes sprach, streckte er sich auf dem Ruhebett aus, legte den Mantel unter den Kopf und schlief ein, während die Sklaven die Tafel abzuräumen begannen. Er erwachte erst, oder vielmehr er wurde geweckt, als Kroton erschien. Dann begab er sich ins Atrium und begann vergnügt die mächtige Gestalt des gewesenen Gladiators zu betrachten, die mit ihrer Riesengröße das ganze Atrium auszufüllen schien. Kroton hatte sich mit Vinicius[213] schon über die Höhe seiner Belohnung geeinigt und sagte soeben: »Beim Herkules! Es ist gut, Herr, daß du noch heute zu mir geschickt hast, denn morgen begebe ich mich nach Benevent, wohin mich der edle Vatinius berufen hat, damit ich mich dort in Gegenwart des Caesars mit einem gewissen Syphax, dem stärksten Neger, den Afrika je hervorgebracht hat, messe. Kannst du dir vorstellen, Herr, wie sein Rückgrat in meinen Armen krachen wird und wie ich ihm außerdem seine schwarzen Kinnladen mit der Faust zerschmettern werde.«

»Beim Pollux!« erwiderte Vinicius; »ich bin überzeugt, daß du dies fertig bringst, Kroton.«

»Du wirst deine Sache vortrefflich machen,« fügte Chilon hinzu. »Ja! ... Zerschmettere ihm außerdem die Kinnladen! Dies ist ein guter Gedanke und eine deiner würdige Tat. Ich bin bereit, zu wetten, daß du ihm die Kinnladen zerschmetterst. Doch reibe dir heute deine Glieder mit Olivenöl ein, mein Herkules, und gürte dich, denn wisse, du bekommst es vielleicht mit einem wahren Katos zu tun. Der Mann, der das Mädchen beschützt, das dem edlen Vinicius so ans Herz gewachsen ist, besitzt wahrscheinlich riesige Kräfte.«

Chilon sprach nur so, um Krotons Ehrgeiz anzuspornen, und Vinicius sagte: »Das stimmt. Ich habe es zwar nicht gesehen, aber man sagt von ihm, wenn er einen Stier bei den Hörnern gepackt habe, könne er ihn hinziehen, wohin er wolle.«

»O!« rief Chilon, der nicht geglaubt hatte, daß Ursus so stark sei.

Aber Kroton lachte verächtlich.

»Ich erbiete mich, edler Herr,« sagte er, »mit diesem Arme hier jeden, den du willst, emporzuheben, mich mit dem anderen aber gegen sieben solcher Lygier zu verteidigen und das Mädchen in dein Haus zu tragen, wenn auch alle Christen in Rom mich wie kalabrische Wölfe verfolgten. Wenn [214] ich das nicht kann, so will ich mich in diesem Impluvium peitschen lassen.«

»Gestatte das nicht, Herr!« sagte Chilon; »sie würden uns steinigen, und was nützte uns dann seine Kraft? Wäre es nicht besser, Lygia aus ihrer Wohnung zu entführen und weder sie noch dich der Gefahr des Todes auszusetzen?«

»So soll es geschehen, Kroton,« sagte Vinicius.

»Dein Geld, dein Wille! Vergiß nur nicht, Herr, daß ich morgen nach Benevent gehe.«

»Ich besitze allein in der Stadt fünfhundert Sklaven,« entgegnete Vinicius.

Dann gab er beiden einen Wink, sich zurückzuziehen, und ging selbst in die Bibliothek, wo er sich hinsetzte und folgende Zeilen an Petronius schrieb: »Chilon hat Lygia aufgefunden. Heute abend gehe ich mit ihm und Kroton nach dem Ostrianum und werde sie entweder sofort oder morgen früh aus ihrer Wohnung entführen. Mögen dir die Götter alle Wünsche gewähren! Bleibe gesund, carissime; ich kann vor Freude nicht weiterschreiben.«

Er legte das Rohr weg und begann mit raschen Schritten im Zimmer auf und ab zu gehen; denn außer der Freude, die seine ganze Seele erfüllte, brannte in ihm ein Fieber. Er sagte sich, daß morgen Lygia in seinem Hause sein werde. Er wußte nicht, wie er sich gegen sie verhalten sollte, fühlte aber, daß, wenn sie ihm ihre Liebe schenken wollte, er ihr Sklave sein könnte. Er erinnerte sich der Worte Aktes, daß er geliebt sei, und dies erschütterte ihn im tiefsten. Es würde sich also nur um die Überwindung einer gewissen mädchenhaften Scheu und die Beobachtung gewisser Formen handeln, welche die christliche Religion ohne Zweifel vorschrieb. Wenn aber Lygia einmal in seinem Hause sei, und der Überredung oder seiner größeren Kraft nachgegeben habe, dann müsse sie sich sagen: »Es ist nun einmal geschehen« und werde sich nicht länger gegen seine Liebe sträuben.

[215] In diesem Augenblick erschien Chilon und störte ihn in diesem wonnigen Gedankengange.

»Herr,« sagte der Grieche, »erst jetzt schoß mir das Bedenken durch den Kopf, ob die Christen nicht gewisse Zeichen haben, Losungen, ohne die niemand Zutritt zum Ostrianum erhält. Ich weiß, daß dies in den Bethäusern der Fall war und daß ich diese Losungen von Euricius erhielt; gestatte mir daher, daß ich zu ihm gehe, Herr, um ihn um Rat zu fragen und mir jene Losungsworte angeben zu lassen, falls es notwendig ist, sie zu kennen.«

»Gut, edler Weiser,« erwiderte Vinicius freundlich. »Du sprichst wie ein vorsichtiger Mann und verdienst dafür Lob. Gehe daher immer zu Euricius, oder wohin du sonst willst. Aber zur Sicherheit lege den Beutel, den du von mir erhalten hast, auf diesen Tisch hier.«

Chilon, der sich immer ungern von Geld trennte, machte erst allerhand Umschweife, endlich aber tat er das Geheißene und entfernte sich. Von den Carinae bis zum Zirkus, bei dem Euricius' Laden lag, war es nicht allzuweit, und er kehrte daher lange vor Einbruch der Nacht zurück.

»Ich habe die Losungsworte, Herr. Ohne sie würde man uns nicht einlassen. Ich habe mich auch genau nach dem Wege erkundigt und zugleich Euricius gesagt, ich brauche die Paßworte nur meiner Freunde willen; ich selbst ginge nicht mit, weil es für mich alten Mann zu weit sei und ich übrigens morgen den großen Apostel selbst sehen werde, der mir den schönsten Teil seiner Predigt wiederholen werde.«

»Wie, du willst nicht mit? Du mußt!« rief Vinicius.

»Ich weiß, daß ich muß, aber ich werde mich gut vermummen und gebe dir den Rat, dasselbe zu tun; sonst könnten wir die Vögel verscheuchen.«

Sie begannen sich unverzüglich fertig zu machen, denn schon sank die Dämmerung herab. Sie hüllten sich in gallische Kapuzenmäntel und nahmen Laternen mit; Vinicius bewaffnete außerdem sich und seine Gefährten mit kurzen, [216] krummen Dolchen, und Chilon setzte eine Perücke auf, die er sich unterwegs bei Euricius hatte geben lassen. Darauf verließen sie eilends das Haus, um das entfernt gelegene Nomentanische Tor zu erreichen, ehe es geschlossen wurde.

Fußnoten

1 Das Scrupulum oder Scripulum war eine kleine Goldmünze, gleich dem dritten Teile des Golddenars (Aureus). Der letztere hatte einen Wert von etwa dreiundzwanzig Mark.

Zwanzigstes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel.

Sie gingen durch den Vicus Patricius, den Viminalis entlang zu dem ehemaligen Viminalischen Tore, nahe der Ebene, auf der Diokletian später seine prächtigen Bäder errichtete. Sie schritten an den Resten der Mauer des Servius Tullius vorüber und gelangten über immer ödere Strecken nach der Via Nomentana, wandten sich dann links zur Via Salaria, kamen über Hügel voller Sandgruben und hier und da über Begräbnisplätze. Inzwischen war es völlig dunkel geworden, und da der Mond noch nicht aufgegangen war, wäre es für sie ziemlich schwer gewesen, den rechten Weg zu finden, wenn er ihnen nicht, wie es Chilon vorausgesehen hatte, von den Christen gewiesen worden wäre. Wirklich waren rechts und links und vor ihnen dunkle Gestalten zu erblicken, die sich vorsichtig zwischen den Sandgruben hinbewegten. Einige von diesen Leuten trugen Laternen, verbargen sie jedoch so gut wie möglich unter ihren Mänteln, andere, die einen besseren Weg hatten, gingen im Dunklen. Das militärische Auge des Vinicius unterschied an ihren Bewegungen die jüngeren Männer von den älteren, die sich auf Stöcke stützten, und von den Frauen, die sorgfältig in lange Mäntel gehüllt waren. Die Straßenwächter und die die Stadt verlassenden Dorfbewohner hielten diese nächtlichen Wanderer augenscheinlich für Arbeiter, die nach den Sandgruben gingen, oder für Mitglieder von Begräbnisbrüderschaften, die mitunter nächtliche Feiern veranstalteten. Je weiter der junge Patrizier aber mit seinen Begleitern kam, desto mehr Laternen erglänzten ringsum, und desto größer wurde das Gedränge der Menschen. Einige sangen mit leiser Stimme Lieder, die[217] wie es Vinicius vorkam, sehr traurig klangen. Manchmal vernahm sein Ohr abgerissene Worte oder Sätze der Lieder zum Beispiel: »Wache auf, der du schläfst« oder »Stehe von den Toten auf;« der Name Christus aber erklang immer von neuem von den Lippen der Männer und Frauen. Einige, die in seine Nähe kamen, sprachen: »Friede sei mit euch!« oder »Gelobt sei Jesus Christus!« Aber Friede kam nicht über sein Herz, das im Gegenteil rascher zu schlagen begann, als er glaubte, Lygias Stimme zu hören. Jeden Augenblick begegneten ihm Frauen, deren Gestalt und Bewegungen ihn in der Dunkelheit an sie erinnerten, und erst, als er zu verschiedenen Malen seinen Irrtum eingesehen hatte, begann er seinen Augen zu mißtrauen.

Der Weg erschien ihm lang. Er kannte zwar die Umgebung Roms gut, aber im Finstern vermochte er sich nicht in ihr zurechtzufinden. Jeden Augenblick stießen sie auf Engwege, Mauerreste und Hütten, die er sich nicht erinnerte, in der Umgebung der Stadt gesehen zu haben. Endlich trat die Mondsichel aus einer dichten Wolkenmasse hervor und beleuchtete die Gegend besser als die trüben Laternen. Nun begann in der Ferne etwas zu glänzen wie ein Feuer oder das Licht einer Fackel. Vinicius wandte sich an Chilon und fragte ihn, ob dies das Ostrianum sei.

Chilon, auf den die Nacht, die weite Entfernung von der Stadt und die geisterhaften Gestalten augenscheinlich einen tiefen Eindruck machten, entgegnete mit etwas unsicherer Stimme: »Ich weiß es nicht, Herr; ich bin noch nie im Ostrianum gewesen. Aber sie könnten ihren Christus auch näher bei der Stadt verehren.«

Nach einiger Zeit fuhr er fort, da er das Bedürfnis nach Unterhaltung und Hebung seines Mutes fühlte: »Sie versammeln sich wie Mörder, und doch ist ihnen der Mord verboten, wenn mich jener Lygier nicht unverschämt belogen hat.«

Vinicius, der an Lygia dachte, war ebenfalls über die vorsichtige und geheimnisvolle Art erstaunt, in der sich die [218] Gläubigen versammelten, um ihren obersten Priester zu hören, und sagte daher: »Wie alle Religionen so hat auch diese ihre Anhänger mitten unter uns, und die Christen sind eine jüdische Sekte. Warum versammeln sie sich hier, da doch in dem Stadtteile jenseits des Tiber jüdische Tempel stehen, in denen die Juden am hellen Tage opfern?«

»So ist es nicht, Herr. Die Juden sind gerade ihre erbittertsten Feinde. Man hat mir erzählt, daß es schon vor der Thronbesteigung des jetzigen Caesars beinahe zu einem Kriege zwischen den Juden und ihnen gekommen wäre. Den Caesar Claudius verdrossen diese Feindseligkeiten so, daß er alle Juden auswies; dieses Edikt ist aber jetzt nicht mehr in Kraft. Die Christen verbergen sich nun vor den Juden und dem Pöbel, der sie, wie du weißt, aller Verbrechen und Schandtaten bezichtigt.«

Eine Zeitlang schritten sie schweigend weiter, dann begann Chilon, dessen Angst mit der Entfernung von der Stadt zunahm, von neuem: »Als ich zu Euricius ging, borgte ich mir von einem Barbier eine Perücke, und ich habe mir auch zwei Bohnen in die Nase gesteckt. Sie dürfen mich nicht erkennen. Aber wenn sie mich auch erkennen, werden sie mich nicht töten. Es sind keine schlechten Leute, es sind sogar sehr ehrliche Leute, die ich liebe und ehre.«

»Verschwende deine Lobsprüche nicht voreilig,« entgegnete Vinicius.

Sie kamen jetzt durch einen engen Hohlweg, der auf beiden Seiten von Wällen eingefaßt war, über die sich an einer Stelle ein Aquädukt hinzog. Der Mond trat aus einer Wolke hervor, und sie erblickten am Ende des Hohlweges ein Gemäuer, das, ganz mit Efeu bewachsen, im silbernen Glanze des Mondlichtes dalag. Es war das Ostrianum.

Vinicius begann das Herz rascher zu schlagen.

Am Tore nahmen ihnen zwei Grubenarbeiter das Losungswort ab. Nach kurzer Zeit befand sich Vinicius mit seinen beiden Gefährten auf einem ziemlich geräumigen, auf allen [219] Seiten von Mauern eingeschlossenen Platze. Hier und dort erhoben sich einzelne Denkmäler, in der Mitte aber sah man die eigentliche Katakombe oder die Krypta, die in ihrem unteren Teile unter der Erde lag und Gräber enthielt; vor dem Eingange zur Krypta plätscherte ein Brunnen. Es war augenscheinlich, daß in der Katakombe selbst nicht eine allzugroße Menschenmenge Platz finden konnte; Vinicius konnte daraus mit Leichtigkeit schließen, daß die Versammlung unter freiem Himmel auf dem Hofe stattfinden sollte, auf dem sich denn auch bald eine sehr zahlreiche Menschenmenge einfand. Soweit das Auge reichte, schimmerte Laterne an Laterne, obgleich viele der Ankömmlinge ohne Licht erschienen waren. Mit Ausnahme weniger, die unverhüllten Hauptes dastanden, waren alle aus Furcht vor Verrat oder auch zum Schutze gegen die Kälte vermummt, und der junge Patrizier dachte mit Unruhe daran, daß, wenn sie die ganze Zeit so blieben, es ihm in dieser Menschenmenge und bei dem trüben Licht unmöglich sein würde, Lygia herauszufinden.

Aber mit einem Mal wurden vor der Krypta einige Pechfackeln angezündet, welche in kleinen Stößen aufgehäuft dagelegen hatten. Es wurde hell. Nach einiger Zeit begann die Menge, erst leise, dann immer lauter einen seltsamen Gesang. Vinicius hatte noch nie in seinem Leben ein ähnliches Lied gehört. Dieselbe Sehnsucht, die ihm schon aus den Gesängen entgegen geklungen war, welche die ihm auf dem Wege nach dem Begräbnisplatze begegnenden Leute mit halblauter Stimme vor sich hingemurmelt hatten, zeigte sich auch jetzt in dieser Hymne, nur weit bestimmter und kräftiger. Zuletzt wurde der Gesang so ergreifend und großartig, als ob zugleich mit den Menschen der ganze Friedhof, die Hügel, die Gruben, die ganze Umgebung von Sehnsucht erfüllt wären. Vor allem herrschte der Eindruck vor, als läge darin ein nächtliches Flehen, ein demütiges Gebet um Rettung auf der Wanderschaft und in der Dunkelheit. Es schien, als erblickten die zum Himmel emporgewandten Augen dort in der [220] Höhe jemand, als flehten ihn ausgebreitete Arme an, herabzusteigen. Als der Gesang zu Ende war, trat gleichsam ein Augenblick der Erwartung ein, was einen so tiefen Eindruck machte, daß Vinicius sowohl wie seine Begleiter unwillkürlich zum gestirnten Himmel emporblickten, wie in Furcht, es könne sich etwas Außergewöhnliches ereignen und wirklich ein Wesen aus der Höhe herabsteigen. Vinicius hatte in Kleinasien, in Ägypten und in Rom selbst eine Menge Tempel der verschiedensten Art gesehen, hatte vielerlei Religionen kennen gelernt und viele Gesänge gehört, aber hier erst sah er zum erstenmal Menschen, die ihren Gott im Gesange anriefen, nicht um irgend einen feststehenden Ritus zu beobachten, sondern aus der Tiefe des Herzens, aus einer so wahr gefühlten Sehnsucht heraus, wie sie Kinder nach Vater oder Mutter empfinden mögen. Man hätte blind sein müssen, um nicht zu sehen, daß diese Menschen ihren Gott nicht nur verehrten, sondern auch aus tiefster Seele liebten. Etwas derartiges hatte Vinicius noch in keinem Lande, bei keinem Gottesdienste, in keinem Tempel erlebt; denn wer in Rom und Griechenland überhaupt noch den Göttern Ehre erwies, tat dies, um Hilfe für sich zu erlangen, oder aus Furcht; aber niemandem kam es in den Sinn, sie zu lieben.

Obgleich sich seine Gedanken mit Lygia beschäftigten und er sie mit gespannter Aufmerksamkeit in der Menge suchte, konnte er doch nicht umhin, das Wunderbare und Ungewöhnliche, was sich in seiner Nähe zutrug, zu beobachten. Inzwischen wurden noch einige Fackeln in das Feuer geworfen, das die Begräbnisstätte mit rotem Lichte erfüllte und den Laternenschimmer überstrahlte. In diesem Augenblicke trat ein Greis, in einen Mantel mit Kapuze gehüllt, aber mit entblößtem Haupte aus der Katakombe und bestieg einen Stein, der in der Nähe des Stoßes Fackeln lag.

Die Menge verneigte sich bei seinem Anblick. Stimmen in Vinicius' Nähe begannen zu flüstern: »Petrus ... Petrus! ...« Einige knieten, andere breiteten die Arme nach [221] ihm aus. Es trat so tiefe Stille ein, daß man jeden Pechtropfen von den Fackeln zu Boden fallen hörte und das Wagengerassel auf der Nomentanischen Straße sowie das Rauschen des Windes in den wenigen Pinien, die in der Nähe der Begräbnisstätte wuchsen, vernahm.

Chilon beugte sich zu Vinicius hinüber und sagte: »Das ist er! Der erste Jünger Christi – ein Fischer!«

Der Greis hob die Hände empor und segnete mit dem Zeichen des Kreuzes die Anwesenden, die in diesem Augenblick auf die Kniee fielen. Vinicius und seine Gefährten, die sich nicht verraten wollten, folgten dem Beispiele der anderen. Der junge Mann konnte sich nicht sofort den Eindruck, den er davon empfing, klar machen; denn es kam ihm vor, als sei jene Gestalt, die er da vor sich sah, ziemlich schlicht und zugleich außergewöhnlich, und, was noch stärker ins Gewicht fiel, als sei diese Außergewöhnlichkeit ein unmittelbarer Ausfluß jener Schlichtheit. Der Greis trug keine Mitra auf dem Haupte, keinen Eichenkranz um die Stirn, keine Palme in der Hand, kein goldenes Schild auf der Brust, keine mit Sternen gestickten oder weißen Gewänder, mit einem Worte keine Abzeichen, wie sie die orientalischen, ägyptischen, griechischen Priester oder die römischen Flamines trugen. Und von neuem machte diese Verschiedenheit denselben Eindruck auf Vinicius, den er beim Anhören der christlichen Hymne empfand; denn auch dieser »Fischer« erschien ihm nicht wie ein in der Abhaltung von Zeremonien geübter Hoherpriester, sondern wie ein schlichter, betagter und unendlich verehrungswürdiger Zeuge, der von fernher gekommen war, um eine Wahrheit zu verkünden, die er gesehen und mit Händen gegriffen hatte, an die er glaubte, wie man an Selbsterlebtes glaubt, und die er liebte, eben weil er daran glaubte. Auch lag in seinen Zügen eine Kraft der Überzeugung, wie nur die Wahrheit selbst sie besitzt. Und Vinicius, der sich als Skeptiker dem Zauber, den der Greis ausübte, nicht hingeben wollte, gab sich doch einem fieberhaften Verlangen hin, [222] zu erfahren, was wohl von den Lippen dieses Gefährten des geheimnisvollen »Christus« fließen werde und was das für eine Lehre sei, an die Lygia und Pomponia Graecina glaubten.

Nun begann Petrus zu sprechen, und er sprach anfangs wie ein Vater, der seine Kinder ermahnt und sie lehrt, wie sie leben sollen. Er forderte sie auf, den Ausschweifungen und der Genußsucht zu entsagen, dagegen Armut, Herzensreinheit und Wahrheit zu lieben, Unrecht und Verfolgung geduldig zu ertragen, den Vorgesetzten und der Obrigkeit zu gehorchen, sich vor Verrat, Betrug und Verleumdung zu hüten und endlich einander und selbst den Heiden ein gutes Beispiel zu geben. Vinicius, für den das Gute nur in dem bestand, was ihm Lygia wiederverschaffen konnte, das Böse in allem, was zwischen ihnen eine Scheidewand aufrichtete, wurde von einigen dieser Ratschläge gerührt, ärgerte sich aber zugleich über sie, da er glaubte, daß der Greis, indem er Reinheit und den Kampf gegen die Begierden einschärfte, es nicht nur wage, seine Liebe zu verdammen, sondern auch Lygia gegen ihn einnehme und sie in ihrem Widerstande bestärke. Er sah ein, daß, wenn sie unter den Anwesenden war und diese Worte hörte, sie sich zu Herzen nehmen und ihn von diesem Augenblicke an als Feind ihrer Religion und als Unwürdigen betrachten müsse. Bei diesem Gedanken erfaßte ihn heftiger Ärger. »Was habe ich denn da Neues gehört?« sagte er zu sich. »Soll denn das jene geheimnisvolle Lehre sein? Jedermann weiß das, jedermann hat es gehört. Die Armut und die Einschränkung der Bedürfnisse schärfen ja die Zyniker ein, die Tugend hat schon Sokrates als etwas Altes und Gutes empfohlen; der erste beste Stoiker und selbst so einer wie Seneca, der fünfhundert Tische aus Zitronenholz besitzt, preist die Mäßigkeit, ermahnt zur Wahrheit, zur Geduld in Widerwärtigkeiten, zur Ausdauer im Unglück, und all das ist wie verlegenes Getreide, das die Mäuse annagen, die Menschen aber nicht essen wollen, weil es vor Alter dumpf riecht.« Daneben aber ergriff ihn auch etwas wie ein Gefühl [223] der Enttäuschung, da er die Enthüllung irgendwelcher unbekannter magischer Geheimnisse erwartet oder wenigstens einen sich durch seine Beredsamkeit auszeichnenden Rhetor zu hören gehofft hatte und nun nur die schlichtesten, jedes Schmuckes entbehrenden Worte vernahm. Er war nur über die Stille und die Aufmerksamkeit erstaunt, mit der die Versammlung lauschte. Der Greis aber sprach weiter zu diesen ihn aufmerksam anhörenden Menschen und ermahnte sie, gut, friedfertig, gerecht, arm und sittenrein zu sein, nicht um im Leben Frieden zu haben, sondern um nach dem Tode ewig bei Christus zu weilen in solcher Freude, in solcher Ehre, Kraft und Wonne, wie sie niemand auf Erden je empfunden habe. Und jetzt konnte sich Vinicius, trotzdem er eben noch Abneigung gegen das Gehörte empfunden hatte, nicht verhehlen, daß doch ein Unterschied zwischen der Lehre des Greises und dem bestehe, was die Zyniker, Stoiker oder andere Philosophen behaupteten; denn diese empfahlen das Gute und die Tugend als das Vernünftige und einzig Praktische im Leben, während jener dafür Unsterblichkeit verhieß und zwar nicht eine trostlose unter der Erde, in Leere, Niedergeschlagenheit und Mangel, sondern eine glänzende, fast dem Leben der Götter gleiche. Zudem sprach er davon, wie von etwas völlig Gewissem. Bei einem solchen Glauben erhielt die Tugend einen geradezu unbegrenzten Wert, und ein armseliges Leben wurde etwas ungemein Gleichgültiges. Denn eine kurze Zeit dulden, um eines überschwenglichen Glückes teilhaftig zu werden, ist etwas ganz anderes, als nur darum leiden, weil es das Naturgesetz so mit sich bringt. Und der Greis sprach ferner davon, daß Wahrheit und Tugend um ihrer selbst willen zu lieben seien, denn das höchste Gut und die von Ewigkeit her bestehende Tugend sei Gott; wer daher Wahrheit und Tugend liebe, der liebe Gott und werde dadurch zu seinem geliebten Kinde. Vinicius verstand dies nicht recht; er wußte jedoch schon aus den Worten, die Pomponia Graecina zu Petronius gesprochen hatte, daß dieser Gott [224] nach der Meinung der Christen alleinig und allmächtig sei; als er daher jetzt abermals hörte, er sei allgütig und allgerecht, mußte er sich unwillkürlich sagen, einem solchen Weltenschöpfer gegenüber erschienen Jupiter, Saturn, Apollo, Juno, Vesta und Venus als ein eitler lärmender Haufen, in dem alle zugleich und jeder auf seine eigene Faust stritten. Aber das größte Erstaunen ergriff den jungen Mann, als der Greis zu lehren begann, daß Gott auch die Allliebe sei und daß der, der seinen Nächsten liebe, Gottes Hauptgebot erfülle. Es sei nicht genug, nur die Angehörigen des eigenen Volkes zu lieben, sondern der Gottmensch habe sein Blut für alle vergossen und auch unter den Heiden Anhänger gefunden wie den Centurio Cornelius; es sei ferner nicht genug, nur diejenigen zu lieben, die uns Gutes tun, sondern Christus habe auch den Juden, die ihn dem Tode überliefert, und den römischen Soldaten, die ihn ans Kreuz geheftet haben, verziehen. Man müsse daher denen, die uns Unrecht zufügen, nicht nur verzeihen, sondern sie auch lieben und ihnen das Böse mit Gutem vergelten; es sei auch nicht genug, nur die Guten zu lieben, sondern man müsse auch die Schlechten lieben, da es nur durch die Liebe möglich sei, das Böse aus ihnen auszutreiben. Bei diesen Worten sagte sich Chilon, daß er jenen Arbeiter umsonst aufgesucht habe und daß Ursus niemals in seinem Leben sich dazu entschließen werde, Glaukos zu töten, weder in dieser Nacht noch in einer folgenden. Er tröstete sich aber dafür mit der anderen Folgerung, die sich aus der Lehre des Greises ziehen ließ, nämlich, daß auch Glaukos ihn nicht töten werde, sollte er ihn auch entdecken und erkennen. Vinicius glaubte jetzt nicht mehr, daß in den Worten des Greises nichts Neues enthalten sei, sondern legte sich erstaunt die Frage vor: was ist das für ein Gott? was ist das für eine Religion? und was sind das für Menschen? Nichts von dem, was er gehört hatte, fand in seinem Kopfe Platz. Es waren dies alles für ihn unerhörte, neue Begriffe. Er fühlte, daß, wenn er beispielsweise diese Lehren [225] befolgen wollte, er alle seine Anschauungen, seine Lebensgewohnheiten, seinen Charakter, sein ganzes bisheriges Wesen gleichsam zusammentragen und alles zu Asche verbrennen, ein ganz neues Leben beginnen und eine ganz neue Seele erhalten müsse. Eine Religion, die ihm gebot, die Parther, Syrer, Griechen, Ägypter, Gallier und Britannier zu lieben, seinen Feinden zu verzeihen, ihnen Böses mit Gutem zu vergelten und sie zu lieben, kam ihm geradezu wahnsinnig vor. Zugleich aber hatte er das Gefühl, als liege gerade in diesem Wahnsinn etwas Mächtigeres, als in allen bisherigen philosophischen Systemen. Er hielt diese Lehre wegen ihres Wahnsinns für undurchführbar, aber eben wegen dieser Undurchführbarkeit für göttlich. Er sträubte sich im Innern dagegen, hatte aber dabei die Empfindung, als verlasse er mit ihr gleichsam ein Blumenfeld, einen berauschenden Duft und als müsse jeder, der diesen nur einmal eingeatmet habe, wie im Lande der Lotophagen alles andere vergessen und einzig und allein nach ihm verlangen. Es kam ihm vor, als sei in dieser Religion nichts Wirkliches enthalten, und zugleich, als sei die Wirklichkeit ihr gegenüber etwas so Nichtiges, daß sie nicht wert sei, daß man ihr auch nur einen Gedanken widme. Es taten sich ihm gleichsam weite Räume auf, von denen er bisher keine Ah nung gehabt hatte – die Unendlichkeit, Dunkelheit. Diese Begräbnisstätte begann auf ihn den Eindruck eines Tollhauses zu machen, aber auch den eines geheimnisvollen, ehrfurchtgebietenden Ortes, an dem wie auf einem mystischen Lager etwas geboren wurde, was die Welt bisher noch nie gesehen hatte. Er erinnerte sich an alles, was der Greis vom ersten Augenblicke an über Leben, Wahrheit, Liebe, Gott gesagt hatte, und sein Geist wurde von dessen Glanze geblendet wie das Auge von unablässig niederzuckenden Blitzen. Wie es bei Menschen, deren Leben in einer einzigen Leidenschaft aufgeht, gewöhnlich der Fall ist, so schwebte ihm bei dem Gedanken an dies alles stets seine Liebe zu Lygia vor, und bei dem Lichte jener Blitze trat ihm das eine klar und [226] deutlich vor die Seele, daß, wenn Lygia mit in der Versammlung sei, wenn sie diese Religion bekannte, ihr gehorchte und ihr im Innern zugetan war, sie niemals seine Geliebte werden könne.

Zum erstenmal, seit er sie bei Aulus kennen gelernt hatte, empfand Vinicius, daß, auch wenn er sie jetzt wieder in seinen Besitz brächte, damit noch gar nichts gewonnen sei. Noch nie war ihm etwas derartiges in den Sinn gekommen, und auch jetzt konnte er sich keine Rechenschaft davon ablegen, denn es war nicht sowohl klares Verständnis, wie vielmehr eine dunkle Ahnung von einem unersetzlichen Verluste und einem namenlosen Unglücke. Er wurde von einer Unruhe gepackt, die sich bald in stürmischen Groll gegen die Christen im allgemeinen und gegen diesen Greis im besonderen verwandelte. Dieser Fischer, den er anfänglich für einen schlichten Mann gehalten hatte, erfüllte ihn jetzt fast mit Furcht und erschien ihm wie eine geheimnisvolle Schicksalsmacht, die sein Los unerbittlich und zu gleicher Zeit in tragischer Weise entschied.

Der Grubenarbeiter legte von neuem einige Fackeln in das Feuer, ohne daß die Anwesenden darauf geachtet hätten, der Wind rauschte nicht mehr in den Pinien, die Flamme schlug in ebenmäßiger Lohe zu den Sternen empor, die am heiteren Himmel glänzten, und der Greis, der den Tod Christi erwähnt hatte, begann jetzt nur noch vom Heiland zu sprechen. Alle hielten den Atem an, und es trat eine noch tiefere Stille als vorher ein, so daß man beinahe die Herzen hätte klopfen hören können. Dieser Mann hatte alles gesehen, und er erzählte wie einer, dem sich jeder Augenblick so fest ins Gedächtnis geprägt hat, daß er, wenn er die Augen schließt, alles wieder vor sich sieht. Er erzählte nun, wie Johannes und er nach der Rückkehr vom Kreuze zwei Tage und zwei Nächte lang im Zimmer gesessen hätten, ohne zu schlafen, ohne zu essen, in Jammer, Schmerz, Sorge, Zweifel, den Kopf in die Hände gestützt, in der Meinung, er sei tot. O, wie schwer sei das gewesen, wie schwer! Schon sei der dritte Morgen angebrochen [227] und das Tageslicht habe das Zimmer erhellt, Johannes aber und er hätten noch immer ohne Trost, ohne Hoffnung dagesessen. Trotzdem sie bis zum Umsinken müde gewesen seien (da sie auch die Nacht schlaflos zugebracht hätten), seien sie doch aufgestanden und hätten von neuem zu klagen begonnen. Als kaum die Sonne aufgegangen sei, sei Maria aus Magdala atemlos, mit aufgelöstem Haar und mit dem Rufe hereingestürzt: »Sie haben den Herrn fortgenommen!« Auf diese Kunde hin seien sie aufgesprungen und zur Grabstätte geeilt. Johannes als der jüngere sei zuerst angekommen, habe das Grab leer gefunden und nicht gewagt, einzutreten. Erst als sie alle drei beim Eingange angelangt seien, sei er, der ihnen dies erzähle, hineingegangen, habe auf dem Steine das Schweißtuch und die Linnen gesehen, den Leichnam aber nicht gefunden.

Dann habe sie ein Schrecken bei dem Gedanken erfaßt, die Priester hätten Christus weggetragen, und sie seien beide in noch größerem Schmerze nach Hause zurückgekehrt. Später seien noch andere Jünger gekommen, und sie hätten alle zusammen laute Klage erhoben, damit der Herr der Heerscharen sie desto leichter höre. Alle Hoffnung sei in ihnen erstorben, denn sie hätten erwartet, daß der Meister Israel erlösen solle, und es sei nun schon der dritte Tag nach seinem Tode. Sie hätten daher nicht verstanden, warum der Vater den Sohn geopfert habe, und hätten das Tageslicht nicht mehr schauen, sondern sterben wollen; so schwer habe der Schmerz auf ihnen gelastet.

Die Erinnerung an diese furchtbaren Stunden entpreßte den Augen des Greises noch jetzt zwei Tränen, die im Scheine des Feuers deutlich zu sehen waren und in seinen Bart herniederrannen. Sein altes, von Haaren entblößtes Haupt fing an zu zittern, und die Stimme erstarb ihm in der Brust. Vinicius sagte sich im stillen: »Dieser Mann spricht die Wahrheit und weint in Wahrheit,« und der Schmerz hatte auch die einfachen Herzen der Zuhörer überwältigt. Sie hatten schon [228] oft von Christi Leiden gehört, und sie wußten, daß auf Trauer Freude folgte; jetzt aber, wo ein Apostel, der alles mitangesehen hatte, es ihnen erzählte, rangen sie unter dem Eindruck des Gehörten schluchzend die Hände oder schlugen sich an die Brust.

Allmählich beruhigten sie sich jedoch, denn der Wunsch, noch mehr zu hören, überwog ihren Schmerz. Der Greis schloß die Augen, als wolle er sich die Vergangenheit besser vergegenwärtigen, und fuhr dann fort: »Als sie so klagten, stürzte Maria aus Magdala abermals herein und rief, sie habe den Herrn gesehen. Da sie ihn vor dem hellen Glanze nicht erkennen konnte, glaubte sie, es sei der Gärtner; er aber sprach: Maria! Darauf rief sie: Rabbuni! und fiel ihm zu Füßen. Er aber befahl ihr, zu den Jüngern zu gehen, und verschwand dann. Sie aber, die Jünger, glaubten ihr nicht, und als sie vor Freude weinte, wiesen einige sie zurecht, andere glaubten, der Schmerz habe ihren Geist verwirrt; denn sie hatte auch gesagt, sie habe am Grabe Engel gesehen; sie aber, die ein zweites Mal hingegangen waren, hatten es leer gefunden. Dann kam am Abend Kleophas, der mit einem anderen Jünger nach Emmaus gegangen und schleunigst zurückgekehrt war, und sagte: Der Herr ist wahrhaftig aufgestanden. Und sie begannen untereinander zu sprechen bei geschlossenen Türen aus Furcht vor den Juden. Siehe, da stand er plötzlich mitten unter ihnen und sprach, als sie sich fürchteten: Friede sei mit euch! – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und ich sah ihn, wie ihn alle sahen, und er brachte gleichsam Licht und Freude in unsere Herzen zurück; denn jetzt glaubten wir, daß er auferstanden sei, daß die Meere austrocknen, die Berge in Staub zerfallen würden, aber seine Herrlichkeit ewig währen würde. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und nach acht Tagen legte Thomas Didymus seine Finger in des Heilands Wunden und berührte seine Seite; dann fiel er ihm zu Füßen und rief: Mein Herr und mein Gott! Der Meister antwortete ihm: Weil du mich gesehen hast, [229] Thomas, so glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Und wir hörten diese Worte und unsere Augen betrachteten ihn, denn er war unter uns.«

Vinicius hörte zu, und es ereignete sich etwas Wunderbares in ihm. Für einen Augenblick vergaß er, wo er war, er begann das Gefühl der Wirklichkeit, den Maßstab, seine Urteilsfähigkeit zu verlieren. Er stand vor zwei Unmöglichkeiten. An das, was der alte Mann sagte, konnte er nicht glauben, und doch fühlte er, man müsse blind sein und an seiner eigenen Vernunft verzweifeln, um anzunehmen, jener Mann, der da sagte: »Ich habe es gesehen,« lüge. In seinen Bewegungen, seinen Tränen, seiner ganzen Haltung, in den Einzelheiten der Ereignisse, von denen er erzählte, lag etwas, was jeden Argwohn unmöglich machte. Vinicius kam es zuweilen vor, als träume er. Aber er sah die schweigende Menschenmenge um sich herum; der Qualm der Laternen drang zu ihm; in einiger Entfernung loderten die Fackeln und neben ihm auf dem Steine stand ein dem Grabe naher Greis mit leise zitterndem Haupte, der, Zeugnis ablegend, sagte: »Ich habe es gesehen.«

Und er erzählte ihnen alles weitere bis zur Himmelfahrt. Zuweilen machte er eine kleine Pause, denn er sprach sehr umständlich, aber man hatte das Gefühl, daß sich auch die kleinsten Einzelheiten seinem Gedächtnis so fest eingeprägt hätten, als wären sie in Stein gemeißelt worden. Seine Zuhörer erfaßte unendliches Entzücken. Sie nahmen die Kapuzen ab, um besser hören zu können und kein Wort von dem zu verlieren, was für sie unschätzbaren Wert besaß. Es war ihnen, als habe eine überirdische Kraft sie nach Galiläa versetzt, als wandelten sie mit den Jüngern durch die Haine und an den Seen dieses Landes, als verwandle sich diese Begräbnisstätte in den See Tiberias und als stehe Christus dort am Ufer, in der Morgendämmerung, so wie er damals stand, als ihn Johannes vom Schiffe aus sah und sagte: »Es ist der Herr!« und Petrus sich in die Fluten stürzte, [230] um früher zu den geliebten Füßen zu liegen. In den Zügen der Hörer war grenzenlose Begeisterung, Selbstvergessenheit, Glück und unendliche Liebe zu lesen. Es war augenscheinlich, daß während Petrus' langer Erzählung einige eine Vision hatten; als er aber zu berichten begann, wie in der Stunde der Himmelfahrt die Wolken sich unter den Füßen des Erlösers zusammenschlossen, ihn verhüllten und den Augen der Apostel entzogen, richteten sich aller Blicke unwillkürlich zum Himmel empor, und es trat ein Augenblick gespannter Erwartung ein, gleich als hätten jene Menschen die Hoffnung, den Heiland noch zu sehen oder als erwarteten sie, er würde noch einmal von den himmlischen Gefilden herniedersteigen, um Zeuge zu sein, wie der greise Apostel die ihm anvertrauten Lämmer weide, und ihn samt der Herde zu segnen.

Und für diese Menschen gab es in diesem Augenblicke kein Rom, keinen grausamen Caesar, keine Tempel, keine Götter, keine Heiden; nur Christus schwebte ihnen vor, der die Erde, das Meer, den Himmel, die Welt umfaßt.

In den an der Via Nomentana zerstreut liegenden Häusern begannen die Hähne zu krähen und Mitternacht anzuzeigen. In diesem Augenblicke zupfte Chilon Vinicius am Mantel und flüsterte: »Herr, dort, nicht weit von dem alten Manne steht Urban und neben ihm ein Mädchen.«

Vinicius fuhr zusammen, als erwache er vom Schlafe, und nach der ihm von dem Griechen angegebenen Richtung blickend, gewahrte er Lygia.

Einundzwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel.

Jeder Blutstropfen des jungen Patriziers siedete bei ihrem Anblick. Er vergaß die Menge, den Greis, sein eigenes Staunen über das Unbegreifliche, das er vernommen hatte, und sah vor sich nur die Geliebte. Endlich nach all den Anstrengungen, nach so langen Tagen voll Unruhe, Angst und [231] Qual hatte er sie wiedergefunden! Zum erstenmal in seinem Leben erkannte er, daß die Freude sich gleich einem wilden Tiere auf die Brust stürzen und sie zusammenpressen könne, bis ihr der Atem entweicht. Er, der bisher angenommen hatte, Fortuna habe sozusagen die Pflicht, alle seine Wünsche zu erfüllen, traute jetzt kaum seinen eigenen Augen und wagte kaum, an sein Glück zu glauben. Wäre dieser Zweifel nicht gewesen, so hätte seine leidenschaftliche Natur ihn vielleicht zu einem unüberlegten Schritte hingerissen; so aber wollte er sich zuerst überzeugen, ob dies nicht eine Fortsetzung der Wunder sei, von denen er den Kopf voll hatte, und ob er nicht träume. Doch es war kein Zweifel möglich: er sah Lygia, und nur wenige Schritte Entfernung lagen zwischen ihm und ihr. Sie stand im vollen Lichte, so daß er ihren Anblick nach Herzenslust genießen konnte. Die Kapuze war von ihrem Haupte herabgesunken und ließ die Haare lose herabhängen; die Lippen waren ein wenig geöffnet, und die Augen auf den Apostel geheftet, das Antlitz vor Spannung und Entzücken leicht gerötet. Gleich einem Mädchen aus dem Volke trug sie einen Mantel aus dunkler Wolle; doch Vinicius hatte sie nie so schön gesehen, und trotz der allgemeinen Erregung, in der er sich befand, entging ihm der Gegensatz nicht, in dem diese beinahe an eine Sklavin erinnernde Kleidung zu dem Adel dieses wunderbaren Patrizierinnenkopfes stand. Unermeßliche Liebe durchströmte ihn wie ein Flammenmeer, untermischt mit einem seltsamen Gefühle der Sehnsucht, der Huldigung, der Verehrung und des Verlangens. Er empfand die Freude, die ihm ihr Anblick einflößte, und labte sich an ihr wie jemand, der nach langem Schmachten auf eine frischsprudelnde Quelle stößt. Neben dem riesigen Lygier stehend, erschien sie ihm kleiner als zuvor, fast wie ein Kind; auch bemerkte er, daß sie noch schlanker geworden war. Ihre Gesichtsfarbe war beinahe durchscheinend; sie machte auf ihn den Eindruck einer Blume, eines Geistes. Aber nur um so mehr verlangte ihn danach, dieses Mädchen [232] zu besitzen, das von den Weibern, die er im Orient oder in Rom gesehen oder besessen hatte, so verschieden war. Er fühlte, daß er für sie all diese und mit ihnen noch Rom und die ganze Welt dazu hingeben könne.

Er würde über ihren Anblick alles vergessen haben, wenn ihn nicht Chilon aus Furcht, er könne etwas tun, was sie alle drei in Gefahr brächte, am Mantel gezupft hätte. Die Christen hatten inzwischen begonnen zu beten und zu singen. Nach einiger Zeit begann das »Maranatha,« und dann begann der große Apostel mit dem Wasser aus dem Springbrunnen diejenigen zu taufen, welche ihm die Presbyter als zum Empfang der Taufe vorbereitet vorstellten. Vinicius kam es vor, als ob diese Nacht nie zu Ende gehen wollte. Jetzt wünschte er sobald wie möglich Lygia zu folgen und sie unterwegs oder aus ihrer Wohnung zu entführen.

Endlich fingen einige an, den Friedhof zu verlassen. Chilon flüsterte nun: »Laß uns vor das Tor hinaustreten, Herr, denn wir haben unsere Kapuzen noch aufgeschlagen, und die Leute beobachten uns.«

So war es in der Tat. Als während der Rede des Apostels alle die Kapuzen herabschlugen, um besser hören zu können, waren sie dem allgemeinen Beispiel nicht gefolgt. Chilons Rat erschien vernünftig. Wenn sie vor dem Tore standen, konnten sie alle Heraustretenden mustern, und Ursus war infolge seiner Größe und Gestalt unschwer zu erkennen.

»Wir wollen ihnen folgen,« sagte Chilon, »und sehen, welches Haus sie betreten. Morgen oder vielmehr noch heut, Herr, besetzest du sämtliche Eingänge zu dem Hause mit deinen Sklaven und entführst sie.«

»Nein!« sagte Vinicius.

»Was willst du sonst tun, Herr?«

»Wir folgen ihr bis zu ihrer Wohnung und nehmen sie auf der Stelle mit uns; freilich müßtest du dich daran beteiligen, Kroton.«

[233] »Gern,« erwiderte der Ringkämpfer, »und ich will mich dir als Sklaven übergeben, Herr, wenn ich diesem Auerochsen, der sie bewacht, nicht das Rückgrat zerbreche.«

Doch Chilon begann sie bei allen Göttern anzuflehen und zu beschwören, dies nicht zu tun. Kroton sei doch nur zur Unterstützung für den Fall, daß sie seiner bedürften, und nicht zum Zweck der Entführung des Mädchens mitgenommen worden. Wenn sie das Mädchen nur zu zweien raubten, so würden sie dem Tode geradenwegs in den Rachen laufen – und außerdem könne Lygia, was noch schlimmer sein würde, vielleicht ihren Händen entrinnen und sich dann an einem anderen Orte der Stadt zu verbergen oder Rom zu verlassen suchen. Und warum täten sie dies? Warum wollten sie nicht sichergehen, warum sich selbst dem Tode und das ganze Unternehmen der Gefahr des Mißlingens aussetzen?

Obgleich sich Vinicius mit der größten Mühe zurückgehalten hatte, Lygia nicht sofort auf der Begräbnisstätte auf seine Arme zu nehmen, fühlte er dennoch, daß der Grieche recht habe, und er würde viel leicht seinen Rat befolgt haben, wenn Kroton nicht gewesen wäre, dem es hauptsächlich um seine Belohnung zu tun war.

»Befiehl dieser alten Ziege zu schweigen, Herr,« sagte er, »oder gestatte mir, daß ich ihm mit der Faust auf seinen Schädel schlage. Einst überfielen mich in Buxentum, wohin Lucius Saturninus mich zu einem Spiele mitgenommen hatte, in einer Schenke sieben betrunkene Gladiatoren, und keiner von ihnen ist mit ganzen Rippen davongekommen. Ich möchte nicht dazu raten, das Mädchen sofort mitten aus der Menge zu rauben, denn man könnte uns mit Steinen werfen. Ist sie aber einmal zu Hause, dann will ich sie packen und wegtragen, wohin du willst.«

Vinicius gab sich mit dieser Erklärung zufrieden und entgegnete: »Beim Herkules! so soll es sein. Morgen würden wir sie vielleicht nicht mehr zu Hause antreffen. Wenn wir [234] die Leute argwöhnisch machen, so werden sie Lygia unzweifelhaft anderswohin bringen.«

»Dieser Lygier scheint furchtbar stark zu sein,« seufzte Chilon.

»Es heißt dich niemand, ihn festzuhalten,« erwiderte Kroton.

Sie mußten jedoch noch lange warten, und die Hähne begannen schon die Dämmerung zu verkünden, als sie endlich Ursus, in dessen Gesellschaft sich Lygia befand, zum Tore herauskommen sahen. Sie wurden von einer Schar anderer Christen begleitet. Chilon kam es vor, als befände sich der große Apostel unter ihnen; an seiner Seite gingen ein anderer alter Mann von bedeutend kleinerem Wuchse, zwei nicht mehr junge Frauen und ein Knabe, der eine Laterne trug. Auf diese Schar folgte ein ganzer Haufen, der wohl zweihundert Köpfe zählte. Vinicius, Chilon und Kroton schlossen sich diesen letzteren an.

»Ja, Herr,« sagte Chilon, »deine Geliebte befindet sich unter mächtigem Schutze, dort neben ihr geht der große Apostel; sieh nur, wie die Leute niederknieen, an denen er vorüber kommt.«

Die Leute knieten in der Tat nieder, aber Vinicius achtete nicht darauf. Keinen Augenblick verlor er Lygia aus den Augen und dachte an nichts als an ihre Entführung. Im Kriege an Listen aller Art gewöhnt, entwarf er jetzt in seinem Kopfe den gesamten Entführungsplan mit militärischer Genauigkeit. Er fühlte, daß der Schritt, den er unternahm, kühn war, wußte aber auch, daß kühne Angriffe in der Regel zu einem Erfolge führen.

Der Weg war jedoch lang; und so fand er Zeit, auch an die Kluft zu denken, welche die wunderbare Religion, an die sie glaubte, zwischen ihm und Lygia gerissen hatte. Er verstand nun alle Ereignisse der früheren Zeit und auch deren Ursachen. Dazu war er scharfsichtig genug. Er hatte bisher Lygia nicht gekannt. Er hatte in ihr ein Mädchen gesehen, von wunderbarerer Schönheit als alle anderen, das [235] seine Sinnlichkeit erregt hatte; jetzt erkannte er, daß es ihre Religion war, die ihr Wesen zu einem von dem anderer Frauen so verschiedenen gemacht hatte, und daß seine Hoffnung, Liebesverlangen, Sucht nach Reichtum und Lebensgenuß könnten auch über sie Macht bekommen, eine leere Selbsttäuschung gewesen war. Er begriff endlich auch das, was er und Petronius nicht verstanden hatten, nämlich daß diese neue Religion der Seele etwas einprägte, was der Welt, in der er lebte, unbegreiflich war, daß Lygia, auch wenn sie ihn liebte, nichts von ihren christlichen Wahrheiten seinetwegen aufgeben würde und daß, wenn es für sie überhaupt Genuß gab, dieser ein ganz anderer sein müßte als der, dem er, Petronius, der Hof des Caesars und ganz Rom nachjagten. Jede andere Frau seiner Bekanntschaft konnte seine Geliebte, diese Christin konnte nur sein Opfer werden.

Bei dem Gedanken daran wurde er von Zorn und brennendem Schmerze ergriffen; er fühlte aber auch, wie ohnmächtig jener Zorn war. Lygias Entführung erschien ihm leicht zu bewerkstelligen, das stand ihm beinahe unzweifelhaft fest; andererseits war er sich aber auch bewußt, daß gegenüber ihrer Religion er selbst, seine Kühnheit, seine Macht ein Nichts seien und daß er nichts bei ihr durchsetzen werde. Dieser römische Kriegstribun, überzeugt, die Macht des Schwertes und der Faust, welche die Welt unterjocht hatte, werde diese für immer beherrschen, erkannte zum erstenmal in seinem Leben, daß es über dieser Macht vielleicht noch etwas anderes gebe, so daß er sich staunend fragte, was das wohl sein könne.

Er konnte sich keine bestimmte Antwort geben; durch seinen Kopf zogen nur die Bilder des Friedhofes, der versammelten Menschenmenge und Lygias, wie sie mit ganzer Seele den Worten des Greises lauschte, als er von dem Leiden, dem Tode und der Auferstehung des Gottmenschen erzählte, der die Welt erlöst und ihr ewige Seligkeit jenseits des Styx verheißen habe.

[236] Ein Chaos wirbelte bei diesem Gedanken durch seinen Kopf.

Aus dieser Verwirrung rissen ihn jedoch die Worte Chilons, der sein Los zu beklagen begann. Er habe sich doch erboten, Lygia aufzusuchen; er habe sie auch mit Gefahr seines Lebens gefunden und Vinicius auf ihre Spur gebracht. Was wünsche man denn noch von ihm? Habe er versprochen, sie zu entführen, und wer könne auch etwas derartiges von einem Krüppel, dem zwei Finger fehlten, von einem Greise, der sich der Betrachtung, der Philosophie und Tugend gewidmet habe, verlangen? Was werde geschehen, wenn einem so vornehmen Herrn wie Vinicius bei der Entführung des Mädchens ein Unfall zustieße? Allerdings seien die Götter verpflichtet, über ihre Lieblinge zu wachen, hätten sich aber derlei Dinge nicht mehr als einmal ereignet, wenn die Götter gerade beim Spiele gesessen hätten, anstatt sich um das zu kümmern, was in der Welt vorgehe? Fortuna trage, wie jedermann bekannt sei, eine Binde um die Augen und sehe daher selbst am Tage nichts, geschweige denn in der Nacht. Geschieht etwas, schleudert jener lygische Bär dem edlen Vinicius einen Mühlstein, ein Faß Wein oder noch schlimmer, ein Faß Wasser nach, wer bürge dem armen Chilon dann dafür, daß er anstatt der Belohnung Vorwürfe bekomme? Er, der arme Weise, habe sich zu dem edlen Vinicius gesellt wie Aristoteles zu Alexander von Makedonien, und wenn der edle Vinicius ihm wenigstens den Beutel geben wollte, den er vor seinen Augen beim Verlassen des Hauses in den Gürtel gesteckt habe, so werde das schon eine Summe sein, mit der man im Falle eines Unglücks sofort Hilfe herbeizuschaffen oder auf die Christen selbst einzuwirken vermöge. O! warum wolle er nicht den Rat eines Greises befolgen, der von Erfahrung und Klugheit eingegeben sei?

Bei diesen Worten nahm Vinicius den Beutel aus dem Gürtel und warf ihn Chilon zu, der ihn mit der Hand auffing.

[237] »Da hast du ihn; jetzt aber halte deinen Mund!«

Der Grieche fühlte, daß er außergewöhnlich schwer war, und faßte wieder Mut.

»Meine ganze Hoffnung besteht darin,« sagte er, »daß Herkules und Theseus noch weit schwierigere Taten vollbracht haben. Denn was ist Kroton, mein persönlicher, bester Freund anders als Herkules? Dich, edler Herr, will ich keinen Halbgott nennen, denn du bist ein ganzer Gott und wirst auch später einen armen, treuen Diener nicht vergessen, dessen Bedürfnisse von Zeit zu Zeit befriedigt werden müssen, denn er selbst kümmert sich um nichts, wenn er sich einmal in die Bücher vertieft hat ... Einige Stadien Gartenland und ein Häuschen, wenn auch mit dem allerkleinsten Portikus für die Sommerhitze, würde etwas eines solchen Gebers Würdiges sein. Ich würde dann aus der Ferne eure Heldentaten bewundern und Jupiter bitten, euch zu beschützen; im Notfalle aber will ich solchen Lärm schlagen, daß halb Rom zusammenläuft und euch zu Hilfe kommt. Was ist das für ein schlechter, unebener Weg! Das Öl in der Laterne ist mir ausgegangen, und wenn Kroton, der ebenso edel wie stark ist, mich auf den Arm nehmen und bis zum Tore tragen wollte, so könnte er schon im voraus sehen, ob er das Mädchen mit Leichtigkeit tragen kann, außerdem handeln wie Äneas und alle Götter sich in einem solchen Grade geneigt machen, daß ich über den Ausgang des Unternehmens völlig beruhigt sein könnte.«

»Lieber wollte ich ein Schaf tragen, das vor einem Monat an der Räude krepiert ist,« erwiderte der Ringkämpfer; »aber wenn du mir den Beutel gibst, den dir der edle Tribun soeben zugeworfen hat, so will ich dich bis zum Tore tragen.«

»Möge dir die große Zehe am Fuße verfaulen!« entgegnete der Grieche; »so, also das hast du aus der Predigt jenes ehrwürdigen Greises profitiert, der Armut und Nächstenliebe als die zwei Haupttugenden hinstellte? Befahl er [238] dir nicht ausdrücklich, mich zu lieben? Ich sehe schon, aus dir werde ich nie auch nur einen leidlichen Christen machen. Eher würde die Sonne durch die Mauern des mamertinischen Kerkers dringen als die Wahrheit in deinen Nilpferdschädel.«

Kroton, der die Stärke eines wilden Tieres, aber dafür nicht das geringste menschliche Gefühl besaß, antwortete ihm gelassen: »Habe keine Angst! Ich werde kein Christ; ich habe keine Lust, mein Stückchen Brot zu verlieren.«

»Ja, das mag wohl sein. Wenn du aber nur die Anfangsgründe der Weisheit aus der Philosophie kenntest, würdest du wissen, daß das Gold eitler Tand ist.«

»Komm mir nur mit deiner Philosophie. Ich gebe dir nur einen einzigen Stoß mit dem Kopfe gegen den Leib, und dann wollen wir sehen, wer Sieger bleibt.«

»Dasselbe hätte ein Stier zu Aristoteles sagen können,« entgegnete Chilon.

Der Morgen graute. Die Umrisse der Stadtmauern traten schärfer am dämmernden Horizonte hervor, und immer deutlicher wurden die am Wege stehenden Bäume, Hütten und hier und dort verstreuten Grabsteine sichtbar. Die Straße war nicht mehr völlig menschenleer. Gemüsehändler trieben ihre mit Waren beladenen Esel und Maultiere den Toren zu, hier und dort tauchten Wagen mit Wildbret auf. Auf der Straße und zu beiden Seiten lag dicht auf der Erde ein leichter Nebel, der auf schönes Wetter deutete. Die Menschen sahen in etwas größerer Entfernung bei diesem Nebel wie Geister aus. Vinicius starrte auf die schlanke Gestalt Lygias, die in dem Maße, wie das Licht zunahm, immer mehr wie silbern erglänzte.

»Herr,« sagte Chilon, »ich würde dich beleidigen, wenn ich voraussehen wollte, daß deine Güte je ein Ende haben könnte, aber jetzt, wo du mich bezahlt hast, kannst du mir nicht vorwerfen, daß ich nur zu meinem Nutzen spreche. Ich rate dir nun noch einmal, wenn du gesehen hast, in welchem [239] Hause die göttliche Lygia wohnt, nach Hause zu gehen, Sklaven und eine Sänfte zu holen und nicht auf diesen Elefantenrüssel Kroton zu hören, der dir nur deswegen verspricht, das Mädchen selbst zu entführen, um deinen Beutel auszupressen wie ein Säckchen mit Quark.«

»Du kannst von mir einen Faustschlag zwischen die Schultern bekommen, der dich für immer stumm machen wird,« erwiderte Kroton.

»Du kannst bei mir ein Faß Kephalonierwein finden, an dem ich mir gütlich tun werde,« versetzte der Grieche.

Vinicius achtete nicht auf sie, denn sie näherten sich dem Tore, vor dem sich ihren Augen ein seltsamer Anblick bot. Zwei Soldaten knieten nieder, als der Apostel hindurchschritt; dieser legte seine Hand einen Augenblick auf ihre Eisenhelme und machte dann das Zeichen des Kreuzes über sie. Dem jungen Patrizier war es noch nie in den Sinn gekommen, daß es möglicherweise auch im Heere Christen geben könne, und mit Erstaunen mußte er daran denken, daß, wie in einer brennenden Stadt das Feuer immer neue Häuser ergreift, so auch diese Religion offenbar jeden Tag mehr neue Seelen und Herzen erobere, als sich jemand ahnen lasse. Auch der Gedanke fiel ihm schwer auf die Seele, daß dies in Beziehung zu Lygia stehen könnte; denn er war überzeugt, daß, wenn sie die Stadt verlassen wollte, sich Wachen gefunden haben würden, die ihre Flucht im geheimen unterstützt hätten. Er flehte in diesem Augenblick zu allen Göttern, dies nicht zuzulassen.

Als die Christen die unbewohnte Gegend verlassen hatten und sich jenseits der Mauer befanden, begannen sie sich zu zerstreuen. Die drei mußten daher Lygia aus größerer Entfernung und mit mehr Vorsicht folgen, um keinen Verdacht auf sich zu laden. Auch fing Chilon an, über wunde Stellen und Blasen an den Füßen zu klagen und blieb immer öfter stehen. Vinicius hatte nichts dagegen einzuwenden, da er einsah, daß ihm der schlaue, aber feigherzige Grieche jetzt[240] von keinem Nutzen sein könne. Er hätte ihm sogar erlaubt, sich nach Belieben zu entfernen; obgleich die Vorsicht dem würdigen Philosophen gebot, zurückzubleiben, so plagte ihn doch offenbar die Neugierde; denn er folgte beständig den beiden und näherte sich ihnen sogar von Zeit zu Zeit, um seine früheren Ratschläge zu wiederholen, da er zugleich vermutete, der alte Mann neben dem Apostel könnte Glaukos sein, wenn er nicht etwas zu klein gewesen wäre.

Sie hatten jedoch noch einen weiten Weg bis zur Vorstadt jenseits des Tiber, und die Sonne war beinahe aufgegangen, als sich die Schar, bei der sich Lygia befand, zerstreute. Der Apostel, eine alte Frau und der Knabe schritten stromaufwärts weiter, der kleinere Greis, Ursus und Lygia wandten sich einem engen Vicus zu und betraten, nachdem sie noch ungefähr hundert Schritte gegangen waren, ein Haus, in dem sich zwei Läden, ein Oliven- und ein Geflügelladen, befanden.

Chilon, der sich etwa fünfzig Schritt hinter Vinicius und Kroton hielt, blieb wie angewurzelt stehen, drückte sich an die Mauer und begann seinen Begleitern leise zuzurufen, sie möchten zu ihm zurückkehren.

Sie taten dies auch, denn man mußte sich das weitere überlegen.

»Geh,« sagte Vinicius zu ihm, »und sieh nach, ob dieses Haus nicht vielleicht einen zweiten Ausgang nach einer anderen Straße hat.«

Trotzdem Chilon eben erst über wunde Füße geklagt hatte, lief er jetzt mit einer Schnelligkeit davon, als habe er Merkurs Flügel an den Füßen, und kam augenblicklich zurück.

»Nein, Herr, es ist nur ein Ausgang vorhanden,« sagte er. Dann faltete er die Hände und sprach: »Ich beschwöre dich bei Jupiter, Apollo, Vesta, Kybele, Isis und Osiris, bei Mithra, Bal und allen Göttern des Morgen- und Abendlandes, Herr, gib deinen Plan auf. Höre mich ...«

[241] Aber mit einem Mal verstummte er, als er bemerkte, daß Vinicius' Antlitz vor Erregung bleich war und seine Augen wie die eines Wolfes glühten. Man brauchte ihn nur anzusehen, um zu erkennen, daß nichts in der Welt ihn von seinem Vorsatz zurückbringen würde. Kroton begann mit seiner herkulischen Brust Atem zu holen und seinen ungeheuren Schädel hin und her zu bewegen, wie es die Bären im Käfig tun. Aber in seinem Gesicht zeigte sich nicht die geringste Beunruhigung.

»Ich werde vorangehen!« sagte er.

»Du gehst hinter mir!« entgegnete Vinicius in befehlendem Tone.

Im nächsten Augenblick verschwanden beide in dem dunklen Hausflur.

Chilon lief zur nächsten Straßenecke, wo er sich im Dunkel versteckte und die kommenden Dinge abwartete.

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Erst im Hausflur erkannte Vinicius die ganze Schwierigkeit des Unternehmens. Das Haus war groß und hatte mehrere Stockwerke; es gehörte zu denen, die zu tausenden in Rom auf Spekulation der Mieten wegen errichtet wurden. Sie waren in der Regel so rasch und schlecht gebaut, daß kaum ein Jahr verging, in dem nicht einige von ihnen den Bewohnern über dem Kopfe zusammenstürzten. Sie glichen in der Tat Bienenstöcken, waren zu hoch und zu eng und enthielten eine Unzahl kleiner Zimmer und Kammern, in denen eine übergroße Menge armer Leute zusammengedrängt war. In einer Stadt, in der viele Straßen keinen Namen hatten, hatten auch viele Häuser keine Nummer; die Eigentümer überließen die Einziehung der Miete Sklaven; und da diese nicht verpflichtet waren, die Namen der Bewohner bei der Stadtobrigkeit anzugeben, so kannten sie sie oft selbst nicht. Es war daher oft ungemein schwer, sich nach jemand [242] in einem solchen Hause zu erkundigen, namentlich wenn es keinen Türhüter hatte.

Vinicius und Kroton gelangten durch einen langen korridorartigen Flur in einen engen, auf allen vier Seiten von Mauern eingeschlossenen Hof, der eine Art gemeinschaftlichen Atriums für das ganze Haus bildete und in der Mitte einen Brunnen hatte, dessen Wasser in ein in die Erde gemauertes steinernes Becken niederfiel. An allen Wänden führten enge Treppen, teils aus Stein, teils aus Holz, empor und endeten in Galerien, von denen aus man in die Wohnungen gelangte. Auch zu ebener Erde gab es solche Wohnungen, die zum Teil durch hölzerne Türen verschlossen, teils nach dem Hofe zu nur durch wollene, größtenteils verblichene und zerrissene oder geflickte Vorhänge verhüllt waren.

Es war früh am Morgen, und im Hofe zeigte sich keine lebende Seele. Offenbar schliefen noch sämtliche Hausbewohner mit Ausnahme derer, die soeben aus dem Ostrianum zurückgekehrt waren.

»Was sollen wir beginnen, Herr?« fragte Kroton, indem er sich umblickte.

»Wir wollen hier warten; vielleicht kommt jemand,« entgegnete Vinicius. »Es ist nicht nötig, daß man uns im Hofe sieht.«

Zugleich mußte er sich sagen, daß Chilons Rat ganz praktisch gewesen war. Wenn er eine genügende Anzahl Sklaven zur Hand hätte, so könnte er das Tor besetzen, das den einzigen Ausgang bildete, und alle Wohnungen durchsuchen lassen; so aber mußte er sofort die Wohnung Lygias auffinden, denn sonst hätten die Christen, die auch in diesem Hause gewiß nicht fehlen würden, sie von der Nachforschung in Kenntnis gesetzt. In dieser Hinsicht war auch eine Erkundigung bei den anderen Bewohnern sehr unsicher. Vinicius überlegte es sich einige Zeit, ob er nicht seine Sklaven herbeiholen solle, als plötzlich hinter einem der Vorhänge, die die weiter nach hinten gelegenen Wohnungen verhüllten, ein [243] Mann mit einem Siebe in der Hand heraustrat und sich dem Brunnen näherte.

Es war Ursus, wie der junge Mann auf den ersten Blick erkannte.

»Es ist der Lygier!« flüsterte Vinicius.

»Soll ich ihm sogleich die Knochen zerbrechen?«

»Warte noch!«

Ursus bemerkte sie nicht, denn sie standen im Schatten des Hausflurs, und begann ruhig das Gemüse, das sich in dem Siebe befand, im Wasser abzuspülen. Offenbar wollte er, nachdem er die ganze Nacht auf dem Begräbnisplatze zugebracht hatte, aus dem Gemüse ein Mahl bereiten. Als er nach einer Weile seine Arbeit beendet hatte, nahm er das nasse Sieb und verschwand mit ihm hinter dem Vorhang. Kroton und Vinicius folgten ihm in der Meinung, unmittelbar in Lygias Wohnung zu gelangen.

Ihr Erstaunen war daher nicht gering, als sie bemerkten, daß der Vorhang nicht eine Wohnung vom Hofe trennte, sondern einen anderen dunklen Gang. An seinem Ende war ein Garten sichtbar, in dem einige Zypressen und Myrtensträucher sowie ein kleines Häuschen standen, das sich an die fensterlose Wand eines andern steinernen Gebäudes lehnte.

Beide erkannten sofort, daß dieser Umstand ihr Vorhaben begünstigte. Auf dem Hofe konnten alle Bewohner des Hauses zusammenströmen, die Abgeschlossenheit des kleinen Hauses erleichterte jedoch das Unternehmen. Sie konnten rasch mit etwaigen Verteidigern und vor allem mit Ursus fertig werden und ebenso rasch mit der gefangenen Lygia die Straße erreichen, und dort würden sie sich schon Rat wissen. Ein Angriff auf sie war nicht wahrscheinlich, und sollte selbst ein solcher erfolgen, so würden sie sagen, es handle sich um die Flucht einer Geisel des Caesars; Vinicius würde sich in einem solchen Falle der Wache zu erkennen geben und ihre Hilfe in Anspruch nehmen.

[244] Ursus war schon beinahe am Hause, als das Geräusch von Schritten seine Aufmerksamkeit erregte. Er blieb daher stehen, und als er die beiden Männer erblickte, stellte er das Sieb auf das Geländer und wandte sich zu ihnen.

»Wen sucht ihr hier?« fragte er.

»Dich!« antwortete Vinicius.

Dann wandte er sich an Kroton und sagte mit hastiger, leiser Stimme: »Töte ihn!«

Kroton stürzte sich sofort wie ein Tiger auf Ursus, und ehe der Lygier sich besinnen oder seinen Feind erkennen konnte, faßte ihn dieser mit seinen stählernen Armen.

Vinicius war zu fest von Krotons übermenschlicher Stärke überzeugt, als daß er das Ende des Kampfes abgewartet hätte. Er eilte daher an den beiden vorüber und stürzte auf die Tür des kleinen Hauses zu, stieß sie auf und befand sich in einem etwas dunklen Raume, der nur durch ein auf dem Herde brennendes Feuer erleuchtet war. Der Schein der Flamme fiel direkt auf Lygias Antlitz. Die zweite am Feuer sitzende Person war jener Alte, der das Mädchen und Ursus auf dem Rückwege vom Ostrianum begleitet hatte.

Vinicius stürzte so plötzlich herein, daß er Lygia, bevor sie ihn zu erkennen vermochte, um den Leib faßte, sie emporhob und mit ihr wieder zur Tür eilte. Der Alte trat ihm zwar entgegen, er preßte jedoch das Mädchen mit einem Arm an seine Brust, und stieß ihn mit der anderen freien Hand fort. Die Kapuze fiel ihm dabei vom Kopfe, und jetzt, beim Anblick jenes wohlbekannten, aber ihr in diesem Augenblick furchtbaren Gesichtes gerann Lygia vor Schreck das Blut in den Adern, und die Stimme erstarb ihr in der Kehle. Sie wollte um Hilfe rufen und konnte es nicht. Vergebens versuchte sie sich mit den Armen an der Tür festzuhalten und Widerstand zu leisten. Ihre Finger glitten über die Steine, und sie hätte das Bewußtsein verloren, wäre das Bild, das sich ihren Augen darbot, als Vinicius mit ihr durch den Garten stürzte, nicht zu gräßlich gewesen.

[245] Ursus hielt in seinen Armen einen Mann mit zerbrochenem Rückgrat, herunterhängendem Kopfe und blutigem Munde. Als er die beiden erblickte, versetzte er ihm noch einen Schlag auf den Kopf und stürzte sich im nächsten Augenblick wie eine rasende Bestie auf Vinicius.

»Verloren!« dachte der junge Patrizier.

Dann hörte er wie im Traume den Schrei Lygias: »Töte ihn nicht;« er fühlte, wie eine Macht gleich der des Blitzstrahls ihm die Arme, in denen er das Mädchen hielt, auseinanderriß; dann drehte sich die Erde mit ihm im Kreise, und das Licht des Tages entschwand seinen Augen. – – – – – – – – – – – – – – –

Chilon hielt sich hinter der Straßenecke verborgen und wartete ab, was sich ereignen werde, denn Neugier und Furcht stritten sich in ihm um die Oberhand. Sollte es den beiden gelingen, Lygia zu entführen, sagte er sich, so würde es für ihn vorteilhaft sein, wenn er sich in Vinicius' Nähe befände. Vor Urban fürchtete er sich nicht mehr, denn er war fest überzeugt, daß Kroton ihn töten würde. Ferner nahm er sich vor, falls ein Auflauf in den bisher menschenleeren Straßen entstehen sollte, falls die Christen oder andere Leute sich Vinicius widersetzen wollten, als ein obrigkeitlicher Beamter, als ein Vollstrecker des Willens des Caesars dazwischenzutreten und im Notfalle dem jungen Patrizier die Wache gegen den Straßentumult zu Hilfe zu rufen, wodurch er sich neue Gunst zu gewinnen hoffte. Im Innern hatte er fortwährend die Empfindung, daß Vinicius' Handlungsweise unklug sei; erinnerte er sich aber an Krotons furchtbare Stärke, so glaubte er bestimmt an einen guten Ausgang. »Wenn es schlecht mit ihnen steht, so kann der Tribun selbst das Mädchen tragen, und Kroton wird ihm dann den Weg freimachen.« Die Zeit wurde ihm aber lang; außerdem beunruhigte ihn die Stille im Hausflur, den er aus der Ferne beobachtete.

»Wenn sie das Versteck nicht finden und Lärm machen, werden sie das Mädchen verscheuchen.«

[246] Aber dieser Gedanke schien ihm im übrigen nicht so übel zu sein, denn es war klar, daß Vinicius in diesem Falle wieder seiner Hilfe bedurfte und er von ihm abermals eine beträchtliche Anzahl Sesterzen erpressen konnte.

»Was sie auch ausrichten,« sprach er zu sich, »sie arbeiten für mich, obgleich keiner von ihnen es ahnt ... Götter, Götter, erlaubt mir nur ...«

Er verstummte plötzlich, denn es kam ihm vor, als ob sich etwas aus dem Hausflur vorbeuge. Er drückte sich daher gegen die Mauer und begann mit angehaltenem Atem hinzuschauen.

Er hatte sich nicht getäuscht, denn aus dem Hause beugte sich zur Hälfte ein Kopf, der sich nach allen Seiten umsah.

Nach einiger Zeit verschwand er wieder.

»Das ist Vinicius oder Kroton,« dachte Chilon, »wenn sie aber das Mädchen haben, warum schreit sie nicht, und warum sehen sie auf die Straße? Sie müssen so wie so Menschen begegnen, denn ehe sie die Carinae erreichen, wird es in der Stadt lebendig. Bei allen unsterblichen Göttern, was ist das?«

Auf einmal stand ihm der Rest seiner Haare zu Berge.

In der Tür erschien Ursus mit dem Leichnam Krotons auf den Armen und begann, nachdem er sich nochmals umgesehen hatte, mit ihm die menschenleere Straße entlang nach dem Flusse zu eilen.

Chilon drückte sich so flach gegen die Mauer, als wäre er ein Stück Mörtel.

»Ich bin verloren, wenn er mich entdeckt,« dachte er.

Aber Ursus lief rasch um die Ecke und verschwand hinter den Nachbarhäusern. Chilon wagte nicht länger zu bleiben, sondern begann mit vor Schreck klappernden Zähnen so rasch die nächste Straße entlangzurennen, daß es selbst bei einem jungen Manne Bewunderung erregt hätte.

»Wenn er mich bei seiner Rückkehr von ferne sieht, wird er mich einholen und töten,« sprach er zu sich selber. »Rette [247] mich, Zeus, rette mich, Apollon, rette mich, Hermes, rette mich, Gott der Christen! Ich will Rom verlassen und nach Mesembria zurückkehren, nur rette mich aus den Händen dieses Teufels.«

Und jener Lygier, der Kroton getötet hatte, erschien ihm in diesem Augenblicke wirklich als ein übermenschliches Wesen. Während des Laufens dachte er, daß er irgend ein Gott sein könne, der die Gestalt eines Barbaren angenommen habe. In diesem Augenblicke glaubte er an alle Götter der Welt und an alle Mythen, über die er in der Regel spottete. Auch der Gedanke schoß ihm durch den Kopf, der Gott der Christen könne Kroton getötet haben, und seine Haare sträubten sich abermals bei dem Gedanken, daß er gegen eine solche Macht anzukämpfen habe.

Erst als er durch einige Straßen gelaufen war und einige Arbeiter von ferne auf sich zukommen sah, beruhigte er sich etwas. Der Atem war ihm schon ausgegangen; er setzte sich daher auf die Schwelle eines Hauses und begann sich mit einem Zipfel seines Mantels die schweißbedeckte Stirn abzutrocknen.

»Ich bin alt und bedarf der Ruhe,« sagte er.

Die ihm entgegenkommenden Leute bogen in eine Seitenstraße ein, und von neuem war es um ihn herum menschenleer. Die Stadt lag noch im Schlafe. In den wohlhabenderen Stadtteilen begann die Bewegung früher am Morgen, da die Sklaven reicher Häuser bei Tagesanbruch aufstehen mußten, in denen aber, wo freie Leute wohnten, die auf Kosten des Staates unterhalten wurden und daher keine Beschäftigung hatten, stand man, namentlich im Winter, ziemlich spät auf. Als Chilon einige Zeit auf der Schwelle gesessen hatte, fühlte er eine schneidende Kälte. Er stand daher auf, überzeugte sich, daß er die Geldbeutel, die er von Vinicius erhalten hatte, nicht verloren hatte, und wandte sich schon ruhigeren Schrittes dem Flusse zu.

»Ich möchte sehen, wo der Leichnam Krotons liegt,« sprach er zu sich selber. »Ihr Götter, wenn dieser Lygier ein Mensch [248] ist, könnte er sich im Laufe eines Jahres Millionen von Sesterzen verdienen, denn wenn er Kroton erwürgt hat wie einen jungen Hund, wer könnte ihm dann widerstehen? Für jedes Auftreten in der Arena würde man ihm so viel Gold geben, wie er selber wiegt. Er bewacht dieses Mädchen besser als Cerberus den Hades. Aber möge ihn auch dieser Hades verschlingen! Ich will nichts mit ihm zu tun haben. Er ist mir zu knochig. Was ist aber jetzt zu tun? Es hat sich etwas Furchtbares ereignet. Wenn er einem solchen Manne wie Kroton die Knochen zermalmt hat, dann klagt sicher auch Vinicius' Seele über jenem verfluchten Hause und jammert nach der Bestattung des Leichnams. Bei Kastor! Es ist ja ein Patrizier, ein Freund des Caesars, ein Verwandter des Petronius, ein in ganz Rom bekannter Mann und ein Kriegstribun! Sein Tod kann nicht ungestraft bleiben ... Wenn ich beispielsweise ins Lager der Prätorianer oder auf die Wache ginge? ...«

Hier hielt er inne und begann nachzudenken; nach einer Weile aber sagte er: »Wehe mir! Wer anders führte ihn denn zu jenem Hause als ich? ... Seine Freigelassenen und Sklaven wissen, daß ich mit ihm fortging, und einige wissen auch, zu welchem Zwecke. Was wird geschehen, wenn sie den Verdacht schöpfen, daß ich ihm absichtlich das Haus gezeigt habe, in dem er den Tod gefunden hat? Wenn auch später vor Gericht herauskommt, daß ich seinen Tod nicht gewollt habe, so wird man doch immer sagen, ich sei der Urheber davon gewesen ... Und er ist ein Patrizier, ich werde also in keinem Falle straflos ausgehen. Wenn ich aber stillschweigends Rom verlasse und mich an einen entfernten Ort zurückziehe, so würde ich noch schwereren Verdacht erregen.«

Auf jeden Fall lag die Sache schlimm. Es handelte sich nur darum, das kleinere Übel zu wählen. Rom war eine sehr große Stadt, und doch fühlte Chilon, daß sie für ihn zu eng war. Jeder andere hätte sofort zum Präfekten der Stadtwache gehen, ihm Anzeige von dem Vorgefallenen erstatten [249] und, mochte auch irgendwelcher Verdacht auf ihn fallen, ruhig den Ausgang abwarten können. Aber Chilons ganze Vergangenheit war derart, daß ihm jede nähere Bekanntschaft mit dem Präfekten der Stadt oder mit dem Präfekten der Wache ernstliche Unruhe verursachen und zugleich jeden Verdacht verstärken mußte, der möglicherweise den Beamten in den Sinn kommen könnte.

Andererseits war seine Flucht geeignet, Petronius in der Annahme zu bestärken, Vinicius sei verraten und infolge einer Verschwörung ermordet worden. Dieser Petronius war ein mächtiger Herr, der die Polizei im ganzen Reiche zu seiner Verfügung hatte und sich ohne Zweifel bemühen würde, die Täter, und sei es auch an den Enden der Welt, aufzuspüren. Dennoch kam Chilon der Gedanke, ob er nicht direkt zu ihm gehen und ihm alles Vorgefallene erzählen solle. Ja, das war der beste Plan! Petronius war ein ruhiger Mann, und Chilon konnte wenigstens sicher sein, bis zu Ende angehört zu werden. Petronius, der die Sache von Anfang an kannte, würde sich auch leichter von der Unschuld Chilons überzeugen als der Präfekt.

Ehe er sich aber zu ihm begeben konnte, mußte er erst sicher wissen, was mit Vinicius geschehen war; Chilon wußte dies aber nicht. Er hatte zwar den Lygier mit Krotons Leichnam zum Flusse laufen sehen, aber weiter nichts. Vinicius konnte getötet sein, er konnte aber auch verwundet oder gefangen sein. Jetzt erst fiel es Chilon ein, daß die Christen es sicher nicht wagen würden, einen so mächtigen Mann, einen Augustianer und hohen Offizier zu töten, denn eine solche Tat würde ihnen eine allgemeine Verfolgung zuziehen können. Wahrscheinlicher war es, daß sie ihn mit überlegener Gewalt gefangen hielten, um Lygia Zeit zu verschaffen, ein anderes Versteck aufzusuchen.

Dieser Gedanke erfüllte Chilon mit neuem Mut.

»Wenn dieser lygische Drache ihn nicht gleich beim ersten Angriff in Stücke gerissen hat, dann ist er noch am Leben, [250] und wenn er am Leben ist, dann wird er selbst bezeugen können, daß ich ihn nicht verraten habe, und dann droht mir nicht nur keine Gefahr, sondern (o Hermes, rechne auf zwei weitere Kühe!) es eröffnet sich für mich ein neues Feld ... Ich könnte einem Freigelassenen einen Wink geben, wo er seinen Herrn zu suchen habe, und es wird dann dessen Sache sein, ob er zum Präfekten geht oder nicht; ich gehe nicht zu ihn ... Ich könnte auch zu Petronius gehen und mir eine Belohnung verdienen ... Ich habe Lygia gesucht, jetzt werde ich Vinicius suchen und dann wiederum Lygia ... Aber zuvor muß ich wissen, ob Vinicius am Leben oder tot ist.«

Es fiel ihm ein, daß er sich nachts zu dem Bäcker Demas begeben und sich dort nach Ursus erkundigen könne. Aber er verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Er wollte mit Ursus lieber nichts zu tun haben. Er konnte mit Recht vermuten, daß, wenn Ursus Glaukos nicht getötet hatte, er offenbar von den älteren Christen, denen er seinen Plan mitgeteilt hatte, gewarnt worden war als vor einer ungerechten Handlung, zu der ihn ein Verräter hatte verleiten wollen. Übrigens zitterte Chilon bei dem bloßen Gedanken an Ursus am ganzen Leibe. Doch wollte er abends Euricius nach jenem Hause schicken, in dem sich der Unfall ereignet hatte, damit er dort Erkundigungen einziehe. Inzwischen mußte er sich stärken, ein Bad nehmen und ruhen. Die schlaflose Nacht, der Weg vom Ostrianum und die Flucht aus dem Stadtviertel jenseits des Tiber hatten ihn in der Tat über alles Maß erschöpft.

Nur eins tröstete ihn: er hatte die beiden Geldbeutel bei sich, sowohl die, welche ihm Vinicius zu Hause gegeben, wie die, welche er ihm auf dem Rückwege vom Friedhof zugeworfen hatte. Mit Rücksicht auf diese Gunst des Schicksals wie auch auf all die Erregungen, die er durchzumachen gehabt hatte, beschloß er, reichlicher zu essen und besseren Wein zu trinken als gewöhnlich.

[251] Dies tat er denn auch, als endlich die Stunde herangenaht war, in der die Weinschenken geöffnet wurden, und zwar in einem solchen Maße, daß er das Bad ganz vergaß. Vor allem wollte er schlafen, denn die Müdigkeit überwältigte ihn so, daß er völlig schwankend nach seiner Wohnung in der Subura zurückkehrte, wo ihn eine mit Vinicius' Gelde erkaufte Sklavin erwartete.

Hier begab er sich in sein Schlafzimmer, das so dunkel war wie die Höhle eines Fuchses, warf sich auf sein Lager und schlief sofort ein.

Erst gegen Abend erwachte er wieder, oder vielmehr, die Sklavin weckte ihn, indem sie sagte, er möchte aufstehen, denn es sei jemand da und wünsche ihn in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen.

Chilon ermunterte sich sofort und kam zu sich, dann warf er den Mantel mit der Kapuze um, hieß die Sklavin beiseite treten und blickte vorsichtig hinaus.

Er erstarrte vor Schrecken, denn vor der Tür des Schlafzimmers bemerkte er die riesige Gestalt des Lygiers. Bei diesem Anblick fühlte er, daß ihm Kopf und Füße eiskalt wurden, das Herz in seiner Brust hörte auf zu schlagen, und über den Rücken rannen ihm kalte Schauer .... Eine Zeitlang konnte er kein Wort hervorbringen, dann aber sagte oder vielmehr stöhnte er zähneklappernd: »Syra, ich bin nicht zu Hause ... ich kenne ihn ... diesen ... guten Mann nicht ...«

»Ich habe ihm gesagt, du seiest da und schliefest, Herr,« sagte das Mädchen, »er bat mich aber, dich zu wecken.«

»O Götter, ich lasse dich ...«

Ursus wurde jedoch über den Verzug ungeduldig; er näherte sich der Tür des Schlafzimmers, beugte sich herab und steckte den Kopf hinein.

»Chilon Chilonides!« rief er.

»Pax tecum! pax, pax!« entgegnete Chilon. »O bester der Christen! Ja, ich bin Chilon, aber es muß ein Irrtum sein ... ich kenne dich nicht!«

[252] »Chilon Chilonides,« wiederholte Ursus, »dein Herr, der Tribun Vinicius, läßt dir sagen, du möchtest dich mit mir zu ihm begeben.«

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Ein stechender Schmerz weckte Vinicius. Im ersten Augenblicke wußte er nicht, wo er sich befand noch was mit ihm geschehen war. Im Kopfe fühlte er ein Brausen, und vor seinen geschlossenen Augen lag es wie Nebel. Allmählich kehrte jedoch sein Bewußtsein zurück, und endlich erblickte er durch jenen Nebel hindurch drei Personen, die sich über ihn beugten. Zwei erkannte er wieder: die eine war Ursus, die andere jener Alte, den er bei Lygias Entführung zur Seite gestoßen hatte. Die dritte, ihm völlig fremde, hielt seinen linken Arm und betastete diesen vom Ellbogen an bis zur Schulter und zum Schlüsselbein, verursachte ihm aber dabei einen so furchtbaren Schmerz, daß Vinicius in der Meinung, dies sei eine Art Rache, die man an ihm nehme, mit zusammengepreßten Zähnen murmelte: »Tötet mich lieber!«

Die drei achteten jedoch nicht auf diese Worte, sei es, daß sie sie nicht hörten oder für gewöhnliche Schmerzenslaute hielten. Ursus mit seinem schüchternen und dabei finsteren Barbarengesicht hielt ein Stück weißer Leinwand in den Händen, das zu langen Binden zerrissen war; der Alte aber sagte zu dem Manne, der Vinicius' Arm untersuchte: »Glaukos, bist du sicher, daß die Kopfwunde nicht tödlich ist?«

»Ja, würdiger Crispus,« erwiderte Glaukos; »während ich als Sklave auf der Flotte diente, und später, als ich in Neapel wohnte, habe ich viele Wunden geheilt und mit dem Gelde, welches mir meine Kunst einbrachte, mich und die Meinigen losgekauft ... Die Wunde am Kopf ist leicht. Als dieser Mann (dabei deutete er mit dem Kopfe auf Ursus) dem jungen Manne das Mädchen entriß und ihn gegen die Mauer schleuderte, streckte dieser offenbar im Fallen den Arm aus; [253] er brach und verrenkte ihn, schützte dadurch aber seinen Kopf und rettete sich das Leben.«

»Du hast schon mehrere Brüder in deiner Behandlung gehabt,« erwiderte Crispus, »und giltst als geschickter Arzt ... Daher habe ich auch Ursus zu dir geschickt.«

»Er erzählte mir unterwegs, daß er noch gestern die Absicht gehabt hat, mich zu töten.«

»Mir hat er seine Absicht früher gestanden als dir; ich, der ich aber dich und deine Liebe zu Christus kenne, überzeugte ihn jedoch, daß nicht du der Verräter bist, sondern jener Unbekannte, der ihn zum Morde verleiten wollte.«

»Es war ein böser Geist, den ich aber für einen Engel hielt,« entgegnete Ursus seufzend.

»Du erzählst mir das ein andermal,« sagte Glaukos, »jetzt müssen wir an den Verwundeten denken.«

Bei diesen Worten begann er Vinicius' Arm einzurenken. Trotzdem Crispus ihm das Gesicht mit Wasser bespritzte, fiel der junge Tribun aus einer Ohnmacht in die andere. Es war dies übrigens ein Glück für ihn, denn er fühlte so weder das Einrenken des Gliedes noch das Verbinden des beschädigten Armes, den Glaukos zwischen zwei hölzerne Bretter legte und darauf rasch und fest umwickelte, um jede Bewegung unmöglich zu machen.

Nach Beendigung der Operation erwachte Vinicius von neuem und erblickte Lygia. Sie stand dicht bei seinem Lager und hielt eine Metallschüssel mit Wasser in ihren Händen, in die Glaukos von Zeit zu Zeit einen Schwamm tauchte, um das Haupt des Kranken damit zu befeuchten.

Vinicius sah dies und glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Es kam ihm vor, als sei es ein Traum oder als ob das Fieber ihm das teure Bild vor die Augen zaubere – und nach langer Zeit erst flüsterte er: »Lygia!«

Beim Klange seiner Stimme zitterte die Schüssel in ihrer Hand, aber sie wandte ihm die traurigen Augen zu.

»Friede sei mit dir!« entgegnete sie leise.

[254] Sie stand mit ausgestreckten Armen und einem Antlitz voll Liebe und Schmerz vor ihm.

Er betrachtete sie, als wolle er seine Augen mit ihrem Anblick sättigen, damit ihr Bild ihnen vorschwebe, selbst wenn er sie geschlossen hätte. Er betrachtete ihr Antlitz, das noch blasser und zarter war als zuvor, ihre dunklen Locken, das ärmliche Arbeiterinnenkleid; er betrachtete sie so unverwandt, daß sich ihre schneeweiße Stirn unter dem Einflusse seines Blickes zu röten begann. Zuerst gedachte er daran, daß er sie ewig lieben werde, und sodann, daß diese ihre Blässe und Armut sein Werk seien, daß er sie aus dem Hause vertrieben habe, wo sie geliebt und von Reichtum und Behaglichkeit umgeben gewesen war, daß er sie in diese elende Wohnung verstoßen und sie gezwungen habe, sich in diesen ärmlichen Mantel aus dunkler Wolle zu hüllen.

Und doch hatte er sie mit den kostbarsten goldgestickten Gewändern kleiden und mit allen Edelsteinen der Welt schmücken wollen. Er wurde von Staunen, Angst, Mitleid und so tiefem Schmerze hingerissen, daß er zu ihren Füßen gefallen wäre, hätte er sich zu bewegen vermocht.

»Lygia,« sagte er, »du gabst nicht zu, daß man mich tötete.«

Sie entgegnete in sanftem Tone: »Gott gebe dir deine Gesundheit zurück!«

Für Vinicius, den das Bewußtsein sowohl von dem Unrecht, das er ihr früher zugefügt hatte, wie von dem, was er ihr jetzt wieder hatte antun wollen, quälte, lag in diesen Worten Lygias ein lindernder Balsam. Er vergaß in diesem Augenblicke, daß aus ihrem Munde möglicherweise die christliche Religion sprach; er fühlte nur, daß das geliebte Mädchen sprach und daß in ihrer Antwort eine ungemeine Zärtlichkeit und übermenschliche Güte liege, die ihm seine Seele bis auf das tiefste erschütterte. Wie früher vor Schmerz, so fiel er jetzt vor Rührung in Ohnmacht. Es ergriff ihn eine Schwäche, die unwiderstehlich und doch zugleich angenehm [255] war. Er hatte die Empfindung, als stürze er in einen Abgrund, fühle sich aber dabei wohl und glücklich. Er glaubte im Augenblick des Hinabstürzens, eine Gottheit stehe neben ihm.

Inzwischen war Glaukos mit dem Waschen der Kopfwunde fertig geworden und strich eine heilende Salbe darauf. Ursus nahm Lygia die Schüssel aus den Händen; diese ergriff einen auf dem Tische stehenden mit einer Mischung aus Wein und Wasser gefüllten Becher und hielt ihn dem Verwundeten an die Lippen. Vinicius trank gierig und empfand sodann eine große Erleichterung. Nach Beendigung der Operation hatte der Schmerz fast gänzlich aufgehört. Die Wunde und das verrenkte Glied begannen sich zu beruhigen, und das volle Bewußtsein kehrte ihm zurück.

»Gib mir noch mehr zu trinken,« bat er.

Lygia begab sich mit dem leeren Becher in das anstoßende Zimmer, während Crispus, nachdem er einige Worte mit Glaukos gewechselt hatte, ans Bett trat und sagte: »Vinicius, Gott hat nicht zugelassen, daß du eine böse Tat vollführtest, sondern hat dich am Leben erhalten, damit du in dich gehst. Er, vor dem der Mensch nur Staub ist, hat dich schutzlos in unsere Hände gegeben, aber Christus, an den wir glauben, befiehlt uns, selbst die Feinde zu lieben. Deshalb verbanden wir deine Wunden und werden, wie Lygia sagte, zu Gott beten, daß er dir deine Gesundheit zurückgebe. Aber wir können dich nicht länger pflegen. Bleibe daher in Frieden und denke darüber nach, ob es sich für dich geziemt, Lygia noch länger zu verfolgen. Du hast sie ihrer Freunde und uns des Obdachs beraubt, die wir dir Böses mit Gutem vergolten haben.«

»Wollt ihr mich verlassen?« fragte Vinicius.

»Wir wollen dieses Haus verlassen, in dem uns die Verfolgung des Stadtpräfekten erreichen könnte. Dein Gefährte ist getötet worden, du, der du unter deinen Landsleuten einen hohen Rang einnimmst, bist verwundet. Es geschah nicht [256] durch unsere Schuld; aber dennoch trifft uns die Schwere des Gesetzes ...«

»Fürchtet keine Verfolgung,« sagte Vinicius. »Ich schütze euch!«

Crispus wollte ihm nicht erwidern, daß es sich nicht nur um den Präfekten und die Polizei handle, sondern daß er auch zu ihm kein Vertrauen habe und daher Lygia vor seiner ferneren Verfolgung sicherstellen wolle.

»Herr,« sagte er, »dein rechter Arm ist gesund, hier sind Schreibtäfelchen und ein Griffel; schreibe deinen Dienern, daß sie dich heut abend mit einer Sänfte abholen und nach deinem Hause tragen, in dem du dich behaglicher fühlen wirst als inmitten unserer Armut. Wir wohnen hier bei einer armen Witwe, die binnen kurzem mit ihrem Sohne zurückkehren wird; dieser Knabe wird deinen Brief bestellen. Wir aber müssen alle einen anderen Zufluchtsort suchen.«

Vinicius erblaßte; denn er sah ein, daß man ihn von Lygia zu trennen wünschte und daß, wenn er sie jetzt verliere, er sie möglicherweise nie mehr in seinem Leben wiedersehen werde ... Zwar erkannte er, daß sich entscheidende Tatsachen zwischen sie und ihn gestellt hätten, infolge deren er neue Mittel und Wege, sie zu gewinnen, suchen mußte; über diese letzteren nachzudenken, hatte er aber noch keine Zeit gefunden. Ebenso erkannte er, daß, was er auch diesen Leuten sagen mochte, wenn er ihnen auch zuschwur, Lygia zu Pomponia Graecina zurückzubringen, sie ein Recht hätten, seinen Worten nicht zu glauben, und ihnen auch tatsächlich nicht glaubten. Er hätte dies ja schon früher tun können; er hätte, anstatt Lygia zu verfolgen, zu Pomponia gehen und ihr zuschwören können, von der Verfolgung abzulassen; in diesem Falle würde Pomponia selbst das Mädchen aufgesucht und wieder nach Hause gebracht haben. Nein! er fühlte, daß keine seiner Versprechungen sie zurückzuhalten und daß kein Eid sie von seiner Aufrichtigkeit zu überzeugen vermöge, um so weniger, als er nicht Christ war und so nur bei den unsterblichen [257] Göttern schwören konnte, an die er selbst nicht mehr fest glaubte und die sie für böse Geister hielten.

Er bemühte sich jedoch verzweiflungsvoll, sowohl Lygia wie ihren Beschützer – auf irgendwelche Weise – von ihrem Irrtum zu überzeugen, aber dazu brauchte er Zeit. Es kam ihm auch darauf an, sie, wenn auch nur noch wenige Tage sehen zu können. Wie ein Ertrinkender von jedem Stück Holz, von jedem Ruder Rettung hofft, so glaubte er in diesen wenigen Tagen das Wort finden zu können, das ihn ihr näher bringen würde, etwas ausdenken, einen Ausweg ersinnen zu können.

Nach reiflicher Überlegung sagte er daher: »Hört mich an, ihr Christen. Ich war gestern mit euch zusammen im Ostrianum und lernte eure Lehre kennen; aber wenn ich sie auch nicht kennte, so würden eure Taten mir doch beweisen, daß ihr redliche und gute Menschen seid. Sagt daher jener Witwe, die dieses Haus bewohnt, daß sie hier bleiben soll, bleibt auch ihr und gestattet mir ebenfalls zu bleiben. Laßt diesen Mann (dabei blickte er auf Glaukos), der Arzt ist oder sich wenigstens auf die Behandlung von Wunden versteht, sagen, ob man mich heut wegbringen kann. Ich bin krank und habe einen gebrochenen Arm, der noch einige Tage unbeweglich bleiben muß. Und daher erkläre ich euch, daß ich dieses Hauses nicht verlassen werde, es sei denn, daß ihr mich mit Gewalt fortbringt.«

Hier hielt er inne, denn seiner wunden Brust ging der Atem aus; Crispus aber erwiderte: »Nein, Herr, du sollst nicht gegen deinen Willen mit Gewalt fortgeschafft werden, wir wollen nur unseren Kopf in Sicherheit bringen.«

Bei diesem Widerspruche, an den der junge Patrizier nicht gewöhnt war, zog er die Brauen zusammen und antwortete: »Laßt mich etwas zu Atem kommen.«

Nach einer Weile begann er von neuem: »Nach Kroton, den Ursus tötete, wird niemand fragen; er sollte heut nach Benevent gehen, wohin ihn Vatinius berufen hatte. Alle [258] werden somit glauben, er sei dahin gereist. Als ich mit Kroton dieses Haus betrat, hat uns außer einem Griechen, der mit uns im Ostrianum war, niemand gesehen. Ich werde euch sagen, wo er wohnt; bringt ihn zu mir – ich werde ihm Schweigen gebieten, denn er ist von mir bezahlt. Auch in mein Haus will ich einen Brief schicken, daß ich ebenfalls nach Benevent gegangen bin. Wenn der Grieche dem Präfekten schon Anzeige erstattet hat, so werde ich ihm erklären, daß ich Kroton selbst getötet habe und daß er mir den Arm gebrochen hat. Dies werde ich tun bei dem Schatten meines Vaters und meiner Mutter! Daher könnt ihr ruhig hier bleiben, da keinem von euch ein Haar gekrümmt werden soll. Holt mir rasch den Griechen her, er heißt Chilon Chilonides.«

»So soll Glaukos bei dir bleiben, Herr,« sagte Crispus, »und dich gemeinschaftlich mit der Witwe pflegen.«

Vinicius runzelte die Brauen noch stärker.

»Höre, Alter, was ich dir sage,« entgegnete er, »ich bin dir Dank schuldig. Du scheinst ein guter und ehrlicher Mensch zu sein, aber du sprichst nicht offen aus, was du denkst. Du fürchtest, ich könnte meine Sklaven holen lassen und ihnen befehlen, Lygia zu entführen? Ist es nicht so?«

»Ja,« erwiderte Crispus mit tiefem Ernst.

»Dann wisse, daß ich in eurer Gegenwart mit Chilon sprechen, daß ich ebenfalls vor euch allen einen Brief nach Hause schreiben will, daß ich nach Benevent gegangen bin und daß ich mich anderer Boten, als ihr es seid, auch später nicht bedienen werde ... Überlege dir das und reize mich nicht länger.«

Er geriet in Aufregung, und sein Gesicht nahm einen zornigen Ausdruck an; dann fuhr er mit erhobener Stimme fort: »Glaubst du, ich leugne es, daß ich hier zu bleiben wünsche, um sie sehen zu können? Ein Narr müßte dies merken, selbst wenn ich es nicht Wort haben wollte. Aber mit Gewalt werde ich sie nicht mehr entführen. Dir aber will ich etwas anderes sagen. Wenn sie nicht hier bleibt, [259] so reiße ich mir mit dieser meiner gesunden Hand den Verband vom Arme und nehme weder Speise noch Trank zu mir – und dann mag mein Tod auf dich und deine Brüder fallen. Warum hast du mich denn gepflegt, warum hast du mich nicht umbringen lassen?«

Er erblaßte vor Zorn und Kraftlosigkeit. Lygia, die in dem anderen Zimmer das ganze Gespräch mitangehört hatte und die überzeugt war, Vinicius würde seine Drohungen wahr machen, erschrak über seine Worte. Sie wünschte seinen Tod nicht. Verwundet und hilflos, wie er war, erregte er nur noch ihr Mitleid, nicht mehr ihre Furcht. Seit ihrer Flucht unter Leuten weilend, die in beständiger religiöser Begeisterung dahinlebten und nur an Selbstaufopferung, Heiligung und unbegrenzte Nächstenliebe dachten, hatte sie diese neue Anschauungsweise sich selbst schon in einem Maße zu eigen gemacht, daß sie ihr Haus, Familie, das verlorene Glück ersetzte und aus ihr eine jener wunderbaren Jungfrauen machte, die später die alte Welt in ihrem Innersten umgewandelt haben. Vinicius hatte zu tief in ihr Schicksal eingegriffen und ihr zuviel aufgebürdet, als daß sie ihn hätte vergessen können. Ganze Tage lang hatte sie an ihn gedacht und oft zu Gott gefleht, es möchte die Zeit kommen, wo sie den Geboten ihrer Religion zufolge ihm Böses mit Gutem, Verfolgung mit Liebe vergelten, ihn überwinden, für Christus gewinnen und retten könne. Und eben jetzt glaubte sie, sei dieser Augenblick gekommen und ihr Gebet erhört worden.

Sie näherte sich daher Crispus mit begeistertem Blick und sagte in einem Tone, als wenn eine andere Stimme aus ihr spräche: »Crispus, laß ihn bei uns bleiben, und wir wollen bei ihm ausharren, bis Christus ihn wieder gesund macht.«

Der alte Presbyter, gewöhnt, in allem den Wink Gottes zu sehen, glaubte, als er ihre Erregung bemerkte, eine höhere Macht spreche aus ihr, und im Herzen erschreckend, neigte er sein Haupt.

[260] »Es soll geschehen, wie du sagst,« erwiderte er.

Auf Vinicius, der Lygia die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen hatte, machte Crispus' rasches Nachgeben einen wunderbaren und tiefen Eindruck. Es kam ihm vor, als sei Lygia unter den Christen eine Art Sibylle oder Priesterin, der Verehrung und Gehorsam gebühre. Und auch er brachte ihr, wenn auch widerwillig, Verehrung dar. Zu der Liebe, die er für sie empfand, gesellte sich jetzt etwas wie Scheu, der gegenüber ihm seine Liebe mitunter fast als Anmaßung erscheinen wollte. Doch konnte er sich nicht in den Gedanken finden, daß ihr beiderseitiges Verhältnis jetzt gerade umgekehrt war, daß sie jetzt nicht von ihm, sondern er von ihrem Willen abhänge, daß er hier krank, mit zerbrochenen Gliedern liege, daß er aufgehört habe, die angreifende, siegreiche Macht zu sein und daß er wie ein hilfloses Kind auf ihre Pflege angewiesen sei. Für seine stolze, eigenwillige Natur wäre ein solches Verhältnis zu jeder anderen Person geradezu demütigend gewesen – hier empfand er jedoch keine Demütigung, sondern war ihr dankbar als seiner Königin. Solche Gefühle waren bei ihm unerhört, den Tag vorher hätten sie in seiner Brust noch keine Stätte gefunden und hätten ihn sogar jetzt noch in Erstaunen gesetzt, wenn er imstande gewesen wäre, sich klare Rechenschaft von ihnen abzulegen. Aber er grübelte jetzt nicht über die Gründe dieser Umwandlung nach, die ihm als die natürlichste Sache von der Welt vorkam; er fühlte sich nur glücklich, daß er bleiben durfte.

Er wollte ihr danken – außer der Dankbarkeit empfand er noch ein anderes Gefühl, das ihm bis dahin völlig unbekannt gewesen war, daß er nicht zu benennen wußte – denn es war geradezu Unterwürfigkeit. Die vorhergehende Erregung hatte ihn so angegriffen, daß er kein Wort hervorbringen und ihr nur mit den Augen danken konnte, in denen die Freude strahlte, daß er bei ihr bleiben, sie morgen, übermorgen, vielleicht lange Zeit sehen durfte. Zu der Freude [261] gesellte sich nur eine so große Furcht, wieder zu verlieren, was er gefunden hatte, daß er, als Lygia nach einiger Zeit ihm von neuem Wasser zu trinken gab und ihn das Verlangen ankam, ihre Hand zu ergreifen, er sich nicht getraute, es zu tun. Er getraute sich nicht – er, derselbe Vinicius, der beim Feste des Caesars mit Gewalt ihre Lippen geküßt hatte und der sich nach ihrer Flucht zugeschworen hatte, sie an den Haaren ins Cubiculum zu schleifen oder sie peitschen zu lassen.

Vierundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Aber er begann auch zu fürchten, daß irgendwelche unzeitige Hilfe von außen ihm seine Freude stören könne. Chilon konnte den Stadtpräfekten oder die Freigelassenen zu Hause von seinem Verschwinden in Kenntnis setzen, und in diesem Falle war ein Angriff von seiten der Wache wahrscheinlich. Allerdings schoß ihm dabei der Gedanke durch den Kopf, daß er dann den Befehl geben könne, Lygia mitzunehmen, um sie in seinem Hause einzusperren, aber er fühlte, daß er dies nicht tun durfte – und nicht konnte. Er war eigenwillig, trotzig und zur Genüge verderbt, auch unter Umständen unerbittlich, aber er war trotzdem noch kein Tigellinus oder Nero. Das Kriegsleben hatte in ihm eine Art Gerechtigkeits- und Ehrgefühl und so viel Gewissen übriggelassen, um zu erkennen, daß eine solche Handlungsweise erbärmlich und gemein sei.

Mit Verwunderung bemerkte er, daß von dem Augenblicke an, wo Lygia auf seine Seite getreten war, weder sie selbst noch Crispus von ihm irgendwelche Zusicherung verlangten, gleich als seien sie überzeugt, daß im Notfalle eine überirdische Macht ihnen beistehen werde. Vinicius, in dessen Kopfe, seitdem er im Ostrianum die Rede und Unterweisung des Apostels mitangehört hatte, sich der Unterschied zwischen Möglichem und Unmöglichem zu vermischen begann, war jetzt [262] nicht allzuweit von dem Glauben entfernt, daß ein solches Eingreifen möglich sei. Betrachtete er jedoch die Dinge nüchterner, so erinnerte er seine Umgebung selbst daran, was er über den Griechen gesagt hatte, und verlangte von neuem, man möchte ihm Chilon holen.

Crispus war damit einverstanden, und man beschloß, Ursus hinzuschicken. Vinicius, der in den letzten Tage vor dem Besuche des Ostrianums mehrmals, oft, wenn auch vergeblich, Sklaven zu Chilon geschickt hatte, bezeichnete dem Lygier genau dessen Wohnung, dann schrieb er einige Worte auf eine Tafel, gab sie Crispus und sagte: »Ich will ihm eine Tafel schicken, denn er ist ein argwöhnischer und verschlagener Mensch, der oft, wenn ich ihn zu mir rufen wollte, meinen Leuten sagen ließ, er sei nicht zu Hause, und dies immer tat, wenn er für mich keine guten Nachrichten hatte und sich daher vor meinem Zorn fürchtete.«

»Wenn ich ihn finde, so bringe ich ihn mit, ob er will oder nicht,« antwortete Ursus.

Dann nahm er seinen Mantel und entfernte sich eiligst.

Jemand in Rom aufzufinden, war selbst bei den zuverlässigsten Angaben nicht leicht. Aber Ursus besaß in solchen Dingen den Instinkt eines Jägers und zugleich eine genaue Ortskenntnis, so daß er sich nach kurzer Zeit in Chilons Wohnung befand.

Er erkannte ihn jedoch nicht. Vorher hatte er ihn nur einmal in seinem Leben gesehen, und dies auch noch bei Nacht. Im übrigen war dieser dreist und selbstbewußt auftretende alte Mann, der Ursus überreden wollte, Glaukos zu ermorden, diesem vor Schreck jetzt doppelt gebeugten Griechen so unähnlich, daß niemand hätte auf die Vermutung kommen können, diese beiden seien eine und dieselbe Person. Als Chilon denn bemerkte, daß Ursus ihn für einen völlig Fremden hielt, erholte er sich von seiner anfänglichen Bestürzung. Der Anblick des Täfelchens mit Vinicius' Schrift beruhigte ihn noch mehr. Es drohte ihm wenigstens nicht die Gefahr, [263] absichtlich in eine Falle gelockt zu werden. Außerdem dachte er sich, daß die Christen Vinicius offenbar deshalb nicht getötet hätten, weil sie es nicht gewagt hätten, sich an einer so hochstehenden Persönlichkeit zu vergreifen.

»Auch wird mich Vinicius im Notfalle beschützen,« sagte er zu sich selbst, »denn er wird mich nicht zu sich rufen lassen, um mich dem Tode zu weihen.«

Er faßte daher wieder etwas Mut und fragte: »Lieber Mann, hat mein Freund, der edle Vinicius, mir keine Sänfte geschickt? Meine Füße sind geschwollen, und ich kann nicht so weit gehen.«

»Nein,« erwiderte Ursus, »wir gehen zu Fuß.«

»Und wenn ich mich weigere?«

»Tu das lieber nicht, denn du mußt mitkommen.«

»Ich werde mit dir gehen, aber aus freiem Willen. Sonst könnte mich niemand zwingen. Denn ich bin ein freier Mann und ein Freund des Stadtpräfekten. Als Weiser besitze ich auch übernatürliche Kräfte – ich kann Menschen in Bäume und Tiere verwandeln. Aber ich werde mitgehen; gewiß, ich werde mitgehen. Ich will nur einen etwas wärmeren Mantel und eine Mütze holen, damit mich die Sklaven jenes Stadtteils nicht erkennen; denn sonst würden sie uns beständig aufhalten, um mir die Hände zu küssen.«

Mit diesen Worten zog er einen anderen Mantel an und setzte eine breite gallische Mütze auf aus Furcht, Ursus könne seine Gesichtszüge wiedererkennen, wenn sie ins helle Tageslicht hinausträten.

»Wohin führst du mich?« fragte er Ursus unterwegs.

»In das Viertel jenseits des Tibers.«

»Ich bin noch nicht lange in Rom und bin noch nie dort gewesen, aber es wohnen gewiß auch dort Leute, welche die Tugend lieben.«

Ursus, der ein ehrlicher Mann war und von Vinicius gehört hatte, daß der Grieche mit ihm im Ostrianum gewesen war, und ihn dann mit Kroton das Haus, in dem [264] Lygia wohnte, hatte betreten sehen, blieb einen Augenblick stehen und sagte: »Lüge nicht, alter Mann; du warst heute mit Vinicius im Ostrianum und an unserer Tür.«

»Ach so!« erwiderte Chilon; »dann liegt euer Haus jenseit des Tiber? Ich bin noch nicht lange in Rom und weiß daher nicht genau, wie die Stadtteile heißen. Jawohl, lieber Freund! Ich stand an eurem Tor und flehte Vinicius im Namen der Tugend an, nicht hineinzugehen. Ich war auch im Ostrianum. Und weißt du, warum? Seit einiger Zeit arbeite ich an Vinicius' Bekehrung und wünschte, daß er den vornehmsten der Apostel höre. Möge das Licht seine Seele durchdringen und auch die deine. Auch du bist wohl Christ und sehnst den Sieg der Wahrheit über den Irrtum herbei?«

»Jawohl!« entgegnete Ursus ehrfurchtsvoll.

Chilon kehrte sein voller Mut zurück.

»Vinicius ist ein mächtiger Herr,« sagte er, »und ein Freund des Caesars. Oft hört er jedoch noch auf die Einflüsterungen des bösen Geistes; aber wenn ihm nur ein Haar auf dem Haupte gekrümmt wird, so wird der Caesar ihn an allen Christen rächen.«

»Uns schützt eine höhere Macht.«

»Du hast recht; gewiß! Aber was gedenkt ihr mit Vinicius zu tun?« fragte Chilon mit erneuter Unruhe.

»Ich weiß es nicht. Christus gebietet uns Barmherzigkeit.«

»Du hast verständig geantwortet. Denke immer daran, sonst wirst du dereinst in der Hölle braten wie eine Wurst in der Pfanne.«

Ursus seufzte; und Chilon sagte sich, daß er mit diesem Manne, der ihm beim ersten Anblicke so furchtbar vorgekommen war, machen könne, was er wolle.

Da er nun wissen wollte, wie sich die Vorfälle bei der Entführung Lygias abgespielt hätten, fragte er mit der strengen Stimme eines Richters: »Was habt ihr mit Kroton gemacht? Sprich und verhehle mir nichts.«

[265] Ursus seufzte abermals.

»Vinicius wird es dir erzählen.«

»Das heißt, daß du ihn mit einem Messer durchbohrtest oder mit einem Knüttel erschlugst?«

»Ich war waffenlos.«

Der Grieche konnte vor Erstaunen über die übermenschliche Stärke des Barbaren nicht zu sich kommen.

»Möge Pluto ... Das heißt, ich wollte sagen: möge Christus dir verzeihen.«

Eine Zeitlang schritten sie schweigend weiter, dann sagte Chilon: »Ich will dich nicht verraten, aber nimm dich vor den Wachen in acht!«

»Ich fürchte Christus, nicht die Wachen.«

»Und mit Recht. Es gibt kein größeres Verbrechen als den Mord. Ich will für dich beten, aber ich weiß nicht, ob selbst mein Gebet etwas nutzt – es sei denn, daß du das Gelübde tust, nie mehr im Leben jemand auch nur mit dem Finger zu berühren.«

»Ich habe ihn nicht absichtlich getötet,« entgegnete Ursus.

Doch Chilon, der sich für jeden Fall sichern wollte, hörte nicht auf, Ursus gegenüber auch in weiterer Rede den Mord als etwas Abscheuenswertes hinzustellen und seinen Begleiter zum Ablegen des Gelübdes zu drängen. Er fragte auch nach Vinicius, aber der Lygier gab widerwillige Antworten und wiederholte, er würde von Vinicius selber alles erfahren, was er zu wissen nötig hätte. Während sie sich auf diese Weise unterhielten, legten sie die letzte Strecke Weges zurück, die die Wohnung des Griechen von dem Viertel jenseit des Tibers trennte, und befanden sich endlich vor dem Hause. Chilons Herz begann von neuem unruhig zu schlagen. In seiner Furcht glaubte er zu bemerken, als ob Ursus ihn mit einer Art gierigen Ausdrucks zu betrachten beginne. »Es ist ein kleiner Trost für mich,« sagte er zu sich selbst, »wenn er mich unabsichtlich totschlägt; auf jeden Fall wünschte ich, es träfe ihn eine Gliederlähmung und zugleich mit ihm alle Lygier; [266] gewähre mir dies, Zeus, wenn du es vermagst!« Bei diesen Worten hüllte er sich noch fester in seinen gallischen Mantel, indem er wieder holte, er wolle sich vor der Kälte schützen. Als sie sich endlich nach Durchschreitung des Hausflurs und des ersten Hofraums in dem Korridor befanden, der zum Garten des Hauses führte, blieb er plötzlich stehen und sagte: »Laß mich erst zu Atem kommen; sonst kann ich mit Vinicius nicht sprechen und ihm keinen nützlichen Rat erteilen.«

Bei diesen Worten blieb er stehen, denn obgleich er sich sagte, daß ihm keine Gefahr drohe, zitterten ihm doch bei dem Gedanken, jenen geheimnisvollen Leuten, die er im Ostrianum gesehen hatte, gegenübertreten zu müssen, die Beine unter seinem Körper.

Inzwischen begannen aus dem Hause die Töne eines Gesanges an sein Ohr zu schlagen.

»Was ist das?« fragte er.

»Du sagst, du seiest ein Christ, und weißt nicht, daß es bei uns Sitte ist, nach jeder Mahlzeit unseren Erlöser durch Gesang zu preisen?« entgegnete Ursus. »Mirjam muß mit ihrem Sohne schon zurückgekehrt sein, und möglicherweise ist auch der Apostel bei ihnen, denn er besucht die Witwe und Crispus jeden Tag.«

»Führe mich gleich zu Vinicius.«

»Vinicius befindet sich in demselben Zimmer, in dem sich auch alle übrigen aufhalten; denn es ist der einzige größere Raum; die anderen sind dunkle Kammern, die wir nur zum Schlafen benutzen. Wir wollen hineingehen, damit du dich ausruhen kannst.«

Sie traten ein. Im Zimmer war es dunkel, der Abend war trübe und kalt, und der Schimmer der wenigen Kerzen verbreitete nicht genügende Helle. Vinicius ahnte in dem verkappten Manne Chilon mehr, als daß er ihn erkannt hatte. Als dieser jedoch das Bett in der einen Ecke des Zimmers erblickte und Vinicius auf ihm liegen sah, ging er, ohne sich [267] um die anderen zu bekümmern, sofort auf ihn zu – wie in der Hoffnung, in seiner Nähe sicherer zu sein.

»O Herr, warum hast du nicht auf meinen Rat gehört?« rief er mit gerungenen Händen aus.

»Schweige,« erwiderte Vinicius, »und höre mich an!«

Dann begann er scharf in Chilons Augen zu blicken und mit leiser, nachdrücklicher Stimme zu sprechen, als wünsche er, daß Chilon jedes seiner Worte als Befehl auffasse und für immer seinem Gedächtnis einpräge.

»Kroton stürzte sich auf mich, um mich zu ermorden und zu berauben – verstehst du? Ich tötete ihn dann, und diese Leute hier verbanden mir die Wunden, die ich im Kampfe mit ihm erhalten hatte.«

Chilon verstand sofort, daß, wenn Vinicius so sprach, dies nur auf Grund eines Einverständnisses mit den Christen geschehe und daß er in diesem Falle wünsche, daß man ihm Glauben schenke. Er erkannte dies auch aus seinen Zügen und erhob daher, ohne Zweifel oder Erstaunen zu äußern, seine Augen zum Himmel und rief: »Es war ein treuloser Schuft, Herr! Ich warnte dich doch, ihm zu trauen. Aber alle meine Vorstellungen prallten an deinem Kopfe ab wie Erbsen an einer Wand. Im ganzen Hades gibt es keine Qual, die groß genug für ihn wäre. Denn wer nicht ehrlich sein kann, der muß ein Schurke sein, und wem fällt die Ehrlichkeit schwerer als einem Schurken? Aber daß er über seinen Wohltäter und einen so freigebigen Herrn herfallen konnte ... O ihr Götter!«

Hier erinnerte er sich aber, daß er unterwegs sich Ursus gegenüber als Christen ausgegeben hatte, und schwieg.

Vinicius entgegnete: »Ohne den Dolch, den ich bei mir hatte, wäre ich verloren gewesen.«

»Gesegnet sei der Augenblick, wo ich dir riet, ihn mitzunehmen.«

Vinicius warf einen forschenden Blick auf den Griechen und fragte: »Was hast du heute getan?«

[268] »Was ich begonnen habe? Habe ich dir nicht schon gesagt, Herr, daß ich ein Gelübde für deine Genesung getan habe?«

»Weiter nichts?«

»Ich hatte mir eben vorgenommen, dich zu besuchen, als dieser gute Mann hier zu mir kam und sagte, du wünschtest mich zu sprechen.«

»Hier ist eine Schreibtafel. Bringe sie nach meinem Hause, suche meinen Freigelassenen auf und übergib sie ihm. Es steht darin, daß ich nach Benevent verreist bin. Du sagst dem Demas – aber in deinem Namen – daß ich diese Reise heute früh auf einen dringenden Brief des Petronius hin angetreten habe.«

Dann wiederholte er mit Nachdruck: »Ich bin nach Benevent verreist, verstehst du?«

»Du bist verreist, Herr! Heut morgen nahm ich bei der Porta Capena von dir Abschied, und seit deiner Abreise hat mich eine solche Traurigkeit erfaßt, daß, wenn deine Freigebigkeit sie nicht mildert, ich mich zu Tode weine wie das unglückliche Weib des Zethos aus Schmerz über Itylos.«

Obgleich Vinicius krank und an die Geschmeidigkeit des Griechen gewöhnt war, konnte er doch ein Lächeln nicht unterdrücken. Er war außerdem froh, daß Chilon ihn so rasch verstanden hatte, und sagte daher: »Ich will hinzufügen, daß deine Tränen getrocknet sind. Bringe mir eine Kerze her!«

Chilon war jetzt vollkommen beruhigt; er stand auf, ging einige Schritte nach dem Herde zu und nahm von den an der Wand brennenden Kerzen eine herab.

Als ihm aber hierbei die Mütze vom Kopfe glitt und das Licht voll auf seine Züge fiel, sprang Glaukos von seinem Sitze auf, näherte sich ihm rasch und stand nun vor ihm.

»Kennst du mich nicht, Kephas?« fragte er.

In seinem Tone lag etwas so Furchtbares, daß alle Anwesenden ein Schauer überlief.

[269] Chilon erhob die Kerze, und ließ sie fast in demselben Augenblick zur Erde fallen; dann bückte er sich doppelt tief herab und begann zu stöhnen: »Ich bin es nicht ... ich bin es nicht ... Erbarmen!«

Glaukos wandte sich zu den Gläubigen und sagte: »Dies ist der Mann, der mich verraten und mich und meine Familie zugrunde gerichtet hat ...!«

Alle Christen und auch Vinicius kannten seine Geschichte. Letzterer wußte aber nicht, wer jener Glaukos war, weil er während des Anlegens des Verbandes zu wiederholten Malen vor Schmerz ohnmächtig geworden war und daher seinen Namen nicht gehört hatte. Aber für Ursus war der kurze Augenblick, wo er Glaukos' Worte hörte, wie das Aufleuchten eines Blitzes in der Dunkelheit. Er erkannte Chilon und war mit einem Sprunge neben ihm, ergriff ihn am Arme, bog diesen zurück und rief: »Er wollte mich verleiten, Glaukos zu ermorden!«

»Erbarmen,« stöhnte Chilon ... »ich gebe euch ... O Herr,« rief er und wendete sich dabei nach Vinicius um, »rette mich! Ich baue auf dich, stehe mir bei ... Dein Brief ... ich werde ihn überbringen. O Herr, Herr!«

Vinicius jedoch, der diesem Vorgang am gleichgültigsten von allen zusah, erstens, weil er die ganze Schurkerei des Griechen kannte, und zweitens, weil sein Herz nicht wußte, was Mitleid war, sagte: »Begrabt ihn im Garten; den Brief kann ein anderer besorgen.«

Chilon klangen diese Worte wie sein Todesurteil in den Ohren. Seine Gebeine begannen unter den furchtbaren Händen des Lygiers zu zittern, und seine Augen füllten sich vor Angst mit Tränen.

»Bei eurem Gotte! Erbarmen!« rief er, »ich bin Christ, und wenn ihr mir nicht glaubt, so tauft mich noch einmal, noch zweimal, noch zehnmal! Glaukos, es ist ein Irrtum! Laßt mich sprechen! Macht mich zum Sklaven! Tötet mich nicht! Erbarmen ...!«

[270] Seine vor Angst erstickte Stimme wurde immer schwächer. Da erhob sich der Apostel Petrus vom Tische, eine Zeitlang zitterte sein weißes Haupt, das er auf die Brust gesenkt hielt, und seine Augen waren geschlossen; aber nun öffnete er sie und sprach inmitten tiefen Schweigens: »Der Erlöser hat zu uns gesagt: Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, so strafe ihn, und wenn er Reue zeigt, so vergib ihm. Und wenn er siebenmal des Tages gegen dich gesündigt und sich siebenmal an dich gewandt und dich um Verzeihung gebeten hat, so vergib ihm.«

Noch tieferes Schweigen folgte.

Glaukos stand lange da, das Gesicht in seine Hände vergraben, endlich nahm er sie weg und sagte: »Kephas, möge Gott dir das Unrecht vergeben, das du mir zugefügt hast, wie ich es dir im Namen Christi vergebe.«

Ursus ließ die Arme des Griechen los und fügte sofort hinzu: »Möge mir der Erlöser so gnädig sein, wie auch ich dir vergebe!«

Chilon fiel zu Boden, und sich auf seine Hände stützend drehte er den Kopf wie ein in der Schlinge gefangenes wildes Tier hin und her, sah sich nach allen Seiten um, als ob er beobachten wolle, von welcher Seite der tödliche Schlag fallen werde. Seinen Augen und Ohren traute er noch nicht und wagte nicht auf Vergebung zu hoffen.

Langsam kehrte ihm das Bewußtsein zurück; nur seine Lippen zitterten ihm noch vor Entsetzen. Dann sagte der Apostel: »Gehe in Frieden!«

Chilon stand auf, konnte aber noch kein Wort hervorbringen. Unwillkürlich näherte er sich Vinicius' Lager, als suche er bei ihm Schutz, denn er hatte noch keine Zeit gehabt, daran zu denken, daß dieser, obgleich er sich seiner Beihilfe bedient hatte und sein Mitschuldiger war, ihn verurteilt hatte, während gerade diejenigen, gegen welche er gesündigt hatte, ihm vergaben. Dieser Gedanke sollte ihm erst später kommen. Jetzt waren in seinen Zügen nur Erstaunen und[271] Zweifel zu lesen. Obgleich er sah, daß man ihm verziehen hatte, wünschte er doch sobald wie möglich von diesen unbegreiflichen Leuten fortzukommen, deren Güte ihn fast ebenso sehr erschreckte, wie es ihre Grausamkeit getan haben würde. Es war ihm, als müsse sich, wenn er länger bliebe, von neuem etwas Unerwartetes ereignen; daher näherte er sich Vinicius und sagte mit stockender Stimme: »Gib mir den Brief, Herr! gib mir den Brief!«

Er nahm die Tafel, die ihm Vinicius hinreichte, machte vor den Christen eine Verbeugung, eine zweite vor dem Kranken und eilte, sich dicht an die Wand drängend, zur Tür.

Als er in den dunklen Garten hinaustrat, sträubten sich ihm wiederum die Haare auf dem Kopfe vor Furcht, denn er war überzeugt, Ursus würde sich auf ihn stürzen und ihn in der Dunkelheit der Nacht töten. Er wäre mit dem Aufgebot aller Kräfte davongeeilt, aber die Füße versagten ihm den Dienst, im nächsten Augenblicke aber waren sie völlig wie angewurzelt, denn Ursus stand wirklich vor ihm.

Chilon fiel mit dem Gesicht auf die Erde und begann zu stöhnen: »Urban ... im Namen Christi ...«

Aber Urban sagte: »Habe keine Furcht, der Apostel befahl mir, dich bis ans Tor zu bringen, damit du dich in der Dunkelheit nicht verirrst, und wenn du zu schwach bist, dich nach Hause zu begleiten.«

Chilon erhob sein Gesicht.

»Was sagst du, was? ... Du willst mich nicht töten?«

»Nein, ich will dich nicht töten, und wenn ich dich zu rauh angegriffen und dir weh getan habe, so verzeihe mir!«

»Hilf mir aufstehen,« erwiderte der Grieche. »Du wirst mich nicht töten? wie? Begleite mich bis auf die Straße; dann werde ich allein weitergehen.«

Ursus hob ihn von der Erde auf, als wäre Chilon eine Feder, und stellte ihn auf die Füße; dann führte er ihn durch den dunklen Gang auf den zweiten Hof, von dem aus der Weg in den Hausflur und auf die Straße führte. Im [272] Korridor sagte sich Chilon immer wieder von neuem: »Ich bin verloren!« und erst als sie auf die Straße gelangt waren, erholte er sich und sagte: »Ich kann allein weitergehen.«

»Friede sei mit dir!«

»Auch mit dir! auch mit dir! ... Laß mich nur etwas zu Atem kommen!«

Nachdem sich Ursus wieder entfernt hatte, atmete er aus voller Brust auf. Mit den Händen betastete er sich Leib und Hüften, als wolle er sich überzeugen, ob er noch lebe, und ging dann eiligen Schrittes davon.

Aber nachdem er einige Schritte gegangen war, blieb er stehen und fragte sich: »Warum haben sie mich aber nicht getötet?«

Und trotzdem er schon mit Euricius über die christliche Religion gesprochen hatte, trotz seines Gespräches mit Urban am Flusse und trotz allem, was er im Ostrianum gehört hatte, konnte er auf diese Frage keine Antwort finden.

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Auch Vinicius konnte sich keine Rechenschaft von dem Vorgefallenen ablegen und war im Innersten seines Herzens fast nicht minder erstaunt als Chilon. Denn daß diese Menschen ihn so behandelten, wie sie es taten, und statt sich an ihm für seinen Überfall zu rächen, sorgfältig seine Wunden verbanden, schrieb er zum Teil ihrer Religion zu, namentlich aber Lygia und ein wenig auch seiner hohen Stellung. Aber ihr Verhalten gegen Chilon überstieg geradezu seine Begriffe von dem menschlichen Verzeihungsvermögen. Und unwillkürlich drängte sich ihm die Frage auf: warum hatten sie den Griechen nicht getötet? Sie hätten es doch ungestraft tun können. Ursus würde ihn im Garten verscharrt oder nachts in den Tiber geworfen haben, der zu jener Zeit infolge der vielen nächtlichen vom Caesar selbst begangenen Mordtaten so häufig des Morgens Leichen ans Land schwemmte, daß sich niemand [273] darum kümmerte, wer sie hineingeworfen hatte. Außerdem konnten die Christen nach Vinicius' Ansicht nicht nur Chilon töten, sondern sie mußten es sogar tun. Allerdings war das Mitleid der Welt, in welcher der junge Patrizier lebte, nicht gänzlich fremd. Die Athener hatten dem Erbarmen ja einen Altar errichtet und sich lange der Einführung der Gladiatorenkämpfe widersetzt. Auch in Rom kam es vor, daß die Besiegten Gnade erhielten, wie zum Beispiel Callicratus, der König der Britannen, welcher, unter Claudius gefangen genommen und von diesem reichlich versorgt, frei in der Stadt lebte. Aber Rache für selbsterlittenes Unrecht erschien Vinicius wie allen seinen Zeitgenossen als völlig gerechtfertigt. Ein Verzicht darauf war seiner ganzen Anschauungsweise durchaus zuwider. Allerdings hatte auch er im Ostrianum gehört, man solle selbst seine Feinde lieben; er hielt dies aber für eine Theorie, die im Leben nicht durchzuführen sei. Und jetzt noch kam ihm der Gedanke, Chilon sei vielleicht deswegen nicht getötet worden, weil gerade ein Fest oder ein Mondwechsel gefeiert werde, an dem die Christen niemand töten durften. Er hatte gehört, es gebe solche Zeiten, in denen es verschiedenen Völkern nicht einmal gestattet war, einen Krieg zu beginnen. Warum aber überlieferten sie in einem solchen Falle den Griechen nicht dem Arme der Gerechtigkeit, warum sagte der Apostel, daß, wenn jemand siebenmal gesündigt habe, man ihm siebenmal vergeben müsse, und warum hatte Glaukos zu Chilon gesagt: »Möge dir Gott vergeben, wie ich dir vergebe?« Und doch hatte Chilon über ihn das furchtbarste Unglück gebracht, das ein Mensch über den anderen zu bringen vermag, und Vinicius überlief es bei dem bloßen Gedanken daran, was er mit dem tun würde, der zum Beispiel Lygia getötet hätte, siedendheiß: es gäbe keine Qual, die er nicht aus Rache über den Täter verhängen würde. Und dieser verzieh! Und auch Ursus verzieh, er, der in der Tat völlig straflos in Rom jedermann töten konnte, da er nachher nur den König des Haines der Diana zu töten[274] und seine Stelle einzunehmen brauchte. Konnte der Gladiator, der jetzt diese Würde innehatte, zu der er nur durch die Ermordung des früheren Königs gelangt war, diesem Manne, dem Kroton nicht gewachsen gewesen war, Widerstand leisten? Es gab nur eine Antwort auf all diese Fragen. Sie hatten ihn nicht getötet, weil sie eine Herzensgüte besaßen, die so groß war, daß die Welt noch nichts Ähnliches gesehen hatte, und von einer unbegrenzten Menschenliebe erfüllt waren, welche befiehlt, sich selber, selbsterlittenes Unrecht, eigenes Glück und Unglück zu vergessen und nur für andere zu leben. Welche Belohnung diese Menschen dafür zu erwarten hatten, das hatte Vinicius zwar im Ostrianum gehört, aber nicht fassen können. Er fühlte nur, daß ein Leben, welches mit der Pflicht belastet sei, auf alles Schöne und Angenehme zum Besten anderer zu verzichten, ein elendes sein müsse. Was er in diesem Augenblicke für die Christen empfand, war denn auch außer dem größten Erstaunen auch Mitleid und zum Teil sogar Verachtung. Sie kamen ihm wie Schafe vor, die früher oder später von den Wölfen zerrissen werden mußten. Seine Römernatur konnte vor Leuten, die sich auffressen ließen, keine Achtung haben. Namentlich eins befremdete ihn. Nach Chilons Weggang strahlte eine hohe Freude auf aller Antlitz. Der Apostel trat zu Glaukos, legte ihm die Hand aufs Haupt und sagte: »Christus hat in dir gesiegt!«

Der Angeredete erhob die Augen zum Himmel, die so voller Hoffnung und Glückseligkeit waren, als sei ihm ein großes, unerwartetes Glück zugefallen. Vinicius, der nur Freude über gesättigte Rache verstanden hätte, betrachtete ihn mit fieberglänzenden Augen beinahe so, als sehe er einen Wahnsinnigen vor sich. Er bemerkte, und zwar nicht ohne innere Entrüstung, daß Lygia später ihre königlichen Lippen auf die Hand dieses Mannes preßte, der in der äußeren Erscheinung einem Sklaven glich, und es war ihm, als ob sich die Weltordnung völlig umgekehrt habe. Dann kehrte Ursus [275] zurück und begann zu erzählen, daß er Chilon bis auf die Straße gebracht und ihn um Verzeihung für die Schmerzen gebeten habe, die er ihm zugefügt haben könne. Dafür segnete der Apostel auch ihn, und Crispus erklärte, es sei heut ein großer Siegestag. Als Vinicius von einem Siege sprechen hörte, verlor er alles Verständnis für solche Menschen.

