Carl Spindler
Der Jude
Deutsches Sittengemälde aus der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts

[Motto]

Gespenst der Vorwelt:

Warum rufst Du mich herauf aus meinem dunkeln Grabe?


Zauberer.

Aus daß Du Zeugniß gebest von einer dunkeln Zeit.

Erster Band

1. Kapitel
[5] Erstes Kapitel.

O Marten! Marten!

Der Korb muß verbrannt seyn,

Das Geld aus den Taschen,

Der Wein aus den Flaschen,

Die Gans vom Spieß!

Da trink und iß!

Wer sich voll zechen kann,

Wird ein rechter Martinsmann!

Altd. Lied.


Der zwölfte November des Jahrs Eintausend vierhundert und vierzehn nach des Erlösers Geburt, sah mit kaltem und duftigem Morgenantlitz in die Fensterscheiben der Herberge zum Rebstock in der Reichsstadt Worms. Der Winter hatte dem Spätherbst tälpisch und zierlich zugleich in's Amt gegriffen; denn, während alles knisterte und knarrte, vor der früh eingebrochnen ungestümen Kälte, hatten die entlaubten Bäume weiße Wollelöckchen angesetzt, und niedliche Eisblümlein sich angewachsen am Glas und Gestein. Zwar leckte der Sonnenstrahl gierig an [5] den über Nacht aufgeschossenen Gewächsen, aber seine Zunge war nicht mehr feurig genug, sie aufzuzehren. Im untern Geschoße des Rebstocks kam man der matten Sonnenflamme mit glühendem Ofen zu Hülfe, allein im Oberstocke glimmte kein Funke, und der mächtige Kachelofen der hübschesten Stube des Hauses, die nach einem über der Thüre angemalten buntfarbigen Blumenstrauß »die Maienstube« genannt wurde, war eiskalt, obschon ein stattlicher Gast das Gemach bewohnte. Die Attribute der Ritterschaft: Schwert, Handschuhe, bespornte Stifel und Federhut lagen unordentlich hin und her auf dem Boden zerstreut. Der Besitzer dieser Herrlichkeiten lag aber völlig angezogen zu Bette, beschäftigt, den verwichenen Martinsabend auszuschlafen, der ihm nicht am zuträglichsten gewesen zu seyn schien. Neben ihm ruhte, in einen Reitermantel gewickelt, ein gar holder Knabe, dessen still lächelndes Gesicht, vom sanftesten Schlummer befangen, sehr gegen das aufgedunsene, von Trunkenheit und wüsten Träumen entstellte Antlitz des Nebenschläfers abstach. Der Letztere reckte sich endlich, fuhr mit der breiten Hand über Stirne und Augen, und den bereiften Bart und erwachte. Verwundert betrachtete er die Stube und seine eigene Gestalt; seine Verwunderung wurde Erstaunen, da er seinen Bettnachbar gewahrte, und er sprang bei dessen Anblick auf, gleich als ob ihn eine Schlange gestochen. Unverständliche Worte vor sich hinbrummend, und vor Kälte zitternd fuhr er in die Stiefel, und stampfte dreimal gewaltig den Boden, daß der schlafende Knabe erschrocken aufschrie, alsobald jedoch wieder in [6] Müdigkeit und Schlummer versank. Ein langer hagrer Mensch, in der etwas zerlumpten Kleidung eines Herrenknechts, kam zur Thüre herein, und fragte mit winterblauen Lippen nach dem Befehl des gestrengen Herrn.

»Sag an, Vollbrecht!« fragte der Letztere: »Wie gieng es denn zu, daß ich in Wamms und Krause zu Bett gekommen?« – »Euer demüthiger Knecht hat Euch selbst hineingebracht;« erwiederte Vollbrecht mit ängstlichem Bückling: »Ihr littet gestern stark am Gebreste des heil. Martin, und so geschah es denn ...«

– »Still!« befahl der Herr. – »Wie komme ich aber zu dem Kind?« fuhr er kleinlaut fort.

»Der gestrenge Junker wolle sich nur gütig erinnern,« – sprach Vollbrecht, ein paar Schritte ausweichend, – »wie ich Euch gestern aus der Trinkstube zum Rosengarten heimleuchtete mit dem Kienspan, den mir die rothbäckige Dorothea aufgedrungen, und wie wir im Scheibengäßlein unfern von dem Eckstein, an dem das Muttergottesbild aufgerichtet, den Knaben gefunden, der da eingeschlafen war.«

– »Ganz recht; ich besinne mich nun auf Alles;« erwiederte der Junker, und rieb sich die erstarrenden Hände: »Was treibt aber unser Wirth, daß nicht einmal Feuer angemacht wird, bei der grimmen Kälte? Sollen wir hier erfrieren?«

»Erfrieren;« bestätigte Vollbrecht, die Thürblinke zur Hand nehmend: »Erfrieren, oder uns von dannen[7] machen; denn der Wirth will nicht länger borgen, und verlangt Zahlung unsrer Zeche.«

»Nichts Billigers als das;« antwortete der Herr: »aber Verlangen ist Eins; Zahlen hingegen ein Anderes. Ich habe keinen Weißpfennig mehr in der Tasche. Alles gieng gestern drauf in Wein, Imbis und Brettspiel. Der alte Narr muß warten.«

Vollbrecht schüttelte den Kopf. »Ich zweifle, Herr,« sprach er hierauf, vorsichtig die Thüre öffnend. – »Der Mensch sagte mir erst vorhin, er werde nach Pferd und Zaum greifen, wenn nicht noch heute Morgen alles getilgt würde, was darauf gegangen ist in dieser Woche.«

»Kreuz! Stein und Dorn!« brach der Junker los, nach der Klinge fahrend, daß Vollbrecht, – solcher Auftritte nicht ungewohnt, – sich hinter der Thüre barg: »was bildet er sich ein, der Wormser Lump? Streckt er eine Kralle nach meinem Gaul aus, so haue ich sie ihm ab. Gleich soll er kommen, – gleich, und auf der Stelle; ohne Säumen!«

Vollbrecht sprang die Treppe hinab. Der Junker stülpte trotzig den Hut auf den Kopf, und schritt, eine Anrede an den Herrn des Rebstocks im Sinne ordnend, ungeduldig auf und nieder. Bald erschien auch der Gerufene, das verhängnißvolle Kerbholz tragend, aus dem die ziemlich beträchtliche Schuldsumme des Gastes eingeschnitten zu sehen war.

»Wie viel beträgt meine Zeche?« fragte der Letztere barsch, als strotzten seine Taschen von Golde.

[8] »Zwanzig Turnosen, drei Pfenninge für den Herrn, den Knecht und das Pferd;« antwortete der Wirth vom Rebstock sehr freundlich.

»Ein Bettelgeld,« prahlte der Fremde: »obgleich die Zeche übertrieben theuer. Aber wie gesagt, ein Bettelgeld, wegen dessen Du mir keine Umstände machen wirst, guter Freund. Nicht wahr?«

»Nicht die Geringsten,« erwiederte der Wirth: »Ihr habt nur zu bezahlen, und meine schlechte Schenke ist wieder ganz zu Euern Diensten.«

»Du bist harthörig, mein Freund!« sprach der Gast mit vornehmem Augenzwinkern: »Ich hatte gestern Unglück im Spiel, und der Martinschmauß hat mich viel gekostet. Heut kann ich Dich nicht befriedigen, aber sobald ich wiederkehre von Costnitz, soll Dein seyn, was Dir gehört.«

Der Wirth sah den Sprecher einen Augenblick an, .. zuckte die Achseln und gieng nach der Thüre. – »Wohin gehst Du?« fragte ihn der Andere.

»Ich gehe, den Stall zuzusperren;« versetzte der Bürger kalt: »Müßt Ihr gen Costnitz, mögt Ihr zu Fuße gehen. Euer Pferd bleibt hier zurück, bis mein ist, was mir gehört.«

»Wie?« fuhr der Gast auf: »Du ungeschliffener Wirth! weißt Du, mit wem Du also sprichst? Ich bin der Edelknecht Gerhard von Hülshofen, und darum nicht zu Schild und Helm geboren, um mir von einem elenden Reichsstädter Schmachreden ins Angesicht sagen zu lassen.«

»Ich kenne Euch wohl;« erwiederte der Wirth: »Wer sollte den verwegensten Gesellen am Rheinstrome [9] nicht kennen, den der wohlweise Rath von Frankfurt als seinen Kämpfer und Turnierfechter gedungen; der zwar keinen Gegner unbezwungen läßt, aber auch keinen Becher ungeleert, keine Dirne ungeneckt, und keinen Herberger ungeprellt. Darum eben nehme ich Euren Gaul.«

»Das Pferd gehört meinen Herren von Frankfurt,« rief der Edelknecht patzig.

»So mögen Eure Herren von Frankfurt es auch auslösen;« versetzte der Gläubiger gleichgültig. »Der ehrsame Rath wird einen Reichsbürger nicht schädig gen lassen an seinem Gut durch einen Dienstmann.«

»Ich bin ein Edelmann, Bursche;« brauste der Junker; und wenn ich Spießbürgern diene, so geschieht es aus gutem Willen, und nicht ...

»Lieber Herr;« erwiederte der Wirth: »Ich vermag eines Adlichen Thun und Lassen nicht zu schätzen; allein ich wollte, Ihr hättet Euern Martinstag wo anders zugebracht. Ich hab Euch nicht geladen, und will folglich Eure Zehrkosten nicht aus eignem Seckel bestreiten. Darum nehme ich Euern Gaul und damit genug.«

»Unterstehe Dich!« rief Gerhard: »Plumper Wicht! Glaubst Du, meine Freunde werden mich verlassen?«

»Ei, Herr Junker,« sprach der Wirth lächelnd: »Ihr seyd zu alt in der Welt geworden, um das im Ernste sprechen zu können. Freunde werden Feinde, sobald sie helfen sollen. Und vollends die Euren, mit denen Ihr acht Tage gezecht und gewürfelt habt. Die Einen sind auf der Landstraße besser zu Hause, [10] als in ihren vier verschuldeten Pfählen. Die Andern sind verdorbene Bürgerssöhne, die Gewerb und Fleiß an den Nagel gehängt haben, um das väterliche Erbe ohne Verzug durch die Gurgel zu jagen. Solche Martinsmänner sind aber den Wirthen nur bis zu einem gewißen Zeitpunkte willkommene Gäste. Doch horch; .. mich dünkt, ich höre ihrer Etliche die Stiege heraufstürmen. Versucht Euer Heil, Herr. Zwanzig Turnosen – die Pfenninge erlasse ich Euch – öffnen die Stallthüre, und geben Euerm Gaul freien Paß nach Costnitz. Kein Albus weniger! Verlaßt Euch darauf.«

Der Wirth gieng ruhig von dannen, und an seiner Statt tobten vier Männergestalten herein, denen man die Ausschweifungen verwichener Nacht nicht wenig ansah. »Guten Tag! Bruder Hülshofen!« brüllten sie im Chor und schüttelten dem Verdrüßlichen die steifgewordenen Hände? »Wie geht es? wie geschlafen? warum ists hier so verteufelt kalt?« – Gerhard zögerte keinen Augenblick, ihnen die unangenehme Lage, in der er sich befand, zu eröffnen. Die Freunde lachten aus vollem Halse, und konnten sich gar nicht lassen vor muthwilliger Lust.

»Nun, das nenne ich doch in der Brühe sitzen!« rief der baumlange Wernher von Hyrzenhorn: »So fröhlich wurde die Gans eingeläutet, und so traurig ist der Nachtisch!«

»Was ist aber da zu thun!« sprach Wolf von Eppenstein: »Ich will dem Schwarzen seyn mit Haut und Haar, wenn ich Dir helfen kann, Bruder Gerhard. Du weißt, daß uns der Sattel das tägliche [11] Brod verschafft, – und Deine Dienstherren gerade, – daß sie Gott verdammen möge! – haben es uns so geschmälert, daß es eine Sünde ist. Die Conziliumsfahrer haben unserm Seckel zwar etwas eingebracht, aber Weib und Kind wollen auch leben, und Martinstag will auch gefeiert seyn. Da haben wir uns denn hier zusammengethan, in Fried und Eintracht die Milch unsrer lieben Frauen reichlich genossen, und müssen dafür Morgen kahl wieder abziehen.«

»Hilf Dir selbst!« rief der wilde Hornberger Veit: »Brich die Stallthüre auf, und reite dem verdammten Kneibenwirth vor der Nase weg. Ich helfe Dir, und je mehr Auflauf es gibt, desto besser.«

»Die Frankfurter setzen mich auf den Eschenheimer Thurm, erfahren sie dergleichen,« versicherte Gerhard kopfschüttelnd. – »Euch aber, meine Freunde, fuhr er fort – Euch wäre es ein Leichtes, mir zu helfen, – denn das Frühjahr bringt Euch wieder Meßleute und Marktschiffe, die Euch das kleine Darlehen reichlich ersetzen, – kann ich's bis dahin nicht erstatten.«

»Ich schwöre einen körperlichen Eid, daß ich nicht helfen kann!« betheuerte der Herr von Hyrzenhorn, und der Eppsteiner holte eine in vergoldetem Kupfer gefaßte Reliquie des heil. Marcellinus aus seinem Wamms, auf welche alle drei Edelleute in aller Eile und bester Form den theuersten Schwur leisteten, daß sie außer Stand seyen für ihren gemeinsamen Freund das Geringste zu thun. – Gerhard, wohl wissend, ein solcher Eid mache ein unwiderrufliches [12] Ende, – sey er auch noch so falsch, – wendete sich alsdann zu dem vierten Freund, der bis jetzt ein stummer Zuhörer des Auftritts gewesen war. »Werde ich auch bei Euch vergebens anhalten, lieber Trautwein?« sprach er zuckersüß: »Ihr habt des Vermögens viel, habt mir gestern erst im Rosengarten all mein Klingendes abgenommen, und werdet wohl nicht anstehen, mich der unverdienten Schmach zu entreißen.«

Der Goldschmid lächelte aber eiskalt, zuckte die Achseln, und erwiederte: »Gestrenger Herr; im Handel und Wandel braucht man sein Geld, und daß des Letztern nicht zu viel werde, sorgen schon treulich Kaiser und Reich, die Ehewirthin und ihre Kinderlein, und die Herren vom Stegreif. Deshalb bin ich ausser Stande etwas zu thun, als Euch die fünf Schillinge nachzulassen, die ihr mir noch gestern auf Euer Wort schuldig wurdet.«

»Ich wollte, alle Martinsfeuer, die gestern brannten, um Wetterschaden zu verhüten, schlügen über Euch alle zusammen, und kochten Euch zu Brei und Muß;« rief Gerhard in hohem Unmuth: »Mein Gaul, mein armer Gaul!«

»Uebermorgen soll ich in Costnitz seyn. Ich hab's den Schöffen Holzhausen und zum Braunfels in die Hand geloben müssen. Der Kaiser gibt ein Turnier, auf dem ich zu Frankfurts und des Reichs Ehre mitstechen soll. Ich bin ewig beschimpft, erschein ich nicht auf diesem Rennen. Und ohne meinen Roland, ohne mein gutes Pferd komme ich nicht hin, kann ich nicht mitkämpfen.«

[13] »Schlimm! sehr schlimm!« meinten die adelichen Herrn, und machten Miene zu gehen. »Willst Du einen Römer Würzwein annehmen, so komm' mit uns!« sprach der Horaberger gutmüthig, aber Gerhard verweigerte alles mit Ungestüm, und ließ die adelichen Brüder und Freunde ohne Widerrede ziehen. Trautwein blieb an der Thüre zurück.

»Hört noch ein Wort, lieber Herr,« sprach er mit einiger Theilnahme: »Ob es gleich grimmig kalt in Eurer Stube ist, bin ich doch hinter jenen rohen Gesellen zurück geblieben, um Euch einen Rath zugeben.«

»Nun?« fragte Gerhard unwirsch auf und niedergehend. »Der Kaiser gibt wohl übermorgen kein Rennen zu Costnitz, indem er noch in Aachen auf seiner Krönung verweilt,« sagte Trautwein; »allein Eure Lage ist doch mißlich, und liegt außer meinen Grundsätzen und Kräften, Euch zu dienen; aber es gibt noch andere Leute, die es vielleicht gerne thun, wenn einiger Gewinn dabei zu verspüren ist.«

»Wer sind diese Leute?« fragte Gerhard aufmerksam werdend.

»Ei nun,« sprach der Goldschmid zögernd: »Es sind unsers heil. römischen Reiches liebe Kammerknechte« ..

»Was?« fuhr Gerhard auf: »Juden? Hebräer? Seyd Ihr toll geworden mit Einemmale?«

»Wie so?« fragte Trautwein gleichgültig: »Hebräisch Geld zählt wie das unsere; es kömmt ja ohnehin nur aus christlichen Taschen. Fürsten und Herren wissen das wohl.«

[14] »Hm!« sprach Gerhard überlegend: »Mein ganzes Leben hindurch habe ich mich gehütet den Galgenvögeln in die Hände zu fallen, und in meinem fünfzigsten Jahre ... indessen ... wer weiß ... damit ich nur fortkomme ... wo gelangt man zu dem Gesindel? Ich will gleich ...«

Der Goldschmid hielt ihn zurück. »Ihr werdet doch nicht am hellen lichten Tage ...?« sagte er mißbilligend: »In eigener Person ...?«

»Ihr habt Recht;« antwortete Gerhard: »Es ist wegen des Geredes ... also will ich mich gedulden ... diesen Abend, sobald es dunkel ...«

»Behüte;« fiel Trautwein ein: »Es ist bei zehn Pfund Heller Strafe verboten, bei Nacht in ein Judenhaus zu gehen, um zu leihen oder zu zahlen.«

»Aber beim Donner! was soll ich denn thun?« fragte Gerhard ärgerlich.

»Abwarten, bis ich Euch einen vertrauten Mann schicke, mit dem Ihr alsdann handeln könnt;« versetzte Trautwein.

»Einen vertrauten Mann, durch den es die ganze Stadt erfähret, von welchem Rocken ich spinne, nicht wahr?« –

»Gerade im Gegentheil. Ich weiß einen, der, wenn ich nicht irre, in der Nähe von Frankfurt zu Hause ist. Ein verschwiegener Mann, mit dem ich selbst manch Geschäft gemacht. Ist er gerade hier, kann er vielleicht bewogem werden, Euch zu helfen. Mich dünkt, ich sah ihn gestern unweit von dem Dalbergschen Hause in der Kämmererstraße. Ich sende ihn Euch, und will besorgen, daß mein Gevatter Rebstockwirth[15] Euch zum mindesten ein Feuer anmache in dem Ofen.«

»Nun, so geht, so geht, und plaudert nicht lange!« drängte Gerhard, und schob ihn zur Thüre hinaus. Alsdann fieng er wieder seine gewöhnliche Rennbahn in der Stube an, rieb sich die Hände, die Stirne, brummte einen Fluch nach dem andern, und schwor sich zu, in der Folge nie mehr auf Freunde sich zu verlassen, seine Zeche immer nach der Habe zu richten, oder, ... wollte er einen Wirth prellen – die Sache gescheuter anfangen. Ein leises Schluchzen und Weinen unterbrach den Lauf seiner Gedanken, und da es sich hinter den Vorhängen des mächtigen Himmelbetts vernehmen ließ, so fiel ihm mit einem Male der Gedanke an den Knaben, den er gestern aufgenommen, siedendwarm auf die Brust. Er eilte zum Lager, und sah das vier- bis fünfjährige Kind aufrecht sitzend, und eng in den groben Mantel gewickelt, aus dem nichts hervorguckte als der braungelockte Kindskopf, mit blauen von Thränen überfließenden Augen. Der Knabe fuhr etwas zusammen, da er das kupferrothe mit dichtem Bart versehene Gesicht seines Findelvaters gewahr wurde, aber bald beruhigte er sich wieder in etwas, da er sich deutlich erinnerte, daß ihn derselbe Mann gestern von der offenen Straße genommen, und den Müden erwärmt, aufs Lager gebracht hatte. Er streckte ihm die kleinen Arme bittend entgegen, und sah ihn mit einer Wehmuth an, die ihm fast das Herz abzudrücken schien. Der rauhe Hagestolz fühlte sich gerührt und angezogen von der hülflosen Unschuld des Kindes, [16] und nahm es, in Mantel und Decken gehüllt auf seinen Schoos. »Komm her,« sprach er, »und laß uns vernünftig reden, mein Junge! Wir haben gestern Abend nur flüchtige Bekanntschaft gemacht. Heute wollen wir's einbringen. Wie heißest Du, mein Kind?« – »Hans!« antwortete der Knabe muthig und vernehmlich. »Und Dein Vater?« – »Ich habe keinen mehr.« – »Doch eine Mutter hast Du?« – »Ja, die Mutter und die Gundel.« – »Wie nennt sich Deine Mutter?« – »Ich weiß es nicht.« – »Wo wohnt sie aber?« – »Ach, weit, weit von hier!« – »So? demnach nicht hier in der Stadt?« – »Wir sind drei Tage gefahren, bis wir angekommen sind. No ist denn aber die Mutter?« – »Ja, wenn Du das nicht weißt ...« – Der Knabe schüttelte traurig den Kopf. »Sage mir doch, Hänschen,« fuhr Gerhard neugierig fort: »Wie lange bist Du denn hier?« – »Ich heiße nicht Hänschen,« versetzte der Knabe: »Hänschen hat vier Füße, und ich habe zwei; darum heiße ich Hans. Hänschen ist aber zu Hause geblieben. Wirst Du mich wieder heimbringen, fremder Mann?« – »Wenn ich weiß, wo Deiner Mutter Haus steht, mein Knabe.« – »Ach, es ist fern, recht fern. Wir haben dreimal geschlafen, ehe wir gestern in der Nacht ankamen.« – »Wie kamst Du denn auf die Straße?« – »Ich weiß es nicht – auf dem Wagen schlief ich ein, und auf der Erde bin ich aufgewacht. Ach, wie war es so kalt, da Ihr mich aufnahmt. Die Mutter muß mich verloren haben.« – »Wie war die Mutter gegen Dich?« – »Böse, lieber Mann, immer böse und finster. Aber [17] Gundel ist herzensgut, und zu ihr möchte ich lieber als zur Mutter, und auch zu Hänschen lieber als zur schwarzen Mutter.« – »Zur schwarzen Mutter? Warum nennst Du sie so?« – »Sie ist immer schwarz gekleidet, und hat so dunkle Augen; aber Gundel hat helle, und geht immer grün oder roth. Hänschen ist weiß und braun.« –

Der Junker schüttelte bedenklich den Kopf, und zweifelte nicht mehr daran, daß der Knabe mit Vorbedacht zurückgelassen worden sey, auf der Durchfahrt durch die Fremde, im nächtlichen Dunkel verhüllten Stadt. Aus dem Knaben war übrigens nichts herauszubringen, als daß der Mutter Haus auf einem Hügel stehe, unfern von einem Strome, daß viel Waldung und ein Dorf sich in dessen Nähe befinde, und nicht allzuweit eine Stadt, in der sich das Kind besann, vor einiger Zeit gewesen zu seyn, zur Zeit eines Jahrmarkts. Ueber den Namen seines mütterlichen Hauses, des Stroms, der Stadt, war er in wahrscheinlich geflissentlicher Unwissenheit erhalten worden. Fern von Jugendgespielen und Gefährten seines Alters kannte er niemand, als die schwarze Mutter, die er nicht liebte, die freundliche Gundel, nach der er sich sehnte, und das vierfüßige Hänschen, das er am schmerzlichsten vermißte. Gerhard ersah aus Allem, daß ihn seine, größtentheils vom Wein erregte Weichherzigkeit hier in eine sonderbare Historie verwickelt hatte, und ihm wahrscheinlich eine Last zugefallen war, die er bei der äußersten Beschränkung seiner Lage nicht auf die Dauer würde tragen können. Eine plötzliche Vermuthung ergriff [18] ihn; und er durchsuchte die Kleider des Kindes nach Geld oder Kleinodien, die vielleicht dem Finder als eine Entschädigung zugedacht seyn möchten; doch war sein Bemühen umsonst. Keine Blechmünze, kein armseliger Hohlpfennig war bei dem Verlassenen zu finden. Ausser dem höchst einfachen Gewande des Kindes trug es nichts an sich. Unmuthig stellte er den Knaben nieder, und gieng, von Neuem gegen sein Geschick grollend, auf und ab. Das Kind schmiegte sich indessen stille und in sich gekehrt an den durch Trautweins Vorsorge erwämten Ofen, und weinte nur von Zeit zu Zeit vor sich hin, theils im Andenken an die gute Gundel, theils im Bewußtseyn des quälenden Hungers, den es verspürte. Ein Glück war es, das Gerhard in der Tasche seiner Pluderhosen noch ein sogenanntes Martinshorn auffand, ein Gebäcke, mit dem er alsobald den seufzenden Knaben beschwichtigte, .... zum Mindesten auf Augenblicke. Indem er jedoch mit sich selbst zu Rathe gieng, wie die eßlustige Bürde vom Halse zu schaffen, und sein eignes betrübtes Verhältniß zu wenden sey, ließ sich von Außen ein schlürfender leiser Tritt vernehmen, und ein demüthiges Pochen erklang an der eichenen schwerfällig verzierten Thüre. Gerhard öffnete schnell, und vor ihm stand Einer aus dem Volke Abrahams. Seine Statur bot nichts Ausgezeichnetes dar, noch weniger seine Kleidung, die den wandernden Handelsjuden bezeichnend, in Schnitt, Farbe und Gestalt höchst unbedeutend erschien. Aber das Gesicht, das aus dem unscheinbaren grauen Kittel und aus dem schlecht gefälteten Kragen heraussah, war auffallend [19] genug. Ein nicht fern von den fünfzigen stehendes Antlitz mit Spuren tiefen Kummers entweder, oder schwerer Erschlaffung, bleich und hager, war von Augen belebt, die, wenn gleich etwas klein, an Lebhaftigkeit und stechender Schärfe mit denen der Eidechse wetteiferten. Die kahle Stirne, von wenigen, dünnen und grauen Locken besetzt, gab großen Spielraum der Beweglichkeit von Gesichtszügen, die wie die Schlangenwege eines Labyrinths sich nach allen Seiten in merkwürdiger Verschlingung ausdehnten. Eine breite Narbe, die quer von dem rechten Schlaf sich über Wange und Nase herüberzog, bis zu dem linken Ohrläppchen, schied das Gesicht so zu sagen, in zwei ungleiche Hälften. Die Nase vorspringend und gebogen, zeugte von orientalischer Abkunft, und die Form des Mundes wäre gut gerathen zu nennen gewesen, hätte sich nicht in der etwas hängenden Unterlippe jener, aber schon angedeutete Charakter der Abspannung offenbart, der nicht vermögend ist, einem menschlichen Angesichte etwas Angenehmes mitzutheilen. Der Bart, kurz, kraus, grau und schwarz gemischt, paßte zu dem Uebrigen. – Der Jude neigte sich unterthänig vor dem Edelknecht, ohne ein Wort zu sprechen. – »Wer bist Du?« fragte ihn der Letztere barsch und kurz. »Was willst Du hier?«

»Was ich hier soll, möchte ich wissen, gestrenger Herr;« erwiederte der Jude mit unterwürfigem Tone: »Der achtbare Meister Trautwein sendet mich zu Euch. Er sagte mir, Ihr könntet meine Dienste brauchen, und somit biete ich sie Euch an.«

[20] »Trautwein?« fragte Gerhard. – »Durch seine Empfehlung bist Du mir willkommen, insofern Du nicht hier in Worms geboren oder ansäßig; denn ich fordre, daß Du schweigest.«

»Gestrenger Herr Ritter;« versetzte der Jude wie oben: »Ich weiß zwar nicht, wie Ihr könnt hegen Zweifel an der redlichen Verschwiegenheit meiner Glaubensgenossen hier zu Worms. Es sind die Besten von unsern Leuten, .. die schon vor der Geburt Eures Erlösers eine Synagoge gehabt haben in dieser Stadt, und diese Synagoge hat durchaus nicht gewilligt in den Tod Eures Messias, der nur darum sterben mußte, weil die Entfernung zu groß ist zwischen dem Rheinstrom und Jerusalem, und der Bote von der Schule zu Worms um einige Stunden zu spät gekommen ist, mit der Verwendung von den Wormser Rabbinern und Aeltesten. Nenn Ihr indessen demungeachtet Grund zu glauben habt, unsere hiesigen Brüder zu beargwohnen, so vertraut Euch mir. Ich stamme von Friedberg, und dieses Zeichen auf meinem Rocke mag Euch beweisen, daß ich nicht von hier bin, wo dieß Schiboleth in Vergessenheit gerathen ist.«

Hier zeigte er auf den Ring von gelber Seide, den jeder Jude in und um Frankfurt auf der linken Brust tragen mußte. Gerhard, ungeduldig, die mißliche Angelegenheit ins Reine zu bringen, machte dem Juden eine ausführliche Beschreibung seiner Lage, und verlangte ein Darlehen auf Wort, Schrift und Glauben. Seine eindringlichen Worte, seine ziemlich herrische Forderung verriethen wohl, daß er eine abschlägige[21] Antwort nicht im Bereich der Möglichkeit vermuthe; um so mehr befremdete ihn das überlegende und durchaus nicht billigende Kopfschütteln seines Gegenübers. Nach langer Pause sprach der Jude endlich: »Seht, werther Herr. Wir halten auf das, was die Väter sagten und uns einprägten. Ben David, sagte der Meinige, dem einst das Paradies sey, öfters: Hüte Dich, großen Herren und Kriegsleuten aus das blinde Wort, auf das leere Geschrift hin zu vertrauen. Das Wort verweht der Wind, und das Papier zerhaut der Degen, der auch im besten Fall nie richtige Zinsen zu zahlen geneigt ist. Baare Münze lacht; ein gutes Pfand macht Muth. – Ich habs nun immer so gehalten, und Euch, lieber Herr, soll geholfen seyn, wenn Ihr mir Bürgschaft stellt in Dingen von Gewicht und Werth, oder im Wort eines wackern Mannes, dem die Rechtschaffenheit werth ist, soll er sie auch nur gegen Juden beweisen.«

»Da steckt eben der Knoten!« polterte Gerhard: »Auf Pfand und reichliche Bürgschaft kann jeder Fastnachtsnarr Kappe und Peitsche leihen. Ich habe keine Kleinodien, nichts von Werth, als meinen Gaul, und von ihm trenne ich mich um keinen Preis.« –

»Das glaube ich;« versetzte Ben David: »Das ist ein Pferd! Gott! ich habe Euch gestern reiten sehen, als der heilige Martin in der Procession. Ihr ward so stattlich, und das Pferd so geputzt und so blank; ... nein! einen solchen Gaul gibt man nicht her!« –

»Wie soll ich aber aus dem verdammten Worms kommen? rief der Junker: Willst Du die Bürgschaft[22] der Herren von Eppstein, von Hornberg und von Hyrzenhorn?«

»Was soll mir die Bürgschaft von diesen Herren?« fragte Ben David: »Sie sitzen mir zu hoch, und haben mich selbst schon zu oft gepfändet, als daß ihr Wort mir ein gültig Pfand seyn könnte« Ja, – wenn es der edle Herr von Dalberg wäre, der wackre Kämmerer von Worms, unsers Glaubens Beschützer; .. oder nur der Meister Trautwein, .. aber .. setzte er lächelnd hinzu: »Der Erste kennt Euch nicht, und der Zweite ist zu klug, um jemals sich zu verbürgen.«

»Kreuz und Dorn!« fuhr Gerhard auf: »Mach' mich nicht wild, elender Hundsjude. Ich will Dich lehren, mein adelich Wort zu ehren. Zur Stelle wirst Du mir gehorsamen! Einem Fürsten oder dem Krämermagistrat einer Reichsstadt seyd Ihr gleich zu Willen mit Geld und Gut. Aber einen wackern Edelmann laßt Ihr verderben.«

Der Jude zuckte die Achseln. »Fordert die Stadt unser Geld,« sprach er kalt: »so gehts mit Stürmen los auf unsere Habe, und der Gewalt weichen wir. Der Kaiser gibt uns Schutz, und nennt uns seine Kammerknechte; und da wir zufrieden sind, wenn wir athmen dürfen, wenn gleich als Knechte, so geben wir gern dafür, was unser ist. Dem einzelnen steht aber nicht die Befugniß zu, uns gewaltsam zu plündern, zum mindesten nicht in Worms, wo wir eines billigen Schutzes uns erfreuen.« –

Bei diesen Worten näherte er sich der Thüre, um das Gemach zu verlassen. Gerhard jedoch, von der Nodwendigkeit des Augenblicks bedrängt, wollte [23] ihn aufhalten, und gab von seiner Störrigkeit vieles nach, indem er ihm sagte: »Es war nicht so übel gemeint, Ben David. Du solltest aber auch einen ehrlichen Mann nicht so lang auf die Folter legen.«

»Alle Ehrfurcht vor Eurer Ehrlichkeit;« erwiederte der Jude: »aber Euer Benehmen macht mich nicht lüstern auf ihre nähere Bekanntschaft.«

»So laß doch mit Dir reden;« fuhr Gerhard fort, ihn zurückhaltend. »Ich will mit Dir handeln, wie ich es mit einem braven Christen thun würde, und mit einem ebenbürtigen Manne, während Du doch keiner von Beiden bist. Ich verschreibe Dir Zins und Rückzahlung bis zum Sonntag Lätare, kommenden Jahrs mit meinem Namen und Wappen; und mit der Klausel, daß, wofern ich Dir bis dahin nicht gerecht werden könnte, ich, mein Einlager mit zwei Knechten und drei Pferden hier im Rebstock halten will, bis Du befriedigt bist.«

»Ei! ei! bei meinem Bart! was muthet Ihr mir zu?« fragte Ben David. »Da säßen zwein im Unglück statt des Einen. Ich, weil Ihr mir meine Schuld nicht bezahlt, – der Wirth, weil Ihr Euer Einlager nicht bezahlt. Nein; bin ich gleich ein Jude, will ich doch nicht einen braven Christen, wie diesen Rebstockwirth, in Schaden bringen. Ich sehe schon; Ihr würdet mir noch anbieten Eure Hausfrau als Pfand, wenn Ihr nicht unbeweibt wärt. Gott befohlen!«

»Jetzt hast Du Zeit zu gehen, verdammter Spötter!« tobte der Junker, und erwischte sein großes Fechterschwert, das er drohend gegen den Juden [24] schwang: »Hinaus! oder ich lege Dir den Solinger so um die Ohren, daß du vielleicht nachher keine Spur von ihnen findest!«

Ben David wollte schnellfüßig aus der Thüre. Indem sprang aber der kleine Hans, der bisher hinter dem Kachelofen gelauscht hatte, ängstlich schreiend hervor, und hing sich an Gerhard, entsetzt von dem gewaltig drohenden Schwerte, und einen schrecklichen Auftritt fürchtend. Der Junker hielt inne, und beugte sich zu dem Knaben, ihn zu beruhigen. Während dessen hatte aber Ben David einen Blick auf den Letztern geworfen, einen Augenblick theils überrascht, theils überlegend verbracht, und sich endlich wieder gelassen über die Schwelle in das Zimmer verfügt. »Was willst Du noch hier?« schnauzte ihn Gerhard an, als er nach flüchtiger Liebkosung des Findlings wieder in die Höhe sah.

»Mit Verlaub, gestrenger Herr!« sprach Ben David, das linke Auge auf den Erzürnten, das rechte auf das Kind richtend: »Ist das Euer Knabe?«

»Kümmerts Dich?« fragte Gerhard, wie oben. – Der Jude verneigte sich geschmeidig, schüttelte leicht den Kopf. »Um des Knaben Willen möchte ich dann mit Euch ins Reine kommen.« Fuhr er fort. –

»Ich bedaure;« versetzte Gerhard: »Der Knabe ist nicht mein; obendrein eine sehr unnütze widerliche Last.«

»Eine widerliche Last muß man sich schaffen vom Halse;« meinte Ben David und erkundigte sich, neugierig, nach seines Volkes Sitte, um die nähere Bewandtniß, die es mit dem Kinde habe. Gerhard [25] machte auch kein Geheimniß aus der Art, wie er zu demselben gekommen, und aus seinen Mittheilungen, wie unvollkommen sie auch seyn mochten. Der Jude hörte aufmerksam zu, und in den Muskeln seines Gesichts zeigte sich eine auffallende Bewegung, die einem bessern Menschenkenner, als es Gerhard war, unmöglich hätte entgehen können. Gleichgültig jedoch, dem äußern Anscheine nach, wiegte er den Kopf und sprach, nachdem Gerhard geendet: »Es ist seltsam, wie das zusamentrifft. Der Knabe hat nicht Vater, nicht Mutter, denn die ihn böslich verlassen hat, ist so gut als todt. Und zufälligerweise kenne ich eine traurende Mutter, die geben würde, was in ihren schwachen Kräften steht, könnte sie einen Sohn dafür erhalten, in dem gleichen Alter dessen, den ihr ein frühzeitiger Tod entriß. Ueberlaßt mir und der jammernden Mutter diesen Verstoßnen, damit er noch werde die Freude eines Menschen, und einstens stehe an seinem eigenen Herde.«

»Ists eine Christin doch, der Du das Kind bestimmst?« schon zu der Ansicht des Juden sich neigend.

»Die Rechtgläubigste; die Wittwe Schechlerin in Friedberg,« versetzte Ben David. »Sie besitzt einen kleinen Kram, der gerade hinreicht, sie zu ernähren, und den Knaben.«

»Die Waise zwingst Du nicht zum Judenthum, und schwörst mir's zu?« fuhr Gerhard fort, der sein erwachendes oder zweifelndes Gewissen durch leere Form zu beschwichtigen dachte.

»Bei dem Haupte meines Vaters schwör ichs Euch!« entgegnete Ben David sehr ernst: »Wie könnte [26] ich wohl einst eingehen in's ewige Jerusalem, hätte ich mit Vorbedacht einen Menschen elend gemacht? Der Elendeste aber auf Erden ist ein Jude.«

»Ja wohl, ja wohl!« entgegnete Gerhard, den Sinn von Ben Davids Worten nicht begreifend, mit verächtlichem Blicke: »Damit wir aber schnell in's Reine kommen, ... zahle fünfzig Turnosen, und führe den Knaben hinweg.«

»Fünfzig? Du Herr meines Lebens!« rief der Jude, wie im größten Erstaunen die Hände zusammenschlagend: »Wo denkt Ihr hin, lieber Herr? Von zwanzigen war bis jetzt die Rede; wie soll ich zu fünfzigen ...«

»Dort ist die Thüre!« erwiederte Gerhard trocken, und kehrte ihm den Rücken. Ben David ging aber nicht, sondern kam näher: »Als ich gebe dreißig Turnos, gebe ich Alles und Alles, was in meiner Macht steht!«

»Schmutziger Schacherer!« versetzte Gerhard: »einen Menschen verkauft man nicht um solch elendes Geld.«

»Ich wette doch,« sprach Ben David ironisch: »Ihr verkauft mich um ein Geringeres.«

»Um das Vergnügen, Dich zwischen zwei Hunden aufhängen zu sehen;« brummte der Junker: »Du hast recht. Aber einen Christen verhandelt man nicht um dreißig Silbergroschen.«

»Hat denn nicht Judas den ersten aller Menschen, Euern Herrn, den Born alles Christenthums um gleiches Geld weggegeben?« fragte Ben David.

[27] »Es konnte auch nur ein Jude solchen Handel treiben!« polterte Gerhard, roth werdend vor Zorn: »und jetzt packe Dich. Ich fürchte ohnehin, daß ich Sünde thue, wenn ich dieß junge Leben Deiner graugewordenen Verworfenheit überlasse.«

Ben David zuckte die Achseln, schlug seufzend die Augen gen Himmel, stellte sich hierauf zum Tische, langte aus seinem Zwerchsack einen nicht übermäßig gefüllten ledernen Beutel hervor, und begann Geld aufzuzählen. Gerherd spielte hiebei den Gleichgültigen, obgleich er im Innern bereits an seinem Siege frohlockend zehrte; der Knabe, der arme Unschuldige, um dessen Haut und Haar der ganze böse Handel ging, ergötzte sich mit kindischer Lust an dem Glanz der Silberstücke, die aus des Juden hagern Fingern auf den Tisch rollten, und sehr langsam und sehr bedächtig von ihrem bisherigen Besitzer in Reihe und Schnur gestellt wurden. Gerhard konnte nur mit Mühe bei dieser geflissentlichen Langsamkeit seine Ungeduld bändigen. Endlich schüttelte der Jude den leeren Beutel, und sprach: »Seht da mein ganzes Vermögen: zweiundvierzig Turnosen – nicht mehr, und nicht weniger als Alles, was ich habe. Wollt Ihr's, so nehmt. Die fünfzig kann ich nicht voll machen.«

»So trolle Dich, und versieh Dich ein Andermal mit mehrerem Gelde, wenn Du zu einem Edelmann gerufen wirst;« antwortete Gerhard kalt, der nun die Handlungsweise seines neuen Bekannten begreifen lernte.

[28] »Ich kann nicht mehr geben;« fuhr der Jude fort: »Ich habe nicht mehr, als das und mein Leben.«

»So behalte Beides in Gottesnamen und scheere Dich fort!« versetzte der Junker mit immer größerer Zuversicht. – »Ich finde einen andern.«

»Ihr seyd ein böser Kaufmann;« meinte Ben David und stellte sich, als wollte er das Geld zusammenraffen. Da ihn aber Gerhard von diesem Thun nicht abhielt, so ließ er es bleiben, und holte statt dessen einen wollenen Lumpen aus seinem Sacke, in welchem sich mehr Geld eingeschnürt befand, als in dem geleerten Beutel gewesen war. – »Seht,« fuhr er fort: »wozu mich Eure Hartnäckigkeit verleitet. Das ist anvertrautes Geld, und ich muß davon entwenden acht Turnos, um sie Euch zu geben. Ich möchte mich selber schlagen in's Gesicht, daß ich das thue, aber ich bin zu freundschaftlich für Euch gesinnt, als daß ich Euch nicht helfen sollte aus der Noth.« –

Die fünfzig Turnosen waren voll, und behaglich lächelnd strich der Junker das Geld ein. – »Für das Geld den Knaben,« sprach er: »auf Nimmer wieder zu erstatten; aber erkundigen werde ich mich zu Friedberg, wie Du den Knaben versorgt.«

»Das könnt Ihr,« antwortete der Jude mit aller Aufrichtigkeit: »Ich schenke dem Knaben eine wackere Mutter. Komm, Bübchen!«

Der Kleine weigerte sich anfänglich. »Der Mann bringt Dich zur Mutter!« redete ihm Gerhard zu. – »Ich will, lieber bei Dir bleiben;« meinte das Kind. – »Aber auch zur Gundel und dem kleinen Hänschen!« setzte Gerhard bei. Der Jude nickte freundlich grinsend [29] zu dieser Zusage, und der Knabe war schnell für den neuen Führer gewonnen. Fröhlich hieng er sich an seine Hand, und eilte, ohne viel Abschied zu nehmen, mit ihm von dannen. So springt das unschuldige Lamm neben seinem Herrn dahin, in harmloser Fröhlichkeit, .. nicht wissend, wird es zur lustigen Weide, wird es zur Schlachbank gebracht.

2. Kapitel
Zweites Kapitel.

Ein schlicht Gewand

Deckt in der Welt

Gar oft den Mann

Der in der Hand

Den Zepter hält

Wie's ihm gefällt:

Wer sieht's ihm an?

Ballade.


»Schon gesattelt und aufgezäumt?« fragte ein junger lebhafter Mann von ausnehmend schöner Gestalt und vornehmem Wesen den Knecht des Junkes von Hülshofen, der den erlösten Gaul mit der Reisedecke schmückte. – »Dachte nicht, daß es schon so weit seyn würde, nachdem was ich gehört!« –

Sprachs, und stand mit wenig Sprüngen in der Maienstube vor dem Edelknecht. Dieser saß bei einem Paßglase Malvasier, und kanzelte den demüthigen Wirth zum Rebstock auf gut deutsch ab, wegen[30] seines unziemlichen Benehmens gegen fremde ehrsame Edelleute. Da er jedoch des Besuchs ansichtig wurde, schickte er kurz abbrechend den Kneipenmeister zum Teufel, und wendete sich in der fröhlichsten Laune zu dem Jüngling.

»Sieh da!« sprach er: »Edles Herrlein, seyd will kommen. Habt doch Wort gehalten, ob schon Ihrs im Martinsjubel gabt. Ihr verschmäht es nicht, in der Gesellschaft eines alten Schrankenraufers zu reiten, der Wappen und Freiheit an Eure Stadt verkaufen mußte, um schnöden Sold.«

»Ei warum denn, possierlicher Mensch?« fragte der Jüngling. »Wer mir auf der Lebensbahn aufstößt, lustig, wohlgemuth wie ich, ist vor Allen mein lieber Gesellschafter, er schaue nun unter einer Grafenkrone, einer Fechterhaube, oder einem Gugelhute hervor. – Alter Degenknopf; ich habe von Deinem gebrannten Herzeleid gehört, und bin gekommen, Dich zu befreien aus den Schlingen der Edomiter, die gar zu gern einhergefahren wären auf Deinem Turniergaule!« – Hier klimperte er dem Gerhard gar anmuthig mit einem gefüllten Beutel vor den Ohren. – »Ich komme jedoch zu spät, wie ich zu meiner Freude sehe. Wie ist es Dir möglich geworden, Du durchlöchertes Sieb, dem Handel so schnell ein Ende zu machen?«

Gerhard erzählte lustig, locker und frech in der Freude seines Herzens die Art, wie er zu dem Gelde gekommen. Des Jünglings Gesicht verfinsterte sich jedoch gewaltig, und ungeduldig stampfte er mit dem Fuße, da Hülshofen geendet. – »Pfui! [31] pfui! und abermals pfui!« rief er: »Zerbrich Dein Wappen und Dein Schwert, Du geldsüchtiger alter Mensch! Bist Du nicht schlechter als der Jude, der doch nur eine Christenseele kaufte, die Du verschleudert hast? Gerhard! ist das eines Edelmanns würdig? Wärst Du bei Deinem Steigbügel zu Gaste gegangen, wie die lockern Gesellen, die gestern im Rosengarten mit Dir zechten, hättest Du die Marktschiffe geschunden, wie der grausame Hans von Rudenkheim, dessen Rückinger Schloß mein Vater vor zehen Jahren niederbrennen half, – hättest Du mit Scharlach gehandelt auf offner Landstraße, ich würde um Alles dieß Dich weniger gescholten haben, als um eines Menschenverkaufs willen; denn der ist vor allen unritterlichen Streichen der unritterlichste.«

»Noth kennt kein Gebot;« meinte Gerhard. »Hättet Ihr gesehen, wie mich der Wirth beschimpfte, hättet Ihr gesehen, wie meine lieben Freunde mich sitzen ließen, – hättet Ihr empfunden, wie kalt dieser Ofen und wie leer mein Magen war; Ihr würdet glimpflicher mit mir verfahren.«

»Einem Juden?« fuhr der junge Mann fort: »Der arme Junge! Ich war ja dabei, als Du ihn gefunden. Noch sehe ich sein holdes Antlitz; ich empfahl ihn Dir noch auf das Beste, da ich Dich trunknen Mann an der Hausthüre Deinem Knechte überließ; aber was hilft das Alles! Verschachert wie Joseph an die Kinder Ismaels! Nun, wart, wart! alter Luxbruder! Der heilige Martin wird Dir's gedenken, wenn die Seele eines Christen durch Dich zum Teufel fährt.«

[32] »Ei nun;« erwiederte Gerhard: »so überlaßt es auch dem heil. Martin und brummt nicht mit mir. Was soll das Hadern? Laßt uns den Span in Minne beilegen, und zu Gaule steigen. Geld klingt in der Tasche, und überall stehen die Fässer uns offen. Seyd Ihr schon reisefertig?«

»Mein Pferd steht vor meiner Herberge;« antwortete noch etwas finster der junge Mann; »laßt uns dort den Valettrunk halten, denn von Deinem mit Christenblut bezahlten Sekt nehme ich keinen Tropfen an.«

Der Vorschlag wurde von dem trinklustigen Gerhard recht ausführbar befunden, und die Beiden begaben sich auf den Weg. Der lange Vollbrecht, ohnehin zum Fußmarsch verdammt, machte sich eilends zum Thore hinaus, während die Herren noch lustig im Rosengarten sich zutranken. Die rothwangige Tochter des Hauses kredenzte den feurigen Wein, und entzückte durch ihre Liebenswürdigkeit den jungen Mann dergestalt, daß er den Arm um ihren schlanken Leib legte, und sich theuer vermaß, er wolle ihrer selbst im Getümmel der Feste zu Costnitz eingedenk seyn.

»Ei, seht doch!« schäckerte die erfahrne Dirne: »Der Junker will wohl gar noch läugnen, daß er in Frankfurt eine schöne Amrie zurückgelassen, daß vielleicht in Costnitz eine zweite seiner harrt.«

Der Junker fuhr sich unmuthig über die Stirne. »Was schwatzest Du da für Zeug, tolles Mädel!« rief er: »Man muß Deine Schönheit schätzen, wie ich, um Dir Deine Unverschämtheit so hingehen zu lassen!«

[33] »Nur nicht böse, lieber Herr!« bat Dorothea: »Es ziemt mir freilich nicht, also mit ritterlichen Leuten zu scherzen, allein dem willkommnen Mund verzeiht man öfters eine unwillkommne Rede.« – Sie bot dem Jüngling die frischen Lippen zum Kuß, der auch nicht verweigert wurde. – »Ihr dürft Euch übrigens,« fuhr sie fort, »im Ernste darauf gefaßt machen, Euer Herz in Costnitz zu verlieren, wäre es auch ganz allein an die schöne Fremde, die gestern einen Augenblick hier still hielt auf ihrer Reise nach Costnitz, und trotz der stark einbrechenden Nacht alsobald weiter fuhr. Sie darf Euch dort begegnen, und Ihr seyd unwiederbringlich verloren.«

»Eine schöne Fremde?« fragte der Jüngling begierig. »Jungfrau oder ...«

»Ein Fräulein ist sie wohl nicht, denke ich;« erwiederte das schlau lächelnde Mädchen: »aber eine Wittib ganz gewiß, eine junge schöne Wittib, der das schwarze Trauergewand unvergleichlich zu den dunkeln Augen steht.«

»Eine Frau in Trauer?« fragte Gerhard begierig: »die nur einen Augenblick halten ließ?«

»Ja; sie ließ sich nur einen Trunk Weins belieben, und fuhr schnell von dannen. Ein Fuhrknecht und eine junge Gürtelmagd waren ihre ganze Begleitung.«

»Sie ist's! ohne Zweifel!« schrie Gerhard. »Der Zufall hilft uns auf die Sprünge!«

Dorothea staunte. »Auf welche?« fragte der junge Mann; und gab dem vorlauten Fechtbruder einen derben Rippenstoß, als dieser von dem gefundenen [34] und verkauften Knaben anheben wollte. Gerhard schwieg bestürzt, und folgte ohne Widerrede dem Junkherr, denn, – nachdem er in Kürze von Dorothea erfragt, daß die trauernde Fremde in der That den Weg gen Costnitz genommen, und vermuthlich eine jener fahrenden Frauen sey, die des Gewinns halber die Kirchenversammlung mitzufeiern gedachten, – rasch zu Gaule stieg, und nebst seinem Begleiter Worms bald im Rücken hatte.

»Sage mir aber ums Himmelswillen,« begann der Jüngling nach einer Weile unmuthig, »sage mir, ob Du rein des Satans bist, Du küpfriges Gefäß? Erst verhandelst Du eine unmündige Seele an den Moloch, und hinterher willst Du durch Dein abgeschmacktes Gerede uns in den Mund der plauderhaften Dirne, vielleicht auf den Scheiterhaufen bringen?«

»Nun, nun,« fiel Gerhard begütigend ein: »Nur nicht böse; meine Offenherzigkeit ist allzugroß, und wenn die Frau wirklich die Frau wäre ...«

»Schweig!« brummte der junge Mann: »Du wärst noch im Stande, der Nächstbesten auf den Kopf zuzusagen, daß sie ihr Kind ausgesetzt; blos weil sie ein schwarzes Kleid trägt. Ich sollte mich billig aufs Neue gegen Dich erzürnen, Du Seelenverkäufer.«

»Laßt's seyn,« meinte Gerhard. »Es kömmt bei dem Zanke nichts heraus, als viel Geschwätz, viel Galle, und am Ende Blut, wenn die Galle überläuft. Der heilige Martin wird die Sünde von mir nehmen, und damit genug. Laßt uns lieber von Eurem Herzlieb reden, das Ihr in Frankfurt zurückgelassen; [35] denn ohne Grund wurdet Ihr nicht roth, da das Kellerdirnel Euch auf das Kapitel brachte.«

»Pah! Schnurren und Flausen!« lachte der Jüngling. »Jede Dirne träumt nur von Minne, und jeder gewäschige Hagestolz von unziemlicher Buhlschaft. Ich antworte Dir darauf Nichts, als daß ich zum Dienst des Herrn bestimmt bin, und also an kein Lieb zu denken habe.«

Gerhard hielt plötzlich seinen Gaul an, stemmte beide Arme in die Seiten, und brach in ein unmenschliches Gelächter aus. »Ho ho!« stammelte er unter demselben, und wischte sich die Lachzähren aus den Augen: »Erlaubt mir, daß ich lachend sterbe bei dem Gedanken, Euch dereinst im Chorrock mit geschorner Platte zu erblicken.«

»Stirb zu, alter Pickelhäring!« entgegnete ihm der Begleiter lustig: »Jetzt hast Du die beste Zeit dazu, denn ich ertheile Dir die Absolution in aller Form, und einen so nachgiebigen Beichtvater findest Du gewiß in Deinem ganzen Leben nicht mehr. – Was meinst Du aber mit Deinem Narrengelächter eigentlich. Denkst Du, ich würde mich schlecht ausnehmen im Meßgewand oder gar, wenn das Glück will, in der Inful?«

»Bewahre!« versetzte der Hülshofen: »Ick bedaure vielmehr alle Dirnen und Frauen, die das Unglück haben, den Ort zu bewohnen, wo Ihr Chor singt, oder den Hirtenstab regiert. Es macht mir indessen Spaß, Euch mir im Pfaffengewand zu denken, da Ihr doch augenfällig in den Panzer gehört, – mit dem Rauchfaß bewaffnet, da Ihr doch den Flamberg [36] führen solltet von Gott und Reichswegen! – die Kerze in der Faust, die den Sperber zu tragen geschaffen ist.«

»Hast Recht;« sprach der Jüngling, ein wenig nachdenklich werdend: »aber was hilft all das Reden gegen Vatergebot und Muttergelübde? Die gute Mutter! Daß sie mich zur Welt gebracht, gab ihr den Tod; doch um dem Himmel zu danken, daß er nur mich gesund und getrost erschaffen, vermählten mich ihm ihre sterbenden Lippen, und gerne schied sie dahin, weil ich nur athmete. Mein Vater – Du kennst ihn ja, – der alte Diether Frosch, stieß sich in meiner Erziehung wenig an den Schwur der Mutter, und ließ mich adeliches Gewerb lehren. Ich lernte reiten, fechten, wälsch, hungarisch und deutsch tanzen, Falken abrichten und der Jagd obliegen, die Laute spielen und den Ball schlagen. Nothdürftig begriff ich die Kunst des Lesens und Schreibens, und war weit entfernt, zu glauben, daß es jemals Ernst werden sollte mit dem Gelübde der Mutter. Aber, da mein Vater ein anderes Weib nahm, und mir eine böse Stiefmutter gab, wurde es anders.«

»Glaub's;« schaltete der Edelknecht ein: »Kann auch ein Liedlein singen, wie's den Kindern erster Ehe geht.«

»Auf einmal war ander Wetter in unsrem Hause:« fuhr der junge Mann fort. »Die Stiefmutter ein blühendes rundes Weiblein, nicht älter denn ich damals gewesen – nämlich achtzehn Jahren mit Haut und Haar, zog ein in des Bräutigams Gut und Habe, – eine rüstige Abigail zu einem ergrauten [37] David. Seinen Reichthümern hatte die arme Freiin ihre Jugend geopfert; er hatte seine Selbstständigkeit für die Rosen ihrer Wangen hingegeben. Der Himmel der neuen Ehe war blau, so lang die Hochzeitsfeste dauerten, dann thürmten sich winterliche Wolken daran auf. Die Rosen wollten im Schnee nicht gedeihen; sehnten sich nach einem andern Gärtner. Der Vater hatte nicht klug daran gethan, den erwachsenen Sohn im Hause zu halten; und ... doch es gilt Dir gleichviel, wie es geschah, daß ich aus Liebe zum Vater mit der Stiefmutter in Unfrieden gerieth.«

»Nur weiter; ich begreife schon;« versetzte Gerhard schelmisch lächelnd.

»Mit einem Wort«: fuhr der Jüngling fort: »Plötzlich brach die alte Litanei los, von dem Gelübde der Mutter, von der Verpflichtung es zu halten, und da nach Verlauf eines Jahrs die Stiefmutter eines Söhnleins genaß, war mit einem Streich mein Schicksal entschieden. Meine Schwester älter als ich und kühner, hatte schon früher das väterliche Haus im Zwist verlassen, und an Thüringens Grenze ein Gut bezogen, das ihr ein Oheim geschenkt, der Prälat eines Klosters in Wälschland ist, und den sie um Schutz angefleht gegen die böse Mutter. Ich folgte ihr bald nach, und ward zu dem berühmten Predigermönch Johannes in Obhut gethan, der das Privium und Quadrivium volle fünf Jahre mit mir durchstöberte, und mich endlich auf den Punkt gebracht hat, wo man eingeht in das Pfaffenthum. Nun schrieb mein Ohm, der Prälat, dem Vater, und forderte [38] ihn auf, mich ihm zu senden nach Costnitz, we er Pflichtswegen dem Concilio beiwohnt. Ich soll ihm gen Wälschland folgen, auf einer hohen Schule meine Studia vollenden, und durch seinen Einfluß einer fetten Pfründe gewärtig seyn.«

»Wohl dem, der heiliger Verwandtschaft sich rühmen kann;« meinte Gerhard.