Als aber Lygia ihm nach einiger Zeit von neuem zu trinken gab, ergriff er ihre Hand und fragte: »Auch du hast mir also verziehen?«

»Wir sind Christen. Wir dürfen keinen Groll im Herzen hegen.«

»Lygia,« erwiderte er darauf, »was für einen Gott du auch immer haben magst, ich verehre ihn, nur weil er der deine ist.«

Sie entgegnete ihm: »Du wirst ihn aus ganzem Herzen verehren, wenn du ihn kennst.«

»Nur weil er der deine ist ...« wiederholte Vinicius mit schwächer werdender Stimme.

Er schloß die Augen, denn abermals überwältigte ihn tiefe Schwäche.

Lygia ging hinaus, kehrte aber nach einiger Zeit zurück, näherte sich seinem Lager und beugte sich über ihn, um sich zu überzeugen, ob er schlafe. Vinicius empfand ihre Nähe und öffnete lächelnd die Augen. Sie legte jedoch sanft die Hand auf seine Lider, als wolle sie ihn zum Schlafen bringen. Eine unendliche Seligkeit durchströmte ihn, aber zugleich fühlte er sich kränker. Und so war es in der Tat. Die Nacht war schon völlig hereingebrochen, und mit ihr war ein heftiges Fieber gekommen. Aus diesem Grunde konnte er auch nicht schlafen und folgte jeder Bewegung Lygias mit den Augen. Zuweilen fiel er in eine Art Halbschlummer, in dem er alles sah und hörte, was sich um ihn herum zutrug, in dem sich aber auch die Wirklichkeit mit Fieberphantasien mischte. Es war ihm daher, als sehe er auf einem alten verlassenen Friedhofe einen Tempel in Gestalt eines [276] Turmes, in dem Lygia Priesterin war. Er verwendete kein Auge von ihr und erblickte sie auf der Höhe des Turmes, mit einer Laute in der Hand, ganz von Licht umflossen, gleich den Priesterinnen, die nachts dem Monde zu Ehren Hymnen singen und die er im Orient gesehen hatte. Er stieg mit großer Anstrengung die gewundene Treppe empor, um zu ihr zu gelangen; hinter ihm her kletterte Chilon, der mit den Zähnen klapperte und fortwährend wiederholte: »Tu es nicht, Herr, denn sie ist eine Priesterin und Er wird sie rächen ...« Vinicius wußte nicht, wer dieser Er sei, er erkannte aber, daß er einen Tempelraub begehen wolle, und empfand auch eine furchtbare Angst. Als er aber das Geländer erreichte, das oben um den Turm herumlief, stand plötzlich der Apostel mit seinem silbernen Barte bei Lygia und rief: »Rühre sie nicht an, denn sie gehört zu mir!« Bei diesen Worten begann der Apostel gemeinschaftlich mit ihr einen aus Mondstrahlen gebildeten Pfad emporzuklimmen, der bis zum Himmel reichte, während er, Vinicius, die Hände nach ihnen ausstreckte und sie bat, ihn mitzunehmen.

Hier erwachte er, kam zu sich und blickte sich um. Die Flamme auf dem hohen Herde brannte schon trüber, verbreitete aber noch genügend helles Licht. Sie saßen alle um das Feuer herum und wärmten sich, denn die Nacht war frostig und das Zimmer ziemlich kalt. Vinicius sah, wie ihnen der Atem dampfend aus dem Munde drang. In der Mitte saß der Apostel, an seinen Knieen auf einem niedrigen Schemel Lygia, weiterhin Glaukos, Crispus, Mirjam und am äußersten Ende Ursus, ihm gegenüber Nazarius, der Sohn Mirjams, ein Knabe mit hübschem Gesicht und langen schwarzen Haaren, die ihm bis auf die Schultern herabfielen.

Lygia hörte zu, und ihre Augen waren dabei auf den Apostel gerichtet; alle blickten diesen gespannt an, während er halblaut etwas erzählte. Vinicius begann ihn mit einer Art abergläubischer Furcht zu betrachten, die nicht viel geringer war, als seine Angst, die er während seiner Fieberphantasien [277] ausgestanden hatte. Es kam ihm der Gedanke, als habe er im Fieber die Wahrheit empfunden und als werde dieser steinalte Fremdling aus fernem Lande ihm wirklich Lygia rauben und sie auf unbekanntem Pfade irgendwohin entführen. Auch war er überzeugt, der Greis spreche von ihm und erteile vielleicht gerade Ratschläge, wie man ihn von ihr entfernen könne. Es erschien ihm unmöglich, daß jemand von etwas anderem sprechen könne; er nahm daher seine ganze Aufmerksamkeit zusammen und lauschte auf Petrus' Worte.

Aber er hatte sich völlig getäuscht, denn der Apostel sprach wiederum von Christus.

»Sie leben nur in diesem Namen!« dachte Vinicius.

Der Greis erzählte von der Gefangennahme Christi. »Es kam eine Schar Kriegsknechte nebst den Dienern der Priester, um ihn zu fangen. Als der Heiland sie fragte, wen sie suchten, antworteten sie: Jesum von Nazareth. Als er ihnen nun sagte: Ich bin es, fielen sie zur Erde und wagten nicht, Hand an ihn zu legen, und erst nach der zweiten Frage ergriffen sie ihn.«

Hier hielt der Apostel inne, streckte die Hand gegen das Feuer aus und fuhr fort: »Die Nacht war kalt wie heut, aber das Blut kochte in mir; ich zog daher mein Schwert, um ihn zu verteidigen, und hieb einem Diener des Hohenpriesters ein Ohr ab. Ich würde den Herrn tapferer als mein eigenes Leben verteidigt haben, wenn er nicht gesagt hätte: Stecke dein Schwert in die Scheide. Soll ich den Kelch nicht trinken, den mir mein Vater gegeben hat? Darauf ergriffen und fesselten sie ihn ...«

Nach diesen Worten legte er die Hand vor die Augen und schwieg, als wolle er, bevor er weitererzähle, den Sturm der sich in ihm regenden Erinnerungen vorüberlassen. Ursus jedoch konnte sich nicht halten und sprang auf und schürte mit einem Eisen das Feuer auf dem Herde, daß die Funken wie ein goldener Regen umhersprangen und die Flamme heller[278] aufleuchtete; dann setzte er sich wieder und sagte: »Mag es sein, wie es will ... Ha!«

Aber er verstummte plötzlich, denn Lygia hatte den Finger an den Mund gelegt. Er atmete nur schwer, und es war deutlich zu erkennen, daß in seiner Seele ein Sturm tobte und daß er jederzeit bereit war, die Füße des Apostels zu küssen; doch diese eine Handlung konnte er nicht verstehen; denn hätte es einer gewagt, die Hand gegen den Erlöser zu erheben, und wäre er in jener Nacht bei ihm gewesen, hei, so hätte er die Kriegsknechte samt den Dienern der Priester und den Mägden in Stücke zerrissen. Tränen traten ihm in die Augen nur bei dem Gedanken daran; zugleich erhob sich in seinem Innern ein schmerzlicher Zwiespalt, denn einerseits mußte er daran denken, daß er nicht nur den Heiland geschützt, sondern ihm auch noch die tapferen Lygier zu Hilfe gerufen haben würde, andererseits, daß er durch diese Handlungsweise dem Heiland ungehorsam geworden wäre und die Erlösung der Welt vereitelt hätte.

Und daher konnte er seine Tränen nicht zurückhalten.

Nach einiger Zeit entfernte Petrus die Hand von der Stirn und fuhr in seiner Erzählung fort, Vinicius aber war von neuem in einen fieberhaften Halbschlummer gefallen. Was er jetzt hörte, vermischte sich mit dem, was der Apostel die Nacht zuvor im Ostrianum von jenem Tage berichtet hatte, an dem Christus am Ufer des Sees Tiberias erschienen war. Er sah eine weite Wasserfläche vor sich und auf dieser einen Kahn, in dem Petrus und Lygia saßen. Er selbst schwamm ihnen mit Aufbietung aller Kräfte nach, aber der Schmerz in dem gebrochenen Arme hinderte ihn, sie zu erreichen. Der Sturm warf ihm Wellen ins Gesicht; er begann zu sinken und bat flehentlich um Rettung. Lygia fiel darauf vor dem Apostel auf die Kniee, dieser wendete den Kahn und reichte ihm ein Ruder hin, das er ergriff. Unterstützt von den beiden gelangte er in den Kahn und fiel zu Boden.

[279] Dann war es ihm, als sei er wieder aufgestanden und sehe eine große Menschenmenge hinter dem Kahne herschwimmen. Die Wogen überspritzten die Köpfe der Schwimmenden mit Schaum, nur hier und da streckten sich Hände aus dem aufgewühlten Wasser empor. Petrus aber rettete nach und nach die Ertrinkenden und zog sie in den Kahn, der sich wie durch ein Wunder immer mehr vergrößerte. In kurzem war dieser von einer so zahlreichen Menschenmenge angefüllt, wie sie im Ostrianum versammelt gewesen war, und bald von einer noch größeren. Vinicius wunderte sich, wie so viele Menschen in dem Kahne Platz finden konnten, und fürchtete, sie möchten alle untergehen. Lygia jedoch sprach ihm Mut zu und wies auf ein Licht am fernen Ufer hin, auf das sie zutrieben. Hier vermischten sich die Traumbilder wieder mit dem, was Vinicius im Ostrianum aus dem Munde des Apostels von der Erscheinung Christi am See gehört hatte. In jenem Lichte am Ufer erblickte er jetzt eine Gestalt, auf die Petrus zusteuerte. Je näher sie ihr kamen, desto ruhiger wurde die Luft, desto glatter der See, desto größer das Licht. Die Menge begann süße Hymnen zu singen, Nardenduft schwebte über dem Wasser, die Flut schimmerte in Regenbogenfarben, auf dem Grunde sproßten Lilien und Rosen, und endlich landete der Kahn sanft an dem sandigen Ufer. Nun ergriff Lygia Vinicius bei der Hand und sagte: »Komm, ich will dich leiten.« Und sie führte ihn dem Lichte zu. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Vinicius erwachte wieder, doch die Traumbilder schwanden nicht sofort, und nur allmählich kehrte ihm das Bewußtsein der Wirklichkeit zurück. Eine Zeitlang glaubte er sich noch auf dem See zu befinden, umgeben von einer Menschenmenge, unter der er, er wußte selbst nicht warum, Petronius zu suchen begann, erstaunt, ihn nicht finden zu können. Das helle Feuer auf dem Herde, bei dem niemand mehr saß, machte ihn völlig munter. Stücke Olivenholz schwelten langsam unter der zusammengehäuften Asche, [280] und Pinienspäne, die augenscheinlich erst vor kurzem in die Glut geschüttet worden waren, loderten mit heller Flamme empor, und in deren Lichte erblickte Vinicius Lygia, die nicht weit von seinem Lager entfernt saß.

Ihr Anblick erschütterte ihn bis in die Tiefen seiner Seele. Er erinnerte sich daran, daß sie die vergangene Nacht im Ostrianum zugebracht und den ganzen Tag hindurch sich seiner Pflege gewidmet hatte. Und jetzt, wo sich alle zur Ruhe begeben hatten, verweilte sie allein an seinem Lager. Es war leicht zu erkennen, daß sie sehr ermüdet sein mußte, denn sie saß unbeweglich da und hielt die Augen geschlossen. Vinicius wußte nicht, ob sie schlief oder in Gedanken vertieft war. Er betrachtete ihr Profil, ihre gesenkten Lider, ihre auf dem Schoß ruhenden Hände, und in seinem heidnischen Geiste begann sich die Erkenntnis, wenn auch mühsam, Bahn zu brechen, daß es neben der unbekleideten, selbstbewußten und auf ihre körperliche Erscheinung stolzen griechischen und römischen Schönheit in der Welt noch eine andere, neue, unendlich keusche, seelenvolle gebe.

Er konnte sich nicht entschließen, dies christliche Schönheit zu nennen; doch konnte er, wenn er an Lygia dachte, sie nicht mehr von der Religion trennen, deren Anhängerin sie war. Er sagte sich sogar, wenn alle anderen zur Ruhe gegangen waren und Lygia allein, sie, die er auf das tödlichste beleidigt hatte, bei ihm wachte, so könne dies nur daher kommen, daß ihre Religion dies gebiete. Obgleich dieser Gedanke ihn mit Bewunderung für diese Religion erfüllte, war er ihm doch zugleich unangenehm. Er hätte es lieber gesehen, wenn Lygia aus Neigung zu ihm, seinem Antlitze, seinen Augen, seiner prächtigen Erscheinung, kurz aus den Gründen so gehandelt hätte, aus denen mehr als einmal schneeige Arme von Griechinnen und Römerinnen ihn umschlungen hatten.

Plötzlich jedoch kam ihm die Empfindung, daß ihr etwas mangeln würde, wenn sie so wäre wie die übrigen Frauen. [281] Dann staunte er und wußte selbst nicht, was sie aus ihm gemacht habe, denn er fühlte, wie neue Empfindungen und neue Anschauungen in ihm Platz griffen, die der Welt, in welcher er bisher gelebt hatte, völlig fremd waren.

Jetzt schlug sie die Augen auf, und als sie Vinicius' Blick auf sich gerichtet sah, trat sie zu ihm und sagte: »Ich bin bei dir.«

»Ich habe im Traume deine Seele gesehen,« erwiderte er.

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Am folgenden Morgen erwachte er, zwar noch schwach, aber mit kühlem Kopfe und ohne Fieber. Es war ihm, als sei er durch ein leises Gespräch geweckt worden, als er sich aber umsah, war Lygia nicht mehr bei ihm im Zimmer. Nur Ursus kniete vor dem Kamine, scharrte die ausgebrannte Asche beiseite und suchte nach etwas Glut unter ihr. Als er sie gefunden hatte, begann er die Kohlen anzufachen; er tat dies aber nicht mit dem Munde, sondern mit dem Blasebalg eines Schmiedes. Vinicius, der sich daran erinnerte, daß dieser Mann am Tage zuvor Kroton erwürgt habe, betrachtete mit der dem Liebhaber der Arena eigenen Aufmerksamkeit seinen riesigen Rücken, der dem eines Kyklopen glich, sowie seine mächtigen wie Säulen aussehenden Glieder.

»Ich danke dem Merkur, daß er mir das Genick nicht gebrochen hat,« dachte er bei sich. »Bei Pollux! wenn die übrigen Lygier ihm gleichen, so werden die Legionen an der Donau mit ihnen noch schwere Arbeit zu tun bekommen!«

Laut aber sagte er: »He, Sklave!«

Ursus zog seinen Kopf aus dem Kamine heraus und sagte mit einem beinahe freundlichen Lächeln: »Gott gebe dir einen guten Tag, Herr, und gute Gesundheit; aber ich bin ein freier Mann und kein Sklave.«

Auf Vinicius, der Lust hatte, Ursus über Lygias Vaterland auszuforschen, machten diese Worte einen angenehmen [282] Eindruck, denn ein Gespräch mit einem freien, wenn auch einfachen Manne verstieß weniger gegen seine Würde als Römer und Patrizier als ein Gespräch mit einem Sklaven, in dem weder das Gesetz noch die Sitte ein menschliches Wesen anerkannten.

»Du gehörst also nicht Aulus?« fragte er.

»Nein, Herr; ich diene Kalline, wie ich ihrer Mutter gedient habe, aber als freier Mann.«

Dabei steckte er seinen Kopf wieder in den Kamin, um die Kohlen anzufachen, auf die er vorher etwas Holz gelegt hatte; dann drehte er sich wieder um und sagte: »Bei uns gibt es keine Sklaven!«

Vinicius fragte nun: »Wo ist Lygia?«

»Sie hat eben erst das Zimmer verlassen, und ich soll dir dein Frühstück bereiten. Sie hat die ganze Nacht bei dir gewacht.«

»Warum hast du sie nicht abgelöst?«

»Sie wollte es nicht, und ich habe zu gehorchen.«

Seine Stirn verdüsterte sich, und er fuhr nach einiger Zeit fort: »Hätte ich ihr nicht gehorcht, so wärest du nicht mehr am Leben.«

»Tut es dir leid, daß du mich nicht getötet hast?«

»Nein, Herr. Christus verbietet das Töten.«

»Aber Atacinus und Kroton?«

»Ich konnte nicht anders,« murmelte Ursus. Und dann begann er wie mit Bedauern auf seine Hände zu blicken, die heidnisch geblieben waren, wenn auch sein Herz das Christentum angenommen hatte.

Er stellte einen Topf auf einen Rost und rückte ihn ans Feuer; dann sah er nachdenklich in die Flammen.

»Es war übrigens deine Schuld, Herr; warum strecktest du die Hand nach ihr, einer Königstochter, aus?«

Im ersten Augenblicke bäumte sich Vinicius' Stolz dagegen auf, daß ein einfacher Mann, der noch dazu ein Barbar war, es nicht nur wagte, so vertraulich mit ihm zu reden, [283] sondern ihn auch zu tadeln. Zu den außergewöhnlichen und unglaublichen Dingen, die er seit gestern erlebt hatte, kam noch dieses hinzu. Da er aber schwach war und seine Sklaven nicht zur Hand hatte, bezwang er sich, allerdings nur, weil der Wunsch, etwas Näheres über Lygias Leben zu erfahren, überwog.

Nachdem er daher etwas ruhiger geworden war, begann er sich nach dem Kriege der Lygier gegen Vannius und die Sueven zu erkundigen. Ursus erzählte gern, konnte aber zu dem, was Vinicius seinerzeit von Aulus Plautius erfahren hatte, nicht viel Neues hinzufügen. Ursus hatte in der Schlacht nicht mitgekämpft, denn er hatte die Geiseln in Atelius Histers Lager begleitet. Er wußte nur, daß die Lygier die Sueven und Jazygen geschlagen hatten, aber nicht, daß ihr Heerführer und König unter den Pfeilen der Jazygen gefallen war. Unmittelbar darauf hatten sie die Nachricht erhalten, daß die Semnonen an ihren Grenzen die Wälder in Brand gesteckt hätten; sie waren eiligst umgekehrt, um diese Kränkung zu rächen, und hatten die Geiseln bei Atelius zurückgelassen, der ihnen anfangs königliche Ehren erweisen ließ. Später starb Lygias Mutter. Der römische Befehlshaber wußte nicht, was er mit dem Kinde anfangen sollte. Ursus wollte mit ihm nach der Heimat fliehen, aber die Wege dahin waren durch wilde Tiere und feindliche Stämme unsicher gemacht. Als daher die Nachricht eintraf, daß sich lygische Gesandte bei Pomponius befänden, um ihm Hilfe gegen die Markomannen anzubieten, schickte Hister beide zu Pomponius. Als sie aber bei ihm anlangten, erfuhren sie, daß keine Gesandten da waren, und auf diese Weise blieben sie im Lager. Pomponius nahm sie mit nach Rom und übergab, nachdem er seinen Triumph gefeiert hatte, das Kind seiner Gattin, Pomponia Graecina.

Obgleich in dieser Erzählung nur sehr wenig enthalten war, was Vinicius nicht schon wußte, so hörte er ihr doch mit Genugtuung zu, denn es schmeichelte seinem ungemessenen [284] Familienstolze, daß ein glaubwürdiger Zeuge Lygias königliche Abkunft bestätigte. Als Tochter eines Königs konnte sie am Hofe des Caesars die gleiche Stellung einnehmen wie die Töchter der vornehmsten Häuser, um so mehr, als das Volk, dessen König ihr Vater gewesen war, bisher mit Rom noch keinen Krieg geführt hatte, aber, obgleich es zu den Barbaren gehörte, sehr wohl gefährlich werden konnte, da es nach den Berichten Atelius Histers selbst eine zahllose Heeresmacht besaß.

Dieses Zeugnis bestätigte übrigens auch Ursus, denn auf Vinicius' Frage nach den Lygiern erwiderte er: »Wir leben in den Wäldern, besitzen aber so viel Land, daß niemand weiß, wo die Wildnis zu Ende ist, und ein zahlreiches Volk wohnt darin. Es gibt in den Wäldern auch hölzerne Städte, in denen großer Reichtum herrscht, denn was die Semnonen, Markomannen, Vandalen und Quaden in der ganzen Welt zusammenrauben, das nehmen wir ihnen wieder ab. Sie wagen auch nicht, bei uns einzufallen, bei günstigem Winde stecken sie aber unsere Wälder in Brand. Wir fürchten weder sie noch den römischen Caesar.«

»Die Götter haben den Römern die Weltherrschaft verliehen,« entgegnete Vinicius stolz.

»Die Götter sind böse Geister,« antwortete Ursus einfach, »und wo es keine Römer gibt, dort gibt es auch keine Weltherrschaft.«

Er sah in das Feuer und sprach wie zu sich selber: »Als der Caesar Kalline an den Hof berief und ich glaubte, es könne ihr ein Leid zustoßen, da wollte ich heim nach den Wäldern gehen und die Lygier der Königin zu Hilfe rufen. Und die Lygier würden nach der Donau gezogen sein, denn es ist ein gutes Volk, wenn auch heidnisch. Und dann hätte ich ihnen die frohe Botschaft 1 gebracht. Sowie aber Kalline zu Pomponia zurückkehrt, will ich mich ihr zu Füßen werfen[285] und sie bitten, mich zu ihnen gehen zu lassen, denn Christus ist so weit von ihnen geboren worden, und sie haben noch nicht das geringste von ihm gehört. Er hat besser als ich gewußt, wo er geboren werden müsse; wäre er aber in unseren Wäldern zur Welt gekommen, so hätten wir ihn sicher nicht gemartert, sondern hätten das Christuskind gehütet und gepflegt und dafür gesorgt, daß es ihm nie an Wildbret, Pilzen, Biberfellen und Bernstein gefehlt hätte. Was wir bei den Sueven oder Markomannen geraubt hätten, hätten wir ihm gegeben, damit es in Reichtum und Überfluß dahin lebe.«

Bei diesen Worten rückte er den Topf mit dem Frühstück für Vinicius ans Feuer und schwieg dann. Seine Gedanken schweiften offenbar die ganze Zeit über bis in die lygische Wildnis; erst als der Trank zu sieden begann, goß er ihn in eine flache Schüssel, ließ ihn sorgfältig abkühlen und sagte: »Glaukos rät, du möchtest auch den Arm, der dir gesund geblieben ist, möglichst wenig bewegen; daher hat Lygia mir befohlen, dir das Frühstück zu reichen.«

Lygia hatte es befohlen! Dagegen gab es keinen Widerspruch. Auch Vinicius kam es nicht in den Sinn, sich gegen ihren Willen aufzulehnen, als sei sie die Tochter des Caesars oder eine Göttin; er erwiderte daher kein Wort, und Ursus, der sich auf sein Bett gesetzt hatte, begann das Getränk aus der Schüssel in eine kleinere Schale zu gießen und diese Vinicius an den Mund zu setzen. Er tat dies so sorgsam und mit einem so freundlichen Lächeln in seinen blauen Augen, daß Vinicius seinen Sinnen kaum traute, dies könne derselbe schreckliche Titane sein, der am Tage zuvor Kroton erwürgt, auch ihn selbst mit der Gewalt eines Orkans erfaßt und in Stücke zerrissen hätte, wenn Lygia sich seiner nicht erbarmt hätte. Zum erstenmal in seinem Leben begann der junge Patrizier darüber nachzudenken, was in der Brust eines einfachen Mannes, eines Dieners, eines Barbaren vorgehen möge.

[286] Ursus erwies sich aber als eine ebenso ungeschickte wie sorgsame Wärterin. Die Schale verschwand vollständig zwischen seinen herkulischen Fingern, so daß für Vinicius' Mund kein Platz übrig blieb. Nach einigen ungeschickten Versuchen wurde der Riese ganz verlegen und sagte: »Ei, es wäre leichter, einen Auerochsen aus dem Walde zu schleppen.«

Vinicius belustigte sich über die Verlegenheit des Lygiers; die letztere Äußerung erregte aber nicht weniger seine Aufmerksamkeit. Er hatte im Zirkus den furchtbaren »Ur« aus den Wildnissen des Nordens gesehen, dem sich selbst die kühnsten Bestiarii nur mit Zittern nahten und der nur dem Elefanten an Größe und Stärke nachstand.

»Hast du schon versucht, diese Tiere an den Hörnern zu packen?« fragte er erstaunt.

»Während der ersten zwanzig Winter meines Lebens hatte ich Furcht,« erwiderte Ursus, »aber dann ist es oft geschehen.«

Und er begann von neuem Vinicius die Schale zu reichen, aber noch ungeschickter als vorher.

»Ich muß Mirjam oder Nazarius darum bitten,« sagte er.

Aber jetzt zeigte sich Lygias blasses Antlitz hinter dem Vorhange.

»Ich werde sofort helfen,« sagte sie.

Nach kurzer Zeit trat sie aus dem Cubiculum, wo sie sich offenbar soeben hatte zur Ruhe begeben wollen, denn sie trug nur eine einfache, die Brust eng umspannende Tunica, welche von den Alten Capitium genannt wurde, und aufgelöstes Haar. Vinicius, dessen Herz bei ihrem Anblicke schneller schlug, machte ihr Vorwürfe, daß sie bisher noch nicht daran gedacht hatte, schlafen zu gehen; sie antwortete jedoch heiter: »Ich wollte es eben tun, aber zuerst werde ich Ursus' Stelle vertreten.«

Sie nahm die Schale, setzte sich auf den Rand des Bettes und gab Vinicius zu trinken, der darüber zugleich gerührt und entzückt war. Als sie sich über ihn beugte und er die Wärme ihres Körpers spürte, während ihre aufgelösten Haare [287] ihm auf die Brust fielen, erblaßte er vor innerer Erregung, wurde sich aber in dieser Verwirrung zugleich bewußt, daß es für ihn ein über alles teures und geliebtes Wesen gebe, im Vergleich zu dem die ganze Welt nichts sei. Zuerst hatte er sie nur begehrt, jetzt begann er sie aus ganzem Herzen zu lieben. Früher war er in seinem ganzen Sinnen und Trachten wie alle seine Zeitgenossen ein blinder, rücksichtsloser Egoist gewesen, dem es nur um sich zu tun war, jetzt lag ihm auch ihr Wohl am Herzen.

Er bat sie daher auch bald, sich nicht länger seinetwegen zu bemühen, und obgleich er bei ihrem Anblick und in ihrer Gegenwart ein nie gefühltes Glück genoß, sagte er doch zu ihr: »Es ist genug. Gehe zur Ruhe, meine Göttin.«

»Nenne mich nicht so,« entgegnete sie, »ich darf so etwas nicht hören.«

Dabei lächelte sie ihm aber freundlich zu und erklärte ihm dann, der Schlaf habe sie geflohen, sie fühle auch keine Müdigkeit und werde nicht eher zur Ruhe gehen, als bis Glaukos komme. Ihre Worte klangen ihm wie Musik in den Ohren, und zugleich füllte sich sein Herz mit immer größerer Rührung, immer größerem Entzücken und immer größerer Dankbarkeit, und der Gedanke kam ihm, ob er ihr diese dankbare Gesinnung nicht zeigen solle.

»Lygia,« begann er nach einer kurzen Pause, »ich habe dich vorher nicht gekannt. Jetzt aber weiß ich, daß ich dich auf falschem Wege zu erringen suchte, und daher sage ich dir: Kehre zu Pomponia Graecina zurück und sei überzeugt, daß ich fortan nie wieder die Hand nach dir ausstrecken werde.«

Ihr Gesicht wurde plötzlich traurig.

»Ich wäre glücklich,« entgegnete sie, »wenn ich sie nur von ferne erblicken könnte, aber ich darf nicht mehr zu ihr zurück?«

»Warum nicht?« fragte Vinicius erstaunt.

»Wir Christen wissen durch Akte, was auf dem Palatin vorgeht. Hast du nicht gehört, daß der Caesar bald nach [288] meiner Flucht, aber noch vor seiner Abreise nach Neapel Aulus und Pomponia zu sich beschied und ihnen in der Meinung, sie seien mir behilflich gewesen, mit seinem Zorne drohte. Zum Glück konnte ihm Aulus antworten: Du weißt, Herr, daß noch nie eine Lüge über meine Lippen gekommen ist; ich schwöre dir, daß wir ihre Flucht nicht begünstigt haben und daß wir auch nicht wissen, was aus ihr geworden ist. Der Caesar glaubte ihm und vergaß dann die Angelegenheit. Auch ich habe auf den Rat der Ältesten der Mutter meinen Aufenthaltsort nicht mitgeteilt, damit sie immer getrost schwören kann, sie wisse nichts von mir. Du kannst das nicht verstehen, Vinicius, aber die Lüge ist uns nicht gestattet, selbst wenn es sich um das Leben handelt. Dies gebietet unsere Religion, nach der wir unsere Herzen zu bilden bestrebt sind; und daher habe ich auch Pomponia nicht wiedergesehen, seitdem ich ihr Haus verließ; nur kommen ihr von Zeit zu Zeit verstohlene Andeutungen aus der Ferne zu, daß ich noch lebe und in Sicherheit bin.«

Die Sehnsucht überwältigte sie; ihre Augen füllten sich mit Tränen, aber bald faßte sie sich und sagte: »Ich weiß, daß auch Pomponia sich nach mir sehnt; aber wir besitzen unsere Tröstungen, die andere nicht haben.«

»Ja,« entgegnete Vinicius, »euer Trost ist Christus, aber ich verstehe das nicht.«

»Sieh auf uns: für uns gibt es keine Trennung, keinen Schmerz, kein Leiden, und wenn sie doch an uns herantreten, so verwandeln sie sich in Freude. Und der Tod selbst, der für euch das Ende des Lebens ist, ist für uns nur dessen Anfang und der Austausch eines niedrigeren Glückes gegen ein höheres, eines minder beständigen gegen ein bleibendes, ewiges. Du siehst, was das für eine Religion sein muß, die uns selbst gegen unsere Feinde Liebe gebietet, uns vor der Lüge schützt, unsere Seelen vom Bösen läutert und uns nach dem Tode unendliche Seligkeit verheißt.«

[289] »Ich habe diese Lehren im Ostrianum gehört und dann selbst erfahren, wie ihr gegen mich und Chilon gehandelt habt, und wenn ich daran denke, so kommt es mir bis jetzt vor, als sei es ein Traum und als könne ich weder meinen Ohren noch meinen Angen trauen. Aber beantworte mir eine andere Frage: bist du glücklich?«

»Ja,« entgegnete Lygia. »Wer an Christus glaubt, kann nicht unglücklich sein.«

Vinicius betrachtete sie mit einem Ausdruck, als übersteige das Gehörte jedes Maß menschlicher Fassungskraft.

»Und möchtest du nicht zu Pomponia zurückkehren?«

»Von ganzer Seele wünschte ich es, und ich werde auch zu ihr zurückkehren, wenn es Gottes Wille ist.«

»Ich sage dir daher: kehre zurück, und ich schwöre dir bei meinen Laren, daß ich nie wieder die Hand nach dir ausstrecken werde.«

Lygia dachte einen Augenblick nach und erwiderte dann: »Nein. Ich kann die mir Nahestehenden nicht in Gefahr bringen. Der Caesar liebt Plautius und seine Familie nicht. Kehrte ich zurück – du weißt, wie durch die Sklaven jede Neuigkeit in Rom herumkommt – so würde meine Rückkehr sofort zum Stadtgespräch werden, und auch Nero würde sie durch seine Sklaven unzweifelhaft erfahren. Dann würde er Aulus und Pomponia bestrafen und mich ihnen zum mindesten ein zweites Mal fortnehmen lassen.«

»Ja,« sagte Vinicius stirnrunzelnd, »das wäre möglich. Er würde es tun, wenn auch nur deswegen, um zu beweisen, daß sein Wille zu geschehen habe. Es ist wahr, er hat dich nur deswegen vergessen oder will sich deiner nicht mehr erinnern, weil der Verlust nicht ihn, sondern mich getroffen hat. Aber vielleicht würde er ... wenn er dich Aulus und Pomponia fortgenommen hätte ... dich mir übergeben, und ich würde dich zu Pomponia zurückbringen.«

Doch sie entgegnete voller Niedergeschlagenheit: »Vinicius, möchtest du mich noch einmal auf dem Palatin sehen?«

[290] Er biß die Zähne zusammen und erwiderte. »Nein! Du hast recht. Ich sprach töricht! Nein!«

Und plötzlich tat sich vor seinen Augen gleichsam ein bodenloser Abgrund auf. Er war ein Patrizier, ein Kriegstribun, ein mächtiger Mann; aber über allen Mächten der Welt, der er angehörte, stand ein Wahnsinniger, dessen Launen und Verbrechen unmöglich vorherzusehen waren. Nur Leute wie die Christen brauchten sich weder um ihn zu kümmern noch ihn zu fürchten, denn für sie war diese ganze Welt, der Trennungsschmerz, Leiden und selbst der Tod bedeutungslos. Alle anderen mußten vor ihm zittern. Das Grausige der Zeit, in der er lebte, kam Vinicius jetzt voll zum Bewußtsein. Er konnte Lygia Aulus und Pomponia nicht zurückgeben, aus Furcht, das Ungeheuer könne sich ihrer erinnern und seinen Zorn an ihr auslassen; aus demselben Grunde würde er, falls er Lygia zum Weibe nähme, möglicherweise sie, sich und Aulus derselben Gefahr aussetzen. Ein Augenblick schlechter Laune würde hinreichen, sie alle ins Verderben zu stürzen. Zum erstenmal in seinem Leben empfand Vinicius, daß die Welt von Grund aus umgestaltet oder das Leben überhaupt zu einer Unmöglichkeit werden müsse. Er verstand auch, was ihm kurz vorher noch unfaßbar gewesen war, daß in solchen Zeiten nur die Christen glücklich sein konnten.

Vor allem aber quälte ihn die Reue; denn er sah wohl, daß er selbst sein und Lygias Leben in einer Weise zerrüttet habe, daß sich aus diesem Wirrsal kaum ein Ausweg fand. Und unter dem Eindruck dieser Reue begann er: »Weißt du, daß du glücklicher bist als ich? Du hattest in deiner Armut und in diesem einen Zimmer mitten unter schlichten Leuten deine Religion und deinen Christus; ich aber habe nur dich, und als du mir fehltest, war ich wie ein Bettler ohne ein Obdach über seinem Kopfe und ohne Brot. Du bist mir teurer als die ganze Welt. Ich suchte dich, denn ich konnte ohne dich nicht leben. Ich mochte nicht essen, nicht schlafen. [291] Hätte ich nicht die Hoffnung gehabt, dich zu finden, so hätte ich mich in mein Schwert gestürzt. Aber ich fürchte mich vor dem Tode, denn dann könnte ich dich nicht mehr sehen. Ich sage dir die reine Wahrheit, daß ich ohne dich nicht zu leben vermag und daß mich bisher nur die Hoffnung aufrechterhalten hat, dich zu finden und wieder zu erreichen. Erinnerst du dich noch an unsere Unterredung in Aulus' Hause? Einmal zeichnetest du mir einen Fisch in den Sand, ohne daß ich die Bedeutung davon kannte. Erinnerst du dich noch daran, wie wir Ball spielten? Ich liebte dich schon damals mehr als mein Leben, und auch du begannst es zu ahnen, daß ich dich liebte ... Dann kam Aulus hinzu, erschreckte uns mit Libitina und unterbrach unser Gespräch. Beim Abschiede sagte Pomponia Petronius, daß Gott alleinig, allmächtig und allliebend sei, aber der Gedanke kam uns nicht, daß Christus euer Gott sei. Schenkt er dich mir, so will ich ihn lieben, obschon er mir ein Gott der Sklaven, Fremdlinge und Bettler zu sein scheint. Du sitzest hier bei mir und denkst nur an ihn. Denke auch an mich, denn sonst werde ich ihn hassen. Für mich bist du die einzige Gottheit. Gesegnet sei dein Vater und deine Mutter, gesegnet das Land, das dich geboren hat. Ich möchte deine Füße umschlingen und zu dir beten, dir Huldigung, Opfer und selbst kniefällige Verehrung darbringen, du dreimal Göttliche! Du weißt es nicht, du kannst es nicht wissen, wie heiß ich dich liebe ...«

Bei diesen Worten legte er die Hand an seine bleiche Stirn und schloß die Augen. Seine Natur kannte keine Schranken, weder im Zorne noch in der Liebe. Er sprach mit Begeisterung, wie jemand, der die Herrschaft über sich selbst verloren hat und nun kein Maß mehr kennt, weder in Worten noch im Rausche seiner Gefühle. Aber er sprach aus der Tiefe seiner Seele und seines Herzens heraus. Es war unverkennbar, daß die Fülle des Schmerzes, des Entzückens, des Verlangens, der Ehrfurcht, die sich in seiner Brust angesammelt hatte, sich nun endlich in unaufhaltsamem Wortstrome [292] Bahn gebrochen hatte. Lygia erschienen diese Worte als gotteslästerlich, und doch begann ihr Herz zu schlagen, als wolle es die ihre Brust verhüllende Tunika sprengen. Sie konnte sich des Mitleids mit ihm und seinem Kummer nicht erwehren. Die Ehrfurcht, mit der er zu ihr sprach, rührte sie. Sie fühlte sich grenzenlos geliebt und vergöttert, sie fühlte, daß dieser unbeugsame und gefährliche Mann ihr jetzt mit Leib und Seele gehöre wie ein Sklave, und dieses Bewußtsein seiner Unterordnung und ihrer eigenen Macht über ihn erfüllte sie mit Glückseligkeit. Zugleich wurden ihre Erinnerungen lebendig. Wieder stand er vor ihr, jener glänzende Vinicius, schön wie ein heidnischer Gott, der in Aulus' Hause zu ihr von Liebe gesprochen und ihr noch halb kindliches Herz damals aus seinem Schlummer geweckt hatte; dessen Küsse sie noch auf ihrem Munde fühlte und aus dessen Umarmung Ursus sie auf dem Palatin mit demselben Ungestüm gerissen hatte, wie wenn sie rings von Flammen umgeben gewesen wäre. Jetzt aber, mit dem Entzücken und Schmerz in seinen Adlerzügen, mit der blassen Stirn und dem flehenden Blick seiner Augen, verwundet, durch die Liebe gebrochen, voll heißer Neigung, Verehrung und Demut, erschien er ihr so, wie sie ihn damals wünschte und wie sie ihn aus ganzer Seele liebte, und darum teurer als je zuvor.

Und mit einem Male erkannte sie, daß eine Zeit kommen könne, wo seine Liebe sie erfassen und wie ein Sturmwind mit sich fortreißen würde, und bei diesem Gedanken hatte sie ganz dasselbe Gefühl, das er kurz zuvor gehabt hatte: daß sie nämlich am Rande eines Abgrundes stehe. Hatte sie darum Aulus' Haus verlassen? Hatte sie sich darum durch die Flucht gerettet? hatte sie sich darum so lange Zeit in dem Armenviertel der Stadt verborgen gehalten? Wer war dieser Vinicius? Ein Augustianer, Offizier und Höfling Neros! Und er nahm auch teil an dessen Verruchtheit und Wahnwitz, wie das Fest zeigte, das Lygia nie vergessen konnte. Er ging mit den übrigen in die Tempel und [293] opferte verabscheuungswürdigen Göttern, an die er nicht glaubte, denen er aber doch wegen seiner öffentlichen Stellung Ehre erwies. Und außerdem hatte er sie verfolgt, um sie zu seiner Sklavin und Geliebten zu machen und sie zugleich in jene schreckliche Welt der Ausschweifung, der Wollust, des Verbrechens, der Ehrlosigkeit hineinzuziehen, die den Zorn und die Rache Gottes herausforderte. Er schien zwar geändert, hatte ihr aber doch eben erst gesagt, er werde Christus hassen, wenn sie mehr an diesen als an ihn denke. Es war Lygia, als sei schon der bloße Gedanke an eine andere Liebe als die zu Christus eine Sünde gegen den Erlöser und gegen seine Lehre. Als sie daher empfand, daß sich auf dem Grunde ihres Herzens andere Gefühle und Wünsche regten, wurde sie von Bangen für ihre Zukunft und ihre Seele erfaßt.

Während sie innerlich so mit sich kämpfte, erschien Glaukos, um nach dem Kranken zu sehen und seinen Gesundheitszustand zu untersuchen. Auf Vinicius' Zügen malten sich sofort Zorn und Ungeduld. Er war über die Unterbrechung seines Gespräches mit Lygia ärgerlich, und als Glaukos einige Fragen an ihn richtete, antwortete er beinahe nichtachtend. Allerdings beherrschte er sich bald wieder; wenn aber Lygia glaubte, sein trotziges Wesen sei durch das, was er im Ostrianum gehört habe, vielleicht gemildert worden, so mußte sie sich bald von ihrem Irrtum überzeugen. Er hatte sich nur ihr gegenüber geändert, aber hinter diesem einen Gefühl barg sich in seiner Brust das alte stolze und eigenwillige, echt römische, wölfische Herz, das nicht nur der von der christlichen Religion gebotenen sanfteren Gefühle, sondern selbst der Dankbarkeit unfähig war.

Lygia ging, von innerer Sorge und Unruhe erfüllt, aus dem Zimmer. Bisher hatte sie Christus im Gebete ein Herz dargebracht, das an Reinheit einem Tautropfen glich. Jetzt war diese Lauterkeit dahin. In den Kelch der Blume war ein giftiges Insekt gedrungen und hatte ihren Schmelz zerstört. [294] Selbst der Schlummer brachte ihr trotz der zwei schlaflosen Nächte keinen Frieden. Es träumte ihr, Nero fahre im Ostrianum an der Spitze einer Schar Augustianer, Bakchanten, Korybanten und Gladiatoren in einem rosenbekränzten Wagen über eine Menge Christen hinweg und Vinicius fasse sie am Arm, risse sie in die Quadriga, drücke sie an sein Herz und flüsterte ihr zu: »Komm mit uns!«

Fußnoten

1 Das Evangelium.

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Seit dieser Zeit erschien Lygia seltener in dem gemeinschaftlichen Zimmer und trat noch seltener an das Bett des Kranken. Aber der Friede kehrte nicht in ihre Seele zurück. Sie bemerkte, daß Vinicius sie mit flehendem Blicke verfolgte, daß er nach jedem ihrer Worte wie nach einer Gnade lechzte, daß er litt und nicht zu klagen wagte, um sie nicht zu verscheuchen, daß sie allein für ihn Gesundheit und Freude bedeutete, und dann schwoll ihr Herz von Mitleid. Bald wurde sie sich bewußt, daß ihr Mitgefühl um so tiefer wurde, je mehr sie sich bemühte, ihn zu meiden, und eben dadurch wurden ihre Empfindungen für ihn noch zärtlicher. Der Friede floh sie. Mitunter sagte sie sich, es sei im Grunde genommen ihre Pflicht, bei ihm zu bleiben, einmal deshalb, weil die göttliche Lehre befehle, Böses mit Gutem zu vergelten, und dann, damit sie ihn durch ihre Worte möglicherweise zu ihrer Religion bekehre. Aber sofort warf ihr das Gewissen vor, daß sie sich selbst belüge, daß nur die Liebe zu ihm und der Zauber, den er auf sie ausübe, sie in seine Nähe ziehe. Auf diese Weise verging ihr Leben in beständigen aufreibenden Kämpfen, die jeden Tag schwerer wurden. Zuweilen kam es ihr vor, als ob sie sich in einem Netze verfangen habe und sich mit jedem Versuche, sich zu befreien, nur noch tiefer verstricke. Auch mußte sie sich gestehen, daß sein Anblick ihr täglich unentbehrlicher, seine Stimme teurer wurde und daß sie ihre ganze Kraft aufbieten mußte, um dem Verlangen zu widerstehen, [295] an sein Lager zu treten. Wenn sie sich ihm näherte und er dabei vor Glück strahlte, so wurde ihr Herz von Freude ergriffen. Eines Tages bemerkte sie auf seinen Wangen Spuren von Tränen, und zum erstenmal in ihrem Leben kam ihr der Gedanke, sie sei imstande, diese mit ihren Küssen aufzusaugen. Erschrocken über diese Vorstellung und voller Selbstverachtung weinte sie die ganze folgende Nacht hindurch.

Vinicius war geduldig, als habe er sich diese Geduld gelobt. Wenn auch seine Augen manchmal vor Ungeduld, Eigensinn und Zorn blitzten, so unterdrückte er dieses Funkeln doch sofort und betrachtete sie dann unruhig, als wolle er sie um Verzeihung bitten, und das rührte sie noch mehr. Nie hatte sie die Empfindung gehabt, so heiß geliebt zu sein, und wenn sie daran dachte, fühlte sie sich schuldbewußt, aber zugleich auch überglücklich. Vinicius hatte sich in der Tat geändert. In seinen Gesprächen mit Glaukos war er weniger stolz. Oft kam ihm der Gedanke, dieser arme Arzt und Sklave, die alte Mirjam, die Ausländerin, die ihn so sorgsam pflegte, und Crispus, den er fortwährend in Gebet versunken sah, seien doch auch Menschen. Er wunderte sich über solche Gedanken – aber er hatte sie. Für Ursus empfand er mit der Zeit Zuneigung und unterhielt sich oft ganze Tage lang mit ihm, denn er konnte mit ihm von Lygia sprechen, und der Riese war unerschöpflich in Erzählungen und begann, selbst wenn er dem Kranken die geringsten Dienste erwies, auch ihm eine Art von Zuneigung zu zeigen. Lygia hatte Vinicius stets für ein Wesen anderer Art gehalten, das hundertmal höher stehe, als ihre ganze Umgebung; nichtsdestoweniger fing er an, die armen, einfachen Leute zu beobachten, was er sonst nie in seinem Leben getan hatte, und begann bei ihnen bemerkenswerte Eigenschaften zu entdecken, an deren Vorhandensein er früher nie geglaubt hätte.

Nur Nazarius war ihm unangenehm, denn es kam ihm vor, als habe sich der junge Mensch in Lygia verliebt. Lange [296] verbarg er seine Abneigung gegen ihn; als dieser jedoch einmal dem Mädchen zwei Wachteln brachte, die er auf dem Markte für sein selbstverdientes Geld gekauft hatte, so erwachte in Vinicius der Quiritengeist, für den jeder Ankömmling aus fremden Ländern weniger galt als der niedrigste Wurm. Als er hörte, wie Lygia sich bedankte, erblaßte er vor Wut, und als Nazarius hinausgegangen war, um Wasser für die Vögel zu holen, sagte er: »Lygia, duldest du, daß er dir Geschenke macht? Weißt du nicht, daß die Griechen Leute seines Volkes jüdische Hunde nennen?«

»Wie die Griechen sie nennen, weiß ich nicht,« entgegnete sie; »ich weiß nur, daß Nazarius ein Christ und mein Bruder ist.«

Bei diesen Worten sah sie ihn mit schmerzlicher Verwunderung an, denn er hatte sich schon derartige Ausbrüche abgewöhnt. Er biß die Zähne zusammen, um ihr nicht gestehen zu müssen, daß er einen solchen Bruder mit Knütteln totschlagen oder ihn als compeditus 1 in seinen sizilianischen Weinbergen graben lassen würde ... Er bezwang sich jedoch, unterdrückte seinen Zorn und sagte: »Verzeihe mir, Lygia. Für mich bist du eine Königstochter und Plautius' Pflegekind.«

Er besaß soviel Selbstüberwindung, daß er Nazarius, als dieser wieder das Zimmer betrat, versprach, ihm nach der Rückkehr in seine Villa ein Paar Pfaue oder Flamingos zu schenken, von denen er viele in seinen Gärten besaß.

Lygia fühlte, wieviel ihm dieser Sieg über sich selbst kosten mußte. Aber je öfter er solche Siege davontrug, um so mehr wandte sich ihr Herz ihm zu. Sein Verdienst in bezug auf Nazarius war jedoch nicht so groß, wie sie vermutete. Vinicius konnte einen Augenblick ärgerlich auf ihn sein, aber niemals eifersüchtig. Der Sohn Mirjams war in der Tat in sei nen Augen nicht viel mehr als ein Hund, und außerdem war er noch ein Knabe, der, wenn er Lygia liebte, [297] dies unbewußt und in dienstbeflissener Weise tat. Schwerer mußte der junge Tribun mit sich kämpfen, wenn er auch darüber schwieg, um sich in jene Ehrfurcht zu fügen, die von diesen Leuten Christus und seiner Lehre entgegengebracht wurde. In dieser Hinsicht gingen seltsame Dinge in Vinicius vor. Es war dies auf jeden Fall die Religion, an die Lygia glaubte, und schon aus diesem Grunde war auch er zu deren Annahme bereit. Je größere Fortschritte seine Genesung machte, um so häufiger vergegenwärtigte er sich den ganzen Verlauf der Ereignisse, welche sich seit jener Nacht im Ostrianum zugetragen hatten, und die ganze Reihe von Gedanken, welche seitdem durch seinen Kopf gegangen waren, um so mehr staunte er die überirdische Macht dieses Glaubens an, der die Seele der Menschen so von Grund aus umzuwandeln vermochte. Er sah ein, daß etwas Außergewöhnliches, etwas, was noch nie in der Welt dagewesen war, darin liegen müsse, und fühlte, daß, wenn sie die ganze Welt erobern, wenn sie mit ihrer Liebe und ihrem Erbarmen darin Wurzel schlagen sollte, eine Epoche anbrechen müßte, die an jene erinnerte, wo noch nicht Jupiter, sondern Saturn die Welt regierte. Auch wagte er nicht, an der übernatürlichen Abstammung Christi oder seiner Auferstehung oder den anderen Wundern zu zweifeln. Die Augenzeugen, die davon berichteten, waren zu glaubwürdige Männer und verabscheuten die Lüge zu sehr, als daß er hätte annehmen können, sie sprächen die Unwahrheit. Überhaupt richtete sich der römische Skeptizismus wohl gegen den Götterglauben, ließ aber die Wunder unangetastet. Vinicius stand vor einem erstaunlichen Rätsel, das er nicht zu lösen vermochte. Andererseits schien ihm diese Religion im Gegensatz zu der gegenwärtigen Weltordnung zu stehen, in der Praxis undurchführbar und so wahnwitzig zu sein wie keine andere. Nach seinem Dafürhalten konnten die Menschen in Rom und auf der ganzen Welt schlecht sein, die Ordnung der Dinge war aber gut. Wäre der Caesar zum Beispiel ein Ehrenmann, setzte sich der [298] Senat nicht aus nichtswürdigen Schurken, sondern aus Männern wie Thrasea zusammen, was könnte man besseres wünschen? Die römische Weltherrschaft und der dadurch bedingte Weltfriede waren gut, der Unterschied zwischen den Menschen gerecht und billig. Diese Religion hingegen, soweit Vinicius sie kannte, müßte jede Ordnung, jede Herrschaft, jeden Unterschied zwischen den Menschen aufheben. Was würde dann aus der römischen Oberherrlichkeit und dem römischen Reiche werden? Konnten die Römer aufhören zu herrschen oder konnten sie den besiegten Völkern Gleichberechtigung mit ihnen selbst einräumen? Eine solche Vorstellung hatte in dem Kopfe eines römischen Patriziers keinen Raum. Zudem stand dieser Glaube in geradem Gegensatz zu all seinen Anschauungen, seinen Gewohnheiten, seinem Charakter und seiner Lebensauffassung. Er vermochte sich überhaupt nicht vorzustellen, wie man weiterleben könnte, wenn man zum Beispiel sie annähme. Er fürchtete und bewunderte sie zugleich, aber seine ganze Natur empörte sich geradezu gegen ihre Annahme. Endlich erkannte er, daß nichts anderes als sie ihn von Lygia trenne, und wenn er daran dachte, so haßte er sie mit der ganzen Kraft seiner Seele.

Dennoch begriff er es jetzt schon, daß nur dieser Glaube Lygia mit so ausnehmender, unsagbarer Schönheit schmücke, die in seinem Herzen neben Liebe Verehrung, neben Verlangen Begeisterung entfacht und Lygia selbst zum Liebsten gemacht habe, was er in der ganzen Welt besitze. Und dann tauchte von neuem in ihm der Wunsch auf, Christus zu lieben. Es war ihm klar, daß er ihn entweder lieben oder hassen müsse, aber auf keinen Fall gleichgültig bleiben könne. Dann ward er wie von zwei entgegengesetzten Strömungen hin und her getrieben, er schwankte in seinem Denken, seinem Empfinden, konnte keine Wahl treffen, beugte jedoch sein Haupt vor diesem ihm unfaßbaren Gotte und bezeigte ihm schweigende Verehrung nur aus dem einen Grunde, weil er der Gott Lygias war.

[299] Lygia bemerkte, was in ihm vorging, wie er mit sich kämpfte, wie er sich gegen diese Religion sträubte, und obgleich dies sie einerseits todtraurig machte, brachten doch Wehmut, Mitleid und Dankbarkeit für die schweigende Huldigung, die er Christus darbrachte, ihm ihr Herz mit unwiderstehlicher Gewalt näher. Sie erinnerte sich an Pomponia Graecina und Aulus. Für Pomponia war der Gedanke, Aulus jenseit des Grabes nicht wiederzusehen, die Quelle unauslöschlichen Kummers und nie versiegender Tränen. Lygia begann diesen Gram und Schmerz jetzt besser zu verstehen. Auch sie hatte einen geliebten Mann gefunden, von dem ihr ewige Trennung drohte. Bisweilen tröstete sie sich allerdings mit der Hoffnung, daß seine Seele sich noch zu Christi Lehre bekehren könne, aber diese Selbsttäuschung konnte nicht lange anhalten. Sie kannte und begriff ihn schon allzu gut. Vinicius ein Christ! Diese beiden Begriffe konnte selbst ihr unerfahrener Geist nicht zusammenbringen. Wenn der besonnene und ernste Aulus unter dem Einfluß der klugen, vorzüglichen Pomponia kein Christ geworden war, wie konnte Vinicius einer werden? Darauf gab es keine Antwort oder vielmehr es gab nur eine: daß für ihn jede Hoffnung, jede Rettung ausgeschlossen sei.

Mit Schrecken bemerkte Lygia aber, daß das seiner harrende Verdammungsurteil, statt sie mit Abscheu gegen ihn zu erfüllen, ihn ihr gerade durch das Mitleid, das er ihr einflößte, nur um so teurer machte. Manchmal ergriff sie der Wunsch, offen mit ihm über seine düstere Zukunft zu sprechen; als sie aber einmal bei ihm saß und ihm erklärte, daß es außerhalb der christlichen Religion kein Leben gebe, stützte er sich, da er jetzt schon kräftiger war, auf seinen gesunden Arm, legte ihr plötzlich sein Haupt auf den Schoß und sagte: »Du bist das Leben!«

Da stockte ihr der Atem in der Brust, sie verlor die Geistesgegenwart, ein Wonneschauer bemächtigte sich allmählich ihres Wesens. Sie ergriff sein Haupt mit beiden Händen [300] und suchte es zu erheben, beugte sich aber selbst so tief zu ihm herab, daß sie mit den Lippen seine Haare berührte und daß sie beide einen Augenblick von dem Liebesrausche ergriffen wurden, den eins für das andere empfand.

Endlich erhob sich Lygia und eilte aus dem Zimmer, während sie ihre Adern glühen und ihren Kopf schwindeln fühlte. Das war der Tropfen gewesen, der den schon bis zum Rande gefüllten Becher zum Überlaufen brachte.

Vinicius ahnte nicht, wie teuer ihm dieser selige Augenblick zu stehen kommen würde, aber Lygia erkannte, daß sie selbst der Rettung bedurfte. Die folgende Nacht verbrachte sie schlaflos, unter Tränen und im Gebet, mit dem Gefühl, daß sie unwürdig sei zu beten und keine Erhörung verdiene. Am Morgen verließ sie früh ihr Cubiculum, bat Crispus, ihr nach dem von Efeu und verwelkten Winden umsponnenen Gartenhause zu folgen, eröffnete ihm hier ihr ganzes Herz und bat ihn zugleich, ihr zu gestatten, Mirjams Haus zu verlassen, denn sie habe kein Selbstvertrauen mehr und könne ihre Liebe zu Vinicius nicht mehr bezwingen.

Crispus, der ein alter Mann war, streng und beständig von religiöser Begeisterung erfüllt, war mit ihrem Entschlusse, Mirjams Haus zu verlassen, einverstanden, fand aber kein Wort der Entschuldigung für ihre seiner Auffassung nach sündige Liebe. Schon bei dem Gedanken, jene Lygia, die er seit ihrer Flucht beschirmt, die er geliebt, im Glauben befestigt und auf die er wie auf eine weiße Lilie geblickt habe, die auf dem Grunde der christlichen Lehre erwachsen und bisher noch von keinem irdischen Hauche berührt worden sei, in ihrem Inneren einer anderen Liebe als der himmlischen Raum geben könne, schwoll sein Herz vor Entrüstung über. Er hatte bisher geglaubt, nirgends in der ganzen Welt schlage ein Herz so rein zu Christi Ehre. Ihm wollte er sie als eine Perle, als ein Kleinod und als ein kostbares Werk seiner eigenen Hände zum Opfer darbringen, und daher erfüllte ihn die erlittene Enttäuschung mit schmerzlicher Verwunderung.

[301] »Gehe hin und bitte Gott, dir deine Schuld zu verzeihen,« sagte er ernst. »Fliehe, damit dich der böse Geist, der dich umstrickt, nicht gänzlich zu Falle bringt und damit du den Heiland nicht erzürnst. Gott ist für dich am Kreuze gestorben, um mit seinem Blut deine Seele zu erlösen, du aber zogst es vor, den zu lieben, der dich zu seiner Konkubine machen wollte. Gott hat dich durch ein Wunder aus seinen Händen gerettet, du aber hast dein Herz unreiner Lust geöffnet und liebst den Sohn der Finsternis. Wer ist er denn? – Ein Freund und Diener des Antichrists, der Genosse seiner Ausschweifungen und Verbrechen. Wohin wird er dich führen, wenn nicht in den Abgrund und in das Sodom, in dem er selbst lebt und das Gott in den Flammen seines Zornes vernichten wird? Ich sage dir: es wäre besser für dich, du wärest gestorben oder die Mauern dieses Hauses wären über deinem Haupte zusammengestürzt, bevor jene Schlange in deinen Busen gedrungen ist und ihn mit dem Gifte ihrer Verderbnis befleckt hat.«

Er ließ sich immer weiter hinreißen, denn Lygias Schuld erfüllte ihn nicht nur mit Entrüstung, sondern auch mit Abscheu und Verachtung gegen die menschliche Natur im allgemeinen, im besonderen aber gegen die weibliche, die nicht einmal die christliche Lehre von Evas Schwäche befreien könne. Es galt ihm nichts, daß das Mädchen noch jung war, daß es vor dieser Liebe fliehen wollte und sie voller Reue und Schmerz bekannt hatte. Crispus hatte sie zu einem Engel umwandeln und zu einer Höhe emporheben wollen, in der nur die Liebe zu Christus gedeihen konnte, und jetzt liebte sie einen Augustianer! Schon der Gedanke daran erfüllte sein Herz mit Entsetzen und mit dem Glauben an Zauberei und Behexung. Nein, nein! er konnte ihr das nicht verzeihen. Worte der Empörung flossen wie ein glühender Strom aus seinem Munde; er bemühte sich noch, sich zurückzuhalten, schüttelte aber drohend seine abgezehrten Hände gegen die eingeschüchterte Jungfrau. Lygia fühlte sich schuldig, aber nicht [302] in diesem Grade. Sie glaubte sogar, die Entfernung aus Mirjams Hause würde ihr den Sieg über die Versuchung verschaffen und ihre Schuld verringern. Crispus warf sie in den Staub, hielt ihr die ganze Erbärmlichkeit und Unwürdigkeit ihrer Seele vor, von der sie noch nichts geahnt hatte. Ja, sie hatte erwartet, daß der greise Presbyter, der seit ihrer Flucht vom Palatin Vaterstelle an ihr vertreten hatte, ihr etwas Mitleid erweise, sie beruhige, ihr Mut und Trost zuspreche.

»Ich opfere Gott meine Enttäuschung und meinen Schmerz,« sagte er, »aber du hast den Heiland betrogen, denn du bist in einen Sumpf geraten, dessen Ausdünstungen deine Seele vergiftet haben. Du hättest deine Seele Christus als ein kostbares Gefäß darbringen und zu ihm sprechen können: Erfülle sie, Herr, mit deiner Gnade! Aber du zogst es vor, sie einem Diener des bösen Geistes darzubringen. Möge dir Gott verzeihen und sich deiner erbarmen; solange du dich aber von der Schlange nicht lossagst, kann ich, der ich dich für eine Auserwählte hielt ...«

Plötzlich verstummte er, denn er bemerkte, daß sie nicht allein waren.

Durch die welken Winden und den Sommer und Winter grün bleibenden Efeu hindurch sah er zwei Männer, von denen der eine der Apostel Petrus war. Den anderen konnte er nicht sofort erkennen, denn ein Mantel aus grobem Wollstoff, Cilicium genannt, bedeckte einen Teil seines Gesichts. Einen Augenblick glaubte Crispus, es sei Chilon.

Sie hatten Crispus' laute Stimme gehört und traten in das Gartenhaus ein, wo sie sich auf einer steinernen Bank niederließen. Petrus' Gefährte zeigte jetzt ein hageres Gesicht, das im Verein mit dem in der Mitte kahlen, aber auf beiden Seiten von Locken umrahmten Haupt, den geröteten Lidern und einer geschwungenen Nase häßlich, aber dabei geistvoll war, so daß Crispus in ihm den Paulus von Tarsos erkannte.

[303] Lygia sank auf ihre Kniee und umklammerte wie in Verzweiflung Petrus' Füße und verbarg ihr gequältes Antlitz in den Falten seines Mantels, verharrte aber in Schweigen.

»Friede euren Seelen,« sagte Petrus.

Beim Anblicke des Mädchens zu seinen Füßen fragte er, was sich ereignet habe. Nun begann Crispus alles zu erzählen, was Lygia ihm gestanden hatte, ihre sündige Liebe, ihren Wunsch, Mirjams Haus zu verlassen, und seinen Schmerz, daß eine Seele, die er Christus rein wie einen Tropfen Tau darbringen wollte, sich durch irdische Liebe zu einem Teilnehmer an allen Lastern, durch welche die heidnische Welt frevele und welche die Strafe Gottes herausforderten, befleckt habe.

Während er sprach, umklammerte Lygia immer fester die Füße des Apostels, als suche sie bei ihm Zuflucht und flehe ihn um Erbarmen an, sei es auch noch so wenig.

Als der Apostel bis zu Ende gehört hatte, beugte er sich nieder, legte seine welke Hand auf Lygias Haupt, erhob die Augen zu dem alten Priester und sagte: »Crispus, hast du nicht gehört, daß unser geliebter Meister auf der Hochzeit zu Kana war und die Liebe zwischen Weib und Mann gesegnet hat?«

Crispus ließ die Arme sinken und sah verwundert auf den Sprecher, ohne ein Wort hervorbringen zu können.

Dieser fragte nach einer kleinen Pause abermals: »Crispus, glaubst du, daß Christus, der Maria aus Magdala gestattete, zu seinen Füßen zu liegen und der der öffentlichen Sünderin vergab, sich von dieser Jungfrau abwenden würde, die so rein ist wie die Lilie auf dem Felde?«

Lygia drückte sich unter Tränen noch dichter an die Füße des Apostels heran, da sie erkannte, daß sie nicht vergebens bei ihm Zuflucht gesucht hatte. Der Apostel hob ihr tränenüberströmtes Antlitz empor und sprach zu ihr: »Solange die Augen dessen, den du liebst, sich noch nicht dem Lichte der Wahrheit erschlossen haben, so lange meide ihn, damit er [304] dich nicht zur Sünde verleite, bete aber für ihn und wisse, daß in deiner Liebe nichts Sündhaftes liegt. Weil du der Versuchung entfliehen willst, wird dir dies als Verdienst angerechnet werden. Quäle dich nicht und weine nicht, denn ich sage dir, die Gnade des Heilands hat dich nicht verlassen und deine Gebete werden Erhörung finden; auf Leid aber folgen Tage des Glückes.«

Nach diesen Worten legte er beide Hände auf ihre Locken, erhob die Augen zum Himmel und segnete sie. Aus seinem Antlitze strahlte überirdische Güte.

Der reuige Crispus begann sich demütig zu entschuldigen.

»Ich habe gegen die Barmherzigkeit gefehlt,« sagte er; »ich glaubte aber, dadurch, daß sie irdischer Liebe Raum in ihrem Herzen gewährte, habe sie Christus verleugnet ...«

Petrus aber antwortete ihm: »Ich habe ihn dreimal verleugnet, und doch hat er mir verziehen und befohlen, seine Schafe zu weiden.«

»... und auch, weil Vinicius ein Augustianer ist ...«

»Christus hat noch härtere Herzen erweicht,« erwiderte Petrus.

Paulus von Tarsos, der bis jetzt geschwiegen hatte, legte die Hand auf seine Brust und sagte, auf sich deutend: »Ich bin jener, der Christi Diener verfolgte und dem Tode überantwortete. Ich bewachte während Stephanus' Steinigung die Kleider derer, die ihn steinigten; ich wollte die Wahrheit auf der ganzen Erde, soweit sie von Menschen bewohnt ist, ausrotten, und doch hat mich der Herr dazu auserkoren, sie überall zu verkündigen. Ich habe sie in Judäa, in Griechenland, auf den Inseln und in dieser gottlosen Stadt verkündet, als ich zum erstenmal als Gefangener hier weilte. Und jetzt betrete ich im Auftrage meines Oberhirten Petrus dieses Haus, um dieses stolze Haupt zu Christi Füßen zu beugen und ein Samenkorn auf dieses steinige Feld zu werfen, welches der Herr gedeihen lassen wolle, damit es reiche Früchte trage.«

[305] Er erhob sich – Crispus aber erschien dieser kleine Bucklige in diesem Augenblicke als das, was er in Wahrheit war, nämlich als der Riese, der die Welt in ihren Grundfesten erschüttern und Länder und Völker unterwerfen sollte.

Fußnoten

1 Ein Sklave, der mit Ketten an den Füßen arbeiten muß.

Achtundzwanzigstes Kapitel

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Petronius an Vinicius.


»Habe Erbarmen mit mir, carissime, und ahme in deinen Briefen weder die Lacedämonier noch Julius Caesar nach. Könntest du wenigstens wie dieser schreiben: veni, vidi, vici! 1 so würde ich noch deinen Lakonismus verstehen. Aber dein Brief bedeutet in Wirklichkeit: veni, vidi, fugi! 2 Da aber ein solcher Abschluß geradezu im Widerspruch zu deiner Natur steht, da du verwundet bist und dir schließlich außergewöhnliche Dinge begegnet sind, so bedarf dein Brief der Erläuterung. Ich traute kaum meinen Augen, als ich las, daß dieser Lygier Kroton so leicht abgewürgt hat wie ein kaledonischer Hund einen Wolf in den Schluchten Hiberniens. Dieser Mann ist soviel Gold wert, wie er selbst wiegt, und es würde nur von ihm abhängen, der Liebling des Caesars zu werden. Sobald ich nach der Stadt zurückgekehrt bin, muß ich seine nähere Bekanntschaft machen und ihn für mich in Bronze gießen lassen. Der Rotbart wird vor Neugierde bersten, wenn ich ihm sage, daß die Statue nach der Natur gearbeitet ist. Wirkliche Athletengestalten werden jetzt in Italien und Griechenland immer seltener, vom Orient kann gar keine Rede sein, die Germanen sind zwar groß, haben aber von Fett überwachsene Muskeln und sehen daher stärker aus, als sie sind. Erkundige dich doch bei dem Lygier, ob er eine Ausnahme bildet oder ob sich in seinem Lande noch mehr Leute finden, die ihm gleichen. Denn wenn dir oder mir [306] einmal die Aufgabe zufällt, Spiele abzuhalten, so wäre es gut, wenn man wüßte, wo man die besten Athleten zu suchen hat.

Aber Lob und Dank den Göttern des Morgen- wie des Abendlandes, daß du lebend solchen Händen entkommen bist! Das ist dir offenbar nur deshalb gelungen, weil du ein Patrizier und der Sohn eines gewesenen Konsuls bist; aber alles, was dir begegnet ist, hat mein Erstaunen im höchsten Grade erregt; jener Friedhof, auf dem du zusammen mit den Christen gewesen bist, diese selbst und ihr Verhalten gegen dich, dann Lygias Flucht und endlich diese Niedergeschlagenheit und Unruhe, die aus deinem kurzen Briefe spricht. Teile mir näheres mit, denn ich verstehe vieles nicht, und wenn du die Wahrheit wissen willst, so muß ich dir offen sagen, daß ich weder die Christen noch dich noch Lygia verstehe. Wundere dich nicht darüber, daß ich, der ich mich mit Ausnahme meiner eigenen Person um weniges in der Welt kümmere, mich so eingehend nach alldem erkundige. Ich habe alles, was geschehen ist, veranlaßt; daher ist es einigermaßen mein Werk. Schreibe bald, denn ich kann dir nicht genau sagen, wann wir uns wiedersehen. Im Kopfe des Rotbarts wechseln die Entschlüsse wie die Winde im Herbst. Jetzt sitzt er in Benevent, wünscht aber geradeswegs nach Griechenland zu gehen und nicht nach Rom zurückzukehren. Tigellinus rät ihm aber, wenigstens auf kurze Zeit zurückzukehren, weil sich sonst das Volk, das sich so sehr nach dem Anblick des Caesars (lies: nach Spielen und Brot) sehnt, am Ende noch empören könnte. Daher weiß ich nicht, was werden wird. Sollte Achaja den stärkeren Reiz ausüben, dann werden wir vielleicht auch auf Ägypten Lust bekommen. Ich möchte dich auf das dringendste bitten, herzukommen, da ich überzeugt bin, daß in deinem Seelenzustande Reisen und unsere Vergnügungen für dich Arznei sind; aber möglicherweise triffst du uns nicht mehr an. Überlege, ob du in diesem Falle nicht besser daran tätest, dich auf deine sizilischen Güter zurückzuziehen, [307] als in Rom zu bleiben. Schreibe mir ausführlich über dich – und gehab dich wohl. Ich füge diesmal keinen anderen Wunsch bei, als daß du gesund werden mögest, denn beim Pollux, ich wüßte auch nicht, was ich dir sonst noch wünschen sollte.«

Vinicius hatte anfangs keine Lust, diesen Brief zu beantworten. Er hatte eine undeutliche Ahnung davon, daß es sich nicht verlohne, darauf zu erwidern, daß dies keinem Teile Nutzen bringe, nichts erkläre oder zur Lösung der vorhandenen Rätsel beitrage. Es er griff ihn ein Gefühl des Unbehagens und die Erkenntnis der Unzulänglichkeit des Daseins. Außerdem kam es ihm vor, als verstehe ihn Petronius auf keinen Fall und als sei etwas Trennendes zwischen sie getreten. Nicht einmal mit sich selbst konnte er ins reine kommen. Als er aus der Gegend jenseits des Tibers nach seiner prächtigen »Insula« an den Carinae zurückgekehrt war, fühlte er sich noch schwach und elend und empfand in den ersten Tagen an der Ruhe, Behaglichkeit und dem Reichtum, die ihn umgaben, eine gewisse Befriedigung. Aber diese Befriedigung schwand bald. Binnen kurzer Zeit wurde er sich der Leere seines Daseins bewußt und fühlte, daß alles, was bisher sein Interesse am Leben ausgemacht hatte, entweder überhaupt nicht mehr für ihn in Betracht kam oder doch zu ganz unmerklicher Bedeutung eingeschrumpft war. Er hatte die Empfindung, als ob die Fäden in seinem Innern, die ihn bisher mit der Außenwelt verknüpft hatten, zerrissen und durch neue nicht ersetzt worden seien. Bei der Vorstellung, möglicherweise nach Benevent und von da nach Achaja gehen und sich in ein Leben voller Ausschweifungen und wahnsinniger Launen stürzen zu müssen, wurde er von Ekel erfüllt. »Wozu? Welcher Vorteil erwächst mir daraus?« – das waren die ersten Fragen, die ihm durch den Kopf gingen. Ebenso mußte er zum erstenmal in seinem Leben daran denken, daß, wenn er hin ginge, Petronius' Unterhaltung, sein Witz, seine Lebendigkeit, seine kunstvoll abgezirkelten Gedanken[308] und seine wohlerwogene Wahl des Ausdrucks ihm möglicherweise lästig fallen könnten.

Andererseits fing er aber auch an, der Einsamkeit überdrüssig zu werden. Seine sämtlichen Bekannten waren mit dem Caesar in Benevent, er mußte daher allein zu Hause sitzen mit einem Kopf voller Gedanken und einem Herzen voller Gefühle, von denen er sich keine Rechenschaft abzulegen vermochte. Er hatte aber auch Stunden, in denen er wünschte, mit irgend jemand über alles, was in ihm vorging, sprechen zu können, um diese flüchtigen Empfindungen gleichsam zu fassen, zu ordnen, zu untersuchen. Unter dem Eindrucke dieser Hoffnung entschloß er sich nach einigen Tagen des Zauderns, Petronius zu antworten, und obgleich er noch nicht genau wußte, ob er den Brief absenden werde, schrieb er eines Tages Folgendes: »Du wünschest, ich möchte ausführlicher schreiben; ich willfahre dir daher; ob ich mich allerdings klarer ausdrücken werde, weiß ich nicht, denn ich selbst vermag viele der vorhandenen Knoten nicht aufzulösen. Ich schrieb dir über meinen Aufenthalt bei den Christen, über ihr Verhalten gegen Feinde, zu denen sie mich und Chilon mit vollem Recht zählen konnten, endlich über die Güte, mit der ich gepflegt wurde, und über Lygias Verschwinden. Nein, lieber Freund; nicht deswegen schonten sie mich, weil ich der Sohn eines gewesenen Konsuls bin. Solche Rücksichten sind ihnen völlig unbekannt; denn sie verziehen selbst Chilon, obgleich ich selbst ihnen riet, ihn im Garten zu begraben. Es sind Leute, wie sie die Welt bisher noch nie gesehen hat, und ihre Lehre ist derart, wie die Welt sie bisher noch nie gehört hat. Ich kann nichts anderes sagen, und wer unseren Maßstab an sie anlegt, der befindet sich im Irrtum. Ich versichere dich, wenn ich mit gebrochenem Arme in meinem eigenen Hause gelegen hätte und von meinen eigenen Leuten, ja von meinen Angehörigen gepflegt worden wäre, so würde ich unzweifelhaft mehr Bequemlichkeit gehabt, aber nicht die Hälfte jener Sorgfalt gefunden haben, die sie mir zu teil werden ließen. Wisse auch, daß Lygia sich nicht [309] von den anderen unterscheidet. Wäre sie meine Schwester oder meine Gattin, so hätte sie mich nicht sorgsamer pflegen können. Mehr als einmal wurde mein Herz von Freude erfüllt, weil ich glaubte, nur die Liebe könne eine solche Hingabe bewirken. Mehr als einmal las ich sie auch in ihrem Antlitz und in ihren Augen, und dann fühlte ich mich – willst du es mir glauben? – inmitten jener einfachen Leute, in dem armseligen Zimmer, das Küche und Triclinium zugleich war, glücklicher als irgendwo anders. Nein! ich war ihr nicht gleichgültig, und noch heute erscheint es mir unmöglich, das Gegenteil anzunehmen. Und doch verließ ebendieselbe Lygia gerade meinetwegen Mirjams Haus. Ich sitze jetzt ganze Tage da, den Kopf in die Hand gestützt, und frage mich: warum tat sie dies? Habe ich dir geschrieben, daß ich mich erbot, sie zu Aulus zurückzubringen? Sie erklärte mir zwar, dies sei für jetzt unmöglich, sowohl mit Rücksicht darauf, daß Aulus mit seiner Familie nach Sizilien gegangen sei, wie auch aus Rücksicht auf die Nachrichten, welche durch die Sklaven von Haus zu Haus getragen und so auch bis auf den Palatin gelangen würden. Der Caesar könnte sie dann möglicherweise abermals von Aulus entfernen. Darin hat sie recht! Sie wußte aber, daß ich sie nicht länger verfolgen lasse, daß ich den Weg der Gewalt verlassen habe, daß ich aber nicht aufhören kann, sie zu lieben, daß ich sie nicht zu entbehren vermag, daß ich sie durch das bekränzte Tor in mein Haus führen und ihr den Platz an der geheiligten Stelle bei meinem Herde einräumen will. Und doch ist sie geflohen? Weshalb? Es drohte ihr keine Gefahr mehr. Wenn sie mich nicht liebte, dann hätte sie mich verlassen können. Den Tag zuvor lernte ich einen wunderbaren Mann kennen, einen gewissen Paulus aus Tarsos, der mit mir von Christus und seiner Lehre sprach, und zwar mit solchem Nachdruck, daß es mir war, als ob jedes seiner Worte, ohne daß er es beabsichtigte, die gesamten Grundlagen unserer Weltanschauung bis in ihre Tiefen erschüttern müßte. [310] Dieser selbe Mann besuchte mich nach Lygias Flucht und sagte mir: Wenn Gott deine Augen dem Lichte erschließt und die Verblendung von ihnen nimmt wie von den meinigen, dann wirst du einsehen, daß sie recht gehandelt hat, und sie vielleicht auch finden. Und jetzt zerbreche ich mir den Kopf über diese Worte, als ob ich sie aus dem Munde der Pythia in Delphi gehört hätte. Mitunter will es mir scheinen, als verstände ich sie schon einigermaßen. Sie, die Menschenfreunde, sind Feinde unseres Landes, unserer Götter und ... unserer Laster; darum ist sie vor mir geflohen wie vor einem Menschen, der dieser Welt angehört und mit dem sie ein Leben teilen müßte, welches bei den Christen als sündhaft gilt. Du wirst sagen, daß sie, um mich abzuweisen, nicht zu fliehen brauchte. Aber wenn sie mich liebt? In diesem Falle würde sie wegen ihrer Liebe geflohen sein. Bei dem bloßen Gedanken daran möchte ich Sklaven in alle Gaffen Roms senden und sie in die Häuser rufen lassen: Kehre zurück, Lygia! Aber ich begreife nicht mehr, warum sie floh. Ich hätte ihr gewiß nicht verwehrt, an Christus zu glauben, und hätte ihm selbst einen Altar im Atrium errichtet. Was könnte es mir auch schaden, wenn ich diesen einen neuen Gott auch noch verehre, und weshalb sollte ich nicht an ihn glauben, der ich an die alten nicht mehr allzufest glaube? Ich weiß mit voller Bestimmtheit, daß die Christen nicht lügen, und doch behaupten sie, er sei auferstanden. Ein Mensch kann sicher nicht zurückkehren. Jener Paulus von Tarsos, der römischer Bürger ist, aber als Jude die alten hebräischen Schriften kennt, sagte mir, daß Christi Ankunft schon vor einem vollen Jahrtausend von den Propheten vorherverkündet worden ist. Alles dies sind außergewöhnliche Dinge, aber stoßen wir nicht nach allen Richtungen hin auf Außergewöhnliches? Man spricht doch noch jetzt von Apollonios von Tyana. Paulus' Behauptung, es gebe nicht eine ganze Schar Götter, sondern nur einen Gott, scheint mir ganz vernünftig zu sein. Vielleicht ist auch Seneca dieser [311] Ansicht und außer ihm noch viele andere. Christus lebte, starb freiwillig den Tod am Kreuze für die Erlösung der Welt und stand von den Toten auf. Dies alles ist völlig gewiß, und ich sehe daher keinen Grund, warum ich die entgegengesetzte Ansicht festhalten oder Christus keinen Altar weihen sollte, da ich doch bereit wäre, zum Beispiel dem Serapis einen zu errichten? Es würde mir auch nicht schwer fallen, den anderen Göttern zu entsagen, denn kein verständiger Mensch glaubt mehr an sie. Es will mir jedoch scheinen, als sei dies alles den Christen noch nicht genug. Es genügt nicht nur Christum zu verehren, man muß auch nach seiner Lehre leben; und das ist soviel, wie wenn du am Gestade eines Meeres ständest und diese Lehre dir geböte, es zu Fuß zu durchschreiten. Gelobte ich es ihnen, so würden sie selbst herausfühlen, daß dieses Versprechen in meinem Munde nur ein leerer Wortschall wäre. Paulus sagte mir dies offen. Du weißt, wie ich Lygia liebe, und du weißt auch, daß es nichts gibt, was ich für sie nicht täte. Aber ich könnte doch, selbst auf ihren Wunsch hin, weder den Socrate noch den Vesuv auf meine Arme nehmen, den Thrasymenischen See in meiner Hand halten oder meine schwarzen Augen in blaue verwandeln, wie die Lygier sie haben. Verlangte sie derartiges, so könnte ich dies zwar tun wollen, aber es läge nicht in meiner Macht. Ich bin kein Philosoph, aber doch nicht so ungebildet, wie du vielleicht schon des öfteren geglaubt hast. Und so erkläre ich dir Folgendes: Wie es die Christen anfangen, zu leben, weiß ich nicht; aber ich weiß, wenn ihre Lehre siegt, so verschwindet das römische Reich, Rom, das Leben, der Unterschied zwischen Siegern und Besiegten, reich und arm, Herr und Sklaven, es verschwinden unsere staatlichen Einrichtungen, es verschwindet der Caesar, das geltende Recht und die gesamte Gesellschaftsordnung; an die Stelle von alledem tritt Christus und eine Liebe, wie es sie bisher noch nie gegeben hat, eine Güte, die den menschlichen und unseren römischen Instinkten geradezu entgegengesetzt ist. [312] Mir gilt Lygia wahrlich mehr als ganz Rom und seine Herrschaft; die ganze Welt könnte zugrunde gehen, wenn ich sie nur in meinem Hause hätte. Aber es ist noch etwas anderes dabei. Für sie, die Christen, genügt es nicht, daß man seine Zustimmung mit Worten erklärt; man muß auch im innersten Herzen überzeugt sein, daß ihre Lehre allein zur Seligkeit hinreicht, und darf neben ihr nichts anderes in seinem Herzen tragen. Und das – die Götter sind meine Zeugen – kann ich nicht. Verstehst du, was ich damit sagen will? In meiner Natur liegt etwas, was sich gegen diese Religion sträubt; wollte ich sie mit meinen Lippen bekennen und mein Leben nach ihren Vorschriften einrichten, so würden mir Kopf und Herz sagen, daß dies nur der Liebe wegen, nur Lygias wegen geschehe und daß, wenn sie nicht wäre, mir nichts in der Welt mehr zuwider sein könne. Und seltsam genug – Paulus von Tarsos versteht dies und trotz seiner Schlichtheit und niedrigen Herkunft auch jener alte Theurg, der größte unter ihnen, Petrus, der ein Jünger Christi gewesen ist. Und weißt du, was sie tun? Sie beten für mich und zwar um etwas, was sie Gnade nennen. Aber nur Unruhe überfällt mich und immer größere Sehnsucht nach Lygia.

Ich habe dir ja geschrieben, daß sie sich im geheimen entfernt hat, aber bei ihrem Weggange ließ sie mir ein Kreuz zurück, das sie selbst aus Buchsbaumzweigen angefertigt hat. Beim Erwachen fand ich es vor meinem Lager. Es befindet sich jetzt im Lararium, und ich kann es mir selbst nicht erklären, warum ich mich ihm mit einem Gefühle nähere, als sei es etwas Göttliches, das heißt warum ich es mit heiliger Scheu verehre. Ich liebe es, weil ihre Hand es zusammengefügt hat, und hasse es, weil es uns trennt. Manchmal kommt es mir vor, als stecke ein Zauber in dem allen und als sei der Theurg Petrus, trotzdem er von Abkunft ein einfacher Fischer ist, größer als Apollonios und alle, die vor ihm gelebt haben, und habe sie alle hier, Lygia, Pomponia und mich selbst umgarnt.«

[313] »Du schreibst, man könne aus meinem letzten Briefe Unruhe und Niedergeschlagenheit herauslesen. Niedergeschlagenheit mußte darin liegen, da ich Lygia von neuem verloren habe, und Unruhe deshalb, weil eine Wandlung mit mir vorgegangen ist. Ich sage dir offen, nichts ist meiner Natur mehr zuwider als diese Religion, und doch kann ich mich selbst nicht mehr begreifen, seit ich sie kennen gelernt habe. Ist es ein Zauber, ist es Liebe? ... Kirke verwandelte durch ihre Berührung die Körper, aber in mir ist die Seele verwandelt. Nur Lygia konnte dies bewirken oder vielmehr Lygia vermittelst jener wunderbaren Lehre, zu der sie sich bekennt. Als ich von den Christen nach Hause zurückkehrte, erwartete mich niemand. Man glaubte, ich sei in Benevent und werde nicht sobald wiederkommen; daher traf ich im Hause Unordnung, betrunkene Sklaven und ein Fest an, das sie in meinem Triclinium feierten. Sie hätten eher den Tod erwartet als mich und wären nicht so erschrocken über ihn gewesen. Du weißt, mit wie starker Hand ich mein Haus regiere, daher stürzte alles, was lebendigen Odem in sich hatte, auf die Kniee, und einige wurden vor Schreck ohnmächtig. Und weißt du, was ich tat? Im ersten Augenblick wollte ich nach der Peitsche und glühendem Eisen rufen, aber sofort ergriff mich eine Art Scham und willst du mir glauben? – etwas wie Mitleid mit diesen bejammernswerten Menschen; es befinden sich alte Sklaven darunter, die mein Großvater Marcus Vinicius zu Augustus' Zeiten vom Rheine mitgebracht hat. Ich schloß mich einsam in der Bibliothek ein, und hier schossen mir noch wunderlichere Gedanken durch den Kopf, nämlich, daß ich nach dem, was ich bei den Christen gesehen und gehört hatte, die Sklaven nicht mehr so behandeln dürfe wie bisher und daß sie auch Menschen seien. Die beiden folgenden Tage hindurch schwebten diese in Todesangst, da sie glaubten, ich zögere nur deswegen, um mir eine recht grausame Strafe auszusinnen; aber ich strafte nicht und strafte nicht, weil ich es nicht vermochte. Am dritten Tage rief ich sie [314] zusammen und sprach zu ihnen: Ich verzeihe euch; sucht durch verdoppelten Diensteifer euren Fehler wieder gut zu machen! Sie fielen auf die Kniee, Tränen strömten aus ihren Augen, sie breiteten unter unartikulierten Lauten die Arme nach mir aus, nannten mich Herr und Vater, und ich – ich schäme mich, es dir zu gestehen – war ebenfalls bewegt. Mir war es in diesem Augenblicke, als sehe ich Lygias liebliches Antlitz vor mir und als danke sie mir unter Tränen für meine Handlungsweise. Und, pro pudor! ich fühlte, wie auch meine Lider feucht wurden ... Weißt du, was ich dir noch mitteilen muß? Daß ich nichts ohne Lygias Zustimmung unternehmen kann, daß es schlecht um mich bestellt ist, wenn ich allein bin, daß ich geradezu unglücklich bin und daß meine Niedergeschlagenheit größer ist, als du denkst ... Was aber meine Sklaven betrifft, so befremdete mich eine Tatsache. Die Verzeihung, die sie erhielten, machte sie nicht übermütig, auch lockerte sich ihre Zucht nicht – nein! nie hatte die Furcht ihren Diensteifer so angespornt wie jetzt die Dankbarkeit. Sie bedienen mich nicht nur, sondern bemühen sich um die Wette, meine Gedanken zu erraten. Ich teile dir dies deshalb mit, weil ich am Tage vor meinem Weggange von den Christen zu Paulus sagte, daß nach Einführung seiner Lehre die Gesellschaft auseinanderfallen müsse wie ein Faß ohne Reifen, worauf er mir entgegnete: Die Liebe ist ein stärkerer Reifen als die Furcht. Und jetzt sehe ich, daß in gewissen Fällen diese Auffassung richtig sein kann. Ich habe diese Erfahrung auch bei meinen Klienten gemacht, die sich auf die Kunde von meiner Rückkehr hin beeilten, mir ihre Aufwartung zu machen. Du weißt, ich war nie allzu hart gegen sie, aber mein Vater behandelte sie aus Grundsatz von oben herab und hielt mich zur gleichen Handlungsweise an. Jetzt aber erfaßte mich beim Anblick ihrer abgetragenen Mäntel und eingefallenen Gesichter von neuem das Gefühl des Mitleids. Ich ließ ihnen zu essen geben und sprach auch mit ihnen; ich redete die einen mit ihrem Namen an, die anderen fragte [315] ich nach Weib und Kind und sah abermals Tränen in ihren Augen, und wiederum war es mir, als sehe Lygia dies, freue sich darüber und belobige mich. Ob mein Geist anfängt sich zu verwirren oder mir die Liebe das klare Denken trübt, weiß ich nicht; ich weiß nur, ich habe beständig das Gefühl, als beobachte sie mich von weitem, und ich scheue mich, etwas zu tun, was vielleicht ihre Mißbilligung oder ihren Unwillen erregen könnte. Ja, Gajus! mir ist die Seele wie umgetauscht, und bald freue ich mich darüber, bald quält mich wiederum dieser Gedanke, weil ich fürchte, meine frühere Männlichkeit, meine Tatkraft sei von mir genommen und ich werde unbrauchbar für die Ratsversammlung, für das Richteramt, für Gelage und sogar für den Krieg. Das rührt unzweifelhaft von Bezauberung her. Und so sehr bin ich umgewandelt, daß ich dir auch das mitteilen muß, was mir während meines Krankenlagers durch den Kopf ging: wäre Lygia so wie Nigidia, Poppaea, Crispinilla und andere unserer geschiedenen Frauen, wäre sie ebenso gemein, ebenso herzlos und ebenso leichtsinnig, wie sie, so würde ich sie nicht so heiß lieben, wie ich es tue. Aber weil ich sie um dessen willen liebe, was uns trennt, so kannst du dir denken, welches Chaos in meinem Innern herrscht, in welchem Dunkel ich lebe, daß ich keinen bestimmten Weg vor mir sehe und nicht weiß, was ich beginnen soll. Wenn man das Leben mit einer Quelle vergleichen kann, so strömt in meiner Quelle anstatt des Wassers Unruhe. Ich zehre nur von der Hoffnung, Lygia wiederzufinden, und bisweilen ist es mir, als müsse mir dies gelingen ... Aber was aus mir in ein paar Jahren werden soll, weiß ich nicht und kann es mir auch nicht denken. Rom werde ich nicht verlassen. Ich könnte die Gesellschaft der Augustianer nicht ertragen, und zudem gewährt mir in all meiner Trauer und Unruhe einzig der Gedanke Trost, daß ich Lygia nahe bin, daß ich durch den Arzt Glaukos, der mir Nachricht zu geben versprach, oder durch Paulus von Tarsos etwas über sie erfahre. Nein! [316] ich würde Rom nicht verlassen, selbst wenn man mir die Würde eines Statthalters von Ägypten anböte. Wisse auch noch, daß ich einen Bildhauer damit beauftragt habe, einen Grabstein für Gulo, den ich im Jähzorn erschlagen habe, anzufertigen. Zu spät fiel es mir ein, daß er mich auf seinen Armen getragen und zuerst unterwiesen hat, wie man einen Pfeil auf den Bogen legt. Ich weiß nicht, warum sich jetzt in mir die Erinnerung an ihn regt und eine Ähnlichkeit mit Schmerz und Reue hat ... Wenn du dich über das, was ich geschrieben habe, wunderst, so sage ich dir, daß ich mich nicht weniger darüber wundere, aber ich schreibe dir die reine Wahrheit. Gehab dich wohl.«

Fußnoten

1 Ich kam, sah, siegte.

2 Ich kam, sah, floh.

Neunundzwanzigstes Kapitel

Neunundzwanzigstes Kapitel.

Auf diesen Brief erhielt Vinicius keine Antwort, Petronius schrieb nicht, weil er augenscheinlich erwartete, der Caesar könne von Tag zu Tag die Rückkehr nach Rom befehlen. Das Gerücht davon hatte sich schon in der Stadt verbreitet und erregte große Freude beim Pöbel, der sich nach Spielen und der Verteilung von Getreide und Oliven sehnte, von welchen beiden Nahrungsmitteln große Mengen in Ostia aufgestapelt waren. Neros Freigelassener Helios verkündete endlich im Senat die Ankunft des Caesars. Doch reiste Nero, der sich samt seinem Hofe am Vorgebirge Misenum zu Schiff begeben hatte, nur langsam, da er in den Küstenstädten Halt machte, um auszuruhen oder im Theater aufzutreten. In Minturnae, wo er ebenfalls öffentlich sang, verweilte er längere Zeit und hatte sogar die Absicht, wieder nach Neapel zurückzukehren und dort das Nahen des Frühlings abzuwarten, der übrigens früher und wärmer eintrat als gewöhnlich. Diese ganze Zeit hindurch hielt sich Vinicius in seinem Hause eingeschlossen, in seinem Innern mit Lygia und all den neuen Ereignissen beschäftigt, welche seine ganze Seele ausfüllten und in ihr ganz neue Gedanken und Gefühle anregten. Nur der Arzt [317] Glaukos kam von Zeit zu Zeit zu ihm, und seine Besuche verursachten Vinicius stets große Freude, da er mit ihm von Lygia sprechen konnte. Glaukos wußte allerdings nicht, wo sie sich verborgen hielt, versicherte ihm jedoch, daß die Ältesten sorgsam über sie wachten. Einmal sogar erzählte er, von Vinicius' Schmerze gerührt, der Apostel Petrus habe Crispus getadelt, daß er Lygia ihre irdische Liebe zum Vorwurf gemacht habe. Als der junge Patrizier dies hörte, wurde er blaß vor Erregung. Es war ihm mehr als einmal so vorgekommen, als sei er Lygia nicht gleichgültig, aber bald war er wieder in Zweifel und Ungewißheit zurückverfallen. Jetzt vernahm er nun zum erstenmal die Bestätigung seiner Wünsche und Hoffnungen aus dem Munde eines Fremden, noch dazu eines Christen. Im ersten Augenblicke wollte er voller Dankbarkeit zu Petrus eilen; als er aber erfuhr, dieser sei nicht in der Stadt, sondern lehre in der Umgegend, bat er Glaukos, ihn zu ihm zu führen, und versprach dafür den Armen in der Gemeinde reiche Gaben. Auch glaubte er, jetzt, wo Lygia ihn liebe, seien alle Hindernisse beseitigt, da er selbst jeden Augenblick bereit war, an Christus zu glauben. Obgleich Glaukos ihm eindringlich zuredete, sich taufen zu lassen, wagte er es nicht, ihm Lygias Besitz dafür in sichere Aussicht zu stellen, und erklärte ihm, er müsse die Taufe nur ihrer selbst und der Liebe Christi willen empfangen, nicht aber anderer Zwecke wegen. Man muß auch eine christliche Seele haben, sagte er ihm. Und obgleich Vinicius über jedes Hindernis in Harnisch geriet, fing er an zu begreifen, daß Glaukos als Christ so sprach, wie er sprechen mußte. Er konnte sich selbst keine klare Rechenschaft darüber ablegen, daß eine der tiefsten Umwandlungen seines Wesens darin bestand, daß er früher Menschen und Dinge nur vom Standpunkte seines Egoismus aus betrachtet hatte, jetzt aber allmählich zu der Auffassung gelangte, daß anderer Augen anders sehen, anderer Herzen anders empfinden könnten und daß Gerechtigkeit sich nicht immer mit persönlichem Vorteil decke.

[318] Oft empfand er auch den Wunsch, Paulus von Tarsos zu sehen, dessen Worte ihn tief ergriffen und in Unruhe stürzten. Er legte sich im stillen die Gründe zurecht, mit denen er seine Lehre bekämpfen wollte, und disputierte mit ihm in Gedanken, wünschte ihn aber trotzdem zu sehen und zu hören. Paulus hielt sich jedoch in Aricium auf, und da nun auch Glaukos' Besuche immer seltener wurden, lebte Vinicius völlig einsam. Von neuem durchstreifte er jetzt die an die Subura stoßenden Gäßchen und die engen Straßen jenseit des Tiber in der Hoffnung, Lygia, wenn auch nur von weitem, zu sehen, und als auch dieser Hoffnung ihn betrog, begannen Verdruß und Ungeduld sich seiner zu bemächtigen. Es kam schließlich die Zeit, in der sein früheres Wesen mit demselben Ungestüm wieder zum Durchbruch kam, mit dem eine Woge zur Zeit der Flut wieder an das Ufer anprallt, von dem sie bei der Ebbe zurückgewichen war. Er kam sich wie ein Narr vor, der sich unnötigerweise den Kopf mit Dingen anfüllte, die ihn traurig stimmten, anstatt sich das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Er beschloß, Lygia zu vergessen oder wenigstens Zerstreuung und Genuß abgesehen von ihr zu suchen. Er fühlte jedoch, dies war der letzte Versuch, und stürzte sich daher mit dem ganzen blinden, ihm eigenen Ungestüm in den Strudel dieses Lebens, das ihn selbst dazu einzuladen schien.

Die während des Winters ausgestorbene und menschenleere Stadt begann sich infolge der Hoffnung auf die bevorstehende Ankunft des Caesars wieder zu beleben.. Ein feierlicher Empfang harrte des Herrschers. Zudem nahte der Frühling, auf den Abhängen der Albanerberge schmolz der Schnee unter dem Hauch der afrikanischen Winde, die Rasenflächen in den Gärten füllten sich mit Veilchen; die Fora und das Marsfeld wimmelten von Menschen, die sich in der immer heißer brennenden Sonne wärmten. Auf der Via Appia, dem gewöhnlichen Treffpunkte der eleganten Welt, hatte der Korso schön geschmückter Wagen begonnen. Auch unternahm man [319] schon Ausflüge nach den Albanerbergen. Junge Frauen verließen unter dem Vorwande, der Juno in Lanuvium oder der Diana in Aricia opfern zu wollen, ihre Wohnungen, um Abenteuer, Gesellschaften, Versammlungen und Zerstreuungen in Rom aufzusuchen. Hier erblickte Vinicius eines Tages mitten unter den anderen herrschaftlichen Kutschen auch den prunkhaften Wagen der Geliebten des Petronius, Chrysothemis, dem zwei Molosserhunde vorausliefen. Sie war von einer ganzen Schar junger und alter Senatoren umringt, die durch ihr Amt in der Stadt zurückgehalten wurden. Chrysothemis lenkte selbst das korsische Viergespann, während sie nach allen Seiten lächelte und mit der goldenen Peitsche leicht die Pferde berührte. Bei Vinicius' Anblick hielt sie jedoch die Pferde an, forderte ihn auf, einzusteigen, und fuhr dann mit ihm nach Hause, zu einem Gelage, das bis zum frühen Morgen währte. Vinicius trank dabei soviel, daß er sich nicht einmal erinnern konnte, wann man ihn nach Hause gebracht hatte; er entsann sich nur, daß er in Zorn geraten war, als ihn Chrysothemis nach Lygia gefragt hatte, und ihr im Rausche einen Becher Falerner über den Kopf gegossen hatte. Bei der Erinnerung daran packte ihn, selbst als er nüchtern geworden war, noch die Wut. Am nächsten Tage besuchte ihn Chrysothemis, die offenbar den Vorfall vergessen hatte, in seiner Wohnung und fuhr mit ihm abermals auf die Appische Straße hinaus. Dann speiste sie bei ihm zu Abend und eröffnete ihm dabei, daß nicht nur Petronius, sondern auch sein Lautenspieler ihr schon längst gleichgültig geworden und daß ihr Herz augenblicklich frei sei. Zehn Tage ungefähr zeigten sie sich zusammen; aber das Verhältnis versprach keine lange Dauer. Obgleich Lygias Name seit jenes Auftritts beim Falerner nicht mehr erwähnt wurde, konnte Vinicius die Erinnerung an sie doch nicht loswerden. Er hatte beständig die Empfindung, als beobachte sie ihn, und dieses Gefühl erfüllte ihn beinahe mit Furcht. Er geriet in Zorn über sich selbst, daß er sich weder der Vorstellung, er [320] betrübe Lygia, noch des Schmerzes, der ihn bei diesem Gedanken packte, erwehren konnte. Nach der ersten Eifersuchtsszene, die ihm Chrysothemis zweier syrischer Mädchen wegen, die er gekauft hatte, machte, trennte er sich in brutaler Weise von ihr. Er hörte allerdings nicht mit einem Schlage auf, Ausschweifungen zu begehen, sondern tat dies gleichsam Lygia zum Trotz. Endlich jedoch sah er ein, daß der Gedanke an sie ihn keinen Augenblick verlasse, daß sie allein die Urheberin seiner schlechten sowohl wie guten Handlungen sei und daß außer ihr ihm in der Tat nichts auf der Welt Interesse einflößte. Dann erfaßte ihn Ekel und Überdruß. Die Genüsse des Lebens erregten ihm Widerwillen und hinterließen in ihm nur Abscheu davor. Er kam sich erbärmlich vor, und diese Empfindung erfüllte ihn mit maßlosem Staunen, da er früher alles, was ihm zusagte, für gut gehalten hatte. Schließlich büßte er sein freies, sicheres Wesen ein und verfiel in völlige Gleichgültigkeit, aus der ihn nicht einmal die Kunde von der bevorstehenden Ankunft des Caesars aufzurütteln vermochte. Er kümmerte sich um nichts mehr, und selbst Petronius besuchte er erst dann, als dieser ihm eine Einladung und zugleich seine eigene Sänfte schickte.

Trotz des freundlichen Empfanges beantwortete Vinicius die Fragen seines Oheims nur widerwillig; am Ende aber kamen doch die lange zurückgedrängten Gedanken und Empfindungen zum Ausbruch, und die Worte entströmten in vollem Flusse seinen Lippen. Noch einmal erzählte er mit allen Einzelheiten die Geschichte seiner Nachforschungen nach Lygia und seines Aufenthalts bei den Christen, alles, was er dort gesehen und gehört hatte, alles, was ihm durch Kopf und Brust gegangen war, und begann endlich zu klagen, er sei in ein Chaos geraten und habe darin seine Ruhe, sein Verständnis der Verhältnisse und seine Urteilskraft verloren. Nichts freue ihn mehr, nichts interessiere ihn, er wisse nicht, was er beginnen und wie er sich verhalten solle. Er sei bereit, Christus zu verehren und ebensogut zu verfolgen, er erkenne die Erhabenheit seiner Lehre an und habe doch andererseits[321] eine unüberwindliche Abneigung dagegen. Er sehe ein, daß, selbst wenn er Lygia besäße, sie ihm doch nie völlig angehören würde, weil er sie mit Christus teilen müßte. Mit einem Wort, sein Leben sei im Grunde gar kein Leben: ohne Hoffnung, ohne eine Zukunft, ohne Glauben an ein Glück; rings um ihn lagere dichte Finsternis, aus der er tappend einen Ausweg suche, ohne ihn finden zu können.

Petronius betrachtete, während er sprach, seine veränderten Züge, seine Hände, welche er bei seiner Erzählung in seltsamer Weise vor sich ausgestreckt hielt, als suche er wirklich im Dunklen einen Weg, und wurde nachdenklich. Plötzlich sprang er auf, näherte sich Vinicius und begann mit den Fingern in seinem Haar oberhalb des Ohres zu wühlen.

»Weißt du,« fragte er, »daß du schon graues Haar an den Schläfen hast?«

»Das kann sein,« entgegnete Vinicius; »ich würde mich nicht wundern, wenn sie mir binnen kurzem alle weiß würden.«

Sie schwiegen. Petronius war ein kluger Mann und hatte schon oft über die menschliche Seele und das Leben nachgedacht. Im allgemeinen konnte das Leben in der Welt, der beide angehörten, äußerlich glücklich oder unglücklich sein, innerlich aber war es ruhig. Genau wie der Blitz oder ein Erdbeben einen Tempel zerstören konnte, so konnte auch das Unglück ein Leben vernichten, aber in sich selbst setzte es sich aus einfachen harmonischen Linien zusammen, die sich in ihrem Verlaufe nicht wirr kreuzten. Doch in Vinicius' Worten lag etwas Neues, und Petronius stand zum erstenmal vor einer Reihe seelischer Rätsel, die er bisher nicht hatte lösen können. Er war klug genug, um ihre Bedeutung abzuwägen; aber bei all seinem Scharfblicke wußte er auf diese Fragen keine Antwort zu geben. Endlich sagte er nach längerem Schweigen: »Das kann nur Bezauberung sein.«

»Auch ich habe daran gedacht,« erwiderte Vinicius, »öfters schon war es mir, als seien wir beide verzaubert.«

»Wenn du vielleicht zum Beispiel zu den Serapispriestern gingest,« versetzte Petronius. »Ohne Zweifel befinden sich [322] unter ihnen wie unter allen Priestern auch viele Betrüger, es gibt jedoch auch solche unter ihnen, die wunderbare Geheimnisse ergründet haben.«

Er sagte dies jedoch ohne Überzeugungskraft und mit unsicherer Stimme, da er selbst fühlte, wie nutzlos und sogar wie lächerlich dieser Rat in seinem Munde klingen müsse.

Vinicius rieb sich die Stirn und entgegnete: »Bezauberung! Ich habe Zauberer gesehen, die unterirdische, unbekannte Kräfte in ihrem Nutzen verwendeten, ich habe auch solche gesehen, die sich ihrer zum Schaden ihrer Feinde bedienten. Aber die Christen leben in Armut, verzeihen ihren Feinden, predigen Geduld, Tugend und Barmherzigkeit – was für ein Vorteil könnte ihnen aus der Zauberei erwachsen, und zu welchem Zwecke sollten sie diese in Anwendung bringen? ...«

Petronius begann sich zu ärgern, daß sein Scharfsinn keine Antwort finden konnte, wollte dies jedoch nicht zeigen, sondern erwiderte, nur um etwas zu erwidern: »Das ist eine neue Sekte ...«

Nach kurzer Pause fuhr er fort: »Bei der göttlichen Schutzherrin der paphischen Haine! Wie schädigt dies alles das Leben! Du bewunderst die Güte und Tugend dieser Leute – ich aber sage dir, sie stiften Schaden, weil sie Feinde des Lebens sind genau so wie Krankheiten und der Tod selbst. Wir haben so schon genug davon und brauchen nicht noch die Christen. Zähle nur auf: Krankheiten, der Caesar, Tigellinus, die Verse des Caesars, Schuster, welche über die Nachkommen der alten Quiriten herrschen, Freigelassene, welche im Senate sitzen – beim Kastor, es sind ihrer genug. Das ist eine lebenzerstörende und widerwärtige Sekte! Hast du keinen Versuch gemacht, deinen Trübsinn zu verscheuchen, und dein Leben ein wenig genossen?«

»Ja, ich habe es versucht,« entgegnete Vinicius.

Petronius lachte und sagte: »Ah, Verräter! Durch die Sklaven werden Gerüchte rasch verbreitet: du hast mich mit Chrysothemis betrogen.«

Vinicius wehrte verächtlich mit der Hand ab.

[323] »Jedenfalls danke ich dir,« erwiderte Petronius; »ich werde ihr ein Paar perlengestickter Sandalen zusenden; in meiner Liebessprache heißt dies: Pack' dich fort! Ich schulde dir in doppelter Hinsicht Dankbarkeit: einmal dafür, daß du Eunike nicht angenommen hast, zweitens dafür, daß du mich von Chrysothemis befreit hast. Höre mich an! Du siehst einen Mann vor dir, der des Morgens aufsteht, ein Bad nimmt, Feste besucht, Chrysothemis besessen hat, Satiren schreibt und sogar mitunter Verse in seine Prosa mengt, der sich aber bei alledem genau wie der Caesar langweilt und bald nicht mehr imstande sein wird, sich trüber Gedanken zu entschlagen. Und weißt du, woher dies rührt? Nur daher, weil ich etwas in der Ferne suchte, was doch so nahe lag. Eine schöne Frau ist ihr Gewicht in Gold wert, eine Frau aber, die noch obenein liebt, ist geradezu unschätzbar. Eine solche kaufst du nicht für alle Schätze des Verres. Ich sage mir nun Folgendes: Ich will mein Leben mit Genuß anfüllen wie einen Becher mit dem köstlichsten Weine, den die Erde hervorbringt, und daraus trinken, bis mir die Hand erstirbt und die Lippen erblassen. Was weiter folgt, kümmert mich nicht. Hier hast du meine neueste Philosophie.«

»Die hast du stets betätigt. Es ist durchaus nichts Neues darin.«

»Sie besitzt einen Inhalt, der ihr früher abging.«

Nach diesen Worten rief er nach Eunike. Sie trat ein, in weiße Gewänder gehüllt, goldlockig, nicht mehr als Sklavin wie früher, sondern wie die Göttin der Liebe und des Glückes.

Er breitete die Arme aus und rief: »Komm!«

Sie eilte auf ihn zu, setzte sich auf seine Kniee, umschlang ihn mit ihren Armen und verbarg ihr Köpfchen an seiner Brust. Vinicius sah, wie sich ihre Wangen langsam mit Purpurröte zu überziehen begannen und wie ihre Augen traumverloren glänzten. Sie bildeten zusammen eine wunderschöne Gruppe von Liebe und Glück. Petronius griff mit der Hand in eine flache Vase, die neben ihm auf dem Tische [324] stand, entnahm ihr eine Handvoll Veilchen und begann Eunikes Haupt, Brust und Gewand damit zu betreuen; dann streifte er ihr die Tunika von der Schulter herab und sagte: »Glücklich, wer wie ich Liebe in solche Gestalt eingeschlossen gefunden hat ... Bisweilen kommt es mir vor, als seien wir zwei Gottheiten. Sieh selbst! Hat Praxiteles, Myron, Skopas oder Lysias je schönere Linien geschaffen? Gibt es in Paros oder auf dem Penthelikon Marmor wie diesen, warm, rosig und liebedurchglüht? Es gibt Menschen, die die Ränder von Vasen wegküssen; ich ziehe es jedoch vor, dort Genuß zu suchen, wo er wahrhaft in Fülle zu finden ist.«

Nach diesen Worten begann er mit seinen Lippen ihr über Schultern und Hals zu streifen; sie erbebte unter der Berührung, ihre Augen waren bald geschlossen, bald öffneten sie sich mit einem Ausdruck unsäglicher Wonne. Nach einer Weile hob Petronius ihr zierliches Köpfchen empor und sagte, zu Vinicius gewendet: »Jetzt bedenke, was deine düster gesinnten Christen im Vergleich zu dieser Schönheit sind! und wenn du den Unterschied nicht einsiehst, so schließe dich ihnen an! ... Dieser Anblick wird dich aber heilen.«

Vinicius' Nasenflügel blähten sich unter dem Eindruck des Veilchenduftes, der zu ihm drang und das ganze Zimmer erfüllte; dann erblaßte er, denn er mußte daran denken, wenn er so seine Lippen auf Lygias Schultern drücken könnte, so wäre das die Lust eines Tempelschänders gewesen, aber so überwältigend, daß nachher die Welt ruhig hätte in Trümmer stürzen können. Aber gewohnt, wie er jetzt war, genau auf alles zu achten, was in ihm vorging, bemerkte er, daß er in diesem Augenblicke an Lygia dachte, an sie allein.

»Eunike, Göttin,« sagte jetzt Petronius, »laß Kränze für uns winden und ein Mahl herrichten.«

Als sie das Zimmer verlassen hatte, wandte er sich an Vinicius. »Ich wollte sie freigeben, und weißt du, was sie mir zur Antwort gab? Ich will lieber deine Sklavin als die Gemahlin des Caesars sein. Sie wollte ihre Zustimmung nicht [325] geben. Dann gab ich sie ohne ihr Wissen frei. Der Praetor tat mir den Gefallen, daß er ihre Gegenwart dabei nicht verlangte. Sie weiß jedoch nichts davon, ebenso wie sie es nicht weiß, daß dieses Haus und alle meine Kostbarkeiten samt allen Edelsteinen ihr für den Fall meines Todes gehören.«

Nach diesen Worten erhob er sich, ging im Zimmer auf und ab und sagte: »Die Liebe wandelt die einen mehr, die anderen weniger um, und auch mich hat sie umgewandelt. Früher liebte ich Verbenenduft; da aber Eunike Veilchen vorzieht, so liebe ich sie jetzt auch über alles, und seitdem es Frühling geworden ist, atmen wir nur noch unter Veilchen.«

Er blieb vor Vinicius stehen und fragte: »Und du, liebst du immer noch die Narde?«

»Laß mich in Ruhe!« entgegnete der junge Tribun.

»Ich wollte dir Eunike zeigen und erzähle dir von ihr, weil auch du vielleicht etwas in der Ferne suchst, was in deiner Nähe liegt. Vielleicht schlägt auch für dich in den Schlafzimmern deiner Sklavinnen ein treues, schlichtes Herz. Lege diesen Balsam auf deine Wunden. Du sagst, Lygia liebe dich? Mag sein! Aber was ist das für eine Liebe, welche entsagt? Heißt das nicht, daß es etwas gibt, was stärker ist als sie? Nein, Bester! Lygia ist nicht Eunike.«

»Alles ist nur eine einzige Qual für mich. Ich sah dich Eunikes Schultern küssen und mußte dabei denken, daß, wenn Lygia so die ihrigen vor mir entblößen wollte, sich dann getrost die Erde unter uns öffnen könnte! Doch bei dem bloßen Gedanken daran ergriff mich eine Angst, als habe ich eine Vestalin geraubt oder einer Göttin Schmach angetan ... Lygia ist nicht Eunike, nur daß ich diesen Unterschied anders auffasse als du. Dir hat die Liebe den Geruch verändert, daher ziehst du die Veilchen den Verbenen vor, mir hat sie die Seele umgewandelt, daher sehe ich es trotz meiner Qual und trotz meines Verlangens lieber, Lygia bleibt so, wie sie ist, als daß sie so wird wie andere.«

Petronius zuckte die Achseln.

[326] »In diesem Falle geschieht dir kein Unrecht. Aber ich verstehe dich nicht.«

»Ja, ja,« erwiderte Vinicius glühend vor Erregung – »wir können einander nicht mehr verstehen.«

Von neuem trat eine kurze Pause ein; dann sagte Petronius: »Möge der Hades deine Christen verschlingen! Sie haben dich in inneren Zwiespalt gestürzt und dir deine Lebensauschauung zertrümmert. Möge sie der Hades verschlingen! Du irrst, wenn du glaubst, ihre Religion sei gut, denn gut ist das, was die Menschen glücklich macht, das heißt Schönheit, Liebe und Macht; sie freilich nennen all dies eitel. Du irrst, wenn du sie gerecht nennst, denn wenn wir Böses mit Gutem vergelten, wie wollen wir dann das Gute belohnen? Und wenn für das eine wie für das andere dieselbe Belohnung besteht, welchen Nutzen bringt es dann den Menschen, gut zu sein?«

»Nein, die Belohnung ist nicht dieselbe, beginnt aber zufolge ihrer Lehre erst in einem zukünftigen Leben, das ewig währt.«

»Auf so etwas lasse ich mich nicht ein; denn davon müssen wir uns erst überzeugen, ob es möglich ist, ohne Augen zu sehen. Bis dahin sind sie geradezu Stümper. Ursus hat Kroton erwürgt, weil er Muskeln aus Stahl besitzt; alles andere ist Narrheit; die Zukunft aber kann nicht Narren gehören.«

»Für sie beginnt das Leben erst nach dem Tode.«

»Dann könnte auch jemand sagen: Der Tag beginnt erst, wenn es Nacht ist. Hast du noch die Absicht, Lygia zu entführen?«

»Nein; ich will ihr nicht Gutes mit Bösem vergelten, und habe geschworen, es nicht zu tun.«

»Hast du die Absicht, die Lehre Christi anzunehmen?«

»Ja, ich möchte es schon; aber meine Natur sträubt sich dagegen.«

»Wirst du Lygia vergessen können?«

»Nein!«

»Dann verreise.«

In diesem Augenblicke meldeten die Sklaven, das Mahl sei angerichtet; Petronius, der einen guten Einfall zu haben [327] glaubte, fuhr auf dem Wege nach dem Triclinium fort zu sprechen.

»Du bist über einen Teil der Erde geritten, aber nur als Soldat, der an seinen Bestimmungsort eilt und sich unterwegs nicht aufhält. Komm mit uns nach Achaja. Der Caesar hat bisher den Reiseplan nicht aufgegeben. Überall unterwegs wird er Halt machen; er wird singen, Kränze einheimsen, Tempel plündern und schließlich als Triumphator nach Italien zurückkehren. Es wird etwas werden, wie wenn Bakchos und Apollon in einer Person reisten. Augustianer, Augustianerinnen, tausende von Lautenspielern, beim Kastor! So etwas ist des Ansehens wert, denn die Welt hat bis jetzt noch nichts Ähnliches erblickt.«

Er ließ sich auf der Polsterbank neben Eunike an der Tafel nieder, und als ihm der Sklave einen Anemonenkranz aufgesetzt hatte, fuhr er fort: »Was hast du in Corbulos Diensten gesehen? Nichts. Kennst du die griechischen Tempel so gründlich wie ich, der ich über zwei Jahre lang aus den Händen des einen Führers in die des anderen wanderte? Bist du in Rhodos gewesen und hast den Platz gesehen, wo der Koloß steht? Hast du in Panope in Phokis den Lehm gesehen, aus dem Prometheus die Menschen geschaffen hat, oder in Sparta die Eier, die Leda gelegt hat, oder in Athen die berühmte sarmatische Rüstung aus Pferdehufen oder in Euboia das Schiff Agamemnons oder den Becher, für den die linke Brust der Helena als Modell gedient hat? Hast du Alexandria, Memphis, die Pyramiden, das Haar der Isis, das sie sich aus Schmerz über den Tod des Osiris ausgerauft hat, gesehen? Hast du die Memnonssäule gehört? Die Welt ist weit, und nicht alles schließt die Gegend jenseit des Tiber ein. Ich werde den Caesar begleiten und mich dann auf der Rückreise von ihm trennen, um Cypern zu besuchen, weil es meine goldlockige Göttin wünscht, daß wir in Paphos der Cypris Tauben opfern, und du mußt wissen, daß, was sie wünscht, auch geschieht.«

»Ich bin deine Sklavin,« sagte Eunike.

[328] Er legte sein bekränztes Haupt auf ihren Schoß und sagte lächelnd: »Dann bin ich der Sklave einer Sklavin. Ich bewundere dich, Göttin, vom Kopf bis zu den Füßchen.«

Dann wandte er sich an Vinicius und fuhr fort: »Komm mit uns nach Cypern. Vergiß aber nicht, daß du vorher dem Caesar deine Aufwartung machen mußt. Es ist schlimm, daß du nicht schon bei ihm gewesen bist; Tigellinus ist imstande, diese Versäumnis zu deinem Schaden auszunutzen. Er hegt zwar keine persönliche Feindschaft gegen dich, aber er kann dich schon aus dem Grunde nicht lieben, weil du mein Schwestersohn bist ... Wir sagen, du seist krank gewesen. Wir müssen etwas aussinnen, was du Nero antworten kannst, wenn er sich nach Lygia erkundigt. Am besten machst du eine verächtliche Handbewegung und sagst ihm, sie sei in deinem Hause gewesen, bis du ihrer überdrüssig geworden seiest. Er wird das begreifen. Sage ihm auch, Krankheit habe dich zu Hause festgehalten, dein Fieber habe sich durch den Kummer darüber gesteigert, daß du nicht in Neapel sein und seinen Gesang hören konntest; einzig und allein die Hoffnung, ihn zu hören, könne deine Genesung herbeiführen. Scheue vor keiner Übertreibung zurück. Tigellinus geht mit dem Plane um, für den Caesar etwas zu erfinden, was nicht nur großartig, sondern sogar riesenhaft werden soll ... Ich fürchte, er wird mich stürzen. Ich fürchte auch deine Geschicklichkeit ...«

»Weißt du,« unterbrach ihn Vinicius, »daß es Leute gibt, die den Caesar nicht fürchten und so ruhig dahinleben, als ob er gar nicht auf der Welt wäre.«

»Ich weiß, wen du meinst: die Christen.«

»Jawohl. Sie allein ... Was ist dagegen unser Leben als eine beständige Angst?«

»Laß mich mit deinen Christen in Ruhe! Sie fürchten den Caesar nicht, weil er vielleicht noch nichts von ihnen gehört hat. Jedenfalls weiß er nichts von ihnen und kümmert sich so wenig um sie wie um welke Blätter. Ich sage dir, es sind Stümper; du fühlst es selbst, und wenn sich deine Natur gegen ihre Religion sträubt, so kommt dies eben daher, [329] daß du ihre Stümperhaftigkeit einsiehst. Du bist aus anderem Holze geschnitzt; daher kümmere dich nicht weiter um sie und laß auch mich mit ihnen in Ruhe. Wir verstehen zu leben und zu sterben; was sie aber verstehen, weiß man nicht.«

Diese Worte machten auf Vinicius einen tiefen Eindruck, und auf dem Heimwege kam ihm der Gedanke, jene Güte und Barmherzigkeit der Christen sei am Ende weiter nichts als ein Beweis für ihre Geistesarmut. Es schien ihm, tüchtige und tatkräftige Männer könnten nicht so leicht verzeihen, und es war ihm, als läge gerade hierin der Grund für die Abneigung, welche seine römische Seele gegen diese Religion empfand. »Wir verstehen zu leben und zu sterben!« hatte Petronius gesagt. »Und sie? Sie wissen nur zu verzeihen und kennen weder echte Liebe noch echten Haß.«

Dreißigstes Kapitel

Dreißigstes Kapitel.

Als der Caesar nach Rom zurückgekehrt war, ärgerte er sich darüber, und schon nach wenigen Tagen beseelte ihn von neuem der Wunsch, nach Achaja zu reisen. Er erließ sogar ein Edikt, in dem er verkündete, seine Abwesenheit würde nicht lange dauern, und die Staatsgeschäfte würden dadurch keine Unterbrechung erleiden. Dann begab er sich in Begleitung der Augustianer, unter denen sich auch Vinicius befand, nach dem Kapitol, um den Göttern für den glücklichen Verlauf der geplanten Reise Opfer darzubringen. Aber am zweiten Tage, als er den Tempel der Vesta besuchte, ereignete sich ein Vorfall, der alle seine Pläne vereitelte. Nero glaubte nicht an die Götter, fürchtete sie aber, und namentlich die geheimnisvolle Vesta flößte ihm solches Grauen ein, daß sich beim Anblick der Göttin und ihres heiligen Feuers seine Haare vor Entsetzen sträubten, seine Zähne zusammenschlugen, ein Schauder ihm durch alle Glieder lief und er bewußtlos in die Arme des zufällig dicht hinter ihm stehenden Vinicius sank. Er wurde sofort aus dem Tempel getragen und nach dem Palatin gebracht, wo er zwar bald wieder [330] völlig zu sich kam, aber doch den ganzen Tag das Bett nicht verlassen konnte. Nun erklärte er zum größten Erstaunen aller Anwesenden, seinen Reiseplan auf spätere Zeit verschieben zu wollen, da ihn die Göttin in geheimnisvoller Weise vor Übereilung gewarnt habe. Eine Stunde später verkündeten schon öffentliche Ausrufer in ganz Rom, daß der Caesar in Anbetracht der traurigen Gesichter der Bürger und von derselben Liebe gegen sie erfüllt, wie sie ein Vater seinen Kindern gegenüber empfinde, bei ihnen bleiben wolle, um Freud und Leid mit ihnen zu teilen. Das Volk, das sich über das Bleiben des Caesars freute und zugleich überzeugt war, daß jetzt weder die Spiele noch die Getreideverteilungen ausfallen würden, versammelte sich in Massen vor den Toren des Palatins und erhob ein Freudengeschrei zu Ehren des göttlichen Caesars. Dieser unterbrach das Würfelspiel, an dem er sich eben mit den Augustianern ergötzte, und sagte: »Ja! der Aufschub war notwendig. Ägypten und die Herrschaft über den Orient können mir der Prophezeiung gemäß nicht entgehen; auch Achaja wird mir nicht verloren sein. Ich werde den Isthmus von Korinth durchstechen lassen und in Ägypten Bauten errichten, im Vergleich zu denen die Pyramiden nur als kindische Spielerei erscheinen sollen. Ich werde eine Sphinx erbauen lassen, die siebenmal so groß werden soll wie die, welche jetzt vor Memphis auf die Wüste blickt, und werde ihr meine Züge geben lassen. Die kommenden Jahrhunderte sollen nur von diesem Denkmal und von mir sprechen.«

»Mit deinen Versen hast du dir ein Denkmal errichtet, das nicht siebenmal, sondern dreimal siebenmal so groß ist wie die Cheopspyramide,« erwiderte Petronius.

»Und mit meinem Gesange?« fragte Nero.

»Ach, wenn man doch eine Statue errichten könnte, so groß wie die Memnonssäule, die mit deiner Stimme den Aufgang der Sonne begrüßen könnte! Die an Ägypten stoßenden Meere würden alle kommenden Jahrhunderte hindurch von Schiffen bedeckt sein, auf denen sich die Menschen [331] dreier Erdteile in Scharen drängen würden, um deinem Gesange zu lauschen.«

»Ach, wer das könnte!« seufzte Nero.

»Aber du kannst dich als Quadrigalenker in Basalt aushauen lassen.«

»Richtig! das werde ich tun.«

»Du wirst damit der Menschheit ein Geschenk machen.«

»In Ägypten werde ich mich mit der Mondgöttin vermählen, die jetzt Witwe ist, und dann werde ich in Wahrheit ein Gott sein.«

»Und uns gib die Gestirne zu Frauen; wir werden dann ein neues Sternbild darstellen, das den Namen Nero tragen soll. Vitellius aber vermähle mit der Nilgöttin, damit er Nilpferde erzeuge, und Tigellinus gib die Wüste zur Gattin, dann wird er dort König der Schakale sein.«

»Und welche Aufgabe weist du mir zu?« fragte Vatinius.

»Apis segne dich! Du hast so herrliche Spiele in Benevent veranstaltet, daß ich dir nichts Böses wünschen kann. Mache ein Paar Schuhe für die Sphinx, deren Tatzen bisweilen im Nachttau zittern, und dann kannst du ja Sandalen für die Kolosse anfertigen, die die Alleen vor den Tempeln einfassen. Jedermann wird hier eine passende Beschäftigung finden. Domitius Afer zum Beispiel wird Schatzmeister, denn seine Ehrlichkeit ist bekannt. Ich freue mich, Caesar, wenn du von Ägypten träumst und es schmerzt mich, daß du die Reise aufgeschoben hast.«

»Eure sterblichen Augen haben nichts erblickt,« erwiderte Nero; »denn die Gottheit macht sich nach Belieben unsichtbar. Wißt, als ich im Tempel der Vesta stand, trat die Göttin selbst an meine Seite und sagte mir ins Ohr: Verschiebe die Reise! Dies kam so unerwartet, daß ich erschrak, obgleich ich den Göttern für ihre so augenscheinliche Sorge um mich dankbar sein muß.«

»Wir alle erschraken,« entgegnete Tigellinus, »und die Vestalin Rubria wurde ohnmächtig.«

»Rubria!« sprach Nero, »was für einen schneeigen Hals hat sie!«

[332] »Aber sie errötete bei deinem Anblicke, göttlicher Caesar ...«

»Ja, auch ich bemerkte es. Es klingt wunderbar! Vestalin! In jeder Vestalin liegt etwas Göttliches, und Rubria ist sehr schön.«

Er dachte eine Weile nach und fragte dann: »Sagt mir, warum fürchtet man Vesta mehr als die übrigen Gottheiten? Was bedeutet das? Selbst mich überkam Furcht, obgleich ich Oberpriester bin. Ich erinnere mich nur, daß ich zurücksank und zu Boden gestürzt wäre, hätte mich nicht jemand gehalten. Wer war das?«

»Ich,« antwortete Vinicius.

»Ach du, schrecklicher Ares? Warum bist du nicht mit in Benevent gewesen? Man sagte mir, du seiest krank, und in der Tat haben sich deine Züge verändert. Aber, wie ist mir denn? Ich hörte, Kroton hat dich ermorden wollen? Ist das wahr?«

»Ja – er brach mir den Arm, aber ich verteidigte mich.«

»Mit gebrochenem Arm?«

»Es kam mir ein Barbar zu Hilfe, der stärker war als Kroton.« – Nero blickte ihn voller Verwunderung an.

»Stärker als Kroton? Scherzest du? Kroton war der stärkste von allen Menschen, jetzt ist es Syphax aus Äthiopien.«

»Ich berichte dir, Caesar, was ich mit eigenen Augen gesehen habe.«

»Wo ist diese Perle? Ist er nicht König des Haines geworden?«

»Ich weiß es nicht, Caesar, ich verlor ihn aus den Augen.«

»Weißt du auch nicht, aus welchem Lande er stammt?«

»Ich hatte den Arm gebrochen und konnte ihn daher um nichts fragen.«

»Stelle Nachforschungen nach ihm an und teile mir das Ergebnis mit.«

»Auch ich werde ihn suchen lassen,« sagte Tigellinus.

Nero fuhr, zu Vinicius gewendet, fort: »Ich danke dir, daß du mich aufgefangen hast. Ich hätte hinstürzen und mir das Haupt zerschmettern können. Früher warst du ein guter [333] Gesellschafter, aber seit dem Kriege unter Corbulos Oberbefehl bist du etwas verwildert und läßt dich selten sehen.«

Dann sagte er nach einer kurzen Pause: »Wie geht es jenem Mädchen mit den engen Hüften, in das du dich verliebt hattest und das ich dir von Aulus holen ließ?«

Vinicius geriet in Verwirrung; aber Petronius kam ihm in diesem Augenblick zu Hilfe.

»Ich wette, Herr,« sagte er, »er hat sie vergessen. Siehst du seine Verwirrung? Frage ihn, wie viele er seitdem schon gehabt hat, und ich weiß nicht, ob er dir darauf wird antworten können. Aus dem Geschlechte der Vinicier sind gute Soldaten, aber noch bessere Hähne hervorgegangen. Sie bedürfen ganzer Scharen. Strafe ihn dafür, Caesar, und lade ihn nicht zu dem Feste ein, das uns Tigellinus dir zu Ehren an dem Teiche des Agrippa geben wird.«

»Nein, das will ich denn doch nicht tun. Ich habe zu Tigellinus das Zutrauen, daß es auch dort an Scharen schöner Frauen nicht fehlen wird.«

»Sollten die Grazien fehlen, wo Amor weilt?« entgegnete Tigellinus.

»Ich langweile mich!« versetzte Nero; »ich bin dem Willen der Götter gehorsam in Rom geblieben, aber ich kann die Stadt nicht leiden. Ich will nach Antium gehen. Ich ersticke in diesen engen Straßen, inmitten dieser dem Einsturz drohenden Häuser, inmitten dieser schmutzigen Gassen. Die ungesunde Luft dringt bis zu mir, bis in mein Haus und meine Gärten. Wenn doch ein Erdbeben Rom zerstören oder ein erzürnter Gott die Stadt dem Erdboden gleichmachen wollte, damit ich euch zeigen könnte, wie man eine Stadt bauen muß, die die Hauptstadt der Welt und meine Residenz ist.«

»Caesar,« entgegnete Tigellinus, »du sagst: wenn doch ein erzürnter Gott die Stadt zerstören wollte, war es nicht so?«

»Gewiß, und was weiter?«

»Bist du denn nicht ein Gott?«

Nero winkte mit der Hand zum Zeichen seines Überdrusses [334] und sagte dann: »Wir werden uns ansehen, was du uns an den Teichen des Agrippa für Überraschungen zugedacht hast. Dann gehe ich nach Antium. Ihr seid alle kleinlich, daher begreift ihr nicht, daß ich des wahrhaft Großen bedarf.«

Nach diesen Worten schloß er die Augen und gab dadurch zu erkennen, daß er der Ruhe bedürfe. Die Augustianer zogen sich daher allmählich zurück. Petronius trat zu Vinicius und sagte zu ihm: »Du bist also eingeladen, an dem Feste teilzunehmen. Der Rotbart hat die Reise aufgegeben, aber dafür wird er verrückter als je und will in der Stadt schalten und walten wie im eigenen Hause. Versuche auch du, in der Verrücktheit Zerstreuung und Vergessen zu finden. Zum Henker! Wir haben die Welt erobert und haben ein Recht, das Leben zu genießen. Du bist ein sehr hübscher Junge, Marcus, und diesem Umstande schreibe ich einen Teil der Zuneigung zu, die ich für dich empfinde. Bei der Diana von Ephesus! Könntest du doch deine gerunzelten Brauen und dein Gesicht sehen, in dem sich so deutlich das alte Blut der Quiriten verrät. Die anderen hier sehen im Vergleiche zu dir wie Freigelassene aus. So ist es! Existierte diese wunderliche Religion nicht, so befände sich Lygia heute in deinem Hause. Versuche mir noch einmal zu beweisen, daß die Christen nicht Feinde des Lebens und des menschlichen Geschlechts sind ... Sie haben dich gut behandelt; daher kannst du ihnen dankbar sein, aber an deiner Stelle würde ich diese Religion hassen und mir den Genuß dort suchen, wo er in Fülle zu haben ist. Du bist ein hübscher Bursche, wiederhole ich dir, und Rom ist voll von geschiedenen Frauen.«

»Mich wundert nur das eine, daß dir dies alles noch nicht zuwider ist.«

»Wer sagt dir das? Ich habe es schon längst satt, aber ich bin nicht mehr in deinen Jahren. Ich habe außerdem andere Liebhabereien, die dir abgehen. Ich liebe die Bücher, aus denen du dir nichts machst; ich liebe die Poesie, die dich langweilt; ich liebe Vasen, Edelsteine und eine Menge Dinge, [335] die dich kalt lassen, ich habe Schmerzen im Kreuz, die dir fehlen, und schließlich habe ich Eunike gefunden, während du nichts Gleiches aufzuweisen hast. Ich fühle mich in meinem Hause inmitten meiner Kunstwerke wohl; aus dir aber wird niemals ein Mann von feinem Geschmacke. Ich weiß, daß mir das Leben nichts Besseres mehr zu bieten hat, als ich gefunden habe, während du es selbst nicht weißt, daß du noch beständig hoffst und suchst. Wenn der Tod an dich herantritt, wirst du trotz all deines Mutes und all deiner Traurigkeit befremdet sein, daß du die Welt schon verlassen mußt, während ich ihn als eine Notwendigkeit hinnehmen werde mit der Gewißheit, jeden Genuß durchgekostet zu haben, den mir die Welt bieten kann. Ich eile nicht, zögere aber auch nicht und will versuchen, bis ans Ende heiter und guter Dinge zu sein. Es gibt heitere Skeptiker in der Welt. Die Stoiker sind in meinen Augen Toren, aber der Stoizismus verringert wenigstens die Leiden, während deine Christen Trauer in die Welt bringen; die Trauer aber ist im Leben dasselbe, wie Regenwetter in der Natur. Weißt du, was ich erfahren habe? Während des von Tigellinus gegebenen Festes werden am Ufer des agrippinischen Teiches verschwiegene Zelte stehen und in ihnen Frauen aus den vornehmsten Häusern Roms versammelt sein. Sollte sich dort nicht wenigstens eine Schönheit finden, die dich zu fesseln vermöchte? Es werden auch Mädchen dort erscheinen, die zum erstenmal in der Welt auftreten ... als Nymphen verkleidet. So ist unser römisches Caesarentum. Es ist schon heiß, der Südwind erwärmt das Wasser, und nackt zu gehen, ist nicht unangenehm. Und du, Narcissus, wisse, daß sich keine einzige finden wird, die dir widersteht, keine einzige, und wäre es selbst eine Vestalin.«

Vinicius schlug sich die Hände vor das Gesicht wie jemand, der beständig von einem einzigen Gedanken beherrscht ist.

»Es müßte ein ganz besonderer Glücksfall sein, wenn ich eine solche anträfe ...«

»Wer hat dir das angetan als diese Christen! .... Aber Leute, [336] deren Symbol das Kreuz ist, können nicht anders sein. Höre mich an: Griechenland war schön und brachte die Weltweisheit hervor, wir brachten die Macht hervor, was kann aber deiner Meinung nach diese Religion hervorbringen? Wenn du es weißt, so sage es mir, denn, beim Pollux! ich kann es nicht erraten.«

Vinicius zuckte die Achseln.

»Du scheinst zu fürchten, daß ich Christ werde.«

»Ich fürchte, daß du dir dein Leben zerstörst. Wenn du kein Grieche werden kannst, dann bleibe Römer: herrsche und genieße! Unser Wahnwitz hat deshalb einen gewissen Sinn, weil in ihm ein selbständiger Gedanke schlummert. Den Rotbart verachte ich, weil er ein Affe des Griechentums ist. Wollte er sich für einen Römer halten, so müßte ich ihm das Recht zugestehen, wahnwitzig zu handeln. Versprich mir, wenn dir auf dem Heimwege ein Christ begegnet, ihm die Zunge herauszustrecken. Wenn es der Arzt Glaukos ist, so wird er sich nicht einmal darüber wundern. Auf Wiedersehen am Teiche des Agrippa!«

Einunddreißigstes Kapitel

Einunddreißigstes Kapitel.

Prätorianer umgaben die Haine an den Ufern des Teiches des Agrippa, damit nicht allzu zahlreiche Scharen von Zuschauern den Caesar und seine Gesellschaft belästigten, zumal sich das Gerücht verbreitet hatte, daß alles, was sich in Rom durch Reichtum, Geist oder Schönheit auszeichnete, an jenem Feste teilnehmen werde, das in der Geschichte der Stadt nicht seinesgleichen habe. Tigellinus wollte dem Caesar für die aufgeschobene Reise nach Achaja einen Ersatz bieten und zugleich alle übertreffen, die Nero je bewirtet hatten, um ihm zu zeigen, daß es niemand so wie er verstehe, ein Fest zu geben. Zu diesem Zwecke hatte er schon, während er mit dem Caesar in Neapel und später in Benevent war, Vorbereitungen getroffen und Leute ausgeschickt, die ihm aus den fernsten Ländern der Welt wilde Tiere, Vögel, seltene Fische und Pflanzen, der Gefäße und gewebten Stoffe gar nicht zu gedenken, zusammenbringen sollten, um das Fest zu einem [337] recht prunkvollen zu gestalten. Die Steuern aus ganzen Provinzen gingen für die Verwirklichung wahnsinniger Pläne darauf, aber der mächtige Günstling brauchte sich darum nicht zu kümmern. Sein Einfluß steigerte sich von Tag zu Tag. Tigellinus wurde von Nero noch nicht den anderen Höflingen vorgezogen, aber er machte sich immer unentbehrlicher. Petronius übertraf ihn unendlich an Bildung, Geist, Witz und feiner Unterhaltungsgabe; zu seinem Unglücke übertraf er aber hierin auch den Caesar selbst und erregte hierdurch dessen Eifersucht. Er verstand es auch nicht, dem Caesar in allem recht zu geben, und dieser fürchtete sein Urteil, wenn es sich um Fragen des Geschmackes handelte, während er sich in Tigellinus' Gegenwart keinerlei Zwang auferlegte. Schon der Beiname arbiter elegantiarum, den man Petronius gegeben hatte, verletzte Neros Eigenliebe, denn wer anders sollte ihn tragen als er allein? Tigellinus besaß aber zuviel Klugheit, als daß er seine eigenen Mängel nicht erkannt hätte, und da er einsah, daß er sich weder mit Petronius noch mit Lucanus noch mit anderen, die sich durch Geburt, Talent oder Wissen auszeichneten, in einen Wettstreit einlassen konnte, so suchte er sie durch seine Unterwürfigkeit auszustechen, vor allem aber durch einen Luxus, der selbst Neros Phantasie in Erstaunen setzte.

Das Fest sollte auf einem riesigen Floß aus vergoldeten Balken stattfinden. Die Ränder des Flosses waren mit prächtigen Muscheln verziert, die aus dem Roten Meere und dem Indischen Ozean stammten und in Perlmutter- und Regenbogenfarben schimmerten. Die Seiten waren durch Palmengruppen, Lotoshaine und blühende Rosensträucher verhüllt, in deren Mitte Fontänen, die wohlriechendes Wasser von sich gaben, Götterstatuen und goldene oder silberne Käfige voll buntfarbiger Vögel versteckt waren. In der Mitte erhob sich ein riesiges Zelt oder vielmehr, um eine freie Aussicht zu gewähren, nur ein Zeltdach aus syrischem Purpurstoff, das auf silbernen Säulen ruhte. Darunter funkelten wie die Sonne die für die Gäste bestimmten Tische, schwerbeladen [338] mit alexandrinischem Glase, Kristall und Vasen von geradezu unermeßlichem Werte, Beutestücken aus Italien, Griechenland und Kleinasien. An das Floß, das durch die daraufstehenden Pflanzen und Bäume das Aussehen einer Garteninsel erhielt, waren mit Gold- und Purpurtauen Boote in Gestalt von Fischen, Schwänen, Möwen und Flamingos befestigt, in denen an buntfarbigen Rudern nackte Frauen und Männer saßen, an Gestalt und Bewegungen von wunderbarer Schönheit, die Haare nach orientalischer Sitte aufgebunden oder durch goldene Netze zusammengehalten. Als Nero in Begleitung Poppaeas und der Augustianer das prächtige Floß betreten und unter dem purpurnen Zeltdache Platz genommen hatte, bewegten sich jene Kähne, die Ruder tauchten ins Wasser, die goldenen Taue zogen an, und das Floß fing an, sich samt dem Garten und den Gästen in Kreislinien auf dem Teiche zu bewegen. Noch andere Kähne und kleinere Flosse umringten es, voll von Lautenschlägern und Harfenspielern, deren rosige Körper auf dem Hintergrunde des blauen Himmels oder Wassers und im Widerscheine der goldenen Instrumente den Eindruck machten, als saugten sie jene Azurfarbe und jenen Goldglanz in sich ein und als schimmerten und prangten sie wie Blumen.

Aus den Hainen am Ufer, aus phantastischen Bauwerken, die eigens zu diesem Feste errichtet worden waren und im Gehölze verborgen lagen, ließ sich Musik und Gesang vernehmen. Die ganze Umgebung hallte davon wider, die Haine ertönten von den Klängen, das Echo wiederholte den Schall der Hörner und Trompeten. Der Caesar selbst, der zwischen Poppaea und Pythagoras saß, staunte, und namentlich als zwischen den Kähnen junge als Sirenen verkleidete Sklavinnen erschienen, die mit grünen Netzen in Nachahmung der Schuppen bedeckt waren, hörte er nicht auf, Tigellinus seine Anerkennung auszusprechen. Aus Gewohnheit blickte er jedoch auf Petronius, da er die Ansicht des »arbiter« zu erfahren wünschte; dieser aber verhielt sich lange Zeit gleichgültig und antwortete erst auf eine direkte Frage: »Ich bin [339] der Meinung, Herr, daß zehntausend nackte Mädchen weniger Eindruck machen als ein einziges.«

Dem Caesar gefiel jedoch das »schwimmende Fest,« denn es war etwas Neues. Außerdem wurden wie gewöhnlich so auserlesene Gerichte aufgetragen, daß Aepicius' Phantasie bei ihrem Anblick erlahmt wäre, und so vielerlei Weine, daß Otho, bei dem es nur achtzig Sorten gegeben hatte, sich vor Scham ins Wasser gestürzt hätte, wäre er zu dem Feste eingeladen gewesen. Außer den Frauen saßen auch die Augustianer an der Tafel, unter denen Vinicius alle an Schönheit überstrahlte. Früher hatten Gestalt und Gesicht zu sehr an den Berufssoldaten erinnert; jetzt hatten innerliche Qual und körperlicher Schmerz, die er beide erduldet hatte, seine Züge so sein ausgemeißelt, als ob die Meisterhand eines großen Künstlers daran gearbeitet hätte. Seine Haut hatte die frühere dunkle Färbung verloren, aber den goldigen Glanz des numidischen Marmors beibehalten. Die Augen waren größer und ernster geworden. Nur sein Körper besaß noch die kräftigen wie für den Panzer geschaffenen Formen von früher, doch über diesem Körper eines Legionärs erhob sich der Kopf eines griechischen Gottes oder wenigstens eines verfeinerten Patriziers, geistvoll und schön zugleich. Als Petronius ihm sagte, keine Augustianerin könne oder wolle ihm widerstehen, hatte er als erfahrener Mann gesprochen. Alle blickten jetzt auf ihn, Poppaea und die Vestalin Rubria nicht ausgeschlossen, welch letztere Caesar bei diesem Feste um sich zu sehen gewünscht hatte.

In Firnschnee gekühlter Wein erhitzte bald Herz und Kopf der Gäste. Aus den Uferbüschen schossen immer neue Kähne in Gestalt von Heuschrecken und Schmetterlingen hervor. Die blaue Fläche des Teiches sah aus, als habe sie jemand mit Blumenblättern bestreut oder als sei sie mit Schmetterlingen übersät. Über die Kähne hinweg flogen hier und da Tauben und andere Vögel aus Asien und Afrika, die an silberne und blaue Fäden oder Schnüre festgebunden waren. Die Sonne eilte schon auf den westlichen Teil des [340] Himmels zu, aber der Tag war, obgleich das Fest Anfang Mai stattfand, warm, ja sogar heiß zu nennen. Der Teich hob und senkte sich unter den Schlägen der Ruder, die nach dem Takte der Musik ins Wasser tauchten. In der Luft war nicht der leiseste Windhauch zu spüren, die Haine standen bewegungslos da, als hörten und sähen sie den Vorgängen auf dem Wasser zu. Das Floß kreiste unaufhörlich auf dem Teiche umher, die Gäste tranken immer mehr und lärmten immer wilder. Noch war das Fest nicht bis zur Hälfte vorgeschritten, als sich schon die Ordnung, in der die Gäste bei der Tafel gesessen hatten, auflöste. Der Caesar selbst gab das Beispiel; er erhob sich, befahl Vinicius, der neben der Vestalin Rubria saß, aufzustehen, nahm auf ihrem Triclinium Platz und begann ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Vinicius ließ sich neben Poppaea nieder, die ihm nach einer Weile den Arm hinhielt und ihn bat, ihr das Armband, das sich gelöst hatte, wieder zu befestigen. Als er dies mit etwas zitternden Händen tat, warf sie ihm unter ihren langen Wimpern einen scheinbar sittsamen Blick zu und schüttelte ihr goldgelocktes Haupt, als verscheuche sie etwas. Inzwischen war die Sonne größer und röter geworden und verschwand langsam hinter den Wipfeln der Haine; die Gäste waren größtenteils völlig betrunken. Das Floß näherte sich jetzt dem Ufer, wo zwischen Baumgruppen und Blumen Männer als Faune oder Satyrn verkleidet standen und auf Flöten, Pfeifen und Trommeln spielten; daneben waren Gruppen von Mädchen zu sehen, die als Nymphen, Dryaden und Hamadryaden erschienen waren. Endlich sank die Finsternis auf die Betrunkenen nieder, die nun zu Ehren der Luna ein wildes Geschrei ausstießen und sich allmählich wieder unter dem Zelte einfanden, während die Haine im Scheine von tausenden von Lampen erglänzten. Aus den kleineren Zelten, die am Ufer standen, blinkte ein Heer von Lichtern; auf den Terrassen erschienen neue Gruppen nackter Frauen, die aus den Gattinnen und Töchtern der ersten Häuser Roms bestanden und durch Zurufe und [341] Gebärden die Zechenden anzulocken suchten. Endlich stieß das Floß ans Ufer, der Caesar und die Augustianer stürmten in die Haine, verschwanden in den Zelten, in Lauben, die mitten im Gebüsch standen, in Grotten, die künstlich zwischen Springbrunnen eingebaut waren. Raserei ergriff alle; niemand wußte, wo sich der Caesar befand, wer Senator war, wer Ritter, wer Tänzer oder Musiker. Satyrn und Faune begannen lärmend nach Nymphen zu jagen. Mit Thyrsosstäben schlug man nach den Lampen, um sie auszulöschen. Einzelne Teile des Haines waren in Finsternis gehüllt. Doch überall hörte man bald lautes Rufen, bald Lachen, bald Flüstern, bald atemloses Keuchen. Rom hatte in der Tat noch nie etwas Ähnliches gesehen.

Vinicius war nicht betrunken wie auf jenem Feste im Palaste des Caesars, an dem Lygia teilgenommen hatte; aber auch ihn blendete und berauschte der Anblick alles dessen, was rings um ihn her vorging; und endlich wurde auch er von der Glut der Leidenschaft entflammt. Er stürzte sich in das Gebüsch und stürmte gleich den anderen vorwärts, um die schönste Dryade zu erhaschen. Alle Augenblicke sprangen immer neue Scharen von Nymphen unter Gesang und Geschrei an ihm vorbei, von Faunen, Satyrn, Senatoren, Rittern und den Klängen der Musik verfolgt. Jetzt erblickte er eine große Schar von Mädchen, deren Führerin als Diana verkleidet war. Er sprang darauf zu, um sich die Göttin näher zu betrachten, und mit einem Male blieb ihm das Herz in der Brust stillstehen. Es war ihm, als erkenne er in dieser Göttin mit der Mondsichel auf der Stirn Lygia.

Sie umtanzten ihn in tollem Reigen und entflohen nach einem Weilchen, offenbar in dem Wunsche, ihn weiter in das Dickicht zu locken, wie ein Rudel Rehe. Allein er blieb klopfenden Herzens atemlos stehen, denn obgleich er erkannte, daß die Diana nicht Lygia war und ihr in der Nähe nicht einmal ähnlich sah, war der Eindruck doch zu mächtig. Mit einem Male erfaßte ihn so unendliche Sehnsucht nach Lygia, wie er sie nie in seinem Leben empfunden hatte, und die Liebe zu ihr erfüllte von neuem in gewaltiger Flut sein Herz. [342] Nie war sie ihm so teuer, so keusch, so liebenswert vorgekommen, wie in diesem Haine voll Tollheit und wahnsinniger Lust. Einen Augenblick früher hatte auch er aus diesem Becher trinken und an diesen schamlosen Ausschweifungen teil nehmen wollen, jetzt erfaßte ihn Ekel und Widerwillen. Er fühlte, daß ihn der Abscheu zu ersticken drohe, daß er reinere Luft atmen und zu den Sternen emporschauen müsse, deren Schimmer durch das Dickicht dieses entsetzlichen Haines nicht dringen konnte, und wollte sich eiligst entfernen. Doch kaum machte er eine Bewegung, als vor ihm eine Gestalt auftauchte, das Haupt mit einem Schleier verhüllt, ihre Arme um seinen Nacken legte und ihm mit heißem Atem zuflüsterte: »Ich liebe dich! ... Komm! Niemand sieht uns. Eile dich!«

Vinicius erwachte wie aus einem Traume: »Wer bist du?«

Sie sank an seine Brust und drängte: »Eile dich! Sieh, wie menschenleer es hier ist, und ich liebe dich! Komm!«

»Wer bist du?« wiederholte Vinicius.

»Rate!« Sie preßte durch den Schleier hindurch ihre Lippen auf seinen Mund und zog zugleich sein Haupt zu sich hernieder, bis ihr endlich der Atem ausging und sie ihr Gesicht von dem seinen entfernte.

»Nacht der Liebe! ... Nacht der Tollheit!« sprach sie rasch atmend. »Heut herrscht Freiheit! ... Nimm mich!«

Doch dieser Kuß brannte Vinicius wie Feuer auf den Lippen und erfüllte ihn mit neuem Ekel. Seine Seele weilte anderswo, und in der ganzen weiten Welt gab es außer Lygia für ihn keine andere Frau.

Die verschleierte Gestalt mit der Hand von sich stoßend, sagte er daher: »Wer du auch sein magst, ich liebe eine andere und will dich nicht.«

Sie hielt ihm ihr Haupt hin. »Hebe den Schleier auf!«

In diesem Augenblick rauschte es in den Zweigen der in der Nähe stehenden Myrtengebüsche; die Gestalt verschwand wie ein Traum, und nur aus der Ferne klang ein seltsames, unheilverkündendes Lachen herüber.

[343] Petronius stand vor Vinicius.

»Ich habe alles gesehen und gehört,« sagte er.

»Wir wollen von hier fortgehen!« erwiderte Vinicius.

Sie gingen. Sie kamen an den hellerleuchteten Zelten, an dem Haine, an den Reihen der berittenen Prätorianer vorüber und standen vor ihren Sänften.

»Ich gehe mit dir!« sagte Petronius.

Sie stiegen zusammen ein. Unterwegs schwiegen beide. Erst als sie in Vinicius' Atrium gelangt waren, fragte Petronius: »Weißt du, wer es war?«

»Rubria?« fragte Vinicius, über den bloßen Gedanken entrüstet, daß Rubria Vestalin war.

»Nein!«

»Wer dann?«

Petronius dämpfte die Stimme.

»Das Feuer der Vesta ist entweiht, denn Rubria war bei dem Caesar. Mit dir aber sprach ...«

Seine Stimme wurde noch leiser: »Die göttliche Augusta.«

Wiederum schwiegen beide.

»Der Caesar,« begann Petronius von neuem, »konnte seine Begierde nach Rubria nicht verbergen; Poppaea wollte sich vielleicht aus dem Grunde rächen. Ich störte euch absichtlich, denn hättest du die Augusta erkannt und verschmäht, so wärest du rettungslos verloren gewesen, du, Lygia und möglicherweise auch ich.«

Heftig stieß Vinicius hervor: »Ich habe Rom, den Caesar, die Gelage, die Augusta, Tigellinus und euch alle gründlich satt! Ich ersticke! Ich kann nicht mehr so weiterleben! Ich kann nicht! Verstehst du mich?«

»Du verlierst Urteil, Besonnenheit, Maß! ... Vinicius!«

»Ich liebe nur sie auf der Welt.«

»Und was folgt daraus?«

»Ich begehre keine andere Liebe, ich trage kein Verlangen nach eurem Leben, euren Festen, eurer Schamlosigkeit und euren Lastern.«

[344] »Was geht mit dir vor? Bist du ein Christ?«

Der junge Mann verbarg sein Haupt in die Hände und rief wie verzweifelt: »Noch nicht, noch nicht!«

Zweiunddreißigstes Kapitel

Zweiunddreißigstes Kapitel.

Petronius ging achselzuckend und höchst mißgestimmt nach Hause. Es war ihm jetzt klar geworden, daß Vinicius und er aufgehört hatten, einander zu verstehen, und daß ihre Anschauungen weit auseinandergingen. Einst hatte Petronius einen überwältigenden Eindruck auf den jungen Offizier ausgeübt. In allem war er sein Vorbild gewesen, und oft genügten einige ironische Worte von seiner Seite, um Vinicius von etwas abzuhalten oder zu etwas zu bestimmen. Jetzt war es damit aus, und zwar so vollständig, daß sich Petronius seiner früheren Hilfsmittel gar nicht mehr bediente, denn er fühlte, daß sein Witz und seine Ironie ohne jede Wirkung an den neuen Grundsätzen abgleiten würden, die die Liebe und die Berührung mit der rätselhaften christlichen Welt Vinicius in die Seele gepflanzt hatten. Der erfahrene Skeptiker erkannte, daß er den Schlüssel zu dieser Seele verloren habe. Dies erfüllte ihn mit Mißmut, ja sogar mit Furcht, die durch die Ereignisse dieser Nacht noch gesteigert wurde. »Wenn es seitens der Augusta keine vorübergehende Laune, sondern ein ernstlicher Wunsch ist,« dachte Petronius, »so muß einer von zwei Fällen eintreten: entweder leistet Vinicius ihr keinen Widerstand und wird dann vielleicht durch einen Zufall ins Verderben gestürzt werden, oder, was ihm heute ähnlich sieht, er wird sie abweisen und dann sicher zugrunde gehen und mit ihm möglicherweise auch ich, wenn auch nur deswegen, weil ich sein Oheim bin; denn die Augusta wird die ganze Familie mit ihrem Haß verfolgen und ihren Einfluß für Tigellinus geltend machen ...« In beiden Fällen stand die Sache schlimm. Petronius war ein mutiger Mann und fürchtete den Tod nicht; da er aber von diesem nichts erwartete, wünschte er ihn auch nicht zu beschleunigen. Nach [345] langem Nachdenken gelangte er zu der Überzeugung, es sei das beste und sicherste, Vinicius durch eine Reise aus Rom zu entfernen. Ach, wenn er ihm nur Lygia mit auf den Weg geben könnte, so würde sich jener mit Freuden dazu entschließen. Aber auch so hoffte er, daß es nicht allzu schwer halten werde, ihn dazu zu überreden. Dann würde er auf dem Palatin die Nachricht von Vinicius' Erkrankung verbreiten und dadurch die Gefahr sowohl von ihm wie von sich selbst abwenden. Die Augusta wußte ja nicht, ob Vinicius sie erkannt habe; sie vermutete vielleicht, daß dies nicht der Fall gewesen sei, weil ihr Eitelkeit noch nicht allzu sehr darunter gelitten hatte. In Zukunft konnte sich aber die Sache anders gestalten, und dem mußte man vorbeugen. Petronius wünschte vor allem Zeit zu gewinnen, denn es war klar, daß, wenn der Caesar einmal in Achaja war, Tigellinus, der nichts von Kunst verstand, in den Hintergrund treten und seinen Einfluß verlieren werde. In Griechenland war Petronius seines Sieges über alle seine Nebenbuhler gewiß.

Inzwischen wollte er Vinicius überwachen und ihn zur Reise drängen. Mehrere Tage lang schwebte ihm sogar der Gedanke vor, daß, wenn er vom Caesar ein Edikt erwirke, das die Christen aus Rom verbanne, Lygia die Stadt zugleich mit den anderen Bekennern Christi verlassen und Vinicius ihr später folgen könne. Einer Überredung bedurfte es dann nicht mehr. Die Sache selbst schien möglich. Es war noch nicht lange her, daß die Juden aus Haß gegen die Christen Unruhen angezettelt hatten, und da der Caesar Claudius keinen Unterschied zwischen beiden machte, hatte er die Juden ausgewiesen. Warum sollte Nero nun nicht die Christen vertreiben? In Rom würde dann mehr Platz werden. Seit jenem »schwimmenden Feste« sah Petronius den Caesar täglich auf dem Palatin wie in anderen Häusern. Ihm einen solchen Gedanken nahezulegen, war leicht; denn Nero widersetzte sich nie einer Einflüsterung, die über jemand Leid oder Verderben brachte. Nach reiflicher Überlegung legte sich Petronius [346] den ganzen Plan zurecht. Er wollte in seinem Hause ein Fest geben und bei dieser Gelegenheit den Caesar zur Erlassung dieses Ediktes überreden. Er hegte sogar die nicht unwahrscheinliche Hoffnung, daß der Caesar ihm die Ausführung übertragen werde. Dann konnte er Lygia mit aller der Geliebten seines Neffen gebührenden Rücksicht zum Beispiel nach Bajae senden; hier konnten sie sich dann lieben und sich über die christliche Religion unterhalten, so viel sie wollten.

Mittlerweile besuchte er Vinicius häufig, einmal, weil er trotz all seiner römischen Selbstsucht sich des Wohlwollens gegen diesen nicht entschlagen konnte, dann aber auch, um ihn zur Reise zu überreden. Vinicius schützte Krankheit vor und erschien nicht auf dem Palatin, wo jeden Tag andere Pläne geschmiedet wurden. Endlich hörte Petronius eines Tages aus des Caesars eigenem Munde, daß er in drei Tagen bestimmt nach Antium gehen werde. Gleich am folgenden Morgen begab er sich mit dieser Nachricht zu Vinicius. Dieser zeigte ihm eine Liste der nach Antium eingeladenen Personen, die ihm soeben ein Freigelassener des Caesars überbracht hatte.

»Mein Name steht darauf,« sagte er, »und auch der deine. Du wirst bei deiner Rückkehr ebenfalls eine solche Liste vorfinden.«

»Wäre ich nicht unter den Geladenen,« entgegnete Petronius, »so würde das bedeuten, daß mein Tod beschlossen sei; ich glaube aber nicht, daß sich dies noch vor der Reise nach Achaja ereigne. Nero braucht mich dort zu dringend.«

Dann sah er die Liste durch und fuhr fort: »Kaum sind wir in Rom angelangt, so müssen wir es schon wieder verlassen und uns nach Antium begeben. Aber wir müssen! das ist nicht nur eine Einladung, es ist zugleich ein Befehl.«

»Und wenn jemand nicht gehorchte?«

»Dann würde eine Einladung anderer Art an ihn ergehen, sich nämlich zu einer bedeutend weiteren Reise bereit zu machen, von der es keine Wiederkehr gibt. Wie schade, daß du meinen Rat nicht befolgt und Rom verlassen hast, solange es noch Zeit war. Jetzt mußt du nach Antium.«

[347] »Jetzt muß ich nach Antium. Du siehst nun, in welchen Zeiten wir leben und was für elende Sklaven wir sind!«

»Merkst du das erst heute?«

»Nein. Aber du weißt, du bewiesest mir neulich, daß die christliche Religion eine Feindin des Lebens sei, weil sie ihm Fesseln anlege. Können diese aber schwerer sein als die, welche wir tragen? Du sagtest: Griechenland hat die Weisheit und die Schönheit hervorgebracht, Rom die Macht. Wo ist nun unsere Macht?«

»Laß dir Chilon holen. Ich habe heute keine Lust zum Philosophieren. Beim Herkules! Nicht ich habe diese Zeiten geschaffen, und ich bin für sie nicht verantwortlich. Sprechen wir jetzt von Antium. Sei überzeugt, es erwartet dich dort eine große Gefahr, und es dürfte wahrscheinlich besser für dich sein, dich mit diesem Ursus zu messen, der Kroton erwürgt hat, als dorthin zu gehen; und doch mußt du unbedingt hin.«

Vinicius machte eine gleichgültige Handbewegung und sagte: »Gefahr! Wir alle stehen im Schatten des Todes, und jeden Augenblick sinkt ein Haupt in das Dunkel hinab.«

»Soll ich dir alle aufzählen, die sich ein bißchen gesunden Menschenverstand bewahrt haben und daher trotz der Zeiten eines Tiberius, Caligula, Claudius und Nero achtzig bis neunzig Jahre alt geworden sind? Nimm dir sie zum Beispiel an, und wenn es auch nur ein Mann wäre wie Domitius Afer. Er ist in Ruhe gealtert, obgleich sein ganzes Leben mit Gemeinheit und Lasterhaftigkeit ausgefüllt war.«

»Vielleicht darum! vielleicht ebendarum!« entgegnete Vinicius.

Dann nahm er das Verzeichnis zur Hand und las: »Tigellinus, Vatinius, Sextus Africanus, Aquillinus, Regulus, Suilius Nerulinus, Eprius Marcellus und so weiter! Welch eine Versammlung von Schuften und Spitzbuben ... Und zu denken, daß diese Leute die Welt regieren! ... Würde es nicht eine geeignetere Beschäftigung für sie sein, irgend einen syrischen oder ägyptischen Götzen in den Dörfern für Geld [348] zu zeigen, auf der Leier zu klimpern und sich ihr tägliches Brot durch Wahrsagerei oder Tanzen zu verdienen?«

»Oder abgerichtete Affen, rechnende Hunde oder einen flötespielenden Esel sehen zu lassen,« fügte Petronius hinzu. »Alles das stimmt. Aber wir haben Wichtigeres zu besprechen. Ich habe auf dem Palatin erzählt, du seiest krank und könntest das Haus nicht verlassen, und trotzdem steht dein Name auf der Liste. Dies ist ein Beweis dafür, daß man meinen Worten nicht geglaubt und es absichtlich getan hat. Nero kümmert sich nicht darum, denn du bist in seinen Augen ein Soldat, mit dem er sich höchstens im Zirkus über Pferde unterhalten könnte, der aber keine Ahnung von Musik oder Poesie hat. Es muß daher Poppaeas Wunsch gewesen sein, deinen Namen auf die Liste zu setzen, und das bedeutet, daß ihr Verlangen nach dir keine vorübergehende Laune gewesen ist und daß sie es darauf anlegt, dich zu gewinnen.«

»Die Augusta besitzt Mut!«

»Freilich besitzt sie den und wird dich ohne Gnade ins Verderben stürzen. Möge ihr Venus sobald wie möglich Liebe zu einem anderen Manne einhauchen! Solange sie aber nach dir Verlangen trägt, mußt du die größte Vorsicht beobachten. Sie fängt bereits an, den Rotbart zu langweilen, er zieht ihr schon Rubria oder Pythagoras vor, aber schon seiner Eitelkeit willen würde er die furchtbarste Rache an uns nehmen.«

»Im Haine wußte ich nicht, daß Poppaea es war, die mit mir sprach, aber du hörtest ja zu und weißt, daß ich ihr antwortete, ich liebte eine andere und verlangte nicht nach ihr.«

»Und ich beschwöre dich bei allen Göttern der Unterwelt, verliere nicht noch den Rest von Vernunft, den dir die Christen gelassen haben. Wie kannst du schwanken, wo du nur die Wahl zwischen wahrscheinlichem und sicherem Verderben hast? Habe ich dir nicht schon gesagt, daß es keine Rettung für dich gäbe, wenn du die Eitelkeit der Augusta verletzt hättest? Beim Hades! wenn dir das Leben zuwider ist, so ist es besser für dich, du öffnest dir die Adern oder stürzest [349] dich in dein Schwert; denn wenn du Poppaea beleidigst, so harrt deiner ein minder leichter Tod. Früher war leichter mit dir zu reden. Was willst du eigentlich? Was würde dir abgehen? Würde dich das hindern, deine Lygia zu lieben? Bedenke außerdem, daß Poppaea das Mädchen auf dem Palatin gesehen hat und daß es ihr nicht schwer fallen wird, zu erraten, welcher Frau willen du eine so hohe Gunst verschmähtest. Und dann wird sie Lygia in ihre Gewalt bekommen, und wenn sie sich unter der Erde versteckte. Du richtest nicht allein dich zugrunde, sondern auch Lygia – verstehst du?«

Vinicius hörte mit einer Miene zu, als denke er an etwas ganz anderes, und sagte endlich: »Ich muß sie sehen.«

»Wen? Lygia?«

»Ja.«

»Weißt du, wo sie ist?«

»Nein.«

»Du willst also von neuem anfangen, sie auf alten Friedhöfen und jenseit des Tiber zu suchen?«

»Ich weiß es nicht, aber ich muß sie sehen.«

»Gut. Wenn sie auch eine Christin ist, so wird sie vielleicht zeigen, daß sie mehr Verstand besitzt als du, und sie wird es bestimmt, wenn sie nicht dein Verderben will.«

Vinicius zuckte die Achseln.

»Sie hat mich aus Ursus' Händen gerettet.«

»In diesem Falle beeile dich, denn der Rotbart wird seine Reise nicht verschieben. Todesurteile können auch aus Antium kommen.«

Aber Vinicius hörte nicht auf ihn. Nur ein Gedanke beherrschte ihn, der an das Wiedersehen mit Lygia und er dachte über die Mittel und Wege nach, zu seinem Ziel zu gelangen. Da trat ein Umstand ein, der jede Schwierigkeit zu beseitigen versprach. Am nächsten Morgen kam Chilon ganz unerwartet zu ihm.

Er trat ein, elend und abgerissen, verhungerten Gesichts und in Lumpen gehüllt. Die Diener, welche früher den Befehl hatten, ihn zu jeder Tages- und Nachtstunde vorzulassen, [350] hatten nicht gewagt, ihn zurückzuhalten, so daß er geradeswegs bis ins Atrium gelangte; hier begrüßte er Vinicius mit den Worten: »Mögen dir die Götter Unsterblichkeit verleihen und die Herrschaft über die Welt mit dir teilen.«

Vinicius hatte im ersten Augenblick Lust, ihn zur Tür hinauswerfen zu lassen. Aber es fiel ihm ein, daß der Grieche vielleicht etwas von Lygia wissen könne, und die Neugierde überwand seinen Ekel.

»Du bist es?« fragte er. »Wie geht es dir?«

»Schlecht, o Sohn Jupiters,« erwiderte Chilon. »Echte Tugend ist eine Ware, die niemand mehr verlangt, und ein wahrer Philosoph muß froh sein, wenn er soviel hat, daß er sich einmal in fünf Tagen beim Schlächter einen Hammelkopf kaufen, ihn in seiner Dachkammer verzehren und mit seinen Tränen hinunterspülen kann. Ach, Herr! Alles, was du mir gabst, bezahlte ich bei Atractus für Bücher, und dann wurde ich beraubt und zugrunde gerichtet; die Sklavin, die meine Weisheit niederschreiben sollte, entfloh und nahm den Rest dessen, was deine Großmut mir schenkte, mit sich. Ich leide Not, aber ich dachte bei mir: zu wem soll ich gehen, wenn nicht zu dir, Serapis, den ich liebe und vergöttere und für den ich mein Leben gewagt habe?«

»Weshalb bist du zu mir gekommen, und was bringst du mir?«

»Ich komme mit der Bitte um Hilfe, Baal, und ich bringe dir mein Elend, meine Tränen, meine Liebe und schließlich eine Nachricht, die ich aus Liebe zu dir eingezogen habe. Du entsinnst dich, Herr, was ich dir seinerzeit mitteilte, daß ich einer Sklavin des göttlichen Petronius einen Faden aus dem Gürtel der Aphrodite von Paphos verkauft habe? ... Ich erfuhr, daß er ihr geholfen hat, und du, Sohn der Sonne, der du weißt, was in jenem Hause vorgeht, weißt auch, was jetzt Eunike dort ist. Ich habe noch einen solchen Faden für dich aufbewahrt, Herr!«

Er hielt inne, da er den Zorn bemerkte, der sich in Vinicius' zusammengezogenen Brauen kundtat, und sagte rasch, um [351] einem Ausbruch zuvorzukommen: »Ich weiß, wo die göttliche Lygia wohnt, Herr, und werde dir Straße und Haus zeigen.«

Vinicius verbarg die Aufregung, die diese Nachricht in ihm hervorrief, und fragte: »Wo ist sie?«

»Bei Linus, dem Oberpriester der Christen. Sie ist dort zugleich mit Ursus; der geht wie früher zu dem Müller, der sich so nennt wie dein Hausverwalter, Herr, Demas ... Ja, Demas. Ursus arbeitet des Nachts; wenn du daher zur Nachtzeit das Haus umzingeln ließest, würde er nicht zugegen sein ... Linus ist alt ... und außer ihm befinden sich im Hause nur zwei Frauen, die noch älter sind als er.«

»Woher weißt du dies alles?«

»Du entsinnst dich, Herr, daß die Christen mich in ihrer Gewalt hatten und meiner schonten. Glaukos ist zwar der Meinung, ich sei schuld an seinem Unglücke, der arme Kerl hat es geglaubt und glaubt es noch, und dennoch haben sie meiner geschont. Wundere dich daher nicht, Herr, daß mir Dankbarkeit das Herz erfüllte. Ich bin ein Mann der alten guten Zeit. Daher dachte ich: darf ich meine Freunde und Wohltäter verlassen? Wäre es nicht hartherzig von mir gehandelt, wenn ich mich nicht nach ihnen erkundigte, nicht zu erfahren suchte, was aus ihnen geworden ist, wie es um ihre Gesundheit steht und wo sie wohnen? Bei der Kybele von Pessinus! ich wäre nicht dazu imstande. Anfangs hielt mich allerdings die Furcht ab, sie möchten meine Absichten falsch verstehen. Aber die Liebe, die ich für sie empfand, erwies sich stärker als die Furcht, und die Leichtigkeit, mit der sie jede Kränkung verzeihen, machte mir vollends Mut. Vor allem der dachte ich an dich, Herr. Unser letzter Versuch endete mit einer Niederlage; kann aber ein solcher Lieblingssohn Fortunas, wie du einer bist, sich mit diesem Gedanken befreunden? Daher bereitete ich dir einen Sieg vor. Das Haus steht allein. Du kannst deinen Sklaven Befehl geben, es zu umstellen, so daß keine Maus zu entschlüpfen vermag. O Herr, Herr! auf dich allein kommt an, ob du diese hochherzige[352] Königstochter noch heut nacht in deinem Hause hast. Erreichst du aber dein Ziel, so erinnere dich, daß dir der äußerst arme und bedürftige Sohn meines Vaters dazu verholfen hat.«

Vinicius stieg das Blut zu Kopfe. Die Versuchung drang noch einmal mit ganzer Kraft auf ihn ein. Ja, das war das Mittel und diesmal ein sicheres Mittel. Wenn sich Lygia einmal in seinem Hause befand, wer konnte sie ihm dann noch entreißen? Wenn er Lygia einmal zu seiner Geliebten gemacht hatte, was blieb ihr anderes übrig, als sich in ihr Schicksal zu fügen? Möchten doch alle Religionen vom Erdboden verschwinden! Was würde er sich dann noch um die Christen, um ihre Nächstenliebe und ihre düstere Religion kümmern? War es nicht Zeit, sich von alledem freizumachen? war es nicht Zeit, das Leben zu genießen, wie alle es taten? Und was konnte Lygia dann tun, als ihr Schicksal mit ihrer Religion, so gut es ging, in Einklang zu setzen? Das war aber eine Frage von geringerer Bedeutung. Das waren gleichgültige Fragen. Vor allem mußte sie die seine werden, und zwar heut noch. Auch war es noch zweifelhaft, ob diese Religion in ihrer Seele standhalten würde gegenüber dieser neuen Welt, gegenüber den Genüssen und Ergötzungen, die ihr winkten. Und es konnte heut noch geschehen! Er brauchte nur Chilon bei sich zu behalten und am Abend seine Befehle zu erteilen. Und dann Wonne ohne Ende! »Was war mein Leben bisher?« dachte Vinicius, »Leiden, ungestilltes Sehnen und ein beständiges Fragen, ohne eine Antwort zu finden.« Auf diese Weise würde sich alles mit einem Schlage erledigen. Er erinnerte sich zwar, geschworen zu haben, nicht mehr die Hand nach ihr auszustrecken. Aber bei wem hatte er geschworen? Nicht bei den Göttern, an die er nicht mehr glaubte, nicht bei Christus, an den er noch nicht glaubte. Sollte sie sich schließlich beschimpft fühlen, so konnte er sie ja heiraten und so die ihr zugefügte Kränkung wieder gutmachen. Ja, dazu fühlte er sich verpflichtet, denn sie hatte ihm das Leben gerettet. Er erinnerte sich jenes Tages, an [353] dem er mit Kroton in ihre Wohnung eingedrungen war, er erinnerte sich, wie sich Ursus' Faust gegen ihn erhob, und alles Folgenden. Wieder erblickte er sie über sein Lager gebeugt, im Gewande einer Sklavin, schön wie eine Göttin, gütig und anbetenswert. Seine Augen suchten unwillkürlich das Lararium und das Kreuz, das sie ihm bei ihrem Weggange zurückgelassen hatte. Sollte er ihr dies alles mit einem neuen Angriff vergelten? Sollte er sie wie eine Sklavin an den Haaren ins Cubiculum schleppen? Und wie konnte er dies tun, da er sie nicht nur begehrte, sondern sie liebte und ebendeshalb liebte, weil sie so war, wie sie war? Plötzlich fühlte er, daß es nicht genug sei, sie in seinem Hause zu haben, sie mit Gewalt in seine Arme zu pressen, sondern daß seine Liebe noch etwas Höheres nötig habe: ihre Hingebung, ihre Liebe und ihre Seele. Gesegnet sein Haus, wenn sie freiwillig einzöge, gesegnet die Stunde, gesegnet der Tag, gesegnet sein ganzes Leben! Dann würde ihr gemeinschaftliches Glück unerschöpflich sein wie das Meer und wie die Sonne. Aber sie mit Gewalt entführen, hieße dieses Glück für immer vernichten und das beschimpfen und besudeln, was ihm das Teuerste und Liebste auf Erden war.

Schaudern faßte ihn jetzt bei dem bloßen Gedanken daran. Er blickte auf Chilon, der ihn scharf beobachtete, die Hände unter seine Lumpen steckte und sie unruhig hin und her bewegte. Ein unsäglicher Widerwille stieg in ihm auf nebst dem Wunsche, diesen früheren Helfershelfer zu zertreten, wie einen häßlichen Wurm oder eine giftige Schlange. Im nächsten Augenblicke wußte er schon, was er zu tun habe. Da er aber in keiner Hinsicht Maß zu halten wußte, und den Antrieben seiner unerbittlichen Römernatur folgte, so wandte er sich an Chilon und sagte: »Ich werde nicht tun, was du mir anrätst; damit du jedoch nicht ohne Belohnung ausgehst, werde ich dir dreihundert Peitschenhiebe im Hausergastulum geben lassen.«

Chilon erblaßte. In Vinicius' schönem Gesicht lag eine so kalte Entschlossenheit, daß er keinen Augenblick die Hoffnung hegen konnte, der versprochene Lohn sei nur ein grausamer Scherz.

[354] Er warf sich sofort auf die Kniee nieder, beugte sich bis zur Erde und seufzte mit gebrochener Stimme: »Wie, Perserkönig? Weshalb? ... Pyramide der Gnade! Koloß des Mitleids! weshalb? ... Ich bin alt, hungrig, bedürftig! ... Ich habe dir gedient ... Und so lohnst du mir? ...«

»Wie du den Christen,« unterbrach ihn Vinicius und rief seinen Hausverwalter.

Chilon kroch bis an seine Füße heran, umklammerte sie krampfhaft und rief mit totenblassem Gesicht: »Herr, Herr! ... Ich bin alt! Fünfzig, nicht dreihundert ... Fünfzig sind genug ... Hundert, nicht dreihundert ... Erbarmen! Erbarmen!«

Vinicius stieß ihn mit dem Fuße von sich und gab den Befehl, ihn zu peitschen. Sofort erschienen zwei kräftige Quaden hinter dem Hausverwalter, ergriffen Chilon an dem Rest seiner Haare, wickelten ihm seine eigenen Lumpen um den Kopf und schleppten ihn ins Ergastulum.

»Im Namen Christi!« rief der Grieche in dem Eingang zum Korridor.

Vinicius blieb allein. Der erteilte Befehl kräftigte und belebte ihn wieder. Dann suchte er seine durcheinanderflutenden Gedanken zu sammeln und zu ordnen. Er fühlte große Erleichterung, und der Sieg, den er über sich selbst errungen hatte, erfüllte ihn mit Befriedigung. Es war ihm, als habe er sich Lygia um ein beträchtliches genähert und als könne er dafür einen Lohn erwarten. Im ersten Augenblicke fiel es ihm nicht einmal ein, welch schnöden Undankes er sich gegen Chilon schuldig mache, und daß er ihn für dieselbe Handlungsweise peitschen lasse, für die er ihn zuvor belohnt hatte. Er war noch zu sehr Römer, um fremden Schmerz mitzuempfinden und sein Mitleid an einen elenden Griechen zu verschwenden. Und selbst wenn er daran gedacht hätte, so hätte er recht zu tun geglaubt, wenn er einen solchen Schuft strafen ließ. Er dachte an Lygia und sprach zu ihr: »Ich will dir nicht Gutes mit Bösem vergelten, und wenn du einst erfährst, wie ich mit dem verfahren bin, der mich verleiten [355] wollte, meine Hand nach dir auszustrecken, so wirst du mir dafür Dank wissen.« Dann aber fragte er sich, ob Lygia sein Verhalten gegen Chilon billigen könne. Die Religion, zu der sie sich bekennt, gebietet ja Verzeihung; und die Christen haben dem Elenden verziehen, trotzdem sie größere Veranlassung zur Rache hatten. Jetzt erst fand der Ruf: »Im Namen Christi!« einen Widerhall in seiner Seele. Er entsann sich, daß sich Chilon durch einen ähnlichen Ruf aus den Händen des Lygiers befreit hatte, und beschloß, ihm den Rest der Strafe zu erlassen.

In dieser Absicht wollte er gerade den Hausverwalter rufen lassen, als dieser schon vor ihm stand und sagte: »Herr, der alte Mann ist ohnmächtig geworden und ist vielleicht schon tot. Soll ich ihn weiter peitschen lassen?«

»Bringe ihn wieder zum Bewußtsein und dann führe ihn zu mir herein.«

Der Vorsteher des Atriums verschwand hinter dem Vorhang, aber die Wiederbelebung mußte langsam von statten gehen, denn Vinicius wartete noch lange Zeit und begann schon ungeduldig zu werden, als die Sklaven endlich Chilon hereinführten und auf einen Wink ihres Herrn sofort wieder verschwanden.

Chilon war blaß wie die Wand und zwischen seinen Füßen tröpfelten Blutstropfen auf das Mosaikpflaster des Atriums herab. Doch war er bei Bewußtsein, fiel vor Vinicius auf die Kniee und sprach mit ausgebreiteten Armen: »Ich danke dir, Herr! Du bist barmherzig und groß.«

»Hund,« entgegnete Vinicius, »wisse, daß ich dir um Christi willen vergeben habe, dem auch ich mein Leben verdanke.«

»Ich will ihm und dir dienen, Herr!«

»Schweige und höre mich an. Stehe auf! Du wirst mich begleiten und mir das Haus zeigen, in dem Lygia wohnt.«

Chilon sprang auf; aber kaum stand er auf den Füßen, als er noch blasser wurde und mit matter Stimme sprach: »Herr, ich habe wirklich Hunger ... Ich will dich begleiten! Herr, ich will dich begleiten! Aber ich habe nicht die Kraft dazu! Laß mir nur den Rest des Hundefutters geben, und ich will mit dir gehen.«

[356] Vinicius ließ ihm Essen, ein Goldstück und einen Mantel geben. Aber Chilon, den die Peitschenhiebe und der Hunger geschwächt hatten, konnte nicht das geringste zu sich nehmen, obgleich ihm vor Angst, Vinicius könne seine Schwäche als Widerspenstigkeit auffassen und ihn von neuem peitschen lassen, die Haare zu Berge standen.

»Laß mir nur etwas warmen Wein reichen, bitte,« sagte er zähneklappernd, »ich werde dann sofort gehen können, und sei es bis nach Großgriechenland.«

Nach einiger Zeit erholte er sich etwas, und beide verließen das Haus. Der Weg war weit, denn Linus wohnte wie die Mehrzahl der Christen jenseit des Tiber, nicht weit von Mirjams Hause. Endlich zeigte Chilon Vinicius ein kleines alleinstehendes Häuschen, das von einer mit Efeu bewachsenen Mauer umgeben war, und sagte: »Hier ist es, Herr.«

»Gut,« erwiderte Vinicius; »gehe jetzt weiter, aber höre zuvor, was ich dir sage: Vergiß, daß du mir gedient hast; vergiß, wo Mirjam, Petrus und Glaukos wohnen; vergiß ebenfalls dieses Haus und sämtliche Christen. Du wirst jeden Monat in mein Haus kommen, wo dir der Freigelassene Demas zwei Goldstücke geben wird. Solltest du jedoch weiter nach Christen spionieren, so werde ich dich wieder peitschen lassen oder dich dem Stadtpräfekten übergeben.«

Chilon verbeugte sich und sagte: »Ich will vergessen.«

Als aber Vinicius hinter die Straßenecke verschwunden war, streckte er die Arme nach ihm aus und rief, die Fäuste ballend: »Bei Ate und den Furien! das vergesse ich dir nicht.«

Dann fiel er von neuem in Ohnmacht.

Dreiunddreißigstes Kapitel

Dreiunddreißigstes Kapitel.

Vinicius schritt geradeswegs auf das Haus zu, in dem Mirjam wohnte. An der Tür erblickte er Nazarius, der sich über sein Erscheinen wunderte, aber er begrüßte ihn freundlich und bat den jungen Mann, ihn zu seiner Mutter zu führen.

In der Wohnung befanden sich außer Mirjam noch Petrus, [357] Glaukos, Crispus und ebenso Paulus von Tarsos, der erst kürzlich von Fregellae zurückgekehrt war. Beim Anblick des jungen Tribunen drückte sich auf allen Gesichtern lebhaftes Erstaunen aus. Er sagte: »Ich grüße euch im Namen Christi, den ihr verehrt.«

»Sein Name sei hochgelobt in alle Ewigkeit!«

»Ich habe eure Tugend erkannt und eure Güte erfahren, daher komme ich als euer Freund.«

»Auch wir begrüßen dich als Freund,« erwiderte Petrus. »Setzte dich, Herr, und nimm als Gast an unserem Mahle teil.«

»Ich will mich setzen und euer Mahl teilen; zuvor aber hört mich an, du Petrus und du Paulus von Tarsos, damit ihr meine Aufrichtigkeit erkennt. Ich weiß, wo Lygia ist; ich komme soeben vom Hause des Linus, das hier in der Nähe liegt. Ich besitze ein Recht auf sie, denn der Caesar hat sie mir geschenkt, und ich habe in meinem Hause an fünfhundert Sklaven; ich könnte daher ihr Versteck umzingeln und sie entführen lassen. Dennoch habe ich es nicht getan und werde es auch nicht tun.«

»Dafür wird der Segen des Herrn auf dir ruhen und dein Herz läutern,« antwortete Petrus.

»Ich danke dir, aber hört mich weiter an. Ich habe es nicht getan trotz meines Verlangens und meiner Sehnsucht. Ehe ich bei euch war, hätte ich sie unzweifelhaft entführt und mit Gewalt zurückgehalten, aber eure Tugend und eure Religion haben, obgleich ich kein Bekenner der letzteren bin, eine Umwandlung in meinem Herzen bewirkt, so daß ich nicht mehr an Gewalt zu denken vermag. Ich weiß selbst nicht, wie dies gekommen ist, aber es ist so! Darum komme ich zu euch, die ihr Elternstelle an Lygia vertretet, und bitte euch: Gebt mir sie zum Weibe, und ich schwöre euch, sie nicht nur an der Verehrung Christi nicht zu hindern, sondern ich will mich auch selbst in seiner Lehre unterweisen lassen.«

Er hatte erhobenen Hauptes und mit fester Stimme gesprochen; aber doch war er erregt, und die Füße zitterten ihm unter seinem verbrämten Mantel. Als alle auf diese Worte hin schwiegen, fuhr er fort, wie um einer ungünstigen [358] Antwort vorzubeugen: »Ich weiß, wie groß die Hindernisse sind, aber ich liebe sie wie mein Augenlicht und bin, obgleich ich noch kein Christ bin, doch weder euer noch Christi Feind. Ich will offen vor euch sprechen, damit ihr mir trauen könnt. Es handelt sich in diesem Augenblicke um mein Leben, und dennoch will ich euch die Wahrheit sagen. Ein anderer würde euch vielleicht sagen: Tauft mich! – Doch ich sage: Erleuchtet mich! Ich glaube, daß Christus von den Toten auferstanden ist, denn Männer berichten es, denen man Glauben schenken muß und die ihn nach seinem Tode gesehen haben. Ich glaube es, denn ich selbst habe erfahren, daß eure Religion die Tugend, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit predigt, nicht aber die Verbrechen, deren man euch beschuldigt. Ich kenne euren Glauben bisher nur wenig, teils durch euch, aus euren Handlungen, teils durch Lygia, teils aus den Unterredungen mit euch. Und doch wiederhole ich euch, daß er bereits in mir eine Umwandlung bewirkt hat. Früher hielt ich meine Sklaven mit eiserner Hand in Zucht – jetzt vermag ich es nicht mehr. Früher kannte ich kein Erbarmen, jetzt kenne ich es. Früher liebte ich die Ausschweifung, jetzt bin ich vom Teiche des Agrippa geflohen, denn der Ekel benahm mir den Atem. Früher beging ich Gewalttätigkeiten, jetzt verabscheue ich sie. Seid überzeugt, ich kenne mich selbst nicht mehr; zuwider sind mir die Gelage, zuwider Wein, Gesang, Lauten und Kränze, zuwider der Hof des Caesars, entblößte Leiber und alle Laster. Und wenn ich daran denke, daß Lygia rein wie der Schnee auf den Bergen ist, so liebe ich sie um so heißer, und wenn ich daran denke, daß sie durch eure Religion so geworden ist, so liebe ich diese Religion und wünsche mich zu ihr zu bekennen! Aber weil ich sie nicht verstehe, weil ich nicht weiß, ob ich mit ihr leben kann und ob sie sich mit meiner Natur verträgt, daher lebe ich in Unruhe und Qual, und mir ist, als ob ich im Kerker läge.«

Die Brauen auf seiner Stirn zogen sich in schmerzliche Falten zusammen, und seine Wangen röteten sich, dann begann er von neuem, noch rascher und in noch größerer Erregung: [359] »Ihr seht, ich quäle mich unablässig mit meiner Liebe ab. Man hat mir gesagt, euer Glaube vertrage sich weder mit dem Leben, noch mit Menschenfreude, Glück, Recht, Ordnung, Regierung oder dem römischen Reiche. Ist dem so? Man hat mir gesagt, ihr seiet Toren; sagt mir, was ihr bringt. Ist es Sünde, zu lieben? Ist es Sünde, sich zu freuen? Ist es Sünde, nach Glück zu streben? Seid ihr Feinde des Lebens? Muß ein Christ arm sein? Muß ich auf Lygia verzichten? Worin besteht eure wahre Lehre? Eure Lehren und eure Worte sind wie durchsichtiges Wasser, aber was liegt auf dem Grunde dieses Wassers? Ihr seht, daß ich offen bin. Zerstreut die Dunkelheit! Man hat mir auch folgendes gesagt: Griechenland hat die Weisheit und Schönheit hervorgebracht, Rom die Macht, doch was bringen sie? Antwortet mir, was bringt ihr? Wenn es hinter eurer Tür hell ist, so öffnet mir!«

»Wir bringen die Liebe,« sagte Petrus.

Und Paulus von Tarsos fügte hinzu: »Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz ...«

Das Herz des alten Apostels war gerührt über diese sich abmarternde Seele, die sich wie ein Vogel im Bauer nach Luft und Sonnenschein sehnte; daher breitete er die Arme nach ihm aus und sagte: »Wer da klopft, dem wird aufgetan, die Gnade des Herrn ist über dich gekommen, und so segne ich denn dich, deine Seele und deine Liebe im Namen des Erlösers der Welt.«

Vinicius, der ebenfalls in Erregung gesprochen hatte, eilte bei diesen Segensworten auf Petrus zu, und nun ereignete sich etwas Außergewöhnliches. Denn jener Quiritensproß, der vor kurzem noch keinen Ausländer als Menschen betrachtet hatte, ergriff die Hand des alten Galiläers und führte sie dankbar an seine Lippen.

Petrus war erfreut, denn er erkannte, daß sein Samenkorn wieder auf ein neues Feld gefallen sei und daß sein Fischernetz abermals eine Seele gefangen habe.

Auch die anderen Anwesenden freuten sich nicht minder [360] über dieses offenkundige Zeichen von Ehrfurcht gegenüber dem Apostel des Herrn und riefen wie aus einem Munde: »Ehre sei Gott in der Höhe!«

Strahlenden Antlitzes erhob sich Vinicius und sprach: »Ich sehe, daß das Glück auch unter euch wohnen kann, denn ich fühle mich glücklich und glaube, daß ihr mich ebenso in den übrigen Punkten eines Besseren belehren könnt. Aber ich muß noch hinzufügen: nicht in Rom; der Caesar geht nach Antium, und ich muß mit hin, da ich den Befehl dazu erhalten habe. Ihr wißt, daß Ungehorsam den Tod bedeutet. Habe ich jedoch in euren Augen Gnade gefunden, so geht mit mir, damit ihr mich in eurem Glauben unterweiset. Ihr seid dort sicherer als ich, und bei einem solchen Zusammenströmen von Menschen könntet ihr eure Lehre sogar am Hofe des Caesars selbst verkünden. Man sagt, Akte sei Christin, und auch unter den Prätorianern gibt es Anhänger eures Glaubens; denn ich selbst habe beim Nomentanischen Tore Soldaten vor dir knieen gesehen, Petrus. In Antium besitze ich eine Villa, in der wir uns versammeln können, damit ich unter den Augen Neros eure Lehre näher kennen lerne. Glaukos sagte mir, ihr seiet bereit, um einer einzigen Seele willen bis ans Ende der Welt zu gehen; daher tut das für mich, was ihr für jene getan habt, deretwegen ihr bis aus Judäa hierher gekommen seid, tut es und überlaßt meine Seele nicht sich selbst.«

Nach diesen Worten begannen die Christen miteinander zu Rate zu gehen, indem sie voller Freude an den Sieg ihres Glaubens und an das Aufsehen dachten, das die Bekehrung eines Augustianers und Abkömmlings eines der ältesten römischen Geschlechter in der heidnischen Welt verursachen würde. Sie waren in der Tat bereit, um einer Seele wegen bis ans Ende der Welt zu gehen, und hatten seit des Meisters Tode eigentlich nichts anderes getan; eine abschlägige Antwort konnte ihnen daher nicht in den Sinn kommen. Aber Petrus war in diesem Augenblicke der Hirt der ganzen Gemeinde und konnte daher Rom nicht verlassen, dagegen erklärte sich Paulus von [361] Tarsos, der vor kurzem in Aricia und Fregellae gewesen war und eine neue weite Reise nach dem Orient plante, um die dort bestehenden Gemeinden zu besuchen und sie mit neuem Glaubenseifer zu erfüllen, bereit, den jungen Tribun nach Antium zu begleiten, zumal es ihm später leicht fallen mußte, dort ein Schiff zu finden, das nach den griechischen Gewässern segelte.

Vinicius bedauerte es zwar, daß Petrus, dem er zu so viel Dank verpflichtet war, ihn nicht begleiten konnte, dankte jedoch Paulus herzlich und wandte sich dann mit einer letzten Bitte an Petrus: »Ich kenne Lygias Wohnung,« sagte er; »ich könnte daher selbst zu ihr gehen und sie fragen, ob sie bereit ist, mich zum Gatten zu nehmen, wenn ich in meinem Innern Christ geworden bin. Aber ich will lieber dich, den Apostel, bitten: erlaube mir, sie zu sehen, oder führe mich selbst zu ihr. Ich weiß nicht, wie lange ich in Antium werde bleiben müssen, und bedenkt, daß in des Caesars Nähe niemand auch nur des kommenden Tages sicher ist. Auch Petronius hat mir schon gesagt, daß mir dort Gefahr drohe. Laß mich Lygia vorher sehen, laß mich meine Augen an ihrem Anblicke weiden und sie fragen, ob sie mir das Böse vergessen und das Gute mit mir teilen will.«

Der Apostel Petrus lächelte gütig und sagte: »Wer dürfte dir eine billige Freude verweigern.«

Vinicius beugte sich abermals auf seine Hände herab, da er den Jubel seines Herzens nicht mehr unterdrücken konnte. Der Apostel nahm des jungen Mannes Haupt zwischen seine Hände und sprach: »Du brauchst dich vor dem Caesar nicht zu fürchten, denn ich sage dir, es wird kein Haar von deinem Haupte fallen.«

Dann sandte er Mirjam zu Lygia und verbot ihr, zu sagen, wen sie bei ihnen antreffen würde, damit das Mädchen eine um so größere Freude habe.

Es war nicht weit, so daß die im Zimmer Zurückgebliebenen nach kurzer Zeit Mirjam mit Lygia an der Hand zwischen den Myrtenbäumen im Garten erblickten.

Vinicius wollte ihnen entgegeneilen, aber beim Anblick der [362] Geliebten übermannte ihn das Glück, er stand da, klopfenden Herzens, atemlos, kaum imstande, sich auf den Füßen zu halten, tausendmal erregter als damals, wo er zum erstenmal in seinem Leben die Pfeile der Parther um sein Haupt schwirren gehört hatte.

Nichtsahnend trat sie ein und blieb bei seinem Anblicke wie angewurzelt stehen. Glühende Röte bedeckte ihr Antlitz, das aber sofort wieder erblaßte, dann blickte sie mit erstaunten und erschreckten Augen auf die Anwesenden.

Doch ringsherum sah sie nur heiter lächelnde, gütige Gesichter. Der Apostel Petrus trat zu ihr und sprach: »Lygia, liebst du ihn noch immer?«

Sie schwieg. Ihre Lippen zuckten wie bei einem Kinde, das dem Weinen nahe ist und das im Bewußtsein einer Schuld diese eingestehen soll.

»Antworte,« sagte der Apostel.

Nun flüsterte sie mit demütiger und leiser Stimme, indem sie sich vor Petrus auf die Kniee warf: »Ja.«

Im nächsten Augenblick kniete Vinicius neben ihr.

Petrus legte ihnen seine Hände auf das Haupt und sprach: »Liebet einander im Herrn und zu seiner Ehre, denn in eurer Liebe ist nichts Sündhaftes.«

Vierunddreißigstes Kapitel

Vierunddreißigstes Kapitel.

Vinicius wandelte hierauf mit Lygia im Garten auf und ab und schilderte ihr in den herzlichsten Worten alles, was er kurz zuvor den Aposteln erklärt hatte: seine innere Unruhe, die in ihm vorgegangenen Veränderungen und endlich seine unermeßliche Sehnsucht, die ihm seit seinem Weggange aus Mirjams Haus das Leben verdüstert hatte. Er gestand Lygia, daß er sie habe vergessen wollen, aber nicht können. Tag und Nacht habe er ununterbrochen an sie denken müssen. Jenes ihm von ihr geschenkte kleine Kreuz aus Buchsbaumzweigen, das er in sein Lararium gebracht habe und unwillkürlich als etwas Göttliches verehre, erinnere ihn beständig an sie. Er habe sich immer stärker nach ihr gesehnt, [363] denn die Liebe sei mächtiger als er und schon in Aulus' Hause habe sie schon seine ganze Seele ergriffen ... Anderen schnitten die Parzen den Lebensfaden ab, ihm aber Liebe, Sehnsucht und Schwermut. Seine Handlungsweise sei schlecht gewesen, aber sie sei aus seiner Liebe geflossen. Er habe sie in Aulus' Hause und auf dem Palatin geliebt, ebenso, als er sie im Ostrianum gesehen habe, wie sie Petrus' Worten lauschte, als er mit Kroton gekommen sei, sie zu entführen, als sie an seinem Krankenlager gewacht und als sie ihn verlassen habe. Dann sei Chilon gekommen, habe ihm ihre Wohnung angegeben und ihm zugleich geraten, sie gewaltsam zu entführen; er habe es aber vorgezogen, Chilon peitschen zu lassen, und sei zu den Aposteln gekommen mit der Bitte, ihn im wahren Glauben zu unterweisen und Lygia ihm zum Weibe zu geben ... Gesegnet sei der Augenblick, wo ihm dieser Gedanke gekommen sei, denn jetzt weile er an ihrer Seite, und sie werde wohl nicht mehr vor ihm fliehen, wie sie das letzte Mal seinetwegen Mirjams Haus verlassen habe.

»Ich bin nicht vor dir geflohen,« entgegnete Lygia.

»Aus welchem Grunde hast du es denn sonst getan?«

Sie hob ihre irisfarbenen Augen zu ihm auf und antwortete dann, ihr errötendes Antlitz zu Boden senkend: »Du weißt ...«

Vinicius schwieg einige Zeit im Übermaße seines Glückes; dann begann er von neuem zu sprechen; er erkenne immer mehr, daß sie ganz anderer Art sei, als die Römerinnen und nur Pomponia gleiche. Er könne ihr diesen Unterschied aber nicht klar auseinandersetzen, da er sich selbst keine Rechenschaft über sein Fühlen abzulegen vermöge, daß mit ihr eine Schönheit ganz neuer Art erschienen sei, dergleichen die Welt bisher noch nie gesehen habe, die sich nicht nur in Bildsäulen zeige, sondern eine Seele besitze. Er sagte ihr aber zugleich – und das erfüllte sie mit Freude – daß er sie eben deshalb liebe, weil sie vor ihm geflohen sei und daß sie ihm an seinem Herde heilig sein werde.

Dann ergriff er ihre Hand, konnte aber nicht weitersprechen, sondern betrachtete sie nur voller Entzücken, als sei sie [364] seines Lebens Glück, und wiederholte ihren Namen, als wolle er sich vergewissern, daß er sie gefunden habe und in ihrer Nähe weile. »O Lygia, meine Lygia!«

Endlich begann er zu fragen, was in ihrer Seele vorgegangen sei, und sie gestand ihm, daß sie ihn schon in Aulus' Hause geliebt habe; hätte er sie vom Palatin zu ihren Pflegeeltern zurückgebracht, so würde sie ihre Liebe gestanden und versucht haben, ihren Zorn gegen ihn zu besänftigen.

»Ich schwöre dir,« versetzte Vinicius, »daß es mir nie in den Sinn gekommen ist, dich Aulus wegzunehmen. Petronius wird dir später einmal sagen, daß ich ihm schon damals mitteilte, ich liebte dich und wünschte dich zu heiraten. Ich sagte ihm: Sie soll meine Schwelle mit Wolfsfett salben und an meinem Herde sitzen. Er lachte mich aber aus und gab dem Caesar den Gedanken ein, dich Aulus als Geisel abfordern und mir übergeben zu lassen. Tausendmal habe ich ihm deswegen in meinem Schmerze geflucht, aber vielleicht hat es das Schicksal absichtlich so gefügt, denn sonst hätte ich die Christen nicht kennen und dich nicht verstehen gelernt.«

»Glaube mir, Marcus,« erwiderte Lygia, »Christus hat mich dir absichtlich zugeführt.«

Vinicius erhob betroffen das Haupt.

»Du hast recht,« erwiderte er lebhaft; »alles traf so wunderbar zusammen, daß ich, während ich dich suchte, die Christen fand ... Im Ostrianum hörte ich den Apostel verwundert mit an, denn solche Dinge hatte ich noch nie vernommen. Du hast gewiß dort für mich gebetet.«

»Ja,« entgegnete Lygia.

Sie kamen an die dicht mit Efeu bewachsene Laube und in die Nähe des Ortes, wo Ursus Kroton erwürgt und sich auf Vinicius gestürzt hatte.

»Hier,« sprach der junge Mann, »wäre ich ohne dein Dazwischentreten verloren gewesen.«

»Denke nicht mehr daran,« antwortete Lygia, »und trage es Ursus nicht nach.«

[365] »Könnte ich ihm zürnen, weil er dich verteidigt hat? Wäre er ein Sklave, so hätte ich ihm sofort die Freiheit geschenkt.«

»Wenn er ein Sklave wäre, so hätte Aulus ihn schon längst freigegeben.«

»Erinnerst du dich,« fragte Vinicius, »daß ich dich zu Aulus und Pomponia zurückbringen wollte? Du antwortetest mir aber, daß der Caesar möglicherweise davon hören und Rache an ihnen nehmen könnte. Sieh: jetzt wirst du sie unbedenklich besuchen können, so oft du willst.«

»Wieso, Marcus?«

»Ich sage jetzt und denke an die Zeit, wo du mein sein wirst; dann kannst du sie ohne jede Gefahr besuchen. Ja! ... Denn sollte der Caesar davon hören und mich fragen, was ich mit der Geisel, die er mir überließ, angefangen habe, so würde ich ihm sagen: Ich habe sie geheiratet, und sie besucht ihre Pflegeeltern mit meinem Willen. Er wird nicht lange in Antium bleiben, denn er will nach Achaja reisen, und selbst wenn er bleibt, so brauche ich nicht beständig in seiner Nähe zu sein. Wenn Paulus von Tarsos mich in eurer Religion unterwiesen hat, werde ich sofort die Taufe empfangen und hierher zurückkehren, um Aulus und Pomponia, die in diesen Tagen nach Rom zurückkommen werden, zu versöhnen. Dann wird es kein Hindernis mehr geben; ich werde dich heimführen und dir den Platz an meinem Herde anweisen. Ocarissima, carissima!«

Bei diesen Worten breitete er die Arme aus, als rufe er den Himmel zum Zeugen seiner Liebe an, und Lygia entgegnete, ihn mit leuchtenden Blicken betrachtend: »Dann werde ich sagen: Wo du Gajus bist, dort bin ich Gaja.«

»Nein, Lygia,« rief Vinicius, »ich schwöre dir, niemals noch ist eine Frau im Hause ihres Gatten so geehrt gewesen, wie du es in dem meinigen sein wirst.«

Eine Zeitlang gingen sie schweigend nebeneinander her, kaum imstande, ihr Glück zu fassen, zwei Gottheiten ähnlich und so schön, als habe sie der Lenz gleichzeitig mit den Blüten hervorgebracht. Endlich blieben sie an der Zypresse dicht am [366] Eingange der Wohnung stehen. Lygia lehnte sich an den Stamm, Vinicius aber begann von neuem mit zitternder Stimme zu bitten: »Schicke Ursus zu Aulus' Hause und sage ihm, er solle deine Ausstattung und das Spielzeug deiner Kindertage holen und zu mir bringen.«

Sie errötete wie eine Rose oder wie die Morgenröte und erwiderte: »Die Sitte fordert es anders ...«

»Ich weiß es. In der Regel bringt diese Gegenstände die Pronuba 1 erst nach der Hochzeit, aber tu es mir zuliebe. Ich will sie mit nach meiner Villa in Antium nehmen, um mich dadurch an dich zu erinnern.«

Er faltete die Hände und wiederholte wie ein Kind seine Bitte: »Pomponia kehrt in diesen Tagen zurück; tu es, diva, tu es, carissima!«

»Pomponia mag darüber entscheiden,« entgegnete Lygia, die bei der Erwähnung der Pronuba noch tiefer errötet war.

Wiederum schwiegen sie; die Liebe schien ihnen den Atem in der Brust zu hemmen. Lygia stand mit den Schultern an die Zypresse gelehnt, in deren Schatten ihr Antlitz weiß wie eine Blüte erschien, mit gesenkten Augen und heftig wogender Brust; Vinicius' Züge hatten sich verändert; er sah bleich aus. In der Stille des Nachmittags hörten sie den Schlag ihrer Herzen, und in ihrem Entzücken gestalteten sich die Zypresse, das Myrtengebüsch und die Efeulaube zum Garten der Liebe und des Glücks.

Mirjam trat in die Tür und lud sie zum Nachmittagsmahle ein. Sie setzten sich mit den Aposteln zu Tisch; diese sahen voller Freude auf sie als auf das junge Geschlecht, das nach ihrem Tode das Saatkorn ihrer Lehre bewahren und weiter aussäen werde. Petrus brach das Brot und segnete es. Friede lag auf aller Antlitz, und etwas wie ein unermeßliches Glück schien das ganze Zimmer zu erfüllen.

»Sieh selbst,« sagte endlich Paulus zu Vinicius, »ob wir wirklich Feinde des Lebens und des Glückes sind.«

[367] Dieser entgegnete: »Ich weiß jetzt, wie es sich in der Tat damit verhält, denn nirgends habe ich mich so glücklich gefühlt wie unter euch.«

Fußnoten

1 Die Frau, die die Neuvermählte begleitet und ihr die Pflichten der Ehegattin auseinandersetzt.

Fünfunddreißigstes Kapitel

Fünfunddreißigstes Kapitel.

Als Vinicius am Abend dieses Tages über das Forum nach Hause ging, bemerkte er am Eingang zum Vicus Tuscus Petronius' vergoldete Sänfte, die von acht Bithyniern getragen wurde. Auf einen Wink von ihm machten sie Halt; er trat hinzu und schob die Vorhänge auseinander.

»Du hast gewiß einen angenehmen, erfreulichen Traum,« rief er lachend beim Anblick des schlummernden Petronius.

»Ach, du bist es!« sagte Petronius erwachend. »Ja, ich habe geschlafen, da ich die Nacht auf dem Palatin zugebracht habe. Jetzt bin ich unterwegs, um mir etwas Lektüre für Antium zu kaufen ... Was gibt es Neues?«

»Gehst du zu Buchhändlern?«

»Ja; ich will meine Bibliothek nicht vernachlässigen und ergänze daher meinen Büchervorrat mit ziemlichen Kosten. Wahrscheinlich ist etwas Neues von Musonius und Seneca erschienen. Ebenso suche ich Persius und eine bestimmte Ausgabe von Vergils Eklogen, die ich noch nicht besitze. Ach, wie müde ich bin, und wie mich die Hände von dem Herausnehmen der Rollen aus den Behältern schmerzen! ... Denn ist man einmal in einer Buchhandlung, so treibt einem die Neugierde, sich bald dies, bald jenes anzusehen. Ich war bereits bei Avirunus, bei Atractus auf dem Argiletum und außerdem bei den Sosiern auf dem Vicus Sandalarius. Beim Kastor! wie schläfrig bin ich!«

»Du warst auf dem Palatin; ich möchte dich daher fragen, was es Neues gibt. Weißt du was? Schicke die Sänfte heim, laß die Buchhandlungen Buchhandlungen sein und komm mit mir. Wir wollen über Antium und noch etwas plaudern.«

»Gut,« erwiderte Petronius, indem er aus der Sänfte stieg. »Du wirst schon wissen, daß es übermorgen nach Antium geht.«

»Woher sollte ich das wissen?«

[368] »In was für einer Welt lebst du denn? Und so bin ich der erste, der dir diese Neuigkeit mitteilt? Jawohl! Halte dich übermorgen früh bereit. Erbsen in Olivenöl haben nichts genutzt, ein Tuch um den dicken Hals hat nichts genutzt, und der Rotbart ist heiser. Dem gegenüber kann von einem Aufschube keine Rede sein. Er verflucht Rom, dessen Luft, die ganze Welt. Es würde ihn freuen, die Stadt dem Erdboden gleichzumachen oder sie einzuäschern, und will sobald wie möglich an die See. Er glaubt, daß die Ausdünstungen, welche der Wind aus den engen Gassen zu ihm herüber bringt, ihn ins Grab stürzten. Heut werden große Opfer in allen Tempeln dargebracht, damit er seine Stimme wieder bekomme. Wehe Rom und namentlich dem Senate, wenn sie nicht bald zurückkehrt.«

»Dann wäre er auch nicht imstande, nach Achaja zu gehen.«

»Besitzt denn unser göttlicher Caesar dieses einzige Talent?« entgegnete Petronius lächelnd. »Er würde bei den olympischen Spielen als Dichter mit seinem Brande Trojas, als Wagenlenker, als Musiker, als Athlet, ja sogar als Tänzer auftreten und auf jeden Fall alle für die Sieger gewundenen Kränze davon tragen. Weißt du, wovon der Affe heiser wurde? Gestern wollte er sich mit unserem Paris im Tanzen messen und tanzte uns Ledas Abenteuer vor, wobei er heiß wurde und sich dann erkältete. Er war ganz naß und schlüpfrig wie ein frisch aus dem Wasser genommener Aal. Er veränderte einmal ums andere seine Larve, drehte sich im Kreise wie eine Spindel, fuchtelte wie ein betrunkener Matrose mit den Armen in der Luft herum, bis es mich ekelte, nur diesen dicken Bauch auf den dürren Beinen noch länger anzusehen. Paris hatte ihm ein bis zwei Wochen lang Unterricht gegeben, aber stelle dir den Rotbart als Leda oder als göttlichen Schwan vor. Der ein Schwan. Es ist nicht zu glauben! Aber er will in dieser Pantomime öffentlich auftreten, zuerst in Antium und dann in Rom.«

»Man ist schon darüber empört, daß er öffentlich sang, aber denke dir, daß ein römischer Caesar als Mime auftritt! Nein, das wird sich Rom nicht gefallen lassen.«

[369] »Mein Lieber! Rom wird sich alles gefallen lassen, und der Senat wird dem Vater des Vaterlandes seinen Dankaussprechen.«

Und nach einer Weile fügte er hinzu: »Der Pöbel aber wird stolz darauf sein, daß der Caesar sein Hanswurst ist.«

»Sage selber, kann man sich tiefer erniedrigen?«

Petronius zuckte mit den Achseln.

»Du lebst daheim für dich und denkst dort bald an Lygia, bald an die Christen; du weißt daher noch gar nicht, was sich vor ein paar Tagen ereignete. Nero hat sich öffentlich mit Pythagoras vermählt. Er trat dabei als junge Frau auf. Man könnte glauben, dies mache das Maß des Wahnwitzes voll, nicht wahr? Aber was sagst du dazu, daß die Flamines erschienen und die Ehe feierlichst einsegneten? Ich war dabei. Ich kann sehr viel vertragen, aber hier gestehe ich, daß mir der Wunsch kam, die Götter, wenn es welche gibt, müßten ein Wunder tun ... Aber der Caesar glaubt nicht an Götter und hat darin recht.«

»Er ist also oberster Priester, Gott und Atheist in einer Person,« sagte Vinicius.

Petronius begann zu lachen. »Du hast recht! Darauf bin ich noch gar nicht gekommen; dies ist ein Zusammentreffen, wie es die Welt noch nicht gesehen hat.« Dann wurde er ernst und sagte: »Man muß noch hinzufügen, daß dieser oberste Priester, der nicht an die Götter glaubt, und dieser Gott, der sie verspottet, sich doch als Atheist vor ihnen fürchtet.«

»Der Vorgang im Vestatempel ist ein Beweis dafür.«

»Was ist das für eine Welt!«

»Wie die Welt, so der Caesar! Aber so etwas kann keinen langen Bestand haben.« Unter diesen Gesprächen waren sie bis an Vinicius' Haus gelangt; dieser bestellte heiter das Abendessen und kehrte sodann zu Petronius zurück.

»Nein, mein Lieber, die Welt muß erneuert werden.«

»Wir werden sie nicht erneuern,« erwiderte Petronius, »und sei es auch nur deshalb, weil jedermann zu Lebzeiten Neros nur eine Eintagsfliege ist: man lebt im Sonnenschein seiner Gnade und geht beim ersten kalten Windhauch zugrunde. [370] Beim Sohne der Maja! oft schon habe ich mir die Frage vorgelegt, durch welches Wunder ein Mann wie Lucius Saturninus dreiundneunzig Jahre alt werden und Tiberius, Caligula, Claudius überleben konnte .... Aber das sind nebensächliche Dinge. Würdest du mir gestatten, Eunike mit deiner Sänfte abholen zu lassen? Meine Müdigkeit ist verflogen, und ich möchte gern heiter sein. Laß Lautenspieler beim Mahle zugegen sein, und dann wollen wir von Antium sprechen. Wir müssen darüber nachdenken, namentlich du!«

Vinicius gab den Befehl, Eunike abzuholen, antwortete aber, er habe keine Lust, sich über den Aufenthalt in Antium den Kopf zu zerbrechen. Die möchten sich ihn darüber zerbrechen, die nicht anders leben könnten als in dem Sonnenschein der Gnade des Caesars. Der Palatin umschließe nicht die Welt, namentlich nicht für diejenigen, die noch etwas in ihrem Herzen und in ihrer Seele hätten.

Er sprach so unbekümmert, lebhaft und heiter, daß all dies Petronius auffiel; er betrachtete ihn eine Zeitlang, dann fragte er: »Was geht mit dir vor? Du bist heut so wie du damals warst, als du noch die goldene Bulle am Halse trugst.«

»Ich bin glücklich,« entgegnete Vinicius. »Ich lud dich absichtlich zu mir ein, um es dir mitzuteilen.«

»Was ist geschehen?«

»Etwas, was ich gegen das ganze römische Reich nicht vertauschen möchte.«

Bei diesen Worten setzte er sich, lehnte sich im Sessel zurück, stützte den Kopf in die Hand und begann mit lächelndem Gesicht und freudestrahlendem Ausdruck in den Zügen: »Entsinnst du dich noch, wie wir einst bei Aulus Plautius waren und du zum erstenmal hier jenes göttergleiche Mädchen sahest, das du Morgenröte und Frühling nanntest? Erinnerst du dich jener Psyche, dieser schönsten der Jungfrauen und aller Göttinnen?«

Petronius betrachtete ihn mit solchem Erstaunen, als wollte er sich überzeugen, ob sein Kopf noch in Ordnung sei.

[371] »Von wem sprichst du?« fragte er endlich. »Natürlich entsinne ich mich auf Lygia.«

»Ich bin ihr Verlobter,« erwiderte Vinicius.

»Wie?«

Aber Vinicius sprang empor und rief nach dem Hausverwalter. »Laß alle Sklaven bis auf den letzten Mann zu mir hereinkommen! Rasch!«

»Du bist ihr Verlobter?« wiederholte Petronius.

Bevor er sich von seinem Erstaunen erholen konnte, füllte sich das weite Atrium mit Vinicius' Sklaven. Es befanden sich unter ihnen schwache Greise, Männer in der Vollkraft ihrer Jahre, Frauen, Knaben und Mädchen. Jeden Augenblick wurde das Gedränge größer; aus den Gängen, fauces genannt, erschollen Rufe in verschiedenen Sprachen. Als sie endlich alle an den Wänden entlang und zwischen den Säulen standen, trat Vinicius ans Impluvium und sprach zu seinem Freigelassenen Demas: »Wer zwanzig Jahre in meinem Hause dient, soll morgen beim Prätor erscheinen, wo er die Freiheit erhalten wird: wer noch nicht so lange dient, bekommt drei Goldstücke und eine Woche lang doppelte Ration. Laß nach den Landgefängnissen schicken und sagen, man soll die Strafen erlassen, den Leuten die Ketten von den Füßen nehmen und ihnen genügend zu essen geben. Wisset, daß heute ein Glückstag für mich ist und daß ich wünsche, mein ganzes Haus soll die Freude teilen.«

Eine Weile standen die Sklaven sprachlos da, als trauten sie ihren eigenen Ohren nicht, dann hoben sie alle die Arme empor und riefen: »Aa! Herr! aaa! ...«

Vinicius entließ sie mit einer Handbewegung. Sie eilten hinaus, obgleich sie ihm am liebsten zu Füßen gefallen wären und gedankt hätten, und erfüllten das Haus vom Keller bis zum Dache mit ihrem Jubelgeschrei.

»Morgen,« sagte Vinicius, »lasse ich alle sich im Garten versammeln und vor sich hinzeichnen, was sie wollen. Diejenigen, welche einen Fisch zeichnen, wird Lygia freigeben.«

Petronius, der sich schon längst über nichts mehr wunderte, [372] hatte sich inzwischen erholt und fragte nun: »Einen Fisch? Aha! ich erinnere mich, was Chilon sagte: das christliche Symbol.«

Dann streckte er Vinicius die Hand hin und sagte: »Das Glück ist stets dort, wo man es sieht. Möge Flora dir lange Jahre hindurch Blumen unter die Füße streuen. Ich wünsche dir alles, was du dir selber wünschst.«

»Ich danke dir, denn ich glaubte, du würdest mir abraten, und dies, weißt du, wäre Zeitverschwendung gewesen.«

»Ich dir abraten? Mitnichten. Im Gegenteil, ich sage dir, du tust wohl daran.«

»Ha, Wetterwendischer!« rief Vinicius heiter; »hast du vergessen, was du einst sagtest, als wir Graecinas Haus verließen?«

Petronius erwiderte kaltblütig: »Nein, aber ich habe meine Meinung gewechselt.«

Nach kurzer Zeit fuhr er fort: »Mein Lieber! in Rom wechselt alles. Männer wechseln ihre Frauen, Frauen wechseln ihre Männer, weshalb soll ich da nicht meine Meinung wechseln? Es fehlte nicht viel, da hätte Nero Akte geheiratet, der man geflissentlich seinetwegen königliche Abstammung zuschrieb. Was wäre dabei gewesen? Er würde ein ehrbares Weib und wir eine ehrbare Augusta haben. Bei Proteus und seinem unfruchtbaren Meere! stets werde ich meine Meinung wechseln, so oft ich es für angemessen oder vorteilhaft erachte. Was Lygia betrifft, so ist ihre königliche Abstammung sicherer bezeugt als Aktes pergamentener Adel. Aber in Antium hüte dich vor Poppaea, die sehr rachsüchtiger Natur ist.«

»Ich denke nicht daran! In Antium wird mir kein Haar vom Haupte fallen.«

»Wenn du glaubst, ich werde mich nochmals wundern, so irrst du; woher hast du aber dieser Gewißheit?«

»Der Apostel Petrus hat es mir gesagt.«

»Ah! der Apostel Petrus hat es dir gesagt. Dagegen gibt es allerdings keinen Widerspruch. Gestatte jedoch, daß ich einige Vorsichtsmaßregeln treffe, und sei es auch nur, damit sich der Apostel Petrus nicht als falscher Prophet erweise; denn sollte sich der Apostel Petrus zufällig irren, so [373] könnte er vielleicht dein Vertrauen verlieren, das dem Apostel Petrus in Zukunft sicher von Nutzen sein wird.«

»Tu, was du willst; ich glaube ihm aber. Und wenn du meinst, mich dadurch abzuschrecken, daß du seinen Namen mit spöttischer Betonung wiederholst, so irrst du dich.«

»Nun noch eine Frage: bist du schon Christ geworden?«

»Noch nicht, aber Paulus von Tarsos wird mich begleiten, um mich im christlichen Glauben zu unterweisen. Dann will ich die Taufe nehmen, denn deine Behauptung, die Christen seien Feinde des Lebens und der Freude, ist falsch.«

»Um so besser für dich und Lygia,« erwiderte Petronius.

Dann zuckte er die Achseln und fuhr wie mit sich selber sprechend fort: »Sonderbar ist es jedoch, wie diese Leute es verstehen, Anhänger zu finden, und wie sich diese Sekte ausbreitet.«

Vinicius antwortete mit einer Wärme, als sei er selbst schon getauft: »Ja, es leben ihrer Tausende und Zehntausende in Rom, in den Städten Italiens, in Griechenland und Kleinasien. Es befinden sich Christen in den Legionen und unter den Prätorianern, selbst im Palaste des Caesars sind sie zu finden. Sklaven und Bürger, Reiche und Arme, Plebejer und Patrizier bekennen sich zu diesem Glauben. Weißt du, daß einige Cornelier Christen sind, daß Pomponia Graecina Christin ist, daß wahrscheinlich Octavia eine war und daß Akte eine ist? Ja, dieser Glaube erobert die Welt, und er allein kann sie erneuern. Zucke nicht mit den Schultern, denn wer weiß, ob du in einem Monat oder einem Jahre ihn nicht selbst annimmst.«

»Ich?« fragte Petronius. »Nein, beim Sohne der Leto! ich nehme ihn nicht an, und läge in ihm auch die Wahrheit und Weisheit von Menschen und Göttern verborgen. Das würde eine Anstrengung für mich bedeuten, und ich liebe es nicht, mich anzustrengen ... Ich müßte da auf manches verzichten, und ich liebe es nicht, auf irgend etwas Verzicht zu leisten. Bei deiner Natur, die Feuer und siedendem Wasser gleicht, kann sich etwas Ähnliches stets ereignen, aber ich? ich habe meine Gemmen, meine Kannen, meine Vasen und [374] meine Eunike. An den Olymp glaube ich nicht, richte ihn mir aber auf Erden ein und will genießen, bis die Pfeile des göttlichen Bogenschützen mich durchbohren oder bis der Caesar mir befiehlt, mir die Adern zu öffnen. Ich liebe Veilchenduft und ein bequemes Triclinium gar zu sehr. Ich liebe auch unsere Götter ... als rhetorische Figuren, ebenso Achaja, wohin ich mich mit unserem fetten, dünnbeinigen, unvergleichlichen, göttlichen Caesar, Augustus, Periodenschmieder ... Herkules, Nero begeben werde! ...«

Er lachte heiter auf bei dem bloßen Gedanken, er könne möglicherweise die Lehre galiläischer Fischer annehmen, und begann halblaut zu singen:


Tragen will ich das Schwert in Myrtenzweigen

Wie Harmodios und Aristogeiton ...


Er brach ab, da der Freigelassene meldete, Eunike sei angelangt.

Gleichzeitig mit ihrer Ankunft wurde auch das Mahl aufgetragen, bei dem nach dem Vortrage einiger von Lautenspiel begleiteten Lieder Vinicius seinem Oheim von Chilons Besuche sowie davon erzählte, daß dieser Besuch ihn auf den Gedanken gebracht habe, sich geradeswegs zu den Aposteln zu begeben, und daß ihm dieser Gedanke während Chilons Züchtigung gekommen sei.

Petronius, den von neuem die Müdigkeit überwältigte, stützte den Kopf in die Hand und sagte: »Der Gedanke war gut, weil er einen guten Erfolg hatte. Was aber Chilon betrifft, so hätte ich ihm fünf Goldstücke geben lassen; da du ihn aber hast peitschen lassen, so wäre es schon besser gewesen, ihn zu Tode zu peitschen, denn wer weiß, ob nicht einst die Zeit kommt, wo die Senatoren sich vor ihm verbeugen, wie sie es heutzutage vor unserem Ritter Pechdraht-Vatinius tun. Gute Nacht!«

Er nahm sich den Kranz vom Haupte und machte sich mit Eunike auf den Heimweg. Als sie fort waren, ging Vinicius in die Bibliothek und schrieb folgenden Brief an Lygia: »Ich möchte, daß, wenn du deine schönen Augen aufschlägst, du meine Göttin, dir dieser Brief Guten Morgen [375] sagt. Daher schreibe ich dir noch heute, obgleich ich dich ja morgen wiedersehe. Der Caesar geht übermorgen nach Antium, und ich, ach! muß ihn begleiten. Ich sagte dir schon, daß Ungehorsam gleichbedeutend mit Tod wäre, und ich hätte jetzt nicht den Mut, zu sterben. Willst du jedoch nicht, daß ich Rom verlasse, so schreibe mir nur ein Wort, und ich bleibe, und es wird dann Petronius' Sache sein, die Gefahr von mir abzuwenden. Heute habe ich in der Freude meines Herzens allen meinen Sklaven auch eine Freude gemacht, und diejenigen, die zwanzig Jahre in meinem Hause gedient haben, will ich morgen zum Prätor führen, um ihnen die Freiheit zu schenken. Du, meine Teure, sollst mit mir zufrieden sein, denn es will mir scheinen, daß diese Handlungsweise der milden Lehre entspricht, zu der du dich bekennst, und dann habe ich es auch deinetwegen getan. Ich werde ihnen morgen sagen, daß sie dir ihre Freiheit verdanken, damit sie dir dankbar sind und deinen Namen verehren. Ich selbst überantworte mich dem Glücke und dir als Sklaven, und die Götter mögen mir nie eine Freilassung bescheren. Antium sei verwünscht samt der Reise des Rotbarts. Drei-, viermal glücklich bin ich, daß ich nicht so weise bin wie Petronius, denn sonst müßte ich mit nach Achaja. Inzwischen wird die Trennungszeit mir die Erinnerung an dich wachrufen. So oft ich mich losreißen kann, schwinge ich mich aufs Pferd und komme nach Rom geritten, um meine Augen an deinem Anblick, meine Ohren an deiner süßen Stimme zu laben. Wenn ich nicht kommen kann, so schicke ich dir einen Sklaven, der dir einen Brief überbringen und sich nach deinem Befinden erkundigen soll. Ich grüße dich, meine Göttin, und werfe mich dir zu Füßen. Zürne mir nicht, daß ich dich Göttin nenne. Falls du zürnst, so will ich gehorchen, aber heute kann ich dich noch nicht anders nennen. Aus vollster Seele sende ich dir Grüße aus deinem zukünftigen Heim.«


Ende des ersten Bandes. [376]

Sechsunddreißigstes Kapitel

[3] Sechsunddreißigstes Kapitel.

Man wußte in Rom, daß der Caesar unterwegs Ostia zu sehen wünsche oder vielmehr das größte Schiff der Welt, das vor kurzem Getreide aus Alexandria gebracht hatte und von Ostia aus längs der Uferstraße 1 nach Antium gehen sollte. Die Befehle dazu waren schon einige Tage gegeben worden, und daher versammelten sich vom frühen Morgen an Scharen des städtischen Pöbels, zu dem sich der aller Völker der Erde gesellte, an der Porta Ostiensis, um ihre Augen am Anblick des Gefolges des Caesars zu weiden, an dem sich das römische Volk nicht sattsehen konnte. Die Reise nach Antium war weder schwierig noch weit; in der Stadt selbst, die großenteils aus prächtigen Palästen und Villen bestand, war alles zu finden, was die Bequemlichkeit und selbst der ausgesuchteste Luxus jener Zeit verlangen konnte. Der Caesar pflegte jedoch auf seinen Reisen alles mitzunehmen, woran er Gefallen fand, von Musikinstrumenten und Hausgeräten angefangen bis hin zu den Bildsäulen und Mosaiken, die selbst dann ausgepackt wurden, wenn es sich nur um einen kurzen Aufenthalt unterwegs zum Zwecke der Ruhe und Erholung handelte. Aus diesem Grunde begleitete ihn auf jeder Reise ein wahres Heer von Dienern, ungerechnet die Abteilungen der Prätorianer und Augustianer, von denen überdies jeder noch sein eigenes Gefolge von Sklaven hatte.

[3] Am frühesten Morgen dieses Tages kamen Hirten aus Campanien mit Ziegenfellen an den Füßen und sonnengebräunten Gesichtern und trieben fünfhundert Eselinnen durch das Tor, damit Poppaea am Morgen nach ihrer Ankunft in Antium in deren Milch ihr gewohntes Bad nehmen konnte. Die Menge blickte unter lustigem Lachen auf die langen Ohren, die sich in den Staubwolken der Straße hin und her bewegten, und hörte mit Vergnügen auf das Knallen der Peitschen und das wilde Geschrei der Hirten. Als die Eselinnen vorüber waren, stürzte eine zahlreiche Schar Knaben hervor, die die Straße sorgfältig reinigten und mit Blumen und Piniennadeln zu bestreuen begannen. In der Menge flüsterte man sich mit einem gewissen Gefühle des Stolzes zu, die ganze Straße bis hin nach Antium werde auf diese Weise mit Blumen bestreut, die aus den anliegenden Privatgärten stammten oder für teures Geld bei den Händlern an der Porta Mugionis erstanden worden seien. Je höher die Sonne stieg, um so stärker wurde in jedem Augenblicke das Gedränge. Viele hatten ihre ganze Familie mitgebracht, breiteten, damit ihnen die Zeit nicht allzulang würde, ihre Mundvorräte auf den steinernen Stufen aus, die zu dem neuen Cerestempel emporführten, und nahmen ihr Frühstück unter freiem Himmel ein. Hie und da standen Gruppen zusammen, in denen weitgereiste Leute das Wort führten. Man sprach von dem gegenwärtigen Ausfluge des Caesars, von seinen künftigen Reisen und vom Reisen im allgemeinen; namentlich erzählten Matrosen und ausgediente Soldaten Wunderdinge aus Ländern, von denen sie auf fernen Kriegszügen gehört hatten, die aber nie von eines Römers Fuß betreten worden waren. Die Städter, die nie in ihrem Leben über die Appische Straße hinausgelangt waren, ließen sich voller Erstaunen von den Wundern Indiens und Arabiens berichten, von den Inseln in der Nähe Britanniens, wo auf einem kleinen Eilande Briareus den schlafenden Saturn eingekerkert habe, dem Sitze böser Geister, von den [4] hyperboreischen Ländern, von eisbedeckten Meeren, von dem Zischen und Brüllen, das sich in den Fluten des Ozeans erhebt, wenn die untergehende Sonne in den Wasserwirbeln versinkt. Märchen dieser Art, an die selbst Männer wie Plinius und Tacitus glaubten, fanden natürlich leichtes Gehör bei der Menge. Ebenso wurde von jenem Schiffe gesprochen, das der Caesar besichtigen wolle und das einen Weizenvorrat auf zwei Jahre gebracht habe, vierhundert Reisende, ebensoviele Matrosen und eine Menge wilder Tiere nicht mit eingerechnet, die bei den Spielen im Sommer Verwendung finden sollten. Die Aussicht hierauf erhöhte noch die allgemeine Zuneigung für den Caesar, der nicht nur für die Ernährung, sondern auch für die Belustigung des Volkes sorgte. Es erwartete ihn daher ein begeisterter Empfang.

Jetzt kam eine Abteilung numidischer Reiter angesprengt, die zu der Prätorianertruppe gehörten. Sie trugen goldstrahlende Gewänder, rote Gürtel und große Ohrringe, die über ihre schwarzen Gesichter einen goldenen Schimmer verbreiteten. Die Spitzen ihrer Bambuslanzen funkelten im Sonnenscheine wie Flämmchen. Als sie vorüber waren, entstand eine prozessionsartige Bewegung. Die Menge drängte sich vorwärts, um den Zug in größerer Nähe sehen zu können; aber Prätorianerabteilungen zu Fuß rückten heran, stellten sich zu beiden Seiten des Tores auf und sperrten so die Straße ab. Zunächst kamen Wagen mit purpurnen, roten und violetten Zelten, mit Zelten aus schneeweißem, mit Goldfäden durchwebtem Byssos, mit orientalischen Teppichen und Tischen aus Citrusholz, mit Mosaiken, mit Küchengeräten, mit Käfigen voller Vögel aus dem Osten, Süden und Westen, deren Gehirn oder Zungen für die Tafel des Caesars bestimmt waren, Gefäßen mit Wein und Körben mit Früchten. Gegenstände, die auf dem Wagen verbogen oder zerbrochen wären, wurden von Sklaven zu Fuß getragen. Man sah daher hunderte von diesen, welche Gefäße und Statuen aus korinthischem Erz trugen, man sah Gruppen [5] mit etruskischen und griechischen Vasen, mit goldenem, silbernem Geschirr oder mit Gefäßen aus alexandrinischem Glase. Sie wurden von kleinen Abteilungen Prätorianer zu Fuß und Pferd bewacht; jeder Sklaventrupp wurde von Aufsehern begleitet, die mit Blei- und Eisenstücken beschwerte Peitschen trugen. Dieser Zug von Männern, welche mit großer Aufmerksamkeit und Sorgfalt die verschiedenartigsten Gegenstände trugen, glich einer feierlichen religiösen Prozession. Die Ähnlichkeit wurde noch größer, als die Musikinstrumente des Caesars und seines Hofes vorüberkamen. Da erblickte man Harfen, griechische, hebräische und ägyptische Lauten, Leiern, Phormingen, Zithern, Pfeifen, lange gewundene Hörner und Zimbeln. Wer diese Riesenmenge von Instrumenten von Gold, Bronze, Edelsteinen und Perlen im Sonnenschein funkeln sah, hätte glauben können, Apollon oder Bakchos sei auf einer Reise durch die Welt begriffen. Dann folgten prächtige Wagen mit Akrobaten, Tänzern und Tänzerinnen in malerischer Gruppierung, mit Thyrsosstäben in den Händen. Hinter ihnen kamen Sklaven, die keinen Dienst verrichteten, sondern aus Liebhaberei gehalten wurden: Knaben und kleine Mädchen aus ganz Griechenland und Kleinasien, mit lang herabhängendem Haar oder in goldenen Netzen steckenden Locken, gleich Amoretten, mit wunderschönen, aber ganz mit einer dicken Schicht Schminke bedeckten Gesichtern, damit der Wind der Campania ihren zarten Teint nicht bräune.

Wieder folgte eine Abteilung Prätorianer, diesmal riesige Sigambrer, bärtig mit blondem oder rötlichem Haar und blauen Augen. Vor ihnen schritten die Imaginarii mit den Feldzeichen: römischen Adlern, Tafeln mit Inschriften, germanischen und römischen Götterbildern, Statuen und Büsten des Caesars. Unter den Fellen und Rüstungen der Soldaten erblickte man sonnenverbrannte, kräftige Glieder, Kriegsmaschinen gleich, imstande, die schweren Waffen zu tragen, mit denen diese Truppe ausgerüstet war. Die Erde schien[6] unter ihrem gleichmäßigen, schweren Tritt zu beben. Wie im Bewußtsein ihrer Stärke, die sie auch gegen den Caesar selbst gebrauchen konnten, sahen sie hochmütig auf die Menschenmenge herab und hatten es augenscheinlich vergessen, daß viele von ihnen einst in Ketten die Stadt betreten hatten. Ihre Zahl war jedoch unbedeutend, denn die Hauptmacht der Prätorianergarde war in ihrem Standlager in der Stadt verblieben, um die Stadt zu überwachen und in Botmäßigkeit zu erhalten. Als sie vorbeigezogen waren, erblickte man die abgerichteten Tiger und Löwen Neros, damit er, wenn es ihm einfiele, den Dionysos nachahmen zu wollen, sie an seinen Reisewagen spannen lassen konnte. Geführt wurden sie von Hindus und Arabern an eisernen mit Ringen versehenen Ketten, die aber so dicht mit Blumen umwunden waren, daß sie Guirlanden glichen. Die durch geschickte Tierbändiger gezähmten Bestien sahen mit ihren grünen, halbverschlossenen Augen auf die Menge, bisweilen jedoch erhoben sie ihre riesigen Köpfe und zogen den Menschengeruch in ihre Nüstern ein, während sie sich mit den rauhen Zungen die Lippen leckten.

Dann kamen noch die größeren und kleineren Wagen und Sänften des Caesars, mit Gold und Purpur ausgeschlagen, mit Elfenbein und Perlen geschmückt oder im Glanze von Edelsteinen erstrahlend; dahinter marschierte wiederum eine kleine Abteilung Prätorianer in römischen Rüstungen, die nur aus italischen Freiwilligen bestand; hierauf folgte abermals eine Schar schöner Sklavinnen und Knaben, und endlich kam der Caesar selbst, dessen Nahen das Geschrei der Menschenmenge schon von weitem ankündete.

Unter den Zuschauern befand sich auch der Apostel Petrus, der den Caesar wenigstens einmal in seinem Leben zu sehen wünschte. In seiner Begleitung befanden sich Lygia, die ihr Gesicht mit einem dichten Schleier bedeckt hatte, und Ursus, dessen Kraft der beste Schutz für das Mädchen mitten in der unruhigen und aufgeregten Menge war. Der Lygier nahm [7] einen von den zum Tempelbau bestimmten Steinblöcken auf und brachte ihn dem Apostel, damit dieser sich darauf stellen und den Zug besser als andere sehen könnte. Das Volk begann anfangs zu murren, als Ursus es zerteilte, wie ein Schiff die Wogen; als man aber sah, daß er einen Stein trug, den vier der stärksten Männer nicht aufzuheben vermochten, verwandelte sich der Unwille in Bewunderung, und ringsum erscholl der Ruf: »Macte!«

Inzwischen war jedoch der Caesar genaht. Er saß in einem Wagen, der von sechs weißen idumäischen, goldgeschmückten Hengsten gezogen wurde. Der Wagen hatte die Gestalt eines Zeltes mit absichtlich in die Höhe geschlagenen Seitenwänden, damit das Volk den Caesar sehen könnte. Er konnte mehrere Personen fassen, aber Nero, der die Aufmerksamkeit auf sich allein zu lenken wünschte, fuhr allein durch die Stadt und hatte nur zwei verwachsene Zwerge zu seinen Füßen kauern. Er trug eine weiße Tunika und eine amethystfarbige Toga, die seinem Gesichte einen bläulichen Schimmer verlieh. Auf dem Kopfe trug er einen Lorbeerkranz. Seit der Reise nach Neapel hatte er an Körperfülle bedeutend zugenommen. Sein Gesicht war aufgedunsen; unterhalb der Wangen zeigte sich ein Doppelkinn, und dadurch schien sein Mund, der immer der Nase zu nahe gestanden hatte, jetzt unmittelbar bis an die Nasenlöcher zu reichen. Um den dicken Hals hatte er wie gewöhnlich ein seidenes Tuch geschlungen, das er jeden Augenblick mit seiner weißen, fleischigen Hand ordnete, die am Gelenk mit roten Haaren gleich blutigen Flecken bedeckt war. Er ließ die Haare durch die Epilatoren nicht mehr entfernen, seit man ihm gesagt hatte, dies könne ein Zittern seiner Finger und dadurch eine Beeinträchtigung seines Lautenspiels zur Folge haben. Wie immer lagerte auf seinem Gesicht ein Gemisch von maßloser Eitelkeit, Blasiertheit und Schläfrigkeit. Im allgemeinen waren seine Züge ebenso schrecklich wie gemein. Während des Fahrens bewegte er den Kopf nach allen Seiten, [8] blinzelte zuweilen mit den Augen und hörte genau hin, wie ihn das Volk begrüßte. Ein Sturm des Jubels und Beifalls empfing ihn: »Sei gegrüßt, du Göttlicher! Caesar! Imperator, sei gegrüßt, du Siegreicher! sei gegrüßt, Unvergleichlicher! Sohn des Apollo, Apollo!« Beim Anhören dieser Worte lächelte er; aber mitunter glitt eine Wolke über seine Züge, denn das römische Volk war spottlustig und beißend in seinem Urteil und erlaubte sich sogar gegen große Triumphatoren Sticheleien, gegen Männer, die es doch in der Tat liebte und verehrte. Es war allgemein bekannt, daß sie einst beim Einzuge Julius Caesars in Rom gerufen hatten: »Bürger, hütet eure Frauen, denn es naht der kahle Wüstling!« 2

Aber Neros ungeheure Eitelkeit konnte weder den leisesten Tadel noch den geringsten Spott ertragen, und es wurden inmitten des Jubelgeschreis auch Zurufe laut wie: »Rotbart ... Rotbart! Wo hast du deinen Feuerbart gelassen? Du fürchtest wohl, er könnte Rom anzünden?« Und die das riefen, ahnten nicht, daß der Spott, der in diesem Rufe lag, schrecklich in Erfüllung gehen sollte. Diese und ähnliche Zurufe brachten den Caesar nicht allzusehr auf, besonders da er keinen Bart trug, ihn vielmehr schon längst dem kapitolinischen Jupiter in einem goldenen Kästchen zu Opfer dargebracht hatte. Andere aber riefen hinter Steinhaufen und den Ecken der Tempel hervor. »Muttermörder! Nero! Orestes! Alkmaeon!« und wieder andere: »Wo ist Octavia?« »Lege den Purpur ab!« – und Poppaea, die dicht hinter ihm folgte, rief man zu:»Flava coma« (Gelbhaar), eine Bezeichnung, die man Straßendirnen beilegte. Neros scharfes Ohr vernahm auch diese Worte, und er führte mit der Hand seinen geschliffenen Smaragd an die Augen, als wollte er sich die [9] betrachten und seinem Gedächtnis einprägen, die sie gerufen hatten. Bei dieser Gelegenheit blieb sein Blick auf dem Apostel haften, der auf seinem Steine stand. Einen Augenblick sahen die beiden Männer einander an; niemand aber in dem glänzenden Zuge, niemand in der unzähligen Menschenmenge kam es in den Sinn, daß sich hier zwei irdische Mächte Aug' in Auge gegenüberstanden, von denen die eine in kurzer Zeit wie ein bluttriefender Traum dahinschwinden, während die andere, jener Greis im schlichten Gewande, von der Welt und der Stadt Rom dauernd Besitz ergreifen sollte.

Unterdessen war der Caesar vorbeigezogen, und dicht hinter ihm trugen acht Afrikaner eine prächtige Sänfte, in welcher die vom Volke verachtete Poppaea saß. Wie Nero in ein amethystfarbenes Gewand gekleidet, mit einer dicken Lage Schminke auf dem Gesicht, unbeweglich, nachdenklich, gleichgültig, machte sie den Eindruck einer schönen, aber bösen Göttin, die man in einer Prozession einherträgt. Auch ihr folgte ein ganzer Hofstaat männlicher und weiblicher Dienerschaft und endlich eine Reihe Wagen mit Reisebedürfnissen und Kleidern. Die Sonne hatte schon ihre Mittagshöhe überschritten, als der Vorbeizug der Augustianer begann – strahlend, blitzend, schillernd wie eine Schlange, endlos. Der bequeme, von der Menge lebhaft begrüßte Petronius ließ sich samt seiner göttergleichen Sklavin in einer Sänfte tragen; Tigellinus fuhr in einem Wagen, den mit weißen und purpurnen Federn geschmückte Ponies zogen. Man konnte bemerken, wie er sich im Wagen erhob und mit vorgestrecktem Halse ausschaute, ob ihm der Caesar nicht einen Wink geben würde, neben ihm Platz zu nehmen. An anderer Stelle wurde Licinius Piso mit Beifallsrufen, Vitellius mit Gelächter, Vatinius mit Pfeifen begrüßt. Gegenüber den Konsuln Licinius und Lecanius verhielt sich das Volk kühl, wogegen Tullius Senecio, der – man wußte nicht, weshalb – beliebt war, ebenso wie Vestinus den Beifall der Menge erregte. Der Hofstaat war unzählbar. Es hatte den Anschein, als wandere alles, [10] was Rom an Reichtum, Glanz, Berühmtheit aufzuweisen habe, nach Antium aus. Nero reiste nie anders, als mit tausend Wagen; das ihn begleitende Gefolge überstieg aber fast regelmäßig die Zahl der Soldaten einer Legion. 3 Man bemerkte Domitius Afer und den grämlichen Lucius Saturninus, man sah Vespasian, der noch nicht seinen Feldzug nach Judäa angetreten hatte, von dem er erst zurückkehren sollte, um sich die Caesarenkrone aufs Haupt zu setzen, nebst seinen Söhnen, ebenso den jungen Nerva und Lucanus, Annius Gallo, Quintianus und eine Menge durch Reichtum, Schönheit, Ausschweifung und Laster bekannter Frauen. Die Augen der Menge schweifte von den bekannten Gesichtern auf die Rüstungen, Wagen, Pferde, die fremdartige Kleidung der Dienerschaft, die sich aus allen Völkern der Erde zusammensetzte. Kaum wußte man, was man an diesem Schauspiel von Prunk und Macht am meisten bewundern sollte, und nicht nur die Augen, sondern auch die Gedanken wurden von diesem Glanze des Goldes, dieser purpurnen und violetten Farbenpracht, diesem Funkeln der Edelsteine, dem Glanze des Byssos, der Perlen, des Elfenbeins geblendet. Es hatte den Anschein, als würden selbst die Strahlen der Sonne in diesem Glanzmeere verdunkelt. Und obgleich es in dem Gedränge nicht an armen Leuten mit leerem Magen und ausgehungertem Gesichte fehlte, so erregte dieses Schauspiel in ihnen nicht Begehrlichkeit und Neid, sondern erfüllte sie auch mit Genugtuung und Stolz, da es ihnen einen Begriff von der Macht und Unüberwindlichkeit Roms gab, in die sich die Welt widerspruchslos fügte. Es gab in der Tat auf der ganzen Welt niemand, der zu denken gewagt hätte, daß diese Macht nicht in alle Ewigkeit fortbestehen, alle Völker überleben werde, daß ihr irgend etwas auf der Erde Widerstand leisten könne.

Vinicius, der am Ende des Zuges fuhr, sprang beim Anblick des Apostels und Lygias, die er nicht zu sehen erwartet [11] hatte, aus dem Wagen, trat mit freudestrahlendem Gesicht zu ihnen und sprach hastig, als habe er keine Zeit zu verlieren: »Du bist hergekommen? Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll, Lygia! ... Gott hätte mir keine bessere Vorbedeutung senden können. Ich begrüße dich und nehme zugleich Abschied von dir, aber nicht auf lange Zeit. Ich werde mir unterwegs Pferde zum Wechseln einstellen, damit ich dich jeden freien Tag besuchen kann, bis ich zurückkehren darf. Gehab dich wohl!«

»Lebe wohl, Marcus!« erwiderte Lygia und fügte dann leiser hinzu: »Möge Christus dich leiten und deine Seele Paulus' Worten öffnen!«

Es rührte ihn tief, daß ihr sein baldiger Übertritt zum Christentum so sehr am Herzen lag und entgegnete: »Ocelle mi! Möge dein Wunsch in Erfüllung gehen. Paulus zieht es vor, den Weg inmitten meiner Leute zurückzulegen, aber er begleitet mich und wird mein Lehrer und Freund werden. Lüfte deinen Schleier, meine Wonne, damit ich dich vor unserer Trennung noch einmal sehe. Warum hast du dich so tief verhüllt?«

Sie hob ihren Schleier mit der einen Hand empor, wandte ihm ihr klares Antlitz und ihre schönen, lächelnden Augen zu und fragte: »Ist dies denn so schlimm?«

Ihr Lächeln hatte etwas von mädchenhafter Scheu an sich; Vinicius aber, der sie entzückt betrachtete, antwortete: »Schlimm für meine Augen, die bis zum Tode dich ganz allein anblicken möchten.«

Dann wandte er sich an Ursus und sagte: »Ursus, behüte sie wie deinen Augapfel, denn sie ist nicht nur deine, sondern auch meine Herrin!«

Nach diesen Worten ergriff er ihre Hand und führte sie an seine Lippen zum großen Erstaunen der Menge, die es nicht begreifen konnte, daß ein so glänzender Augustianer einem so einfach, fast wie eine Sklavin gekleideten Mädchen auf diese ehrfurchtsvolle Weise seine Huldigung darbrachte.

[12] »Lebe wohl!«

Er entfernte sich rasch, weil der ganze kaiserliche Zug schon einen bedeutenden Vorsprung gewonnen hatte. Der Apostel Petrus segnete ihn, indem er unmerklich das Zeichen des Kreuzes über ihm machte; der gutmütige Ursus aber fing gleichzeitig an, ihn zu rühmen, erfreut, daß seine junge Herrin aufmerksam zuhörte und ihn dankbar ansah.

Der Zug entfernte sich und verschwand in goldig schimmernden Staubwolken; sie sahen ihm aber noch lange nach, bis der Bäcker Demas, derselbe, bei dem Ursus des Nachts arbeitete, zu ihnen herantrat.

Er küßte dem Apostel die Hand und bat ihn, zu ihm zu kommen und eine Erfrischung zu sich zu nehmen; er fügte hinzu, sein Haus liege dicht beim Emporium, und sie müßten doch hungrig und müde sein, da sie den größten Teil des Tages beim Tore zugebracht hätten.

Sie gingen mit ihm und kehrten, nachdem sie sich in seinem Hause erfrischt und ausgeruht hatten, erst gegen Abend in ihre Wohnung jenseit des Tiber zurück. Sie beabsichtigten, den Strom auf der Aemilianischen Brücke zu überschreiten, und gingen daher über den Clivus Publicus und den Aventin zwischen den Tempeln der Diana und des Merkur hindurch. Der Apostel Petrus betrachtete von oben die ihn umgebenden und die in weiter Ferne verschwimmenden Gebäude, und in Schweigen versunken dachte er über die riesige Ausdehnung und Macht dieser Stadt nach, der er das Wort Gottes predigen sollte. Bisher hatte er die Herrschaft Roms und die Legionen wohl in den verschiedenen Ländern, durch die er gekommen war, kennen gelernt; aber dies waren gleichsam nur einzelne Glieder jener Macht gewesen, die er heut zum erstenmal in der Person des Caesars verkörpert gesehen hatte. Diese unermeßliche Stadt, räuberisch, zügellos, bis ins Mark faul und doch dabei unangreifbar in ihrer jedes Angriffs spottenden Macht, dieser Caesar, der Brudermörder, Muttermörder, Gattinnenmörder, den ein Heer blutiger Schatten [13] verfolgte, das seinem Hofstaate an Zahl nicht nachstand; dieser Wüstling, dieser Possenreißer, der aber zugleich Herr über dreißig Legionen und durch sie Herr der Welt war; diese mit Gold und Scharlach bedeckten Höflinge, die nicht wußten, ob sie den morgenden Tag erleben würden, und die doch mächtiger waren als Könige – all dies zusammengenommen erschien ihm als ein höllisches Reich der Bosheit und Ungerechtigkeit. Und in seinem einfältigen Herzen wunderte er sich, daß Gott dem Satan eine so unbegreifliche Macht gegeben und ihm die Erde überantwortet habe, daß er sie bedrücke, zerstöre, zertrete, ihr Blut und Tränen entpresse, über sie hinstürme wie die Windsbraut, auf ihr herumtobe wie ein Orkan, sie verzehre wie eine Feuersbrunst. Und bei diesem Gedanken entsetzte sich sein Apostelherz, und er sprach im Geiste zu seinem Meister: »Herr, was soll ich in dieser Stadt anfangen, in die du mich gesandt hast? Ihr gehören Meere und Länder, die Tiere des Feldes und die Geschöpfe des Wassers, Königreiche, Städte und dreißig Legionen, die sie bewachen, und ich, Herr, bin ein Fischersmann von einem kleinen See! Was soll ich anfangen? und auf welche Weise kann ich ihre Bosheit besiegen?«

Bei diesen Worten erhob er sein graues, zitterndes Haupt zum Himmel und betete und flehte voller Trauer und Sorge aus der Tiefe seines Herzens zu seinem himmlischen Meister.

In diesem Gebete unterbrach ihn Lygia, welche sagte: »Die ganze Stadt scheint in Flammen zu stehen.«

In der Tat ging die Sonne dieses Tages in wunderbarer Pracht unter. Ihre riesige Scheibe war schon zur Hälfte hinter dem Mons Janiculus verschwunden, und der ganze Umkreis des Himmels erstrahlte in rötlichem Glanze. Von dem Punkte, auf dem die drei standen, reichte ihr Blick weithin. Etwas zur Rechten sahen sie die langgestreckten Mauern des Circus Maximus; darüber die Paläste des Palatins und gerade vor sich, jenseit des Forum Boarium und des Forum Velabrum den Gipfel des Kapitols mit dem Jupitertempel. Die Mauern, die Säulen, die Giebel der Tempel waren wie [14] eingetaucht in jenen Gold- und Purpurglanz. Die fernen Fluten des Stromes schimmerten wie Blut, und je tiefer die Sonne sank, desto flammender wurde die Röte; sie machte immer mehr den Eindruck einer Feuersbrunst, die sich weiter und weiter ausdehnte, bis sie endlich die sieben Hügel umfaßte und von ihnen aus auf die ganze Umgegend überzugreifen schien.

»Die ganze Stadt scheint in Flammen zu stehen,« wiederholte Lygia.

Petrus hielt die Hand vor die Augen und sagte: »Der Zorn Gottes ruht auf ihr.«

Fußnoten

1 Via Litoralis.

2 Dies ist ein leichtes Versehen des Verfassers. Der Spottvers: »Urbani, servate uxores, moechum calvum adducimus« wurde, wie schon der Wortlaut zeigt, Julius Caesar nicht vom Volke zugerufen, sondern nach Suetonius, Julius Caesar Kap. 51, von den Soldaten beim gallischen Triumphe gesungen.

3 Zur Kaiserzeit zählte die Legion über 12000 Mann.

Siebenunddreißigstes Kapitel

Siebenunddreißigstes Kapitel.

Vinicius an Lygia.


»Der Sklave Phlegon, durch den ich dir diesen Brief übersende, ist ein Christ und wird somit zu denen gehören, die aus deiner Hand, Geliebte, die Freiheit erhalten sollen. Er ist ein alter Diener unseres Hauses, und ich kann ihm daher getrost mein Schreiben anvertrauen, ohne befürchten zu müssen, daß es in andere Hände gerät als die deinigen. Ich schreibe in Laurentum, wo wir der Hitze wegen Halt gemacht haben. Otho besaß hier eine prächtige Villa, die er seinerzeit Poppaea zum Geschenk machte, und obgleich sie von ihm geschieden ist, hat sie es nicht für passend gehalten, das herrliche Besitztum zurückzugeben. Wenn ich an diese Frauen denke, in deren Umgebung ich mich jetzt befinde, und dich mit ihnen vergleiche, so kommt es mir vor, als ob aus den Steinen Deukalions Menschen ganz verschiedener Art, die sich in nichts gleichen, hervorgegangen sein müssen und daß du zu denen gehörst, die aus einem Kristall entsprungen sind. Ich bewundere und liebe dich aus ganzem Herzen, so daß ich ausschließlich von dir sprechen möchte und ich mich darauf beschränken muß, dir das von der Reise zu berichten, was mich sowie die Vorgänge am Hofe betrifft. Der Caesar war Poppaeas Gast, die ihm im geheimen einen prächtigen Empfang bereitet hatte. [15] Übrigens hatte sie nur wenige der Augustianer eingeladen, aber Petronius und ich waren darunter. Nach dem Mahle segelten wir auf vergoldeten Barken ins Meer hinaus, das so still dalag, als schliefe es, und so wunderbar blau war, wie deine Augen, du meine Göttin! Wir ruderten selbst, denn es schmeichelte offenbar der Augusta, von Konsularen oder deren Söhnen gerudert zu werden. Der Caesar stand in einer Purpurtoga am Steuer und sang eine Hymne zu Ehren des Meeres, die er die Nacht zuvor gedichtet und mit Diodoros' Hilfe komponiert hatte. Auf anderen Barken fuhren indische Sklaven, die auf Meermuscheln zu spielen verstehen; von allen Seiten schwammen Delphine herbei, als seien sie tatsächlich durch die Musik aus Amphitrites Höhlen hervorgelockt worden. Und weißt du, was ich tat? Ich dachte deiner und sehnte mich nach dir; ich hatte den Wunsch, dieses Meer, diese Ruhe, diese Musik für dich einzufangen und dir alles zu geben.

Möchtest du wohl einst fern von Rom am Meeresstrande mit mir leben, meine Augusta? Ich besitze auf Sizilien ein Gut mit einem Mandelwalde, der im Frühjahr rosenrot blüht und sich so nahe am Gestade hinzieht, daß die Spitzen der Zweige beinahe ins Wasser tauchen. Dort werde ich dich lieben und der Religion nachleben, in der mich Paulus unterweist, denn jetzt weiß ich, daß sie der Liebe und dem Glücke nicht feindselig entgegentritt. Möchtest du das? ... Bevor ich aber die Antwort aus deinem geliebten Munde vernehme, will ich dir weiterberichten, was in der Barke vorging. Als die Küste schon weit hinter uns lag, bemerkten wir in der Ferne ein Segel, und bald entstand ein Streit darüber, ob es einem Fischerkahne oder einem Lastschiffe aus Ostia angehörte. Ich entdeckte es zuerst, und die Augusta bemerkte darauf, meinen Augen bleibe offenbar nichts verborgen; plötzlich ließ sie den Schleier fallen und fragte mich, ob ich sie so erkennen würde. Petronius antwortete sofort, es sei unmöglich, selbst die Sonne hinter einer Wolke [16] zu entdecken; sie aber sagte, scheinbar im Scherz, nur die Liebe vermöge einen so scharfen Blick wie den meinen zu verdunkeln, zählte verschiedene Augustianerinnen auf und fragte oder suchte zu erraten, welche ich liebe. Ich antwortete ruhig, aber endlich nannte sie auch deinen Namen. Als sie von dir sprach, schlug sie den Schleier wieder zurück und schaute mich bösen und forschenden Blickes an. Ich bin Petronius wirklich dankbar, der in diesem Augenblicke den Kahn wandte, wodurch die allgemeine Aufmerksamkeit von mir abgelenkt wurde. Denn hätte ich über dich verächtliche oder höhnische Worte vernommen, so hätte ich mich vor Wut nicht halten können, und der Wunsch wäre in mir aufgestiegen, diesem verruchten, verworfenen Weibe mit dem Ruder das Haupt zu zerschmettern .... Erinnerst du dich daran, was ich dir am Abend vor meiner Abreise in Linus' Hause über den Vorfall am Teiche des Agrippa erzählte? Petronius fürchtet daher Gefahr für mich und hat mich noch heut gebeten, die Eitelkeit der Augusta ja nicht zu verletzen. Allein Petronius versteht mich nicht und weiß nicht, daß es außer dir für mich weder Genuß noch Schönheit noch Liebe gibt und daß ich für Poppaea nur Ekel und Verachtung empfinde. Du hast meine Seele schon völlig umgewandelt, so daß ich nicht imstande wäre, zu meiner früheren Lebensweise zurückzukehren. Doch fürchte nicht, daß mir hier ein Unglück zustoßen könne. Poppaea liebt mich nicht, denn sie ist überhaupt unfähig zu lieben, und ihr Verhalten entspringt nur dem Grolle über den Caesar, der noch immer unter ihrem Einflusse steht und der sie möglicherweise sogar noch liebt, trotzdem er keine Rücksicht auf sie mehr nimmt und sich nicht mehr die Mühe gibt, seine Schamlosigkeiten und Ausschweifungen vor ihr zu verbergen. Zum Schluß will ich dir noch etwas mitteilen, was dich beruhigen wird. Petrus sagte mir beim Abschied, ich brauchte den Caesar nicht zu fürchten, denn es werde kein Haar von meinem Haupte fallen, und ich glaube ihm. Eine innere Stimme sagt mir, daß jedes [17] seiner Worte in Erfüllung gehen muß, daß er unsere Liebe gesegnet hat und daher weder der Caesar noch alle Götter der Unterwelt noch die Schicksalsmächte selbst imstande sind, mich von dir zu trennen, meine Lygia! Wenn ich daran denke, bin ich glücklich, als wäre ich im Himmel, der allein Seligkeit und Ruhe bietet. Aber vielleicht verletzen dich als Christin meine Äußerungen über den Himmel und die Schicksalsmächte? In diesem Falle verzeihe mir, denn ich sündige unbewußt. Christus hat meine Seele noch nicht geläutert, mein Herz gleicht einem leeren Becher, den mir Paulus von Tarsos mit eurer süßen Lehre anfüllt, die für mich um so süßer ist, weil sie auch die deine ist. Du, meine Göttin, mußt wenigstens das mir zum Verdienste anrechnen, daß ich den Trank, der früher in dem Becher war, weggegossen habe und diesen nicht zurückziehe, sondern verlangend ausstrecke wie ein Durstender, der an einem klaren Quell steht. Laß mich Gnade in deinen Augen finden. In Antium soll Paulus Tag und Nacht um mich sein und mir predigen. Schon am ersten Reisetage hat er auf meine Leute solchen Einfluß gewonnen, daß sie ihn unaufhörlich umringen und in ihm nicht nur einen Wundertäter, sondern beinahe ein überirdisches Wesen erblicken. Gestern sah ich sein Antlitz vor Freude strahlen, und als ich ihn fragte, was er tue, antwortete er: Ich säe. Petronius weiß, daß er sich unter meinen Leuten befindet und wünscht ihn zu sehen, ebenso Seneca, der von ihm durch Gallo gehört hat. Aber schon sind die Sterne erblaßt, und nur der Lucifer 1 strahlt immer heller. In kurzem wird Aurora das Meer rosenrot färben – alles um mich her schlummert, nur ich denke deiner und liebe dich. Sei mir gegrüßt zugleich mit der Morgenröte, sponsa mea!«

Fußnoten

1 Der Morgenstern.

Achtunddreißigstes Kapitel

[18] Achtunddreißigstes Kapitel.

Vinicius an Lygia.


»Warst du früher je mit Aulus und Pomponia in Antium, Geliebte? Wenn nicht, so werde ich mich glücklich preisen, dir später einmal die Stadt zeigen zu können. Schon von Laurentum ab schließt sich längs des Gestades eine Villa an die andere, und Antium selbst besteht aus einer endlosen Reihe von Palästen und Toren, deren Säulen sich bei klarem Wetter im Wasser spiegeln. Auch ich habe hier eine Besitzung, dicht am Meere, mit einem Olivengarten und einem Zypressenhain hinter der Villa, und wenn ich daran denke, daß dieser Besitz einst auch der deinige sein wird, so erscheint mir der Marmor weißer, die Gärten schattiger und das Meer blauer. O Lygia, wie süß ist es doch, zu leben und zu lieben! Der alte Menikles, der die Villa imstande hält, hat auf die Wiesen unter die Myrtenbäume ganze Beete voller Schwertlilien gepflanzt, und bei ihrem Anblick trat mir Aulus' Haus, euer Impluvium und euer Garten, in dem ich bei dir saß, vor die Seele! Auch dich werden die Schwertlilien an dein Vaterhaus erinnern, daher bin ich überzeugt, daß du Antium und diese Villa lieben wirst. Gleich nach unserer Ankunft habe ich mit Paulus lange Zeit während der Tafel gesprochen. Wir sprachen von dir, und darauf begann er seine Unterweisung. Ich hörte lange Zeit zu und kann dir nur sagen, daß selbst, wenn ich zu schreiben verstände wie Petronius, ich doch nicht anzugeben wüßte, was mir alles durch Kopf und Herz zog. Nie hätte ich geglaubt, daß es auf der Welt noch eine solche Glückseligkeit, Schönheit und Ruhe geben könne, von der die Menschen bisher nicht die leiseste Ahnung gehabt haben. Aber dies alles spare ich mir für die mündliche Unterredung mit dir auf, da ich in dem ersten freien Augenblicke nach Rom komme. Sage mir, wie kann die Erde zugleich solche [19] Männer tragen wie den Apostel Petrus, Paulus von Tarsos und den Caesar. Ich frage deshalb, weil ich den Abend nach Paulus' Unterweisung bei Nero zubrachte, und weißt du, was ich dort hörte? Zuerst las er sein Gedicht über die Zerstörung Trojas vor und begann zu klagen, daß er noch nie eine brennende Stadt gesehen habe. Er beneidete Priamos darum und nannte ihn einen glücklichen Menschen, weil er die Zerstörung und den Brand seiner Vaterstadt habe sehen können. Da sagte Tigellinus: Sprich ein Wort, Gottheit, so nehme ich eine Fackel, und ehe die Nacht um ist, erblickst du Antium in Flammen. Aber der Caesar schalt ihn einen Narren. Wohin, sagte er, sollte ich gehen, um Seeluft zu atmen und meine Stimme zu kräftigen, die mir die Götter verliehen haben, und die ich, wie ihr sagt, mir zum Wohle des Volkes erhalten muß? Ist es nicht Rom, das meine Stimme schädigt, sind es nicht die erstickenden Dünste aus der Subura und vom Esquilin, die schuld an meiner Heiserkeit sind, und würde nicht das brennende Rom einen tausendmal großartigeren und tragischeren Anblick darbieten als Antium? Jetzt begannen sich alle an dem Gespräche zu beteiligen und malten im einzelnen aus, was für eine unerhörte Tragödie das Bild einer solchen Stadt sein müßte, die die Welt unterworfen habe und nun in einen Aschenhaufen verwandelt würde. Der Caesar erklärte, daß, wenn er dies Schauspiel genießen könnte, sein Gedicht die Gesänge Homers übertreffen würde, und sprach dann davon, daß er die Stadt wieder aufbauen wolle und daß kommende Jahrhunderte sein Werk anstaunen müßten, im Vergleich zu dem alle anderen menschlichen Unternehmungen Kinderspiel sein würden. Die betrunkenen Zecher riefen: Tu es! tu es! Darauf entgegnete er: Dazu müßte ich treuere und mir ergebenere Freunde haben. Bei diesen Worten, muß ich gestehen, erschrak ich, denn du bist in Rom, carissima! Jetzt aber lache ich selbst über meine Furcht und glaube, der Caesar und die Augustianer würden, so wahnwitzig sie auch [20] sein mögen, es doch nicht wagen, einen solchen Wahnwitz zu begehen, und doch – du siehst, wie man um das besorgt ist, was man liebt – möchte ich, Linus' Haus stände nicht in jener engen Straße jenseit des Tiber und in einem von armen Leuten bewohnten Stadtteile, um den man sich in einem solchen Falle weniger kümmert. In meinen Augen wären selbst die palatinischen Paläste keine geeignete Wohnung für dich, und ich wünschte auch, daß dir nichts von jenen Bequemlichkeiten abginge, an die du von Jugend auf gewöhnt bist. Kehre zu Aulus zurück, meine Lygia! Ich habe hier viel darüber nachgedacht. Wäre der Caesar in Rom, so würde die Nachricht von deiner Rückkehr möglicherweise durch die Sklaven auf den Palatin gelangen, seine Aufmerksamkeit auf dich lenken und eine Verfolgung veranlassen, weil du gewagt hast, dich dem Willen des Caesars zu widersetzen. Aber er wird lange hier in Antium bleiben, und bevor er zurückkehrt, sprechen die Sklaven schon längst von etwas anderem. Linus und Ursus können mit dir kommen. Überdies lebe ich der Hoffnung, daß, bevor der Palatin den Caesar wiedersieht, du, meine Göttin, schon längst in deinem eigenen Hause an den Carinae wohnst. Gesegnet sei der Tag, die Stunde, der Augenblick, wo du meine Schwelle betrittst, und wenn Christus, den ich verehren lerne, dies bewirkt, so sei auch sein Name gesegnet. Ich will ihm dienen und Blut und Leben für ihn hingeben. Ich drücke mich ungenau aus: wir werden ihm beide dienen, solange die Parzen uns das Leben schenken. Ich liebe dich und sende dir die innigsten Grüße.«

Neununddreißigstes Kapitel

Neununddreißigstes Kapitel.

Ursus schöpfte Wasser aus der Zisterne und sang halblaut ein eigenartiges lygisches Lied, während er an einem Seile eine doppelhenklige Amphora heraufzog, und blickte dabei mit gutmütigem Lächeln auf Lygia und Vinicius, die [21] inmitten der Zypressen in Linus' Garten wie zwei weiße Marmorstatuen erschienen. Nicht das leiseste Lüftchen bewegte ihre Gewänder. Am Himmel herrschte goldene und lilienfarbene Dämmerung, während sie in der Abendstille, die Hände ineinander verschränkt, plauderten. »Wirst du auch keine Unannehmlichkeiten davon haben, daß du ohne des Caesars Wissen Antium verlassen hast?« fragte Lygia.

»Nein, Geliebte,« erwiderte Vinicius, »der Caesar erklärte, er wolle sich zwei Tage mit Terpnos einschließen, um eine neue Hymne zu komponieren. Er tut dies oft und denkt dann an nichts anderes. Was kümmert mich überdies der Caesar, wenn ich bei dir bin und dich sehe? Ich habe mich zu heiß danach gesehnt und die letzten Nächte schlaflos zugebracht. Oft, wenn ich vor Ermüdung eingeschlafen war, fuhr ich mit der Empfindung auf, es drohe dir eine Gefahr; einmal träumte mir, die eingestellten Pferde, die mich von Antium nach Rom tragen sollten und auf denen ich den Weg rascher zurücklegte als alle Kuriere des Caesars, seien mir gestohlen worden. Und länger konnte ich die Trennung von dir nicht ertragen. Ich liebe dich zu innig, teuerste Lygia!«

»Ich wußte, daß du kommen würdest. Zweimal lief Ursus auf meine Bitte nach den Carinae und erkundigte sich in deiner Wohnung nach dir. Linus lachte mich allerdings aus, ebenso Ursus.«

Es war augenscheinlich, daß sie ihn erwartet hatte; denn statt des alltäglichen dunklen Gewandes trug sie eine weiche weiße Stola, aus deren zierlichen Falten Arme und Kopf wie blühende Primeln aus dem Schnee hervorragten. Ein paar rote Anemonen schmückten ihr Haar.

Vinicius preßte die Lippen auf ihre Hand, dann ließen sie sich auf einer von wildem Wein umrankten Steinbank nieder, umschlangen sich mit den Armen und blickten schweigend in die Abendröte, deren letzte Strahlen sich in ihren Augen widerspiegelten.

[22] Der Zauber der Abendstille bemächtigte sich ihrer allmählich.