»Und so ließ ich denn Alles dahinten,« fuhr der Jüngling fort: »Haus und Hof und Geld und Gut gehört dem kleinen Bruder Johannes, und ich überlasse ihm Alles gern, denn er ist ein lieblicher Bube, sofern als ich mich seiner noch entsinnen kann, bevor er seiner Gesundheit halber weggethan wurde in die Kost zu einer Amme unfern des Königsteins. Mag er in Wohlstand leben, mag ihn die Mutter verhätscheln, und der Vater Abgötterei mit ihm treiben; mir gleichviel. Mich ernährt fürder der Altar, und ein faules Chorherrnleben ist eben nicht das Schlimmste.«

»Gott erhalte Eure Lustigkeit, Junker Frosch!« rief Gerhard: »Mit Euren Schwänken helft Ihr Euch über Alles hinüber. Und Recht habt Ihr, beim Donner. 'Skommt nur darauf an, wie man die Sache nimmt. Seyd Ihr einmal Stiftsherr, hat's keine Noth. Die beste Tafel, die süßesten Weine stehen Euch zu Gebot. Dm Morgen verträumt Ihr im Chor, oder schwänzt die Kirche, habt Ihr gerade nicht Lust zum Singen und Plärren. Für die Vesper mögen die Kapläne sorgen, während Ihr in Edeltracht zu Pferde sitzt, oder hinter'm Brettspiel, oder im kühlen Keller. Die Seelsorge kümmert Euch nicht; Ihr habt nur die Mühe, das was Ihr gelernt, zu vergessen, [39] und wenn Euch dann nach einem Tage voll Last und Plage Euer seidnes Lager aufnimmt, so finden sich auch wohl ein Paar schöne Arme, die Euch umpfangen, ohne daß der Leutpriester den Segen darüber sprach.«

»Ei du ruchloser Gauch!« lachte der Junker: »Also verunglimpfst Du das geistliche Leben?«

»Straft mich Lügen, wenn Ihr könnt;« rief Gerhard in Eifer: »Tretet nur einmal in ein vornehm Gestift und Ihr werdet mehr noch sehen. Machen's doch die Pfaffen auf dem platten Lande auch nicht besser. Der Pfarrherr hält sein Lieb im Hause, der Vikar sucht es ausserhalb. Der Domherr sieht keine zehnmal im Jahre seinen Chorstuhl, und der Bischof hat das Uebermenschliche gethan, wenn er die Weihen empfing, und vielleicht am Osterfeste das Hochamt mit anhört, auf seinem Throne sitzend.«

»Leider hast Du Recht;« erwiederte der Begleiter. »Unfug ist eingerissen, aber ihn zu beseitigen, ist ja die Kirchenversammlung angeordnet. Du wirst sehen ...«

»Daß eine Krähe der andern die Augen nicht aushackt;« unterbrach ihn Gerhard. – »Laßt nur die Wälschen hineinplaudern; so ist von vorn herein Alles verkehrt.«

»Vergissest Du, daß des Kaisers Majestät selbst sich alle Mühe gab, das Concil zu Stande zu bringen? daß der beredtsame Prediger aus Böhmen daselbst seine Lehre vertheidigen, sieghaft vertheidigen wird?«

[40] »Sieghaft?« lachte Gerhard: »Ihr habt so viel gelernt und tappt im Dunkeln? Wie machts der Jäger einem störrigen Rüden, der die Zähne weißt? Er lockt ihn mit Schmeichelworten, und kommt der dumme Hund heran, bethört von trügerischer Freundlichkeit, so liegt ihm der Maulkorb vor der Schnauze ehe er sichs versieht, und der Knüttel auf dem Kreuz. – Wollt Ihr wissen, wie ichs einem Gegner mache, dessen Fechterkünste mir gefährlich scheinen? Ich lüfte den linken Arm, und während er nach der klaffenden Schiene stößt, und auf dem schnell gekehrten Schild die Lanze bricht, spießt ihn meine Glene zwischen Halsberge und Krebs. Mein Roland schlägt seinem Pferde den Huf in die Seite, und im Sande liegen Roß und Reiter. – Was übrigens den Kaiser angeht, der wie ein Büttel deutscher Nation durch alle Länder fuhr, um Gotteswillen die Fürsten einzuladen ...«

»Schweig, Lästerzunge!« fiel ihm scherzend der Andere in die Rede: »Den Kaiser taste mir nicht an. Dagobert! sagte mein Vater beim Abschiede: Ich werde Deine Tage segnen, so ich Dich einmal in den Würden unsers Vorfahrers sehe, des berühmten Wicker Frosch, der Hauskaplan des höchstseligen Kaisers Caroli des Vierten und dessen rechte Hand gewesen! – Da ich nun also, diesen Zweck zu erreichen, mich freundlich mit dem Mehrer des heil. römischen Reichs halten muß, so verbiete ich Dir jeden Ausfall gegen Seine Majestät.«

»Nun in Gottesnamen!« versetzte Gerhard: »So sey denn Friede zwischen uns, und ich empfehle Euch, [41] als zukünftigem Kanzler des wackern Herrn, Euern unterthänigen Knecht von Hülshofen zu beliebiger Versorgung.«

Lustig trabten sie von dannen, und vertrugen sich herrlich auf der ziemlich weiten Fahrt, die, eine vorzeitige Kälte abgerechnet, nichts Besonderes aufzuweisen hatte. Ungeduldig sah sich Dagobert nach Abenteuern um. Mit gleicher Ungeduld spähte Gerhard aus nach der Unbekannten im Trauergewande, aber die Sehnsucht Beider ward getäuscht. Näher und näher kamen sie dem Ziele, und waren nur noch etliche Stunden von Costnitz entfernt, als sich endlich der Schauplatz um sie her veränderte. Die Straßen wimmelten von ab- und zugehenden Wanderern, von Reitern und Fahrenden. Eine große Menge von Landleuten schleppte die Vorräthe des Landes nach der Stadt, in der es summte und brauste, wie in einem Bienenstocke. Kaufleute, Handwerksgesellen, Gaugler und Bänkelsänger zogen Hordenweise dem gelobten Lande zu. Alle Herbergen und Schenken waren überfüllt von fremden Gästen, die in jeder Zunge schwatzten, sangen und fluchten. Gerhard freute sich des bunten Lebens, so lang es ihm nicht den Zutritt zum Keller versagte, aber seine Erwartung, diese Freude von seinem jungen Begleiter getheilt zu sehen, betrog ihn gewaltig. Der muntre Dagobert wurde unter dem ergötzlichen Gewühl still, einsylbig, verdüstert, und blickte verdrossen vor sich hin.

»Lustig! Lustig!« rief ihm Gerhard mit ungestümer Theilnahme zu: »Es geht ja hier zu, wie beim Thurmbau zu Babel! Fröhlich mitgeschwommen [42] in dem Strome des heitern Lebens, junger leicht beweglicher Fisch! Jetzt, unter Fremden gilt's, die blenden Schuppen zu regen, und obenauf zu rudern in träglicher Fluth!«

»Deine Ermahnungen erregen nur meinen Unmuth;« erwiederte Dagobert. »Was ist es anders, das meinen Geist bekümmert, als eben wandeln zu müssen unter Fremden. Hier ist nicht mehr Deutschland. Die heimeliche Sitte der Vaterstadt gilt hier nicht mehr, untergehend unter dem Schwall fremder Gewohnheit, die sich breit macht auf unsrer Erde. Und nimmer kehre ich vielleicht zurück zu dem Hause, wo meine Wiege stand; nimmer sehe ich sie vielleicht wieder, die Fluren auf denen meine Jugend erwuchs. Ein gutgemeintes aber vorschnell Wort schneidet mich aus dem häuslichen Leben; der Groll einer Verschmähten wirft Berge und Ströme zwischen mich und meine Heimath! Was wird mir die Fremde bieten, die nicht meine Sprache kennt, nicht mein vaterländisch Herz?«

»Ihr schiebt Alles aufs Vaterland!« brach Gerhard los: »aber der Donner soll mich erschlagen aus heitrem Winterhimmel, wenn hinter den Gedanken an die Heimath sich nicht noch birgt das Gedächtniß an was Liebes, das Ihr daheimgelassen.«

Dagobert erröthete und sprach nach einer Weile: »Fast möchtest Du recht haben. Ich gestehe es selbst. Ich glaubte nicht, daß ein wohlthuend Gefühl, welches ich seit Jahren bewahre, wie man eine bescheidne Blume bewahrt im stillen Schlafgemach, so ernstlich geworden sey. – Aber,« fuhr er, sich ermannend,[43] fort: »Es ist all Thorheit und Schnack. Ich hätte das Blümlein nicht vor die Brust stecken dürfen, wenn ich auch ein Laie bleiben könnte. Der Levit muß sich ohnehin die Gedanken vergehen lassen.«

»Ihr sprecht so zierlich, als ob Ihr bei einem alten Minnesinger in die Lehre gegangen wäret;« meinte Gerhard: »Löblicher ist es aber noch, sich in seine Lage finden. Ihr seyd nicht dazu gemacht, für die Liebe zu sterben in der Sehnsucht Pein. Schwer ists allerdings, ein Mägdlein zu vergessen, an das man sich gebunden mit der Herzenskette, so lang man nurseiner gedenkt, und unnöthig ihm die Treue aufbewahrt. Aber federleicht wird's, – glaubt es mir – sobald man sich vornimmt, Alle zu lieben, die ein fein Gesicht und ein lieblich Ansehen erhalten haben von dem lieben Gott. Thut ein solches und ihr werdet mich loben.«

Dagobert lachte. – »Das ist es ja eben, was ich am meisten fürchte;« rief er: »Der Himmel hat mir ein butterweiches Herz geschenkt, wie es mein Vater hat, der noch im sechzigsten Jahre eine Achtzehnjährige umfing. Ein Paar schöne Augen haben mir's immer angethan, wo die Minne frei walten durfte, und die Sorge, meinem Schätzlein nicht die Treue bewahren zu können, die ich ihr im Herzen zugeschworen, quält mich halb zu Tode. Doch diese Wolken gehen auch vorüber, wie alle andern, und der Sonnenschein meiner frohen Laune wird nicht ausbleiben. – Sieh diese herrliche Aussicht über die Stadt und den Bodensee! Sieh, wie alles funkelt im winterlichen Mittagsglanz! Wen sollte dieser Anblick [44] nicht froh machen im tiefsten Leid? Horch! die Glocken läuten uns entgegen. Sie könnten nicht feierlicher schallen, wenn Du der Kaiser wärst, und ich an Deiner Seite heranritte, als Hauskaplan!«

Durch solche Scherze suchte Dagobert das unangenehme Gefühl zu ersticken, das sich in seinem Innern bemerkbar gemacht hatte, obgleich ihm nicht recht um's Scherzen war. Gerhard hörte ihm wohlgefällig zu, ließ den Blick über Stadt, See und Strom gleiten, und übersah es, daß der Weg an einem geringen, aber von Reif und Novembereis geglättetem Abhang hinunter lief. Plötzlich strauchelte sein Pferd, und nur ein kecker Griff Dagoberts in die Zügel des stolpernden Rolands, konnte Gaul und Reiter vom gefährlichen Sturz erlösen. – »Kreuz und Dorn!« fluchte der erschrockne Gerhard, stille haltend: »Das kommt davon, wenn man Euch zuhört, und sich selbst darüber vergißt! Die verdammte Halde mit ihrem Abhang! Es wird besser seyn, wenn wir, – da doch die Mittagsglocken läuten – wie andere ehrliche Christen, von den Pferden steigen, das Käpplein unter den Arm nehmen, und unsere Thiere betend weiter führen.«

»So sey's, Du wackrer Christ!« entgegnete Dagobert: »Es wird nebenbei nicht schaden, daß wir bei der Hand sind, wenn jener Reitersmann, der da vor uns hinkleppert, sich aus dem Sattel begeben sollte. Sein Gaul tanzt wie Deiner auf der Eisbahn, ... wie Du scheint der Mann in Gedanken versuncken, denn der Zaum hängt schlaff, und wer weiß, wie bald ...«

[45] »Alle Teufel! da haben wir's!« unterbrach Gerhard sein schon begonnenes Gebet, und er und Dagobert setzten sich in Lauf, auf die Gefahr ein Bein oder den Hals zu brechen; denn der besagte Reiter schlug so eben zum Boden nieder, und das Roß wälzte sich auf ihm. Die Helfer in der Noth schnirten in der Eile ihre Gäule an einer Buche fest mit dem Zügel, und eilten zur Rettung des Gestürzten herbei. Mit vieler Mühe wurde dieser von der Last seines Pferdes befreit, das sich mit der größten Anstrengung aufrichten ließ, und endlich, schauernd von Schreck und Schmerz, aber unverletzt neben seinem Herrn stand. Dieser saß, nach und nach Besinnung und Sprache wieder erlanget, auf der Erde, und starrte die beiden Schutzengel lange an.

»Gelobt sey Jesus Christus!« begann er endlich mit sehr tief und vollklingender Stimme, während er sich das linke Bein rieb, auf dem sein Rappe gelegen war: »Das war ein Sturz, wie er mir doch Zeit meines Lebens nicht vorgekommen ist.«

»Ihr seyd doch ganz und heil, lieber Herr?« fragte Dagobert theilnehmend. – Der Fremde zuckte die Achseln, aber ein zufriedenes Lächeln breitete sich über sein braunes männliches Angesicht, als er nach wiederholter Ausdehnung seiner Gliedmaßen verspürte, daß sie unverletzt geblieben. –

»S'ist noch gut genug abgelaufen!« meinte er, und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirne. »Hebt mich auf, ihr guten Leute; ich werde wohl mit Gottes Hülfe allein stehen können.« Der Versuch ging ohne Gefährde glücklich vorüber. Der Fremde [46] stand da, seine beiden Nothhelfer um ein Erkleckliches überragend, und wandte nun die herrischen Augen gegen den Rappen, der noch ängstlicher zitterte, als ob er des Herrn Blick schon kenne und dessen Folgen. »Seht da, ihr Herren!« sprach der abgeworfene Reiter: »seht da einen Gaul, der mir schon zehen Jahre dient, und mich auf manchem Ritt zu Ernst und Schimpf getragen, um den man mich gar oftmals beneidet, und den ich Gutfreund getauft, um seines sichern Schrittes und seiner Aufmerksamkeit willen. Ist's nicht eine Schande, daß er mich heute abgeschleudert in seiner faulen Nachläßigkeit? Du böses Pferd – mit unsrer Freundschaft ist's aus: von heute an reite ich dich nicht mehr.«

»Wenn Ihr der Wechselpferde mehrere besitzt, ist's gut für Euch;« versetzte Gerhard, der den schlichten Lederkoller des Reiters mit Geringschätzung betrachtete: »Indessen hat der Gaul nur ein Versehen verschuldet. Es ist ja kein Mensch.«

»Wackre Freunde und treue Thiere halten sichern Schritt bis an's Ende!« erwiederte der Fremde, die Sache ernster nehmend: »Sie sollen seyn ein treuer Stecken und Stab, der nimmer bricht, als im letzten Stündlein. Wort und Gehorsam sollen ewig seyn. Der Freund, in dessen Schooß ich nicht sicher ruhen kann – der Gaul, der durch Trägheit oder Scheu mein Leben in Gefahr bringt – sie gelten mir Nichts mehr. Darum fresse dieser abgedankte Träger das Gnadenbrod, so lange er will. Er verkümmre aber unter dem Troß.«

[47] »Ihr seyd ein seltsamer Mensch!« lachte Gerhard: »Um des Bischens Abwerfens willen! Du lieber Himmel! Mein Roland ist mir um das Reich nicht feil, aber abgesetzt hat er mich dennoch oft, nur nie, wo's Ernst galt. Kugelt man auch ein wenig in den Staub, was thuts, so lange die Rippen halten? Ist Euch doch nichts mehr nichts weniger begegnet, als dem heiligen Vater erst vor Kurzem, da er über den Oelberg gen Costnitz zog, und sein Fuhrwerk umschlug.«

Der Fremde brummte ein etwas unwilliges »Hm!« ergriff den Zügel seines Rappen und zog ihn, langsam vorschreitend, nach sich. Dagobert hatte die beiden andern Pferde herbeigebracht, und alle Drei gingen, der Fremde in der Mitte, auf die Stadt los, die Thiere führend. Gerhard der ungern seinem Witz Fesseln anlegte, war er einmal im Zuge, schwazte weiter im Texte: »Wie Ihr so straff und aufrecht daher schreitet, lieber Herr! Euch kümmerts nicht, ob dieser Fall ein böses Omen gewesen oder nicht. Doch Se. Heiligkeit ist furchtsamer gewesen, und es dürfte leicht geschehen, daß sie Recht hatte, als sie auf dem Oelberg ausrief: Was hat es zu bedeuten, daß uns der Unfall widerfuhr? Gott lenke es zum Guten!«

»Und lehre Dich schweigen, aberwitziges Schneppermaul!« platzte der Fremde los, der, als dis Rede wieder vom Pabste anhob, die Stirne gehässig gerunzelt hatte: »Verspotte nicht das Haupt der Christenheit, oder ...!«

[48] Er schwang den Handschuh der linken Faust drohend gegen den bestürtzten Gerhard, schien aber weniger Lust zu haben, ihm denselben vor die Füße zu werfen, als um's Gesicht zu schlagen. Hülshofen griff nach dem Schwertknauf; Dagobert jedoch, der schnell auf seine Seite gesprungen war, flüsterte ihm zu: »Gib Ruhe, Raufbold! willst Du Dich ins Verderben bringen. Wir sind innerhalb dem Weichbilde der Stadt. Du bist dem Blutbann verfallen, so Du ziehst.«

»Dem schlagfertigen Gerhard fiel das strenge Conciliumsgesetz ein, und murrend ließ er die Klinge ruhen, einigen Schimpfworten Luft machend, und den Fremden mit drohenden Blicken messend. Dagobert drängte sich zwischen Beide. Ihr mögt seyn, wer Ihr wollt, begann er zu dem Fremden, so bitte ich Euch, Friede zu halten. Ein Schwank soll nicht mit Blut gesühnt werden, und wenn drei unbedeutende Menschen wie wir zum Schwert greifen, einen tollen Handel auszufechten, wird es dem heiligen Vater von wenig Nutzen seyn. Ueberdieß sind wir Fremde; daß Ihr es seyd, verbürgt mir Eure Mundart. Warum wollen wir den Hals dem Gesetze dahingeben, während wir vielleicht zu einem rühmlichern Streite aufbewahrt sind.«

»Ihr sprecht wie ein Buch;« versetzte der Fremde lächelnd: »Ihr irrt jedoch, wenn Ihr glaubt, daß ich dem Menschen dort zu Leibe wollte. Beim heiligen Georg! das kam mir nicht zu Sinne. Mir stünde es wenig an, mich mit ihm gemein zu machen. Euch hingegen kennen zu lernen, junger Mann, freut [49] mich ganz absonderlich. Auf stillehrbare Leute kann man sich verlassen, denke ich. Wollt Ihr mein Freund werden, so sagt mir Euern Namen.«

Dagobert wollte so eben, sich verwundernd, dieselbe Frage an den Fremden richten, da kam unweit des Stadtthors ein Knecht daher in weiß und rothem Rock, entblößte, da er des Unbekannten ansichtig wurde, das Haupt, und blieb am Rande des Weges stehen. – »Nimm dieses Pferd,« sprach der Reiter zu ihm, »und bring es in den Stall. In Zukunft reite ich den Schimmel nur.«

Der Knecht empfing, still sich neigend, das Thier, und einen Schritt von Thor entfernt, fragte der Herr den jungen Frankfurter lächelnd: »Werde ich noch nicht erfahren, wer mir aus der Noth half?«

Dagobert nannte bescheiden seinen Namen, und machte auch Gerhards Stand und Geschlecht kund. »Mit dem Edelknecht hab' ich nichts zu schaffen;« versetzte der Fremde barsch: »Er hat den Dienst, den er mir leistete, zu Nichte gemacht, durch seinen ungebetenen Vorwitz in einem Ding, ob dem ich keinen Scherz verstehe. Ihr aber, biedrer Altbürger, Ihr seyd mir lieb und werth. Ohne Zweifel werdet Ihr im Engel Eure Wohnung nehmen, da die Schöffen, Euerer Stadt Abgesandte, daselbst die Einkehr nehmen? Recht lieb wird mir's seyn, von Euch zu hören.«

Nach einem flüchtigen Kopfnicken verließ der Mann, ohne weiter das Geringste hinzuzufügen, die Ankömmlinge, und ging in die Stadt. Die Letztern sahen wohl, daß die Soldwächter ehrerbietig Platz[50] machten, die Bürger demüthig Hüte und Mützen rückten, und sothane Ehrfucht auf sie Beide sogar überging, da sie mit dem geehrten Mann herangekommen waren. Stolz trabten sie und staunend durch das Thor. »Ich fürchte, ich habe einen thörichten Streich gemacht,« flüsterte Gerhard dem Begleiter zu: »Der Mann ist wohl mehr, als wir Beide.« – »Möglich;« versetzte Dagobert lächelnd, und verwies den Neugierigen an den Knecht, der mit dem gestürtzten Gutfreund hintendrein kam. »Wie nennt sich Dein Herr, guter Gesell!« fragte auch Gerhard den Knecht, und verstummte kleinlaut, als dieser erwiederte: »Seine fürstl. Gnaden ist's, der gnädigste Herzog Friedrich von Oestreich-Tyrol.«

3. Kapitel
Drittes Kapitel.

Ein dreitausendjähriges Gesetz! Seine Wurzel, in den Pyramiden, seine Wipfel allenthalben Schatten werfend: ein vom Blitz gespaltner Stamm, grünend dennoch durch die Thränenströme ausgestoßner Sclaven! ...


Die zwischen dem Mainstrom und der Domkirche gelegene Judengasse zu Frankfurt war mit ihren alterthümlichen Häusern in das Dunkel eines späten Freitags Abends versunken. Still und einsam war die enge und krumme Straße, und es wimmelte nicht [51] mehr das geschwätzige Volk darin umher, das wohl zu den Zeiten Ludwigs des Baiern sich darin bewegte. Das Geschick dieses Volks hatte sich seit dem Tode jenes Fürsten nach und nach gewaltig umgestaltet, und in Folge des harten Drucks, der sogar dann und wann in offene Schlachten ausbrach, war der israelitische Stamm zu Frankfurt ausgegangen bis auf wenige Geschlechter. Diese hausten nun abgezogen von der übrigen bürgerlichen Welt in ihren halbverfallnen Gebäuden, deren Nachbarhäuser in Ermanglung der ehemaligen jüdischen Besitzer die blutärmsten Einwohner der Reichsstadt inne hatten. Diese Letzteren, dem bittern Mangel unterthan, belauerten mit eifersüchtigen Blicken das Thun und Treiben der Juden, die Bedürfniß und Gewinnsucht auf den Handel anwies, und die alle List anzuwenden hatten, ihren wachsenden Wohlstand vor den neidischen Augen ihrer Nachbarn zu verbergen. Darum ließen sie ihre Wohnungen von Aussen verfallen, darum schlichen sie umher in der zerlumpten Tracht mit Zwerchsack und Wanderstab, darum ließen sie den seltenen Gästen, die sich in ihre Häuser wagten, nur die in Elend und Schmutz versunkene Unterstube sehen; darum schloßen sie sorgfältig am Sabbath ihre Fensterladen und Hausthüren, daß nicht durch die Ersteren der Lichter Schein, durch die Letzteren der Geruch der Festspeisen dringen und einen Schimmer von Wohlhabenheit verrathen möge, der ihnen hätte gefährlich werden können. – So waren auch heute ihre Fenster und Pforten verliegelt und der Feierabend eingekerkert zwischen vier Mauern. Das Haus des Ältesten [52] unter ihnen, der in der ganzen Umgegend wegen seines Alters, seiner Leiden und Erfahrungen hochgeachteten David Ben Jochai, machte keine Ausnahme. Schwarz und düster sah es gleich den Übrigen in die Straße, aber, hatte man den endlosen finstern Hausgang durchmessen, die dunkle Wendelsteige überschritten, und sich durch die Nacht nach dem Hintergebäude fortgegriffen, so trat man plötzlich in einen heiter geschmückten Ort, wo der Sabbath walten durfte in prächtiger Heimlichkeit. Eine im länglichen Viereck gebaute Stube, getäfelt an den Wänden, und geschmückt mit Vorhängen und buntem Schnitzwerk war der Haustempel. Ein großblumiger Teppich bedeckte den größten Theil des Fußbodens. Von der Decke schwebte der siebenarmige Leuchter, unter welchem der runde Tisch stand, überhangen mit einer rothwollenen Decke, über die erst wieder eine andere kleinere gebreitet war, von weißem feinem Linnenzeuge. Um den Tisch, – den drei silberne und reich gearbeitete Becher schmückten, auf einer silbernen Kredenzplatte aufgestellt, – standen drei Stühle mit hohen goldverzierten Lehnen und Polstern von geschornem Sammet. Unfern von der Tafel glänzte aus einer Nische der Mauer das silberne Waschbecken, in welches, sobald man den oben angebrachten vergoldeten Hahn umdrehte, das klare Wasser sprudelte. Feine Linnentücher lagen zum Abtrocknen bereit. In der Ecke war der Tisch zu schauen, der die Festspeisen trug und den blinkenden Weinkrug. Der Hintergrund der Stube nahm aber ein auf morgenländische Weise geordnetes Lager von bequemen Seidenpolstern [53] ein, überlegt mit einem köstlichen gewirkten Stück. Auf diesem Lager ruhte nun die Enkelin des Hausherrn, Esther, die an Schönheit ihres Gleichen nicht hatte am ganzen Rhein- und Mainstrom; angethan mit prächtigen Gewändern nach der Sitte des Vaterlands geschnitten, glänzende Gehänge in den Ohren, und viele kostbare Ringe an den Fingern. Sie hielt eine Schnur von farbigen Glaskugeln in den Händen, und ließ sie gedankenlos auf- und niedergleiten, – ein erlaubtes Spielwerk. Aber aufmerksam lieh sie ihr Ohr dem Großvater, der zu ihren Füßen saß, in eine schön gefütterte Pelzschaube gehüllt, das silberweiße Haar mit einem Sammetkäpplein bedeckt. Wer ihn betrachtet hätte, den alten Mann, wie er so da saß, gebückt von den Jahren, die Ellenbogen auf die Kniee gestützt, und die Hände lebhaft bewegend wie die redende Lippe, und den schneeigen, bis über den Gürtel fallenden Bart, hätte ihn für die Zeit selbst halten sollen, die der Frau Venus Mährlein erzählt von vergangenen Tagen. Und in der That war es auch die Zeit, die auf den Lippen des Alten saß, und die Vergangenheit gab er wieder in eifrigen Worten. Das Geschick hatte ihn bereits durch einen Kreis von hundert Lebensjahren geführt, und hundert bittre Jahre waren es, von denen er Kunde geben konnte. Nun ist die Zeit des Leidens die unerschöpflichste; denn während ein frohes Jahr vorüberschäumt wie der brausende Geist feurigen Weins, schleichen die trüben Tage gleich Jahrhunderten dahin, schauckelnd auf langsamer fauler Woge, und lassen dem Mitschwimmer Muse genug, in die [54] Tiefen zu schauen – in die Klüfte die sich aufreißen während seiner Bahn. Damit er sich all ihre Schrecknisse einpräge im sichern Gedächtniß. Diese ernsten Anschauungen mitzutheilen, ist ein Bedürfniß des Alters, das ohnehin nur allzuoft den kecken Gang kraftbewußter Jugend in den prüfenden Schritt der alternden Bedächtigkeit verkehren möchte. Der greise Jochäi öffnete also auch, sobald der Ruheabend eingebrochen, den Schatz seiner Rede und Erfahrung, und unterhielt den Sohn und die Enkelin von den Schicksalen und Begebenheiten ihres Volks. Heute hörte ihm jedoch nur die reizende Esther zu, da ihr Vater unbegreiflicher Weise von seiner Handelswanderung noch nicht zurückgekommen war. Es schien überhaupt an diesem Abend ein besonderer Unstern die Ordnung des Hauses zu verrücken, denn auch der Diener und Mitgenosse desselben war ausgeblieben, und sein Platz hinter dem Ofen von der Sabbathmagd, der stummen Grete, eingenommen, die darin gähnend mit dem Schlafe kämpfte, und nur dann und wann aus dem Winkel hervorschlich, um die verdüsterten Lampen zu putzen.

»Die Möglichkeit, zu vergessen solche Greuel, wie ich sie erlebt,« sprach Jochai, mit gepreßter Stimme seine Erzählung endend, – »liegt außer der Gewalt des Menschen. Der fromme Rabbi Simeon, mein weiser Lehrer, dem das Paradies sey, sprach zu mir auf seinem Sterbelager, wo er noch in Frieden dahin fuhr: Junger Bube; wir leben noch anjetzo in goldener Gefangenschaft. Wir haben einen Herrn, einen harten Herrn, aber er ist gerecht, und gönnt [55] uns den Schatten seiner Gesetzpalmen. Aber, es wird kommen eine Zeit – wohl mir, daß ich sie nicht mehr sehe, – eine Zeit der höchsten Trübsal und Prüfung. Wehe wird gerufen werden über Israel! Machet aber nicht, daß die Gerechten im Paradiese über euch Wehe schreien. Haltet fest an den Büchern eurer Väter, an dem Gesetz, das unmittelbar gekommen ist, von dem, den ich nicht ausspreche, und habt ihr gekostet die bittre Frucht der Zeit, so mischet den Wehrmuth ihres Gedächtnisses dann und wann in die Speise eurer Kinder und Enkel, daß sie nicht ablassen zu flehen zu dem Allmächtigen, dessen Herrlichkeit unmittelbar unsre Scheitel berührt, damit er endlich seine Verheißung erfülle, und uns den Messias sende, den Ersehnten! – Ach, sie ist erfüllt worden, des frommen Rabbi's Prophezeiung, ... wir haben sie gekostet, die bittre Frucht der Zeiten, die da sind, aber noch immer zögern die Jahre, die da kommen sollen im Gefolge des Messiah!«

»O, sage doch, lieber Großvater,« fragte Esther neugierig: »werden sie denn wirklich so schön seyn, die Tage, über die der Verheißne als König gebietet?«

»Herrlich, meine Tochter!« erwiederte der Greis mit leuchtenden Augen: »herrlich, über alle Beschreibung. Wir werden wieder seyn wie Sand am Meere, herrschend über alle Völker der Erde. Das Leben wird verfließen in unvergänglichen Laub- und Friedenshütten! Das neuerbaute Jerusalem wird seyn die Stadt der Welt, und in seinem Tempel werden alle die vom Weibe geboren sind, dienen und opfern. [56] An Üppigkeit werden die Saaten ins Unendliche gedeihen, das Korn zu riesenhohen Garben erwachsen, die Weinstöcke ungeheure Trauben erzeugen, die Flüsse Milch und Honig fluthen. Selbst die Gestirne werden sich des herrlichen Zeitalters freuen, der Sonne dreihundertfältiger Strahl den Himmel in Paradiesesglut tauchen, des Mondes Schein die Nacht zum schönsten Maientag verklären!«

»Welch' reizende Zukunft!« rief Ester hingerissen: »Warum ist sie nicht schon zur Gegenwart geworden!«

»Noch zürnt der Gebenedeite!« versetzte Jochai mit zerknirschter Beugung des Hauptes: »noch hört er nicht die Stimmen seiner Kinder, die zu ihm schreien aus der Tiefe. Noch hält der Vater des Bösen, der Fürst der Wildniß, der grausame Sammael das Ohr des Herrn verstopft, weil er nicht will, daß unsere Gebeine ruhen im Schoße des gelobten Landes. Aber endlich wird der Schrei unsrer Noth dennoch zu dem lieblichen Gabriel dringen, dem Boten der Barmherzigkeit, und jede neue Morgenröthe kann uns den Verheißnen senden, – mit ihm unsre Rettung.«

»Käme sie doch morgen schon!« seufzte Esther: »Ich verliere alle Lust zum Leben, und mir ist gar oft der sündhafte Gedanke gekommen, als wäre doch am Ende besser eine Christin zu seyn auf Erden, als ...«

»Rede nicht aus!« fuhr Jochai auf: »Der Herr nehme den Greuel von Dir, den Du gedacht! Warum[57] hegst Du so thöricht Verlangen, das Dich in das Feuer der Gehinnam bringen könnte?«

»Verzeihe mir, Großvater!« sprach die liebliche Esther, und kreuzte die Hände bereuend auf der Brust: »aber gestehe, daß wir dahin leben, wie die trauernde Weide am sumpfigen Teiche. Ihr Männer geht aus in die Welt, seht Länder und Menschen, und gewinnt mühsam dem geizigen Gojims Euer Leben ab. Diese Art zu seyn hat manche Freiheit, manche Lust. Wir aber, wir vertrauern unsre Tage daheim. Versorgt auch Eure Güte uns mit den Leckerbissen, die uns behagen, mit der Bequemlichkeit die unsre Lust ist, mit dem köstlichen Putz, der uns so sehr gefällt, ... was hilft uns dieses Alles? Von der harten Fessel eingeklemmt, müssen wir all die Herrlichkeit genießen, verstohlen, wie ein Dieb seinen Raub. Vor der gaffenden Welt erscheinen wir nicht, oder im unscheinbaren Gewande, in erlogner Dürftigkeit. Die gesellige Freude ist ausgeschlossen aus unserm Hause. Hinter Schloß und Riegel gefällt uns nicht der Prunk, nicht die leckere Tafel, nicht das weiche Lager, von dem wir uns kaum erheben.«

»Verblendete!« eiferte Jochai: »In Fesseln liegst Du, aber in denen der verdammlichen Eitelkeit, die über dem Spiegel das Gesetz vergißt. Gefallsüchtige! Nicht auf den unzüchtigen Tänzen der Ungläubigen, nicht bei ihren heidnischen Feierlichkeiten und unsittlichen Schmausereien sollst Du glänzen. Gefalle Deinem Vater, gefalle Deinem Manne! Die übrige Welt kenne Dich nicht.«

[58] Purpurfarbe überzog Esthers Gesicht. Verlegen lächelte sie, schlug dann die großen schwarzen Augen, um Versöhnung flehend, zu dem Alten auf, und reichte ihm die Hand. – »Dir und dem Vater will ich ja auch nur gefallen,« sprach sie bittend: »und einst dem Manne, den mir Ben David erwählen wird. – Wo bleibt aber der Vater? Die Sanduhr zeigt bereits die siebente Stunde. Es wird ihm doch kein Leid zugestoßen seyn?«

»Den wahre der Fürst Israel!« erwiederte Jochai mit glaubigem Vertrauen. – »Gewiß ist mein Sohn zurückgehalten worden von den Freunden, oder es hat ihn der Sabbath auf freiem Felde überrascht, und ein wahrer Gesetzfreund heiligt ihn durch Ruhe und ein friedlich Mahl, wo es auch sey.«

In dem Augenblicke pochte es gelinde an die Hausthüre. Der Schall verbreitete sich schnell durch den leeren Vorderbau in das festliche Gemach. Großvater und Enkelin fuhren etwas zusammen. Die alte Christenmagd zündete die Traglampe an, und langte nach dem Schlüssel an der Wand. – »Bedächtig!« flüsterte ihr Jochai zu: »Ich gehe mit, um vom Fenster herab zu ersehen, wer der Klopfende ist. Komme, alte Magd! Vorsicht ist von Nöthen.« –

Die Alte leuchtete dem Hausherrn vor, und Esther blieb allein zurück, sinnend den Kopf in die Hand gestützt. »Hm!« seufzte sie nach einer Weile: »der Großvater hat gut reden. Das Eis seiner hundert Jahre hat eine Rinde um ihn gelegt, daß er das Sehnen und Wünschen der Jugend nicht begreift. Und dennoch, trotz seinen Ermahnungen und Bußreden [59] wird er mich nicht überzeugen. – Ich bin recht unglücklich!« fuhr sie nach einer kleinen Stille fort: »unglücklicher als ich mir's vielleicht selbst träumen lasse, ... und, ach! – nur Eines fehlt zu meinem Glücke; aber auch das unerringbar Einzige!«

Schwermüthig ließ sie das Haupt sinken. Da trat Jochai herein, hinter ihm sein Sohn Ben David, ein Knäbchen an der Hand führend. Freudig eilte die Tochter an des Vaters Hals, und erkundigte sich angelegen ob seines langen Wegbleibens.

»Ich brach spät auf von der Nachtherberge,« sprach Ben David: »der kurze Wintertag hat mich verlassen, da ich noch über eine Stunde von hier entfernt war. Mein Begleiter da konnte auch nur schlecht voran mit seinen Beinchen, und so trug ich ihn denn die letzte halbe Stunde auf dem Rücken hieher. Die Einlaßpforte Hab ich mir geöffnet, mit einem dicken Groschen und da bin ich. Gut Schabbes!«

Esther erwiederte freundlich den Gruß, und musterte neugierig den Knaben, der vor Müdigkeit beinahe in die Kniee sank, und von Ben David auf den Sitz am Ofen gebracht wurde. Der alte Jochai jedoch sah mit finsterer Miene auf das Treiben seines Sohns, und sprach: »Ich kann nicht segnen Deinen Eingang, denn Du hast den Sabbath entheiligt durch Deine Reise während seines Beginnens, durch die Last die Du auf Dich nahmst, indem Du diesen Buben auf die Schultern nahmst, und durch den Einlaßpfennig, den Du berührtest zu verbotner Zeit.«

[60] »Frommer Vater!« versetzte Ben David: »so ich gesündigt habe und das Gesetz beleidigt, indem ich den kleinen Menschen der hinzusinken und zu erfrieren dachte, in Sicherheit gebracht, so will ich, wenn Du befiehlst, gern auf meinen Platz verzichten am Tische, am Boden liegen und Fasten, bis Du sagst: genug! nur befiehl, daß der Knabe gesättigt werde, und eines warmen Lagers sich freue.«

»Was soll er hier?« fragte Jochai streng wie zuvor: »Er ist ein Christenknabe, dessen Leib das Kleid des Unreinen ist, der abstammt von dem Adam Belial, und nicht Platz soll nehmen im Hause der Gerechten, sondern gehört in die Höhle des Esau.«

»Vater!« erwiederte Ben David unterwürfig: »Dein Wort sey gelobt, doch der Unmündige ist noch Gottes allein, der das Kind regieret in seinen Gedanken und Werken. Erlaube, daß dieser, der noch nicht ist, weder ein Sohn des Gesetzes, noch ein Sohn Baals, hier bleibe bis ich ihn übermorgen zu seiner Mutter führe.«

»Esther vereinigte ihre Bitten mit denen ihres Vaters, und der rauhe Alte erlaubte endlich, daß der Knabe bleibe, unter der einzigen Bedingung jedoch, – daß die Christenmagd ihn sättige, und in ihrer Kammer zur Ruhe bringe. Grete nahm demzufolge den bereits Entschlummerten auf die Arme, und trug ihn hinaus. – Nach einer langen Ermahnung, in Zukunft den Sabbath würdiger zu feiern, bot Jochai seinem Sohn den Kuß des Friedens, und den Platz am Tische, und das Mahl begann, nachdem der Greis gleich einem Patriarchen, Brod, Wein, Salz [61] und Fisch gesegnet, und Ben David sein Haupt bedeckt hatte. Als sie zu Tische saßen, fragten Vater und Tochter neugierig nach Ben Davids Geschäften, und besonders nach dem Abenteuer, das ihn mit dem Kinde zusammengebracht. Der Fünfzigjährige legte dem Alten, mit aller Ehrfurcht eines halberwachsenen Sohnes, von seinem Handel und Wandel genaue Rechenschaft ab; beobachtete jedoch nicht dieselbe Genauigkeit, als er auf den Kleinen zu sprechen kam. Er behauptete nämlich, das Kind einige Stunden von Frankfurt, verirrt und umherlaufend gefunden, und von ihm herausgebracht zu haben, daß es nach der Stadt gehöre. Aus Mitleid habe er es mitgenommen, um seinen Vater oder seine Mutter auszukundschaften, und hoffe, sich dadurch etwas Ansehnliches zu verdienen, da das Kind aus gutem Hause zu seyn scheine.«

»Was der Alte vorhin dem Mitleid ungern einräumen zu wollen bedacht war, ließ er jetzt der Berechnung eines Vortheils hingehen, und belobte des Sohns Umsicht und Gewandtheit. Zugleich aber beklagte er sich über Esthers Unzufriedenheit mit ihrer Lage, und forderte den Vater auf, mit Strenge dergleichen unziemliche Gedanken in ihr zu ersticken.«

»Zürne nicht, Vater!« antwortete Ben David hierauf: »Schilt nicht die übermüthige Lust, mit welcher die Jugend nach den lockenden Früchten der Welt blickt, die nun einmal durch des hochgelobten Gottes unerforschlichen Rathschluß den Gojim bestimmt sind, statt seinem Volke. Dein Bart ist weiß geworden im Kerker und Du sehnst Dich hinaus. Mein Haupthaar [62] ist ergraut unter dem Joch, und ich dürste nach Freiheit. Warum soll das kräftige Geschlecht das nach uns kommt, nicht sich hinaus wünschen aus dem Haus der Gefangenschaft unter die Oelbäume des freien Lebens?«

Jochai schüttelte zweifelnd das Haupt, und strich unmuthig den langen Bart. Ben David fuhr aber zu Esther gewendet, fort: »Beruhige Dich, mein Kind. Vielleicht fügt es sich, daß ich Dich im nächsten Frühjahr mit hinausnehme in den Garten der Welt. Ich gedenke, zu fahren gen Costnitz, woselbst viele der großen Herren mein bedürfen werden, und wo wir auftreten können in Glanz und Pracht, wie es uns hier die Klugheit verbietet.«

»Ei, was sprichst Du?« fragte Jochai ängstlich den Sohn. »So ich nicht schon begraben liege an dem Ort der Lebendigen 1, wirst Du nicht das Mädchen von meiner Seite nehmen. Wer soll mich hüten, wer mich pflegen, bist Du fern?«

»Gib Dich zufrieden, Vater!« antwortete Ben David: »der gute Knecht Zodick wird an Dir thun, wie an seinem Vater.«

»Zodick?« fragte Jochai zweifelhaft: »Zodick, der das Gesetz der Väter so wenig beachtet, daß er noch jetzt sich im Hause nicht sehen ließ?«

»Ich dachte, er sey schon in seine Kammer gegangen!« erwiederte Ben David, und wollte noch einige Bemerkungen über Zodick's früheres Benehmen hinzusetzen, als ein fürchterlicher Tumult vor dem [63] Hause laut wurde, auf dessen Pforte Schlag auf Schlag fiel. Erschrocken fuhr die Familie in die Höhe, und Grete stürzte herein, durch ihre heftigen Geberden etwas Ausserordentliches verkündend, das sich auf der Straße zugetragen. Entsetzen ergriff den Alten und die schöne Esther, denn ein Volksauflauf, mit einer neuen daraus entspringenden Judenschaft, stand wie ein ungeheures Gespenst vor ihren Gedanken; aber Ben David beruhigte sie mit wenig Worten, ermahnte sie, die Thüre des Hintergebäudes fest zu verriegeln und die Kostbarkeiten bei Seite zu bringen, und folgte, wenn auch nicht ohne Herzklopfen, der lebhaft voranschreitenden Grete die Treppe hinab, durch den Hausgang an die Pforte, die von wiederholtem Pochen ertönte, und vor welcher das Gesumme einer ansehnlichen Menschenmenge sich vernehmen ließ. – »Wer pocht so ungestüm?« fragte Ben David durch das Schlüsselloch, und zurück schrie eine klagende Stimme die Antwort: »Herr! öffne! Dein Knecht Zodick ist's! öffne! bei Deines Vaters Haupt beschwöre ich Dich: laß mich nicht zu Schanden werden vor den Edomitern hier auf der Schwelle Deines Hauses!« – Und Gemurre und einzelnes Spottgelächter rings umher. – Ben David, die Verzweiflung des hülferufenden Hausgenossen nicht verkennend, befahl seinen Leib dem Gott seines Bundes, und gebot der Magd, zu öffnen. – Das Schloß ging auf sammt den Riegeln, und kaum klaffte die Thüre, als ein Haufe gemeinen Pöbels sich hereindrängte in's Haus: neugierige und höhnisch gezogene Gesichter, von wenigen Laternen und Kienspänen [64] schwach beleuchtet; in deren Mitte der Diener des Hauses, Zodick, Gesicht, Hemde und Gewand von Blut befleckt, das reichlich herabströmte aus einer breiten Stirnwunde.

Ben David fuhr bei diesem Anblick erschrocken zurück, hob beide Hände gen Himmel, und rief in heiligem Eifer: »Zodick! unseliger Knecht! Hat Dich der Fürst der höllischen Nacht berückt, daß Du also trunken und blutend von einem Falle eintrittst in die Hütten Israels, und verbrecherisch schändest die liebliche Königin Schabbath, die allhier ihren Sitz genommen?«

Zodick winkte verneinend mit der Hand, sank jedoch, unfähig zu reden, auf die Schwelle der Unterstube. Ben David sah fragend umher in dem Kreis der Nachbarn, die zum Theil in schmutzigen Nachtgewändern, erst dem Lager entflohen, als gaffende und schadenfrohe Zeugen den Verwundeten umstanden. – »Was hat's gegeben, liebe Freunde?« fragte er mehrmals vergebens, bis endlich ein ältlicher Mann von rechtlichem Aussehen sich hindurch drängte, und also sprach: »Ich will Dir Auskunft geben, Jude! Ich bin der Schmid Albrecht dort an der Ecke dieser Gasse, und kam vor Kurzem aus unsrer Herberge. Wie ich nun kaum zwanzig Schritte von meinem Hause bin, so stolpre ich über den Rothkopf da, der halb besinnungslos in der Gasse liegt, wie ein Trunkner. Da ich ihn beleuchte mit dem Lichtstümplein, das ich in Händen trug, erkenne ich ihn wohl, und auch er macht die Augen auf, fährt zusammen, und ruft: ›Laßt mich los! ich bin unschuldig!‹ [65] Es war leicht zu sehen, daß der Bube in augenscheinlicher Verwirrung befangen war, und nicht im Rausche. Ich begütigte ihn daher, und nun hat er, da er mich erkannt, erzählt, daß ihn auf dem Fischerfelde, von wannen er nach Hause gehen wollen, mehrere Gesellen mit roth und schwarz gefärbten Gesichtern überfallen, geplündert und mit einem Streithammer verletzt haben; daß jedoch zum Glück der Streich schier fehlgegangen und nur gestreift habe, und er dem Tode entgangen sey, indem er sich zur Erde fallen lassen, gleich als habe er die letzte Ölung. Da er zu Dir verlangte, hab ich ihm erlaubt, sich an meinem Arm zu führen, und auf sein klägliches Geschrei sind die Nachbarn herbeigelaufen.«

Nach dieser Erzählung lief ein Gemurmel durch den Haufen, bedauernd, daß der Jude nicht umgekommen war unter den Streichen seiner Verfolger; und sich auflösend in ein rohes Gelächter, das sich den an der Stubenthüre lehnenden, keines Worts mächtigen Menschen als Zielscheibe setzte. Ben David, ungeduldig, dem störenden Auftritt ein Ende zu machen, dankte höflichst dem wohlbeleibten Schmid für seinen Beistand, und öffnete die Stube, um den Diener hineinzubringen. Die Menge quoll aber auch in das Gemach hinein, und musterte mit Luchsaugen die elenden Geräthschaften, die darin an den Wänden umher standen. Mehrere junge Bursche hatten nicht wenig Lust mit ihren flackernden Lichtspänen über Gang und Treppe in das Oberhaus zu dringen. Aber Gretens abweisende Geberden, und noch mehr [66] die Einflüsterung älterer Leute, die ihren Uebermuth vor den in jedem Judenhause verborgenen Fallthüren und mit Vorbedacht offen gelassenen Kellergruben warnten, hielten die Verwegenen von ihrem Vorsatz ab. Zugleich drängten sich auch einige benachbarte Juden herein, schwatzend, neugierig wie die übrigen, und zudringlich mehr, als hülfreich in ihren angebotnen Dienstleistungen. Vergebens bat Ben David diese Letztern den Mißhandelten ihm ganz allein zu überlassen, – sie wichen nicht; vergebens flehte er die anwesenden Christen an, endlich doch mit seinem besten Danke das Haus zu räumen. Sie gingen nicht, und forderten endlich ziemlich trotzig ihren Lohn, daß sie den Judenknecht nach Hause geleitet hatten. Ben David, solcher unziemlichen Forderungen nicht ungewohnt, bezeugte sich nun, die Ungestümen auf den Sonntag zu vertrösten, da ihm das Gesetz verbiete, am Sabbath Geld anzurühren, allein damit machte er das Uebel nur ärger. »Seht den Juden an!« rief Einer aus der Schaar: »Gälte es, unsre Taschen zu leeren, würde er sich wenig um das Gesetz kümmern.« – »Am Sonntag haben wir Schabbes!« rief ein Andrer: »also muß er heute zahlen, der Hundsjude.« –

Umsonst suchte Ben David die Ungerechtigkeit zu beschwichtigen; der Pöbel wurde schwürig; die Habsüchtigsten erwischten von den in der Kammer umherliegenden Trödelwaaren was ihnen am Dienlichsten schien, und machten sich damit davon. Die Händellustigen aber brachen aus in Schimpfworte, und mehrere geballte Fäuste schlugen durch ihre drohende Bewegung [67] die Nachbarjuden in die Flucht, die ihre Glaubensgenossen feig im Stich ließen, und die Luft nur von ihrem mörderischen Hülfsruf erschütterten.

Eine gute Folge schien jedoch ihr Zetergeschrei herbeizuführen, denn der Oberstrichter der Reichsstadt, der gerade zufällig die Straßen durchritt, um die Nachtschwärmer und Trinkbrüder zu Paaren zu treiben, hörte das Getöse, und erschien in schnellem Trab auf dem Schauplatz, wo Ben David gerade in Gefahr stand, körperliche Mißhandlungen zu erfahren. Die Rathsknechte, die des Oberstrichters Roß umgaben, wiesen mit ihren Hackenstangen die Angreifer bald zur Ruhe, und der Friedensstifter erfuhr in wenig Augenblicken, von was hier eigentlich die Rede sey. Gleichgültig zuckte er die Achseln und sprach mit verächtlichem Tone zu Ben David: »Was hat Dein Knecht noch in später Dämmrung auf dem Fischerfelde zu schaffen? Kein Wunder ist's, daß er in die Hände der Blutzapfer fiel, die jetzo wiederum innerhalb und ausser der Stadt ihr Wesen treiben sollen, wie mir der Küfermeister, Andreas von Liebfrauenberg, vor einer Stunde geklagt hat, der auch von den Mordbuben nächst dem Hirschgraben angefallen worden ist, sich aber durch seine Faust befreit, und einige von den Hunden übel zugerichtet hat. Das vermag freilich ein Hebräer nicht.«

Ein wieherndes Gelächter der umstehenden Knechte und Bürger lohnte das Witzwort des Gewaltigen, der, Stille gebietend, also fortfuhr:

»Ich befehle Dir daher, Jude, daß Du Deinen Knecht ehrlich zu Hause haltest. Für die heut verursachte [68] Störung hergebrachter Ordnung, – denn die lange Glocke ist schon lange geläutet worden – büße ich Dich um fünf Goldgulden, die Du unerläßlich nächsten Montag auf dem Rententhurm zu erlegen gehalten bist. Auch hast Du von Rechts wegen diesen wackern Bürgern zu zinsen, jedem einen dicken Groschen, daß sie Dir den Knecht nach Hause geführt; denn die Menschenliebe, die sich um einen Juden kümmert, muß belohnt werden. Sie mögen am Sonntagsmorgen das Geld bei Dir in Empfang nehmen.«

Geschmeidig bückte sich Ben David und küßte den Mantelzipfel des Oberstrichters. »Erlaubt, o Herr!« sprach er demüthig: »die meisten dieser Leute haben sich schon gepfändet an meinem Eigenthume, und sind mit Zeug und Linnen davon gegangen.«

»Kannst Du die Leute nennen?« fragte der Oberstrichter streng, und fuhr, ohne eine Antwort abzuwarten, fort: »Nein; Du kannst es nicht. Und wärst Du's auch im Stande, auf Deiner Seite wäre immer die größte Schuld. Warum gibst Du nicht gutwillig, und warum hälst Du Dein Auge nicht auf Deine Lumpen? Schließe jetzt Dein Haus, und verhalte Dich still. Die leiseste Widerrede kostet Dich zehn Gulden. Geht nach Haus, brave Bürger! Gut Nacht, liebe Freunde!«

Die rasche Schwenkung seines Gauls hatte beinahe den armen Ben David in den Koth geworfen; dennoch versäumte er den letzten Bückling nicht, und ließ mit niedergeschlagenen Augen die spöttelnden Nachbarn an sich vorübergehen. Darauf befahl er [69] der Magd ganz leise die Thüre zu verschließen, und den halb ohnmächtigen Zodick nach seiner Kammer zu bringen. Er selbst verlor kein Wort mehr an den Menschen, der ihm so viel Verdruß gemacht hatte, und kehrte mit schwerer Brust und manchem unmuthigen Seufzer in das Hintergebäude zurück, wo Jochai und Esther ängstlich auf jedes Geräusch lauschten, und um den Feiertag nicht zu schänden, alles in der gewohnten Ordnung hatten liegen und stehen lassen. Freudig bewillkommten sie den Ruhebringenden, der sich andächtig neigte vor dem Tische und den schwebenden Lichtern, und sprach: »Esau's Sturm hat sich gelegt. Gebenedeit seyst Du, hochgelobter Gott, dessen Jakob, Herrlichkeit unsre Scheitel berührt. Wie schön sind Deine Hütten und deine Wohnungen, Israel! Wie schön ist dein Palast, wohlduftende Königin Schabbath, du Freude und Trost aller Gläubigen.«

Und sein Mund jubelte, während seine Augen von Thränen, wie sie tiefempfundene Knechtschaft erpreßt, überfloßen; seine Lippen sprachen Versöhnungsgebete und frohe Psalmen, während sein Herz anschwoll von unterdrückten Bannformeln gegen die Ungläubigen. Der greise Jochai murmelte neben ihm Fluchgebete in den Bart, herausgestoßen mit allem Feuer orientalischer Wortfülle. Esther wandte sich aber voll Grauen von seinem Gebete, und sagte nur Amen zu dem ihres Vaters.

Am nächsten Morgen, an dem noch der Großvater ruhte, und Ben David, angethan mit der Zizis und den Tephillim seinen Frühsegen sprach und [70] die Psalmen, die die Sabbathfeier vorschreibt, da, wo keine Schule die Söhne des alten Bundes zum feierlichen Dienste des Höchsten versammelt, schlich sich seine blühende Tochter nach der Kammer, wo die Magd Grete ihre Zeit zubrachte, während der Festtage. Auf dem dürftigen Lager der Alten, die abwesend war, beschäftigt um den kranken Zodick, schlief noch der Knabe, den Ben David in's Haus gebracht hatte. Auf den Zehen näherte sich Esther dem Schlummernden, beugte sich über ihn, und betrachtete mit Wohlgefallen die Züge seines unschuldigen Gesichts. – Ich habe mich doch nicht geirrt, flüsterte sie in sich hinein, da ich schon gestern einige Mahnung finden wollte in diesem Antlitz, an ein andres das mir nur allzutheuer ist. Beschaue ich diese braunen krausen Locken, die hochgezogenen Augenbraune, die länglichte Nase und den lächelnden Mund, so bin ich in Versuchung, zu glauben, sein Bild liege vor mir, und ich müßte es ans Herz drücken, da ich ihn nimmer, ach nimmer umfangen werde!

Sie setzte sich vertraulich zu dem kleinen Träumer, spielte leicht mit seinem schönen Haar, und verlor sich in dem Andenken einer Vergangenheit, die sich ihr reizend bald, und bald betrübend, nur allzuoft aufdrang in ihrer stillen Einsamkeit. – Bin ich nicht eine Thörin? fragte sie sich am Ende selbst, aufschreckend aus ihrem Hinbrüten: Mache ich mich nicht etwa einer Sünde schuldig, da ich hier mit diesem Bilde eines edeln Christen die Augenblicke vertändle? Jochai könnte es wohl gar Abgötterei nennen, wie er so gerne zu thun pflegt, wenn ich mit [71] Liebe an etwas hänge! – Sie stand auf. – Guter Knabe! fuhr sie nach einer Weile fort, gleichsam wider Willen nach ihm zurücksehend: Weder Dich, noch den dem Du zufällig gleichst, darf ich mein nennen. Wohl Dir, wohlihm, daß er so ist, und wehe mir. Ihr seyd nicht geschaffen, um im Elend eure Tage zu vertrauern. Euch winkt Ehre und Freiheit. Wir kennen Beides nicht. Du wirst zurückgehen zu Deinen trostlosen Eltern, und mein Vater wird Dich segnen, wenn sie reich sind und nicht karg den Dienst belohnen. Ich aber, Du holder Junge, segne Dich, weil Dein Anblick mir die Wonne in die Wirklichkeit zauberte, die ich nur in der Erinnerung zu genießen, angewiesen bin! –

Esther wollte scheiden, aber schon an der Thüre angelangt, zog es sie allgewaltig zurück zu dem Knaben. – Ich will gehen? fragte sie sich: Gehen, ohne den Wunsch, an seinem Anblick mich zu weiden, ganz erfüllt zu haben? genügt mir es denn, diese vom Schlummer erstarrten Züge in Gedanken mit ihm zu vergleichen? Lebend will ich ihn, offen seine Augen sehen, und in die dürstende Brust das lang hinweggenommene Labsal schlürfen!

Rasch fuhr sie mit warmer Hand über die Stirne des Kindes, das ruhig, wie ein lächelnder Engel die Augen aufschlug, und in die glühenden Esthers schaute. »Gundel!« stammelte der Schlaftrunkne, die Ärmchen nach der Verkannten ausstreckend. Ben Davids Tochter bog sich aber zurück, und der Knabe ersah seinen Irrthum. Bekümmert verzog sich sein Mund, die Händchen fielen auf die [72] Decke zurück. »Du bist es nicht!« klagte er: »Liebe fremde Frau, wirst Du mich zur Mutter bringen und zu meinem Hänschen?«

»Ich möchte Dir Mutter seyn, holdes Kind!« erwiederte Esther freundlich: »wenn ich es nur seyn dürfte.«

»Warum darfst Du denn nicht?« fragte der Knabe zutraulich werdend: »Du bist so gut und lieb; Dich möchte ich schon Mutter nennen, viel lieber als die schwarze Mutter, die mich beständig schmälen wird, weil ich sie verloren habe.«

»Schmälen würde sie Dich?« sprach Esther, ihn an sich drückend, »wäre sie dann Mutter? Jubeln wird sie, und dem hochgelobten Gott danken, der Dich wieder in ihre Arme führt.«

Der Knabe starrte sie verwundert an. »Gundel hat mir einmal von dem lieben Gott erzählt!« sprach er hierauf. – »Nicht wahr, er ist überall?«

– »Ja, mein Kind.« –

»Er läßt seinen Kindlein nichts Böses geschehen?«

– »Nein, mein Knabe.« –

»So ist er nicht da, wo die schwarze Mutter ist. Sie hat mir oft wehe gethan, und Gott hat ihr's nicht verboten. Aber hier ist er, bei Dir, denn Du bist so gut und so schön, daß ich auch immer bei Dir bleiben möchte.«

– »Ja; der Ewige ist hier!« rief Esther: »Er spricht aus Deinem Lallen, er thut sich kund in meinem Herzen, das Dich sein Kleinod nennen würde wäre es ihm erlaubt.«

[73] »Verblendete!« sprach Jochai hinter ihr, der leise eingetreten war: »Danke Dem, den man nicht nennt bei seinem Namen, daß es Dir nicht erlaubt ist, diesen Christenauswurf in Deinen Armen zu hegen. Du sehnst Dich, hinabzusteigen zu den verworfenen Söhnen und unzüchtigen Töchtern Kains, wie die Fürsten des Himmels, Asa und Asael, Gelüsten trugen zu den Töchtern der Erde. Aber, so wie die fehlenden Engel hängen müssen zwischen Himmel und Erde, also wird auch Dich der Zorn des Herrn ereilen, wo Du nicht ablässest vom Irrthume.«

Esther legte die Hand des Großvaters auf ihr Haupt, kniete nieder und sprach: »Vater, ich danke täglich dem Ewigen, daß er mich eine Tochter Zions werden ließ. Verkenne mich nicht.« – Jochai sah sie streng an, schüttelte das Haupt und redete: »Weib, Zögling der Schlange! ob Du wahr sprichst, weiß nurEr allein. Aber Du schändest den Sabbath, daß Du hier am Bette des Christenbuben weilst, während ein Sohn des Gesetzes in unserem Hause leidet, auf den noch kein Strahl Deines Auges fiel.«

»Du meinst Zodick?« erwiederte Esther kalt, und stand auf: »Grete mag ihn pflegen und heilen. Das Gesetz verbietet mir, am heiligen Tage Wunden zu verbinden.«

»Zodick ist ein getreuer Bekenner des Glaubens und dieser wird ihn heilen, ohne Dein Zuthun;« versetzte Jochai, und führte Esther hinweg in die geschmückte Stube, obgleich sie sich nur ungern von dem weinenden Knaben trennte.