»Wie still es hier ist und wie schön die Welt!« sagte Vinicius leise. »Die Nacht ist so wunderbar schön. Ich fühle mich so glücklich wie noch nie in meinem Leben. Sage mir, Lygia, woher kommt das? Niemals ahnte ich, daß es eine solche Liebe geben könne. Ich hielt sie bisher nur für ein Feuer im Blut und eine Begierde, und weiß erst jetzt, daß man mit jedem Blutstropfen und jedem Atemzuge lieben und dabei ein so süßes und unermeßliches Ruhegefühl haben kann, als hätten Schlaf und Tod die Seele in Schlummer gewiegt. Dies ist für mich etwas ganz Neues. Ich betrachte diese Ruhe in den Bäumen, und mir kommt es vor, als sei sie in mir. Jetzt erst verstehe ich, warum ihr, du und Pomponia Graecina, so heiter seid ... Ja! ... Es ist eine Gabe Christi!«

Lygia lehnte ihr reizendes Köpfchen an seine Schulter und sagte: »Mein teurer Marcus ...«

Sie konnte nicht weitersprechen, Freude, Dankbarkeit und das Bewußtsein, daß sie ihn jetzt lieben dürfe, raubten ihr die Stimme und füllten ihre Augen mit Tränen der Rührung. Vinicius umschlang die zarte Gestalt mit seinen Armen und preßte sie eine Weile an sich; dann sprach er: »Lygia! gesegnet sei der Augenblick, in dem ich zum erstenmal Christi Namen hörte.«

Sie antwortete leise: »Ich liebe dich, Marcus.«

Abermals schwiegen sie beide; ihr Herz war zu voll, als daß sie hätten sprechen können. Auf den Zypressen verdämmerte der letzte Strahl des Lilienglanzes am Himmel, und der Garten begann im silbernen Schein des Mondlichts zu schimmern.

Nach einiger Zeit begann Vinicius: »Ich weiß ... Kaum war ich angelangt, kaum hatte ich deine liebe Hand geküßt, so las ich in deinen Augen die Frage, ob ich die göttliche Lehre, zu der du dich bekennst, angenommen habe und ob [23] ich getauft sei? Nein, ich bin noch nicht getauft, aber weißt du, warum meine Blume? Paulus sagte mir: Davon habe ich dich überzeugt, daß Gott in die Welt gekommen ist und sich für die Erlösung der Welt hat kreuzigen lassen; aber Petrus, der dir zuerst die Hand hat aufgelegt und dich gesegnet hat, soll dich auch im Quell der Gnade reinigen. Und auch ich wünsche, daß du, Geliebte, bei meiner Taufe zugegen bist und daß Pomponia meine Patin wird, daher habe ich mich noch nicht taufen lassen, obgleich ich an den Erlöser und seine milde Lehre glaube. Paulus hat mich überzeugt, bekehrt, und könnte es auch anders sein? Wie sollte ich nicht glauben, daß Christus in die Welt gekommen ist, da doch Petrus, der sein Jünger war, und Paulus, dem er erschienen ist, es versichern? Wie sollte ich nicht glauben, daß er Gottes Sohn ist, da er doch von den Toten auferstanden ist? Er ist in der Stadt, am See, auf dem Berge, von Leuten gesehen worden, deren Mund keine Lügen kennt. Schon seit ich Petrus im Ostrianum hörte, glaubte ich daran, denn schon damals sagte ich mir: Auf der ganzen Welt kann jeder andere eher lügen als dieser Mann, der da beteuert: Ich bin Augenzeuge gewesen. Aber ich fürchtete euren Glauben. Es war mir, als müsse er mir dich entreißen. Ich glaubte, er biete keinen Raum für Weisheit, Schönheit, Glück. Heute aber, wo ich ihn kennen gelernt habe, was wäre ich da für ein Mann, wenn ich nicht wünschen sollte, daß anstatt der Lüge die Wahrheit, anstatt des Hasses die Liebe, anstatt der Rache das Erbarmen auf der Welt herrschen sollte? Was wäre das für ein Mann, der dies nicht wünschen sollte? Und eure Religion lehrt dies. Auch andere Religionen fordern Gerechtigkeit, aber sie allein macht das Herz der Menschen gerecht. Und außerdem macht sie es rein wie das deinige und Pomponias und macht es treu, ebenfalls wie das deinige und Pomponias. Ich müßte blind sein, um dies nicht zu erkennen. Und wenn zudem Christus, der Sohn Gottes, noch ewiges Leben und so überschwängliche [24] Seligkeit, wie sie nur die Allmacht Gottes geben kann, verheißt, was kann der Mensch da noch Höheres verlangen? Wenn ich Seneca fragte, aus welchen Gründen er die Tugend empfiehlt, da doch Lasterhaftigkeit ein größeres Glück verheißt, so würde er mir in der Tat keine vernünftige Antwort geben können. Aber ich weiß es jetzt, warum ich tugendhaft sein muß. Darum, weil das Gute und die Liebe von Christus kommen, und damit ich, wenn mir der Tod die Augen schließt, Leben, Seligkeit, mich selbst und dich, Geliebteste, wiederfinde ... Wie sollte ich eine Religion nicht lieben und annehmen, welche die Wahrheit predigt und den Tod überwindet? Wer würde das Gute dem Bösen nicht vorziehen? Ich glaubte, deine Religion sei dem Glücke feindlich, inzwischen aber hat mich Paulus überzeugt, daß sie, weit entfernt, das Glück zu rauben, es im Gegenteil erst bringe. All dies hat noch kaum in meinem Kopfe Raum, und doch fühle ich, daß dem so ist, denn niemals bin ich so glücklich gewesen, und ich könnte es nicht sein, wenn ich dich auch hätte mit Gewalt entführen und in meinem Hause festhalten wollen. Eben sagtest du mir: Ich liebe dich, und diese Worte aus deinem Munde würde ich nicht für die gesamte Macht Roms hergeben wollen. O Lygia! Die Vernunft sagt es: dieser Glaube ist göttlich und der beste, das Herz empfindet es, und wer kann diesen beiden Mächten widerstehen?«

Lygia lauschte seinen Worten, und ihre blauen Augen, die im Mondlicht wie mystische, betaute Blumen erglänzten, hingen unverwandt an den seinen. »Ja, Marcus, du hast recht,« sagte sie, sich fester in seine Arme schmiegend.

In diesem Augenblicke empfanden sie beide unendliche Seligkeit, denn sie erkannten, daß außer der Liebe sie noch eine andere Macht verknüpfe, sanft und unwiderstehlich zugleich, durch die die Liebe selbst etwas Ewiges, dem Wechsel, der Täuschung, dem Verrat und selbst dem Tode nicht Unterworfenes werde. Ihre Herzen gewannen die volle Gewißheit,[25] daß sie, mochte sich auch ereignen, was da wollte, nicht aufhören würden, sich gegenseitig zu lieben und einander anzugehören. Und daher ergoß sich in ihre Seelen ein unnennbarer Friede. Vinicius fühlte außerdem, daß diese Liebe nicht nur rein und tief, sondern auch von völlig neuer Art sei, wie die Welt sie bisher nicht gekannt hatte und auch nicht geben konnte. In seiner Seele verschmolz alles mit dieser Liebe: Lygia, die Lehre Christi, das still auf den Zypressen ruhende Mondlicht, die klare Nacht, so daß ihm das ganze Weltall nur von Liebe erfüllt vorkam.

Nach einiger Zeit begann er wieder mit leiser, zitternder Stimme: »Du wirst die Seele meiner Seele und das Teuerste auf Erden für mich sein. Unsere Herzen werden zusammen schlagen, wir werden dasselbe Gebet sprechen und dieselbe Dankbarkeit gegen Christus empfinden. Geliebte, zusammen zu leben, zusammen den milden Gottessohn anzubeten und zu wissen, daß, wenn uns der Tod ereilt, unsere Augen sich wie nach einem erquickenden Schlummer einem neuen Lichte öffnen, was könnten wir uns Besseres wünschen? Ich wundere mich nur, daß ich dies nicht schon früher erkannte. Und du weißt, was ich jetzt glaube, daß nämlich diesem Glauben nichts widerstehen kann. Nach zwei-, dreihundert Jahren wird ihn die ganze Welt angenommen haben; die Menschen werden Jupiter vergessen, und es wird keinen anderen Gott geben als Christus und keine anderen Tempel als christliche. Wer möchte nicht sein eigenes Glück wünschen? Ach! ich hörte Paulus' Unterredung mit Petronius, und weißt du, was dieser am Schlusse sagte: Dies ist nichts für mich! – etwas anderes konnte er nicht erwidern.«

»Wiederhole mir Paulus' Worte,« bat Lygia.

»Es war eines Abends in meiner Villa.« Petronius begann leichtfertig zu reden und zu spotten, wie es so seine Art ist, bis ihm Paulus endlich sagte: Wie kannst du leugnen, weiser Petronius, daß Christus gelebt hat und vom Tode auferstanden ist, da du damals noch gar nicht geboren [26] warst? Petrus und Johannes aber haben ihn gesehen, und mir ist er auf dem Wege nach Damaskus erschienen. Beweise uns daher erst mit Gründen der Vernunst, daß wir Lügner sind, und dann verwirf unser Zeugnis. Petronius entgegnete, er denke gar nicht daran, da er wisse, daß sich viel Unbegreifliches in der Welt ereigne und von glaubwürdigen Zeugen verbürgt werde. Aber er sagte, die Entdeckung eines neuen wunderbaren Gottes sei etwas ganz anderes als die Annahme seiner Lehre. Ich habe kein Verlangen, sagte er, etwas kennen zu lernen, was störend in mein Leben eingreifen und seine Schönheit vernichten könnte. Es kommt wenig darauf an, ob unsere Götter wirklich existieren; aber sie sind schön, wir befinden uns bei ihrer Herrschaft wohl und können ohne Sorge leben. Hierauf antwortete ihm Paulus folgendermaßen: Du verwirfst die Religion der Liebe, des Rechttuns und des Erbarmens aus Furcht vor den Sorgen des Lebens; aber bedenke doch, Petronius, ob wirklich euer Leben frei von Sorge ist. Weder du, Herr, noch irgend einer der Reichsten und Mächtigsten weiß, wenn ihr des Abends zur Ruhe geht, ob ihr nicht am nächsten Morgen beim Erwachen das Todesurteil vorfindet. Sage selbst: wenn der Caesar sich zu dem Glauben bekennte, der Liebe und Gerechtigkeit fordert, würde dein Glück dann nicht auf festeren Füßen stehen? Du fürchtest für deinen Genuß, würde das Leben aber dann nicht heiterer werden? Und was den Schmuck des Lebens und die Schönheit betrifft, so muß ich sagen: wenn ihr so viele schöne Tempel unsittlichen, rachsüchtigen, ehebrecherischen und treulosen Göttern errichtet habt, was könntet ihr dann nicht zu Ehren des einen Gottes der Liebe und der Wahrheit tun? Du rühmst dein Los, weil du reich bist und in Genüssen schwelgst; aber du könntest ebensogut arm und verlassen sein, trotzdem du von einem vornehmen Hause abstammst, und dann würde es besser für dich auf der Welt sein, wenn die Menschen an Christus glaubten. In eurer Stadt verstoßen selbst reiche Eltern, welche nicht die [27] Mühe auf sich nehmen wollen, ihre Kinder zu erziehen, diese oft aus ihrem Hause; diese Kinder heißen bei euch alumni. Auch du, Herr, könntest ein solcher alumnus sein. Hätten jedoch deine Eltern nach unserem Glauben gelebt, so hätte dir dies nicht begegnen können. Hättest du dich ferner in der Blüte deiner Mannesjahre einer geliebten Frau vermählt, so würdest du wünschen, daß sie dir treu bis zum Tode bliebe. Und nun betrachte, was bei euch vorgeht, wieviel Schamlosigkeit, wieviel Schändlichkeit sich ereignet, welch empörender Tauschhandel mit der ehelichen Treue getrieben wird! Ihr wundert euch schon selber, wenn sich eine Frau findet, die univira ist. Ich sage dir aber, Frauen, die Christus in ihren Herzen tragen, brechen ihren Gatten die Treue nicht, wie auch christliche Männer ihren Frauen Treue halten. Ihr aber könnt euch weder auf eure Herrscher noch auf eure Eltern, weder auf Weib noch auf Kind oder eure Diener verlassen. Die ganze Welt zittert vor euch, ihr aber zittert vor euren eigenen Sklaven, da ihr sehr wohl wißt, daß jede Stunde gegen eure Unterdrückung einen furchtbaren Krieg heraufbeschwören kann, wie es euch schon oft begegnet ist. Du bist reich, doch du weißt nicht, ob dir nicht schon der morgende Tag den Befehl bringt, deinen Reichtum zu verlassen; du bist jung, aber morgen mußt du vielleicht schon sterben. Du liebst, aber dir droht Verrat; du hängst an deinen Villen und Statuen und bist vielleicht schon morgen unterwegs nach den Einöden Pandatarias; du hast tausende von Dienern, und morgen vergießen diese Diener möglicherweise dein Blut. Wenn dem aber so ist, wie kann da euer Leben zufrieden, glücklich, heiter sein? Ich jedoch verkünde Liebe; ich predige eine Religion, die den Herrschern befiehlt, ihre Untertanen zu lieben, die den Herren Liebe zu ihren Sklaven und den Sklaven treu ergebenen Dienst gebietet, die verlangt, daß Gerechtigkeit und Erbarmen geübt werde, und endlich eine Seligkeit verheißt, die unerschöpflich wie das Weltmeer und ohne Ende ist. Wie kannst du also behaupten, Petronius, daß unsere Religien störend [28] in das Leben eingreife, da sie es doch besser macht und dein eigenes Glück tausendmal größer und sicherer wäre, wenn sie die Welt eroberte, wie es euer römisches Reich tat?

»So sprach Paulus, liebste Lygia; Petronius aber entgegnete darauf: Das ist nichts für mich. Müdigkeit vorschützend entfernte er sich und sagte beim Abschiede: Ich ziehe meine Eunike vor, kleiner Jude, möchte aber nicht auf der Rednerbühne mit dir streiten. Ich jedoch hatte Paulus mit ganzer Seele zugehört, und als er von unseren Frauen sprach, pries ich aus vollem Herzen diese Religion, aus der du emporgeblüht bist, wie eine Lilie im Frühling aus fruchtbarem Boden. Dann dachte ich bei mir: da ist Poppaea, die um Neros willen zwei Gatten verließ, da ist Calvia Crispinella, da ist Nigidia, da treiben fast alle, die ich kenne, einzig Pomponia ausgenommen, Schacher mit Treue und Eiden, und nur die eine, die mein ist, wird mich nicht verlassen, nicht verraten, das Feuer nicht auslöschen, wenn mich auch alles verrät und verläßt, worauf ich mein Vertrauen gesetzt habe. Darum sprach ich in meinem Innern zu dir: wem sollte ich dankbar sein, wenn nicht ihr, die ich liebe und verehre? Fühltest du, daß ich dort in Antium mit dir sprach und mich fortwährend, ohne Aufhören mit dir unterhielt, als ständest du an meiner Seite? Tausendmal mehr liebe ich dich deshalb, weil du aus dem Hause des Caesars vor mir flohst. Ich kümmere mich nicht mehr um ihn; ich begehre nicht mehr, an seinen Ausschweifungen und musikalischen Aufführungen teilzunehmen, ich begehre nur dich. Sage mir ein Wort, und wir verlassen Rom, um uns irgendwo in der Ferne niederzulassen.«

Sie verbarg ihr Köpfchen an seiner Brust, hob die Augen wie in Nachsinnen versunken zu den silberglänzenden Wipfeln der Zypressen empor und sagte: »Gut, Marcus. Du schriebst mir von Sizilien, wo Aulus und Pomponia ihr Alter zubringen wollen ...«

Vinicius unterbrach sie freudig: »Gewiß, Liebste! Unsere Güter liegen nahe beieinander. Das Gestade ist wundervoll; [29] das Klima ist dort noch milder, und die Nächte sind klarer, als in Rom, duftig und hell ... Dort ist Leben und Glück fast ein und dasselbe.«

Er begann von der Zukunft zu träumen.

»Dort können wir die Sorgen vergessen. Durch die Haine, inmitten von Olivenwäldern werden wir lustwandeln und im Schatten der Ruhe pflegen. O Lygia! Welch ein Leben wird dies sein, wenn wir uns lieben, uns umschlingen, zusammen aufs Meer hinausfahren, zusammen zum Himmel emporblicken, zusammen den sanften Gottessohn anbeten, in Frieden Gutes tun und Gerechtigkeit üben.«

Beide schwiegen und schauten in die Zukunft. Er zog sie noch näher an sich, während an seiner Hand der goldene Ritterring im Mondlicht blitzte. In den Häusern, in denen das arme, arbeitende Volk wohnte, lag schon alles in tiefem Schlummer, und kein Laut unterbrach die Stille.

»Wirst du mir erlauben, Pomponia zu besuchen?« fragte Lygia.

»Gewiß, Geliebte! Wir werden sie und Aulus in unser Haus einladen oder selbst zu ihnen gehen. Wünschest du, daß wir den Apostel Petrus mit uns nehmen? Er ist durch das Alter und die Mühen seines Lebens gebeugt. Auch Paulus wird uns besuchen, um Aulus Plaucius zu bekehren, und wie Krieger in fernen Landen eine Kolonie gründen, so werden wir eine christliche Kolonie bilden.«

Lygia ergriff seine Hand und wollte ihre Lippen darauf drücken; Vinicius aber sagte mit leiser Stimme, als fürchte er das Glück zu verscheuchen: »Nein, Lygia, nein! Ich bin's, der dich verehrt und anbetet; gib mir deine Hände!«

»Ich liebe dich.«

Aber schon preßte er seine Lippen auf ihre weißen Hände, die wie Jasminblüten leuchteten, und eine Zeitlang vernahmen sie nur den Schlag ihrer Herzen. In der Luft war nicht der leiseste Hauch zu spüren, und die Zypressen standen so unbeweglich da, als hielten auch sie den Atem an.

[30] Mit einem Male unterbrach ein Donner die Stille, tief und wie aus der Erde empordringend. Ein Schauer überlief Lygias Körper. Vinicius sprang auf und sagte: »Es sind die Löwen, die in den Vivarien brüllen.«

Sie begannen beide zu lauschen. Unterdessen antwortete dem ersten Donner ein zweiter, dritter, zehnter aus allen Richtungen und Stadtgegenden. In der Stadt befanden sich zur Zeit einige tausend Löwen, die in den verschiedenen Arenen untergebracht waren. Oft näherten sie sich des Nachts dem Gitter, lehnten ihre riesigen Köpfe dagegen und drückten ihre Sehnsucht nach der freien Wüste durch Brüllen aus. So taten sie auch jetzt und erfüllten die ganze Stadt mit ihrem Gebrüll, wobei einer des anderen Stimme immer zu überbieten suchte. Es lag darin etwas so unheimlich Drohendes und Entsetzenerregendes, daß Lygia, deren lichte, friedvolle Zukunftsträume durch jenes Gebrüll rauh unterbrochen waren, bebenden Herzens und in seltsamer Beklemmung und Sorge ihm lauschte.

Vinicius umschlang sie und sagte: »Fürchte dich nicht, Geliebte. Die Spiele stehen bevor, und daher sind alle Vivarien überfüllt.«

Sie gingen beide ins Haus, begleitet von dem immer stärker werdenden Gebrüll der Löwen.

Vierzigstes Kapitel

Vierzigstes Kapitel.

In Antium trug inzwischen Petronius jeden Tag neue Triumphe über die Augustianer davon, die mit ihm um die Gunst des Caesars wetteiferten. Der Einfluß des Tigellinus war tief gesunken. In Rom, wo sich die Notwendigkeit ergab, gefährlich scheinende Leute zu beseitigen, deren Eigentum zu konfiszieren, politische Angelegenheiten zu ordnen, Schauspiele zu veranstalten, die durch ihren Luxus und verdorbenen Geschmack Aufsehen erregten, und endlich die ungeheuerlichen Launen des Caesars zu befriedigen, erwies sich [31] Tigellinus, der zu allem ebenso geschickt wie bereitwillig war, als unentbehrlich. In Antium jedoch, inmitten der sich im Meeresblau spiegelnden Paläste führte der Caesar ein hellenisches Dasein. Vom Morgen bis zum Abend wurden Verse vorgelesen, Debatten über deren Bau und künstlerische Vollendung geführt, besonders glückliche Wendungen hervorgehoben, man sprach über Musik, Theater, mit einem Worte ausschließlich über das, was griechischer Geist erfunden hatte und womit er das Leben verschönte. Unter diesen Verhältnissen war Petronius durch seinen Geist, seine Bildung, seinen scharfen Verstand und feinen Geschmack Tigellinus und den übrigen Augustianern bei weitem überlegen und wußte auch diese Vorzüge zur Geltung zu bringen. Der Caesar suchte seine Gesellschaft, hörte seine Meinung, fragte ihn um Rat, wenn er selbst arbeitete, und bewies ihm eine lebhaftere Freundschaft als je. Dem Hofe kam es vor, als habe sein Einfluß den höchsten Grad erreicht, als sei die Freundschaft zwischen dem Caesar und ihm fest besiegelt und werde noch jahrelang dauern. Selbst solche, die dem feingebildeten Epikureer früher ihre Abneigung offen gezeigt hatten, begannen jetzt sich an ihn zu drängen und sich seiner Gunst zu versichern. Viele waren sogar im Innern ihres Herzens froh, daß das Übergewicht einem Manne zufiel, der in Wahrheit wußte, was er von ihnen zu halten hatte, und mit skeptischem Lächeln die Schmeicheleien seiner Feinde von gestern entgegennahm, aber, sei es aus Bequemlichkeit, sei es aus Vornehmheit der Gesinnung, nicht rachsüchtig war und seine Macht nicht zur Vernichtung oder Schädigung seiner Gegner mißbrauchte. Es gab Stunden, wo es ihm möglich gewesen wäre, selbst Tigellinus zu stürzen; aber er zog es vor, ihn zu verhöhnen und wegen seines Mangels an Bildung und seinem Anstand zu verspotten. Der Senat in Rom atmete auf, denn seit anderthalb Monaten war kein Todesurteil gefällt worden. Sowohl in Antium wie in Rom selbst erzählte man sich in der Tat Wunderdinge von den Fortschritten, die [32] der ausschweifende Caesar und seine Günstlinge in der Kunst des feinen Lebensgenusses gemacht hätten, und jedermann wollte lieber einen feingebildeten Caesar über sich haben, als einen in Tigellinus' Händen vertierten. Selbst Tigellinus verlor darüber den Kopf und war nahe daran, sich für besiegt zu erklären, denn der Caesar hatte zu wiederholten Malen erklärt, in ganz Rom und an seinem ganzen Hofe befänden sich nur zwei Geister, die einander verstehen könnten, und zwei wahre Hellenen: er und Petronius.

Das überraschende Glück dieses letzteren bestärkte den Hof in der Überzeugung, daß sein Einfluß den aller übrigen Günstlinge überrage. Man konnte es sich gar nicht denken, wie sich der Caesar ohne ihn behelfen solle, mit dem er über Poesie, Musik, Wettrennen sprechen könne; wen anders solle er um Rat fragen, wenn er wissen wolle, ob seine Schöpfungen den Anforderungen der Kunst entsprächen? Petronius schien in seiner gewohnten Blasiertheit auf seinen Triumph nicht das mindeste Gewicht zu legen. Wie gewöhnlich zeigte er sich lässig, bequem, witzig und skeptisch. Häufig machte er auf seine Umgebung den Eindruck eines Mannes, der sich über andere, über sich selbst, den Caesar und die ganze Welt lustig mache. Manchmal wagte er es, den Caesar offen zu tadeln, und wenn die anderen glaubten, er sei zu weit gegangen und renne geradeswegs in sein Verderben, so wußte er dem Tadel plötzlich eine solche Wendung zu geben, daß er zu seinem Vorteil ausschlug. Bei den übrigen Anwesenden erregte dies Bewunderung und brachte sie zu der Überzeugung, daß es keine Lage gebe, aus der er nicht siegreich hervorginge. Einmal, ungefähr zehn Tage nach Vinicius' Rückkehr aus Rom, las der Caesar in engem Kreise ein Stück seiner »Troika« vor; als er zu Ende war und die begeisterten Zurufe sich gelegt hatten, sagte Petronius, dem der Caesar einen fragenden Blick zugeworfen hatte: »Die Verse taugen nichts; sie verdienen höchstens, ins Feuer geworfen zu werden.«

[33] Den Anwesenden stockte vor Schreck der Herzschlag; denn seit seinen Kinderjahren hatte Nero aus keinem Munde mehr ein solches Urteil gehört; nur Tigellinus' Gesicht strahlte vor Freude. Vinicius dagegen erblaßte, da er glaubte, Petronius, der sich nie betrank, habe diesmal einen Rausch.

Nero fragte mit honigsüßer Stimme, aus deren Zittern jedoch deutlich seine tief verletzte Eitelkeit herausklang: »Welche Mängel findest du darin?«

Petronius ging darauf ein.

»Glaube denen nicht,« sagte er, mit der Hand auf die Anwesenden deutend; »sie verstehen nichts davon. Du fragst, welche Mängel sich in deinen Versen finden? Wenn du die Wahrheit hören willst, so werde ich sie dir sagen. Sie sind gut für Vergil, gut für Ovid, gut selbst für Homer, aber nicht für dich. Du darfst dergleichen nicht schreiben. Der von dir geschilderte Brand leuchtet nicht genug, dein Feuer hat nicht genug Hitze. Höre nicht auf Lucans Schmeicheleien. Ihm würde ich diese Verse als Beweis seines Genies anrechnen, aber nicht dir. Und weißt du, warum? Du bist größer als die anderen. Wem die Götter soviel Begabung verliehen haben, von dem muß man mehr fordern. Aber du bist zu träg. Du willst lieber nach der Tafel schlafen, als unebene Stellen glätten. Du kannst ein Werk schaffen, wie es die Welt noch nie gesehen hat, und daher sage ich dir offen ins Gesicht: Schreibe besser!«

Er sagte dies gleichmütig, als wolle er seinen Tadel in das Gewand des Scherzes kleiden. In Neros Augen stiegen Freudentränen, und er sagte: »Die Götter haben mir etwas Talent verliehen, aber sie haben mir außerdem noch etwas Größeres geschenkt, einen wahren Kunstkenner und Freund, der es allein versteht, mir die Wahrheit offen ins Gesicht zu sagen.«

Dabei streckte er seine fleischige, mit roten Haaren bedeckte Hand nach einem goldenen, in Delphi geraubten Kandelaber aus, um die Verse zu verbrennen.

[34] Aber Petronius nahm sie ihm weg, ehe die Flamme das Papier erfaßt hatte.

»Nein, nein!« sagte er; »selbst so ungenügende gehören der Menschheit. Schenke sie mir.«

»Gestatte wenigstens, daß ich sie dir in einem von mir selbst entworfenen Behälter zusende,« erwiderte Nero, ihn umarmend.

Nach einiger Zeit begann er wieder: »Ja, du hast recht. Mein Brand Trojas leuchtet nicht genug, mein Feuer hat nicht genug Hitze. Ich glaubte aber, es sei hinreichend, wenn ich Homer gleichkäme. Eine Art Schüchternheit und Mangel an Selbstvertrauen hat mir stets geschadet. Du hast mir die Augen geöffnet. Und weißt du, warum es so ist, wie du sagst? Wenn ein Bildhauer die Statue eines Gottes fertigen will, so sucht er sich ein Vorbild, ich aber habe kein Vorbild gehabt. Ich habe noch nie eine brennende Stadt gesehen, und daher fehlt es meiner Schilderung an Wahrheit.«

»Ich sage dir, es muß ein großer Künstler sein, dem dies gelingen soll.«

Nero sann nach und fragte nach kurzer Zeit: »Beantworte mir eine Frage, Petronius. Bedauerst du es, daß Troja in Flammen aufging?«

»Bedauern – ich? ... Beim lahmen Gemahl der Venus, nicht im geringsten! Und ich will dir auch sagen, warum! Troja wäre nicht in Flammen aufgegangen, wenn Prometheus den Menschen das Feuer nicht gebracht und die Griechen den trojanischen Krieg nicht geführt hätten; hätte es aber kein Feuer gegeben, so hätte Aischylos seinen Prometheus nicht geschrieben, ebensowenig Homer ohne den Krieg seine Ilias; mir ist es aber lieber, daß es einen Prometheus und eine Ilias gibt, als daß ein wahrscheinlich elendes und schmutziges Landstädtchen erhalten geblieben wäre, in dem jetzt höchstens ein Prokurator sitzen und dich wegen der Streitigkeiten mit dem städtischen Areopag behelligen könnte.«

[35] »Das heißt man vernünftig reden,« entgegnete der Caesar. – »Für Poesie und Kunst darf und muß man alles opfern. Glücklich die Achaier, die Homer den Stoff zur Ilias lieferten, glücklich auch Priamos, der den Untergang seiner Vaterstadt mitansehen konnte. Ich aber? ich habe noch nie eine brennende Stadt gesehen.«

Kurzes Schweigen trat ein, das endlich von Tigellinus unterbrochen wurde.

»Ich habe dir ja schon gesagt, Caesar,« sprach er, »befiehl, und ich stecke Antium in Brand. Oder weißt du was? wenn es dir um diese Villen und Paläste leid tut, so werde ich die Schiffe in Ostia anzünden oder auf dem Abhange der Albanerberge eine hölzerne Stadt errichten lassen, in die du dann selbst die Fackel schleudern kannst. Willst du?«

Allein Nero warf ihm einen verächtlichen Blick zu.

»Ich soll auf brennende hölzerne Buden blicken? Dein Geist ist völlig unfruchtbar geworden, Tigellinus! Außerdem sehe ich, daß du von meinem Talent und meinen Troika sehr wenig hältst, da du glaubst, ein anderes Opfer sei dafür zu hoch.«

Tigellinus geriet in Verwirrung. Nero aber fügte hinzu, wie um dem Gespräche eine andere Wendung zu geben: »Der Sommer naht ... O, wie übel muß dieses Rom jetzt riechen! Und doch muß ich zu den Sommerspielen dahin zurück!«

Nach einer kurzen Pause sagte Tigellinus: »Wenn du die Augustianer entläßt, Caesar, so gestatte mir noch einen Augenblick bei dir zu bleiben.«

Eine Stunde später sagte Vinicius, als er zusammen mit Petronius die Villa des Caesars verließ: »Ich hatte eine Zeitlang Sorge um dich. Ich glaubte, du seiest betrunken und würdest dich rettungslos ins Verderben stürzen. Vergiß nicht, daß du mit dem Tode spielst.«

»Dies ist meine Arena,« erwiderte Petronius gleichmütig; »und das Bewußtsein, hier der beste Gladiator zu sein, macht [36] mir Vergnügen. Du siehst, wie die Sache geendet hat. Mein Einfluß ist heut abend noch gestiegen. Er wird mir seine Verse in einem Kästchen schicken, das (was gilt die Wette?) unendlich reich und unendlich geschmacklos sein wird. Ich werde es meinem Arzte zur Aufbewahrung von Purgiermitteln schenken. Meine Handlungsweise hatte auch noch einen andern Zweck. Wenn nämlich Tigellinus sieht, daß dergleichen Erfolg hat, wird er mich unzweifelhaft nachzuäffen suchen, und ich kann mir vorstellen, was geschieht, wenn er sich mit der Sache befaßt. Es wird sein, als wenn ein Bär aus den Pyrenäen auf dem Seile tanzt. Ich werde lachen wie Demokrit. Wenn ich durchaus wollte, so könnte ich Tigellinus stürzen und an seiner Stelle Prätorianerpräfekt werden. Dann hätte ich selbst den Rotbart in der Hand. Aber ich bin zu bequem dazu. Ich ziehe dieser Plage mein Leben, wie ich es gegenwärtig führe, und selbst die Verse des Caesars vor.«

»Was für Geschicklichkeit gehört dazu, selbst den Tadel in Schmeichelei zu verwandeln! Aber sind die Verse wirklich so schlecht? Ich verstehe mich nicht darauf.«

»Sie sind nicht schlechter als andere. Lucanus hat zwar im kleinen Finger mehr Talent, aber auch dem Rotbart fehlt es nicht ganz daran. Er besitzt vor allem eine außerordentliche Vorliebe für Poesie und Musik. In zwei Tagen sollen wir bei ihm sein, um uns die Musik zu der Hymne auf Aphrodite anzuhören, die er heut oder morgen beendet. Wir werden in kleinem Kreise sein. Nur du, ich, Tullius Senecio und der junge Nerva. Und was die Verse betrifft, so ist es nicht wahr, was ich dir sagte, daß ich sie nach dem Feste benutzen will wie Vitellius die Flamingofedern! ... Bisweilen sind sie gewandt. Hekubas Worte sind rührend ... Sie beklagt sich über die Geburtswehen, und Nero vermochte vielleicht deshalb glückliche Ausdrücke dafür zu finden, weil auch er jeden Vers unter Wehen hervorbringt ... Mitunter tut er mir leid. Beim Pollux! welch wunderlicher Mischmasch! [37] Caligula hatte auch seine fünf Sinne nicht beisammen, aber so verrückt war er doch nicht!«

»Wer kann vorhersehen, wozu der Wahnwitz den Feuerbart noch treiben wird?« erwiderte Vinicius.

»Niemand. Es können noch Dinge geschehen, daß noch nach Jahrhunderten den Menschen bei dem Gedanken daran die Haare zu Berge stehen. Aber gerade dies ist das Interessante, das Packende, und obgleich ich mich mitunter langweile wie Jupiter Ammon in der Wüste, so glaube ich doch, daß ich mich unter einem anderen Caesar noch ärger langweilen würde. Dein Jüdchen Paulus ist beredt, das gestehe ich ihm zu, und wenn solche Männer wie er diese Lehre verkünden, müssen unsere Götter sich ernstlich verteidigen, wenn sie sich nicht für besiegt erklären wollen. Es ist wahr, daß, wenn z.B. der Caesar Christ wäre, wir uns alle viel sicherer fühlen würden. Aber als dein Prophet von Tarsos seine Überredungskunst an mir erproben wollte, dachte er, siehst du, gar nicht daran, daß eben diese Unsicherheit meinem Leben einen eigenen Reiz verleiht. Wer nicht Würfel spielt, verliert freilich nicht sein Vermögen, und doch spielen die Menschen Würfel. Es liegt darin eine Art Reiz und Selbstbetäubung. Ich kannte Söhne von Rittern und Senatoren, die aus freiem Antrieb Gladiatoren wurden. Ich spiele mit dem Leben, sagst du, und so ist es; aber ich spiele, weil es mir Vergnügen gewährt, während mir die christlichen Tugenden an einem einzigen Tage zuwider würden wie die Abhandlungen Senecas. Daher führt Paulus' Beredsamkeit zu nichts. Er sollte begreifen, daß Menschen wie ich niemals eine solche Religion annehmen werden. Mit dir ist es etwas anderes! Bei deiner Erregbarkeit kannst du den Namen der Christen nur entweder hassen wie eine ansteckende Seuche oder selbst zu ihnen übertreten. Ich gebe ihnen im stillen recht. Wir sind wahnwitzig, rennen blindlings in unser Verderben, wir wissen nicht, was uns die Zukunft bringt, es bricht etwas unter uns zusammen, um uns herum stirbt [38] etwas ab – zugegeben! aber wir wissen zu sterben, bis dahin soll uns das Leben nicht zur Last fallen und nicht nur eine Vorbereitung auf den Tod sein, noch ehe er uns ereilt. Das Leben ist um seiner selbst willen, nicht des Todes wegen da.«

»Ich bedauere dich, Petronius!«

»Bedauere mich nicht mehr als dich selbst. Früher war es dir unter uns wohl, und während des Feldzugs in Armenien sehntest du dich nach Rom.«

»Auch jetzt sehne ich mich nach Rom.«

»Jawohl, du liebst ja eine christliche Vestalin, die jenseit des Tiber wohnt. Ich wundere mich weder darüber noch tadele ich dich. Mehr wundere ich mich darüber, daß trotz jener Religion, die nach deinen Worten ein Meer des Glückes ist, und trotz deiner Liebe, die doch bald gekrönt werden wird, der Ernst nicht aus deinen Zügen weicht. Pomponia Graecina ist stets ernst, du hast, seitdem du Christ geworden bist, das Lachen verlernt. Aus Rom bist du noch ernster zurückgekehrt. Wenn das die Liebe nach Christenweise ist, so folge ich – bei den goldenen Locken des Bakchos – eurem Beispiel nicht.«

»Das ist etwas anderes,« versetzte Vinicius; »ich schwöre dir nicht bei den Locken des Bakchos, sondern bei der Seele meines Vaters, daß ich früher nie auch nur einen Vorschmack dieses Glückes empfunden habe, das ich jetzt genieße. Ich trage eine unermeßliche Sehnsucht in mir, und, was das Seltsamste ist, wenn ich fern von Lygia bin, ist es mir, als drohe ihr irgend eine Gefahr. Ich weiß nicht, welche, und ich weiß auch nicht, woher sie möglicherweise kommen könnte, aber ich habe eine Empfindung wie vor einem Gewitter.«

»In zwei Tagen werde ich dir die Erlaubnis verschaffen, Antium zu verlassen, solange du willst. Poppaea ist etwas ruhiger geworden, und soviel ich weiß, droht von ihrer Seite weder dir noch Lygia eine Gefahr.«

»Heut noch fragte mich Poppaea, was ich in Rom zu tun gehabt hätte, obgleich meine Abreise ein Geheimnis war.«

[39] »Vielleicht hat sie dir nachspionieren lassen. Jetzt aber bekommt sie es mit mir zu tun.«

Vinicius blieb stehen und erwiderte: »Paulus sagte mir, Gott warne uns zuweilen, aber doch sei es uns nicht gestattet, an Vorzeichen zu glauben. Ich wehre mich daher gegen diese Ahnungen und kann sie doch nicht los werden. Ich will dir erzählen, was sich ereignete, um mir das Herz zu erleichtern. Lygia und ich saßen beisammen in einer Nacht, so klar wie diese, und besprachen unser künftiges Leben. Ich kann dir nicht sagen, wie glücklich und zufrieden wir waren. Plötzlich begannen die Löwen zu brüllen. Dies ist in Rom weiter nichts Auffallendes, aber seit diesem Augenblicke habe ich keine Ruhe mehr. Es ist mir, als liege darin etwas Drohendes, als stehe uns ein Unglück bevor ... Du weißt, ich fürchte mich nicht leicht; aber dieses Brüllen erfüllte mich in der Dunkelheit der Nacht mit Schrecken. Es war so befremdend und kam so unerwartet, daß es mir jetzt noch unaufhörlich in den Ohren dröhnt und ich in ständiger Sorge schwebe, als bedürfe Lygia meines Schutzes gegen etwas Furchtbares ... vielleicht sogar gegen die Löwen selbst. Ich leide entsetzlich darunter. Verschaffe mir die Erlaubnis, abzureisen, denn sonst gehe ich ohne Erlaubnis. Ich kann nicht hier bleiben, wiederhole ich dir, ich kann nicht!«

Petronius lachte.

»Noch ist es nicht so weit gekommen, daß Söhne von Konsularen oder deren Frauen den Löwen in den Arenen vorgeworfen werden. Es kann euch jede andere Todesart drohen, aber nicht diese. Wer weiß auch, ob es Löwen waren, denn germanische Auerochsen brüllen im allgemeinen nicht schlechter als sie. Was mich betrifft, so pfeife ich auf Vorzeichen und Vorbedeutungen. Die letzte Nacht war heiß, und es regnete förmlich Sternschnuppen. Manchem ist ein solcher Anblick unbehaglich; ich aber sagte mir: wenn sich unter diesen Sternen auch der meinige befindet, so wird es mir wenigstens nicht an Gesellschaft fehlen ...«

[40] Er schwieg eine Weile nachdenklich und sagte dann: »Übrigens, weißt du, wenn euer Christus vom Tode auferstanden ist, so kann er euch vielleicht auch vor dem Tode retten.«

»Er kann es,« entgegnete Vinicius, indem er seinen Blick nach dem sternbesäten Himmel richtete.

Einundvierzigstes Kapitel

Einundvierzigstes Kapitel.

Nero spielte und sang zu Ehren der »Herrscherin von Cypern« eine Hymne, die er selbst gedichtet und in Musik gesetzt hatte. Diesen Tag war er bei Stimme und bemerkte, daß die Musik die Zuhörer in der Tat fesselte. Dieses Bewußtsein verstärkte die Kraft der Töne, die seiner Brust entquollen, derart und schmeichelte ihm so, daß er wie gottbegeistert erschien. Schließlich wurde er vor innerer Erregung bleich. Es war gewiß das erste Mal in seinem Leben, daß er nicht nach dem Beifalle der Anwesenden verlangte. Er saß eine Zeitlang mit gesenktem Haupte da, die Hände auf die Zither gestützt, dann erhob er sich plötzlich und sagte: »Ich bin ermüdet und bedarf der frischen Luft. Stimmt inzwischen die Zithern.«

Nach diesen Worten legte er ein seidenes Tuch um den Hals.

»Ihr begleitet mich,« sagte er, zu Petronius und Vinicius gewendet, die in einer Ecke des Saales saßen. »Du, Vincius, gib mir den Arm, denn ich fühle mich schwach, und Petronius kann mich über Musik unterhalten.«

Sie traten zusammen auf die mit Alabaster gepflasterte und mit Safran bestreute Terrasse des Palastes hinaus.

»Hier atmet es sich freier,« sagte Nero. »Meine Seele ist bewegt und ernst gestimmt, obgleich ich weiß, daß ich mit der Hymne, die ich euch soeben zur Probe vorgesungen habe, öffentlich auftreten darf und daß dies ein Triumph sein wird, wie ihn noch kein Römer davongetragen hat.«

»Du kannst hier, in Rom und in Achaja auftreten. Ich [41] habe dich aus ganzer Seele und aus voller Überzeugung bewundert, Gottheit!« erwiderte Petronius.

»Ich weiß es. Du bist zu bequem, als daß du dich zu einer Schmeichelei aufraffen solltest. Sage mir, was hältst du von der Musik?«

»Wenn ich eine Dichtung vortragen höre, wenn ich mir die Quadriga, die du im Zirkus lenkst, eine schöne Statue, einen schönen Tempel, ein schönes Gemälde betrachte, so fühle ich, daß ich das Geschaute in seiner Gesamtheit begreife und daß meine Begeisterung allen daraus entspringenden Kunstgenuß bewältigen kann. Höre ich aber Musik, namentlich die deine, dann eröffnen sich vor meinem Geiste immer neue Schönheiten und neue Entzückungen. Ich jage ihnen nach und suche sie festzuhalten, aber ehe mir dies gelingt, fluten immer neue und neue herzu, gleich den Meereswogen, die aus der Unendlichkeit heranbranden. Daher sage ich dir, die Musik gleicht dem Meere. Wir stehen an dem einen Ufer und schauen in die Ferne, aber das andere Ufer ist unseren Blicken verborgen.«

»Ach, welch tiefer Kenner du bist!« rief Nero bewundernd.

Eine Zeitlang schritten sie schweigend weiter, nur der Safran knirschte leise unter ihren Tritten.

»Du hast meine Gedanken ausgesprochen,« sagte endlich Nero, »und daher wiederhole ich immer und immer wieder: du bist der einzige in ganz Rom, der mich verstehen kann. Jawohl! Ich denke über Musik genau so wie du. Wenn ich spiele und singe, so erblicke ich Dinge, von denen ich nie gewußt habe, daß sie in meinem Reiche oder in der Welt existieren. Ich bin der Caesar, und die Welt gehört mir, ich vermag alles. Und doch enthüllt mir die Musik neue Reiche, neue Berge und Meere und neue Genüsse, die ich bis dahin nicht kannte. Häufig kann ich sie nicht benennen, sie mit meinem Denken nicht fassen – ich fühle sie nur. Ich fühle die Nähe der Götter, ich sehe den Olymp. Ein Hauch aus einer überirdischen Welt weht mich an; ich erblicke wie [42] durch einen Nebel hindurch etwas unermeßlich Hohes, Friedliches, das so strahlend ist wie ein Sonnenaufgang ... Das ganze Weltall um mich her tönt, und ich sage dir (hier bebte die Stimme Neros vor ungeheuchelter Erregung), daß ich, der Caesar und Gott, mir dann so klein vorkomme wie ein Staubkorn. Glaubst du mir dies?«

»Gewiß. Nur große Künstler vermögen sich angesichts der Kunst klein zu fühlen.«

»Heut ist eine Nacht der Offenheit; daher will ich dir meine Seele eröffnen als einem Freunde, und dir noch weiteres enthüllen ... Glaubst du, ich sei blind oder der Vernunft beraubt? Meinst du, ich wisse nicht, daß man in Rom Schmähungen gegen mich an die Mauern schreibt, daß man mich Muttermörder und Gattinnenmörder nennt ... daß man mich für ein blutdürstiges Ungeheuer hält, weil Tigellinus von mir einige Todesurteile gegen meine Feinde erwirkt hat? Ja, lieber Freund, man hält mich für ein Ungeheuer, und ich weiß es ... Man hat mir Grausamkeit in einem Maße vorgeworfen, daß ich mir schon selbst die Frage vorgelegt habe, ob ich denn wirklich grausam bin ... Man versteht es aber nicht, daß die Taten eines Mannes mitunter grausam sein können, ohne daß dieser Mann selbst grausam ist. Ach! niemand wird es mir glauben und vielleicht auch du nicht, mein Freund, daß ich mir manchmal, wenn die Musik meine Seele einlullt, so gut und rein wie ein Kind in der Wiege vorkomme. Ich schwöre dir bei den Gestirnen, die am Himmel über uns glänzen, daß ich die volle Wahrheit spreche; die Menschen wissen nicht, wieviel Gutes in meinem Herzen verborgen liegt und welche Schätze ich selbst darin entdecke, wenn die Musik mir den Zugang dazu erschließt.«

Petronius, der nicht den geringsten Zweifel hegte, daß Nero in diesem Augenblicke aufrichtig spreche und daß die Musik in der Tat einige edlere Empfindungen in seiner Seele erwecke, die aber bergehoch von Selbstsucht, Ausschweifungen [43] und Lastern überdeckt wurden, entgegnete: »Man müßte dich so kennen wie ich; Rom war nie imstande, dich zu würdigen.«

Der Caesar stützte sich fester auf Vinicius' Arm, als erliege er unter der Last der Verkennung, und erwiderte: »Tigellinus sagte mir, im Senate raune man sich in die Ohren, Diodor und Terpnos spielten besser auf der Laute als ich. Auch das mißgönnt man mir also! Aber sage du mir, der du stets die Wahrheit sprichst, offen und ehrlich: Spielen sie besser als ich oder gleich gut?«

»Keineswegs. Du hast einen weicheren und dabei kräftigeren Anschlag. Bei dir erkennt man den Künstler, bei ihnen – geschickte Handwerker. Freilich! man muß zuerst ihr Spiel hören, dann versteht man besser, wer du bist.«

»Wenn dem so ist, so sollen sie am Leben bleiben. Sie ahnen nicht, was du ihnen in diesem Augenblick für einen Dienst geleistet hast. Wenn ich sie übrigens verurteilt hätte, müßte ich andere an ihre Stelle setzen.«

»Und man würde obenein sagen, daß du aus Liebe zur Musik die Musik in deinem Reiche unterdrückst. Vernichte niemals Kunst um der Kunst willen, Gottheit!«

»Wie verschieden bist du von Tigellinus!« erwiderte Nero. »Siehst du, ich bin im Grunde genommen in allem Künstler, und da die Musik vor mir Weiten erschließt, deren Vorhandensein ich nicht ahnte, Gebiete, die meiner Herrschaft nicht unterworfen sind, Genüsse und Wonnen, die ich vorher nie gekannt habe, so kann ich kein alltägliches Leben führen. Die Musik sagt mir, daß es etwas Außergewöhnliches gibt, und daher suche ich danach mit dem Aufgebot der ganzen Macht, welche die Götter in meine Hände gelegt haben. Zuweilen ist es mir, als müsse ich, um jene olympischen Welten zu erreichen, etwas tun, was noch kein Mensch bisher getan hat, als müsse ich das Menschengeschlecht im Guten oder im Bösen weit hinter mir lassen. Ich weiß auch, man hält mich für wahnsinnig. Aber ich bin nicht wahnsinnig, ich suche nur! [44] und wenn ich wahnsinnig bin, so bin ich es nur aus Verdruß und Ungeduld darüber, daß ich das Gesuchte nicht finden kann. Ich suche! verstehst du, und deswegen will ich mehr sein als ein Mensch, denn nur auf diese Weise kann ich als Künstler der größte sein.«

Er dämpfte seine Stimme, daß Vinicius nichts hören konnte, legte seinen Mund an Petronius' Ohr und begann flüsternd: »Weißt du, daß ich nur deshalb Mutter und Weib zum Tode verurteilte? An den Toren der unbekannten Welt wollte ich das größte Opfer niederlegen, das ein Mensch bringen kann. Ich glaubte, es würde sich dann etwas ereignen, die Pforte würde sich öffnen, und ich würde dahinter etwas Ungeahntes erblicken. Mochte es über alle menschlichen Begriffe hinaus herrlich oder gräßlich sein, wenn es nur außerordentlich und groß war ... Aber dieses Opfer genügte nicht. Um die Pforten des Empyreums zu öffnen, bedarf es augenscheinlich eines noch größeren – es soll gebracht werden, wie es die Orakelsprüche verlangen.«

»Was gedenkst du zu tun?«

»Du wirst es erfahren, und zwar früher, als du glaubst. Inzwischen sei versichert, daß es zwei Nero gibt: einen, wie ihn der große Haufe kennt, den anderen, einen Künstler, den du ganz allein kennst und der, wenn er tötet wie der Todesgott, wenn er rast wie Bakchos, dies nur deshalb tut, weil ihn die Plattheit und Öde des alltäglichen Lebens ersticken, und der sie vernichten will, und sollte er sie mit Feuer und Schwert ausrotten. O wie fade wird die Welt sein, wenn ich nicht mehr bin! ... Noch niemand hat eine Ahnung davon, selbst du nicht, mein Freund, was ich für ein Künstler bin. Aber eben darum leide ich, und ich gestehe dir offen, daß meine Seele mitunter so düster ist wie jene Zypressen dort, die so schwarz vor uns aufragen. Es ist schwer für einen Menschen, zu gleicher Zeit die Last der höchsten Macht und der höchsten Begabung zu tragen.«

»Ich verstehe deine Gefühle aus vollem Herzen und mit [45] mir Land und Meer, von Vinicius gar nicht zu reden, der dich im tiefsten Innern vergöttert.«

»Auch er war mir ein lieber Gefährte,« erwiderte Nero, »wenn er auch mehr dem Dienste des Mars als dem der Musen ergeben ist.«

»Vor allem huldigt er dem Dienste der Aphrodite,« antwortete Petronius.

Mit einem Male kam ihm der Gedanke, mit einem Schlage die Sache seines Neffen zu entscheiden und zugleich jede Gefahr, die ihm etwa drohen könnte, von ihm abzuwenden.

»Er ist verliebt wie Troilos in Kressida,« sagte er. »Gestatte ihm, Herr, nach Rom zurückzukehren, denn er schwindet mir sonst dahin. Weißt du, daß jene lygische Geisel, die du ihm zusprachst, aufgefunden ist und daß Vinicius sie bei der Abreise nach Antium unter dem Schutze eines gewissen Linus zurückließ? Ich erwähnte früher nichts davon, weil du mit der Ausarbeitung deiner Hymne beschäftigt warst, was wichtiger war als alles übrige. Vinicius wollte sie zu seiner Geliebten machen, da sie sich aber als so tugendhaft erwies wie Lucretia, verliebte er sich in ihre Tugend und will sich jetzt mit ihr vermählen. Sie ist eine Königstochter und wird ihm daher keine Schande machen, aber er ist ein echter Soldat: er seufzt, stöhnt, wimmert, wartet aber auf die Erlaubnis seines Imperators.«

»Der Imperator sucht seinen Soldaten nicht die Frauen aus. Wozu braucht er meine Erlaubnis?«

»Ich sagte dir, Herr, daß er dich vergöttert.«

»Um so sicherer ist ihm meine Erlaubnis. Es ist ein hübsches Mädchen, aber zu eng in den Hüften. Die Augusta Poppaea hat sich beklagt, daß es im Garten des Palatins unser Kind bezaubert hat ...«

»Ich habe jedoch Tigellinus gesagt, daß Götter keinem bösen Zauber unterliegen. Erinnerst du dich, Gottheit, wie er in Verwirrung geriet und wie du ausriefst: Habet!?«

[46] »Ich entsinne mich.«

Dann wandte er sich an Vinicius: »Liebst du sie so sehr wie Petronius behauptet?«

»Ja, ich liebe sie, Herr!« erwiderte Vinicius.

»So befehle ich dir, gleich morgen nach Rom zu eilen, dich mit ihr zu vermählen und mir nicht eher wieder unter die Augen zu treten, als bis du den Ehering trägst.«

»Ich danke dir, Herr, aus tiefstem Herzen.«

»O wie süß ist es, Menschen zu beglücken!« sagte der Caesar: »Ich wünschte, ich brauchte mein ganzes Leben lang nichts anderes zu tun.«

»Gewähre uns noch eine Gnade, Gottheit,« sagte Petronius, »und sprich deinen Befehl vor der Augusta aus. Vinicius würde nie wagen, ein Mädchen zu heiraten, gegen das die Augusta Abneigung hat; aber du, Herr, kannst ihr Vorurteil mit einem Worte zerstreuen, wenn du erklärst, du habest selbst diese Ehe befohlen.«

»Es ist gut,« sagte der Caesar; »dir und Vinicius kann ich keine Bitte versagen.«

Er kehrte nach der Villa zurück; die beiden anderen folgten ihm, das Herz voller Freunde über den errungenen Sieg. Vinicius mußte sich mit Gewalt zurückhalten, um nicht Petronius um den Hals zu fallen; denn jetzt schienen alle Gefahren und Hindernisse beseitigt zu sein.

Im Atrium unterhielten sich der junge Nerva und Tullius Senecio mit der Augusta, Terpnos und Diodor stimmten die Zithern. Nero trat ein, ließ sich auf einem mit Schildpatt eingelegten Sessel nieder und wartete, nachdem er einem neben ihm stehenden Griechenknaben etwas ins Ohr geflüstert hatte.

Der Knabe kehrte bald mit einem goldenen Kästchen zurück. Nero öffnete es und entnahm ihm eine herrliche Halskette aus großen Opalen.

»Es sind Juwelen, würdig dieses wundervollen Abends,« sagte er.

[47] »Sie schillern wie Aurora,« erwiderte Poppaea, die überzeugt war, die Kette sei für sie bestimmt.

Der Caesar wog die rötlichen Steine einige Zeit in der Hand und sagte endlich: »Vinicius, du wirst diese Halskette in meinem Namen der jungen lygischen Königstochter geben, die ich dir zum Weibe zu nehmen befehle.«

Poppaeas zornerfüllter und erstaunter Blick ging zwischen Caesar und Vinicius hin und her und heftete sich endlich auf Petronius.

Dieser aber lehnte sich nachlässig in seinen Sessel zurück und strich über den Griff einer Harfe, als wollte er deren Form seinem Gedächtnisse einprägen. Inzwischen hatte Vinicius seinen Dank für das Geschenk gesagt und näherte sich jetzt Petronius. »Wie soll ich dir für das danken, was du heut für mich getan hast?« sagte er.

»Opfere Euterpe ein Paar Schwäne,« entgegnete Petronius, »lobe den Gesang des Caesars und lache über Vorzeichen. Ich bin überzeugt, fortan wird kein Löwengebrüll mehr deinen Schlaf oder den deiner lygischen Lilie stören.«

»Nein,« entgegnete Vinicius, »jetzt bin ich ganz ruhig.«

»Möge Fortuna euch hold sein. Aber jetzt gib acht; der Caesar greift wieder zur Phorminx. Halte den Atem an, höre zu und vergieße Tränen.«

Wirklich nahm der Caesar soeben die Phorminx zur Hand und erhob die Augen zur Decke. Im Saale verstummten die Gespräche, und die Gäste saßen unbeweglich wie in Stein verwandelt. Nur Terpnos und Diodor, die den Caesar zu begleiten hatten, blickten, rasch den Kopf wendend, bald vor sich hin, bald auf die Lippen des Caesars, um beim ersten Tone des Gesanges einzufallen.

Plötzlich entstand am Eingange des Saales eine Bewegung, ein Stimmengewirr ließ sich hören, und gleich darauf trat der Freigelassene Neros, Phaon, und dicht hinter ihm der Konsul Lecanius in den Saal.

Nero runzelte die Brauen.

[48] »Verzeihe, göttlicher Imperator,« rief Phaon außer Atem, »in Rom brennt es. Der größte Teil der Stadt steht in Flammen! ...«

Bei dieser Nachricht sprangen alle von ihren Sitzen empor, Nero legte die Phorminx beiseite und rief: »Götter! ... So werde ich denn doch eine brennende Stadt sehen und meine Troika vollenden können.«

Dann wandte er sich an den Konsul: »Kann ich noch den Brand sehen, wenn ich sofort aufbreche?«

»Herr,« erwiderte der Konsul, der bleich war wie die Wand, »die Stadt ist ein Feuermeer; der Rauch erstickt die Bewohner. Die Menschen fallen in Ohnmacht oder stürzen sich voller Verzweiflung ins Feuer. Rom geht unter, Herr!«

Alle schwiegen; endlich stieß Vinicius den Ruf aus: »Vae misero mihi!«

Der junge Mann warf die Toga ab und stürzte in bloßer Tunika hinaus.

Nero erhob die Hände zum Himmel und rief: »Wehe dir, Priamos' heilige Stadt!«

Zweiundvierzigstes Kapitel

Zweiundvierzigstes Kapitel.

Vinicius nahm sich kaum die Zeit, einigen Sklaven den Befehl zu geben, ihm zu folgen, dann schwang er sich aufs Pferd und sprengte durch die leeren Straßen Antiums in die dunkle Nacht hinaus, in der Richtung auf Laurentum zu. Unter dem Eindrucke der schrecklichen Nachricht befand er sich wie in einem Zustande der Raserei und des Wahnsinns. Zuweilen konnte er sich keine klare Rechenschaft von dem geben, was in ihm vorging, er hatte nur das Gefühl, das Unglück sitze hinter ihm auf dem Pferde, rufe ihm ins Ohr: »Rom brennt!« und treibe ihn und sein Pferd rasenden Laufes ins Feuer hinein. Den bloßen Kopf auf den Hals des Pferdes gebeugt, jagte er, nur mit der Tunika bekleidet, blindlings dahin, ohne aufzusehen oder auf die [49] Hindernisse zu achten, die sich ihm etwa in den Weg stellen konnten. Inmitten der Stille und der ruhigen, sternklaren Nacht machten Reiter und Pferd, vom Glanz des Mondes beschienen, den Eindruck von Spukgestalten. Der idumäische Hengst schoß mit niedergelegten Ohren und gestrecktem Halse wie ein Pfeil an den regungslosen Zypressen und den weißen, zwischen sie gelagerten Villen vorüber. Der Hufschlag auf den Steinplatten weckte hier und da die Hunde, die die ungewohnte Erscheinung mit Bellen begrüßten und dann, beunruhigt über deren rasches Verschwinden, mit hocherhobenem Kopfe den Mond anzuheulen begannen. Die hinter Vinicius her reitenden Sklaven blieben, da sie viel schlechtere Pferde hatten, binnen kurzem weit zurück. Wie ein Sturmwind durchraste er das schlafende Laurentum, wandte sich dann auf Ardea zu, wo er ebenso wie in Aricia, in Bovillae und Ustrinum seit seiner Ankunft Pferde zum Wechseln stehen hatte, um in möglichst kurzer Zeit die Strecke, die ihn von Rom trennte, zurücklegen zu können. Im Gedanken daran spornte er sein Pferd zur höchsten Eile an. Jenseit Ardeas war es ihm, als ob sich der Himmel in nordöstlicher Richtung mit einem rötlichen Schimmer überziehe. Es konnte die Morgenröte sein, da es zu ziemlich vorgerückter Stunde war und es im Juli früh hell wurde. Aber Vinicius konnte einen Schrei der Verzweiflung und des Entsetzens nicht unterdrücken, da er den Schimmer für den Widerschein der Feuersbrunst hielt. Er erinnerte sich an Lecanius' Worte: »Die ganze Stadt ist ein Feuermeer,« und einen Augenblick glaubte er, wahnsinnig werden zu müssen, denn er hatte alle Hoffnung verloren, Lygia retten zu können, und fürchtete sogar, die Stadt könne sich vorher in einen Aschenhaufen verwandeln. Seine Gedanken waren noch rascher als die Füße seines Pferdes und flogen wie eine Schar schwarzer Vögel vor ihm her – zur Verzweiflung treibend, unheilverkündend. Zwar wußte er nicht, in welchem Stadtteile das Feuer ausgebrochen war, doch vermutete er, das Viertel [50] jenseit des Tiber mit seinen zusammengedrängten Häusern, Holzlagern und hölzernen Schuppen, in denen die Sklaven verkauft wurden, möchte zuerst ein Raub der Flammen geworden sein. In Rom kamen Brände ziemlich häufig vor, und es ereigneten sich dabei ebensohäufig Gewalttaten und Räubereien, namentlich in den von einer armen und halb barbarischen Bevölkerung bewohnten Stadtteilen – was konnte sich daher nicht in einem Viertel wie dem jenseit des Tiber ereignen, dem Zufluchtsorte des Gesindels aus aller Herren Ländern? Die Hoffnung auf Ursus und seine übermenschliche Kraft tauchte zwar in Vinicius auf; was aber konnte er selbst wenn er anstatt eines Menschen ein Titan wäre, gegenüber der zerstörenden Gewalt des Feuers ausrichten? Die Furcht vor einem Sklavenaufstand glich einem Alp, der Rom schon seit langen Jahren drückte. Man erzählte sich, daß hunderttausende von Sklaven seit Spartacus' Zeit die Absicht hätten, die Waffen gegen ihre Peiniger und die Stadt zu ergreifen, und nur auf den geeigneten Augenblick dazu warteten. Jetzt war diese Augenblick gekommen. Vielleicht wüteten in der Stadt zugleich mit den Flammen Mord und Blutvergießen. Es war sogar möglich, daß die Prätorianer auf Befehl des Caesars die Stadt überfallen hatten und dort niedermetzelten, was ihnen unter die Hände kam. Vinicius sträubten sich vor Entsetzen die Haare auf dem Kopfe. Er erinnerte sich all der Unterhaltungen über brennende Städte, welche seit einiger Zeit mit auffallender Häufigkeit am Hofe des Caesars geführt worden waren; er erinnerte sich der Klagen des Caesars, daß er eine brennende Stadt beschreiben solle, ohne je einen wirklichen Brand gesehen zu haben, der verächtlichen Antwort, die er Tigellinus gegeben hatte, als er vorschlug, Antium oder eine künstliche Stadt aus Holz in Brand zu stecken, endlich seines Murrens über Rom und die übelriechenden Hintergäßchen der Subura. Ja, es war der Caesar, der den Befehl gegeben hatte, die Stadt anzuzünden. Er allein konnte so etwas gebieten, wie [51] nur Tigellinus imstande war, einen solchen Befehl auszuführen. Und wenn Rom auf Geheiß des Caesars brannte, wer konnte dafür bürgen, daß nicht auch die Bevölkerung auf seinen Befehl niedergemetzelt wurde? Das Ungeheuer war auch einer solchen Tat fähig. Feuersbrunst, Sklavenempörung, Gemetzel! Welch schreckliches Chaos! welche Gärung von Elementen der Vernichtung und menschlicher Raserei! Und mitten in alledem Lygia! Vinicius' Ächzen vermischte sich mit dem Schnauben und Stöhnen seines Hengstes. Das Tier, das die in der Richtung auf Aricia zu stets bergan steigende Straße hinauf galoppierte, stürmte mit Aufbietung der letzten Kraft vorwärts. Wer wird Lygia den Flammen entreißen, wer sie retten? Vinicius legte sich vornüber aufs Pferd, fuhr sich mit der Hand durch das Haar und war nahe daran, vor Schmerz dem Pferde in den Nacken zu beißen. In diesem Augenblicke brauste ein anderer Reiter, ebenfalls wie ein Sturmwind, aber in der entgegengesetzten Richtung, auf Antium zu heran, rief ihm im Vorüberjagen zu: »Rom geht unter!« und stürmte weiter. An Vinicius' Ohr drang nur noch der Ruf: »Götter,« alles andere verschlang der Hufschlag der Pferde. Aber jener Zuruf brachte ihn wieder zur Besinnung. Götter! Vinicius erhob das Haupt, streckte die Arme zum Himmel empor und betete: »Nicht euch rufe ich an, deren Tempel brennen, sondern dich! ... Du selber hast gelitten, du allein bist barmherzig! Du allein hast den Schmerz der Menschen verstanden! Du bist in die Welt gekommen, um die Menschheit Barmherzigkeit zu lehren; zeige es jetzt! Wenn du bist, wie Petrus und Paulus dich schildern, so rette Lygia für mich, nimm sie in deine Arme und entreiße sie den Flammen! Du vermagst es! Gib sie mir, und ich will dir mein Blut geben. Und wenn du es meinetwegen nicht tun willst, so tu es ihretwegen! Sie liebt dich und vertraut auf dich! Du verheißest Leben nach dem Tode und Seligkeit, und diese Seligkeit nach dem Tode soll ewig dauern. Aber Lygia wünscht [52] noch nicht zu sterben. Schenke ihr das Leben. Nimm sie auf deine Arme und trage sie aus Rom. Du vermagst es, wenn du es willst!«

Er schwieg, denn er fühlte, sein weiteres Gebet könne in eine Drohung übergehen, und er fürchtete sich, die Gottheit in dem Augenblicke zu beleidigen, in dem er ihres Erbarmens und ihrer Gnade am meisten bedurfte. Er erschrak bei dem bloßen Gedanken daran, und um in seinem Innern auch nicht den Schatten einer Drohung aufkommen zu lassen, begann er von neuem mit der Peitsche auf sein Pferd einzuhauen, um so mehr, als er schon die weißen Mauern von Aricia, das in der Mitte des Weges nach Rom lag, im Mondlicht vor sich auftauchen sah. Nach einiger Zeit jagte er im vollen Rosseslauf am Merkurtempel vorbei, der in einem Haine vor der Stadt lag. Augenscheinlich war das Unglück hier schon bekannt geworden, denn es herrschte vor dem Tempel eine ungewöhnliche Bewegung. Vinicius erblickte im Vorbeireiten auf den Stufen und zwischen den Säulen von Fackeln beleuchtet eine Menge Menschen, die sich unter den Schutz des Gottes stellten. Die Straße war nun nicht mehr so menschenleer und frei wie jenseit Ardeas. Zwar eilte das Volk auf Nebenwegen zum Haine, aber es standen auch auf der Landstraße Gruppen, die dem vorbeisprengenden Reiter schleunig auswichen. Aus der Stadt drang lautes Geschrei. Vinicius raste wie ein Sturmwind durch Aricia und ritt mehrere Menschen um. Rings um ihn ertönten die Rufe: »Rom brennt! Die Stadt steht in Flammen! Götter, rettet Rom!«

Das Pferd strauchelte, aber Vinicius riß es mit starker Hand empor und hielt in kurzer Zeit vor der Herberge, wo er ein anderes zum Wechseln eingestellt hatte. Die Sklaven standen wie in Erwartung der Ankunft ihres Herrn vor dem Gasthause und stürzten auf seinen Befehl in den Stall, um ein frisches Pferd zu holen. Vinicius, der jetzt eine Abteilung von zehn berittenen Prätorianern, die augenscheinlich Nachrichten aus der Stadt nach Antium zu überbringen hatten, [53] bemerkte, eilte auf sie zu und fragte: »Welcher Stadtteil steht in Flammen?«

»Wer bist du?« fragte der Decurio.

»Der Kriegstribun und Augustianer Vinicius! Antworte, bei deinem Kopfe!«

»Das Feuer brach in den Kramläden beim Circus Maximus aus, Herr. Als wir den Befehl erhielten, fortzureiten, stand schon das Zentrum der Stadt in Flammen.«

»Und das Viertel jenseit des Tiber?«

»Als wir abritten, war das Feuer noch nicht bis dahin vorgedrungen; es ergreift aber mit unwiderstehlicher Gewalt immer neue Stadtteile. Die Menschen kommen vor Hitze und Rauch um, und jede Rettung ist unmöglich.«

In diesem Augenblick brachten die Sklaven das frische Pferd. Der junge Tribun schwang sich auf und sprengte weiter.

Er ritt jetzt auf Albanum zu, Albalonga und seinen herrlichen See zur Rechten lassend. Die Straße von Aricia lief am Fuße des Gebirgszuges hin, der den ganzen Horizont abschloß und auf der anderen Seite von Albanum lag. Vinicius wußte jedoch, daß er von der Höhe nicht nur Bovillae und Ustrinum, wo frische Pferde auf ihn warteten, sondern auch Rom erblicken konnte, denn jenseit Albanums dehnte sich zu beiden Seiten der Via Appia die flache, ebene Campania aus, auf der sich nur die Bogen der Aquädukte nach der Stadt hinzogen und nichts die Aussicht behinderte.

»Von der Höhe aus werde ich das Feuer sehen,« sagte er zu sich.

Und er begann von neuem mit der Peitsche auf das Pferd einzuhauen.

Bevor er aber die Höhe des Gebirgszuges erreichte, wehte ihm der Wind entgegen und mit diesem zugleich spürte er den Brandgeruch.

Zugleich begann der Kamm des Gebirges hell zu werden.

»Das Feuer!« dachte Vinicius.

Die Nacht war schon längst vorüber, die Dämmerung in [54] das helle Tageslicht übergegangen, und auf allen benachbarten Gipfeln lag ein goldener und rosiger Schimmer, der sowohl vom Brande wie von der Morgenröte herrühren konnte. Vinicius sprengte auf die Höhe, und dort bot sich seinen Augen ein furchtbarer Anblick.

Die ganze Ebene war mit Rauchmassen bedeckt, die gleichsam eine einzige, riesige, unmittelbar auf der Erde ruhende Wolke bildete und Städte, Aquädukte, Villen, Gebüsche umhüllte; am Ende diese grauen, gräßlichen Fläche brannte die Stadt der sieben Hügel.

Die Flammen hatten nicht die Gestalt einer feurigen Säule, wie beim Brande eines einzeln stehenden, wenn auch noch so umfangreichen Gebäudes. Es war mehr ein langgestreckter Streifen, ähnlich wie bei der Morgenröte.

Über diesem Streifen erhob sich eine Rauchmasse, stellenweise ganz schwarz, stellenweise rosig oder blutrot glühend, hier in sich zusammengepreßt, dort aufgebläht, dort dicht und gekrümmt wie eine sich windende und dehnende Schlange. Diese ungeheuere Rauchmasse schien zuweilen selbst den Feuerstreifen überziehen zu wollen, so daß er schmal wurde wie ein Band; dann aber beleuchtete die Flamme sie wieder von unten und verwandelte die zunächst liegende Schicht in feurige Wogen. Beide Erscheinungen reichten rings um den Horizont herum und verhüllten ihn, wie es zuweilen eine ausgedehnte Waldstrecke tut. Die Sabinerberge waren überhaupt unsichtbar.

Vinicius kam es im ersten Augenblick vor, als brenne nicht nur die Stadt, sondern die ganze Welt und als könne sich kein lebendes Wesen aus diesem Rauch- und Flammenmeer retten.

Der Wind wehte immer stärker aus der Richtung des Feuers her und brachte den Geruch verbrannter Gegenstände und einen Rauch mit sich, der selbst die näherliegende Gegend einhüllte. Es war heller Tag geworden, und die Sonne beleuchtete die den Albanersee umgebenden Bergesgipfel. Aber [55] ihre goldglänzenden Morgenstrahlen erschienen infolge des Rauches heute kupferfarbig. Vinicius ritt nach Albanum hinab und gelangte in immer dichteren und immer undurchsichtigeren Rauch hinein. Das Städtchen selbst lag vollständig darin vergraben. Die geängstigten Bewohner hatten sich auf die Straßen geflüchtet, und schrecklich war der Gedanke daran, wie es in Rom sein müsse, wenn schon hier das Atmen schwer wurde.

Wiederum erfaßte Vinicius die Verzweiflung, und vor Entsetzen sträubten sich ihm die Haare auf dem Kopfe. Aber er versuchte sich so viel wie möglich aufzuraffen. »Es ist unmöglich,« sagte er sich, »daß die ganze Stadt zugleich angefangen hat zu brennen. Der Wind kommt von Norden und treibt den Rauch nur nach dieser Richtung. Auf der anderen Seite ist keiner. Das Viertel jenseit des Tiber, das durch den Fluß von der übrigen Stadt getrennt ist, ist vielleicht ganz verschont geblieben; aber in jedem Falle wird Ursus genug zu tun haben, wenn er mit Lygia durch das Tor am Janiculus gelangen will, um der Gefahr zu entgehen. Ebenso unmöglich ist es, daß die gesamte Bevölkerung umkomme und daß die Stadt, welche die ganze Welt beherrscht, zugleich mit ihren Bewohnern vom Angesichte der Erde verschwinde. Selbst in eroberten Städten, wo Feuer und Schwert zusammen wüten, bleibt immer eine gewisse Zahl der Einwohner am Leben, warum sollte also Lygia durchaus umkommen? Wacht nicht Gott über sie, der selbst den Tod überwunden hat?« Indem er so zu sich sprach, begann er von neuem zu beten und nach seiner feststehenden Gewohnheit Christus große Gelübde zu tun sowie ihm Gaben und Opfer anzubieten. Als er Albanum, dessen gesamte Bevölkerung auf Dächern und Bäumen saß, um nach Rom hinzusehen, im Rücken hatte, beruhigte er sich einigermaßen und gewann seine Kaltblütigkeit wieder. Er erinnerte sich auch, daß Lygia nicht nur unter Ursus' und Linus' Schutze stehe, sondern auch unter dem des Apostels Petrus. Schon bei dem Gedanken [56] zog neue Zuversicht in sein Herz ein. Petrus war für ihn ein unbegreifliches, fast übermenschliches Wesen. Seitdem er ihn im Ostrianum gehört hatte, war ihm der wunderbare Eindruck verblieben, von dem er zu Anfang seines Aufenthalts in Antium an Lygia geschrieben hatte, daß jedes Wort des Greises wahr sei oder sich bewahrheiten müsse. Die nähere Bekanntschaft mit dem Apostel zur Zeit seiner Krankheit hatte diesen Eindruck noch verstärkt, der sich später in unverbrüchlichen Glauben verwandelte. Da Petrus seine Liebe gesegnet und ihm Lygia verheißen hatte, so konnte diese letztere nicht in den Flammen umkommen. Die Stadt konnte verbrennen, aber kein Funke würde auf ihr Gewand fallen. Unter dem Einflusse der schlaflosen Nacht, des tollen Rittes und der Aufregung geriet Vinicius in einen Zustand wunderbarer Exaltation, in der ihm alles möglich erschien; Petrus würde die Flammen besprechen, sie mit einem Worte öffnen und Lygia unbeschädigt durch diese Feuerstraße weggeleiten. Petrus sah zudem künftige Ereignisse voraus; daher hatte er unzweifelhaft auch diesen Brand vorhergesehen, und wie wäre es in diesem Falle möglich gewesen, daß er die Christen nicht gewarnt und aus der Stadt geleitet hätte und unter ihnen auch Lygia, die er liebte wie sein eigenes Kind? Immer stärker begann die Hoffnung in Vinicius' Herz einzuziehen. Er dachte daran, daß, wenn sie geflohen seien, er sie in Bovillae treffen oder ihnen auf der Landstraße begegnen könne. Jeden Augenblick konnte das geliebte Antlitz aus dem Rauche auftauchen, der sich immer dichter über die ganze Campania legte.

Es kam ihm dies um so wahrscheinlicher vor, als ihm jetzt immer mehr Menschen auf der Straße entgegenkamen, die die Stadt verlassen hatten und nach den Albanerbergen eilten, um, da sie dem Feuer entkommen waren, nun auch dem Rauche zu entrinnen. Ehe er Ustrinum erreichte, mußte er wegen der Belebtheit der Straße die Schnelligkeit seines Pferdes mäßigen. Neben Fußgängern mit Bündeln auf dem[57] Rücken begegnete er bepackten Pferden, Maultieren, hochbeladenen Wagen und endlich Sänften, in denen Sklaven die reicheren Bürger trugen. Ustrinum war mit Flüchtlingen aus Rom so überfüllt, daß es schwer hielt, durch die Menschenmenge hindurchzukommen. Auf dem Marktplatz, unter den Säulen der Tempel und auf den Straßen drängten sich Scharen von Flüchtigen zusammen. Hier und da begann man Zelte aufzuschlagen, unter denen ganze Familien Obdach fanden. Andere ließen sich unter freiem Himmel nieder, schreiend, die Götter anrufend oder ihr Schicksal verfluchend. Es war bei dem allgemeinen Entsetzen schwer, etwas zu erfahren. Leute, an die sich Vinicius mit einer Frage wandte, gaben entweder gar keine Antwort oder sahen ihn mit halbverstörten Blicken an und erwiderten, daß Rom und die Welt untergingen. Jeden Augenblick kamen neue Scharen Männer, Weiber und Kinder aus Rom und vermehrten die Unordnung und den Lärm. Einige, die sich in der Menge verirrt hatten, suchten verzweiflungsvoll ihre Angehörigen. Andere schlugen sich um einen Lagerplatz. Scharen halbwilder Hirten aus der Campania drängten sich in das Städtchen, um Nachrichten einzuholen oder sich durch Diebstähle zu bereichern, was bei der Verwirrung ziemlich leicht war. Hier und dort überfielen Scharen von Sklaven aller Nationalitäten und Gladiatoren die Häuser und Villen der Stadt und schlugen sich mit den zum Schutze der Bürger abkommandierten Truppen.

Der Senator Junius, den Vinicius vor dem Gasthause, umgeben von einer Anzahl batavischer Sklaven, bemerkte, war der erste, der ihm etwas Genaueres von dem Brande Roms berichten konnte. Das Feuer war tatsächlich beim Circus Maximus entstanden, in jenem Teile, der zwischen dem Palatin und dem Mons Caelius liegt, hatte sich aber mit unbegreiflicher Schnelligkeit ausgebreitet, so daß es das ganze Zentrum der Stadt ergriffen hatte. Niemals seit Brennus' Zeit hatte die Stadt ein so entsetzliches Unglück betroffen. »Der Zirkus ist vollständig niedergebrannt, ebenso die benachbarten [58] Buden und Häuser,« erzählte Junius, »der Aventin und Caelius stehen in Flammen. Das Feuer hat den Palatin erreicht und sich bis zu den Carinae ausgedehnt.«

Junius, der in den Carinae eine prächtige mit Kunstwerken aller Art angefüllte »Insula« besaß, nahm bei diesen Worten eine Handvoll schmutzigen Staubes, streute sie sich aufs Haupt und seufzte verzweifelt.

Vinicius faßte ihn am Arme.

»Auch mein Haus liegt an den Carinae,« sagte er, »da aber alles zugrunde geht, mag es auch zugrunde gehen.«

Dann fragte er, weil es ihm einfiel, Lygia könne, wie er ihr geraten habe, möglicherweise zu Aulus gegangen sein: »Und der Vicus Patricius?«

»Steht in Flammen!« erwiderte Junius.

»Und das Viertel jenseit des Tiber?«

Junius betrachtete ihn mit Erstaunen.

»Das kümmert uns wenig,« sagte er, mit den Händen seine schmerzenden Schläfen zusammenpressend.

»Für mich ist diese Stadtteil wichtiger als ganz Rom,« rief Vinicius heftig.

»Du kannst nur durch die Via Portuensis hingelangen, denn beim Aventin erstickst du vor Hitze ... Der Stadtteil jenseit des Tiber? ... Ich weiß nichts davon. Das Feuer konnte ihn noch nicht erreicht haben, ob es aber jetzt noch nicht bis dorthin gedrungen ist, wissen die Götter allein.«

Hier zauderte Junius einen Augenblick, dann sagte er leise: »Ich weiß, du wirst mich nicht verraten; daher sage ich dir, daß dies kein gewöhnlicher Brand ist. Der Zirkus durfte nicht gerettet werden ... Als die Häuser rings herum zu brennen anfingen, riefen tausende von Stimmen: Tod den Rettern! Leute liefen durch die Stadt und schleuderten brennende Fackeln in die Häuser .... Andererseits empört sich das Volk und ruft, die Stadt sei auf Befehl angezündet worden. Weiteres weiß ich nicht. Wehe der Stadt, wehe uns allen und namentlich mir! Was dort vorgeht, spricht[59] keine Menschenzunge aus. Die Bevölkerung kommt in den Flammen um oder erschlägt sich gegenseitig im Gedränge. Das Ende Roms ist gekommen!«

Und abermals wiederholte er: »Wehe! Wehe der Stadt und uns!« – aber Vinicius schwang sich auf sein Pferd und sprengte die Appische Straße entlang.

Aber jetzt glich sein Vorwärtskommen mehr einem Ringen inmitten des Stromes von Menschen und Wagen, der sich aus der Stadt ergoß. – Die von dem ungeheueren Brand erfaßte Stadt lag jetzt zum Greifen nahe vor Vinicius. – Aus dem Rauch- und Feuermeer schlug eine entsetzliche Hitze, und das Geschrei des Volkes konnte dem Knistern und Heulen der Flammen nicht Einhalt tun.

Dreiundvierzigstes Kapitel

Dreiundvierzigstes Kapitel.

Je mehr Vinicius sich der Stadt näherte, desto mehr überzeugte er sich, daß es leichter war, Rom zu erreichen, als bis zum Mittelpunkt der Stadt vorzudringen. Auf der Appischen Straße war es schwierig, durch das Menschengedränge hindurchzukommen. Häuser, Felder, Begräbnisstätten, Gärten und Tempel zu beiden Seiten waren in Lagerplätze verwandelt. Im Marstempel, der ganz in der Nähe der Porta Appia lag, hatte das Volk die Türen eingeschlagen, um im Inneren für die Nacht ein Obdach zu finden. Auf den Begräbnisplätzen wurden die größeren Denkmäler in Besitz genommen und Kämpfe um sie geführt, bei denen Blut floß. Ustrinum mit seinem Durcheinander bot kaum einen leichten Vorgeschmack von dem, was innerhalb der Mauern der Stadt selbst vorging. Jede Rücksicht auf Gesetz, Recht, Billigkeit, Familienbande, gesellschaftlichen Rang hatte aufgehört. Man sah Sklaven Bürger mit Stöcken schlagen; Gladiatoren, trunken vom Wein, den sie im Emporium geraubt hatten, rotteten sich zu ganzen Haufen zusammen, rannten unter wildem Gebrüll auf den an der Straße liegenden [60] Plätzen umher, trieben die Leute auseinander, traten sie mit Füßen und plünderten sie aus. Eine Menge Barbaren, die in der Stadt zum Verkauf standen, war aus den Schuppen entwichen. Für sie bedeutete der Brand und der Untergang der Stadt zugleich das Ende der Knechtschaft und den Beginn der Rache. Während die ansässige Bevölkerung, welche ihre gesamte Habe in den Flammen verloren hatte, verzweiflungsvoll die Arme zu den Göttern emporstreckte und um Rettung flehte, stürzten diese Horden mit Freudengeheul unter sie, rissen ihnen die Kleider vom Leibe und schleppten jüngere Frauen mit sich fort. Zu ihnen gesellten sich Sklaven, die schon lange Zeit in Rom gedient hatten, Bettler, die außer einem wollenen Gürtel um die Lenden nichts auf dem Leibe hatten, schreckliche Gestalten aus den Hintergäßchen, die man bei Tage fast nie auf den Straßen gesehen hatte und an deren Vorhandensein in Rom schwer zu glauben war. Diese Bande, aus Asiaten, Afrikanern, Griechen, Thrakern, Germanen und Britanniern bestehend, raste, in allen Sprachen der Erde heulend, in wilder Ausgelassenheit umher und hielt die Stunde für gekommen, in der sie sich für die Leiden und das Elend langer Jahre entschädigen konnten. Mitten unter dieser hin und her flutenden Menschenmenge glänzten im Scheine der Sonne und des Feuers die Helme der Prätorianer, unter deren Schutz sich der friedfertigere Teil der Bevölkerung geflüchtet hatte und die an vielen Punkten fortwährend Kämpfe mit der rasenden Menge zu bestehen hatten. Vinicius hatte in seinem Leben schon viele eroberte Städte gesehen, aber niemals hatte sich seinen Augen ein solches Schauspiel geboten, in dem sich Verzweiflung, Tränen, Schmerz, Jammern, wilde Freude, Raserei, Tollheit und Zügellosigkeit zu einem solchen unermeßlichen Chaos vereinigten. Zu Häupten diese in wildem Durcheinander hin- und herwogenden Menschenmenge loderte das Feuer empor, flammte auf den Hügeln der größten Stadt der Welt, hauchte die sich drängenden Menschen mit seinem glühenden Atem an [61] und umhüllte sie mit Rauchmassen, vor denen der blaue Himmel nicht mehr zu sehen war. Mit Aufbietung aller Kraft und jeden Augenblick sein Leben aufs Spiel setzend, gelangte der junge Tribun endlich bis zum Appischen Tore; hier aber bemerkte er, daß es nicht allein infolge des Gedränges, sondern auch infolge der gräßlichen Hitze, vor der die ganze Luft jenseit des Tores zitterte, unmöglich war, von der Porta Capena aus das Innere der Stadt zu erreichen. Außerdem war die Brücke bei der Porta Trigenia gegenüber dem Tempel der Bona Dea noch nicht vorhanden; wer also über den Tiber wollte, mußte sich bis zur Sublicischen Brücke begeben, das heißt den ganzen Aventin umgehen und somit durch einen Stadtteil dringen, der jetzt ein Feuermeer zu sein schien. Dies war völlig unmöglich. Vinicius sah ein, daß er in der Richtung auf Ustrinum umkehren, hier von der Appischen Straße abbiegen, den Fluß unterhalb der Stadt überschreiten und die Via Portuensis zu erreichen suchen müsse, die geradeswegs nach dem Viertel jenseit des Tibers führte. Es war dies infolge des immer zunehmenden Wirrwarrs, der auf der Appischen Straße herrschte, nichts Leichtes. Es wäre notwendig gewesen, sich mit dem Schwerte den Weg zu bahnen, aber Vinicius hatte keine Waffen, denn er war aus Antium so fortgeritten, wie ihn die Nachricht von dem Brande in der Villa des Caesars getroffen hatte. Vor dem Merkurtempel bemerkte er jedoch einen ihm bekannten Centurio von den Prätorianern, der an der Spitze eines kleinen Trupps Soldaten die Vorhalle des Heiligtums verteidigte, und befahl ihm, ihn zu begleiten. Dieser erkannte den Tribun und Augustianer und wagte nicht, sich dem Befehle zu widersetzen.

Vinicius übernahm selbst den Befehl über die Abteilung und vergaß für den Augenblick Paulus' Lehre von der Nächstenliebe, indem er durch das Gedränge mit einer Eile ritt, die manchem verderblich wurde, der sich nicht beizeiten rettete. Flüche und ein Hagel von Steinen folgten ihnen. [62] Er achtete jedoch nicht darauf und suchte sobald wie möglich weniger belebte Straßen zu erreichen. Es war jedoch nur mit der Aufbietung aller Kraft möglich, vorwärts zu kommen. Die Menschen, die sich schon ein Nachtlager zurechtgemacht hatten, wollten den Soldaten nicht aus dem Wege gehen und verwünschten den Caesar und die Prätorianer. An einigen Punkten nahm die Menge eine drohende Haltung an. An Vinicius' Ohr drangen Stimmen, die Nero der Brandstiftung beschuldigten und Todesdrohungen gegen ihn und Poppaea ausstießen. Die Rufe: »Sannio!« »histrio!« (Hanswurst, Schauspieler) »Muttermörder« schwirrten durch die Luft. Einige schrien, man solle ihn in den Tiber werfen, andere, Roms Geduld sei erschöpft. Es war augenscheinlich, daß diese Drohungen nahe daran waren, in offene Empörung überzugehen, die, wenn sich ein Führer fand, jeden Augenblick ausbrechen konnte. Inzwischen wandte sich die Wut und Verzweiflung der Menge gegen die Prätorianer, die auch schon deswegen nicht rasch vorwärtskommen konnten, weil die Straßen mit ganzen Bergen von aus dem Brande geretteten Gegenständen bedeckt war: Kisten und Fässer mit Lebensmitteln, kostbaren Möbeln, Vasen, Kinderwiegen, Betten, Wagen und tragbaren Gegenständen. Hier und da kam es zum Handgemenge, aber die Prätorianer wurden bald mit der waffenlosen Menge fertig. Nachdem sie mit Mühe die Via Latina, Numicia, Ardeatina, Lavinia, Ostiensis durchritten hatten, an Villen, Gärten, Begräbnisplätzen und Tempeln vorbei, erreichte Vinicius endlich einen kleinen Ort, Vicus Alexandri genannt, wo er den Tiber überschritt. Es war dort menschenleerer, und die Luft war weniger mit Rauch erfüllt. Von Flüchtlingen, an denen es jedoch auch hier nicht fehlte, erfuhr er, daß nur wenige Straßen jenseit des Tibers von den Flammen ergriffen worden seien, daß aber nichts dem Feuer Einhalt tun könne, da Leute durch die Straßen eilten, die es absichtlich weitertrügen und sich jedem Rettungsversuch mit Gewalt widersetzten, wobei sie erklärten, sie handelten [63] auf höheren Befehl. Der junge Tribun hegte jetzt nicht mehr den mindesten Zweifel daran, daß der Caesar wirklich den Befehl gegeben habe, Rom in Brand zu stecken, und die Rache, nach der das Volk schrie, erschien ihm recht und billig. Was hätte Mithridates oder sonst einer der erbittertsten Feinde Roms Schlimmeres tun können? Das Maß war übervoll, Neros Wahnwitz hatte eine zu erschreckende Höhe erreicht, und das Leben unter ihm war zur Unmöglichkeit geworden. Vinicius glaubte auch, Neros Stunde habe geschlagen und die Trümmer, in die die Stadt fiel, müßten das possenreißende Scheusal samt all seinen Verbrechen mit unter dem Schutt begraben. Wenn sich ein Mann fände, der kühn genug wäre, sich an die Spitze des verzweifelten Volkes zu stellen, so könnte sich Neros Schicksal möglicherweise im Verlaufe weniger Stunden erfüllen. Verwegene Rachegedanken schossen Vinicius durch den Kopf. Wenn er dieses Wagnis unternähme? Das Haus der Vinicier, das bis in die jüngsten Zeiten eine ganze Reihe von Konsuln unter seinen Mitgliedern zählte, war in ganz Rom bekannt. Das Volk brauchte nur einen Namen. Schon einmal wäre es aus Anlaß der Hinrichtung der vierhundert Sklaven des Präfekten Pedanius Secundus beinahe zum Aufstande und Bürgerkriege gekommen – was würde da erst jetzt geschehen angesichts des entsetzlichen Unglücks, das furchtbarer war als alles Unheil, das Rom im Laufe von acht Jahrhunderten getroffen hatte? Wer jetzt die Quiriten zu den Waffen riefe, dachte Vinicius, würde unzweifelhaft Nero stürzen und sich selbst mit dem Purpur bekleiden. Und warum sollte er dies nicht tun? Er war mutiger, tatkräftiger, jünger als die übrigen Augustianer ... Nero befehligte allerdings dreißig Legionen, die an den Grenzen des Reiches standen; aber würden sich nicht auch diese Legionen samt ihren Anführern bei der Kunde vom Brande Roms und seiner Tempel empören? ... In diesem Falle könnte er, Vinicius, Caesar werden. Man flüsterte sich sogar unter den Augustianern [64] zu, ein Wahrsager habe Otho den Purpur prophezeit? Worin war er schlechter als dieser? Vielleicht würde ihm auch Christus seine göttliche Hilfe angedeihen lassen, vielleicht hatte er ihm diesen Gedanken eingegeben. »O wäre es so!« wünschte er in seinem Innern. Er würde dann Lygias Gefahr und seine eigene Angst an Nero rächen, er würde ein Reich der Gerechtigkeit und Wahrheit begründen, die Lehre Christi bis zu den Ufern des Euphrat und den nebligen Gestaden Britanniens ausbreiten, er würde gleichzeitig Lygia in Purpur kleiden und sie zur Herrscherin der Welt machen.

Aber diese Gedanken, die aus seinem Kopfe wie Funken aus einem brennenden Hause geflogen waren, verloschen auch wie Funken. Vor allem galt es, Lygia zu retten. Er sah jetzt das Unglück in der Nähe; wiederum ergriff ihn Bangen, und angesichts dieses Feuer- und Rauchmeeres, angesichts dieser grauenhaften Wirklichkeit, die ihm jetzt erst voll zum Bewußtsein kam, erstarb jene Zuversicht, mit der er geglaubt hatte, der Apostel Petrus habe Lygia gerettet, völlig in seinem Herzen. Abermals erfaßte ihn die Verzweiflung, und als er die Via Portuensis, die geradeswegs zu dem Viertel jenseit des Tiber führte, erreicht hatte, kam er erst beim Tore wieder zur Besinnung, wo ihm wiederholt wurde, was er schon vorher von den Flüchtlingen gehört hatte, daß der größte Teil dieser Stadtgegend noch nicht in Flammen stehe, daß sich das Feuer aber schon an mehreren Stellen über den Fluß verbreitet habe.

Trotzdem war der Stadtteil voller Rauch, und auf den Straßen drängten sich die Menschen; dadurch wurde das Vorwärtskommen um so schwieriger, als die Bewohner mehr Zeit hatten und infolgedessen auch mehr Gegenstände fortschafften und retteten. Selbst die Hauptstraße, die vom Tore ins Innere führte, war an vielen Stellen mit Haus rat vollgestopft, und in der Nähe der Naumachia Augusti waren ganze Berge davon aufgestapelt. Die engeren Straßen, in[65] denen sich der Rauch dichter angehäuft hatte, waren gar nicht zu passieren. Die Bewohner verließen sie zu tausenden. Vinicius erblickte ergreifende Szenen auf der Straße. Öfters stießen zwei Ströme von Menschen, die von entgegengesetzten Seiten kamen, in einer engen Gasse aufeinander, brachten einander zum Stehen und bekämpften sich auf Tod und Leben. Die Leute schlugen aufeinander los und traten sich gegenseitig mit Füßen. Familien kamen in dem Gedränge auseinander; Mütter riefen verzweifelt nach ihren Kindern. Vinicius sträubten sich die Haare bei dem Gedanken daran, was für Auftritte sich erst in größerer Nähe des Feuers ereignen müßten. Inmitten des tosenden Lärms hielt es schwer, sich nach etwas zu erkundigen oder zugerufene Worte zu verstehen. Zuweilen wälzten sich von dem anderen Flußufer neue Wolken schwarzen und so dichten Rauches herüber, daß sie fast am Boden hintrieben und Häuser, Menschen und alle Gegenstände wie in nächtliches Dunkel hüllten. Aber der Wind zerstreute die Hitze, und dann konnte Vinicius weiter in der Richtung auf die Straße zu vordringen, in der Linus wohnte. Die Hitze des Julitages, die noch durch die dem brennenden Stadtteile entströmende Glut gesteigert wurde, war unerträglich. Der Rauch beizte die Augen und benahm der Brust den Atem. Selbst wer in der Hoffnung, das Feuer werde nicht über den Fluß kommen, in seinem Hause geblieben war, begann jetzt zu flüchten, und das Gedränge wurde von Stunde zu Stunde dichter. Die Vinicius begleitenden Prätorianer blieben nach und nach zurück. Im Gedränge schlug jemand mit dem Hammer nach dem Pferde des jungen Tribuns, das den blutenden Kopf zurückwarf, sich bäumte und dem Reiter den Gehorsam verweigerte. Auch erkannte man an der reichen Tunika den Augustianer, und sofort ließ sich ringsumher der Ruf vernehmen: »Nieder mit Nero und seinen Mordbrennern!« In diesem Augenblick war die Gefahr groß, denn zahllose Hände griffen nach Vinicius, aber sein scheu gewordenes Pferd [66] sprengte mit ihm davon und riß einige der Umstehenden zu Boden, während zugleich eine neue Wolke schwarzen, erstickenden Qualms die Straße in Dunkelheit hüllte. Vinicius sah ein, daß er so nicht vorwärts kam; er sprang endlich vom Pferde und eilte zu Fuß weiter, sich nahe an den Mauern der Häuser haltend und mitunter wartend, bis sich die Flüchtlinge verlaufen hatten. Im Innern sagte er sich, daß alle Mühe vergeblich sei. Lygia war vielleicht gar nicht mehr in der Stadt und hatte sich vielleicht durch die Flucht gerettet; es wäre leichter, eine Nadel am Meeresufer zu finden, als sie in diesem chaotischen Gewühle. Dennoch wollte er selbst um den Preis seines Lebens bis zu Linus' Hause vordringen. Manchmal blieb er stehen und rieb sich die Augen. Er riß ein Stück von seiner Tunika ab, verstopfte sich damit Nase und Mund und eilte weiter. Je mehr er sich dem Flusse näherte, desto furchtbarer wurde die Glut. Vinicius, der wußte, daß der Brand am Circus Maximus ausgebrochen war, glaubte anfangs, diese Hitze komme aus jener Gegend sowie vom Forum Boarium und vom Velabrum her, die in der Nähe lagen und daher ebenfalls von den Flammen ergriffen sein mußten. Aber die Hitze war unerträglich. Ein Flüchtender, der letzte, den Vinicius bemerkte, ein Greis auf Krücken, rief ihm zu: »Gehe ja nicht auf die Brücke des Cestius! Die ganze Insel steht in Flammen.« Es war keine Selbsttäuschung mehr möglich. Als der junge Tribun in den Vicus Judaeaus einbog, in dem Linus' Haus lag, sah er Flammen aus den Rauchwolken emporschlagen: es brannte nicht nur die ganze Insel, sondern auch das Viertel jenseit des Tiber, wenigstens ein Teil der Straße, in dem Lygia wohnte.

Vinicius erinnerte sich jedoch, daß Linus' Haus von einem Garten umgeben war, jenseits dessen nach dem Tiber zu ein nicht allzu ausgedehnter, unbebauter Platz lag. Dieser Gedanke gewährte ihm einigen Trost. Das Feuer konnte vielleicht auf dem leeren Felde zum Stehen gekommen sein. [67] In dieser Hoffnung eilte er weiter, obgleich jeder Luftzug ihm nicht nur Rauch, sondern auch tausende von Funken entgegentrieb, die den Brand nach dem anderen Ende der Straße tragen und ihm den Rückweg abschneiden konnten.

Endlich jedoch erblickte er durch den Rauch hindurch die Zypressen in Linus' Garten. Die Häuser auf der anderen Seite des unbebauten Feldes brannten schon lichterloh, aber Linus' kleine Insula stand noch unversehrt da. Vinicius blickte dankbar zum Himmel empor und stürzte darauf zu, obgleich ihn schon die Luft zu versengen drohte. Die Tür war verschlossen; er sprengte sie jedoch und trat in das Innere.

Im Garten war kein lebendes Wesen zu entdecken, und auch das Haus schien gleichfalls völlig leer zu sein.

»Vielleicht sind sie vor Rauch und Glut ohnmächtig geworden,« dachte Vinicius.

Er begann zu rufen: »Lygia, Lygia!«

Niemand antwortete. In der Stille hörte man das Prasseln des Feuers in der Ferne.

»Lygia!«

Mit einem Male drang jenes unheimliche Gebrüll an seine Ohren, das er schon einmal in diesem Garten gehört hatte. Auf der benachbarten Insel war offenbar das nicht weit vom Äskulaptempel gelegene Vivarium in Brand geraten, in dem die größeren Raubtiere, namentlich die Löwen, ihr Schreckensgebrüll erhoben. Vinicius überlief ein Schauder von Kopf zu Fuß. Schon zum zweitenmal, in einem Augenblicke, wo sein ganzes Wesen in dem Gedanken an Lygia aufging, ließen sich die furchtbaren Stimmen vernehmen, als seien sie eine Ankündigung eines Unglücks, eine wunderbare Prophezeiung einer unheilvollen Zukunft.

Es war dies jedoch nur ein kurzer, augenblicklicher Eindruck, das Heulen des Brandes, das noch schrecklicher war als das Brüllen der wilden Tiere, gab seinen Gedanken eine andere Richtung. Lygia antwortete zwar nicht auf sein Rufen, [68] aber sie konnte sich doch in diesem gefährdeten Gebäude befinden, vor Rauch ohnmächtig oder dem Ersticken nahe. Vinicius stürzte in das Innere des Hauses. Das kleine Atrium war leer, aber dunkel vor Rauch. Mit den Händen nach der Tür tastend, die zu den Schlafräumen führte, erblickte er das flackernde Flämmchen einer kleinen Lampe und erkannte beim Nähertreten das Lararium, in dem statt der Laren ein Kreuz stand. Zu Füßen dieses Kreuzes brannte eine Kerze. Durch den Kopf des jungen Katechumenen schoß mit Blitzesschnelle der Gedanke, jenes Kreuz zeige ihm das Licht, bei dem er Lygia finden werde; er nahm daher die Kerze und begann die Schlafräume zu suchen. Als er das eine gefunden hatte, schob er den Vorhang beiseite, leuchtete mit der Kerze hinein und schaute sich um.

Es war jedoch niemand darin. Vinicius war überzeugt, Lygias Schlafzimmer vor sich zu haben, denn ihre Gewänder hingen mittels Haken an der Wand, und auf dem Bett lag das »Capitium,« das heißt ein enges Hemd, das die Frauen auf dem bloßen Leibe trugen. Vinicius ergriff es, preßte es an die Lippen, legte es über seinen Arm und setzte sein Suchen fort. Das Häuschen war klein, daher hatte er binnen kurzer Zeit alle Räume und selbst den Keller durchforscht. Aber nirgends war ein lebendes Wesen zu entdecken. Ganz augenscheinlich hatten Lygia, Linus und Ursus zugleich mit den übrigen Bewohnern des Stadtteils vor dem Brande flüchten müssen. »Ich muß sie unter der Menge in den Vororten suchen,« sagte sich Vinicius.

Er war nicht allzu erstaunt darüber, daß er ihnen nicht auf der Via Portuensis begegnet sei, denn sie konnten den Stadtteil auf der engegengesetzten Seite in der Richtung nach dem Vatikanischen Hügel verlassen haben. Auf jeden Fall waren sie in Sicherheit, wenigstens vor dem Feuer. Vinicius fiel ein Stein vom Herzen. Zwar hatte er gesehen, mit wie fürchterlichen Gefahren auch die Flucht verknüpft war, aber der Gedanke an Ursus' übermenschliche Stärke gewährte ihm [69] einige Beruhigung. »Jetzt muß auch ich von hier fliehen,« sprach er zu sich selbst, »und mich durch die Gärten des Domitius nach denen der Agrippina begeben. Dort werde ich sie finden. Der Rauch ist dort nicht so schrecklich, weil der Wind von den Sabinerhügeln herüberweht.«

Es war auch höchste Zeit für ihn, an seine eigene Rettung zu denken, denn die Feuerwogen wälzten sich immer näher von der Insel her heran, und die Rauchwolken hüllten die Straße fast in völlige Finsternis. Die Kerze, die er aus dem Hause mitgenommen hatte, erlosch im Luftzuge. Vinicius trat auf die Straße und eilte, so rasch er konnte, der Via Portuensis zu, nach derselben Richtung, aus der er gekommen war. Das Feuer schien ihm seinen glühenden Atem nachzusenden, indem es ihn bald in immer neue Rauchwolken einhüllte, bald mit Funken überschüttete, die ihm auf die Haare, auf den Nacken und auf die Kleider fielen. Seine Tunika begann an mehreren Stellen zu glimmen; er achtete aber nicht darauf und eilte weiter, da er fürchtete, der Qualm könne ihn ersticken. Im Munde hatte er einen brandigen, rauchigen Geschmack, Kehle und Lungen brannten ihm wie Feuer. Das Blut stieg ihm zu Kopfe, so daß er zeitweilig alles rot sah und selbst der Rauch ihm gleichfalls rot erschien. Dann sagte er zu sich. »Das ist wie lebendiges Feuer! Besser, ich werfe mich zu Boden und ersticke.« Das Laufen fiel ihm immer schwerer und schwerer. Kopf, Hals und Schultern troffen ihm von Schweiß, der ihn wie siedendes Wasser brannte. Hätte er nicht Lygias Namen wiederholt, hätte er ihr Capitium nicht um seinen Mund geschlungen gehabt, so wäre er hingestürzt. Im nächsten Augenblick schon konnte er sich nicht mehr in den Straßen zurechtfinden, durch die er rannte. Allmählich verließ ihn das Bewußtsein, er dachte nur noch daran, daß er sich retten müsse, denn draußen vor dem Tore erwarte ihn Lygia, die ihm der Apostel Petrus verlobt hatte. Und mit einem Male ergriff ihn eine seltsame, halb schon fieberhafte, an die Phantasien eines Sterbenden [70] erinnernde Ahnung, daß er sie bestimmt wiederfinden, sich mit ihr vermählen und dann sofort sterben müsse.

Schon lief er wie betrunken, von einer Seite der Straße zur anderen taumelnd. Inzwischen hatte sich der ungeheure Brand, der die Riesenstadt verzehrte, etwas geändert. Alles, was bisher nur geschwelt hatte, bildete jetzt ein Flammenmeer, denn der Wind hatte aufgehört, den Rauch vor sich herzutreiben; im Gegenteil, der sich in den Straßen angesammelte Qualm wurde durch den rasenden Wirbel der glühenden Luft in die Höhe gerissen. Jener Wirbelwind führte Millionen von Funken mit sich, so daß Vinicius wie in einer Feuerwolke einherlief. Dafür konnte er seinen Weg um so besser erkennen, und gerade in dem Augenblicke, wo er zu Boden zu stürzen drohte, sah er das Ende der Straße vor sich. Dieser Anblick gab ihm neue Kraft. Wenn er um die Ecke biege, würde er sich auf der Straße befinden, die zur Via Portuensis und zum Codetafelde führte. Die Funken würden ihn hier nicht länger verfolgen. Er erkannte, daß, wenn er die Via Portuensis erreichen könne, er gerettet sei, und müßte er auch auf ihr zusammenbrechen.

Am Ende der Straße erblickte er von neuem eine Wolke, die ihm den Ausgang versperrte. »Wenn das Rauch ist,« dachte er, »so komme ich nicht hindurch.« Er lief mit dem Reste seiner Kraft weiter. Unterwegs warf er die Tunika von sich, die, von den Funken in Brand gesteckt, wie das Hemd des Nessos ihn zu brennen begann; er stürmte nackt dahin, nur das Capitium Lygias um Mund und Kopf geschlungen. Als er näher gekommen war, erkannte er, daß das, was er für Rauch gehalten hatte, eine Staubwolke war, aus der ihm menschliche Stimmen und Zurufe entgegentönten.

»Der Pöbel plündert die Häuser,« sprach er zu sich.

Er lief in der Richtung, aus der er die Stimmen gehört hatte, weiter. Es waren doch wenigstens Menschen, die ihm zu Hilfe kommen konnten. In dieser Hoffnung begann er, noch ehe er sie erreicht hatte, mit der vollen Kraft seiner [71] Stimme um Hilfe zu rufen. Dies war jedoch seine letzte Anstrengung; vor den Augen wurde es ihm noch röter, den Lungen ging der Atem aus, den Beinen die Kraft, und er stürzte zu Boden.

Er war jedoch gesehen oder vielmehr gehört worden; zwei Männer eilten ihm mit Wasserschläuchen zu Hilfe. Vinicius, der vor Erschöpfung zusammengebrochen war, aber das Bewußtsein nicht verloren hatte, griff mit beiden Händen nach dem Schlauch und leerte ihn bis zur Hälfte.

»Ich danke euch,« sagte er; »richtet mich auf; weitergehen kann ich dann allein.«

Der eine Arbeiter goß ihm Wasser über den Kopf, und beide richteten ihn in die Höhe, nahmen ihn dann aber auf, trugen ihn zu den übrigen, die in Scharen um ihn herumstanden, und fragten besorgt, ob er auch keinen ernstlichen Schaden davon getragen habe. Diese Teilnahme rührte Vinicius.

»Wer seid ihr, Leute?« fragte er.

»Wir reißen die Häuser nieder, damit das Feuer nicht auf die Via Portuensis übergreifen kann,« entgegnete einer der Arbeiter.

»Ihr kamt mir zu Hilfe, als ich zusammenbrach. Ich danke euch.«

»Wir dürfen niemand unsere Hilfe verweigern,« ließen sich mehrere Stimmen vernehmen.

Vinicius, der seit dem frühen Morgen nur rohe Banden, Mörder und Räuber gesehen hatte, betrachtete jetzt die Gesichter der Umstehenden aufmerksamer.

»Christus möge euch lohnen.«

»Sein Name sei hochgelobt!« entgegnete ein ganzer Chor von Stimmen.

»Linus? ...« fragte Vinicius.

Aber er konnte seine Frage nicht beenden und hörte auch die Antwort nicht mehr, denn er war vor Erregung und infolge der vorangehenden Anstrengungen in Ohnmacht gefallen. Er erwachte aus ihr erst wieder auf dem Cotedafelde in einem [72] Garten, wo einige Frauen und Männer um ihn herumstanden, und die ersten Worte, die er aussprach, waren: »Wo ist Linus?«

Nach einiger Zeit antwortete eine Stimme, die Vinicius bekannt vorkam: »Vor dem Nomentanischen Tore; er ist nach dem Ostrianum gegangen ... vor zwei Tagen ... Beruhige dich, Perserkönig.«

Vinicius erhob sich in sitzende Stellung und sah Chilon unerwartet vor sich.

Der Grieche aber fuhr fort: »Dein Haus, Herr, ist zweifellos verbrannt, denn die Carinae stehen in Flammen, aber du bist immer noch reich wie Midas. O was für ein Unglück! Die Christen, o Sohn des Serapis, haben es schon lange vorausgesagt, daß Rom durch Feuer untergehen werde .... Aber Linus befindet sich mit der Tochter Jupiters im Ostrianum .... O, welches Unglück für die Stadt!«

Vinicius wurde von neuem schwach.

»Hast du sie gesehen?« fragte er.

»Jawohl, Herr! ... Christus und alle Götter seien gepriesen, daß ich deine Wohltaten mit einer guten Nachricht vergelten kann. Aber ich werde dir noch besser vergelten, Osiris, das schwöre ich dir bei dem brennenden Rom hier!«

Auf der Straße war es dunkel geworden; doch im Garten war es hell wie am Tage, da der Brand noch immer an Ausdehnung zunahm. Es hatte den Anschein, als ständen jetzt nicht mehr einzelne Stadtteile, sondern die Stadt in ihrer ganzen Länge und Breite in Flammen. Der Himmel war gerötet, so weit das Auge reichte, und auf die Welt senkte sich purpurne Nacht nieder.

Vierundvierzigstes Kapitel

Vierundvierzigstes Kapitel.

Die Lohe der brennenden Stadt färbte den Himmel rot, so weit das Auge reichte. Hinter den Bergen stieg jetzt der Vollmond empor, der, von den Flammen beleuchtet, die Farbe glühenden Metalls annahm und mit Verwunderung auf den [73] Untergang der weltbeherrschenden Stadt niederzublicken schien. An dem rötlichen Himmelsgewölbe funkelten die Sterne ebenfalls in rötlichem Glanze, aber im Gegensatz zu den gewöhnlichen Nächten war diesmal die Erde heller als der Himmel. Rom beleuchtete gleich einem riesigen Scheiterhaufen die ganze Campania. In dem blutroten Lichte konnte man in der Ferne Berge, Städte, Villen, Tempel, Denkmäler und Aquädukte sehen, die sich von allen benachbarten Hügeln zur Stadt hinzogen, und auf den Aquädukten Scharen von Menschen, die sich hier, teils um der Gefahr zu entgehen, teils um den Brand zu beobachten, zusammengefunden hatten.

Mittlerweile ergriff das furchtbare Element immer neue Stadtteile. Es konnte kein Zweifel mehr daran sein, daß verbrecherische Hände das Feuer schürten, da immer neue Brände ausbrachen und zwar an Punkten, die von dem Hauptherde der Feuersbrunst weit entfernt waren. Von den Hügeln, auf denen Rom lag, ergossen sich die Flammen wie Meeresfluten in die Täler, die dicht mit fünf bis sechs Stockwerke hohen Häusern besetzt waren, und Läden, Buden, bewegliche hölzerne Amphitheater, die so gebaut waren, daß sie zu verschiedenen Schaustellungen benutzt werden konnten, ferner Lager von Holz, Oliven, Getreide, Nüssen, Pinienzapfen, von deren Kernen sich die arme Bevölkerung nährte, und von Kleidern, die von Zeit zu Zeit auf des Caesars Veranlassung unter den in den engen Straßen sich zusammendrängenden Pöbel verteilt wurden, enthielten. Da das Feuer hier eine Fülle brennbarer Materialien vorfand, erfolgte beinahe Ausbruch um Ausbruch, und die Flammen ergriffen mit unglaublicher Schnelligkeit ganze Straßen. Die außerhalb der Stadt Lagernden oder auf den Bogen der Wasserleitungen Stehenden konnten aus der Farbe der Flammen entnehmen, was brannte. Der rasende Wirbelsturm entführte zeitweilig mit seinem Feueratem tausende und Millionen von brennenden Nuß- und Mandelschalen, die sich gleich einer zahllosen Schar herrlicher Schmetterlinge plötzlich in die Luft erhoben, [74] hier knisternd zersprangen oder, vom Winde fortgetrieben, in anderen Stadtteilen, auf Wasserleitungen und die Felder vor der Stadt niederfielen. Jeder Gedanke an Rettung schien ausgeschlossen, die Verwirrung wurde immer größer; denn während einerseits die städtische Bevölkerung zu allen Toren hinausströmte, lockte andererseits der Brand tausende von Menschen aus der Umgebung, sowohl die Bewohner der kleinen Städte wie Bauern und halbwilde Hirten aus der Campania, nach Rom hinein, die zum Teil von der Hoffnung auf Beute beseelt waren.

Der Ruf: »Rom geht unter!« ertönte unaufhörlich von den Lippen der Menge, und der Untergang der Stadt bedeutete zu jener Zeit zugleich das Ende der Herrschaft und die Auflösung der Bande, die bisher das Volk zu einer Einheit verknüpft hatten. Der Menge des Volkes, die zum größten Teile aus Sklaven und Eingewanderten bestand, war die Herrscherstellung Roms gleichgültig; sein Untergang konnte im Gegenteil nur die Wirkung haben, sie von ihrer Knechtschaft freizumachen, und sie nahmen daher hier und da eine drohende Haltung ein. Gewalttätigkeiten und Diebstähle häuften sich immer mehr. – Es hatte den Anschein, als fessele nur noch der Anblick der brennenden Stadt die Aufmerksamkeit des Volkes und verhindere den Ausbruch der Metzelei, der aber sofort erfolgen werde, sobald die Stadt in Trümmern liege. Hunderttausende von Sklaven, die nicht bedachten, daß Rom außer den Tempeln und Mauern noch eine bedeutende Anzahl Legionen in allen Teilen der Erde besaß, schienen nur noch auf ein Losungswort und einen Anführer zu warten. Man fing an, sich an Spartacus zu erinnern, aber Spartacus war nicht mehr am Leben – dagegen begannen die Bürger sich mit dem, was ihnen unter die Hände kam, zu bewaffnen und zu verteidigen. Die ungeheuerlichsten Gerüchte drangen zu allen Toren herein. Einige erzählten, Vulkan vernichte auf Jupiters Befehl die Stadt durch unterirdisches Feuer, andere, es sei ein Racheakt Vestas für das [75] Verhalten der Vestalin Rubria. Diejenigen, die daran glaubten, hatten keine Lust, etwas zu retten, sondern umringten die Tempel und flehten zu den Göttern um Erbarmen. Am häufigsten wurde jedoch wiederholt, daß der Caesar den Befehl gegeben habe, Rom in Brand zu stecken, um von den Ausdünstungen der Subura befreit zu sein und eine neue Stadt mit dem Namen Neronia bauen zu können. Bei dem Gedanken daran wurde das Volk von Wut ergriffen, und wenn sich, wie Vinicius gedacht hatte, ein Führer gefunden und diesen Ausbruch des Hasses benutzt hätte, dann hätte Neros Stunde vier Jahre früher geschlagen.

Man sagte auch, der Caesar sei wahnsinnig geworden und habe den Prätorianern und Gladiatoren befohlen, sich auf das Volk zu stürzen und ein allgemeines Blutbad anzurichten. Manche schwuren bei den Göttern, auf Befehl des Rotbartes sollten sämtliche wilden Tiere aus den Vivarien losgelassen werden. Man hatte in den Straßen Löwen mit brennenden Mähnen, wütende Elefanten und Auerochsen, die das Volk in Masse zertraten, gesehen. An diesem Gerüchte war auch etwas Wahres, da an verschiedenen Stellen Elefanten beim Näherkommen des Feuers die Vivarien durchbrochen hatten und in wildem Schrecken nach der dem Feuer entgegengesetzten Richtung fortgestürmt waren, alles, was sich ihnen in den Weg stellte, wie ein Sturmwind niederwerfend. Das öffentliche Gerücht schätzte die Zahl der im Feuer Umgekommenen auf zehntausende. Und in der Tat waren viele verunglückt. Manche hatten sich aus Verzweiflung über den Verlust ihrer gesamten Habe oder teurer Angehöriger selbst ins Feuer gestürzt. Andere waren vom Rauch erstickt worden. Im Zentrum der Stadt, zwischen dem Kapitol auf der einen und dem Quirinalis, Viminalis und Esquilinus auf der anderen Seite, ebenso zwischen dem Palatin und dem Mons Caelius, wo die Straßen am engsten gebaut waren, war der Brand an vielen Punkten zugleich ausgebrochen, so daß ganze Menschenmassen, die nach der einen Seite flohen, [76] auf der anderen Seite unerwartet auf eine neue feurige Mauer stießen und in dem Flammenmeer einen schrecklichen Tod fanden.

In dem Schrecken, der Verwirrung und Unordnung wußten die Menschen am Ende nicht mehr, wohin sie fliehen sollten. Die Straßen waren mit Hausrat aller Art vollgestopft und an vielen Stellen geradezu versperrt. Alle, die auf den Märkten und Plätzen, an der Stelle, wo sich später das flavische Amphitheater erhob, in der Nähe des Terratempels, des Portikus der Livia und weiter hinauf in der Nähe des Juno- und des Lucinatempels, ferner zwischen dem Clivus Vibrius und dem alten Esquilinischen Tore einen Zufluchtsort gesucht hatten, wurden von den Flammen eingeschlossen und kamen infolge der Hitze um. An Orten, bis zu denen die Feuersbrunst nicht gedrungen war, fand man später hunderte von verkohlten Leichen, obgleich hier und da die Unglücklichen Steinplatten herausgerissen und sich zum Schutze vor der Hitze bis zur Mitte des Körpers in die Erde eingewühlt hatten. Fast jede der im Zentrum wohnenden Familien hatte den Verlust von Angehörigen zu beklagen, und man hörte längs der Mauern, an sämtlichen Toren und auf allen Straßen das verzweifelte Wehgeschrei von Frauen, welche unter Tränen die teueren Namen der im Gedränge oder im Feuer Umgekommenen ausriefen.

Während die einen so das Erbarmen der Götter anflehten, lästerten andere sie wegen dieses furchtbaren Unglücks. Man sah Greise, die von dem Tempel des Jupiter Liberator zurückkamen, die Arme ausbreiten und hörte sie rufen: »Bist du ein Retter, so rette deine Altäre und die Stadt.« Doch wandte sich die Wut hauptsächlich gegen die alten römischen Götter, die nach der Auffassung des Volkes verpflichtet waren, mit größerer Sorgfalt als die anderen über die Stadt zu wachen. Sie hatten sich als machtlos erwiesen und wurden daher beschimpft. Dagegen ereignete es sich, daß, als auf der Via Asinaria sich eine Prozession ägyptischer Priester [77] zeigte, die ein Bild der Isis trugen, das sie aus dem Tempel an der Porta Caelimontana gerettet hatten, sich die Menge auf den Zug stürzte, sich des Wagens bemächtigte, ihn zum Appischen Tore zog, das Bild ergriff und es im Tempel des Mars aufstellte, zugleich aber auch die Priester dieses Gottes, die es wagten, Widerstand zu leisten, mißhandelte. An anderen Stellen rief man den Serapis, Baal oder Jahve an, deren Anhänger aus den Hintergäßchen der Subura und vom anderen Ufer des Tiber zusammenströmten und mit ihrem Geschrei die Felder vor den Toren erfüllten. Durch ihre Rufe klang es aber auch wie Triumph, und als einige der Einwohner sich zu einem Chore vereinigten und den »Herrn der Welt« priesen, versuchten andere, über diesen Freudenausbruch empört, sie mit Gewalt daran zu hindern. Hier und dort hörte man auch Hymnen, von Männern in der Blüte ihrer Jahre, Greisen, Frauen und Kindern gesungen, fremdartig und feierlich klingende Hymnen, deren Inhalt unverständlich war, in denen sich aber stets die Worte wiederholten: »Siehe, der Richter kommt am Tage des Zorns und des Verderbens.« So umwogte denn eine ruhe- und schlummerlose Menschenmasse die brennende Stadt wie ein sturmgepeitschtes Meer.

Aber weder Verzweiflung noch Gotteslästerung noch fromme Lieder brachten Hilfe. Das Unglück erschien so unwiderstehlich, so vollständig, so erbarmungslos wie das Verhängnis. Beim Amphitheater des Pompejus entzündeten sich Hanfvorräte und Seile, die viel im Zirkus, der Arena und für Maschinen allerlei Art, die bei den Spielen Verwendung fanden, gebraucht wurden, sowie die anstoßenden Schuppen mit Fässern voller Pech, das zum Bestreichen der Seile diente. In wenigen Stunden war dieser ganze Stadtteil, der an das Marsfeld grenzte, von glänzend gelben Flammen so hell beleuchtet, daß die vor Schrecken halb erstarrten Zuschauer eine Zeitlang glaubten, in dem allgemeinen Untergange habe sich selbst die Aufeinanderfolge von Tag und Nacht verwischt und sie [78] sähen in den blendenden Sonnenschein. Später verdrängte ein blutroter Schein alle anderen Farben der Feuersbrunst. Aus dem Flammenmeere schossen riesige feurige Springbrunnen und Säulen zum geröteten Himmel empor und teilten sich oben in der Luft in glühende Büschel und Federn; der Wind verwandelte sie in goldene Fäden, Haare und Funken und trieb sie hinaus über die Campania bis hin zu den Albanerbergen. Die Nacht wurde immer heller; selbst die Luft schien mit Licht und Flammen erfüllt zu sein. Der Tiber glich einem Feuerstrome. Die unglückliche Stadt verwandelte sich in einen Aufenthaltsort verdammter Geister. Der Brand gewann immer größere Ausdehnung, ergriff die Hügel mit Windesschnelle, überflutete die Ebenen, stürzte sich in die Niederungen herab, wütete, heulte, brauste.

Fünfundvierzigstes Kapitel

Fünfundvierzigstes Kapitel.

Macrinus, ein Weber, in dessen Haus man Vinicius getragen hatte, wusch ihn, versorgte ihn mit Kleidung und stärkte ihn. Der junge Tribun, der sich inzwischen wieder völlig erholt hatte, erklärte, noch diese Nacht weitere Nachforschungen nach Linus anstellen zu wollen. Macrinus, der Christ war, bestätigte die Worte Chilons, daß Linus sich in Begleitung eines alten Priesters, Clemens, nach dem Ostrianum begeben habe, wo Petrus ganze Scharen von Anhängern des neuen Glaubens taufen wollte. Es war den Christen in der Nachbarschaft bekannt, daß Linus die Obhut über sein Haus vor zwei Tagen einem gewissen Gajus übergeben habe. Dies war für Vinicius ein Beweis dafür, daß weder Lygia noch Ursus im Hause geblieben seien, sondern ebenfalls sich nach dem Ostrianum begeben haben mußten.

Dieser Gedanke gewährte ihm einigen Trost. Linus war ein alter Mann, dem es schwer gefallen wäre, täglich von seiner Wohnung jenseit des Tiber nach dem Nomentanischen Tore und zurück zu gehen; wahrscheinlich wohnte er daher [79] die paar Tage bei einem Glaubensgenossen außerhalb der Mauern, ebenso auch Lygia und Ursus. Auf diese Weise waren sie dem Brande entgangen, der sich überhaupt nicht bis zum jenseitigen Abhange des Esquilinus ausgedehnt hatte. Vinicius erblickte in dem allen eine Fügung Christi; er war sich bewußt, unter seinem Schutze zu stehen, und schwur mit einem von größerer Liebe als je erfüllten Herzen, ihm sein ganzes Leben zum Danke für diesen ersichtlichen Gnadenbeweis zu weihen.

Um so mehr aber zog es ihn nach dem Ostrianum. Er würde dort Lygia, Linus und Petrus finden und sie weit weg, auf eines seiner Güter, und wäre es bis nach Sizilien, bringen. Rom brannte eben, und nach einigen Tagen würde nichts von ihm übrig sein als Aschenhaufen. Warum sollte er also in der Nähe der Unglücksstätte und des rasenden Volkes bleiben? Dort würden sie von Scharen treuer Diener umringt sein, sich der ländlichen Ruhe erfreuen und unter den Fittichen Christi, von Petrus gesegnet, ein friedliches Leben führen. Wenn er sie nur bald fände!

Dies war jedoch keine leichte Sache. Vinicius erinnerte sich, mit welcher Mühe er von der Via Appia aus an das jenseitige Ufer des Tiber gelangt war und welchen Umweg er hatte machen müssen, um die Via Portuensis zu erreichen, und faßte daher den Entschluß, die Stadt diesmal in entgegengesetzter Richtung zu umgehen. Wenn er die Via Triumphalis benutzte, so war es möglich, dem Laufe des Flusses folgend, bis zur Ämilianischen Brücke und von da am Pincius vorbei über das Marsfeld hinweg an den Gärten des Pompejus, Lucullus und Sallustius entlang nach der Via Nomentana vorzudringen. Es war dies der kürzeste Weg, aber sowohl Macrinus wie Chilon rieten ihm davon ab. Das Feuer hatte zwar bis jetzt diesen Teil der Stadt noch nicht erreicht, aber alle Plätze und Straßen konnten möglicherweise von Menschen und Hausrat völlig versperrt sein. Chilon riet, über den Ager Vaticanus hinweg bis [80] bis zur Porta Flaminia zu gehen, dort den Fluß zu überschreiten und dann außerhalb der Stadtmauern, jenseit der Gärten des Acilius bis zur Porta Salaria vorzudringen. Nach einigem Zaudern befolgte Vinicius diesen Rat.

Macrinus mußte zur Bewachung seines Hauses zurückbleiben; er besorgte aber zwei Maultiere, deren sich auch Lygia zur Weiterreise bedienen konnte. Er wollte Vinicius auch einen Sklaven mitgeben; dieser lehnte aber das Anerbieten ab, weil er hoffte, die erste beste ihm begegnende Abteilung Prätorianer würde sich, wie es schon am Morgen geschehen war, unter seinen Befehl stellen.

Nach einiger Zeit machte er sich mit Chilon auf den Weg, und beide gingen über den Pagus Janiculensis nach der Via Triumphalis. Auf den offenen Plätzen waren zwar Lagerplätze aufgeschlagen, die ihnen aber geringe Schwierigkeit verursachten, da der größte Teil der Bewohner durch die Via Portuensis dem Meere zu geflohen war. Vor dem Septimanischen Tore ritten sie zwischen dem Flusse und den herrlichen Gärten des Domitius weiter. Die mächtigen Zypressen der letzteren sahen infolge des Brandes rot aus, als würden sie von der Abendsonne beschienen. Die Straße war hier freier, nur ab und zu wurden sie durch vorüberhastende Landleute behindert. Vinicius trieb sein Tier zur höchsten Eile an, Chilon aber, der hinter ihm ritt, sprach fast auf dem ganzen Wege mit sich selber.

»Nun ist das Feuer hinter uns geblieben und wärmt uns den Rücken. Noch nie war es auf dieser Straße bei Nacht so hell. O Zeus! wenn du keinen Wolkenbruch auf diese Feuer niedersendest, so hegst du keine Liebe zu Rom. Menschenkraft ist diesem Brande nicht gewachsen. Solch eine Stadt, der Griechenland und die ganze Welt gehorchte! Und jetzt kann der erste beste Grieche seine Bohnen in Roms Asche rösten! Wer hätte das gedacht! .... Nun wird es wohl aus sein mit Rom und der römischen Herrschaft ... Und wer auf den kalt gewordenen Trümmern umhergehen[81] und pfeifen will, der kann getrost pfeifen. O ihr Götter! über eine solche weltbeherrschende Stadt pfeifen! Welcher Grieche oder selbst welcher Barbar hätte dies je erwartet? ... Und doch kann man ruhig pfeifen, denn ein Häuflein Asche, mag es nun von einem Hirtenfeuer oder von einer brennenden Stadt herrühren, ist eben nur ein Häuflein Asche, das früher oder später der Wind verweht.«

Während dieses Selbstgespräches wandte er sich von Zeit zu Zeit nach dem Brande um und betrachtete mit einem Ausdruck boshafter Freude im Gesicht die Feuerwogen. Dann fuhr er fort: »Rom geht unter! Es geht unter und wird von der Erde verschwinden. Wohin wird die Welt nun ihr Getreide, ihre Oliven und ihr Geld senden? Wer wird ihr Gold und Tränen entpressen? Der Marmor brennt nicht, aber er zerbröckelt im Feuer. Das Kapitol stürzt in Trümmer, der Palatin stürzt in Trümmer! O Zeus! Rom war der Hirt, die anderen Völker waren die Schafe. Wenn der Hirt Hunger hatte, schlachtete er eins von den Schafen, aß das Fleisch, und dir, Vater der Götter, opferte er das Fell. Wer wird nun, o Wolkenversammler, die Schafe schlachten, und in wessen Hände wirst du die Peitsche des Hirten legen? Denn Rom brennt so lichterloh, o Vater, als hättest du es mit deinem Blitze in Brand gesteckt.«

»Beeile dich!« drängte Vinicius. »Was hast du dort zu tun?«

»Ich weine über Rom, Herr,« entgegnete Chilon. »Eine solche Stadt Jupiters!«

Eine Zeitlang ritten sie schweigend weiter. Tauben, die in Menge in den Villen und den kleinen Städten der Campania gehalten wurden, sowie Vögel aller Arten von der Küste und den nahen Bergen her hielten offenbar die Glut des Feuers für Sonnenschein und flogen scharenweise blindlings hinein.

Vinicius unterbrach zuerst das Schweigen.

»Wo warst du beim Ausbruche des Feuers?«

[82] »Ich ging gerade zu meinem Freunde Euricius, Herr, der einen Kramladen beim großen Zirkus unterhielt, und dachte über die Lehre Christi nach, als der Ruf: Feuer! ertönte. Die Menschen drängten sich um den Zirkus, teils aus Furcht, teils aus Neugierde; als aber die Flammen den ganzen Zirkus ergriffen und außerdem auch andere Häuser zu brennen begannen, mußte jeder auf seine eigene Rettung bedacht sein.«

»Hast du Leute Brandfackeln in die Häuser werfen sehen?«

»Was habe ich nicht sehen müssen, o Urenkel des Aeneas! Ich sah Leute, die sich mit dem Schwerte den Weg durch die Menge bahnten; ich sah Kämpfe und auf dem Pflaster zertretene menschliche Eingeweide. Ach, Herr, hättest du das gesehen, so würdest du geglaubt haben, Barbaren hätten eine Stadt erobert und richteten ein Blutbad an. Von allen Seiten hörte man rufen, das Ende der Welt sei gekommen. Einige verloren völlig den Kopf und blieben, ohne an Flucht zu denken, besinnungslos stehen, bis sie von den Flammen umringt waren. Etliche wurden wahnsinnig, andere heulten aus Verzweiflung; Ich sah aber auch Leute, die vor Freude heulten; denn, o Herr, es gibt auf Erden sehr viel schlechte Menschen, die die Wohltaten eurer milden Herrschaft und jene gerechten Gesetze nicht zu würdigen verstehen, kraft deren ihr allen nehmt, was sie besitzen, und es für euch behaltet. Die Menschen wissen sich eben nicht in den Willen der Götter zu fügen!«

Vinicius war zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, um den Hohn, der in Chilons Worten lag, zu merken. Schon bei dem bloßen Gedanken, Lygia könne sich inmitten dieses Chaos, in diesen schrecklichen Straßen befunden haben, in denen menschliche Eingeweide zertreten wurden, faßte ihn ein Schauder. Obgleich er daher Chilon wohl schon zehnmal nach allem gefragt hatte, was dieser wissen konnte, wandte er sich doch noch einmal mit den Worten an ihn: »Und du hast sie im Ostrianum mit eigenen Augen gesehen?«

[83] »Jawohl, Sohn der Venus, ich habe das Mädchen, den guten Lygier, den heiligen Linus und den Apostel Petrus gesehen.«

»Vor dem Brande?«

»Vor dem Brande, Mithras!«

In Vinicius regte sich jetzt ein Zweifel, ob auch Chilon nicht lüge; daher zügelte er sein Maultier, sah den alten Griechen drohend an und fragte: »Was hattest du dort zu tun?«

Chilon geriet in Verwirrung. Zwar hegte er wie viele die Meinung, mit dem Untergange Roms sei auch der Untergang der römischen Herrschaft besiegelt; aber jetzt war er mit Vinicius allein und erinnerte sich, daß dieser ihm unter den furchtbarsten Drohungen verboten hatte, die Christen und namentlich Linus und Lygia zu beobachten.

»Herr,« begann er, »warum willst du mir nicht glauben, daß ich sie liebe? Ja, so ist es! Ich war im Ostrianum, weil ich zur Hälfte Christ bin. Pyrrhon lehrte mich Tugend höher zu schätzen als Philosophie, deshalb halte ich mich mehr und mehr zu tugendhaften Leuten. Und außerdem bin ich arm, Herr, und litt, während du in Antium weiltest, öfters Hunger bei meinen Büchern. Daher setzte ich mich vor die Mauern des Ostrianums, denn die Christen geben, trotzdem sie selbst arm sind, reichlichere Almosen als alle anderen Bewohner Roms zusammengenommen.«

Dieser Grund erschien Vinicius einleuchtend, und er fragte daher weniger streng: »Weißt du nicht, wo Linus augenblicklich wohnt?«

»Du hast mich einst hart für meine Neugier gestraft,« entgegnete der Grieche.

Vinicius schwieg, und beide ritten weiter.

»Herr,« begann Chilon nach einer Weile, »ohne mich würdest du das Mädchen nicht finden; aber wenn wir sie finden, wirst du dann einen armen Philosophen nicht vergessen?«

[84] »Du sollst ein Haus mit einem Weinberg in Ameriola bekommen,« entgegnete Vinicius.

»Ich danke dir, Herakles! Mit einem Weinberge? ... Ich danke dir! O, mit einem Weinberge!«

Sie kamen jetzt an den vatikanischen Hügeln vorüber, die vom Brande rot angestrahlt waren; bei der Naumachia bogen sie rechts ab, um nach Durchquerung des vatikanischen Feldes sich dem Flusse zu nähern, diesen zu überschreiten und dann auf die Porta Flaminia zuzureiten. Mit einem Male hielt Chilon sein Maultier an und sagte: »Herr, es ist mir ein guter Einfall gekommen.«

»Sprich!« erwiderte Vinicius.

»Zwischen dem Janiculus und dem Vaticanus hinter den Gärten der Agrippina befinden sich Gruben, aus denen man Steine und Sand zum Bau des Neronischen Zirkus herausgenommen hat. Nun höre mich, Herr! In der letzten Zeit haben die Juden, von denen es, wie du weißt, eine große Menge jenseit des Tiber gibt, angefangen, die Christen grausam zu verfolgen. Du wirst dich erinnern, daß schon zur Zeit des göttlichen Claudius solche Bewegungen vorkamen, so daß der Caesar sich genötigt sah, sie aus Rom auszuweisen. Doch jetzt, wo sie zurückgekehrt sind und sich unter dem Schutze der Augusta sicher fühlen, belästigen sie die Christen um so mehr. Ich weiß es! ich habe es selbst gesehen. Zwar ist noch kein Edikt gegen die Christen erlassen, aber die Juden klagen sie beim Stadtpräfekten an, daß sie Kinder schlachten, einen Esel anbeten und sich zu einer Religion bekennen, die vom Senate nicht anerkannt sei. Sie schlagen sie sogar und überfallen ihre Bethäuser so wütend, daß sich die Christen vor ihnen verbergen müssen.«

»Was willst du damit sagen?« fragte Vinicius.

»Daß Synagogen offen jenseit des Tiber existieren, die Christen jedoch, um der Verfolgung zu entgehen, heimlich beten müssen und sich in verfallenen Hütten vor der Stadt oder in Sandgruben versammeln. Die jenseit des Tiber [85] wohnenden haben sich nun die Grube gewählt, die infolge des Baues des Zirkus und verschiedener Häuser längs des Tibers entstanden ist. Jetzt, wo die Stadt untergeht, beten die Anhänger Christi unzweifelhaft. Jedenfalls werden wir eine große Anzahl von ihnen in der Grube antreffen, und ich rate dir daher, Herr, mit mir dorthin zu gehen.«

»Du sagtest mir aber doch, Linus befinde sich im Ostrianum?« rief Vinicius ungeduldig aus.

»Du hast mir ein Haus mit einem Weinberg in Ameriola versprochen,« entgegnete Chilon; »ich will daher das Mädchen überall suchen, wo ich es zu finden hoffen kann. Sie können nach dem Ausbruche des Brandes in ihre Wohnung jenseit des Tibers zurückgekehrt sein ... Sie können die Stadt verlassen haben, genau so, wie wir sie in diesem Augenblicke verlassen. Linus besitzt ein Haus; er wollte diesem vielleicht näher sein, um zu sehen, ob das Feuer nicht auch diesen Stadtteil ergreife. Wenn sie zurückgekehrt sind, so schwöre ich dir, Herr, bei Persephone, daß wir sie in der Grube beim Gebet antreffen, und schlimmstenfalls erhalten wir dort Nachricht über sie.«

»Du hast recht; reite voraus!« erwiderte der Tribun.

Chilon bog, ohne zu schwanken, links nach dem Hügel zu ab. Für einen Augenblick verbarg dessen Abhang ihnen das Feuer, so daß die beiden im Schatten ritten, während die benachbarten Höhen hell beleuchtet waren. Als sie an dem Zirkus vorbei waren, bogen sie nochmals links ab und befanden sich jetzt in einer Art Gasse, in der vollständiges Dunkel herrschte. Aber in dieser Finsternis bemerkte Vinicius eine Anzahl Laternen.

»Da sind sie!« sagte Chilon. »Es werden ihrer heut mehr als je sein, weil ihre übrigen Bethäuser verbrannt oder voller Rauch sind, wie das ganze Viertel jenseit des Tiber.«

»Ja, ich höre Gesang,« erwiderte Vinicius.

Wirklich drangen Stimmen singender Menschen aus der dunklen Höhle am Abhange des Hügels, und es verschwand [86] eine Laterne nach der anderen. Aus den Seitenwegen tauchten beständig neue Gestalten auf, so daß Vinicius und Chilon sich nach einiger Zeit mitten in einer ganzen Menschenschar befanden.

Chilon stieg von seinem Maultier ab, winkte einem Knaben, der in der Nähe saß, und sagte ihm: »Ich bin ein Priester Christi, ein Bischof. Halte uns die Maultiere, du wirst dafür meinen Segen und die Vergebung deiner Sünden erhalten.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, warf er ihm die Zügel zu und folgte mit Vinicius der vorausschreitenden Menge.

Nach einiger Zeit gelangten sie in die Höhle und kamen bei dem trüben Schein der Laternen in einen dunklen Gang, der sich später zu einer geräumigeren Grube erweiterte, in der offenbar noch kürzlich Steine gebrochen worden waren, da die Wände noch Spuren frischer Bearbeitung zeigten.

Es war hier heller als in dem Gange, weil außer Kerzen und Laternen noch Fackeln brannten. Bei ihrem Lichte bemerkte Vinicius eine große Menge Knieender, mit zum Himmel ausgestreckten Armen. Lygia, den Apostel Petrus und Linus konnte er nirgends entdecken, dagegen sah er überall feierlich bewegte Gesichter. Auf einigen war deutlich Erwartung, Schrecken, Hoffnung zu lesen. Das Licht spiegelte sich in den glänzenden, emporgerichteten Augen wider, Schweißtropfen rannen von den totenblassen Stirnen hernieder; einige sangen Hymnen, andere wiederholten wie im Fieber den Namen Jesus, etliche schlugen sich an die Brust. Unzweifelhaft erwarteten sie jeden Augenblick das Eintreten eines außerordentlichen Ereignisses.

Inzwischen schwieg der Gesang, und über der Versammlung, in einer Nische, die durch die Entfernung eines riesigen Steinblockes entstanden war, erschien der Vinicius bekannte Crispus mit seinen halb geistesabwesenden, blassen, fanatischen, ernsten Zügen. Aller Augen richteten sich auf ihn wie in Erwartung aufrichtender und tröstender Worte. [87] Doch er begann, nachdem er die Gemeinde gesegnet hatte, mit fliegender, beinahe kreischender Stimme: »Bereuet eure Sünden; denn die Stunde ist gekommen. Sehet auf die Stadt des Lasters und des Verbrechens, auf das neue Babylon sandte der Herr das Feuer der Verwüstung herab. Die Stunde des Gerichts, des Zornes und der Vernichtung hat geschlagen ... Der Herr hat seine Wiederkunft verheißen, und bald werdet ihr ihn sehen. Aber nicht mehr als Lamm wird er erscheinen, das sein Blut für eure Sünden vergossen hat, sondern als furchtbarer Richter, der in seiner Gerechtigkeit Sünder und Ungläubige in den Pfuhl der Hölle schleudert ... Wehe der Welt und wehe den Sündern, denn für sie wird es kein Erbarmen geben .... Ich schaue dich, Christus! Die Sterne fallen wie Regentropfen zur Erde, die Sonne verfinstert sich, die Erde öffnet ihre Tiefen, und die Toten stehen auf. Du aber erscheinst mit Posaunenhall und Legionen von Engeln, unter Donner und Blitz. Ich schaue und höre dich, Christus!«

Er schwieg und schien erhobenen Hauptes auf eine furchtbare Erscheinung zu blicken. In diesem Augenblicke ließ sich ein dumpfes Getöse in der Höhle vernehmen, ein-, zwei- zehnmal. In der brennenden Stadt begannen ganze Straßen ausgebrannter Häuser zusammenzustürzen. Doch die Mehrzahl der Christen hielt jene Stimmen für ein deutliches Zeichen, daß die Stunde des Schreckens gekommen sei, denn der Glaube an die nahe bevorstehende Wiederkunft Christi und an das Ende der Welt war allgemein unter ihnen verbreitet, und jetzt hatte der Brand der Stadt ihn noch verstärkt. Das Entsetzen vor dem Herrn ergriff die Gemeinde. Mehrere Stimmen begannen zu wiederholen: »Der Tag des Gerichts! ... Siehe, er ist gekommen!« Andere schlugen die Hände vor das Gesicht, weil sie glaubten, die Erde bebe in ihren Grundfesten, ihren Schlünden würden Tiere der Hölle entsteigen und sich auf die Sünder stürzen. Die einen riefen: »Christus, erbarme dich unser! Christus, sei uns gnädig! ...«[88] – andere bekannten laut ihre Sünden, noch andere umarmten sich, um in dem furchtbaren Augenblicke ein Herz nahe an dem ihren schlagen zu hören.

Es gab unter den Anwesenden aber auch solche, deren Züge wie weltentrückt, voll überirdischen Lächelns keine Spur von Furcht zeigten. An mehreren Stellen wurden Stimmen laut: es waren Leute, welche in religiöser Begeisterung anfingen, unverständliche Worte in unbekannten Sprachen zu schreien. Aus einer dunklen Ecke der Höhle rief jemand: »Schläfer, wachet auf!« Aber alles übertönte Crispus' Ruf: »Wachet, wachet!«

Bisweilen jedoch trat Stille ein, als hielte jeder den Atem an und harre des Kommenden. Dann drang aus der Ferne das Getöse zusammenstürzender Häuser herüber, und von neuem begann das Ächzen, Beten, Stöhnen und Rufen: »Erlöser, erbarme dich!« Mitunter erhob auch Crispus seine Stimme und rief: »Entsaget den irdischen Gütern, denn in kurzem werdet ihr keine Erde mehr unter den Füßen haben! Entsaget irdischer Liebe, denn der Herr wird die verdammen, die Weib und Kind mehr lieben als ihn. Wehe dem, der das Geschöpf mehr liebt als den Schöpfer! Wehe den Reichen! Wehe den Prassern! Wehe den Unkeuschen! Wehe dem Gatten, dem Weibe, dem Kinde!«

Plötzlich erschütterte ein noch stärkerer Krach als vorher den Steinbruch. Alle warfen sich zur Erde und streckten die Arme in Kreuzesform aus, um sich dadurch vor bösen Geistern zu schützen. Tiefe Stille trat ein, nur unterbrochen durch die raschen Atemzüge der Anwesenden und durch angstvolles Geflüster: »Jesus, Jesus, Jesus!« und ab und zu durch das Weinen von Kindern. In diesem Augenblicke erklang eine ruhige Stimme über die ausgestreckt daliegenden dunklen Gestalten hin: »Friede sei mit euch!«

Es war die Stimme des Apostels Petrus, der kurz zuvor die Höhle betreten hatte. Bei seinen Worten wich sofort jede Angst, wie sie aus einer Herde weicht, wenn der Hirte erscheint. [89] Die Beter erhoben sich von der Erde, die in seiner Nähe stehenden schmiegten sich an seine Kniee, als suchten sie unter seinen Fittichen Schutz. Er breitete die Arme über sie aus und sprach: »Warum zagt ihr in eurem Herzen? Wer von euch weiß denn, was seiner wartet, bevor die Stunde naht? Der Herr hat Babylon mit Feuer gestraft, aber euch, die ihr durch die Taufe gereinigt seid und die das Blut des Lammes von den Sünden erlöst hat, wird er seine Gnade widerfahren lassen, und ihr werdet mit seinem Namen auf den Lippen sterben. Friede sei mit euch!«

Nach Crispus' drohenden, erbarmungslosen Worten träufelte Petrus' Rede auf die Herzen der Anwesenden wie lindernder Balsam. Statt der Furcht vor Gott beherrschte nun die Liebe zu Gott die Gemüter. Die Gläubigen fanden den Christus, wie sie ihn aus den Erzählungen des Apostels lieben gelernt hatten, wieder, und also nicht einen erbarmungslosen Richter, sondern ein sanftes, geduldiges Lamm, dessen Erbarmen menschliche Tücke tausendfach übersteigt. Ein Gefühl der Erleichterung beseelte die ganze Gemeinde, Trost und Dankbarkeit gegen den Apostel erfüllte die Herzen. Von allen Seiten wurden Stimmen laut: »Wir sind deine Schafe, weide uns!« Näher bei ihm Knieende baten: »Verlaß uns nicht in der Stunde der Gefahr« und schmiegten sich dichter an ihn heran. Auch Vinicius trat hinzu, erfaßte den Mantel des Apostels, neigte sein Haupt und sprach: »Herr, rette mich! Ich habe im Rauche des Feuers und im Gedränge des Volkes nach ihr gesucht, sie aber nirgends finden können. Allein ich glaube, daß du sie mir wiedergeben kannst.«

Petrus legte ihm die Hand aufs Haupt.

»Sei getrost,« sagte er, »und komm mit mir.«

Sechsundvierzigstes Kapitel

[90] Sechsundvierzigstes Kapitel.

Die Stadt brannte unausgesetzt weiter. Der große Zirkus lag in Trümmern, und in den Stadtteilen, die zuerst angefangen hatten zu brennen, stürzten ganze Straßen und Gassen ein. Bei jedem derartigen Zusammenbruch schlug eine Zeitlang eine hohe Feuersäule zum Himmel empor. Der Wind hatte sich gedreht, wehte jetzt mit Sturmesgewalt von der Seeseite her und trieb die Flammen, Feuerbrände und glühende Asche zum Caelius, Esquilinus und Viminalis. Man dachte jedoch noch an Rettung. Auf Befehl des Tigellinus, der vor drei Tagen aus Antium herbeigeeilt war, begann man die Häuser auf dem Esquilinus niederzureißen, damit das Feuer auf den leeren Plätzen keine Nahrung mehr finde und erlösche. Dies war aber nur eine teilweise Hilfe, bestimmt, den Rest der Stadt zu retten, denn an die Rettung dessen, was schon brannte, war nicht zu denken Man konnte nur der weiteren Ausdehnung des Unglücks vorbeugen. Zugleich mit Rom waren unermeßliche Schätze zugrunde gegangen, zugrunde gegangen war das gesamte Eigentum der Bewohner, so daß jetzt hunderttausende von Notleidenden um die Mauern herumirrten. Schon am zweiten Tage hatte der Hunger die Menge zu quälen begonnen, da die in der Stadt angehäuften unermeßlichen Vorräte an Lebensmitteln mit verbrannt waren, und in der allgemeinen Verwirrung und Auflösung aller staatlichen Bande niemand daran gedacht hatte, neue herbeizuschaffen. Erst nach Tigellinus' Ankunft ergingen darauf bezügliche Befehle nach Ostia, aber inzwischen begann das Volk eine immer drohendere Haltung anzunehmen.

Das Haus an der Aqua Appia, das Tigellinus zu dieser Zeit bewohnte, wurde von einer Schar Frauen umringt, welche vom frühen Morgen bis in die späte Nacht hinein riefen: »Brot und Obdach!« Vergebens suchten die Prätorianer, die aus dem großen Lager zwischen der Via Salaria [91] und Via Nomentana abkommandiert waren, die Ordnung, wenn auch nur einigermaßen, herzustellen. Hier und da stießen sie auf offenen, bewaffneten Widerstand; an anderen Punkten zeigte die waffenlose Menge auf die brennende Stadt und rief: »Ermordet uns noch dazu angesichts dieses Feuers!« Man beschimpfte den Caesar, die Augustianer, die Prätorianer; die Erregung wuchs von Stunde zu Stunde, so daß Tigellinus beim Anblick der zahllosen Lagerfeuer rund um die Stadt glauben konnte, es seien die Wachtfeuer eines feindlichen Heeres. Auf seinen Befehl wurde außer Mehl auch soviel fertig gebackenes Brot wie nur möglich nicht nur aus Ostia, sondern auch aus sämtlichen benachbarten Städten und Dörfern herbeigeschafft. Als jedoch die ersten Ladungen des nachts im Emporium anlangten, erbrach das Volk das zum Aventin führende Haupttor, bemächtigte sich im Nu aller Vorräte und richtete eine namenlose Verwirrung an. Beim Scheine der Feuersbrunst kämpfte man um die Brote, von denen viele dabei zertreten wurden. Die ganze Strecke von den Speichern an bis zu den Triumphbogen des Drusus und Germanicus war mit Mehl, das aus den zerrissenen Säcken gefallen war, wie mit Schnee bedeckt, und der Aufstand dauerte solange, bis die Truppen alle Gebäude umringten und die Menge mit Pfeilen und Wurfspeeren zu zerstreuen begannen.

Nie seit dem Einfalle der Gallier unter Brennus war Rom von einem so entsetzlichen Unglück betroffen worden. In der Verzweiflung stellte man Vergleiche zwischen beiden Bränden an. Damals war wenigstens das Kapitol gerettet worden, während jetzt die Flammen auch dieses umloderten. Der Marmor brannte allerdings nicht; als aber der Wind nach einiger Zeit die Flammen zur Seite trieb, konnte man die Säulenreihen des hochgelegenen Jupitertempels in Rotglut leuchten sehen wie glühende Kohlen. Endlich besaß Rom zu Brennus' Zeiten eine wohldisziplinierte, einheitliche Bevölkerung, voller Anhänglichkeit an die Stadt und die [92] Altäre; jetzt aber streiften vielsprachige Scharen, die größtenteils aus Sklaven und Freigelassenen bestanden, um die Mauern der brennenden Stadt, heulend, zügellos und geneigt, sich unter dem Drucke der Not gegen die Regierung und die Stadt zu wenden.

Nur die Furchtbarkeit des Brandes, die die Gemüter mit Entsetzen erfüllte, hielt die Menge einigermaßen im Zaume. Auf das Unglück des Feuers konnte das Unglück von Hungersnot und Seuchen folgen, und um das Unglück vollzumachen, war schon die fürchterliche Julihitze über die Stadt hereingebrochen. Die durch das Feuer und die Sonne erhitzte Luft war kaum mehr zu atmen. Die Nacht, weit entfernt, Erleichterung zu bringen, wurde vielmehr zur Hölle. Am Tage bot dem Blicke sich ein entsetzliches, unheilverkündendes Schauspiel. In der Mitte die Riesenstadt auf den Hügeln, in einen tobenden Vulkan verwandelt, ringsherum, bis zu den Albanerbergen ein einziges großes Lager von Schuppen, Zelten, Hütten, Wagen, Schubkarren, Tragbaren, Krambuden, Feuergeräten – alles mit Ruß und Staub bedeckt, vom Sonnenschein beleuchtet, der noch das Feuer überstrahlte, voller Lärm, Geschrei, Drohungen, Feindseligkeiten und Schrecken, eine ungeheure Ansammlung von Männern, Weibern und Kindern. Neben den Quiriten sah man Griechen, rauhe, blauäugige Männer aus dem Norden, Afrikaner und Asiaten, neben den Bürgern Sklaven, Freigelassene, Gladiatoren, Kaufleute, Handwerker, Bauern und Soldaten, ein wahres Menschenmeer, das die Feuerinsel umbrandete.

Die verschiedenartigsten Gerüchte bewegten dieses Meer wie der Sturm die wirkliche See. Sie lauteten günstig und ungünstig. Man sprach von unermeßlichen Zufuhren an Getreide und Kleidungsstücken, die nach dem Emporium gebracht und ohne Bezahlung verabfolgt werden sollten. Ebenso erzählte man, auf Befehl des Caesars würden die Provinzen in Asien all ihrer Schätze beraubt, die dann unter die Bewohner verteilt verden sollten, damit sich jedermann sein[93] Haus wieder aufbauen könne. Aber auch Gerüchte anderer Art gingen von Mund zu Mund, wie daß das Wasser in den Wasserleitungen vergiftet worden sei, daß Nero die Stadt zerstören und die Bewohner ausrotten wolle, um sich nach Griechenland oder Ägypten zu begeben und von da aus die Welt zu beherrschen. Jedes Gerücht verbreitete sich mit Blitzesschnelle, jedes fand bei der Menge Glauben und rief Ausbrüche der Freude, des Zornes, des Schreckens oder der Wut hervor. Zuletzt packte eine Art Fieber diese tausende von Menschen. Der Glaube der Christen, der Untergang der Welt durch Feuer stehe nahe bevor, gewann von Tag zu Tage weitere Verbreitung auch unter den Anhängern der alten Götter. Manche fielen in Starrkrampf oder Wahnsinn. In den vom Feuerschein beleuchteten Wolken erblickte man die Götter, die auf die Verwüstung der Erde herabsahen, und flehte sie mit erhobenen Händen um Erbarmen an oder fluchte ihnen.

Inzwischen fuhren die Soldaten, unterstützt von einer bedeutenden Zahl Bürger, fort, die Häuser auf dem Esquilin, dem Caelius und auch am jenseitigen Ufer des Tiber niederzureißen, wodurch diese Viertel zum großen Teile gerettet wurden. In der Stadt selbst aber waren unermeßliche, infolge jahrhundertelanger Siege angehäufte Schätze zugrunde gegangen; kostbare Kunstwerke, herrliche Tempel und die schönsten Denkmäler der römischen Vergangenheit und des römischen Ruhmes. Es war vorauszusehen, daß von der ganzen Stadt kaum einige Stadtteile an den äußersten Enden erhalten bleiben und daß hunderttausende von Menschen obdachlos werden würden. Es wurde sogar das Gerücht verbreitet, die Soldaten rissen die Häuser nieder, nicht um dem Feuer Einhalt zu tun, sondern um nichts von der Stadt übrig zu lassen. Tigellinus bat in jedem Briefe, den er nach Antium sandte, der Caesar möge kommen und die verzweifelte Bevölkerung durch seine Gegenwart beruhigen. Aber Nero machte sich erst auf den Weg, als das Feuer [94] auch seinen Palast, die »domus transitoria,« ergriffen hatte, und beeilte sich jetzt, um den Augenblick nicht zu versäumen, wo die Feuersbrunst ihren Höhepunkt erreicht haben würde.

Siebenundvierzigstes Kapitel

Siebenundvierzigstes Kapitel.

Unterdessen hatte das Feuer die Via Nomentana erreicht; infolge einer Drehung des Windes aber wandte es sich der Via Lata und dem Tiber zu, flammte rings um das Kapitol herum, dehnte sich nach dem Forum Boarium zu aus, vernichtete alles, was es das erste Mal verschont hatte, und näherte sich wiederum dem Palatin. Tigellinus zog alle Streitkräfte der Prätorianer zusammen und sandte Eilboten nach Eilboten an den sich nahenden Caesar mit der Meldung, er verliere nichts von der Großartigkeit des Schauspiels, da das Feuer immer noch im Wachsen begriffen sei. Doch Nero wollte zur Nachtzeit eintreffen, um den Anblick der untergehenden Stadt um so besser genießen zu können. Aus diesem Grunde machte er in der Umgegend von Aqua Albana halt, ließ den Tragiker Aliturus in sein Zelt rufen, beriet sich mit ihm über Haltung, Gesichtsausdruck, Mienenspiel und studierte sich die passendsten Bewegungen ein, wobei er die Frage lebhaft erörterte, ob er bei den Worten: »O heilige Stadt, die du mehr erduldet zu haben scheinst als der Ida« beide Hände erheben oder die eine, in der er die Phorminx halten wollte, sinken lassen und nur die andere erheben solle. Diese Frage erschien ihm in diesem Augenblick wichtiger, als alles andere. Mit Beginn der Nacht brach er endlich auf und holte noch Petronius Rat ein, ob er den die Zerstörung schildernden Versen nicht einige glühende Gotteslästerungen hinzufügen solle und ob solche, vom künstlerischen Standpunkte aus betrachtet, sich nicht bei dieser Gelegenheit auf die Lippen eines Mannes drängen müßten, der seine Vaterstadt dem Untergange geweiht sehe.

Um Mitternacht näherte er sich endlich den Mauern mit [95] seinem zahlreichen Gefolge, das aus ganzen Scharen von Hofleuten, Senatoren, Rittern, Freigelassenen, Sklaven, Frauen und Kindern bestand. Sechzehntausend Prätorianer, die in Schlachtordnung an der Landstraße aufgestellt waren, wachten über die Ruhe und Sicherheit seines Einzuges und hielten zugleich das erregte Volk in geziemender Entfernung. Dieses fluchte, schrie und zischte zwar beim Anblick des Zuges, wagte aber nicht, ihn anzugreifen. An vielen Stellen wurden jedoch auch Beifallskundgebungen laut, die von Leuten ausgingen, die nichts besaßen und daher auch beim Brande nichts verlieren konnten, aber eine reichlichere Verteilung von Getreide, Oliven, Kleidern und Geld erwarteten. Zuletzt wurden Geschrei, Gezisch und Beifallsrufe gleichmäßig vom Schmettern der Trompeten und Hörner übertönt, die Tigellinus blasen ließ. Beim Ostiensischen Tore hielt Nero an und sagte: »Ich obdachloser Herrscher eines obdachlosen Volkes, wo soll ich heut nacht mein unglückliches Haupt niederlegen?« Als er dann am Clivus Delphini vorübergekommen war, stieg er mit eigens dazu einstudierten Schritten zum Appischen Aquädukt empor, hinter ihm die Augustianer und ein Chor von Sängern mit Zithern, Lauten und anderen Musikinstrumenten.

Alle hielten den Atem an in der Erwartung, er werde einige große Worte sprechen, die sie sich zu ihrer eigenen Sicherheit behalten müßten. Er aber stand in feierlichem Schweigen da, den Purpurmantel um die Schultern geschlagen, einen Kranz von goldenen Lorbeerzweigen auf dem Haupte, und betrachtete die rasende Wut des Feuers. Nachdem Terpnos ihm eine goldene Laute gereicht hatte, erhob er die Blicke zu dem geröteten Himmel, als warte er auf eine göttliche Eingebung.

Das Volk wies von weitem mit den Fingern auf ihn, der von blutrotem Scheine übergossen dastand. In einiger Entfernung zischten feurige Schlangen, es brannten die ältesten und heiligsten Baudenkmäler Roms: es brannten der Tempel [96] des Herkules, den Euander erbaute, der Tempel des Jupiter Stator, der schon von Servius Tullius errichtete Tempel der Luna, das Haus des Numa Pompilius, das Heiligtum der Vesta mit den Penaten des römischen Volkes. Durch die Feuerwogen hindurch erblickte man zuweilen das Kapitol, es brannte alles, was an Roms Vergangenheit und sein innerstes Wesen erinnerte. Der Caesar aber stand da, die Laute in der Hand und mit der Miene eines tragischen Schauspielers, in seinen Gedanken nicht im geringsten mit dem Untergang seiner Vaterstadt, sondern mit seiner Haltung und den pathetischen Worten beschäftigt, die am besten die Furchtbarkeit der Verwüstung schildern, die größte Bewunderung erregen und den stärksten Beifall hervorrufen könnten.

Er haßte diese Stadt und haßte ihre Bewohner, er liebte nur seinen Gesang und seine Verse, und daher freute er sich im Herzen, daß er endlich eine Tragödie sah, ähnlich der, die er schrieb. Der Verseschmied fühlte sich glücklich, der Deklamator begeistert, der Effekthascher ergötzte sich an dem furchtbaren Anblicke und dachte voller Freude daran, daß selbst die Zerstörung Trojas nichts sei im Vergleich mit der Zerstörung dieser Riesenstadt. Was konnte er noch wünschen? Rom, das weltbeherrschende Rom brannte, er aber stand auf dem Bogen der Wasserleitung, die goldene Laute in der Hand, berühmt, im Purpurmantel, angestaunt, glänzend, ein Dichter. Irgendwo dort unten in der Dunkelheit murrte und tobte das Volk! Aber es mag murren! Generationen werden verschwinden, Jahrtausende werden verfließen, aber die Menschheit wird sich noch des Dichters erinnern und ihn preisen, der in einer solchen Nacht den Fall und den Brand Trojas besang. Was war Homer im Vergleich zu ihm? was selbst Apollo mit seiner geschweiften Phorminx?

Er erhob die Hand, schlug die Saiten und deklamierte dazu die Worte des Priamos: »Heim meiner Väter, Wiege des Geschlechts!«

Seine Stimme klang im Freien, bei dem Brausen des [97] Feuers und dem fernen Lärm von Tausenden auffallend schwach, zitternd und leise, und der Ton des begleitenden Instrumentes glich dem Summen von Mücken. Nichtsdestoweniger neigten die auf dem Aquädukt stehenden Senatoren, Beamten und Augustianer ihr Haupt und lauschten mit stillem Entzücken. Der Caesar sang lange und geriet in immer größere Wehmut. Hielt er inne, um Atem zu schöpfen, so wiederholte der Sängerchor die letzten Verse, dann warf Nero mit einer von Aliturus erlernten Bewegung die tragische Syrma über die Schulter, griff in die Saiten und sang weiter. Als er endlich mit den vorher gedichteten Versen zu Ende war, begann er zu improvisieren und suchte nach großartigen Vergleichen zu dem Schauspiel, das sich seinen Blicken darbot. Auch seine Züge begannen sich zu verändern; der Untergang seiner Vaterstadt rührte ihn allerdings nicht, sondern er war von dem Pathos seiner eigenen Worte so sehr entzückt und bewegt, daß er plötzlich die Laute geräuschvoll zu Boden fallen ließ, sich in seine Syrma hüllte und wie aus Stein gemeißelt dastand, ähnlich einer von jenen Statuen der Niobiden, welche den Hof des Palatins schmückten.

Nach kurzem Schweigen brach ein Beifallssturm los. Aus der Ferne antwortete ihm jedoch das Geheul der Menge. Jetzt zweifelte niemand mehr daran, daß der Caesar befohlen habe, die Stadt zu verbrennen, um sich ein Schauspiel zu verschaffen und einen Hymnus dabei zu singen. Als Nero dieses Geschrei von hunderttausenden von Stimmen hörte, wandte er sich an die Augustianer mit dem trüben, resignierten Lächeln jemandes, dem unrecht geschieht, und sagte: »Seht, wie die Quiriten mich und die Poesie zu schätzen wissen!«

»Die Schufte!« entgegnete Vatinius; »befiehl den Prätorianern, Herr, sie anzugreifen.«

Nero wandte sich an Tigellinus: »Kann ich auf die Treue der Truppen zählen?«

[98] »Jawohl, Gottheit!« erwiderte der Präfekt.

Petronius zuckte aber die Schultern.

»Auf ihre Treue ja, aber nicht auf ihre Zahl,« sagte er. »Bleibe einstweilen hier, wo du bist. Hier bist du am sichersten; das Volk muß aber unbedingt beruhigt werden.«

Auch Seneca und der Konsul Licinius waren dieser Ansicht. Inzwischen nahm die Erregung unten zu. Das Volk bewaffnete sich mit Steinen, Zeltstangen, Teilen von Wagen und Karren und verschiedenen eisernen Geräten. Nach kurzer Zeit kamen einige der Kohortenführer und meldeten, daß die von der Menge umdrängten Prätorianer nur mit der größten Mühe ihre Schlachtordnung aufrechterhalten könnten und nicht wüßten, was sie tun sollten, da sie keinen Befehl zum Angriff hätten.

»Ihr Götter!« rief Nero, »welch eine Nacht! Auf der einen Seite die Feuersbrunst, auf der anderen ein tosendes Menschenmeer.«

Er begann nach weiteren Bildern zu suchen, die die Gefahr dieser Stunde am glänzendsten darzustellen vermöchten; als er jedoch ringsherum blasse Gesichter und besorgte Mienen erblickte, erschrak auch er.

»Gebt mir einen dunklen Mantel mit einer Kapuze,« sagte er, »soll es wirklich zum Kampfe kommen?«

»Herr,« erwiderte Tigellinus mit unsicherer Stimme, »ich habe alles getan, was in meinen Kräften stand; doch die Gefahr ist drohend ... Rede, Herr, zum Volke und mache ihm Versprechungen.«

»Sollte der Caesar zum Volke reden? Ein anderer mag es in meinem Namen tun. Wer will es unternehmen?«

»Ich!« entgegnete Petronius ruhig.

»Ja, geh, mein Freund. Du bist mir in jeder Not am treuesten ... Geh und spare die Versprechungen nicht.«

Petronius wandte sich mit gleichgültiger, spöttischer Miene an das Gefolge.

[99] »Die hier versammelten Senatoren und außerdem Piso, Nerva und Senecio müssen mit.«

Dann stieg er langsam den Aquädukt hinunter. Die Aufgerufenen folgten ihm zwar nicht ohne Zögern, aber mit einem gewissen Vertrauen, das seine Ruhe ihnen eingeflößt hatte. Am Fuß der Arkaden angelangt, ließ er sich ein weißes Pferd vorführen, bestieg es und ritt an der Spitze seiner Begleiter durch die dichten Reihen der Prätorianer auf die schwarze, heulende Menge zu, unbewaffnet, nur in der Hand ein leichtes Elfenbeinstöckchen, das er gewöhnlich trug.

Als er sein Ziel erreicht hatte, trieb er sein Pferd mitten in das Gedränge hinein. Ringsherum konnte er beim Scheine des Feuers erhobene Arme, ausgerüstet mit jeder Art Waffen, glühende Augen, schweißtriefende Gesichter, heulende Menschen, denen der Schaum vor dem Munde stand, entdecken. Bald umgab ihn und seine Begleiter eine tobende Menge, die wirklich wie ein sturmgepeitschtes, brüllendes, wildes Meer von Köpfen anzusehen war.

Die Wutausbrüche wurden noch heftiger und arteten in ein Brüllen aus, das nichts Menschliches an sich hatte; Stangen, Heugabeln und selbst Schwerter wurden über Petronius' Haupt geschwungen, raubgierige Hände griffen nach den Zügeln seines Pferdes und nach ihm; er ritt aber immer weiter, kalt, gleichgültig, verächtlich. Manchmal schlug er mit seinem Stöckchen die Unverschämtesten auf den Kopf, aber nur so, als wolle er sich einen Weg durch das alltägliche Gedränge bahnen, und diese Sicherheit, diese Ruhe imponierten dem tobenden Pöbel. Endlich erkannte man ihn, und zahlreiche Stimmen begannen zu rufen: »Petronius! Arbiter elegantiarum! Petronius!«

»Petronius!« erklang es von allen Seiten.

Je öfter dieser Name wiederholt wurde, desto weniger drohend wurden die Mienen der Umstehenden, der Aufruhr weniger wild. Denn dieser feine Patrizier war, obgleich er nie nach der Gunst des Volkes gestrebt hatte, doch dessen [100] Liebling. Er galt für menschlich und großmütig, und seine Popularität war namentlich seit der Angelegenheit mit Pedanius Secundus noch gewachsen, bei der er für die Milderung des harten, alle Sklaven des Präfekten zum Tode verurteilenden richterlichen Ausspruchs eingetreten war. Die ganze Menge der Sklaven hing an ihm von da ab mit jener unbegrenzten Liebe, welche Bedrückte und Unglückliche in der Regel für den empfinden, der ihnen auch noch so wenig Wohlwollen zeigt. Außerdem regte sich bei den Anwesenden auch die Neugier, was der Abgesandte des Caesars ihnen zu sagen habe; denn niemand zweifelte daran, daß der Caesar ihn ab sichtlich hergesandt habe.

Er nahm seine weiße, mit einem Scharlachsaum verbrämte Toga ab, hob sie empor und schwenkte sie ein paarmal über seinem Kopfe hin und her zum Zeichen, daß er sprechen wolle.

»Ruhe! Ruhe!« ertönte es von allen Seiten.

Nach einiger Zeit trat Stille ein. Nun stellte er sich auf sein Pferd und sprach mit deutlicher, ruhiger Stimme: »Bürger! Diejenigen, die meine Worte hören, mögen sie den Fernerstehenden wiederholen; betragt euch aber alle wie Menschen und nicht wie wilde Tiere in den Arenen!«

»Wir hören, wir hören!«

»So höret! Die Stadt wird wieder aufgebaut werden. Die Gärten des Lucullus, Maecenas, Caesar und der Agrippina werden euch geöffnet werden. Von morgen ab werden so reichliche Verteilungen von Getreide, Wein und Oliven stattfinden, daß sich jeder seinen Wanst bis zum Halse vollstopfen kann. Sodann wird euch der Caesar Spiele vorführen, wie die Welt sie noch nie gesehen hat, und euch dabei mit Speise und Trank sowie mit Geschenken aller Art erfreuen! Ihr werdet nach dem Brande reicher sein als zuvor.«

Ein dumpfes Gemurmel antwortete ihm und verbreitete sich von der Mitte aus nach allen Seiten, ähnlich den Wellenkreisen [101] im Wasser, wenn jemand einen Stein hineingeworfen hat: die Nahestehenden wiederholten den Entfernten Petronius' Worte. Hier und da erschollen Rufe, teils des Unwillens, teils des Beifalls, die zuletzt in das allgemeine Geschrei übergingen: »Panem et circenses!«

Petronius hüllte sich wieder in seine Toga und hörte eine Zeitlang regungslos zu, in seinem weißen Gewande einer Marmorstatue gleichend. Das Geschrei nahm zu, übertönte das Brausen des Feuers, verbreitete sich nach allen Seiten und auf immer weitere Entfernungen. Aber der Abgesandte des Caesars hatte offenbar noch etwas zu sagen, denn er wartete.

Endlich verschaffte er sich von neuem durch eine Handbewegung Schweigen und fuhr fort: »Ich verspreche euch panem et circenses, und jetzt erhebt eure Stimmen zu Ehren des Caesars, der euch ernährt und bekleidet; dann legt euch schlafen, ihr Gesindel, denn es wird bald Tag werden.«

Nach diesen Worten wandte er sein Pferd um, und mit seinem Stöckchen die ihm im Wege Stehenden leicht auf den Kopf und ins Gesicht schlagend, ritt er langsam durch die Reihen der Prätorianer dahin.

Bald war er am Fuße des Aquädukts angelangt. Oben herrschte Schrecken. Man hatte den Ruf: panem et circenses nicht verstanden und hielt ihn für einen neuen Ausbruch der Wut. Man hatte auch nicht erwartet, Petronius lebend wiederzusehen; als daher Nero ihn erblickte, eilte er ihm bis an die Stufen entgegen und fragte ihn, vor Erregung blaß: »Wie steht es? Wie wird es werden? Kommt es zum Kampfe?«

Petronius tat erst einen tiefen Atemzug und entgegnete dann: »Beim Pollux! Schwitzen und riechen die! Will mir jemand ein Epilimma geben; ich bin der Ohnmacht nahe.«

Dann wandte er sich an den Caesar.

»Ich versprach ihnen,« sagte er, »Getreide, Oliven, die Öffnung der Gärten und Spiele. Sie beten dich aufs neue [102] an und schreien dir zu Ehren aus vollem Halse. Ihr Götter, welchen Pestilenzgeruch diese Plebejer doch an sich haben!«

»Ich hielt die Prätorianer bereit,« rief Tigellinus, »und wenn du sie nicht beruhigt hättest, so würde ich sie für immer zum Schweigen gebracht haben. Es ist schade, Caesar, daß du mich nicht Gewalt anwenden ließest.«

Petronius sah den Sprechenden an, zuckte die Schultern und erwiderte: »Es ist noch nichts verloren. Du wirst sie vielleicht schon morgen anwenden müssen.«

»Nein, nein!« rief der Caesar. »Ich werde den Befehl geben, ihnen die Gärten zu öffnen und Getreide unter sie zu verteilen. Ich danke dir, Petronius! Ich will Spiele geben und den Hymnos, den ich euch heute vorsang, öffentlich wiederholen.«

Darauf legte er beide Hände auf Petronius' Schultern, schwieg eine Weile und fragte endlich, nachdem er ruhiger geworden war: »Sage mir aufrichtig: wie kam ich dir während meines Gesanges vor?«

»Du warst des Schauspiels würdig, und das Schauspiel war deiner würdig,« entgegnete Petronius.

Der Caesar wandte sich wieder dem Feuer zu.

»Wir wollen es noch einmal betrachten,« sagte er, »und dann vom alten Rom Abschied nehmen.«

Achtundvierzigstes Kapitel

Achtundvierzigstes Kapitel.

Die Worte des Apostels hatten den Christen ihre Zuversicht wiedergegeben. Das Ende der Welt erschien ihnen zwar nahe, sie fingen aber doch an zu glauben, daß das Schreckensgericht nicht unmittelbar über sie hereinbrechen werde und daß sie vorher vielleicht noch das Ende von Neros Herrschaft, die sie für die Herrschaft des Antichrists hielten, und die Strafe Gottes für seine die Rache des Himmels herausfordernden Verbrechen erleben würden. Getrösteten Herzens begannen sie daher nach Beendigung der Andacht die Höhle zu verlassen [103] und nach ihren jetzigen Zufluchtsorten zurückzukehren, selbst auf das jenseitige Ufer des Tiber, weil sich die Kunde verbreitet hatte, das an mehreren Stellen erloschene Feuer habe sich infolge einer Drehung des Windes dem Flusse wieder zugewandt und aufgehört sich auszudehnen, nachdem es zerstört hatte, was zu zerstören war.

Der Apostel hatte in Vinicius' und Chilons Begleitung ebenfalls die Höhle verlassen. Der junge Tribun wagte nicht, ihn in seinem Gebete zu stören, und ging daher eine Zeitlang schweigend neben ihm her, nur einen flehenden Blick im Auge und vor Erregung zitternd. Viele traten noch herzu, um dem Apostel die Hände und den Saum seines Mantels zu küssen, Mütter hielten ihm ihre Kinder hin; einige knieten in dem dunklen, langen Gange nieder, erhoben die Kerzen und baten um seinen Segen, andere begleiteten ihn unter Gesang, so daß sich kein ruhiger Augenblick zu einer Frage oder Antwort ergab. So war es in dem engen Gange. Erst als sie an einen freieren Platz gelangten, von dem aus man schon die brennende Stadt sehen konnte, segnete Petrus seine Begleiter dreimal und wandte sich an Vinicius.

»Habe keine Furcht; die Hütte des Steinbrechers, in der wir Lygia samt Linus und ihrem treuen Diener finden werden, liegt in der Nähe. Christus, der sie dir bestimmt hat, hat sie dir auch gerettet.«

Vinicius wankte und stützte sich mit der Hand gegen die Felswand. Der Ritt von Antium her, die Ereignisse vor den Stadtmauern, das Suchen nach Lygia inmitten der brennenden Häuser, die Schlaflosigkeit und die fürchterliche Unruhe um die Geliebte hatten seine Kräfte erschöpft, und den Rest davon hatte ihm die Kunde geraubt, daß das, was ihm das Teuerste auf Erden war, in seiner Nähe weile und daß er Lygia bald sehen werde. Es überkam ihn plötzlich eine solche Schwäche, daß er zu den Füßen des Apostels niedersank, seine Kniee umklammerte und in dieser Stellung liegen blieb, ohne ein Wort hervorbringen zu können.

[104] Der Apostel wehrte aber seinen Dank und seine Ehrfurchtsbezeugung ab und sagte: »Nicht mir, nicht mir, sondern Christus mußt du danken.«

»Welch guter Gott!« fiel Chilon mit leiser Stimme ein. »Ich weiß aber nicht, was ich mit den beiden Maultieren beginnen soll, die dort unten warten.«

»Stehe auf und komm mit mir,« sagte Petrus, indem er dem jungen Manne die Hand reichte.

Vinicius erhob sich. Bei dem Feuerscheine konnte man die Tränen sehen, die ihm über sein blasses Gesicht flossen. Die Lippen bewegten sich wie zum Gebete.

»Gut; wir wollen gehen!« antwortete er.

Aber Chilon wiederholte nochmals seine Frage: »Herr, was soll ich mit den Maultieren anfangen? Vielleicht will der würdige Prophet hier lieber reiten als gehen.«

Vinicius wußte selber nicht, was er antworten sollte; da er aber von Petrus gehört hatte, daß die Hütte des Steinbrechers in der Nähe liege, erwiderte er: »Bringe sie zu Macrinus zurück.«

»Gestatte, Herr, daß ich dich an das Haus in Ameriola erinnere. Angesichts dieses schrecklichen Brandes könnte eine solche Kleinigkeit leicht in Vergessenheit geraten.«

»Du sollst es erhalten.«

»O Urenkel des Numa Pompilius, ich war stets davon überzeugt, aber jetzt, wo auch dieser hochherzige Apostel dein Versprechen gehört hat, will ich dich nicht einmal daran erinnern, daß du mir auch einen Weinberg versprochen hast. Pax vobiscum. Auf Wiedersehen, Herr! Pax vobiscum!«

»Friede sei auch mit dir!« antworteten sie beide. Dann wandten sie sich bergaufwärts nach rechts. Unterwegs sagte Vinicius: »Herr, reinige mich in dem Bade der Taufe, damit ich mich einen wahren Anhänger Christi nennen darf, denn ich liebe ihn mit aller Kraft meiner Seele. Taufe mich bald, denn ich bin im Herzen dazu bereit. Was er mir befiehlt, [105] will ich tun; sage du mir aber, was ich noch außerdem tun kann.«

»Liebe die Menschen wie deine Brüder,« entgegnete der Apostel; »denn nur durch Liebe kannst du ihm dienen.«

»Ja, ich verstehe dies schon und fühle es. Als Kind glaubte ich an die römischen Götter, ohne sie zu lieben; aber diesen einen Gott liebe ich so, daß ich mit Freuden mein Blut für ihn hingeben könnte.«

Er blickte zum Himmel empor und fuhr voller Begeisterung fort: »Denn er ist der eine! er ist gütig und barmherzig! Mag daher nicht nur die Stadt, sondern die ganze Welt untergehen, ihn allein will ich verehren und zu ihm allein beten.«

»Und er wird dich und dein Haus segnen,« fiel der Apostel ein.

Inzwischen waren sie in einen anderen Hohlweg eingebogen, an dessen Ende ein trübes Licht brannte.

Petrus deutete mit der Hand darauf und sagte: »Dort liegt die Hütte des Steinbrechers, der uns ein Obdach gewährt hat, als wir mit dem kranken Linus aus dem Ostrianum zurückkehrten und nicht in seine Wohnung jenseit des Tiber gelangen konnten.«

Nach einiger Zeit hatten sie ihr Ziel erreicht. Die Hütte war eher eine Höhle zu nennen, die in den Abhang des Berges gegraben und nach außen durch eine Wand aus Lehm und Rohr abgegrenzt war. Die Tür war verschlossen, aber durch eine Öffnung, welche die Stelle des Fensters vertrat, konnte man in das erleuchtete Innere blicken.

Eine dunkle Hünengestalt erhob sich beim Herannahen der beiden Ankömmlinge und fragte: »Wer seid ihr?«

»Diener Christi,« erwiderte Petrus. »Friede sei mit dir, Ursus.«

Ursus verneigte sich vor dem Apostel bis zur Erde und ergriff, als er Vinicius erkannte, dessen Hand und zog sie an seine Lippen.

[106] »Auch du, Herr?« fragte er. »Gesegnet sei der Name des Lammes um der Freude willen, die du Kalline bringst.«

Dann öffnete er die Tür, damit sie eintreten konnten. Auf einem Strohbündel lag der kranke Linus mit abgezehrtem Gesicht und einer Haut, gelb wie Elfenbein. Am Herde saß Lygia mit einer Anzahl an einer Schnur befestigter kleiner Fische, die offenbar für die Abendmahlzeit bestimmt waren.

Sie war mit dem Ablösen der Fische von der Schnur beschäftigt und sah überhaupt nicht auf, da sie glaubte, es sei Ursus, der zurückkehre. Vinicius näherte sich ihr, rief ihren Namen und breitete die Arme nach ihr aus. Jetzt erhob sie sich rasch; ein Strahl erstaunter Freude erhellte ihr Gesicht, und wortlos, wie ein Kind, das nach tagelanger Angst und Qual Vater oder Mutter wiederfindet, stürzte sie sich in seine geöffneten Arme.

Er umarmte sie und hielt sie lange an seine Brust gepreßt, ebenfalls mit einem Entzücken, als sei sie durch ein Wunder gerettet. Dann ließ er sie los, faßte sie bei den Schläfen und küßte sie auf Stirn und Augen, umarmte sie abermals und wiederholte ihren Namen; dann beugte er sich tief auf ihre Hände hernieder und begrüßte sie mit schmeichelnden und verehrungsvollen Worten. Seine Freude war in der Tat grenzenlos, ebenso wie seine Liebe und sein Glück.

Endlich begann er zu erzählen, wie er aus Antium hergeeilt sei, wie er sie vor den Toren und in Linus' raucherfülltem Hause gesucht, was er gelitten und erlebt und wie er sich abgemartert habe, bevor der Apostel ihn zu ihrem Zufluchtsorte geführt habe.

»Jetzt aber,« sagte er, »wo ich dich gefunden habe, lasse ich dich nicht länger hier im Angesicht dieses Feuers und der rasenden Menge. Die Menschen schlagen einander vor den Stadtmauern tot, die Sklaven empören sich und plündern; Gott allein weiß, was für Prüfungen noch Rom beschieden sind. Aber ich werde dich und euch alle retten. Geliebte! ... [107] Wollt ihr mit mir nach Antium kommen? Dort besteigen wir ein Schiff und segeln nach Sizilien. Meine Güter, meine Häuser gehören euch. Höre mich an! In Sizilien treffen wir Aulus und Pomponia; ich werde dich zu ihnen zurückbringen, um dich wieder aus ihren Händen zu empfangen. Habe keine Furcht mehr vor mir, o carissima! Die Taufe hat mich zwar noch nicht gereinigt, aber du kannst Petrus fragen, ob ich ihm nicht jetzt eben auf dem Wege zu dir gesagt habe, ich möchte ein wahrer Anhänger Christi werden, und ob ich ihn nicht gebeten habe, mich zu taufen, sei es auch in der Hütte des Steinbrechers hier. Vertraue mir und vertraut mir alle.«

Freudestrahlenden Gesichts lauschte Lygia seinen Worten. Alle lebten sie hier in beständiger Unruhe und Sorge, früher aus Anlaß der Verfolgungen seitens der Juden, jetzt infolge des Brandes und der durch dieses Unglück verursachten Verwirrung. Eine Übersiedelung nach dem friedlichen Sizilien würde aller Unruhe ein Ende machen und eine neue Epoche des Glücks in ihrem Leben eröffnen. Hätte Vinicius nur Lygia mitnehmen wollen, so würde sie sicher der Versuchung widerstanden haben, da sie den Apostel Petrus und Linus nicht verlassen mochte; aber Vinicius hatte ja zu den beiden gesagt: »Kommt mit mir; meine Güter und Häuser gehören euch!«

Dann beugte sie sich auf seine Hand herab, um sie zum Zeichen ihres Gehorsams zu küssen, und sprach: »Dein Herd ist der meine.«

Verwirrt darüber, daß sie die Worte gebraucht hatte, die nach römischer Sitte die Braut erst bei der Vermählung aussprach, errötete sie und stand nun gesenkten Hauptes im Scheine des Feuers da, ungewiß, ob man sie ihr verübeln werde.

Aber in Vinicius' Zügen spiegelte sich nur unbegrenzte Verehrung wider. Er wandte sich sofort an Petrus und begann von neuem: »Rom ist auf Befehl des Cäsars in [108] Brand gesteckt worden. Schon in Antium klagte er, noch nie eine große Feuersbrunst gesehen zu haben. Wenn er aber vor einem solchen Verbrechen nicht zurückgeschreckt ist, so bedenkt, was da noch alles geschehen kann. Wer weiß, ob er nicht Truppen zusammenzieht und die Bürger niederhauen läßt? Wer weiß, was für Ächtungen bevorstehen, wer weiß, ob auf das Unglück des Brandes nicht das Unglück des Bürgerkrieges, Mordes und Hungers folgt? Verbergt euch darum und helft mir Lygia in Sicherheit bringen. Dort in Sizilien könnt ihr in Ruhe den Sturm abwarten; ist er vorüber, so könnt ihr ja hierher zurückkehren, um euer Samenkorn auszustreuen.«

Wie um Vinicius' Befürchtungen zu bestätigen, erscholl draußen vom Ager Vaticanus her fernes Wut-und Schreckensgeschrei. In demselben Augenblicke trat auch der Steinbrecher, dem die Hütte gehörte, ein, verschloß sorgfältig die Tür und sagte: »Beim Neronischen Zirkus herrscht Mord und Totschlag. Sklaven und Gladiatoren greifen die Bürger an.«

»Hört ihr?« fragte Vinicius.

»Das Maß ist übervoll,« erwiderte der Apostel, »Prüfungen werden hereinbrechen wie ein uferloses Meer.«

Dann wandte er sich an Vinicius und fuhr fort: »Nimm das Mädchen, das Gott dir beschieden hat, und rette sie. Auch Linus, der krank ist, und Ursus sollen mit euch gehen.«

Vinicius, der den Apostel mit der ganzen stürmischen Kraft seines jugendlichen Wesens lieben gelernt hatte, rief: »Ich schwöre dir, Meister, daß ich dich hier deinem Verderben nicht aussetzen werde.«

»Der Herr segne dich für deine Absicht,« erwiderte der Apostel; »hast du aber nicht gehört, daß Christus mir dreimal am See das Gebot wiederholte: Weide meine Lämmer?«

Vinicius schwieg.

»Wenn du, dem niemand die Sorge um mich anvertraut hat, sagst, du wollest mich nicht dem Verderben aussetzen, wie willst du dann, daß ich meine Herde am Tage der Prüfung [109] verlasse? Als der Sturm auf dem See raste und wir uns in unserem Herzen fürchteten, da hat er uns auch nicht verlassen; wie darf ich, der Diener, dem Beispiel meines Herrn ungehorsam werden?«

Jetzt erhob Linus sein abgezehrtes Antlitz und fragte: »Und warum soll ich, Statthalter des Herrn, deinem Beispiele nicht folgen dürfen?«

Vinicius strich sich mit der Hand über die Stirn, als kämpfe er mit sich und seinen Entschlüssen, dann faßte er Lygia bei der Hand und sprach mit einer Stimme, aus der die ganze Entschiedenheit eines römischen Kriegers herausklang: »Höret mich, Petrus, Linus und auch du, Lygia. Ich sprach, wie es mir mein menschlicher Verstand eingab, ihr jedoch habt einen davon verschiedenen, der nicht auf die eigene Gefahr, sondern auf die Gebote des Erlösers achtet. Ja! ich hatte das nicht begriffen und befand mich im Irrtum, denn noch ist die Binde nicht von meinen Augen genommen und die frühere Natur lebt in mir auf. Allein ich liebe Christus und will sein Diener werden, und obgleich es sich um ein Wesen, das mir teurer ist als mein eigenes Leben, handelt, kniee ich hier nieder und schwöre vor euch, das Gebot der Liebe erfüllen und meine Brüder am Tage der Prüfung nicht verlassen zu wollen.«

Bei den letzten Worten fiel er auf die Kniee, und plötzlich erfaßte ihn überirdische Begeisterung: er hob Augen und Hände zum Himmel und rief aus: »Verstehe ich dich jetzt, Christus? bin ich deiner würdig?«

Die Hände zitterten ihm, seine Augen standen voll Tränen, sein Körper erschütterte unter dem Schauer des Glaubens und der Liebe. Da ergriff Petrus ein irdenes Gefäß mit Wasser, trat zu ihm heran und sagte feierlich: »So taufe ich dich denn im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, Amen!«

Religiöse Begeisterung erfüllte alle Anwesenden. Es war, als sei die Hütte von überirdischem Lichte erhellt, als vernähmen [110] sie eine überirdische Musik, als öffne sich die Felshöhlung über ihren Häuptern, als schwebten Engelsscharen vom Himmel hernieder, und als sähen sie hoch oben ein Kreuz und durchbohrte segnende Hände.

Draußen aber erscholl unterdessen das Geschrei kämpfender Menschen und das Geheul der Flammen in der brennenden Stadt.

Neunundvierzigstes Kapitel

Neunundvierzigstes Kapitel.

In den herrlichen Gärten des Caesars, die früher dem Domitius und der Agrippina gehört hatten, auf dem Marsfelde, in den Gärten des Pompejus, Sallust und Maecenas dehnten sich Volkslager aus. Säulenhallen, zum Ballspiel bestimmte Gebäude, prächtige Sommerhäuser und zur Aufnahme wilder Tiere errichtete Schuppen wurden in Beschlag genommen. Pfaue, Flamingos, Schwäne und Strauße, Gazellen und Antilopen aus Afrika, Hirsche und Rehe, die jenen Gärten zur Zierde dienten, fielen unter den Messern der Menge. Lebensmittel begannen jetzt in solcher Fülle von Ostia einzutreffen, daß man über Kähne und Schiffe aller Art wie auf einer Brücke von einem Ufer des Tibers bis zum anderen gehen konnte. Das Getreide wurde zu dem unerhört niedrigen Preise von drei Sesterzien verkauft und an die Armen umsonst verteilt. Unermeßliche Zufuhren von Wein, Oliven, Kastanien langten an; vom Gebirge wurden täglich Herden von Rindern und Schafen zur Stadt getrieben. Arme Leute, die sich vor dem Brande in den Hintergäßchen der Subura versteckt gehalten hatten und in gewöhnlichen Zeiten fast verhungert wären, lebten jetzt besser als zuvor. Die Gefahr einer Hungersnot war völlig beseitigt, dagegen war es schwieriger, den Räubern, Dieben und Betrügern entgegenzutreten. Das herumschweifende Leben verschaffte den Spitzbuben Straflosigkeit, um so mehr, als sie sich für Verehrer des Caesars ausgaben und ihn jedesmal mit Beifallsrufen empfingen, wo er sich auch zeigen mochte. Da sich zudem [111] durch die Macht der Verhältnisse die staatliche Ordnung aufgelöst hatte und es zugleich an genügender militärischer Macht fehlte, um der Gesetzlosigkeit in einer Stadt zu steuern, die der Sammelplatz des Gesindels der ganzen Welt war, wurden Taten vollführt, die jeder menschlichen Phantasie spotteten. Jede Nacht kam es zu Kämpfen, Mordtaten und dem Raube von Frauen und Knaben. Bei der Porta Mugionis, wo sich der Halteplatz für die aus der Campania hergetriebenen Viehherden befand, wurden wahre Schlachten geliefert, in denen oft hunderte von Menschen das Leben einbüßten. Jeden Morgen waren die Tiberufer mit den Leichen Ertränkter bedeckt, um die sich niemand kümmerte und die infolge der durch das Feuer noch gesteigerten Hitze rasch in Verwesung übergingen und die Luft mit ihrem schrecklichen Geruche verpesteten. In den Lagern traten Krankheiten auf, und furchtsame Leute sahen den Ausbruch einer verheerenden Seuche voraus.

In der Stadt brannte es unaufhörlich fort. Erst am sechsten Tage, als das Feuer die leeren Plätze am Esquilin erreichte, auf denen absichtlich eine sehr große Anzahl Häuser abgerissen worden war, fing es an, nachzulassen. Aber die Berge glühenden verkohlten Holzes leuchteten noch so stark, daß das Volk nicht an das Ende des Unheils glauben wollte. Und wirklich brach der Brand in der siebenten Nacht in den Gebäuden des Tigellinus wieder mit neuer Kraft aus, dauerte jedoch aus Mangel an brennbaren Stoffen nur kurze Zeit. Nur stürzten noch hier und da ausgebrannte Häuser zusammen, so daß die Flammen wieder aufloderten und die Funken umherstoben. Aber allmählich begannen die im Innern noch glühenden Trümmer an der Oberfläche schwarz zu werden. Der Himmel erstrahlte nach Sonnenuntergang nicht mehr in blutrotem Lichte, und nur zur Nachtzeit züngelten blaue Flämmchen über der weiten schwarzen Öde empor, die aus den verkohlten Überresten der Häuser hervorbrachen.

Von den vierzehn Regionen Roms waren kaum vier übrig, [112] das andere Ufer des Tibers mit eingerechnet. Alle anderen hatte das Feuer zerstört. Als auch die Trümmerhaufen erloschen waren, dehnte sich vom Tiber bis zum Esquilin eine riesige graue, düstere, tote Fläche aus, aus der Reihen von Schornsteinen wie Grabsäulen auf einem Friedhofe aufragten. Zwischen diesen Säulen bewegten sich tagsüber düstere Scharen von Menschen, die zum Teil nach Kostbarkeiten, zum Teil nach den Gebeinen ihrer Lieben suchten. Nachts heulten Hunde auf der Asche und den Trümmern der früheren Wohnungen ihrer Herren.

Alle Güte und Hilfe, die der Caesar dem Volke erwies, verhinderte aber nicht die üble Nachrede und die Entrüstung. Befriedigt war nur das Heer der Räuber, Verbrecher und obdachlosen Bettler, die jetzt nach Belieben essen, trinken und plündern konnten. Aber die Leute, die ihre nächsten Angehörigen und ihr Eigentum verloren hatten, ließen sich weder durch das Öffnen der Gärten noch durch das Verteilen von Getreide oder durch das Versprechen von Spielen und Geschenken versöhnen. Das Unglück war zu groß und unerhört. Alle, in deren Seele noch ein Funken Liebe zur Stadt, zu ihrer Vaterstadt, glühte, brachte die Kunde zur Verzweiflung, daß der alte Name »Roma« von der Oberfläche der Erde verschwinden solle und daß der Caesar mit dem Plane umgehe, eine neue Stadt unter dem Namen »Neropolis« aus der Asche erstehen zu lassen. Eine Flut des Hasses brach sich Bahn und schwoll von Tage zu Tage an, trotz der Schmeicheleien der Augustianer und der Lügen des Tigellinus. Nero, der mehr nach der Gunst des Volkes strebte als irgendeiner der früheren Caesaren, dachte mit Schrecken daran, daß ihm in dem hartnäckigen Kampfe auf Tod und Leben, den er mit den Patriziern im Senate zu führen gedachte, die Unterstützung des Volkes fehlen könne. Selbst die Augustianer waren nicht weniger beunruhigt, da jeder neue Tag ihnen den Untergang bereiten konnte. Tigellinus hatte die Absicht, einige Legionen aus Kleinasien heranzuziehen. Vatinius, [113] der selbst lachte, wenn man ihn ins Gesicht schlug, verlor seinen Humor, Vitellius den Appetit.

Manche berieten sich untereinander über die Mittel und Wege, die Gefahr zu beschwören; denn es war für niemand ein Geheimnis, daß, wenn der Caesar bei einem Aufruhr getötet würde, vielleicht Petronius ausgenommen, keiner der Augustianer mit dem Leben davonkommen würde. Ihrem Einflusse schrieb man die wahnwitzigen Taten Neros zu, ihren Einflüsterungen alle Verbrechen, die er beging. Der allgemeine Haß richtete sich fast mehr gegen sie als gegen ihn.

Sie fingen daher an darüber nachzusinnen, wie sie die Verantwortlichkeit für die Zerstörung der Stadt von sich abwälzen könnten. Wollten sie sich selbst aber davon befreien, so mußten sie auch den Caesar von jedem Verdachte reinigen, denn sonst hätte ihnen niemand geglaubt, daß nicht sie die Urheber des Unglücks gewesen seien. Tigellinus besprach sich zu diesem Zwecke mit Domitius Afer und selbst mit Seneca, obgleich er diesen haßte. Poppaea, die ebenfalls einsah, daß Neros Untergang den ihrigen nach sich ziehen müsse, schloß sich der Meinung ihrer Vertrauten und der hebräischen Priester an; denn es war all gemein bekannt, daß sie seit langen Jahren den Glauben an Jahve huldigte, Nero faßte Pläne auf eigene Hand, die oft furchtbar, noch häufiger aber töricht waren, und verfiel abwechselnd wie ein Kind bald in Angst, bald in Übermut, meistens aber in Wehklagen.

Eines Tages wurde in dem Hause des Tiberius, das vom Brande verschont geblieben war, eine lange, aber fruchtlose Beratung abgehalten. Petronius war der Meinung, der Caesar solle die Sorgen abwerfen und sich nach Griechenland und von da nach Ägypten und Kleinasien begeben. Die Reise war ja schon längst geplant; warum sollte man sie aufschieben, wo in Rom nur Trübsinn und Gefahr herrschten?

Der Caesar ergriff den Plan mit Feuereifer, aber Seneca sagte nach kurzem Nachdenken: »Die Abreise ist leicht, aber die Rückkehr dürfte schwieriger sein.«

[114] »Beim Herakles!« rief Petronius; »an der Spitze der asiatischen Legionen ist sie möglich.«

»Das werde ich tun!« rief Nero.

Tigellinus widersetzte sich dem aber. Er selbst konnte nichts finden, und wenn Petronius' Plan in seinem Kopfe entstanden wäre, so hätte er sich unzweifelhaft Rettung von ihm versprochen. Es kam ihm jedoch darauf an, daß Petronius sich nicht zum zweitenmal als der einzige Mann erwies, der in schwierigen Fällen alles und alle zu retten wüßte.

»Höre mich an, Gottheit!« sagte er, »der Rat ist verderblich. Bevor du nach Ostia gelangst, bricht ein Bürgerkrieg aus. Wer weiß, ob nicht einer von den noch lebenden Seitensprößlingen des göttlichen Augustus sich zum Caesar aufwirft, und was sollen wir dann anfangen, wenn die Legionen auf seiner Seite stehen?«

»Wir werden veranlassen,« erwiderte Nero, »daß es keine Nachkommen des Augustus mehr gibt. Es sind ihrer sowieso nicht mehr viele, daher ist es leicht, sich ihrer zu entledigen.«

»Es ist möglich, dies zu tun, aber handelt es sich allein um sie? Meine Leute hörten erst gestern im Gedränge, daß ein Mann wie Thrasea Caesar sein müßte.«

Nero biß sich auf die Lippen. Nach einiger Zeit blickte er jedoch auf und sagte: »Die Unersättlichen und Undankbaren! Sie haben Getreide und Kohlen genug, um Kuchen backen zu können: was wollen sie noch?«

»Rache,« erwiderte Tigellinus.

Es trat allgemeines Schweigen ein. Plötzlich erhob sich der Caesar, streckte den Arm aus und begann zu deklamieren: »Rache ersehnen die Herzen, und Rache erfordert ein Opfer.«

Dann rief er, alles andere vergessend, strahlenden Gesichts: »Gebt mir eine Schreibtafel und einen Griffel, damit ich diesen Vers niederschreibe. Niemals hat Lucanus einen ähnlichen [115] gemacht. Habt ihr bemerkt, mit welcher Leichtigkeit ich ihn zustande brachte?«

»O, du bist unvergleichlich,« ließen sich mehrere Stimmen vernehmen.

Nero schrieb den Vers nieder und sprach: »Ja! Rache fordert ein Opfer!«

Dann erhob er seinen Blick zu den Umstehenden: »Wie wäre es, wenn wir die Nachricht verbreiteten, Vatinius habe die Stadt in Brand stecken lassen, und ihn dem Zorn des Volkes auslieferten?«

»O Gottheit! Wer bin ich?« rief Vatinius aus.

»Du hast recht! Es bedarf eines Größeren, als du bist ... Vitellius?«

Vitellius erblaßte, fing aber an zu lachen.

»Mein Fett,« entgegnete er, »könnte das Feuer von neuem entzünden.«

Auch Nero hatte etwas anderes im Sinn; er suchte im Geiste nach einem Opfer, das die Volkswut in Wirklichkeit befriedigen könnte, und er fand es.

»Tigellinus,« rief er nach einer kurzen Pause, »du hast Rom angezündet.«

Die Anwesenden durchlief ein Zittern. Sie sahen, daß der Caesar diesmal nicht mehr scherze und daß der Augenblick der Entscheidung gekommen sei.

Tigellinus sah aus wie ein Hund, der im Begriff steht, auf jemand loszufahren.

»Ich habe Rom auf deinen Befehl angezündet.«

Sie betrachteten einander wie zwei Teufel. Es trat eine so tiefe Stille ein, daß man das Summen der Fliegen hören konnte, die durch das Atrium flogen.

»Tigellinus,« fragte Nero, »hast du mich lieb?«

»Du weißt es, Herr!«

»Opfere dich für mich!«

»Göttlicher Caesar!« erwiderte Tigellinus, »warum reichst du mir den süßen Trank, den ich doch nicht an die Lippen [116] setzen darf? Das Volk murrt und empört sich, willst du, daß auch die Prätorianer sich zu empören beginnen?«

Ein Gefühl des Schreckens erfaßte die Anwesenden.

Tigellinus war Präfekt der Prätorianer, und seine Worte enthielten eine deutlich erkennbare Drohung. Auch Nero verstand dies, und sein Gesicht überzog sich mit Blässe.

In diesem Augenblicke trat Epaphroditus, des Caesars Freigelassener, mit der Meldung ein, die göttliche Augusta wünsche Tigellinus in ihren Gemächern zu sprechen; es seien Leute bei ihr, die der Präfekt anhören müsse.

Tigellinus verbeugte sich vor dem Caesar und ging mit kalter, verächtlicher Miene hinweg. Jetzt, da ein Schlag gegen ihn geführt werden sollte, hatte er die Zähne gewiesen; er hatte zu verstehen gegeben, wer er sei, und da er Neros Feigheit kannte, war er überzeugt, dieser Herrscher der Welt werde niemals mehr wagen, seine Hand gegen ihn zu erheben.

Nero saß eine Weile schweigend da und sprach dann, als er sah, daß die Anwesenden ein Wort von ihm erwarteten: »Ich habe eine Schlange am Busen genährt.«

Petronius zuckte die Schultern, als wolle er sagen, es dürfte nicht schwer sein, dieser Schlange den Kopf zu zertreten.

»Was willst du sagen? Sprich, rate!« rief Nero, der seine Bewegung bemerkt hatte, »zu dir allein habe ich Zutrauen, denn du hast mehr Verstand als die anderen alle, und du liebst mich!«

Petronius schwebten schon die Worte auf den Lippen: »Ernenne mich zum Präfekten der Prätorianer, so werde ich Tigellinus dem Volke ausliefern und die Stadt in einem Tage zur Ruhe bringen.« Aber seine Bequemlichkeitsliebe überwog. Präfekt zu sein bedeutete im Grunde genommen, die Sorge für die Person des Caesars und tausenderlei öffentlicher Angelegenheiten auf seine Schultern zu nehmen. Wozu sollte er sich eine solche Last aufladen? War es nicht angenehmer, in seiner reichen Bibliothek Verse zu lesen, seine Vasen und Statuen zu betrachten oder den herrlichen Leib [117] Eunikes an seine Brust zu drücken, mit den Fingern in ihrem goldenen Haar zu spielen und seinen Mund auf ihre Korallenlippen zu pressen?

Er sagte daher nur: »Ich rate dir, nach Achaja zu gehen.«

»Ach,« entgegnete Nero, »ich habe Besseres von dir erwartet. Der Senat haßt mich. Wer bürgt mir dafür, daß er, wenn ich gehe, sich nicht gegen mich empört und jemand anders zum Caesar ausruft? Das Volk war mir früher ergeben, wird aber heute meinen Feinden folgen. Beim Hades! wenn doch dieser Senat und dieses Volk einen einzigen Kopf besäßen!«

»Gestatte mir, darauf zu erwidern, Gottheit, daß, wenn du Rom retten willst, du auch einige Römer übriglassen mußt,« erwiderte Petronius lächelnd.

Doch Nero begann zu klagen: »Was kümmern mich Rom und die Römer! In Achaja soll man mir gehorchen. Hier umgibt mich nur Verrat. Alle verlassen mich! Ich weiß es, weiß es! ... Ihr denkt gar nicht, was kommende Jahrhunderte von euch sagen werden, daß ihr einen solchen Künstler wie mich im Stiche gelassen habt.«

Plötzlich griff er sich an die Stirn und rief aus: »... Richtig! Bei all diesen Sorgen vergesse ich, wer ich bin.« Dann wandte er sich strahlenden Antlitzes an Petronius.

»Petronius,« sagte er, »das Volk murrt; wenn ich aber meine Laute nehme und mit ihr nach dem Marsfelde gehe, wenn ich ihm dort den Hymnos vorsinge, den ich euch während des Brandes vorgetragen habe, glaubst du nicht, daß ich es mit meinem Gesang besänftigen würde, wie es Orpheus mit den wilden Tieren tat?«

Tullius Senecio, dem es daran lag, zu seinen aus Antium angekommenen Sklavinnen zurückzukehren, und der schon längst ungeduldig geworden war, entgegnete: »Ohne Zweifel, Caesar, wenn sie dir gestatten, anzufangen.«

»Gehen wir nach Hellas!« rief Nero mißmutig.

[118] In diesem Augenblick erschien Poppaea; und hinter ihr Tigellinus. Die Augen der Anwesenden richteten sich unwillkürlich auf diesen letzteren, denn nie war ein Triumphator mit solchem Stolze zum Kapitol hinaufgestiegen, mit dem er jetzt vor dem Caesar stand.

Er begann zu sprechen, langsam und mit Nachdruck, mit einer Stimme, aus der eine eiserne Entschlossenheit herausklang: »Höre mich, Caesar, denn ich kann dir sagen: ich habe einen Rettungsweg gefunden! Das Volk fordert Rache und Opfer; aber man darf ihm nicht ein einziges ausliefern, sondern es müssen ihrer hunderte und tausende sein. Hast du je gehört, wer Chrestos war, der unter Pontius Pilatus gekreuzigt worden ist? und weißt du, wer die Christen sind? Habe ich dir nicht über ihre Verbrechen und schändlichen Feierlichkeiten, von ihren Prophezeiungen, daß die Welt durch Feuer zugrunde gehen werde, Bericht erstattet? Das Volk haßt und beargwohnt sie. Niemand hat sie in den Tempeln gesehen, denn sie halten unsere Götter für böse Geister; niemals im Stadium, denn sie verachten die Wettrennen. Nie hat die Hand eines Christen dir Beifall geklatscht, nie hat einer von ihnen dich als Gott anerkannt. Sie sind Feinde des menschlichen Geschlechts, Feinde der Stadt und die deinigen. Das Volk murrt gegen dich, aber du hast mir keinen Befehl gegeben, Caesar, Rom in Brand zu stecken, und ich habe es nicht angezündet ... Das Volk schreit nach Rache, gewähre sie ihm! Das Volk verlangt Blut und Spiele, gewähre sie ihm! Das Volk hegt Argwohn gegen dich, gib diesem Argwohn eine andere Richtung.«

Nero hörte anfangs mit Erstaunen zu. Je länger Tigellinus aber sprach, fing sein Schauspielergesicht an, sich zu verändern und abwechselnd den Ausdruck des Zornes, des Kummers, der Teilnahme, der Empörung anzunehmen. Plötzlich erhob er sich, warf die Toga ab, die zu Boden fiel, hob beide Hände empor und verharrte eine Zeitlang schweigend in dieser Stellung.

[119] Endlich begann er mit tragischem Pathos: »Zeus, Apollon, Hera, Athene, Persephone und ihr unsterblichen Götter alle, warum seid ihr uns nicht zu Hilfe gekommen? Was hat diese unglückliche Stadt denn diesen Wüterichen getan, daß sie sie auf so unmenschliche Weise in Brand gesteckt haben?«

»Sie sind Feinde des menschlichen Geschlechts und die deinen,« erwiderte Poppaea.

Einige der Anwesenden begannen zu rufen: »Laß der Gerechtigkeit freien Lauf! Bestrafe die Brandstifter! Selbst die Götter fordern Rache!«

Nero nahm wieder Platz, ließ das Haupt auf die Brust sinken und schwieg von neuem, als sei er von der Schlechtigkeit betäubt, von der er soeben gehört hatte. Endlich sprach er mit einer abwehrenden Handbewegung: »Welche Strafen, welche Martern können ein solches Verbrechen sühnen? Aber die Götter werden mich erleuchten, und mit Hilfe der Mächte des Tartaros werde ich meinem armen Volke ein Schauspiel geben, daß es sich noch nach Jahrhunderten meiner dankbar erinnern wird.«

Petronius' Stirn umwölkte sich. Er dachte an die Gefahr, die über Lygia schwebte, über Vinicius, den er liebte, und über jenen allen, deren Religion er zwar verachtete, von deren Schuldlosigkeit er jedoch überzeugt war. Ebenso dachte er daran, daß jetzt eine jener blutigen Orgien beginnen werde, die seine ästhetisch gebildeten Augen nicht ertrugen. Aber vor allem sagte er sich: »Ich muß Vinicius retten, der wahnsinnig wird, wenn er jenes Mädchen verlieren soll.« Diese Rücksicht verdrängte alle anderen Erwägungen, denn Petronius wußte nur zu gut, daß er ein gefährlicheres Spiel beginne als je in seinem Leben.

Trotzdem begann er sorglos und gleichgültig zu sprechen, wie er es immer tat, wenn er nicht genügend ästhetische Pläne des Caesars und der Augustianer kritisierte oder verspottete.

[120] »Ihr habt also Opfer gefunden! Gut! Ihr könnt sie in die Arena schicken oder in die peinliche Tunica stecken! Auch gut! Aber höret mich! Ihr habt die Gewalt in den Händen, ihr habt die Prätorianer, ihr habt die Macht; daher seid wenigstens jetzt aufrichtig, wo euch niemand hört. Täuschet das Volk, aber nicht euch selber. Gebt die Christen dem Volke preis, verurteilt sie zu jeder beliebigen Marter, aber habt den Mut, euch selbst zu sagen, daß nicht sie Rom in Brand gesteckt haben ... Pfui! Ihr nennt mich arbiter elegantiarum, daher erkläre ich euch, daß ich erbärmliche Komödien nicht leiden kann. Pfui! Ach, wie mich dies alles an die Theaterbuden bei der Porta Asinaria erinnert, in denen die Schauspieler zum Ergötzen des Vorstadtpöbels Götter und Könige darstellen, um nach der Vorstellung Zwiebeln mit saurem Weine hinunterzuspülen oder Prügel zu bekommen. Seid in Wahrheit Götter und Könige, denn ich sage euch, ihr könnt euch dies gestatten. Und was dich betrifft, Caesar, so hast du uns mit dem Urteile kommender Jahrhunderte gedroht; bedenke aber, daß diese auch über dich urteilen werden. Bei der göttlichen Kleio! Nero, der Herrscher der Welt, Nero, der Gott, hat Rom in Brand gesteckt, weil er so mächtig war auf Erden wie Zeus im Olymp. Nero, der Dichter, liebte die Poesie so sehr, daß er ihr seine Vaterstadt aufopferte! Seit Beginn der Welt hat niemand etwas Ähnliches getan, niemand hat etwas Ähnliches gewagt. Ich bitte dich im Namen der neun Libethriden, 1 verscherze diesen Ruhm nicht, denn bis zum Ende der Zeiten werden Gesänge auf dich ertönen. Was wird im Vergleich zu dir Priamos sein? was Agamemnon? was Achilleus? was werden selbst die Götter sein? Es kommt nicht darauf an, ob der Brand Roms etwas Gutes war, aber er ist etwas Großes und Außerordentliches! Zudem erkläre ich dir, daß das Volk keine Hand gegen dich erheben wird! Es ist nicht wahr! [121] Fasse Mut! hüte dich vor Handlungen, die deiner unwürdig sind, denn nur die Gefahr droht dir, daß künftige Jahrhunderte erzählen können: Nero steckte Rom in Brand, aber feig als Caesar und feig als Dichter leugnete er aus Furcht die große Tat und wälzte die Schuld auf Unschuldige!«

Petronius' Worte verfehlten nicht, ihre gewöhnliche Wirkung auf Nero auszuüben. Diesmal aber täuschte sich Petronius nicht, denn er wußte, seine Rede war ein verzweifeltes Mittel gewesen, das zwar günstigenfalls die Christen retten, ihn selbst aber noch leichter ins Verderben stürzen konnte. Trotzdem hatte er nicht gezögert, da es ihm sowohl um Vinicius zu tun war, den er liebte, wie um das Hasardspiel, das seinen Geist fesselte. »Die Würfel sind gefallen,« sprach er zu sich, »wir wollen sehen, wieviel stärker bei dem Affen die Furcht für die eigene Haut ist als der Ehrgeiz.«

In seinem Innern zweifelte er jedoch nicht, daß die Furcht stärker sei.

Inzwischen war nach seinen Worten tiefes Schweigen eingetreten. Poppaea und alle Anwesenden blickten voller Spannung auf Nero. Dieser begann seine Lippen aufzuwerfen und bis zur Nase hochzuziehen, wie er zu tun pflegte, wenn er nicht wußte, was er tun sollte. Endlich nahmen seine Züge den deutlich erkennbaren Ausdruck der Verlegenheit und Unruhe an.

»Herr,« rief Tigellinus, als er dies bemerkte, »gestatte mir zu gehen; denn wenn man deine Person dem Untergange preisgibt und dich noch dazu einen feigen Caesar, Mordbrenner und Komödianten schilt, so können meine Ohren solche Worte nicht ertragen.«

»Ich habe verspielt,« dachte Petronius.

Er wandte sich zu Tigellinus und maß ihn mit einem Blicke, in dem die ganze Verachtung des vornehmen Herrn und feingebildeten Mannes gegen einen Elenden lag; dann sagte er: »Tigellinus, du bist es, den ich einen Komödianten nannte; denn du schauspielerst selbst jetzt noch.«

[122] »Etwa, weil ich deine Schmähungen nicht mitanhören will?«

»Weil du unbegrenzte Liebe für den Caesar heuchelst und ihm soeben noch mit den Prätorianern gedroht hast; wir haben es alle wohl verstanden und er auch.«

Tigellinus, der nicht erwartet hatte, Petronius könne es wagen, solche Angriffe gegen ihn zu schleudern, erblaßte, geriet in Verwirrung und wußte nicht, was er darauf erwidern sollte. Aber es war der letzte Triumph des arbiter elegantiarum, denn in diesem Augenblicke sprach Poppaea: »Herr, wie kannst du erlauben, daß jemand einen solchen Gedanken faßt und, was noch schlimmer ist, daß er es wagt, ihn in deiner Gegenwart laut auszusprechen?«

»Strafe den Unverschämten!« rief Vitellius.

Nero zog wiederum die Lippen bis zur Nase empor, richtete seine gläsernen, kurzsichtigen Augen auf Petronius und sagte: »Lohnst du mir so für meine Freundschaft, die ich dir stets erwiesen habe?«

»Wenn ich mich irre, so beweise es mir,« entgegnete Petronius; »wisse aber, daß ich das zu dir sagte, was mir die Liebe zu dir eingab.«

»Strafe den Unverschämten!« wiederholte Vitellius.

»Tu dies!« ließen sich mehrere Stimmen vernehmen.

Im Atrium entstand ein Gemurmel, eine Bewegung; man fing an, sich von Petronius zurückzuziehen. Selbst Tullius Senecio, sein beständiger Genosse bei Hofe, und der junge Nerva, der ihm bis dahin die größte Freundschaft erwiesen hatte, traten abseits. Nach einer Weile stand Petronius ganz allein auf der linken Seite des Atriums, ein Lächeln auf den Lippen, ordnete die Falten seiner Toga und wartete ab, was der Caesar sagen oder tun würde.

Endlich sagte Nero: »Ihr wollt, daß ich ihn strafe; aber er ist mein Gefährte und mein Freund; und obgleich er mein Herz verwundet hat, soll er erfahren, daß dieses Herz für Freunde nur Verzeihung kennt.«

[123] »Ich habe verspielt und bin verloren,« dachte Petronius.

Währenddessen erhob sich der Cäsar, die Beratung war zu Ende.

Fußnoten

1 Bezeichnung für Musen.

Fünfzigstes Kapitel

Fünfzigstes Kapitel.

Petronius begab sich nach seiner Wohnung. Nero aber ging mit Tigellinus nach Poppaeas Atrium, wo die Leute auf sie warteten, mit denen der Präfekt schon vorher gesprochen hatte.

Es waren dies zwei Rabbiner vom jenseitigen Ufer des Tiber, in lange feierliche Gewänder gehüllt, mit Mitren auf dem Kopfe, ein junger Schreiber, ihr Gehilfe, und Chilon. Beim Erscheinen des Caesars wurden die Priester vor Erregung bleich, hoben die Hände bis zur Schulterhöhe empor und neigten den Kopf bis zu den Händen herab.

»Sei gegrüßt, Herrscher der Herrscher und König der Könige,« sprach der älteste von ihnen, »sei gegrüßt, Gebieter der Welt, Beschützer des auserwählten Volkes und Caesar, du Löwe unter den Menschenkindern, dessen Herrschaft ist wie der Glanz der Sonne, wie die Zeder des Libanon, wie der Gebirgsquell, wie die Palme und wie der Balsam von Jericho!«

»Erkennt ihr mich nicht als Gott an?« fragte der Caesar.

Die Priester erblaßten noch mehr; der älteste aber fuhr fort: »Deine Worte, Herr, sind süß wie die Traube des Weinstocks und wie die reife Feige, denn Jahve hat dein Herz mit Güte erfüllt. Der Vorgänger deines Vaters, der Caesar Gajus, war hart, und dennoch nannten ihn unsere Abgesandten nicht Gott und wollten selbst den Tod lieber erleiden, als das Gesetz übertreten.«

»Und Caligula ließ sie nicht den Löwen vorwerfen?«

»Nein, Herr. Der Caesar Gajus scheute den Zorn Jahves.«

[124] Sie erhoben ihr Haupt, denn der Name des mächtigen Jahve verlieh ihnen Mut. Im Vertrauen auf seine Macht wagten sie es, Nero ins Antlitz zu blicken.

»Beschuldigt ihr die Christen der Brandsteckung?« fragte der Caesar.

»Wir beschuldigen sie nur der Feindschaft gegen das Gesetz, gegen das menschliche Geschlecht, gegen Rom und gegen dich, sowie daß sie schon längst der Stadt und der Welt mit Feuer gedroht haben. Das übrige wird dir dieser Mann hier berichten, dessen Mund keine Lüge spricht, denn in den Adern seiner Mutter floß das Blut des auserwählten Volkes.«

Nero wandte sich an Chilon.

»Wer bist du?«

»Ein Verehrer von dir, Osiris, und außerdem ein armer Stoiker ...«

»Ich hasse die Stoiker,« erwiderte Nero; »ich hasse Thrasea, ich hasse Musonius und Cornutus. Ihre Worte, ihre Verachtung der Kunst, ihre freiwillige Armut und Unsauberkeit stoßen mich ab.«

»Herr, dein Lehrer Seneca besitzt tausend Tische aus Zitrusholz. Du brauchst es nur zu wünschen, so bin ich bereit, die doppelte Anzahl davon anzunehmen. Ich bin Stoiker aus Not. Umwinde meinen Stoizismus mit Rosenkränzen, Strahlender, und setze ihm einen Krug Wein vor, dann will ich anakreontische Lieder so laut singen, daß alle Epikureer darüber taub werden.«

Nero, der an dem Titel »Strahlender« Geschmack fand, entgegnete lachend: »Du gefällst mir.«

»Der Mann ist sein Gewicht in Gold wert,« rief Tigellinus.

»Verdoppele, Herr, mein Gewicht durch deine Großmut, denn sonst trägt ein Windhauch meinen Wert von dannen,« antwortete Chilon.

»Wahrhaftig, du wirst wohl nicht so viel wiegen wie Vitellius,« setzte Nero hinzu.

[125] »Eheu, Gott mit dem silbernen Bogen, mein Witz ist nicht von Blei.«

»Wie ich sehe, hindert dein Glaube dich nicht, mich Gott zu nennen?«

»O Unsterblicher! mein Gesetz ruht in dir; die Christen lästern dieses Gesetz, und daher hasse ich sie.«

»Was weißt du von den Christen?«

»Gestattest du mir zu weinen, Gottheit?«

»Nein,« erwiderte Nero, »es ist mir zuwider.«

»Und du hast dreifach recht, denn Augen, die dich gesehen haben, sollten ein für allemal von Tränen trocken bleiben. Herr, schütze mich vor meinen Feinden!«

»Sprich von den Christen,« befahl Poppaea mit augenscheinlicher Ungeduld.

»Es soll geschehen, wie du befiehlst, Isis,« erwiderte Chilon. »Seit meiner Jugend widmete ich mich der Philosophie und suchte die Wahrheit zu ergründen. Ich suchte sie bei den alten göttlichen Weisen, sowohl in der Akademie Athens wie im Serapeum Alexandrias. Als ich von den Christen sprechen hörte, glaubte ich, dies sei eine neue Schule, in der ich möglicherweise einige Körnchen Wahrheit finden könnte, und machte ihre Bekanntschaft, zu meinem Unglücke! Der erste Christ, den mein Unstern in meine Nähe brachte, war Glaukos, ein Arzt aus Neapel. Von diesem erfuhr ich mit der Zeit, daß sie einen gewissen Chrestos verehren, der ihnen versprochen habe, alle Menschen zu vernichten, alle Städte der Erde zu zerstören, sie selbst aber zu schonen, wenn sie ihm bei der Ausrottung der Kinder Deukaleons Hilfe leisteten. Deswegen, o Herr, hassen sie die Menschen, deswegen vergiften sie die Brunnen, deswegen verfluchen sie in ihren Versammlungen Rom und sämtliche Tempel, in denen unsere Götter verehrt werden. Chrestos wurde gekreuzigt; er versprach ihnen jedoch, wenn Rom durch Feuer vernichtet sein würde, zum zweitenmal zur Welt zu kommen und ihnen die Herrschaft über die ganze Erde zu verleihen.«

[126] »Jetzt versteht man, warum Rom in Brand gesteckt wurde,« unterbrach ihn Tigellinus.

»Viele wissen es schon,« fuhr Chilon fort, »denn ich gehe in die Gärten, auf das Marsfeld und kläre das Volk auf. Wenn ihr mich aber bis zu Ende hören wollt, so werdet ihr vernehmen, welche Veranlassung ich zur Rache habe. Der Arzt Glaukos verriet mir anfangs nicht, daß ihre Religion ihnen gebiete, die Menschen zu hassen. Im Gegenteil, er sagte mir, Chrestos sei eine gute Gottheit und die Grundlage seiner Lehre sei die Liebe. Mein weiches Herz vermochte diesen Wahrheiten nicht zu widerstehen; daher gewann ich Glaukos lieb und schenkte ihm mein Vertrauen. Ich teilte mit ihm jedes Stück Brot, jedes As und weißt du, Herr, wie er mir dafür lohnte? Auf der Reise von Neapel nach Rom stieß er mich mit dem Messer nieder und verkaufte mein Weib, meine schöne, jugendliche Berenike, an Sklavenhändler. Wenn Sophokles meine Geschichte kennte ... aber was sage ich? es hört mich ja jemand, der mehr ist als Sophokles.«

»Armer Mann!« erwiderte Poppaea.

»Wer Aphrodites Antlitz gesehen hat, der ist nicht arm, Herrin, und ich sehe es in diesem Augenblicke. Ich suchte dann Trost in der Philosophie. In Rom angelangt, suchte ich die Ältesten der Christen ausfindig zu machen, um Gerechtigkeit wegen Glaukos' Tat zu erlangen. Ich glaubte, sie würden ihn zwingen, mir mein Weib wiederzugeben ... Ich lernte ihren obersten Priester kennen, ebenso den zweiten, Paulus mit Namen, der hier im Gefängnis gesessen hat, aber später freigelassen worden ist; ich lernte den Sohn des Zebedäus kennen, außerdem Linus, Kletos und viele andere. Ich weiß, wo sie vor dem Brande wohnten, ich weiß, wo sie sich verbergen, ich kenne eine Höhle auf dem Vatikanischen Hügel und einen Begräbnisplatz vor dem Nomentanischen Tore, in denen sie ihren schamlosen Gottesdienst feiern. Dort habe ich den Apostel Petrus gesehen; ich habe gesehen, wie [127] Glaukos Kinder schlachtete, damit der Apostel die Häupter der Anwesenden mit Blut besprengen könnte; ich habe Lygia gesehen, die Pflegetochter Pomponia Graecinas, welche sich rühmte, zwar kein Kinderblut bringen zu können, wohl aber den Tod eines Kindes veranlaßt zu haben, denn sie habe die kleine Augusta, deine Tochter, o Osiris, und die deinige, o Isis behext.«

»Hörst du, Caesar?« fragte Poppaea.

»Ist das möglich?« rief Nero aus.

»Die mir selbst widerfahrene Kränkung hätte ich verzeihen können,« fuhr Chilon fort; »als ich aber von der euch zugefügten hörte, hätte ich sie am liebsten mit meinem Messer durchbohrt. Leider verhinderte mich der edle Vinicius daran, der sich in sie verliebt hat.«

»Vinicius? war sie ihm denn nicht entflohen?«

»Ja, sie war entflohen, aber er suchte nach ihr, da er ohne sie nicht leben kann. Um geringen Lohn unterstützte ich ihn bei seinen Nachforschungen und zeigte ihm das Haus, in dem sie mitten unter den Christen jenseit des Tiber wohnte. Wir gingen eines Abends dorthin und mit uns auch dein Ringkämpfer Kroton, den der edle Vinicius zur Sicherheit mitgenommen hatte. Aber Ursus, der Sklave Lygias, tötete Kroton. Dieser Mensch ist so entsetzlich stark, daß er einem Stier den Kopf so leicht abreißt, wie ein anderer einen Mohnstengel abbricht. Aulus und Pomponia schätzten ihn darum sehr.«

»Bei Herakles!« sagte Nero; »der Sterbliche, der Kroton überwunden hat, ist einer Statue auf dem Forum würdig. Allein du irrst dich entweder, Alter, oder du lügst, denn Kroton wurde von Vinicius mit einem Messer erstochen.«

»So lügen die Menschen den Göttern etwas vor. Herr, ich bin selbst dabei gewesen, wie Krotons Rippen unter Ursus' Händen krachten; dieser stürzte sich dann auch auf Vinicius und hätte ihn ohne Lygias Dazwischentreten getötet. Vinicius lag dann lange krank, aber sie haben ihn gepflegt in [128] der Hoffnung, er werde aus Liebe zu Lygia Christ werden. Und in der Tat ist er Christ geworden.«

»Vinicius?«

»Jawohl!«

»Und vielleicht auch Petronius?« fragte Tigellinus eifrig.

Chilon wand sich hin und her, rieb sich die Hände und sagte: »Ich bewundere deinen Scharfsinn, Herr. O! ... es ist möglich! es ist sehr möglich!«

»Jetzt verstehe ich, warum er die Christen in Schutz nahm.«

Allein Nero begann zu lachen.

»Petronius ein Christ! ... Petronius ein Feind des Lebens und der Freude! Seid nicht töricht und verlangt nicht von mir, daß ich das glaube, da ich geneigt bin, überhaupt nichts zu glauben.«

»Aber der edle Vinicius ist Christ geworden, Herr. Bei dem Glanze, der von dir ausgeht, schwöre ich dir, daß ich die Wahrheit sage und daß mir nichts einen solchen Abscheu einflößt wie die Lüge. Pomponia ist Christin, der kleine Aulus ist Christ, ebenso Lygia und Vinicius. Ich habe Vinicius treu gedient, er aber ließ mich zum Danke dafür auf Wunsch des Arztes Glaukos peitschen, obgleich ich alt bin und damals krank und hungrig war. Ich schwur beim Hades, ihm dies nicht vergessen zu wollen. O Herr, räche an ihnen die mir zugefügten Kränkungen, und ich will euch den Apostel Petrus, Linus, Kletos, Glaukos und Crispus, die Angesehensten unter ihnen, auch Lygia und Ursus ausliefern, ich will euch hunderte, tausende nennen, ich will euch ihre Bethäuser, Friedhöfe angeben, all eure Kerker sollen sie nicht fassen! ... Ohne mich würde es euch nicht gelingen, sie ausfindig zu machen! Bis jetzt habe ich in meinem Elend nur in der Philosophie Trost gesucht, nun aber will ich Trost in deiner Gnade suchen, die auf mich herniederströmen soll ... Ich bin alt und habe das Leben nie gekannt, laß mich es endlich beginnen! ...«

[129] »Du willst also bei vollen Schüsseln Stoiker sein?« fragte Nero.

»Wer dir Dienste leistet, bekommt sie voll.«

»Darin hast du recht, mein lieber Philosoph.«

Allein Poppaea verlor ihre Feinde nicht aus den Augen. Ihr Verlangen nach Vinicius war zwar nur eine augenblickliche, unter dem Eindruck der Eifersucht, des Zornes und verletzter Eitelkeit entstandene Laune gewesen. Aber doch hatte die Abweisung von seiten des jungen Patriziers sie schwer verwundet und ihr eine schwere Kränkung zugefügt. Schon das allein, daß er es gewagt hatte, ihr eine andere vorzuziehen, schien ihr ein Verbrechen, das um Rache schrie. Was Lygia betraf, so hatte sie sie vom ersten Augen blicke an gehaßt, wo sie die Schönheit dieser nordischen Lilie bemerkt hatte. Petronius, der von den zu engen Hüften des Mädchens gesprochen hatte, mochte dem Caesar vorreden, was er wollte, aber nicht ihr, der Augusta. Poppaea hatte mit Kennerblick sofort herausgefunden, daß in ganz Rom Lygia die einzige sei, die mit ihr an Schönheit wetteifern, ja sie übertreffen könne. Und seit diesem Augenblicke war Lygias Untergang besiegelt.

»Herr,« rief sie, »räche unser Kind!«

»Beeilt euch!« rief Chilon, »beeilt euch! sonst bringt Vinicius sie in Sicherheit. Ich will das Haus angeben, in das sie nach dem Brande zurückgekehrt sind.«

»Ich gebe dir zehn Mann mit. Aber mache dich sofort auf den Weg,« entgegnete Tigellinus.

»Herr, du hast Kroton nicht in Ursus' Armen gesehen; und wenn du mir fünfzig Mann mitgibst, so zeige ich ihnen das Haus doch nur von ferne. Aber wenn ihr nicht auch Vinicius festnehmt, bin ich verloren.«

Tigellinus blickte auf Nero hin.

»Dürfte es nicht das beste sein, Gottheit, sich des Oheims und des Neffens zu gleicher Zeit zu entledigen?«

Nero dachte eine Weile nach und antwortete dann: »Nein! [130] nicht jetzt! ... Die Leute würden es nicht glauben, wollte man ihnen sagen, daß Petronius, Vinicius oder Pomponia Graecina Rom in Brand gesteckt hätten. Ihre Häuser waren zu schön ... Heut brauchen wir andere Opfer, aber später kommt die Reihe auch an sie.«

»Gib mir also jetzt Soldaten zu meinem Schutze mit,« sagte Chilon.

»Tigellinus, sorge dafür.«

»Du wohnst einstweilen bei mir,« erwiderte der Präfekt.

Chilons Gesicht begann vor Freude zu strahlen.

»Alle will ich ausliefern. Beeilt euch nur! Beeilt euch!« rief er mit heiserer Stimme.

Einundfünfzigstes Kapitel

Einundfünfzigstes Kapitel.

Als Petronius den Beratungssaal verlassen hatte, begab er sich nach seinem Hause an den Carinae. Da dieses auf drei Seiten von Gärten umgeben war und vor ihm nur das kleine Forum der Caecilier lag, war es ausnahmsweise vom Feuer verschont geblieben.

Aus diesem Grunde priesen die übrigen Augustianer, die ihre Häuser und mit diesen zahlreiche Schätze und Kunstwerke verloren hatten, Petronius glücklich. Man nannte ihn schon längst den erstgeborenen Sohn Fortunas, und die stets wachsende Freundschaft, die der Caesar ihm in der letzten Zeit erwiesen hatte, schien die Richtigkeit dieser Benennung zu bestätigen.

Aber dieser erstgeborene Sohn Fortunas konnte jetzt über die Unbeständigkeit dieser seiner Mutter oder, besser gesagt, über ihre Ähnlichkeit mit Chronos, der seine eigenen Kinder verschlang, nachdenken.

»Wäre mein Haus abgebrannt,« sprach er zu sich selbst, »und mit ihm meine Gemmen, meine etruskischen Vasen, mein alexandrinisches Glas und mein korinthisches Erz zugrunde gegangen, so könnte der Caesar in der Tat die Beleidigungen [131] vergessen. Beim Pollux! Und wenn ich denke, daß es von mir allein abhing, in jenem Augenblicke Präfekt der Prätorianer zu werden! Ich hätte Tigellinus dann als Brandstifter, der er übrigens ist, in Anklagezustand versetzt, ihn in die peinliche Tunika gesteckt, dem Volke ausgeliefert, die Christen gerettet und Rom wieder aufgebaut. Wer weiß, ob damit nicht sogar eine bessere Zeit für ehrliche Leute angebrochen wäre! Ich hätte es tun müssen, schon aus Rücksicht auf Vinicius. Wäre damit zuviel Schererei für mich verbunden gewesen, so hätte ich ihm ja das Amt des Präfekten übertragen können, und Nero würde nicht einmal versucht haben, sich dem zu widersetzen .... Und wenn dann Vinicius alle Prätorianer und den Caesar selbst hätte taufen lassen, was hätte mir das geschadet! Nero fromm, Nero tugendhaft und barmherzig – das müßte einen drolligen Anblick gewähren.«

Seine Unbekümmertheit war so groß, daß er zu lachen begann. Aber nach einiger Zeit nahmen seine Gedanken eine andere Richtung. Es war ihm, als sei er in Antium und als spreche Paulus aus Tarsos zu ihm: »Ihr nennt uns Feinde des Lebens; aber beantworte mir die Frage, Petronius: wenn der Caesar Christ wäre und unsere Gebote befolgte, würde euer Leben dann nicht sicherer und gefahrloser sein?«

In Erinnerung an diese Worte fuhr er in seinem Selbstgespräch fort: »Beim Kastor: Soviel Christen sie hier auch hinmorden mögen, soviel wird Paulus neue gewinnen, denn wenn die Welt nicht in ihrer Verworfenheit verharren will, so muß sie ihm recht geben .... Aber wer weiß, ob dies möglich ist. Ich selbst, der ich doch ziemlich viel lernte, habe es doch nie gelernt ein genügend großer Schurke zu sein, und deswegen wird es dahin kommen, daß ich mir die Adern öffnen muß ... Aber einmal muß ich doch sterben, und wenn nicht so, dann auf andere Weise. Nur um Eunike tut es mir leid und um meine Onyxvase, aber Eunike ist frei, [132] und die Vase wird mit mir gehen. Der Feuerbart wird sie auf keinen Fall bekommen. Auch um Vinicius tut es mir leid. Obgleich ich mich im übrigen in der letzten Zeit weniger gelangweilt habe als früher, bin ich bereit. In der Welt gibt es soviel Schönes; aber die Mehrzahl der Menschen ist so gemein, daß es sich nicht lohnt, das Leben fortzusetzen. Wer zu leben weiß, muß auch zu sterben wissen. Obgleich ich zu den Augustianern gehörte, bin ich doch freier gewesen, als man glaubt.«

Er zuckte die Schultern.

»Man glaubt vielleicht, daß mir jetzt die Kniee zittern und die Haare vor Schreck zu Berge stehen, während ich, zu Hause angelangt, ein Bad in Veilchenwasser nehmen werde. Dann soll mich meine Goldhaarige salben, und nach einer Erfrischung lassen wir uns den Hymnos des Anthemios auf Apollon vorsingen. Ich sagte einst: es lohnt sich nicht, an den Tod zu denken, da dieser auch ohne unser Dazutun an uns denkt. Es wäre doch seltsam, wenn es wirklich elysische Gefilde gäbe, auf denen Schatten umherwandelten. Eunike würde seinerzeit zu mir kommen, und wir würden dann auf den Aspoldeloswiesen lustwandeln. Ich würde dort bessere Gesellschaft finden als hier ... Was für Possenreißer! was für Komödianten! was für eine gemeine Bande ohne Geschmack und Bildung! Zehn arbitri elegantiarum vermöchten diese Trimalchionen nicht zu anständigen Leuten zu machen. Bei Persephone! ich habe genug von ihnen.«

Er bemerkte mit Erstaunen, daß ihn schon so vieles von diesen Leuten trennte. Er hatte sie doch schon früher gekannt und wußte außerdem, was er von ihnen zu halten habe, und doch erschienen sie ihm jetzt noch weiter von ihm entfernt und noch verächtlicher als sonst. In der Tat hatte er genug von ihnen.

Dann begann er über seine Lage nachzudenken. Vermöge seines Scharfblicks erkannte er, daß ihm keine unmittelbare Gefahr drohe. Nero hatte die Gelegenheit benutzt, um einige [133] schöne, erhabene Phrasen von Freundschaft und Verzeihen an den Mann zu bringen, und sich daher durch sie gebunden. Er müßte jetzt einen Vorwand suchen, und ehe er den fand, konnte viel Zeit vergehen. »Vor allem wird er die Christenspiele veranstalten,« sprach Petronius zu sich, »und dann erst wird er an mich denken, und ist dem so, so verlohnt es sich gar nicht, daß ich mich beunruhige oder meine Lebensweise ändere. Die Gefahr, die Vinicius droht, ist dringender.«

Von da ab dachte er nur noch an Vinicius, den er zu retten beschlossen hatte.

Die Sklaven trugen seine Sänfte rasch über die Trümmer, Aschenhaufen und Steine hinweg, mit denen die Carinae noch angefüllt waren; trotzdem befahl er ihnen zu eilen, damit er sobald wie möglich nach Hause komme. Vinicius, dessen »Insula« verbrannt war, wohnte bei ihm und war glücklicherweise zu Hause.

»Hast du Lygia heut gesehen?« fragte ihn Petronius beim Eintritt.

»Soeben komme ich von ihr.«

»Höre, was ich dir zu sagen habe, und verliere keine Zeit mit Fragen. Es wurde heut beim Caesar beschlossen, die Schuld an dem Brande Roms auf die Christen zu wälzen. Es drohen ihnen Verfolgung und Marter. Die Verhaftungen können jeden Augenblick beginnen. Nimm Lygia und fliehe mit ihr sofort über die Alpen oder nach Afrika. Beeile dich, denn vom Palatin ist es näher bis zum anderen Ufer des Tiber als von hier!«

Vinicius war in der Tat zu sehr Soldat, als daß er mit überflüssigen Fragen Zeit verloren hätte. Er hörte mit gerunzelten Brauen und ernstem, zornigem Gesichtsausdruck zu, ohne aber Furcht oder Schrecken zu zeigen. Augenscheinlich war die erste Empfindung, die sich in seiner Natur der Gefahr gegenüber regte, der Wunsch nach Kampf und Verteidigung.

»Ich werde gehen!« sagte er.

[134] »Noch ein Wort: nimm eine Börse mit Gold, Waffen und eine Schar deiner Christen mit. Im Notfalle schlage zu!«

Vinicius befand sich schon an der Tür des Atriums.

»Gieb mir durch einen Sklaven Nachricht,« rief ihm Petronius nach.

Als er allein war, begann er zwischen den Säulen, die das Atrium schmückten, auf und ab zu gehen und dachte über die Ereignisse nach. Er wußte, daß Lygia und Linus nach dem Brande in ihr altes Haus, das wie der größte Teil der Region, gerettet worden war, zurückgekehrt seien. Dies war ein ungünstiger Umstand, denn anderenfalls wäre es schwer gewesen, sie unter der Menge aufzufinden. Er hoffte jedoch, man werde auf dem Palatin nicht wissen, wo sie wohnten, und Vinicius könne daher den Prätorianern zuvorkommen. Auch der Gedanke kam ihm, daß Tigellinus in dem Wunsche, auf einen Schlag so viele Christen wie möglich aufgreifen zu lassen, sein Netz über ganz Rom ausbreiten und daher die Prätorianer nur in kleinen Abteilungen aussenden werde. »Wenn nicht mehr als zehn Mann nach ihr ausgeschickt werden,« dachte er, »so wird jener riesenhafte Lygier ihnen die Knochen zerbrechen, namentlich dann, wenn Vinicius mit Hilfe kommt.« Dieser Gedanke gewährte ihm einige Erleichterung. Allerdings bedeutete bewaffneter Widerstand gegen die Prätorianer beinahe dasselbe wie offene Empörung gegen den Caesar. Petronius wußte auch, daß, wenn es Vinicius gelänge, sich vor des Caesars Rache zu verbergen, diese Rache möglicherweise auf ihn fallen könne, aber darum kümmerte er sich nicht. Im Gegenteil, die Aussicht auf die Vereitelung der Absichten Neros und Tigellinus' gewährte ihm sogar Genugtuung. Er beschloß, zu diesem Zwecke weder Geld noch Leute zu sparen, und da Paulus von Tarsos in Antium die Mehrzahl seiner Sklaven bekehrt hatte, konnte er bei der Verteidigung der Christen bestimmt auf ihre Bereitwilligkeit und Ergebenheit rechnen.

Eunikes Eintritt unterbrach sein Sinnen. Bei ihrem[135] Anblick verschwanden alle seine Sorgen und Beklemmungen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Er vergaß den Caesar, die Ungnade, in die er gefallen war, die schurkischen Prätorianer, die den Christen drohende Verfolgung, Vinicius und Lygia und betrachtete nur Eunike mit den Augen des ästhetisch gebildeten Mannes, den schöne Formen entzücken, und des Liebenden, dem aus diesen Formen Liebe engegenatmet. Sie trug ein durchsichtiges violettes Kleid, Coa vestis genannt, durch das ihr rosiger Leib hindurchschimmerte, sie war in der Tat schön wie eine Göttin. Da sie sich zudem bewundert fühlte, Petronius von ganzem Herzen liebte und stets nach seinen Zärtlichkeiten verlangte, so begann sie vor Freude zu erröten, als ob sie nicht seine Geliebte, sondern ein unschuldiges Mädchen gewesen wäre.

»Was hast du mir zu sagen, Charis?« fragte Petronius, indem er die Arme nach ihr ausbreitete.

Sie neigte ihr goldlockiges Köpfchen vor ihm und entgegnete: »Herr, soeben ist Anthemios mit den Sängern gekommen und läßt fragen, ob du ihn heut hören willst.«

»Laß ihn warten. Er soll uns während des Mahles den Hymnos auf Apollon singen. Überall liegt noch Schutt und Asche; wir aber werden einen Hymnos auf Apollon hören! Bei den Hainen von Paphos, wenn ich dich in diesem koischen Gewande erblicke, so ist es mir, als habe sich Aphrodite in ein Stück Himmelsblau gehüllt und stehe vor mir.«

»O Herr!« erwiderte Eunike.

»Komm her, Eunike, schlinge deine Arme um mich und reiche mir deine Lippen ... Liebst du mich?«

»Ich würde Zeus nicht inniger lieben.«

Dann preßte sie ihre Lippen auf seinen Mund und bebte in seinen Armen vor Wonne.

Nach einiger Zeit begann Petronius: »Wenn wir uns aber trennen müßten?«

Eunike sah ihn erschreckt an: »Wie meinst du das, Herr?«

[136] »Beunruhige dich nicht! ... Denn siehst du, wer weiß, ob ich nicht eine weite Reise antreten muß.«

»Nimm mich mit!«

Petronius gab dem Gespräche bald eine andere Wendung.

»Sage mir, gibt es auf den Rasenplätzen im Garten Asphodelos?«

»Die Zypressen und Rasenplätze im Garten sind vom Feuer versengt, die Myrten haben die Blätter verloren, und der ganze Garten ist wie ausgestorben.«

»Ganz Rom ist jetzt wie ausgestorben und wird in kurzem ein wirklicher Grabesort werden. Weißt du schon, daß ein Edikt gegen die Christen erlassen und eine Verfolgung beginnen wird, in der tausende ihr Leben verlieren werden?«

»Warum werden sie bestraft, Herr? Es sind gute und friedliebende Menschen.«

»Eben darum.«

»Laß uns ans Meer gehen. Deine göttlichen Augen lieben es nicht, Blut zu sehen.«

»Gut, aber jetzt muß ich ein Bad nehmen. Komme in das Elaiothesion und salbe mir die Arme. Beim Gürtel der Kypris! noch niemals bist du mir so schön vorgekommen. Ich werde dir ein Bad in Gestalt einer Muschel bauen lassen, und du wirst wie eine köstliche Perle darin erscheinen ... Komm, Goldhaar!«

Sie gingen hinaus, und eine Stunde später befanden sich beide rosenbekränzt und mit strahlenden Augen an einer mit goldenen Geräten besetzten Tafel. Knaben, als Amoretten gekleidet, warteten ihnen auf. Sie tranken Wein aus efeugeschmückten Bechern und lauschten dem Hymnos auf Apollon, den Anthemios unter Harfenbegleitung vortragen ließ. Was kümmerte es sie, daß rings um die Villa die Schornsteine der Häuser aus dem Schutt emporragten und daß die Asche des durch den Brand vernichteten Rom im Wehen des Windes nach allen Richtungen auseinanderstob? Sie fühlten sich [137] glücklich und dachten nur an ihre Liebe, die ihnen das Leben zu einem Göttertraum umgestaltete.

Ehe jedoch die Hymne zu Ende war, trat ein Sklave, der Vorsteher des Atriums, ein.

»Herr,« sagte er mit vor Schrecken bebender Stimme, »ein Centurio mit einer Abteilung Prätorianer steht vor dem Tore und wünscht dich auf Befehl des Caesars zu sprechen.«

Gesang und Harfenspiel verstummten. Unruhe bemächtigte sich aller Anwesenden; denn der Caesar bediente sich im Verkehr mit seinen Freunden in der Regel keiner Prätorianer, und ihr Erscheinen bedeutete dazumal nichts Gutes. Nur Petronius zeigte nicht die mindeste Erregung und sagte im Tone jemandes, der durch unaufhörliche Besuche belästigt wird: »Wenn man mir doch wenigstens Zeit ließe, mein Mahl in Ruhe einzunehmen!«

Dann wandte er sich zu dem Vorsteher des Atriums und sagte: »Laß ihn eintreten.«

Der Sklave verschwand hinter dem Vorhange; einen Augenblick später hörte man schwere Schritte sich nahen, und herein trat der Petronius wohlbekannte Centurio Aper in voller Rüstung und mit dem eisernen Helme auf dem Kopfe.

»Edler Herr,« sagte er, »hier ist ein Schreiben des Caesars.«

Petronius streckte gleichmütig seine weiße Hand aus, nahm das Täfelchen, ließ sein Auge darüber hingleiten und reichte es voller Ruhe Eunike.

»Er will heut abend einen neuen Gesang der Troika vorlesen und lädt mich ein, zu kommen.«

»Ich habe nur Befehl, das Schreiben abzugeben.«

»Ja, es ist keine Antwort nötig. Aber willst du nicht ein wenig hier bleiben und einen Becher Wein mit uns leeren, Centurio?«

»Ich danke dir, edler Herr. Einen Becher Wein will ich gern auf dein Wohl trinken; aber bleiben kann ich nicht, denn ich bin im Dienste.«

[138] »Warum hat man dir das Schreiben übergeben, anstatt es durch einen Sklaven besorgen zu lassen?«

»Ich weiß es nicht, Herr, vielleicht deswegen, weil man mich in einer anderen Angelegenheit nach dieser Richtung ausgesandt hat.«

»Ich weiß es,« sagte Petronius, »gegen die Christen.«

»So ist es, Herr.«

»Haben die Verhaftungen schon lange begonnen?«

»Einige Abteilungen sind schon im Laufe des Vormittags nach dem anderen Ufer des Tiber geschickt worden.«

Nach diesen Worten schüttete der Centurio zu Ehren des Mars einige Tropfen Wein auf den Boden, leerte dann den Becher und sagte: »Mögen die Götter dir alle deine Wünsche erfüllen, Herr!«

»Behalte den Becher nur,« entgegnete Petronius.

Dann gab er dem Anthemios auf, den Hymnos auf Apollon zu beenden.

»Der Rotbart beginnt mit Vinicius und mir zu spielen,« sagte er zu sich, während das Harfenspiel von neuem begann. »Ich errate seinen Plan. Er wollte mich erschrecken, indem er mir die Einladung durch den Centurio übersandte. Man wird den Hauptmann heut abend fragen, auf welche Weise ich ihn empfangen habe. Nein, nein, du wirst dich darüber nicht allzusehr freuen, heimtückischer, grausamer Possenreißer! Ich weiß, du wirst die Beleidigung nicht vergessen, ich weiß, mein Untergang ist besiegelt; wenn du aber glaubst, ich würde dich um Gnade bitten oder du könntest auf meinem Gesicht Schrecken oder Bestürzung lesen, so täuschst du dich.«

»Der Caesar schreibt, Herr: Wenn du Lust hast, so komme,« sagte Eunike, »wirst du gehen?«

»Ich bin bei ausgezeichneter Gesundheit und kann selbst seine Verse mitanhören,« erwiderte Petronius; »ich werde daher gehen, um so mehr, da Vinicius verhindert ist.«

Nach Aufhebung der Tafel und nach seinem gewöhnlichen Spaziergange überließ er sich den Händen der Sklavinnen, [139] die seine Haare ordneten, sowie denen, die seine Kleider in Falten legten, und ließ sich eine Stunde später, schön wie ein Gott, nach dem Palatin tragen. Es war spät, der Abend still und warm, der Mond schien so hell, daß die vor der Sänfte einherschreitenden »Lampadarii« ihre Fackeln löschten. Auf den Straßen und Brandstätten trieben sich betrunkene Pöbelscharen umher, mit Efeu und Weinlaub geschmückt, mit Myrten- und Lorbeerzweigen in den Händen, die sie in den Gärten des Caesars abgebrochen hatten. Infolge reichlicher Getreidespenden und der Hoffnung auf großartige Spiele war die ganze Bevölkerung in rosiger Laune. Hier und da ertönten Lieder zu Ehren der Göttin der Nacht und der Liebe; an anderen Stellen wurde beim Mondscheine getanzt, und die Sklaven waren wiederholt genötigt, Platz für die Sänfte des »edlen Petronius« zu verlangen; dann wich die Menge auseinander und begrüßte ihren Liebling mit lautem Jubelgeschrei.

Petronius dachte an Vinicius und wunderte sich, daß er keine Nachricht von ihm bekommen habe. Er war Epikureer und Egoist, aber sein Umgang mit Paulus von Tarsos und Vinicius sowie das, was er täglich über die Christen hörte, hatte ihn, ohne daß er es selbst wußte, etwas geändert. Ein von ihnen ausgehender Hauch hatte ihn getroffen und in seiner Seele bis dahin unbekannte Empfindungen geweckt. Außer seinem eigenen Geschick fingen jetzt auch andere an, ihn zu beschäftigen. Vinicius war er stets zugetan gewesen, da er in seiner Kindheit dessen Mutter, seine Schwester, sehr geliebt hatte, und jetzt, da er sich in die Angelegenheiten seines Neffen gemischt hatte, betrachtete er sie mit demselben Interesse, das er einer Tragödie gewidmet hätte.

Er hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, Vinicius möchte den Prätorianern zuvorgekommen und mit Lygia entflohen sein oder sie wenigstens in der Stadt in Sicherheit gebracht haben. Da er jedoch voraussah, daß er vielleicht verschiedene Fragen werde beantworten müssen, hätte er gern Gewißheit gehabt, um besser darauf vorbereitet zu sein.

[140] Vor dem Hause des Tiberius angelangt, verließ er die Sänfte und betrat nach einer Weile das Atrium, das schon mit Augustianern gefüllt war. Die gestern noch seine Freunde gewesen waren, zogen sich von ihm zurück, obgleich seine Einladung sie in Erstaunen setzte, während er sich schön, frei, gelassen und so selbstbewußt in ihrer Mitte bewegte, als könne er seinerseits Gnaden austeilen. Einige fragten sich bei seinem Anblick in geheimer Unruhe, ob es zweckmäßig sei, ihm gegenüber Gleichgültigkeit zu zeigen.

Der Caesar tat jedoch, als sähe er ihn nicht, und beachtete seine Kniebeugung nicht, da er gerade in einem Gespräche begriffen war. Tigellinus jedoch näherte sich ihm und sagte: »Guten Abend, arbiter elegantiarum. Bist du immer noch der Ansicht, daß nicht die Christen Rom in Brand gesteckt haben?«

Petronius zuckte die Schultern, klopfte ihm auf den Rücken wie einem Freigelassenen und antwortete: »Du weißt so gut wie ich, was davon zu halten ist.«

»Ich wage nicht, mich mit dir in der Weisheit zu messen.«

»Und du tust recht daran, denn in diesem Falle müßtest du, wenn der Caesar uns einen neuen Gesang seiner Troika vorliest, statt zu krächzen wie ein Pfau, irgend eine ungereimte Ansicht äußern.«

Tigellinus biß sich auf die Lippen. Er war nicht allzu erfreut darüber, daß der Caesar sich entschlossen hatte, heut einen neuen Gesang vorzulesen; denn hier eröffnete sich ein Feld, auf dem er sich mit Petronius nicht messen konnte. Und wirklich richtete Nero während des Lesens unwillkürlich infolge langjähriger Gewohnheit seine Blicke auf Petronius und beobachtete genau, was in seinen Zügen zu lesen stand. Dieser hörte zu, zog die Brauen in die Höhe, nickte zuweilen und strengte dann wieder seine Aufmerksamkeit an, als wolle er sich vergewissern, ob er richtig höre. Sodann lobte er bald, bald tadelte er, verlangte Verbesserungen oder sorgfältigere Feilung einzelner Verse. Selbst Nero fühlte, daß [141] es den anderen bei ihren übertriebenen Lobeserhebungen nur auf die eigene Person ankam, während Petronius allein die Poesie um der Poesie willen betrachtete, er allein sich auf sie verstand, und wenn er etwas lobte, er sicher sein konnte, daß die Verse auch wirklich Lob verdienten. Nach und nach begann er mit ihm ins Gespräch zu kommen, zu disputieren, und als Petronius endlich das Treffende eines Ausdrucks in Zweifel zog, sagte er ihm: »Du wirst im letzten Gesange sehen, weshalb ich ihn wählte.«

»Ah,« dachte Petronius, »ich werde also noch den letzten Gesang kennen lernen.«

Und manch einer sagte sich beim Anhören dieser Worte im stillen: »Wehe mir! Wenn Petronius Zeit gewinnt, kann er wieder zu Gnaden aufgenommen werden und selbst Tigellinus stürzen.«

Man begann sich ihm von neuem zu nähern. Aber der Schluß der Abendunterhaltung war weniger glücklich. Als Petronius sich verabschiedete, fragte ihn der Caesar plötzlich mit zusammengekniffenen Augen und einem halb boshaften, halb erfreuten Zug im Gesichte: »Warum ist Vinicius nicht erschienen?«

Wäre Petronius überzeugt gewesen, daß Vinicius und Lygia die Tore der Stadt schon hinter sich hätten, so würde er geantwortet haben: »Er hat sich mit deiner Einwilligung vermählt und ist abgereist.« Da er aber das seltsame Lächeln Neros bemerkte, sagte er: »Deine Einladung, Gottheit, traf ihn nicht zu Hause.«

»Dann sage ihm, ich würde mich freuen, ihn zu sehen, und sage ihm in meinem Namen, er möge die Spiele nicht versäumen, in denen die Christen auftreten werden.«

Petronius beunruhigten diese Worte, denn es kam ihm vor, als bezögen sie sich unmittelbar auf Lygia. Als er in seiner Sänfte Platz genommen hatte, befahl er, ihn noch rascher nach Hause zu tragen als am Morgen. Dies war jedoch leichter gesagt als getan. Vor dem Hause des Tiberius [142] stand ein dichtgedrängter, lärmender, betrunkener Volkshaufe wie vorher, aber nicht mehr singend und tanzend, sondern in wilder Erregung. Von ferne ertönten Rufe, die Petronius nicht sofort verstehen konnte; sie verstärkten sich aber und kamen näher, bis sie sich endlich in den einen wilden Schrei auflösten: »Die Christen vor die Löwen!«

Die prächtigen Sänften der Höflinge drängten sich durch die johlende Menge. Aus der Tiefe der niedergebrannten Straßen strömten immer neue Scharen herbei; sie hörten den Ruf und begannen ihn zu wiederholen. Die Neuigkeit lief von Mund zu Mund, daß man bereits mittags mit den Verhaftungen begonnen habe und daß schon eine Menge Brandstifter hinter Schloß und Riegel sitze. Binnen kurzem erscholl aus den neu abgesteckten und den alten Straßen, aus den in Schutt und Trümmern liegenden Hintergäßchen, am Palatin, von allen Hügeln und Gärten her, so lang und so breit Rom war, mit immer steigender Wut das Geschrei: »Die Christen vor die Löwen!«

»Gesindel!« sagte Petronius verächtlich; »ein des Caesars würdiges Volk!«

Er sah allmählich ein, daß eine Welt, die nur auf Gewalt, auf einer selbst den Barbaren unbekannten Grausamkeit, auf Verbrechen und wahnsinnigen Ausschweifungen beruhe, nicht von Dauer sein könne. Rom war die Herrscherin, aber auch die Pestbeule der Welt, die einen Leichengeruch um sich her verbreitete. Auf das hinsterbende Leben fiel der Schatten des Todes. Mehr als einmal hatte man selbst in den Kreisen der Augustianer davon gesprochen, aber noch nie hatte vor Petronius' Augen so klar die Wahrheit gestanden, daß der bekränzte Wagen, auf dem Rom in der Haltung eines Triumphators stand, an den gefesselt eine ganze Schar von Völkern hinterdreingeschleppt wurde, einem Abgrunde zurollte. Das Leben der weltbeherrschenden Stadt erschien ihm wie ein Narrentanz, eine Orgie, deren Ende jedoch bald herannahen mußte.

[143] Jetzt erkannte er, daß nur die Christen dem Leben eine andere Grundlage zu geben vermöchten, glaubte aber, binnen kurzem werde von den Christen keine Spur mehr vorhanden sein. Und was dann?

Der Narrentanz würde unter Neros Führung weitergehen, und wäre Nero tot, so würde sich ein anderer ebenso verworfener oder noch ärgerer Caesar finden; denn ein solches Volk und solche Patrizier hatten nicht die Kraft, einen besseren zu finden. Es würde zu neuen, noch schmutzigeren und schamloseren Orgien kommen.

Diese Orgien könnten aber auch nicht ewig dauern; und nach deren Beendigung müsse man schlafen gehen, und sei es auch nur infolge der Erschöpfung.

Bei diesen Betrachtungen fühlte Petronius ein ungeheures Gefühl des Ekels in sich aufsteigen. Lohnte es sich zu leben, noch dazu in Ungewißheit, was der kommende Tag bringen könne, nur um das Schauspiel einer solchen Welt zu genießen? Der Genius des Todes ist nicht minder schön als der des Schlafes, und auch er hat Schwingen an den Schultern.

Die Sänfte hielt vor der Tür des Hauses, die der aufmerksame Pförtner in diesem Augenblick geöffnet hatte.

»Ist der edle Vinicius zurückgekehrt?« fragte ihn Petronius.

»Vor einiger Zeit, Herr,« entgegnete der Sklave.

»Er hat sie also nicht befreien können,« dachte Petronius.

Er warf die Toga ab und betrat das Atrium. Vinicius saß auf einem Stuhle, den Kopf fast bis zu den Knieen gesenkt, die Hände an die Schläfen gepreßt. Beim Klang der Schritte erhob er sein wie versteint aussehendes Antlitz, in dem nur die Augen fieberhaft glänzten.

»Bist du zu spät gekommen?« fragte Petronius.

»Ja. Man hat sie schon im Laufe des Vormittags abgeführt.«

Beide schwiegen.

»Hast du sie gesehen?«

[144] »Ja.«

»Wo ist sie?«

»Im mamertinischen Gefängnisse.«

Petronius erschauerte und sah Vinicius fragend an.

Dieser verstand ihn.

»Nein, nein,« sagte er. »Man hat sie nicht ins Tullianum 1 hinabgelassen, selbst nicht ins mittlere Gefängnis. Ich bestach die Wachen, damit sie ihr ein eigenes Zimmer anwiesen. Ursus hat sich vor ihre Schwelle gelegt und bewacht sie.«

»Warum hat Ursus sie nicht verteidigt?«

»Es waren fünfzig Prätorianer gekommen. Außerdem hatte Linus es ihm verboten.«

»Und Linus?«

»Linus liegt im Sterben. Daher verhaftete man ihn nicht.«

»Was hast du vor?«

»Sie zu retten oder mit ihr zu sterben. Auch ich glaube an Christus.«

Vinicius sprach beinahe mit Ruhe, aber aus seiner Stimme klang eine solche Verzweiflung heraus, daß sich Petronius' Herz vor Mitleid zusammenzog.

»Ich verstehe dich,« sprach er, »aber auf welche Weise willst du sie retten?«

»Ich habe die Wachen bestochen, damit sie Lygia zunächst vor dem Pöbel beschützen und sodann ihrer Flucht nicht hindernd in den Weg treten.«

»Wann soll die erfolgen?«

»Ich erhielt die Antwort, man könne mir Lygia nicht sofort ausliefern, denn die Wachen scheuten vor der Verantwortung zurück. Wenn aber das Gefängnis gefüllt sei und sie keine Revision mehr zu fürchten hätten, würden sie sie mir übergeben. Aber es ist zum Verzweifeln! Rette du sie früher, sie und mich! Du bist der Freund des Caesars. Er selbst hat sie mir be stimmt. Gehe zu ihm und rette mich!«

[145] Statt zu antworten, rief Petronius einen Sklaven und befahl ihm, zwei dunkle Mäntel und zwei Schwerter zu bringen. Dann wandte er sich an Vinicius.

»Unterwegs werde ich dir nähere Mitteilungen machen,« sprach er. »Inzwischen nimm Mantel und Waffe; wir wollen zum Gefängnis gehen. Gib dort den Wachen hunderttausend Sesterzien, gib ihnen das Doppelte, das Fünffache, wenn sie Lygia sofort freigeben. Sonst ist es zu spät.«

»Gehen wir!« versetzte Vinicius.

Nach kurzer Zeit befanden sie sich auf der Straße.

»Jetzt höre mich an,« sagte Petronius. »Ich möchte keine Zeit verlieren. Seit heute bin ich in Ungnade. Mein eigenes Leben hängt an einem Haare, und daher kann ich beim Caesar nichts ausrichten. Und was noch schlimmer ist, ich bin überzeugt, daß ich mit meiner Bitte gerade das Gegenteil bewirken würde. Wozu hätte ich dir sonst geraten, mit Lygia zu entfliehen oder sie wenigstens in Sicherheit zu bringen? Entkommst du, so wird sich des Caesars Zorn gegen mich wenden. Heut würde er eher auf deine Bitte hin etwas tun als auf die meinige. Doch verlaß dich nicht darauf. Befreie sie aus dem Gefängnis und fliehe mit ihr. Es bleibt dir nichts anderes übrig. Gelingt es nicht, so ist noch immer Zeit, über andere Mittel und Wege nachzusinnen. Wisse aber auch, daß Lygia nicht nur wegen ihres Glaubens an Christus verhaftet worden ist. Sie und dich verfolgt Poppaeas Zorn. Erinnerst du dich, daß du die Augusta beleidigt, sie verschmäht hast? Sie weiß, daß du sie um Lygias willen verschmähtest, die sie vom ersten Augenblicke an gehaßt hat. Sie hat ja schon früher versucht, Lygia zu verderben, indem sie sie beschuldigte, den Tod ihres Kindes durch ihre Zauberkünste herbeigeführt zu haben. In allem, was sich hier ereignet hat, ist Poppaeas Hand im Spiele. Wie erklärst du es dir sonst, daß Lygia zuerst eingekerkert wurde? Wer konnte wissen, wo Linus wohnt? Ich sage dir, man hat sie schon längst im geheimen beobachten lassen. Ich weiß, [146] daß ich dich zur Verzweiflung bringe und dir den letzten Rest Hoffnung raube; aber ich sage dir dies absichtlich; denn wenn du sie nicht befreist, ehe man auf den Verdacht kommt, du könntest es versuchen, so seid ihr beide verloren.«

»Ja, ja, ich verstehe,« murmelte Vinicius mit dumpfer Stimme vor sich hin.

Infolge der späten Stunde waren die Straßen, durch die sie kamen, menschenleer; dennoch wurde die Fortsetzung ihres Gespräches durch einen betrunkenen Gladiator unterbrochen, der ihnen entgegenkam. Er taumelte auf Petronius zu, legte ihm die Hand auf die Schulter, hauchte ihm seinen weinriechenden Atem ins Gesicht und brüllte mit heiserer Stimme: »Die Christen vor die Löwen!«

»Mirmillo,« sagte Petronius ruhig, »höre auf guten Rat und geh deiner Wege.«

Aber der Betrunkene legte ihm auch die andere Hand auf die Schulter: »Rufe mit mir, sonst breche ich dir das Genick: Die Christen vor die Löwen!«

Petronius' Nerven hatten schon genug von diesen Rufen. Seitdem er den Palatin verlassen hatte, drückten sie ihn wie ein Alp und zerrissen ihm die Ohren. Als er nun obenein den Riesen die Faust gegen ihn erheben sah, war seine Geduld erschöpft.

»Freund,« sagte er, »du riechst nach Wein und belästigst mich.«

Mit diesen Worten stieß er ihm sein kurzes Schwert, mit dem er sich beim Weggange von Hause bewaffnet hatte, bis ans Heft in die Brust; dann nahm er Vinicius' Arm und fuhr fort, als ob nichts geschehen wäre: »Der Caesar sagte mir heut: Teile Vinicius in meinem Namen mit, er möge die Spiele nicht versäumen, bei denen die Christen auftreten. Verstehst du, was das bedeutet? Man will sich an dem Anblicke deines Schmerzes weiden. Es ist beschlossene Sache. Vielleicht nur deswegen sind wir beide noch nicht eingekerkert. Wenn du Lygia nicht sofort befreien kannst, dann weiß ich [147] keinen anderen Rat. Vielleicht würde Akte auf deiner Seite stehen; aber was kann sie ausrichten? ... Deine sizilischen Güter stechen möglicherweise auch Tigellinus ins Auge ... Versuche es!«

»Ich will ihm alles geben, was ich besitze,« entgegnete Vinicius.

Von den Carinae bis zum Forum war es nicht allzuweit; sie gelangten daher bald an ihr Ziel. Die Nacht begann schon zu weichen, und die Mauern des Gefängnisses hoben sich deutlich von dem dunklen Hintergrunde ab.

Als sie zum mamertinischen Gefängnis einbogen, blieb Petronius plötzlich stehen und rief: »Prätorianer! ... Zu spät! ...«

Wirklich war das Gefängnis von einer doppelten Reihe Soldaten eingeschlossen. Die Morgendämmerung schimmerte auf ihren eisernen Helmen und den Spitzen ihrer Lanzen.

Vinicius' Gesicht wurde bleich wie Marmor.

»Wir wollen näher gehen,« sagte er.

Bald standen sie vor den Truppen. Petronius, der ein ungewöhnliches Gedächtnis besaß und nicht nur die Offiziere, sondern auch beinahe jeden einzelnen Prätorianer kannte, entdeckte bald einen ihm bekannten Kohortenführer und winkte ihn zu sich heran.

»Was ist denn das, Niger?« fragte er ihn; »habt ihr Befehl, das Gefängnis zu bewachen?«

»Jawohl, edler Petronius; der Präfekt befürchtet, man könnte versuchen, die Mordbrenner zu befreien.«

»Habt ihr auch Befehl, niemand einzulassen?« fragte Vinicius.

»Nein, Herr. Die Gefangenen dürfen von ihren Bekannten besucht werden. Auf diese Weise bekommen wir noch mehr Christen.«

»Dann laß mich ein,« erwiderte Vinicius.

Er drückte Petronius die Hand und sprach zu ihm: »Geh zu Akte; ich werde kommen und mir ihre Antwort holen.«

[148] »Komm nur,« erwiderte Petronius.

In diesem Augenblicke ertönte unter der Erde und hinter den Gefängnismauern Gesang. Die Melodie, anfangs dumpf und abgerissen, erklang immer heller. Männer-, Frauen- und Kinderstimmen vereinigten sich zu einem einheitlichen, harmonischen Chore. Das ganze Gefängnis begann in der Morgenstille zu erklingen wie eine Harfe. Es waren aber nicht Töne der Sorge oder Verzweiflung; es zitterte in ihnen vielmehr Freude und Triumph.

Die Soldaten sahen sich erstaunt an. Und droben am Himmel zeigten sich die ersten goldenen und rosigen Strahlen der Morgenröte.

Fußnoten

1 Der tiefste, ganz unter der Erde liegende Teil dieses Gefängnisses. Jugurtha war hier den Hungertod gestorben.

Zweiundfünfzigstes Kapitel

Zweiundfünfzigstes Kapitel.