[74] »Was hast Du gegen den getreuen Zodick?« fragte Jochai, da Beide sich wieder in der Sabbathsruhe sich befanden: »Sprich, rede offen.«

»Mich ärgert der Mensch, so oft ich ihn erblicke;« antwortete Esther offenherzig: »Seine ungeschlachte Gestalt, sein rothes Haar und sein schielender Blick sind mir zuwider.«

»Liebe Deinen Bruder, spricht die Pflicht;« versetzte Jochai: »Gewöhne Dich, auch den Häßlichen zu lieben, wenn er Dein Mann werden soll; spricht die Klugheit.«

Esther erbleichte, ... faßte sich indessen bald und fragte verlegen lächelnd: »Nicht wahr, Du scherzest, Vater? – Zodick mein Gatte? ....«

»So wurde es ausgemacht, zwischen Deinem Vater und dem seinigen,« erwiederte Jochai. »Als ihr noch Kinder wart, habt ihr Euch schon die Hände gereicht, und: ›Missal Tobh!‹ gesagt, wie es unsre Rabbinen gesegneten Angedenkens verlangen. Zodicks Vater ist daheim gegangen, von wannen man nicht wiederkehrt, und auf seinem Gedächtniß sey Friede. Aber der Bund muß gehalten werden, so lange Zodick ein Mann nach dem Herzen Gottes bleibt. Er dient schon mehr denn sechs Jahre um Dich, und am Ende des siebenten wird er Dich heimführen nach Worms, wo noch unsre Brüder athmen dürfen, in ihren Ketten.«

Esther las aus den Augen des Alten, daß der Sache kein Schwank zum Grunde liege, und die Angst fiel ihr schwer auf das Herz, um so mehr, da Jochai also fortfuhr: »In der letzten Zeit hab ich [75] dann und wann Zweifel gehegt gegen Zodicks Frömmigkeit: immer hat er aber meine Zweifel widerlegt, und erst gestern hat sein trauriges Aussehen bestätigt, daß er gezwungen nur das Gesetz verletzt. Darum wollte ich Dich vorbereiten, und Dich bitten, nicht schnöde gegen ihn zu seyn.«

»Ich kann immer noch nicht glauben, daß Du nicht scherzest, Vater!« antwortete Esther: »Ist es jedoch Ernst, was Du mir verkündest, so glaube gewiß, daß Du und der Vater mich vielleicht zwingen können, den Widerwärtigen zu ehelichen, daß ich ihn aber niemals lieben werde.«

»Ein fleißiger Mann verkehrt Kupfer in Gold, die Abneigung des Weibes in Liebe,« meinte Jochai. »Du wirst ihn näher kennen lernen, und das Andere findet sich.«

Ben David trat in die Stube. »Ich komme von Zodick,« sprach er heiter: »die Wunde heilt, obschon der Kranke, wie das Gebot es will, die abgefallnen Pflaster nicht mehr auflegen ließ. Gott gab seinen Segen.«

»Das Vertrauen auf ihn wirkt Wunder!« bekräftigte Ben Jochai.

»Auch ich höre Wunderdinge!« fiel Esther ihm rasch in's Wort: »Bestätige sie mir, Vater. Ich soll den Knecht ehelichen, daß er mein Herr werde?«

Mißbilligend sah Ben David auf den Vater. »Man hat Dir,« sprach er, »zu früh von Dingen gesprochen, die ...«

»Die mich elend machen;« rief Esther heftig, mit Thränen in den Augen: »elend, Vater; die Du [76] nicht verantworten kannst ... wenn einst der Todesengel vor Dir steht und der Blitz seiner tausend Augen Deine Thaten prüft.«

»Zodick denkt edel und großmüthig,« sprach Jochai: »Ich habe ihm vorgeschlagen, seine unbekannten Gegner, die ihn zu morden dachten, aus ihrem Dunkel zu ziehen durch die Befragung des Fürsten des Öls, oder der Hand. Er schlägt aber alles aus, will seine Feinde nicht kennen, verzeiht ihnen ...«

»Und denkt noch nicht des Tags, der Dich mit ihm verbinden soll;« unterbrach ihn Ben David, zu Esther gewendet. – »Schweige darum, und laß uns den Schabbat genießen in Frohsinn, Lust und freundlicher Einsamkeit.« –

Und dem geschah also. Jochai und die Seinen verbrachten den Tag in Ruhe und Festlichkeit. Der arme kleine Hans verlebte ihn auf den Knieen der stummen Grete. – Da aber die Abendmahlzeit vorüber war, der Hausvater Wein, Gewürz und Brod sammt seinen An gehörigen gesegnet, und durch das Anzünden der Habdalahkerze, wie durch das Kaddischgebet den Sabbath geschieden hatte von der übrigen Woche, und alle sich zur Ruhe begeben wollten, hielt Ben David seine Tochter allein auf, und gebot ihr, am Morgen des nächsten Tags sich verstohlen einzuschleichen in das Haus des Altbürgers Diether Frosch, mit Vorsicht in das Gemach der edeln Frau Margarethe zu dringen, und ihr kund zu machen, Ben David habe gethan nach ihren Wünschen, und erwarte die Bestimmung der Zeit und des Orts, die ihr gelegen [77] seyn würden, seinen Bericht anzuhören. Mit diesem Auftrag und dem herkömmlichen väterlichen Kuß und Segen entließ Ben David seine Tochter.

Fußnoten

1 Begräbnißplatz.

4. Kapitel
Viertes Kapitel.

»Trägt der Bube mein Gesicht?«

»Lieber Vater, zweifle nicht.«

»Ist das meiner Augen Licht?«

»Vater, Vater, zweifle nicht.«

»Ist das meiner Nase Zier?«

»Vater, Vater, glaube mir!«

»Ist des Knaben Mund der meine?«

»Größre Ähnlichkeit gibt's keine.«

»Aber, Weib, der Nachbar spricht ...«

»Bösen Zungen traue nicht.«

Romanze von der verschlagenen Ehefrau.


»Du bist heute so saumselig und faul!« schalt die Ehewirthin des ehrsamen Altbürgers Diether Frosch ihre Gürtelmagd, die am Sonntagmorgen nicht mit dem Zöpfeflechten fertig werden wollte. – »Wenn ich heute die Kirche besuchen wollte, so könnte ich, nur immerhin im Schlafmantel dahin gehen. Träges mißleidiges Ding! Was Dir seit einigen Tagen im Kopfe steckt, begreife ich nicht.«

Else schwieg einige Augenblicke und seufzte. Dann aber sprach sie, da gerade wieder die Gebieterin ihre Ungeduld durch eine heftige Bewegung verrathen hatte:

»Ehrsame Frau! die Schuld, daß ich nichts [78] recht mache, mag wohl zunächst in Euch selbst liegen, denn Ihr seyd seit geraumer Zeit so reizbar und unwirsch, daß Euch immer beim geringsten Anlaß gleich der Zorn übermannt, und ich nur mit Zittern und Zagen Kamm und Schnürnadel zur Hand nehme, mein Amt bei Euch zu verrichten.«

Else schwieg, sich selber ob der Keckheit wundernd, mit der sie zu der raschen Gebiterin gesprochen, und die bösen Folgen fürchtend; aber zu ihrer größeren Verwunderung blieb die Letztere in Schweigen versunken. Die gefalteten Hände auf dem Schooß haltend, sah sie vor sich hin, wie von tiefem Nachdenken gefesselt, blickte dann schnell in die Höhe, strich sich die spiegelglatten Augenbraunen und sagte: »Dießmal hast Du nicht Unrecht gute Else. Ich finde das selbst. Dieser Zustand dauert schon einige Wochen.«

»Freilich, liebe gnädige Frau!« versetzte Else mit gutmüthiger Besorgniß ihr ins Gesicht schauend: »Ich fürchte, Ihr seyd krank, oder auf dem Wege es zu werden. Eure rosenrothen Wangen haben an Farbe verloren, und Euer Auge sieht oft aus, als schwämme es in Thränen, oder, als habe es viel geweint. Ich an Eurer Stelle würde den Judenarzt um Rath fragen.«

Frau Margarethe schüttelte langsam den Kopf. »Der alte Joseph ist ein geschickter Mann,« sprach sie, »aber seine Arzeneien heilen mein Übel nicht.«

»Warum denn nicht?« fragte die Magd: »Ist er nicht dafür bezahlt, Euch zu helfen? Ein Jude kann Alles. Wo seine Kräuter nicht ausreichen, da hext er die Krankheit weg.«

[79] »Einfältiges Geschwätz!« eiferte die Gebieterin »Ich werde doch wissen, ob ich krank bin oder nicht. Das Ganze wird meines Bedenkens nichts anders seyn, als die Folge der Unruhe, die meinen Schlaf stört, und mir böse Träume verursacht.«

»Die bösen Träume wie die guten kommen von Gott;« meinte Else mit einem frommen Seufzer. – »Darum hat er auch zugelassen, daß gewiße Menschen die Träume auszulegen vermögen, als läsen sie deren Bedeutung aus einem offenen Buche. Meiner Mutter Schwester konnte fürtrefflich damit umgehen, und bei ihren Lebzeiten hat man sie oft zu den vornehmsten Geschlechtern berufen, um Träume zu deuten. Ich habe ihr viel abgelernt, als ich bei ihr wohnte, aber freilich zu ihrer ganzen Kunst hab ich's nie gebracht.« –

»So?« fragte Margarethe neugierig werdend: »Da Du so geschickt bist, hätte ich beinahe Lust, Dir das Gesicht mitzutheilen, das ich erst verwichne Nacht hatte, und dessen Andenken noch jetzt mit einem seltsamen Schmerz meine Seele foltert, obgleich ich wieder Lust hätte darüber zu lachen.«

»Nur nicht lachen!« warnte die gläubige Else. »Ein Traum ist gar ein ernsthaft Ding. Aber nicht jedes böse Traumgesicht bedeutet darum eine böse Wirklichkeit. Oftmals verkehrt sich des Schlummers Leid in wachende Freude. Wer im Schlafe Särge sieht, macht gewöhnlich bald eine fröhliche Hochzeit, und wer hinwiederum geträumt, er werde in der Kirche mit der Braut eingesegnet, braucht gar häufig kurz nachher sein Todtenhemd.«

[80] »Nun!« versetzte die Frau etwas aufgeheitert: »In dem Gesichte, das ich Dir mittheilen werde, kömmt nichts von Särgen vor, und nichts von einer fröhlichen Trauung. Es wird daher wohl nichts Schlimmes auf sich haben. – Höre mir zu, gute Else. Sieh! ich schlummerte ein vor Mitternacht, und sah mich, nach manchen Traumbegebenheiten, auf die ich mich nicht mehr besinnen kann, in einen herrlichen, zu einem lustigen Bankett geschmückten Saal versetzt. Es war alles spiegelblank geputzt. Blumensträuße wehten über allen mit Gold- und Silberstück gedeckten Tafeln, und ich war, gleichsam als die Königin des Festes, auf einem Thronsitz erhöht, der ganz von Rosen eingefangen war.«

»Ach! das ist herrlich!« rief Else: »Rothe Rosen bedeuten Glück und Jugend.«

»Höre weiter!« fuhr Frau Margarethe fort: »Da ich nun also gefeiert da saß, von vielen köstiglich angelegten Herren und Frauen umgeben, die mir dienten, so fiel mein Blick auf einen Spiegel, der mir gegen über hing, ... von einer Größe, wie ich mich nicht entsinnen kann jemals gesehen zu haben. Von dem Anblick überrascht, lächelte ich freundlich meinem Spiegelbilde zu, und gewahre, indem ich die Lippen öffne, in der Reihe meiner Zähne einen weitblinkenden vom feinsten Golde gestalteten, wunderbar und zaubrisch mir entgegenleuchtend. Und wie ich nun, entzückt davon, aus den Händen eines Pagen einen Becher empfange, geschnitten aus purem Edelstein, und angefüllt mit hispanischem Weine, und ihn an den Mund setze, so berührt kaum der erste Tropfen [81] meine Zunge, als plötzlich mit einem schrillenden Klange, dem gleich, den ein zerschmettertes Kelchglas von sich gibt, der goldne Zahn gewaltsam losspringt von den Übrigen, und klingend zur Erde fällt. Ich bücke mich schnell nach dem Entwurzelten, aber zu meinen Füßen war der glatte Boden des Saals zu wüstem Schlamm geworden, der, wie ein Strudel gährend, das goldne Kleinod immer tiefer hinabschlürfte in den schwarzen Mund. Mein Jammer war nicht zu beschreiben, bis eine Hand aus dem neblichten Dufte um mich her, sich herausstreckte, mit einem blüthenweißen Zahne zwischen den Fingern, und ihn an die Stelle des Verlornen setzte. – Aber, Kind, Du bist bleich geworden, ... rede ... was hältst Du von diesem Traume?«

Frau Margarethe blickte ängstlich zagend in die Augen der Magd, die, eine bangende Zuhörerin, sich vor ihr niedergekauert hatte, und endlich, die Hände der Gebieterin an ihre Brust drückend, ausrief: »O, das ist ein bös Gesichte, liebe Frau! Ach, welch Unheil mag es Euch verkündet haben ...«

»Also doch?« fragte Margarethe, von einem leichten Frost geschüttelt: »Unbarmherzige, Du hörtest noch nicht Alles, und beinahe sollte ich Dir Schonungslosen das Ende verschweigen. Doch mußt Du jetzt Alles wissen, da ich Dir so viel verrathen. So wisse denn, daß, während mein Auge hoffnungslos dem goldnen Punkte folgte, der, immer tiefer sinkend, nur wie ein ferner Stern noch in dem gährenden Dunkel sichtbar war, sein neugepflanzter Stellvertreter in meinem Munde lebendig wurde, sich, in eine graue[82] Schlange verwandelt, auf meine Brust herabringelte, und mit heißem Schmerze sich da einbohrte, wo das Herz schlägt ...«

»O haltet ein, liebe Frau!« seufzte Else unter ängstlichem Zittern: »das ist des Entsetzlichen zu Viel! Eilt, durch Gebet und fromme Gaben des Himmels Zorn zu wenden, der Euch ein liebes Kleinod rauben will, aus dessen Verlust ein immer nagender Wurm entspringen und Euer Herz verzehren wird. Betet zu der heiligen Mutter, zu den Märtyrern, daß sie Euer Wort führen vor dem Throne, wo der Vater sitzt mit dem Sohne und dem Geiste. Stiftet Messen, gelobt Wallfahrten, damit das Unheil sich wende das Euch droht!«

»Aberwitziges Geschöpf!« schalt Frau Margarethe, bemüht durch den aufgeregten Zorn Herr ihrer Bangigkeit zu werden: »Schweig jetzt mit Deiner albernen Rede! Meynst Du ich glaube an Deine tolle Auslegung und widerliche Besorgniß. Lug und Trug ist die Traumdeuterei, und wofern ich höre, daß Du diese wahnsinnige Kunst noch ferner ausübst, um Leichtglaubige zu schrecken und zu ärgern, so lasse ich Dich durch den Stöcker aus der Stadt bringen!«

Else, die nicht recht begriff, wie so schnell das Vertrauen der Herrin sich in Ungnade verkehren konnte, packte, um sich nicht durch Widerrede um den Dienst zu bringen, alle ihre Geräthschaften zusammen, und ließ ohne eine Silbe zu reden, die Zürnende allein. Margarethe gieng heftig hin und her von Tisch zu Schrank, vom Spiegel zum Fenster. Sie riß die Flügel des letztern auf, und starrte in den naßkalten Wintertag hinaus; [83] aber die geputzten Leute, die, Rosenkranz und Kerzen in der Hand, zur Kirche wandelten, paßten wenig zu ihrer grollenden Stimmung; sie öffnete ihren Juwelenschrein, aber das Gefunkel der Steine ergötzte nicht ihren traurigen Sinn; sie wollte sich in ihr Schlafgemach einschließen, aber im Begriff einzutreten, gewahrte sie das Bild ihres Ehgemahls, das sie von der Wand herab ansah in ernstem Schweigen, und unmuthig warf sie die halboffne Thüre ins Schloß. Aber gerade da sie unruhig sich niederließ in den breiten Sorgensessel, und der Vernunft das Feld einräumen wollte, trat ein Gast in die Stube, der nicht zur ungelegenern, und wiederum nicht zur gelegenern Zeit hätte kommen können. Ein Laut der Überraschung entfuhr Margarethen, da sie die wohlbekannte Weibergestalt in der Tracht der Nassauer Bäuerinnen kerzengerade auf der Schwelle stehen sah.

»Willhild! Willhild!« rief sie halblaut, und wollte der Frau entgegeneilen, aber das Zittern ihrer Kniee verhinderte sie daran. »Was bringt Dich so schnell wieder hieher? Unglücksbotin!«

Die Bäuerin machte sorglich die Thüre hinter sich zu, nachdem sie im Vorzimmer nachgesehen hatte, ob niemand zugegen; schob den Riegel vor, und näherte sich verlegen und mit gebücktem Haupte der Frau vom Hause. »Bleibt nur immer ruhig auf Eurem Stuhle,« sagte sie zögernd: »Ihr spracht nicht unwahr. Ich bringe kein Glück.«

»So ist es denn endlich wahr geworden, was schon lange zu fürchten war?« klagte Margarethe mit herzzerreißendem Geflüster: »Er ist dahin, ... todt ...?«

[84] Willhild nickte trübsinnig mit dem Haupte. Margarethe warf sich in den Stuhl zurück, und schlug in bittrem Schmerz beide Hände vor das Gesicht. Es gibt ein Leiden, das sich weder in Worten, noch in Thränen ausspricht, und den Körper eines Starken durch seine entsetzliche Wucht an die Gränzmarke des Lebens drängt, .. dahin, wo die Sinne schwinden und der Athem vergeht, ohne ihm einen Laut abzwingen zu können. Es ist der lang vorausgesehene Gram, dessen fernher kommender Tritt schon die Thränenquelle öffnete. Während er nun langsam und düster verhüllt einherkömmt, versiegen schon die Thränenströme. Die Augen haben kein Wasser mehr, wenn der Fürchterliche ihnen endlich mit einem Zauberschlage ganz nahe steht und sein entsetzliches Antlitz weißt. Die Brust hat keinen Seufzer mehr, die Zunge keine Klage, und nur das mühsam arbeitende Herz kämpft mit dem Grausamen einen kurzen aber um so schrecklichern Kampf, der den widerstrebenden Sterblichen entweder unter dem eisernen Fuß des Schicksals zermalmt, oder – ein seltnerer Ausgang – ihn zum Herrn und Sieger seines Verhängnisses macht. – Ein solches Leiden hatte Margarethens Seele überfallen; gegen ein solches Leiden, stritt sie verzweifelnd, eine bittre Viertelstunde lang, und ihr ward der Siegerkranz. Willhild stand niedergeschlagen vor der Trauernden, und murmelte Gebete, als diese mit einem Male die Hände sinken und die üble Botschafterin in ein bleiches, ernstes, in starrer Ruhe gehaltnes Antlitz blicken ließ.

»Ermanne Dich, Willhild;« sprach sie gefaßt: »Trockne die Tropfen ab, die dick und schwer an [85] Deinen grauen Augenwimpern hängen. Folge meinem Beispiel. Als Du vor einigen Wochen mir die erste Nachricht brachtest, gewöhnte ich mich nach und nach an den Gedanken des höchsten Kummers. Du siehst, sein plötzliches Einbrechen hat mich nicht dahingerafft. – Ich wußte schon, was kommen würde!« setzte sie hinzu, und gedachte schmerzlich ihres Traums, der so schnell in Erfüllung gehen sollte. – »Erzähle aber; wie gieng es? Schone mich nicht.«

»Ach, gestrenge Frau!« versetzte die Alte, in peinlicher Verlegenheit, wie die Sache anzubringen sey: »Die Heiligen mögen es wissen, daß keine Sorge gespart wurde, das junge Herrlein zu erhalten, bis es das zufällige Geschick uns entriß.«

»Nichts ist Zufall!« fiel Margarethe ein. – »Der Knabe mußte sterben nach Gottes Gebot, und ich spreche Dich frei von aller Schuld.«

»Vorgestern,« fuhr die Alte stockend fort ... »vorgestern war das Junkerlein noch ziemlich munter, aber ... am Abend ... war er nicht mehr bei uns.« –

»Schied er unter Schmerzen, der, liebe Knabe?« fragte Margarethe.

»Nein ... das nicht, edle Frau,« entgegnete Willhild: »Im Schlummer ward er von uns genommen. Gestern haben wir ihm ein Kreuz errichtet.«

»Gestern wurde er begraben?« fiel Diether's Gattin ein: »O mein warnungsvoller Traum! Johannes, Du bist das goldne Kleinod, das in die schwarze Grube sinkt ... und mir einen ewigen Stachel zurückläßt. Kein Wort mehr, Willhild. Er ist todt, bestattet; genug bis auf eine Zeit, wo ich werde weinen [86] können. Eine Frage: Du hast doch beachtet, was ich Dir bei Deinem letzten Hierseyn vorschrieb. Du hast geschwiegen?«

»Wie das Grab!« betheuerte Willhild. Ich darf einen Eid darauf ablegen: »Auch hat noch keine Christenseele erfahren, daß das Herrlein ... nicht mehr bei uns.«

»So sey es auch ferner!« sprach Margarethe lebhaft: »Sein. Tod sey ein Geheimniß für die Welt.« »Der Vater muß jedoch erfahren ...« meinte Willhild.

»Er am allerwenigsten;« versetzte Margarethe herrisch: »Vor der Hand zum mindesten nicht. Du weißt übrigens, was ich Dir auf den Fall des Ablebens unsers Sohnes neulich vertraute?«

»Als ob es gestern gewesen wäre;« erwiederte Willhild.

»Mein Eheherr, fuhr Margarethe fort: kaum von schwerer Krankheit genesen, hat nicht das geringste von Johannes Siechthum erfahren. Noch weniger erfahre er seinen Tod, wenn es mir gelingt, wovon ich Dir jüngst sagte, und Du mir Deinen Beistand nicht entziehen willst.«

»Gewiß nicht! ehrsame Frau!« gelobte Willhild. »Auch meinen Mann, den einfältigen Kumpan, will ich schon unterweisen. Er kömmt ohnedieß nie hieher gen Frankfurt.«

»Aber der Pfarrherr, den des Knaben Leiche bestattete ...?« fragte Margarethe. –

»I nun!« meinte Willhild, nach einigem Besinnen: »Wenn Ihr nicht schelten wollt, möchte ich Euch wohl gestehen, daß ich, Euren frühern Reden eingedenk, [87] dem Leutpriester von Wiesbaden vorgelogen habe, der Knabe sey mein eigner Sohn gewesen.«

»Gut!« rief Margarethe und ein Strahl der freude flog über ihr Angesicht: »diese Lüge soll dir herrlich belohnt werden, wenn die Hauptsache erst in Richtigkeit ist.«

»Freilich;« versetzte Willhild etwas ängstlich: »ich sehe nur nicht ab, wie ihr das alles in's Werk richten wollt.«

»Meine Sorge!« sprach die edle Frau: »Wenn nur der Zufall seinen Segen gibt. Es pochte an der Thüre, leise und verstohlen. Margarethe fragte auffahrend, wer ihre Einsamkeit störe. Zu dem Schlüsselloch stahl sich aber eine zarte Stimme in's Gemach, die versicherte, insgeheim und auf der Stelle mit der gestrengen Frau sprechen zu müssen. Margarethe winkte der Bäuerin in das Seitengemach, und öffnete die Thüre, durch welche Ben Davids Tochter herein schlich. Wie verschieden war aber ihr Aussehen, ihre Kleidung von der Tracht und dem Benehmen des gestrigen Tages. Statt des seidnen Gewandes, mit köstlichen Blumen besät, mit Fransen geschmückt, und von einem silbernen Reif, der Gürtelstelle war, zusammengehalten, hieng heute ein ärmlich unsauber Kleid um ihren schöngeformten Körper, dessen Reize in der groben Hülle ihr Grab fanden. Die von wollenen Streifen umwickelten Füße schlurften in schweren Holzschuhen einher, und das blühende Gesicht war unkanntlich gemacht durch die [88] tief anliegende Kopfbinde und den groben kurzen Schleier, der Haar, Wange und Hals neidisch und unbildlich versteckte. In solcher Vermummung mußte, wenn es – wiewohl selten – die Nothwendigkeit erheischte, die musterhaft gebildete Jungfrau ihr Haus verlassen, wie ein Weib der niedersten Volksclasse. Diese abscheuliche Larve mußte ihren Wohlstand vor dem Blicke des Neiders, ihre Schönheit vor den Begierden des Wollüstigen sicher stellen und verbergen.«

Die Hausfrau war unangenehm durch die Erscheinung überrascht, und fragte hastig und unwirsch nach des Mädchens Begehr; aber ihr Gesicht wurde freundlicher, ihr Wort sanfter, da sie Ben Davids Botschaft vernahm. Sinnend rieb sie sich die Stirne, und sprach nach kurzem Besinnen: »Dein Vater mag noch diesen Abend kommen, in ehrbarer Tracht. Meine Mägde werde ich aus dem Hause senden, und eine vertraute Frau zur Thürhüterin bestellen. Um die siebente Stunde erwarte ich ihn, wenn die Glocke Achte schlägt, kommt mein Eheherr nach Hause, und darf ihn um Alles in der Welt nicht mehr finden. Geh jetzt von dannen.«

Margarethe wunderte sich nicht wenig, als die Dirne nicht von der Stelle wich, sondern eines Schauens nach einer Schilderei starrte, die über dem Putztische der Altbürgerin hing. Und da das Mädchen auch auf eine wiederholte Mahnung nicht von dannen ging, so wandte sich Margarethe mit einem ungeduldigen: Verdammter jüdischer Eigennutz! von ihr ab, suchte nach einigen Hohlpfennigen in ihrem [89] Wetscher 1, und drückte dieselben, mit der Weisung, das Trinkgeld zu nehmen, und endlich zu scheiden, in Esthers widerstrebende Hand. Ben Davids Tochter kam zu sich, und wies erröthend die Gabe von sich. – »Bist du so stolz, schmutzige Jüdin,« sprach Margarethe dadurch gereizt; »daß Dir dieser Lohn zu gering erscheint, für welchen Andere Deines gleichen einen falschen Eid leisten würden.«

»Ob mit diesem Gelde ein falscher Schwur sich bezahlen läßt, weiß ich nicht;« antwortete Esther mit leichtem Unwillen: »aber Ihr könntet meinen Gang, ohne mir durch schnödes Almosen weh zu thun, besser vergelten, sonder Geld und Gabe.«

»Wie das?« fragte Margarethe stolz.

»Mit einem freundlichen Wort;« erwiederte Ben Davids Tochter: »Sagt mir doch, gnädige Frau, ... wer ist der Reiter dort auf dem Bilde, der die Schlange todt sticht unter seines Pferdes Hufen?«

»Der Reiter hat nichts mit Dir und Deinem Volke gemein,« versetzte Diether's Gattin nicht ohne Hochmuth. »Er ist ein Heiliger unsrer Kirche, ein Streiter für den Glauben, der allein selig macht, und man nennt ihn den frommen Ritter Georg.«

»Der Ritter Georg?« fragte Esther schlau und ihre Bewegung verbergend: »ich danke Euch, ehrsame Frau. Wie glücklich seyd Ihr, solch ein Bild Euer zu nennen! Der Maler muß den Heiligen selbst gesehen haben, denn dem schönen Ritter sieht gewiß kein Sterblicher gleich.«

[90] »Kein Jude freilich;« spottete Margarethe bitter. »Der Maler fand aber unter den Rechtgläubigen das beste Vorbild, meinen ... hier erröthete sie schnell ... meinen Stiefsohn.«

Esther sah sie überrascht an, mußte aber der herrischen Geberde gehorchen, mit der Margarethe sie aus dem Gemache wies. Gesenkten Hauptes schlich das Mädchen, unbemerkt, wie sie gekommen, über die marmorgefaßten Treppen zur weiten Hauspforte hinaus. Schnell flüchtete sie über den Liebfrauenberg weg, wo die vor dem Stifte spielenden Jungen ihren kindischen Muthwillen durch Schimpfworte und Steinwerfen gegen sie äußerten, weil sie an dem blaugestreiften Schleier die Jüdin erkannten. Wie ein Reh eilte sie an den Hütten der Scherer gegen dem Römer über, vorbei, vor denen Meister und Gesellen mit allerlei müßigen Gesindel in herkömmlichem Sonntagsgeschwätz verkehrten, und gern ihren schaalen Witz auf Kosten aller vorübergehenden Weiber übten. Nicht eher schritt sie langsamer, als bis sie in der Nähe der Domkirche gekommen war, aus welcher des Hochamts Orgeltöne feierlich zu ihrem Ohre drangen, und der bösen Lust der Vorübergehenden die Fesseln der Andacht anlegten. Wie gerne hätte sie vor der offenen Pforte verweilen, in das von Weihrauchdüften erfüllte Gotteshaus schauen, und sich unter all den Feierklängen, Kerzenflammen und pomphaften Gebräuchen den heiligen Rittersmann wieder vergegenwärtigen mögen, der in Diether's Hause sie so zauberisch berückt. Aber die Scheu vor roher Mißhandlung trieb sie von dannen, und sie [91] durfte nur in sich hinein flüstern: Ihr Stiefsohn ist's? Er, der Ritter, der mit mir und meinem Volke nichts zu schaffen hat? Leider ist es so! Nun, da der für mich bisher namenlose einen Namen trägt, ... nun, da ich ihn, aussprechen darf, ... nun ist er ganz für mich verloren ... auch für meine Träume. Gewiß ... o gewiß trennt ihn nicht sein Volk, sein Glaube, sein Stand allein von mir. Diese Hindernisse sind ja nichts für ein Herz, das nur im Erinnerungsbilde liebt, und allem Irrdischen entsagend, nur im Reiche der Einbildung glücklich zu seyn wünsche. Aber gewiß fesseln ihn andere Bande ... den Angebeteten. Konnte der schöne Mann seiner Stiefmutter gleichgültig bleiben neben den grauen Haaren ihres Gemahls? Daß sein Bild in ihrer Kammer hängt, bürgt für ein geliebtes Andenken, und vereint hat sie die Liebe! – Esthsr's Gesicht flammte auf in Schaam über die Ungerechtigkeit ihres Wahns. Die Liebe? zürnte sie gegen sich selbst: Die Sünde hätte sie vereint, und Sünde ist dem Herrn meines Herzens fremd. Wahrlich! wahrlich! Wie könnte sonst sein Antlitz das Bild eines Heiligen seyn? Verzeihe mir, Du, den ich über alles liebe, nicht zu nennen wage, und in dem Götzenbilde verehre, das mein Gesetz verdammt und verflucht. Nimmer soll eine Eifersucht, wie diese, Dein holdes Andenken schwächen!

An der Thüre ihrer Wohnung empfieng sie der Vater, der ihr gleichgültig im Gespräche mittheilte, daß es ihm bereits gelungen, die Eltern seines kleinen Christenfindlings zu ergattern. Esther fragte mit heftiger Neugierde nach deren Namen. »Du wirst [92] es gut finden, wenn ich ihn verschweige,« antwortete Ben David mit scharfem und bestimmtem Tone: »Der Greis Jochai hat mir offenbart, welch unziemlich Gefühl Dich hinzieht zu dem Knaben. Die Thorheit muß nicht ferner genährt seyn; denn unbegreiflich ist es ohnehin, wie Du Dich hinneigst zu den Söhnen und Töchtern Amaleks. Der fromme Vater, dem einst der Frieden sey, dringt darauf, daß ich Dich führe gen Worms, wo eine Schule blüht, und die Weisheit gelehrter Rabbinen. Er will gern die Traurigkeit auf sich nehmen, Dich nicht um sich zu sehen, wenn sein Angesicht bleich wird; so Du nur wieder des Paradieses würdig wirst.«

»Führe mich in den Tod, nur nicht nach Worms;« sprach Esther entschieden und fest. »Worms ist Zodicks Vaterstadt, und folglich für mich der höllische Pfuhl, aus welchem die Teufel und Nachtgespenster stammen. Ich muß Dir gehorsamen, aber Dir vergebe dann der hochgelobte Gott!«

Sie entfloh in ihre Kammer, und schloß sich ein, allein mit ihrem Liebesbilde und ihrem Kummer. Der Vater blickte ihr wehmüthig lächelnd nach, schlug sich die Brust, und sah seufzend empor zum Himmel. Hier ahne ich böse Stürme! sprach er zu sich. Der Ewige wolle Alles zum Guten wenden. Hierauf verbrachte er den Tag in geschäftreicher Muße; ordnete seine Rechnungen, überzählte sein Geld, das er im Keller barg, une die übrige Habe, und kleidete sich gegen Abend in feinbürgerliche Tracht. Dann nahm er den Knaben, der ungestüm nach der Mutter verlangte, bei der Hand, und führte ihn mit sich an [93] das Haus der Frosche, wo er mit dem Glockenschlage der siebenten Stunde, wie befohlen, anlangte. Willhild harrte an der zugelehnten Thüre, und so wie sie in der Dunkelheit den Mann und das Kind herannahen, und die Pfortentreppe besteigen sah, winkte sie ihm, näher zu kommen und einzutreten. Ben David folgte ihr durch das menschenleere Gebäude, bis in das Vorgemach der edeln Frau, die ihn alsobald zu sich herein bescheiden ließ. Er übergab den Knaben Willhild's Obhut, und ging bescheidnen und leisen Trittes in Margarethens Stube. Erwartung und Hoffnung in den Mienen empfing ihn die stolze Frau.

»Was bringst Du mir, David?« fragte sie gespannt: »Die Möglichkeit, die ich neulich Dir angab, ist zur bösen Wirklichkeit geworden. Mein Sohn ist hinübergegangen.«

»Ist er?« sprach Ben David mit Theilnahme: »so bedaure ich die zurückgebliebene Mutter. Beim hochgelobten Gott! ich bedaure Euch aufrichtig, denn auch wir Juden wissen, wie lieb uns Kinder sind, und Söhne vor Allen. Ach! auch mir hat der Herr Zweie genommen. Den Einen durch einen grausamen Tod; den Andern ...... Nun des Herrn Wille geschehe!«

»Er geschehe!« versetzte Margarethe kurz abbrechend: »Aber eben weil dieser Wille unabänderlich ist, und niemand aus dem Grabe rückkehrt, so ist es nicht gerathen, in einem vergeblichen Schmerz zu verwelken, und darüber das Leben zu vergessen. Der Himmel weiß, daß ich Dich nicht gern zu meinem [94] innigern Vertrauten mache, aber die Lage der Dinge erfordert es. Ich war arm, ehe ich dem alten Mann meine Hand gab. Die Meinigen sind es noch. Ich bin jung, und will nicht gern umsonst den Winter meines Eheherrn mit dem Kranze meiner Jugend geziert haben. Die Vorsehung selbst hat das nicht verlangt, darum gestattete sie, daß meines Gatten einziger Sohn erster Ehe dem Himmel geweiht wurde, seine Tochter Verzicht leistete auf ihr Erbe, und ich ein Söhnlein gebar, das einst der Besitzer aller Habe seines Vaters zu werden bestimmt war. Für seine Gesundheit besorgt, übergaben wir den Knaben einer ehemaligen Dienerin meines Hauses, die unfern vom Wiesbade verheirathet, den schwächlichen Körper des Kindes in dem stärkenden Heilbrunnen daselbst zu baden angewiesen war, nach der Vorschrift des Arztes Joseph, der uns den Aufenthalt auf dem Lande, zu Sommer-und Winterzeit, als das wirksamste Heilmittel für das kränkelnde Kind anpries. Vor wenigen Wochen erfahre ich, der Knabe sey krank. Die Mutterangst reißt mich vom Lager des siechen Gemahls, den ich über diesen Punkt in Unwissenheit ließ; ich sehe meinen Sohn, überzeuge mich von einer unheilbaren Verzehrung, die ihn überfallen, und denke, trostlos zurückkehrend, sogleich auf die allzuwahrscheinliche Zukunft. Damals war es, wo ich Dir, der mir schon öfter Vertrauen abgewann, ein größeres schenkte, und heute sind wir da, wo ich mich damals nur hindachte. Hast Du gefunden, was Du suchtest? Eine Mutter, die ihr Kind für reichlichen Lohn auf ewig von ihrem Busen weißt? oder [95] eine Waise, würdig des herrlichen Looses, das ich ihm bereite? Rede! zaudre nicht. Die Zeit ist kostbar.«

»Eine Mutter, die ihr Kind verkauft, fand ich nicht, edle Frau;« erwiederte der Jude: »Selten mag wohl dieser Vogel seyn. Aber etwas Besseres fand ich, einen Knaben, an den die Welt keinen Anspruch hat, der selbst nicht weiß, woher er stammt, von dessen Eltern Ihr keine Forderung zu fürchten habt, da sie ihn verstießen.«

Margarethe horchte aufmerksam auf die Geschichte, die ihr Ben David zu erzählen für gut fand, ohne dabei des Edelknechts von Hülshofen zu erwähnen. »Hat der Knabe alle Eigenschaften, die ich verlangte?« fragte sie hierauf: »Braunes Haar, blaue Augen ... eine flüchtige Ähnlichkeit mit den Bildern unsers Geschlechts? das rechte Alter?«

»Alles, wie Ihr's begehrt. Der Zufall konnte nicht besser dienen. – Überzeugt Euch selbst.«

Ben David führte den Knaben herein. Willhild erschien mit ihm, und winkte der edeln Frau mit voller Zufriedenheit zu. Wohlgefällig betrachtete Margarethe beim hellen Kerzenschein das blöde dastehende Kind. – Thränen stiegen in ihre Augen. »Wahrlich!« rief sie mit aufgeregtem Gefühl: »sind diese Züge nicht ein Fingerzeig von Gott, so weiß ich's nicht. Sprich, Willhild! Mein Knabe, wäre er gesund und kräftig geworden ... hätte aussehen müssen, wie dieser. Ach, mein Johannes!«

»Ich heiße Hans!« sprach der Knabe schüchtern.

»Ein neuer Wink von oben!« versetzte Ben David: »Das Büblein heißt wie der Eure, und leicht [96] kann auf seinem Dorfe der Name also abgekürzt worden seyn.«

»In der That!« meinte Margarethe, die Zähren trocknend: »es ist außerordentlich, und Alles fügt sich besser, als man's wünschen kann. Komm her, mein Knabe! wirst Du mich lieben?«

Sie zog den Buben an sich, und küßte seine Stirne: er starrte aber zu ihr empor, spielte mit dem goldnen Kreuz an ihrem Halse, und fragte: »Wer bist Du denn, gute Frau?«

»Ei, das ist ja Deine Mutter!« antwortete ihm Ben David kurz und bestimmt. – Der Knabe aber lächelte ungläubig, und schüttelte zweifelnd mit dem Haupte.

»Das ist Deine Mutter, und ich bin Deine Pflegemutter;« bedeutete ihm Willhilde ebenfalls. Der Knabe sah sie groß an, und schien zweifelhaft zu werden. »Wo ist denn die Gundel, und das Hänschen?« fragte er ein wenig kleinlaut.

»Gundel ist fortgegangen und kömmt nicht mehr wieder;« nahm Ben David das Wort, da die Frauen des Knaben Rede nicht begriffen: »Hänschen ist aber schwarz geworden, weil Du so lange ausgeblieben,« setzte er hinzu, und wies auf den kleinen schwarzen Spitzhund, der zu den Füßen der Altbürgerin auf einem zierlichen Polster schlief. – Der Knabe schlug verwundert die Händchen zusammen, warf dann noch einen prüfenden Blick auf Margarethens Antlitz, das bekümmert und freundlich zu ihm niedersah, und flüsterte hierauf dem Juden halblaut zu: »Die ist aber doch die Mutter nicht.«

[97] »Ungerathener Bube!« rief Diether's Gattin, durch einen Wink Ben David's unterrichtet, und ihre Augen blitzten zürnend auf den blöden kleinen Hans; »willst Du mich wohl gleich wieder erkennen? schon zu lang dauert das Possenspiel. Sprich, wenn Du nicht die Ruthe kosten willst; bin ich Deine Mutter, oder nicht?«

Der Knabe krümmte ängstlich seinen Rücken, faltete die Hände, und rief, in der Scheltenden Schooß geschmiegt: »Liebe Mutter, schlage mich nur nicht. Hans will gut seyn, und er weiß ja, daß Du seine Mutter bist. Nur nicht schlagen.«

»So laß ich's gelten!« erwiederte Margarethe, und reichte ihm versöhnt einen Zuckerfladen: »Sey nur immer gut und folgsam, und Du wirst auch den Vater zu sehen bekommen.«

»Den Vater?« fragte der Knabe: »ich habe keinen mehr.«

»Doch, doch, mein Jüngelchen!« redete ihm Ben David zu. »Einen guten und liebreichen Vater, der Dich lieben, reich beschenken und unter lauter Freude und Vergnügen groß ziehen wird.«

»Das ist schön, daß ich einen Vater habe, und eine Mutter, die mich nicht schlägt!« rief hierauf Hans ganz erfreut, und ließ sich, in den Zuckerfladen beißend, vertraulich auf dem Polster des Hündchens nieder, das bald gute Freuudschaft mit ihm machte, und seinen Kuchen mit verzehren half. Während nun die Beiden spielten, und Frau Willhild sich hineinmischte, um den Knaben mit sich bekannt zu machen, folgte Ben David Margarethen in ihr [98] Schlafgemach, wo die Bedingungen des Verkaufs festgesetzt wurden. Nicht geringe waren sie, denn als Ben David mit Beuteln und Verschreibung beladen, davon zu gehen im Begriff war, sagte ihm Margarethe: »Du verstehst es, Jude, Deinen Vortheil zu beachten. Der Kinderhandel schlägt Dir gut ein.«

»Was wollt Ihr, edle Frau, und was redet Ihr da?« fragte Ben David, mit schlauer Aufrichtigkeit: »Kinder sind doch Gottes Segen, und den bezahlt man nie zu theuer. Am allerwenigsten, wenn man damit gewinnt Erb und Gut. Dem alten Herrn blüht gewiß kein Sohn mehr. Ihr seyd zu fromm, um zu beglücken den Freund statt des Ehemanns. Und dennoch muß der Sohn der ersten Ehe ausgeschlossen bleiben und Priester werden, und nimmer den Dispens gewinnen, den Stamm fortzupflanzen in Ermanglung andrer Erben. Der Knabe, den ich Euch überlasse, ist dennoch allzuwohlfeil erkauft, als Euer größtes Glück und Heil.«

»Doch der tiefsten Verschwiegenheit darf ich mich zu Dir versehen?« fuhr Margarethe mit durchdringendem Blicke fort: »Wenn Du treulos seyn könntest ...«

»Beruhigt Euch, gute Frau;« antwortete Ben David lächelnd: »wär ich ein Christ, so würde ich Euch leisten einen Schwur, und ihn hinterher vielleicht erst nicht halten. Als Jude darf ich nicht schwören einen Eid ohne den Rabbi, und dann erst müßtest Ihr mir glauben auf's Wort, ob ich recht geschworen habe, oder nicht; denn ich verstehe Euer [99] Deutsch, aber Ihr nicht mein Hebräisch. Verlaßt Euch deshalb auf ein sicheres Pfand: auf meinen Hals. Wenigstens an mein Leben ginge es, käme es heraus, daß ich ein Christenkind verschachert; und mein Leben ist mir lieb, ist's gleich mir ein elend Judenleben. Gehabt Euch wohl, und versichert Euch nur der Weiberzunge, die Euer, unser Geheimniß theilt.«

Hierauf entfernte sich Ben David schnell, und Margarethe säumte nicht, seinem Wink zu folgen, und die halb verlegen, halb froh sich benehmende Willhild zur Bewahrung des Gelübdes aufzufordern, das sie geleistet.

»Ihr könnt mir keck vertrauen, beste Frau;« versetzte Willhild: »mir fällt ein Stein vom Herzen, daß ich nicht des edeln Herrn Unwillen aushalten muß, der fürchterlich gegen mich entbrennen würde, träte ich vor ihn hin, und meldete ihm den Unfall, der seinem Söhnlein widerfahren. Aber ... wenn ich mich nur überzeugen könnte, daß es keine Sünde sey, einen unbekannten Zweig auf solch edeln Baum zu pflanzen.«

»Wenn ich es nicht für Sünde halte,« entgegnete Margarethe stolz, »so denke ich doch wohl ...«

»Ach, liebe Frau, Alles gut;« versetzte Willhild ängstlich: »bei Euch vornehmen Leuten ist das was anders. Kömmt ein böser Fall auch hie und da vor, so könnt Ihr mit Geld Euch Ablaß holen. Wir armen Leute haben aber nichts, als das nackte Leben, und unser Leutpriester zu Wiesbaden ist ein strenger gottesfürchtiger Mann, dem ich doch nächste [100] Ostern den ganzen Handel beichten muß. Er ist im Stande, und schickt mich ohne Ablaß aus dem Beichtstuhle, und dann ist es so gut, als ob ich vor der ganzen Gemeinde im Banne läge.«

»Sey unbesorgt!« erwiederte hierauf Margarethe: »kömmt die Zeit heran, so mache Dir ein Geschäft zu Frankfurt, und lege Dein Sündenbekenntniß vor meinem Beichtvater, dem guten Barfüßermönch Reinhold ab. Der wackre Priester fragt nicht nach Namen und nähern Umständen, und läßt Deiner Reue um so eher die gewünschte Lossprechung angedeihen, als Du beschwören kannst, durch besagte Verwechslung einen unglücklichen Knaben glücklich gemacht zu haben.«

»Nun so sey es denn in Gottes Namen!« sprach Willhild, und legte muthig ihre Hand auf das Kruzifix, das ihr Margarethe vorhielt und in dem ein Splitter von der Hirnschale der heil. Katharina eingefaßt war: »Da mein Seelenheil nicht gefährdet seyn soll, so schwöre ich das mit aufgelegten Händen auf die Heiligen zu den Heiligen, daß ich Euch nimmer verrathen werde, so lange mir die Augen offen stehen, an Niemanden, der da lebt, und vom Weibe geboren ist.«

Hierauf küßte sie der Gebieterin die Hand und Beide begannen nun zu berathschlagen, wie und wann der Knabe in das Haus seiner neuen Eltern eingeführt werden sollte. Der kleine Hans saß dabei, ohne von der Verhandlung etwas zu verstehen, spielte mit dem Spitzhunde und liebkoste Margarethens Hand, und nannte sie einmal über das andre seine gute [101] und liebe Mutter. – Ehe jedoch die Berathschlagung eine völlig genügende Wendung genommen hatte, hörte man von ferne den Schritt des heimgekehrten Gemahls. – Margarethe sprang mit Herzklopfen auf. – »Kein Zögern mehr!« rief sie: »das Schicksal will schnellen Entschluß. Willkommen, Johannes Frosch! Du wirst den Vater sehen!«

Sie drückte den Knaben mit wehmüthigen Gefühlen an ihre Brust, und drängte Willhild mit dem Kleinen in die Kammer. Schnell trocknete sie die Thräne von ihrer Wimper, schmückte vor dem Spiegel ihr Gesicht mit freundlichem Lächeln, und erwartete muthig, wiewohl nicht ohne innere Bangigkeit, den Eheherrn, der auch nicht säumte, bei ihr einzusprechen.

»Guten Abend, Margarethe!« sprach Diether in fröhlicher Weinlaune auf die Gattin zugehend, und sie in die Arme schließend. Er warf einen freundlichen Blick auf sie, und da er gewahrte, daß sie mit gleicher Freundlichkeit zu ihm aufsah, so freute er sich deß, und sagte: »Seht, liebe Ehewirthin, so gefallt ihr mir. Das düstre Gesicht, das schon seit geraumer Zeit Euer alltägliches geworden war, hat mir viel Nachdenken verursacht. Aber wenn Eure Stirn glänzt, wie ein Heller Spiegel und Euer Mund so zuckersüß lächelt, – gerade so wie jetzt, – dann geht mir das Herz auf.«

Er küßte sie zärtlich. »Kommt, laßt uns Eins plaudern;« fuhr er fort, und zog sie auf den gepolsterten Fenstersitz. »Es ist mir jetzt Bedürfniß, zu schwatzen wie eine Elster. Gar unlieb wäre es [102] mir gewesen, wenn ich Euch noch trübsinnig gefunden hätte, wie heute zu Mittag, denn ein Glas Rheinfall hat meine Seele fröhlich gemacht, und eine wohlklingende Botschaft ist mir zu Ohren gekommen von meinem Sohne Dagobert.«

»Welche?« fragte Margarethe, nicht ohne Theilnahme.

»Ihr seyd ein wackres Weib!« versetzte der alte Diether, ihr die Hand drückend: »Ihr nehmt so viel Antheil an dem Jüngling, und er ist doch nur Euer Stiefsohn. Darum sagte ich ja immer, wenn mich meine Freunde und Spielgesellen aufhetzen wollten gegen Euch in Schnack und Schwank: meine Grete ist ein herzliebes Ehgespons, das sich weder an meinem grauen Bart stößt, noch nach dem flaumbärtigen Stiefsohn verlangt in Unehren; und darum sollt Ihr auch jetzt wissen, daß der Dagobert glücklich und gesund zu Costnitz angekommen ist, wie mir – 's ist kaum eine halbe Stunde – der Stadtschreiber Heinrich von Gelnhausen versichert hat, der in Reitstiefeln, gerade wie er vom Roß gestiegen, auf unsere Trinkstube Limpurg kam. Der Schöffe von Braunfels hat ihn zurückgesandt, um noch mehrere Schriften nachzubringen, und im Augenblicke der Abreise hat er unsern Dagobert, der gerade angekommen, begrüßt. – Nicht wahr, das freut Euch, so wie mich.«

»Von ganzer Seele;« versetzte die Frau.

»Der Trunk Weins hat mir absonderlich darauf geschmeckt;« versicherte Diether. »Mitten unter der Freude meines Herzens ist mir jedoch eine ernste [103] Betrachtung angekommen. Sprecht selbst, liebe Ehewirthin: ist's nicht ein seltsam Schicksal, von dreien Kindern, die uns lieb sind, keines unter unsern Augen zu haben? Von der Tochter will ich eigentlich nicht reden, denn sie hat sich selbst losgesagt von uns. Ihr Bruder aber ist fern, auf seinen Beruf bedacht; und unser Johannes, mir das liebste von den Kindern, da Ihr seine Mutter seyd, lebt auch von uns entfernt, ohne daß wir selbst ihn pflegen könnten, und seinen schwächlichen Leib.«

»Ihr würdet ihn also gerne wieder um Euch haben?« fragte Margarethe lächelnd, obgleich ihr das Herz beinahe brach.

»Welche, Frage?« erwiederte Diether: »Zwei Jahre sind es fast, daß ich ihn nicht sah. Das verdammte Zipperlein hat mich gehindert, verwichenen Herbst den Buben zu besuchen, wie ich mir's vorgenommen. Aber so bald es wieder trocken und kalt wird, und meine Gicht das Leben im Steigbügel vertragen kann, steige ich zu Pferde, und gehe den Jungen zu küssen.«

»Er ist recht kräftig geworden;« sprach Margarethe. »Willhild hat mir gestern Botschaft gesandt. Seit ich ihn heimsuchte, hat er um Vieles zugenommen.«

»Hat er?« rief Diether: »beim Himmel! das ist mir lieb. Ich sagte es oft. Ein gesunder Stamm trägt auch gesunde Früchte! – Wenn er nur schon so weit wäre, daß er wieder kommen könnte in's Vaterhaus.«

[104] »Wer weiß, ob das nicht bald, recht baldge schieht;« meinte Margarethe.

»Bald? recht bald?« versetzte Diether mit glänzenden Blicken: »Weib, Ihr wißt am Ende, daß er kommen darf? Sagt mir's ... ich will ihn abholen, auf meinen Armen ihn hieher tragen! Wie gerne will ich meinen Bart von ihm zerraufen lassen, wie gern ihn auf meinen Knien schaukeln, so lange er will, wenn er nur kömmt, gesund ist, und unsre Freude wird!«

Margarethe benützte geschickt die freudige Bewegung des Alten, öffnete rasch die Seitenthüre, und legte den staunenden Knaben an die Brust des vor Freude zur Bildsäule gewordnen Gatten. – »Sieh hier Deinen Sohn!«

»Mein Johannes!« stammelte der Überraschte, und preßte ihn unzähligemal an sein Herz, an seine Lippen. Er nahm ihn auf die Arme, tanzte mit ihm in der Stube umher, geberdete sich, als habe die Freude seinen Verstand verrückt. Endlich setzte er ihn zur Erde nieder, und betrachtete ihn staunend.

»Ich kann nicht zu mir selbst kommen;« sagte er. »Wie können wenige Monate ein Kind verändern! Wie haben sich die Züge ausgebildet, und die Gestalt! Ja; so, so muß ein Sohn unsers alten Geschlechts aussehen; stark, kräftig, ein emporstrebendes Stämmchen. Warum bist Du aber so fremd geworden gegen Deinen Vater? Du betrachtest mich so verwundert, als ob Du mich noch nie gesehen? Was ist denn mit dem Jungen?«

[105] »Auf unserm Maierhofe,« begann Willhild ängstlich, »hat er viel vergessen. Zürnt ihm nicht, edler Herr.«

»Umarme Deinen Vater, Hans!« gebot Margarethe. – Der Knabe warf einen furchtsamen Blick auf sie, umschlang Diether's Hals, und drückte einen herzhaften Kuß auf dessen Mund. – »Willkomm, Vater!« sprach er, noch halb verdutzt: »Hab den kleinen Hans lieb!«

Schon der Kuß hatte Alles wieder gut gemacht, und die zutraulichen Worte des Knaben vollendeten Diether's Bezwingung. Kosend und tändelnd trat er, den Kleinen auf dem Arm, vor den Spiegel, und sprach wohlgefällig: »Fast möchte ich für wahr halten, was die Amme schon sagte, da sie den neugebornen Buben in meinen Arm legte, er sieht mir ähnlich; recht ähnlich! Ist das nicht meine Nase, mein Mund? Sind das nicht meine Augen? Die Ähnlichkeit hat sich erst recht herausgewachsen. Nicht wahr?«

Margarethe und Willhild bekräftigten die Meinung des guten Alten, und sein Vergnügen wuchs zum Muthwillen auf. »Die Lästerzungen,« raunte er Margarethen in's Ohr, »die über unsern Ehbund spöttelten, werden gelähmt seyn, beim Anblick dieses Gesichts, das in das Geschlecht der Frosche recht eigentlich gehört. Sie prophezeiten mir das gewöhnliche Loos des Sechzigjärigen, der zur zweiten Ehe schritt, und dennoch ....«

Hier wies er triumphirend auf den Knaben, der [106] mit seinen grauen Locken spielte. Margarethe verschloß ihm aber den ruhmredigen Mund mit einem Kusse.

Fußnoten

1 Lederne Gürteltasche der Frauen.

5. Kapitel
Fünftes Kapitel.

O, kehre nie zur Heimath wieder,

Ein Fremdling warst Du ihr.

Dir tönen nicht mehr ihre Lieder

Und ihre Sitte widert Dir.

Was willst Du hier? im fernen Lande

Fand'st Du ein falsches Glück,

Und ließest – Thor! – dafür zum Pfande

Dein ehrlich deutsches Herz zurück!

Altes Schauspiel.


Dagobert's und Gerhard's Berufswege liefen in entgegengesetzter Richtung. Darum war es auch weiter kein Wunder, daß ihr täglicher Lebensweg ebenfalls ein verschiedner war. Gerhard lag in dem Gasthause zum Engel, auf der Bärenhaut, und wartete bei Trunk und Spiel mit der größten Gelassenheit auf eine Gelegenheit, in irgend einem Schimpfspiele als Turnierfechter der freien Reichsstadt Frankfurt sich auszuzeichnen. Dagobert benützte hingegen die ersten Tage seiner Anwesenheit zu Costnitz, die Stadt sammt ihren Kirchen und Merkwürdigkeiten kennen zu lernen, und nach seinem Oheim zu fragen, der ausdrücklich versprochen hatte, sich im Gefolge des Papstes Johann auf dem Concilium einzufinden. Um [107] so seltsamer kam es ihm vor, daß es ihm nicht gelang, die mindeste Spur von ihm ausfindig zu machen. Vergebens forschte er bei Geistlichen und Weltlichen nach dem Prälaten Hieronymus Frosch: niemand wußte ihm Auskunft zu geben. Die Schöffen des Frankfurter Raths selbst hatten nicht das Geringste von einem solchen gehört, und so verging schier eine Woche, und der Eifer Dagobert's hatte schon bedeutend nachgelassen, als ihn mit einemmale ein Diener zu dem Herzog Friedrich von Östreich beschied. In sein bestes Kleid gehüllt, eilte er nach dem Hofe, den dieser reiche und prachtliebende Fürst mit seinem Gefolge einnahm. Der Herzog empfing ihn in einem einfach aber edel gezierten Gemache. – »Wie gefällt's Euch zu Costnitz, junger Degen?« fragte er den Jüngling mit heitrer Miene: »Wie behagt Euch das lustige Treiben und die bunte Menge, die einen Jahrmarkt eher verkündet, als eine ernste Kirchenversammlung?«

Dagobert bekannte, daß er noch wenig gethan, um sich mit dem Gewühl der vielen Ausländer und fremden vaterländischen Gäste vertraut zu machen.

»Bei Eurer Jugend nimmt mich das höchlich Wunder!« sprach der Herzog: »Jesus Christus! wenn ich daran denke, wie ich in Euerm Alter das Leben betrachtet habe! Es kam mir nicht anders vor, als wie ein großer Pokal, den ich verbunden sey, Tag für Tag auszuleeren bis auf die Neige, nach guter alter Trinkersitte. Wo es recht toll herging, war ich mitten dar unter, und nirgends fröhlicher als wo gescheite Leute und Narren um mich schwärmten [108] wie ein Bienenvolk. Ihr, lieber Freund, seht aus wie ein lockerleichtes Blut, und müßt wohl Eure Gründe haben, wenn Ihr nicht gleich Andern Eures Schlags über die Schranken haut, wo es angebracht ist. Ihr habt Euch doch nicht etwa schon vergafft zu Costnitz? Nehmt Euch in Acht. Es gibt der Schönen viele in dieser Stadt, aber die meisten sind fremde Zugvögel, die ihr trüglich Gefieder hier ausspreiten, weil es in der Heimath den Werth verloren hat; Hexendirnen, die sich anstellen, als ob sie Herzen fischten, während sie doch nur das Netz nach dem Golde unerfahrner Lüstlinge auswerfen.«

»Die Art und List dieser Meerweibchen ist mir – wenn gleich nur aus Berichten – nicht unbekannt;« versetzte Dagobert lustig: »Ew. fürstl. Gnaden ist daher im Irrthum. Nicht einem rothwangigen Mägdlein jage ich nach, sondern einem graubärtigen Manne, der mich hieher berufen, und nun Versteckens mit mir spielt; meinem Ohm nämlich.«

»Euer Ohm?« fragte der Herzog aufmerksam werdend: »Sein Name?«

»Ist der meine;« antwortete Dagobert: »aber der Träger versteckt sich im Sumpfe.«

»Wäre das der Prälat von dem Stifte des heil. Bartholomäus bei Cesena?«

»Derselbe, gnädiger Herr. Der Bruder meines Vaters: Hieronymus Frosch.«

»Ei, der ist freilich hier;« lachte der Herzog: »ist mit mir gekommen, da ich den heil. Vater hieher geleitete.«

Dagobert stand, steif vor Erstaunen, da.

[109] »Ihr könnt mir's glauben, auf Fürstenwort;« fuhr der Herzog fort: »sein Logement wurde ihm eingerichtet im Paradiesgäßlein, in dem Hause, zum Pfauen geschildet.«

»Bin ich denn blind gewesen?« fragte sich Dagobert halb ärgerlich; »war ich denn taub? hab ich nicht umhergespäht mit Aug und Ohr wie die Frommen am Pfingsttage in. der Kirche, da der heilige Geist aus dem Schalloche hernieder zu schweben hat?«

»Seyd zufrieden;« versicherte der Herzog: »Ihr seyd nicht blind, nicht taub gewesen. Ihr habt aber beständig nur nach dem Unrechten gefragt; der übelklingende Name Frosch ist nicht mehr der Euers Ohms. Er hat sich in's Wälsche übertragen, und wenn Ihr nach dem ehrwürdigen Monsignor Ranocchia Euch erkundigt, wird er Euch sicher nicht entgehen.«

»Wie ist mir denn?« rief Dagobert: »Unsers ehrlichen Namens, berühmt geworden durch den Hauskaplan Kaiser Karls des Vierten, schämt sich der Oheim?«

Der Herzog zuckte die Achseln. – »Ich habe Euern Vaterbruder nie als einen Deutschen gekannt,« sprach er, »und immer nur den Italiäner in ihm gesehen. Macht es auch so. Man weiß, ja ohnedieß nicht mehr, was heut zu Tage Deutsch ist oder nicht. Wer findet hier unter dem bunten wöllisch, englisch und böhmischen Geplauder das Vaterland heraus? Jede Nation, nur die unsre nicht, spielt hier den Herrn, vorab die französische. Ein schnackisches Völklein das: singt höher dann genotirt, liest anders, denn geschrieben, spricht anders als ihm um's Herz [110] ist, und steckt uns durch seinen gelehrten Kanzler Gerson gewißlich in den Sack. – O! setzte er mit bitterm Spotte hinzu: dieß Concilium ist des Luxemburgers Meisterstücklein!«

Heftig schritt der Herzog einige Schritte vor sich hin, blieb dann stehen und wandte sich mit einem Male rasch und kurz zu Dagobert.

»Ihr wißt nun, wo Euer Ohm zu finden, junger Mann;« sagte er, wie man einem Besuche gern ein Ende machen will: »es wird ihn freuen, Euch bald zu sehen, wie es mir angenehm seyn wird, Euch nicht aus den Augen zu verlieren. Das Pferd, das Ihr bei Eurer Heimkunft im Stalle finden werdet, thut Ihr mir wohl die Liebe, als Geschenk für Eure Hülfe anzunehmen. Es ist ein polnisch Thier und gerade wild genug für einen derben Jungen, so wie Ihr.«

»Gnädigster Herzog ...« stammelte Dagobert dankend, aber Friedrich unterbrach ihn schnell, indem er lächelnd sagte:

»Kein Wort für die schlechte Gabe. Wär' ich Kaiser, sollte sie besser seyn. Hätte ich Euch nicht aufrichtig lieb, und wollte Euch ablohnen, sollte sie auch besser seyn. – Ich stehe aber gerne noch ein wenig in Eurer Schuld. Geht mit Gott, und kommt bald wieder. Ohne den verwünschten Klopffechter seyd Ihr stets willkommen.«

Mit der größten Freundlichkeit, aber ohne seinem Stande etwas zu vergeben, beurlaubte der Herzog, steif in der Mitte des Gemachs stehend, und kaum merklich mit dem Haupte nickend, seinen jungen[111] Freund. Dagobert säumte nicht, da es erst um die Mittagsstunde war, die Wohnung seines Oheims aufzusuchen. Das Paradiesgäßlein war bald gefunden, und das Haus zum Pfauen, das ansehnlichste der Gasse, eben so schnell entdeckt. Die Thüre stand offen, und innerhalb derselben lehnte im Schein der Mittagssonne ein ziemlich nachläßig gekleideter Diener und speiste Nüsse. Dagobert erfuhr von dem Müßigen auf Befragen, daß Monsignor so eben vom Messelesen gekommen sey, und sein Stündchen der Bequemlichkeit feire, in welchem er sich nicht gerne von Fremden gestört sehe.

»Ich bin kein Fremder;« erwiederte Dagobert kurz: »ich bin des Prälaten Neffe, und hoffe allerdings auf unverzüglichen Empfang.«

Der Diener, ein Italiäner und mit barbarischem Deutsch behaftet, wurde nun zwar ehrerbietiger denn zuvor, wies aber den Besucher stumm und trocken über den Hof. Dagobert kehrte dem trägen Nußfresser den Rücken, und flog, den angegebnen Weg verfolgend, die Treppe hinan, an der offnen Küche vorbei, die einen Wohlgeruch ausströmte, wie er selbst im väterlichen Hause seine Nase nicht gekitzelt hatte. Auf dem Vorplatze angelangt, der mit Heiligenbildern geschmückt war, untersuchte Dagobert, welche von den drei vorhandenen Thüren diejenige sey, die zu dem Oheim führen möchte. Die Eine war verschlossen, die Andre nicht, aber scheu zog diese der Jüngling wieder zu, weil er in ein Gemach gesehen, das augenfällig von einem Frauenbilde bewohnt war, wie es die zierliche Ordnung, der Stickrahmen [112] am Fenster und mehrere auf Stühlen ausgebreitete Frauengewänder andeuteten, obgleich die Besitzerin nicht gegenwärtig war. Die dritte Thüre war noch übrig, ebenfalls verschlossen wie die Erste, aber ein daran angebrachter Glockenzug schien das Mittel sie zu erschließen anzugeben. Dagobert bewegte die Schelle leise und bescheiden, und vernahm bald darauf Tritte, die sich näherten, und Geräusch des aufgezogenen Riegels. Die Thüre sprang auf, aber statt eines grämlichen Dieners mit einem Klostergesichte, wie es Dagobert erwartet, schaute ein rundes Mädchenantlitz daraus hervor, wie er es nicht erwartet hatte. Das Antlitz trug freundliches Gepräge, bis auf einen finstern Zug zwischen den Augenbraunen, der zu sagen schien: Was willst Du denn zu dieser Stunde, Störefried? ..... Dieser Zug verschwand indessen, als ein flüchtiger Blick die Dirne belehrt hatte, daß es ein schlanker wohlgebauter Mann sey, der sich hier, wiewohl nicht in der fließendsten Rede, nach dem Prälaten befrage.

Dagobert bemerkte indessen die Veränderung in dem Gesichte des Mägdleins, und fuhr muthiger fort: »Fast muß ich befürchten durch den hämischen Unverstand des Pförtners an die unrechte Thüre gerathen zu seyn, denn ich suche die Zelle eines Himmelgeweihten, und finde mich nun am Himmel selbst.«

Das Mädchen lächelte ohne weiter um die Schmeichelei ein Wort zu verlieren. »Euer Begehr?« fragte sie in gebrochenem Deutsch: »Monsignore läßt sich nicht sprechen um diese Stunde. Eure Botschaft will ich ausrichten, so ich es vermag.«

[113] Dagobert betrachtete einen Augenblick lächelnd und kopfschüttelnd die ungewöhnliche Thürhüterin eines Geistlichen, und erwiederte scherzend: »Mein schönes Kind, das geht nicht an. Meine Botschaften pflege ich selber auszurichten, und schmeichle mir, weder durch Ton noch Kleid den Knecht zu verrathen, den man vor der Thüre abspeist. Sollte ich übrigens eines Namens von Gewicht bedürfen, um hier den Eingang zu finden, so melde dem Prälaten: mich sende der Herzog von Ostreich.«

Augenblicklich verneigte sich die Pförtnerin ehrerbietig, versprach den Besuch zu melden, und verschwand in dem anstoßenden Gemach. Dagobert, dem der Auftritt Spaß machte, nahm von dem Vorzimmerchen Besitz, wo ein Altar der heiligen Mutter aufgerichtet war, geschmückt mit silbernen und goldnen Blumen, und wo ein ungemein lieblicher Weihrauchduft herrschte, der aus den Zimmern des Prälaten sich zu stehlen schien. – »Recht so, guter Ohm!« flüsterte der Neffe vor sich hin: »Du machst Dir die Gelübde leicht, wie mir's vorkömmt, und suchst das Paradies Dir schon in dieser Welt zu schaffen. Wenn das Übrige dem, was ich bereits sah, entspricht, so überredet Niemand leichter zu dem Klosterstande, als Dein Beispiel!«

Das Mädchen erschien auf der Schwelle des Gemachs, und winkte verbindlich dem Harrenden, einzutreten. Dagobert wartete keine zweite Einladung ab, und ließ die Schöne im Vorzimmer zurück. Er traute aber seinen Augen nicht, da er die Stube seines Oheims betrat. Er ging auf kostbaren Teppichen, [114] so weich und glatt, daß er seinen eignen Schritt nicht vernahm. Eine gelinde Wärme erfüllte das Gemach, und der Duft balsamischer Spezereien zog behaglich aus der Räucherpfanne auf, die in der Ecke am Ofen glühte. Warme und schön gewirkte Decken bekleideten die Wände vom Simse bis zum Boden. Schwellendgepolsterte Stühle luden zur Ruhe ein, wie es auch die durch grüne Fensterschirme gemilderte Tagshelle that. Ein glänzend geputzter Kredenzschrein blendete das Auge durch den Schimmer der vielen da aufgestellten Geschirre und Trinkgefässe. Ein schon zum Mittagsmahle gerüsteter Rundtisch mit blinkendem Geräth geziert, in der Nähe einer zierlichen Kühlwanne, aus der kurzhälsige Flaschen guckten, erweckte die Lust nach leckerm Imbiß und Trunk. Von der Höhe des Zimmers schmetterten seltne Singvögel aus gelben Drahtkästchen ihr muntres Lied herab. Der Besitzer all dieser Herrlichkeiten aber dehnte sich auf einem üppigen Lotterbette. Das herrlich geschriebene und in goldbeschlagnen Sammet gebundne Brevier war seiner Hand entsunken, und ein grauer Sittich hatte sich von seiner unfern stehenden Stange an langer Kette herunterbegeben, und dem Herrn auf die fleischige Linke gesetzt, die er mit dem krummen Schnabel liebkosend pickte.

Dagobert hatte Muße genug, seinen Oheim genau zu betrachten, als sich derselbe schwerfällig von den Ruhepolstern aufrichtete, ohne jedoch die liegende Stellung ganz zu verlassen. Das war nicht mehr der hagre bleiche Augustinermönch, mit dem ernsten Antlitz und den tiefliegenden niedergeschlagnen Augen,[115] auf den sich Dagobert wohl noch zu Zeiten aus seiner frühsten Kindheit erinnert hatte. Die Zeit hatte ihn zu einem stark beleibten Prälaten umgewandelt, der außer dem Kreuze von Topasen und Gold gefertigt, nichts Mönchisches mehr an sich trug. Die Haare hingen auf die Schulter, und die Eitelkeit hatte die Graugewordenen durch metallische Mittel kupferbraun gefärbt. Die Augenbraunen waren auch mit trügerischer Farbe geschmückt, goldne Ringe hingen in den Ohren, glattgeschoren waren Wange und Kinn. Kostbare Fingerreife glänzten an den Händen. Die Fülle des Angesichts hatte viel dazu beigetragen, ihm ein jüngeres Ansehen zu geben, und die Augen wie der Mund hatten einen Anstrich von keckem Stolze gewonnen, der keine Spur der ehemaligen Klosterdemuth mehr durchblicken, ließ. Dagobert, von dieser Erscheinung, die er sich nicht träumen ließ, betroffen, neigte sich schweigend vor dem Prälaten, der durch eine nicht allzubedeutende Kopfneigung und Handbewegung den Jüngling einlud, zu sprechen. Dagobert hatte sich wenigstens eingebildet, von seinem Oheim bald erkannt zu werden, und schwieg, ihn unablässig betrachtend. Der Prälat fand hingegen das Betragen des Fremden sonderbar und fragte daher mit vornehmer dringender Rede; Was bringt Ihr, junger Herr? Was steht zum Befehl Sr. fürstlichen Gnaden?

»Ach, hochwürdiger Herr!« begann Dagobert, bei dem die Rührung die Oberhand gewann: »Nicht des Herzogs Wille führt mich hieher; sondern mein Herz, mein Herz allein!«

[116] Der Prälat maß ihn mit staunenden Blicken. »Seltsam!« sprach er alsdann: »was hätte ich mit Euerm Herzen zu schaffen, da ich Euer Gesicht nicht kenne, und Ihr Euern Namen hinter einem ehrenwerthen verbergen müßt?«

»Brauche ich einen Namen vor Euch?« fuhr Dagobert dringender fort: »Sprechen nicht aus meinem Gesichte bekannte Züge zu Euerm Gefühl.«

»Ei, junger Gesell, Du wirst doch nicht ...« entgegnete der Prälat betreten, und holte seine Brille aus dem Ärmel: »Sendet Dich etwa ... wie nennt sich Deine Mutter?«

»Wie mögt Ihr nach der Mutter fragen?« sprach Dagobert weiter: »Die Edle ruht im Grabe; doch des Vaters Name ......«

»Genug, genug, mein Sohn!« Unterbrach ihn der Oheim mit wachsender Befangenheit, und sein Blick suchte den Boden, während er die Hand zum Kusse reichte: »Du bringst mir eine böse Nachricht. Rechinald ist todt? Gott genade ihrer Seele .... Was willst Du aber beginnen ...? Für Dich zu sorgen wird mir schwer werden; .... wir armen Geistlichen werden in diesen neusten Zeiten, gedrückt und gepfändet, als hätten wir des Erdreichs Schätze allein; ... ich werde wahrlich Nichts für Dich thun können.«

Dagobert betrachtete ihn während dieser Rede, ohne zu wissen, ob der Prälat Ernst mache oder Scherz, oder ob er in einer plötzlichen Geistesabwesenheit, also irre und verworren spreche.

[117] »Wie ist Euch doch zu Sinne?« begann er endlich, da die peinliche Verlegenheit des Geistlichen fortdauerte, und sein Auge gleichsam aus dem Boden die versagenden Worte auszugraben sich anstellte: »Was Ihr mit der Rechinald zu thun begehrt, der Gott ein langes Leben, – oder, wäre sie wirklich gestorben – eine fröhliche Urständ schenken möge, – das weiß ich nicht. Ich habe nie Eine dieses Namens gekannt, und meine Mutter hieß Wallrade, wie meine schlimme Schwester. Ich weiß jedoch ganz ausgemacht, daß ich nicht als zudringlicher Bettler mich bei Euch einfinde, sondern auf Euern ausdrücklichen Wunsch und Willen, hochwürdiger Herr Ohm! Der Vater läßt Euch bestens grüßen, und die Stiefmutter. So Ihr mir zum frommen dienen wollt, werd ich's Euch herzlich danken. So sich aber Eure Willensmeinung geändert hätte, kehre ich stehenden Fußes um gen Frankfurt, ohne Groll und Reue.«

Mit jedem Worte des jungen Mannes war der Prälat aufmerksamer, ruhiger und aufgerichteter geworden. Es spiegelte sich sogar eine Art von Freude in seinem Gesichte, als Dagobert geendet hatte. Durch die Brille studirte der Oheim einen Augenblick hindurch die Züge des Letztern, und rief alsdann, ihm beide Hände hinreichend: Ach du närrischer Kautz! Das ist ja etwas ganz Andres! Komm, umarme Deinen alten Ohm! Die heilige Jungfrau benedeie Deinen Eingang!

»Dagobert umhalste den blödsichtigen Prälaten und setzte sich, wie dieser es begehrte, neben ihn auf das Ruhebette.« – »Ja, das ist ganz das Gesicht des[118] Bruders!« sprach Hieronymus: »Meine bösen Augen! Vergib mir nur den Mißgriff, lieber Neffe. Du hast aber auch eine seltsame Weise, Dich einzuführen. Ich hätte darauf geschworen .... siehst Du ... diese Rechinald ... sie war mein frommes Beichtkind, da ich noch in Deutschland lebte, ... und .. ihr Sohn .... doch, ich werde Dir das bei gelegnerer Zeit erzählen. Gib mir noch einmal die Hand. So! bist ein hübscher Bursche geworden. Nun, das ist ein Erbtheil unsers Geschlechts. Aber in Deinem Wesen hatte ich mir nicht weniger als Alles anders vorgestellt. Wo ist der geistliche Rock, das Piret? der Rosenkranz und der niedergeschlagene Blick? Du siehst aus, als ob Du zum Herrendienst an den Hof reiten wolltest, und nicht nach Wälschland in das Bartholomäistift.«

»Vergebung, Ohm!« scherzte Dagobert und zupfte neckend an dem blandamastnen Überkleid des Prälaten: »Das ist eben auch nicht das Klostergewand.«

»Hm!« lächelte der Oheim selbstgefällig: »Die Klausur und Regel ist nicht mehr für den Geistlichen meines Standes. Wir haben von unten auf gedient, und dürfen uns in reifen Jahren schon eine bequeme Freiheit erlauben, zumal hier in der Fremde, mit päpstlichem Dispens.«

»Hier in der Fremde?« wiederholte Dagobert: »Ei, lieber Ohm, Ihr seyd ja hier im Vaterlande.«

»Welch Geschwätz!« entgegnete der Prälat, das Gesicht verziehend: »Wo ist des Priesters Vaterland? Da, wo der Statthalter Christi wohnt und herrscht mit den Fürsten seiner Kirche. Und wär auch dieses nicht, so braucht man nur einen Fuß [119] nach dem gelobten Lande Italia gesetzt zu haben, um sich fürder keine andre Heimath zu wünschen. Wahrlich, hätte nicht die Pflicht geboten, nimmer wäre ich zurückgekommen in das Reich ungehobelter deutscher Nation. Jenseits der Alpen weht eine heitre warme Luft; hier in Euerm trüben Winterlande erstickt mich der Husten. Dort gehe ich durch helle geräumige Städte, hier versinke ich im Morast enger winklicher Gassen, wie man sie in armen Dörfern nicht schlechter hat. Dort trinke ich köstlichen, mild und feurig zugleich schmeckenden Wein, esse herrliches Obst, Geflügel und Fisch. Hier quäle ich mich mit abscheulichem Krätzer, den Ihr lobt, weil er am Rhein wächst, und kalt und rauh ist, wie Eure Sitte; hier verderbe ich mir den Geschmack mit Holzäpfeln und sauern Trauben. Dort höre ich eine Sprache, die wie Musika klingt, einen Gesang, dem gleich der lieben Engelein. Hier mußt ich mich bequemen, das widerliche deutsche Pfauen- und Hahnengeschrei anzuhören, es selbst wieder vorzusuchen, wenn ich mich verständlich machen will, und muß noch von Glück sagen, wenn ich nur dann und wann von ferne ein deutsches Lied singen höre, das gewöhnlich nicht anders klingt, als wie eine knarrende Thüre, deren Angeln des Öls ermangeln, und zu welchem Euer verdammtes Instrument, der schnurrende höllische Pommer, die beste Begleitung abgibt. Ich will nun gar nicht von Eurer plumpen Sitte, von Eurer schlechten Küche, von Eurer unflätigen Zechlust reden, nicht von Euren unbequemen Häusern, wo man sich einrichten muß, wie Figura zeigt, das heißt, wie[120] ein Bauer in seiner Lehmhütte, und einen Wald in den Ofen zu werfen hat, wenn nur die Finger nicht erfrieren sollen; nicht von Eurer Raubsucht und erbärmlichen Kindererziehung, ... denn alle diese Unformen und Mißgestaltungen sind an der Zahl Legion. Nur das gebe ich Dir zu verstehen, daß Du, um mir wahrhaft zu gefallen, und meiner Gunst würdig zu werden, die grobe deutsche Lebensart ab- und nebenbei eine schickliche geistliche Tracht abzulegen hast.«

»Hm!« versetzte Dagobert lustig: »Das Letztere ist bald gethan, denn der Schneider macht in einem Tage den Cleriker fertig; aber das Erste wird nicht so schnell gehen. Mir ist vaterländische Gewohnheit so an's Herz gewachsen, daß es gewaltiger Mühe bedürfte, sie sammt den Wurzeln herauszureißen.«

»Wie heißt das deutsche Sprichwort?« fragte der Prälat: »Das eine Vernünftige unter tausend Albernen?« »Alles, was Du willt, geschieht, so Dir's nicht an Muth gebricht. Beherzige das, und folge meiner Weisung; dann kann noch ein flammend Kirchenlicht aus Dir werden. Vor der Hand lasse Dir's indessen heute bei mir gefallen, und nimm vorlieb mit meinem Tische.«

»Das wird mir nicht schwer fallen,« scherzte Dagobert, dessen schelmisches Lächeln, wie der verstohlne Blick auf die Leibesfülle des Oheims dem Letztern nicht entgingen.

»Hm!« sprach dieser mit aufgeworfnem Munde: »Freilich findest Du auf meiner geringen Tafel keine Pfeffertunke, keine Saffranbrühe, wie sie hier erfordert [121] wird, keinen Wildbraten, der durch seinen Geruch jede feine Nase von dannen scheucht, aber deutscher Jäger und Edelleute köstlichste Speise ist. Eben so wenig aber darfst Du hoffen, ein schwelgerisches Mahl zu genießen, sondern die einfache Kost eines Dieners der Kirche, deren Oberhaupt sich einen Knecht der Knechte nennt.«

Die hübsche Pförtnerin, deren Neugierde durch den so sehr verlängerten Besuch auf's Höchste gereizt worden war, steckte, erinnernd an den Imbis, den Kopf in die Stube. »Wir haben einen Gast,« rief ihr der Prälat freundlich nickend zu: »Diesen jungen Mann, in welchem ich Euch, werthe Fiorilla, meinen geliebten Neffen vorstelle.«

Fiorilla staunte ein Weilchen den Jüngling an, der so schnell ein Verwandter des Hauses geworden war; hierauf folgte sie jedoch der empfangenen Weisung, legte für den Geladenen Tellerbrod und Tellertuch auf, setzte einen schön gearbeiteten Becher an seinen Platz, und begab sich hinweg, um die Speisen herauf fördern zu lassen. Dagobert hatte genau bemerkt, wie sein Ohm mit den Augen jeder Bewegung der holden Dienerin gefolgt war, und von Zeit zu Zeit auf ihn selbst einen prüfenden Blick geworfen hatte. Er gab sich daher alle Mühe, recht unbefangen zu scheinen, und fragte den Prälaten mit seinem besten Gleichmuth, ob Fiorilla etwa auch eine Verwandte sey, oder ob das Verhältniß der Magd sie an dies Haus buche. Hieronymus besann sich eine Weile. »Dieses Mädchen« – sagte er hierauf – »ist nicht Verwandte, nicht Dienerin; sondern eine [122] Tochter edeln Hauses, aus Cesena gebürtig, die durch ihr besondres Vertrauen in mich, meine Freundschaft und väterliche Teilnahme gewann. Ihre Neugierde und ihre Luft die Welt zu sehen, zu befriedigen, erlaubte ich ihr, einer schutzlosen Waise, mich hieher zu begleiten, wo sie dann als Freundin mein kleines Hauswesen zu besorgen unternommen, während sie vor der Welt, die in dem reinsten Verhältniß eine Sünde wittert, meine Base heißt.«

»Obschon ich die runde Maid mit den Flammenaugen nicht ungern mein Bäschen nenne,« meinte Dagobert: »so begreife ich doch nicht, wie ein Mann von Eurer Würde und Heiligkeit sich zu dieser Unwahrheit herablassen konnte.«

»Ach! Du weißt es nicht,« seufzte der Ohm, wie die Welt im Argen lebt; wie sie sich freut über den Fall des Gerechten, und aus seiner Unschuld die bittre Schuld saugt. Die Deutschen absonderlich, trotz ihrer Ruchlosigkeit, ihren unzüchtigen Tänzen und heidnischen Philosophemen; Wer ist es, der das Leben des Priesters einer solch unchristlichen Untersuchung unterwirft, wie noch nie erhört worden? Der Deutsche. Wer wagt es, Prälaten, Bischöfe, Kardinäle, und Gott sey es geklagt, den Unfehlbaren in Rom selbst in seinem häuslichen Thun zu meistern? Der Deutsche. Wer schreit am ungestümsten nach einer allgemeinen Kirchenverbesserung? der Deutsche. »O der Sünde! die Kirche und ihre Satzungen will er umstürzen und erneuern, gleich als ob sie Menschenwerk wären, und nicht das Vollkommenste, Gottes und seines Sohnes Werk!«

[123] Dagobert, der den Meinungen seines Oheims nicht offne Fehde bieten wollte, so sehr auch seine Ansichten von ihnen abwichen, betrachtete still lächelnd die Schnabelspitzen seiner Stiefel, und athmete freier, als endlich der Imbis aufgetragen war, und somit das ernstwerdende Gesprächsel ein Ende hatte.

Bei Tische, während des Genusses der feinsten Speisen, die eines Erzbischofs Tafel zu Ehren gebracht haben würden, hatte der junge Mann Gelegenheit genug, zu bemerken, daß die Freundschaft seines Oheims zu Fiorillen wirklich eine Große war. Die leckersten Bissen legte sie dem Prälaten vor, und dieser schob das Leckerste von ihnen auf ihren Teller. Seinen und des Neffen Becher füllte er halb mit Wein, halb mit Wasser, in Fiorillens Kelchglase perlte der reine italienische Feuerwein. Während Dagobert zum Nachtisch mit vaterländischem Käse abgespeist wurde, fütterte Oheimchen Fiorillen mit dem schmackhaften in Honig gefaßten Ingwer, und mit der süßen Weichsellatwerge. Venedische Mandeln und Weinbeeren wurden aufgetragen, um von dem Hausherrn benascht, und an Fiorillen verschenkt zu werden. Endlich betheuerte die Letztere ernstlich, zur Genüge versorgt zu seyn, und bemitleidete scherzend den Gast, daß ihm nichts von diesen Leckereien beschieden gewesen. Dagobert lächelte Achselzuckend; der Oheim sprach aber trocken: Mein Neffe macht sich sicher nichts aus diesen Süßigkeiten, denn er ist noch ein ächter Deutscher, und eine Ochsenkeule ihm lieber als eine seine Tafel, wär's auch die des Cardinals Zabrella, der auf das Essen etwas hält.

[124] »Alles gleicht sich aus;« erwiederte Dagobert: »Derbe Kost gibt derbe Menschen.« »Richtig,« meinte der Prälat: »und feine Speise zieht den feinen Mann.«

Fiorilla gab einige Worte dazwischen, die nicht undeutlich merken ließen, daß ihr eine kräftige Derbheit nicht mißfalle, indem sie Bürge eines kräftigen Gemüths sey.

»Es muß mich wundern,« sprach sie endend: »Hochwürdiger Herr, daß Ihr an dem Neffen tadeln zu wollen scheint, was ihr an der Nichte gut heißt.«

»An Euch, mein Bäschen?« fragte Dagobert munter, und warf, dem eifersüchtig lauernden Ohm zum Trotze, einen seiner feurigsten Blicke in Fiorilla's Augen.

»Nicht doch;« antwortete diese erröthend: »Ich spreche von der Nichte Sr. Hochwürden.« Monsignore gab der Geschwätzigen mit verdrüßlicher Miene ein Zeichen zu schweigen. Dagobert, dem auch dieser Wink nicht entging, hatte Muthwillen genug, weiter zu forschen.

»Seyd Ihr's also nicht, liebes Bäschen?« fragte er; – »oder – von welch andrer Nichte ist denn hier die Rede, Oheim.«

»Von wem sonst, als von Deiner Schwester?« brach der Letztere unmuthig los.

»Von Wallraden?« rief Dagobert.

»Freilich von ihr;« versetzte Fiorilla. »Was meint Ihr, – hochwürdiger Herr? Sie wird viele Freude haben, ihren Bruder zu sehen, der gerade so muthig und entschlossen zu seyn scheint, wie sie.«

[125] »Wie ist mir denn?« fragte Dagobert: »Wallrade wäre hier?«

»Ja doch;« entgegnete Fiorilla unbefangen: »Ihr wußtet das nicht?«

»Verdrüßliche Schwätzerin!« zürnte der Prälat gegen die Freundin: »Mulier taceat in ecclesiam!«

»In ecclesia!« verbesserte Dagobert lächelnd: »Ein guter Spruch! aber ich verstehe nicht, warum Ihr mir ein Geheimniß aus der Anwesenheit meiner Schwester machen wollt, guter Oheim? Mir ist sie das gleichgültigste Ding von der Welt, macht mir nicht Liebe, nicht Haß. Wir Beide, Wallrade und ich, wir konnten uns von Jugend auf nicht leiden. Ich war ihr zu lustig, sie war mir zu rauh. Ein Glück, daß sie ein Mädchen und nicht ein Bube geworden. Es hätte alle Tage blutige Köpfe gesetzt. Seither sind wir auseinander gekommen, und haben uns natürlich nicht lieben gelernt. Sie wird mich nicht suchen, wie ich nicht sie. Wir würden uns fremd bleiben, wohnten wir auch unter einem Dache.«

»Das wußt ich ja eben!« fiel der Prälat ein: »Ich hatte mir's auch so schön ausgedacht, wie ich euch Trotzköpfe mit guter Art zusammenbringen und versöhnen wollte, ehe ihr noch von eurer gegenseitigen Anwesenheit gewußt hättet. Durch die Fiorilla Cicalonilla ist mir das gute Werk vereitelt.«

»Es ist nicht meine Schuld,« schmollte die Gescholtene, »daß ich vielleicht in der besten Absicht Euer Vorhaben zu nichte machte. Ich wußte weder von dem Widerwillen der Geschwister, noch von der bezweckten Versöhnung. Ich wette indessen, setzte sie [126] mit einem verstohlnen Seitenblick auf den Jüngling bei, daß Euers Neffen redlich Gemüth auch ohne Überraschung und Vermittlung den rechten Weg einschlagen und die Bande fester knüpfen werde, die Vorurtheil und Zufall auflockerten.«

»Ihr thut mir viel Ehre an,« erwiederte Dagobert höflich: »ich muß sie aber ablehnen. Wallradens hochfahrender Sinn hat sich stets so trotzig erwiesen, in jedem Verhältniß des Lebens, daß ich, selbst bei dem redlichsten Willen, die Hoffnung aufgeben mußte, ihn für meine redlichste Gutherzigkeit zu gewinnen. Auf der andern Seite bin ich auch, nicht der Mann, der Weiberlaunen unterthan ist, wären es auch die einer Schwester, die einer geliebten Gattin.«

»Du versteigst Dich;« unterbrach ihn der Prälat: »Nicht denken sollst Du an eine Gattin, die Du nimmer besitzen wirst.«

»Nun denn,« rief Dagobert lachend: »Ist mir die Liebe verboten, so ist mir doch die Freundschaft erlaubt. Nicht wahr, mein Bäschen?«

Fiorilla nickte heimlich lächelnd, und Dagobert ergriff seinen gefüllten Becher. »Auf gute Freundschaft denn!« sprach er schmeichelnd, und klang mit Fiorillens Kelchglas an. »Macht kein finstres Gesicht, Oheim! Wir ungehobelten Deutschen müssen einmal den Becher zur Hand nehmen, ob wir Frieden machen, Krieg beschließen, der Minne oder der Freundschaft Bund heiligen. Wir wollen gute, gute Freunde seyn, Bäschen Fiorilla, oder Blümchen! Aber selbstEure Launen trag ich nicht.«

[127] Fiorilla setzte das Glas mit lieblicher Geberde an den Mund, und während ihre Lippen nippten, ruhte ihr Auge seelenvoll auf des Jünglings blühendem Gesicht. Der Prälat rückte unruhig auf dem Stuhle, und drohte der Italiänerin verstohlen mit dem Finger. Die Leichtfertige lachte, Dagobert stellte sich aber, als habe er es nicht bemerkt, und fuhr in lustiger Laune fort: »Ihr seyd mir noch die Erklärung schuldig, bester Ohm, wie es kömmt, daß ich Wallraden hier zu Costnitz finde? Was führt sie her? In welcher Absicht ist sie hier?«

»O seht;« rief Fiorilla; »seht, wie diese Neugierde schon verborgne Theilnahme verräth.«

»Sie kam auf meine Ladung, mich zu besuchen;« antwortete der Prälat dem Neffen kurz und gleichgültig. – »Eine Stiefmutter hat Euch Beide aus Eurem Stammhause vertrieben: ich halte es für Pflicht, Vaterstelle bei Euch zu vertreten, die der schwache Vater verließ. Indem ich Wallraden vor sechs Jahren mein durch Erbschaft mir zugefallenes Gut in Thüringen überließ, gab ich ihr schon ein sorgenfreies Geschick, und behielt mir dafür nichts vor, als die Befugniß, ihr einen Gatten zu wählen, und diesen Gatten denke ich ihr hier zu freien.«

»Das muß eine herrliche Ehe werden!« lachte Dagobert: »Lieber Ohm, wählt nur ein recht frommes Schaf, das von Geburt an gewöhnt ist, mit Gebiß und Trense zu laufen, und alleine keinen Schritt zu thun. Wie heißt der Glückliche, den Ihr der Sanftmüthigen zugedacht?«

[128] »Dem Spötter nenne ich ihn jetzt nicht,« entgegnete der Prälat verletzt und hob durch sein Aufstehen die Tafel auf.

»'S ist auch gleichviel!« versetzte, Dagobert in obigem Tone: »Bedauernswerth ist er, er heiße nun Adam wie der erste Mensch, oder Sylvester wie der letzte Tag im Jahre. Wohl bekomm ihm die Veränderung und der Hiobstand.«

»Unerträglich!« murmelte der Prälat zwischen den Zähnen. Gemäßigter aber fuhr er fort: »Ich habe noch einen Besuch zu machen, bei welchem ich Deiner Gegenwart entbehren muß, denn er gilt gerade Deiner Schwester. Es wird mich freuen Dich bald wieder zu sehen, und in schicklicherer Tracht.«

»Verlaßt Euch darauf,« erwiederte der muntere Jüngling, nach dem Federhute greifend. »Im schwarzen Rock, mit Gürtel, Kragen und Kappe schaut Ihr mich nächstens wieder. Ich bin Euch gern gefällig, wäre gerne immer um Euch.«

»Ich glaubs;« spöttelte der Oheim mit einem Seitenblick auf Fiorillen: »Du wirst aber ermessen, daß ich Dir keine Herberge unter meinem Dache anweisen kann, weil mir's die Sorge für dieser lieben Beichttochter Ehre untersagt.«

»Freilich;« bestätigte Dagobert mit verstelltem Ernst: »Ihr müßtet nicht halb so gewissenhaft seyn, werther Ohm, als Ihr wirklich seyd, um solches zuzugeben. Ich weiß mich auch zu bescheiden. Ich verplauderte gerne noch den ganzen Tag mit meinem wunderlieblichen Bäschen, dem Blümlein Tausendschön, ... weil Ihr denn doch zu Wallraden geht ...[129] aber die Sitte leidet's nicht; ... in Deutschland mindestens nicht, aber ...« hier schwieg er heimlich lächelnd stille.

»Aber?« fragte Fiorilla muthwillig. »Aber?« wiederholte der Prälat neugierig, und gedehnt.

»Aber wollt ich sagen,« fuhr Dagobert fort – »das wird sich schon geben, wenn ich einmal die Kirchenfarbe trage. Darum will ich eilen, und den Schneider auf den Tod plagen, bis er meine Heiligkeit gefertigt hat; den Freibrief der in Euerm Haufe mir das Öffnungsrecht verleiht. Gott befohlen, hochwürdiger Oheim! träumt von mir liebe Base!«

Lachend und plaudernd eilte Dagobert von dem ungewohnten wälschen Weine aufgeregt, von dannen, und dachte unter der Thüre des Vorgemachs das Herz seiner Begleiterin durch einen glühenden Händedruck zu versengen, aber indem rief des Prälaten befehlende Stimme: »Fiorilla!« und mit einem leise geflüsterten Lebewohl: »Addio carino!« flog, sie in das Speisegemach zurück.

»Welch einen Burschen hat mir der Bruder da gesendet!« sprach der Prälat mit gefalteten Händen: »Der schwatzt wie ein Franzose, zudringlich, keck und vorlaut; und säuft und ist grob wie ein ächter Deutscher.«

Fiorilla verlor kein Wörtlein, sie schmunzelte aber für sich; versäumte nicht unter dem Aufräumen, am Spiegel sich vorüberzudrehen, und strafte in Gedanken ihren hochwürdigen Freund Lügen.

»Und der Fastnachtsnarr will Priester werden,« fuhr der Prälat fort.

[130] »Er will nicht, aber er soll und muß;« schaltete Fiorilla ein.

»Ganz recht; er soll!« versetzte Monsignore: »Aber Gott behüte uns in Gnaden. Das wird ein Kirchenlicht abgeben, von dem einst du Heiland sagen wird: Besser wär's, es wäre niemals angezündet worden.«

»Gleich tausend Andern!« kicherte Fiorilla vor sich hin, und fütterte den Sittich mit Honigbrod.

6. Kapitel
Sechstes Kapitel.

O Johannes Huß!

Armer Dominus!

Seufzest Ach und Weh,

Armer Domine!

Wärst Du doch daheim geblieben!

Dein Geleit war falsch geschrieben;

Ob's der Kaiser selbst verspricht,

Hält man's doch dem Ketzer nicht.

Volkslied jener Zeit.


Die Kirchenversammlung zu Costnitz, die größte die jemals statt gefunden, zeigte sich bereits in ihrem Anbeginn glänzend und prachtvoll, obgleich das Oberhaupt des Reichs, Kaiser Sigismund noch in Aachen verweilte, wo seine Krönung vor sich gegangen war. Der Antheil, welchen ganz Europa an diesem lang vorbereiteten Concilium nahm, war unbeschreiblich und um so natürlicher, als Jedermann von der Nothwendigkeit [131] einer ausgleichenden schiedsrichterlichen Versammlung innig überzeugt war. Die lateinische Kirche, von tiefen Spaltungen zerrissen, zählte, statt Eines Statthalters Christi, ihrer Dreie, die einander, von feindlichen Parteien erwählt, erbittert gegenüber standen, und durch ihr Beispiel, wie durch ihren Bann, alle Eide und Pflichten locker machten, Christen gegen Christen aufreizten, und dem Sittenverfall der Priester müßig zusahen, theils weil sie zu schwach waren zu widerstreben, theils weil sie die Verirrten durch sträfliche Nachsicht für ihre Zwecke zu gewinnen hofften, theils endlich, weil sie nicht besser waren, denn ihre Untergebenen. Dieses schon in die Länge dauernde Ärgerniß, dieses empörende Schauspiel, das drei Afterpäpste der Welt gaben, mußte geendet werden, aber weder Johann XXIII., der arglistigste unter ihnen, noch der stolze Benedict XIII., der in Arragonien auf den Schutz des Königs trotzte, noch der weit lenksamere, aber zum Werkzeug seiner Umgebungen herabgewürdigte Gregor XII. waren zum gütlichen Vergleich, zu Entsagung und aufrichtiger Mitwirkung an dem Geschäft der Kirchenverbesserung zu bewegen. Am lautesten eiferte das deutsche Volk gegen den chaotischen Unfug und Mißbrauch, der die Kirche zum Schauplatz hirnloser Gebräuche und zur Ablaßbude machte; aber diese laute Mißbilligung vermochte es nicht, den Kaiser aus seiner Apathie zu wecken. Den dringenden Vorspiegelungen der Franzosen war es vorbehalten, seine Theilnahmslosigkeit in den brennendsten Eifer zu verwandeln. Verschiedene große Begebenheiten, die gewöhnlichen Vorläufer [132] von wichtigern, spornten endlich seine Thätigkeit: Hussens Umtriebe und kühne Eingriffe in Böhmen, der Osmanen heranfluthendes Nomadenreich, aus dessen Zelten die wankenden Trümmer des Griechenreichs kaum noch hervorsahen. – Mit den unerhörtesten Anstrengungen, mit persönlichen Aufopferungen, die einem Kaiser deutscher Nation wohl so eigentlich nicht ziemten, aber in den Ansichten Sigismunds ihre Wurzel fanden, brachte derselbe endlich mit Zustimmung Johannes XXIII., die ersehnte Kirchenversammlung zu Stande, und vereinte zu Costnitz die englische, italiänische, französische und deutsche Nation zu allgemeiner Berathung. Der Papst Johannes, auf die Gültigkeit seiner Wahl sich stützend, erschien selbst auf dem Concilium. Ausgezeichnete Fürsten mit ihrem zahlreichen Gefolge schloßen sich an die ungeheure Zahl von Geistlichen aller Würden, von Doktoren und Meistern der freien Künste, der Volksmenge nicht zu gedenken, die Schaulust und Gewinnsucht herbeiführte. Mit gespannter Aufmerksamkeit wartete man auf den Kaiser, der die großen Sitzungen in Person eröffnen sollte, und da sich seine Ankunft von Woche zu Woche verzögerte, so suchte die Neugierde ihre Nahrung an andern Gegenständen. Ein Mann war es besonders, der die Augen des Volks auf sich zog, bekleidete ihn auch weder Tiare noch Hermelin, wohnte er gleich in keinem Palaste. Dieser Mann war niemand anders, als der furchtlose Böhme, Johannes Huß, der Prediger, einer neuen Lehre, welcher dem Kaiserlichen Worte und dem des Papstes vertrauend, sondern Scheu sich zu Costnitz eingefunden hätte, seinen Glauben [133] vor den Gottesgelahrten aller Nationen zu vertheidigen. Die frommgläubigen Costnitzer hatten ihn zwar mit gemischten Empfindungen aufgenommen, da ihm der Ruf eines Ketzers voraus ging, aber der Zauber des Kaiserlichen Geleitbriefs hatte ihn bisher vor jedem Unbild geschützt, und seine schlichte Tugend ihm am Ende die Herzen der Redlichen gewonnen. Wenn er sein Haus verließ, grüßten ihn die Bürger freundlich, die Kinder hingen sich an seine Hand, und horchten aufmerksam auf seine milde Rede, wurde sie gleich in ungelenkem Deutsch gegeben. Diese Anhänglichkeit, die sich so unumwunden zu äußern begann, wirkte widrig auf die Feinde des böhmischen Predigers, und vermochte sie, die fortdauernde Abwesenheit des Kaisers zu benützen, und ihrer Rachsucht den Zügel zu nehmen, damit sie den ersten entscheidenden Schritt thue. Die Vorbereitungen zu demselben konnten nicht so heimlich gemacht werden, daß nicht die Ahnung, davon nach aussen gedrungen wäre. Hussens Freunde, seine von dem König Wenzesla ihm mitgegebnen Wächter, die Edlen von Chlum und Lanzenbrock wurden gewarnt; er selbst wurde ermahnt, auf seiner Hut zu seyn, aber sein unbegränztes Vertrauen auf Gott und Fürstenwort, – ein Bürge seines großen Herzens, – ließ ihn alle gutgemeinten Winke zu seiner Rettung übersehen. Furchtlos, wie sonst, wandelte er zu den Verhören, die von mehreren mit der Untersuchung seiner Glaubenslehren beauftragten Cardinälen gegen ihn eingeleitet worden waren, und er ahnte nicht, daß auf einem dieser Gänge das Unglück riesengroß auf ihn einschreiten würde.

[134] Der achtundzwanzigste November war ein heiterer Tag. Papst Johann, von einer geringen Unpäßlichkeit genesen, saß am halb geöffneten Fenster seiner Wohnung, um die sanft erwärmenden Strahlen der scheidenden Mittagssonne zu geniesen. Vor ihm stand Herzog Friedrich von Östreich in eifrigem Gespräch begriffen. Sein Auge blitzte, und die Rechte ruhte mit stolzem Bewußtseyn auf der Brust.

»Meine Quellen lügen nicht;« sprach er heftig: »Wenn ich Aufpasser aufstelle, so zahle ich königlich, und mir dient man besser, als dem Kaiser, der immer nur das Geld vonnöthen hat. Ew. Heiligkeit mag mir glauben auf Fürstenehre, ... sie vollführen's, ist's nicht heute, so ist es morgen ganz gewiß.«

Der Papst wiegte bedächtig das Haupt hin und her, schob das Fenster zu, und trat vertraulich zu dem Herzog.

»Laßt, lieber Sohn, die Schranken der Förmlichkeit zwischen uns fallen;« sagte er mit so anmuthiger Miene, als sie sein fnistres Gesicht nur zuließ: »Ihr gebt demnach den Huß verloren?«

»Unwiederbringlich;« erwiederte der Herzog, »die Cardinäle sind darüber einverstanden, glaubt mir's.«

»Hm!« meinte Johann: »im Grunde ist wohl an dem Heresiarchen nichts gelegen. Der Fanatiker predigt eine Kirchenverbesserung, wo beinahe keine nöthig ist. So lange wir – das sichtbare Oberhaupt der Christenheit diese Nothwendigkeit nicht einsehen – soll auch ein gemeiner böhmischer Pfaffe das Maul nicht unnütz aufthun.«

[135] »Vergebt, heil. Vater;« antwortete der Herzog, »nothwendig ist ein Umguß allerdings, doch ist er nicht bequem. Da steckt der Knoten.«

»Laßt das;« versetzte der Papst achselzuckend: »Wenn aber der Böhme ergriffen und gerichtet wird, wie steht es dann mit des Kaisers, wie mit unserm Wort, das, wir ihm gaben auf seine Unverletzbarkeit?«

»Mit Sigmund's Worte steht es schlecht, wie immer;« erwiederte Friedrich spöttisch: »Den Luxemburger kümmert ein Treubruch nicht, er ist aus einem Geschlecht, das an Geld stets Mangel, aber an leeren Eiden immer Ueberfluß hat. – Euer Wort könnt Ihr salviren, wenn Ihr gegen das Verfahren Euch verwahrt, von dem Ihr ohnehin nichts gewußt.«

»Wird aber die Welt es glauben, daß wir um unsrer Kardinäle Thun nichts gewußt?« fragte der Papst bedenklich.

»Ohne Zweifel;« äußerte Friedrich kalt: »Sie sieht schon jetzo in Euch nur den Gefangnen Eurer eignen Kirche.«

»Wie?« rief Johannes.

»Nicht anders«, bekräftigte der Herzog wie oben: »Täuscht Euch nur selber über Eure Lage nicht. Trotz der ehrfurchtgebietenden Pracht, die Euch umgibt, seyd Ihr wenig anders daran, als der rebellische Ketzer Huß. Droht Euch gleich nicht der Scheiterhaufen, so hängt doch ein verdammend Urtheil über Euerm Haupte, wenn nicht Eure Klugheit und Eurer Freunde Schutz dem Übel wehrt. Denkt selbst, [136] heil. Vater, welch ein Schauspiel Ihr der Welt gegeben. Ein Nachfolger des heil. Petrus, der dem Kaiser gehorsam gen Deutschland folgt, wo dieser für gut gehalten, ein Concilium auszuschreiben. Ein Papst, der unthätig hier auf denselben Kaiser wartet, der ihn hätte erwarten und empfangen sollen; ein Statthalter Jesu Christi endlich, der Nichts von dem weiß, was die um ihn versammelten Priester beschließen, wenn nicht ein Freund, oder ein durch Vaterland und Eigennutz mit ihm verbundner Pfaffe ihm es mittheilen. Was folgt aus Allem dem?«

»Ihr habt Recht, lieber Sohn;« entgegnete der Papst bekümmert: »O die böse, böse Zeit! Die Cardinäle, die über den Ort des Concils unterhandeln sollten, und von mir geheime Weisung erhalten hatten, in keinen zu willigen, der meiner Würde Nachtheil bringen möchte, haben mich verrathen. Zu spät werden sie einsehen, wie sie sich gebettet. Sollte der störrische Benedict triumphiren .....«

»Sorgt nicht, heil. Vater!« unterbrach ihn der Herzog: »Nicht Benedict, nicht Gregor wird siegen. Die allgemeine Stimme fordert, daß Petri Stuhl wieder erledigt, und neu besetzt werde. Euch darauf zu erhalten, fällt dem Kaiser nicht ein. Sein böser Wille log Euch frei Geleit, und wär's auch nicht böser Wille, ... der Schwächling vermag Euch nicht zu schützen gegen den Haß der Engländer, der Franzosen und der Deutschen, die Eure Legaten anders hätten behandeln können.«

»Welch einen Abgrund öffnet Ihr vor uns?« fragte Johannes bestürzt: »Gestaltet sich Alles, wie [137] Ihr sagt, so sehen wir keine Hülfe ab. Wir müssen unterliegen.«

»Das muß Ew. Heiligkeit nicht;« erwiederte der Herzog fest: »Wahrlich nicht, so lange Ihr auf Freunde rechnen könnt, deren starke Arme Euch über der Fluth halten. Ihr habt drei nicht unbedeutende Wächter für Eure Sicherheit aufgestellt durch kluges Werben. Östreich, Baden und Burgund halten Euch aufrecht gegen die gesammte Macht des Lützelburger's und seines Anhangs.«

»Dem Markgrafen traue ich nicht ganz«; versetzte Johannes bedenklich: »und der Herzog von Burgund ist weit. Wie, wenn im Augenblicke der Gefahr die beiden Stützen wichen?«

»Dann habt Ihr mich;« antwortete Friedrich mit kühnem Stolze: »Alles Erdreich ist Östreich unterthan! Das Wort ist ewig, und ich halt's Euch, sollt's mich Land und Leute kosten. Frei führe ich Euch von bannen, ohne daß man's wagen dürfte, Euch ein Haar zu krümmen.«

»Wackrer Fürst!« rief der Papst, von einer dankbaren Regung, übermannt: »Solcher Treue rühmen wir uns in Wälschland nicht. Ihr richtet uns auf in unserm Kummer, und niemand ist würdiger, der Bannerträger des heil. Stuhls zu heißen, denn Ihr, edler Habsburger. Der Herr der Heerscharen sey ferner mit Euch!«

Ein Gewoge und Gebrause wurde auf der Straße vernehmlich. Der Herzog trat an's Fenster, warf einen Blick hinab, und winkte dem Papste, mit den Worten: »Seht, seht, heiliger Vater, ob ich ein falscher [138] Prophet bin. Die Erfüllung folgt meiner Rede auf dem Fuße. Da kömmt der Huß die Straße herab, umringt von Partisanen und gebunden, wie mich dünkt. Das heutige Verhör hat demnach den Ausschlag gegeben!«

Der Papst eilte an das Fenster, trat aber alsobald schamroth zurück, da er den Verrathenen ersah, der in seinen Banden ruhig wie ein Heiliger daherschritt, und, als wollte er den heiligen Vater an sein gegebnes Wort mahnen, den Blick zu ihm in die Höhe warf. Des Volkes Auflauf tobte um den Gefangenen her, und die zum Tod entsetzten, in ohnmächtiger Wuth sich verzehrenden Freunde und Hüter des Dulders, waren durch die ungestüme Menge von seiner Seite gerissen worden. In geringer Entfernung von des Papstes Wohnung hatte ein neuer Auftritt in dem Zuge Statt. Ein untersetzter Kerl, der Diener eines italiänischen Doktors hatte sich Bahn durch das Getümmel gemacht, um den Ketzer zu sehen, dessen Verhaftung dem blindwüthenden Pöbel neue Waffen in die Hände gab. Die Wächter des Gefangenen, die jede mitleidige Seele mit Lanzenstößen von ihm jagten, ließen den frechen Burschen heran, der mit viehischer Roheit den Wehrlosen in's Gesicht schlug. Huß litt die Mißhandlung mit Standhaftigkeit und stummer Lippe, aber die Vergeltung saß der Unthat schon auf der Ferse. Ein junger Mann packte den tückischen Italiäner beim Kragen, und warf ihn mit einem Fußstoße zur Erde nieder. Zugleich sah er sich kampflustig mit geballten Fausten unter den Umstehenden um, erwartend, ob nicht jemand [139] Lust haben möchte, die Partei des Geschlagenen zu nehmen. Die Rechtlichern unter dem Volke und den Zuschauern an den Häuserfenstern riefen ihm Beifall zu. Das Gesindel fürchtete sich vor gleichwichtigen Schlägen. Um so mehr fiel aber die Begebenheit auf, als der Jüngling in die schwarze. lange Schleppentracht junger Subdiakonen gekleidet war. Die Kappe mit der Quastentroddel saß trotzig in die Stirn gedrückt, die Schleppe des Gewandes hatte der Kämpfer um den linken Arm gewickelt, den rechten Ärmel aufgeknöpft und aufgeschürzt. Mit einem derben Haarzauser entließ er den bestraften Wälschen, da ihm Huß zugerufen hatte: »Dank, junger Freund! schone aber in dem Verblendeten den Menschen! –« Eifrig begann er nun, während der Gefangene in die Gasse geführt wurde, wo das Kloster, sein angewiesener Kerker, stand, die alte Ordnung seines Kleides wieder herzustellen. Da vernahm er hinter sich die Worte, die eine volltönende Frauenstimme sprach: »Seht, mein Herr von Königseck! das wäre ein Mann nach meinem Geschmack. Schnelle Entschlossenheit und kecke That zieren das starke Geschlecht!« – Verwundert sah sich der junge Mann nach der Sprecherin um, und erblickte die herrliche Gestalt eines stolzen Weibes, das gerade mit einem Rückblick auf ihn, am Arm eines zierlich gekleideten Begleiters in die Thüre eines ansehnlichen Hauses trat. Der geschlitzte Hut mit bunten Federn bekränzt, den das Frauenbild auf dem braunen Haupthaar trug, die Perlenschnur, mit welcher ihre Stirne geschmückt war, das bauschige Gewand [140] mit Goldspangen und köstlichem Pelzbesatz, die gelben Schnabelschuhe mit Pelz gefüttert, und die schweren silbernen Schellen, die den breiten Sammtgürtel zierten, verriethen den Reichthum und den hohen Stand der schönen, trotz ihrer Blässe anziehenden Frau. Der junge Geistliche war von dem überraschenden Schauspiel fest gebannt auf seiner Stelle, bis ihn das Geräusch vieler an ihm vorbeikommenden Menschen erinnerte, daß er sich auf der Straße befinde. Der Herzog von Östreich kehrte mit seinem Gefolge in seinen Hof zurück. Prächtig gekleidete Zinkenbläser traten dem Geleite voraus, ihre blitzenden Instrumente ruhig in den Händen tragend, um sie an jeder Kreuzstraße erschallen zu lassen, den Ruhm ihres Gebieters zu verkünden. Trabanten in Östreichs Farben, die Hellebarden auf der Schulter, folgten, und hinter dem stolz flatternden Banner mit Östreichs und Tyrols Wappenschildern ritt der Herzog, umgeben von den Edeln seines Hauses. Pagen berührten seine Steigbügel, und den goldgeschmückten Zaum seines Pferdes, und besondre Leibwächter in blanken Brustpanzern, mit Mordäxten bewaffnet, schlossen sich unmittelbar, die Letztern des Zugs, dem Gebieter an. Das scharfe Auge des Letztern hatte schon vor des Papstes Fenstern den jungen Mann im geistlichen Gewande erkannt, und sein Finger winkte denselben an sein Pferd heran. Im weiten Kreise standen abweichend die Begleiter, die Straße sperrend durch ihr Stillhalten. Der Herzog bückte sich vertraulich über den Hals des Gauls zu dem Jüngling herab, und fragte halblaut: »Was macht [141] Ihr denn für Tollmannsstreiche, Dagobert? Faselt auf der Straße umher in dem Kirchenrock, der Euch nicht kleidet, und begeht noch obendrein das Verbrechen, Euch eines Unglücklichen anzunehmen! Das wird Euch Verdruß bringen und Haß erwerben.«

»Hatt' ich nicht Recht?« fragte Dagobert: »Ich scheere mich nicht um des Böhmen Lehre, aber Mensch bleibt Mensch, und Ihr, gnädiger Herzog, hättet an meiner Stelle nicht um ein Haar anders gehandelt.«

Friedrich besann sich einen Augenblick, dann nickte er zugebend mit dem Kopfe, sprechend: »Ich glaube es beinahe selbst, aber ... junger Patrizier ... wollt Ihr Menschenrechte vertheidigen, so zieht die Kutte aus. Man kann darin den Arm nicht frei regieren, so wenig als den Mund. Auf Wiedersehen!«

Er zog seines Wegs, und Dagobert ging den seinigen. »Der Herzog hat nicht Unrecht,« sagte er zu sich selbst, »aber wie ist das zu ändern? Für mein Leben gern kröche ich wieder in mein kurz Röcklein und handthierte mit dem Rappiere, aber der Mutter Gelübde, muß ich wohl halten. Wie glücklich sind diejenigen, die frei sich bewegen können, wie sie wollen, und den Kelch des Lebens trinken können, wo sie wollen, nur nicht am Altare. Ich Armer kann nichts thun, als sie beneiden, und muß zusehen, wenn sie hübsche Frauen heimführen dürfen, wie die, welche ich heute sah. Ich aber mag Psalmen singen, und Prozession laufen, oder den gewissenlosen Pfaffen machen, vor dem jeder rechtliche Christ das Kreuz schlägt. Das Letztere verhüte aber Gott!«

[142] »Ei, um aller Heiligen willen, deren Fürsprache mir auf dem Sterbebette Noth thun möchte! was ficht Euch an, daß Ihr also umherwandelt, bei hellem Tage, ein lebendiger Leichnam, ohne Sinn, Gehör, Gesicht und Wortes?« fragte Gerhard's Stimme plötzlich neben dem Patrizier, der verwundert aufsah, und mit einem bittern Lächeln antwortete: »I nu, lieber Hülshofen, ich freue mich kindisch auf den Augenblick, wo ich Papst seyn werde.«

»Wollte Gott, Ihr wärt's;« rief Gerhard, »so könnt' ich vielleicht auf Absolution hoffen, oder auf Dispens von den Fastenspeisen, die mir gegenwärtig wie Blei im Magen liegen. Unser Wirth im Engel, ein abgefeimter Spitzbube, der früherhin kaum am Freitage Fleisch, Butter und Eier wegließ, ist durch das Concilium so heilig geworden, daß wir Mittwoch, Freitag und Sonnabends nichts als Fisch, Mehl und Öl zu sehen bekommen.«

»Faste und bete, da Du nichts zu schaffen hast,« predigte Dagobert, und wollte von dannen, aber Gerhard hielt ihn zurück. »Thut mir doch die Liebe,« sprach der Edelknecht, »und gehet ein Sprünglein mit mir. Ich will mich eben zum Meister Thomas begeben, dem feinsten Waffen- und Messerschmid zu Costnitz. Ich lasse von seiner kunstfertigen Hand eine Klinge vom Rost säubern, und wollt Ihr einen Rückenklopfer sehen, wie ihn selbst Seine Majestät Kaiser Karl der Große nicht an der Hüfte hatte, so kommt mit.«

»Was sollen mir Eure Klingen?« fragte Dagobert lachelnd: »Ich fechte in Zukunft nur mit [143] Kerze und Weihwedel. Überdieß ist's mit dem Sonnenschein vorbei, der Schnee beginnt sich wieder in leichten Flocken einzustellen, und ich sehne mich nach der Ofenglut.«

»O pfui!« höhnte Gerhard: »Junges Blut! was will aus Euch werden? Kommt mit; wenn's Euch reut, die Waffe gesehen zu haben, so schlank und blank, daß schon das Anschauen allein in der Faust juckt, will ich nicht selig werden. 'S ist ja auch nicht weit. Ein Fünfzig Schritte zurück .... seht, dort, wo der Küraß mit Kolbe und Morgenstern über der Hausthüre zu sehen ist.«

»Dort?« wiederholte Dagobert, und mit einem kurzen: »Meinetwegen!« hatte er sich gedreht, und wandelte dem Hause zu, welches kein andres war, als dasjenige, in dessen Pforte die schöne Frau in der stolzen Schellentracht verschwunden war. Die Werkstatt hinten im Hofe, war erfüllt von lustigem Getöse. Der Blasbalg schnaufte, der Hammer klang, und zwischen durch Funkengeknister und Ambosgetön schallten fröhliche Lieder in schwäbischer, bairischer und Schweizer-Mundart, wie sie die Gesellen des Schmids aus ihrer Heimath mitgebracht hatten. Das kühne, unverdrossene Leben, das sich in dem schwarzen Gewölbe bewegte, lüftete wohlthuend Dagobert's Brust. Die starken Gestalten, die hier handthierten, der winterlichen Kälte wie der schmorenden Hitze zum Trotz halb entblöst bis zum Gürtel, schwangen rüstig die schweren Eisenkeulen, und das spröde Metall fügte sich ihren Streichen, unter welchen der Gesang nicht verstummte. Dort trug Einer eine Last [144] Kohlen zur Glut, hier löschte ein Andrer das weißgeglühte Eisen im dampfenden Wasser, dort wurden zierliche Stahlklingen glatt und blank gemacht, hier versuchte sich der Lehrling an der Vernietung einer Halsberge. Die Gewerbe der Messerer, Waffenschmide und Harnischer waren hier in Eins verschmolzen, und in der Mitte der tobenden Schar stand der stattliche Meister, mit prüfendem Blicke einen Turnier- und Brechhut musternd, der so eben fertig geworden war.