Der Ruf: »Die Christen vor die Löwen!« hallte beständig in allen Teilen der Stadt wider. Im ersten Augenblicke zweifelte nicht nur niemand daran, daß sie die wahren Urheber der Feuersbrunst seien, sondern es wollte auch niemand daran zweifeln, da ihre Bestrafung dem Volke zugleich ein anziehendes Schauspiel zu bieten versprach. Nichtsdestoweniger machte sich auch die Ansicht geltend, daß das Unglück niemals einen so schrecklichen Umfang angenommen hätte, wenn die Götter nicht erzürnt gewesen wären, und so wurden denn in den Tempeln »piacula,« Sühnopfer, dargebracht. Auf den Rat der sibyllinischen Bücher ordnete der Senat feierliche öffentliche Gebete zu Vulkan, Ceres und Proserpina an. Die Matronen brachten der Juno Opfer dar; eine ganze Prozession von ihnen begab sich an das Gestade des Meeres, um dort Wasser zu schöpfen und das Bild der Göttin damit zu besprengen. Die verheirateten Frauen begingen Feste zu Ehren der Götter und hielten Nachtwachen. Ganz Rom büßte seine Sünden ab und brachte Opfer dar, um die Unsterblichen zu versöhnen. Und inzwischen wurden inmitten der Trümmer neue breite Straßen abgesteckt. Hier und da [149] wurde schon der Grund zu neuen Wohnhäusern, Palästen und Tempeln gelegt. Vor allem jedoch baute man mit unerhörter Eile an dem riesigen hölzernen Amphitheater, in dem die Christen sterben sollten. Unmittelbar nach jener Beratung im Hause des Tiberius hatte man an die Prokonsuln Befehle ergehen lassen, wilde Tiere zu liefern. Tigellinus leerte die Vivarien aller italischen Städte, selbst der kleinsten. In Afrika wurden auf seinen Befehl große Löwenjagden veranstaltet, an denen die gesamte einheimische Bevölkerung teilnehmen mußte. Aus Asien langten Elefanten und Tiger an, vom Nil Krokodile und Flußpferde, vom Atlas Löwen, aus den Pyrenäen Wölfe und Bären, aus Hibernien Jagdhunde, aus Epirus Molosserhunde, aus Germanien Büffel und riesige Auerochsen. Infolge der Anzahl der Gefangenen sollten die Spiele an Großartigkeit alles bisher Gesehene übertreffen. Der Caesar wollte die Erinnerung an den Brand in Blut ertränken und Rom damit berauschen, so daß niemals ein umfangreicheres Hinmorden in Aussicht genommen worden war.

Das Volk unterstützte die »Wachen« und die Prätorianer bereitwillig in der Verfolgung der Christen. Es war dies eine leichte Sache, da ganze Scharen von ihnen mitten unter der übrigen Bevölkerung in den Gärten lagerten und sich offen zu ihrem Glauben bekannten. Wurden sie umzingelt, so fielen sie auf ihre Kniee nieder und ließen sich, während sie Hymnen sangen, widerstandslos festnehmen. Aber ihre Geduld stachelte nur die Wut des Volkes an, das ihre Ergebung für Trotz und Verstocktheit hielt. Die Verfolger wurden von Raserei ergriffen. Es kam vor, daß Christen vom Pöbel den Prätorianern aus den Händen gerissen und zerfleischt wurden; Frauen schleifte man an den Haaren in den Kerker, Kindern wurde der Kopf an Steinen zerschmettert. Tausende stürmten Tag und Nacht durch die Straßen. Man suchte die Opfer unter den Trümmern, in Schornsteinen und Kellern. Vor den Gefängnissen wurden beim Scheine von [150] Feuern und bei Fässern Weins bakchische Feste und Tänze aufgeführt. Abends hörte man das donnerähnliche Gebrüll der Betrunkenen, von dem die ganze Stadt widerhallte. Die Kerker waren mit tausenden von Gefangenen angefüllt, und täglich schleppten das Volk und die Prätorianer neue Opfer herbei. Das Mitleid war geschwunden. Es war, als hätten die Menschen das Sprechen verlernt und erinnerten sich in seltsamer Verirrung nur noch des einen Rufes: »Die Christen vor die Löwen!« Es kamen fürchterlich heiße Tage und so schwüle Nächte wie nie zuvor; selbst die Luft schien mit Raserei, Blutgier und Verworfenheit gesättigt zu sein.

Und diesem Übermaß von Grausamkeit entsprach ein ebenfalls übertriebenes Verlangen nach Qual und Marter. Die Anhänger Christi gingen willig in den Tod oder suchten ihn sogar, bis das strenge Verbot ihrer Presbyter sie davon abhielt. Auf den Befehl dieser versammelten sie sich jetzt nur noch außerhalb der Stadt, in den Katakomben an der Appischen Straße und in abgelegenen Weinbergen, die christlichen Patriziern gehörten, von denen bis jetzt keiner verhaftet worden war. Auf dem Palatin wußte man zwar ganz genau, daß Flavius, Domitilla, Pomponia Graecina, Cornelius Pudens und Vinicius zu den Anhängern Christi gehörten; der Caesar fürchtete jedoch selbst, daß sich das Volk nicht werde einreden lassen, daß solche Leute Rom in Brand gesteckt hätten; und da es vor allem darauf ankam, das Volk zu überzeugen, so wurde die Bestrafung der Genannten auf eine spätere Zeit verschoben. Teilweise glaubte man, der Einfluß Aktes habe jene Patrizier gerettet. Aber diese Meinung war irrig. Petronius hatte sich allerdings nach seiner Trennung von Vinicius zu Akte begeben und sich bei ihr für Lygia verwandt, aber sie konnte ihm nur ihre Tränen bieten, denn sie lebte in Vergessenheit und Kummer und war nur soweit geduldet, als sie sich vor Poppaea und dem Caesar verbarg.

Doch hatte sie Lygia besucht, sie mit Kleidung und Essen [151] versorgt und sie vor allem vor den Gewalttätigkeiten der Gefängniswachen beschützt, die sowieso schon bestochen waren.

Petronius dagegen, der nicht vergessen konnte, daß, wenn er nicht auf den Gedanken gekommen wäre, Lygia aus Aulus' Hause zu entfernen, das Mädchen wahrscheinlich jetzt nicht im Kerker schmachten würde, und außerdem wünschte, sein Spiel gegen Tigellinus zu gewinnen, sparte weder Zeit noch Mühe. Im Verlaufe weniger Tage besuchte er Seneca, Domitius Afer, Crispinella, durch die er auf Poppaea einzuwirken hoffte, Terpnos, Diodor, den schönen Pythagoras und schließlich Aliturus und Paris, denen der Caesar in der Regel nichts abschlug. Mit Hilfe der Chrysothemis, die jetzt Vatinius' Geliebte war, suchte er sogar dessen Beistand zu gewinnen, wobei er es weder diesem noch anderen gegenüber an Versprechungen und Geld fehlen ließ.

Aber alle seine Bemühungen waren fruchtlos. Seneca, der selbst nicht sicher war, ob er den morgenden Tag erleben werde, begann ihm auseinander zu setzen, selbst wenn die Christen in der Tat Rom nicht angezündet hätten, so müßten sie doch zum Besten des Staates ausgerottet werden, mit anderen Worten: er rechtfertigte das Geschehene mit politischen Gründen. Terpnos und Diodor nahmen das angebotene Geld und taten absichtlich nichts. Vatinius teilte es dem Caesar mit, daß man ihn habe bestechen wollen, Aliturus allein, der anfangs den Christen feindselig gesinnt gewesen war, fühlte jetzt Mitleid mit ihnen und wagte es, den Caesar an die eingekerkerte Jung frau zu erinnern und für sie zu bitten, erhielt aber nur die Antwort: »Glaubst du, ich besitze weniger Seelengröße als Brutus, der zum Besten Roms seine eigenen Söhne nicht schonte?«

Als er Petronius diese Antwort wiederholte, sagte dieser: »Wenn er sich mit Brutus verglichen hat, so gibt es keine Rettung mehr.«

Doch bedauerte er Vinicius von Herzen und fürchtete, dieser möchte sich ein Leid antun. »Jetzt,« sprach er zu sich [152] selbst, »halten ihn noch die Anstrengungen, denen er sich zu Lygias Rettung unterzieht, ihr Anblick und selbst der Schmerz aufrecht; wenn aber alle Mittel erschöpft sind und der letzte Hoffnungsstrahl erlischt, dann, beim Kastor! wird er sie nicht überleben, sondern sich in sein Schwert stürzen.« Petronius erachtete einen solchen Tod sogar für besser als ein Leben unter solchen Qualen der Liebe. Inzwischen setzte auch Vinicius alle Hebel in Bewegung, um Lygia zu retten. Er besuchte die Augustianer und er, der einst so stolz gewesen war, bat jetzt um ihre Fürsprache. Durch Vitellius ließ er Tigellinus seine sizilischen Güter und alles, was er haben wollte, anbieten; aber Tigellinus lehnte ab, da er die Augusta nicht so offen beleidigen wollte. Zum Caesar selbst zu gehen, einen Fußfall vor ihm zu tun und ihn zu bitten, versprach keinen Erfolg. Vinicius war allerdings bereit dazu, aber Petronius, der von seinem Vorhaben gehört hatte, fragte ihn: »Und wenn er dir deine Bitte abschlägt, wenn er mit einem Witze oder einer schamlosen Drohung antwortet, was dann?«

Vinicius' Züge verzerrten sich vor Schmerz und Wut, aber er ging aus diesem inneren Kampfe bald als Sieger hervor.

»Ja,« sagte Petronius, »deshalb rate ich dir ab. Du würdest dir nur jeden Rettungsweg abschneiden.«

Vinicius beherrschte sich gewaltsam, fuhr mit der Hand über seine mit kaltem Schweiß bedeckte Stirn und sagte: »Nein, nein! Ich bin ein Christ!«

»Du wirst es vergessen, wie du es soeben vergessen hattest. Du hast ein Recht, dich selbst ins Verderben zu stürzen, nicht aber sie mitzureißen. Bedenke, was Sejanus' Tochter vor dem Tode zu erdulden hatte.«

Indem er so sprach war er nicht ganz aufrichtig; denn Vinicius stand ihm näher als Lygia. Aber er wußte, daß nichts so sehr imstande war, ihn von einem gefährlichen Schritte abzuhalten wie die Vorstellung, daß er möglicherweise dadurch Lygias Untergang, ohne es zu wollen, beschleunigen [153] könne. Im übrigen hatte er recht; denn auf dem Palatin erwartete man den Besuch des jungen Tribunen und traf entsprechende Vorsichtsmaßregeln.

Doch Vinicius' Qual überstieg alles, was menschliche Kräfte zu tragen vermögen. Seit dem Augenblicke, wo Lygia eingekerkert und der Strahl künftigen Märtyrertums auf sie gefallen war, liebte er sie nicht nur tausendmal mehr als zuvor, sondern begann ihr in seinem Herzen geradezu eine beinahe religiöse Verehrung zu widmen und sie für ein überirdisches Wesen zu halten. Und jetzt bei dem Gedanken, daß er dieses geliebte, heilige Wesen verlieren solle und daß außer dem Tode ihrer vielleicht noch Qualen harrten, die schrecklicher als der Tod selbst waren, erstarrte ihm das Blut in den Adern zu Eis, ward sein Dasein ein einziger Seufzer, verwirrten sich seine Gedanken. Bisweilen war es ihm, als sei sein Kopf voll flüssigen Feuers, das diesen verbrennen oder zersprengen müsse. Er verstand nicht mehr, was um ihn herum vorging, er begriff es nicht, warum Christus, der Barmherzige! der Gott! seinen Gläubigen nicht zu Hilfe komme, warum die rauchgeschwärzten Mauern des Palatins nicht von der Erde verschlungen würden und mit ihnen Nero selbst, die Augustianer, das Prätorianerheer und die ganze verruchte Stadt. Er glaubte, es könne und dürfe gar nicht anders sein und dieses alles, was seine Augen erblickten und worüber seine Seele fast vergehen und sein Herz brechen wollte, sei nichts als ein böser Traum. Allein das Brüllen der wilden Tiere belehrte ihn, daß es Wirklichkeit war, der Schall der Äxte, unter denen sich die Arenen erhoben, belehrte ihn, daß es Wirklichkeit war, und das Geheul des Volkes, sowie die Überfüllung der Kerker bestätigten es. Dann schwankte der Glaube an Christus in seinem Innern, und dieses Schwanken war neue Qual, vielleicht die furchtbarste von allen.

Und währenddessen sagte ihm Petronius: »Bedenke, was Sejanus' Tochter vor dem Tode erdulden mußte.«

Dreiundfünfzigstes Kapitel

[154] Dreiundfünfzigstes Kapitel.

Und alles war fehlgeschlagen. Vinicius ließ sich sogar so tief herab, daß er Hilfe bei den Freigelassenen und Sklaven sowohl des Caesars wie Poppaeas suchte, ihre leeren Versprechungen freigebig bezahlte und sich ihrer Bereitwilligkeit durch reiche Geschenke versicherte. Er suchte den ersten Gatten der Augusta, Rufius Crispinus, auf und erhielt von ihm ein Schreiben; ihrem Sohne erster Ehe, Rufius, schenkte er eine Villa in Atrium, ärgerte aber damit den Caesar, der seinen Stiefsohn haßte. Durch einen besonderen Eilboten sandte er ein Schreiben an Poppaeas zweiten Gemahl, Otho, nach Spanien, opferte sein gesamtes Eigentum und sich selbst auf, bis er zuletzt einsah, daß er nur der Spielball dieser Menschen sei und daß es ihm eher gelungen wäre, Lygia zu befreien, wenn er ihre Einkerkerung leichter genommen hätte.

Dasselbe erkannte auch Petronius. Inzwischen verging ein Tag nach dem anderen. Die Amphitheater waren vollendet. Schon wurden die Tesserae, die Eintrittsmarken zu dem ludus matutinus, 1 verteilt. Aber diesmal sollte das Morgenspiel wegen der riesigen Zahl der Opfer tage-, wochen-, monatelang dauern. Man wußte schon nicht mehr, wo man die Christen unterbringen sollte. Die Kerker waren überfüllt, und das Fieber wütete in ihnen. Die Puticuli, gewöhnliche Gruben, in denen die Sklaven eingesperrt wurden, fingen ebenfalls an, sich übermäßig zu füllen. Man fürchtete, es möchten Krankheiten sich über die ganze Stadt verbreiten, und daher entschloß man sich zur Eile.

Alle diese Gerüchte kamen auch Vinicius zu Ohren und erstickten den letzten Hoffnungsschimmer in ihm. Solange es Zeit war, konnte er sich vortäuschen, daß er noch etwas erreichen könne, aber jetzt war keine Zeit mehr. Die Spiele mußten beginnen. Lygia konnte sich jeden Tag in einem [155] Cuniculum des Zirkus befinden, von dem aus man nur in die Arena gelangen konnte. Vinicius, der nicht wußte, wohin das Schicksal und die Grausamkeit der Gewalt sie führen würde, besuchte regelmäßig jeden Zirkus, bestach die Wachen und die Bestiarii und legte ihnen Pläne vor, deren Ausführung unmöglich war. Mit der Zeit erkannte er, daß alles, was er für sie tun konnte, darin bestand, ihr den Tod weniger furchtbar zu machen, und eben dann war es ihm, als habe er anstatt des Gehirns glühende Kohlen in seinem Kopfe.

Im übrigen dachte er auch gar nicht daran, sie zu überleben, und beschloß, gleichzeitig mit ihr zu sterben. Aber er fürchtete, der Schmerz könne sein Leben vernichten, bevor der schreckliche Tag herangenaht sei. Seine Freunde und auch Petronius glaubten, daß sich ihm jeden Tag das Reich der Schatten öffnen könne. Vinicius' Gesicht war düster und glich den in den Lararien aufbewahrten Wachsmasken. Aus seinen Zügen war jedes Leben gewichen, als verstehe er nicht, was um ihn herum vorgehe und was noch vorgehen könne. Sprach jemand mit ihm, so erhob er mit einer mechanischen Bewegung die Hände, preßte sie an die Schläfen und sah den Sprechenden mit erstauntem, fragendem Blicke an. Die Nächte verbrachte er mit Ursus vor der Tür von Lygias Gefängniszelle, und wenn sie ihn bat, fortzugehen und zu ruhen, so kehrte er zu Petronius zurück und ging bis zum frühen Morgen im Atrium auf und ab. Häufig sahen ihn auch die Sklaven mit ausgebreiteten Armen am Boden oder mit dem Gesicht auf der Erde liegen. Er betete zu Christus, da dieser seine letzte Hoffnung war. Alles war fehlgeschlagen. Nur ein Wunder konnte Lygia retten, daher schlug Vinicius mit der Stirn gegen die Steinfliesen und betete um das Wunder.

Aber soviel Verständnis war ihm doch noch geblieben, daß er einsah, Petrus' Gebet sei wirksamer als das seinige. Petrus hatte ihm Lygia verheißen, Petrus hatte ihn getauft, Petrus tat selbst Wunder und sollte jetzt auch ihm Rettung und Hilfe bringen.

[156] Eines Nachts machte er sich auf den Weg, ihn zu suchen. Die Christen, von denen wenige in Freiheit geblieben waren, hielten diesen jetzt sorgfältig sogar voreinander versteckt, damit nicht einer von den Schwächeren im Geiste ihn absichtlich oder unabsichtlich verriete. Vinicius hatte in der allgemeinen Verwirrung und dem Unglück den Apostel aus den Augen verloren, zumal er durch seine Bemühungen, Lygia aus dem Gefängnis zu befreien, fast völlig in Anspruch genommen war. Seit seiner Taufe hatte er ihn daher kaum einmal gesehen, und zwar noch vor dem Beginn der Verfolgung. Er begab sich zu jenem Steinbrecher, in dessen Hütte er getauft worden war, und erfuhr von ihm, daß in einem Cornelius Pudens gehörigen Weinberge vor der Porta Salaria eine Versammlung der Christen stattfinden solle. Der Steinbrecher erbot sich, Vinicius hinzuführen, und versicherte ihn, er werde Petrus dort antreffen. Nach Einbruch der Dämmerung gingen sie fort, durchschritten das Tor und gelangten dann über schilfbewachsene, niedriger gelegene Stellen hinweg zu dem Weinberge, der fern von der Stadt auf einem einsamen Felde lag. Die Versammlung fand in einem Schuppen statt, in dem für gewöhnlich Wein lagerte. Als Vinicius näher kam, drangen leise Gebete in sein Ohr, und beim Eintritte sah er bei dem trüben Scheine einiger Laternen fünfzig bis sechzig Gestalten auf den Knieen liegen und andächtig beten. Sie beteten eine Art Litanei; ein Chor männlicher und weiblicher Stimmen wiederholte unaufhörlich: »Christus, erbarme dich!« Tiefe, ergreifende Trauer und Bekümmernis zitterte in diesen Stimmen.

Petrus war zugegen. Er kniete vorn an, vor einem an der Wand des Schuppens befestigten hölzernen Kreuz und betete. Vinicius erkannte ihn schon aus der Ferne an seinem weißen Haar und seinen hocherhobenen Händen. Der erste Gedanke des jungen Patriziers war der, durch die Versammlung hindurchzueilen, sich dem Apostel zu Füßen zu werfen und zu rufen: »Rette sie!« Aber die Kniee versagten ihm, [157] sei es infolge des feierlichen Eindrucks des Gebetes, sei es vor Schwäche; er setzte sich beim Eingang nieder und begann seufzend und händeringend zu wiederholen: »Christus, erbarme dich!« Wäre er unbefangen gewesen, so hätte er bemerken müssen, daß sich nicht nur in sein Gebet Seufzer mischten und daß nicht er allein seinen Kummer, seine Betrübnis, seine Sorge hierher gebracht hatte. In dieser Versammlung befand sich keine Menschenseele, die nicht teure Angehörige verloren hätte. Und als die eifrigsten und mutvollsten der Gläubigen eingekerkert waren, als sich jeden Augenblick neue Gerüchte über Beschimpfungen und Qualen, die sie im Gefängnisse zu erdulden hatten, verbreiteten, als die Größe des Jammers jede Vorstellung überstieg, als nur diese Handvoll Christen übrigblieb – da gab es kein Herz, das nicht im Glauben geschwankt und zweifelnd gefragt hätte: »Wo ist Christus? und warum läßt er zu, daß das Böse mächtiger als Gott wird?«

Trotzdem flehten sie ihn voller Verzweiflung noch um Erbarmen an, denn in jeder Seele glühte noch ein Hoffnungsfunken, er werde kommen, das Böse zerschmettern, Nero in den Abgrund schleudern und die Weltregierung antreten ... Noch blickten sie zum Himmel empor, noch lauschten sie auf sein Nahen, noch beteten sie zitternd. Auch Vinicius wurde, je öfter er die Worte wiederholte: »Christus, erbarme dich!« von Begeisterung ergriffen, wie er sie damals in der Hütte des Steinbrechers empfunden hatte. Jetzt rufen die Versammelten aus dem Abgrund ihres Leides nach Christus, jetzt ruft Petrus nach ihm; jeden Augenblick kann sich der Himmel öffnen und die Erde in ihren Grundfesten erbeben; dann wird Er erscheinen in unermeßlichem Strahlenglanze, Gestirne zu seinen Füßen, allerbarmend, aber zugleich auch furchtbar; er wird seine Gläubigen aufrichten und den Abgründen befehlen, die Verfolger zu verschlingen.

Vinicius verbarg sein Gesicht in die Hände und stürzte zur Erde. Jetzt umgab ihn ringsum Schweigen, es war, [158] als habe die Furcht weitere Rufe auf den Lippen aller Anwesenden zurückgehalten. Und es erschien ihm, als müsse sich nun endlich etwas ereignen, als müsse ein Wunder eintreten. Er war überzeugt, beim Aufschlagen der Augen einen Glanz zu erblicken, vor dem sterbliche Augen erblinden müßten, und eine Stimme zu vernehmen, vor der die Herzen ihre Kraft schwinden fühlten.

Aber die Stille dauerte fort. Endlich wurde sie vom Weinen der Frauen unterbrochen.

Vinicius erhob sich und sah enttäuscht um sich.

Statt des überirdischen Glanzes beleuchtete nur schwacher Laternenschimmer den Raum, und die durch eine Dachöffnung einfallenden Mondstrahlen erfüllten ihn mit silbernem Lichte. Die neben Vinicius Knieenden erhoben schweigend ihre tränenschweren Augen zum Kreuze empor; hier und da ertönte noch Weinen, und von draußen vernahm man die warnenden Rufe der Wachen. Da erhob sich Petrus und sprach, zur Gemeinde gewendet: »Kinder, erhebet eure Herzen zum Erlöser und bringt ihm eure Tränen zum Opfer dar!«

Er schwieg.

Auf einmal ließ sich aus der Mitte der Versammlung heraus die Stimme einer Frau vernehmen voll herzzerreißenden Jammers und grenzenlosen Schmerzes: »Ich bin Witwe und hatte einen einzigen Sohn, der mich unterstützte ... Gib ihn mir zurück, Herr!«

Ein drückendes Schweigen folgte diesen Worten.

Petrus stand vor der knieenden Gemeinde, vom Alter gebeugt, kummerschwer und erschien in diesem Augenblicke wie die Verkörperung von Greisenhaftigkeit und Hinfälligkeit.

Dann begann eine andere Stimme: »Die Häscher schändeten meine Tochter, und Christus hat es zugelassen.«

Darauf eine dritte: »Ich bin allein mit meinen Kindern zurückgeblieben; wer wird ihnen Wasser und Brot geben, wenn man auch mich hinwegführt?«

Sodann eine vierte: »Linus, den man erst verschont hatte, [159] ist von neuem ergriffen und auf die Marterbank gelegt worden, Herr!«

Endlich eine fünfte: »Sobald wir nach unseren Wohnungen zurückkehren, werden uns die Prätorianer ergreifen. Wir wissen nicht, wo wir uns verbergen sollen.«

»Wehe uns! Wer wird uns schützen?«

Und so ertönte in der Stille der Nacht Klage um Klage. Der greise Fischer hielt die Augen geschlossen und schüttelte sein weißes Haupt über all dieses grenzenlose menschliche Elend und Herzeleid. Wieder trat Schweigen ein, nur die Wachen hinter dem Schuppen ließen leise Warnungsrufe ertönen.

Vinicius sprang von neuem auf, um sich durch die Gemeinde bis zum Apostel hindurchzudrängen und ihn um Rettung anzuflehen. Plötzlich aber erblickte er vor sich einen Abgrund, vor dem seine Füße zurückbebten. Wie, wenn der Apostel seine eigene Schwäche eingestehen, wenn er zugeben müßte, daß der römische Caesar mächtiger sei als Christus von Nazareth? Bei diesem Gedanken sträubten sich Vinicius die Haare, denn er fühlte, daß dann nicht nur seine letzte Hoffnung in diesem Abgrund versinke, sondern auch er, seine Lygia, seine Liebe zu Christus, sein Glaube – kurz alles, woran er sich bis jetzt festgeklammert hatte, und dann würde nichts bleiben als Nacht und Tod, ein uferloses Meer.

Da begann Petrus zu sprechen, anfangs mit so leiser Stimme, daß man ihn kaum verstehen konnte: »Meine Kinder! Auf Golgatha sah ich, wie Gott ans Kreuz geheftet wurde. Ich hörte die Hammerschläge und sah, wie man das Kreuz aufrichtete, damit das Volk den Tod des Menschensohnes sehen könne. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

... Und ich sah, wie man ihm die Seite öffnete und wie er starb. Und als ich von der Kreuzigung heimkehrte, rief ich in meinem Schmerze, wie ihr jetzt ruft: Wehe, wehe, Herr! Du bist Gott! Warum hast du dies zugegeben, warum bist du gestorben, warum hast du uns betrübt, die wir glaubten, daß dein Reich kommen werde? ...

[160] Aber Er, unser Herr und unser Gott, stand am dritten Tage von den Toten auf und weilte unter uns, bis er mit großer Herrlichkeit in sein himmlisches Reich einging ...

Wir aber, die wir unsere Kleingläubigkeit einsahen, wurden stark in unserem Herzen und streuen seit dieser Zeit seinen Samen aus ...« – – – – – – – – – – – –

Dann wandte er sich nach der Richtung, aus der jene erste Klage erschollen war, und sprach mit schon kräftigerer Stimme: »Warum beklagt ihr euch? ... Gott selbst hat sich dem Tode und der Marter hingegeben, und ihr wollt, daß er euch davor bewahre? Ihr Kleingläubigen, habt ihr so seine Lehre aufgefaßt, hat er euch denn nur das Leben verheißen? Seht, er kommt zu euch und spricht: Folget mir nach; er will euch zu sich emporheben, und ihr klammert euch mit den Händen an die Erde fest und ruft: Herr, rette uns! Vor Gott bin ich Staub, aber vor euch bin ich Gottes Apostel und Stellvertreter, und ich sage euch im Namen Christi: Nicht der Tod steht euch bevor, sondern ewiges Leben, nicht Qual, sondern unaussprechliche Freude, nicht Weinen und Wehklagen, sondern jubelnder Gesang, nicht Sklaverei, sondern Herrschaft. Ich, der Apostel Gottes, sage dir, Witwe: Dein Sohn ist nicht gestorben, sondern in Herrlichkeit zum ewigen Leben wiedergeboren worden, und du wirst mit ihm vereinigt werden! Dir, Vater, dessen unschuldige Tochter die Häscher verunehrt haben, verheiße ich, daß du sie reiner wiederfinden wirst als die Lilien von Hebron. Euch, ihr Mütter, die man von den Waisen wegreißt, euch, die ihr eure Väter verloren habt, euch, die ihr klagt, euch, die ihr den Tod eurer Lieben sehen werdet, euch, den Trauernden, Unglücklichen, Gebeugten, und euch, die ihr sterben müßt, erkläre ich im Namen Christi, daß ihr wie aus einem Schlafe zu einem seligen Dasein und wie aus der Nacht zum Lichte Gottes erwachen werdet. Im Namen Christi, laßt die Binde von euren Augen fallen und eure Herzen hell werden!«

Nach diesen Worten streckte er mit hoheitsvoller Gebärde [161] seine Hand aus, und die Versammelten fühlten neues Blut in ihren Adern, zugleich aber auch einen Schauer in ihren Gebeinen, denn vor ihnen stand nicht mehr ein schwacher, hinfälliger Greis, sondern ein Fürst, der ihre Seelen hinriß und aus Staub und Schrecken zu sich emporhob.

»Amen!« erklang es von vielen Lippen.

Aus des Apostels Auge aber brach ein immer helleres Licht, Kraft ging von ihm aus, Majestät und Heiligkeit. Die Häupter neigten sich vor ihm, und als das »Amen« verklungen war, fuhr er fort: »Ihr säet mit Tränen, um in Freude zu ernten. Warum fürchtet ihr die Macht des Bösen? Erhaben über die Erde, über Rom, über die Mauern der Stadt ist der Herr, der seine Wohnung bei euch aufgeschlagen hat. Die Steine werden mit euren Tränen benetzt, der Sand wird von eurem Blut gerötet, die Gruben werden mit euren Leichen angefüllt werden; aber ich sage euch: Ihr seid die Sieger! Der Herr schreitet zur Eroberung dieser Stadt des Verbrechens, der Bedrückung und des Hochmuts, und ihr seid seine Legionen! Und wie er mit seiner Marter und seinem Blute die Sünden der ganzen Welt abbüßte, so will er, daß ihr mit eurer Marter und eurem Tode für diesen Ort der Ungerechtigkeit Sühne leistet. Dies verkündet er euch durch meinen Mund.«

Er breitete die Arme aus und blickte zum Himmel empor. Den Versammelten stockte beinahe der Herzschlag in der Brust, denn sie fühlten, sein Auge schaue etwas, was sterbliche Blicke nicht wahrzunehmen vermöchten.

Sein Gesicht war wie umgewandelt, eine strahlende Heiterkeit lag darüber ausgegossen; er schaute eine Zeitlang schweigend empor, als versage ihm vor Entzücken die Sprache; dann aber ließ sich seine Stimme aufs neue vernehmen: »Du bist es, Herr, und zeigst mir deine Wege! ... Ja, o Christus! ... Nicht in Jerusalem, sondern in dieser Stadt des Satans willst du deinen Sitz errichten? Hier willst du dir aus diesen Tränen und diesem Blut deine Kirche bauen? [162] Hier, wo Nero herrscht, soll dein ewiges Reich stehen? O Herr, Herr! Und du befiehlst diesen Zagenden, mit ihren Gebeinen den Grund zu deinem Zionsheiligtum zu legen, mir befiehlst du, die Herrschaft darüber und über die Völker der Erde in die Hand zu nehmen? ... Du läßt den Bronn der Kraft über die Schwachen strömen, daß sie stark werden, und befiehlst mir, die Herde deiner Lämmer zu weiden bis ans Ende der Zeiten ... O, sei hochgelobt in deinen Ratschlüssen, der du zu siegen befiehlst! Hosianna! Hosianna!«

Die Verzagten ermannten sich, in die Zweifelnden ergossen sich Ströme des Glaubens. Die einen riefen: »Hosianna!« die anderen »Pro Christo!« Dann trat Stille ein. Sommerliches Wetterleuchten erhellte das Innere des Schuppens und die vor Erregung blassen Gesichter.

Petrus, dessen Vision andauerte, verharrte noch lange im Gebet; endlich jedoch erwachte er, wandte sich mit gottbegeistertem, strahlendem Antlitz zu seiner Gemeinde und sprach: »Seht, wie der Herr euch vom Zweifel erlöst hat, so werdet ihr auch in seinem Namen siegen!«

Und obwohl er wußte, daß sie siegen würden, obwohl er wußte, was aus ihren Tränen und ihrem Blute emporsprießen werde, zitterte seine Stimme doch vor Erregung, als er sie mit dem Zeichen des Kreuzes segnete und sprach: »Und jetzt segne ich euch, meine Kinder, zur Marter, zum Tode, zur Ewigkeit ein!«

Doch sie umringten ihn und riefen: »Wir sind bereit, aber du, heiliges Haupt, rette dich; denn du bist der Statthalter Christi und verwaltest sein Amt.« Bei diesen Worten ergriffen sie sein Gewand; er aber legte ihnen seine Hände aufs Haupt und segnete jeden einzelnen wie ein Vater seine Kinder segnet, die er auf eine weite Reise aussendet.

Zugleich begannen sie den Schuppen zu verlassen; denn sie hatten Eile, nach Hause und von da in die Kerker und in die Arena zu kommen. Ihre Gedanken schwangen sich von der Erde empor; ihre Seelen nahmen den Flug zur Ewigkeit, [163] und sie schritten wie im Traume oder in der Entzückung dahin, um die Kraft, die ihnen innewohnte, der Kraft und Grausamkeit der wilden Tiere entgegenzusetzen.

Nereus, einer von Pudens' Dienern, ergriff den Apostel beim Arme und führte ihn auf einem geheimen Pfade aus dem Weinberge nach seinem Hause. In der hellen Nacht konnte Vinicius ihnen folgen, und als sie an Nereus' Hütte angelangt waren, stürzte er sich plötzlich dem Apostel zu Füßen.

Dieser erkannte ihn und fragte: »Was wünschst du, mein Sohn?«

Vinicius wagte aber nach dem, was er im Schuppen gehört hatte, nicht mehr, ihn um etwas zu bitten; er umklammerte nur seine Füße mit beiden Händen, drückte stöhnend seine Stirne darauf und bat auf diese wortlose Weise um Erbarmen.

Petrus sprach: »Ich weiß. Man hat das Mädchen eingekerkert, das du liebst. Bete für sie!«

»Herr!« ächzte Vinicius, die Füße des Apostels noch fester umklammernd; »Herr! ich bin ein elender Wurm, aber du hast Christus gekannt, bitte du ihn, tritt du für sie ein!«

Vor Schmerz bebte er wie Espenlaub und schlug mit der Stirn auf die Erde; denn er kannte die Macht des Apostels und wußte, daß er allein Lygia retten konnte.

Petrus war von diesem Schmerze gerührt. Er erinnerte sich, wie einst auch das Mädchen, als es von Crispus gescholten worden war, genau so zu seinen Füßen gelegen und um Erbarmen gefleht hatte. Er erinnerte sich, daß er es aufgehoben und getröstet habe. Daher hob er jetzt auch Vinicius auf.

»Mein lieber Sohn,« sagte er, »ich will für sie beten, gedenke aber dessen, was ich soeben zu den Zweiflern dort gesprochen habe, daß selbst Gott durch die Kreuzesqual hindurchgegangen ist, und bedenke auch, daß nach diesem Leben ein anderes, ewiges beginnt.«

»Ich weiß es! ... ich habe es gehört,« erwiderte Vinicius, [164] der mit blassem Munde nach Atem rang; »aber du siehst, Herr ... ich kann es nicht. Soll Blut fließen, so bitte Christus, das meinige zu nehmen. Ich bin Soldat. Er soll die für sie bestimmte Qual an mir verdoppeln, verdreifachen, ich werde nicht zucken! aber sie soll er retten. Sie ist noch ein Kind, Herr! und er ist mächtiger als der Caesar, ich glaube es! Er ist mächtiger! ... Du selbst hast sie liebgewonnen. Du hast uns gesegnet! Sie ist noch ein unschuldiges Kind!«

Wieder beugte er sich zur Erde, lehnte sein Gesicht an Petrus' Kniee und begann zu wiederholen: »Du hast Christus gekannt, Herr! du hast ihn gekannt; er wird dich erhören! Tritt für sie ein!«

Petrus schloß die Lider und betete inbrünstig.

Das Wetterleuchten begann von neuem am Himmel aufzuflammen. Vinicius blickte bei seinem Schein auf des Apostels Lippen, das Urteil über Leben und Tod davon erwartend. In der Stille der Nacht hörte man die Wachteln in den Weinbergen rufen und das dumpfe, ferne Geräusch der an der Via Salaria liegenden Tretmühlen.

»Vinicius,« fragte endlich der Apostel, »glaubst du?«

»Würde ich sonst hergekommen sein, Herr?« erwiderte Vinicius.

»Dann glaube bis ans Ende, denn der Glaube kann Berge versetzen. Und solltest du jenes Mädchen unter dem Schwerte des Henkers oder in den Klauen eines Löwen erblicken, selbst dann glaube noch, daß Christus sie retten kann. Glaube und bete zu ihm, und ich will mit dir beten.«

Dann erhob er die Augen zum Himmel und sprach mit lauter Stimme: »Barmherziger Christus, sieh auf dieses gequälte Herz und tröste es! Barmherziger Christus, mildere den Sturm um der Lämmlein willen! Barmherziger Christus, der du den Vater gebeten hast, den bitteren Kelch an dir vorübergehen zu lassen, lasse ihn an den Lippen deines Dieners vorübergehen! Amen!«

[165] Vinicius erhob die Hände zum gestirnten Himmel und sprach unter schwerem Seufzen: »O Christus, ich bin dein! Nimm mich statt ihrer hin!«

Im Osten begann der Tag zu grauen.

Fußnoten

1 Morgenspiel.

Vierundfünfzigstes Kapitel

Vierundfünfzigstes Kapitel.

Als Vinicius den Apostel verlassen hatte, begab er sich mit erneuter Hoffnung im Herzen nach dem Kerker. Auf dem Grunde seiner Seele lag zwar noch immer ein Rest der Verzweiflung und Furcht verborgen, aber er unterdrückte diese Stimme in sich. Es erschien ihm unmöglich, daß die Fürbitte des Stellvertreters Gottes und die Macht seines Gebetes erfolglos bleiben sollten. So schwankte er zwischen Hoffnung und Zweifel hin und her. »Ich will an Christi Barmherzigkeit glauben,« sprach er zu sich, »und wenn ich auch Lygia im Rachen eines Löwen erblickte.« Und in diesem Gedanken fand er gläubigen Trost, wenn auch seine Seele erbebte und kalter Schweiß ihm die Stirn bedeckte. Jeder Schlag seines Herzens wurde jetzt zum Gebet. Er begann das Wort zu verstehen, daß der Glaube Berge versetzen könne, denn er fühlte eine wunderbare Kraft in sich, die er vorher nie empfunden hatte. Es war ihm, als vermöge er etwas zu tun, was noch gestern nicht in seiner Macht gestanden hatte. Zuweilen hatte er die Empfindung, als sei das Unheil bereits vorüber. Wenn die Verzweiflung ihm noch innerliche Seufzer entpreßte, erinnerte er sich jener Nacht und jenes heiligen uralten Antlitzes, daß sich damals betend zum Himmel gewandt hatte. »Nein! Christus wird seinen ersten Jünger und den Hirten seiner Herde nicht unerhört lassen. Christus wird mich erhören, ich zweifle nicht daran.« Und er eilte als Überbringer guter Kunde ins Gefängnis.

Aber hier ereignete sich etwas Unerwartetes.

Die Prätorianer, die vor dem mamertinischen Gefängnisse lagen, kannten ihn schon alle und legten ihm gewöhnlich [166] nicht die geringste Schwierigkeit in den Weg; diesmal aber öffnete sich ihre Reihe nicht, sondern ein Centurio trat vor und sagte: »Verzeihe, edler Herr, wir haben heut Befehl, niemand einzulassen.«

»Befehl?« wiederholte Vinicius erblassend.

Der Soldat blickte ihn teilnahmsvoll an und entgegnete: »Ja Herr, Befehl vom Caesar. Es befinden sich viele Kranke im Gefängnis, und man fürchtet vielleicht, daß die Besucher die Ansteckung in die Stadt übertragen.«

»Du sagtest aber, der Befehl sei nur für heute gegeben.«

»Die Wache wird zu Mittag abgelöst.«

Vinicius schwieg und entblößte sein Haupt, denn der Pileolus, den er trug, schien ihm von Blei zu sein.

Der Soldat näherte sich ihm und sagte mit gedämpfter Stimme: »Beruhige dich, Herr. Ursus und die Wärter beschützen sie.«

Bei diesen Worten beugte er sich vor und zeichnete im Nu mit seinem langen gallischen Schwerte die Gestalt eines Fisches auf die Steinplatten.

Vinicius sah ihn erstaunt an.

»... Und du bist Prätorianer? ...«

»Bis auch ich dort weile,« entgegnete der Soldat, nach dem Kerker zeigend.

»Auch ich verehre Christus.«

»Sein Name sei hochgelobt. Ich weiß es, Herr. Ich darf dich nicht ins Gefängnis einlassen; wenn du aber einen Brief schreiben willst, so werde ich ihn den Wärtern übergeben.«

»Ich danke dir, Bruder!«

Er reichte dem Centurio die Hand und entfernte sich. Der »Pileolus« hatte sein Bleigewicht verloren. Die Morgensonne beschien die Kerkermauern, und mit ihren Strahlen drang neue Hoffnung in Vinicius' Herz. Dieser Soldat, ein Christ, war für ihn ein neuer Beweis für die Macht Christi. Nach einer Weile blieb er stehen, wandte den Blick [167] zu den rosigen Wolken empor, die über dem Kapitol und dem Tempel des Jupiter schwebten, und sagte: »Ich habe sie heute nicht gesehen, Herr, aber ich glaube an deine Barmherzigkeit.«

Zu Hause wartete Petronius auf ihn, der wie gewöhnlich »die Nacht zum Tage machend,« erst unlängst heimgekehrt war. Er hatte soeben ein Bad genommen und sich salben lassen, um zur Ruhe zu gehen.

»Ich habe Nachrichten für dich,« sagte er. »Ich war heut bei Tullius Senecio, bei dem auch der Caesar war. Ich weiß nicht, wie die Augusta auf den Gedanken verfallen ist, den kleinen Rufius mitzunehmen ... Vielleicht wollte sie des Caesars Herz durch seine Schönheit erweichen. Unglücklicherweise schlief das Kind, von Müdigkeit übermannt, während des Vorlesens ein, genau so wie einst Vespasian. Als der Rotbart dies bemerkte, schleuderte er einen Becher nach ihm und verwundete ihn schwer. Poppaea fiel in Ohnmacht; der Caesar aber sagte laut, so daß es alle hören konnten: ›Ich habe diese Brut satt‹ – und du weißt – dies bedeutet so viel wie ein Todesurteil.«

»Das Strafgericht Gottes schwebt über der Augusta,« erwiderte Vinicius; »aber wozu erzählst du mir das?«

»Ich teile es dir deshalb mit, weil Poppaeas Zorn dich und Lygia verfolgt. Ist sie mit ihrem eigenen Unglücke beschäftigt, vergißt sie vielleicht ihre Rache und läßt sich leichter umstimmen. Ich will sie heut abend besuchen und mit ihr sprechen.«

»Ich danke dir. Du hast mir eine gute Nachricht mitgeteilt.«

»Nimm jetzt ein Bad und geh schlafen. Du hast blaue Lippen, und es ist nur ein Schatten von dir übrig geblieben.«

Vinicius fragte jedoch: »Weißt du nicht, wann der erste ludus matutinus stattfinden wird?«

»In zehn Tagen. Doch kommen erst andere Kerker an die Reihe. Je mehr uns Zeit verbleibt, um so besser. Es ist noch nicht alles verloren.«

[168] Als er dies sagte, glaubte er selbst nicht an seine eigenen Worte; denn er wußte bestimmt, daß Lygia nicht mehr zu retten sei, da der Caesar auf Aliturus' Bitte jene erhaben klingende Antwort gegeben hatte, in der er sich mit Brutus verglich. Auch verschwieg er aus Mitleid, was er von Senecio gehört hatte, daß nämlich der Caesar und Tigellinus beschlossen hätten, für sich und ihre Freunde die schönsten christlichen Mädchen auszusuchen und vor der Marter zu schänden, der Rest aber sollte am Tage der Spiele selbst den Prätorianern und Tierwärtern überlassen werden.

Da er wußte, Vinicius wolle Lygia auf keinen Fall überleben, flößte er ihm in dieser Zeit absichtlich Hoffnung ein, zunächst aus Zuneigung für ihn, sodann aber, weil es ihm, dem ästhetisch gebildeten Mann, auch darauf ankam, daß Vinicius, wenn er schon einmal sterben mußte, in Schönheit sterbe, nicht mit einem von Kummer und Schlaflosigkeit verwüsteten und entstellten Antlitz.

»Ich werde heut ungefähr folgendermaßen zur Augusta sprechen,« fuhr er fort: »Rette Vinicius Lygia, und ich rette dir Rufius. Ich werde bestimmt daran denken. Ein einziges Wort zum Rotbart im passenden Augenblick gesprochen, kann jemanden retten oder verderben. Schlimmstenfalls gewinnen wir Zeit.«

»Ich danke dir,« versetzte Vinicius.

»Am besten würdest du mir danken, wenn du essen und schlafen wolltest. Bei Athene! Selbst in den größten Gefahren dachte Odysseus ans Schlafen und Essen. Du bist gewiß wieder die ganze Nacht im Gefängnisse gewesen?«

»Nein,« entgegnete Vinicius. »Ich wollte jetzt zum Gefängnisse gehen, aber es ist Befehl gegeben worden, niemand einzulassen. Erkundige dich doch, lieber Petronius, ob dieser Befehl nur für heut gilt oder für die ganze Dauer der Spiele.«

»Ich werde mich heut abend danach erkundigen, und morgen früh werde ich dir mitteilen, weshalb der Befehl erlassen [169] worden ist. Doch jetzt gehe ich schlafen, und wenn auch Helios selber aus Trauer in die kimmerischen Gefilde herabsteigen sollte. Und du folge meinem Beispiele.«

Sie trennten sich; Vinicius begab sich aber nach der Bibliothek und begann einen Brief an Lygia.

Als er mit Schreiben fertig war, überbrachte er ihn selbst dem christlichen Centurio, der ihn sofort ins Gefängnis trug. Nach einiger Zeit kehrte er mit einem Gruße Lygias und mit dem Versprechen zurück, er werde noch heut ihre Antwort abholen.

Vinicius wollte jedoch nicht nach Hause gehen, sondern setzte sich auf einen Steinblock, um auf Lygias Brief zu warten. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, und durch den Clivus Argentarius strömten wie gewöhnlich Scharen von Menschen dem Forum zu. Händler riefen ihre Waren aus, Wahrsager boten den Vorübergehenden ihre Dienste an; Bürger eilten raschen Schrittes den Rostra zu, um einen berühmten Redner zu hören oder gegenseitig Neuigkeiten auszutauschen. Als die Hitze höher stieg, drängten sich Scharen von Müßiggängern unter die Säulenhallen der Tempel, aus denen unaufhörlich ganze Schwärme von Tauben mit großem Geräusch aufflogen, so daß ihre weißen Federn im Sonnenscheine erglänzten und sich von dem blauen Himmel abhoben.

Infolge der großen Hitze, des Lärmes und der schweren, übermäßigen Anstrengung fielen Vinicius die Augen zu. Das eintönige Geschrei Mora spielender Knaben und der gemessene Schritt der Wachen versenkten ihn in Schlaf. Einigemal erhob er noch den Kopf und richtete die Augen fest auf das Gefängnis; endlich aber lehnte er sich an einen Stein, seufzte wie ein nach langem Weinen schläfrig gewordenes Kind und entschlummerte. Bald stellten sich Traumbilder ein. Es war ihm, als trage er Lygia bei Nacht auf seinen Armen durch einen ihm unbekannten Weinberg, und vor ihnen her ginge Pomponia Graecina mit einer Kerze und leuchte ihm. Eine Stimme gleich der des Petronius [170] rief ihm aus der Ferne zu: »Komme zurück!« Er achtete aber nicht auf diesen Ruf und folgte Pomponia weiter bis zu einer Hütte, auf deren Schwelle der Apostel Petrus stand. Er zeigte diesem Lygia und sagte: »Wir kommen aus der Arena, Herr, können sie aber nicht erwecken; wecke du sie auf.« Petrus antwortete jedoch: »Christus selbst wird kommen und sie auferwecken.«

Dann fingen die Bilder an sich zu verwirren. Er sah im Traume Nero und Poppaea, letztere hielt den kleinen Rufius mit seiner verletzten Stirn auf dem Arme, während Petronius die Wunde wusch; Tigellinus streute Asche auf die mit köstlichen Speisen besetzten Tische. Vitellius verschlang diese Speisen, und viele andere Augustianer hatten an der Tafel Platz genommen. Er selber befand sich an Lygias Seite; zwischen den Tischen liefen Löwen umher, deren Mähnen von Blut trieften. Lygia bat ihn, er möge sie fortbringen, allein ihn hatte eine so schreckliche Kraftlosigkeit befallen, daß er unfähig war, ein Glied zu bewegen. Inzwischen entstand unter den Bildern eine immer größere Verwirrung, und endlich versank alles in völlige Finsternis.

Erst die Sonnenhitze und der Lärm auf dem Platze rings um ihn weckten Vinicius endlich aus seinem festen Schlafe. Er rieb sich die Augen; die Straße wimmelte von Menschen; aber zwei Läufer in goldfarbigen Tuniken stießen laut schreiend mit langen Stäben die Menge beiseite, um einer kostbaren Sänfte Platz zu machen, die von vier starken ägyptischen Sklaven getragen wurde.

In der Sänfte saß ein weißgekleideter Mann, dessen Gesicht schwer zu erkennen war, da er eine Papyrusrolle dicht vor die Augen hielt und aufmerksam darin las.

»Platz für den edlen Augustianer!« riefen die Läufer.

Doch die Straße war so belebt, daß die Sänfte kurze Zeit halten mußte. Der Augustianer legte die Rolle beiseite, beugte sich hinaus und rief: »Stoßt die Schufte weg! Schnell!«

[171] Als er aber Vinicius erblickte, zog er den Kopf zurück und hielt sich die Papyrusrolle rasch wieder vor die Augen.

Vinicius fuhr sich mit der Hand über die Stirn, da er glaubte, er träume noch.

In der Sänfte saß Chilon.

Inzwischen hatten die Läufer den Weg freigemacht, und die Ägypter standen im Begriff weiterzugehen, als der junge Tribun, dem auf einmal vieles ihm bisher Unverständliche klar wurde, plötzlich an die Sänfte herantrat.

»Sei gegrüßt, Chilon!« sprach er.

»Junger Mann,« erwiderte der Grieche mit Würde und Stolz, indem er sich bemühte, seinem Gesichte einen Ausdruck von Ruhe zu geben, die er innerlich nicht besaß, »sei gegrüßt, aber halte mich nicht auf, denn ich muß rasch zu meinem Freunde, dem edlen Tigellinus.«

Vinicius hielt aber den Rand der Sänfte fest, sah ihm scharf ins Gesicht und fragte mit leiser Stimme: »Hast du Lygia verraten?«

»Memnonssäule!« rief Chilon erschreckt.

Allein in Vinicius Augen lag keine Drohung, und so ging die Angst des Griechen bald vorüber. Er bedachte, daß er unter dem Schutze des Präfekten und des Caesars selbst stand, das heißt zweier Mächte, vor denen alles zitterte; außerdem war er von starken Sklaven umgeben, während Vinicius unbewaffnet und mit abgehärmtem Gesicht und Körper vor ihm stand.

Bei diesen Erwägungen kehrte ihm seine Keckheit zurück. Er blickte Vinicius in die Augen, die von roten Ringen umgeben waren, und flüsterte: »Als ich vor Hunger beinahe umkam, hast du mich peitschen lassen.«

Eine Zeitlang schwiegen beide, dann sprach Vinicius leise:

»Ich habe dir unrecht getan, Chilon! ...«

Der Grieche erhob den Kopf, schnalzte mit den Fingern, was in Rom ein Zeichen der Geringschätzung und Verachtung war, und sagte so laut, daß alle Umstehenden es hören [172] konnten: »Lieber Freund, wenn du eine Bitte an mich hast, so komme im Laufe des Vormittags nach meinem Hause auf dem Esquilin. Nach dem Bade empfange ich Freunde und Klienten.«

Er winkte mit der Hand; auf dieses Zeichen hoben die Ägypter die Sänfte auf, die Sklaven in goldfarbigen Tuniken schwangen ihre Stäbe und riefen: »Platz für die Sänfte des edlen Chilon Chilonides! Platz, Platz!«

Fünfundfünfzigstes Kapitel

Fünfundfünfzigstes Kapitel.

Lygia nahm in einem langen, eilig geschriebenen Briefe von Vinicius Abschied für immer. Sie wußte, daß niemand mehr das Gefängnis betreten dürfe und daß sie den Geliebten erst in der Arena wiedersehen werde. Sie bat ihn daher, sich zu erkundigen, wann an sie die Reihe komme, und bei den Spielen zugegen zu sein, da sie ihn noch einmal in ihrem Leben wiedersehen möchte. Kein Zeichen von Furcht war in diesem Briefe zu erkennen. Sie schrieb, daß sie und die anderen Christen sich nach der Arena sehnten, wo sie Befreiung aus dem Gefängnisse finden würden. Da sie auf Pomponias und Aulus' Ankunft hoffte, so bat sie, auch diese möchten den Spielen beiwohnen. Aus jedem Wort sprach Entzücken und jene Loslösung vom Leben, die alle Gefangenen zeigten, sowie ein unerschütterlicher Glaube an die Erfüllung der Verheißungen jenseit des Grabes. »Mag mich Christus jetzt oder erst nach dem Tode freimachen,« schrieb sie, »er hat mich mit dir durch den Mund des Apostels verlobt, und darum bin ich die deine.« Sie bat ihn, ihretwegen nicht betrübt zu sein und sich vom Schmerze nicht überwältigen zu lassen. Der Tod bedeute für sie keine Auflösung des Verlöbnisses. Mit dem Vertrauen eines Kindes versicherte sie Vinicius, sie werde sogleich nach der Marter in der Arena Christus sagen, ihr Verlobter Marcus sei in Rom zurückgeblieben und sehne sich von ganzem Herzen nach [173] ihr. Sie glaubte, Christus werde ihrer Seele vielleicht gestatten, für kurze Zeit zu ihm zurückzukehren, damit sie ihm sagen könne, sie lebe, sie denke nicht mehr an die Marter und sei selig. Ihr ganzer Brief atmete Glück und eine unaussprechliche Zuversicht. Nur eine Bitte stand darin, die sich auf irdische Angelegenheiten bezog: Vinicius möge ihre Leiche aus dem Spoliarium abholen und als die seiner Gattin an der Grabstätte beisetzen lassen, wo er selbst einst zu ruhen wünschte.

Vinicius las diesen Brief mit schmerzzerrissener Seele; zugleich erschien es ihm aber unmöglich, daß Lygia unter den Klauen der wilden Tiere enden und daß Christus sich ihrer nicht erbarmen solle. Darauf gründete sich seine Hoffnung und Zuversicht. Nach Hause zurückgekehrt, schrieb er ihr, er werde täglich zum Tullianum kommen und warten, bis Christus die Mauern des Gefängnisses breche und ihm die Geliebte wiedergebe. Er bat sie, zu glauben, er könne sie ihm sogar noch im Zirkus wiedergeben, der große Apostel bete zu ihm und der Augenblick der Befreiung sei nahe. Der bekehrte Centurio sollte ihr diesen Brief am nächsten Morgen übergeben.

Als Vinicius am folgenden Tage zu dem Gefängnisse kam, trat der Centurio aus den Reihen hervor, näherte sich ihm und sagte: »Höre mich, Herr. Christus, der dich erleuchtete, hat dir eine Gnade gewährt. Heut nacht kamen Freigelassene des Caesars und des Präfekten, um ihnen christliche Mädchen zur Entehrung zu holen; sie fragten auch nach deiner Verlobten, aber der Herr hatte ihr ein Fieber geschickt, an dem viele Gefangene im Tullianum sterben, und sie ließen sie zurück. Gestern abend schon war sie bewußtlos. Gepriesen sei der Name des Erlösers, denn diese Krankheit, die sie vor der Schande bewahrt hat, kann sie auch vom Tode erretten.«

Vinicius hielt sich mit der Hand an der Schulter des Soldaten fest, um nicht zu sinken; dieser aber fuhr fort: »Danke der Barmherzigkeit des Herrn. Die Henker ergriffen [174] Linus und legten ihn auf die Marterbank; als sie aber sahen, daß sein Ende nahe sei, ließen sie ihn frei. Jetzt wird man auch dir vielleicht Lygia zurückgeben, und Christus wird sie wieder gesund machen.«

Der junge Tribun blieb einige Zeit mit gesenktem Kopfe stehen, dann erhob er ihn wieder und entgegnete: »Ja, Centurio! Christus, der sie vor der Schande bewahrt hat, wird sie auch vom Tode erretten.«

Er verweilte bis zum Abend vor den Mauern des Gefängnisses und ging dann nach Hause, um Linus durch seine Leute holen und in eins seiner Landhäuser bringen zu lassen.

Als Petronius dies alles erfahren hatte, beschloß er zu handeln. Er hatte die Augusta schon einmal besucht und begab sich jetzt zum zweitenmal zu ihr. Er fand sie am Lager des kleinen Rufius. Das Kind lag mit verwundetem Kopfe im Fieber; die Mutter versuchte voller Verzweiflung und Schrecken es zu retten, wußte aber, daß, wenn ihr dies gelänge, der Knabe binnen kurzem eines noch schrecklicheren Todes sterben würde.

Ausschließlich mit ihrem eigenen Schmerz beschäftigt, wollte sie von Vinicius und Lygia nichts hören; Petronius schüchterte sie jedoch ein. »Du hast eine neue, unbekannte Gottheit beleidigt. Du, Augusta, verehrst, wie es heißt, den hebräischen Jahve; aber die Christen behaupten, Christus sei dessen Sohn. Überlege daher, ob dich nicht die Rache des Vaters verfolgt. Wer weiß, ob nicht das, was dich trifft, seine Rache ist und ob Rufius' Leben nicht von deiner Handlungsweise abhängt.«

»Was verlangst du von mir?« fragte Poppaea voller Schrecken.

»Versöhne die erzürnte Gottheit.«

»Auf welche Weise?«

»Lygia ist krank. Bewirke beim Caesar oder bei Tigellinus, daß sie Vinicius zurückgegeben wird.«

Verzweifelt fragte sie: »Glaubst du, daß ich dies vermag?«

[175] »Du kannst noch etwas anderes tun. Wenn Lygia gesund wird, muß sie in den Tod gehen. Begib dich zum Vestatempel und bitte die virgo magna, sie möge sich wie zufällig gerade zu der Zeit beim Tullianum einfinden, wo die Gefangenen zum Tode geführt werden, und befehlen, dieses Mädchen freizulassen. Die Großvestalin wird dir die Bitte nicht abschlagen.«

»Und wenn Lygia am Fieber stirbt?«

»Die Christen sagen, Christus sei rachsüchtig, aber gerecht; vielleicht, daß du ihn schon durch die Absicht versöhnst.«

»Er soll mir ein Zeichen geben, daß er Rufius retten will.«

Petronius zuckte die Schultern.

»Ich bin nicht als sein Abgesandter gekommen, Gottheit; ich sage dir nur: setze dich in ein besseres Einvernehmen mit sämtlichen Göttern, den römischen sowohl wie den fremden.«

»Ich will gehen,« antwortete Poppaea mit gebrochener Stimme.

Petronius atmete tief auf.

»Vielleicht habe ich etwas erreicht,« dachte er.

Als er zu Vinicius zurückgekehrt war, sagte er zu ihm: »Bitte deinen Gott, daß Lygia nicht am Fieber sterbe; bleibt sie am Leben, so wird die Großvestalin befehlen, sie freizugeben. Die Augusta wird diese selbst darum bitten.«

Vinicius richtete die fieberglänzenden Augen zum Himmel und entgegnete: »Christus wird sie freimachen.«

Poppaea, die für Rufius' Rettung allen Göttern der Welt Hekatomben zu opfern bereit war, begab sich noch an demselben Abend auf das Forum zu den Vestalinnen; die Pflege des kranken Kindes hatte sie ihrer getreuen Amme Silvia überlassen, von der sie selbst schon aufgezogen worden war.

Aber auf dem Palatin war das Urteil über das Kind schon gesprochen; denn kaum war die Sänfte der Augusta hinter dem Haupttore verschwunden, so traten zwei Freigelassene des Caesars in das Zimmer, in dem der kleine Rufius lag. Einer von ihnen stürzte sich auf die alte Silvia [176] und knebelte sie; der andere ergriff eine Bronzestatue der Sphinx und betäubte sie auf den ersten Schlag.

Dann näherten sie sich Rufius. Der vom Fieber gequälte, bewußtlose Knabe, der sich nicht erklären konnte, was um ihn her vorging, lächelte sie an und blinzelte mit seinen schönen Augen, als versuche er, sie zu erkennen. Sie jedoch nahmen der Amme den Gürtel, Fingulum genannt, ab, schlangen ihn um seinen Hals und erwürgten ihn. Das Kind rief noch einmal nach seiner Mutter und starb einen leichten Tod. Dann wickelten sie es in ein Tuch, setzten sich auf bereitstehende Pferde und eilten nach Ostia, wo sie den Leichnam ins Meer warfen.

Poppaea hatte die Großvestalin nicht angetroffen, da diese mit den übrigen Vestalinnen bei Vatinius war, und kehrte daher nach kurzer Zeit zurück. Beim Anblick des leeren Bettes und des erkalteten Körpers Silvias fiel sie in Ohnmacht, und als man sie wieder zu sich gebracht hatte, begann sie sie laut zu schreien, und ihre wilden Schmerzensrufe dauerten die ganze Nacht und den folgenden Tag an.

Allein am dritten Tage befahl ihr der Caesar, bei einem Feste zu erscheinen; sie kam, in eine amethystfarbene Tunika gehüllt, und saß mit versteinerten Zügen da, goldhaarig, schweigend, wunderbar schön, aber unheilverkündend wie der Genius des Todes.

Sechsundfünfzigstes Kapitel

Sechsundfünfzigstes Kapitel.

Bevor die Flavier das Kolosseum errichteten, waren die Amphitheater in Rom aus Holz gebaut, so daß sie fast alle bei dem Brande in Flammen aufgegangen waren. Zur Abhaltung der versprochenen Spiele ließ jedoch Nero mehrere und darunter ein ungeheuer großes errichten, zu dessen unmittelbar nach dem Brande beginnenden Bau mächtige, auf den Abhängen des Atlas gefällte Baumstämme über das Meer und dann den Tiber herauf verschifft wurden. Da die [177] Spiele an Pracht und Großartigkeit alle früheren übertreffen sollten, so wurden riesige Unterkunftsräume für Menschen und Tiere errichtet. Tausende von Handwerkern waren Tag und Nacht beschäftigt. Man arbeitete unablässig am Bau und dessen Ausschmückung. Man erzählte sich Wunderdinge von den mit Bronze, Bernstein, Elfenbein, Perlmutter und Schildpatt umkleideten Pfeilern. Zwischen den Sitzen liefen Kanäle entlang, die, mit frischem Bergwasser gefüllt, selbst bei der größten Hitze in dem Gebäude eine angenehme Kühle verbreiten sollten. Ein riesiges Purpurvelarium hielt die Sonnenstrahlen ab. Zwischen den Sitzreihen wurden Becken zum Verbrennen arabischer Wohlgerüche aufgestellt; oben befanden sich Vorrichtungen zum Besprengen der Zuschauer mit Rosen-, Safran-und Verbenenwasser. Severus und Celer boten ihre ganze Kunst auf, um ein Amphitheater zu errichten, das unvergleichlich sein und zugleich eine Menge von Neugierigen fassen sollte, wie noch in keinem vorher Platz gefunden hätten.

An dem Tage, an dem der ludus matutinus beginnen sollte, wartete eine unabsehbare Menge schon seit Tagesanbruch auf das Öffnen der Tore und horchte entzückt auf das Gebrüll der Löwen und das heisere Geheul der Panther und wilden Hunde. Seit zwei Tagen hatte man den Bestien nichts mehr zu fressen gegeben und ihnen dafür blutige Stücke Fleisch vor die Käfige geworfen, um ihre Wut und ihren Hunger noch zu steigern. Bisweilen erhob sich ein solcher Sturm wilden Gebrülls, daß die vor dem Zirkus Stehenden ihr eigenes Wort nicht mehr verstehen konnten und die weniger Starknervigen vor Schreck erblaßten. Bei Tagesanbruch erschollen aus dem Kerker des Zirkus laute, ruhigen Tones gesungene Hymnen. Das Volk hörte erstaunt zu und rief: »Die Christen, die Christen!« In der Tat war noch während der Nacht eine große Menge von ihnen nach dem Amphitheater gebracht worden, aber nicht aus einem einzigen Gefängnisse, wie man ursprünglich beabsichtigt hatte, sondern [178] aus allen eine Anzahl. Im Volke wußte man, die Spiele würden ganze Wochen und Monate lang dauern; dennoch zweifelte man, ob man mit den für heute bestimmten Christen im Laufe eines Tages fertig werden würde. Die Stimmen von Männern, Frauen und Kindern, die die Morgenhymne sangen, waren so zahlreich, daß erfahrene Zuschauer behaupteten, selbst wenn hundert bis zweihundert auf einmal in die Arena gelassen würden, müßten die Bestien müde und satt werden und wären bis zum Abend nicht imstande, sie alle zu zerreißen. Andere meinten, wenn man eine allzu große Anzahl von Opfern auf einmal in die Arena triebe, würde die Aufmerksamkeit zerstreut werden, und man könnte sich nicht mit Behagen dem Genuß des Schauspiels hingeben. Je näher der Augenblick kam, wo die in das Innere führenden Gänge, Vomitoria genannt, sich öffnen sollten, desto aufgeregter und gespannter wurde das Volk. Man sprach über verschiedene die Spiele betreffenden Punkte. Es begannen sich Parteien zu bilden, die über die größere Geschicklichkeit der Löwen oder Tiger im Zerfleischen von Menschen stritten. Hier und da wurden Wetten veranstaltet. Andere sprachen über die Gladiatoren, die vor den Christen in der Arena auftreten sollten, und von neuem bildeten sich Parteien, die teils für die Samniten, teils für die Gallier, die Mirmillonen, die Thraker oder die Netzkämpfer eintraten. Früh am Morgen erschienen größere oder kleinere Abteilungen von Gladiatoren unter Anführung ihrer Lehrmeister, Lanistae genannt, vor dem Amphitheater. Da sie nicht vorzeitig müde werden wollten, kamen sie unbewaffnet, teils ganz nackt, teils mit grünen Zweigen in den Händen oder mit Blumen bekränzt, jugendlich, schön, strahlend von Frische und Kraft. Ihre mächtigen, von Öl glänzenden, wie aus Marmor gemeißelten Gestalten erfüllten die Liebhaber schöner Körperformen mit Entzücken. Viele von ihnen waren persönlich bekannt, und alle Augenblicke ertönten die Rufe: »Sei gegrüßt, Furnius! sei gegrüßt, Leo, sei gegrüßt, Maximus! sei gegrüßt, [179] Diomedes!« Junge Mädchen blickten voller Mitleid zu ihnen empor; die Gladiatoren suchten sich die schönsten Mädchen aus, riefen ihnen Scherzworte zu, als ob keine Sorge sie drückte, warfen Kußhände oder riefen: »Umarme mich, ehe mich der Tod umarmt.« Dann verschwanden sie hinter den Toren, aus denen viele von ihnen nicht wieder heraustreten sollten. Immer neue Erscheinungen fesselten die Aufmerksamkeit der Menge. Hinter den Gladiatoren schritten die Mastigophoroi einher, mit Geißeln bewaffnete Männer, deren Aufgabe es war, die Kämpfenden mit Peitschenhieben aufeinander zu hetzen. Sodann zogen Maultiere ganze Reihen von Wagen, auf denen Stöße von Holzsärgen aufgetürmt waren, nach dem Spoliarium. Bei diesem Anblick freute sich das Volk, da es aus der Anzahl der Särge auf die Großartigkeit der Spiele schließen konnte. Hieran schlossen sich Männer, die die Verwundeten zu töten hatten und die so gekleidet waren, daß jeder einzelne einen Merkur oder Charon darstellen konnte. Ihnen folgten Leute, welche die Ordnung im Zirkus aufrecht zu erhalten, den Zuschauern die Plätze anzuweisen hatten, und Sklaven zur Verteilung von Getränken und Erfrischungen und schließlich Prätorianer, die jeder Caesar im Amphitheater stets zur Hand hatte.

Endlich wurden die Vomitoria geöffnet, und die Menge strömte in das Innere. Und so groß war die Anzahl der Zuschauer, daß sie stundenlang ununterbrochen zuströmten und man sich wundern mußte, daß das Amphitheater eine solche unermeßliche Menge fassen konnte. Das Gebrüll der Tiere, welche die menschlichen Ausdünstungen witterten, wurde immer stärker. Das Volk machte bei dem Aufsuchen der Plätze ein Getöse wie Meereswogen zur Zeit des Sturmes.

Jetzt erschien der Stadtpräfekt, von seiner Wache begleitet, und nach ihm wechselten in ununterbrochener Reihe die Sänften von Senatoren, Konsuln, Prätoren, Ädilen, Staats- und Palastbeamten, Prätorianeroffizieren, Patriziern und vornehmen Frauen miteinander ab. Einzelnen Sänften schritten [180] Liktoren mit Beilen inmitten eines Rutenbündels voraus, anderen Scharen von Sklaven. In der Sonne erglänzten die goldenen Zieraten der Sänften, weiße und rosenfarbene Gewänder, Federn, Ohrringe, Juwelen und der Stahl der Liktorenbeile. Aus dem Zirkus ertönten Rufe, mit denen das Volk die hohen Würdenträger begrüßte. Von Zeit zu Zeit marschierten neue Abteilungen von Prätorianern herein.

Etwas später langten die Priester der verschiedenen Tempel an, und erst nach ihnen erschienen die heiligen Jungfrauen der Vesta, denen Liktoren voranschritten. Zum Beginn des Schauspiels wartete man nur noch auf den Caesar, der auch bald in Begleitung der Augusta und der Augustianer eintraf, da er das Volk nicht durch allzu langes Warten reizen, sondern vielmehr durch seine Pünktlichkeit gewinnen wollte.

Unter den Augustianern befand sich auch Petronius, der Vinicius in seiner Sänfte mitgenommen hatte. Letzterer wußte, daß Lygia krank und besinnungslos sei; da aber in den letzten Tagen der Zutritt zum Gefängnisse untersagt gewesen war und die alten Wachen von neuen abgelöst worden waren, die mit den Gefangenwärtern nicht sprechen durften, so wußte er nicht genau, ob sie sich nicht unter den für das Schauspiel dieses ersten Tages bestimmten Opfern befinde. Den Löwen konnte man auch ein krankes, bewußtloses Mädchen vorwerfen. Da jedoch die Opfer in Tierfelle eingenäht und scharenweise in die Arena getrieben werden sollten, konnte niemand von den Zuschauern beurteilen, ob sich eine Person mehr oder weniger darunter befinde, und ein Erkennen war ganz unmöglich. Die Wärter und die gesamte Dienerschaft des Amphitheaters waren zwar bestochen, mit den Tierwärtern war ein Übereinkommen getroffen worden, daß sie Lygia in einem dunklen Winkel des Amphitheaters verstecken und des nachts einem von Vinicius' Pächtern übergeben sollten, der sie dann sofort nach den Albanerbergen zu bringen hatte. Petronius, der in das Geheimnis eingeweiht [181] worden war, riet Vinicius, offen mit ihm nach dem Amphitheater zu gehen und erst vor dem Eintritt im Gedränge zu verschwinden und in die Gewölbe zu eilen, um den Wärtern zur Vermeidung eines möglichen Irrtums Lygia persönlich zu zeigen.

Die Wärter ließen ihn durch eine kleine Tür ein, die sie selbst benutzten. Einer unter ihnen, namens Sirus, führte ihn sogleich zu den Christen. Unterwegs sagte er ihm: »Ich weiß nicht, Herr, ob du die Gesuchte finden wirst. Wir fragten schon nach einem Mädchen namens Lygia, aber niemand gab uns Antwort, aber möglicherweise traut man uns nicht.«

»Sind ihrer viele da?« fragte Vinicius.

»Viele von ihnen müssen bis morgen warten, Herr.«

»Befinden sich auch Kranke unter ihnen?«

»Niemand, der sich nicht auf den Füßen halten kann.«

Nach diesen Worten öffnete Sirus eine Tür, und sie traten in einen weiten, aber niedrigen und finsteren Raum; denn das Licht drang nur durch ein Gitter, das ihn von der Arena trennte, hinein. Vinicius konnte anfangs nichts erkennen; er hörte in dem Raume nur Stimmengemurmel und den aus dem Amphitheater herübertönenden Lärm des Volkes. Als sich aber nach einiger Zeit seine Augen an die Dämmerung gewöhnt hatten, erblickte er ganze Scharen seltsamer Gestalten, die Wölfen und Bären glichen. Es waren die in Tierfelle eingenähten Christen. Einige von ihnen standen, andere beteten knieend. Hier und da vermochte man an den langen Haaren, die über das Fell herabfielen, zu erkennen, daß das Opfer eine Frau war. Wie Wölfe aussehende Mütter hielten ihre gleichfalls in zottige Hüllen eingenähten Kinder auf den Armen. Aber aus den Fellen ragten heitere Gesichter hervor, die Augen glänzten in fieberhafter Freude. Offenbar waren diese Menschen ausschließlich von einem Gedanken beherrscht, der sie über die Erde hinaushob und gleichgültig gegen alles machte, was um sie herum vorging und was [182] ihrer harrte. Einige, bei denen sich Vinicius nach Lygia erkundigte, blickten ihn an, als seien sie soeben aus einem Traume erwacht, und gaben ihm keine Antwort; andere legten lächelnd die Finger an die Lippen oder deuteten auf das eiserne Gitter, durch das helle Lichtstrahlen fielen. Nur Kin der weinten ab und zu; erschreckt durch das Gebrüll der Bestien, das Heulen der Hunde, den Lärm des Volkes und das tierähnliche Aussehen ihrer eigenen Eltern. Vinicius ging neben Sirus umher, betrachtete die Gesichtszüge, suchte, fragte, stieß bisweilen an ohnmächtig Daliegende, die infolge des Gedränges, des Lärms und der Hitze das Bewußtsein verloren hatten, und schritt weiter in die dunkle Tiefe des Raumes hinein, der selbst so ausgedehnt zu sein schien wie das ganze Amphitheater.

Plötzlich jedoch blieb er stehen; denn es war ihm, als ob vom Gitter her eine bekannte Stimme zu ihm herübertöne. Er horchte eine Weile, kehrte um und drängte sich durch die Menge hindurch, bis er in die Nähe des Sprechenden gelangte. Ein Lichtstrahl fiel auf dessen Züge, und Vinicius erkannte dabei unter dem Wolfsfelle das hagere Gesicht des unerbittlichen Crispus.

»Bereuet eure Sünden,« rief er, »denn die Stunde ist gekommen. Wer aber glaubt, schon durch den Tod seine Sünden abbüßen zu können, der begeht eine neue Sünde und ist des ewigen Feuers schuldig. Mit jeder Sünde, die ihr im Leben begangen habt, habt ihr das Leiden des Herrn erneuert; wie dürft ihr da erwarten, daß das Leiden, das euch bevorsteht, eure Sünden tilgen wird? Heut werden die Gerechten und Sünder eines Todes sterben, aber der Herr wird die Seinen finden. Wehe euch, denn die Klauen der Löwen werden eure Leiber zerreißen, aber nicht eure Schuld, nicht eure Rechnung mit Gott. Der Herr hat Erbarmen genug gezeigt, als er sich ans Kreuz heften ließ; aber von jetzt ab wird er sich nur noch als Richter zeigen, der keine Schuld ungestraft läßt. Wenn ihr daher glaubt, durch die Marter [183] eure Sünden tilgen zu können, so lästert ihr die Gerechtigkeit des Herrn und werdet nur um so tiefer in den Pfuhl der Hölle versinken. Mit dem Erbarmen ist es zu Ende, jetzt ist der Tag des göttlichen Zornes gekommen. Binnen kurzem steht ihr vor dem schrecklichen Richter, vor dem selbst der Tugendhafte kaum bestehen kann. Bereuet eure Sünden, denn der Schlund der Hölle hat sich aufgetan; wehe euch Männern und Frauen, wehe euch Eltern und Kindern!«

Er streckte seine Knochenhände aus, schüttelte sie über den Zuhörern, die mit gesenktem Haupte dastanden, furchtlos, aber auch unerbittlich selbst im Angesichte des Todes, den alle diese Verurteilten in kurzem zu erleiden hatten. Auf seine Worte hin erschollen überall Stimmen: »Wir bereuen unsere Sünden!« – dann trat Schweigen ein, und es war nur noch das Weinen der Kinder und die dumpfen Schläge an die Brust zu hören, mit denen die Reuigen ihre Zerknirschung kundtaten. Vinicius stockte das Blut in den Adern. Er, dessen ganze Hoffnung sich auf das Erbarmen Christi gründete, hörte jetzt, der Tag des Zornes sei gekommen und nicht einmal der Tod in der Arena erwecke Erbarmen. Zwar schoß ihm blitzschnell der Gedanke durch den Kopf, der Apostel Petrus würde anders zu diesen dem Tode Geweihten gesprochen haben; nichtsdestoweniger erfüllten Crispus' drohende, fanatische Worte und dieser dunkle Raum mit dem Gitter, hinter dem sich das Feld der Qual ausbreitete, die Nähe der Marter und das Gedränge der zum Tode verurteilten Opfer seine Seele mit Entsetzen und Grauen. All dies zusammengenommen erschien ihm fürchterlicher und tausendmal gräßlicher als die blutigsten Schlachten, an denen er teilgenommen hatte. Der Dunst und die Hitze drohten ihn zu betäuben. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er fürchtete, ohnmächtig zu werden gleich denen, über deren Körper er gestolpert war, als er in dem dunklen Raume umhersuchte; und da ihm der Gedanke kam, jeden Augenblick könne das Gitter geöffnet werden, begann er laut nach Lygia und Ursus zu [184] rufen in der Hoffnung, daß, wenn nicht sie, doch Bekannte von ihnen antworten würden.

Wirklich zupfte ihn sofort ein in ein Bärenfell gehüllter Mann an der Toga und sagte: »Herr, sie sind im Gefängnisse zurückgeblieben. Ich war der letzte, der hinausgeführt wurde, und sah Lygia krank auf ihrem Lager liegen.«

»Wer bist du?« fragte Vinicius.

»Der Steinbrecher, in dessen Hütte der Apostel dich getauft hat. Vor drei Tagen verhaftete man mich, und heut muß ich sterben.«

Vinicius atmete auf. Als er hier eintrat, hatte er Lygia zu finden gewünscht, jetzt jedoch dankte er Christus, daß sie nicht hier war, und erblickte hierin einen Beweis seines Erbarmens.

Unterdessen zupfte ihn der Steinbrecher nochmals an der Toga und sprach: »Erinnerst du dich, Herr, daß ich dich in den Weinberg des Cornelius führte, als der Apostel im Schuppen predigte?«

»Jawohl, ich entsinne mich,« erwiderte Vinicius.

»Ich sah ihn später wieder, am Tage vor meiner Einkerkerung. Er segnete mich und versprach mir, ins Amphitheater zu kommen und die Sterbenden segnen zu wollen. Ich möchte ihn im Augenblick des Todes sehen und das Kreuzeszeichen erblicken können, denn dann würde ich leichter sterben können. Wenn du daher weißt, Herr, wo er sich aufhält, so sage es mir.«

Vinicius dämpfte seine Stimme und sprach: »Er sitzt als Sklave verkleidet, unter Petronius' Leuten. Ich weiß nicht, wo sie Platz genommen haben, aber ich werde in den Zirkus zurückkehren und nachsehen. Sieh auf mich, wenn ihr in die Arena kommt; ich werde aufstehen und den Kopf nach der Seite wenden, wo sie sitzen. Dann kannst du ihn mit deinen Blicken erreichen.«

»Ich danke dir, Herr; Friede sei mit dir.«

»Der Erlöser sei dir gnädig.«

[185] »Amen.«

Vinicius verließ das Cuniculum und begab sich nach dem Amphitheater, wo er neben Petronius mitten unter den anderen Augustianern Platz nahm.

»Ist sie hier?« fragte ihn Petronius.

»Nein. Sie ist im Gefängnis zurückgeblieben.«

»Höre, was mir soeben eingefallen ist; betrachte aber dabei zum Beispiel Nigidia, damit man glaubt, wir unterhalten uns über ihren Kopfputz ... Tigellinus und Chilon beobachten uns ... Höre also: laß Lygia heut nacht in einen Sarg legen und als tot aus dem Gefängnis tragen; das übrige verstehst du.«

»Gewiß,« entgegnete Vinicius.

Die Fortsetzung des Gespräches wurde durch Tullius Senecio unterbrochen, der sich mit der Frage an die beiden wandte: »Wißt ihr nicht, ob man den Christen Waffen in die Hände gibt?«

»Nein, wir wissen es nicht,« entgegnete Petronius.

»Ich sähe es lieber, man gäbe sie ihnen,« fuhr Senecio fort, »sonst gleicht die Arena allzubald einem Schlächterladen. Aber was für ein prächtiges Amphitheater!«

Der Anblick war in der Tat berückend. Die unteren Sitze, auf denen Togaträger Platz genommen hatten, waren weiß wie Schnee. Auf einem vergoldeten »Podium« saß der Caesar, eine Kette von Diamanten um den Hals, einen goldenen Kranz auf dem Kopfe, und neben ihm die schöne, finstere Augusta; zu beiden Seiten von ihnen saßen Vestalinnen, hohe Beamte, Senatoren in verbrämten Mänteln, Offiziere in funkelnden Rüstungen – kurz alles, was Rom an Macht, Glanz und Reichtum aufzuweisen hatte. Auf den entfernteren Plätzen saßen die Ritter, und weiter oben erblickte man ringsum ein schwarzes Meer von Menschenköpfen, über denen sich Guirlanden aus Rosen, Lilien, Safranblüten, Efeu und Weinlaub von einer Säule zur anderen schlangen.

Man unterhielt sich laut, rief sich beim Namen, sang, [186] lachte zuweilen über ein Witzwort, das von Reihe zu Reihe flog, und trampelte aus Ungeduld, um den Beginn des Schauspiels zu beschleunigen.

Zuletzt nahm das unaufhörliche Stampfen so zu, daß es wie Donner klang. Endlich winkte der Stadtpräfekt, der schon früher mit einem glänzenden Gefolge die Arena umritten hatte, mit einem Tuche, dem ein allgemeines Aaah! der Befriedigung aus tausend Kehlen antwortete.

In der Regel begannen die Spiele mit Kämpfen gegen wilde Tiere, in denen sich Angehörige verschiedener Barbarenstämme aus dem Norden und Süden hervortaten. Diesmal waren aber zuviele Bestien da, so daß die Andabates den Anfang machten, das heißt Gladiatoren, die Helme ohne Augenöffnungen trugen und daher blindlings miteinander kämpfen mußten. Kaum hatte eine Schar von ihnen die Arena betreten, als sie auch schon aufs Geratewohl mit den Schwertern um sich schlugen, während die Mastigophoroi sie mittels langer Stangen aufeinander zustießen, damit sie sich gegenseitig treffen könnten. Die vornehmeren Zuschauer blickten gleichgültig und verächtlich auf dieses Schauspiel; der Pöbel aber belustigte sich an den ungeschickten Bewegungen der Kämpfenden, und wenn es sich traf, daß zwei mit den Schultern zusammenstießen, so erhob sich ein lautes Gelächter; man rief: »Rechts!« »Links!« »Geradeaus!« und täuschte bisweilen absichtlich die Gegner. Einige Paare stießen jedoch zusammen, und der Kampf begann blutig zu werden. Die Gegner erhitzten sich, warfen die Schilde weg, reichten sich die Linke, um sich nicht mehr loszulassen, und kämpften mit der Rechten bis zur Entscheidung. Wer fiel, streckte die Finger empor – ein Zeichen, daß er um Gnade bat; aber zum Beginn des Schauspiels verlangte das Volk in der Regel den Tod der Verwundeten, namentlich, wenn es sich um die Andabates handelte, deren Gesichter verhüllt waren und die man daher nicht erkannte. Nach und nach verminderte sich die Zahl der Kämpfenden mehr und mehr, und als endlich [187] nur zwei übrig blieben, wurden auch sie zusammengestoßen, so daß sie beide in den Sand fielen und sich gegenseitig erstachen. Während dann von allen Seiten: »Zu Ende!« 1 gerufen wurde, schleppten Diener die Leichen fort, Knaben verwischten die Blutspuren in der Arena und bestreuten sie mit Safranblättern.

Nun sollte ein ernstlicherer Kampf folgen, der nicht nur die Aufmerksamkeit der Menge, sondern auch die der vornehmen Welt fesselte. Bei solchen Kämpfen gingen die jungen Patrizier oft riesige Wetten ein und setzten dabei nicht selten ihr ganzes Vermögen aufs Spiel. Auch diesmal wanderten von Hand zu Hand Täfelchen, auf denen die Namen der beliebtesten Kämpfer und daneben die Anzahl der Sesterzen verzeichnet standen, welche auf sie gewettet wurden. Die »spectati,« das heißt Kämpfer, die schon in der Arena aufgetreten waren und Siege davon getragen hatten, fanden die meisten Anhänger; aber unter den Wettenden befanden sich auch solche, die bedeutende Summen auf neue, gänzlich unbekannte Gladiatoren setzten in der Hoffnung, für den Fall ihres Sieges riesige Summen zu gewinnen. Der Caesar selbst, die Priester, Vestalinnen, Senatoren, Ritter, das Volk – alles wettete. Arme Leute, die kein Geld hatten, setzten oft ihre eigene Freiheit aufs Spiel. Klopfenden Herzens und selbst mit Bangen erwartete man den Ausgang des Kampfes, und mehr als einer tat laut den Göttern Gelübde, um ihren Beistand für seinen Erkorenen zu gewinnen.

Als die schmetternden Töne der Trompeten erklangen, trat denn auch lautlose Stille im Amphitheater ein. Tausende von Augen hefteten sich auf das große Tor, dem sich jetzt ein als Charon verkleideter Mann näherte, um unter dem tiefsten Schweigen dreimal mit einem Hammer daranzuschlagen, als wolle er die dahinter Verborgenen zum Tode hervorrufen. Langsam öffneten sich die beiden glänzenden [188] Torflügel und zeigten eine schwarze Höhlung, aus der die Gladiatoren auf die offene Arena herauszumaschieren begannen. Sie kamen in Abteilungen von fünfundzwanzig Mann, die Thraker, die Mirmillonen, die Samniten, Gallier, jede Gruppe für sich, alle schwer gepanzert, und zuletzt die Retiarii, in der einen Hand ein Netz, in der anderen einen Dreizack tragend. Bei ihrem Eintritt erhob sich hier und da auf den Bänken Beifall, der bald in ein ungeheures, lange anhaltendes Toben überging. Von den obersten Plätzen bis zu den untersten waren erhitzte Gesichter zu erblicken; von allen Seiten erklangen Händeklatschen und Geschrei. Die Gladiatoren marschierten gleichmäßigen, elastischen Schritts in ihrer blitzenden, reichverzierten Waffenrüstung um die Arena herum; vor dem »Podium« des Caesars machten sie Halt, stolz, ruhig, strahlend. Durchdringender Hörnerklang brachte den Lärm der Zuhörer zum Schweigen, die Gladiatoren hielten die Rechte empor, schauten zum Caesar hinauf und riefen, oder besser gesagt, sangen in langgedehnten Tönen:


Ave, Caesar imperator!

Morituri te salutant! 2


Dann traten sie rasch auseinander und nahmen die ihnen angewiesenen Plätze im Umkreis der Arena ein. Sie hatten einander in ganzen Abteilungen anzugreifen, zuvor aber war es den berühmtesten Gladiatoren gestattet, eine Reihe Einzelkämpfe auszufechten, in denen sich die Kraft, Gewandtheit und Tapferkeit der Gegner am besten zeigen konnten. Wirklich trat aus der Mitte der »Gallier« bald ein Kämpfer hervor, der den Freunden des Zirkus unter dem Namen »der Schlächter« (lanio) wohlbekannt und in zahlreichen Spielen Sieger geblieben war. Mit dem mächtigen Helme auf dem Kopfe und dem Panzer, der ihm vorn und hinten die breite Brust umschloß, glich er im Sonnenschein auf der gelben [189] Arena einem riesigen Goldkäfer. Der nicht minder berühmte Retiarius Calendio trat ihm entgegen.

Die Zuschauer begannen zu wetten.

»Fünfhundert Sesterzen auf den Gallier.«

»Fünfhundert auf Calendio!«

»Beim Herkules! tausend!«

»Zweitausend!«

Währenddessen war der Gallier in die Mitte der Arena getreten und begann nun sich von neuem mit vorgehaltenem Schwerte und gesenkten Hauptes zurückzuziehen und beobachtete dabei durch die Helmöffnung aufmerksam die Bewegungen seines Gegners; der leichte Retiarius aber, schön gebaut wie eine Statue und nackt bis auf einen Gürtel um die Lenden, sprang rasch um seinen schwerfälligen Gegner herum, indem er das Netz anmutig in der Luft umherschwang, seinen Dreizack bald hob, bald senkte und den üblichen Spottvers der »Netzkämpfer« sang:


»Dich will ich nicht, ich will den Fisch;

Was fliehst du vor mir, Gallier?« 3


Doch der Gallier floh nicht; denn nach kurzer Zeit blieb er stehen und begann sich mit kaum merklicher Bewegung umzuwenden, um den Gegner stets vor Augen zu haben. In seiner Gestalt und dem ungeheuer großen Kopfe lag jetzt etwas Furchteinflößendes. Den Zuschauern war es klar, daß dieser schwere, erzgepanzerte Körper sich zu einer plötzlichen Bewegung vorbereitete, die den Kampf entscheiden sollte. Der Netzkämpfer sprang bald auf ihn zu, bald zog er sich wieder zurück, wobei er mit seiner dreizackigen Gabel so rasche Bewegungen ausführte, daß das Auge ihnen kaum zu folgen vermochte. Zu wiederholtenmalen hörte man den Dreizack auf den Schild aufstoßen, aber der Gallier zuckte nicht und gab damit einen Beweis seiner Riesenkraft. Seine Hauptaufmerksamkeit richtete sich jetzt nicht auf den Dreizack, sondern [190] auf das Netz, das unaufhörlich wie ein unheilverkündender Vogel über seinem Kopfe kreiste. Die Zuschauer verfolgten mit angehaltenem Atem den meisterhaft geführten Kampf der beiden Gladiatoren. Der Lanio beobachtete seinen Gegner noch eine Zeitlang und stürzte endlich auf ihn los; doch dieser wich mit der gleichen Geschwindigkeit dem Schwerte aus, richtete sich auf und warf gehobenen Arms das Netz.

Der Gallier drehte sich um und fing dieses mit dem Schilde auf; dann erholten sich beide etwas. Im Amphitheater erschollen die Rufe: »Macte!«, und auf den unteren Sitzreihen begann man neue Wetten einzugehen. Selbst der Caesar, der anfangs mit der Vestalin Rubria gesprochen und dem Schauspiele wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte, blickte jetzt nach der Arena.

Die beiden Gladiatoren begannen von neuem zu kämpfen und zwar mit einer solchen Kunstfertigkeit und Regelmäßigkeit der Bewegungen, daß es mitunter den Anschein hatte, als handle es sich nicht um einen Kampf auf Leben und Tod, sondern um eine Erprobung ihrer Gewandtheit. Der Lanio, der noch zweimal dem Netze entgangen war, begann sich von neuem gegen die Mauer der Arena zurückzuziehen. Die, die gegen ihn gewettet hatten, wollten nicht, daß er sich ausruhe, und riefen: »Frisch drauf los!« Der Gallier gehorchte und griff an. Der Arm des Retiarius bedeckte sich plötzlich mit Blut und ließ das Netz fallen. Der Lanio krümmte sich zusammen und sprang auf, um seinem Gegner den Todesstoß zu versetzen. In diesem Augenblicke aber sprang Calendio, der sich absichtlich gestellt hatte, als könne er das Netz nicht mehr handhaben, zur Seite, wich dem Hiebe aus, stieß dem Gallier den Dreizack zwischen die Kniee und brachte ihn so zu Falle.

Er wollte sich erheben, aber im Nu war er von dem verhängnisvollen Netz bedeckt, in dem er bei jeder Bewegung sich Hände und Füße nur noch mehr verstrickte. Währenddessen drückte ihn der Dreizack des Gegners vollends zu [191] Boden. Noch einmal machte er eine äußerste Anstrengung, stützte sich auf den Arm und versuchte, sich aufzurichten – vergebens! Er erhob noch die kraftlos gewordene Hand, in der er schon das Schwert nicht mehr halten konnte, und sank auf den Rücken. Calendio drückte ihm mit den Zacken seiner Gabel den Hals zur Erde, stützte sich mit beiden Händen darauf und blickte nach der Loge des Caesars empor.

Der ganze Zirkus erzitterte unter dem Händeklatschen und dem Geschrei, das sich nun erhob. Für die jenigen, welche auf ihn gewettet hatten, besaß Calendio in diesem Augenblicke eine größere Bedeutung als der Caesar; aber gerade deshalb war aus ihrem Herzen jede Feindseligkeit gegen den Lanio verschwunden, der auf Kosten seines Blutes ihnen den Beutel füllte. Die Stimmung der Zuschauer war daher geteilt. Auf allen Bänken wurde teils der Tod, teils die Begnadigung verlangt; doch der Netzkämpfer blickte nur auf die Loge des Caesars und der Vestalinnen und wartete deren Willensäußerung ab.

Unglücklicherweise war Nero dem Gallier nicht gewogen, da er bei den letzten Spielen vor dem Brande gegen ihn gewettet und eine bedeutende Summe an Licinius verloren hatte. Er streckte daher die Hand aus und kehrte den Daumen nach unten.

Die Vestalinnen machten sofort dasselbe Zeichen. Calendio kniete nun auf die Brust des Galliers nieder, zog ein kurzes Messer aus dem Gürtel, schob die Rüstung am Halse seines Gegners zur Seite und stieß ihm den Dreizack bis zum Schaft in die Kehle.

»Peractum est!« ertönte es von allen Seiten des Amphitheaters.

Der Lanio zuckte noch eine Zeitlang, wie ein gestochener Büffel und scharrte mit den Füßen den Sand auf, dann streckte er sich und blieb regungslos liegen.

Der Merkur hatte es nicht nötig, sich mit einem glühenden Eisen davon zu überzeugen, ob noch Leben in ihm vorhanden [192] sei. Bald wurde die Leiche weggeschafft, und andere Paare traten an; erst nach Beendigung dieser Einzelkämpfe rückten ganze Scharen gegeneinander an. Das Volk nahm mit allen Sinnen an dem Kampfe teil; es brüllte, heulte, pfiff, klatschte, lachte, stachelte die Kämpfenden an und gebärdete sich wie rasend. In der Arena hatten sich die Gladiatoren in zwei Haufen geteilt, und fochten mit der Wut wilder Tiere gegeneinander: Brust lag an Brust, die Körper umschlangen sich in tödlicher Umarmung, die mächtigen Glieder krachten in den Gelenken, Schwerter ragten aus Brüsten und Leibern hervor, aus erblassenden Lippen ergossen sich Blutströme in den Sand. Einige Neulinge wurden am Ende von so entsetzlicher Furcht ergriffen, daß sie aus dem Getümmel zu fliehen versuchten; allein die Mastigophoroi trieben sie sofort mit ihren bleibeschwerten Peitschen in den Kampf zurück. Auf dem Sande bildeten sich große dunkle Lachen; immer mehr nackte oder mit der Rüstung bedeckte Körper sanken dahin wie Garben. Die noch Lebenden kämpften auf den Leichen weiter, ließen Schwerter und Schilde aufeinander krachen, verwundeten sich die Füße an den umherliegenden Waffen und stürzten zu Boden. Das Volk war außer sich vor Freude über dieses Hinschlachten, stieß unartikulierte Töne aus, weidete die Augen an dem grausigen Anblicke und sog mit Behagen den Blutdunst ein.

Endlich lagen fast alle Besiegten am Boden. Kaum waren einige Verwundete übrig, die in der Mitte der Arena niederknieten und taumelnd ihre Arme mit der Bitte um Gnade zu den Zuschauern emporstreckten. Unter die Sieger wurden Kränze und Olivenzweige als Belohnung verteilt, und dann trat eine Erholungspause ein, die sich auf den Befehl des allmächtigen Caesars zu einem Gastmahle gestaltete. Wohlgerüche dampften aus Vasen empor; ein Regen von Safran-und Veilchenwasser fiel auf die Zuschauer herab. Erfrischende Getränke, gebratenes Fleisch, süßes Gebäck, Wein, Oliven und Obst gelangten zur Verteilung. Das Volk aß, [193] plauderte und jauchzte zu Ehren des Caesars, um ihn zu noch größerer Freigebigkeit zu bewegen. Nach der Stillung des Hungers und Durstes trugen hunderte von Sklaven Körbe voller Geschenke herbei; als Amoretten verkleidete Knaben entnahmen diesen die verschiedenartigsten Gegenstände und warfen sie mit beiden Händen mitten unter die Menge. Als Lotterielose verteilt wurden, entstand eine förmliche Schlacht: Die Zuschauer drängten sich, stießen sich, traten einander mit Füßen, riefen um Hilfe, sprangen über die Sitzreihen hinweg und erstickten zum Teil in dem furchtbaren Gedränge. Wer eine Glücksnummer erlangt hatte, konnte sogar ein Haus mit Garten, einen Sklaven, ein kostbares Gewand oder einzelne wilde Tiere gewinnen, die er dann an ein Amphitheater verkaufen konnte. Aus diesem Anlaß entstand häufig eine solche Verwirrung, daß die Prätorianer die Ordnung wiederherstellen mußten, und nach jeder derartigen Verteilung wurden Menschen mit gebrochenen Armen und Beinen und selbst solche, die in dem Gedränge zu Tode gedrückt worden waren, aus dem Zuschauerraum hinausgetragen.

Die Reicheren nahmen an diesen Kämpfen um die »Tesserae« nicht teil. Die Augustianer belustigten sich diesmal an dem Anblick Chilons und spotteten über seine vergeblichen Anstrengungen, zu beweisen, daß er dem Kämpfen und Blutvergießen ebensogut wie jeder andere zusehen könne. Aber umsonst zog der unglückliche Grieche seine Brauen hoch, biß sich auf die Lippen und ballte die Fäuste so fest zusammen, daß sich ihm die Nägel in die Handflächen bohrten. Seine Griechennatur, verbunden mit seiner persönlichen Feigheit, war einem solchen Schauspiele nicht gewachsen. Sein Gesicht wurde blaß, die Stirn bedeckte sich mit kaltem Schweiße, die Lippen wurden blau, die Augen traten aus ihren Höhlen, die Zähne begannen zu klappern, und der ganze Körper schwankte zitternd hin und her. Nach Beendigung der Kämpfe erholte er sich etwas; als man aber anfing, ihn durchzuhecheln, faßte ihn plötzlich der Zorn, und er begann sich verzweifelt zu wehren.

[194] »Ha, Grieche! der Anblick einer zerrissenen Menschenhaut ist dir unerträglich,« rief Vatinius, indem er ihn am Barte zupfte.

Chilon wies ihm seine zwei letzten gelben Zähne und erwiderte: »Mein Vater war kein Schuster; ich kann die Haut also nicht flicken.«

»Macte! habet!« ertönte es von verschiedenen Seiten.

Aber andere stichelten weiter.

»Er kann nichts dafür, daß er anstatt des Herzens ein Stück Käse in der Brust hat!« rief Senecio.

»Und du kannst nichts dafür, daß dein Kopf hohl ist!« erwiderte Chilon.

»Vielleicht wirst du noch Gladiator! Du müßtest mit dem Netze in der Arena gelungen aussehen.«

»Wenn ich dich darin finge, hätte ich einen schmutzigen Wiedehopf gefangen.«

»Und wie steht es mit den Christen?« fragte Festus aus Ligurien. »Möchtest du nicht ein Hund sein und sie zerfleischen?«

»Auf keinen Fall möchte ich dein Bruder sein.«

»Du mäotisches Kupfergesicht!«

»Du ligurischer Esel!«

»Die Haut juckt dir offenbar, aber ich rate dir, bitte mich nicht, sie dir zu kratzen.«

»Kratze dich selbst! Wenn du deine Pickeln wegkratzest, so beseitigst du das Beste, was noch an dir ist.«

Auf solche Weise verhöhnte man Chilon, der sich aber giftig zur Wehre setzte, so daß ein allgemeines Gelächter entstand. Der Caesar klatschte in die Hände, rief: »Macte!« und stachelte beide Parteien noch mehr an. Nach einer Weile erhob sich Petronius, berührte Chilons Schulter mit seinem elfenbeinernen Stöckchen und sagte kalt: »Alles ganz gut, mein lieber Philosoph; nur in einem Punkte irrst du dich: die Götter schufen dich zum Beutelschneider, und du bist ein Teufel geworden. Daher kannst du den Anblick nicht ertragen.«

[195] Der Alte sah ihn mit seinen geröteten Augen an, fand jedoch diesmal keine passende Antwort. Eine Zeitlang schwieg er; dann entgegnete er mit sichtlicher Anstrengung: »Ich werde ihn ertragen.«

Doch jetzt gaben die Trompeten das Signal, daß die Pause zu Ende sei. Die Zuschauer begannen die Zwischengänge zu verlassen, die sie aufgesucht hatten, um sich die Füße zu vertreten und sich zu unterhalten. Es entstand ein ungeheurer Lärm und wie gewöhnlich Streit über vorher besetzte Plätze. Die Senatoren und Patrizier begaben sich ebenfalls zu ihren Sitzen. Allmählich verstummte das Getöse, und die Ordnung im Amphitheater war wiederhergestellt. In der Arena war noch eine Anzahl Leute damit beschäftigt, noch hier und dort umherliegende blutgetränkte Sandklumpen zu entfernen.

Die Reihe kam nun an die Christen. Da dies für das Volk ein neues Schauspiel war und niemand wußte, wie sie sich verhalten würden, erwartete man sie allgemein mit einer gewissen Neugier. Auf den Gesichtern der Menge lag ein Ausdruck der Spannung, da man ein außergewöhnliches Schauspiel erwartete, aber auch der Feindseligkeit. Diese Leute, die jetzt auftreten sollten, hatten ja Rom in Brand gesteckt und seine für die Ewigkeit bestimmten Reichtümer vernichtet; sie hatten Kinderblut getrunken, hatten die Brunnen vergiftet, das gesamte menschliche Geschlecht verflucht und die schamlosesten Frevel begangen. Der aufgestachelten Rachsucht der Menge genügten auch die härtesten Strafen nicht, und wenn irgendwelche Furcht die Gemüter beherrschte, so war es die, daß die Qualen hinter den Verbrechen der zum Tode Verurteilten zurückbleiben könnten.

Währenddessen war die Sonne hoch gestiegen; ihre Strahlen drangen durch das purpurne Velarium hindurch und erfüllten das Amphitheater mit blutrotem Lichte. Der Sand schien Feuerfarbe anzunehmen, und in dieser Beleuchtung, auf den Zügen der Menge, lag ebenso wie auf der leeren [196] Arena, die bald der Schauplatz menschlicher Qualen und der Grausamkeit der wilden Tiere werden sollte, etwas Fürchterliches. Es war, als brüteten Schrecken und Tod in der Luft. Die sonst so fröhliche Menge war unter dem Einfluß des Hasses wortlos geworden. Ihre Züge machten den Eindruck der Wildheit.

Jetzt gab der Präfekt das Zeichen; wiederum erschien jener alte, als Charon verkleidete Mann, der die Gladiatoren zum Tode gerufen hatte, schritt langsamen Schrittes durch die ganze Arena und schlug inmitten des dumpfen Schweigens dreimal mit dem Hammer an die Tür.

Im ganzen Amphitheater ertönte ein Murmeln: »Die Christen! die Christen!«

Die Eisengitter knarrten, und in die dunklen Öffnungen hinein erschollen die üblichen Rufe der Mastigophoroi: »Auf den Sand!« Im Nu wimmelte die Arena von Scharen satyrähnlicher, in Felle gekleideter Wesen. Alle eilten schnellen Schrittes, mit fieberhaftem Eifer nach der Mitte der Arena und knieten hier mit hocherhobenen Händen nebeneinander nieder. Das Volk hielt dies für eine Bitte um Gnade und begann, über solche Feigheit empört, zu stampfen, zu pfeifen, sie mit leeren Weinkrügen und abgenagten Knochen zu bewerfen und zu rufen: »Die Bestien! Die Bestien!« Plötzlich aber ereignete sich etwas Unerwartetes. Aus der Mitte der zottigen Schar erhoben sich singende Stimmen, und zum erstenmal ertönte in diesem Augenblicke in einem römischen Zirkus die Hymne:


»Christus regnat!«

. . . . . . . . . . . . . .


Staunen ergriff die Zuschauer. Während des Gesanges hielten die Verurteilten die Augen zum Velarium emporgerichtet. Die Gesichter waren blaß, aber wie gottbegeistert. Jedermann erkannte, daß diese Menschen nicht um Gnade flehten und daß sie den Zirkus, das Volk, den Senat, den Caesar gar nicht zu bemerken schienen. »Christus regnat!« [197] erklang es immer lauter, und von den untersten bis zu den obersten Sitzreihen fragte sich mehr als einer der Zuschauer: »Was geht hier vor, und wer ist jener Christus, der nach den Worten dieser zum Tode verurteilten Leute herrscht?« Inzwischen war aber ein zweites Gitter geöffnet worden, und in die Arena stürzten in wilder Eile und mit wütendem Geheul ganze Rudel von Hunden: gelbhaarige, riesige Molosserhunde aus dem Peloponnes, gestreifte aus den Pyrenäen und wolfsähnliche Schäferhunde aus Hibernien, alle absichtlich vorher ausgehungert, mit eingefallenen Seiten und blutunterlaufenen Augen. Von ihrem Bellen und Heulen hallte das ganze Amphitheater wider. Als die Christen mit ihrem Gesange zu Ende waren, knieten sie regungslos nieder, wie aus Stein gemeißelt und wiederholten nur unaufhörlich im Chore: »Pro Christo! pro Christo!«

Die Hunde, die Menschen unter den Tierfellen witterten und über die Regungslosigkeit ihrer Opfer stutzten, getrauten sich nicht, sofort über diese herzufallen. Die einen schlichen an der Mauer entlang, als wollten sie sich auf die Zuschauer stürzen, andere liefen unter wütendem Gebell im Kreise herum, als jagten sie irgend ein unsichtbares Tier. Das Volk wurde unwillig. Tausende von Stimmen wurden laut: ein Teil der Zuschauer ahmte das Gebrüll wilder Tiere nach, andere bellten wie Hunde, noch andere hetzten in allen erdenklichen Sprachen. Das Amphitheater erbebte unter dem Toben. Die gereizten Hunde stürzten sich auf die Knieenden und zogen sich zähnefletschend wieder zurück, bis endlich einer der Molosserhunde eine vornan knieende Frau mit den Zähnen an der Schulter packte und mit sich fortriß.

Nun stürzten sich Dutzende von ihnen in die Mitte der Christen wie durch eine Bresche. Die Menge hörte auf zu lärmen, um genauer beobachten zu können. Inmitten des Heulens und Knurrens hörte man nur noch klägliche Stimmen von Männern und Frauen: Pro Christo! pro Christo! In der Arena bildeten sich zuckende Knäuel von Hunde- und [198] Menschenkörpern. Das Blut floß in Strömen aus den zerrissenen Leibern. Die Hunde rissen sich die blutigen Menschenglieder gegenseitig weg. Der Dampf des Blutes und der zerrissenen Eingeweide übertäubte die arabischen Wohlgerüche und erfüllte den ganzen Zirkus. Zuletzt sah man nur hier und da noch einige knieende Gestalten, die aber auch bald zerrissen und umhergezerrt wurden.

Vinicius, der sich beim Eintritt der Christen erhoben und, um sein dem Steinbrecher gegebenes Versprechen zu erfüllen, sich nach der Richtung gewandt hatte, in der der Apostel Petrus unter Petronius' Leuten verborgen saß, hatte wieder Platz genommen und saß wie geistesabwesend da, mit starren Augen auf das entsetzliche Schauspiel blickend. Anfangs lähmte ihn die Furcht, der Steinbrecher könne sich getäuscht haben und Lygia könne sich doch unter den Opfern befinden; als aber die Rufe: Pro Christo ertönten, als er die Marter so vieler Opfer sah, welche noch im Sterben ihren Glauben und ihren Gott bekannten, ergriff ihn ein anderes Gefühl, das ihm die fürchterlichste Qual verursachte, sich aber nicht verscheuchen ließ: wenn Christus selbst unter Martern gestorben war und jetzt tausende für ihn in den Tod gingen, wenn sich Ströme Blutes ergossen, so machte ein Tropfen mehr oder weniger keinen Unterschied, und es war sogar Sünde, um Erbarmen zu bitten. Dieser Gedanke stieg aus der Arena zu ihm empor und drang aus den Seufzern der Sterbenden, aus dem Dampfe ihres Blutes in seine Seele. Und dennoch betete er und wiederholte mit bleichen Lippen: »Christus! Christus! und dein Apostel betet für Lygia!« Dann verlor er die Besinnung; er wußte nicht mehr, wo er war, es schien ihm, als steige das Blut in der Arena immer höher und höher, als ergieße es sich über den Zirkus hinweg und überflute ganz Rom. Schließlich hörte er weder das Heulen der Hunde noch das Toben des Volkes noch die Stimmen der Augustianer, welche plötzlich riefen: »Chilon ist ohnmächtig geworden!«

[199] »Chilon ist ohnmächtig geworden,« wiederholte Petronius, indem er sich nach dem Griechen umwandte.

Dieser war tatsächlich in Ohnmacht gefallen und saß weiß wie die Wand da; mit dem nach hinten gelehnten Kopfe und den geöffneten Lippen glich er einer Leiche.

In diesem Augenblicke begann man neue, in Felle genähte Opfer in die Arena zu treiben.

Gleich ihren Vorgängern knieten auch diese sofort nieder; aber die ermüdeten Hunde wollten sie nicht angreifen. Kaum, daß sich einige von ihnen auf die zunächst Knieenden stürzten; die anderen legten sich nieder, hoben die blutigen Schnauzen, fingen an, sich die Seiten zu kratzen und laut zu gähnen.

Nun begann der unbefriedigte, vor Blutgier rasende Pöbel mit durchdringender Stimme zu rufen: »Die Löwen! die Löwen! laßt die Löwen heraus!«

Die Löwen waren für den nächsten Tag bestimmt; aber in den Amphitheatern setzte das Volk seinen Willen jedermann gegenüber durch, selbst dem Caesar. Nur der übermütige und in seinen Entschlüssen schwankende Caligula hatte es gewagt, Widerstand zu leisten, und es war sogar so weit gekommen, daß er auf die Menge mit Knütteln hatte einhauen lassen, aber auch er hatte sich meistenteils gefügt. Nero, dem der Beifall des Volkes über alles in der Welt ging, widersetzte sich nie und jetzt um so weniger, als es ihm darum zu tun war, das über den Brand erregte Volk zu beschwichtigen und die Schuld an dem Unglück auf die Christen zu wälzen.

Er gab daher ein Zeichen, das Cuniculum zu öffnen, worauf sich das Volk sofort beruhigte. Man hörte, wie die Gitter, hinter denen die Löwen lagen, sich kreischend öffneten. Bei ihrem Anblick zogen sich die Hunde, in einen Haufen zusammengedrängt, winselnd nach dem entgegengesetzten Ende der Arena zurück. Die Löwen betraten, einer nach dem anderen, die Arena, riesig, gelb, mit gewaltigen, zottigen Köpfen. [200] Selbst der Caesar wandte ihnen sein blasiertes Gesicht zu und nahm den Smaragd vor das Auge, um besser sehen zu können. Die Augustianer begrüßten sie mit Beifallsklatschen; das Volk zählte sie an den Fingern ab und wartete gespannt auf den Eindruck, den ihr Anblick auf die in der Mitte knieenden Christen machen würde. Diese wiederholten aber nur die für viele der Zuschauer unverständlichen, aber allgemein erbitternden Worte: »Pro Christo! pro Christo!«

Allein die Löwen, so hungrig sie auch waren, stürzten sich nicht sofort auf die Opfer. Das rötliche Licht in der Arena belästigte sie, so daß sie ihre Augen wie geblendet halb schlossen; einige dehnten gemächlich ihren gelben Leib, andere öffneten den Rachen, als wollten sie den Zuschauern ihr furchtbares Gebiß zeigen. Nach und nach begann jedoch der Geruch des Blutes und der zerrissenen Menschenleiber, von denen viele in der Arena umherlagen, seine Wirkung auf sie auszuüben. Bald wurden ihre Bewegungen unruhig, ihre Mähnen sträubten sich, die Nüstern sogen gierig die Luft ein. Mit einem Mal stürzte sich einer auf die Leiche einer Frau mit zerfleischtem Gesicht, trat mit den Vordertatzen auf ihren Leib und begann mit seiner stachligen Zunge das herabrinnende Blut aufzulecken; ein anderer sprang auf einen Mann zu, der ein in das Fell eines Hirschkalbes genähtes Kind auf dem Arme trug.

Das Kind zitterte weinend und schreiend und umklammerte krampfhaft den Hals seines Vaters. Dieser suchte, um des Kindes Leben, wenn auch nur um einen Augenblick zu verlängern, es von seinem Halse zu lösen, um es den weiter hinten Knieenden zu reichen. Aber das Schreien und die Bewegung reizte den Löwen. Plötzlich stieß er ein kurzes, dumpfes Gebrüll aus und tötete das Kind mit einem Schlage seiner Tatze, faßte mit dem Rachen den Kopf des Vaters und zermalmte ihn im Nu.

Bei diesem Anblick fielen auch alle anderen über die Christen her. Einige Frauen konnten ihren Schreck nicht bemeistern [201] und schrien laut auf; aber der Pöbel übertäubte sie mit seinem Beifallsgeschrei, das aber bald aufhörte, da der Wunsch, alles genau zu sehen, überwog. Es folgten grauenvolle Szenen; Köpfe verschwanden vollständig in den aufgesperrten Rachen; Brüste wurden mit einem Tatzenschlage aufgerissen, so daß Herzen und Lungen herausfielen; man hörte das Knacken der Knochen zwischen den Zähnen. Etliche Löwen faßten ihre Opfer an den Seiten oder am Rücken und rannten in wilden Sprüngen in der Arena umher, als wollten sie sich einen versteckten Winkel suchen, wo sie ihre Beute in Ruhe verschlingen könnten; andere richteten sich empor und kämpften miteinander, sich mit den Vordertatzen umschlingend, während das Amphitheater von ihrem donnernden Gebrüll widerhallte. Die Zuschauer erhoben sich von ihren Sitzen. Andere verließen ihre Plätze und gingen weiter hinab, um besser sehen zu können; einige wurden dabei zu Tode gedrückt. Es hatte den Anschein, als wolle die erregte Menschenmasse sich noch am Ende in die Arena selbst stürzen und die Christen mit den Löwen um die Wette zerreißen. Bald war ein Toben zu hören, das alle menschlichen Begriffe überstieg, bald Beifallsrufen, bald Gebrüll, Knurren, das Knirschen der Zähne, das Heulen der Molosserhunde, bald nur Seufzen.

Der Caesar hielt den Smaragd vor das Auge und war von dem Schauspiel ganz hingerissen. Petronius' Gesicht trug den Ausdruck des Ekels und der Verachtung. Chilon hatte man schon früher aus dem Zirkus tragen müssen.

Und immer neue Opfer wurden aus den Cunicula herausgetrieben.

Von der obersten Sitzreihe des Amphitheaters blickte der Apostel Petrus auf das Gewühl herab. Niemand beobachtete ihn, denn aller Augen richteten sich voller Spannung auf die Arena. So stand er da, und wie er einst im Weinberge des Cornelius diejenigen, die verhaftet werden sollten, zum Tode und der Einkerkerung eingesegnet hatte, so segnete er jetzt mit dem Kreuzeszeichen die unter den Klauen der Bestien [202] Erliegenden, ihr Blut, ihre Qualen, ihre toten, in unförmliche Klumpen verwandelten Körper und ihre Seelen, die sich aus dem blutgetränkten Sande zur Höhe emporschwangen. Einige blickten zu ihm hinauf, und wenn sie dann das Kreuzeszeichen hoch über sich erblickten, strahlte ihr Antlitz voller Freude, und ein seliges Lächeln verklärte ihre Züge. Sein Herz wurde jedoch zerrissen, und er betete: »O Herr, dein Wille geschehe! Denn zu deiner Ehre, zum Zeugnis für deine Wahrheit sinken meine Lämmer dahin! Du hast mir befohlen, sie zu weiden. Ich gebe sie dir nun zurück. Zähle du sie, Herr, nimm sie auf, heile ihre Wunden, lindere ihre Pein und gib ihnen eine Seligkeit, die noch größer ist als die Martern, die sie erdulden.«

Und er segnete die einen nach den anderen, Schar für Schar mit so großer Liebe, als ob sie seine Kinder wären, die er unmittelbar Christi Händen übergäbe. Jetzt flüsterte der Caesar aus Selbstvergessenheit oder in dem Wunsche, bei diesem Spiele alles bisher in Rom Gesehene zu überbieten, dem Stadtpräfekten einige Worte zu. Dieser verließ das Podium und begab sich sofort nach den Cunicula. Selbst der Pöbel war überrascht, als sich nach einer Weile von neuem die Gitter öffneten. Jetzt erschienen wilde Tiere jeder Gattung: Tiger vom Euphrat, numidische Panther, Bären, Wölfe, Hyänen und Schakale. Die ganze Arena bedeckte sich gleichsam mit einer wogenden Flut von gefleckten, gelben, fahlen, schwarzen, braunen und gestreiften Fellen. Es entstand ein Durcheinander, in dem das Auge nichts unterscheiden konnte als eine grauenhafte Verwirrung und eine dichtgedrängte Masse von Tierrücken. Das Schauspiel verlor den Schein der Wirklichkeit und gestaltete sich zu einer blutigen Orgie, einem fürchterlichen Traum, einer grauenhaften Phantasmagorie wahnsinniger Gedanken. Das Maß war übervoll. Inmitten des Brüllens, Heulens und Stöhnens ertönte hier und da von den Bänken der Zuschauer her durchdringendes, krampfartiges Lachen von Frauen, deren Kräfte endlich erschöpft [203] waren. Ein Grauen ergriff die Menge, die Gesichter wurden finster, vereinzelte Stimmen riefen: »Genug, genug!«

Allein es war leichter, die Bestien herauszulassen, als zurückzutreiben. Doch der Caesar wußte ein Mittel, die Arena von ihnen zu säubern, das zugleich dem Volke eine neue Belustigung bot. In allen Gängen zwischen den Sitzreihen erschienen jetzt kohlschwarze, mit Federn und Ohrringen geschmückte Numidier mit Bogen in den Händen. Das Volk erriet, was nun kommen würde, und begrüßte sie mit Jubelgeschrei. Sie traten an die Brüstung heran, legten Pfeile auf die Sehnen und begannen sie auf das Tiergewimmel abzuschießen. Es war dies in der Tat ein neues Schauspiel. Die geschmeidigen, schwarzen Körper bogen sich zurück, während sie die Bogen spannten und Pfeil auf Pfeil entsandten. Das Schwirren der Sehnen und das Zischen der gefiederten Geschosse vermischte sich mit dem Heulen der Tiere und den Jubelrufen der Zuschauer. Wölfe, Bären, Panther und die Menschen, die noch lebten, fielen nebeneinander in den Sand. Hier und da bog ein Löwe, den ein Pfeil in die Seite getroffen hatte, mit einer plötzlichen Bewegung den wutschäumenden Rachen zurück, um den Pfeil zu fassen und herauszuziehen, andere stöhnten vor Schmerz. Die kleineren Tiere gerieten in Schrecken und rannten blindlings durch die Arena, oder zerstießen sich die Köpfe an den Gittern. Inzwischen schwirrten die Pfeile unaufhörlich, bis alles, was noch Leben in sich hatte, im letzten Todeszucken verendete.

Jetzt erschienen hunderte von Zirkusdienern in der Arena, mit Spaten, Schaufeln, Besen, Schiebkarren, Körben zum Sammeln der Eingeweide und mit Sandsäcken. Fortwährend strömten neue herbei, und in der ganzen Runde begann eine fieberhafte Tätigkeit. Bald war die Arena von Leichen, Blut und Kot gesäubert, umgegraben, geebnet und mit einer dicken Schicht frischen Sandes bedeckt. Nun eilten Amoretten herbei und bestreuten sie mit Rosenblättern, Lilien und allerhand Blumen. Neues Räucherwerk wurde entzündet und [204] das Velarium abgenommen, weil die Sonne schon ziemlich tief stand.

Die Zuschauer, die dies alles mit Erstaunen betrachteten, fragten sich, was für ein Schauspiel ihrer noch an diesem Tage harre.

Wirklich sollte ihnen etwas geboten werden, was niemand erwartet hatte. Der Caesar, der schon vor einiger Zeit das Podium verlassen hatte, erschien plötzlich in der blumenbestreuten Arena, in den Purpurmantel gehüllt und mit einem goldenen Kranze auf dem Haupte. Zwölf Choristen folgten ihm mit Lauten in den Händen. Nun trat er, eine silberne Phorminx im Arme, feierlichen Schrittes in die Mitte der Arena, verbeugte sich mehrmals vor den Zuschauern, erhob die Augen zum Himmel und blieb so eine Zeitlang stehen, als warte er auf eine Eingebung.

Sodann griff er in die Saiten und begann zu singen:


»Strahlender Sohn Letos,

Herrscher von Tenedos, Killa, Chryse,

Konntest du, der du Ilions

Heilige Stadt beschirmst,

Sie dem Zorn der Achaier weihn

Und es dulden, daß heilige Altäre,

Die stets zu deiner Ehre lohten,

Vom Blute der Troer befleckt wurden?

Zu dir erhoben Greise die zitternden Hände,

Silbernbogiger, Fernhintreffer,

Zu dir erhoben Mütter aus tiefster Brust

Ihre tränenverschleierte Stimme,

Du möchtest dich ihrer Kinder erbarmen.

Einen Stein hätten diese Klagen gerührt,

Du aber bliebst fühlloser als Stein,

Sminthier, zum Verderben des Volks! ...«


Der Gesang ging allmählich in eine klagende, schwermütige Melodie über. Im Zirkus herrschte tiefes Schweigen. Nach einiger Zeit fuhr der Caesar, der selbst gerührt war, fort:


Konntest du durch den Klang der Saiten

Jammern und Weinen zur Ruhe nicht bringen?

Sieh, bei deinem düsteren Liede,

[205]

Das aus Schutt und Asche heraufbeschwört

Den Tag des Brandes und des Verderbens,

Perlt noch heute die Träne im Auge,

Wie der Tau in der Blume glänzt ...

Sminthier, wo weiltest du damals?


Hier brach seine Stimme, und die Augen wurden ihm feucht. Auf den Wangen der Vestalinnen zeigten sich Tränen; schweigend lauschte das Volk und brach dann in einen lange Zeit nicht enden wollenden Beifallssturm aus.

Währenddessen vernahm man von draußen durch die zum Zweck der Lüftung geöffneten Vomitoria das Rasseln der Wagen, auf welche die blutigen Überreste der Christen, von Männern, Frauen, Kindern, geworfen wurden, um nach den schrecklichen Gruben, puticuli genannt, gebracht zu werden.

Der Apostel Petrus faßte sein weißes, zitterndes Haupt mit beiden Händen und rief in der Tiefe seines Herzens: »Herr, Herr! wem hast du die Weltherrschaft überlassen? und gerade in dieser Stadt willst du dir deinen Thron gründen?«

Fußnoten

1 Peractum est.

2 Heil dir Caesar Imperator, die Todgeweihten begrüßen dich!

3 Non te peto, piscem peto, – Quid me fugis, Galle?

Siebenundfünfzigstes Kapitel

Siebenundfünfzigstes Kapitel.

Unterdessen war die Sonne im Westen gesunken, und ihre letzten Strahlen verdämmerten in der Abendröte. Das Schauspiel war zu Ende. Die Menge begann das Amphitheater zu verlassen und durch die Ausgänge, Vomitoria genannt, nach der Stadt zu strömen. Nur die Augustianer blieben zurück und warteten, bis sich die Flut verlaufen hatte. Sie verließen sämtlich ihre Sitze und versammelten sich um das Podium, auf dem der Caesar jetzt von neuem erschien, um sein Lob aus ihrem Munde zu vernehmen. So wenig auch die Zuhörer nach Beendigung des Gesanges mit ihrem Beifall gekargt hatten, so genügte ihm dies doch nicht; denn er hatte eine an Wahnsinn grenzende Begeisterung erwartet. Umsonst erklangen jetzt die Lobeshymnen, umsonst küßten die Vestalinnen seine »göttliche« Hand, und Rubria beugte sich dabei so tief herab, daß ihr rotes Haar [206] seine Brust streifte. Nero war nicht befriedigt und vermochte dies auch nicht zu verbergen. Auch Petronius' Schweigen befremdete und beunruhigte ihn. Ein lobendes, aber dabei treffendes Wort über die Vorzüge des Gedichts aus seinem Munde wäre in diesem Augenblicke ein großer Trost für ihn gewesen. Endlich konnte er nicht mehr an sich halten und winkte ihn zu sich heran.

»Sprich,« sagte er, als sich Petronius dem Podium genähert hatte.

Dieser antwortete kühl: »Ich schweige, weil ich keine Worte finden kann. Du hast dich selbst übertroffen.«

»Auch mir erschien es so; aber dieses Volk? ...«

»Kannst du von den Bürgern verlangen, daß sie sich auf Poesie verstehen?«

»Also auch du hast bemerkt, daß man mir nicht so dankte, wie ich es verdiente?«

»Du hattest einen schlechten Augenblick gewählt.«

»Wieso?«

»Wenn die Menschen mit Blutgeruch gesättigt sind, vermögen sie nicht mehr aufmerksam zuzuhören.«

Nero ballte die Fäuste und erwiderte: »O jene Christen! Erst haben sie Rom in Brand gesteckt, und jetzt beleidigen sie auch mich. Welche neue Strafe soll ich für sie erdenken?«

Petronius erkannte, daß er einen falschen Weg eingeschlagen hatte und daß die Wirkung seiner Worte der beabsichtigten geradezu entgegengesetzt gewesen war; um Neros Gedanken daher eine andere Richtung zu geben, beugte er sich zu ihm nieder und flüsterte: »Dein Hymnos ist wundervoll; aber ich möchte nur eine Bemerkung gestatten: in dem vierten Verse der dritten Strophe läßt das Metrum etwas zu wünschen übrig.«

Nero errötete vor Scham, als hätte man ihn bei einer schändlichen Handlung ertappt, er sah sich scheu um und antwortete ebenfalls flüsternd: »Du bemerkst alles ... Ich weiß es und werde den Fehler verbessern. Hoffentlich aber [207] hat es niemand sonst bemerkt, nicht wahr! Und du wirst, bei der Liebe der Götter! niemand ein Wort davon sagen ... wenn dir dein Leben lieb ist.«

Petronius runzelte die Brauen wie in einem Ausbruch des Ärgers und Unwillens: »Du kannst mich zum Tode verurteilen, Gottheit, wenn ich dich hintergehe; du kannst mich aber nicht erschrecken, denn die Götter wissen am besten, ob ich den Tod fürchte.«

Dabei blickte er dem Caesar fest ins Auge; und dieser entgegnete nach kurzer Zeit: »Rege dich nicht auf ... Du weißt, daß ich dich liebe.«

»Ein schlimmes Zeichen!« dachte Petronius.

»Ich wollte euch zu Gaste laden,« fuhr der Caesar fort; »aber ich will mich lieber einschließen und den verwünschten Vers der dritten Strophe feilen. Außer dir hat vielleicht noch Seneca und möglicherweise auch Secundus Carinas den Fehler bemerkte; aber ich werde mich beider sofort entledigen.«

Nach diesen Worten ließ er Seneca zu sich rufen und eröffnete ihm seine Absicht, ihn nebst Acratus und Secundus Carinas nach Italien und in sämtliche Provinzen zu schicken, wo sie Geld einziehen sollten, in Städten, Dörfern, berühmten Tempeln, kurz überall, wo sie es finden oder erpressen könnten. Seneca jedoch, der wohl einsah, daß man ihm ein Werk der Plünderung, Tempelentweihung und Räuberei zumute, weigerte sich, den Auftrag anzunehmen.

»Ich muß mich aufs Land begeben, Herr,« sagte er, »und dort den Tod abwarten, denn ich bin alt, und meine Nerven sind angegriffen.«

Die iberischen Nerven Senecas, die stärker waren als die Chilons, waren vielleicht nicht angegriffen; aber seine Gesundheit hatte im allgemeinen gelitten, denn er sah aus wie ein Schatten, und sein Haar war in der letzten Zeit ganz weiß geworden.

Auch Nero glaubte bei seinem Anblicke, daß er in der Tat nicht lange auf des Philosophen Tod zu warten haben [208] werde, und versetzte: »Wenn du krank bist, will ich dich natürlich nicht auf eine Reise schicken; aber wegen der Liebe, die ich zu dir hege, wünsche ich, dich in meiner Nähe zu haben. Bleibe daher in deinem Hause, anstatt aufs Land zu gehen, und verlasse es nicht.«

Dann fuhr er nach kurzer Überlegung fort: »Wenn ich Acratus und Carinas allein schicke, so sende ich Wölfe unter die Schafe. Wen soll ich über sie setzen?«

»Mache mich zu ihrem Vorgesetzten, Herr!« rief Domitius Afer.

»Nein, ich will nicht Merkurs Zorn auf Rom laden, den ihr in der Spitzbüberei beschämt. Ich brauche einen Stoiker wie Seneca oder wie meinen neuen Freund und Philosophen Chilon.«

Er sah sich um und fragte: »Was ist denn aber aus Chilon geworden?«

Chilon, der sich in der frischen Luft erholt hatte und bei Neros Gesang ins Amphitheater zurückgekehrt war, fuhr empor und erwiderte: »Ich bin hier, glänzender Ahnherr der Sonne und des Mondes. Ich war krank, aber dein Gesang hat mich wieder gesund gemacht.«

»Ich werde dich nach Achaja schicken,« entgegnete Nero. »Du mußt auf die Sesterze wissen, wieviel Schätze sich in jedem Tempel befinden.«

»Tu das, o Zeus, und die Götter werden dir so viel Steuern zahlen, wie sie noch niemandem bewilligt haben.«

»Ich würde es tun, aber ich möchte dich des Anblicks der Spiele nicht berauben.«

»O Baal!« rief Chilon.

Die Augustianer waren froh, daß der Humor dem Caesar wiederkehrte; sie fingen an zu lachen und riefen: »Nein, nein! Entziehe diesem tapferen Griechen den Anblick der Spiele nicht!«

»Entziehe mir doch den Anblick dieser schnatternden kapitolinischen Gänse, deren Gehirn zusammengenommen nicht eine [209] Nußschale ausfüllen würde,« erwiderte Chilon. »Ich schreibe jetzt, o erstgeborener Sohn Apollos, einen griechischen Hymnos zu deiner Ehre und möchte daher einige Tage im Tempel der Musen zubringen, wo ich um Erleuchtung flehen will.«

»O nein!« rief Nero, »du möchtest dich um die anberaumten Spiele herumdrücken. Nichts davon!«

»Ich schwöre dir, Herr, daß ich einen Hymnus schreibe.«

»Dann schreibe ihn des nachts. Bitte Diana, um Erleuchtung; sie ist ja Apollos Schwester.«

Chilon senkte das Haupt und blickte grollend auf die Anwesenden, die von neuem zu lachen begannen. Der Caesar wandte sich an Seneca und Sicilius Nerulinus und sagte: »Denkt euch, mit den für heute bestimmten Christen sind wir kaum zur Hälfte fertig geworden.«

Der alte Aquilius Regulus, der in allem, was sich auf das Amphitheater bezog, genau bewandert war, dachte kurze Zeit nach und sagte: »Diese Schauspiele, in denen die Menschen sine armis et sine arte 1 auftreten, dauern beinahe ebensolange wie andere, sind aber weniger interessant.«

»Ich werde ihnen Waffen geben lassen,« erwiderte Nero.

Plötzlich schreckte der abergläubische Vestinus aus seinem Sinnen empor und fragte mit geheimnisvoller Stimme: »Habt ihr bemerkt, daß sie im Sterben etwas erblicken? Sie sehen nach oben und sterben anscheinend schmerzlos. Ich bin überzeugt, sie sehen etwas.«

Dabei erhob er seine Augen nach oben, wo schon die Nacht begonnen hatte, ihr mit Sternen besticktes Velarium über das Amphitheater auszubreiten. Die anderen jedoch antworteten ihm mit Gelächter und scherzhaften Vermutungen über das, was die Christen im Augenblicke des Todes sehen könnten. Inzwischen gab der Caesar den fackeltragenden Sklaven einen Wink und verließ den Zirkus in Begleitung der Vestalinnen, Senatoren, Beamten und Augustianer.

[210] Die Nacht war hell und warm. Vor dem Zirkus drängte sich noch das Volk, welches die Rückkehr des Caesars abwarten wollte; es befand sich jedoch in mißmutiger, wortkarger Stimmung. Hier und da hörte man Beifallsrufe, die jedoch von Zischen unterbrochen wurden. Aus dem »Spoliarium« führten räderknarrende Wagen die blutigen Überreste der Christen von dannen.

Petronius und Vinicius legten ihren Weg schweigend zurück. Erst in der Nähe der Villa fragte Petronius: »Hast du an meinen Vorschlag gedacht?«

»Ja,« entgegnete Vinicius.

»Glaubst du, daß dies jetzt für mich eine Sache von der höchsten Wichtigkeit ist? Ich muß sie befreien – dem Caesar und Tigellinus zum Trotz. Es ist eine Art Kampf, in dem ich siegen, eine Art Spiel, in dem ich gewinnen will, und müßte ich auch meine eigene Haut dabei zu Markte tragen ... Der heutige Tag hat mich in meinem Vorhaben noch bestärkt.«

»Christus lohne es dir!«

»Du wirst sehen.«

Unter diesem Gespräche langten sie vor der Villa an und verließen die Sänfte. In diesem Augenblicke näherte sich ihnen eine dunkle Gestalt und fragte: »Ist der edle Vinicius hier?«

»Jawohl,« erwiderte der Tribun; »was wünschest du?«

»Ich bin Nazarius, der Sohn Mirjams; ich komme aus dem Gefängnisse und überbringe dir Nachrichten von Lygia.«

Vinicius legte ihm die Hand auf den Arm und sah ihm beim Scheine der Fackeln ins Gesicht, ohne ein Wort hervorbringen zu können. Nazarius erriet die Frage, die ihm auf den Lippen schwebte, und antwortete: »Sie lebt noch. Ursus hat mich zu dir gesandt, Herr, damit ich dir sage, daß sie im Fieber betet und deinen Namen wiederholt.«

»Hochgelobt sei Christus, der sie mir wiedergeben kann!« antwortete Vinicius.

[211] Dann bat er Nazarius einzutreten und führte ihn nach der Bibliothek. Nach kurzer Zeit kam Petronius, um ihrer Unterredung beizuwohnen.

»Die Krankheit hat sie vor der Schande bewahrt, denn die Häscher fürchten sich,« sagte der Jüngling. »Ursus und der Arzt Glaukos wachen Tag und Nacht bei ihr.«

»Sind die Wärter noch dieselben?«

»Ja, Herr, und sie befindet sich in deren Zimmern. Die Gefangenen, die in dem unteren Kerker liegen, sind alle am Fieber gestorben oder in der unreinen Luft erstickt.«

»Wer bist du?« fragte Petronius.