»Grüß Dich Gott, Thomas!« rief ihn Gerhard an: »Wie steht's, alter krausköpfiger Bursche? Was macht mein Stoßdegen? sitzt er noch im Roste, oder kann sich ein hübsch Mädel darin beäugeln?«

»Der Kaspar dort im Winkel putzt gerade den Bügel;« erwiederte Thomas: »wollt Euer Schwert betrachten, lieber Herr. Ich hab' den Griff mit baierschen Hauben beschlagen lassen. Er sieht fürnehmer aus, und haftet sichrer in der Faust.«

Gerhard schritt auf den bezeichneten Kaspar los, und der Meister wendete sich verwundert zu Dagobert: »Womit kann ich Euch dienen, geistlicher Herr?« fragte er: »Euer Gewand ist ein unerhörter Gast in meiner Werkstatt. Schwert und Panzer bedürft Ihr nicht; die Messer zu Eurer Tafel besorgt Eure Küchenmagd, und ich habe nicht einmal eine Tochter, noch ein Weib, denen zu Gefallen man sich wohl einmal in die rußige Höhle eines Schmids verirren möchte.«

»Ruchlose Gedanken!« scherzte Dagobert mit dem Finger drohend: »Vor der Hand bin ich indessen [145] hier nur in Begleitung jenes wackern Meisters vom langen Schwerts, der sich eine Freude daraus macht, dann und wann die Kirche zu schirmen. Setzest Du indessen durchaus einen andern Grund voraus, der mich zu Dir führt, so will ich mich zu Deiner Ansicht herunter lassen, und Dir eine Frage stellen, so kurz vom Zaune abgebrochen und so naseweis, als sich's gerade schickt. Wer ist die Frau, die in Deinem Hause wohnt, die Stattliche, prächtig Gekleidete? Mich drängts, darüber Auskunft zu erhalten, wahre Kunde, wohlgemerkt.«

»Hm!« versetzte Thomas schmunzelnd, und auf einen Menschen weisend, der mit verschränkten Armen und lächelndem Gesicht herzugetreten und aufgehorcht hatte: »Ihr könnt Euch an keinen bessern Kundmann wenden, als an diesen, hochwürdiger Herr! Er weiß von seiner Gebieterin vortrefflich zu berichten.«

Dagobert beschaute flüchtig das Antlitz des Empfohlnen, und fand es gemein, einer breiten Ochsenlarve nicht unähnlich, aber geeignet, Vertrauen einzuflößen.

»Es ist weiter auch kein Geheimniß dabei;« sprach der Breitstirnige gleichmüthig: »meine Herrin nennt sich das Erbfräulein von Baldergrün am Harzwalde. Sie ist, wenn nicht die reichste, doch auch nicht die ärmste Edeljungfrau. Zwei freie Sassen zinsen ihr, und, mich dazu gerechnet, zählt sie sechzehn Halseigne, die ihr dienen.«

»Wird sie lange hier verweilen?« fragte Dagobert mit steigender Theilnahme.

[146] »Weiß nicht,« erwiederte der Knecht achselzuckend: »doch sollt' ich's vermuthen. Es heißt, sie werde sich hier vermählen.«

»Vermählen!« rief Dagobert rasch: »Mit wem!«

»Meiner Treu!« lachte der Knecht: »Zweie lassen ihr die Wahl. Der Herr von Königseck, oder der von Montfort, einer von Beiden wird's am Ende seyn.«

»Ich danke Dir!« versetzte Dagobert unwillig, ohne der Ursache sich bewußt zu seyn, und kehrte dem Berichter den Rücken zu. Gerhard trat just mit seiner schöngeputzten Waffe herbei, und pries dem Jüngling ihre Vorzüge. Dieser überhörte jedoch Alles, was der Gewehrkundige von Bügel, Korb, Stahlschnitt, Knopf und Spitze sprach, und ging mit ihm hinaus, ohne von Meister und Knecht Abschied genommen zu haben. Thomas schüttelte den Kopf, und die Gesellen thaten's ihm nach. Sie konnten den jungen Geistlichen nicht begreifen; am wenigsten konnten's diejenigen, die ihn vor einer halben Stunde in rüstigem Fauststreit gesehen hatten, und nun sein blödzerstreutes Wesen nicht zu reimen vermochten. Der Knecht jedoch vermochte es am Besten: »Dem hat's mein Fräulein angethan;« brummte er pfiffig in den Bart, und ging hinauf, seiner Herrin zu berichten, es sey nun nicht mehr nöthig, nach dem jungen Manne zu forschen, wie sie ihm geboten; dieser habe selbst sich schon nach ihr befragt, und nur eines Winks bedürft es, ihn ihrem Befehle gehorsam zu machen, wenn sie anders Lust habe, ihm Befehle zu ertheilen.

7. Kapitel
[147] Siebentes Kapitel.

In Treuen fest

Wär' wohl das Best',

Doch hältst Du es nicht fast in Ehren:

Du Minnedieb,

Der Du zum Lieb

Nur, was Dir nicht ziemt, willt begehren!

Fastnachtspiel.


Seit mehreren Tagen hatte sich Dagobert nicht im Hause seines Oheims blicken lassen, und wurde doch von dem Letztern, wie von dessen Freundin Fiorilla sehnlichst erwartet, wenn gleich aus verschiednen Beweggründen. Sein endliches Erscheinen nach dem sonntäglichen Hochamte befriedigte die seiner harrenden Seelen. Zum großen Befremden des Jünglings schien weder der geistliche Zuschnitt seines Rockes, noch die ernste gesammelte Miene, mit der er eintrat, einen besonders günstigen Eindruck auf den Prälaten zu machen. Im Gegentheile: Er bewillkommte den Neffen finster und kalt; Fiorillens bedeutende Geberden und scheues Fortschleichen wiesen auf Sturm. »Ist es also,« – begann Monsignore, nach langer ungewisser Pause, – »ist's also, daß man sich vorbereitet zu dem heiligen Stande, den man zu ergreifen gedenkt, nach Gottes und des Oheims Willen? Schäme Dich dessen, was ich von Dir vernehmen mußte!«

Dagobert fragte schüchtern nach der Sünde, die er begangen haben sollte.

[148] »Du willst nicht wissen, Dich nicht entsinnen?« rief der Prälat: »verstockter, unbußfertiger deutscher Tollkopf! Ich will Dir erklären, was ich meine: Ein Jüngling von altbürgerlichem Geschlecht, zum Dienst der alleinseligmachenden Kirche bestimmt, in ihr Friedenskleid gehüllt, wird auf offener Straße ein faustfertiger Klopffechter, des Pöbels Widerpart! Um einen Ketzer zu vertheidigen, schlägt er einen Christen zu Boden! Das kann nur ein Deutscher thun, der ein gewaltig zahmes Herz lügt, und, dieß seinem Gegner zu beweisen, demselben kaltblütig eine Handvoll Haare, ein halbes Dutzend Zähne oder ein Auge ausreißt. Schäme Dich, bereue, und bitte sogedachte Frevel dem Herrn der Heerscharen ab. Noch einmal ein Wort für den Ketzer verloren, – noch einmal zu seinen Gunsten die Faust gezückt, und ich ziehe meine Hand von Dir ab. – Keine Einwendung! Ich weiß wohl, daß Ihr in Deutschland selbst im Chorrock das grobe bäurische Wesen nicht ablegt, das Ihr adelich Thun nennt; daß Eure Bischöfe und Stiftsherren sogar zu Gaule steigen, und Eure Thurneien und Ringelrennen mitmachen, als wüßten sie nichts anders zu treiben, als solche sündliche Lustbarkeiten. An Dir jedoch will ich dieß Unheil nicht erleben. Bereue dem nach, und begib Dich in Demuth hinweg, um Dich vorzubereiten auf den Besuch, denn Du Morgen bei Sr. Eminenz dem Erzbischof von Ravenna ablegen wirst. Ich tafle heute bei dem hochwürdigsten Herrn, und will den gerechten Zorn, den er gegen Dich empfindet, welchen ich bereits seiner Gunst empfohlen, in die gewohnte Milde umzustimmen [149] suchen. Doch thue ich dieses nur dieß Erste- und Einzigemal; wohl zu merken. Entferne Dich! –«

Dagobert nahm die Predigt stillschweigend hin, verließ ebenso das Gemach, und wurde von Fiorillen, die seiner auf dem Vorplatze wartete, unter Bedeutung der völligsten Heimlichkeit in ihre Stube gewiesen. – »Monsignore hält seinen Imbiß heute auswärts;« flüsterte ihm die Schlaue zu: »bleibt bei mir zu Gaste, und rührt Euch nicht, bis der Ohm von dannen ging.« – Dagobert ließ das Mädchen lächelnd gewähren, und verschmähte die leckre Kost an dessen Seite nicht. Nach einer langweiligen Stunde verließ der Oheim das Haus, und Fiorilla rüstete die Tafel mit ausgesuchter Zierlichkeit. Die Speisen wurden durch sie selbst heraufgeschafft, der umherlauernde Diener mit einem Trinkgeld vergnügt, und in's Weinhaus gesandt; die Thüre verschlossen, und Base und Vetter setzten sich in friedlicher Einsamkeit zu dem Mahle, geschmückt von den Kränzen der Ceres und des Bacchus. Fiorilla hätte nicht ungerne den kleinen heidnischen Gott, der gewöhnlich die Dreizahl voll macht, mit in die Gesellschaft gezogen. Aber umsonst. So freundlich ihre Worte und Geberden den kleinen Schalk einluden, so blieb er doch aus; er scheute sich vor Dagobert's Unempfindlichkeit, die, im Anbeginn unter der gleißenden Larve des unbefangensten Frohsinns verborgen, gegen Ende der Mahlzeit in ein nachdenkliches Schweigen überging. – Fiorilla's Spott rüttelte ihn aus demselben. »Da plaudre ich nun, und plaudre mir die [150] Zunge lahm,« rief sie schäckernd: »und Ihr sitzt da, wie aus Holz geschnitzt. Bekennt, was Euch so fühllos gegen die Rede einer jungen muntern Dirne macht, die Euch für ihr Leben gern gefallen möchte. Was ist's, das Eure Lustigkeit dergestalt herabstimmen konnte?« Ist's die Bußpredigt Eures Ohms, so schlagt sie Euch kühn aus dem Sinn. Er ist auch kein Heiliger. Ist's die Erinnerung an ein verlassenes Liebchen, so vertraut Euren Kummer meiner uneigennützigen Freundschaft. Oder wäre es vielleicht die Bewerbung um meines Herzens Gunst, die Euch auf der Zunge sitzt, und muthlos, nicht sich auszusprechen wagt ...? nur keck heraus damit. Wer weiß, sagte ich: »Nein« darauf.

Dagobert, ohne einen Augenblick in Verlegenheit zu gerathen, sprach nach kurzem Besinnen: »Lieb Bäschen! des Oheims Donnerworte sind mir schon nicht mehr im Gedächtniß«, bekümmern mich folglich keineswegs. Ich hörte, so zu sagen, eigentlich gar nicht auf sie. Eben so wenig denke ich um Eure Gunst zu freien. Soviel ich deren bedarf, um in Euch die uneigennützige Freundin zu schätzen, habt Ihr mir bereits zugewendet. Ein Mehreres verbietet mir mein Stand und die Liebe für den Ohm zu begehren. Auch denkt Ihr nicht daran. Daher darf ich Euch frank und frei vertrauen, daß Euer Scharfsinn den rechten Zweck getroffen, indem Ihr von einem verlassenen Lieb spracht, und von dem Gedächtniß an dasselbe. »Wenn Ihr's erlaubt, und nicht dem Oheim, mindesten nicht mit ärgerlichen Zusätzen, das Gesagte wieder sagen wollt, so möchte ich wohl [151] meinem Herzen Luft machen durch ein frei Bekenntniß, auf die Gefahr hin, von Euch gescholten oder ausgelacht zu werden, denn die Historie meiner Liebe ist nicht die gewöhnlichste.« – So schnell, auch die ersten Worte Dagoberts Fiorillens Antlitz mit Unmuth beschattet hatten, so schnell erheiterte dasselbe des Mädchens natürliche Herzensgüte, und die dem Geschlechte eigene Neugier und Theilnahme an Sachen der Minne. »Sprecht!« versetzte sie: »Freundschaft gelobe ich Euch, und Bewahrung Euers Vertrauens. Nicht dem Schilf am See, nicht dem verschwiegenen Ofen will ich gestehen, was ich von Euch erfahren soll, sey es eine Wahrheit oder gefällige Lüge!« –

»Keine Lüge, Mühmlein von Cesena;« versicherte Dagobert, »die lautere Wahrheit hingegen. Hört aufmerksam zu. Es mögen ungefähr zwei Jahre verflossen seyn – nein; zu nächsten Frühling werden es zwei Jahre; da gab der Rath unserer Stadt ein großes Kampfspiel auf dem Römerberg, zu dem alle gute und ebenbürtige Leute aus Stadt und Gegend geladen waren, und auf dem die altbürgerlichen Geschlechter mitstritten zu Pferd und zu Fuß.« Es wäre mein Tod gewesen, hätte ich mich von solchem stattlichen Rennen ausschließen sollen. Ich stach daher auch mit, in Stahlhaube und Panzer, und ritt meines Vaters tollstes Pferd, Trotzteufel genannt, das seines Gleichen sucht in Stärke und Unbändigkeit. Ziemlich eitel von Geburt, suchte ich meinen Stolz darin, den Gaul zu reizen mit Sporn und Zügelriß, daß er stieg, wieherte, sich herumwarf im Kreise, [152] und endlich, hinten und vorne ausschlagen, zu bocken begann, daß allen Zuschauern Hören und Sehen verging, und Sand und Kies hinaufsprühte zum Altan, wo die Stechgrafen saßen und die Frauen. Da ich mein Müthchen gekühlt hatte, und mich wendete, um gegen meinen Mitkämpfer anzusprengen, so hörte ich unfern von mir, von den Schranken herunter, ein boshaftes Gelächter schallen, und ersah einen häßlichen Kerl, der, in seiner ritterliche Tracht auf dem Geplänke sitzend, wie toll aufwieherte über meine Reiterkünste, während alle übrigen Zuschauer sie bewunderten. Ich drohte zürnend dem geputzten Wicht mit der Faust, und dachte er würde Ruhe geben. Statt dessen zieht mir der Bube eine boshafte Fratze. Darüber entrüstet, winkte ich schnell den Trompetern zu schweigen, meinen Gegner nicht anzusprengen; reite darauf gestreckten Zuges an die Planken hin, und schlage dem rothhaarigen Tölpel, – der das Turniergesetz verletzte, das jede Beleidigung und Störung der Kämpfenden verpönt, – mit der Glane dergestalt über die Affennase, daß er von seinem Sitze herab in den Straßenkoth purzelt. Da er ohne einen Laut von sich zu geben, noch irgend eine Urkunde seines Lebens dahinstürzte und liegen bleibt, gewinnt das Mitleid schnell bei mir die Oberhand. Ich schwinge mich, des Panzers ungeachtet, schnell vom Pferde und über die Schranken, und springe dem Elenden bei, der von neugierigen Zuschauer aufgehoben worden war. So wie ich aber dem Burschen das Wamms lüfte, schlägt er die Augen, auf, und stößt mich mit der geballten Faust zurück, wie ein Wahnsinniger [153] schreiend: »Fort! rühr mich nicht an, verfluchter Goi!« Durch diesen Ausruf verrieth er sich als einen Juden, und weckte auf's Neue meinen Zorn und den aller Umstehenden. »Ein Jude!« brüllte der Haufen, und hundert Fäuste erhoben sich drohend, denn es ist jedem aus dem Volke Abrahams streng bei uns verboten, einem feierlichen Spiele zuzusehen, weil der mißgünstige Blick des Zuschauers schon zum Schaden wirken kann, geschweige erst die tückische Zauberformel, deren sich oft die Juden bedienen sollen, um den Christen jede Lust in Leid zu verkehren.

»Das ist wohl ein Aberglaube!« meinte Fiorilla, und fuhr etwas verlegen mit dem feinen Tüchlein über die erröthende Stirne.

»Möglich!« versetzte Dagobert, gleichmüthig: »Ich sage nur, was uns von Kindheit an Amme, Eltern und Schulmeister einprägen. Genug; dem Rothkopf bekam seine Neugierde übel. Ich konnte mich vor Wuth, von einem Juden mißhandelt worden zu seyn, nicht fassen«. Rechts und links schmetterte ich mit dem Blechfäustling dem Buben in das häßliche Angesicht, und das Volk riß indessen die prächtigen Kleider in die er sich verkappt hatte, in Stücken. So hatten wir ihm eine gute Strecke von dem Schrankewerk hinweg das Geleite gegeben, als plötzlich einige alte Juden aus ihrer Gasse herbeieilten, sich darein mischten, den Bestraften ihren Freund und Verwandten nannten, und uns bei allen Verdiensten der Erzväter beschworen, inne zu halten. Ich wäre wenig geneigt gewesen, dem Geschrei und Gejammer der Langbärte nachzugeben, hätte nicht mit einem Male eine [154] seidenweiche Hand meine drohende Faust aufgehalten, und eine zarte Stimme zu mir emporgefleht. Verwundert blickte ich hernieder, und sah ein jüdisches Mägdlein vor mir stehen, in reizlose Tracht gekleidet, so wie dieß Volk gewöhnlich auf der Straße gesehen wird. Verächtlich stieß ich sie von mir, und wollte dem Haufen nach, der sich mit dem Mißhandelten und seinen Fürsprechern einige Schritte von meiner Seite gewirbelt hatte, da hielt mich das Mägdlein zum zweiten Male auf, und wenig hätte gefehlt, so wäre sie zu meinen Füßen gesunken. Mit einem derben Fluche wollte ich die Zudringliche noch einmal von dannen weisen, aber da mein Auge zürnend auf ihr Antlitz blitzte, da war im Nu mein Zorn vorbei, und nicht um die Welt hätte ich ferner ein hartes Wort zu der Dirne gesprochen, die mit den Blicken eines bittenden Engels aus dem groben Schleier sah, und mit der Zunge der Alles gewinnenden Demuth die Worte zu mir sagte: ›O schlagt nicht mehr, lieber Herr! schlagt nicht mehr! Zodick ist ja kein Hund; er ist unser Knecht, und wird sicher nimmer thun, was Euern Zorn gereizt!‹ –

Dagobert lehnte sich hier in den Stuhl zurück, drückte beide Augen, zu, als' suche er das gegebene Bild noch einmal aus der Vergangenheit zurückzuzwingen in die Gegenwart, und fuhr dann mit sanfter Stimme fort: Erwartet, liebe Fiorilla, keine Schilderung der Schönheit dieses Mädchens; selbst die Eure müßte ihr weichen. Erwartet eben so wenig einen Bericht, wie sich plötzlich mein Herz gewandelt. Genug, es war so. Der Leue war zum [155] Lamm geworden. Mein Grimm hatte den hämischen Buben der Rache überliefert, mein Fürwort entriß ihn den Klauen seiner Feinde. Als ihn nun seine Glaubensbrüder hinwegführten, fühlte ich einen heißen Kuß auf meiner Hand, und siedwarme Thränen. – Die Dirne war es, die mir also ihren Dank bezeugte. Die Hand zog ich zurück, doch nicht das Auge, das eingewurzelt schien in die Fülle von Liebreiz., die des Mädchens Antlitz darbot. Sie war aber umsichtiger als ich; ›Lebt wohl, guter Junkherr!‹ flüsterte sie, ›ich möchte Euch zwar gerne sagen, wie hoch ich Euch verehre, aber es ist Euch eine Schande, eine elende Jüdin auf offener Straße anzuhören, darum vergönnt mir nur dieß Andenken von Euch mir zuzueignen.‹ Sie bückte sich schnell nach einer schlechten Feder die meinem Helmbusche entfallen war, drückte sie heftig an die Lippen, verbarg sie im Busen, und entfernte sich rasch. Wie ein Träumender gieng ich zu dem Rennen zurück, aber mir war die Kampflust vergangen, ich mied den Kreis meiner Gesellen, die mit roher Schadenfreude das Abenteuer mit dem Juden ausposaunten; Küraß und Haube warf ich von mir, griff zur Laute, und verklimperte den Tag und den Abend im einsamen Stüblein. Je mehr ich aber klimperte, je näher trat mir das Bild des Mägdleins; trotz dem Abscheu, den ich von Kindheit auf gegen das ganze Volk der Hebräer hegte, wurde mir dieses Bild immer lieber, immer traulicher, so oft ich die Saiten rührte, die jetzt nur der Minne klangen, wie früher dem lustigen Scherz, – so trat die liebliche Gestalt in meine Zelle, neigte sich, und[156] schien mit dem Lächeln der Sehnsucht meinen Tönen zu lauschen. Wie selig war ich dann! Zwar sagte ich nur oft: du wirst noch den Veitstanz gewinnen, wenn das Gebreste so fort geht. Sey nicht aberwitzig und kein Dummbart, der sein Quentlein Verstand an das glühende Gesicht einer Dirne verliert, die nicht einmal an den Heiland glaubt. Mein Lehrmeister, der Predigermönch Johannes, ersah wohl meinen Trübsinn, meine wehmüthige Freundlichkeit, errieth deren Ursprung. »›Die Minne quält Dich und schafft Dir Herzeleid,‹ sagte er warnend, ›hüte Dich, mein Sohn, Du bist bestimmt der Jungfrau jungfräulich zu dienen, und darfst dem Geluste der Sinne nicht nachhängen. Bete, mache das heil. Kreuzeszeichen so oft der Versucher zu Dir tritt, und genese!‹ – Ich folgte seiner Lehre, ich betete, schlug das Kreuz, und genas doch nicht. Im Gegentheil: ich lernte immer mehr das verführerische Siechthum lieben, in das ich verfallen war.«

»Ihr Glücklicher!« rief Fiorilla, ausbrechend in wehmüthige Theilnahme: »Euch haben die Rosen des Lebens geblüht; nicht jeder sieht diese Blüthen mit unentweihtem Sinn!«

»Mein Sinn war rein, und ist es noch jetzt;« betheuerte Dagobert, »aber im selben Grade ist kräftig meine Brust, und gesund mein Herz. Die Minne und ihre Sehnsucht wischten nicht das Roth von meiner Wange. Der Trübsinn, eine fremde Erscheinung in meinem Leben ward nach einiger Dauer von der Fröhlichkeit niedergekämpft. Ich nahm wieder Theil an den Festlichkeiten der Stadt und der Geschlechter, [157] an den Gelagen meiner Jugendgesellen und Gefährten, ich stieg wieder zu Pferd, und besuchte Forst, Hain und Flur. Endlich glaubte ich es ohne Nachtheil wagen zu dürfen, meine Thorheit, wie ich's' nannte, herauszufordern. Ich ritt durch die Judengasse, und hoffte diejenige zu sehen, die mir's angethan, hoffte dem unbegreiflichen Zauber Hohn zu sprechen mit gestähltem Herzen. Aber ... seltsam ... schon beim Eintritt in die schmutzige Straße, winkte der Bann auf's Neue. Ich, der sonst nur Muthwille halber hier meinen Weg durchnahm, die Buben und Mägdleins der Ebräer durch das wüthende Dahersprengen meines Rosses erschreckend und in die Flucht treibend; .. ich, der zuerst unter dem Jubelruf der Freunde es unternommen hatte, in eine jener alterthümlichen Judenhütten einzureiten, zu Pferd meinem Besuch in der Stube zu machen, wo der Hausvater mit den Seinen zu Tische saß, und beinahe den Tod hatte vor Schrecken ob des höhnenden Gastes, der die Runde um die Tafel machte, das Estrich aufwühlte, und mit Spottgelächter über die in Staub krachende Schwelle seinen Abzug nahm; ich ließ jetzt das Pferd langsam gehen, und spähte sorgsam nach beiden Seiten zu den erblindenden Fenstern auf, ob ich nicht die Holde gewahren möchte, welche mich berückt. Und siehe ... wie verabredet erschien ihr Antlitz, ihre Gestalt unter der Thüre eines Hauses, des ansehnlichsten der Gasse. Mit gespannter, überraschter Aufmerksamkeit schaute sie zu mir empor, und ein neuer Reiz schmückte ihr heute von Locken und zierlichen Zöpfen bekränztes Haupt, die Rosenglut [158] der Scham, der feurige Wiederschein erfüllter Sehnsucht. Ich zwang meine hochklopfende Brust zur Ruhe, meine von schmerzlich süßem Leid gespannten Züge zu kalter Gleichgültigkeit und trabte vorüber. Die Dirne grüßte nicht ...... obgleich sie mich nur allzuwohl erkannte; die Vorsichtige schonte mein Gefühl. Sie blickte mir aber nach, so weit die krumme Gasse es verstattete, und da ich an der Ecke zurückschaute, winkten mir noch ihre Augen, wie freundliche Sterne. Seitdem sah ich sie oft, denn der neugestärkte Zauber trieb mich Tag für Tag zur selben Stunde durch den von Pferden und Reitern selten besuchten Stadttheil. Und wie an der eingestürzten Pforte der Straße meines Rosses erster Hufschlag erklang, so klang auch das Fensterlein jenes Hauses, und das Zauberkind umgarnte mich mit neuen, allzulieben Schlingen. Ihr lächelt wohl, lieb Mümchen, wenn ich Euch sage, daß über ein Jahr diese seltsame Minne bestand, ohne ein dollmetschendes Wort zu finden; kaum einen dollmetschenden Blick, da ich immerfort, wenn gerade nicht Kälte, doch eine Ruhe heuchelte, die mir, – sah ich die Schöne, – so fremd war, wie der Galle die Süßigkeit des Honigs.«

»O ihr Deutsche!« lächelte Fiorilla, »zögernd legt ihr selbst die Riegel vor das Paradies.«

»Mit Recht!« erwiederte Dagobert: »Steht die Pforte offen, so ist's das Paradies nicht mehr. Hinter den Bergen die unsere Fluren bekränzen, denken wir uns schönere Auen, blühendere Matten, und finden, – haben wir die Höhen überklettert, – nur die gewohnten Büsche und Felder wieder. Begehren [159] ist Lust; im Genusse wird sie stumpf. – Ich ritt also fort und fort meiner schönen Jüdin zu Hofe, und gefiel mir in der Sonderbarkeit meiner Neigung. Da geschah es, daß an einem Abend des verwichenen Sommers, – die Wächter hatten die zehnte Stunde abgerufen, – Feuer entstand in der Nähe der Judengasse. Ein Reiterknecht war mit brennendem Spann in den Stall seines Gauls gegangen, und ein Funke hatte den Brand geweckt. Die Feuerglocke heulte vom Thurme, und auch in meine Klosterstille drang das Getümmel der zum Brand fluthenden Menschenmenge. Schnell war ich entschlossen meine thätige Hülfe nicht zu versagen, schnell hatte ich mich in die Kleider geworfen, und kam athemlos auf dem Platze an, wo längst dem Mainstrom eine Reihe von Ställen, Heuschobern und Werkhütten in vollen Flammen stand. Unser Volk ist brav und rüstig, wo es zu retten gilt. Wasser wurde herbeigeschleppt von allen Orten und Enden; schon einigemal hatte ich auf meinen Rücken den vollen Bottich herzugetragen, und noch einmal ihn zu füllen, lief ich weg aus dem Getöse, da fiel mir eine weibliche Gestalt in die Augen, die, da wo man eingeht in die Judengasse, unter dem Vorsprung eines Hauses auf eine Bank niedergesunken schien. Entfernt von dem Gewühle der Menschen, forderte der Anblick der hüflos Verlassenen, vielleicht Ohnmächtigen, mein Mitleid auf. Ich trat zu ihr; erstaunt, ein köstlich geschmücktes Mädchen zu finden, dem nur der Schrecken die Kraft versagt hatte, weiter zu gehen; .... entzückt zugleich in der festlich Geputzten die zu erkennen, die schon [160] so lang in meiner Seele lebte. Wir waren beide nur allzusehr betroffen, und kaum konnte ich die Worte stammeln: ›Mein schönes Kind, wie kommst Du hierher, in diesen Gewändern? hier ist doch Deine Stelle nicht!‹ – ›O Herr,‹ versetzte sie hierauf schüchtern und demüthig: ›Zürnt mir nicht. Das Entsetzen mag mich entschuldigen, wenn ich Unziemliches gethan. Wir feierten den Sabbath, der gerade heute eingegangen, geschmückt mit unserm Köstlichsten, als die Feuerglut entstand. Mein Vater und Großvater wurden aus dem Hause gerissen, und mit Schlägen zum Löschen angetrieben. Die Angst vermochte mich, ihnen zu folgen, doch verlor ich sie aus den Augen, und sank hier halb ohnmächtig zur Erde.‹ – Während dieser erläuternden Rede hatte ich mich nicht abwenden können, von der hohen Schönheit, die hier, in abenteuerlichen Prachtgewändern, wie sie wohl nur das Morgenland erfunden, vom fernen Glutshain zauberisch beleuchtet, der Reize höchste dem Bewunderer verrieth. Die funkelnden Ketten und Armbänder, das Geschmeide im Haare, der Perlengürtel konnten die Herrliche nicht schöner machen. Aber zu einer jener Feenköniginen verklären, von denen die Minnedichter singen, und die schon oft das Glück eines Sterblichen begründet haben sollen. ›Wie hold bist Du!‹ flüsterte ich der Lieblichen in's Ohr, und stürmisch klopfte mein Herz, da sie züchtig und leise antwortete: ›Niemand begehre ich zu gefallen, denn Euch, mein Herr.‹ – Herr? fragte ich mit leisem Vorwurf; Herr? warum nicht Freund? Ich schmiegte sie in meinen bebenden Arm, sie entzog sich aber demselben [161] und küßte meine Hand. ›Nicht so,‹ sprach sie, ›Freund dürft Ihr mir nicht seyn, wohl darf ich Euch jedoch meinen Herrn nennen, dem ich zu eigen seyn muß für und für.‹ ›Du mußt,‹ versetzte ich lächelnd; ›warum? der Grund?‹ – Nun drückte sie meine Hand an ihren Busen, an ihre Stirne, dann von neuem an den Mund, und ich meinte, sie würde meine Finger versengen mit dem glühenden Hauche ihrer Lippen. Befremdet ob solch leidenschaftlichem Thun, richtete ich das Mädchen ernst auf, und sagte zu ihr im selben Tone: ›nicht wolle es sich länger ziemen, mit ihr auf freier Straße zu kosen; ich sey bereit sie nach Hause zu geleiten.‹ Sie wollte das nicht zugeben, und wir hatten den Streit nicht beigelegt, als eine lange grobe Gestalt um die Ecke tölpelte, mein Mädchen plötzlich stille schwieg, ihren Finger auf meinen Mund legte, und sich in den tiefsten Schatten des Vorsprungs zurückzog. ›Esther! Esther! wo steckst Du denn?‹ rief der ungebetene Gast mit rauher widerlicher Stimme, in der ich gleich die des Buben erkannte, der mich auf dem Turniere beleidigt hatte. Nun juckte es in der Faust, aber ich bezwang mich, und gestattete es, daß die Gerufene sich völlig hinter mir verbarg. Der rothköpfige Knecht starrte mich einen Augenblick an, wich aber auf mein rauhes: ›Wer geht da?‹ scheu zurück, und näherte sich dem Gewühle der Löschenden, immer den Namen des Mädchens rufend. Wir schlüpften alsdann in die menschenleere Straße, und gelangten unter freundlichem Kosen an Esther's Haus. Die Schatten des Hausganges nahmen uns auf. Hier fragte mich [162] Esther, ob sie mich wiedersehen werde. Bald zum Letztenmale, antwortete ich, und vertraute ihr, ohne meinen Namen genannt zu haben, wie ich zum Dienste des Altars bestimmt sey. – Sie seufzte tief, faßte sich jedoch bald, ›Als Priester dürft Ihr Euch nicht verehelichen, nicht wahr?‹ fragte sie lebhaft. Kopfschüttelnd schwieg ich. ›O dann ist's recht!‹ sprach sie: ›Dann bleibt Ihr mein Gebieter, und ich Eure Magd, wenn uns auch weite Länder trennen. Dann werde ich nicht sterben vor Gram, Euch an der Seite einer geliebten Hausfrau zu wissen‹. – ›Wie kannst Du meiner ferner gedenken,‹ fragte ich: ›meiner? des Priesters eines Glaubens, den Du hassest?‹« – »›Denket das nicht,‹ antwortete sie: ›Ich hasse nicht Eure Lehre, nicht Euren Messiah.‹ – ›Wenn auch das wäre,‹ fuhr ich fort: ›so wird es, fürchte ich, Sünde seyn, wenn ich Dein Bild bewahre, das der Verläugenden?‹ – ›Ist das eine Sünde,‹ erwiederte sie schnell, ›so kommt zurück, wenn Ihr Priester seyd, und tauft mich. An Eurer Hand gehe ich gern in Euer Himmelreich, ohne das ewige Jerusalem zu schauen‹. ›Aber freilich,‹ setzte sie stockend hinzu: ›freilich müßte das erst geschehen, wenn der Vater todt seyn wird, und der Altvater Jochai. Denn es würde ihnen das Herz brechen, und ich möchte sie gerne in Frieden dahinscheiden sehen.‹ – Dieser ungeheuchelte Beweis einer reinen Seele zog meine Lippen an die Ihrigen. Der erste und der letzte Kuß ward zwischen uns gewechselt. Herannahendes Geräusch scheuchte mich aus dem Hause, und nimmer habe ich seitdem die Reizende gesehen. Ost trabte [163] ich durch die Gasse, nimmer ließ ihr holdes Bild sich mehr schauen, und mein Schicksal riß mich von dannen, ohne mir das Glück des Lebewohls zu gönnen.«

Fiorilla trocknete eine Thräne, und neigte sich dankend zu dem Erzähler. – »Wie soll ich Euch das Vertrauen vergelten, dessen Ihr mich gewürdigt? Ihr habt mir das Geheimniß Eures Lebens geschenkt, ... ich kann Euch kein Ähnliches vertrauen.«

»Vertraut mir nichts, Fiorilla!« unterbrach sie Dagobert ernst: »Ich bin Euch zu hold, als daß ich Euch vor mir erröthen sehen möchte. – Bedauert hingegen mein Mißgeschick,« fuhr er, muntrer werdend fort; »das mich beinahe zwingt, das Andenken, das ich treu bewahrte, aufzugeben für ein Andres. Ich hätte meinem Herzen nicht so viel Wankelmuth zugetraut; der Flattersinn muß im Blute stecken. Ein ander Frauenbild hat mich schier bethört; Esther und dieses holde Weib streiten in meiner Brust, und dennoch ist Keine auf Erden mir bestimmt und erlaubt.«

»Verwahrt darum Euer Herz;« entgegnete Fiorilla schelmisch: »Wer ist aber die, die ihr zu lieben besorgt? Erleichtert Eure Brust. Ich wage nichts bei Eurem Bekenntniß, da Ihr mir schon versichert habt, ich sey nicht im Stande, Euere Empfindung in Aufruhr zu bringen. Ihr wagt noch viel weniger, denn das Wichtigere habt Ihr mir schon entdeckt.« –

Dagobert erklärte sich auch scherzend bereit, und erzählte das Nachspiel zu dem Abenteuer auf der [164] breiten Straße, wo er den gefangnen Huß gegen die Roheit seines Beleidigers vertheidigt hatte. Und da er nun die Gestalt seiner neuen Huldin, wie das Haus beschrieben hatte, in das sie gegangen, so warf sich Fiorilla lachend in den Polstersessel zurück, und vermochte im Anbeginn, auf alle Fragen Dagobert's nichts anders zu erwiedern, als eben das schallendste Gelächter. Der junge Mann stand endlich verletzt auf, und wollte sich mit finsterm Gesichte entfernen. Fiorilla hielt ihn jedoch zurück. »Grollt, mir nicht;« stammelte sie, nach Luft athmend: »Das Zusammentreffen ist zu seltsam und zu lustig. Man rede noch einmal von der Stimme des Bluts, von angebornem Haß und Vorurtheil, der auch mit verbundnem Auge seinen Feind erkenne. Diejenige, die Ihr meint, ist niemand anders als Eure Schwester Wallrade, die sich gewiß nicht träumen ließ, daß es ihr gelingen würde, den abgeneigten Bruder in einen sehnsüchtigen Minneknaben zu verwandeln ......«

»Wallrade!« fragte Dagobert staunend: »Wallrade, das Fräulein von Baldergrün? Der Name des Besitztums, das ihr Monsignore zum Geschenk machte;« erklärte Fiorilla. »Sie verabscheut ihren Geschlechtsnamen, da Eure Stiefmutter ihn führt.«

»Thörin! eitle, selbstsüchtige Thörin!« rief Dagobert: »Wahrlich, lieb Bäschen, Ihr hättet mir keine wirksamere Arznei geben können, als mir der Name Wallrade wurde. Wo hatte ich meine Augen, daß ich, wenn gleich nach so langer Zeit, Diejenige nicht erkannte, die mir des Leid's viel, und Nichts zu Liebe gethan. Toller, toller Zufall! Mich ergötzt [165] es, daß auch sie blind gewesen und mich nicht erkannt. Wie gut ist's, daß sich noch nicht die Gelegenheit dargeboten, ihr den Hof zu machen. Wie würde der Hageprunk über meine Kurzsichtigkeit gespöttelt haben! Habt Dank, gute Fiorilla. Empfangt meinen herzlichen Händedruck für Eure Wohlthat. Ich bin nun gesund, und kann über meine Narrheit lachen. – Er überließ sich auch dem ungebundensten Frohsinn.«

»O des leichten, wandelbaren Bluts!« scherzte Fiorilla: »Ihr könntet mein Landsmann seyn.«

»Arme Esther! Bei solchem Flattersinn wird Dein Gedächtniß schwinden, früh oder spät, wenn ich's gleich heute vor aller Gefahr zu schützen so glücklich war.«

»Ihr bereut den Dienst doch nicht, den Ihr dem Judenmägdlein erwiesen?« fragte lächelnd Fiorilla:

»Ihr, die Nichte ... die Freundin eines rechtgläubigen Prälaten? Wahrhaftig, ich muß Eure Duldung bewundern, die Kirche, Gesetz und des Pöbels Eigensinn verdammen.«

»Leider!« erwiederte Fiorilla seufzend: »Ihr möchtet leichtlich staunen, eine Wälsche, welche die Madame verehrt, also sprechen zu hören. Vielleicht wird Euch jedoch meine Hinneigung zu der liebenswürdigen Esther erklärlicher, wenn ich Euch sage, daß ich keineswegs aus Cesena, sondern aus dem Ghelto zu Rom stamme, meine Eltern früh verlor, und durch die Milde Eures Ohms in eine Bekehrte verwandelt wurde.«

[166] Dieses überraschende Geständniß kitzelte Dagobert's Zwergfell auf's Neue und Heftigste. »Hoho!« rief er, lachend wie ein Verrückter: »kann denn auf dem Brocken in der Walpurgisnacht einem Hexlein etwas Tolleres begegnen, als mir? Es gränzt an's Mährchenhafte. Ich liebe eine Jüdin und meine Schwester, und meine Vertraute ist eine Neugetaufte! Nein, ich muß mich lossagen von solchen Banden, damit mir's nicht ergehe, wie den böhmischen Ketzern, und darum guten Abend, holdes Heidenkind!« –

Schnell hatte er einen Kuß auf Fiorillens Wange gepreßt, und polterte lachend die Treppe hinunter. Unter der Pforte rannte er an seinem heimkehrenden Oheim, der ihn, Dank sey es der Dämmerung, nicht erkannte, aber durch ein halb ängstliches: »Wer da! wer seyd Ihr?« festzuhalten dachte. »Ein Rabbiner, der von Euch bekehrt seyn möchte!« brummte der Spottvogel im tiefsten Register, schob den Staunenden bei Seite, und entsprang.

8. Kapitel
[167] Achtes Kapitel.

Weihnachtsfreude, Weihnachtslust!

Öffnest segnend jede Brust!

Nacht, die unsern Herrn geboren,

Zur Versöhnung auserkoren –

Du vereinest, die sich hassen,

Daß sie ihren Groll verlassen.

Doch, wie nur Dein Bann verweht,

Schnell die Schlange neu ersteht:

Und sie flieh' mit scheuem Bangen,

Die sich freundlich kaum empfangen!

W.


So wie der Meistersänger, dem es vergönnt ist, vor großer Gesellschaft seine Kunst zu zeigen, – nachdem er die Ohren seiner Zuhörer mit den sanften Gesängen der Minne, mit schwärmerischen Balladen und klagenden Liedern ergötzt hat, – auf einmal aus der weichen Tonweise in die harte umspringt, und die Saiten rührt zum fröhlichen steyrischen oder hungarischen Tanz, und eine Melodei nach der andern aufspielt, bis das junge Volk das Morgenroth herbeigestampft hat; .. also war Dagobert rasch und leicht seiner zufälligen Schwermuth enthoben, und schwamm wieder – mit Gerhard zu reden – wie ein lustiges Fischlein auf träglicher Lebensfluth, unbesorgt vor Strudeln und Abgründen. Wie ein Fuchs um die schlau erspürte Falle im weiten Bogen von dannen schleicht, also schlich er um Wallradens Haus, und war seelenfroh, daß sie ihm nicht wieder begegnete. Alle unfriedlichen Auftritte [168] seiner Jugend waren ihm lebhaft vor's Gedächtniß getreten, und er konnte sich der ärgsten Dummheit schelten, daß er sein Schwesterlein schön gefunden, sie, die wie eine böse Nixe ihm alle Freude verdorben hatte, von jeher. An Esther dachte er freilich oft, mit Sehnsucht und stillem Behagen, aber ... war sie nicht fern von ihm? nicht auf ewig von ihm getrennt? Darum schüttelte er alle Sorge von sich, und lebte mit den Lebendigen, mit den Fröhlichen, deren Viele damals zn Costnitz versammelt waren. Vergebens meisterte ihn sein Ohm mit aller Strenge, vergebens überhäufte ihn der Erzbischof von Ravenna mit vielem unnützen Geschreibsel zum Behuf der vorzubereitenden Sessionen: demüthig hörte er Monsignore's Lehre an, geduldig, aber schnell, that er die Arbeiten des Cardinals ab; doch, war sein Nacken, sein Ohr wieder auf einige Stunden frei, so sah man ihn alsobald im Kreise muntrer Freunde. Sein ernstes Kleid war überall willkommen, weil der Schalk, der gutmüthige Schalk, darunter verborgen war; die Frauen und Dirnen der besten Geschlechter sammelten sich um ihn, den freundlichen Sänger, den fertigen Lautenspieler, den erfinderischen Mährleinschmidt; die Männer schätzten in ihm den geübten Reiter, den erfahrnen Waidmann und Falkenabrichter, und den unverzagten Zecher. Die Geselligkeit schmückte ihn mit ihren besten Kränzen, und seine Laune wuchs wie eine Pappel in wälschem Boden, schnell und hoch, daß bald in der ganzen Stadt von nichts Anderm gesprochen wurde, als von Junker Fröschleins Schwänken. – »Recht so!« sagte [169] ihm einst sein Gönner, Herzog Friedrich: »was ich von Euch höre, gefällt mir wohl. Der Most muß brausen, der Bursch austoben; vorab, wenn er in die härne Kutte schlüpfen soll. Wie lange dauert's, so werden Eures Ohms Geschäfte allhier geendet und Ihr gemüßigt seyn, ihm über die Berge zu folgen, hinter denen deutsche Ehrlichkeit das letzte Paternoster betet. Dann werdet ihr werden müßen, wie sie Alle sind, aber wenigstens aus dem Vaterlande die Erinnerung einer kräftig freien Jugend mit Euch in's Grab nehmen, an dem Euch ohnehin keine Lieben nachweinen dürfen. Laßt Euch drum nicht stören in Eurer Freudigkeit, so lange sie neben Sitte und Zucht bestehen mag, und hütet Euch nur vor lüsternen Weibern. Einen Haus- und Kernfluch verzeiht der liebe Gott, eine Ohrfeige im Streite ist kein Todtschlag, ein Rausch besser, denn ein Fieber; aber der Kuß einer falschen Delila stellt wahrlich eine scharfe Schere vor, die Manneskraft und Simson'shaar mit einem Schnitte verschändet. Deßhalb erfreut sich auch unser allergnädigster Kaiser einer werdenden Glatze, und sein Leibscherer hat bereits, wie man vernimmt, alle Mühe, den Übelstand durch künstliche Verflechtung des Haupthaars zu verbergen. –«

Dagobert schwieg, lächelte aber im Stillen, über den leidenschaftlichen Spott, der, – im Übrigen dem biedern Gemüthe des Habsburgers gänzlich fremd – beständig vorleuchtete, sprach er von Sigismund. Der Herzog fuhr indessen schmunzelnd fort: »Der gnädigste Herr wird, wie es verlautet hat, heute oder morgen[170] zu Costnitz einreiten. Ein kluger Gedanke! Die Weihnachtsfeier wird uns demnach den Heiland der Christenheit bringen. Die friedenstiftende Majestät wird ihren Einzug halten, da man in den Kirchen singt: In dulci jubilo! – Es thut mir leid,« setzte er rasch abbrechend hinzu, »daß ich zum Empfang des Herrn, Satteldecke und Steigbügel putzen muß, sonst fände ich wohl noch Gelegenheit, mich länger mit Euch zu unterhalten, guter Dagobert!« – Der Letztere verstand diese schon manchmal vorgekommene Beurlaubung, die immer auf die steigende Galle des Herzogs deutete, und entfernte sich alsobald. – Da er jedoch heraustrat auf die winterlich beschneite Gasse, über die der dunkelblaue Himmel so eben seine ersten Sterne heraushing; da er über den Markt schritt, wo in Hütten von Holz und Segeltuch allerlei Spielwerk und Leckerzeug feilgestellt wurde, zur Freude der Kinder, die am heiligen Abend damit beschenkt werden sollten, einer heitern Sitte gemäß; – da wich in ihm die Erinnerung an des Herzogs Worte dem mächtigern Gedächtniß der fernen Heimath und der entschwundnen Jugendjahre. Denn sie war wirklich unvermerkt herangekommen, die fröhliche Weihnachtszeit, der lichte Stern an trübem winterlichen Himmelszelt, das gemüthliche Fest; Eines von denen, die die heitre Kette schlingen um Haus- und Kirchenaltar, das bürgerliche Leben mit dem Glauben an ein Göttliches, an ein Jenseitiges verbinden. – Eine freundliche Wehmuth, die man gern und gastlich in den Busen aufnimmt, weil ihre Pein lebensstärkenden Balsam bereitet, bemeisterte sich der [171] Brust Dagobert's, und was alle Ermahnungen seines geistlichen Schirmvogts nicht vermocht hätten, brachte sie zu Wege. Der junge Mann schloß sich ein in sein Gemach, fern vom Geräusch der Welt, und saugte an den Blumen der Erinnerung. Sein redlich Herz drängte ihn, diese goldne Zeit seiner Knabenfreuden zu feiern, wie es einem wackern Jüngling zustehe. Wie beklagte er es, daß ihm die Mittel nicht beschieden waren, das Glück eines Menschen zu gründen. Wie bedauerte er, daß er keinen Todfeind wußte, den er hätte versöhnt in die Arme schließen können! – Da fiel ihm plötzlich seine Schwester Wallrade ein, gegen die der beinahe vergeßne Groll wieder neu in seinem Herzen aufgeflackert war. – Ja, rief er nach kurzem Bedenken: Ich will ihr die Hand zur Eintracht bieten, und das feindliche Verhältniß in ein freundliches umgestalten, und also den Christtag würdig begehen. Dazu helfe mir Gott und Esther's Gedächtniß; das Andenken des lieben, aber unglücklichen Mägdleins, der die Segnungen unsers Glaubens und seine erhebenden Feste unbekannt sind! – In seinem Stüblein brachte er die Stunde zu, bis der Weihnachtabend sich still und kalt herniedergesenkt hatte über Stadt und See. Nun litt es ihn nicht mehr im engen Hause. – Das Geräusch des kaiserlichen Einzugs der am Tage Statt gefunden hatte, war nicht vermögend gewesen, ihn seiner Einsamkeit zu entreißen. Der kalten Nacht gelang es, und verhüllt, wie ein Geist, schritt er nach dem Mauerdamm, an dessen Grundfeste die Wellen des Bodensees brausend anschlugen, des Frostes spottend, der [172] bisher fruchtlos versucht hatte, ihnen Eisfesseln anzulegen. Des Jünglings heitrer Blick schweifte über das dunkle deutsche Meer nach den Gebirgen des Appenzells, die in ihren Schneegewändern wie riesige am Himmel gelagerte Geister und Weltwächter herabsahen auf die stolze Bischofsstadt. Alle Glocken des Thurgaus, des Gallenstifts und der schwäbischen Ufer sangen ihr feierliches Lied über des See's Spiegelfläche, auf welcher das wandelnde Mondbild dahin glitt, wie eine Silberscheibe auf ebener Eisbahn. »Gelobt seyst Du, Nacht des Heils;« sprach Dagobert mit demjenigen erheben den Gefühl, das das einfachste Menschenwort zum Gebete stempelt: »Vor länger denn tausend Jahren brachtest Du uns den Glauben, schöner und sanfter als der Mondstrahl, der Dich heute erhellt. Aber noch jetzt, so oft Du wiederkehrst, senkt sich Friede und Freude in die elendeste Hütte, wie in die stolzeste Fürstenburg der Christenheit. Du milde Nacht, den Unschuldigen hold und ein ersehnter Gast, schenke auch mir den Frieden, Deinen Begleiter. Schenke ihr dereinst Dein gnadenvolles Licht, ihr, die noch im Dunkel wandelt, damit ich jenseits sie wieder sehen mag, mit der hienieden keine Vereinigung mir erlaubt ist. Lenke das Herz derer, die mich hassen, zur Liebe und Versöhnung, und mache alle glücklich, die mir fromm auf dem Lebenspfade die Hand bieten!« – Eine Thräne zitterte im Auge des Betenden; er schämte sich ihrer nicht. Sein Herz war beklommen, aber nur von süßer, ruhiger Wonne. Keiner Schuld sich bewußt, kehrte er in die Stadt zurück, wo die Menge[173] durcheinander wogte, wie am hellen Mittage. Alle Fenster waren hell erleuchtet; in dem erbärmlichsten Häuslein brannte ein kümmerliches Licht. Überall, wo Kindersegen daheim war, ragten dunkle Tannenbäume empor, mit den Früchten des Herbstes geschmückt und mit schwankenden Kerzen, die sich auf den Zweigen wiegten, wie die Vöglein des Waldes. Festlich geziert alle Stuben, Mohnklöse und Leckereien auf jedem Tische, Entzücken in jedem Kinderauge, wonnevoller Dank zum Höchsten in jedem Vater- in jedem Mutterblicke. Hier tummelten sich muntre Knaben um den hölzernen Gaul mit Federn geschmückt, und träumten sich zum ebenbürtigen Ritter, zu Schild und Helm geboren; dort tanzte der Mägdlein rothwangige Schar um den zierlichen Rocken, um die glatte Spindel, die das Christkind bescheert; hier brachte eine in Engelgewänder vermummte Dirne süße Fladen und Mandelschnitte, dort sprühte ein Ruthenbewaffneter Putzenmummel den feurigen Regen vergoldeter Nüsse in's Haus. Allenthalben aber regte sich die Lust, und die Erwachsenen schienen zu Kindern geworden zu seyn, um kindlichen Jubel zu theilen. Dagobert strich an den glücklichen Menschenwohnungen vorüber, sein Auge, sein Ohr ergötzend, und dachte, in Theilnahme versunken, kaum daran, daß er keinem Sohne, keiner Tochter das willkommne Christgeschenk werde reichen dürfen. Da überraschte ihn die Mitternachtsstunde, und von dem Thurme der Domkirche riefen die Glocken zur Mette der heiligen Nacht. Das Menschengewühl der Stadt wälzte sich nach Klöstern, Pfarrkirchen und Dom. [174] Den Letztern betrat auch Dagobert. Schon mischten sich einzelne Orgeltöne in das Summen der heranströmenden Bet-und Schaulustigen, die Kerzen an den Altären winkten schon wie flammende Zungen herbei zum nächtlichen Opfer. Um die Weihkessel an den Eingängen drängte sich das Volk. Dagobert reichte höflich mit dem gewöhnlichen Spruch: »Gelobt sey Jesus Christus und seine gesegnete Weihnacht,« seine mit dem benedeiten Wasser benetzten Finger einer edelgekleideten Frau, die vor dem Gedränge nicht zur Säule gelangen konnte, und verstummte überrascht. Seine Schwester stand vor ihm. An ihrer Seite, der breitstirnige Knecht, den sammetnen Kniepolster unter'm Arme und das Windlicht in der Hand. Befremdet maß auch den Jüngling die finster blickende Wallrade, warf den Kopf in die Höhe, und drehte ihm den Rücken zu, langsam vorschreitend gegen den Altar, wo sie ihre Andacht zu verrichten beschlossen hatte. Dagobert schloß sich jedoch hart an die vom Gewühl Aufgehaltne, und sprach sanft zu ihr: »Wir feiern heute die Geburt des Herrn mit freudiger Zuversicht. Auch unsre Eltern, Wallrade, haben die unsrige also begangen, begehen sie noch heute; der Vater auf Erden, lieb Mütterlein im Himmel. Wollen wir denn, die eine Mutter gebar, nicht endlich den kindischen Groll fahren lassen, der aus unsern Spielen stammt, und unser Grab feindlich zu beschatten droht, damit keine Blume der Liebe darauf ersprießen möge? Wollen wir nicht endlich den Zwist ersticken, das Unkraut aus dem irdischen Vaterhause, das wahrlich nicht wuchern sollte in dem [175] Hause des ewigen Vaters?« – Wallrade stand aufmerksam stille, heftete die großen Augen auf den milden Redner, und erwiederte: »Ich nahm Antheil an Euch, da ich nicht wußte, daß Ihr mein Blutsfreund seyd. Die Trennung mancher Jahre hatte mir Eure Züge fremd gemacht, aber der Ohm hat mich erinnert, daß ich noch einen Bruder habe, den ich nicht einen Geliebten nennen kann; und daß derselbe hier lebe, erfuhr ich ebenfalls durch ihn. Weder Ihr, noch der Zufall haben etwas gethan, das mein Vorurtheil hätte mindern können. Liegt Euch indessen so viel daran, uns versöhnt zu sehen, so reiche ich – der Seltsamkeit wegen – die Hand dazu.« – Sie winkte dem jungen Manne, in dem Betstuhle neben ihr Platz zu nehmen, und raunte ihm, den Rosenkranz vom Gürtel nestelnd zu: »Eure Gesellschaft kommt mir noch obendrein in diesem Augenblicke gelegen; sie bewahrt mich vor schlimmerer.« – »Wie so, meine Schwester?« fragte Dagobert. – Wallrade sah seitwärts und bezeichnete ihm durch unmerkliches Augenzwinkern zwei Männer, die unfern standen, und ihre Blicke auf sie gerichtet hielten. – »Der Eine,« sprach sie: »der in der bunten Kleidung, den Ihr schon einmal, wie mich dünkt, an meiner Seite gesehen, ist der Herr von Königseck, ein weibisch thuender Gesell, der von Rosmarinöl duftet, sich einschnürt, daß er einem Heupferde gleicht, und vor eitel Zierlichkeit nicht dazu gekommen ist, in irgend einer Fehde die Sporen zu gewinnen. Der Andre, klein und unansehnlich, verwachsen und mürrisch vom Angesicht, trägt unter seiner hohen Schulter [176] ein Herz voll Kühnheit, Tücke und Leidenschaft. Er ist ein Graf von Montfort; beide Herren aber sind meine Freier; Beide vom Ohm begünstigt; Beide mir verhaßt; der Erste, weil er kein Mann, der Zweite, weil er häßlich und hochfahrend ist. Sie hätten sich sicherlich schon an mich gedrängt, hielte sie Euer geistlich Gewand nicht in Ehrfurcht. Das Letztere danke ich Euch.« – Hiemit neigte sie das Haupt auf die gefalteten Hände, und ließ im stillen Gebete Kugel auf Kugel durch die Finger schlüpfen, ohne den Bruder nur eines einzigen fernern Worts zu würdigen. Dagobert betrachtete sie verwundert von der Seite, und mußte sich gestehen, daß diese stolze Schönheit wohl im Stande sey, andre Männer zu berücken, als den Stutzer und den Mißgestalteten, von denen die Rede gewesen. Zugleich aber bekannte er sich, daß die fromme Stimmung nicht mehr vorhanden sey, in welcher er Wallraden angeredet; daß das seltsam schroffe Benehmen Wallradens ihn beinahe bedauern, ließ, eine Versöhnung eingeleitet zu haben, die nur um Gotteswillen, wie es schien, angenommen worden war. – Welch ein Weib! dachte er bei sich: jeder frommen Regung unzugänglich; die Härte ihres Gemüths sogar bis zu den Ihrem des Herrn tragend, und ohne Bedenken zur Schau legend! Nicht einmal die heilige Handlung beschäftigt sie in diesem Augenblicke, die Glockentöne, die der Menge das Zeichen geben, sich zu bekreuzen, die Brust zu schlagen, werden von ihr überhört. Gedankenlos läßt sie die geweihten Kugeln durch die Fingerspitzen gleiten; denn offenbar verweilt bei andern [177] Gegenständen ihr Sinn, und bald furcht sich ihre Stirn, bald glättet sie sich; bald lächelt ihr Mund, bald seufzt er schwer auf, wie man zu thun pflegt, wenn man sich abmüht, der Seele einen Entschluß abzuringen, vor dem man sich selber scheut. – Wallradens rasches Emporrichten endigte seine Betrachtungen; an deren Stelle trat des Ohrs Aufmerksamkeit, da Wallrade, von den Donnertönen der Orgel umbraust, Gelegenheit fand, dem Nachbar etwas Geheimes mitzutheilen. – »Ich will glauben,« flüsterte sie sanfter denn zuvor, »daß das Bemühen aufrichtig ist, mit welchem der Jüngling Dagobert gut zu machen sucht, was der Knabe an der Schwester verbrach. Ich zaudre daher nicht, des Mannes Freundschaft anzunehmen, mit meinem Vertrauen zu erwiedern, und ihm Anlaß zu geben, meinen Dank zu verdienen, so fern er mir zusagt, das Anvertraute zu bewahren wie ein Mann, nicht wie ein Plauderhaftes Weib.«

»Zählt darauf, Wallrade;« erwiederte Dagobert: »ich könnte eines Zauberschatzes Hüter seyn, Monden lang, ohne ihn durch ein einzig Wörtlein in Asche und Kohlen zu verwandeln. Kann ich vollends Euern Dank dadurch verdienen, bin ich gern bereit zu thun, was Ihr verlangt, um nur Euer Vorurtheil zu widerlegen.«

»Vernehmt denn;« sprach Wallrade, vertraulich werdend: »Es langte heute in des Kaisers Gefolge ein Mann an, der sich schwer an mir verging. Dieser Frevel ist Euch gleichgültig, und somit verschweige ich ihn. Der Anblick dieses Mannes jedoch [178] ist mir eine Folter, da ich mich nicht thätlich an ihm rächen darf, obgleich er mich sehr zu fürchten hat. Sehr; sage ich Euch: der Verdammte fürchtet nicht also seinen Henker. Ihn zu vertreiben aus meiner Nähe, den Beleidiger, ist mein einz'ger Wunsch, und, um diesen erfüllt zu sehen, spreche ich Euch, dessen offne Keckheit ich beifällig wahrgenommen, um Hülfe und Beistand an.«

»Wie kann ich aber mich in dieß seltsame Beginnen einlassen?« fragte Dagobert verwundert. –

»Ein einziger Besuch ist hier hinreichend;« versetzte Wallrade. »Der, den wir meinen, heißt Rudolph Bilger von der Rhön, und ist einer von des Kaisers Jagdleuten. Zieht Kunde ein von seiner Wohnung, sucht ihn heim, und sagt ihm dürr heraus: mein Wille sey's, daß er wieder von dannen scheide, da mir seine Anwesenheit Ärgerniß gebe. Diesem Begehren möge er auf's Schleunigste gehorchen, oder meines Thuns gewärtig seyn. – Das ist Alles. Verspricht er, zu thun, wie ich begehre, so laßt ihn ruhig ziehen; weigert er sich, so fordert ihn vor die Klinge. Ihr habt den Muth dazu, doch gelobe ich Euch, daß es so weit nicht kommen wird. Keines weitern Eingehens in die Sache, nur meines Namens und eines befehlenden Tons bedarf's, um sicher den Zweck zu erreichen.«

»Ihr scheint Eures Mannes verzweifelt gewiß;« meinte Dagobert etwas verlegen: »Wie aber kömmt es, Schwester, daß Ihr keinem Eurer Freier diesen Auftrag gebt?«

[179] »Weil sie meine Freier sind,« antwortete Wallrade; »weil ich niemals heirathen werde, und folglich auch nicht die mindeste Hoffnung dazu geben will.«

»Ich werde demnach in diesem Geschäfte Euer stummes unwissendes Werkzeug vorstellen?« fuhr Dagobert fort; »wie der eigenhörige Knecht, der Hab' und Leben wagen muß, blos weil sein Herr es will, und die Vernunft der Gewalt gehorcht?«

»Befremdet Euch das?« fragte Wallrade, aufstehend; denn der das Hochamt haltende Domprobst sang so eben das feierliche: Ite, missa est: »Seht um Euch her, lieber Bruder Grübler; seht auf Euer Kleid, und nehmt die Vernunft gefangen. Ihr seyd dem Weltall eigen, das erst, nachdem Ihr ihm Alles geopfert, vielleicht Euch offenbart, warum dieses seyn mußte; Ihr strebt darnach, der Leibeigne eines Standes zu werden, der für Alles den Löseschlüssel hat, Alles verzeiht, nur das Vernünfteln nicht. Übt Euch vor der Hand in solcher Pflicht, und gehorcht den Launen eines Weibes, denn nur dadurch erkauft Ihr das Gefühl, welches Ihr von meinem Herzen verlangt.«

Sie schritt von dannen, der Knecht voraus, Dagobert ihr zur Seite, hart an den besprochnen Freiwerbern vorüber, wie nicht beachtet wurden. – »Ich werde Euch willfahren, Wallrade,« sprach der Bruder unter der Pforte: »ich habe es Euch zugesagt; aber weh thut mir's, daß eine Art von Schergenhandlung, deren Zweck und Grund ich nicht begreife, der Preis Eurer schwesterlichen Zuneigung werden soll, [180] die mir mein redliches Werben, die Bande des Bluts und unsers Vaters Liebe hätten zusichern müßen. –«

»Die Redlichkeit des Mannes ist Lüge meistentheils,« versetzte Wallrade kalt und hart: »die Verwandtschaft achte ich nicht – Kain erschlug den sanften Abel – und Diether Frosch, dessen Namen ich nicht mehr trage, hat aufgehört, mein Vater zu seyn, da er die Leuenbergerin zur Ehgemahl erwählte. Schweigt also von Dingen, die nur in des Bänkelsängers Lied gehören, und sagt mir: thut Ihr, was ich begehre, oder nicht?«

»Das Erstere; verlaßt Euch darauf;« antwortete Dagobert unmuthig. »So laßt uns hier Abschied nehmen;« versetzte Wallrade: »ich untersage Euch, mich nach Hause zu geleiten. Die Nebenbuhler sind mir auf der Ferse, und ich will keinen Verdacht erregen, den ich mit dem leistesten Wörtlein zu widerlegen, unter meiner Würde halte.« – Ohne Widerrede, gerne sogar nahm Dagobert die Weisung an, und es war ihm fast wohl, daß er von der Schwester Seite kam, zu deren Dienst ihn blos sein voreilig gegebnes Wort, und ein besondres Zusammentreffen der Dinge bestellt hatten. – Der Wunsch, diesen unangenehmen Frohndienst ungesäumt abzuthun, so wie auch nicht minder die leise Neugier, das Geheinmiß der Schwester vielleicht, wider ihren Willen, zu enträthseln, vermochten ihn, am folgenden Tage schon seine Nachforschungen zu beginnen. Die Feier des Christfestes bot ihm hiezu die erwünschteste Gelegenheit dar. Der prachtvolle Morgengottesdienst am [181] Weihnachttage, begünstigt von dem schönsten kalten Wetter, versammelte im Dom die Fürsten der Kirche, die weltlichen Fürsten und an ihrer Spitze den Kaiser mit seinem ganzen ansehnlichen Gefolge. Ein nicht bis jetzt in Costnitz erhörter Prunk entfaltete sich bei diesem Anlaß. Sigmund, ein wohlgebildeter freundlich blickender Mann mit langem Haupthaare und Bart, dessen Leutseligkeit bei Hohen und Niedern anerkannt war, so wie seine eifrige Bewerbung um Frauengunst, und seine vorstechende Eitelkeit, hatte sich mit allem Pomp umgeben, der einem Kaiser deutscher Nation zu Gebote stand. Alle Fürsten des Reichs, die gegenwärtig waren, halfen treulich dazu, um den vielen Fremden einen Begriff ihrer eignen Macht zu geben. Herolde, Pannerträger, Musikbanden, glänzende Leibwachen, Edelknaben und Marschälle schmückten den Zug der Fürsten und Edeln, und es war keine geringe Aufgabe, unter der Fluth von Herren und Dienern Einen herauszufinden, von dem man nichts weiß, als den schlichten Namen. Dagoberts Bekanntschaft mit Herzog Friedrichs Hause verschaffte ihm Auskunft. Der Truchseß des Herzogs zeigte ihm unter der Schar von grünen Herren im Gefolge des Kaisers den Wildmeister von der Rhön. Dagobert stutzte bei dessen Anblick. Diese sanften Züge, diese bescheidne Haltung verriethen durchaus nicht den rohen Mann, der sich eine Freude daraus macht, sittsame Frauen zu kränken. In dem ganzen Äußern des in schönster Alters Blüthe stehenden Wildmeisters fand der Beobachter nicht das Geringste, das seinen Auftrag und den Widerwillen der Schwester [182] hätte rechtfertigen können. Unmuthig, seines Versprechens Fessel sich aufgeladen zu haben, folgte Dagobert nach vollendetem Gottesdienst dem Herrn von der Rhön in dessen Herberge. Wenige Augenblicke nach dem Letztern trat er in's Gemach, das der Wildmeister bewohnte, und, wie sich's auswies, nicht allein bewohnte. Eine junge kindlich hübsche Frau hing so eben bewillkommend an seinem Halse, ein Kind von zwei Jahren ungefähr lächelte ihm von dem Schooße der Mutter entgegen. In dem engen Stüblein herrschte ein Geist der Ordnung und Reinlichkeit, der die Zelle einer Nonne nicht vortheilhafter hätte schmücken können. Eine Minute beiläufig stand Dagobert unschlüssig unter der Thüre, unbemerkt von dem zärtlichen Paare; aber des Wildmeisters Bärenfänger gewahrte den Fremden und gab Laut. Der Herr von der Rhön ging – aufmerksam gemacht – dem jungen Cleriker freundlich entgegen, nöthigte ihn einzutreten, und forschte höflich nach seinem Begehr. Dagobert's Zunge weigerte sich, den Auftrag, der ihn hieher geführt, in Gegenwart der jungen Frau kund zu geben. Er verlangte von dem Wildmeister geheim Gehör. Bilger überflog den Boten mit seinen Blicken, neigte sich dann freundlich, und sprach: »Würdiger Herr, – ich denke, daß zwischen uns, die sich noch nie sahen, kein Ding bestehen kann, das meiner lieben Ehefrau ein Geheimniß bleiben müßte. Indessen würde ich dennoch Euerm Wunsche gern willfahren, aber ich muß bekennen, wie die Herberge von unsers gnädigsten Kaisers Lerten dergestalt eingenommen ist, daß mir und den [183] Meinen dieß kleine Gemach allein verblieb. Wollet Euch also hier Euers Auftrags entledigen.«

Dagobert wollte reden, aber im Begriff es zu thun, sah er auf Mutter und Kind, wie diese sich herzten, und Engeln gleich zu dem fremden Manne emporsahen, und es war ihm, als dürfe seine Botschaft nicht das Ohr der Unschuldigen berühren. Er bat demnach den Wildmeister, ihm. auf die Flur zu folgen. Bilger, den Kopf schüttelnd über solch seltsam Betragen, ging mit ihm. »Mich sendet Wallrade von Baldergrün,« begann Dagobert, und sah alsobald den Wildmeister, erbleichen wie einen Sterbenden. – »Wo ... wo .... ist sie, was begehrt sie?« stammelte er, der Sprache kaum mächtig. – »Sie ist hier;« antwortete Dagobert betroffen über die zaubergleiche Wirkung der ersten Worte. – »Hier?« – Bilger mußte sich am dem Fensterpfeiler halten. »Hier?« fuhr er fort, da der Bote, selbst von Staunen befangen, verstummte. – »Und ich ... o sagt es heraus ... ich bin verloren?« – »Ich begreife Eure Rede nicht;« sprach Dagobert, tröstend, denn ihn erbarmte des Wildmeisters Zustand. »Der Unwille Wallradens, wenn gleich, wie ich jetzt befürchten muß, verschuldet, sucht Euer Verderben nicht. Das Erbfräulein begehrt nur Eure schleunige Entfernung aus ihrer Nähe. Eure Gegenwart, sagt sie, sey ihr verhaßt, und wolltet ihr der Forderung nicht willfahren, so würde sie thun, was Euch nicht gefällt!« – »Die Schreckliche!« seufzte Bilger: »O, sie weiß zu lohnen, fürchterlich zu lohnen. Aber ich werde ... ich muß gehorchen. Ohnedieß hätte ich nicht [184] lange hier verweilt. Sagt ihr, würdiger Herr .... ich würde scheiden .... sobald die Feiertage verflossen.« – Dagobert sah kopfschüttelnd in des Mannes zerstörtes Angesicht. Bilger schlug die Augen scheu nieder. »Würdiger Herr!« begann er dann zögernd: »Ich darf Euch wohl nicht fragen, ob Euch das Nähere bekannt, das zwischen dem Fräulein und mir obwaltende Verhängniß ....?« – »O schweigt., schweigt!« unterbrach ihn Dagobert rasch: »hier wittre ich Unheil, und das ist, was ich nicht zu wissen begehre. Mein Staunen, Euch so leicht und knechtisch unter eines Weibes Wort gebeugt zu sehen, sey Euch Bürge für meine Unwissenheit. Ich bin Wallradens Bruder, und kenne weder meiner Schwester Herz noch ihr Schicksal, verlange Beides nicht zu kennen. Lebt wohl und vergebt mir die Sendung, die Euch also betrübt und erschreckt hat.« – Ohne des Wildmeisters Antwort zu hören, flog Dagobert die Treppe hinunter. – »Ei, was gähnt mich denn so schauerlich aus. diesen Auftritten an?« fragte er sich befremdet: »Schier kommt mir Wallrade vor wie ein bös Gespenst, das den Menschen durch Unthaten zu seinem Leibeignen macht, um seine Seele mit seinem Leib zu verderben. Nein, Schwesterlein; ich begehre nicht, in Dein Spiel zu sehen, verschmähe es aber auch, Dein Knecht zu seyn!«

Noch am selben Nachmittage ging er, von mancherlei Gefühlen beseelt, Wallraden heimzusuchen. In ihrer Wohnung fand er den Oheim, und die Herren von Königseck und Montfort versammelt. Alle drei waren höchlich überrascht, ihn eintreten zu sehen. [185] Die edeln Freier beruhigten sich indessen bald, da sie vernahmen, der schwarze Herr, der ihnen in vergangner Nacht viel Unruhe verursacht hatte, sey niemand anders, als der Bruder ihrer Huldin. Monsignore Ranocchia lieferte dagegen einen Auftritt, der sich recht gut darstellte, wenn man annahm, Alles, was er vorbrachte, sey ihm Ernst; der aber für die Hauptpersonen possirlich wurde, die wenig an des Oheims Aufrichtigkeit glaubten, und eben nicht besondre Lust verspürten, in ihrem eignen Verhältniß Aufrichtigkeit walten zu lassen. Der Prälat sprach viel von der Stimme der Natur, die endlich doch immer siege, wenn gleich lange durch bösen Zwang darniedergehalten, – von Geschwistern, die zuletzt doch der göttlichen Liebe ihren Haß opfern; und mit Freudenthränen segnete er den heiligen Tag, der Wallraden und Dagobert wieder zusammengeführt. »Ja!« rief er, die klaren Kunstthränen in den Wimpern; »der Himmel hat mein eifriges Gebet erhört. Geschehen ist die Versöhnung, die ich zu meinem liebsten Gedanken erhoben hatte. Dieser wackre Neffe, den ich liebe, wie ein Vater den Sohn.« – Dagobert mußte heimlich lachen. – »Diese getreue Nichte, die ich im Herzen trage, wie eine Mutter die Tochter,« – Wallrade zuckte mitleidig die Achseln, – »sie haben sich wiedergefunden durch mein Zuthun. Die erhabne Kirche, deren Festlichkeiten die Ketzer, Wiklefs und Hussens Jünger, zu schmälern und zu entwürdigen gedenken, pflegt also durch ihre rührende Feier getrennte Seelen zu vereinigen; und ich, ihr unwürdig Geweihter, vereinige Euch zum zweitenmale [186] durch diesen Friedenskuß!« – Er küßte Dagoberts, Wallradens Stirne, und nöthigte die Geschwister, sich zu umarmen. Aber wenn es möglich wäre, daß zwei Bildsäulen von Granit sich in die Arme fielen, herzloser könnten sie nicht Brust an Brust ruhen, als hier die lebenden, von jugendlichem Blute durchströmten Menschen. Die Zuschauer empfanden alle Langweile, die ein solches Schauspiel gewährt. Die Vesperglocken brachten daher einen angenehmen Eindruck auf sie hervor. Der Prälat griff eilig nach Mantel und Hut, um die Kirche nicht zu versäumen; der Herr von Königseck bot Wallraden seine Begleitung in den Dom an, um daselbst den lustigen Pomwitzeltanz mit anzusehen, der – ein Überbleibsel des Heidenthums – in der Christtagsvesper um den Altar getanzt wurde. Der Graf von Montfort schlug einen Gang in's Freie vor, aber Wallrade verweigerte alles, unter dem Vorwande, mit ihrem Bruder eine Sache von Wichtigkeit abthun zu müßen.

Die Herren sammt und sonders fügten sich in ihren Willen. Während sie jedoch mit den verbindlichsten Worten Abschied nahmen, zog der Prälat den Neffen in das Fenster. »Es ist ein Beweis Deiner Klugheit,« sprach er, »daß Du Wallradens Freundschaft suchtest, und ich belobe Dich deßhalb. Die Herren Freier sind – wenn gleich deutsche ungelenke Thiere – dennoch nicht zu verwerfende Gönner, und ich fordre von Dir, daß Du Deinen augenblicklichen Einfluß auf Wallraden dazu benützest, einen oder den andern ihr genehm zu machen, damit [187] sie zur Ehe schreite. Beide sind ganz vernünftig in ihren Bedingungen die sie mir machten. Der Königseck zahlt tausend Gulden baar; der Montfort bietet eine Präbende im Stiftmünster, oder zweihundert Sonnenkronen Jahr für Jahr, zehn Jahre hindurch. – Es soll dein Schade nicht sey, wenn Du die Widerspenstige zu Einem oder dem Andern zu bereden fähig bist. Empfange daher meinen Segen und sey klug. Besonnenheit und Vernunft verschaffen diesem Rocke Ehrfurcht.« – Mit dem edeln Herzen gieng der Oheim von dannen. Wallrade versicherte sich, daß kein Lauscher nahe sey, trat dann mit durchdringendem Blicke hart vor Dagobert hin, und fragte: »Nun, Bundesgenosse! Habt Ihr gethan nach meinen Worten?« – Dagobert bejahte. – »Wird er gehorchen?« fuhr sie fort, dringend und fest. – »Er wird!« erwiederte der Bruder. »In wenig Tagen schon.« – »Hm! ich weiß;« sprach Wallrade mit fliegendem Lächeln: »ich erfuhr bereits ... er geht nach Mörsburg, als bischöflicher Jagdmeister. Es kömmt darauf an, ob er mir dort lästig scheint. In diesem Falle rechne ich auf Euern neuen Beistand, ihn von dannen zu treiben.«

Diese Worte empörten Dagobert's Gefühl, so gut er bis jetzt an sich gehalten hatte. »Ich begreife nicht,« sprach er mit Heftigkeit: welch »unglücklich Schicksal diesen Mann, der einem Verbrecher nicht ähnlich steht, zu einem Geachteten, Vogelfreien gemacht hat, der vor der Drohung eines Weibes sich verbergen muß, jede Stätte verlassend, wo er gedenkt zu bleiben; .. aber so wenig mir gelüstet, der Theilnehmer Eures Geheimnisses zu seyn, so wenig [188] biete ich auch ferner meine Hand zu dieser im Verbergenen schleichenden Gewalttätigkeiten. Hat dieser Mann Euch so schwer beleidigt, daß nur sein Verderben Euch zu versöhnen vermag .... sagt's, und ich werfe diese Kutte auf einige Tage von mir, um mit dem Degen in der Faust den zu strafen, der Euch mißhandelte. Das ist Bruderpflicht. Aber Euer Foltersknecht bin ich nicht, werde es nie seyn. Ich habe des armen Mannes Weib gesehen, sein Kind .... nicht mein Mund, nicht meine Hand wird das Geringste thun, diese Unschuldigen langsam mit zu martern durch die Qual des Gatten und Vaters.«

»Sein Weib, sein Kind?« fragte Wallrade schneidend: »Sie sind hier? Diese Nachricht danke ich Euch. Schon hier? Sehr wohl. Der Herr von der Rhön wird wohl thun, so schnell als möglich von dannen zu ziehen. Nicht meinetwegen allein;« setzte sie langsam und laurend hinzu: »auch wegen des weichherzigen Bruders Empfindsamkeit, der die Laune hat, jungen Ehefrauen allein zugethan zu seyn, wäre es auch seines eigenen Vaters Weib, seine Stiefmutter.«

»Wallrade!« rief Dagobert entsetzt, und seine Zunge erstarrte ob der frechen Anklage.»Läugnet!« entgegnete ihm Wallrade heftig und frecher: »Läugnet, was ganz Frankfurt weiß, was bis in meine tiefe Einsamkeit drang, und meinen Haß gegen Euch befestigte. Läugnet, was Eure Zunge lähmt, als ob sie Gottes Hand getroffen. Wagt es, mich zu beschuldigen und Euch heilig zu sprechen. Ich strafe nur ein Verbrechen, – Ihr lebt aber noch in Schuld und [189] Fehl. Euer falscher Mund, konnte mich gestern berücken, heute aber steht der eigensüchtige, verläumderische, boshaft-üppige Bube Dagobert wieder in seiner vollen Blöße da, und von nun an keine Gemeinschaft zwischen uns. Thut was Euch beliebt. Das Schwert des Henkers legt sich zwischen Euch und mein Geheimniß, damit es der Schuldige nicht verrathe. Es ist todt für Euch. Versucht aber auch ja nicht den Schleier zu lüften; offenkundig machte ich dann Eure eigene Schande, und diesen Arm ...« hier hob sie drohend ihre Rechte ... »ist stark genug, auch in des Bruders Brust Genugthuung zu suchen. – Verlaßt mich jetzt.«

Stumm vor Kränkung, Wuth und Abscheu maß Dagobert die entartete Schwester mit einem Blicke der tiefsten Verachtung, und wendete sich von ihr, wie der fromme Märtyrer von dem Bilde Baals, dem zu opfern die Tyrannei ihn zwingen will. Fest entschlossen, die Unheilathmende nie wieder zu sehen, ging er hinweg.

9. Kapitel
Neuntes Kapitel.

Der Reiter und sein geschwindes Roß,

Sie sind gefürchtete Gäste.

Schiller.


Der erste Tag des Jahres Eintausend vierhundert und fünfzehn hatte sich eingestellt, zur Freude von Alt und Jung; denn obgleich der Winter jetzt [190] erst anfing, so dachte schon Jedes mit Entzücken an die Fastnachtfreuden, und an die bald darauf folgenden gelben Himmelsschlüssel, die lieblichen Herolde des Frühlings. In Frankfurt war Alles lebendig, das Fest zu begehen; die Kirchen waren gedrängt voll, und auf den Gassen summte es fröhlich umher. Aus den Pelz- und Zwillichmänteln schauten vergnügte Gesichter, und der Geschenke wurden fast viel gespendet. Freunde begabten Freunde, Verwandte den Blutsfreund, der Herr den Diener, der Unterthan seinen Vorgesetzten. Auf dem Römer saßen Bürgermeister, Schultheiß und Schöffenrath, um die gewohnten Gaben zu empfangen. In den Gotteshäusern waren die Opferstöcke dazu geöffnet; Genossen der Brüderschaften der heil. Sebastian, Jost, Jörg und Stephan sammelten in verschlossenen Büchsen für die milden Stiftungen von Haus zu Haus. Und durch all dieses Getreibe hüpften und johlten schon von frühem Morgen an, die lustigen Gesellen ohne Haus und Hof, Frau und Kind, die Trinkstuben und Zunfthäuser füllend, weil an diesem Tage die strengen Zechordnungen so gut wie aufgehoben waren. Den Altbürger Diether Frosch hielt sein Amt als Schöffe auf dem Rathhause fest; seine Ehefrau hatte die Liebfrauenkirche besucht, und wandelte nach ihrer Wohnung zurück, da der Gottesdienst zu Ende war, als Else, die unter der Thüre auf sie geharrt hatte, von Weitem schon auf sie zusprang. »Ach, liebe Frau,« sagte sie eilig: »erschreckt nur nicht. Es sitzt ein Gast in Eurer Stube, der Euch nicht angenehm ist. Ärgert Euch nicht, und denkt an Eure [191] kostbare Gesundheit.« – »Wer ist's, Unheilbringerin?« fragte die Altbürgerin ängstlich, und sah an ihrem Hause in die Höhe; da gewahrte sie, oben aus dem Fenster schauend, den Mann, dessen Anblick in der That ihrem Herzen nicht wohl that. – Verdruß in Auge und Brust stieg sie hinauf, und trat, ohne denselben zu verhehlen, in ihr Gemach, wo ein langer Mann in ritterlicher, aber abgetragener Kleidung, bequem im Lehnsessel sitzend, ihrer wartete. Sein sonnverbranntes Gesicht mit den Zügen eines Dreißigers trug indessen alle Spuren eines lockern Lebenswandels, so wie sein übriges Äußere das Gepräge der Dürftigkeit aufwies. An seiner, in zwei Farben getheilten Tracht fehlte nichts, was zu dem Anzuge eines adelichen Herrn gehört, aber Alles war im übeln Zustande. Der Federbusch auf dem fleckigen Hute hing wie eine trauernde Weide darüber her. Die Metallspangen und Hefteln des Wamms waren erblindet, die Zierrathen des verblichenen Mantels unscheinbar geworden; Handschuhe und Reitstiefel, sammt Sporen, Dolch und Raufdegen zeugten von langem Gebrauche und schlechter Besorgung. Zu der ganzen Gestalt, die von allen Unbilden der Hitze, des Frostes, des Schwertes und der Armuth gezeichnet war, paßten vollkommen die ungeschlachten Geberden, die vernachläßigte Sprache, die der Redner immer mit ausdrucksvollen Bewegungen seiner hagern luftgebräunten Hände begleitete, und gaben das getreue Bild eines jener Edelleute, die nichts ihr Eigenthum nannten, als den dürren Klepper, den sie ritten, das Wenige was sie am Leibe trugen, und ihr [192] Wappen; die an den Kreuzwegen ihr wild Gewerbe trieben, und oft keine sichere Höhle hatten, um ihre Beute darinnen zu bergen. – »Was soll das, Veit?«, fragte Margarethe streng und finster: »Du schon wieder hier? Du magst wissen, daß Deine Gegenwart mich befremdet, mich in Unmuth versetzt.« – »Niemand ist darob bekümmerter denn ich,« antwortete der Fremde: »Du weißt aber, lieb Schwesterlein, daß ich nicht anders kann. Die Welt bekümmert sich nicht um mich; ich muß mich daher um sie bekümmern. Die Blutsfreunde laden mich nicht ein; daher muß ich mich schon selbst einladen.« – »Du bist ein zudringlicher Gast,« zürnte Margarethe: »und jede Nachsicht macht Dich mehr zum Schmarotzer!« – »Sey nicht böse, Gretel,« versetzte Veit spöttisch: »Dein schmuckes Angesicht wird häßlich entstellt durch den Zorn, und Du änderst damit doch nichts. Ich bin einmal da, um Dir ein glücklich Neujahr zu wünschen, und den Festtag bei Dir zu begehen.« – Mit einem Seufzer des Unwillens legte Margarethe Hut und Hauptfinster 1 ab, hängte Mantel und Überkleid in den Schrein, und setzte sich hierauf in ziemlicher Entfernung dem Bruder gegenüber. – »Wo kömmst du her?« fragte sie kurz und hart. – »Zunächst von der Landstraße;« erwiederte der rohe Mensch: »eigentlich aus unserm Rattenneste zu Gelnhausen«. – »Was macht die Base, wie geht es ihr?« – »Hm; die Base ist noch lahm wie sonst. Einäugig ist sie jedoch obendrein geworden. Die Katze[193] hieb ihr das rechte Auge aus. Im Uebrigen befindet sie sich wohl. Sie tratscht über Kaiser und Reich, und hat dabei eine frische Eßlust, trotz mir. Das wäre nun freilich all gut, wenn wir nur mehr zu essen hätten.« – »Man muß genügsam seyn;« schaltete Margarethe trocken ein: »Nicht ein Jeder kann im Ueberflusse leben.« – »Gott's Marter!« rief Veit: »Du hast gar schöne Sprüchlein gelernt, seitdem Du selbst im Ueberflusse sitzest. Als Du noch daheim lebtest in unserm Gauerbenschloß, war Dir Alles nicht recht. Gar manch' liebesmal, da wir beieinander saßen, bei unserer Rübensuppe und Klaienbrod, hast Du Dich gekümmert, daß nicht alle Menschen reich sind. Mich wunderts heute noch, daß Dich unser Herrgott, trotz Deinem Schelten, erhört hat, und Dich der grauhaarige Rathsherr zur Frau nahm. Seither hast Du uns rein vergessen, und doch ist unser Eulennest noch baufälliger, unsere Kost noch schmaler geworden. Die ganze Ganerbschaft kann keinen elendern Haushalt aufweisen, als den Deiner Base und Deines Bruders. Und doch gaben wir die Einwilligung dazu, daß unser Wappen erniedriget wurde durch Deine Verbindung mit einem jener Altbürger, die sich zwar gern für Adeliche ausgeben möchten, im Grunde aber doch keine sind, wenn sie schon selbst der Kaiser den Letztern gleich hält.« – »Genug Deines unverschämten Geschwätzes!« eiferte Margarethe: »Lang genug war ich die Thörin die sich in die Wünsche ihrer geldgierigen Verwandten fügte. Die tausendfältige Unterstützung, die ich Euch verlieh und die Ihr für nichts rechnet, soll und muß [194] aufhören, denn verschuldet ist eure Trübsal. Ernähre ich Euch nicht sammt und sonders seit länger denn sechs Jahren? Hast denn Du nur ein einzigmal versucht, Dir das nackte Leben zu gewinnen? Frei wollt ihr seyn, wie der Sonnenstrahl, und zehren wie dieser an der Habe Eurer Blutsfreundin, die sich für Euch einem ungeliebten Gatten hin gab.« – »Sprich für Dich selbst;« versetzte Veit kalt. – »Bot ich der kranken Base nicht eine Pfründe im Stifte der Witwe Wambach?« fuhr Margarethe eifriger fort: »Wollte mein Eheherr Dich nicht zum Hauptmann unter den laufenden Gesellen der Stadt vorschlagen, oder zum Reisigen des Raths, wenn Du zu stolz wärest mit bürgerlichen Hauptleuten zu dienen?« »Schweige mit den alten Grillen!« fuhr Veit trotzig auf: »Du reizest jetzt meine Galle. Dienen, schon dieß Wort allein rechtfertigt meine Weigerung. Ich diene dem Kaiser selber nicht, und will mich eben so wenig, als die Base in ein reichsstädtisches Spital gehört, um ein paar Ellen Tuch an die Zunftkönige verdingen, die hier das Wort führen. Ich will meinem Stande gemäß leben, und wenigstens frei seyn, ohne Eurer Bürgermeister Brod zu essen.«

»So gehe und sey frei!« entgegnete Margarethe: »Du bist auf dem besten Wege. Geh hinaus, plündere und faullenze. Werde der Schrecken der Kaufleute und Handwerksgesellen, und mäste Dich von ihrem Schweiß. Ich thue nichts mehr für Euch, und verweise Dich in Treuen auf das Gewerbe, das Dir längst kein fremdes mehr ist.«

»Wer kann mir das beweisen?« fragte Veit höhnisch: [195] »Und thäte ich's, was wär' es anders, als was die meisten meines Gleichen thun.«

»Schäme Dich, roher Mensch!« rief Margarethe: »Du schändest unsern Namen. Du bist der Spießgeselle aller Nachtreiter, die das Land unsicher machen. Der Verdacht, den Mord des Pfarrherrn von Bonames verursacht zu haben, der vor zwei Jahren in der Frühe zur Kirche gehend, von Schandbuben erschlagen wurde, ruht auf Dir. Du hattest ihm blutige Rache geschworen, weil er Dich im Beichtstuhl nicht losgesprochen.«

»Lügen!« entgegnete Veit; aber sein Ton wurde gemäßigter. Die Schwester fuhr indessen fort: »Auf diesen Verdacht hin hat man Dir die Stadt verboten. Wie kannst Du wagen, hier zu erscheinen? Mensch, Du steckst den Hals selbst in die Schlinge.«

»Am heutigen Fest ist die Stadt ihren ärgsten Feinden erlaubt bis Sonnenuntergang;« versetzte Veit: »ich weiß, wie weit ich mich wagen darf. Ich bin nicht so einfältig, wie der Wernher von Hyrzenhorn, der sich neulich fangen ließ, und nun auf dem Eschenheimer Thurme sitzt; im Trocknen zwar, aber in Eisen und Frost. Entsinnst Du Dich noch des riesigen Kumpans der einst von Herzen gern um Deine Hand gefreut hätte?«

»Der grobe Junker mit den Sitten eines Troßbuben ist mir allerdings noch im Gedächtniß,« antwortete Margarethe: »unser Vater war vor Zeiten sein Treuenhänder und Vogt.« »Pfleger und Mündel verjubelten gemeinsam ihr bischen Gut!« schaltete Veit ein: »'s war eine lustige Wirtschaft. Höre, [196] den wackern Kämpen könntest Du, früherer Bekanntschaft eingedenk, aus seinem Käfich befreien, wenn Du wolltest, oder ihm mindestens zu billigern Bedingungen verhelfen, denn man will ihn nicht eher der Haft entlassen, als bis er seinen Thurm zu Wettershausen der Stadt zu Lehn gestellt, vierhundert Gulden als Lösegeld erlegt, und vier adeliche Freunde vermocht hat, sich gleich ihm der Stadt zu Mannen zu verschreiben. Das Erste thut er nicht, das Zweite kann er nicht, und das Dritte thun die Andern nicht.«

»Was soll ich für ihn bewirken können?« fragte Margarethe befremdet. –

»Das Vorteilhafteste,« erklärte Veit, »und das war mit zum Theil der Grund meines Ritts hieher. Mir ist es wohl bewußt, daß der Schultheiß Dich liebt, und ein Wörtlein aus Deinem minnekosigen Munde setzt den Waffenbruder in Freiheit, ohne daß ihm besonderer Schaden zugefügt wird.«

»Was kannst Du mir zumuthen?« fragte Margarethe staunend und bestürzt: »Welchen Begriff machst Du Dir von meinen Sitten, meiner Zucht? Ich liebe den Schultheiß nicht.«

»Thue nicht so heilig, mein Täublein!« versetzte Veit lachend: »Wir wissen das besser. Der Schultheiß ist ein stattlicher Mann; stattlicher noch, als Dein guter Stiefsohn, der Dir auch gar hold war, und Dein Eheherr ein Lazarus, ein alter Lazarus obendrein, dessen gichtbrüchige Beine ihm den Dienst versagen, weil er sie nach 66 Jahren noch nicht zur Ruhe legen will.«

[197] »Frecher Spötter!« sprach Diethers Frau, erröthend im stolzen Unwillen: »Beuge Dich vor den grauen Haaren meines Herrn, dem Du Ehrfurcht schuldig bist.« –

»Ehrfurcht! Ei warum denn?« lachte der Bruder: »Etwa deßhalb, weil er mich darben läßt, und Dich angesteckt hat mit seinem schmutzigen Geize? Oder, weil er gegenwärtig auf dem Römer sitzen und die Geschenke mit empfangen darf, die der Pöbel seinen saubern Herren bringt? Wohl bekomme ihm das Würzgeschenk und die Malvasiersuppe, die ihm die Juden bringen; Gott gesegne ihm die Honigkuchen mit denen die weißen Frauen den Rath heute bedanken. Lieber wär' es mir jedoch für Dich und mich, Du hättest ihn schon zu Tod geärgert, und man sänge dasDe Profundis über seinen starren Leib. Du hättest dann nicht Noth, den Tugendspiegel länger vorzustellen, und ich würde am Ende Vormünder über Deinen Buben, der leider Frosch heißen muß, ob er gleich – ich schwöre darauf – kein Frosch ist.«

Diese gemeine Zweideutigkeit fertigte die Verletzte mit einem verächtlichen Blicke ab, weigerte sich jedoch hartnäckig den Knaben herbeibringen zu lassen, welches der werthe Oheim angenehm dringend, wie immer verlangte; und während dieser Weigerung kam Diether im völligen Staate eines Schöffen nach Hause. War Margarethens Staunen bei dem Anblick des unwillkommenen Bruders groß gewesen, so überstieg das unmuthige Befremden Diethers dasselbe noch bei Weitem. Die Ungezogenheit des Gastes ließ es aber nicht zum Ausbruch kommen: »Glücklich[198] Neujahr!« schrie er, dem Schöffen an den Hals fliegend: »so viel Gesundheit, als dazu gehört, Methusalems Alter zu erreichen, so viel Geld als der Kaiser brauchen würde, um zu sagen: Ich habe genug; und so viel Glück als Töchter der Freude hier zu Frankfurt hausen! Ich zweifle nicht, daß Ihr diese Wünsche mit einem feinen Geschenk vergelten werdet, und will es in dieser Voraussetzung dabei bewenden lassen, alter Schwager.«

Diether blickte ihn stumm und achselzuckend an. »Mit einem guten Rathe zum Mindesten will ich des Überlästigen Glückwünsche, so widerlich sie sind, vergelten,« sprach er, »kommt ja nie mehr gen Frankfurt; stellt Eure Auflauerungen in der Umgegend ein; haltet Euch fein still zu Gelnhausen. Paul, der Webergesell aus Bonames ist so eben in seines Meisters Hause in der Schnarrgasse verschieden, nachdem er ein Bekenntniß abgelegt, das über den zu Bonames verübten Mord viele, die wichtigsten Aufschlüsse gibt. Der Stadtpfaffe 2 wird das Bekenntniß bei Rathe niederlegen und auf Eure Verdammung antragen.« –

Veit wurde blaß; ermannte sich jedoch: »Verdammtes Lügengespenst!« rief er: »Der Rath hat nicht mich zu verdammen, ich stehe nicht unter ihm.«

»So haltet Euch auch fern von seinem Weichbild,« ermahnte Diether: »die Unthat ist auf seinem Boden verübt worden, und wir verstehen keinen Scherz. Daß ich Euch jetzo warne, läuft schon wider [199] der meine Pflichten. Berücksichtigt aber mindestens diese Warnung, und bringt ferner uns nicht Gefahr durch Eure Einkehr.«

»Gefahr?« lachte Veit mit grimmigem Hohne: »Ehre bringe ich Euch; mehr Ehre, denn Ihr verdient, ungastlicher Mann. Ein Sprosse alten Geschlechts, wie ich bin, sollte sich Recht vor Recht scheuen, in ein Haus wie das Eure zu treten; diese Auszeichnung verdankt Ihr nur Eurem Weibe, das sich zu Euch herabließ. Ich hoffe dafür nicht mit Undank belohnt zu werden. Für's Erste weigert Euch nicht, mir den Jahrgehalt verabfolgen zu lassen, den Margarethe mir bisher zahlte; zehn Pfund Heller, nicht mehr, nicht weniger. Gerade so viel kostet's, um Bürger bei Euch zu werden – lege ich zwei Pfund darauf, so kann ich einen Mord abthun vor Gerichte, wär's auch der des Pfaffen zu Bonames.«

Margarethe schlug beschämt die Augen nieder. Diether sah strenge auf sie, und sprach: »Ich wußte wohl, daß meine Ehefrau Euch zudringlichen Gesellen dann und wann mit Almosen bedachte, aber von einem Jahrgehalte weiß ich nichts, und ein so Reichliches erwartet nimmer.«

»Ihr wißt wohl von Vielem nicht, was Euere Wirthin thut;« äußerte Veit hämisch grinsend: »'s ist kein Wunder; nicht Eure Haare allein, auch Euer Verstand und Witz ist alterschwach geworden.«

»Glaubt ihm nicht, dem schamlosen Lügner;« bat Margarethe den stutzig werdenden Gatten. »Er mißbraucht auf unerhörte Weise die Blutsfreundschaft,[200] die mich leider an ihn fesselt. Ich gab nie so viel; Eure Gebote waren mir heilig, lieber Herr!«

»Glaubt ihr doch;« spottete Veit ihr nach: »Im Grunde sagt sie die Wahrheit. Nicht sowohl zu meinem Nutz und Frommen, als zu Andrer Wohlseyn wird sie Euere Geldtruhe leeren, und wohl bekomm's Euch, schäbiger Filz. Indessen säumt nicht, mir das verlangte Geld einzuhändigen. Ihr möchtet sonst einen Tanz erleben, daß Euch die Haare zu Berge stehen.«

»Ihr droht, in meinem Hause?« fuhr Diether zornig auf: »So ihr Euch vergeßt! ....«

»Wir haben ein lustig Sprüchlein;« sprach Veit unbekümmert weiter: »das lautet also: Rother Hahn und rothes Eisen soll den Bürgern Sitte weisen! Merkt Euch das. Der Hahn kommt geflogen, ehe man sich's versieht; und das Eisen braucht nur eine kühne Faust. Zahlt aus, stürzt den Seckel. Schon um die Freude, mich los zu seyn, sputet Euch.«

»Schändlicher Bube!« grollte der Altbürger, und knüpfte den Beutel ab, den er am Gürtel trug, und dem Schwager verächtlich vor die Füße warf. Dieser hob ihn aber geschmeidig auf, wog ihn in der Hand, und sagte: »'s wird weniger seyn, denn ich verlangte; dafür seyd Ihr aber auch ein Frankfurter Bürger, der sich nicht schämt, an seinem Wechseltisch mit dem schmutzigsten Gewertschen 3 um einen falschen [201] Schilling zu jüdeln; und, wenn ich Zeit habe, hole ich das Fehlende nach.«

»Thut es nicht,« entgegnete Diether: »es möchte Euch theure Zinsen kosten. Packt Euch jetzt. Der Imbis wartet auf uns, und für einen verwiesenen Landstreicher ist kein Stuhl an meinem Tische.«

So eben brachte Else den kleinen Hans herein, und Veit flog wie ein Stoßvogel auf den Knaben zu, und herzte ihn mit widriger Zärtlichkeit, so sehr Kind, Magd und Mutter es zu wehren suchten. »Laßt mich doch!« rief der Junker: »ist der Bube doch mein Neffe; gewisser mein Neffe, als Euer Sohn, Graubart! – Höre doch, mein Junge, den alten Mann, welch tolles Zeug er redet. Der Kaiser kann nicht hochmüthiger seyn, als er. Lache ihn aus, dicker Bube, lache ihn aus.«

Diether, der kaum seinen Zorn noch mäßigen konnte, winkte Elsen zu gehen. Veit hielt den Knaben zurück, und wollte ihm einen Kuß auf die Wange drücken. Das wilde Gesicht und der hängende Schnauzbart des Ohms schreckte jedoch den Kleinen, und mit dem Ruf: »Lieb Väterlein! hilf mir von dem Manne!« entsprang er dem Leuenberger und eilte in Diether's Arme. Der Junker schlug ein helles Gelächter auf. »Lieb Väterlein!« rief er: »Lieb Väterlein! Sie haben Dir das Vaterunser gut gelernt, mein Söhnlein, wenn sie auch selbst nicht dran glauben. Ich wünsche Euch Glück zu dem Buben, Alter. Kein Zug von Euch in seinem Gesichte; gewiß auch keine Ader von Euch im Herzen. Er wird einst Euern schlechten Namen zu Ehren bringen. Verlaßt Euch [202] darauf, und lebt wohl. Ich möchte nicht gerne überlästig seyn, darum gehe ich jetzt schon. Zählt indessen immer Geld für mich ab; und Du, lieb Schwesterlein, vergiß nicht für Deinen ehemaligen Freiersmann ein gut Wort bei Deinem treuen Freunde einzulegen.« –

Nun war dem Ausbunde roher Bosheit das Niemand schonende Gift ausgegangen, und er ging davon über die Schwelle des Hauses, in welchem er den nagenden Keim des Unfriedens zurückließ. Diether verlor zwar kein Wort über die abscheulichen Andeutungen des feinen Buschritters, aber sein Schweigen war der Vorbote einer bösen Zeit, und Margarethe, von Schuld nicht rein, wenn auch vor des Bruders Anklage ohne Fehl, that, von Gewissensangst befangen, keinen Schritt, dies feindliche Schweigen zu brechen, das den frohen Neujahrstag in eine trübe Nacht stummen Zwistes verwandelte. – Von der andern Seite war es in des Lauenbergers Brust bei weitem nicht so ruhig geblieben, als vielleicht sein kalter Spott ahnen ließ. Er kochte verzehrenden Grimm, denn die Droh-und Schmachworte, die sein Schwager gegen ihn gebraucht, hatten den wunden Fleck seines Ehrgefühls unsanft berührt. Die Furcht vor den reichsstädtischen Zwang- und Halsgesetzen allein hatte ihn abgehalten, sich thätige Rache auf dem Fleck zu nehmen. Die unersättliche Habgier, die, aller Weigerung ungeachtet, demnach in der Zukunft neue Nahrung erwartete, hatte auch ein begütigend Wort dazu gesprochen; aber die fürchterliche Sühne, die der Augenblick nicht gebären dürfte, [203] sollte nichtsdestoweniger in der Folge die Verunglimpfung vergelten. Mit diesem Gedanken beschäftigt, stieg der Herr von Leuenberg in seiner Winkelherberge zu Pferde, nachdem er sein dürftig Mahl und Mittagsruhe gehalten hatte, und klepperte, sobald die Thore wieder nach der Vesperzeit geöffnet worden waren, von dannen; denn die Sonne ging bereits zu Rüste, und die Stunde war im Schlagen, die den Stadtfeind seinen Gegnern erlaubte.

Seine raschtrabende Mähre legte mit Windesschnelle den Weg bis über die nahe Warte zurück, und hier schöpfte der Behutsame neuen Athem. Theils um dem beginnenden Schneegestöber auszuweichen, theils auch um sich zu erfrischen; wohl auch in der Hoffnung, auf Bekannte zu stoßen, lenkte er links von der Heerstraße ab, nach der Gegend zu, wo zwischen sanft anstrebenden Anhöhen ein wenig besuchter Hohlweg durchläuft und zu einer Wüstung führt, an deren Ende, von Erdauswürfen, wie von Vertiefungen und krüppelhaften Buschwerk gedeckt, eine elende Schenke stand; die Herberge herren- und gesetzlosen Gesindels größtentheils, dann und wann der versteckte Schlupf- und Lauerwinkel hungriger Raubjunker; am seltensten wohl das Nachtlager irgend eines verirrten, von Sturm und Regen hier zum Übernachten gezwungenen ehrlichen Wanderers. Weder dem Leuenberger, noch seinem Gaule war das räucherige Nest ein unbekannter Ort, denn in der einbrechenden Dämmerung, wie auf bösem, aufgewühlten und dann wieder hartgefrornem Pfade erreichten sie ihn blindlings. Der Reiter klopfte, zum [204] Zeichen, daß ein guter Freund angekommen, mit der Gerte an die armseligen Schiebefenster, zog sein Pferd unter die elende Bedachung von Tannenästen, die einen Stall vorstellen sollte, band es an einen Sparren fest, und trat, nachdem er ihm Häckerling vorgeschüttet, und eine Last Stroh, von dem Hüttendach gerauft, untergeworfen, in das Innere der verrufnen Kneipe. Ein altes Weib kauerte am Herde, und mühte sich ab, das naßgewordene Reisig in Flammen zu blasen; eine junge Dirne von unlieblichem Angesichte, schlief in der Ecke mit einigen daselbst aufgeflogenen Hühnern um die Wette. Sonst keine Seele in der Hütte, und ein Paar elende Tische aus Balken gezimmert, dergleichen Bänke, und ein Kandelbret mit unsaubern Krügen und hölzernen Bechern versehen, waren das ganze Geräthe der Stube, auf deren Estrich man mit der größten Vorsicht wandeln mußte, um nicht in einem der Löcher desselben ein Bein zu brechen. – »Ein Glas Funkelhans!« 4 rief der Eintretende der Alten zu, die auch alsobald mit tiefem Reverenz das Verlangte herbei brachte und einen frischen Lichtspan aufsteckte. »Ich werde hier bis morgen verweilen,« fuhr Veit mit vornehmen Tone fort: »Die Nacht hat mich übereilt, und ist keines Menschen Freund.« – Das Weib nickte beifällig, versicherte, es werde ihr eine Ehre seyn, den Junker zu beherbergen, und machte sich wieder an ihr Geschäft. – »Was braust Du da Alte?« fragte Veit, um das Gespräch nicht ersterben zu lassen. – [205] »Habersuppe, edler Herr;« erwiederte die Wirthin, indem sie einen derben Kessel an's Feuer rückte. – »Wer geht heute bei Dir zu Tafel, alte Hexe?« fuhr der edle Herr fort: »Die Brühe ist zu lang für Deinen und Deines Töchterleins Hunger.« – »Hm!« grinste das Weib: »Ihr wißt ja wohl, daß wir oft Gäste haben, und so auch heute. Mein Mann hat bei Bergen ein Geschäft, das ihn bis in den späten Abend vielleicht aufhält. Wenn er heim kommt, wird er hungrig seyn, und die Gesellen nicht weniger.« – »Was gibt's heut zu Bergen?« erkundigte sich der Leuenberger. – »'S ist dort Tanz und offne Lustbarkeit;« klang der Bescheid: »Ein reicher Bürgersohn von Friedberg, der vor der Adventzeit die schöne Eva von Bergen geehlicht, hält heute ihren Mahlschatz, und gedenkt, ihn noch gen Friedberg zu schaffen.« – »Er gedenkt, ...« brummte Veit höhnisch; »so, so! Dein Alter denkt aber weiter, nicht wahr?« – »Ach großer Gott!« seufzte das Weib, die Augen verdrehend: »Man muß freilich sehen, wie man kümmerlich sein Leben durchbringe.« – »Kümmerlich!« spottete der Gast: »Ihr Lügenvolk! Nur das Schlechte laßt ihr liegen; das Beste nehmt Ihr, und heuchelt obendrein Armuth gegen Leute, die Einiges von Euren Kniffen verstehen.« – »Lieber Herr,« erwiederte die Wirthin: »'s ist lauter Wahrheit. Mit den Kumpanen muß man theilen; das Kostbarste verscharren, darf das liebe Gut nicht sehen lassen. Oft sagte ich zu meinem Manne: Marten! sagte ich zu ihm: Wär's nicht besser, wir fingen an ehrlich zu arbeiten, und könnten ruhig leben und uns [206] wohl seyn lassen, als von ungerechtem Gut reich seyn, und es verbergen müssen, und zittern müssen vor Entdeckung? Da lacht er mich aber jedesmal aus, und sagt: Wart nur, Weib, bis wir genug haben, dann wallfahrten wir nach Compostell, opfern dem heiligen Jakob eine silberne Krone, holen uns Ablaß, und kaufen uns alsdann am Rheine an.« – »Ein seines Vorhaben,« lachte Veit: »So habt ihr noch immer die Aussicht als Ehrenleute zu sterben, vielleicht noch selig gesprochen zu werden, wenn ihr auf dem Todbette irgend ein Kloster reichlich bedenkt.« – Die Alte wurde empfindlich. »Warum sollen wir denn etwa nicht des Paradieses theilhaftig werden? Mein Marten hat noch keinen Pfarrherrn erschlagen.« – »Verfluchte Spötterin!« fuhr Veit auf, und griff nach dem Dolche. Die Alte rannte schreiend nach der Ecke, in der die Tochter schlief, und weckte diese durch ihr Gejammer.