»Der edle Vinicius kennt mich. Ich bin der Sohn jener Witwe, bei der Lygia wohnte.«

»Und Christ?«

Der Jüngling blickte fragend auf Vinicius; als er aber diesen beten sah, erhob er das Haupt und sagte: »Ja.«

»Auf welche Weise kannst du im Gefängnisse frei aus- und eingehen?«

»Ich trage Leichen aus dem Gefängnisse heraus und tue dies in der Absicht, um meinen Brüdern beizustehen und ihnen Nachrichten aus der Stadt zu bringen.«

Petronius begann das Gesicht des Jünglings, seine blauen Augen, sein dunkles Haar mit lebhaftem Inte resse zu betrachten und fragte dann: »Aus welchem Lande stammst du?«

»Ich bin ein Galiläer, Herr!«

»Möchtest du, daß Lygia frei würde?«

Der Jüngling blickte auf: »Ich könnte mein Leben dafür lassen,« erwiderte er.

Inzwischen hatte Vinicius sein Gebet beendet und sprach: »Sage den Wärtern, sie möchten Lygia in einen Sarg legen, als sei sie gestorben. Suche dir Gehilfen, die sie mit dir zusammen nachts aus dem Gefängnisse tragen. In der Nähe der Leichengruben werden Leute mit einer Sänfte auf euch warten; denen übergebt den Sarg. Den Wärtern versprich [212] in meinem Namen so viel Gold, wie jeder in seinem Mantel tragen kann.«

Bei diesen Worten verloren seine Züge ihre gewöhnliche Starrheit, der Soldat erwachte wieder in ihm, und mit der Hoffnung kehrte ihm seine alte Tatkraft zurück.

Nazarius strahlte vor Freude und rief mit erhobenen Händen: »Möge Christus ihr die Gesundheit schenken; denn frei wird sie.«

»Glaubst du, daß die Wärter einwilligen?« fragte Petronius.

»Sie, Herr? Wenn sie nur wissen, daß sie dafür nicht bestraft werden.«

»So ist es,« fiel Vinicius ein. »Die Wärter würden selbst in ihre Flucht willigen, um so mehr werden sie sie als Leiche hinaustragen lassen.«

»Es ist zwar ein Mann da,« sagte Nazarius, »der sich mit einem glühenden Eisen überzeugt, ob die Hinausgetragenen wirklich tot sind. Aber er nimmt nur wenige Sesterzen dafür, daß er mit dem Eisen nicht das Gesicht der Toten berührt. Für einen Aureus wird er den Sarg brennen, nicht Lygia.«

»Sage ihm, er soll eine Mütze voller Aurei erhalten,« rief Petronius. »Aber kannst du dir zuverlässige Gehilfen verschaffen?«

»Ich könnte solche bekommen, die für Geld Weib und Kind verkaufen würden.«

»Wo wirst du sie finden?«

»Im Gefängnis selbst oder in der Stadt. Sind einmal die Wärter bestochen, so lassen sie jeden Beliebigen hinein.«

»In diesem Falle nimm mich als Gehilfen mit,« rief Vinicius.

Doch Petronius riet ihm ernstlich davon ab. Die Prätorianer könnten ihn selbst unter der Verkleidung erkennen, und dann sei alles verloren. »Geh weder ins Gefängnis noch zur Leichengrube,« sagte er. »Es ist unbedingt notwendig, [213] daß alle, den Caesar und Tigellinus eingeschlossen, von Lygias Tode überzeugt sind; sonst würden sie sofort ihre Verfolgung befehlen. Nur auf diese Weise können wir dem Verdachte entgehen, daß wir ruhig in Rom bleiben, während man sie nach den Albanerbergen oder noch weiter, nach Sizilien, bringt. Erst eine oder zwei Wochen später wirst auch du krank und wendest dich an Neros Leibarzt, der dir einen Aufenthalt in den Bergen verordnen wird. Dort könnt ihr euch treffen und dann ...«

Er dachte einige Zeit nach und fügte dann mit einer Handbewegung hinzu: »Dann werden vielleicht andere Zeiten kommen.«

»Möge Christus sich ihrer erbarmen,« erwiderte Vinicius; »du sprichst von Sizilien, während sie krank ist und vielleicht stirbt ...«

»Wir können sie ja auch an einen näher gelegenen Ort bringen, die frische Luft allein wird sie herstellen, wenn wir sie nur erst aus dem Kerker befreit haben. Hast du nicht irgendwo in den Bergen einen Verwalter, dem du sie anvertrauen könntest?«

»Jawohl! gewiß! ja!« entgegnete Vinicius rasch. »Ich habe in der Nähe von Corioli im Gebirge einen zuverlässigen Mann, der mich auf dem Arme getragen hat, als ich ein Kind war, und der mich noch jetzt liebt.«

Petronius reichte ihm eine Schreibtafel.

»Schreibe ihm, er solle morgen früh herkommen. Ich werde sofort einen Eilboten bestellen.«

Er rief den Vorsteher des Atriums und gab ihm die entsprechenden Befehle. Wenige Augenblicke später sprengte ein Sklave durch die Nacht nach Corioli ...

»Ich wünschte, Ursus könnte sie begleiten,« sagte Vinicius; »ich würde dann ruhiger sein ...«

»Herr,« entgegnete Nazarius, »dieser Mann ist von übermenschlicher Stärke; er kann die Gitter zerbrechen und ihr folgen. Es öffnet sich ein Fenster über einer hohen, steilen [214] Felswand, unter dem keine Wache steht. Ich werde Ursus ein Seil bringen, und alles übrige wird er dann schon selbst tun.«

»Beim Herakles!« rief Petronius; »er soll ausbrechen, wie es ihm beliebt, aber nicht zugleich mit ihr oder zwei bis drei Tage nach ihr, denn man würde ihn verfolgen und Lygias Schlupfwinkel entdecken. Beim Herakles! wollt ihr denn euch und sie ins Verderben stürzen? Ich verbiete euch, ihm etwas von Corioli zu sagen, oder ich wasche meine Hände in Unschuld.«

Die beiden anderen erkannten die Richtigkeit seiner Bemerkungen und schwiegen. Dann verabschiedete sich Nazarius und versprach, bei Tagesanbruch zurückzukehren.

Mit den Wärtern hoffte er sich noch in dieser Nacht verständigen zu können, wünschte aber vorher seine Mutter zu besuchen, die infolge der unsicheren und schrecklichen Zeiten seinetwegen in beständiger Angst schwebte. Nach kurzer Überlegung gelangte er zu dem Entschluß, seine Gehilfen nicht in der Stadt zu suchen, sondern einen aus der Zahl derer, die mit ihm die Leichen aus dem Gefängnis hinaustrugen, zu bestechen.

Vor seinem Weggang machte er jedoch noch einen kurzen Aufenthalt, nahm Vinicius beiseite und flüsterte ihm zu: »Herr, ich werde unser Vorhaben niemand mitteilen, auch meiner Mutter nicht; aber der Apostel Petrus versprach, aus dem Amphitheater zu uns zu kommen und ihm will ich alles erzählen.«

»Du kannst in diesem Hause laut sprechen,« entgegnete Vinicius; »der Apostel Petrus befand sich im Amphitheater mitten unter den Sklaven des Petronius. Übrigens will ich selbst mit dir gehen.«

Er ließ sich einen Sklavenmantel bringen, und dann entfernten sich beide.

Petronius atmete tief auf.

»Ich hätte gewünscht, sie wäre am Fieber gestorben; für [215] Vinicius wäre dies weniger schrecklich gewesen. Aber jetzt möchte ich dem Asklepios einen goldenen Dreifuß opfern, um ihr ihre Gesundheit wieder zu verschaffen. O Rotbart, du willst dich an dem Schmerze eines Liebenden weiden; du, Augusta, warst anfangs eifersüchtig auf die Schönheit des Mädchens, und jetzt würdest du sie lebendig verzehren, weil man dir deinen Rufius ermordet hat ... Du, Tigellinus, möchtest sie vernichten, um mir einen Possen zu spielen ... Wir werden sehen. Ich sage euch, eure Augen sollen sie nicht in der Arena erblicken, denn entweder stirbt sie eines natürlichen Todes oder ich reiße sie euch aus dem Rachen wie Hunden ... Und ich werde es so einrichten, daß ihr es nie erfahren werdet. So oft ich euch dann sehe, werde ich mir sagen: das sind die Dummköpfe, die Gajus Petronius hinters Licht geführt hat.«

Selbstzufrieden begab er sich ins Triclinium, wo er sich mit Eunike zur Abendmahlzeit niederließ. Der Lektor las ihnen währenddessen Theokrits Idyllen vor. Draußen trieb der Wind die Wolken vom Sorakte her zusammen, und ein plötzlicher Sturm unterbrach die Stille der ruhigen Sommernacht. Von Zeit zu Zeit hallte der Donner an den sieben Hügeln wider; die beiden lagen jedoch dicht nebeneinander an der Tafel und lauschten dem ländlichen Dichter, der in dorischen Versen die Liebe der Schäfer besingt, und begaben sich dann zur Ruhe, um sich des süßen Schlummers zu erfreuen.

Vorher kehrte jedoch noch Vinicius zurück. Petronius, der seine Schritte hörte, ging ihm entgegen und fragte: »Wie steht es? ... Habt ihr etwas Neues ausgedacht? Und ist Nazarius schon nach dem Gefängnis gegangen?«

»Ja,« erwiderte der junge Mann, indem er seine vom Regen durchnäßten Haare glatt strich. »Nazarius ging, um sich mit den Wärtern ins Einvernehmen zu setzen, und ich habe mit dem Apostel Petrus gesprochen, der mich beten und glauben hieß.«

[216] »Schön. Wenn alles gut abläuft, können wir sie in der nächsten Nacht fortbringen.«

»Mein Verwalter muß bei Tagesanbruch mit seinen Leuten hier sein.«

»Der Weg ist kurz. Geh jetzt zur Ruhe.«

Allein Vinicius fiel in seinem Cubiculum auf die Kniee und begann zu beten.

Bei Sonnenaufgang langte aus Corioli der Verwalter Niger an und brachte, wie Vinicius befohlen hatte, Maultiere, eine Sänfte und vier zuverlässige, aus seinen britischen Sklaven ausgewählte Männer mit, die er aber aus Vorsicht in einem Gasthause der Subura zurückgelassen hatte.

Vinicius, der die ganze Nacht kein Auge zugetan hatte, ging ihm entgegen. Diesen erfaßte Rührung beim Anblick seines jugendlichen Herrn; er küßte ihm die Hände und Augen und sagte: »Mein teurer Herr, du bist krank oder hat ein Leid deine Wangen bleich gemacht? Ich erkannte dich auf den ersten Blick kaum wieder.«

Vinicius führte ihn in die innere Säulenhalle, dem Xystus, und eröffnete ihm hier sein Geheimnis. Niger hörte ihn mit gespannter Aufmerksamkeit an, und auf seinem kräftigen, sonnenverbrannten Gesichte spiegelte sich große Erregung, die er auch gar nicht zu unterdrücken suchte.

»Dann ist sie wohl Christin?« rief er aus.

Forschend blickte er Vinicius ins Gesicht; dieser erriet offenbar die Frage, die in dem Auge des Landmanns zu lesen stand, denn er antwortete: »Auch ich bin Christ ...«

Tränen erglänzten jetzt in Nigers Augen; eine Zeitlang schwieg er, dann erhob er seine Hände und sprach: »O, ich danke dir, Christus, daß du denen die Binde von den Augen genommen hast, die mir die Teuersten in der Welt sind.«

Dann faßte er Vinicius an den Schläfen, weinte vor Freude und küßte ihn auf die Stirn.

Bald darauf erschien Petronius und brachte Nazarius mit.

»Gute Nachrichten!« rief er schon von weitem.

[217] In der Tat waren seine Nachrichten gut. Vor allem hatte sich der Arzt Glaukos für Lygias Leben verbürgt, obgleich sie dasselbe Gefängnisfieber hatte, an dem im Tullianum und in den anderen Gefängnissen täglich hunderte starben. Was die Wärter und den Mann betraf, der mit einem glühenden Eisen den Tod festzustellen hatte, so waren alle Schwierigkeiten beseitigt. Ein Gehilfe, Attys, war ebenfalls schon gewonnen.

»Wir haben Löcher in den Sarg gebohrt, um der Kranken das Atmen zu ermöglichen,« sagte Nazarius. »Die einzige Gefahr besteht darin, daß sie seufzt oder spricht, während wir sie bei den Prätorianern vorüber tragen. Sie ist jedoch sehr schwach und liegt seit heut morgen mit geschlossenen Augen da. Im übrigen wird ihr Glaukos einen Schlaftrunk reichen, den er selbst aus Medikamenten bereitet hat, die ich aus der Stadt geholt habe. Der Deckel wird nicht auf den Sarg genagelt werden. Ihr könnt ihn leicht abheben und die Kranke in die Sänfte bringen; in den Sarg legen wir dann einen Sack Sand, den ihr bereithalten müßt.«

Vinicius wurde beim Hören dieser Worte weiß wie die Wand, lauschte aber mit so gespannter Aufmerksamkeit, als wolle er alles, was Nazarius sagte, ihm schon vorher vom Munde ablesen.

»Werden noch andere Särge aus dem Gefängnis getragen werden?« fragte Petronius.

»Es sind heut nacht ungefähr zwanzig Menschen gestorben, und bis zum Abend werden noch mehrere sterben,« antwortete der Jüngling, »wir müssen mit sämtlichen anderen gehen, aber wir werden zögern, um die letzten zu sein. An der ersten Straßenecke wird mein Gehilfe absichtlich müde werden. Auf diese Weise werden wir ein bedeutendes Stück hinter den anderen zurückbleiben. Erwartet uns beim kleinen Tempel der Libitina. Möge Gott uns eine recht dunkle Nacht geben!«

»Gott wird diese Bitte erfüllen,« entgegnete Niger. »Gestern [218] abend war es hell, und dann erhob sich plötzlich ein Sturm. Heut ist der Himmel wieder klar, aber seit dem Morgen ist es schwül. Jede Nacht werden wir jetzt windiges und regnerisches Wetter haben.«

»Werdet ihr ohne Fackeln gehen?« fragte Vinicius.

»Die Fackeln werden nur vorausgetragen. Auf jeden Fall wartet am Tempel der Libitina, sobald es dunkel wird, obgleich wir die Leichen in der Regel erst kurz vor Mitternacht wegbringen.«

Sie schwiegen, und nur Vinicius' rasche Atemzüge waren hörbar.

Petronius wandte sich an ihn.

»Ich sagte gestern,« begann er, »es sei das beste, wenn wir beide zu Hause blieben. Jetzt sehe ich aber, daß es mir unmöglich ist, in Ruhe hier zu sitzen ... Würde es sich um eine Entführung handeln, so wäre freilich die größte Vorsicht am Platze; da man Lygia jedoch im Sarge herausträgt, so ist es nicht wahrscheinlich, daß jemand auch nur den geringsten Verdacht schöpft.«

»Ja, ja!« antwortete Vinicius, »ich muß dabei sein. Ich will sie selbst aus dem Sarge heben.«

»Ist sie einmal in meinem Hause bei Corioli, so bürge ich für sie,« erwiderte Niger.

Hier endete die Unterredung. Niger begab sich nach dem Gasthause zu seinen Leuten. Nazarius kehrte mit einem Beutel Gold unter der Tunika ins Gefängnis zurück. Für Vinicius begann ein Tag voll fieberhafter Unruhe, Furcht und Hoffnung.

»Unser Vorhaben muß gelingen, denn es ist gut geplant,« sagte Petronius zu ihm. »Es ist unmöglich, alles besser auszudenken. Du mußt Trauer heucheln und in schwarzer Toga ausgehen. Aber die Spiele darfst du nicht versäumen. Man soll dich sehen ... Alles ist so gut überlegt, daß es nicht fehlschlagen kann. Aber kannst du dich auf deinen Verwalter auch wirklich verlassen?«

[219] »Er ist Christ,« erwiderte Vinicius.

Petronius sah ihn erstaunt an, dann zuckte er die Schultern und sprach wie zu sich selbst: »Beim Pollux! Wie sich diese Religion ausbreitet und die Herzen der Menschen beherrscht! ... In einer so furchtbaren Zeit müßten sich die Menschen doch zu allen römischen, griechischen, ägyptischen Göttern wenden. Es ist aber wunderbar ... Beim Pollux! ... Wenn ich glaubte, daß irgend etwas auf der Welt von dem Willen unserer Götter abhinge, so würde ich jedem von ihnen sechs weiße Stiere opfern und dem kapitolinischen Jupiter zwölf ... Aber auch du spare deinem Christus gegenüber keine Versprechen ...«

»Ich habe ihm meine Seele gegeben,« erwiderte Vinicius.

Sie trennten sich. Petronius kehrte in sein Cubiculum zurück. Vinicius ging aus, um von fern nach dem Gefängnis zu blicken, und wandte sich dann nach dem Abhang des Vatikanischen Hügels, zu jener Steinbrecherhütte, in der er aus den Händen des Apostels die Taufe empfangen hatte. Es war ihm, als werde ihn Christus hier eher erhören als irgendwo anders. Als er sie erreicht hatte, warf er sich zur Erde und flehte aus allen Kräften seiner schmerzbeladenen Seele um Erbarmen; er war so ins Gebet versunken, daß er vergaß, wo er war und was um ihn her vorging.

Erst am Nachmittage erweckte ihn das Schmettern der Trompeten, das vom Neronischen Zirkus herübertönte. Er verließ die Hütte und blickte verstört um sich, als sei er jäh aus dem Schlafe emporgeschreckt worden. Es war heiß; ringsum herrschte Stille, die nur durch das Geräusch von Arbeitern und das beständige eintönige Zirpen der Grillen unterbrochen wurde. Die Luft war schwül geworden; der Himmel über der Stadt war noch blau; aber in der Richtung der Sabinerberge zogen sich am Rande des Horizontes dunkle Wolken zusammen.

Vinicius kehrte nach Hause zurück. Im Atrium erwartete ihn Petronius.

[220] »Ich war auf dem Palatin,« sagte er. »Ich zeigte mich absichtlich dort und beteiligte mich sogar am Würfelspiel. Bei Anicius ist heut abend ein Fest; ich versprach, daß wir kommen würden, aber erst nach Mitternacht, da ich vorher schlafen müßte. Ich werde auch in der Tat hingehen, und es wäre gut, wenn du mich begleiten wolltest.«

»Sind noch keine Nachrichten von Niger oder Nazarius da?« fragte Vinicius.

»Nein. Wir werden sie erst um Mitternacht treffen. Hast du bemerkt, daß ein Gewitter heraufzieht?«

»Ja.«

»Morgen soll eine Schaustellung gekreuzigter Christen stattfinden; vielleicht aber wird sie durch den Regen verhindert.«

Er trat dicht an ihn heran, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Aber Lygia sollst du nicht am Kreuze sehen, sondern in Corioli. Beim Kastor! Ich würde den Augenblick, in dem wir sie befreien, nicht um alle Juwelen Roms vertauschen wollen! Der Abend bricht schon herein ...«

Wirklich nahte der Abend heran, und früher als gewöhnlich begann die Dunkelheit über die Stadt hereinzubrechen, da der ganze Horizont mit Wolken umzogen war. Bei Einbruch der Nacht fiel dichter Regen, der auf den von der Hitze des Tages glühenden Steinen verdampfte und die Straßen der Stadt in Nebel hüllte. Dann trat Windstille ein, die aufs neue von kurzen Regengüssen unterbrochen wurde.

»Beeilen wir uns,« sagte endlich Vinicius; »wegen des Sturmes könnten sie die Leichen eher aus dem Gefängnisse tragen.«

»Ja, es ist Zeit,« erwiderte Petronius.

Sie legten gallische Kapuzenmäntel an und begaben sich durch die Gartentür auf die Straße. Petronius bewaffnete sich mit einem kurzen römischen Messer, Sica genannt, das er bei nächtlichen Ausflügen stets bei sich trug.

Die Stadt war infolge des Gewitters menschenleer. Von Zeit zu Zeit zerrissen Blitze die Wolken und beleuchteten [221] grell die frischen Wände der neuerrichteten oder erst im Bau begriffenen Häuser und die nassen Steine, mit denen die Straßen gepflastert waren. Bei einem solchen Blitzstrahle erblickten sie endlich nach einem ziemlich langen Wege, den Erdwall, auf dem der kleine Tempel der Libitina lag, und am Fuße desselben eine Anzahl Maultiere und Pferde.

»Niger!« rief Vinicius leise.

»Ich bin hier, Herr!« erklang eine Stimme durch den Regen hindurch.

»Ist alles bereit?«

»Ja, mein teurer Herr. Sobald es dunkel wurde, waren wir an Ort und Stelle. Aber stellt euch hier an den Wall; denn es gießt in Strömen. Was für ein Unwetter! Ich glaube, es wird noch hageln.«

Wirklich bestätigte sich Nigers Befürchtung. Es fing bald darauf an zu hageln, erst schwach, dann immer stärker und stärker. Die Luft kühlte sich sofort ab.

Während sie am Fuße des Walles standen, der sie vor dem Winde und den Hagelkörnern schützte, sprachen sie leise miteinander.

»Wenn uns auch hier jemand sieht,« sagte Niger, »so wird er doch keinen Verdacht schöpfen, sondern uns für Leute halten, die das Ende des Unwetters abwarten wollen. Aber ich fürchte, daß sie die Leichen nicht vor dem Morgen bringen werden.«

»Der Hagel wird nicht lange andauern,« entgegnete Petronius. »Wir müssen warten, und sei es selbst bis Tagesanbruch.«

Wirklich warteten sie und horchten, ob sich nicht das Geräusch des nahenden Zuges vernehmen lasse. Der Hagelschauer ging in der Tat bald vorüber, aber gleich darauf begann ein heftiger Regenguß. Zuweilen erhob sich der Wind und trieb von den Leichengruben den entsetzlichen Geruch verwesender Körper herüber, die flach und nachlässig verscharrt waren.

[222] »Ich sehe ein Licht durch den Nebel,« sagte jetzt Niger; »eins, zwei, drei ... es sind Fackeln.«

Und zu den Leuten gewandt, sagte er: »Gebt acht, daß die Maultiere nicht schnauben.«

»Sie kommen,« flüsterte Petronius.

In der Tat wurde der Lichtschein immer heller, und bald konnte man die vom Luftzuge hin und hergewehten Flammen der Fackeln erkennen.

Niger begann das Kreuz zu schlagen und zu beten. Inzwischen kam die düstere Prozession näher und machte endlich Halt, nachdem sie bis zum Tempel der Libitina gelangt war. Petronius, Vinicius und Niger drückten sich schweigend an den Wall, da sie nicht wußten, was dies bedeute. Die Leute hatten aber nur angehalten, um sich Gesicht und Mund mit Tüchern zu bedecken und sich vor dem erstickenden Geruch zu schützen, der ihnen direkt von den Puticuli entgegenschlug; dann nahmen sie die Bahren mit den Särgen wieder auf und gingen weiter.

Nur ein Sarg blieb vor dem Tempel stehen.

Vinicius eilte auf ihn zu; ihm folgten Petronius, Niger und zwei britische Sklaven mit einer Sänfte.

Aber ehe sie herangekommen waren, klang ihnen schon Nazarius' schmerzerfüllte Stimme entgegen: »Herr, man hat sie samt Ursus nach dem esquilinischen Gefängnis gebracht. Wir tragen eine wirkliche Leiche! Sie wurden schon vor Mitternacht abgeführt ...«


*


Als Petronius nach Hause zurückgekehrt war, war er finster wie eine Wetterwolke und versuchte es auch gar nicht, Vinicius zu trösten. Er sah ein, daß an eine Befreiung Lygias aus dem unterirdischen esquilinischen Gefängnisse nicht zu denken war. Er vermutete, man habe sie wahrscheinlich deshalb aus dem Tullianum genommen, um sie nicht am Fieber sterben zu lassen und um sie für das Amphitheater, in dem sie auftreten sollte, aufzubewahren. Aber eben dies [223] war auch ein Beweis dafür, daß man sie sorgfältiger bewachen werde als die übrigen Gefangenen. Petronius bedauerte sie und Vinicius aus tiefster Seele, aber außerdem wühlte auch der Gedanke in ihm, zum erstenmal in seinem Leben als Besiegter aus einem Kampfe hervorzugehen.

»Fortuna scheint mich verlassen zu wollen,« sprach er zu sich, »aber die Götter irren sich, wenn sie glauben, ich werde an einem Leben Geschmack finden, wie es Vinicius führt.«

Er sah diesen an, der ebenfalls mit stieren Augen auf ihn blickte.

»Was ist dir? Fieberst du?« fragte Petronius.

Vinicius antwortete mit seltsamer, gebrochener und langsamer Stimme, als wäre er ein krankes Kind: »Und doch glaube ich, daß er sie mir zurückgeben kann.«

Über der Stadt verhallten die letzten Donnerschläge.

Fußnoten

1 Unbewaffnet und ohne Übung im Fechten.

Achtundfünfzigstes Kapitel

Achtundfünfzigstes Kapitel.

Strömender Regen, eine seltene Erscheinung in Rom während des Sommers, und Hagel, der gegen die Naturordnung nicht nur bei Tage und abends, sondern auch des nachts fiel, unterbrachen die Schauspiele. Das Volk begann sich zu ängstigen. Man prophezeite eine Mißernte in Wein, und als eines Mittags der Blitz die eherne Statue der Ceres auf dem Kapitol zerschmetterte, wurden im Tempel des Jupiter Salvator Opfer dargebracht. Die Priester der Ceres verbreiteten die Kunde, der Zorn der Götter habe sich infolge der allzu saumseligen Bestrafung der Christen gegen die Stadt gewandt, und so forderte der Pöbel, daß die Spiele ohne Rücksicht auf das Wetter fortgesetzt würden, und ganz Rom wurde von einem Freudentaumel ergriffen, als es hieß, der unterbrochene »Ludus« solle in drei Tagen von neuem beginnen.

Unterdessen war das Wetter wieder schön geworden. Von frühmorgens bis spät in die Nacht füllte sich das Amphitheater mit tausenden von Zuschauern; auch der Caesar traf [224] in Begleitung der Vestalinnen und des Hofes rechtzeitig ein. Das Schauspiel sollte mit einem Kampfe der Christen untereinander beginnen, zu welchem Zwecke man sie als Gladiatoren verkleidet und ihnen Waffen aller Art gegeben hatte, wie sie den Fechtern zum Angriff und zur Verteidigung dienten. Aber man erfuhr eine Enttäuschung. Die Christen warfen die Netze, Dreizacke, Spieße und Schwerter zu Boden, umarmten einander und ermutigten sich gegenseitig zur Standhaftigkeit in Qual und Tod. Da erfaßte tiefe Entrüstung und Empörung die Menge. Einige warfen ihnen Feigheit und Erbärmlichkeit vor, andere behaupteten, sie wollten aus Haß gegen das Volk nicht kämpfen, um diesem die Freude zu rauben, die ihm der Anblick eines tapferen Kampfes gewähren würde. Schließlich wurden auf Befehl des Caesars wirkliche Gladiatoren gegen sie losgelassen, die die knieenden, wehrlosen Opfer im Nu abschlachteten.

Nach der Beseitigung der Leichen hörten die Kämpfe auf, und das Schauspiel gestaltete sich zu einer Reihe von mythologischen Bildern nach des Caesars eigener Erfindung. Man sah Herakles, wie er lebend auf dem Oitagebirge verbrannte. Vinicius zitterte bei dem Gedanken, die Rolle des Herakles könne Ursus zugedacht sein; allein die Reihe schien noch nicht an Lygias treuen Diener gekommen zu sein, denn auf dem Scheiterhaufen brannte ein anderer Christ, der Vinicius völlig unbekannt war. Aber im nächsten Bilde erblickte Chilon, den der Caesar von der Anwesenheit im Zirkus nicht hatte entbinden wollen, Bekannte von sich. Es wurde der Tod des Daidalos und Ikaros aufgeführt. In der Rolle des Daidalos trat Euricius auf, derselbe alte Mann, der seinerzeit Chilon die Bedeutung des Fischzeichens erklärt hatte, in der des Ikaros sein Sohn Quartus. Mittels sinnreicher Maschinen wurden beide in die Höhe geschleudert und stürzten dann aus ungeheuerer Höhe auf die Arena herab; der jugendliche Quartus fiel so nahe am Podium des Caesars herab, daß er mit seinem Blute nicht nur die äußeren Verzierungen, [225] sondern auch die mit Purpurstoff ausgeschlagenen Pfeiler bespritzte. Chilon sah den Sturz nicht, da er die Augen geschlossen hatte, sondern hörte nur das dumpfe Aufschlagen des Körpers, und als er nach einer Weile dicht neben sich Blutflecken bemerkte, wäre er beinahe wieder ohnmächtig geworden. Die Bilder wechselten schnell. Die schamlose Marter von Jungfrauen, die durch Gladiatoren in der Verkleidung wilder Tiere entehrt wurden, entzückte den Pöbel. Man sah Priester der Kybele und Ceres, die Danaiden, Dirke und Pasiphae, schließlich wurden noch unreife Mädchen von wilden Pferden in Stücke gerissen. Das Volk bejubelte immer neue Erfindungen des Caesars, der, stolz auf diese und geschmeichelt durch den Beifall, keinen Augenblick den Smaragd aus der Hand legte und sich an den weißen in Stücke gerissenen Leibern und den konvulsivisch zuckenden Opfern ergötzte. Dann wurden Szenen aus der Geschichte der Stadt aufgeführt. Nach den Jungfrauen erblickte man Mucius Scaevola, dessen in einem Feuer an einem Dreifuß festgekettete Hand das ganze Amphitheater mit dem Geruche brennenden Fleisches erfüllte, der aber genau wie der wahre Scaevola lautlos dastand, die Augen zum Himmel gerichtet und ein flüsterndes Gebet auf den bleichen Lippen. Nachdem er ausgelitten hatte und seine Leiche ins Spoliarium gebracht worden war, trat die übliche Mittagspause ein. Der Caesar verließ samt den Vestalinnen und Augustianern das Amphitheater und begab sich nach einem eigens dazu errichteten Scharlachzelte, wo für ihn und seine Gäste ein prächtiges »Prandium« bereitstand. Die Zuschauer folgten größtenteils seinem Beispiele, strömten hinaus und zerstreuten sich in kleineren Gruppen um das Zelt herum, um sich die durch das lange Sitzen steif gewordenen Glieder wieder gelenkig zu machen und die Speisen zu verzehren, die ihnen die Gnade des Caesars durch Sklaven im Überfluß darreichen ließ. Nur die Neugierigsten stiegen nachdem sie ihre Sitze verlassen hatten, in die Arena selbst hinab, befühlten mit ihren Händen den blutgetränkten Sand und [226] besprachen als Kenner und Liebhaber die Auftritte, die sich schon abgespielt hatten, sowie das, was etwa noch zu erwarten stand. Bald jedoch gingen auch diese Schwätzer hinaus, um bei der Verteilung der Speisen nicht zu kurz zu kommen; es blieben nur noch wenige zurück, die nicht die Neugier, sondern das Mitgefühl für die Opfer hier festhielt.

Diese versteckten sich in den Gängen oder auf den untersten Plätzen. Währenddessen wurde die Arena geebnet, und man fing an, Reihen von Löchern in den Sand zu graben, die die ganze Fläche, von einem Ende bis zum anderen, bedeckten, so daß die letzten Reihen nur wenige Schritte vom Podium des Caesars entfernt waren. Vor dem Zirkus lärmte der Pöbel, schrie und jauchzte Nero zu, und hier wurden in fieberhafter Eile Vorbereitungen zu neuen Martern getroffen. Wiederum öffneten sich die Cunicula, und aus allen in die Arena führenden Türen strömten Scharen von Christen, alle nackt und mit einem Kreuze auf den Schultern. Das ganze Amphitheater wimmelte von ihnen. Greise befanden sich unter ihnen, die unter dem Gewicht der hölzernen Balken fast erlagen, daneben Männer in der Vollkraft ihrer Jahre, Frauen mit aufgelöstem Haar, unter dem sie ihre Blöße zu verdecken suchten, halbwüchsige Knaben und ganz kleine Kinder. Die Kreuze waren größtenteils ebenso wie die Opfer mit Blumen bekränzt. Die Zirkussklaven, die mit Knütteln auf die Unglücklichen einschlugen, zwangen sie, die Kreuze neben die dafür bestimmten Löcher zu legen und sich selbst in Reihen aufzustellen. Auf diese Weise sollten diejenigen ums Leben kommen, die nicht schon am ersten Tage der Spiele den Hunden und wilden Tieren zum Fraße vorgeworfen worden waren. Schwarze Sklaven faßten die Opfer, rissen sie rücklings auf die Balken nieder und begannen ihnen die Hände so rasch wie möglich festzunageln, damit, wenn das Volk nach Beendigung der Pause zurückkehrte, alle Kreuze schon ständen. Im ganzen Amphitheater tönten die Hammerschläge; ihr Echo hallte an den leeren Sitzreihen wider und drang[227] bis auf den Platz vor dem Amphitheater und in das Zelt, unter dem der Caesar die Vestalinnen und Augustianer bewirtete. Dort trank man Wein, zog Chilon auf und flüsterte den Priesterinnen der Vesta schamlose Worte ins Ohr; in der Arena aber wurde eifrigst gearbeitet: Nägel drangen durch Hände und Füße, und Schaufeln warfen Erde in die Löcher, in denen die Kreuze befestigt waren.

Unter den Opfern, an die erst jetzt die Reihe kam, befand sich auch Crispus. Die Löwen hatten keine Zeit mehr gefunden, ihn zu zerreißen; er war daher zur Kreuzigung bestimmt worden, und, stets zum Sterben bereit, freute er sich darüber, daß seine Stunde gekommen sei. Er sah heut ganz verändert aus, denn sein hagerer Leib war völlig nackt, nur um die Lenden schlang sich ein Efeugürtel, und auf dem Kopfe trug er einen Kranz von Rosen. Aber aus seinen Augen blitzte immer noch dieselbe unbezähmte Energie, und dasselbe strenge, fanatische Antlitz schaute unter den Rosen hervor. Auch seine Gesinnung hatte sich in nichts geändert, denn wie er damals im Cuniculum den in Felle genähten Brüdern mit dem göttlichen Zorne gedroht hatte, so drohte er ihnen auch heute, anstatt sie zu trösten.

»Danket dem Erlöser,« rief er ihnen zu, »daß es euch vergönnt ist, denselben Tod zu sterben, den er starb. Vielleicht wird euch dafür ein Teil eurer Sünden vergeben, aber zittert; denn der Gerechtigkeit muß Genüge geschehen, und die Bösen können nicht mit demselben Maße gemessen werden wie die Guten.«

Seine Worte wurden von Hammerschlägen begleitet, durch die Hände und Füße der Opfer festgenagelt wurden. Immer mehr Kreuze erhoben sich in der Arena, er wandte sich an die Schar derer, die noch neben ihren Kreuzen standen, und fuhr fort: »Ich sehe den Himmel offen, aber auch die Hölle ... Ich weiß selbst nicht, wie ich dem Herrn Rechenschaft über mein Leben ablegen soll, trotzdem ich geglaubt und das Böse gehaßt habe; nicht vor dem Tode bangt mir, sondern vor [228] der Auferstehung, nicht vor der Marter, sondern vor dem Gericht, denn der Tag des Zornes ist gekommen.«

Da erklang von den untersten Sitzreihen her eine ruhige, feierliche Stimme: »Nicht der Tag des Zornes, sondern der Tag des Erbarmens, der Tag der Erlösung und Seligkeit ist gekommen. Ich sage euch, Christus wird euch aufnehmen, euch trösten und zu seiner Rechten setzen. Vertrauet meinen Worten, denn der Himmel tut sich euch auf.«

Bei diesen Worten wandten sich aller Augen den Sitzen zu; selbst diejenigen, welche schon an den Kreuzen hingen, erhoben ihr blasses, gequältes Antlitz und blickten nach der Richtung, wo der Redner stand.

Dieser trat an die um die Arena herumlaufende Brüstung und begann die Christen mit dem Zeichen des Kreuzes zu segnen.

Crispus streckte den Arm nach ihm aus, als wolle er ihm widersprechen; sobald er aber seine Züge erkannte, ließ er die Hand sinken, die Kniee zitterten unter ihm, und die Lippen murmelten: »Der Apostel Paulus! ...«

Zum großen Erstaunen der Zirkusdiener fielen alle Christen, die noch nicht ans Kreuz geschlagen waren, auf ihre Kniee, während Paulus aus Tarsos sich an Crispus wandte und sprach: »Crispus, drohe ihnen nicht; denn heute noch werden sie mit dir im Paradiese sein. Du meinst, sie könnten verdammt werden? Doch wer soll sie verdammen? Wird Gott dies tun, der seinen Sohn für sie hingegeben hat? Oder Christus, der zu ihrer Erlösung gestorben ist, wie auch sie zur Ehre seines Namens sterben? Wie kann er, der die Liebe ist, sie verdammen? Wer wird die Auserwählten Gottes anklagen? Wer mag zu diesem Blute sagen: Sei verflucht!? ...«

»Herr, ich habe das Böse gehaßt,« entgegnete der alte Priester.

»Christus hat noch eindringlicher geboten, die Menschen zu lieben, als das Böse zu hassen, denn seine Lehre ist Liebe, nicht Haß ...«

[229] »Ich habe noch in meiner Todesstunde gesündigt,« erwiderte Crispus.

Und er begann an seine Brust zu schlagen.

Ein Aufseher näherte sich dem Apostel und fragte ihn: »Wer bist du, daß du mit den Verurteilten sprichst?«

»Ein römischer Bürger,« erwiderte Paulus gelassen.

Dann wandte er sich an Crispus und sagte: »Sei getrost, denn heute ist der Tag der Gnade, und du wirst in Frieden sterben, du treuer Knecht Gottes.«

In diesem Augenblicke traten zwei Neger an Crispus heran, um ihn ans Kreuz zu heften; noch einmal blickte er in der Runde umher und rief: »Meine Brüder, betet für mich!«

Sein Antlitz verlor die Strenge, die gewöhnlich auf ihm gelegen hatte; die steinernen Züge überflog ein Ausdruck des Friedens und der Milde. Er breitete selbst seine Hände auf den Armen des Kreuzes aus, um seinen Henkern die Arbeit zu erleichtern und begann, die Augen zum Himmel gerichtet, inbrünstig zu beten. Er schien nichts mehr zu fühlen, denn als die Nägel ihm seine Hände durchbohrten, durchlief nicht das geringste Zittern seinen Körper, und auf seinem Antlitze zeigte sich keine Spur von Schmerz; er betete, als man ihm die Füße annagelte, er betete, als man das Kreuz aufrichtete und ringsherum die Erde festtrat. Erst als die Menge das Amphitheater wieder mit ihrem Gelächter und Geschrei zu erfüllen begann, zogen sich die Brauen des Greises etwas zusammen, darüber, daß ein heidnisches Volk ihm die Ruhe und den Frieden eines sanften Todes störe.

Vorher waren jedoch noch alle Kreuze aufgerichtet worden, so daß die Arena einem Walde glich, an dessen Stämmen Menschen hingen. Auf die Kreuzesarme und die Häupter der Märtyrer fiel blendender Sonnenschein; auf der Arena selbst lag tiefer Schatten und bildete eine Art schwarzen Gitters, durch das der gelbe Sand hindurchschimmerte. Es war ein Schauspiel, bei dem das ganze Vergnügen der Zuschauer[230] darin bestand, Zeugen eines langsamen Todes zu sein. Aber nie zuvor hatte man eine solche Menge von Kreuzen gesehen. Die Arena war so dicht mit ihnen bedeckt, daß die Zirkusdiener sich mit Mühe zwischen ihnen hindurchwanden. In der vordersten Reihe hingen hauptsächlich Frauen; Crispus aber hatte man als einen Presbyter dem Podium des Caesars gerade gegenüber an einem riesigen Kreuze angenagelt, das am Fuße mit Weinlaub umwunden war. Noch war keines der Opfer gestorben, doch hatten verschiedene von denen, die zuerst gekreuzigt worden waren, das Bewußtsein verloren. Niemand ächzte oder bat um Gnade. Die einen hingen da, das Haupt auf den Arm gestützt oder auf die Brust gesenkt, wie schlafend; andere wie in Gedanken verloren, noch andere mit zum Himmel gerichtetem Blicke und leicht geöffnetem Munde. Über diesem furchtbaren Walde von Kreuzen, diesen angenagelten Leibern, diesen schweigenden Opfern brütete jedoch etwas Unheilverkündendes. Die Zuschauer, die satt und frohgelaunt den Zirkus lärmend wieder betreten hatten, schwiegen jetzt, da sie nicht wußten, auf welchen Körper sie zuerst die Blicke richten, und was sie überhaupt von diesem Schauspiel halten sollten. Die Nacktheit ausgespannter weiblicher Körper hatte ihre Anziehungskraft eingebüßt. Nicht einmal Wetten wurden abgeschlossen, wer zuerst sterben werde, während dies doch sonst geschah, wenn sich in der Arena eine auch noch so kleine Zahl von Verurteilten zeigte. Auch der Caesar schien sich zu langweilen, denn er saß mit abgewandtem Kopfe da und zog mit einem müden und schläfrigen Gesichtsausdruck seine Halskette zurecht.

Da schlug Crispus, der ihm gegenüber hing und die Augen eine Zeitlang wie ein Ohnmächtiger oder Sterbender geschlossen hatte, die Lider auf und betrachtete Nero.

Sein Gesicht überflog von neuem ein so unbarmherziger Ausdruck, und sein Blick flammte in solcher Glut, daß die Augustianer untereinander zu zischeln begannen und mit den [231] Fingern auf ihn wiesen. Schließlich wurde sogar der Caesar auf ihn aufmerksam und führte schwerfällig den Smaragd zum Auge.

Lautlose Stille trat ein. Die Augen der Zuschauer waren auf Crispus geheftet, der den rechten Arm zu bewegen versuchte, als wolle er ihn vom Balken wegreißen.

Nach einiger Zeit hob sich seine Brust, daß die Rippen hervortraten, und er rief: »Muttermörder! – wehe dir!«

Die Augustianer wagten kaum zu atmen, als sie diese tödliche Beschimpfung mit anhören mußten, die dem Herrscher der Welt in Gegenwart so vieler tausende angetan wurde. Chilon war halbtot. Der Caesar zitterte und ließ den Smaragd aus der Hand fallen.

Auch das Volk hielt den Atem in der Brust an. Crispus' Stimme hallte noch stärker durch das ganze Amphitheater: »Wehe dir, Mörder deines Weibes und deines Bruders, wehe dir, Antichrist! Die Hölle tut sich auf, dich zu verschlingen, der Tod streckt seine Hand nach dir aus, und das Grab wartet schon auf dich. Wehe dir, lebender Leichnam; in Entsetzen sollst du sterben und in alle Ewigkeit verflucht sein!«

Nicht imstande, die Hand vom Kreuze zu lösen, grauenhaft verzerrt, fürchterlich, schon im Leben einem Gerippe ähnlich, unerbittlich wie die Schicksalsgewalt, schüttelte er den weißen Bart gegen das Podium, auf dem Nero saß, während ihm zugleich infolge der Bewegung die Blätter des Rosenkranzes, den man ihn aufgesetzt hatte, herunterfielen.

»Wehe dir, Mörder! Das Maß ist übervoll, und deine Stunde naht!«

Er raffte sich noch einmal auf: eine Zeitlang schien es, als wolle er die Hand vom Kreuze wegreißen, um sie drohend gegen den Caesar zu schütteln; doch plötzlich verlängerten sich die fleischlosen Arme noch mehr, der Körper sank zusammen, das Haupt fiel auf die Brust hernieder: er war tot.

Inmitten jenes Waldes von Kreuzen begannen die Schwächsten bereits ihre Augen zum ewigen Schlummer zu schließen.

Neunundfünfzigstes Kapitel

[232] Neunundfünfzigstes Kapitel.

»Herr,« sagte Chilon, »das Meer ist jetzt so glatt wie Öl, und die Wogen scheinen zu schlafen. Wir wollen nach Achaja gehen. Dort erwartet dich der Ruhm Apollons, dort erwarten dich Ehrenkränze, Triumphe, dort wird dich die Bevölkerung vergöttern, und die Götter werden dich als gleichberechtigten Gast begrüßen, während du, Herr ...«

Er brach ab, denn seine Unterlippe begann so heftig zu zittern, daß seine Worte in ein unverständliches Gemurmel übergingen.

»Wir werden die Reise nach Beendigung der Spiele antreten,« erwiderte Nero. »Ich weiß, daß jetzt einige die Christen gar innoxia corpora 1 nennen. Ginge ich jetzt fort, würden alle dieses Wort wiederholen. Wovor fürchtest du dich, du Schwammherz?«

Er furchte die Brauen und sah Chilon mit fragendem Blick an, als erwarte er eine Antwort von ihm, denn seine Kaltblütigkeit war nur Verstellung. Bei der letzten Schaustellung hatten ihn Crispus' Worte erschreckt, und er hatte, als er nach dem Palatin zurückgekehrt war, vor Wut und Scham, aber auch zugleich aus Angst nicht schlafen können. Der abergläubische Vestinus, der dem Gespräche schweigend zugehört hatte, blickte sich jetzt um und sagte mit geheimnisvoller Stimme: »Höre auf die Worte dieses alten Mannes, Herr; mit diesen Christen ist es eine eigene Sache ... Ihr Gott erleichtert ihnen den Tod, aber er ist vielleicht rachsüchtig.«

»Nicht ich richte die Spiele aus, sondern Tigellinus,« entgegnete Nero.

»Gewiß, ich habe es getan,« erwiderte Tigellinus, der des Caesars Antwort gehört hatte. »Jawohl ich, und ich spreche allen Christengöttern Hohn. Vestinus, Herr, steckt [233] voller Aberglauben, und dieser tapfere Grieche will vor Angst sterben, wenn er eine Henne zur Verteidigung ihrer Jungen das Gefieder sträuben sieht.«

»Das ist richtig,« sprach Nero, »sorge aber dafür, daß man den Christen in Zukunft die Zunge ausschneide oder einen Knebel in den Mund stecke.«

»Das Feuer wird ihnen den Mund stopfen, Gottheit.«

»Wehe mir!« ächzte Chilon.

Der Caesar, dem Tigellinus' selbstbewußtes Auftreten Mut eingeflößt hatte, fing an zu lachen und sagte auf den alten Griechen deutend: »Schaut, so sieht ein Nachkomme Achilleus' aus.«

Wirklich sah Chilon schrecklich aus. Die wenigen Haare, die er noch auf dem Kopfe hatte, waren völlig weiß geworden; auf seinem Gesichte lag der Ausdruck einer namenlosen Unruhe, Angst und Schwermut. Zuweilen war er wie betäubt und halb geistesabwesend. Oft gab er auf Fragen keine Antwort, mitunter verfiel er wieder in Zorn und wurde dann so ausfallend, daß die Augustianer ihn lieber in Ruhe ließen.

Ein solcher Augenblick war jetzt für ihn gekommen.

»Macht mit mir, was ihr wollt, aber ich komme nicht mehr zu den Spielen,« rief er, verzweifelt die Hände ringend.

Nero sah ihn eine Weile an; dann wandte er sich an Tigellinus und sagte zu ihm: »Sorge dafür, daß dieser Stoiker in den Gärten in meiner Nähe ist. Ich will sehen, was für einen Eindruck unsere Fackeln auf ihn machen.«

Chilon erschrak über den drohenden Ton, in dem Nero dies gesagt hatte.

»Herr,« sagte er, »ich werde nichts unterscheiden können, denn ich kann bei Nacht nicht sehen.«

»Die Nacht wird taghell erleuchtet sein,« entgegnete der Caesar mit grimmigem Lächeln.

Dann wandte er sich zu den übrigen Augustianern und begann mit ihnen über die Wettrennen zu sprechen, die er nach den Spielen zu veranstalten gedachte.

[234] Petronius näherte sich Chilon und sagte, ihm auf die Schulter klopfend: »Habe ich es dir nicht gesagt? Du erträgst es nicht.«

»Ich möchte trinken,« entgegnete er.

Er ergriff mit zitternder Hand einen Becher Weins, war aber nicht imstande, ihn an die Lippen zu setzen. Vestinus, der dies bemerkte, reichte ihm den Becher; dann aber rückte er näher an ihn heran und fragte ihn mit einem Gemisch aus Neugier und Furcht: »Verfolgen dich die Furien?«

»Nein,« entgegnete Chilon; »aber es ist überall um mich her Nacht.«

»Wie, Nacht? ... Mögen die Götter sich deiner erbarmen! Wie, Nacht?«

»Fürchterliche, undurchdringliche Nacht, in der sich etwas bewegt und auf mich zukommt. Aber ich weiß nicht, was, und fürchte mich davor.«

»Ich bin stets überzeugt gewesen, daß es Zauberer gibt. Aber siehst du nichts im Traum?«

»Nein, ich kann nicht schlafen. Ich glaubte nicht, daß sie so bestraft würden.«

»Bedauerst du sie?«

»Weshalb vergießt ihr so viel Blut? Hast du gehört, was jener Mann vom Kreuze herab spracht? Wehe uns!«

»Ja, ich habe es gehört,« entgegnete Vestinus leise. »Aber es sind doch Mordbrenner.«

»Lüge!«

»Und Feinde des menschlichen Geschlechts!«

»Lüge!«

»Und sie vergiften die Brunnen.«

»Lüge!«

»Sie schlachten Kinder!«

»Lüge!«

»Wie?« fragte Vestinus erstaunt. »Du selbst hast es doch gesagt und sie Tigellinus' Händen überliefert!«

»Deshalb umgibt mich ja Nacht, und der Tod kommt [235] auf mich zu. Mitunter ist es mir, als sei ich schon tot, und ihr seiet es auch.«

»Nein! sie sind es, die sterben müssen; wir aber leben. Doch sage mir: was sehen sie im Tode?«

»Christus.«

»Ist dies ihr Gott? ist es ein mächtiger Gott?«

Chilon aber antwortete mit der Gegenfrage: »Was sind das für Fackeln, die in den Gärten brennen sollen? Hast du gehört, was der Caesar sagte?«

»Ich habe es gehört und weiß es. Man nennt siesarmentitii und semaxii. Man steckt sie in die peinliche Tunika, bestreicht sie mit Pech, kettet sie an Säulen und zündet ein Feuer unter ihnen an .... Wenn die Götter nur nicht ein Unglück über die Stadt verhängen! Semaxii! Das ist eine furchtbare Strafe.«

»Ich würde dies vorziehen, es fließt kein Blut dabei,« entgegnete Chilon. »Befiehl einem Sklaven, mir den Becher an den Mund zu halten. Ich möchte trinken, aber ich verschütte den Wein, da meine Hand vor Altersschwäche zittert ...«

Auch die anderen sprachen währenddessen über die Christen. Der alte Domitius Afer spottete über sie.

»Es gibt ihrer so viele,« sagte er, »daß sie einen Bürgerkrieg erregen könnten, und denkt euch, man fürchtete schon, sie könnten sich bewaffnen; aber sie lassen sich abschlachten wie Schafe.«

»Sie sollen es nur anders versuchen!« rief Tigellinus.

Hier nahm Petronius das Wort.

»Ihr irrt euch,« sagte er; »sie waffnen sich.«

»Womit?«

»Mit Geduld!«

»Eine neue Waffe!«

»Gewiß. Aber könnt ihr sagen, daß sie wie gemeine Verbrecher sterben? Nein! Sie sterben, als wären die die Verbrecher, die sie zum Tode verurteilen, das heißt, wir und das ganze römische Volk.«

[236] »Was für Unsinn!« rief Tigellinus.

»Hic Abdera!« 2 entgegnete Petronius.

Die anderen aber waren von der Richtigkeit jener Bemerkung betroffen, sahen sich erstaunt an und wiederholten: »Ja, es liegt etwas Befremdliches und Wunderbares in ihrem Tode.«

»Ich sage euch, sie sehen ihren Gott,« rief Vestinus.

Einige Augustianer wandten sich an Chilon.

»Nun Alter, du kennst sie ja genau; sage uns, was sehen sie denn?«

Der Grieche verschüttete den Wein auf seine Tunika und entgegnete: »Die Auferstehung.«

Und er begann so stark zu zittern, daß die näher sitzenden Gäste in lautes Gelächter ausbrachen.

Fußnoten

1 Unschuldige.

2 Sprichwörtliche Redensart, das ungefähr dem derben deutschen entspricht: »Hier nennt ein Esel den anderen Langohr.«

Sechzigstes Kapitel

Sechzigstes Kapitel.

Seit einiger Zeit brachte Vinicius die Nächte außer dem Hause zu. Petronius glaubte daher, er habe einen neuen Plan entworfen und arbeite an der Befreiung Lygias aus dem esquilinischen Gefängnisse, mochte ihn aber noch nicht danach fragen, um nicht den Erfolg des Unternehmens zu vereiteln. Der feingebildete Skeptiker war in gewissem Sinne abergläubisch geworden oder vielmehr, er hörte auf, an seinen Stern zu glauben, seitdem ihm die Befreiung des Mädchens aus dem unterirdischen mamertinischen Gefängnis mißlungen war.

Er rechnete überdies auch nicht auf ein Gelingen von Vinicius' Plänen. Das esquilinische Gefängnis, das in aller Eile aus den Kellern der Häuser gebildet worden war, die man, um das Feuer nicht weitergreifen zu lassen, niedergelegt hatte, war allerdings nicht so furchtbar wie das Tullianum beim Kapitol, aber dafür ungleich besser bewacht. Petronius [237] war überzeugt, daß man Lygia nur dorthin gebracht habe, damit sie nicht sterbe und so für das Amphitheater verloren gehe. Die Folgerung lag daher für ihn auf der Hand, daß man sie schon aus diesem Grunde so sorgfältig bewachen würde, wie ein Mensch seinen Augapfel hütet.

»Offenbar,« sagte er zu sich, »haben der Caesar und Tigellinus sie für ein besonderes Schauspiel bestimmt, das furchtbarer ist als alle anderen, und Vinicius geht eher selbst zugrunde, als daß er imstande ist, sie davor zu bewahren.«

Auch Vinicius verlor die Hoffnung, daß es ihm gelingen könne, Lygia zu befreien. Nur Christus konnte sie jetzt retten. Dem jungen Tribun kam es nur noch darauf an, sie im Gefängnisse besuchen zu können.

Seit einiger Zeit ließ ihm der Gedanke keine Ruhe, daß sich Nazarius als Leichenträger in das mamertinische Gefängnis Eingang verschafft habe, und er beschloß, den gleichen Weg einzuschlagen.

Der durch eine riesige Summe bestochene Aufseher der Leichengruben hatte ihn endlich unter die Zahl seiner Knechte aufgenommen, die allnächtlich die Leichen aus den Gefängnissen abzuholen hatten. Die Gefahr des Erkanntwerdens war in der Tat für Vinicius gering. Davor schützten ihn die Nacht, der Sklavenanzug und die schlechte Beleuchtung des Gefängnisses. Wer sollte auch auf den Gedanken verfallen, daß ein Patrizier, dessen Großvater und Vater Konsuln gewesen waren, unter die Leichenträger ginge, sich den Ausdünstungen der Gefängnisse und Leichengruben aussetzte und eine Arbeit übernähme, zu der nur Knechtschaft oder die bitterste Not jemand zwingen konnte!

Sobald aber der ersehnte Abend kam, band er sich mit Freuden einen Schurz um die Hüften, verhüllte das Haupt mit einem in Terpentin getränkten Tuche und begab sich klopfenden Herzens mit den übrigen Knechten nach dem Esquilin.

Die Prätorianerwachen machten ihnen keine Schwierigkeiten; [238] denn alle waren mit den erforderlichen Tesserae versehen, die der Centurio beim Schein einer Laterne prüfte. Nach kurzer Zeit öffneten sich die schweren eisernen Tore, und sie traten ein.

Vinicius erblickte vor sich einen weiten, gewölbten Keller, aus dem man in eine Reihe anderer gelangte. Trüber Lichtschein erhellte den Raum, der voller Menschen war. Einige von ihnen lehnten an den Wänden, und es war zweifelhaft, ob sie schliefen oder tot waren. Andere standen um große in der Mitte befindliche Wasserbehälter herum, aus denen sie tranken, um ihren Fieberdurst zu löschen, noch andere saßen auf der Erde, die Ellbogen auf die Kniee gestützt, die Hände vor das Gesicht geschlagen; hier und da schliefen Kinder dicht an ihre Mütter geschmiegt. Ringsherum vernahm man bald Stöhnen und das schwere Atemholen der Kranken, bald Weinen, bald leises Beten oder halblaut gesungene Hymnen, bald die Flüche der Aufseher. Leichengeruch und die Ausdünstungen der Menschenmenge verpesteten die Luft in dem unterirdischen Raume. Weiter ins Innere hinein wimmelte es von schwarzen Gestalten; in der Nähe aber sah man bei dem flackernden Lichtschein blasse, abgezehrte, eingefallene, verhungerte Gesichter mit trüben oder fieberglänzenden Augen, blauen Lippen, Schweißtropfen auf der Stirn und zusammengeklebten Haaren. In den Ecken jammerten die Kranken laut, andere riefen nach Wasser, noch andere verlangten, zum Tode geführt zu werden. Und doch war dieses Gefängnis weniger schrecklich als das alte Tullianum. Vinicius wankten die Kniee bei diesem Anblick, und der Atem in der Brust stockte ihm. Bei dem Gedanken, Lygia befinde sich inmitten dieses Jammers und Elends, sträubten sich ihm die Haare, und in der Brust erstarb ihm der Verzweiflungsschrei. Das Amphitheater, der Rachen der wilden Tiere, die Kreuze – alles war diesen schrecklichen, unterirdischen, mit Leichengeruch erfüllten Räumen vorzuziehen, in denen aus allen Ecken flehende Menschenstimmen ertönten: »Führt uns zum Tode!«

[239] Vinicius grub sich die Nägel in die Handflächen, denn er fühlte, daß er schwach werde, und fürchtete, das Bewußtsein zu verlieren. Alles, was er bisher erlebt hatte, alle Liebe und alles Leid, erweckte in ihm den einzigen Wunsch, zu sterben.

Da ließ sich dicht neben ihm die Stimme des Aufsehers der Leichengruben vernehmen: »Wieviele Leichen habt ihr heut?«

»Etwa ein Dutzend,« antwortete der Gefängniswärter; »aber bis zum Morgen werden es mehr sein, denn schon jetzt lehnen einige an den Wänden.«

Und er begann auf die Frauen zu schelten, daß sie ihre toten Kinder versteckten, um sie noch länger bei sich zu behalten und sie so lange wie möglich vor den Leichengruben zu bewahren. Man müsse die Leiche erst durch den Geruch entdecken, wodurch die Luft, die schon an sich fürchterlich sei, noch mehr verpestet werde. »Ich wollte lieber,« sagte er, »Sklave in einem Gefängnis auf dem Lande sein als diese bei lebendigem Leibe verhungernden Hunde überwachen.« Der Grubenaufseher tröstete ihn durch die Versicherung, sein Dienst sei auch nicht angenehmer. Währenddessen war Vinicius seine Geistesgegenwart zurückgekehrt, und er begann sich in dem Kerker umzusehen, ohne jedoch Lygia entdecken zu können, so daß er schon daran verzweifelte, sie in diesem Leben noch einmal wiederzusehen. Das Gefängnis bestand aus mehreren Kellern, die durch neu angelegte Gänge miteinander verbunden waren; doch durften Leichenträger nur die Räume betreten, aus denen man Tote holen mußte. Er bemerke daher mit Schrecken, daß das, was ihm so viele Mühe gekostet hatte, vielleicht ganz zwecklos sein könne.

Zum Glück kam ihm jedoch sein Arbeitgeber zu Hilfe.

»Die Leichen müssen sofort hinausgetragen werden,« sagte er; »denn ansteckende Krankheiten verbreiten sich am ehesten durch Leichen. Sonst sterbt ihr samt den Gefangenen.«

»Wir sind nur unser zehn für sämtliche Keller,« erwiderte [240] der Gefängniswärter, »und wir müssen doch auch schlafen.«

»Ich will vier meiner Leute hier lassen, die in der Nacht in den Kellern umhergehen und nachsehen können, ob nicht jemand gestorben ist.«

»Ich gebe morgen etwas zum besten, wenn du das tust. Jede Leiche muß einer Probe unterzogen werden, denn wir haben Befehl, den Toten in den Hals zu stechen, und dann sofort mit ihnen in die Gruben!«

»Gut; wir werden also miteinander trinken,« entgegnete der Aufseher.

Dann suchte er vier Leute aus, unter denen sich auch Vinicius befand; den übrigen befahl er, die Leichen auf die Bahren zu legen.

Vinicius atmete auf. Jetzt wenigstens war er sicher, Lygia zu finden.

Zunächst begann er sorgfältig den ersten Keller zu durchforschen. Er blickte in alle dunklen Winkel, in die zwar das Laternenlicht nicht drang, betrachtete die an den Wänden unter groben Decken schlafenden Gestalten, suchte unter den Schwerkranken, die in einer besonderen Ecke zusammenlagen, konnte jedoch Lygia nirgends entdecken. Auch im zweiten und dritten Keller verlief das Suchen ohne Erfolg.

Mittlerweile war es spät geworden, und die Leichen waren schon hinausgebracht. Die Wärter begaben sich in die zwischen den Kellern liegenden Gänge und schliefen bald ein, die vom Weinen ermüdeten Kinder schwiegen, und in dem ganzen unterirdischen Gefängnis war nichts zu hören als schwere Atemzüge und hier und da noch ein Murmeln von Gebeten.

Vinicius ging mit seiner Laterne in den vierten, bedeutend kleinern Keller und begann, das Licht emporhebend, sich darin umzusehen.

Plötzlich erzitterte er, denn es war ihm, als erblicke er unter einer vergitterten Maueröffnung Ursus' riesige Gestalt.

[241] Die Laterne auslöschend, näherte er sich ihm und fragte: »Bist du es, Ursus?«

Der Riese wandte sich um.

»Wer bist du?«

»Erkennst du mich nicht?« fragte der junge Mann.

»Du hast die Laterne gelöscht, wie kann ich dich da erkennen?«

In diesem Augenblicke sah Vinicius Lygia an der Wand auf einem Mantel liegen und warf sich, ohne ein Wort zu sprechen, vor ihr auf die Kniee.

Jetzt erkannte ihn Ursus und sagte: »Gepriesen sei Christus! Aber wecke sie nicht auf, Herr!«

Vinicius betrachtete sie, auf den Knieen liegend, tränenden Auges. Trotz der Dunkelheit konnte er ihr Gesicht, das ihm weiß wie Alabaster schien, sowie ihre abgemagerten Arme erblicken. Und bei diesem Anblick erfaßte ihn die Liebe, die aber zugleich mit dem wütendsten Schmerze Ähnlichkeit besaß, mit solcher Gewalt, daß sie sein Wesen bis in seine tiefsten Tiefen erschütterte; zugleich aber war dieses Gefühl mit soviel Erbarmen, Hochachtung und Verehrung verknüpft, daß er auf sein Antlitz fiel und seinen Mund auf den Saum des Mantels zu pressen begann, auf dem das ihm über alles teure Haupt ruhte.

Ursus sah ihm eine Zeitlang schweigend zu; endlich zupfte er ihn jedoch an der Tunika.

»Herr,« fragte er, »wie bist du hereingelangt, und kommst du, sie zu retten?«

Vinicius erhob sich und kämpfte noch eine Zeitlang mit seiner Rührung.

»Nenne mir ein Mittel!« sagte er.

»Ich glaubte, du würdest eins finden, Herr. Mir fiel nur eins ein ...«

Er wandte den Kopf nach der vergitterten Öffnung, dann fuhr er wie im Selbstgespräche fort: »Ja! ... Aber draußen stehen Soldaten.«

[242] »Hundert Prätorianer,« erwiderte Vinicius.

»Wir kommen also nicht durch!«

»Nein.«

Der Lygier preßte die Hand gegen die Stirn und fragte abermals: »Wie bist du hereingekommen?«

»Ich habe eine Tessera vom Aufseher der Leichengruben erhalten.«

Plötzlich hielt er inne, als sei ihm ein Gedanke durch den Kopf geblitzt.

»Beim Leiden des Erlösers,« begann er rasch. »Ich will hier bleiben, sie soll meine Tessera nehmen, ihren Kopf mit einem Tuche umwickeln, einen Mantel um die Schultern schlagen und hinausgehen. Unter den Leichenträgern befindet sich eine Anzahl halbwüchsiger Knaben; die Prätorianer werden sie also nicht erkennen, und befindet sie sich einmal in Petronius' Hause, so ist sie gerettet!«

Doch der Lygier senkte den Kopf auf die Brust und erwiderte: »Sie würde nicht darein willigen, denn sie liebt dich; zudem ist sie krank und kann sich aus eigener Kraft nicht auf den Füßen halten.«

Nach einer Weile fuhr er fort: »Wenn du, Herr, und der edle Petronius sie nicht aus dem Kerker zu befreien imstande seid, wer kann sie dann retten!«

»Nur Christus! ...«

Beide schwiegen. Der Lygier dachte in seinem schlichten Verstande bei sich selbst: Er könnte alle retten; da er es aber nicht tut, so kann man daraus sehen, daß die Stunde der Marter und des Todes gekommen ist. Er fügte sich für seine Person in sein Los, aber dieses Kind, das er auf seinen Armen gewiegt hatte und das er mehr liebte als sein Leben, dauerte ihn in tiefster Seele.

Vinicius hatte sich wiederum vor Lygia aufs Knie geworfen. Durch das vergitterte Fenster fielen die Strahlen des Mondes in das unterirdische Gemach und erleuchteten es heller als die eine Laterne, die noch oberhalb der Tür flackerte.

[243] Jetzt schlug Lygia die Augen auf und legte ihre glühend heiße Hand auf Vinicius Arm und sagte: »Ich sehe dich; – ich wußte, daß du kommen würdest.«

Er ergriff ihre Hände und drückte sie an seine Stirn und sein Herz; dann erhob er die Kranke ein wenig von ihrem Lager und preßte sie an seine Brust.

»Ich bin gekommen, Geliebte,« sprach er. »Möge dich Christus beschützen und retten, meine teure Lygia!«

Er konnte nicht weitersprechen, denn das Herz wallte ihm in der Brust über vor Liebe und Weh; allein er wollte ihr seinen Schmerz nicht zeigen.

»Ich bin krank, Marcus,« sagte Lygia, »und muß entweder in der Arena oder hier im Gefängnisse sterben ... Aber ich habe um die Gnade gebetet, dich vorher noch einmal sehen zu dürfen, und du bist gekommen. Christus hat mich erhört!«

Und da er noch keine Worte finden konnte, sondern sie nur sprachlos an seine Brust drückte, fuhr sie fort: »Ich habe dich öfters durch das Fenster vor dem Tullianum gesehen und wußte, daß du zu mir kommen wolltest. Und jetzt hat mir der Erlöser für einen Augenblick das Bewußtsein wiedergeschenkt, damit wir Abschied voneinander nehmen können. Ich sehe den Heiland schon, Marcus, aber ich liebe dich und werde dich stets lieben.«

Vinicius beherrschte sich, suchte den Schmerz, der in ihm wühlte, zu unterdrücken und sprach mit einer Stimme, die er sich bemühte, ruhig erscheinen zu lassen: »Nein Geliebte! du wirst nicht sterben. Der Apostel hieß mich glauben und versprach, für dich zu beten. Er kannte Christus, Christus liebte ihn und wird ihm nichts verweigern ... Müßtest du sterben, so hätte Petrus mir nicht befohlen zu vertrauen, aber er hat gesagt: Vertraue! – Nein, Lygia, Christus wird sich über mich erbarmen ... Er will nicht deinen Tod, er wird ihn nicht zulassen ... Ich schwöre dir im Namen des Heilands, Petrus betet für dich!«

[244] Sie schwiegen. Die einzige Kerze über der Tür erlosch; aber dafür drangen die Strahlen des Mondes durch die ganze Breite des Fensters. In der gegenüber liegenden Ecke des Kellers weinte ein Kind und wurde dann still. Draußen erklangen nur die Stimmen der Prätorianer, welche nach Ablösung der Wache am Fuße der Mauer scriptae duodecim spielten.

»Lieber Marcus,« erwiderte Lygia, »Christus selbst hat zum Vater gerufen: Laß diesen bitteren Kelch an mir vorübergehen, und dennoch mußte er ihn trinken. Christus selbst starb am Kreuze, und jetzt gehen tausende für ihn in den Tod – warum sollte er da mich allein schonen wollen? Wer bin ich denn, Marcus? Ich hörte, wie Petrus sagte, auch er werde unter Martern sterben, und was bin ich im Vergleiche zu ihm? Als die Prätorianer uns abholten, fürchtete ich den Tod und die Qual, aber jetzt fürchte ich sie nicht mehr. Sieh, wie schrecklich ist nicht dieses Gefängnis, aber ich gehe in den Himmel. Bedenke, daß hier der Caesar herrscht und dort der Heiland, voller Güte und Erbarmen. Dort gibt es keinen Tod. Du liebst mich; daher bedenke, wie selig ich sein werde. Ach, mein teurer Marcus, bedenke doch auch, daß du mich dort wiedersiehst.«

Sie schwieg, um mit ihrer kranken Brust Atem zu schöpfen, dann führte sie seine Hand an ihre Lippen: »Marcus?«

»Was wünschest du, Geliebte?«

»Weine nicht um mich, und bedenke, daß du dort oben wieder mit mir vereinigt wirst. Mein Leben war kurz, aber Gott hat mir deine Seele geschenkt. Ich möchte Christus sagen, daß, obgleich ich starb und du bei meinem Tode zugegen warst, du trotz deines Schmerzes dich doch nie gegen seinen Willen auflehntest und ihn stets lieben willst. Aber wirst du ihn auch lieben und meinen Tod geduldig ertragen? Dann wird er uns vereinen. Ich liebe dich und möchte stets um dich sein ...«

Wiederum ging ihr der Atem aus, und mit kaum[245] vernehmbarer Stimme schloß sie: »Versprich mir dies, lieber Marcus!«

Vinicius umschlang sie mit zitternden Armen und entgegnete: »Bei deinem heiligen Haupte! – ich gelobe es!«

Ihr Antlitz strahlte vor Glück im bleichen Scheine des Mondes. Noch einmal führte sie seine Hand an ihre Lippen und flüsterte: »Ich bin dein Weib! ...«

Jenseit der Kerkermauern wurden die Stimmen der»scriptae duodecim« spielenden Wachen immer lauter; die beiden aber vergaßen das Gefängnis, die Wachen, die ganze Welt, sie empfanden Himmelsseligkeit in ihrem Innern und begannen zu beten.

Einundsechzigstes Kapitel

Einundsechzigstes Kapitel.

Drei Tage oder vielmehr drei Nächte hindurch störte nichts ihren Frieden. Sobald die gewöhnlichen Gefängnisarbeiten, die in der Absonderung der Toten von den Lebenden sowie in der Trennung der Schwerkranken von den Gesunden bestanden, getan waren, sobald sich die ermüdeten Wärter in den Gängen schlafen gelegt hatten, kam Vinicius in das unterirdische Gelaß, in dem sich Lygia befand, und blieb dort, bis der Morgen durch das Gitterfenster hereindämmerte. Sie lehnte ihr Haupt an seine Brust, und mit leiser Stimme sprachen sie von ihrer Liebe und vom Tode. Unbewußt lösten sich beide im Denken und Sprechen, ja selbst in ihren Wünschen und Hoffnungen mehr und mehr vom irdischen Leben ab und verloren den Sinn dafür. Beide glichen Menschen, die in einem Boote vom Lande abgestoßen sind, das Ufer aus den Augen verlieren und langsam in die Unendlichkeit hinaussteuern. Beide wurden allmählich zu ernstgestimmten Seelen, die einander und Christus lieb gewonnen hatten und bereit waren, abzuscheiden. Nur ab und zu erhob sich orkanartig in Vinicius' Seele der Schmerz, ab und zu flammte die Hoffnung in ihm auf gleich einem Blitze, [246] im Verein mit der Liebe und dem Glauben an den gekreuzigten Gottes sohn. Aber jeden Tag riß auch er sich immer mehr von der Erde los und bereitete sich zum Tode. Wenn er des Morgens das Gefängnis verließ, betrachtete er die Welt, die Stadt, seine Bekannten und die Angelegenheiten des täglichen Lebens wie durch einen Traumschleier hindurch. Alles erschien ihm fremd, entlegen, eitel und nichtig. Selbst die Drohung mit der Marter hatte aufgehört, ihn zu schrecken, da er das Bewußtsein hatte, sie sei etwas, was in innerer Sammlung und mit auf ein anderes Ziel gerichtetem Blicke erduldet werden könne. Beiden war es, als täte vor ihnen schon die Ewigkeit ihre Pforten auf. Sie sprachen von ihrer Liebe, davon, wie Leben und Liebe für sie eins sein würden, aber erst jenseit des Grabes, und wenn zuweilen ihre Gedanken zu den Dingen dieser Welt zurückkehrten, so waren dies nur Gedanken von Menschen, die eine weite Reise antreten wollen und nun von den Vorbereitungen dazu sprechen. Zudem umgab sie eine so tiefe Stille wie zwei in der Wüste stehende vergessene Säulen. Nur die eine Furcht beschlich sie, Christus könne sie trennen wollen; diese Besorgnis schwand aber mehr und mehr, und deshalb liebten sie ihn wie das Glied einer Kette, das sie in ewiger Seligkeit und ewigem Frieden vereine. Obgleich sie noch auf Erden weilten, fiel der Erdenstaub von ihnen ab. Ihre Seelen wurden so rein wie Tauperlen. Unter den Schrecken des Todes, umgeben von Jammer und Elend, in dieser Kerkerhöhle begann für sie der Himmel; Lygia hatte ihren Verlobten an der Hand gefaßt und leitete ihn, selbst erlöst und geheiligt, hinauf zu der ewigen Lebensquelle.

Petronius war erstaunt, auf Vinicius' Antlitz einen immer tieferen Frieden und einen wunderbaren Glanz zu erblicken, den er früher nie wahrgenommen hatte. Manchmal geriet er auf die Vermutung, Vinicius habe einen neuen Rettungsweg entdeckt, und es war für ihn ein bitteres Gefühl, daß dieser ihn in sein Vorhaben nicht einweihen wolle.

[247] Endlich konnte er nicht mehr an sich halten und sagte zu ihm: »Du siehst jetzt ganz anders aus; habe keine Geheimnisse vor mir, denn ich will und kann dir helfen. Hast du etwas erreicht?«

»Ja, ich habe etwas erreicht,« entgegnete Vinicius; »aber du kannst mir nicht mehr helfen. Nach ihrem Tode will auch ich mich als Christen bekennen und ihr folgen.«

»Du hast also keine Hoffnung?«

»Im Gegenteil. Christus wird mir Lygia geben, und ich werde mich dann nie mehr von ihr trennen müssen.«

Petronius ging im Atrium auf und ab, ein Ausdruck der Enttäuschung und Ungeduld lag auf seinen Zügen; dann sagte er: »Dazu bedarf es nicht eures Christus; unser Thanatos kann dir denselben Dienst leisten.«

Vinicius lächelte trübe und entgegnete: »Nein, mein Lieber, das willst du nicht verstehen.«

»Ich will und kann nicht,« antwortete Petronius. »Es ist jetzt keine Zeit zu Erörterungen, aber erinnerst du dich an das, was du sagtest, als es uns nicht gelungen war, Lygia aus dem Tullianum zu befreien? Ich hatte alle Hoffnung verloren, du aber sagtest, während wir nach Hause zurückkehrten: Und doch glaube ich, daß Christus sie mir wiedergeben kann. Nun soll er sie dir wiedergeben. Wenn ich einen kostbaren Becher in das Meer werfe, so kann ihn mir keiner von unseren Göttern zurückbringen; ist euer Gott nicht mächtiger, so weiß ich nicht, warum man ihn mehr verehren soll als die alten Götter.«

»Er wird sie mir schon wiedergeben,« erwiderte Vinicius.

Petronius zuckte die Achseln.

»Weißt du,« fragte er, »daß die Christen morgen des Caesars Garten werden erleuchten müssen?«

»Morgen?« wiederholte Vinicius.

Und angesichts der drohenden, entsetzlichen Wirklichkeit erbebte er doch in seinem Inneren vor Schmerz und Grauen. Er glaubte, die letzte Nacht sei gekommen, die er noch bei [248] Lygia zubringen könne, er verabschiedete sich daher von Petronius und eilte zum Aufseher der Puticuli, um sich seine Tessera zu holen.

Hier aber wartete seiner eine Enttäuschung, denn der Aufseher wollte ihm keine Marke geben.

»Verzeihe, Herr,« sagte er. »Ich habe für dich getan, was ich konnte, aber ich kann mein Leben nicht dransetzen. Heut nacht werden die Christen nach den Gärten des Caesars gebracht. Das Gefängnis wird dann von Soldaten und Beamten wimmeln. Wenn man dich erkennt, bin ich samt meinen Kindern des Todes.«

Vinicius sah ein, daß weiteres Drängen zwecklos sei. Doch hoffte er, die Soldaten, die ihn von früherher kannten, würden ihn auch ohne Marke einlassen, und begab sich daher bei Einbruch der Nacht, wie gewöhnlich in seine Trägertunika gehüllt und mit dem Tuche um den Kopf, zum Gefängnistore.

An diesem Tage wurden jedoch die Marken mit noch größerer Sorgfalt geprüft als gewöhnlich, und unglücklicherweise erkannte ihn noch dazu der Centurio Scaevinus, ein strammer, dem Caesar mit Leib und Seele ergebener Soldat.

Offenbar war aber in seiner eisengepanzerten Brust noch nicht jedes Fünkchen Mitleid mit dem Schmerze anderer erloschen, denn anstatt zum Zeichen des Alarms mit dem Speere auf den Schild zu schlagen, nahm er Vinicius beiseite und sagte ihm: »Geh nach Hause, Herr. Ich habe dich erkannt, will aber schweigen, da ich dich nicht ins Verderben stürzen möchte. Ich darf dich nicht einlassen; geh nach Hause, und mögen die Götter dir Trost spenden!«

»Du darfst mich nicht einlassen,« entgegnete Vinicius; »aber erlaube mir, hier stehen zu bleiben, um zu sehen, wer alles abgeführt wird.«

»Das ist nicht gegen meinen Befehl,« antwortete Scaevinus.

Vinicius stellte sich ans Tor, um die Abführung der Verurteilten abzuwarten. Endlich gegen Mitternacht öffneten sich [249] die Tore des Gefängnisses weit, und heraus strömten ganze Scharen Gefangener, Männer, Frauen und Kinder, umgeben von bewaffneten Prätorianerabteilungen. Die Nacht war ganz hell – der Vollmond stand am Himmel – so daß man nicht nur die Gestalten, sondern auch die Gesichtszüge der Unglücklichen erkennen konnte. Die Gefangenen gingen paarweise, ein langer, düsterer Zug; die Stille wurde nur von dem Klirren der Waffen unterbrochen. Es wurden so viele abgeführt, daß es den Anschein hatte, als seien sämtliche Kerker geleert.

Am Ende des Zuges bemerkte Vinicius den Arzt Glaukos; aber weder Lygia noch Ursus waren unter den Verurteilten.

Zweiundsechzigstes Kapitel

Zweiundsechzigstes Kapitel.

Der Abend war noch nicht hereingebrochen, als sich die ersten Volksmassen in die Gärten des Caesars hineinzuwälzen begannen. Festlich gekleidet, bekränzt, ausgelassen, singend, zum Teil betrunken, wollte sich die Menge das neue, prächtige Schauspiel betrachten. Die Rufe: »Semaxii, sarmentitii!« erschollen auf der Via Tecta, der Ämilischen Brücke, auf dem jenseitigen Tiberufer, auf der Triumphstraße, in der Nähe des Neronischen Zirkus bis hinauf zu den Vatikanischen Hügeln. Man hatte zwar schon früher in Rom Menschen an Pfählen verbrennen sehen, aber noch nie war eine solche Anzahl Verurteilter beisammen gewesen.

Der Caesar und Tigellinus wollten mit den Christen ein Ende machen und zugleich die Ausdehnung der Ansteckung, die sich aus den Gefängnissen immer weiter in der Stadt verbreitete, verhüten. Sie hatten daher den Befehl gegeben, sämtliche Kerker zu leeren, so daß nur noch verhältnismäßig wenige für den Schluß der Spiele bestimmte Verurteilte zurückblieben. Staunen ergriff die Menge beim Eintritt in die Gärten. In allen Haupt- und Seitenalleen, die zwischen Baumgruppen, Rasenflächen, Inseln, Teichen, Fischbehältern, [250] Blumenbeeten dahinliefen, standen dichtgedrängt mit Pech bestrichene Pfähle, an denen Christen festgebunden waren. An höher gelegenen Punkten, wo keine Bäume die Aussicht versperrten, konnte man ganze Reihen von Pfählen und menschlichen Körpern erblicken, die mit Blumen, Myrtenzweigen und Efeu bekränzt waren und sich in der Ferne verloren, über Hügel und Täler hinweg, so daß Pfähle, die in der Nähe Schiffsmasten glichen, sich in der Ferne wie farbige in die Erde gesteckte Thyrsosstäbe oder Wurfspieße ausnahmen. Ihre Anzahl überstieg die Erwartungen des Volkes. Man hätte glauben können, ein ganzes Volk sei zu Ehren Roms und des Caesars an Pfähle gebunden. Die Scharen der Zuschauer machten vor einzelnen Pfählen Halt, je nachdem die Gestalt, das Alter oder das Geschlecht der Opfer die Aufmerksamkeit fesselte, betrachteten die Gesichter, die Kränze, die Efeugewinde und gingen dann weiter und weiter, sich erstaunt fragend: »Konnte es soviel Verbrecher geben, und wie konnten Kinder, die kaum zu gehen imstande sind, Rom in Brand stecken?« Und zum Staunen gesellte sich nach und nach eine gewisse Unruhe.

Inzwischen war es dunkel geworden, und am Himmel zeigten sich die ersten Sterne. Vor jedem Verurteilten stand ein Sklave mit einer brennenden Fackel in der Hand, und sobald Trompetenstöße in den verschiedenen Abteilungen der Gärten als Zeichen zum Beginn des Schauspiels ertönten, legten alle ihre Fackeln an den Fuß der Pfähle.

Das unter Blumen versteckte und mit Pech getränkte Stroh brannte sofort mit heller Flamme, die, rasch um sich greifend, die Efeuzweige versengte, in die Höhe loderte und die Füße der Opfer ergriff. Die Menge schwieg, während die Gärten von furchtbarem Stöhnen und von Schmerzensschreien widerhallten. Einige der Opfer jedoch hoben ihr Haupt zum gestirnten Himmel empor und begannen zu Christi Ehre zu singen. Das Volk lauschte. Selbst die fühllosesten Seelen ergriff Entsetzen, wenn von den kleineren Masten herab Kinder [251] mit herzzerreißender Stimme riefen: »Mutter, Mutter!« und ein Zittern überlief selbst die Betrunkenen beim Anblicke der Köpfchen und unschuldigen, schmerzverzerrten Gesichter der vom erstickenden Rauche ohnmächtig gewordenen Kleinen. Die Flammen schlugen in die Höhe und setzten immer mehr Rosen- und Efeukränze in Brand. Haupt- und Nebenalleen, Baumgruppen und Rasenflächen, die Blumenbeete wurden von der Glut bestrahlt, das Wasser in den Fischbehältern und Teichen spiegelte den Feuerschein wider, das Laub auf den Bäumen erglänzte in rötlichem Lichte, und in den Gärten war es hell wie am Tage. Bald erfüllte der Geruch verbrannten Fleisches die Luft, aber in demselben Augenblicke begannen Sklaven in eigens zu diesem Zwecke zwischen den Pfählen aufgestellten Räucherbecken Myrrhen und Aloe zu streuen. Hier und da ertönten Rufe aus der Menge, man wußte nicht, ob vor Mitleid oder vor Jubel und Entzücken, und verstärkten sich mit der zunehmenden Gewalt der Flammen, die die Pfähle umhüllten, den Opfern bis an die Brust reichten, mit ihrem feurigen Atem das Haar auf ihren Köpfen versengten, einen Schleier über ihre geschwärzten Gesichter warfen und endlich über ihren Häuptern zusammenschlugen, als wollten sie den Sieg und Triumph der Macht verkünden, die den Befehl gegeben hatte, sie anzufachen.

Gleich beim Beginne des Schauspiels war der Caesar auf einer von vier Schimmelhengsten gezogenen prachtvollen Zirkusquadriga mitten unter dem Volke erschienen, in der Tracht eines Wagenlenkers in der Farbe der Partei der Grünen, zu der er und der gesamte Hof gehörten. Ihm folgten andere Wagen mit Höflingen in glänzenden Gewändern, Senatoren, Priestern, nackten Bakchantinnen mit Weinlaub auf dem Kopfe und Weinkrügen in den Händen, zum Teil betrunken und wilde Schreie ausstoßend. Neben ihnen schritten als Faune und Satyrn verkleidete Musikanten einher und spielten auf Lauten, Phormingen, Pfeifen und Hörnern. Auf anderen Wagen saßen römische Matronen und Mädchen, gleichfalls [252] betrunken und halb nackt. Um die Wagen herum sprangen Gaukler mit Thyrsosstäben, andere schlugen Trommeln, noch andere streuten Blumen auf den Weg. Dieser ganze glänzende Zug bewegte sich unter Evoerufen inmitten des Rauches und der lebenden Fackeln durch den Garten von einem Ende zum anderen. Nero, der sich von Tigellinus und Chilon begleiten ließ und sich am Entsetzten des letzteren erlustigen wollte, lenkte die Rosse selbst. Im Schritte fahrend, betrachtete er mit Wohlgefallen die brennenden Körper und lauschte den Beifallsrufen des Pöbels. Auf der hohen vergoldeten Quadriga stehend, umgeben von einer zahllosen Menge von Menschen, die sich vor ihm bis zur Erde neigten, im Scheine des Feuers, mit dem goldenen Kranze des Zirkussiegers überragte er um Haupteslänge die Höflinge, das Volk und machte den Eindruck eines Riesen. Seine übermäßig langen, zum Halten der Zügel vorgestreckten Arme schienen das Volk zu segnen. Auf dem Gesichte und in den blinzelnden Augen lag ein Lächeln; er glänzte hoch über der Menge wie die Sonne oder wie ein Gott, furchtbar, aber hoheits- und machtvoll.

Bisweilen hielt er an, um sich eine Jungfrau, deren Busen unter den Flammen einzuschrumpfen begann, oder das konvulsivisch verzerrte Gesicht eines Kindes näher zu betrachten; dann fuhr er weiter, hinter sich das lärmende, tobende Gefolge. Mitunter verneigte er sich vor dem Volk, dann wieder zog er, sich zurückbeugend, die goldenen Zügel an und sprach mit Tigellinus. Endlich bei der großen Fontäne angekommen, die sich inmitten zweier sich kreuzenden Wege erhob, sprang er von der Quadriga, gab seinem Gefolge einen Wink und mischte sich unter die Menge.

Laute Beifallsrufe empfingen ihn. Bakchantinnen, Nymphen, Senatoren, Augustianer, Priester, Faune, Satyrn und Prätorianer umringten ihn in tollem Gedränge, während er zwischen Tigellinus auf der einen und Chilon auf der anderen Seite weiterging, die Fontäne, um die herum zwanzig [253] bis dreißig Fackeln loderten, umschritt, bei jeder stehen bleibend, und Bemerkungen über die Opfer machte oder über den alten Griechen spöttelte, auf dessen Gesicht sich grenzenloses Entsetzen malte.

Endlich blieben sie vor einem hohen, mit Myrten und Winden umrankten Maste stehen. Die roten Flammenzungen hatten erst die Kniee des Opfers erreicht, doch war sein Gesicht nicht zu erkennen, da die hell brennenden Blätter es in Rauch hüllten. Nach einiger Zeit trieb jedoch der leichte Nachtwind den Rauch beiseite, so daß ein greises Haupt mit grauem, bis auf die Brust herabwallendem Barte sichtbar wurde.

Bei diesem Anblicke krümmte sich Chilon wie eine verwundete Schlange zusammen, und aus seinem Munde drang ein Schrei, der mehr einem Krächzen als einer menschlichen Stimme glich: »Glaukos! Glaukos! ...«

In der Tat schaute von dem brennden Pfahle der Arzt Glaukos auf ihn herab.

Er lebte noch. Sein Antlitz war vornübergebeugt, als wolle er zum letztenmal seinen Henker sehen, der ihn verraten, ihm Weib und Kinder geraubt, ihn Mördern in die Hände gespielt, und nachdem ihm dies alles im Namen Christi vergeben war, ihn den Henkersknechten überantwortet hatte. Wohl nie hatte ein Mensch dem anderen furchtbareres und blutigeres Herzeleid zugefügt. Und jetzt loderte das Opfer auf dem pechbestrichenen Pfahle, und sein Henker stand an dessen Fuße. Glaukos' Augen hingen unverwandt an Chilons Zügen. Bisweilen wurden sie vom Rauche verhüllt; wenn jedoch der Wind diesen zerteilte, sah Chilon von neuem jene Augensterne auf sich gerichtet. Er erhob sich und wollte fliehen, vermochte es aber nicht. Es war ihm mit einem Mal, als seien seine Füße von Blei und als hielte ihn eine unsichtbare Hand mit übermenschlicher Kraft an diesem Pfahle fest. Er war wie versteint. Er fühlte nur, daß etwas in ihm überwallte, daß etwas in ihm aufstieg, daß es genug sei [254] der Qualen und des Blutes, daß das Ende seines Lebens gekommen sei, daß alles um ihn herum verschwinde: der Caesar, der Hof, die Menge, daß ihn eine grenzenlose, furchtbare, schwarze Öde umgebe, in der nur jene Augen des Gemarterten sichtbar waren, die ihn zum Gerichte riefen. Und dieser neigte sein Haupt tiefer und tiefer und sah ihn unverwandt an. Die Anwesenden errieten, daß zwischen diesen beiden Männern etwas Bedeutungsvolles vorging; aber das Lachen erstarb ihnen auf den Lippen, denn das Gesicht Chilons zeigte einen wahrhaft entsetzlichen Ausdruck: es packte ihn ein Grauen und eine Qual, als ob jene feurigen Zungen seinen eigenen Leib verzehrten. Plötzlich taumelte er, reckte die Arme empor und schrie mit furchtbarer, herzzerreißender Stimme: »Glaukos, im Namen Christi, vergib mir!«

Ringsherum war es totenstill; ein Zittern überlief die Umstehenden, und aller Augen richteten sich unwillkürlich nach oben.

Das Haupt des Gemarterten bewegte sich leicht, dann ertönte von der Höhe des Mastes herab eine ächzende Stimme: »Ich vergebe dir!«

Chilon stürzte auf sein Antlitz nieder, heulend wie ein wildes Tier, scharrte mit beiden Händen Erde zusammen und streute sie sich aufs Haupt. Währenddessen züngelte das Feuer immer höher, umhüllte Glaukos' Brust und Antlitz, der Myrtenkranz auf seinem Haupte geriet in Brand, ebenso die Bänder auf der Spitze des Pfahles, der jetzt vollständig in blendender Glut aufflammte.

Chilon erhob sich nach einiger Zeit mit so verwandelten Zügen, daß die Augustianer einen ganz anderen Mann vor sich zu sehen glaubten. Seine Augen strahlten in einem überirdischen Glanze, auf der gefalteten Stirn lag ein Ausdruck hoher Begeisterung, und der eben noch so unbedeutend erscheinende Grieche glich jetzt einem Priester, der, des Gottes voll, sich anschickt, ungeahnte Wahrheiten zu verkünden.

»Was ist mit ihm geschehen? Er ist rasend geworden!« ließen sich mehrere Stimmen vernehmen.

[255] Er wandte sich nun zu der Menge, streckte die rechte Hand empor und rief oder brüllte vielmehr so laut, daß ihn nicht nur die Augustianer, sondern auch die Menge verstehen konnte: »Römisches Volk! bei meinem Tode schwör' ich, daß hier Unschuldige sterben. Hier steht der Brandstifter!«

Und er zeigte mit dem Finger auf Nero.

Totenstille folgte. Die Höflinge waren starr vor Entsetzen. Chilon stand fortwährend da und wies mit zitterndem Arm und Finger auf den Caesar. Mit einem Male brach der Aufruhr los. Das Volk stürzte sich einer Sturmflut gleich auf den alten Mann zu, um ihn näher zu betrachten. Hier und da ertönten die Rufe: »Haltet ihn! Wehe uns!«

Die Menge pfiff und johlte: »Rotbart, Muttermörder, Brandstifter!«

Der Aufruhr schwoll immer stärker an. Die Bakchantinnen kreischten schrill auf und flüchteten in die Wagen. Plötzlich stürzten einige halb verbrannte Pfähle um, daß die Funken umhersprühten, und vermehrten noch die Verwirrung. Die wie blind und toll einstürmende Menge riß Chilon mit sich fort und entführte ihn tiefer in den Garten hinein.

Auch die übrigen Pfähle fingen an zu verkohlen und stürzten quer über die Wege, die Alleen mit Qualm, Funken, dem Geruche glimmenden Holzes und verbrannten menschlichen Fleisches erfüllend. Fern und nah erloschen die Fackeln. In den Gärten wurde es dunkel. Die erschreckte, erbitterte, aufgebrachte Menge drängte sich zu den Toren. Die Kunde von dem Geschehenen ging von Mund zu Mund, verändert und übertrieben. Die einen erzählten, der Caesar sei ohnmächtig geworden, die anderen, er habe selbst eingestanden, Rom in Brand gesteckt zu haben, andere, er sei schwer erkrankt, wieder andere, man habe ihn wie tot auf seinem Wagen fortgebracht. Hier und da äußerten sich Leute voller Mitleid mit den Christen. »Nicht sie sind es, die Rom angezündet haben; wozu also all dies Blutvergießen, all diese Martern, all diese Ungerechtigkeiten? Werden die Götter diese [256] Unschuldigen nicht rächen, und welchepiacula vermögen sie zu versöhnen?« Die Worte innoxia corpora waren immer häufiger zu hören. Frauen klagten laut über die Kinder, die man in so großer Anzahl den wilden Tieren vorgeworfen, ans Kreuz geschlagen oder in diesen fluchwürdigen Gärten verbrannt habe! Die mitleidigen Stimmen verwandelten sich endlich in Verwünschungen gegen den Caesar und Tigellinus. Es gab aber auch Leute, welche plötzlich stehen blieben und sich oder anderen die Frage vorlegten: »Was ist das für eine Gottheit, die eine solche Widerstandsfähigkeit gegen Martern und Tod verleihen kann?« Und nachdenklich kehrten sie nach Hause zurück ...

Chilon irrte noch in den Gärten umher, ohne zu wissen, wohin ihn sein Weg führe oder wo er sich befinde. Er war wieder der kraftlose, hinfällige, kranke alte Mann. Bald strauchelte er über halbverbrannte Leichen, bald stieß er an noch brennende Pfähle, die einen Funkenregen auf seinen Pfad schütteten, bald setzte er sich und starrte bewußtlos vor sich hin. Die Gärten waren jetzt schon fast völlig dunkel geworden; durch die Bäume schien nur noch der Mond und warf ein unsicheres Licht auf die Alleen, auf die verkohlt daliegenden Pfähle und die zu unförmlichen Massen zusammengeschrumpften Leichen. Allein dem alten Griechen war es, als erblicke er in der Mondscheibe Glaukos' Antlitz, als verfolgten ihn dessen Augen unablässig, und er entfloh vor dem Lichte. Endlich trat er jedoch aus dem Schatten heraus und wandte sich unwillkürlich, wie von einer unsichtbaren Macht fort getrieben, der Fontäne zu, bei der Glaukos seinen Geist aufgegeben hatte.

Da berührte eine Hand seine Schulter.

Der Greis wandte sich um und rief, als er einen Unbekannten vor sich erblickte, entsetzt aus: »Wer ist hier? Wer bist du?«

»Der Apostel Paulus von Tarsos.«

»Ich bin verflucht ... Was willst du von mir?«

[257] Der Apostel antwortete: »Ich will dich retten.«

Chilon lehnte sich an einen Baum.

Die Füße wankten unter ihm, und seine Arme sanken schlaff herab.

»Für mich gibt es keine Rettung,« sagte er dumpf.

»Hast du nicht gehört, daß Gottes Sohn dem Schächer am Kreuz verzieh?« fragte Paulus.

»Weißt du, was ich getan habe?«

»Ich habe deine Reue gesehen und gehört, wie du Zeugnis für die Wahrheit ablegtest.«

»O Herr!«

»Und wenn ein Diener Christi dir in der Stunde der Marter und des Todes vergeben hat, wie soll dir dann Christus selbst nicht vergeben?«

Chilon faßte sich mit beiden Händen wie in Verzweiflung an den Kopf.

»Vergebung! Für mich Vergebung!«

»Unser Gott ist ein Gott des Erbarmens,« erwiderte der Apostel.

»Für mich?« wiederholte Chilon.

Und er begann zu stöhnen wie jemand, dem die Kraft fehlt, Schmerz und Qual zu überwinden.

Paulus aber sprach zu ihm: »Stütze dich auf mich und komm mit mir.«

Er führte ihn und schritt auf die Stelle zu, wo sich die Wege kreuzten, geleitet vom Plätschern des Springbrunnens, der in der Stille der Nacht über all die Opfer zu weinen schien, die hier unter den fürchterlichsten Qualen ihr Leben ausgehaucht hatten.

»Unser Gott ist ein Gott des Erbarmens,« wiederholte der Apostel. »Wenn du am Meere ständest und Steine hineinwürfest, könntest du die Tiefen des Ozeans damit ausfüllen? Ich sage dir, das Erbarmen Christi gleicht dem Meere und die Sünden und Missetaten der Menschen versinken in ihm wie die Steine in dem Abgrunde des Meeres. [258] Ich sage dir, es ist wie der Himmel, der sich über Bergen, Ländern und Meeren wölbt, denn es ist überall und kennt keine Grenzen und kein Ende. Du littest unter Glaukos' Pfahle, und Christus hat dein Leiden gesehen. Ohne Rücksicht darauf, was dir morgen geschehen kann, riefest du laut: Hier steht der Brandstifter! und Christus hat sich deine Worte gemerkt. Deine Bosheit und Lügenhaftigkeit sind von dir gewichen, und in deinem Herzen ist nur unermeßliche Reue zurückgeblieben ... Komm mit mir und höre, was ich dir sagen will: auch ich habe den Heiland gehaßt und seine Auserwählten verfolgt. Ich wollte nichts von ihm wissen und glaubte nicht an ihn, bis er sich mir offenbart und mich berufen hat. Und seitdem liebe ich ihn aus tiefstem Herzen. Und jetzt hat er dich mit Zerknirschung, Gewissensangst und Reue heimgesucht, um dich zu sich zu rufen. Du haßtest ihn, er aber liebte dich. Du überliefertest seine Gläubigen der Marter, und er will dir vergeben und dich retten.«

Herzbrechendes Schluchzen begann die Brust des Elenden zu erschüttern und sein tiefstes Innere aufzuwühlen; Paulus bemächtigte sich seiner, bezwang ihn und führte ihn von dannen wie ein Krieger einen gefangenen Feind.

Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Komm mit mir, ich will dich zum Heiland führen. Zu welch anderem Zwecke wäre ich dir sonst nachgegangen? Er hat mir befohlen, Seelen zu erobern im Namen der Liebe, und ich erfülle sein Gebot. Du meinst, du seiest verflucht; doch ich sage dir: glaube an ihn, und die Erlösung harrt deiner. Du bist der Ansicht, er hasse dich; ich aber wiederhole dir: er liebt dich. Sieh auf mich! Solange ich ihn nicht hatte, war eitel Bosheit in meinem Herzen, und nun ersetzt seine Liebe mir Vater und Mutter, Schätze und Königreiche. Bei ihm allein ist Zuflucht zu finden, er allein sieht deine Reue, glaubt an dein Elend, er wird dich von deiner Qual befreien und dich zu sich nehmen.«

Mit diesen Worten geleitete er ihn zu dem Springbrunnen, [259] dessen silberner Strahl schon von weitem im Mondschein erglänzte. Ringsherum war es still und menschenleer, denn die Sklaven hatten hier schon die verkohlten Pfähle und die Leichen der Märtyrer beseitigt.

Chilon warf sich stöhnend auf die Kniee, verbarg das Gesicht in den flachen Händen und verharrte bewegungslos in dieser Stellung. Paulus jedoch erhob sein Antlitz zum Sternenhimmel und begann zu beten: »Herr, sieh auf diesen Elenden, auf seine Reue, seine Tränen und seine Qual! Herr des Erbarmens, der du dein Blut für unsere Sünden vergossen hast, vergib ihm um deines Leidens, deines Sterbens und deiner Auferstehung willen!«

Er schwieg, aber noch lange schaute er empor und betete.

Und jetzt erklang zu seinen Füßen der Schmerzensschrei: »Christe, Christe, vergib mir!«

Paulus trat an den Brunnen, schöpfte Wasser in die hohle Hand und wandte sich zu dem auf den Knieen liegenden Elenden: »Chilon, ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, Amen!«

Chilon erhob das Haupt, breitete die Arme aus und blieb regungslos so liegen. Der Mond goß sein volles Licht auf sein weißes Haar und sein ebenfalls weißes, unbewegliches Antlitz, das wie erstorben und aus Stein gemeißelt aussah. Die Zeit verrann; aus den großen Geflügelhäusern in den Gärten des Domitius ertönte das Krähen der Hähne; doch Chilon lag noch immer da gleich einer Grabstatue.

Endlich bewegte er sich, stand auf und fragte den Apostel: »Was habe ich vor dem Tode noch zu tun?«

Paulus erwachte ebenfalls aus seiner Bewunderung jener unermeßlichen Allmacht, der selbst solche Herzen, wie dieser Grieche eins besaß, nicht widerstehen konnten, und antwortete: »Vertraue und lege Zeugnis für die Wahrheit ab.«

Dann machten sie sich zusammen auf den Heimweg. Am Gartentore segnete Paulus noch einmal den Greis, und sie trennten sich; denn Chilon bestand selbst darauf, da er wußte, [260] der Caesar und Tigellinus würden ihn nach dem Vorfalle von gestern abend verfolgen lassen.

Er irrte sich nicht. Als er heimkehrte, war sein Haus schon von Prätorianern umringt, die ihn ergriffen und unter Scaevinus' Kommando nach dem Palatin brachten.

Der Caesar hatte sich bereits zur Ruhe begeben, aber Tigellinus erwartete ihn. Als er des unglücklichen Griechen ansichtig wurde, empfing er ihn mit ruhiger, aber unheilverkündender Miene: »Du hast ein Majestätsverbrechen begangen,« sprach er, »und wirst der Strafe nicht entgehen. Willst du aber morgen im Amphitheater erklären, daß du betrunken und wahnsinnig gewesen bist und daß die Christen in der Tat die Urheber der Feuersbrunst sind, so wird sich deine Strafe auf öffentliches Auspeitschen und Verbannung beschränken.«

»Ich kann nicht, Herr,« erwiderte Chilon leise.

Tigellinus näherte sich ihm langsamen Schrittes und fragte ihn mit gedämpfter, aber schrecklicher Stimme: »Wie, du kannst nicht, Griechenhund? Warst du nicht betrunken und weißt du nicht, was deiner wartet? Sieh dorthin!«

Dabei zeigte er in eine Ecke des Atriums, wo im Schatten neben einer langen hölzernen Bank vier thrakische Sklaven mit Tauen und Zangen in den Händen standen.

Doch Chilon erwiderte fest: »Ich kann nicht, Herr!«

Des Präfekten bemächtigte sich eine rasende Wut; aber er bezwang sich noch.

»Du hast gesehen, wie die Christen sterben?« fragte er. »Willst du auch so sterben?«

Der Greis hob sein blasses Antlitz empor; eine Zeitlang bewegten sich seine Lippen leise, dann sprach er: »Auch ich glaube an Christus! ...«

Tigellinus sah ihn erstaunt an.

»Hund, du bist wirklich verrückt geworden!«

Und plötzlich schäumte seine so lange eingedämmte Wut über. Er stürzte sich auf Chilon, raufte ihm mit beiden [261] Händen den Bart, warf ihn zur Erde und trat ihn mit Füßen, wobei er wutschäumend unablässig wiederholte: »Wirst du widerrufen? wirst du?«

»Ich kann nicht,« versetzte der am Boden liegende Chilon.

»Auf die Folter mit ihm!«

Auf diesen Befehl hin ergriffen die Thraker den alten Mann und legten ihn auf die Bank, dann banden sie ihn mittels der Stricke fest und begannen seine hageren Schenkel zwischen die Zangen zu klemmen. Doch er küßte ihnen, während sie ihn folterten, demütig die Hände, dann schloß er die Augen und bot den Anblick eines Toten dar.

Er lebte aber noch; denn als Tigellinus sich über ihn beugte und noch einmal fragte: »Wirst du widerrufen?« bewegten sich seine blassen Lippen leicht und flüsterten kaum hörbar: »Ich ... kann ... nicht!«

Tigellinus befahl, mit dem Foltern innezuhalten, und ging mit wutentstelltem Gesicht, aber ratlos im Atrium auf und ab. Endlich schoß ihm ein neuer Gedanke durch den Kopf; er wandte sich zu den Thrakern und rief: »Reißt ihm die Zunge aus!«

Dreiundsechzigstes Kapitel

Dreiundsechzigstes Kapitel.

Für die Aufführung des Dramas »Aureolus« waren die Theater und Amphitheater in der Regel so eingerichtet, daß es auf zwei getrennten Bühnen dargestellt werden konnte. Nach dem Schauspiele in den Gärten des Caesars ging man jedoch von diesem Brauche ab, denn diesmal kam es darauf an, einer möglichst großen Zahl von Menschen den Anblick eines gekreuzigten Sklaven zu verschaffen, den im Drama ein Bär zerriß. In den Theatern wurde die Rolle des Bären meistenteils einem in ein Fell genähten Schauspieler überlassen; diesmal sollte aber die Darstellung »wahrheitsgetreu« sein. Dies war ein neuer Gedanke des Tigellinus. Anfangs weigerte sich der Caesar, dabei zu erscheinen, änderte [262] jedoch auf Veranlassung seines Günstlings seinen Entschluß. Tigellinus erklärte, gerade nach dem Vorfalle im Garten müsse er sich um so mehr dem Volke zeigen, und gab sein Wort, daß der gekreuzigte Sklave ihn nicht beschimpfen werde, wie Crispus dies getan hatte. Das Volk war des Blutvergießens satt und müde; es wurde ihm daher eine neue Verteilung von Lotterielosen und Geschenken in Aussicht gestellt und außerdem ein abendliches Fest versprochen, denn die Vorstellung sollte am Abend im glänzend erleuchteten Amphitheater stattfinden.

Schon bei Anbruch der Dunkelheit war der ganze Zuschauerraum dicht gefüllt; die Augustianer waren mit Tigellinus an der Spitze, vollzählig erschienen, nicht nur wegen des Schauspiels selbst, sondern auch um dem Caesar nach dem letzten Vorfalle ihre Ergebenheit und ihre Empörung gegen Chilon zu zeigen, von dem ganz Rom sprach.

Man raunte sich unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu, der Caesar sei nach seiner Rückkehr aus den Gärten in Tobsucht verfallen und könne nicht schlafen, er leide an Schreckensanfällen und wunderbaren Visionen; aus diesem Grunde habe er schon am nächsten Morgen seine baldige Abreise nach Achaja angekündigt. Andere jedoch bezweifelten dies und behaupteten, er werde sich jetzt gegen die Christen um so erbarmungsloser zeigen. Es fehlte auch nicht an Furchtsamen, welche vorhersehen wollten, daß die Anklage, die Chilon dem Caesar vor allem Volke ins Gesicht geschleudert hatte, die übelsten Folgen nach sich ziehen werde. Endlich gab es solche, die aus Menschlichkeit an Tigellinus die Bitte richteten, von weiteren Verfolgungen abzusehen.

»Seht, wohin ihr geratet,« sagte Barcus Soranus. »Ihr wollt den Unwillen des Volkes besänftigen und ihm die Überzeugung beibringen, daß die Strafe nur die Schuldigen trifft; aber die Wirkung ist geradezu die entgegengesetzte.«

»Das stimmt,« fügte Antistius Verus hinzu, »alle flüstern sich jetzt zu, sie seien unschuldig. Wenn dies Klugheit sein [263] soll, so hat Chilon recht, daß euere Gehirne nicht eine Nußschale füllen würden.«

Tigellinus wandte sich den beiden zu und sagte: »Barcus Soranus, man flüstert sich auch zu, daß deine Tochter Servilia und daß deine Gattin, Antistius, ihre christlichen Sklaven der Gerechtigkeit des Caesars entziehen.«

»Das ist nicht wahr!« rief Barcus beunruhigt.

»Eure geschiedenen Frauen wollen nur meine Gattin ins Verderben stürzen, weil sie sie um ihre Tugend beneiden,« erklärte Antistius Verus mit nicht geringerer Unruhe.

Andere sprachen über Chilon.

»Was ist ihm zugestoßen?« fragte Eprius Marcellus; »er selbst hat die Christen Tigellinus verraten; aus einem Bettler ist er ein reicher Mann geworden, er hätte seine Tage in Frieden beenden und ein schönes Leichenbegängnis samt einem Grabdenkmale haben können. Aber nein! Er wollte lieber alles auf einmal verlieren und elend zugrunde gehen; es ist wahr: er muß verrückt geworden sein.«

»Nicht verrückt, sondern ein Christ,« entgegnete Tigellinus.

»Das ist unmöglich!« sagte Vitellius.

»Habe ich es euch nicht gesagt?« rief Vestinus. »Tötet die Christen, aber glaubet mir, gegen ihre Gottheit könnt ihr keinen Krieg führen. Mit der ist nicht zu spaßen! ... Seht, was sich zuträgt! Ich habe Rom nicht in Brand gesteckt, doch wenn der Caesar es gestattet, opfere ich sofort ihrem Gott eine Hekatombe. Und alle sollten dasselbe tun, denn ich sage euch noch einmal: mit dem ist nicht zu spaßen. Denkt daran, daß ich es euch gesagt habe!«

»Und ich sage euch etwas anderes,« fiel Petronius ein. »Tigellinus lachte, als ich behauptete, sie bewaffneten sich; aber jetzt muß ich euch noch mehr sagen: sie werden siegen!«

»Wieso? wieso?« fragten mehrere Stimmen.

»Beim Pollux! Wenn ein Mann wie Chilon ihnen nicht widerstanden hat, wer wird ihnen dann widerstehen können? Wenn ihr glaubt, die Zahl der Christen nehme nicht nach [264] jedem Schauspiele zu, so werdet samt euren Bekannten in Rom Kupferschmiede, oder laßt euch eure Bärte scheren; dann werdet ihr vielleicht besser wissen, wie das Volk denkt und was in der Stadt vorgeht.«

»Er spricht die reine Wahrheit, beim heiligen Peplos der Diana!« rief Vestinus.

Barcus wandte sich an Petronius und fragte: »Was folgerst du daraus?«

»Ich schließe damit, womit ihr angefangen habt: es ist genug Blut geflossen.«

Tigellinus betrachtete ihn höhnisch und sagte: »Ah! noch ein wenig mehr!«

»Wenn dir dein Kopf nicht genügt, so hast du ja noch einen anderen auf dem Griffe deines Spazierstocks.«

Die Fortsetzung des Gesprächs wurde durch den Eintritt des Caesars verhindert, der in Pythagoras' Begleitung erschien. Unmittelbar darauf begann die Vorstellung des »Aureolus,« der man aber keine große Aufmerksamkeit schenkte, da alle auf Chilon gespannt waren. Auch das Volk war des Blutvergießens und der Martern überdrüssig; es zischte und stieß Rufe aus, die für den Hof keineswegs schmeichelhaft waren, und verlangte ungeduldig nach der Bärenszene, die einzig und allein seine Neugier erregte. Hätten die Zuschauer nicht gehofft, den verurteilten alten Mann zu sehen und Geschenke zu erhalten, das Schauspiel selbst wäre nicht imstande gewesen, sie auf ihren Plätzen festzuhalten.

Endlich jedoch erschien der erwartete Augenblick. Zirkusknechte richteten zunächst ein hölzernes Kreuz auf, das so niedrig war, daß ein aufrechtstehender Bär die Brust des Gemarterten erreichen konnte, und dann führten oder, richtiger gesagt, schleppten zwei Männer Chilon herein, denn da ihm Beine und Füße zerschmettert waren, konnte er nicht gehen. Sie legten ihn auf das Kreuz und nagelten ihn so rasch fest, daß die neugierigen Augustianer ihn nicht einmal gut sehen konnten; erst nachdem das Kreuz an der dazu bestimmten [265] Stelle eingerammt war, richteten sich aller Blicke auf den Verurteilten. Allein es waren wenige, welche in diesem nackten alten Mann Chilon erkannt hätten. Nach den Qualen, die Tigellinus über ihn verhängt hatte, schien kein Tropfen Blut mehr in seinem Gesicht zurückgeblieben zu sein, und nur oberhalb des weißen Bartes war ein roter Fleck zu sehen, den das Blut der ausgerissenen Zunge zurückgelassen hatte. Die durchsichtige Haut ließ deutlich die Knochen hervortreten. Er sah auch bedeutend älter und ganz gebrechlich aus. Aber während seine Augen früher stets voller Unruhe und Bosheit gefunkelt und seine lauernden Züge den Ausdruck steter Angst und Ungewißheit gezeigt hatten, trug jetzt sein Antlitz zwar die Spuren des Leidens, es war aber zugleich so mild und ruhig wie das eines Schlafenden oder Toten. Vielleicht tröstete ihn der Gedanke an den Schächer am Kreuze, dem Christus vergeben hatte, und vielleicht betete er in seinem Innern zu dem allerbarmenden Gotte: »Herr, ich biß um mich wie eine giftige Schlange und war mein ganzes Leben lang bettelarm, kam beinahe vor Hunger um, die Menschen traten mich mit Füßen, schlugen und verhöhnten mich. Ich war arm und ganz unglücklich, Herr; jetzt hat man mich auf die Folterbank gelegt und ans Kreuz geheftet; daher verstoße du, Allerbarmer, mich nicht in der Stunde meines Todes.« Tiefe Ruhe schien in sein reuevolles Herz einzuziehen. Niemand lachte; denn über diesem gekreuzigten Manne schwebte ein solcher Hauch des Friedens, er sah so alt, so wehrlos, so schwach, so mitleiderregend aus, daß sich jedermann unwillkürlich fragte: »Wie ist es möglich, Menschen zu martern und ans Kreuz zu nageln, denen ihr Ende ohnedies nahe ist?« Die Menge schwieg. In den Reihen der Augustianer wandte sich Vestinus nach allen Seiten und flüsterte mit entsetzter Stimme: »Seht, wie sie sterben!« Andere erwarteten mit Ungeduld den Bären, damit das Schauspiel so bald wie möglich zu Ende gehe.

Endlich betrat der Bär die Arena, wiegte seinen herunterhängenden [266] Kopf von einer Seite nach der anderen und blickte sich um, als denke er an etwas oder suche etwas. Jetzt bemerkte er das Kreuz und den daran hängenden nackten Körper; er näherte sich ihm, richtete sich auf, ließ sich aber nach kurzer Zeit wieder auf die Vordertatzen fallen; dann setzte er sich unter das Kreuz und begann zu brummen, als rege sich selbst in dem Herzen des wilden Tieres Mitleid mit diesem elenden Reste eines Menschen.

Aus dem Munde der Zirkusknechte ertönten ermunternde Zurufe, aber das Volk schwieg. Chilon bewegte inzwischen leicht das Haupt und ließ eine Zeitlang seine Blicke über die Zuschauer hingleiten. Endlich blieb sein Auge auf einer der obersten Sitzreihen des Amphitheaters haften, seine Brust begann lebhafter zu atmen, und jetzt ereignete sich etwas, was die Zuschauer mit Staunen und Verwunderung erfüllte. Ein Lächeln verklärte sein Antlitz, seine Stirn schien wie von einem Lichtstrahle umflossen, seine Augen wandten sich vor dem Tode nach oben, und nach einiger Zeit quollen ihm zwei schwere Tränen unter den Lidern hervor und rannen ihm langsam die Wangen herab.

Und er starb.

Da ertönte eine kräftige Mannesstimme hoch oben unter dem Velarium: »Friede sei mit den Märtyrern.«

Im Amphitheater aber herrschte dumpfes Schweigen.

Vierundsechzigstes Kapitel

Vierundsechzigstes Kapitel.

Nach dem Schauspiel in den Gärten des Caesars hatten sich die Kerker beträchtlich geleert. Zwar wurden immer noch neue Opfer verhaftet, die der Teilnahme an dem morgenländischen Aberglauben verdächtig erschienen; allein es wurden immer weniger Gefangene eingeliefert, so daß deren Zahl kaum für die noch ausstehenden Spiele ausreichte, die sich ebenfalls ihrem Ende näherten. Das Volk, des Blutvergießens satt, zeigte immer größeren Überdruß und immer [267] größere Unruhe über die unerhörte Geduld der Verurteilten Tausende wurden von denselben Befürchtungen ergriffen wie der abergläubische Vestinus. Im Volke wurden immer wunderbarere Dinge von der Rachsucht des Christengottes erzählt. Der Gefängnistyphus, der sich in der Stadt verbreitet hatte, vermehrte die allgemeine Furcht. Die häufigen Leichenzüge erregten Aufsehen, und schon flüsterte man sich ins Ohr, es seien neue Piacula erforderlich, um den unbekannten Gott zu versöhnen. In den Tempeln wurden dem Jupiter und der Libitina Opfer dargebracht. Endlich gewann trotz der größten Anstrengungen des Tigellinus und seiner Anhänger die Ansicht täglich mehr Boden, daß die Stadt auf Befehl des Caesars in Brand gesteckt worden sei und daß die Christen unschuldig duldeten.

Aber gerade aus diesem Grunde ließen Nero und Tigellinus nicht von der Verfolgung ab. Zur Beschwichtigung des Volkes wurde die Verteilung von Getreide, Wein und Oliven wieder aufgenommen; Vorschriften wurden erlassen, die den Bau von Häusern erleichterten und den Besitzern große Vergünstigungen gewährten, sowie andere, die Bestimmungen über die Breite der Straßen und die Baumaterialien zur Verhütung eines künftigen Brandunglücks enthielten. Der Caesar selbst wohnte den Senatssitzungen bei und beriet mit den »Vätern« die erforderlichen Maßregeln zum Besten des Volkes und der Stadt, aber kein Gnadenschimmer fiel auf die Verurteilten. Dem Herrscher der Welt kam es vor allem darauf an, dem Volke die Überzeugung einzuprägen, daß so unerhörte Strafen nur Schuldige treffen konnten. Auch im Senate wurde keine Stimme zugunsten der Christen laut, da sich niemand mit dem Caesar verfeinden wollte und diejenigen, die schärfer in die Zukunft blickten, erkannten, daß vor diesem neuen Glauben die Grundfesten der Römerherrschaft nicht würden standhalten können.

Sterbende und Tote übergab man allerdings ihren Angehörigen, denn das römische Recht nahm an Toten keine [268] Rache. Für Vinicius lag ein gewisser Trost in dem Gedanken, daß, wenn Lygia sterben sollte, er sie dann in seiner Familiengruft beisetzen lassen und dereinst neben ihr ruhen werde. Er hegte keine Hoffnung mehr, sie vor dem Tode zu retten, und, halb abgelöst vom Leben, ging er ganz in dem Gedanken an Christus auf und träumte von keiner anderen Vereinigung mehr mit der Geliebten als von der ewigen. Sein Glaube wurde so unerschütterlich, daß ihm in dessen Lichte die Ewigkeit unvergleichlich wirklicher und realer vorkam als die gemeine Wirklichkeit des alltäglichen Lebens. Sein Herz war von grenzenloser Begeisterung erfüllt. Noch lebend verwandelte er sich in ein beinah körperloses Wesen, das für sich völlige Freiheit ersehnte, aber auch eine zweite geliebte Seele daran teilnehmen lassen wollte. Er träumte davon, daß er dann Hand in Hand mit Lygia in den Himmel eingehen werde, wo Christus sie segnen und ihnen gestatten werde, in einem Lichte, das an Frieden und Glanz der Abendröte glich, beisammen zu bleiben. Er flehte zu Christus nur darum, daß Lygia nicht die Qualen des Zirkus zu erdulden haben möge, sondern daß er ihr gestatte, friedlich im Kerker zu entschlummern, denn er wußte mit voller Bestimmtheit, daß er selbst zugleich mit ihr sterben werde. Angesichts dieses Meeres von vergossenem Blut hielt er es für unrecht, auch nur zu hoffen, sie könne allein gerettet werden. Er hatte von Petrus und Paulus gehört, daß sie ebenfalls als Märtyrer würden sterben müssen. Der Anblick Chilons am Kreuze überzeugte ihn, daß der Tod selbst unter Qualen sanft sein könne, und darum wünschte er, daß er ihnen beiden nahe als die ersehnte Vertauschung eines schlechten, trüben, schweren Daseins mit einem besseren.

Mitunter hatte er schon einen Vorgeschmack des kommenden Lebens. Jene Trauer, die über beiden lagerte, verlor allmählich ihre brennende Bitterkeit und ging allmählich in eine unirdische, ruhige Fügung in Gottes Willen über. Während Vinicius früher unter Mühen und Anstrengungen [269] gegen den Strom angekämpft hatte, überließ er sich jetzt den Fluten, überzeugt, sie würden ihn zum Lande des ewigen Friedens tragen. Auch ahnte er, daß Lygia sich in gleicher Weise wie er auf den Tod vorbereitete, daß sie trotz der sie trennenden Kerkermauern ihren Weg gemeinschaftlich wandelten. Und bei diesem Gedanken lächelte er in Seligkeit.

Und in der Tat befanden sich beide in solcher Ubereinstimmung, als teilten sie sich täglich ihre Gedanken mit. In Lygia lebte kein Wunsch, keine Hoffnung mehr als die Sehnsucht nach dem jenseitigen Leben. Den Tod begrüßte sie nicht nur als Befreiung aus den schrecklichen Kerkermauern, aus den Händen des Caesars und Tigellinus', nicht nur als Erlösung, sondern auch als ihre Vermählung mit Vinicius. Gegenüber dieser felsenfesten Gewißheit verlor alles an dere seine Bedeutung. Nach dem Tode begann für sie sogar auch das irdische Glück, daher erwartete sie ihn mit einer Ungeduld wie die Braut den Hochzeitstag.

Und jener gewaltige Glaubensstrom, der tausende jener ersten Gläubigen dem Leben entriß und ins Jenseits trug, erfaßte auch Ursus. Auch er hatte sich lange Zeit nicht mit dem Gedanken aussöhnen können, daß Lygia sterben solle; als aber täglich neue Kunde von dem, was sich in den Amphitheatern und den Gärten des Caesars zutrug, durch die Gefängnismauern drang, als der Tod das allgemeine, unvermeidliche Los der Christen, aber auch ihre Seligkeit war, die über alle irdischen Begriffe von Seligkeit hinausging, wagte er am Ende gar nicht mehr, Christus zu bitten, er möge Lygia dieses Glück vorenthalten oder auf Jahre hinaus verzögern. In seinem schlichten Barbarensinn glaubte er außerdem, der Tochter des Lygierkönigs gebühre auch ein größerer Anteil an jenen himmlischen Freuden als dem ganzen Haufen gewöhnlicher Leute, zu denen er auch sich zählte, und daß sie in der ewigen Seligkeit dem »Lamme« näher sitzen würde als andere. Er hatte zwar gehört, vor Gott seien alle Menschen gleich, aber in der Tiefe seiner Seele hegte er die Überzeugung, [270] die Tochter eines Häuptlings und noch dazu des Häuptlings aller Lygier nehme denn doch einen höheren Rang ein als die erste beste Sklavin. Auch erwartete er, daß Christus ihm gestatten werde, ihr auch fernerhin zu dienen. Was ihn selbst betraf, so hatte er nur noch einen sehnlichen Wunsch, nämlich so zu sterben wie das Lamm – am Kreuze. Es kam ihm dies aber als so großes Glück vor, daß er kaum um einen solchen Tod zu bitten wagte, trotzdem er wußte, daß in Rom selbst die ärgsten Verbrecher gekreuzigt wurden. Er glaubte sicher, er werde von wilden Tieren zerrissen werden, und dies war sein heimlicher Kummer. Von Kindheit an hatte er in unermeßlichen Wäldern und auf beständigen Jagdzügen gelebt, auf denen er dank seiner Riesenkraft noch vor Erreichung des Mannesalters sich unter den Lygiern einen Namen gemacht hatte. Diese Beschäftigung war ihm so lieb geworden, daß er später, als er in Rom war und ihr entsagen mußte, in die Vivarien und Amphitheater ging, um sich bekannte und unbekannte Tiere anzusehen. Ihr Anblick erweckte in ihm den unbezwinglichen Wunsch nach Kampf und Blutvergießen, und er fürchtete, wenn er mit ihnen im Amphitheater zusammentreffe, von Gedanken heimgesucht zu werden, die eines Christen wenig würdig seien, der geduldig und gottergeben sterben müsse. Allein er fügte sich darin dem Willen Christi und tröstete sich mit anderen, angenehmeren Gedanken. Er hatte gehört, daß das »Lamm« mit den Mächten der Hölle und den bösen Geistern, zu denen der christliche Glaube alle heidnischen Götter rechnete, Krieg führe, und glaubte, daß er dem »Lamme« in diesem Kriege von großem Nutzen sein und besser dienen werde können als andere, da es ihm nicht in den Kopf wollte, daß auch seine Seele nicht stärker sein solle als die anderer Märtyrer. Schließlich betete er ganze Tage lang, widmete sich der Pflege der Gefangenen, half den Aufsehern und tröstete seine Königin, die es zuweilen beklagte, in ihrem kurzen Leben nicht soviel Gutes getan zu haben wie die berühmte Thabita, von der ihr der Apostel Petrus seinerzeit [271] erzählt hatte. Die Wärter, denen seine Riesenstärke selbst im Gefängnis Furcht einflößte, da keine Fessel, kein Gitter für ihn fest genug war, gewannen ihn am Ende seines sanften Wesens halber lieb. Mehr als einmal fragten sie ihn verwundert nach den Ursachen seiner Heiterkeit, und dann setzte er ihnen mit so felsenfester Überzeugung auseinander, welches Leben nach dem Tode seiner warte, daß sie verwundert zuhörten und zum erstenmal sahen, daß auch in einen Kerker, in den nie ein Sonnenstrahl dringe, das Glück einziehen könne. Und wenn er sie aufforderte, an das »Lamm« zu glauben, so verfiel mancher auf den Gedanken, daß sein Dienst der eines Sklaven, sein Leben das eines Bettlers sei, und mancher dachte über sein unglückliches Los nach, dem nur der Tod ein Ziel setzen konnte.

Allein der Tod flößte ihnen neue Furcht ein, und sie versprachen sich nichts nach ihm, während jener lygische Hüne und die Jungfrau, die einer auf das Kerkerstroh gestreuten Blume glich, ihm freudig wie einem Glücke entgegengingen.

Fünfundsechzigstes Kapitel

Fünfundsechzigstes Kapitel.

Eines Abends erhielt Petronius den Besuch des Senators Scaevinus, der mit ihm ein Gespräch über die schweren Zeiten, in der beide lebten, und über den Caesar begann. Er sprach so offen, daß Petronius, obgleich er mit ihm befreundet war, vorsichtig zu werden begann. Scaevinus klagte, die Welt lebe in Ungerechtigkeit und Wahnwitz und müsse, alles zusammengenommen, in einer noch schrecklichere Katastrophe enden, als es der Brand Roms gewesen sei. Er erwähnte, sogar Augustianer seien mißvergnügt, Fenius Rufus, der zweite Präfekt der Prätorianer, führe nur mit dem größten Widerstreben Tigellinus' unmenschliche Befehle aus und die ganze Familie Senecas sei durch das neuerliche Verhalten des Caesars sowohl gegen den alten Philosophen wie gegen Lucanus erbittert. Schließlich sprach er noch von der Unzufriedenheit [272] des Volkes und selbst der Prätorianer, von denen Fenius Rufus einen beträchtlichen Teil auf seine Seite gebracht habe.

»Wozu erzählst du mir dies alles?« fragte ihn Petronius.

»Aus Besorgnis um den Caesar,« entgegnete Scaevinus. »Ich habe einen Verwandten unter den Prätorianern, der ebenfalls Scaevinus heißt, und durch ihn erfahre ich alles, was im Lager vorgeht ... Die Mißstimmung wächst auch dort ... Caligula, siehst du, war auch verrückt, und du weißt ja, was sich ereignete. Cassius Chaerea trat auf ... Es war eine grausige Tat, und gewiß gibt es niemanden unter uns, der sie loben möchte, und doch hat Chaerea die Welt von einem Ungeheuer befreit.«

»Der Sinn deiner Rede ist also der: Ich lobe Chaerea nicht, aber er hat sich als Mann erwiesen, und möchten uns doch die Götter möglichst viele seiner Art schenken.«

Scaevinus wechselte nun das Gesprächsthema und begann unerwartet Piso zu rühmen. Er pries seine Familie, seinen alten Adel, seine Anhänglichkeit an seine Gattin und schließlich seinen Geist, seine Ruhe und seine bewunderungswürdige Gabe, die Menschen für sich einzunehmen.

»Der Caesar ist kinderlos,« fuhr er fort, »und allgemein erblickt man in Piso seinen Nachfolger. Unzweifelhaft wird jedermann aus vollstem Herzen bereit sein, ihm zur Macht zu verhelfen. Fenius Rufus ist sein Freund, ebenso ist ihm die Familie der Annaeer völlig ergeben. Plautius Lateranus und Tullius Senecio würden für ihn durchs Feuer gehen, ebenso Natalis, Subrius Flavius, Sulpicius Asper, Atronicus Quinctianus und selbst Vestinus.«

»Der letztere wird Piso nicht viel nützen,« erwiderte Petronius; »Vestinus fürchtet sich vor seinem eigenen Schatten.«

»Vestinus fürchtet sich vor Träumen und Geistern,« versetzte Scaevinus; »aber ist ein brauchbarer Mann, den man mit Recht zum Konsul ernennen will. Daß er in seinem [273] Innern ein Gegner der Christenverfolgung ist, darfst du ihm nicht übelnehmen, denn auch dir kommt es ja darauf an, daß dieser Wahnwitz bald ein Ende nimmt.«

»Nicht mir, wohl aber Vinicius,« antwortete Petronius. »Aus Rücksicht auf diesen möchte ich gern ein Mädchen retten, aber ich kann es nicht, da ich beim Rotbart in Ungnade gefallen bin.«

»Wieso? Hast du nicht bemerkt, daß der Caesar sich dir wieder nähert und anfängt, sich mit dir zu unterhalten? Ich will dir auch sagen, weshalb. Er wird sich jetzt von neuem nach Achaja begeben, wo er griechische Hymnen eigener Komposition vortragen will. Er ist Feuer und Flamme für diese Reise, fürchtet sich aber zugleich davor beim Gedanken an den spottlustigen Geist der Griechen. Er hegt die Überzeugung, daß ihn dort der höchste Triumph oder die schmählichste Niederlage erwartet. Er bedarf guten Rates und weiß, daß niemand ihm einen besseren geben kann als du. Dies ist der Grund, weshalb du wieder zu Gnaden angenommen wirst.«

»Lucanus kann mich vollständig ersetzen.«

»Der Rotbart haßt ihn und hat seinen Tod beschlossen. Er sucht nur einen Vorwand, wie er es stets tut. Lucanus weiß, daß Eile vonnöten ist.«

»Beim Kastor!« rief Petronius, »es ist möglich. Aber ich hätte vielleicht noch ein anderes Mittel, seine Gunst wiederzugewinnen.«

»Was meinst du?«

»Ich brauchte dem Rotbart nur zu wiederholen, was du soeben zu mir gesagt hast.«

»Ich habe nichts gesagt!« rief Scaevinus unruhig. Doch Petronius legte ihm die Hand auf die Schulter: »Du hast den Caesar einen Verrückten genannt, du hast dich um die Nachfolge Pisos erwärmt und hast gesagt: Lucanus weiß, daß Eile vonnöten ist. Womit wollt ihr denn eilen, carissime?«

[274] Scaevinus erblaßte, und beide sahen sich einen Augenblick an.

»Du wirst es nicht wiederholen!«

»Bei den Hüften der Kypris! Wie gut du mich kennst! Nein, ich werde es nicht wiederholen. Ich habe nichts gehört, will aber auch nichts hören ... Verstehst du mich? Das Leben ist zu kurz, als daß es sich der Mühe verlohnte, etwas zu unternehmen. Ich bitte dich nur um das eine, mache heut auch Tigellinus einen Besuch und unterhalte dich mit ihm ebensolange über ein beliebiges Thema wie mit mir.«

»Warum?«

»Damit, wenn Tigellinus einmal zu mir sagt: Scaevinus ist bei dir gewesen, ich ihm antworten kann: Er war desselben Tages auch bei dir.«

Scaevinus zerbrach den Elfenbeinstock, den er in der Hand hielt und sagte: »Möge das Unglück diesen Stock treffen! Ich werde heut noch zu Tigellinus gehen und dann auf das Fest zu Nerva. Du bist doch auch da? Jedenfalls auf Wiedersehen übermorgen im Amphitheater, wo die letzten Christen auftreten sollen! ... Auf Wiedersehen!«

»Übermorgen also!« wiederholte Petronius, als er allein war. »Es ist also keine Zeit zu verlieren. Der Rotbart bedarf meiner wirklich in Achaja; er wird daher vielleicht mit mir rechnen.«

Er entschloß sich, das letzte Mittel zu versuchen.

Wirklich verlangte der Caesar auf dem Feste bei Nerva, daß Petronius ihm gegenüber Platz nehme, weil er mit ihm über Achaja und die Städte sprechen wollte, in denen er mit dem größten Erfolge auftreten könnte. Vor allem kam es ihm auf die Athener an, die er fürchtete. Die anderen Augustianer hörten der Unterredung aufmerksam zu, um einige Körnchen von Petronius' Weisheit zu erhaschen und später damit zu glänzen.

»Es ist mir, als hätte ich bisher nicht gelebt,« sagte Nero, »und als würde ich erst in Griechenland geboren.«

[275] »Du wirst dort zu neuem Ruhm und zur Unsterblichkeit geboren werden,« erwiderte Petronius.

»Ich hoffe, daß dies der Fall sein wird und Apollo sich nicht eifersüchtig zeigt. Wenn ich im Triumph zurückkehre, so will ich ihm eine Hekatombe opfern, wie sie bisher noch kein Gott empfangen hat.«

Scaevinus begann Horatius' Verse zu zitieren:


»Sic te diva potens Cypri,

Sic fratres Helenae, lucida sidera,

Ventorumque regat pater ...« 1


»Das Schiff liegt in Neapel segelfertig vor Anker,« versetzte der Caesar. »Ich wollte, ich könnte schon morgen aufbrechen.«

Petronius erhob sich, sah Nero fest ins Auge und erwiderte: »Gestatte mir, Gottheit, an einem Hochzeitsfeste teilzunehmen, zu dem ich dich vor allen anderen einladen werde.«

»Eine Hochzeit? welche?« fragte Nero.