»Was schreit Ihr denn also?« fragte die Erwachende in schlaftrunknem Gleichmuthe: »Der Herr wird Euch nicht im Ernste erstechen wollen, und in Eurem lüderlichen Gewerbe sollt Ihr blanker Messer schon gewohnt geworden seyn.« – Veit mußte über die faule Predigt lachen, die das häßliche Mägdlein hielt, und steckte den Dolch wieder ein. – »Komm her, Alte,« rief er: »'s war nur mein Scherz. Und Du, garstige Bußrednerin, lege wieder Dein Haupt zur Ruhe. Unser Gesprächsel würde Dein frommes Ohr ärgern.«

»Das würde es auch;« versetzte die Dirne, wie oben. – »Ich will mich daher lieber draußen im Stalle[207] zur Ruhe legen, als in Eurer Nähe.« – Sie stand auf, und ging. – »Mädel, draußen pfeift der Schneewind;« rief ihr die Mutter zu. – »Mein Roß steht im Stall, und kann nicht gut Gesellschaft leiden!« fügte der Junker bei. – »Was thut das?« fragte die Dirne entgegen: »Schneeluft ist kalt, aber kälter der Schooß einer gottlosen Mutter. Unter den Hufen eines schlagenden Rosses schläft der Gerechte besser, als unter'm Schirmdache des Bösen. Gute Nacht!« – Sie verschwand, und bei dem Ernste ihres Abschieds war dem Leuenberger unheimlich um's Herz geworden. Unheimlicher noch der Mutter, die trübsinnig beim Feuer sitzend, die Hände faltete, und in die Flamme starrend, die dicken Thränentropfen ungetrocknet ließ, die in ihren grauen Wimpern hingen. – »Die Maid bricht noch mein Herz, ...« seufzte sie endlich: »und ich darf sie nicht schelten, weil sie die einzige Unschuldige im Hause ist.« – »Eine Närrin ist sie!« brummte Veit mürrisch. – Die Alte versetzte aber eifernd: »Nein, lieber Herr, sie ist verständiger, denn Eine ihres Alters. Die Klostermagd am uralten Stifte der Reuerinnen zu Frankfurt, war der Dirne Taufpathin, und brachte sie, da sie zehn Jahre alt geworden, und ich noch rüstig dem Haushalt vorzustehen vermochte, als ihre Helferin in dasselbe Stift. Daselbst wurde unsre Judith zwanzig Jahre alt, und überlebte ihre Pathin, und trat an deren Stelle, bis ich, vergeßlich werdend und an Kräften abnehmend, sie wieder zu uns forderte. Sie weigerte sich auch keineswegs, und kehrte heim, geschickt und gewandt, und ausgestattet [208] mit Bibel- und Sittensprüchen, die sonst an uns gemeinen Leute nicht kommen. Ihr Verstand merkte bald, wo es leider in unserm Hause hinaus will, und ihre Frömmigkeit spricht oft Donnerworte gegen uns aus, vor denen nicht selten mein Mann selbst erzittert. Im Anfang wollte er die Judith schlagen, aber es war immer, als ob ein Engel seine Hand aufhielte, obgleich die Dirne gelassen Rücken und Wange bot. Und da wir nun sahen, daß sie unverdrossen ihre Arbeit verrichtet, und das vierte Gebot ehrt wie eine Heilige, so ließen wir sie reden, und haben uns an ihre harten Ermahnungen gewöhnt, beachten sie gar nicht, wenn sie nicht etwa dann und wann mein Mutterherz zu schonungslos angreift, wie just heute. Ich habe sie ja doch geboren!«

»Eben darum;« versetzte Veit gleichgültig: »die Bärin muß etwas von ihrer Brut vertragen können. Schlechtes Volk seyd ihr, das leidet einmal keinen Zweifel. Nehmt immerhin das Kreuz auf Euch, fügt Euch der Tollheit Eures Sprößlings, und dankt dem Satan, wenn die Verrückte Euch nicht einmal an die Gerichte verräth.«

Die Alte schüttelte ungläubig den Kopf. »Das thut sie nimmermehr!« sprach sie: »Ich habe einmal von ihr verlangt, sie sollte einen Eid darauf schwören.« Sie aber hat's nicht gethan, und gesagt: »So Ihr auf ein leeres Wort von mir vertraut, mehr als auf mein kindlich Herz, so verdientet Ihr, daß ich hinginge und Euch verriethe. Sorgt indessen nicht, für Eure Sünden will ich büßen, wenn's Noth [209] thut, weil es geschrieben steht, daß die Unthaten der Eltern bis in's vierte Glied forterben, ... aber nimmer sie vergehen vor der Welt.« –

»Desto besser!« lachte der Leuenberger: »Da habt Ihr ein gutmüthig Schäflein, das, wenn einmal der Stab über Euch gebrochen wird, für Euch den Hals streckt, und bei dem lieben Gott Eure Fürbitterin wird. Stille aber jetzt mit dem thörichten Geplauder. Weißt Du schon, daß Euer alter Geselle, der Weber Paul von Bonames, gestorben?«

»Nein, werther Herr,« erwiederte die Alte: »Ihm sey das Freudenreich dort oben, wenn's also sich verhält.«

»Den Teufel auch!« schalt Veit: »Der Hölle Schwefelpfuhl sey dem niederträchtigen Buben, der auf dem Sterbelager zur Plaudertasche wurde, und mir übeln Leumund brachte. Ich kümmre mich freilich wenig um die Ellenreiter zu Frankfurt, aber verdrüßlich ist's doch immer, wenn solche Menschlichkeiten zur offnen Sprache kommen.«

»Ja wohl, ja wohl!« bekräftigte die Alte: »Paul war sonst einer der Besten unter meines Martens Leuten, bis er fromm wurde, und sich in Reue und trostlosem Nachgrübeln sein Ende herbeizog. Mein Mann erzählte oft, der Paul führe einen Stoß, trotz einem Wälschen, und Stich und Tod sey Eins bei ihm.«

»Dem war auch so,« versetzte Veit: »bis der Kerl zum Schurken wurde.«

»Daß solche kecke Leute auch dahinfahren müssen!« fuhr das Weib fort: »Ich darf es wohl bekennen; [210] die besten Gehülfen Martens, den doch allgemach Augen und Kraft verläßt, kommen nach und nach von seiner Seite. Dreie sind ihm noch geblieben von der ganzen Schar, die er seit mehr denn zwanzig Jahren mühsam herangezogen. – Und von diesen Dreien wird nächstens der Beste, der Jude, sich trennen, wie mir mein Mann mit Verdruß geklagt.«

»Wie?« fuhr Veit überrascht auf: »Der Jude, der pfiffigste aller Galgenvögel, der unverzagteste aller Mörder hat Euch den Dienst aufgekündigt? Blitz und Strahl! Wegen seiner bin ich eigentlich hier. Seiner Geschicklichkeit bedarf ich ja gerade am allermeisten.«

»Die wird Euch auch nicht entstehen;« tröstete die Alte: »Kann die Arbeit bald gethan werden, so verrichtet sie der Rothe gern für Euch. Ihr kennt ihn und uns ja nicht von gestern. Aber im nächsten Sommer wird er eine Frau nehmen und gen Worms ziehen, und das Messer an den Nagel hängen, um ein ehrlicher Mann zu werden. Der Bursche hat gar leicht zu reden und zu thun. Den besten Theil jeder Beute hat er für sich genommen, und sein Gewissen ist vollkommen ruhig, denn ein Jude begeht keine Sünde, wenn er einen Christen plündert oder erschlägt, so wenig als es etwas zu sagen hat, wenn ein Christ einen Hebräer todt macht.«

Schöne Weisheitslehren! dachte Veit für sich, und wünschte sich weit hinweg von dem entmenschten Weibe in die Gesellschaft der rohesten Männer. Sein Wunsch wurde bald erhört, denn ein dumpfes Geräusch [211] wurde, fern herkommend, vernommen. Die Alte spitzte das Ohr, öffnete behutsam den Schiebladen, horchte und flüsterte in die Stube herein: »Sie kommen, edler Herr; sie sind's!« – Auch Veit legte sich auf die Lauer. Das Gesumme kam näher – leichte Tritte, dann Gestolper auf dem holprigen Pfade, der von der Bergener Anhöhe herunter führte, ... mitunter leises Stöhnen, wie das eines Geknebelten – darauf folgende halblaut hervorgepreßte Flüche; ... endlich verlor sich Alles hinter der Hütte, und schien plötzlich still zu werden. Mit einer Ungeheuern Seelenangst schlug die Alte aber das Fensterlein zu, packte den Junker wie eine Verzweifelnde am Arm, und murmelte mit klappernden Zähnen: »Betet, betet ein Paternoster, lieber Herr, ... ein Ave für die arme Seele: Sie sind zu den Weiden am Sumpfe gegangen ... Gott erbarme sich!« – Veit, dessen Haare sich auf dem Wirbel sträubten, machte sich mit aller Gewalt von der Entsetzlichen los, und wollte zur Thüre, zu welcher eben Judith wie ein bleicher Schatten eintrat, umweht von schaurigem aus duftiger Nachtferne dringendem Geächze. »Wo wollt Ihr hin?« fragte die Dirne hohl und bebend: »Bei den Weidenbäumen wird das Werk gethan, auch ohne Euch. Wahrlich! besser wäre es, mit dieser Hütte umzukommen im feurigen Pfuhl, als den Mord zu sehen, an welchem wieder ein Gerechter verblutet.«

Ein herzzerreißendes Stöhnen aus der Ferne war das Letzte, das gehört wurde. Lange blieb es nun stille; endlich hörte man ein Rauschen im Moore, [212] wie das Versenken schwerer Steine, und kurz darauf kamen hastige Schritte auf die Hütte zu, in welche drei stämmige Kerle traten. »Guten Abend!« war ihr erstes Wort; »Wer da?« ihr zweites, da sie des Fremden gewahrten, der ihnen indessen bald kein Fremder mehr war, wie die rohe Freundlichkeit des alten Marten bewies, der ihn zuvorkommend aufnahm. – »Wasser!« herrschte Einer von den andern hochgewachsenen Burschen der Dirne zu; und gemessenen Schritts holte diese den Schwenkkessel vom Kandelbret, in dem sich der Wildblickende die Hände wusch. »Reinige Deine blutigen Hände, Zodick;« redete das Mädchen zu ihm: »von Deiner Seele geht der rothe Flecken nicht ab, bis er sich vor dem Herrn in höllische Flammen verkehren wird.« – »Schweig, Aberwitz!« polterte der Jude, die Faust gegen sie erhebend. »Daßich schweige,« versetzte die Magd, »ist kein Wunder, da ich Deine Schläge fürchte, daß aber der dort oben schweigen kann bei solchem Mordgräul, ist ein unverständlich Mirakel!« – »Wahnsinniges Thier!« entgegnete Zodick verächtlich, und setzte sich zu den Übrigen. Die Alte trug Most auf, und die Habersuppe, die den Übrigen mundete. Zodick zog aber ein Stück Brod aus der Tasche, und einige Zwiebeln, um sie zu speisen, legte dann sein Messer in des Herdes Kohlen, und forderte seinen besondern Becher, seine besondre Flasche. Beides, mit eingeschnittnen Zeichen versehen, wurde gebracht; in dem Most, der ihm vorgesetzt wurde, löschte der gewissenhafte Jude die glühend gewordne Klinge ab, murmelte: »Koscher! koscher! [213] koscher!« vor sich hin in den Bart, und trank und aß dann mit den Andern drauf los, die ihrerseits ebenfalls die größte Scheu zeigten, etwas zu berühren, dessen sich der Hebräer bedient hatte. »Wo ist Jost?« fragte die Alte, einen der gewohnten Tafelgenossen vermissend. Der Wirth zuckte schweigend die Achseln, der Andre blies gleichmüthig über die flache Hand weg, Zodick aber antwortete frech. – »Was gibt's da zu verhehlen? Gebeckert hat er. So wahr als wir sitzen hier am Tische, so wahr hat ihn der Goi, der nicht lassen wollte vom Gelde, darniedergestreckt miteinem Hieb. Darum hat er auch müssen an's Messer, und hätt' ich ihn schleppen müssen sechs Stunden weiter, ich hätt' ihm sein Blut nicht geschenkt.« – »Bärenwüthig hat sich der Bursche gewehrt,« fuhr Marten fort: »er meinte uns alle in die Flucht zu schlagen durch sein Schwertlein. Aber nichts da. Wolf hieb ihm die Sehne der rechten Faust mit dem Messer durch, ich rannte ihn zu Boden, und der Jud stieß ihm den Knebel in den vorlauten Schreihals. Fort mit ihm über Stock und Stein bis hieher, wo ihn Zodick abkehlte. Er schlafe wohl; im Sumpfe ruht er, sanft gebettet, und kommt gewiß nicht wieder, sein Geschmeide und sein Geld zurückzufordern.«

»Gott wird's an seiner Statt, und die Thräne seiner Witwe!« sprach Judith feierlich: »Ich aber will am Rande des Moors für seine arme Seele beten.« – Sie ging hinweg, und die Alte folgte ihr bald nach, um durch abergläubische Formeln ihr zagendes Gemüth zu beschwichtigen.

[214] »Daß Du dem unnützen Ding das Gedibber nicht verbieten magst!« schalt Zodick gegen Marten. »Verbiete der Gans das Schnattern,« antwortete dieser mit vieler Ruhe. – »Mag die Dirne doch reden, was sie will; wir thun, was wir wollen.« – »Jetzt zum Beispiel, wollen wir theilen,« meinte Zodick mit seiner gewohnten Grobheit; »heraus mit dem Fang; ich muß heute noch zur Stadt, sonst merkt mein Herr Unrath.« – Marten winkte ihm mit den Augen zu, und deutete verstohlen auf den Leuenberger, der, ohne Antheil an dem Gespräche zu nehmen, ruhig in der Ecke sitzend, einen günstigen Augenblick erwartete, sein eigen Gesuch anzubringen. Zodick verstand Marten's Geberde wohl, aber, lachend die Kappe auf dem Wirbel drehend, antwortete er: »Immer zu! immer zu! 's hat keine Noth. Der Herr ist nicht dabei zum Erstenmale. Ihr fürchtet wohl, er möchte versucht seyn, uns alles abzunehmen mit seinen Spießgesellen? Weit gefehlt. Dazu ist er zu fein, und weiß, daß das Messer der Blutzopfer trifft, hinter'm Schutzgatten, wie hinter'm Altar.«

»Macht Euch keine Sorgen;« bestätigte Veit unbefangen; »vor Euern Genickfängern habe ich alle Ehrfurcht. Weit entfernt, mich ihnen selbst zum Ziele zu geben, will ich diesem wackern Rothkopf vielmehr eine Arbeit auftragen, die ihm wenig Zeit kosten, aber Vortheil bringen wird.«

»Desto besser!« versetzte Zodick mit abscheulichem Grinsen. »Davon nachher. Vorab die Theilung. Frisch [215] daran. Zahlt die Masumme, putzt die Scheinlinge. Steht die Wache vor der Thüre!«

»Meine Alte paßt auf;« erwiederte Marten, und langte eine schwere Geldkatze hervor, die – auf den Tisch geleert – eine nicht unbedeutende Sammlung von Geld und Kleinodien, wie sie die Bürgersleute zu tragen pflegten, enthielt. Veit stand am glimmenden Herde, und schaute auf die drei Schurken herüber, die mit einer ekelhaft habsüchtigen Schnelligkeit den ganzen Raub in drei Theile zerrissen, von welchen der größte und beste dem Juden anheimfiel, der obendrein mit vieler Spitzbüberei den andern Bösewichtern, die auf deren Theil gefallnen Kostbarkeiten um einen Schelmenpreiß abschacherte, und abdrängte. Noch im letzten Augenblicke des saubern Geschäfts stahl er seinen Gesellen mit gewandten Fingern einige Silberstücke, und auf ihre Einsprache zuckte sogleich des Juden blutgewohnte Faust nach dem Dolche, den die Andern so sehr fürchteten, daß sie jeden Anspruch auf der Stelle fahren ließen. – »Laßt doch den Hader,« sprach Veit, sich einmengend; »es ist schon spät geworden. Legt Euch zur Ruhe, ihr Leute. Ich muß mit dem Rothen noch ein Paar Worte reden.« – Marten und sein Kumpan fügten sich in die Rede des gestrengen Herrn, und lagerten sich auf den Boden am Herde. Zodick machte sich indessen fertig zum Gehen, zog die Mütze über's Ohr, band ein schmutziges Tuch darüber und unter das Kinn, und winkte dem Leuenberger, ihm vor die Thüre zu folgen. »Die Spitzbuben lauern wie die Füchse!« flüsterte er sei nem Kundmann warnend [216] zu, und zog ihn aus der Hütte. »Was soll's?« fragte er hier demüthig und geschmeidig. Aber kaum hatte Veit den Namen seines Schwagers genannt, als sich der Bube emporrichtete, mit Augen, die durch die Finsterniß roth funkelten. »Ho!« rief er mit Zähnknirschen: »diesen Namen kenne ich wohl, und Hab' ihm Rache geschworen; so oft ich gebetet habe das Gebet Schephot, das verflucht alle, die uns hassen, so habe ich nur gedacht an den, den ich hasse, und der sich nennt nach seinem Vater.« – »Du redest irre!« fiel Veit ihm in die Rede. Der Jude verneinte indessen lebhaft, und fragte: »Ist's der Alte, dem ich den Talles geben soll?« – Veit bejahte. – »Schade, Schade!« versetzte Zodick unmuthig den Kopf nach beiden Seiten bewegend: »den Jungen hätte ich lieber geschächtet.« – »Der ist fern;« sprach Veit: »erwarte seine Rückkehr, und schaffe ihn dann hinweg, wenn's Dir beliebt.«

»Hm! warum nicht?« meinte Zodick: »wenn es mir würde bezahlt! Schon lange lebte er nicht mehr, hätte ich's nicht verschworen, keinen Stoß zu thun, als nur für baar Geld. So mag's denn bleiben bei dem Aette. Wie schwer wiegt er Euch?«

»Fünf Pfund Heller .... keinen Albus mehr!« erwiederte Veit. »Ich zahle sie nach gethaner Arbeit. Du weißt aus Erfahrung, daß ich in ähnlichen Fällen Wort halte.«

»Ja, ja, ganz recht!« sprach der Jude zögernd: »aber 's ist verdammt wenig, das Ihr bietet.« – »Für ein abgenutztes altes Leben, das ohnehin vielleicht in Kurzem von selber reißen wird!« – »Der [217] Tod dieses abgenutzten Körpers bringt Euch aber Glück!« lachte Zodick hämisch: »Bietet mehr, und zahlt etwas voraus.« – »Ich biete nicht mehr, und zahle nichts voraus;« sprach Veit. – »Weiß wohl!« entgegnete Zodick. »Ihr Herren habt nie Vorrath an Münze. Müßt erst den Sold irgendwo krimpeln, ehe ihr ihn zahlen könnt. Mag's indessen seyn. Tof! tof! Sobald ich ihm ankomme an die Rippen, dem Alten, sollt Ihr von mir hören.« –

Die Würdigen schüttelten sich die Hände, und schieden. Veit legte sich in der Mordhütte zur Ruhe, und Zodick lief über Zaun und Steg der Stadt zu. Er erreichte das Thor gegen Mitternacht und wurde gegen das Sperrgeld von dem schlaftrunknen Pförtner in die Stadt gelassen. Der aus dem Schlummer Gestörte fluchte dem Juden, der so spät vom Handel zurückzukommen vorgab, alle Pest und Plage an den Hals. Zodick nahm indessen alles gleichmüthig hin, und schlüpfte durch die finstern Straßen in die Judengasse. Nach Gewohnheit fand er das Haus verschlossen, öffnete die Thüre geschickt mit einem eisernen Haken, drückte sie wieder zu, und suchte mit leisen Katzentritten das elende Lager, auf welchem ihn, den im Verbrechen verhärteten Sünder bald ein Schlaf beschlich, der, fest und anhaltend, seine Sinne wieder neu stärkte zu neuen verabscheuungswürdigen Vorsätzen.

Fußnoten

1 Haube.

2 Meister der Rechte, beim Rathe bedienstet, seit 1380; das Amt des Syndikus verwaltend.

3 Lombarden, gleich den Juden vom Wechsel ausgeschlossen, auf Mäkler-, Leih- und Wuchergeschäfte angewiesen.

4 Scharfer Wein oder Obstmost.

10. Kapitel
[218] Zehntes Kapitel.

Herr! vergib ihnen; sie wissen nicht, was sie thun!


Ben David stand einige Tage nachher eines Morgens zum Ausgehen bereit, als Zodick in feiertäglichen Kleidern zu ihm in die Stube trat. Verwundert ob diesem Aufzuge, und dem gespreizten Wesen, das der Schachergehülfe an den Tag legte, befragte ihn der Herr nach deren Ursache. »Ich komme bei Dir zu freien um Deine Tochter,« erwiederte Zodick: »Du weißt, Herr, welch ein Vertrag Dich gebunden hat an meines Vaters Wunsch, auf dessen Andenken der Friede sey. Die Zeit ist geflossen dahin, während welcher ich dienen mußte nach dem Beispiele des Erzvaters. Ich habe den Lohn verdient, den wir ausgemacht, und die Perle, die ich wachsen sah, soll mein seyn, nach dem Willen des hochgelobten Gottes und seiner Elohim, die Dein Wort gehört und aufgezeichnet haben.« – Ben David schwieg mit sichtlicher Überraschung eine Weile; dann antwortete er: »Das siebente Jahr ist noch nicht zu Ende. Der vierzehnte Tag des Mondes Adar, an dem man feiert das Purimfest, ist derjenige, an dem die Frist verfällt.« – »Du sollst nicht zählen die Tage, wenn es ein Gelübde gilt,« erinnerte Zodick unterwürfig: »der Fürst der Barmherzigkeit zählt dann im Thale Josaphat Deine Sünden um so nachsichtiger.« – Ben David drohte ihm ernst und schweigend mit dem Finger. »Es bleibt dabei;« sprach er: »am gedachten [219] Tage komme wieder und freie mein Kind.« – »So soll mich der Hammer zerklopfen, wie den verfluchten Haman am Purim, wenn ich länger harre!« brach Zodick in leidenschaftlicher Hitze aus: »So ich mich gedulde bis dahin, so ich sicher noch länger mich gedulden muß! Du hast gedehnt meine Dienstzeit von drei Jahren auf fünf, von fünf auf sieben. Ich bin es müde. Ich habe Dir gehorcht, als ein redlicher Knecht, will aber nicht mein Lebenlang seufzen unter'm Joch der Dienstbarkeit, will nicht im Abnehmen meiner Tage eine häßliche alte Reck freien, statt der schönen Rahel. Meine Freunde zu Worms fordern daß ich heimkehre, und ein Weib will ich mitbringen; darum säume nicht, und gib Deinen Segen.« – Ben David war in unangenehme Verlegenheit versetzt; nach manchen vergeblichen Winkelzügen, die alle an der Beharrlichkeit des Freiers scheiterten, entschloß er sich, mit der Wahrheit es zu versuchen. »Freund Zodick!« redete er: »da Du mit Ernst darauf dringst, um jeden Preiß erfahren zu wollen, was ich Dir noch gern verschwiegen hätte, so mag's drum seyn. Dein Vater war mir lieb und werth; ein Gerechter in Israel. Du warst es nicht minder; aber seit einiger Zeit habe ich überlegt, und gefunden, es möchte gut seyn, wenn nichts würde aus dem Verlöbniß zwischen Dir und Esther.« – »Wie?« fragte Zodick neugierig und argwöhnisch zugleich. – »Esther ist Dir nicht hold,« fuhr Ben David ruhig fort, »aber als eine gehorsame Tochter würde ihr Mund Ja sagen, wo ihr Herz Nein sagt. Ich würde vor Gott und dem Gesetz die Macht haben, sie zu nöthigen [220] zur Ehe mit Dir; aber ich fürchte, sie schlägt aus zu Euerm Unheil. Esther ist nicht für Dich, Dein Herz nicht für sie.« – »Was kannst Du aussetzen an meinem Herzen?« fragte Zodick rasch und übermüthig: »Bin ich nicht immer gewesen ein eifriger Bar Israel? Hab ich nicht, wie es einem rechten Bechor zukömmt, gehalten meine sechshundert Gebote und Verbote, seitdem ich geworden war ein Sohn des Gebots? Wer hat fleißiger die Schule besucht zu Worms, denn ich? Wer hat das gesegnete Hallel eifriger gesungen als ich? Habe ich einmal versäumt zu beten dreimal im Tage die Gebete Schmone Esra und Knias Schma? Was kann man mir vorwerfen? Ich bin ein Eifriger in Israel, denn ich halte das Gesetz; ich bin ein rechtschaffener Sohn, denn ich faste jährlich am Sterbetage meines Vaters; ich bin ein getreuer Knecht, denn ich will verlahmen, wenn ich Dich oder einen von unsern Leuten verkürzt habe, um einen Schilling. Ich bin ein sparsamer Mensch, denn der heilige Gott hat meine Arbeit gesegnet, daß ich etwas vor mich gebracht habe; ich bin wohlthätig, denn ich habe nie unterlassen, Almosen zu geben an die Armen, damit sie den Sabbath heiligen konnten. Was kannst Du mehr verlangen? Was darf Deine Tochter mehr begehren?« – »Hoffärtiger Mensch!« erwiederte ihm Ben David aufgebracht: »Willst Du prahlen mit den Gebräuchen, die Deine Hände verrichten und Dein Mund? Aber Du magst wissen, daß Deine Hände todt sind, wenn sie sich gleich bewegen, und stumm Dein Mund, wenn er gleich redet. Das Gesetz des heiligen Gottes [221] ruht nicht auf den Zähnen, noch auf den Fingerspitzen, sondern im Herzen. Der böse englische Pfenning ist glänzender als der Gerechte, nichts destoweniger aber falsch. Die Mesusa an der Thüre Deiner Hütten mag noch so schön und richtig geschrieben seyn, und doch geht Sammael über ihre Schwelle, so Deine Seele nicht rein und gesegnet wäre. Zodick! Zodick! ich fürchte, Du wandelst auf bösen Wegen, die da nicht führen in das himmlische Zion; sondern in den Feuerstrom, der unter dem Throne des hochgelobten Gottes herausfließt auf die Häupter der Sünder!« – »Wie magst Du mich schelten?« fragte Zodick mit frecher Fassung: »Du schändest mein Haupt, um Dein Versprechen nicht zu halten!« – »Davon nachher;« entgegnete Ben David ernst: »Für's Erste entscheide meine Tochter!«

Er ging und kehrte nach einigen Minuten, Esther an der Hand, zurück. »Dieser Mann freit um Dich,« sprach er ohne Leidenschaft: »ich zwinge Dein Gefühl nicht; antworte: willst Du sein Weib werden? Zum erstenmal redet wohl ein Hausvater in Israel also zu seinem Kinde. Bekenne frei und offen: Willst Du sein Weib seyn?« – Esther stürzte mit Freudenthränen zu Ben David's Füßen. »Da Du mich frei sprichst, Vater,« rief sie frohlockend, »so vernimm es, mein Geständniß ohne Zagen: ich verabscheue diesen falschen Heuchler – ich kann nicht die Mutter seiner Kinder seyn« – Ben David hob sie liebreich auf; Zodick stand da auf den Kohlen der peinlichsten Beschämung, wort-, bewegungslos. Ben David hatte Mitleiden mit seiner Qual und sandte [222] die jubelnde Esther durch einen Wink seiner Hand hinweg. – »Du wirst nicht begehren, eine, so Dich haßt, in Dein Bette aufzunehmen,« redete er zu Zodick: »siehe aber, ich löse mich von Dir mit diesen zwanzig Mark Silbers.« – Er legte den Sack mit dem kostbaren Metall vor Zodick hin auf den Tisch. – »Verlasse aber jetzt mein Haus;« fuhr er fort: »es kann Dir hier nimmer wohl seyn.« – Eine tiefdunkle Röthe bedeckte Zodick's Gesicht; seine Brust hob sich mühsam. – »Du gehst mit mir um, wie mit einem aus dem verfluchten Stamme Esau;« murrte der vor Zorn zitternde Knecht: »hab ich's verdient, daß Du also mit mir verfährst? Ben David! Ben David! daß es Dich nicht gereue! der heilige Prophet Elias und seine Engel sind allenthalben um uns. Sie haben Deine Worte gehört! zittre vor ihrer Rache!« – »Zittre Du selbst vor ihnen, Sohn der Unreinigkeit!« zürnte Ben David: »Ziehe nicht die Heiligen Israels in Deine Händel, während Du mir allein Rache brütest. Der Prophet hört Deine Worte wie die meinen; er belauscht Deine Schritte wie die meinen. Er sieht Dich, wann Du hinausgehst zur Stunde, wo Lilis, die ungeheure Nachtfrau auf dem Throne sitzt, und ihre Söhne die Teufel aussendet, daß sie die Menschen verblenden. Der Prophet weiß, was Du zu jener Zeit verrichtest, da Du ferne vom Hause umherschwärmst auf dem Pfade verbotner Lust, oder verdammlicher That. Zittre! geboten ist's, zur Nachtzeit die Schulen zu besuchen, wo deren Daseyn erlaubt ist; geboten ist's, den Neumond zu feiern mit Dankgebeten; erlaubt ist's, [223] in der siebenten Nacht unsers Hüttenfestes hinauszugehen in den Mondschein, um den Schatten zu befragen nach der Dauer unsers Lebens; – aber verboten ist's, aus sündlichem Gewerbe herumzustreifen zur Zeit des Schlummers. Dieses thust Du aber unzähligemale, dieses hat mir Dein übles Trachten verrathen, dieses verweist Dich aus meinem Hause; der Friede des Herrn komme auf Dich, und sein Segen. Geh' hin, und meide uns.« – Zodick lachte höhnisch dem Scheidenden nach, und ballte in steigendem Ingrimm die kecke Faust. »Du sollst es noch theuer bezahlen, was Du mir gethan, elender Lügner!« sprach er halblaut vor sich hin mit leidenschaftlicher Geberde: »Was Du Böses an dem verdammten Gojim geübt, das vergelte Dir der hochgelobte Gott mit tausendfältiger Pein, statt mit Wonne, wie unsre Cohenim es lehren. Er verschließe den Schooß Deiner Tochter, daß sie Dein Blut aussterben lasse in Israel, und verstoßen von ihrem Manne dahinwelke in Schmach und Verachtung! Er schlage Dich mit Jammer wie den aussätzigen Hiob, verwandle Dein Gold in Staub, Dein Haus in Kohle, Deinen Namen in den der krummen Schlange! Gras wachse vor Deiner Thüre, Hunger sitze an Deinem Tische und Dein Haar werde weiß im Elend! Sammael lähme Dein Gebein, der Teufel Schafriri Dein Auge, und Deine Zunge bettle das Brod vor den Thüren Amaleks! Lebe, lebe, lebe unendliche Jahre der Noth und Trübsal, bis der Herr, unser Gott, mit seinem Zorn angethan, Dich hinwegreißt zum ewigen Feuer der Gehenna! Amen.«

[224] Unzähligemale wiederholte der Elende den abscheulichen Fluch, während er seine Habseligkeiten zusammenräumte, um sie wegzuschaffen. Diesen Fluch auf der Zunge schüttelte er vor Ben David's Thüre den Staub von seinen Schuhen, und wanderte zum Dorfe Oberrad, wo er bei einem daselbst geduldeten Glaubensverwandten für den Augenblick seine Wohnung nahm. In Ben David's Hause war seit des zweideutigen Knechts Abzug eine feierliche Stille und Ruhe eingetreten, nur dann und wann von Jochai's bedenklichem Kopfschütteln gestört, der es unverholen mißbilligte, daß sein Sohn sein Versprechen zurückgezogen und auf einen bloßen Verdacht hin, den Esther bestimmten Bräutigam aus dem Hause verwiesen. Er äußerte mit Nachdruck die Vermuthung, die Wormser Judenheit werde gedachtes Verfahren nicht gut aufnehmen, Ben David wohl in Bann thun; der Letztere blieb indessen unerschüttert. »Wäre ich doch des Paradieses so gewiß,« sprach er, »als Zodick das Gesetz mit Füßen trat. Der sucht die Nacht, der die Sonne scheut und das Ruchtbarwerden seiner That. Was die Schule zu Worms betrifft, so bin ich hier, wo keine blüht, der König meines Hauses, und schalte mit meinem Kinde, wie ich will. Laßt uns den Herrn preisen, der uns aus der Gemeinschaft des Gottlosen brachte, und fröhlich leben in Eintracht.«

Ben David's, Ruhe erlitt dennoch eine ungemeine Störung, da er in Kurzem gewahr wurde, daß Zodick den Platz zu Frankfurt nicht verlassen hatte, wie er im Anfang geglaubt. Häufig begegnete er dem [225] tückisch lächelnden Rothkopfe auf seinen Handels- und Mäklergängen. Bald war es ihm auch kein Geheimniß mehr, daß derselbe auf die Verkürzung seines Erwerbs ausgehe. Überall kam Ben David, der fleißigste unter den Juden, zu spät; allenthalben sah er seinen Eifer schlecht belohnt, und allenthalben stack Zodick unter der Decke. Näherte sich Ben David den Tischen, und Hütten auf dem Berge bei St. Niklas, wo die Compsoren (Wechsler) saßen, und bot seine Unterhändlerdienste an, so war Zodick schon da gewesen und hatte unter den leichtesten Bedingungen alle Aufträge an sich gerissen; trat er in Palmstörfer's Wechselstube zum Weidenbaum, so ging Zodick gerade heraus, Rechentafel und Beutel unter'm Arm, und der alte Wechsler und Altbürger Humbrecht sagte ohne Hehl zu Ben David: »Du hast da einen gar guten Spürhund gezogen, Jude. Er läuft wie ein Teufel, schnobert alles aus, und nimmt geringre Zinsen, denn Du. Darum magst Du jetzt feiern, und Dich pflegen. Zodick dient uns besser und luftiger als Du, alter Knabe.« – War auf dem Gewandhause eine Versteigerung, und Ben David dachte dabei sein Heil zu versuchen ... umsonst, Zodick war dabei, kaufte am theuersten, schlug im geringsten Preiße los. Wurde an einem Orte ein Schmuck von edeln Steinen verlangt, und Ben David hatte bei allen Goldschmiden und Juwelenhändlern mit Mühe und Noth die Kleinodien zusammengebracht, so war doch alles vergebens; Zodick hatte Wind davon gehabt und weit schönere Steine herbeigeschafft. Was die Darlehen – den Haupterwerbszweig der Juden – [226] anbelangte, war Ben David nicht glücklicher. Zodick drängte sich überall auf, und Geld – zu dem er nach seines ehmaligen Herrn Einsichten, unmöglich auf richtigem Wege gelangt seyn konnte, – stand ihm in Hülle und Fülle zu Gebot. Der ausschweifende Sohn des Oberstrichters, der leichtsinnige Neffe des Schultheißen zogen gegen niedere Zinsen die Mittel zu ihrer Verschwendung aus Zodick's Beutel. Sogar dem gefangnen Raubritter von Hyrzenhorn streckte der rothköpfige Störefried die zweihundert Gulden vor, welche der Verhaftete um nur loszukommen, der Stadt sammt seinem Haus zu Wettershausen als Lösegeld stellte. Mit einem Worte: Zodick's Bemühungen, auf den Verderb seines Lehrherrn losgehend, erreichten vollkommen ihren Zweck. Die größern Geschäfte, wie sie nur etwa den Frankfurter Juden erlaubt waren, riß er zu Ben David's und seiner übrigen Glaubensgenossen Nachtheil an sich, und erschlich sich behende das Vertrauen der Bürger, das sich dem Neuen und Wohlfeilern gern zuwendet. Ben David wurde von Tage zu Tage mißmuthiger, und konnte endlich nicht umhin, dem Judenarzte Joseph, einem stolzen aber nicht unverständigen Manne, der ihn einst auf der Straße seiner verdrossenen Miene halber zur Rede stellte, seinen Gram mitzutheilen. »Ei, ei, Ben David!« erwiederte ihm Joseph mit vornehmem Kopfwiegen: »Die Klugheit, die gerade vom Herrn stammt, hat Euch verlassen, und der List des Leviathan's, der eine schlechte Schlange ist, das Feld geräumt. Lasse nie einen Andern gucken zu tief in deinen Becher! lautet ein alter Spruch. Lehre Deinem[227] Schüler nie Deine besten Künste, auf daß nicht seine junge Wissenschaft Deine bejahrte verderbe, lautet ein andrer. – Da nun aber der Fehler begangen ist, so halte ich dafür, da Euch der Quell des Lebens Reichthum bescheert hat, es sey am Besten, damit auf anderm Boden Euer Heil zu versuchen, bis der, der Euch verderben will, in seinen eignen Schlingen verdarb.« – »Wie meint Ihr das, Rabbi?« fragte Ben David aufmerksam, und Joseph erwiederte wichtig und den Mund voll nehmend: »Thut doch, was ich Euch schon vor längerer Zeit gerathen. Macht Euch auf gen Costnitz, mit Gelde versehen. Ich weiß aus sichrer Hand, daß der Herzog von Östreich bedeutende Summen sucht, die er hoch verzinsen will, wenn sie unter dem Siegel des Schweigens verabfolgt werden. Bei mehreren altbürgerlichen Geschlechtern dahier ist von ihm Anfrage gehalten worden, allein die haben ihr Baares bereits an den Kaiser und den Kurfürsten von Mainz und Pfalz geliehen. Da wäre ein ansehnlicher Gewinn zu hoffen, und – kehrt ihr zurück, – ist vielleicht schon des undankbaren Dieners Freudenleben zu Ende. Wer so rasch beginnt, endet sicher rasch. Beim Flüchtigwerden oder Falschmünzen hört's gewöhnlich auf.« – Ben David dankte dem Rathgeber von Herzen, und begab sich mit bessrer Zuversicht nach Hause, denn es hatte an seinem Leben genagt, daß sein Erwerb zu stocken und in die Hände eines Andern überzugehen drohte. Erheiterten Sinns erklärte er seiner Esther, daß sie zur Reise gen Costnitz sich bereit halten möchte, und fröhlicher denn er [228] die Kunde gab, nahm sie das Mädchen auf. Nachbars Ephraim, ein junger Bursche, der an Zodick's Stelle in Ben David's Hause getreten war, wurde angewiesen, dem Greise Jochai freundlich und gefällig in Allem zu Diensten zu seyn, und nachdem die Familie noch in häuslicher Eintracht den Freudentag gefeiert hatte, der in den Mond Schebat fällt, fuhren Vater und Tochter, von den Segenssprüchen des Altvaters begleitet, von dannen, im Gefolge eines ansehnlichen Krämerzugs, der nach dem Bodensee trachtete. Gerathen war es, einem bewaffneten Geleit sich anzuschließen, da vor wenig Tagen erst die Junker Bernhard und Wernher von Keseberg, wegen eines Unbilds, das sie in einem Pferdehandel von dem jüdischen Roßtäuscher Gombracht zu Steinheim erlitten zu haben vorgaben, »der ganzen Judenschaft und ihren Hohmeistern, wo sie auch seyen,« Fehde geboten und durch ein nach Frankfurt gesendetes untersiegeltes Schreiben erklärt hatten. Das gedrohte Unheil berührte sonach weder Ben David noch die schöne Esther, die ungehindert ihres Weges zogen, sondern denjenigen, der in seiner Frechheit es am allerwenigsten vermuthet hatte. Zodick nämlich, der wohl von dem am Römer aufgehängten seltsamen Fehdebriefe gehört hatte, sich jedoch auf seine Faust und sein Messer verließ, das er als Vertheidigungswaffe versteckt bei sich trug, weil die Gesetze jedem Juden untersagten, öffentlich ein Gewehr anzuhängen, schlenderte eines Abends bei einbrechender Dämmerung mißmuthig von Frankfurt nach Oberrad. Er hatte erfahren, daß Ben David die Stadt auf unbestimmte [229] Zeit verlassen, und es quälte seine Seele, denjenigen nicht mehr täglich zu sehen, dessen Eigen- und Geldliebe seine Tücke einen so entscheidenden Stoß beigebracht hatte. So sehr es ihn freute, seinen Zweck zum Theil erfüllt zu sehen, wie es die schnelle Entfernung Ben David's zur Genüge zu beweisen schien, so war ihm dieser Erfolg keineswegs genug. Den Wohlstand seines ehemaligen Herrn bis auf die Wurzel auszurotten, den Dolch des bittersten Leidens bis an's Heft in seine Brust zu stoßen, war seine Absicht, das Ziel seiner glühenden Rache. Doch, wie er so eben in dem Rüsthause seiner boshaften Gedanken wühlte, den Pfeil zu finden, den vergifteten, fernhintreffenden, – fähig, des Gegners Leben zu verletzen, verkröche dieser sich auch hinter den ewigen Eisbergen im Süden – ereilte den Grübler selbst ein feindlich Schicksal. Er war so eben an der deutschen Herren Mühle vorbeigeschritten, als aus dem beschneiten Graben der die Heerstraße von Feldacker trennte, dunkle Gestalten auftaumelten, und ihn umringten. Zodick's Hand fuhr nach der Waffe, allein, schon hatte eine Schlinge, um seinen Hals geworfen, ihn zu Boden gerissen, ein Pechpflaster klebte auf seinem Munde; im Nu war er entwaffnet, gebunden, und querfeldein geschleppt an die Ufer des Mains, von dannen auf wenig betretnen Fährten gen Offenbach. Es war finstre Nacht, als der Flecken erreicht wurde, und die Straßendiebe zerrten ihre Beute in eine abgelegne Hütte, wo einige Männer in ritterlicher Kleidung bei dem elenden Schimmer einer Öllampe Buschkleppertafel hielten, aus der [230] Faust. Die Gebrüder Keseberg und der tolle Veit von Hornberg waren die saubern Herren, die den Gefangnen mit dem Gejohle wilder Freude empfingen. – »Sieh da! sieh da!« lachte Wernher: »Ein dicker rother Gimpel zur Fastnachtszeit! Wackre Vogelsteller, die solches Wild aus dem Schnee zu graben verstehen! Guten Abend, Judas! Wir haben nicht umsonst Rechnung auf Dich gemacht. Hast Du viel Geld bei Dir?« – Zodick schüttelte heftig mit dem Kopfe. Einer der Wegelagerer versicherte indessen seinem gestrengen Herrn, man habe den Juden zwar noch nicht durchsucht; er trage jedoch eine erkleckliche Geldkatze um den Leib. – »Gut!« erwiederte Bernhard: »Nehmt ihm die Last ab. Das ist jedoch das Geringste. Wir wissen genau, daß er die Verschreibung unsers Vetters von Hyrzenhorn bei sich trägt. Um diese ist's uns zu thun. Hyrzenhorn ist genug zu bedauern, daß er den Frankfurtern sich verschreiben mußte; er gedenkt aber nicht länger der Schuldner eines schmutzigen Juden zu seyn. Nehmt ihm den Wisch ab, so haben wir unsern Auftrag redlich erfüllt.«

Zodick wehrte sich wie ein Rasender mit Händen und Füßen, aber seine unsinnige Wuth mußte der Kraft des Hornbergers weichen, der, in ähnlichem Gewerbe geübt, ihn mit Blitzesschnelle durchsucht, Alles gefunden, und ihm entrissen hatte. – »Verdammter Fetzen!« schrie der Junker bei der letzten Maulschelle, die er dem Geplünderten gab: »Ich will Dir lehren, wie man sich in Kriegs- und Fehdesitte fügt.« – Er griff nun nach der dickknotigen rindsledernen [231] Sattelpeitsche, und wollte ein fürchterlich Gericht über Zodick ergehen lassen, als Bernhard sich mitleidig darein mischte. »Laß doch den armen Sünder in Ruhe!« sprach er vermittelnd: »Wir wehren uns auch mit Zähnen und Klaue, wenn man uns an's Leben will. Bedenke doch, daß man einem Juden mehr als das Leben raubt, in seinem Gelde.« – »Mein Bruder hat Recht,« setzte Wernher bei: »Auch hat mir der Leuenberger empfohlen, säuberlich mit dem Unkraut zu verfahren. Er hat schon oft unsers Gleichen gute Dienste geleistet durch seine feine Nase. Friede sey darum mit ihm. Nehmt ihm das Pflaster vom Maule. Weiber und Ebräer müssen plaudern, sonst wachsen ihnen die Zähne zusammen.« – So; setze Dich jetzt zu uns; Du sollst mit essen, Dich erholen von der ausgestandnen Angst. Hier ist Brod, Käse, Wurst. Lange zu! – Zodick fuhr mit Abscheu vor dem Dargebotnen zurück. Die Herren wollten borsten vor Lachen über die häßliche Fratze, die der Mißhandelte zog. – »Iß!« rief der Hornberger, mit dem Jagdmesser nach Zodick's linken Auge zielend: »iß, räudiger Hund, oder es kostet Dich ein Auge.« – Der Jude, wissend, daß in solchen Scherzen der fürchterlichste Ernst verborgen lag, nahm ergrimmt einen Bissen von der verbotnen Speise, und würgte ihn zornbebend hinunter. – »Auf einen fetten Bissen gehört ein klarer Trunk!« witzelte der Hornberger, und machte kurz und gut den Vorschlag, den Juden in den Main zu werfen. – »Recht!« lachte Zodick mit verzweifelnder Galle: »Schmeißt mich doch lieber in den Fluß, als daß ihr mich zu [232] dergleichen Sünde zwingt. Der Gerechte, der gesäckt wird in Edom, geht doch ein in Kanaan!« – »Der Teufel verstehe das Kauderwälsch des Brandkopfs!« brummte Wernher: »Wir gedenken ihm aber nicht zum Marterthum zu verhelfen.« – »Wir haben nur dem Roßtäuscher zu Steinheim den Tod geschworen,« setzte Bernhard bei: »Dir, Zodick, wollen wir wohl, da Du so ein gewandter Stehler bist. Im Grunde galt es nur der Verschreibung, die ich hiemit feierlich an der Lampe verbrenne. Das Geld, das Du zufällig bei Dir trugst, behalten wir für unser Mühewalten. Speise und Trank sey Dir aber vergönnt. Dein Fehler, wenn Du nicht zugreifst.«

»Das Gesetz verbietet mir's;« antwortete Zodick; trotzig vor sich niedersehend. – »Gelt! unsre Speisen sind nicht koscher, Schuft?« polterte Veit von Hornberg: »Bist denn Du aber koscher genug, um an unsem Tische zu sitzen? Nein, sage ich, und Du fährst durch meine Klinge zum Teufel, wenn Du nicht diese Beleidigung unsers Wappens auf der Stelle gut machst.« – Zodick schaute hoch auf, der neuen Laune des Junkers gewärtig, und des Letztern Spießgesellen riefen lachend: »Hoho! Schwager! was fällt Dir ein? was kann der Schurke da gut machen? Welche Grille kömmt Dir an?« – »Keine Grille!« versetzte Hornberg, in dessen Kopfe sich der Wein breit machte: »Aber ich schwörs Euch zu bei meiner Seelen Seligkeit und meines Leibes Urständ, daß ich den vermaledeiten Fuchsbart über den Haufen steche, bevor der Morgen graut, wenn er sich nicht in dieser Nacht noch taufen läßt.«

[233] Ein lautes Gewieher war die Antwort auf den überraschend seltsamen Vorschlag, der jedoch im nächsten Augenblick schon den zu allem Abenteuerlichen sattsam aufgelegten Herren völlig zusagte, und mit Begierde von ihnen aufgenommen wurde.

»Vortrefflich!« rief Bernhard. »Herrlich!« rief Wernher: »der Jude muß sich taufen lassen, und wir wollen des Höllenbratens Pathen seyn.« – »Zodick konnte vor Wuth und ohnmächtigen Ingrimm keine Silbe vorbringen, aber sein giftiges Ausspucken und Kopfschütteln redete an seiner Statt.« – »Wage es, Nein zu sagen,« schrie Veit, ihm den Stahl an die Kehle setzend: »und Du fährst zur Hölle. Niederträchtiger Auswurf, dessen Wohlthäter wir werden wollen, den wir mit eignen Händen aus dem ewigen Pfuhl ziehen! mukse nicht, oder es ist Dein Letztes.«

Verblassend und verstummend stand Zodick wie niedergedonnert. – »Macht fort, Bruder,« sprach Veit gemäßigter weiter: »bestellt Pfarrherrn und Glöckner; ich will indessen dem Höllenbrand mit dem Dolche das Paternoster einkitzeln.«

Die Gebrüder Keherberg eilten schnell von dannen und durchstreiften mit ihren Knechten, wie Gespenster der Nacht, den Flecken, Straße auf, Straße ab, bis sie in der tiefen Dunkelheit Kirche und Pfarrhaus gefunden. Wohl hörten die Bewohner Offenbachs die Schritte und rohen Reden der Nachtgäste, sahen sie wohl mitunter durch die Ritzen der Läden, wie sie Waffenrauschend durch die Gassen lärmten, aber in den damaligen Zeiten des Unfriedens und der Selbsthülfe wagte sich Keiner aus dem Hause, [234] sondern erwartete in ängstlicher Stille, ob der Besuch nur eine vorüberziehende Wetterwolke sey, oder wie der Blitz ihre Hüttendächer entzünden werde. Die Wächter des Schlosses fanden ebenfalls keinen Beruf, sich in das Thun der Fremden zu mischen, hielten sich zur Vertheidigung gefaßt, und blieben ruhig. So gelangten die Junkherren ohne Anstand zum vorgesteckten Ziele. Mit lautem Klopfen wurde der Leutpriester aus dem Schlummer geweckt, an's Fenster beschieden. Der von Natur Furchtsame erbebte, da er Bewaffnete vor seinem Hause sah, und fragte demüthig nach ihrem Begehren. – »Heraus, Pfaffe!« rief ihm Wernher zu: »Lege den Chorrock an, und die Stola. Versieh Dich mit Kerze, Öl, Salz und Honig und komm zur Kirche. Ein Ketzer will sich taufen lassen, und schnell, damit der böse Geist ihn nicht abwendig mache von seinem löblichen Vorsatze.« – »Ein Ketzer?« fragte der erschrockne Geistliche: »Taufen, in später Nacht, ... wer bürgt mir..?« – »Schweig!« erwiederte ihm Bernhard: »Wir bürgen, drei Edelleute, des Ketzers Taufzeugen. Steig herab ohne Säumen; bescheide den Glöckner, daß er Dir diene; aber wofern der Bube Lärm macht, oder den Glockenstrang zu ziehen gedenkt, so ist sein letztes Stündlein da und das Deine. Wir sind zum Trutz gerüstet, und unsere Knechte umlagern schon das Kirchlein.« –

Der Pfarrherr, der an Sprache und Keckheit wohl merkte, mit welchen Gesellen er zu thun bekam, und durch das traurige Beispiel mehrerer Amtsbrüder, die so zu sagen am Altare ihren Tod durch [235] Mörderhand gefunden hatten, gewitzigt worden war, säumte nicht, dem gebieterischen Begehren Folge zu leisten. Das Frösteln der Angst in allen Gliedern warf er sich in die kirchlichen Gewänder, beschickte den Meßner, und da er in Begleitung des Letztern, eines altergrauen Männleins, das vor Schreck sich kaum auf den Füßen zu halten vermochte, an die Pforte der Kapelle kam, langte so eben der Hornberger daselbst an, dessen Knechte den Täufling an der Leine führten, wie einen Rüden. Das Kirchlein wurde geöffnet, Wache davor gestellt; ein Bewaffneter hütete den Eingang zum Glockenthürmlein, und die edeln Herren forderten nun den Priester auf, beim Schein einer einzigen Kerze das heilige Amt an dem stummen, todtbleichen Zodick zu verrichten, den der wilde Bekehrungseifer und die Drohungen des Hornbergers dazu gebracht hatten, sich Alles gefallen zu lassen, was man mit ihm vornehmen würde. – Der Pfarrherr, der verständig genug war, einzusehen, daß hier die Würde der Kirche und alles Recht mit Füßen getreten werde sollte, machte nachdrückliche Einsprüche in das Verfahren der drei Ketzerbekehrer, forderte sie auf, den armen Menschen, der wie das Espenlaub zittre, und keinen armen Laut von sich zu geben vermöge, ruhig ziehen zu lassen, ihn nicht zu einer Handlung zu zwingen, die er nicht begreife, die er verabscheue, deren er nicht würdig sey.

Die drei Gebietenden zogen aber bedeutend und drohend die Schwerter, stellten sich in den Taufstein, und streckten die Schwörfinger in die Höhe. Wir[236] haben es gelobt bei den Wunden des Herrn, diesen verstockten Sünder zu heiligen, wider seinen Willen, sprachen sie. Geht seine Seele verloren durch Dein Zaudern, Pfaffe, so stirbst Du dahin ohne Gnade, erstickt von Deinen Sünden. Gib ihm das ewige Leben, und genieße ferner das zeitliche. Gib ihm den ewigen Tod und theile ihn mit ihm! – Der Geistliche zuckte die Achseln, und machte sich bereit zu der Handlung. »Die Folgen Eures frevelnden Muthwillens kommen über Euch!« sagte er feierlich und begann die vorgeschriebnen Gebete. Die Waffendrohenden Zeugen antworteten auf jede Frage für den zur starren Bildsäule gewordenen Zodick, der alle Gebräuche mit übereinander gebissenen Zähnen über sich ergehen ließ. Das Glaubensbekenntniß legten die verwahrlosten, der Kirche längst entfremdeten Pathen mit Mühe und Stottern für den Täufling ab, – nun aber kam es an die gefährlichste Stelle der Handlung; an das einfache, aber aus dem Munde des zu Taufenden selbst zu verlangende Gelübde. Zu Aller Erstaunen sprach der Jude die vorgesagten Worte keck und fest nach, machte das Zeichen des Christen mit sicherer Hand, und nickte ungezwungen mit dem Haupte, da er, dem barbarischen Rituale jener Zeit gemäß, seinen bisherigen Glauben, und die ihm anhingen, durch den Mund des Geistlichen verfluchen mußte. – Diese auffallende Änderung des Betragens erleichterte das Herz des Pfarrherrn in etwas; die entweihte Handlung wurde ruhig beschlossen, und dem Neugetauften der Name Friedrich beigelegt. Auf dem staubigen Tische der [237] Sakristei schrieb der Pfarrherr das Zeugniß des Ubertritts nieder, händigte es dem Juden ein, befestigte auf seiner Brust, statt des gelben Ringes, ein Blechschild mit dem Kreuze und dem Buchstaben C, wie Neubekehrte es zu tragen verbunden waren, und entließ die seltsame Taufversammlung mit seinem Segen. – Mit rohen Scherzen zogen die Bekehrer davon, und überhäuften den still rasenden Zodick mit Spottreden und Schmachworten. Vor dem Flecken umringten sie ihn, trieben noch allerlei Possen mit dem Unempfindlichen, und gaben ihm nun völlige Freiheit zu gehen, wohin es ihm belieben würde. – »Geh heim, Söhnlein Friedreich,« – sprach Wernher höhnisch zu ihm; »wachse im Glauben, und danke es uns fein, daß wir dir zum Himmel verholfen.«

»Falle nicht in den alten Baalsdienst zurück;« ermahnte ihn Bernhard, der, der Gutmüthigste von den Dreien, sich in der That einbildete, ein dem Himmel angenehmes Werk verrichtet zu haben: »Das Christenthum schenkt zeitliche und ewige Wohlfahrt. Dem Juden sagte man, den Bekehrten wird Alles lieben, und allenthalben befördern.« – »Merke Dir aber noch das Eine!« schloß der Hornberger drohend: »Wofern wir vernehmen, daß Du wieder zur Ketzerei Dich wendest, daß Du dieß Schildlein nicht trägst, und nicht bekennst, daß Du freiwillig unsers Glaubens wurdest, so stirbst Du ohne Barmherzigkeit von meiner Hand. Jetzt aber bedanke Dich knieend für die von uns empfangne Wohlthat, und fahre hin, Deines Wegs.« – »Zodick mußte auf seinen Knieen die Hände seiner drei Pathen küssen, geloben, [238] ihnen in Treue zu dienen, wann und wo sie es begehren würden, und wurde unter Gelächter und Hohn entlassen.« – Als ob ihm der Kopf brenne, lief er aus dem Bereich seiner Peiniger hinweg; bald verließen ihn jedoch die Kräfte, und er sank nieder in den Schnee, gerüttelt von Gewissensbissen und reggewordner Verzweiflung. Es gibt Falten im menschlichen Herzen, die der Witz des Gelehrten nimmer auskundschaften wird. Der blutgierige Bube Zodick hatte geraubt, gemordet, und sein Gewissen war ruhig geblieben bei der freiwilligen Unthat. Es waren ja nur Christen, die Unterdrücker Israels; dachte er bei sich selbst. Ihre Habe ist in unsre Hände gegeben, ihr Leben selbst, das nicht edler ist, als das eines Schweins. Nur, wenn ich Einen aus Israel plündre, begehe ich einen Raub; nur wenn ich einen Sohn meines Gesetzes würge, begehe ich einen Todtschlag vor dem Herrn. – Der unfreiwillige Abfiell jedoch von eben diesem Gesetze erfüllte den verhärteten Bösewicht mit allen Qualen der Reue und des Jammers. Vergebens stellte er sich vor, was ihn in jener fürchterlichen Kapelle bewogen hatte, frisch und frei seinen Mund zu dem frevelnden Werke zu leihen: daß nämlich die Rabbiner lehren, ein gezwungener Eid sey Keiner – ein freiwilliger sogar sey keiner, sobald man nur geschickt den Worten des Gelübdes einen andern Sinn beilege in Gedanken, als den Geforderten. – Der Ausweg, den diese letzere verderbliche Lehre so wohlthätig dem Meineid eröffnete, war unzulänglich für den Abergläubigen, der sich jammernd und verzweifelnd im Schnee wälzte, [239] um von seinem Haupte den Gräuel einer verabscheuten Religion zu waschen. – »Ich bin verloren!« seufzte er aus keuchender Brust: »Ein Jude bin ich nicht mehr, ein Christ kann und mag ich nicht seyn. Alle Paradiese sind mir verschlossen, jedes Glaubens Hölle mir beschieden! Einen falschen Eid könnte ich verantworten, aber solche Gräuelthat nicht. Wollte ich auch vorschützen, ich hätte es nicht freiwillig gethan – was nützt es mir? ... der Mensch steht vor Gott und seine Werke um ihn her. Der heilige, hochgelobte Gott, der starke eifrige Gott hat sich gekleidet in Zorn, denn er hat gesehen, wie man mich taufte, ... er hat gehört, wie ich geschworen .... wehe mir! wehe! Die Schule zu Worms wird mich in Bann thun; die grausamen Kinder Esau werden wich ermorden, wofern ich wanke. Muß ich denn verloren seyn, warum gehen sie nicht mit mir unter, die gottlosen Söhne Amaleks? Verruchte Gojim! ihr habt mir meine Seele gestohlen! Ich fluche Euch! Ich gelobe Euch Rache, vollgeltende Rache!« –

Dieser Gedanke belebte den Unseligen, von Zweifeln und Muthlosigkeit Zerrissenen mit dem Funken, der nicht aus dem Himmel stammt, sondern aus der Tiefe. Zodick raffte sich zusammen, blickte wild, mit wehenden Haaren zu den jagenden Wolken auf, die vergebens ihre dichtesten Schneeflocken hernieder sandten, das glühende Molochgebilde abzukühlen. – »Der Bund ist zerrissen!« schrie er gellend hinauf, das einzige lebende Wesen unter dem stillen eisigen Regen: »Sammael! Fürst der Wildniß, Fürst des Todes [240] und Gatte der entsetzlichen Nachtfrau Lilis, der Gebärerin aller Schreckgespenster und Sünden! Dir ergebe ich mich! Schütze mich vor dem Zorne unsers Gottes! berge mich vor der Wuth Edom's! Lehre mich das Schwert führen gegen das Gesetz, das nicht mehr mein ist. Erlaube mir, Rache zu nehmen an Israel, wie an Esau, bis Du einst meinen Geist dahin nimmst in den Stürmen Deines Grimmes!«

Als ob der entsetzliche Sammael ihn verfolge, irrte der Sünder auf den Schneefeldern umher, bis der nächste Morgen grau und kalt heraufstieg, und ihn zur Hütte trieb. Das wachsende Licht des Tages senkt stets mehr Zuversicht in gute, wie in böse Zweifelnde Herzen. Der Wahnsinn der verweinten oder verlästerten Nacht schwindet in ruhigeres Nachdenken hin, und auch Zodick wurde ruhiger, gemäßigter. Er sah plötzlich ein, wie sehr sein irdischer Vortheil durch die nothgedrungne Glaubensänderung gewinne, und daß es dem jenseits Verlornen erlaubt seyn müsse, hienieden doppelt zu leben in eigner Freude und fremden Leiden. Er erklärte vogelfrei alle Menschen, wes Glaubens sie auch seyen, und beschloß, nun das Werk seiner Rache an Ben Davids Hause auf's glänzendste zu vollenden. Trunken vor Freude über die entsetzlichen Bilder, die in seinem Gehirne aufstiegen, dankte sogar der Verblendete der Vorsehung für die verwichne Nacht. Sein Aberglaube wähnte von dem Schicksale mit Vorbedacht, die Freiheit erhalten zu haben, ohne Gewissensangst [241] seinen Durst nach Rache löschen zu können, und seine Bosheit schritt langsam, aber kühn zur Ausführung.

11. Kapitel
Eilftes Kapitel.

Die Wohlthat ist eine stattliche Pflanze;

ihre seltenste Blüthe aber ist: Dankbarkeit.

Pers. Sittenspruch.