»Die des Vinicius mit der lygischen Königstochter, deiner Geisel. Sie befindet sich zwar augenblicklich im Gefängnisse, aber erstens durfte sie als Geisel gar nicht eingekerkert werden, und zweitens hast du Vinicius selber befohlen, sie zu heiraten. Da nun deine Beschlüsse unabänderlich sind wie die des Zeus, so gib den Befehl, sie aus dem Gefängnis zu entlassen, damit ich sie ihrem Verlobten zuführen kann.«

Die Kaltblütigkeit und das ruhige Selbstvertrauen, mit dem Petronius gesprochen hatte, setzten Nero in Verwirrung, wie dies stets geschah, so oft jemand zu ihm in einem derartigen Tone sprach.

»Ich weiß es,« sagte er, mit den Augen blinzelnd. »Ich habe schon an sie und an jenen Riesen gedacht, der seinerzeit Kroton tötete.«

[276] »Dann sind beide gerettet,« erwiderte Petronius ruhig.

Doch Tigellinus kam seinem Herrn zu Hilfe.

»Sie befindet sich auf Befehl des Caesars im Gefängnis,« sprach er, »und du hast selbst gesagt, Petronius, daß seine Beschlüsse unabänderlich sind.«

Da alle Anwesenden Vinicius' und Lygias Geschichte kannten, so wußten sie sofort, worum es sich handelte, und schwiegen in gespannter Erwartung, welchen Ausgang die Unterredung nehmen werde.

»Sie befindet sich infolge eines Irrtums von dir und infolge deiner Unkenntnis des Völkerrechts gegen den Willen des Caesars im Gefängnis,« erwiderte Petronius mit Nachdruck. »Du bist sehr naiv, Tigellinus, aber auch du wirst nicht behaupten wollen, daß das Mädchen Rom in Brand gesteckt hat, übrigens würde dir der Caesar gar nicht glauben, selbst wenn du es behaupten wolltest.«

Nero hatte sich inzwischen erholt und kniff seine kurzsichtigen Augen mit unsagbar boshaftem Ausdruck zusammen: »Petronius hat recht,« sagte er nach einiger Zeit.

Tigellinus sah ihn erstaunt an.

»Petronius hat recht,« wiederholte Nero, »morgen werden sich dem Mädchen die Tore des Kerkers öffnen, und übermorgen werden wir im Amphitheater über das Hochzeitsfest sprechen.«

»Ich habe abermals verspielt,« dachte Petronius.

Als er nach Hause zurückkehrte, war er so fest von Lygias bevorstehendem Tode überzeugt, daß er des Morgens früh einen zuverlässigen Freigelassenen nach dem Amphitheater schickte, um mit dem Aufseher des Spoliariums über die Auslieferung ihres Leichnams zu verhandeln, den er Vinicius zu übergeben wünschte.

Fußnoten

1 So geleite dich Cypris hin,

So das Zwillingsgestirn, Helenas Brüderpaar,

So der Vater der Winde auch.

Sechsundsechzigstes Kapitel

[277] Sechsundsechzigstes Kapitel.

Unter Nero wurden Abendvorstellungen, die früher nur selten und ausnahmsweise stattgefunden hatten, sowohl im Zirkus wie im Amphitheater zur Regel. Die Augustianer freuten sich darüber, denn oft schlossen sich ihnen Gastmähler und Trinkgelage an, die sich bis zum Morgen ausdehnten. Wie sehr auch das Volk des Blutvergießens überdrüssig war, so strömten doch, da sich die Kunde verbreitet hatte, das Ende der Spiele stehe bevor und die letzten Christen würden bei der abendlichen Schaustellung sterben, unzählige Scharen ins Amphitheater. Die Augustianer waren bis auf den letzten Mann erschienen, denn sie hatten erfahren, daß es keine gewöhnliche Vorstellung geben werde und daß der Caesar sich entschlossen habe, Vinicius' Schmerz zu einer Tragödie zu verarbeiten. Tigellinus hatte es geheim gehalten, welche Art der Marter über die Braut des jungen Tribuns verhängt worden sei, aber dies steigerte nur noch die Spannung. Wer Lygia früher in Plautius' Hause gesehen hatte, erzählte Wunderdinge über ihre Schönheit. Andere beschäftigte vor allem die Frage, ob sie wirklich heut in der Arena erscheinen werde, denn viele von denen, die dabei gewesen waren, als der Caesar bei Nervas Feste Petronius' Frage beantwortete, faßten seine Worte als doppelsinnig auf. Einige behaupteten geradezu, Nero werde Vinicius das Mädchen übergeben oder habe dies vielleicht schon getan; sie erklärten, Lygia sei eine Geisel, der es freistehe, jede beliebige Gottheit zu verehren, und deren Bestrafung nach dem Völkerrecht unzulässig sei.

Ungewißheit, Erwartung und Neugier beherrschten alle Zuschauer. Der Caesar selbst war früher gekommen als gewöhnlich, und sofort nach seinem Erscheinen begann man sich von neuem zuzuflüstern, daß sicher etwas Außergewöhnliches bevorstehe, denn Nero war außer von Tigellinus und Vatinius von Cassius begleitet, einem Centurio von Riesenwuchs und Riesenstärke, den er nur dann bei sich hatte, [278] wenn er einen Beschützer zur Seite haben wollte, wie z.B. wenn er seine nächtlichen Ausflüge nach der Subura unternahm, wo er sich damit belustigte, auf der Straße aufgegriffene Mädchen auf einem Soldatenmantel in die Luft zu schnellen – ein Vergnügen, das sagatio hieß. Auch bemerkte man, daß im Amphitheater selbst gewisse Vorsichtsmaßregeln getroffen worden waren. Die Prätorianerwachen waren verstärkt worden, und das Kommando über sie führte nicht ein Centurio, sondern der Tribun Subrius Flavius, der wegen seiner blinden Ergebenheit Nero gegenüber bekannt war. Man ersah daraus, das sich der Caesar gegen jeden Ausbruch der Verzweiflung von Vinicius' Seite sicherstellen wolle, und dies vermehrte nur noch die Spannung.

Aller Blicke wandten sich mit angestrengter Aufmerksamkeit dem Platze zu, auf dem der unglückliche Verlobte saß. Er war über die Maßen blaß, Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn, und er war ebenso wie die anderen Zuschauer im ungewissen, aber dabei bis in die tiefsten Tiefen seiner Seele aufgeregt. Petronius, der selbst nicht genau wußte, was bevorstand, hatte ihm nichts mitgeteilt, und ihn nur, als er von Nerva zurückgekehrt war, gefragt, ob er auf alles gefaßt sei, und dann, ob er dem Schauspiele beiwohnen wolle. Vinicius hatte beide Fragen bejaht, aber dabei hatte ihm ein Schauer den ganzen Körper überriefelt, denn er erkannte, daß Petronius nicht ohne Absicht frage. Er lebte seit geraumer Zeit gleichsam nur noch halb auf der Erde, er wünschte sich selbst den Tod und hatte sich mit dem Gedanken an Lygias Tod ausgesöhnt, da dieser für beide Befreiung und Vermählung bedeute; allein jetzt erkannte er, daß es etwas ganz anderes sei, von ferne an den letzten Augenblick als an ein friedliches Entschlummern zu denken, als die Martern des Wesens, das ihm das teuerste auf Erden war, mitanzusehen. Alle früher empfundenen Qualen erwachten wieder in ihm, die bereits verstummte Verzweiflung schrie von neuem laut auf in seiner Seele; es packte ihn wiederum [279] das Verlangen, Lygia um jeden Preis zu retten. Schon früh am Morgen hatte er in die Cunicula eindringen wollen, um sich zu überzeugen, ob Lygia sich darin befinde, aber Prätorianerwachen standen an jedem Eingange und hatten so strenge Befehle, daß selbst die ihm bekannten Soldaten sich weder durch Gold noch durch Bitten bestechen ließen. Vinicius war es, als müsse ihn die Ungewißheit noch vor dem Beginn des Schauspiels töten. Dann und wann regte sich in der Tiefe seines Herzens noch die Hoffnung, Lygia befinde sich vielleicht nicht im Amphitheater und alle seine Befürchtungen seien grundlos. Bisweilen klammerte er sich mit aller Kraft an diese Hoffnung an. Er sagte sich, Christus könne Lygia wohl aus dem Gefängnisse zu sich nehmen, nicht aber ihren qualvollen Tod im Zirkus zulassen. Früher hatte er schon alles Christi Willen anheimgestellt, jetzt aber, wo er, von den Cunicula abgewiesen, auf seinen Platz im Amphitheater zurückkehrte und wo er aus den neugierigen Blicken, die ihn trafen, erkannte, daß seine schlimmsten Befürchtungen möglicherweise begründet sein könnten, jetzt begann er aus tiefster Seele ihn mit einer Inbrunst um Rettung anzuflehen, die beinahe etwas Drohendes an sich hatte. »Du kannst es,« wiederholte er, krampfhaft die Fäuste ballend, »du kannst es!« Niemals hatte er zuvor geahnt, daß der Augenblick, in dem das Schreckbild Wirklichkeit werden sollte, so furchtbar sein werde. Jetzt hatte er jedoch, ohne daß er sich von den Vorgängen in seinem Innern klare Rechenschaft geben konnte, die Empfindung, als müsse sich, wenn er Lygia gemartert sehe, seine Liebe in Haß, sein Glaube in Verzweiflung verwandeln. Zugleich aber entsetzte er sich über diese Gedanken, denn er fürchtete, Christus zu beleidigen, zu dem er um Erbarmen und um ein Wunder flehte. Er bat nicht mehr um ihr Leben, er wollte nur, daß sie sterbe, bevor sie die Arena betrete, und aus der Abgrundtiefe seines Schmerzes heraus wiederholte er in seinem Innern: »Dies wenigstens versage mir nicht, und ich will dich noch inniger lieben als bisher.« [280] Schließlich rasten seine Gedanken wie das sturmgepeitschte Meer. Es erwachte in ihm das Verlangen nach blutiger Rache. Es erfaßte ihn der wahnsinnige Wunsch, sich auf Nero zu stürzen und ihn vor den Augen aller Zuschauer zu erdrosseln; aber in demselben Augenblicke fühlte er, daß er durch dieses Verlangen von neuem Christus beleidige und seine Gebote übertrete. Zuweilen flammte ein Hoffnungsstrahl blitzartig in ihm auf, eine allmächtige und allerbarmende Hand könne noch alles, wovor seine Seele zitterte, abwenden; aber dieser Hoffnungsstrahl erlosch sofort und machte der niederschlagenden Erwägung Platz, daß er, der mit einem einzigen Worte diesen Zirkus zertrümmern und Lygia retten könne, sie dennoch verlasse, trotzdem sie ihm vertraute und ihn mit der ganzen Kraft ihres reinen Herzens liebte. Und ferner mußte er daran denken, daß sie jetzt im finsteren Cuniculum liege, schwach, hilflos, verlassen, den vertierten Wärtern auf Gnade und Ungnade überliefert, vielleicht ihren letzten Atem aushauchend, während er hier ratlos in diesem entsetzlichen Amphitheater saß, ohne zu wissen, welche Marter man für sie ersonnen habe und was sich im nächsten Augenblicke ereignen werde. Wie jemand, der in einen Abgrund stürzt, nach jedem Halme greift, der am Rande wächst, so klammerte er sich mit allen Kräften an dem Gedanken fest, daß nur der Glaube sie zu retten vermöge. Das blieb der einzige Weg! Petrus hatte ihm ja gesagt, daß der Glaube die Welt aus ihren Angeln heben könne.

Er raffte sich daher auf, kämpfte die Verzweiflung in sich nieder, faßte sein ganzes Wesen in dem einen Worte: »Ich glaube!« zusammen und wartete auf ein Wunder.

Aber wie eine allzu straff gespannte Saite springen muß, so brachte der Schmerz auch in seinem Innern etwas zum Springen. Totenblässe überzog sein Antlitz, sein Körper sank kraftlos zusammen. Er glaubte, sein Gebet sei erhört, der Tod nahe ihm. Es war ihm, als müsse Lygia nun auch sterben, und Christus nehme auf diese Weise sie beide [281] zu sich. Die Arena, die weißen Togen der zahllosen Zuschauer, das Licht der tausende von Lampen und Fackeln – alles verschwamm ihm vor den Augen.

Aber diese Ohnmacht dauerte nicht lange. Nach kurzer Zeit kam er wieder zu sich oder wurde vielmehr durch das Stampfen der ungeduldigen Menge geweckt.

»Du bist krank,« sagte Petronius zu ihm, »laß dich nach Hause tragen.«

Und ohne Rücksicht darauf, was der Caesar dazu sagen würde, erhob er sich, um Vinicius den Arm zu reichen und hinauszubegleiten. Das Herz schwoll ihm über vor Mitleid, und außerdem erbitterte ihn die Wahrnehmung, daß der Caesar durch den Smaragd hindurch auf Vinicius blickte und seinen Schmerz genau studierte, um ihn vielleicht später in pathetischen Strophen zu besingen und damit um den Beifall der Zuhörer zu buhlen.

Vinicius schüttelte den Kopf. Er konnte im Amphitheater wohl sterben, aber er konnte es nicht verlassen. Auch mußte die Vorstellung jeden Augenblick beginnen.

Und wirklich winkte der Stadtpräfekt beinah in demselben Momente mit einem roten Tuche; auf dieses Zeichen knarrte das Tor gegenüber dem Podium des Caesars in seinen Angeln, und aus der finsteren Höhlung trat Ursus in die hell beleuchtete Arena.

Der Hüne blinzelte mit den Augen, offenbar geblendet vom Lichte in der Arena, dann schritt er in die Mitte des weiten Platzes und sah sich um, als wolle er sich vergewissern, was ihm bevorstehe. Alle Augustianer und die meisten Zuschauer wußten, daß dies der Mann war, der Kroton erwürgt hatte, und daher lief bei seinem Erscheinen ein Murmeln durch sämtliche Sitzreihen. In Rom fehlte es nicht an Gladiatoren, die weit das Durchschnittsmaß übersteigende Kräfte besaßen, aber einen solchen Riesen hatten die Augen der Quiriten noch nie erblickt. Cassius, der auf dem Podium hinter dem Caesar stand, erschien im Vergleich zu diesem [282] Lygier als ein Zwerg. Die Senatoren, die Vestalinnen, der Caesar, die Augustianer und das Volk betrachteten mit dem Entzücken von Kennern und Liebhabern seine mächtigen, Baumstämmen an Umfang gleichenden Beine, seine Brust, die so breit war wie zwei nebeneinander gestellte Schilde, und seine herkulischen Arme. Das Gemurmel verstärkte sich jeden Augenblick. Für dieses Publikum gab es keinen größeren Genuß als solche Muskeln in Betätigung, in Anspannung, im Kampfe zu erblicken. Das Gemurmel ging in laute Zurufe und fieberhafte Fragen nach den Wohnsitzen des Volkes über, das solche Riesen hervorbringe. Währenddessen stand Ursus mitten im Amphitheater nackt, einem Steinkoloß ähnlicher als einem Menschen, mit seinem gefaßten, ernsten Barbarengesicht und betrachtete, als er die Arena leer erblickte, mit seinen blauen Kinderaugen voller Verwunderung bald die Zuschauer, bald den Caesar, bald die Gitter der Cunicula, von woher er seine Henker erwartete.

In dem Augenblick, wo er die Arena betrat, lebte in seinem schlichten Herzen anfangs die Hoffnung, es könne ihn vielleicht ein Kreuz erwarten; als er aber weder ein Kreuz noch das für dieses bestimmte Loch sah, glaubte er, er sei dieser Gnade unwürdig und es sei ihm ein anderer Tod beschieden, sicherlich durch wilde Tiere. Er war unbewaffnet und nahm sich vor, zu sterben, wie es einem Bekenner des »Lammes« zukomme, ruhig und geduldig. Vorher wollte er noch einmal zum Heiland beten; er kniete daher in der Arena nieder, faltete die Hände und erhob den Blick zu den Sternen, die vom Himmel herunter in den Zirkus hinein glänzten.

Dieses Verhalten mißfiel den Zuschauern. Sie waren jener Christen, die sich schlachten ließen wie Schafe, herzlich überdrüssig; sie meinten, wenn jener Riese sich nicht wehren wolle, so sei das ganze Schauspiel verfehlt. Einige riefen nach den Mastigophoroi, deren Aufgabe es war, die Verurteilten, die nicht kämpfen wollten, zu peitschen. Binnen kurzem war jedoch alles wieder still, denn niemand wußte, was [283] für ein Schicksal den Riesen erwarte und ob er nicht kämpfen werde, wenn er dem Tode Auge in Auge gegenüberstehe.

In der Tat hatte man nicht mehr lange zu warten. Plötzlich ertönten schmetternde Trompetenstöße, das dem Podium des Caesars gegenüberliegende Gitter öffnete sich, und in die Arena stürzte unter dem Geschrei der Tierwärter ein riesiger Auerochse aus Germanien, auf dem Kopfe den entblößten Leib eines Weibes tragend.

»Lygia! Lygia!« schrie Vinicius auf.

Dann faßte er sich mit beiden Händen an die Schläfen, krümmte sich wie von einem Speere getroffen und begann mit heiserer Stimme, die nichts Menschliches mehr an sich hatte, fortwährend zu wiederholen: »Ich glaube! ich glaube! ... Christus! ein Wunder!!«

Er merkte sogar nicht, daß Petronius ihm in diesem Augenblicke das Haupt mit der Toga verhüllte. Es war ihm, als habe ihm der Tod oder der Schmerz die Augen geschlossen. Er achtete auf nichts, er sah nichts. Es erfaßte ihn das Gefühl einer ungeheuren Leere. Alles Denken war aus seinem Geiste gewichen, nur die Lippen wiederholten instinktiv: »Ich glaube! ich glaube! ich glaube!«

Im ganzen Amphitheater herrschte lautlose Stille. Die Augustianer erhoben sich sämtlich von ihren Sitzen, denn in der Tat begann jetzt in der Arena ein außergewöhnliches Schauspiel. Als der riesige, zum Sterben bereite Lygier seine Königin auf den Hörnern des wilden Stieres erblickte, sprang er auf, als hätte ihn eine Flamme berührt, duckte sich und lief vornübergebeugt dem rasenden Tiere entgegen.

Von allen Seiten ertönte ein kurzer, bewundernder Aufschrei; dann trat dumpfe Stille ein: der Lygier hatte inzwischen im Nu den rasenden Stier erreicht und bei den Hörnern gepackt.

»Schau!« rief Petronius, indem er Vinicius die Toga vom Gesichte wegzog.

[284] Dieser erhob sich, warf das totenblasse Antlitz zurück und blickte mit starren, bewußtlosen Augen auf die Arena.

Sämtlichen Zuschauern stockte der Atem in der Brust. Man hätte das Summen einer Fliege im Amphitheater hören können. Man wollte den eigenen Augen nicht trauen. Solange Rom Rom gewesen war, hatte man nichts Ähnliches gesehen.

Der Lygier hielt den Stier an den Hörnern. Seine Füße bohrten sich bis zum Knöchel in den Sand ein, sein Rücken krümmte sich wie ein gespannter Bogen, sein Kopf lag zwischen den Schultern versteckt, an den Armen traten die Muskeln in einer Weise hervor, daß die Haut unter ihrem Drucke zu bersten drohte, aber er ließ den Stier nicht von der Stelle. Mann und Tier verharrten in einer solchen Regungslosigkeit, daß die Zuschauer ein die Taten des Herakles oder Theseus darstellendes Gemälde oder eine Marmorgruppe vor sich zu haben glaubten. Doch in dieser scheinbaren Ruhe war das furchtbare Ringen zweier sich bekämpfenden Mächte zu erkennen. Der Stier bohrte sich ebenso wie Ursus mit den Füßen in den Sand ein, und sein dunkler, zottiger Körper krümmte sich so zusammen, daß er wie eine riesige Kugel aussah. Wer zuerst weichen, wer zuerst fallen werde, das war die Frage, die für diese an derlei Kämpfen sich begeisternden Zuschauer in diesem Augenblicke eine größere Bedeutung besaß als ihr eigenes Schicksal, als ganz Rom und seine Weltherrschaft. Dieser Lygier war in ihren Augen jetzt ein Halbgott, der es verdiente, daß man ihn göttlich verehrte und ihm Statuen errichtete. Auch der Caesar war sogar aufgesprungen. Als er und Tigellinus von der Stärke des Mannes hörten, hatten sie dieses Schauspiel absichtlich so angeordnet und höhnisch zueinander gesagt: »Dieser Krotontöter mag auch den Stier erwürgen, den wir ihm aussuchen wollen.« Nun blickten sie voller Staunen auf das Bild, das sich ihren Blicken darbot, und wollten kaum an die Wirklichkeit des sich abspielenden Vorganges glauben. Im Amphitheater waren Leute zu sehen, [285] die die Hände emporstreckten und in dieser Stellung verharrten. Anderen bedeckte kalter Schweiß die Stirn, als ob sie selbst mit der Bestie im Kampfe lägen. Im ganzen Zirkus war nichts weiter zu hören als das Knistern der Flammen in den Lampen und das Geräusch der von den Fackeln herunterfallenden Kohlenstückchen. Die Stimme erstarb den Zuschauern auf den Lippen, das Herz pochte ihnen gegen die Rippen, als wollte es sie sprengen. Allen war es, als dauere der Kampf Jahrhunderte.

Mann und Tier standen immer noch in dem furchtbaren Ringen unbeweglich da, man hätte sagen können, wie in der Erde festgewurzelt.

Dann drang ein dumpfes, stöhnendes Gebrüll aus der Arena empor, das jeder Brust einen Aufschrei entpreßte; dann wurde es wieder still. Man glaubte zu träumen; unter den Eisenhänden des Barbaren begann sich der ungeheure Kopf des Stieres zu drehen.

Gesicht, Rücken und Arme des Lygiers waren purpurrot, der Rücken bog sich noch stärker. Es war ersichtlich, daß er den letzten Rest seiner übermenschlichen Kraft aufbot, daß diese aber auch nicht mehr lange vorhielt.

Immer dumpferer, heiserer, immer stöhnender wurde das Brüllen des Stieres und vermischte sich mit dem pfeifenden Atem des Riesen. Der Kopf des Tieres drehte sich immer stärker, und aus dem Maule hing ihm die rauhe Zunge lang herab.

Noch ein Augenblick, und zu den Ohren der näher sitzenden Zuschauer drang ein Geräusch wie das Krachen zermalmter Knochen, dann stürzte der Stier mit gebrochenem Genick zu Boden.

Im Nu löste der Hüne die Stricke von den Hörnern und nahm die Jungfrau auf seinen Arm. Seine Brust arbeitete heftig.

Sein Gesicht war blaß, die Haare klebten vom Schweiße zusammen, Schultern und Arme waren wie aus dem Wasser [286] gezogen. Kurze Zeit stand er halb bewußtlos da, dann erhob er die Augen und sah zu den Zuschauern auf.

Das Amphitheater raste.

Die Wände des Gebäudes erzitterten unter dem Toben der vielen tausende von Menschen. Seit dem Beginne der Spiele konnte man sich einer ähnlichen Aufregung nicht entsinnen. Die in den obersten Reihen Sitzenden verließen ihre Plätze, begaben sich nach unten und drängten sich in den Gängen zwischen den Bänken zusammen, um den starken Mann besser sehen zu können. Von allen Seiten ertönten dringende, hartnäckige Rufe um Gnade, die sich binnen kurzem in einen einzigen tosenden Aufschrei verwandelten. Der Riese war diesem die physische Kraft leidenschaftlich bewundernden Volk teuer und die erste Persönlichkeit Roms geworden.

Ursus begriff, daß die Menge verlangte, man solle ihm das Leben schenken und die Freiheit wiedergeben; aber offenbar kam es ihm nicht auf sich allein an. Eine Weile blickte er sich rings um, dann trat er vor das Podium des Caesars und erhob, während er ihm die Jungfrau auf den ausgebreiteten Armen entgegenhielt, die Augen mit flehendem Ausdruck, als wolle er sagen: »Erbarmt euch ihrer! Rettet sie! Ich habe es ja für sie getan!«

Die Zuschauer verstanden sehr wohl, was er begehrte. Der Anblick der ohnmächtigen Jungfrau, die sich neben dem riesigen Körper des Lygiers wie ein kleines Kind ausnahm, erregte das Mitleid des Volkes, das der Ritter und Senatoren. Ihre schlanke Gestalt, weiß, als sei sie aus Alabaster gehauen, ihre Ohnmacht, die furchtbare Gefahr, aus der der Hüne sie errettet hatte, und endlich ihre Schönheit und Lieblichkeit rührten aller Herzen. Einige glaubten, es sei ein Vater, der um Gnade für sein Kind bitte. Das Mitleid kam plötzlich zum Ausbruche wie ein Feuersturm. Man war des Blutes, des Hinmordens, des Marterns satt. Tränenerstickte Stimmen begannen um Gnade für beide zu bitten.

[287] Ursus ging inzwischen mit dem Mädchen auf den Armen um die ganze Arena herum, mit Gebärden und Blicken um ihr Leben flehend. Vinicius sprang auf, schwang sich über die Brüstung, welche die vordersten Sitze von der Arena trennte, eilte auf Lygia zu und bedeckte ihren entblößten Körper mit seiner Toga.

Dann riß er die Tunika von seiner Brust, zeigte auf die Narben der Wunden, die er im armenischen Kriege davongetragen hatte, und streckte die Hände gegen das Volk aus.

Die Begeisterung der Menge überstieg jetzt alles in den Amphitheatern Dagewesene. Die Menge begann zu stampfen und zu brüllen. Die um Gnade bittenden Stimmen wurden geradezu drohend. Das Volk hatte nicht nur dem Riesen seine Zuneigung geschenkt, sondern trat auch für das Mädchen, den jungen Tribun und beider Liebe ein. Die tausende von Zuschauern wandten sich mit zornfunkelnden Augen und geballten Fäusten gegen den Caesar. Dieser schwankte und zauderte. Gegen Vinicius empfand er zwar keinen Haß, und an Lygias Tode war ihm auch nichts gelegen; allein er hatte es sich einmal in den Kopf gesetzt, den Leib des Mädchens von den Hörnern des Stieres zerfleischt oder von den Zähnen wilder Tiere zerrissen zu sehen. Seine Grausamkeit, seine entartete Phantasie und seine entmenschte Lüsternheit fanden gleichermaßen an solchen Schaustellungen Gefallen. Und jetzt wollte das Volk ihn dieses Genusses berauben. Bei diesem Gedanken bedeckte sich sein aufgedunsenes Gesicht mit Zornesröte. Auch seine Eigenliebe gestattete ihm nicht, dem Willen des Volkes nachzugeben, aber zugleich wagte er aus angeborener Feigheit nicht, sich ihm zu widersetzen.

Er sah sich um, ob er nicht wenigstens bei den Augustianern nach unten gerichtete Finger als Zeichen der Verurteilung erblickte. Doch Petronius hielt die Hand empor und sah ihm beinahe herausfordernd ins Gesicht. Der abergläubische, zur Schwärmerei hinneigende Vestinus, der sich vor Geistern, aber nicht vor Menschen fürchtete, gab das Zeichen [288] der Gnade. Dasselbe taten der Senator Scaevinus, Nerva, Tullius Senecio, der alte berühmte Heerführer Ostorius Scapula, Antistius, Piso, Vetus, Crispinus, Minucius Thermus, Pontius Telesinus und der vom Volke hochverehrte Thrasea. Bei diesem Anblick ließ der Caesar mit dem Ausdruck der Verachtung und Kränkung den Smaragd fallen, aber Tigellinus, dem es vor allen Dingen darauf ankam, Petronius einen Possen zu spielen, beugte sich zu ihm herab und sagte: »Gib nicht nach, Gottheit; wir haben die Prätorianer.«

Nero wandte sich nach der Seite, wo der grimme, ihm mit ganzer Seele ergebene Subrius Flavius an der Spitze der Prätorianer stand, und sah etwas Unerwartetes. Das Gesicht des alten Tribuns war streng, aber von Tränen überströmt, und er hielt seine rechte Hand als Zeichen der Gnade empor.

Das Volk wurde wütend. Der Staub wirbelte unter den stampfenden Füßen auf und verhüllte das Amphitheater. Inmitten des Tobens wurden Stimmen laut: »Rotbart! Muttermörder! Brandstifter!«

Nero erschrak. Im Zirkus war das Volk unumschränkter Herr. Die Vorgänger des Caesars, namentlich Caligula, hatten es zwar mitunter gewagt, gegen den Willen der Menge zu handeln, aber stets hatte dies einen Aufruhr zur Folge gehabt, bei dem es sogar zum Blutvergießen gekommen war. Aber Nero befand sich in anderer Lage. Erstens brauchte er als Schauspieler und Sänger die Gunst des Volkes, und zweitens wünschte er es auf seiner Seite zu haben, um dem Senate und den Patriziern entgegentreten zu können, und namentlich nach dem Brande Roms versuchte er es mit allen Mitteln, die Menge zu versöhnen und ihre Wut auf die Christen abzulenken. Endlich sah er ein, daß längerer Widerstand geradezu gefährlich sei. Der im Zirkus ausgebrochene Aufruhr konnte die ganze Stadt ergreifen und unberechenbare Folgen haben.

[289] Er blickte sich noch einmal nach Subrius Flavius, nach dem Centurio Scaevinus, den Verwandten des Senators, nach den Soldaten um, und als er auch hier finster gerunzelte Brauen, erregte Gesichter und fest auf ihn gerichtete Blicke bemerkte, gab er das Zeichen der Gnade.

Donnernder Beifall ertönte von den obersten bis zu den untersten Sitzreihen. Das Volk war überzeugt, daß dem Leben der Verurteilten keine Gefahr mehr drohe; denn von diesem Augenblicke an standen sie unter seinem Schutze, und selbst der Caesar würde es nicht wagen, sie noch länger mit seiner Rachsucht zu verfolgen.

Siebenundsechzigstes Kapitel

Siebenundsechzigstes Kapitel.

Vier Bithynier trugen Lygia sorgsam zum Hause des Petronius. Vinicius und Ursus schritten neben der Sänfte her und beeilten sich, sie so bald wie möglich der Pflege eines griechischen Arztes anzuvertrauen. Sie schwiegen, denn nach den Vorgängen dieses Tages konnten sie keine Worte finden. Vinicius war noch halb bewußtlos. Er wiederholte es sich unablässig, Lygia sei gerettet, es drohe ihr weder Kerkerhaft noch der Tod im Zirkus mehr, das Unglück sei ein für allemal vorüber, er werde sie heimführen, um sich nie wieder von ihr zu trennen. Es war ihm, als sei dies eher der Anfang eines neuen Lebens als Wirklichkeit. Von Zeit zu Zeit beugte er sich über die offene Sänfte, um das geliebte Antlitz zu betrachten, das beim Scheine des Mondes wie schlummernd dalag, und wiederholte sich in Gedanken: »Ja, sie ist es, Christus hat sie gerettet!« Auch erinnerte er sich, daß, als Ursus und er Lygia aus dem Spoliarium trugen, ein unbekannter Arzt hinzugekommen war und ihn versichert habe, das Mädchen lebe und werde am Leben bleiben. Bei diesem Gedanken schwoll sein Herz vor Freude, so daß er mitunter strauchelte und sich auf Ursus' Arm stützen mußte, da er nicht allein gehen konnte. Ursus sah andächtig zum Himmel empor und betete.

[290] Eilends schritten sie durch die Straßen, deren neuerbaute Häuser mit ihren weißen Wänden hell im Strahle des Mondlichts erglänzten. Die Stadt war menschenleer. Nur hier und da erblickte man Gruppen von Menschen, die, mit Efen bekränzt, vor den Toren zum Klange von Flöten sangen und tanzten und sich auf diese Weise der wundervollen Nacht und der Festzeit, die vom Beginn der Spiele an bis jetzt gedauert hatte, freuten. Erst als sie nicht mehr weit vom Hause entfernt waren, hörte Ursus auf zu beten und begann mit leiser Stimme, als fürchte er, Lygia zu erwecken: »Es war der Heiland, Herr, der sie vom Tode errettet hat. Als ich sie auf den Hörnern des Stiers erblickte, hörte ich in meinem Innern eine Stimme: Schütze sie! und dies war ohne Zweifel die Stimme des Lammes. Das Gefängnis hatte mich geschwächt; aber der Heiland gab mir meine Kraft für diesen Augenblick wieder und begeisterte dieses grausame Volk, Partei für Lygia zu ergreifen. Sein Wille geschehe!«

Vinicius erwiderte: »Hochgelobt sei sein Name! ...«

Aber er konnte nicht weitersprechen, denn er fühlte, wie ihm ein unstillbares Schluchzen die Brust zu erschüttern drohte. Es drängte ihn unwiderstehlich, sich auf die Erde zu werfen und dem Heiland für das Wunder und sein Erbarmen zu danken.

Inzwischen waren sie am Hause angelangt. Die durch einen eigens dazu abgesandten Sklaven benachrichtigten Diener, von denen die Mehrzahl schon in Antium durch Paulus von Tarsos bekehrt worden war, hatten sich zum Empfange der Ankommenden versammelt. Das Unglück ihres Herrn war ihnen bekannt; ihre Freude war daher groß, als sie die Opfer der Rachsucht Neros entronnen sahen, und sie steigerte sich noch, als der Arzt Theokles, nachdem er Lygia untersucht hatte, erklärte, sie habe keinen ernstlichen Schaden davongetragen und werde wieder gesund werden, sobald die durch das Gefängnisfieber verursachte Schwäche vorüber sei.

[291] Das Bewußtsein kehrte ihr noch in dieser Nacht zurück. Als sie in dem herrlichen, von korinthischen Lampen erleuchteten und von Verbenenduft erfüllten Cubiculum erwachte, wußte sie nicht, wo sie sich befinde oder was mit ihr vorgegangen sei. Es war ihr nur die Erinnerung an den Augenblick zurückgeblieben, wo man sie an die Hörner des gefesselten Stieres gebunden hatte, und als sie nun Vinicius' von mildem, farbigem Licht übergossenes Antlitz über sich gebeugt sah, glaubte sie, sich schon nicht mehr auf Erden zu befinden. Die Gedanken verwirrten sich noch in ihrem armen kranken Kopfe; es schien ihr ganz natürlich, daß sie aus Anlaß ihrer Qualen und ihrer Schwäche auf dem Wege zum Himmel irgendwo Halt gemacht hätten. Da sie jedoch keinen Schmerz empfand, lächelte sie Vinicius zu und wollte ihn fragen, wo sie seien; doch nur ein leiser Seufzer kam über ihre Lippen, aus dem Vinicius kaum seinen Namen heraushören konnte.

Er kniete vor ihr nieder und legte seine Hand leise auf ihre Stirn, indem er sagte: »Christus hat dich gerettet und dich mir wiedergeschenkt.«

Ihre Lippen bewegten sich wiederum in unverständlichem Flüstern; dann schlossen sich ihre Lider, ein leichtes Aufatmen hob die Brust, und sie versank in einen tiefen Schlaf, den der Arzt Theokles erwartet hatte und von dem er die Wiederkehr der Gesundheit erhoffte.

Vinicius blieb auf den Knieen vor ihr liegen und betete inbrünstig. Seine Seele war so ausschließlich mit seiner Liebe beschäftigt, daß er seine Umgebung vollständig vergaß. Theokles kehrte mehrmals ins Cubiculum zurück, zu wiederholten Malen zeigte sich hinter dem aufgehobenen Vorhang auch Eunikes goldhaariges Köpfchen. Endlich begannen die im Garten gehaltenen Kraniche krähend den Anbruch des Tages zu verkünden, aber immer noch umklammerte Vinicius im Geiste die Füße Christi, ohne etwas von dem zu sehen oder zu hören, was um ihn herum vorging, während in seinem Herzen [292] ein Dankopfer loderte und er in einer Seligkeit schwebte, die ihm schon auf Erden einen Vorgeschmack des Himmels gewährte.

Achtundsechzigstes Kapitel

Achtundsechzigstes Kapitel.

Um den Caesar nicht zu beleidigen, hatte Petronius nach Lygias Befreiung ihn mit den übrigen Augustianern nach dem Palatin begleitet. Er wollte hören, wovon man dort sprechen werde, und zugleich erfahren, ob Tigellinus irgend einen anderen Anschlag gegen das Mädchen plane. Sie und Ursus standen zwar jetzt unter dem Schutze des römischen Volkes, und niemand konnte Hand an sie legen, ohne einen Aufruhr zu veranlassen; allein Petronius kannte den Haß, den der allmächtige Präfekt gegen ihn hegte, und fürchtete, dieser werde, da er ihm nicht direkt schaden konnte, versuchen, an seinem Neffen auf irgend eine Weise Rache zu nehmen.

Nero war in sehr gereizter Stimmung, weil die Vorstellung ganz anders geendet hatte, als geplant war. Anfangs beachtete er Petronius gar nicht; dieser verlor jedoch seine Kaltblütigkeit nicht und trat zu ihm mit der ganzen Freiheit eines »arbiter elegantiae.«

»Weißt du, Gottheit,« sagte er, »was mir soeben einfällt? Schreibe ein Gedicht auf das Mädchen, das auf Befehl des Herrschers der Welt von den Hörnern eines wilden Stieres gelöst und dem Geliebten übergeben wurde. Die Griechen haben gefühlvolle Herzen, und ich bin überzeugt, ein solches Gedicht wird sie bezaubern.«

Dieser Gedanke gefiel Nero trotz all seines Ärgers, und zwar in doppelter Hinsicht: zunächst als Vorwurf für eine Dichtung und dann weil er sich darin selbst als Herrscher der Welt rühmen konnte. Er sah daher Petronius einige Zeit an und entgegnete: »Jawohl! Du kannst recht haben! Aber schickt es sich für mich, meine eigene Güte zu verherrlichen?«

[293] »Du brauchst dich ja nicht zu nennen. Jedermann in Rom wird auch so wissen, worum es sich handelt, und aus Rom verbreiten sich Nachrichten über die ganze Welt.«

»Und bist du sicher, daß das Gedicht in Achaja gefallen wird?«

»Beim Pollux, ja!« erwiderte Petronius.

Zufriedengestellt entfernte er sich, denn jetzt war er überzeugt, daß Nero, dessen ganzes Streben dahin ging, die Wirklichkeit in Poesie umzusetzen, sich nicht werde das Thema verderben wollen, und so waren Tigellinus die Hände gebunden. Allein dies änderte an seiner Absicht nichts, Vinicius aus Rom zu entfernen, sobald Lygias Zustand nicht mehr gefährlich war. Sobald er ihn daher am nächsten Tage sah, sprach er zu ihm: »Bringe Lygia nach Sizilien. Nach dem, was vorgefallen ist, droht dir von seiten des Caesars nichts, aber Tigellinus ist imstande, sogar zu Gift seine Zuflucht zu nehmen, wenn nicht aus Haß gegen euch, so doch aus Feindschaft gegen mich.«

Vinicius lächelte und entgegnete: »Sie befand sich auf den Hörnern des wilden Stiers, und doch hat Christus sie gerettet.«

»So ehre ihn mit einer Hekatombe,« antwortete Petronius mit einiger Ungeduld, »aber verlange nicht von ihm, daß er sie zum zweitenmal rettet ... Erinnerst du dich, wie Aiolos Odysseus empfing, als dieser zurückkehrte und ihn ein zweites Mal um einen Schlauch voll günstiger Winde bat? Die Götter lieben es nicht, Wohltaten zu wiederholen.«

»Sobald sie genesen ist,« versetzte Vinicius, »bringe ich sie zu Pomponia Graecina.«

»Und du wirst um so besser daran tun, als Pomponia krank ist. Antistius, ein Verwandter von Aulus, hat es mir mitgeteilt. Hier wird sich inzwischen soviel ereignen, daß die Leute euch vergessen, und bei den jetzigen Zeiten sind die am glücklichsten, die in Vergessenheit geraten. Möge [294] Fortuna euch Sonnenschein im Winter und Schatten im Sommer gewähren!«

Sodann überließ er Vinicius seinen Glücke und suchte Theokles auf, um sich nach Lygias Befinden zu erkundigen.

Sie war bereits außer Gefahr. Im Kerker hätte sie allerdings, abgezehrt vom Gefängnisfieber, wie sie war, der verdorbenen Luft und den Entbehrungen erliegen müssen; hier aber erfreute sie sich der sorgfältigsten Pflege und war nicht nur von Reichtum, sondern auch von Pracht umgeben. Auf Anordnung des Arztes fing man bereits nach zwei Tagen an, sie in den an die Villa anstoßenden Garten zu tragen, wo sie stundenlang verweilte. Vinicius schmückte ihre Sänfte mit Anemonen und namentlich mit Irisblumen, um sie an das Atrium in Aulus' Hause zu erinnern. Im Schatten der Bäume sprachen sie oft, sich an der Hand haltend, von den Leiden und Schmerzen der Vergangenheit. Lygia sagte ihm, Christus habe ihn absichtlich durch Qualen hindurchgeführt, um seine Seele umzugestalten und zu sich zu erheben, und er fühlte, sie habe recht, und es sei in ihm nichts von dem früheren Patrizier zurückgeblieben, der kein anderes Gesetz kannte, als den eigenen Wunsch. Allein in diesen Erinnerungen lag nichts Bitteres. Beiden war es, als seien Jahre über ihrem Haupte dahingerauscht und als liege jene furchtbare Vergangenheit weit, weit hinter ihnen. Ein innerer Friede beseelte sie, wie sie ihn noch nie kennen gelernt hatten. Ein neues Leben voll namenloser Glückseligkeit tat sich vor ihnen auf. In Rom mochte der Caesar rasen und die ganze Welt mit Schrecken erfüllen, sie, die im Schutze einer weit höheren Macht standen, fürchteten weder seine Tücke noch seinen Wahnwitz, als habe er für sie aufgehört, Herr über Leben und Tod zu sein. Eines Abends hörten sie aus den entfernt liegenden Vivarien das Gebrüll der Löwen und anderen wilden Tiere herübertönen. Einst hatten diese Stimmen Vinicius mit Entsetzen erfüllt, da er sie für schlechte Vorzeichen hielt; jetzt blickten sie sich nur lächelnd an und [295] erhoben dann beide die Blicke zum abendrotgeschmückten Himmel. Zuweilen entschlummerte Lygia, da sie noch sehr schwach war und nicht allein gehen konnte, inmitten der tiefen Stille; dann wachte er über sie, betrachtete ihr schlummerndes Antlitz und mußte unwillkürlich denken, wie verschieden sie doch jetzt von der Lygia sei, die er bei Aulus kennen gelernt habe. In der Tat hatten Kerkerhaft und Krankheit sie eines Teils ihrer Lieblichkeit beraubt. Damals, als er sie bei Aulus erblickte, und später, als er sie aus Mirjams Hause entführen wollte, war sie so wunderbar schön gewesen, wie eine Bildsäule oder eine Blume, jetzt war ihr Antlitz hager, ihre Hände abgezehrt, der Körper von der Krankheit geschwächt, die Lippen blaß, und selbst die Augen schienen nicht mehr so blau zu sein wie ehedem. Die goldlockige Eunike, welche ihr Blumen und reiche Decken zum Einhüllen ihrer Füße brachte, erschien neben ihr wie die kyprische Göttin. Petronius bemühte sich mit seinem feingeschulten Auge vergebens, die früheren Reize an ihr zu entdecken, und dachte achselzuckend bei sich, dieser Schatten aus den elysischen Gefilden sei so vieler Anstrengungen, so vieler Leiden und Qualen, die Vinicius beinahe das Leben gekostet hätten, gar nicht wert. Allein Vinicius, der jetzt ihre Seele liebte, liebte sie nur um so inniger, und so oft er über sie wachte, wenn sie eingeschlummert war, hatte er das Empfinden, als wache er über die ganze Welt.

Neunundsechzigstes Kapitel

Neunundsechzigstes Kapitel.

Die Kunde von Lygias wunderbarer Befreiung hatte sich rasch unter den zerstreut lebenden Christen verbreitet, die bisher der Verfolgung entgangen waren. Gläubige erschienen in Petronius' Hause, um die zu sehen, an der sich Christi Gnade so sichtbarlich erwiesen hatte. Zunächst kamen der junge Nazarius und Mirjam, bei denen sich der Apostel Petrus verborgen hielt; später folgten ihnen andere. Alle, [296] Vinicius, Lygia und die christlichen Sklaven des Petronius mit eingeschlossen, hörten mit Spannung zu, wenn Ursus von der Stimme erzählte, die er in seinem Innern vernommen und die ihm befohlen habe, mit dem wilden Stiere zu kämpfen, und alle gingen mit dem Trost und der Hoffnung im Herzen fort, Christus werde es nicht zulassen, daß der Rest seiner Bekenner von der Erde vertilgt werde, bevor er selbst zum schrecklichen Gericht erscheine. Und dieses Vertrauen stärkte ihre Herzen, denn die Verfolgung war noch nicht zu Ende. Jeder, den die Stimme der öffentlichen Meinung als Christen bezeichnete, wurde von der Stadtwache ergriffen und sofort ins Gefängnis abgeführt. Der Opfer wurden allerdings weniger, denn die Mehrzahl der Gläubigen war schon verhaftet und gemartert worden, und die übriggebliebenen hatten entweder Rom verlassen, um in entfernten Provinzen das Ende des Sturmes abzuwarten, oder hielten sich sorgfältig versteckt und wagten es nicht, sich anders als in den Sandgruben vor der Stadt zu gemeinsamem Gebete zu versammeln. Gleichwohl wurden sie aufgespürt, und da die Spiele beendet waren, entweder für künftige Schaustellungen aufbewahrt oder sofort hingerichtet. Obgleich das römische Volk nicht mehr glaubte, die Christen seien die Urheber des Brandes der Stadt, wurden sie doch für Feinde der Menschheit und des römischen Reiches erklärt, und das Edikt gegen sie blieb beständig in Kraft.

Der Apostel Petrus wagte es lange Zeit nicht, sich in Petronius' Hause zu zeigen, endlich kündigte jedoch Nazarius eines Abends seinen Besuch an. Lygia, die schon wieder allein gehen konnte, und Vinicius eilten zu seinem Empfange herbei und fielen ihm zu Füßen. Er begrüßte sie mit um so größerer Bewegung, als ihm nur wenige Schafe aus der Herde geblieben waren, deren Leitung Christus ihm anvertraut hatte und deren Schicksal sein großes Herz jetzt beklagte. Als ihm daher Vinicius sagte: »Herr, nur um deiner Fürsprache willen hat der Heiland sie mir wieder geschenkt,« antwortete er: [297] »Um deines Glaubens willen hat er dir sie zurückgegeben, damit nicht jeder Mund schweige, der seinen Namen bekennt.« Offenbar gedachte er dabei jener tausende seiner Kinder, die von wilden Tieren zerrissen worden, jener Kreuze, mit denen die Arenen angefüllt gewesen waren, jener Feuerpfähle in den Gärten des »Tieres,« denn er sprach jene Worte mit tiefem Schmerze. Auch bemerkten Vinicius und Lygia, daß sein Haar ganz weiß geworden, seine ganze Gestalt gebeugt war, sein Antlitz den Ausdruck einer solchen Trauer und Niedergeschlagenheit zeigte, als habe er selbst all die Qualen und Martern ausgestanden, die die Opfer von Neros Grausamkeit und Wahnwitz zu erdulden gehabt hatten. Beide verstanden aber auch, daß, weil Christus selbst Marter und Tod auf sich genommen hatte, Petrus sich dem gleichen Schicksale nicht entziehen dürfe. Doch schmerzte sie der Anblick des durch die Last der Jahre, des Kummers und der Sorge gebeugten Apostels. Vinicius, der schon nach einigen Tagen Lygia nach Neapel zu bringen beabsichtigte, wo sie Pomponia erwarten wollten, um sich von da weiter nach Sizilien zu begeben, bat ihn daher, mit ihnen zusammen Rom zu verlassen.

Der Apostel legte die Hand auf den Kopf seines jungen Freundes und antwortete: »Ich höre in meinem Innern stets die Worte des Herrn, die er mir am See Tiberias sagte: Als du jung warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wohin du wolltest; wenn du aber alt bist, wirst du deine Hand ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst. Daher ist es meine Pflicht, meiner Herde zu folgen.«

Als sie schwiegen, weil sie den Sinn seiner Worte nicht verstanden, fuhr er fort: »Das Ende meiner Arbeit naht; Ruhe und Rast werde ich aber erst im Hause des Herrn finden.«

Dann wandte er sich zu ihnen und sprach: »Gedenket meiner; denn ich habe euch geliebt wie ein Vater seine Kinder; [298] alles, was ihr im Leben tut, das tut zur Ehre des Herrn.«

Bei diesen Worten legte er seine welken, zitternden Hände ihnen aufs Haupt und segnete sie, während sie sich an ihn schmiegten, da sie wohl wußten, daß dies der letzte Segen sei, den sie aus seinen Händen empfingen.

Doch war es ihnen beschieden, ihn noch einmal zu sehen. Einige Tage später brachte Petronius furchtbare Nachrichten vom Palatin mit. Man hatte dort entdeckt, daß einer von Neros Freigelassenen Christ war, und hatte bei ihm Briefe der Apostel Petrus und Paulus von Tarsos, ebenso von Jakobus, Judas und Johannes gefunden. Petrus' Aufenthalt in Rom war Tigellinus schon früher bekannt geworden, er glaubte aber, dieser sei mit den vielen tausenden der übrigen Gläubigen ums Leben gekommen. Jetzt erfuhr man, daß die beiden Verkündiger der neuen Religion noch am Leben seien und sich in der Hauptstadt befänden. Man beschloß daher, sie um jeden Preis aufzuspüren und zu verhaften, da man hoffte, mit ihrem Tode die verhaßte Sekte bis zur letzten Wurzel ausrotten zu können. Petronius hatte von Vestinus gehört, der Caesar selbst habe den Befehl gegeben, Petrus und Paulus von Tarsos müßten sich binnen drei Tagen im mamertinischen Gefängnisse befinden, und ganze Prätorianerabteilungen seien ausgesandt worden, um jedes Haus am jenseitigen Ufer des Tiber zu durchforschen.

Auf diese Nachricht hin faßte Vinicius den Entschluß, sofort zu dem Apostel zu gehen. Am Abend legten er und Ursus gallische Mäntel um, die ihr Gesicht verhüllten, und begaben sich nach Mirjams Hause, bei der Petrus wohnte; es lag an der Grenze des Stadtteils am Fuße des Janiculus. Unterwegs sahen sie, wie die Häuser von Soldaten umstellt und unbekannte Leute daraus abgeführt wurden. Das ganze Viertel war in Unruhe, und hier und da standen Scharen Neugieriger herum. Mitunter wurden die Gefangenen [299] von den Centurionen nach Simon Petrus und Paulus von Tarsos ausgefragt.

Ursus und Vinicius hatten die Soldaten überholt und kamen glücklich nach Mirjams Hause, wo sie Petrus umgeben von einem kleinen Häuflein Gläubiger antrafen. Timotheus, Paulus' Gehilfe, und Linus befanden sich ebenfalls in der Gesellschaft des Apostels.

Bei der Kunde von der drohenden Gefahr führte Nazarius alle Anwesenden auf einem versteckten Wege zur Gartenpforte und dann nach einem verödeten Steinbruch, der einige hundert Schritt vom Janiculustore entfernt lag. Ursus mußte Linus tragen, dessen Beine bei der Folter gebrochen und noch nicht wieder hergestellt waren. Einmal jedoch im Steinbruch angelangt, fühlten sie sich sicher und berieten sich leise beim Scheine einer von Nazarius angezündeten Fackel, auf welche Weise das teure Leben des Apostels zu retten sei.

»Herr,« sagte Vinicius zu ihm, »laß dich morgen in aller Frühe von Nazarius aus der Stadt nach den Albanerbergen führen. Dort werden wir dich treffen und mit nach Antium nehmen, wo das Schiff vor Anker liegt, das uns nach Neapel und Sizilien bringen soll. Gesegnet sei der Tag und die Stunde, wo du mein Haus betreten und meinen Herd segnen wirst.«

Die übrigen hörten ihm voller Freude zu, drangen in den Apostel und sagten: »Verbirg dich, du unser Hirt, denn deines Bleibens ist nicht länger in Rom. Predige die lebendige Wahrheit, damit sie nicht mit uns und dir untergeht. Höre auf uns; wir bitten dich wie einen Vater!«

»Tu es im Namen Christi!« riefen andere und drängten sich an ihn.

Er antwortete jedoch: »Meine Kinder! Wer weiß es, wann der Herr meinem Leben ein Ende setzt!«

Er erklärte aber nicht, in Rom bleiben zu wollen und, wußte selbst nicht, was er tun sollte, da schon seit längerer Zeit eine gewisse Unsicherheit, ja Furcht sich seiner Seele [300] bemächtigt hatte. Seine Herde war zerstreut, das Werk vernichtet, die Kirche, die vor dem Brande der Stadt grünte wie ein üppiger Baum, von der Macht des »Tieres« in den Staub getreten. Nichts war übriggeblieben als Tränen, nichts als die Erinnerung an Marter und Tod. Die Saat war herrlich aufgegangen, aber der Satan hatte sie in die Erde gestampft. Die Legionen der Engel waren den Sterbenden nicht zu Hilfe gekommen, und Nero, schrecklicher und mächtiger als je, regierte als Gebieter sämtlicher Meere und Länder ruhmvoll über die Welt. Mehr als einmal schon hatte der gottgesandte Fischer in seiner Vereinsamung die Hände zum Himmel emporgehoben und gefragt: »Herr, was soll ich tun? wo soll ich bleiben? wie kann ich schwacher alter Mann die Macht des Bösen bekämpfen, dem du die Herrschaft und den Sieg eingeräumt hast?«

Er hatte es aus der Tiefe seines unermeßlichen Schmerzes heraus gerufen und wiederholte nun in seinem Innern: »Jene Schafe, die du mir zu weiden befohlen hast, sind nicht mehr, deine Kirche ist nicht mehr, Öde und Trauer herrschen in deiner Stadt – was befiehlst du mir also nun zu tun? Soll ich hier bleiben oder den Rest deiner Herde hinwegführen, damit wir jenseit des Meeres deinen Namen im verborgenen preisen?«

Er schwankte. Zwar glaubte er, daß die lebendige Wahrheit nicht untergehen könne, sondern siegen müsse, aber zuweilen dachte er, er werde diese Zeit nicht mehr erleben, die erst dann kommen werde, wenn der Herr am Tage des Gerichtes auf Erden in einer Macht und Herrlichkeit erscheine, die hundertmal größer sei als die Neros.

Oft verweilte er bei dem Gedanken, daß, wenn er Rom verlasse, die Gläubigen ihm folgen würden. Er führte sie dann weit hinweg zu den schattigen Hainen Galiläas, an den stillen Spiegel des Sees von Tiberias, zu Hirten, friedfertig wie Tauben oder die Schafe, die sie inmitten von Thymian und Narde weideten. Ein immer mächtigeres Verlangen [301] nach Stille und Ruhe, eine immer stärkere Sehnsucht nach dem See und Galiläa bemächtigten sich des Herzens des alten Fischers, und immer häufiger füllten sich seine Augen mit Tränen.

Als er jedoch nach einiger Zeit die Wahl treffen sollte, befiel ihn plötzlich Angst und Unruhe. Wie konnte er diese Stadt verlassen, wo so viel Märtyrerblut zur Erde geflossen war und wo so viele Lippen noch im Sterben Zeugnis für die Wahrheit abgelegt hatten? Sollte er allein sich der Gefahr entziehen? Und was sollte er dem Herrn erwidern, wenn dieser ihn fragte: »Jene sind für ihren Glauben gestorben, und du bist geflohen.«

Tage und Nächte waren ihm in Kummer und Sorge vergangen. Andere, die man den Löwen vorgeworfen, ans Kreuz geheftet, in den Gärten des Caesars verbrannt hatte, waren nach kurzer Qual im Herrn entschlafen, während er keinen Schlummer fand und heftigere Qualen erduldete, als die Henker sie für ihre Opfer aussinnen konnten. Oft graute schon der Morgen über den Dächern der Häuser, wenn er noch aus der Tiefe seines verzweifelten Herzens heraus rief: »Herr, warum befahlst du mir, hierherzugehen und deine Stadt in der Höhle des Tieres zu errichten?«

Die vierunddreißig Jahre hindurch, die nach dem Tode seines Herrn verflossen waren, hatte er sich keine Ruhe gegönnt. Mit dem Stabe in der Hand hatte er die Welt durchzogen und die »frohe Botschaft« verkündet. Seine Kräfte waren durch die Mühseligkeiten der Wanderung erschöpft, bis er endlich, in der Hauptstadt der Welt, das Werk seines Meisters festigte, über das dann der Feueratem des Bösen hinwegbrauste, so daß er erkennen mußte, daß ein neuer Kampf bevorstehe. Und welch ein Kampf! Auf der einen Seite der Caesar, der Senat, das Volk, die Legionen, die die Welt wie ein eiserner Reif zusammenhielten, zahllose Städte und Länder, eine Macht, wie sie Menschenaugen noch nicht erblickt hatten; auf der anderen Seite er, so vom Alter und von [302] den Mühen gebeugt, daß seine zitternden Hände kaum den Wanderstab zu halten vermochten.

Zuweilen sagte er sich daher, daß es nicht seine Sache sei, sich mit dem römischen Caesar zu messen und daß dies nur Christus allein vermöge.

All diese Gedanken gingen jetzt durch sein sorgenschweres Haupt, als er die Bitten des letzten Häufleins seiner Gläubigen hörte, die sich immer dichter um ihn drängten und in flehendem Tone unablässig wiederholten: »Rette dich, Rabbi, und führe auch uns hinweg aus dem Machtbereich des Tieres.«

Endlich wandte ihm auch Linus sein gequältes Haupt zu: »Herr,« sprach er, »der Heiland hat dir aufgetragen, seine Schafe zu weiden; aber es gibt hier keine mehr, und morgen wird es mit ihnen zu Ende sein. Ziehe daher dorthin, wo du sie noch finden kannst. Noch lebt das Wort Gottes in Jerusalem, in Antiochia, in Ephesos und in anderen Städten. Was erreichst du, wenn du in Rom bleibst? Wenn du fällst, so vergrößerst du nur den Triumph des Tieres. Für Johannes hat der Herr keine Lebensgrenze bestimmt, Paulus ist ein römischer Bürger und kann ohne Richterspruch nicht verurteilt werden. Wenn aber die Macht der Hölle sich gegen dich erhebt, geliebter Lehrer, dann werden alle, die verzagten Herzens sind sprechen: Wer kann es mit Nero aufnehmen? Du bist der Fels, auf den die Kirche Gottes gebaut ist. Laß uns sterben, aber räume dem Antichrist nicht den Sieg über den Stellvertreter Gottes ein und kehre nicht hierher zurück, bis der Herr den zerschmettert hat, der unschuldiges Blut vergossen hat.«

»Sieh unsere Tränen,« wiederholten alle Anwesenden.

Tränen rannen auch über Petrus' Antlitz. Nach einiger Zeit erhob er sich, breitete seine Hände über die Knieenden aus und sagte: »Der Name des Herrn sei gepriesen, und sein Wille geschehe!«

Siebzigstes Kapitel

[303] Siebzigstes Kapitel.

Beim Grauen des folgenden Tages bewegten sich zwei dunkle Gestalten auf der Appischen Straße den Ebenen der Campania zu.

Die eine von ihnen war Nazarius, die andere der Apostel Petrus, der Rom und seine gemarterten Glaubensbrüder zu verlassen im Begriffe stand.

Der Himmel hatte sich im Osten mit einem leichten grünen Saume umzogen, der sich in seinem unteren Teile langsam, aber immer deutlicher safranrot färbte. Silberblättrige Bäume, weiße Marmorvillen und die Bogen der sich über die Ebene nach der Stadt hinziehenden Wasserleitung tauchten allmählich aus dem Dunkel auf. Nach und nach wurde das Grün des Himmels immer intensiver und ging in Gold über. In der Ferne begannen die Albanerberge in rosigem Lichte zu erglühen und erstrahlten in wunderbarem Lilienschimmer, als wären sie aus lauter Glanz gewoben.

Das Sonnenlicht spiegelte sich in den zitternden Tautropfen am Laube der Bäume wider. Der Nebel wich, und immer klarer wurde die Aussicht auf die Ebene, die Häuser, Begräbnisplätze, Städtchen und Baumgruppen, aus deren Mitte weiße Tempelsäulen schimmerten.

Die Straße war menschenleer. Die Bauern, die Gemüse nach Rom brachten, hatten augenscheinlich ihre Wagen noch nicht angespannt. Von den Steinplatten, mit denen der Weg bis zu den Bergen gepflastert war, hallte in der Morgenstille das Geräusch der Holzschuhe wider, die die beiden Wanderer an den Füßen trugen.

Dann stieg die Sonne hinter der Hügelreihe empor, aber zugleich fesselte eine wunderbare Erscheinung die Augen des Apostels. Es war ihm, als steige das goldene Rund, statt sich am Himmel höher und höher zu erheben, hernieder und wandle ihnen entgegen.

Petrus blieb stehen und fragte: »Siehst du jenen Glanz, der sich uns nähert?«

[304] »Ich sehe nichts,« erwiderte Nazarius.

Doch Petrus beschattete seine Augen mit der Hand und sagte: »Eine Gestalt kommt im Glanze der Sonne auf uns zu.«

Aber nicht das leiseste Geräusch von Schritten drang an ihr Ohr. Ringsum war es totenstill; Nazarius sah nur die Bäume in der Ferne erzittern, als ob sie von jemand geschüttelt würden, und ein Rosenglanz verbreitete sich immer weiter über die Ebene.

Erstaunt sah er den Apostel an.

»Rabbi, was ist dir?« rief er bestürzt.

Der Wanderstab sank Petrus aus den Händen, unbeweglich blickten die Augen nach vorwärts, die Lippen waren geöffnet, in seinen Zügen spiegelten sich Staunen, Freude, Entzücken. Mit einem Male stürzte er mit ausgebreiteten Armen auf die Kniee, und von seinen Lippen drang der Ruf: »Christus! ... Christus! ...«

Er fiel mit dem Antlitz zur Erde, als küsse er jemandes Füße.

Lange schwieg er, dann erklangen durch die Stille die tränenerstickten Worte des Greifes: »Quo vadis, Domine? ...« 1

Nazarius vernahm keine Antwort, aber zu Petrus' Ohren drang eine traurige, sanfte Stimme: »Da du mein Volk verlässest, so gehe ich nach Rom, wo man mich aufs neue kreuzigen wird.«

Der Apostel lag, das Antlitz im Staube, regungs-und sprachlos da. Nazarius glaubte schon, er sei ohnmächtig oder tot. Endlich aber erhob er sich, ergriff mit zitternden Händen den Pilgerstab und wandte sich, ohne ein Wort zu sprechen, wieder der Siebenhügelstadt zu.

Der Knabe aber wiederholte wie ein Echo: »Quo vadis, Domine? ...«

»Nach Rom,« antwortete der Apostel leise.

Und er kehrte zurück.


*


[305] Voller Erstaunen empfingen ihn Paulus, Johannes, Linus und alle übrigen Gläubigen, und zwar mit um so größerem Schrecken, als bei Tagesgrauen, unmittelbar nach seinem Fortgange, Prätorianer das Haus Mirjams umstellt und nach dem Apostel durchsucht hatten. Aber auf alle Fragen antwortete er nur heiter und gelassen: »Ich habe den Herrn gesehen.«

Noch am Abend desselben Tages begab er sich nach dem Ostrianum, um zu predigen und alle zu taufen, die sich im Wasser des Lebens läutern wollten.

Von nun an ging er täglich dorthin, und immer größer wurde die Zahl derer, die sich um ihn scharten. Es war, als erständen aus jeder Träne eines Märtyrers neue Gläubige und als fände jeder in der Arena ausgestoßene Seufzer seinen Widerhall in tausenden von Herzen. Der Caesar schwamm in Blut, Rom und die gesamte heidnische Welt raste in wahnwitzigem Taumel dahin. Die aber, die der Greueltaten und des Wahnwitzes müde wurden, die man mit Füßen trat, deren Dasein Elend und Unterdrückung war, alle Mühseligen, alle Beladenen, alle Unglücklichen kamen, um die wunderbare Kunde von einem Gotte zu vernehmen, der sich aus Liebe für die Menschheit hatte ans Kreuz schlagen lassen, um sie von ihren Sünden zu erlösen.

Und indem sie einen Gott fanden, den sie lieben konnten, fanden sie das, was die damalige Welt niemandem geben konnte: Glück und Liebe.

Petrus aber erkannte, daß weder der Caesar noch all seine Legionen die lebendige Wahrheit zu überwältigen vermöchten, daß weder Blut noch Tränen sie auslöschten und daß sie jetzt erst ihren Siegeszug antrete. Ebenso verstand er, warum ihn der Herr unterwegs zurückgesandt habe: diese Stadt des Hochmuts, des Lasters, der Ausschweifung und der Macht begann in doppelter Hinsicht seine Stadt und seine Residenz zu werden, da von ihr die Weltherrschaft über Seele und Leib ausgehen sollte.

Fußnoten

1 Herr, wohin gehst du?

Einundsiebzigstes Kapitel

[306] Einundsiebzigstes Kapitel.

Endlich war die Stunde für beide Apostel gekommen. Gleichsam zur Vollendung seines Werkes war es dem gottgesandten Fischer vergönnt, selbst im Kerker noch zwei Seelen zu gewinnen. Die Söldner Processus und Martinianus, die ihn im mamertinischen Gefängnisse bewachten, empfingen von ihm die Taufe. Dann nahte die Stunde der Marter. Nero war zur Zeit nicht in Rom. Das Urteil wurde von Helios und Polythetes gefällt, zwei Freigelassenen, denen der Caesar für die Zeit seiner Abwesenheit die Regierung Roms überlassen hatte. Über den greisen Apostel hatte man zunächst die durch das Gesetz vorgeschriebenen Geißelhiebe verhängt, und am Tage darauf führte man ihn vor die Mauern der Stadt zum Vatikanischen Hügel, wo er die für ihn bestimmte Kreuzesstrafe erdulden sollte. Die Soldaten staunten über die Menschenmenge, die sich vor dem Gefängnis eingefunden hatte; denn nach ihrem Dafürhalten konnte der Tod eines so einfachen Mannes, der noch dazu ein Fremder war, kein solches Interesse erregen; sie wußten nicht, daß jene Menge nicht aus Neugierigen bestand, sondern aus Gläubigen, die den großen Apostel auf die Richtstätte begleiten wollten. Nachmittags öffneten sich endlich die Gefängnistore, und Petrus erschien in der Mitte einer Schar Prätorianer. Die Sonne hatte sich schon auf Ostia zu geneigt, das Wetter war schön und windstill. Man ließ Petrus aus Rücksicht auf sein hohes Alter das Kreuz nicht selbst tragen, denn man glaubte, die Last werde seine Kräfte übersteigen; auch hatte man ihm keinen Strick um den Hals gelegt, um ihm das Gehen nicht zu erschweren. Er ging ohne Fesseln, und die Gläubigen konnten ihn deutlich sehen. Sobald sein weißes Haupt zwischen den Eisenhelmen der Krieger erschien, lief ein Schluchzen durch die Menge, verstummte aber sofort wieder, denn das Antlitz des Greises zeigte einen solchen Ausdruck von Freudigkeit und strahlendem Entzücken, daß alle begriffen, [307] es sei nicht ein zum Tode Verurteilter, der hier dahinschreite, sondern ein triumphierender Sieger.

Und dem war in der Tat so. Der in der Regel demütige, in gebückter Haltung einhergehende Fischer schritt jetzt aufrecht, selbst die Soldaten überragend, und voller Würde einher. Nie hatte aus seinem Wesen eine solche Majestät hervorgeleuchtet. Man hätte glaube können, ein Monarch schreite dahin, umgeben von seinem Volk und seinen Truppen. Von allen Seiten hörte man rufen: »Dort geht Petrus zum Herrn.« Alle hatten gleichsam vergessen, daß ein qualvoller Tod seiner harre. In weihevoller Stimmung, im tiefsten Seelenfrieden begleiteten sie ihn, denn sie fühlten, daß sich seit dem Tode auf Golgatha nichts gleich Bedeutungsvolle zugetragen hatte und daß, wie jener Tod die ganze Welt erlöst hatte, dieser Rom erlösen sollte.

Die Vorübergehenden blieben beim Anblick dieses alten Mannes voller Verwunderung stehen, die Gläubigen aber legten ihnen die Hände auf die Schultern und sagten in ruhigem Tone: »Sehet, so stirbt ein Gerechter, der Christus gekannt und die Liebe in der Welt verkündet hat.« Die so Angeredeten wurden nachdenklich und sprachen zu sich: »Wahrlich, dieser kann kein Übeltäter sein.«

Der Straßenlärm verstummte. Der Zug bewegte sich an Neubauten vorüber, zwischen weißen Tempelsäulen, über denen sich der tiefblaue, heitere Himmel wölbte. Unter lautloser Stille schritt man dahin; nur ab und zu klirrten die Waffen der Soldaten oder ertönte das Gemurmel von Gebeten. Petrus hörte dies, und sein Antlitz erstrahlte in noch höherer Freude, denn sein Blick konnte jene tausende von Gläubigen kaum umfassen. Er hatte das Bewußtsein, sein Werk zu Ende geführt zu haben, und war überzeugt, daß die Wahrheit, die er sein ganzes Leben hindurch gepredigt hatte, alles mit sich fortreißen werde gleich der Flut des Meeres und daß nichts ihren Fortgang aufzuhalten vermöge. In diesen Gedanken erhob er die Augen zum Himmel und betete: »O Herr, du [308] hast mir befohlen, diese Stadt, die Herrscherin der Welt, zu erobern, dir zu unterwerfen; ich habe es getan. Du befahlst mir, hier deinen Thron zu errichten; es ist mir gelungen. Es ist jetzt deine Stadt, Herr, und ich komme zu dir, denn ich habe viel gearbeitet.«

Als er an den Tempeln vorüberkam, sagte er zu ihnen: »Ihr werdet Tempel Christi werden.« Als er die Volksmenge erblickte, die vor seinen Augen hin und her wogte, sprach er zu ihr: »Eure Kinder werden Diener Christi werden.« So schritt er dahin, in der Überzeugung, die Unterwerfung vollendet zu haben, im Bewußtsein der errungenen Erfolge, im Bewußtsein seiner Macht, getröstet, groß. Die Soldaten führten ihn über die Triumphbrücke, als wollten sie unwillkürlich von seinem Triumphe Zeugnis ablegen, und schritten weiter, der Naumachia und dem Zirkus zu. Die Gläubigen vom jenseitigen Ufer des Tiber schlossen sich dem Zuge an, und es drängte sich eine solche Volksmasse zusammen, daß dem die Prätorianer befehligenden Centurio endlich klar wurde, er führe einen von seinen Anhängern umringten Hohenpriester zum Tode, und er sich über die viel zu geringe Truppenzahl beunruhigte. Aber kein zorniger Ruf, kein Wutschrei ertönte aus der Menge. Die Gesichter waren von der Größe des Augenblicks durchdrungen, feierlich bewegt und zugleich voller Erwartung; denn einige Gläubige, die sich erinnerten, daß beim Tode des Herrn die Erde vor Entsetzen gebebt habe und Tote aus ihren Gräbern erstanden seien, glaubten, es würden sich auch jetzt solche Zeichen ereignen, damit man für alle Ewigkeit des Todes des Apostels gedenke. Andere sagten sich sogar: »Vielleicht wählt der Herr Petrus' Todesstunde, um vom Himmel herab zu kommen, wie er verheißen hat, und Gericht über die Welt zu halten.« In diesen Gedanken empfahlen sie sich dem Erbarmen des Erlösers.

Ringsum herrschte tiefe Stille. Die Hügel erglühten im Sonnenglanze und lagen wie schlummernd da. Zwischen dem [309] Zirkus und dem Vatikanischen Hügel hielt endlich der Zug. Ein Teil der Soldaten machte sich jetzt an das Ausgraben des Loches, andere legten das Kreuz, Hammer und Nägel auf die Erde und warteten, bis die Vorbereitungen getroffen waren. Die Menge, immer ruhig und gefaßt, kniete in der Runde umher.

Der Apostel wandte sich, das Haupt von den goldenen Sonnenstrahlen umleuchtet, zum letztenmal der Stadt zu. In der Ferne sah man tief unten den Tiber erglänzen, auf dem anderen Ufer das Marsfeld, etwas höher das Mausoleum des Augustus, unterhalb die riesigen Thermen, die Nero eben zu bauen begonnen hatte, noch weiter nach unten das Theater des Pompejus und dahinter die durch andere Baulichkeiten teilweise verdeckte Septa Julia, eine Menge Torhallen, Tempel, Säulen, eine Menge prächtiger Gebäude und endlich dort in der Ferne mit Häusern bedeckte Hügel, eine riesige Menschenansiedelung, deren Grenzen sich im blauen Dunste des Horizonts verloren, die Heimstätte des Lasters, aber auch der Macht, des Wahnwitzes, aber auch der Ordnung, die sich zur Beherrscherin und Unterjocherin der Welt emporgeschwungen, ihr aber zugleich auch Frieden und Gesetze gegeben hatte, allmächtig, unbezwinglich, ewig.

Petrus aber, von den Kriegern umringt, blickte mit der Miene eines Herrschers und Königs, der sein Erbe betrachtet, auf die Stadt herab und sagte zu ihr: »Du bist erlöst und mein!« Niemand, nicht allein die Soldaten, die das Loch für das Kreuz aushöhlten, sondern auch unter den Gläubigen konnte ahnen, daß in der Tat der Herrscher dieser Stadt in ihrer Mitte stehe, daß die Caesaren dahinschwinden, die Fluten der Barbaren vorüberrauschen, Jahrhunderte kommen und gehen würden, jener Greis aber hier ununterbrochen herrschen würde.

Die Sonne neigte sich noch tiefer gegen Ostia zu und wurde groß und rot. Der ganze westliche Himmel leuchtete in wunderbarer Glut. Die Soldaten näherten sich Petrus, um ihn zu entkleiden.

[310] Plötzlich richtete er sich jedoch im Gebete auf und hob seine Rechte hoch empor. Die Henker stutzten wie eingeschüchtert von seiner Haltung; auch die Gläubigen hielten den Atem an, in der Meinung, er wolle sprechen. Totenstille trat ein.

Doch er, auf jener Höhe stehend, machte mit seiner ausgestreckten Rechten das Zeichen des Kreuzes und gab in der Stunde seines Todes urbi et orbi 1 seinen Segen.


*


An demselben wundervollen Abend führte eine andere Abteilung Paulus von Tarsos auf der Via Ostiensis zu dem Aquae Salviae genannten Platze. Auch ihm folgte eine Menge Gläubiger, die er bekehrt hatte. Erblickte er nähere Bekannte, so blieb er stehen und sprach mit ihnen, da die Wache auf ihn als römischen Bürger größere Rücksicht nahm. Vor dem Tergemina genannten Tore traf er Plautilla, die Tochter des Präfekten Flavius Sabinus, und als er ihr von Tränen überströmtes jugendliches Antlitz erblickte, sagte er: »Plautilla, Tochter der ewigen Erlösung, gehe hin in Frieden. Gib mir nur noch deinen Schleier, meine Augen zu verbinden, wenn ich zum Herrn gehe.« Er nahm den Schleier und schritt weiter mit so freudigem Antlitz, wie ein Arbeiter, der sich den ganzen Tag abgemüht hat und jetzt nach Hause geht. Seine Gedanken waren, ähnlich wie die des Petrus, ruhig und heiter, wie der Abendhimmel. Gedankenvoll schweiften seine Blicke über die Ebene, die sich vor ihm bis zu den in Glanz getauchten Albanerbergen ausdehnte. Er erinnerte sich seiner Reisen, der Mühe und Arbeit, der Kämpfe und Siege, der Kirchen, die er in allen Ländern und jenseit aller Meere gegründet hatte, und glaubte, genug gearbeitet zu haben, um zur Ruhe gehen zu können. Auch er hatte sein Tagewerk getan. Er hatte die Überzeugung, daß der von ihm ausgestreute Same vom Sturme [311] der Bosheit nicht wieder verweht werden könne. Er tröstete sich mit dem Bewußtsein, daß die von ihm verkündete Wahrheit in dem Kampfe, den sie mit der Welt zu bestehen hatte, siegen werde, und ein unaussprechlicher Friede senkte sich in seine Seele.

Der Weg nach dem Richtplatze war weit, und der Abend begann zu dämmern. Die Berge waren in Purpur getaucht, und allmählich wurde ihr Fuß von Schatten umhüllt. Die Herden kehrten heim. Hier und da schritten Scharen von Sklaven mit Arbeitsgeräten auf den Schultern dahin. Vor den Häusern spielten Kinder auf der Straße und betrachteten neugierig die vorübermarschierenden Soldaten. An diesem Abend, in dieser von Sonnengold durchfluteten Luft lag nicht nur Frieden und Ruhe, sondern auch etwas wie eine harmonische Melodie, die sich von der Erde zum Himmel aufzuschwingen schien. Paulus vernahm sie, und sein Herz schwoll vor Entzücken bei dem Gedan ken, daß auch er jener Weltharmonie einen Ton eingefügt habe, den sie bis dahin nicht gehabt hatte und ohne den die ganze Erde »wie ein tönendes Erz und eine klingende Schelle« gewesen war.

Er gedachte daran, wie er die Menschen gelehrt hatte, einander zu lieben, wie er ihnen gesagt hatte, daß wenn sie ihre Habe den Armen gäben und im Besitze aller Sprachen, aller Geheimnisse und aller Weisheit wären, sie doch nichts wären ohne die Liebe, die gütig, geduldig ist, nichts Böses denkt, nicht ihre Ehre sucht, alles verzeiht, alles glaubt, alles hofft, alles duldet.

Sein Leben war der Verkündigung dieser Lehre geweiht gewesen. Und jetzt sprach er in seinem Innern: »Welche Macht ist ihr gleich, und welche kann sie besiegen? Könnte der Caesar sie unterdrücken, und wenn er doppelt soviel Legionen besäße, über doppelt soviele Städte, Meere, Länder, Völker herrschte?«

Und er schritt seiner Belohnung entgegen wie ein Sieger.

Der Zug verließ jetzt die Heerstraße und wandte sich auf [312] einem schmalen Pfade östlich zu den Aquae Salviae. Purpurn ging die Sonne über dem Heidekraut unter. Bei dem Brunnen ließ der Centurio Halt machen. Der entscheidende Augenblick war gekommen.

Paulus hatte sich Plautillas Schleier über den Arm gelegt, um sich mit ihm die Augen verbinden zu lassen; zum letztenmal erhob er jetzt den Blick, aus dem unaussprechlicher Friede strahlte, zum klaren Abendhimmel und betete. Ja! seine Stunde war gekommen; er sah eine breite Lichtbahn vor sich, die zum Himmel emporführte, und in seiner Seele sprach er dieselben Worte, die er im Gefühle seiner geleisteten Dienste und seines nahen Endes kurz zuvor niedergeschrieben hatte: »Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten; hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit.«

Fußnoten

1 Der Stadt und dem Weltkreise.

Zweiundsiebzigstes Kapitel

Zweiundsiebzigstes Kapitel.

Rom raste schon längst in der Fieberglut des Wahnsinns, und es hatte den Anschein, als wolle sich die weltbeherrschende Stadt aus Mangel an einem obersten Führer selbst zerfleischen. Bevor noch die letzte Stunde der Apostel gekommen war, kam die Verschwörung Pisos ans Tageslicht, worauf ein so erbarmungsloses Hinschlachten der angesehensten Männer in Rom erfolgte, daß selbst diejenigen, die in Nero eine Gottheit erblickten, ihn am Ende für den Todesgott hielten. Trauer herrschte in der Stadt, Schrecken wohnte in Häusern und Herzen, aber die Torbogen waren mit Efeu und Blumen bekränzt, denn es war niemandem gestattet, Trauer für die Hingerichteten anzulegen. Wenn man früh erwachte, fragte man sich, an wen heut die Reihe kommen werde. Der Geisterzug, der dem Caesar ungesehen folgte, wurde von Tag zu Tag größer.

Piso bezahlte die Verschwörung mit seinem Kopfe; ihm folgten Seneca und Lucanus, Fenius Rufus, Plautius Lateranus, [313] Flavius Scaevinus, Afranius Quinctianus und die Genossen der wahnwitzigen Ausschweifungen des Caesars Tullius Senecio, Proculus, Araricus, Tugurinus, Gratus, Silanus, Proximus, Subrius Flavius, der einst Nero mit ganzer Seele ergeben gewesen war, und Sulpicius Asper. Die einen richtete ihre eigene Nichtswürdigkeit, andere Furcht, ihr Reichtum oder ihre Tapferkeit zugrunde. Bestürzt über die große Zahl der Verschwörer, umstellte der Caesar die Stadtmauern mit Truppen und hielt Rom gleichsam belagert; täglich schickte er Centurionen mit Todesurteilen in verdächtige Häuser. Die Verurteilten erniedrigten sich noch zu Briefen voller Schmeicheleien, in denen sie dem Caesar für sein Urteil dankten und ihm einen Teil ihres Vermögens vermachten, um den Rest für ihre Kinder zu retten. Zuletzt hatte es den Anschein, als ob Nero absichtlich jedes Maß überschreite, um sich zu überzeugen, wie tief das Volk gesunken sei und wie lange es seine blutige Herrschaft noch ertragen werde. Nach den Verschwörern wurden ihre Verwandten und Freunde hingerichtet, ja selbst einfache Bekannte. Wenn Bewohner herrschaftlicher, nach dem Brande erbauter Häuser auf die Straße traten, konnten sie überzeugt sein, langen Reihen von Leichenzügen zu begegnen. Pompejus, Cornelius Martialis, Flavius Nepos und Statius Domitius mußten sterben, weil man sie des Mangels an Liebe gegen den Caesar beschuldigte; Novius Priscus als Freund Senecas, Rufius Crispus wurde geächtet, weil er einst Poppaeas Gatte gewesen war. Den großen Thrasea stürzte seine Tugend ins Verderben; viele büßten ihre edle Abkunft mit dem Tode, und selbst Poppaea fiel einem plötzlichem Wutausbruche des Caesars zum Opfer.

Der Senat demütigte sich vor dem Gewaltherrscher, errichtete ihm zu Ehren Tempel, tat Gelübde für seine Stimme, bekränzte seine Bildsäulen und stellte Priester an, die ihn göttlich verehren sollten. Die Senatoren gingen zitternden Herzens nach dem Palatin, um den Gesang des »Periodonikes« [314] zu rühmen und mit ihm Orgien zwischen nackten Leibern, Wein und Blumen zu feiern.

Und inzwischen sproßte aus der Tiefe, aus dem mit Blut und Tränen durchsickerten Boden im stillen, aber immer kräftiger die Saat des Petrus auf.

Dreiundsiebzigstes Kapitel

Dreiundsiebzigstes Kapitel.

Vinicius an Petronius.


»Wir wissen hier, carissime, was sich in Rom zuträgt und was wir nicht aus anderer Quelle wissen, erzählen uns deine Briefe. Wenn man einen Stein ins Wasser wirft, so breiten sich die Wellenkreise immer weiter und weiter aus; und so sind auch die Wellen des Wahnwitzes und der Verruchtheit vom Palatin bis zu uns gedrungen. Auf der Reise nach Griechenland wurde Carinas vom Caesar hierher geschickt, der Städte und Tempel plünderte, um den leeren Schatz zu füllen. Auf Kosten des Schweißes und Blutes des Volkes wird jetzt in Rom das ›goldene Haus‹ erbaut. Es ist möglich, daß die Welt noch keinen solchen Palast erblickt hat, aber sie hat auch noch nicht solche Ungerechtigkeiten erlebt. Du kennst ja Carinas. Chilon glich ihm, bis er seine Lebensführung mit dem Tode büßte. Zu den in unserer Nähe liegenden Städten sind seine Leute jedoch noch nicht gekommen, vielleicht deswegen, weil es hier keine Tempel und keine Schätze gibt. Du fragst, ob wir in Sicherheit sind. Ich sage dir nur, wir sind vergessen; diese Antwort möge dir genügen. Von dem Portikus aus, unter dem ich schreibe, sehe ich in diesem Augenblicke unsere ruhige Bai und auf dem Wasser Ursus in einem Boote, der ein Netz in die klare Flut senkt. Meine Gattin spinnt rote Wolle neben mir, und im Garten singen unsere Sklaven im Schatten der Mandelbäume. O welcher Friede, carissime, und welches Vergessen früherer Leiden und Schmerzen! Aber nicht die Parzen sind es, wie du schreibst, die den Faden unseres Lebens so lieblich [315] weiterspinnen, sondern Christus segnet uns, unser geliebter Gott und Heiland. Auch Sorge und Tränen kennen wir, denn unsere Religion befiehlt uns, bei fremdem Leide zu weinen, aber selbst in diesen Tränen liegt ein euch unbekannter Trost; denn einst, wenn unsere Lebenszeit verronnen ist, werden wir alle die Teuren wiedersehen, die für die göttliche Wahrheit starben und noch sterben werden. Für uns sind Petrus und Paulus nicht gestorben, sondern wurden zur Herrlichkeit geboren. Unsere Seelen erblicken sie, und wenn unsere Augen auch weinen, so freuen sich doch die Herzen über ihre Seligkeit. Ja, mein Lieber, wir besitzen ein Glück, das nichts zerstören kann; denn der Tod, der für euch das Ende von allem ist, ist für uns nur der Übergang zu noch vollkommenerer Ruhe, Frieden, innigerer Liebe, höherer Seligkeit.

Und so vergehen uns hier die Tage und Monde im tiefsten Seelenfrieden. Unsere Diener und Sklaven glauben wie wir an Christus, und da er die Liebe gebietet, lieben wir uns alle untereinander. Oft, wenn die Sonne sinkt oder der Mond sich in den Fluten spiegelt, sprechen Lygia und ich von alten Zeiten, die uns heut wie ein Traum vorkommen, und wenn ich daran denke, wie nahe dieses teure Haupt, das ich jetzt täglich an meine Brust drücke, der Qual und dem Tode war, so preise ich von ganzer Seele meinen Herrn, denn er allein konnte sie diesen Händen entreißen, sie aus der Arena retten und mir für ewig wiederschenken. O Petronius, du hast ja gesehen, welche Kraft und Ausdauer diese Religion im Unglück, wieviel Geduld und Mut im Tode verleiht; daher bitte ich dich, komm und sieh, wieviel Glück sie über das gewöhnliche, alltägliche Leben verbreitet. Die Menschen, siehst du, haben bisher noch keinen Gott gekannt, den sie lieben konnten, daher liebten sie sich auch untereinander nicht, und daher rührte ihr Unglück, denn wie das Licht der Sonne, so entströmt das Glück der Liebe. Weder Gesetzgeber noch Philosophen lehrten diese Wahrheit, sie war weder in Griechenland [316] noch in Rom zu finden. Wenn ich sage: in Rom, so bedeutet dies: auf der ganzen Erde. Die trockene und kalte Lehre der Stoiker, zu der sich tugendhafte Leute bekennen, macht das Herz hart wie Erz, stumpft es aber ab, anstatt es zu bessern. Doch warum sage ich das dir, der du mehr gelernt hast und mehr weißt als ich? Du hast ja auch Paulus von Tarsos gekannt und hast öfters lange mit ihm debattiert, weißt also am besten, daß alle Lehren eurer Philosophen und Rhetoren im Vergleich zu seiner Wahrheit nur eitles Gerede und leeres, bedeutungsloses Wortgeklingel sind. Erinnerst du dich der Frage, die er dir einst vorlegte: ›Wenn der Caesar Christ wäre, würdet ihr euch nicht sicherer, eures Besitzes gewisser, sorgenfreier fühlen und dem kommenden Tage ruhiger entgegensehen?‹ Du sagtest mir einst, unsere Religion sei eine Feindin des Lebens; ich antworte dir jetzt darauf, daß, wenn ich von Beginn meines Briefes an nur die drei Worte: ›Ich bin glücklich!‹ wiederholt hätte, mein Glück noch nicht genügend zum Ausdruck gebracht haben würde. Du wirst mir entgegnen, mein Glück bestehe in Lygia. Ja, du hast recht, lieber Freund! Ich liebe ihre unsterbliche Seele, und wir lieben uns gegenseitig in Christus; für solche Liebe gibt es keine Trennung, keine Täuschung, keinen Wechsel, kein Alter, keinen Tod. Denn wenn Jugend und Schönheit vergehen, wenn unser Leib dahinwelkt und der Tod naht, so bleibt die Liebe unsterblich, da unsere Seele unsterblich ist. Bevor sich meine Augen dem Lichte geöffnet hatten, war ich bereit, mein eigenes Haus für Lygias Besitz niederzubrennen; jetzt aber sage ich dir: ich liebte sie damals nicht, denn erst Christus hat mich lieben gelehrt. Er ist die Quelle des Glückes und des Friedens. Nicht ich sage dies, die Erfahrung selbst beweist es. Vergleiche euren mit Sorgen verknüpften Lebensgenuß, eure Gelage, bei denen ihr des kommenden Morgens nicht sicher seid, eure Orgien, die Leichenmählern gleichen, mit dem Leben der Christen, und du wirst die passende Antwort finden. Damit du aber noch [317] besser vergleichen kannst, so komme auf unsere von Thymian duftenden Berge, in unsere schattigen Olivenhaine, an unser efeuumranktes Gestade. Ein Friede wartet deiner hier, wie du ihn lange nicht gekannt hast, und Herzen, die dich aufrichtig lieben. Du, der du eine edle, gütige Seele besitzest, solltest glücklich sein. Dein scharfer Verstand vermag die Wahrheit zu erkennen, und wenn du sie erkannt hast, wirst du sie auch lieben, denn man kann wohl ihr Feind sein wie der Caesar und Tigellinus, aber in Gleichgültigkeit ihr gegenüber verharren kann niemand. O mein teurer Petronius, Lygia und ich trösten uns mit der Hoffnung, dich binnen kurzem wiederzusehen. Bleibe gesund, sei glücklich und komme bald!«

Petronius erhielt diesen Brief in Cumae, wohin er sich in Begleitung des Caesars mit den anderen Augustianern begeben hatte. Sein langjähriger Kampf mit Tigellinus neigte sich seinem Ende zu. Petronius wußte bereits, daß er fallen müsse, und kannte auch den Grund dafür. Je mehr sich der Caesar von Tag zu Tag zu der Rolle eines Komödianten, Possenreißers und Wagenlenkers erniedrigte, je tiefer er in krankhafte, schmutzige, grobe Ausschweifungen versank, um so lästiger mußte ihm der feingebildete »arbiter elegantiarum« fallen. Selbst wenn Petronius schwieg, fühlte sich Nero beleidigt; selbst wenn er lobte, erblickte der Caesar darin nur Spott. Der glänzende Patrizier verletzte seine Eigenliebe und erregte seinen Neid. Seine Reichtümer und prächtigen Kunstwerke waren der Gegenstand der Begehrlichkeit sowohl des Herrschers wie seines ersten Ministers. Man hatte ihn nur noch mit Rücksicht auf die Reise nach Achaja geschont, auf der sein Geschmack, seine Kenntnis des Griechentums von Nutzen sein konnten. Nach und nach redete Tigellinus jedoch dem Caesar ein, Carinas übertreffe Petronius noch an Geschmack und Wissen und werde sich besser darauf verstehen, in Achaja die Spiele, Empfänge und Triumphzüge zu leiten. Seit dieser Zeit war Petronius verloren. Doch wagte man nicht, ihm sein Todesurteil nach Rom zu senden. [318] Sowohl der Caesar wie Tigellinus wußten, daß dieser anscheinend verweichlichte Ästhetiker, »der die Nacht zum Tage machte,« und nur für Lebensgenuß, Kunst und Feste Sinn zu haben schien, als Prokonsul in Bithynien und später als Konsul in der Hauptstadt eine außerordentliche Tatkraft und Energie entwickelt hatte. Sie hielten ihn daher zu allem fähig und wußten zudem, daß er in Rom nicht nur die Zuneigung des Volkes, sondern auch der Prätorianer besaß. Keiner von den Vertrauten des Caesars konnte voraussehen, wie er gegebenenfalls handeln werde; daher schien es geratener, ihn aus der Stadt zu locken und ihn erst in der Provinz zu vernichten.

Zu diesem Zwecke erhielt er die Einladung, sich mit den übrigen Augustianern nach Cumae zu begeben; obgleich er den Hinterhalt ahnte, ging er doch hin, um sich nicht einer offenen Widersetzlichkeit schuldig zu machen, vielleicht, um noch einmal dem Caesar und den Augustianern seine frohe, aller Sorgen bare Miene zu zeigen und noch einmal vor seinem Tode einen Sieg über Tigellinus davonzutragen.

Inzwischen hatte ihn dieser der Freundschaft mit dem Senator Scaevinus, der die Seele der pisonischen Verschwörung gewesen war, angeklagt. Die in Rom zurückgebliebenen Leute des Petronius wurden eingekerkert und sein Haus mit einer Prätorianerwache umstellt. Als er davon erfuhr, zeigte er aber weder Unruhe noch Gereiztheit, sondern sagte lächelnd zu den Augustianern, die er in seiner prächtigen Villa empfing: »Der Rotbart liebt keine direkten Fragen, daher werdet ihr sehen, wie er in Verwirrung gerät, wenn ich ihn frage, wer den Befehl gegeben hat, meine Familia in der Hauptstadt zu verhaften.«

Dann lud er sie zu einem Abschiedsfeste »vor einer längeren Reise« ein und hatte eben seine Vorbereitungen dazu getroffen, als Vinicius' Brief eintraf.

Als er ihn gelesen hatte, war er etwas nachdenklich geworden; doch bald strahlte sein Gesicht wieder in seiner gewohnten [319] Heiterkeit, und am Abend desselben Tages antwortete er folgendermaßen: »Ich freue mich eures Glückes und bewundere eure Herzen, carissime, denn ich hätte nie geglaubt, daß zwei Liebende sich eines in weiter Ferne lebenden Dritten erinnern würden. Ihr aber gedenkt nicht nur meiner, sondern ladet mich auch nach Sizilien ein, damit ihr euer Brot und eueren Christus mit mir teilen könnt, der, wie du schreibst, euer Glück so sehr erhöht.

Ist dies der Fall, so ehret ihn. Ich meine, lieber Freund, daß auch Ursus zu Lygias Rettung ein wenig beigetragen hat, ein wenig auch das römische Volk. Wäre der Caesar ein anderer Mann, so würde auch ich glauben, daß euch keine weiteren Verfolgungen drohen, und zwar mit Rücksicht darauf, daß du mit ihm durch eine Enkelin des Tiberius verwandt bist, die dieser seinerzeit einem Vinicius zur Frau gab. Da du jedoch glaubst, es sei Christus, der Lygia gerettet hat, so will ich dir nicht widersprechen. Vergiß aber nicht, ihm Opfer darzubringen. Prometheus hat sich ebenfalls für die Menschheit geopfert, aber ach! ich glaube, er ist nur eine dichterische Erfindung, während nur glaubwürdige Männer versicherten, sie hätten Christus mit eigenen Augen gesehen. Darin stimme ich mit euch überein, daß er der verehrungswürdigste Gott ist.

An die Frage des Paulus von Tarsos erinnere ich mich sehr wohl und glaube, daß, wenn der Rotbart nach der Lehre Christi lebte, ich vielleicht noch Zeit haben würde, euch auf Sizilien zu besuchen. Dann könnten wir im Schatten der Bäume beim Plätschern der Springbrunnen über alle Götter und alle Lehren disputieren, die jemals von den griechischen Philosophen aufgestellt worden sind. Heute kann ich dir nur kurz antworten.

Ich erkenne nur zwei Philosophen an: der eine ist Pyrrhon, der andere Anakreon. Alle übrigen will ich dir gern preisgeben mit Einschluß der ganzen Schule der griechischen und unserer Stoiker. Die Wahrheit wohnt irgendwo in solcher Höhe, daß nicht einmal die Götter sie von der Spitze des [320] Olymp aus erblicken können. Du, carissime, glaubst freilich, euer Olymp sei noch höher und von diesem Standorte rufst du mir zu: Komm herauf, und du wirst eine Aussicht gewinnen, wie du sie noch nie gehabt hast. Das mag sein. Ich aber antworte dir: Lieber Freund, meine Füße tragen mich nicht so weit! Und wenn du diesen Brief zu Ende gelesen hast, wirst du, denke ich, mir recht geben.

Nein! glücklicher Gatte der Königin der Morgenröte! Eure Religion ist nichts für mich. Soll ich die Bithynier lieben, die meine Sänfte tragen, die Ägypter, die meine Bäder heizen, oder den Rotbart und Tigellinus? Bei den weißen Knieen der Charitinnen schwöre ich dir, daß ich es nicht könnte, selbst wenn ich wollte. In Rom gibt es mindestens hunderttausend Menschen, die einen gewölbten Rücken, starke Kniee, dünne Beine, runde Augen oder zu große Köpfe haben. Willst du, daß ich auch diese liebe? Wo soll ich diese Liebe finden, da ich sie nicht in meinem Herzen empfinde? und wenn euer Gott will, daß ich sie alle liebe, warum hat er in seiner Allmacht nicht allen die Gestalt zum Beispiel der Niobiden gegeben, die du auf dem Palatin gesehen hast? Wer die Schönheit liebt, kann eben deswegen nicht die Häßlichkeit lieben. Etwas anderes ist es, an unsere Götter zu glauben, aber ich kann sie lieben, wie Pheidias, Praxiteles, Myron, Skopas und Lysias dies getan haben.

Selbst wenn ich dir dorthin folgen wollte, wohin du mich führen möchtest, ich könnte nicht. Ich will aber auch nicht, und so kann ich aus einem doppelten Grunde nicht. Du glaubst wie Paulus von Tarsos, daß ihr dereinst jenseit des Styx auf den elysischen Gefilden eueren Christus wiedersehen werdet. Gut! Er soll dir dann selber sagen, ob er mich mit meinen Gemmen, meiner Onyxschale, mit meinen von Socius veröffentlichten Büchern und mit meiner Goldgelockten aufnehmen möchte. Dieser Gedanke nötigt mir ein Lächeln ab, mein Bester, denn Paulus von Tarsos sagte mir ja selbst, man müsse um Christi willen Rosenkränze, [321] Feste und allen Lebensgenuß aufgeben. Allerdings verhieß er mir dafür ein anderes Glück; aber ich entgegnete ihm, ich sei zu alt für eine solche Änderung meines Wesens, meine Augen hätten sich stets an Rosen erfreut, und Veilchenduft werde mir stets angenehmer sein als die Ausdünstung eines meiner schmutzigen Nächsten aus der Subura.

Dies sind die Ursachen, aus denen euer Glück für mich nichts ist. Außerdem gibt es aber noch einen Grund, den ich mir bis zuletzt aufgespart habe: Thanatos ruft mich. Für euch beginnt erst die schönste Zeit des Lebens, doch für mich hat sich die Sonne schon geneigt, und die Abenddämmerung umschattet mir das Haupt. Mit anderen Worten: ich muß sterben, carissime!

Es lohnt sich nicht, lange darüber zu sprechen. Es mußte so kommen. Du, der du den Rotbart kennst, wirst es leicht verstehen. Tigellinus hat über mich triumphiert oder vielmehr nicht! Nur meine Triumphe haben ein Ende erreicht. Ich habe gelebt, wie ich wollte, und werde auch sterben, wie es mir beliebt.

Nehmt euch dies nicht zu Herzen. Kein Gott hat mir Unsterblichkeit verheißen, daher trifft mich nichts Unerwartetes. Übrigens irrst du dich, lieber Vinicius, wenn du behauptest, nur euer Gott lehre, dem Tod ruhig ins Auge zu sehen. Nein! Unsere Welt hat es schon vor euch gewußt, daß, wenn der letzte Becher geleert ist, die Zeit gekommen sei, zur Ruhe zu gehen, und sie versteht dies auch jetzt noch mit Heiterkeit zu tun. Platon erklärt, die Tugend sei Musik und das menschliche Leben eine Harmonie. Wenn dem so ist, so werde ich tugendhaft sterben, wie ich gelebt habe.

Ich würde mich gern noch von deiner göttlichen Gemahlin mit den Worten verabschieden, mit denen ich sie einmal in Aulus' Hause begrüßt habe: Viele habe ich schon gesehen, viele Völker habe ich kennen gelernt, aber deinesgleichen habe ich nirgends gefunden.

Wenn die Seele etwas mehr ist, als Pyrrhon annimmt, [322] so wird die meinige auf dem Wege nach den Gestaden des Okeanos zu euch fliegen und vor eurem Hause in der Gestalt eines Schmetterlings oder, wie die Ägypter glauben, eines Falken verweilen.

Anders kann ich nicht mehr kommen.

Inzwischen laßt Sizilien sich für euch in die Gärten der Hesperiden verwandeln, mögen die Gottheiten der Felder, Wälder und Quellen euch Blumen auf den Weg streuen und weiße Tauben auf jedem Akanthos der Säulen eures Hauses nisten!«

Vierundsiebzigstes Kapitel

Vierundsiebzigstes Kapitel.

In der Tat hatte sich Petronius nicht geirrt. Zwei Tage später sandte der junge Nerva, der ihm stets ein treuer Freund geblieben war, einen seiner Freigelassenen nach Cumae mit Nachrichten von sämtlichen Vorgängen am Hofe des Caesars.

Petronius' Tod war beschlossene Sache. Am Abend des zweiten Tages wollte man einen Centurio mit dem Befehl an ihn abschicken, in Cumae zu bleiben und weitere Befehle abzuwarten. Der zweite Bote sollte ihm einige Tage später das Todesurteil überbringen.

Petronius hörte die Botschaft des Freigelassenen mit unerschütterlicher Ruhe an; dann sagte er: »Bringe deinem Herrn eine meiner Vasen, die man dir vor deinem Weggang einhändigen wird. Sage ihm auch in meinem Namen, daß ich ihm von ganzem Herzen danke, da ich auf diese Weise dem Urteil zuvorkommen kann.«

Plötzlich begann er zu lachen, als sei ihm ein guter Einfall gekommen und als freue er sich schon zum voraus auf dessen Gelingen.

Noch am Abende desselben Tages eilten seine Sklaven durch die Straßen Cumaes und luden alle hier anwesenden Augustianer und Augustianerinnen zu einem Feste in der prächtigen Villa des arbiter elegantiae ein.

Er selbst schrieb während der Nachmittagsstunden in seiner [323] Bibliothek, dann nahm er ein Bad und ließ sein Gewand von den Vestiplicae ordnen. Strahlend und stattlich wie ein Gott begab er sich ins Triclinium, um einen prüfenden Blick auf die Vorbereitungen zu werfen, und von da nach dem Garten, wo noch Knaben und Griechenmädchen von der Insel Rosenkränze zum Feste wanden.

Auf seinem Antlitz war nicht die leiseste Sorge zu bemerken. Die Sklaven erkannten, daß das Fest etwas Ungewöhnliches werden sollte, nur daran, daß er befohlen hatte, denen, mit denen er zufrieden sein werde, hohe Belohnungen zu gewähren, allen denen aber, deren Leistungen ihn nicht zufriedenstellten oder die sich schon früher eine Nachlässigkeit hatten zuschulden kommen lassen, nur einige gelinde Streiche zu verabreichen. Die Lautenspieler und Sänger hatte er schon zum voraus freigebig bezahlt. Endlich setzte er sich unter eine Buche, durch deren Laub die Sonnenstrahlen fielen und hier und da einen hellen Fleck auf die Erde warfen, und rief nach Eunike.

Sie kam, weiß gekleidet, einen Myrtenzweig im Haar, schön wie eine Charitin. Er bat sie, neben ihm Platz zu nehmen, fuhr leicht mit der Hand über ihre Stirn und betrachtete sie mit einer Liebe, wie sie der Kenner für ein aus den Händen eines Meisters hervorgegangenes Götterbild empfindet.

»Eunike,« sprach er zu ihr, »weißt du, daß du schon lange keine Sklavin mehr bist?«

Sie erhob ihre sanften, tiefblauen Augen zu ihm empor und machte eine verneinende Kopfbewegung.

»Ich bleibe es, Herr, für immer,« antwortete sie.

»Vielleicht weißt du auch nicht,« fuhr Petronius fort, »daß diese Villa, diese Sklaven, die hier Kränze winden, und alles, was sich in der Villa befindet, nebst Feldern und Herden, vom heutigen Tage an dir gehört?«

Eunike fuhr zurück und fragte mit einer Stimme, in der eine plötzlich entstandene Unruhe zitterte: »Wie meinst du das, Herr?«

[324] Sie schmiegte sich von neuem an ihn an und sah ihn ängstlich an. Mit einem Male wurde ihr Gesicht weiß wie die Wand, während er beständig lächelte und endlich das eine Wort sprach: »Jawohl!«

Beide schwiegen, nur ein leichter Windhauch bewegte flüsternd das Laub der Buche.

Petronius konnte in der Tat glauben, vor ihm sitze eine Gestalt aus weißem Marmor.

»Eunike,« sprach er, »ich möchte heiter sterben.«

Das Mädchen blickte ihn mit einem herzzerreißenden Lächeln an und flüsterte: »Ich höre, Herr!«

Am Abend trafen die Gäste, welche schon oft an Petronius' Gastmählern teilgenommen hatten und wußten, daß im Vergleich zu ihnen selbst die Feste Neros langweilig und barbarisch erschienen, zahlreich ein, und niemandem kam es in den Sinn, daß dies das letzte »Symposion« sein sollte. Zwar wußten viele, daß über dem feingebildeten Arbiter die Wolke der Ungnade des Caesars schwebte; aber dies war so oft der Fall gewesen, und stets hatte es Petronius verstanden, sie durch geschicktes Verhalten oder durch ein einziges kühnes Wort zu zerstreuen, daß niemand in der Tat glaubte, es drohe ihm eine ernstliche Gefahr. Sein heiteres Antlitz und das gewohnte sorglose Lächeln bestärkten überdies alle noch in ihrer Meinung. Die liebliche Eunike, der er gesagt hatte, er wünsche heiter zu sterben, und für die jedes seiner Worte einen Schicksalsspruch bedeutete, zeigte in ihren göttergleichen Bewegungen eine so vollkommene Gemütsruhe, und aus ihren Augen strahlte ein so wunderbarer Glanz, der nur von innerer Freude herstammen konnte. Am Eingange des Tricliniums setzten Knaben, deren Haar durch goldene Netze zusammengehalten war, den Ankommenden Rosenkränze aufs Haupt und forderten sie der Sitte gemäß zugleich auf, mit dem rechten Fuß zuerst über die Schwelle zu treten. Ein leichter Veilchenduft durchzog den Saal; die Lichter brannten in buntfarbigen alexandrinischen Gläsern. Neben [325] den Polsterbänken standen griechische Mädchen, um die Füße der Gäste mit wohlriechenden Flüssigkeiten zu besprengen. An den Wänden harrten athenische Lautenspieler und Sänger auf das Zeichen ihres Dirigenten.

Das Tafelgerät war reich und prunkvoll. Aber dieser Prunk war weder beleidigend noch aufdringlich und schien sich vielmehr von selbst zu verstehen. Freude und Heiterkeit verbreitete sich zugleich mit dem Veilchenduft in der Halle. Die eintretenden Gäste hatten die wohltuende Empfindung, daß hier weder Eifersucht noch Zwang oder Gefahr zu befürchten sei, wie dies oft beim Caesar der Fall war, bei dem man ein ungenügendes oder selbst ein nicht genügend treffendes Lob des Gesanges oder der Verse unter Umständen mit dem Leben bezahlen mußte. Beim Anblick der Kerzen, der efeubekränzten Becher, der in Schnee gekühlten Weine und der köstlichen Speisen zog Frohsinn in aller Herzen ein. Bald summte es in der Halle von munteren Gesprächen, als schwärmten Bienen um einen blühenden Apfelbaum. Ab und zu wurde das Geplauder durch fröhliches Gelächter, durch Beifallsmurmeln oder durch einen allzulaut auf eine weiße Schulter gedrückten Kuß unterbrochen.

Die Gäste gossen, bevor sie den Becher an den Mund setzten, zuvor einige Tropfen zu Ehren der unsterblichen Götter auf die Erde, damit diese dem Gastgeber ihre Gunst und Gnade zuwendeten. Es machte nichts, daß viele von ihnen gar nicht an die Götter glaubten. Sitte und religiöser Brauch schrieben es eben vor. Petronius, der seinen Platz neben Eunike hatte, plauderte über die Neuigkeiten aus Rom, über die jüngsten Ehescheidungen, über Liebe, Liebeshändel, Wettrennen, den kürzlich in der Arena berühmt gewordenen Spiculus und die neuesten Erscheinungen aus dem Verlage des Atractus und der Sosier. Als er den Wein zur Erde goß, sagte er, er tue dies nur der Herrscherin von Cypern zu Ehren, der ältesten und größten Gottheit, die allein unsterblich, ewig, allbeherrschend sei.

[326] Sein Plaudern glich den Sonnenstrahlen, die von einem Gegenstand zum anderen huschen, oder dem Sommerlüftchen, das in den Gärten die Blumen zum Blühen bringt. Endlich winkte er dem Choragen, und sofort setzten die Lauten ein, begleitet von jugendfrischen Stimmen. Dann begannen Tänzerinnen aus Kos, der Heimat Eunikes, ihre rosigen, durch die dünnen Gewänder kaum verhüllten Körper im Takte anmutig hin und her zu wiegen. Endlich verkündete ein ägyptischer Wahrsager den Gästen aus der Bewegung einer in einem Kristallgefäß eingeschlossenen schillernden Flüssigkeit ihre Zukunft.

Als man sich damit zur Genüge unterhalten hatte, erhob sich Petronius ein wenig von seinem syrischen Polster und sagte nachlässig: »Verzeiht mir, meine Freunde, wenn ich euch bei diesem Gastmahle mit einer Bitte lästig falle; jeder möge den Becher, aus dem er zuerst den Göttern zu Ehren und auf mein Wohlergehen Wein gegossen hat, von mir als Geschenk annehmen.«

Petronius' Becher waren von Gold, mit Edelsteinen und kunstvoller Ziselierung geschmückt. Obgleich Geschenke dieser Art in Rom Sitte waren, zeigte sich Freude auf allen Gesichtern. Die einen dankten ihm und priesen seine Freigebigkeit; andere erklärten, selbst Jupiter habe im Olymp den Göttern niemals ein solches Geschenk gemacht; einige verweigerten sogar die Annahme: so sehr überstieg die Gabe das gewöhnliche Maß.

Nun erhob Petronius seine Onyxschale, die an Glanz mit dem Regenbogen wetteiferte und beinahe unbezahlbar war, und sprach: »Seht, diese Schale ist es, aus der ich der Herrscherin von Cypern zu Ehren die Weinspende goß. Niemandes Lippen sollen sie mehr berühren, und niemandes Hand soll einer anderen Gottheit zu Ehren aus ihr Wein spenden.«

Er schleuderte das kostbare Gefäß auf den mit lilienförmigen Safranblüten bestreuten Boden, daß es in tausend Scherben zersprang; dann wandte er sich an seine Gäste, die [327] ihn sämtlich mit verdutzten Blicken betrachteten, und sagte: »Meine lieben Freunde, seid fröhlich und erschreckt nicht. Alter, Schwäche, Verdrießlichkeit sind die Begleiter der letzten Lebensjahre. Ich will euch aber ein gutes Beispiel und einen guten Rat geben: ihr seht, man braucht nicht auf diese traurigen Anzeichen zu warten, sondern man kann freiwillig gehen, ehe sie da sind, wie ich es tue.«

»Was hast du vor?« fragten einige erschrockene Stimmen.

»Ich will heiter sein, Wein trinken, Musik hören, auf diese göttliche Gestalt blicken, die ihr hier an meiner Seite seht, und dann bekränzten Hauptes einschlummern. Vom Caesar habe ich schon Abschied genommen; wollt ihr vielleicht hören, was ich ihm geschrieben habe?«

Mit diesen Worten zog er unter dem Purpurkissen einen Brief hervor und begann zu lesen: »Ich weiß, Caesar, daß du mit Ungeduld meiner Ankunft entgegensiehst und daß sich dein treues Freundesherz Tag und Nacht nach mir sehnt. Ich weiß, du willst mich mit Geschenken überhäufen, mir den Oberbefehl über die Prätorianer anvertrauen und Tigellinus befehlen, das zu sein, wozu die Götter ihn schufen, nämlich zum Maultiertreiber auf den Gütern, die du nach Domitius' Vergiftung geerbt hast. Entschuldige mich jedoch, denn ich schwöre dir beim Hades, beim Schatten deiner Mutter, deiner Gattin, deines Bruders und Senecas, daß es mir unmöglich ist, zu dir zu kommen. Das Leben ist ein kostbarer Schatz, mein Lieber, und ich habe es verstanden, mir aus diesem Schatze die wertvollsten Juwelen auszuwählen; aber es gibt im Leben auch Dinge, die ich nicht länger ertragen kann. Ich bitte dich, glaube nicht etwa, ich sei darüber empört, daß du deine Mutter, deine Gattin, deinen Bruder ermordet, Rom in Brand gesteckt und alle anständigen Leute in deinem Reiche zum Erebos gesandt hast. Nein, teuerster Urenkel des Chronos! Der Tod ist das allgemeine Los der Menschheit, und von dir war eine andere Handlungsweise nicht zu erwarten. Aber meine Ohren noch [328] jahrelang durch deinen Gesang mißhandeln zu lassen, deine dürren Beine den pyrrhischen Tanz aufführen zu sehen, deine Kompositionen, dein Deklamieren, deine Verse zu hören, erbärmlicher Vorstadtpoet, das übersteigt meine Kräfte und hat den Wunsch zu sterben in mir rege gemacht. Rom stopft sich die Ohren zu, wenn es dich hört, die Welt lacht dich aus, und ich will und kann nicht länger für dich erröten. Das Heulen des Cerberus, mein Lieber, wird mich weniger empfindlich berühren, obgleich es mit deinem Gesange große Ähnlichkeit besitzt; denn ich bin nie der Freund des Höllenhundes gewesen und brauche mich seiner Stimme nicht zu schämen. Lebe wohl, aber singe nicht; morde, aber schreibe keine Verse; vergifte, aber tanze nicht; lege Feuer an, aber spiele nicht auf der Laute; diese Wünsche und diesen letzten Freundesrat sendet dir deinarbiter elegantiae.«

Die Gäste waren bis zum Tode erschrocken, da sie wußten, daß der Verlust seiner Herrschaft für Nero ein weniger harter Schlag gewesen wäre als dieser Brief. Sie wußten auch, daß der Mann, der diesen Brief geschrieben hatte, sterben mußte, und bleicher Schrecken befiel sie schon bei dem Gedanken daran, daß sie diesen Brief mitangehört hatten.

Aber Petronius lachte so unbefangen und fröhlich, als handele es sich um den harmlosesten Scherz von der Welt; dann wandte er sich an die Anwesenden und sagte: »Seid fröhlich und laßt die Sorgen weit hinter euch! Niemand braucht zu prahlen, daß er diesen Brief gehört hat; ich will mich seiner nur bei Charon während der Überfahrt über den Styx rühmen.«

Er gab dem griechischen Arzte einen Wink und hielt ihm den Arm hin. Im Nu hatte der geschickte Grieche diesen mit einer golddurchwebten Binde umwickelt und die Ader am Handgelenk geöffnet. Das Blut sprudelte über das Kissen und überströmte Eunike, die, Petronius Haupt stützend, sich mit den Worten über ihn beugte: »Herr, glaubst du, ich verlasse dich? Ich würde dir folgen, wenn mir auch die [329] Götter Unsterblichkeit und der Caesar die Weltherrschaft verheißen wollten.«

Petronius lächelte, erhob sich ein wenig, preßte seine Lippen auf die ihrigen und antwortete: »Komm mit mir.«

Dann fügte er hinzu: »Du hast mich wahrhaft geliebt, meine Göttin.«

Sie hielt dem Arzte ihren rosigen Arm hin, und bald begann ihr Blut zu fließen und sich mit dem seinigen zu vermischen.

Petronius gab den Choragen einen Wink, und abermals erklangen die Lauten unter Begleitung der Sänger. Zuerst wurde das Skolion »Harmodios« angestimmt, dann das Lied Anakreons, in dem der Dichter klagt, einst Aphrodites Knaben unter einem Baume halb erfroren und weinend gefunden zu haben; er nahm ihn auf, wärmte ihn, trocknete ihm die Flügel und der Undankbare durchbohrte ihm zum Lohne dafür das Herz mit einem Pfeile, und seitdem ist der Friede von ihm geflohen ...

Die beiden Liebenden lauschten, eng aneinander geschmiegt, schön wie zwei Gottheiten, lächelnd und erblassend. Als das Lied zu Ende war, ließ Petronius von neuem Wein und Speisen auftragen und begann dann mit den in seiner Nähe sitzenden Gästen über unbedeutende, aber heitere Dinge zu plaudern, wie es bei Gastmählern zu geschehen pflegt. Schließlich rief er dem Griechen zu, er möge ihm für einen Augenblick die Ader verbinden; der Schlaf überwältige ihn, und er wolle sich erst noch einmal dem Hypnos übergeben, ehe ihn Thanatos für immer einschläfere.

Er entschlummerte in der Tat. Als er erwachte, lag Eunikes Haupt bereits, einer weißen Blume gleich, auf seiner Brust. Er legte es auf das Kissen, um es noch einmal zu betrachten, und ließ sich dann die Binde abnehmen.

Auf seinen Wink stimmten die Sänger ein neues Lied Anakreons an, die Zithern begleiteten es leise, so daß kein Wort verloren ging. Petronius erblaßte immer mehr, und [330] als die letzten Töne verklangen, wandte er sich noch einmal an seine Gäste und sagte: »Gestehet, Freunde, mit uns geht unter ...«

Er konnte nicht vollenden; seine Arme umschlangen in einer letzten Bewegung Eunike, dann sank sein Haupt auf das Kissen – er war tot.

Die Gäste blickten schweigend auf die beiden weißen Gestalten, die schönen Statuen glichen, und verstanden wohl, daß mit ihnen das unterging, was der Welt bisher noch einzig geblieben war: Poesie und Schönheit.

Epilog

Epilog.

Anfänglich schien der Aufstand der gallischen Legionen unter ihrem Befehlshaber Vindex nicht allzu gefährlich zu sein. Der Caesar zählte erst einunddreißig Jahre, und niemand wagte zu hoffen, daß die Welt bald von dem sie drückenden Alp befreit würde. Man erinnerte sich, daß es unter den Legionen schon öfters, auch unter den früheren Herrschern, zu Empörungen gekommen war; diese waren jedoch stets vorübergegangen, ohne einen Wechsel des Herrschers herbeigeführt zu haben. So hatte unter Tiberius Drusus den Aufstand der pannonischen Legionen und Germanicus den der rheinischen unterdrückt. »Wer,« fragte man sich, »kann nach Nero die Herrschaft ergreifen, da beinahe alle Nachkommen des göttlichen Augustus unter seiner Regierung ums Leben gekommen sind?« Andere betrachteten ihn als einen Koloß, verglichen ihn mit Herkules und gestanden widerwillig zu, daß nichts imstande sei, seine Macht zu brechen. Es fehlte auch nicht an solchen, die ihn seit seiner Abreife nach Achaja zurücksehnten, denn Helios und Polythetes, denen er die Regierung Roms und Italiens übertragen hatte, übten eine noch grauenvollere Schreckensherrschaft aus.

Niemand war seines Lebens und Eigentums sicher. Das Gesetz schützte nicht mehr. Menschenwürde und Tugend waren [331] verschwunden, die Familienbande zerrissen, die entmutigten Geister wagten nicht mehr zu hoffen. Aus Griechenland kam die Kunde von den unerhörten Triumphen des Caesars, den tausenden von Kränzen, die er errungen, den tausenden von Rivalen, die er überwunden hatte. Die Welt schien eine einzige Orgie zu sein, blutig und possenreißerisch; zugleich aber befestigte sich die Meinung, daß die Zeit der Tugend und Würde vorüber, die des Tanzes, der Musik, der Ausschweifung, des Blutvergießens angebrochen sei und daß von nun ab das Leben so weitergehen müsse. Der Caesar selbst, dem der Aufstand den Weg zu neuen Räubereien eröffnete, kümmerte sich nicht viel um die empörten Legionen und Vindex und sprach sogar öfters seine Freude darüber aus. Auch wollte er Achaja nicht verlassen, und erst als ihm Helios mitteilte, eine längere Abwesenheit könne den Verlust der Herrschaft nach sich ziehen, begab er sich nach Neapel.

Dort spielte und sang er von neuem, unbekümmert über die immer drohendere Entwicklung der Ereignisse. Umsonst erklärte ihm Tigellinus, daß die früheren Empörungen der Legionen keinen Führer gehabt hätten, jetzt aber ein Mann an ihrer Spitze stände, der von den alten aquitanischen Königen abstamme, und außerdem ein berühmter und erprobter Feldherr sei. »Hier,« entgegnete ihm Nero, »hören Griechen mir zu, die allein zu hören verstehen und allein meines Gesanges würdig sind.« Er behauptete, seine erste Pflicht sei, sich in der Kunst Ruhm zu erwerben. Als er aber schließlich erfuhr, Vindex habe ihn für einen erbärmlichen Künstler erklärt, sprang er auf und machte sich sofort auf den Weg nach Rom. Die ihm von Petronius geschlagenen Wunden, die der Aufenthalt in Griechenland geheilt hatte, brachen von neuem in seinem Innern auf, und er wollte vom Senat Genugtuung für diese unerhörte Beleidigung verlangen.

Unterwegs sah er eine Bronzegruppe, die einen von einem römischen Ritter überwältigten gallischen Krieger darstellte. Er nahm dies als gute Vorbedeutung, und wenn er daher [332] jetzt von den aufständischen Legionen und Vindex sprach, so geschah es nur, um sie zu verspotten. Sein Einzug in die Stadt übertraf alles bisher Dagewesene. Er benutzte denselben Wagen, auf dem einst Augustus seine Triumphe gefeiert hatte. Man riß einen Bogen des Zirkus nieder, um dem Zuge freien Raum zu verschaffen. Der Senat, die Ritter und eine ungezählte Volksmenge erwarteten ihn. Die Mauern erbebten unter den Rufen: »Willkommen Augustus, willkommen Herkules, willkommen, Gottheit, du einziger, Olympier, Pythier, Unsterblicher!« Hinter ihm wurden die Siegeskränze, die Namen der Städte, in denen er Triumphe gefeiert, sowie Tafeln mit den Namen der Künstler, die er überwunden hatte, einher getragen. Nero selbst war wie berauscht und fragte die ihn umringenden Augustianer mit bewegter Stimme, was die Triumphe Julius Caesars im Vergleich zu den seinen seien. Der Gedanke, daß irgend ein Sterblicher es wagen könne, seine Hand gegen einen solchen Künstlerhalbgott zu erheben, wollte ihm nicht in den Sinn. Er fühlte sich in der Tat als einen Olympier und daher als unverletzlich. Die Aufregung und Tollheit der Volksmassen steigerte noch seinen eigenen Wahnwitz. Man hätte in der Tat an dem Tage dieses Triumphes glauben können, daß nicht nur der Caesar und die Stadt, sondern die ganze Welt den Verstand verloren hätte.

Unter all diesen Blumen und Stößen von Kränzen konnte niemand den Abgrund entdecken. Denselben Abend bedeckten sich aber noch die Säulen und Mauern der Tempel mit Inschriften, in denen man die Verbrechen des Caesars schilderte, mit nahe bevorstehender Rache drohte und ihn als Künstler verspottete. Von Mund zu Mund lief das Wort: »Er sang, bis er die Hähne erweckte.« 1 Beunruhigende Gerüchte durchliefen die Stadt und wuchsen zu ungeheuerlichen Übertreibungen [333] an. Auch die Augustianer wurden ängstlich. In der Ungewißheit, was die Zukunft bringen würde, wagte man weder Wünsche noch Hoffnungen zu äußern, wagte man kaum zu fühlen und zu denken.

Nero aber lebte auch weiterhin nur dem Theater und der Musik. Er beschäftigte sich mit neuerfundenen Musikinstrumenten und einer neuen Wasserorgel und ließ auf dem Palatin Proben damit vornehmen. In seinem kindischen und keines Entschlusses, keiner Tat fähigen Sinne bildete er sich ein, weit in die Zukunft hineinreichende Anordnungen von Schaustellungen könnten die Gefahr selbst abwenden. Die Personen seiner nächsten Umgebung, welche sahen, daß er, statt für die erforderlichen Mittel und ein Heer zu sorgen, einzig und allein nach Ausdrücken suchte, die die Gefahr recht eindringlich schilderten, begannen den Kopf zu verlieren. Andere jedoch waren der Meinung, er wolle nur sich und andere durch Zitate betäuben, während er innerlich von Sorge und Unruhe gequält sei. In der Tat hatten seine Handlungen etwas Fieberhaftes an sich. Täglich schossen ihm tausenderlei Pläne durch den Kopf. Mitunter sprang er empor, um sich der Gefahr entgegenzuwerfen, befahl, Zithern und Lauten auf Wagen zu packen, junge Sklavinnen als Amazonen zu bewaffnen und zugleich Legionen aus dem Orient heranzuziehen. Dann faßte er wieder den Entschluß, den Aufstand der gallischen Legionen nicht durch Waffengewalt, sondern durch seinen Gesang zu unterdrücken, und freute sich schon im voraus auf das Schauspiel, das einem solchen Siege der Sangeskunst über rauhe Soldaten folgen sollte. Die Legionäre würden ihn mit Tränen in den Augen umringen, während er ihnen ein Siegeslied sänge, und dann würde das goldene Zeitalter für ihn und Rom anbrechen. Bald verlangte er nach Blutvergießen, bald erklärte er, sich mit der Herrschaft über Ägypten begnügen zu wollen; er erinnerte sich der Weissagungen, welche ihm die Herrschaft in Jerusalem verkündet hatten, oder war von dem Gedanken gerührt, [334] daß er sich als fahrender Sänger sein tägliches Brot werde verdienen müssen und daß Städte und ferne Länder in ihm nicht mehr den Caesar, den Herrscher des Erdkreises, sondern den Sänger verehren würden, wie die Menschheit noch keinen gesehen hatte.

So wurde er hin und her geschleudert, raste, spielte, sang, änderte seine Entschlüsse, führte Zitate an, wandelte sein Leben und die Welt zu einem kindischen, phantastischen und zugleich fürchterlichen Traum um, zu einem ruhelosen Jagen nach bombastischen Ausdrücken, schlechten Versen, Seufzern, Tränen und Blut. Inzwischen aber dehnte sich das Unwetter im Westen aus und wurde von Tag zu Tag drohender. Das Maß war übervoll, die Possenreißerkomödie näherte sich augenscheinlich ihrem Ende.

Als ihm die Nachricht zu Ohren kam, Galba und Spanien hätten sich dem Aufstande angeschlossen, verfiel er in Raserei und Wut. Er zerschlug Becher, stieß bei einem Gastmahle den Tisch um und gab Befehle, die weder Helios noch Tigellinus auszuführen wagten. Alle in Rom wohnenden Gallier zu töten, dann die Stadt ein zweites Mal zu verbrennen, die wilden Tiere aus den Arenen loszulassen und die Hauptstadt nach Alexandrien zu verlegen, erschien ihm als große, bewundernswerte, leicht auszuführende Tat. Aber schon waren die Tage seiner Allmacht gezählt, und selbst die Teilnehmer an seinen früheren Schandtaten begannen ihn für verrückt zu halten.

Vindex' Tod und die Zuchtlosigkeit unter den aufrührerischen Legionen schienen jedoch noch einmal die Verhältnisse zu seinen Gunsten umgestalten zu wollen. Schon gab es in Rom neue Feste und neue Triumphe, schon wurden neue Todesurteile gefällt, als eines Nachts aus dem Lager der Prätorianer ein Eilbote auf schäumendem Pferde angesprengt kam, mit der Meldung, daß in der Stadt selbst die Truppen das Zeichen der Empörung aufgepflanzt und Galba zum Caesar ausgerufen hätten.

[335] Der Caesar schlief, als der Bote eintraf. Als er erwachte, rief er vergebens nach den Soldaten, die des Nachts den Eingang zu seinen Gemächern zu bewachen hatten. Der ganze Palast stand schon leer. Nur die Sklaven rafften noch in den abgelegeneren Flügeln zusammen, was sich in der Eile mitnehmen ließ. Aber Neros Anblick jagte sie in die Flucht, und so irrte er allein durch das weite Gebäude, und stieß verzweifelte Angstrufe aus.

Endlich kamen ihm seine Freigelassenen Phaon, Spirus und Epaphroditus zu Hilfe. Sie rieten ihm zu fliehen und erklärten, es sei keine Zeit zu verlieren. Er war jedoch noch in Selbsttäuschungen befangen. Wenn er, in Trauerkleider gehüllt, zum Senate spräche, würde dieser seinen Tränen und seiner Beredsamkeit widerstehen können? Wenn er die ganze Kunst der Rhetorik, seine ganze Beredsamkeit, sein schauspielerisches Geschick aufböte, wer in der Welt könnte ihm dann widerstehen? Würde man ihm dann nicht wenigstens die Statthalterschaft über Ägypten geben?

Die Freigelassenen, an das Schmeicheln gewöhnt, wagten noch nicht, ihm direkt zu widersprechen, sondern erklärten ihm nur, das Volk werde ihn in Stücke reißen, noch ehe er bis zum Forum gelange, und drohten, ihn ebenfalls zu verlassen, wenn er sich nicht augenblicklich auf ein Pferd setze.

Phaon erbot sich, ihn in seiner vor dem Nomentanischen Tore gelegenen Villa zu verbergen. Binnen kurzem saßen sie zu Pferde, verhüllten ihre Gesichter mit Mänteln und sprengten auf das Tor zu. Der Morgen graute beinahe. Auf den Straßen herrschte jedoch noch reges Leben, das dem Außergewöhnlichen dieses Augenblicks entsprach. Soldaten durchzogen teils einzeln, teils in kleineren Abteilungen die Stadt. Nicht weit vom Lager scheute das Pferd des Caesars plötzlich vor einer Leiche. Der Mantel fiel dem Reiter vom Kopfe, ein Soldat, der sich in demselben Augenblicke an ihn herandrängte, erkannte den Herrscher, erwies ihm aber, über die unerwartete Begegnung verwirrt, die militärische [336] Ehrenbezeugung. Während sie um das Lager der Prätorianer herumritten, hörten sie donnerndes Jubelgeschrei zu Ehren Galbas. Nun erkannte Nero endlich, daß seine Todesstunde nahe sei. Schrecken und Gewissensbisse packten ihn. Er erklärte, er sehe nur Dunkelheit in Gestalt einer schwarzen Wolke vor sich, und aus dieser Wolke blickten Gesichter hervor, in denen er seine Mutter, seine Gattin und seinen Bruder erkannte. Die Zähne klapperten ihm vor Angst, und doch fand seine Komödiantenseele noch eine Art Reiz in den Schrecknissen des Augenblicks. Allmächtiger Herr der Welt zu sein und alles zu verlieren, erschien ihm als Vorwurf zu einer Tragödie. Sich selbst getreu, spielte er in dieser die Hauptrolle bis zu Ende. Es ergriff ihn ein wahres Zitatenfieber und der leidenschaftliche Wunsch, seine Begleiter möchten seine Verse für die Nachwelt aufbewahren. Zuweilen erklärte er, sterben zu wollen, und rief nach Spiculus, der sich am besten von allen Gladiatoren auf das Töten verstand. Dann deklamierte er wieder: »Mutter, Weib und Vater wünschen mei nen Tod.« Doch auch die Hoffnung auf Rettung flammte von Zeit zu Zeit in ihm auf, so eitel und kindisch sie auch war.

Das Nomentanische Tor stand offen. Sie ritten weiter und kamen am Ostrianum vorüber, wo Petrus einst gepredigt und getauft hatte. Bei Tagesanbruch waren sie in der Villa Phaons.

Hier verhehlten die Freigelassenen dem Caesar nicht länger, daß er sterben müsse. Er gab daher Befehl, ein Grab für ihn zu graben, und legte sich auf die Erde, damit sie genau Maß nehmen könnten. Aber der Anblick der aufgeworfenen Erde erfüllte ihn mit Schrecken. Sein aufgedunsenes Gesicht wurde weiß, und auf der Stirn stand ihm kalter Schweiß wie der Morgentau. Er begann zu zögern. Mit zitternder, theatralischer Stimme erklärte er, seine Stunde sei noch nicht gekommen, dann begann er von neuem zu zitieren. Zum Schlusse bat er, seinen Körper zu verbrennen. [337] »Welch ein Künstler geht mit mir zugrunde!« wiederholte er mehrmals in tiefem Staunen.

Inzwischen war ein Bote Phaons mit der Meldung angelangt, der Senat habe schon sein Urteil gefällt, daß der »Parricida« nach dem alten Herkommen bestraft werden solle.

»Worin besteht dieses alte Herkommen?« fragte Nero mit bleichen Lippen.

»Man wird dir den Hals in eine Gabel stecken und dich zu Tode peitschen, die Leiche aber in den Tiber werfen!« entgegnete Epaphroditos rauh.

Nero schlug den Mantel zurück.

»Jetzt ist es also Zeit!« sagte er, zum Himmel emporblickend.

Und noch einmal wiederholte er: »Welch ein Künstler geht mit mir zugrunde!«

In diesem Augenblick ließ sich der Hufschlag von Pferden hören. Es war ein Centurio an der Spitze von Soldaten, der den Kopf des Rotbarts holen sollte.

»Beeile dich!« riefen die Freigelassenen.

Nero setzte einen Dolch an seine Kehle, stieß aber nur mit zitternder Hand zu. Es war klar, daß er es nie wagen würde, die Spitze hineinzustoßen. Epaphroditos schlug ihm plötzlich auf die Hand, und der Dolch drang bis zum Hefte ein. Nero traten die Augen aus den Höhlen, fürchterlich, entsetzlich, grauenhaft anzusehen.

»Ich bringe dir das Leben!« rief der eintretende Centurio.

»Zu spät,« erwiderte Nero heiser.

Dann fügte er hinzu: »Das nennt man Treue!«

Im nächsten Augenblicke trat der Todeskampf ein. Das Blut schoß aus dem plumpen Halse in dunklem Strome auf die Blumen des Gartens. Seine Füße zuckten noch ein paarmal – dann war er tot.

Am nächsten Morgen hüllte die treue Akte den Leichnam in kostbare Stoffe und ließ ihn auf einem von Wohlgerüchen duftenden Scheiterhaufen verbrennen.


*


[338] Und so brauste Nero vorüber, wie Orkane, Gewitterstürme, Feuer, Krieg oder Pest vorübergehen, aber die Basilika des heiligen Petrus beherrscht bis zum heutigen Tage von den Vatikanischen Höhen herab die Stadt und die Welt.

In der Nähe der früheren Porta Capena erhebt sich noch heute eine kleine Kapelle mit der halbverwitterten Inschrift: »Quo vadis, Domine?«


Ende.

Fußnoten

1 Bei Suetonius heißt es (Nero, Kap. 45): Adscriptum est columnis etiam: Gallos eum cantando excitasse. Es ist dies ein unübersetzbares Wortspiel mit den beiden Bedeutungen von gallus: Hahn und Gallier.

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TextGrid Repository (2012). Sienkiewicz, Henryk. Roman. Quo vadis. Quo vadis. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0D86-A