Allgemach war die Zeit eingetreten, in welcher, nach den Berichten alter Schriftsteller, die Deutschen zu rasen pflegten, vorsätzlich, sich in Gespenster vermummten, und allen Muthwillen für erlaubt hielten; die Fastnachtzeit nämlich – das dreitägige Fest, das einer langen dauernden Reihe von Tagen der Betrübniß und des Fastens vorausgeht. Diese fröhliche Zeit, sehnlichst herangewünscht von allen Ständen, setzte in Costnitz alle Hände in Thätigkeit, alle Sinne in Arbeit. Der Ernst und die wichtige Förmlichkeit der Kirchenversammlung, deren Beschlüsse eine allgemeine Sittenverbesserung bezwecken sollten, setzten dieser Volkslust wenig oder gar keine Schranken entgegen, und der Kaiser Sigismund, ein gar kurzweiliger, freundlicher Herr, dem Minne- und Larvenspiel nicht abhold, vermehrte die allgemeine Ergötzlichkeit durch den eifrigen Antheil, den er daran nahm. – »Man muß dem Volke seine Spiele nicht nehmen;« sprach er zu den strengen Sittenrichtern, die ihn gern vermocht hätten, aus Rücksicht für das [242] Concilium die Fastnachtslust zu beschränken: »Schwerlich würdet Ihr uns wehren wollen, an unsrer Hofstatt das Fest zu begehen; allein wir mögen in solcher Zeit keine Freude genießen, an der nicht Alles, das uns umgibt, Theil nehmen könnte. Die Herren aus Wälschland und Frankreich mögen sehen, daß unsre deutsche Nation ein lustig Volk ist, und ein Oberhaupt hat, das Kurzweil und Schimpf in Ehren liebt. Darum wollen wir befehlen, daß man jetzo jubilire, wie sonst, denn des Herzens Fröhlichkeit gefällt dem Herrn im Himmel, und darf demnach sich vor seinen Statthaltern auf Erden nicht scheu verkriechen.« – Des Kaisers Wille geschah dießmal ohne fernere Widerrede, und der Fastnachtsonntag trat einher in Prunk und lustigen Glanz gehüllt, wie ein Fürst der Freuden. Alle Geschäfte blieben liegen, und nach Außen in das herrliche Frostwetter drängte sich Alles, was deutsches, nordgewohntes Blut in den Adern trug, und nicht blos aus den Fenstern der geheizten Gemächer die Ergötzlichkeit mit ansehen wollte, wie die Wälschen thaten. Dagobert blieb nicht dahinten. Der geistliche Rock wurde in den Schrank gehängt, das enge Röcklein wieder hervorsucht, und, das Symbolum der Fastnacht, den grünen Tannenzweig auf dem Hute, suchte der Neffe den Oheim auf, den er, an Husten und Schnupfen und Gichtbeschwerden laborirend, im Sorgenstühle antraf. – »Sieh da!« rief der Prälat mit schlecht verborgnem Verdrusse: »sieh da, wieder ein Faschingsgesicht, dem man es ansieht, wie es nur auf die Kirchenglocke lauert, die das Zeichen geben [243] soll, zu dem gräulichen Tollmannswesen! Gleich wie die blinden Heiden ihre Bacchanalien feierten in Rausch und Unzucht, also siehet man heutzutage die Christen in den Schlamm der Abscheulichkeit stürzen, um sich auf vierzig Tage satt darinnen zu schlemmen! O du verlorner Sohn Absalom! Deine Mutter hat es noch dereinst am jüngsten Tage zu verantworten, daß sie Dich zur Kirche bestimmt hat.« –

»Ihr habt völlig Recht, lieber Ohm,« versetzte Dagobert: »ich bin selbst dieser Meinung. Laßt uns indessen nicht grollen, nicht hadern an diesen Freudentagen, Fastnacht kömmt nur einmal im Jahre .. 's thut mir leid, daß Euch das Zipperlein an die Stube fesselt. Ich hätte Euch so gerne Euere ehemaligen Landsleute in ihrer Glorie von Fröhlichkeit gezeigt.« – »Ja, eine Glorie ist's,« antwortete der Prälat: »eine Glorie von Flammen aus dem höllischen Pfuhl gewebt. O, ihr Deutsche, ihr Deutsche! Wohl dem, der sich lossagen kann von Eurer Gemeinschaft.« –

»Spricht lieb Mühmlein desgleichen?« fragte Dagobert die lächelnde Fiorilla. Diese aber schüttelte schelmisch mit dem Kopf, und erwiederte: »Ich müßte lügen, Vetter. Gestern erst, da zufällig der Kaiser mit seinem Gefolge unter unsers Hauses Fenstern vorbeiging, lernte ich Eure Landgenossen auf's Neue bewundern. Welche kräftige Gestalten, welch edler Wuchs, welch stolze Haltung! Stark von Brust und Schultern, aufgerichtet das Haupt, umwallt von krausem Goldhaar, kann dieses Volk das schönste genannt werden von allen Reichen der Welt.«

[244] »Wie das plaudert! wie das schnappert! unedle Sinnenlust!« eiferte der argwöhnische Prälat aus seinem Sessel. Dagobert küßte aber die Sprecherin auf die Stirne. –

»Ich bringe Euch den Dank meines Volks;« sagte er verbindlich: »Ich darf doch darauf rechnen, Euch zum mindesten in das Festgewühl der belobten Landsleute führen zu dürfen?« Entschuldigend und versagend zeigte Fiorilla auf den leidenden Oheim, dem dagegen die Röthe des Ärgers auf die Wange, stieg. »Hebe Dich weg, Versucher!« rief er zornmüthig: »Entführe nicht dem Kranken die Pflegerin. Geh zu Wallraden. Dort ist Dein Platz. Sie magst Du führen, wohin Du willst.« –

»Ach, Oheim!« entgegnete Dagobert mit schalkhafter Betrübniß: »Die Fastnacht zwischen Wallraden und mir ist schon vorbei. Sie hat bessere Gesellschaft, denn die Meine.«

»Hm!« meinte der Prälat, die Nase rümpfend: »Die ist nicht schwer zu finden. Doch .... ein Wort im Vertrauen.« – Er zog den Neffen bei dem Arme sich näher, und Fiorilla entfernte sich auf seinen Wink. – »Warum kommst Du gar nicht mehr zu Wallraden?« fragte Monsignore: »Ich bat Dich doch, Deinen Einfluß für einen ihrer Freier zu verwenden.« – »Ohm!« antwortete Dagobert: »Ich sagte es Euch: Mein Einfluß ist aus, und dann bin ich ein schlechter Freiwerber.« – »Du weißt also gar nicht, wie sich die Sachen gestaltet haben?« fuhr der Prälat fort: »Wallrade hat mir selbst vertraut, daß unser allergnädigster Herr, der Kaiser selbst, ein [245] huldvolles Auge auf sie geworfen. Das geschah am verwichnen Sonntag, bei dem großen Tanzfeste, das des Kaisers Majestät in ihrer Freigebigkeit veranstaltet.« –

»Der gute Herr ist der Minne Freund;« schaltete Dagobert ein: »Was soll aber daraus folgen?« – »Blödsichtiger!« schalt der Oheim! »Daraus folgt, daß mein, Dein und Wallraden's Waizen blüht, wenn des Kaisers Neigung begünstigt wird.« – »Wie so denn?« fragte der Neffe mit großen Augen. – »Verwünschter deutscher Querkopf!« fuhr der Prälat fort: »Wallradens zeitliches Glück, eine herrliche Pfründe für Dich, köstliche Privilegien für mich und mein Stift, eine Bischofsmütze vielleicht .... begreifst Du nun?« – »Ich würde das Alles begreifen,« versetzte Dagobert bedächtig, »wenn Wallrade von Sigmund geehlicht werden könnte. Ihr vergeßt aber, guter Ohm, daß meine Schwester nur eines Altbürgers Tochter, – daß der Kaiser bereits vermählt. Wie räumt sich also, was Ihr sagt?«

Der Prälat spielte ungeduldig mit dem Kreuze auf seiner Brust. »So alt schon,« sprach er, »und noch nicht klüger? Ein Weltkind, und unbefangener als ein Klosterbruder, der nie aus der Zelle kam? Wie räumt sich denn das? Siehst Du denn nicht ein, daß eines Kaisers, eines verliebten Kaisers Leidenschaft sich nicht an Ring und Priestersegen bindet? daß es unendlich vortheilhafter ist, auf kurze Zeit seine Freundin, als auf ewig seine Gattin zu seyn? Sigismund hat ein weiches, gottesfürchtiges Herz; er liebt es, Alles um sich her zufrieden zu sehen, und beginnt unstreitig bei den Blutsfreunden [246] seiner Huldin, wenn sie vorsichtig einwilligen, ihren Bruder- und Oheimsnamen als Schild zu Schutz und Trutz vor die verschwiegne Minne halten, und durch solche Wache den Kaiser beglücken, bis dieser die Geliebte – der Sache ein Ende zu machen – einem reichen Magnaten als Gattin schenkt. Nun bin ich Dir doch klar genug gewesen, einfältiger junger Mensch?« –

»Weiß es Gott;« versetzte Dagobert, sich langsam von dem Oheim losmachend: »Klarer ist das ABC nicht, aber ich bin ein ungelehriger, fauler Schüler, der es mit Vorsatz in derlei Dingen nicht einmal bis zu den Buchstaben bringen will; ein Trotzkopf von Bruder, der einer Wallrade nicht einmal dann etwas verdanken möchte, wenn es mit Ehren geschehen könnte, geschweige hier, wo es sich um eine Sünde handelt, die bei uns zu Frankfurt, – an Bürgersleuten wenigstens – mit Ruthenstreichen, mit Schande und Tod bestraft wird. Wallrade thue, was sie vor Gott – thut Ihr, was Ihr vor eurem Gewissen verantworten mögt; ... mich laßt aus dem Spiele. Ich bin zu deutsch, zu dumm, wenn Ihr wollt, um Eure Würfel zu führen. Gute Besserung, Oheim!« –

»Was habt Ihr denn, Dagobert?« fragte Fiorilla stutzend, da er mit flammenden Gesichte aus der Stube trat: »Diese Röthe auf Eurem Gesichte« .... »Ich schäme mich, Base;« antwortete der Jüngling: »Der Ohm war so gütig, mich mit seinen Sittenlehren bekannt zu machen, und ich stehe weiter hinter ihm, als ich gedacht. Ich eile, mich zu zerstreuen.« – »Glücklicher!« seufzte Fiorilla: »ich muß das Haus[247] hüten, und sehe nichts von all den Herrlichkeiten, die sich draußen vorbereiten.« – »Ihr sollt wenigstens durch meinen Mund erfahren, was sich Alles begab;« erwiederte Dagobert: »so Ihr mir erlaubt, in der zehnten Stunde ungefähr unter Euer Fenster zu kommen, und ein Viertelstündchen mit Euch zu kosen; denn des Ohms Haus betrete ich vor der Hand nicht mehr.« – »Nicht?« rief Fiorilla erschrocken: »Was ist geschehen?« – »Fiorilla!« ließ sich der Prälat im Gemache vernehmen. – »Ihr sollt Alles wissen,« flüsterte Dagobert. »Um die zehnte Stunde?« – Fiorilla nickte mit dem Haupte, und verschwand.

Euern Auftrag habe ich erfüllt, so gut es in meinen Kräften stand, sprach Gerhard von Hülshofen zu Dagobert, als sie in der Herberge zusammengekommen waren. Die schönsten Mummenkleider, die der eisgraue Schneider Welsner hatte, stehen Euch zu Diensten, und Ihr habt unter Dreien die Wahl bis zur Mittagsstunde. Schaut, da bringt mein Vollbrecht just den Bündel in's Haus. Auf Eurer Kammer wollen wir dessen Inhalt belugen. –

Gerhard, um seinen Geschmack in's beste Licht zu setzen, pries nun, eine Larvenkleidung nach der andern auseinander breitend vor den Blicken des Wählers, die Vorzüge einer Jeden mit behaglicher Lust. – »Seht einmal diesen wilden Mann!« sprach er wohlgefällig lächelnd: »Neu, wie er von der Nadel kömmt. Schöne gelbe Leinwand, zierliche Schnürlöcher und feine venedische Seidenschnur! Müßte Eurer schönen Gestalt stehen, wie angegossen. Das Visir dazu ist[248] sorgfältig gemacht und aufgeputzt mit den übermäßigen Augenbraunen, Bart und Haarhaube von schwarzgefärbten Werg. Der Blätterkranz und Laubgürtel, die Keule und die ungeschlachten Geisschuhe – Alles liegt dabei, und kann nicht schöner seyn. In dieser Mummerei werdet ihr allenthalben ein willkommner Faschingsgast seyn, und müßt Euch nur von Fackeln entfernt halten, denn das am Kleide verschwendete Werg und Harz versteht keinen Scherz, und man hat Beispiele, daß Leute jämmerlich verbrannt sind in solcher gräßlich schönen Haut.« – Betrachtet ferner diesen Schalksnarren, und sagt mir, ob auch ein schönerer Pickelhäring noch vorgekommen? Blitzt nicht auf Wams, Kappe und Unterkleid Grün, Roth, Gelb und Blau durcheinander, als hätte unser Herrgott seinen Regenbogen Stückweise darauf geklebt? Wie gefällt Euch der prahlende Hahnenlamm an der Gugelmütze? Was sagt Ihr zu den stattlichen Eselsohren, die an derselben emporragen? Zu den zierlichen Glocken, an Ohren, Kamm, Gürtel, Schienbein, Ellbogen, Knie, ja sogar an den hochgekrümmten Schuhspitzen? Was haltet Ihr von der lustigen Fratze, die dazu gehört, mit der knotigen Nase und dem flatternden Spitzbart? Seht, Halskragen, Kolbe, und Ruthe sind nicht vergessen! – Beide Anzüge jedoch verdunkelt der, der uns noch zu besehen bleibt. Der wilde Jäger, den ich jetzt vor Eure Augen lege, ist das Schönste, das aus Welsner's Werkstatt hervorging; so niedlich und zierlich, als ob es ein Materinger von Nürnberg 1 zum Meisterstück bestimmt [249] hätte. Grün, wie der lustige Wald das Gewand; golden wie funkelnder Sonnenschein die Verbrämung, roth wie das Nordlicht der flatternde Mantel. Wie die Mähne des Pferdes fallen die pechschwarzen Haare aus dem Spitzhute, an dem die Hahnenfeder des Jägers Wachsamkeit bezeichnet. Das Jagdmesser blinkt von hellem Beschläge und Elfenbein, der kurze Spieß scheint seine Schärfe in's Mondlicht getaucht zu haben ......

»Genug, genug, guter Freund,« unterbrach ihn, vor Lachen beinahe erstickend, Dagobert. »Du bist begeistert von dem Jägerskleide, so daß mir bedünkt, als hättest Du selbst nicht übel Lust, es zum Bestellerlohn für dich zu fordern.«

»Wo denkt ihr hin, Junkherr?« fragte Gerhard, mit begehrlichen Augen das Gewand musternd: »Meiner Treu, .... hätte ich auch die Lust, so hätte ich doch nicht die volle Tasche, die zu solchem Spaß gehört. 'S ist ein erbärmlich Leben hier. Ein einzig Stechen hat bis jetzt der Kaiser angestellt, ein Ringelrennen, auf dem ich wohl den Preis errang; aber – wie bald war die geringe Gabe in den Wind gegangen. Meine Hoffnung ist der Frühling, in dem das lustige Ritterspiel wieder beginnt in voller Pracht. Bis dahin muß ich mich dünken und vergnügt seyn mit der Atzung, die mir meine Herren von Frankfurt hier im Engel verabreichen.«

»Armer Schelm!« versetzte Dagobert: »Solche Entsagung fällt Dir schwer. Eine Fastnacht sollte vorübergehen, ohne daß Du darauf der vornehmste Narr gewesen? Nimmermehr. Es bleibt dabei, Du [250] nimmst den wilden Jäger, den ich bezahle, und dessen Seckel ich versehen will, damit seine Kehle nicht trocken bleibe, und ich ... je nun, ich stecke mich in den Pickelhäring; denn zu dem, was ich vorhabe, brauche ich eine Larve, die nicht die Einzige ihres Schlags im Gewühle sey, und einen Begleiter, herzhaft wie der wilde Jäger, unter dessen Mantel wohl neben dem Jagdmesser eine Raufklinge Platz hat.«

»Hoho! was spracht Ihr da?« rief Gerhard vergnügt, und umarmte in seines Herzens Freude den jungen Gönner: »Larvenspuck, Silber in der Tasche, Weinlust und zum Beschluß eine Rauferei? Ihr macht überselig!« – »Und verlange nichts dafür, als Verschwiegenheit;« erwiederte Dagobert: »Verschwiegenheit und Aufsparung Deiner Freude bis zum Faschingdienstag. Schlendre bis dahin umher, in welcher Maske Dir's gefällt; den Jäger hebe aber auf, sonst erfährt man vor der Zeit aus Deinem sprachseligen Munde, daß Du dahinter steckst.«

»Ich bin ja kein altes Spittelweib,« lachte Gerhard zuversichtlich: »indessen: Euer Wille geschehe. Mein Freund, der Mundkoch aus dem Bischofshofe hat mir den langen Christoph versprochen, um mich darein zu vermummen, und ich will mir's gefallen lassen, bis zum Dienstage den Heiligen vorzustellen. Was ist's aber eigentlich, das ihr vorhabt, liebes Fröschlein?«

»Hätte ich Lust, Dir's mitzutheilen,« versetzte Dagobert: »so wüßtest Du's bereits. Verstanden?«

Gerhard zuckte mit Zweifelhaftem Gesichte die Achseln, wollte reden, schlug sich aber auf den Mund, [251] und empfahl sich durch einen stummen Bückling dem jungen Manne zu fernerm Wohlwollen. – »Geh hin, altes Sieb,« sprach Dagobert, ihm auf die Schultern klopfend: »Deiner Faust und Deinem guten Willen vertraue ich gern; keineswegs aber Deiner plauderhaften Zunge, die im Trunk und Aberwitz Dein eigen Seelenheil an den Teufel zu verschwatzen im Stande wäre.«

»Nachdem der Dicke hinweggegangen, um sich in den großen Christoph zu verwandeln, setzte sich Dagobert gedankenvoll an den Tisch, stützte den Kopf in die Hand, und überlegte, was zentnerschwer auf seinem Herzen lastete.« Sein tiefes Nachsinnen löste sich endlich in ein unzusammenhängendes Selbstgespräch auf. »Wird es gelingen?« fragte er sich leise und scheu, als ob er die zuhorchenden Mauern zu fürchten hätte: »Lieber Gott! wird es denn erfüllt werden, was von drei redlichen Männern beschlossen wurde? .... Wenn es Tugend ist, das Recht von dem Joche einer meineidigen Gewalt zu befreien, dann muß ja auch der Segen von oben uns beschirmen. – Wehe unsrer Zeit, daß wir im Verborgnen schleichen müssen, das Gute zu thun. – Darf ich aber auch ganz ruhig seyn? Sündige ich nicht wider mein Gewissen und den Stand, den ich erwählen muß? Nicht gegen meines fürstlichen Freundes, des Herzogs, Ansichten und Glauben? O nein, gewiß nicht! mein Herz ist ruhig, und Friedrich würde an meinem Platze dasselbe thun. Fort, zu ihm, um aus seinem geraden und klaren Blicke Festigkeit [252] zu saugen und Beharrlichkeit zu dem Werke, eines Mannes, eines deutschen vor Allen würdig!«

Da er in des Herzogs Hof eintrat, schallte ihm das frohe Getümmel der zahlreichen Dienstleute entgegen, an welche die Freigebigkeit des Fürsten so eben zum Eintritt der Fastnacht einen verschwenderischen Vespertrunk gespendet hatte. In Küche, Vorplatz und den untern Gemächern des Hauses lagen und saßen die Zechenden umher, und ließen sich den Seewein munden, der in Strömen aus den aufgepflanzten Fässern floß. Treppen und Vorgemächer des Oberstocks waren leer von Dienern. Dagobert, ein gewöhnter Gast, schritt keck auf des Herzogs Zimmer zu, da gewahrte er in der Ecke der Trabantenkammer einen Menschen, den einzigen hier athmenden. Der erste Blick auf den Wartenden ließ den Juden nicht verkennen, so wie dessen langer schwarzseidner Rock mit gelbem Futter und Aufschlag den Reichen ankündigte. Der Jude, ein zerfetztes, bleiches Gesicht, näherte sich demüthig dem stutzenden Jüngling. »Guter, junger Herr,« sprach er: »seit länger denn einer Stunde warte ich hier auf die Gnade, vor den glorreichen Herzog gelassen zu werden. Die Diener sind nicht zu meinen Diensten, obgleich ich wurde hieher beschieden, und ich bin nicht genug frech, um zu dringen ohne Ansage in das Gemach des vornehmen Fürsten von Tyrol. Eurer Huld, edelgesinnter Herr Ritter, empfehle ich mich; man gelangt ja durch Fürsprache in den Himmel, warum nicht durch ein gutes Wort vor einen Fürsten. Ihr seyd einer von dessen Vertrauten; das [253] sagt Euer Gang und Eure Unbefangenheit; macht mich durch Eure Gnade zu Eurem Schuldner.« –

»Überflüssiges Geschmeichel!« brummte Dagobert: »Du willst, ich soll dem Herzog Deine Anwesenheit melden. Wie nenn' ich Dich?«

»Vor den Gewaltigen haben wir keinen Namen als den des Knechts;« antwortete der Jude! »Sagt nur, ich sey der Wechsler, der gestern beschieden wurde.«

Dagobert zuckte die Achseln, und ging zum Herzoge hinein. Der Harrende zählte indessen zum zehntenmale die Steine, mit welchen der Boden des Gemachs geplattet war. Bald kam jedoch der junge Mann wieder heraus. »Geh hinein, Jude!« sprach er kurz, und schob den in Danksagungen und Verbeugungen Zögernden in die Thüre, die er, draußen verbleibend, hinter ihm schloß. – Der Herzog saß am obern Ende des Gemachs auf einem Polstersessel, schien gerade von einem kleinen Schlummer erwacht zu seyn, und kraute seinem Jagdhunde hinter den Ohren. Die Bücklinge, mit denen der Eintretende den Kopf beinahe zur Erde neigte, machten einen mißfälligen Eindruck auf den Fürsten. – »Laß die Possen!« sprach er hart: »Ich verlange die Ehrfurcht eines Menschen, nicht eines Hundes. So sehr ich Dir Dank weiß, daß Du mich nicht in meinem Vesperschlafe gestört hast, so wenig billige ich solche Kriecherei.« – Er winkte ihm näher zu kommen, in einer Entfernung von sechs Schritten jedoch stehen zu bleiben. – »Du nennst Dich Ben David?« begann er nun: »Der geehrte Altbürger zur Hofstatt [254] hat Dich mir sehr empfohlen in dem Schreiben, das Du mir gestern überreichen ließest. Wir wollen sehen, ob Du das Vertrauen verdienst, das ich Dir gerne schenken möchte.«

»Es kömmt ja nur an auf die Probe;« erwiederte Ben David ehrfurchtsvoll: »unser Volk hat immer geehrt und geliebt den Stamm der Habsburger, den Erlauchten, Weitgepriesenen.«

»Schweig!« herrschte ihm der Fürst zu: »Ich hasse die Speichelleckerei zu der Deine Glaubensgenossen so viele Anlage haben. Gerade und offen in's Gesicht; hinterm Rücken kein Haarbreit anders; so sey der Unterthan gegen seinen Herrn, der Geringe gegen den Hohen. Ich wette, diese schmutzige Glattzüngigkeit ist Dir nicht einmal Ernst, denn Dein abscheulich Antlitz wird noch häßlicher durch das erheuchelte Grinsen.«

Ben David zuckte schweigend die Achseln, und verbeugte sich. Der Herzog blickte ihn scharf an, und schlug alsdann erstaunt die Hände zusammen. »Jesus Christus!« rief er: »Wer hat Dich denn also zugerichtet, Jude, daß Dein Gesicht aussieht wie ein zerfetzter und kümmerlich zusammengenähter Turnierhandschuh? Das nenne ich eine Narbe, wie man sie nur auf dem besten Schlachtfelde holen kann, obschon Du sie da nicht holtest.«

»Ach, gnädigster Herr,« erwiederte Ben David mit bewegter Stimme: »auf dem ehrenvollsten habe ich diese Narbe erhalten; im Kampfe für meine Söhne, und Ihr, großmüthigster Fürst,« hier warf sich der Jude weinend zu Friedrichs Füßen; »Ihr müßtet [255] mich an diesem Denkzeichen erkennen, wenn ein Sohn Israels werth wäre der Erinnerung.«

Der Herzog stand betroffen auf, und musterte mit durchdringendem Auge den Knieenden, der also fortfuhr: »O gewiß, gewiß, Ihr entsinnt Euch noch des Reichstags, der vor achtzehn Jahren beiläufig zu Frankfurt gehalten wurde, mit ungeheurer Pracht und großem Zulauf von Fürsten und Gewaltigen, unter denen jedoch hervorglänzte wie der Stern des Morgens der Herzog Leopold von Österreich.«

»Ob ich mich dessen entsinne?« fragte Friedrich mit leuchtendem Blicke: »Österreich glänzte da wie die Sonne selbst, nicht wie der Stern, den sie verscheucht. Steh auf; rede – wie kömmst Du mit Leopold zusammen?«

»Des Herzogs Haus war offen wie das Haus eines Vaters seinen Söhnen;« fuhr Ben David fort: »um Gott und um Ehre wurde daselbst gespeist der Hungrige, getränkt der Durstige.« Zwei Judenknaben wollten auch mit ansehen die Pracht des herzoglichen Hofstaats. Ach, sie wußten nicht, daß wo der christliche Bettler Zutritt hat, derselbe dem Juden doch verboten ist. Neugierig durchstreiften sie den Hof, die weitläufigen Ställe. Dem Einen von ihnen fällt ein köstlich Sattelzeug in die Augen, mit vergoldeten Buckeln, der Andre greift es kindisch bewundernd an mit den Händen; ein Sattelknecht sieht's und ruft: »Diebe!« »Unter den Fäusten des Trosses büßen die Kinder ihre unschuldige Neugier. Vergebens flehen sie an ihre Peiniger! Sie schreien auf zu dem hochgelobten Gott und zu ihrem Vater. Der [256] Zufall will, daß dieser vorbeigeht an den offnen Thoren, hört das Gejammer, hineinsieht in den Hof und erkennt seine eignen, gemarterten Söhne. Die Angst jagt ihn unter die rohen Pferdeknechte; ihre Grausamkeit stößt ihn zurück. Mit der Gewalt der Verzweiflung will er entreißen sein Blut der Gefahr, und der Hieb eines scharfen Schneidmessers wirft mich mit blutendem Gesichte zu Boden, denn ich, ich Herr, war der Vater der armen Kleinen.«

»Still! still!« rief der Herzog, auf dem Antlitz die edle Scham zeigend, welche eine gute That darauf malt: »Ich weiß bereits .... steh' auf; ich entsinne mich schon.«

»Vor der Herrlichkeit Gottes liege ich nicht aufrichtiger im Gebete, als hier vor Euch in Dankbarkeit!« sprach Ben David weiter, und große Thränentropfen fielen in seinen Bart: »Ihr habt mich und die Söhne gerettet, edler Herzog, damals in der Jugendblüthe. Ihr habt mir gesendet Euern Arzt, der mich heilte; Ihr habt getröstet mein klagend Weib; Ihr habt beschenkt meine Kinder. Ihr habt Euch nicht geschämt, herabzusteigen in eines armen Juden Hütte, zu sehen unsre Armuth, unsre Leiden.« »Gott!« spracht Ihr beim Scheiden halb vor Euch hin: »kann man denn Menschen so in den Staub treten?« und eine Handvoll Gold ließt Ihr auf meinem Schmerzenslager zurück. »Herr! Mensch unter'm Herzogshute! Aus Euerm Beispiele hab ich gelernt, daß es gibt edle Christen. Herr! von Euch habe ich ererbt Vertrauen auf die dunkle Vorsehung; Herr! Euer Gold hat mir gebracht Segen, hat mich [257] gemacht reich, und bei dem Haupte meines Vaters gelobe ich's Euch: Euer ist auch Alles, was mein ist auf der Erde.«

Ben David schwieg erschöpft, und küßte des Herzogs Stiefel, daß Friedrich empört zurücktrat, und halb gerührt, halb unmuthig ausrief: »So steh doch auf, aberwitziger Ebräer! Du wirst mich böse machen mit dem übertriebnen Gewäsche. So seyd Ihr aber, leichtsinniges Volk. Dem Erlöser sangt ihr Hosianna, und habt ihn dann getödtet.«

Ben David richtete sich langsam und bekümmert auf. »Gnädigster Herzog,« sprach er, gänzlich ablenkend: »mein Vater, der seine hundert Jahre zählt, hat viel des Guten gethan auf der Welt, und keinen Lohn davon getragen, als ein schneeweißes Haupt und schwache Glieder. Belohnt mich an seiner Statt, edler Fürst, oder sorgt, daß der Kaiser es thue.«

Der Herzog sah ihn befremdet an. »Wie soll ich das verstehen?« fragte er: »Wie käme denn ich, wie der Kaiser dazu, Dich zu belohnen für die guten Thaten, die vielleicht Dein Vater verrichtet hat?«

Lächelnd schwieg Ben David eine Weile, trat dann in die vorige ehrfurchtsvolle Entfernung, und versetzte: »Euer Wort ist Wahrheit, Herr, aber ... wenn Ihr nicht an mir das Gute vergelten wollt, das mein Vater vor fünfzig Jahren that, warum laßt Ihr mir entgelten, was mein Volk vor anderthalbtausen JahrenBöses gethan? –«

Friedrich warf bei der unvermutheten Wendung den Kopf zurück, hielt aber an sich, biß sich in die Lippen, und bezwang seinen gereizten Stolz männlich[258] und edel, wie es einem klugen und rechtlichen Fürsten geziemt, wenn die Wahrheit sein Vorurtheil besiegt. »Was ist aus Deinen Söhnen geworden?« begann er leutseliger, als zuvor. Ben David legte die Linke auf die Brust, und seufzte. »Sie haben mir viel Herzeleid. gemacht;« sprach er. »Der ältere lebt und ist doch gestorben für mich. Ich werde ihn nicht wiedersehen im Wohnort der Gerechten. Mein Bechor hat sich gerissen los von den Seinen, aus einem Sohn der Gebote ist er geworden ein Abtrünniger, ein Anhänger derjenigen, die sein Volk unterdrücken!«

»Ich verstehe;« erwiederte Herzog Friedrich: »er ist klüger gewesen als Du, und ist, ein Reuiger, in den Schooß unsrer Kirche eingegangen. Ich muß ihn um dessentwillen loben. Es ist besser ein schlechter Christ seyn, als der beste Jude.« – »Als Ihr sprecht von Essen und Trinken und Bequemlichkeit, gebe ich's zu;« versetzte Ben David ernst: »der heilige Gott möge ihm verzeihen. So viel ich weiß, lehrt er jetzt die hebräische Sprache zu Heidelberg an der hohen Schule.« – »Wohl ihm;« setzte der Herzog hinzu: »was geschah aber mit dem Jüngsten?« – »Auf seinem Gedächtnisse sey der Friede!« murmelte der Vater mit zum Himmel gerichtetem Blicke: »Er sitzt oben in der Herrlichkeit Gottes; vor vier Jahren wurde er zu Budweis erschlagen, da die Christen eine Judenhetze hielten daselbst.«

Friedrich war betroffen. »Ein erbärmlich Schicksal!« sprach er, und wandte sich zum Fenster, um den Ausdruck der Rührung auf seinem Gesichte zu [259] verbergen. – Ben David trocknete eine Zähre von der vernarbten Wange, und fragte unterthänig, mit welchen Diensten er dem Herzoge aufzuwarten vermöge. – »Ich werde vielleicht bald fünf- bis sechstausend Mark Silbers benöthigt seyn;« antwortete Friedrich, ohne seine Stellung zu ändern, denn seine Bewegung war noch nicht vorüber: »ich habe meine Gründe, warum ich dieses Geld nicht von meinen Rechneimeistern eintreibe; denn ich verlange strenge Verschwiegenheit. Kannst Du die Summe schaffen, sobald ich sie zu fordern veranlaßt seyn könnte?«

»Zu jeder Stunde soll sie liegen bereit;« versicherte Ben David ohne Bedenken.

»Wie hältst Du's mit Zinsen und Verschreibung oder Pfandschaft?« fuhr Friedrich wie oben fort.

»Von Euch nehme ich nicht Zinsen;« entgegnete der Jude ruhig: »Euer Wort ist das beste Pfand; und eine Schrift begehre ich nicht, seitdem Kaiser Wenzel uns gezwungen hat, alle Schuldbriefe edler Herren unentgeldlich auszuliefern.«

»Was soll das, Jude?« fragte der Herzog heftig sich umdrehend: »Was nimmst Du Dir heraus? Ein Herzog in Österreich wird sich von einem Kammerknechte keinen Zins schenken lassen, und kein Darlehen empfangen ohne Brief und Siegel auszustellen, gleichsam als wär es eine Gabe. Oder hältst Du mich, den Habsburger, fähig, von der Armseligkeit, die damals der Luxemburger gegen Euch ausgeübt, Vortheil zu ziehen?«

»Ich will doch umkommen auf der Stelle, wenn ich Euch, gnädigster Herzog, habe beleidigen wollen;«[260] betheuerte der Jude: »nur so viel wollte ich sagen, daß Euer ist meine Habe und mein Leben, daß ich Euch weihe meine Dankbarkeit und den Segen mit dem mich hat überschüttet der Gott Israel.«

»Schweig, Hebräer!« rief Herzog Friedrich, sich aufgebracht stellend: »Lege ein andermal Deine Worte auf die Wage, und bedenke, daß ich kein Kohljunker bin, dessen Dürftigkeit sich von Dir etwas gefallen lassen muß. Geh heim; es wird schon dunkel, und es ist keine Ehre dabei, mit Deinesgleichen zu solcher Stunde zu verkehren. Mache Deinen Überschlag an Zinsen, an vollwichtigen Zinsen, hörst Du? Herzog Friedrich will keinen Dienst umsonst und mäkelt nicht um einen Heller. Halte Dich sodann bereit sammt Deinem Gelde, wann die Zeit kömmt, da ich es gebrauche.« – Mit dem stolzen Wesen, das dem Herzog so wohl stand, verabschiedete er den Juden, der sich in gewohnter Demuth und Unterwürfigkeit davon machte. Dagobert trat ein, den schweren vergoldeten Leuchter in der Hand, dessen drei flammende Kerzen das Dunkel des Winterabends aus dem Gemache bannten. –

»Ich fürchtete schon, Ew. fürstl. Gnaden hätte sich in geheime Kabale und Sterndeuterei mit dem Juden eingelassen;« sprach der junge Mann lächelnd: »die Unterredung wollte kein Ende nehmen.« – »Haltet es dem Zufall zu Gute,« versetzte der Herzog herablassend; »wenn heute der neue Bund vor der Thüre harren mußte, während ich dem alten Gehör gab. Man beschäftigt sich ja manchmal mit Pflanzen, die im Schlamme wachsen, und diese – wahrlich – [261] hat nicht die übelsten Eigenschaften. Dem häßlichen Gesichte wäre es beinahe gelungen, mein Herz zu rühren, das sonst geharnischt ist wie eine Fechterfaust. Weg damit. Wie kömmt's aber, guter Freund, daß ich Euch bei mir sehe, heute am ersten Faschingstage? Rollt das junge Blut wieder langsamer, als es sollte? Wollt Ihr den Graubart spielen, während Alles sich in jugendlicher Lust ergötzt? Wißt Ihr nicht, daß es heute auf dem Tanzhause munter hergeht? daß der Kaiser selbst sich in die Freude mischen, daß er Ketten, Ringe austheilen wird an die Schönsten, die das Fest verherrlichen? Geht dorthin. Eurer wartet daselbst mehr Vergnügen, als bei mir und meinem steifen Waldmann. Oder, kann ich Euch in etwas dienen? Fordert.« – »Erlaubt, daß ich einige Augenblicke um Euch seyn darf;« bat Dagobert mit aufrichtiger Anhänglichkeit: »Euer Anschauen wird mich endlich zum Manne machen.« – »Greift Euern Jahren ja nicht vor;« erwiederte Friedrich: »sie sind die schönsten, die es gibt, und den vollen Keim des Mannes tragt Ihr in der Brust; des Mannes wie ich ihn liebe: gerade, frei, froh und eisenhart.« –

»Warum darf ich bei Euch nicht Ritterschaft lernen, gnädigster Herr;« klagte Dagobert. »Wenn ich Euch so kräftig vor mir stehen sehe, gepanzert gegen alle Widerwärtigkeit, umgeben von Ehre, Glück und Stärke, da pocht mir das Herz vor Unmuth, daß ich in die Kutte kriechen, und kein Ritter werden soll, wie Ihr es seyd?« – »Ihr wart ja nicht Eures Schicksals eigner Schmid;« versetzte der Herzog [262] achselzuckend: »der Mutter Gelübde ist der Planet, dem Ihr gehorchen müßt. Das tröste Euch. Horch!« setzte er bei, zum Fenster eilend: »Warum wird denn da unten auf der Gasse so lärmend gepaukt und schalmeit?« –

In der That zog eine Bande von Zinkenbläsern, Stoßpfeifern und Paukern vorüber. Eine Menge Fackelträger folgte ihnen; in ihrer Mitte der Kaiser zu Fuße, umgeben von angesehenen Frauen der Stadt, mit ihnen freudiglich dahertanzend unter einem unbändigen Zulauf von Larven und Fastnachtsnarren und kreischendem Pöbel!

»Jesus Christus!« begann der Herzog, unmuthig mit dem Fuße stampfend: »Mein alter kahlköpfiger Lehrer hat mir Vieles von einem alten Kaiser zu Rom erzählt, der seine Würde so sehr vergessen hat, daß er auf einer Bühne vor allem Volk getanzt und den Gaukelspieler gemacht. Unsre kaiserliche Majestät ist das leibhaftige Konterfei des blutgierigen Thoren zu Rom. Er schleppt seine Würde im Staube nach sich, wie einen unbequemen abgetragnen Reitermantel. Pfui! daß die Ausländer solche Narreteien sehen müssen!« – »Der Geist des Unmuths kommt über Euch;« erinnerte ihn Dagobert bescheiden: »laßt Euch doch des Kaisers Thun nicht zu Herzen gehen!« – »Seht Ihr, junger Gesell, wie übel es um meinen Seelenpanzer steht?« rief der Herzog: »Der feige Lützelburger trifft mit seiner Pritsche allemal die Blöse. Ich sitze auf des heiligen römischen Reichs Fürstenbank, meine Vorfahren saßen glorreich und würdevoll auf dem deutschen Throne, den Habsburg [263] auch jetzo mit größrer Ehre füllen würde, als die Luxemburger es im Stande sind. Ich darf, ich muß mich ereifern über die sträfliche Unbesonnenheit, die also zur Schau getragen wird. Ist das ein Betragen, eines Kaisers würdig? Und dieser Faschingsheld will die Christenheit und ihre Kirche zu beßrer Zucht und Ordnung bringen? Von diesem tanz- und minnelustigen Herrn muß der Statthalter Gottes sich in's Joch der Knechtschaft beugen lassen? Nimmermehr! – Doch was rede ich da?« unterbrach er sich: »Guter Dagobert; Ihr müßt mir meine Laune nicht anrechnen, mich nicht für einen Zanksüchtigen halten. Es thut wehe, eine ganze muthige Nation unter der Sohle eines Gauklers zu sehen. Glaubt mir, der ganze Stamm verdient kein beßres Lob, als ich ihm beilege. Der Vater Karl, in dem nicht Geist, nicht Muth, nicht Adel wohnte, sondern hölzerne Förmlichkeit allein, hat in seinen Söhnen nichts Treffliches hinterlassen. Niemand hatte wohl triftigere Ursache bei der Krönung den seltsamen Eid zu leisten: mit Gottes Hülfe nüchtern zu seyn und zu leben, als Kaiser Wenzel; niemand hat aber je einen Schwur schneller gebrochen als Er, den seine Völlerei und Zuchtlosigkeit um des Reichs Krone brachte. Sigmund ist jedoch um nichts besser: feig, wollüstig, eitel und prunksüchtig ersetzt er den Mangel an Trinklust durch Tücke und unkaiserliche Doppelzüngigkeit. Er haßt mich leidenschaftlich, in höherm Grade, als ich ihn verachte, aber er streichelt meine Wange mit der Sammetpfote einer falschen Katze. Noch diesen Morgen drückte er mich an die [264] Brust, nannte mich seinen liebsten Vetter, und heute Abend – ich schwör's – nennt er mich im Kreise seiner Speichellecker nach seiner Gewohnheit den Herzog der Flaschenträger, und den Erzpaschaler; obgleich ich für meine Person das heutige Fest, des Conciliums würdiger begehe, als Er.«

Der Herzog, der diese lange Erläuterung seiner innersten Gedanken mit steigendem Feuer herausgesprudelt hatte, schwieg, um Athem zu schöpfen; warf sich in seinen Stuhl, klopfte seinem alten Rüden die Ohren, und Dagobert, in gerathenem Schweigen verharrend, erwartete wie gewöhnlich die Beurlaubung, die nach ähnlichem Sturme nie auszubleiben pflegte. Wider Vermuthen wurde jedoch des Herzogs Stimmung gemäßigter, seine finstre Miene freundlicher. Das unmuthige. »Hm!« das zu wiederholten malen seinen Lippen entschlüpft war, verwandelte sich in das Trillern eines Tyroler Verglieds, das der Fürst besonders liebte, und das er oft gebrauchte, um sich in Heiterkeit zu versetzen. Mit einemmale schwieg er, heftete den Blick auf Dagobert, lächelte, und sprach in beßrer Laune: »Ei, mein werther Jungherr! Ihr steht an der Thüre, wie einer der in unhochzeitlichem Kleide zum Feste gekommen ist. Gefällt es Euch, meine heutige Einsamkeit durch einiges Gesprächsel zu beleben, so tretet näher. Setzt Euch zu mir.« – Er wies auf einen Schemel, der unweit von ihm stand. – So freundlich war der Herzog noch nie gewesen. Der Erlaubniß, sich zu setzen, durften überhaupt gar Wenige in seinem Gemache sich rühmen, und Dagobert war sie noch nicht [265] zu Theil geworden. Geschmeichelt von der Herablassung des Gönners, gehorchte er gerne, und der Letztere hob bald also zu sprechen an: »Vielleicht habe ich Euch in des Kaisers Person beleidigt? Sagt es offen heraus, und Euch soll's nicht gegolten haben. Stellt Euch nicht so befremdet. Oder hättet Ihr in der That Eure zeitlichen Hoffnungen nicht auf Sigmund gebaut, der – ich weiß es – um Eurer Schwester Gunst wirbt? Euer Ohm hat schon hie und da ein Wörtlein fallen lassen; hat schon dem heiligen Vater, zu dessen Sache er stand, halb und halb entsagt, um von dem im Augenblick überwiegenden Kaiser desto eher den rothen Hut zu gewinnen. So redet doch auchIhr.«

Dagobert stand bekränkt auf, und neigte sich ernst. »Des Vaters Bruder handle wie's ihm recht dünkt; die Schwester desgleichen. Ich werde nie durch Unehre steigen wollen. Ihr habt mich hochgeehrt, gnädigster Herr, und mich erniedrigt im selben Augenblicke. Ich verdiene Euer Mißtrauen nicht. Zählt Ihr mich zu den Abenteurern, die Hand und Herz dahin lenken, wo der Vortheil am schwersten zieht, so muß es Euch befremden, mich an Eurer Seite, und nicht zu Sigmund's Füßen zu sehen.«

»Wackrer Junge!« rief Friedrich zufrieden lächelnd, und die Hand nach ihm ausstreckend: »Laßt mich Eure Hand schütteln! Ich habe mich nicht in Euch getäuscht. Ehre und Treue am Guten; das ist Euer Wahlspruch. Wie Ihr, redet nur die Wahrheit, und was wir am meisten an dem Manne lieben, den wir uns zum Freund verbinden wollen, ist [266] eben Wahrheit. Ich diene Euch auch damit. Wallradens Betragen, das den schwachen Herrscher in's Netz der Minne zu ziehen bemüht ist, hat, wie es zu gehen pflegt, mancherlei Eindruck gemacht. Die Verdorbenen ihres und unsers Geschlechts beneiden sie und den Kaiser. Die Sittlichern – die kleinere Zahl – verachtet sie deßhalb; diejenigen aber, die sich in ihre Reize vergafften, und durch ihre Lockungen ermuthigt worden waren, sind zur Verzweiflung, oder zur Wuth gebracht. An der Spitze der Erstern steht der Herr von Königseck, ein eitler Lasse, wie nur je deutscher Boden Einen trug. An der Spitze der Letztern befindet sich der Graf von Montfort. Die Verzweiflung des weibischen Hageprunks wäre zu belachen; die Wuth des kühnen Montfort ist es nicht. Er hat mir seinen Kummer vertraut, denn ich begünstigte sein Werben um Wallraden. Er hat mir betheuert, seine Geduld werde bald erschöpft, seine Eifersucht bald auf's Höchste gestiegen seyn. Warnt Eure Schwester. Die Drohungen des Königseckers mag sie verspotten; Montfort's Rache naht aber heimlich und schweigend, wie das Unglück selbst. Wallrade sey auf ihrer Hut.«

»Sie maßte sich stets an, die Klügere zu seyn;« versicherte Dagobert: »ohne meiner Mannheit zu vergeben, darf ich die Übermüthige nicht warnen. Auf meinen Arm mag sie eher rechnen, wenn der Zufall mich einst zu ihrem Beistand auffordern sollte, obgleich sie es nicht verdient.«

»Warum müßt Ihr in's Kloster wandern?« fragte der Herzog theilnehmend: »Ihr habt Anlagen [267] genug zum biedersten Rittersmann. Wille und That sind bei Euch Eins und Dasselbe. Ich habe heute einen weißen Raben gefunden, einen dankbaren Juden nämlich. Laßt mich in Euch das gleichseltne Kleinod finden, einen treuen Freund, wie ihn ein Fürst so selten hat, von verschwiegnem Mund, bereitwilligem Arm und redlichem Herzen.«

»Mein gnädigster Herr!« rief Dagobert überrascht von so viel Zuneigung, und wollte Friedrichs Hand küssen. Der Herzog zog sie aber zurück. »Keine Umstände!« sprach er ernst: »Wäre ich Euresgleichen, ich nähme Euch in meine Arme. Dieses ziemt mir nun freilich nicht, da Gott einen Fürsten aus mir gemacht hat, und Schranken müssen einmal seyn auf Erden. Aber die Hände dürfen sich zwei Biedermänner wohl schütteln, wenn auch der Eine einen Herzogshut, der Andre ein einfach Piret trägt, wenn auch der Eine in des Lebens Herbst, der Andre erst in dessen Frühling tritt.« Er stand auf, und schüttelte traulich Dagobert's Hand. »Fürwahr!« fuhr er fort: »diese Hand werde ich früher gebrauchen, als Ihr wohl denkt, und auch den Kopf, meine ich; wenn Ihr anders nichts dagegen habt.«

»O sprecht, mein Herzog!« bat Dagobert ungestüm: »Was kann ich thun, um Euer Vertrauen zu verdienen? Redet; auf der Stelle sey's vollbracht.« – Der Herzog legte den Finger auf den Mund. »Noch ist's nicht an der Zeit!« begann er: »doch die Zeit wird kommen: verlaßt Euch darauf. Noch darf ich nicht reden, sondern nur lauernd harren, bis geschehen muß, was noch jetzt ein Geheimniß [268] ist. Gelt, ein schmachvoll Jahrhundert, in dem sogar ein Fürst wie ein gefährlicher Verbrecher heimlich thun muß, indem das Recht auf leisen Socken schleichen muß; während der Schelm ohne Scheu so viel Lärm macht, als ihm beliebt. Aber das Gute und Rechte thun, wenn es auch verboten ist durch schmähliche Gewalt, ist löblich, und in solchem Falle sind alle Mittel, sofern sie nicht Sünde sind, dem ehrlichen Zwecke gerecht.« »Ist das Euer aufrichtig Glaubensbekenntniß?« fragte Dagobert den Herzog rasch und kühn. – »Mein aufrichtigstes;« entgegnete dieser, und fügte abbrechend bei: »des Besten mich zu Euch versehend, entlasse ich Euch.«

»Und stark auf's Neue in Geist und Kraft scheide ich von Euch, edler Herzog,« antwortete Dagobert, zufrieden von seinem erhabnen Freunde gehend.

Fußnoten

1 Kandidat der Meisterschaft im Schneiderhandwerk.

12. Kapitel
Zwölftes Kapitel.

Laßt uns rühren die fröhlichen Schellen!

Rüstig und schnell in's Gewühl hinein;

Darf der Thorheit sich Ernst beigesellen,

Dann ist es Lust ein Narr zu seyn.

In der Poeten fabelhaft Reich

Zaubert ein drolliger Fastnachtsstreich!

W.


»Nun? wie gefall' ich Euch?« sprach Gerhard lachend zu Dagobert, als sich Beide am Nachmittage des Fastnachtdienstags in ihre Larvenkleider gesteckt hatten: »Bin ich nicht der wildeste aller Jäger? Kreuz, Stein und Dorn! Was werden die Leute [269] gaffen, und auch Ihr, Junkerlein, seyd der schmuckste Schalksnarr, der jemals zu Costnitz die Schellen regte. Wir werden Aufsehen machen, wo wir uns nur zeigen.« – »Das verhüte Gott!« erwiederte Dagobert: »Benehme Du Dich nur nicht auffallend und allzu abenteuerlich. Deine ungehobelte Gestalt ist ohnedieß allzukenntlich, wenn Du nicht den Mantel vernünftig und weit umgeschlagen trägst, damit, er Dich verhülle.« – »Ohne Sorge!« meinte Gerhard: »Ganz Costnitz ist der Meinung, ich laufe noch immer als großer Christoph umher, denn ich habe meinem langen Vollbrecht Kleid, Schürbaum und Heiligenschein abgetreten.« – »Herrlich!« versetzte Dagobert: »Ganz Costnitz weiß demnach, daß Du in jener Mummerei steckst, und Wird gewiß auch von der Neuen erfahren haben.« – »Ich will im nächsten Stechen in jedem Rennen den Sand küssen, wenn eine Seele von dem wilden Jäger weiß;« betheuerte Gerhard: »Mit dem Christoph war's ein ander Ding. Um einen Begleiter und eine Ansprache zu haben, erlaube ich meinem Knechte Vollbrecht, mit mir umher zu laufen, und da der einfältige Tropf mich immer gestrenger Herr nannte in Dorf und Stadt, so war's gleich weltkundig, wer ich sey.« – »Eine herrliche Aussicht!« fügte Dagobert bei: »Der Knecht hat die Plaudersucht von Dir geerbt. Nur so viel zur Nachricht. Kein Tropfen Weins kommt in Deine Gurgel mehr, sobald Du verräthst, daß ich in diesem Pickelhäring stack.« – »Verstehe;« antwortete Gerhard: »werde mich auch hüten. Trinke lieber nach geschehener Arbeit meinen Wein für Euer Geld, [270] als daß ich wie ein ächter Kalandsbruder herum schmarotze mit leerem Seckel. Seyd nicht bange. – Und den Raufdegen? – Ich trage ihn unterm Mantel am Gürtel. Geschliffen ist er wie ein Schermesser, und wehe den Rippen derjenigen, die mit ihm Bekanntschaft machen wollen.« – »Gut;« erwiderte Dagobert: »Jetzt laß uns hinaus in die tolle Faschingslust, die wohl häufig unter der bunten Tracht den schwarzen Ernst verbirgt! Komm, wilder Jäger, und folge mir Schritt für Schritt.«

Wo sie hinkamen, die stattlichen Vermummten, empfing sie der Jubel, der heute ausgelassen und gellend durch alle Straßen tobte und sogar der strengen Stadt- und Conciliumsordnung spottete. Alle Stände wetteiferten sich in Tollheiten zu überbieten, und die seltsamen Figuren, die wie eines vielfarbigen Stromes Wellen, durch die Häuserreihen, über die Plätze stürmten, versetzten den ernstesten Zuschauer in ein fremdes, wunderliches Land, worinnen es schwer fiel, dem Mitbürger- und Mitnarrenrecht sich zu entziehen. Getrost und munter umherschwärmend kümmerte sich Keiner um den Andern. Alle nur um die allgemeine Festlichkeit. Der Schultheiß mit dem Hintersassen, die Bürgermeisterin mit der ärmsten Pfründnerin, der Meister freier Künste mit den rohen Bauern, sie hatten nur ein Ziel. Der Leibeigene schritt seinem Zwingherrn zur Seite, die Magd ihrer Gebieterin. Der Larven Freiheit vernichtete jede Schranke. Nach dem Maßstabe der Ansprüche und des Wohlstandes der Hohen und Niedern im Volke waren, auch die Lustbarkeiten verschieden, in [271] welche die fröhliche Feier zerfiel. Rotten von verlarvten Spielleuten ließen sich allenthalben hören, und ihre Vorläufer, in possenhafte Thiergestalten verkleidet, als aufrechtgehende Leuen, Bären und Greife sammelten an allen Häuserpforten für die unermüdeten Pfeifer und Lautenschläger. Die Freigebigkeit der frohgestimmten Bürger ferner in Anspruch zu nehmen, zogen Buben mit Tannenbäumen heran, sie vor die Thüren pflanzend, und das herkömmliche Lied dabei singend: Ich bring' zum Fastelabend einen grünen Busch! Junge Bursche vom Lande schleppten Pflüge zu den Vorstädten, mit farbigen und goldnen Bändern geschmückt, fingen die muthwillig umherschweifenden Dirnen in Strohketten auf, und spannten sie an das Ackerfuhrwerk, bis unter dem Gejauchze des Pöbels die armen Gefangnen, von einem Regen von Häckerling und Sägspänen überströmt, sich mit ein Paar Hellern oder einem Kusse ihr Lösegeld bezahlen.

»Solche Küsse sind besser denn Fastnachtswecken!« meinte Gerhard, da er mit seinem Begleiter an einem Auftritte dieser Art vorüberging, und Dagobert hatte nicht wenig Mühe, den wilden Jäger von der Theilnahme an der niedern Volksbelustigung zurückzuhalten. »Ei du altes Sieb!« sprach der junge Altbürger, indem er ihm die Kolbe zu kosten gab: »Möchtest Du nicht etwa dort auf dem Kornmarkte mit um das unreine Thier turnieren, dem die vielen Bengel mit verbundnen Augen und derben Dornknüppeln in der Faust zu Leibe gehen? Ein herrlicher Sieg, die arme an den Pfahl gebundne Bestie vor [272] das Hirn zu schlagen, und zum Festbraten für den Abend zu gewinnen! Oder gelüstet Dich vielleicht nach jenem dünnen Häringe, den die beiden Lumpenhänse dort mit den rußbesudelten Gesichtern an der ungeheuern Stange tragen, ein Vorbild der anrückenden Fastenzeit?« – »Ach, schweigt mir von der Faste;« entgegnete Gerhard grämlich: »Ich möchte mich ja gerne von allen Fastnachtruthen zerprügeln lassen, die heute von dem verlarvten Gesindel an den Maulaffen von Zuschauern zerhauen werden, dürfte ich den Aschermittwoch sammt Nachfolgern aus dem Kalender streichen, und flugs auf dem Faschingdienstag den Ostersonntag kommen lassen.« »Alle Teufel!« unterbrach er sich hier plötzlich, so daß Dagobert es der Mühe werth fand, ihn um die Ursache des schnellen Verstummens zu befragen: »Habt Ihr das häßliche Gesicht nicht gesehen, das aus dem Erdgeschoße jenes Hauses blickte?« fragte Gerhard entgegen. Dagobert verneinte. »Und auch das Engelantlitz ihm zur Seite nicht?« fuhr Gerhard fort. »Eben so wenig;« versicherte Dagobert. – »Na, so wünscht Euch zu dem Ersten Glück, und reißt Euch die Haare aus dem Kopfe wegen des Zweiten;« flüsterte Gerhard. »Ein Engel,« sage ich Euch, »ein Engel neben einem garstigen Satan, der an seinem Gesichte Larve genug hat, um heute keines Mummenschanzes weiter zu bedürfen.« – »Du schwatzest wie ein Verrückter;« entgegnete Dagobert. – »Den Teufel auch,« murrte Gerhard vor sich hin: »Der Ausbund von Häßlichkeit sah mir nur zu vornehm aus, [273] sonst glaubte ich steif und fest, es sey der Bursche der zu Worms .....«

»Willkommen, wilder Jägersmann!« schrie eine Schar von Larven, die sich um den verdutzten Gerhard versammelte: »Du ließest lange auf dich warten!« – Der erste Blick belehrte die beiden Gesellen, daß eitel Weiber sie umringten, in grüne, lustige Waldfarbe gekleidet, mit Tannensträußern auf den Hüten, Bogen, Pfeile und Jagdlanzen in den Händen; schön verzierte Hifthörnlein an der Seite. – »Wie konntest Du Waldinen harren lassen, viel zu lange für ihre Sehnsucht?« rief die Anführerin der Schar, die den Sperber auf der Hand trug, und von deren Sammthütlein ein Strauß von grünen Federn nickte: »Komm mit uns! – Komm mit Frau Holda Waldinen!« jauchzte die ausgelassene Bande: »Hussa! wackrer Waidmann! ho! ho! mit uns!«

Der verlegene Gerhard, der kein Wort zu erwiedern vermochte, fühlte sich, alles Widerstrebens ungeachtet, von Dagoberts Seite gerissen, von der Schar der Jägerinnen im Triumph davon geführt, und ein großer Larvenzug, der die Straße heraufkam, trennte unaufhaltsam die Gefährten. – »Ihn reißt sein Schicksal dahin!« dachte Dagobert lächelnd für sich: »und mich beraubt es vielleicht dadurch eines handfesten Helfers. Immerhin jedoch, was beschlossen ist, muß geschehen, selbst wenn mir der willkommne Wächter entginge. Frisch hindurch und mitten unter das Gewühl, damit es für jetzt mein Herz ergötze!« – Er warf sich Kopfüber in den Zug, der aus mehreren hundert Verlarvten bestand, den [274] vornehmern Leuten angehörend. Von unzählichen Narren umschwärmt, die wie Besessene durch das Zuschauergedränge tobten, mit Ruthen und Peitschen die Hände der Gaffenden kitzelten, an Thüren und Laden klopften, in die Häuser drangen unter dem Vortritt eines Herolds possenhafter Natur, um daselbst kleine Fastnachtsspiele aufzuführen, deren Witz oft nicht der züchtigste war, – bewegte sich die Larvenschar langsam vorwärts, und bot dem Volke ein glänzendes Schauspiel. Ein Pickelhäring mit der Narrenfahne in der Faust eröffnete es, auf einem Esel reitend. Eine Bande von Trompetern, Schalmeiern und Gigenbucklern folgte – ihre Musikam in den wunderlichsten Tönen aufführende. Der ewige Jude und der lange Christoph Arm in Arm schritten dahin mit langen Tannenbäumen in den Hängen. Der wohlgemästete Fasching, auf einer Schleife ruhend, von Schinken, Würsten und Kürbisflaschen umkränzt, wurde einhergeführt von dem drollig geputzten Sonntag, Montag und Dienstag – den Großen seines Reichs. Ihm folgte ein Trupp von nähenden Schneidern auf Geisböcken, von zähneflätschenden Affen auf Tigerlarven sitzend; der Vortrab der herbeigetragnen Fastnacht, dem Weibe des Faschings, dessen Thron auf den Schultern von verlarvten Bäckergesellen in zierlichen Leinwandkitteln und blauen Schürzen errichtet war, und von welchen eine reiche Spende von Bretzeln und Hornaffen unter das Volk und die lärmende Jugend regnete. Nach dieser erfreulichen Augen- und Magenlust ergötzte doppelt die schwere, knarrende und von bebänderten Ochsen geleitete Guggelfuhre, [275] angefüllt mit den possierlichsten Mummereien, mit langbärtigen Türken, kinnwackelnden Judenköpfen, verzerrten Mohrengesichtern und klaffenden Bullenbeißern, denen man zerzauste Haarhauben auf die grämlichen Gesichter gestülpt hatte. Ein lustig Gesindel von Thorhänsen und Gaukelspringern machte hier, radschlagend, burzelbäumend, schellend, rasselnd und in den höchsten Tönen des Stimmengejauchzes quinkelirend, das Gefolge, und zugleich den Herold der größten Pracht des Zuges, des herrlichen Hofs der Frau Venus, wie ihn die schlichte Sage schildert. Der treue Eckart mit dem weißen Stabe ging voraus, warnend und ermahnend, mit langem Silberbarte, in schlichtem grauem Gewande. Dagobert's scharfer Blick entdeckte schnell unter dem faltigen Rocke eine fast unmerkliche Schultererhöhung, und wußte alsobald, daß der Graf von Montfort unter der Larve stecke. Sein Ahnungsvermögen, von den Muthmaßungen der ihn umsummenden Schaulustigen und in das Larvengeheimniß Eingeweihten gerechtfertigt, fand auch unter den Nachfolgern des treuen Eckarts Bekannte auf. Ein über ein Stockwerk hoher Wagen mit vielen stufenweise erhöhten Sitzen wurde von acht Schimmeln gezogen, die, mit prächtigen Decken angethan, an jeder Seite von vier jungen Leuten in heidnischer Tracht mit bekränzten Häuptern, geführt wurden. Zwei stattliche wilde Männer lenkten von oben die Zügel, und saßen zu den Füßen liebenswürdiger Knaben, die in rosenfarbiger Seide gekleidet waren, silberne Binden auf der Stirne trugen, und goldne Bogen mit Pfeilen und[276] Köcher in den Händen hielten. Hinter denselben saßen die drei Gesellschafterinnen und Gespielinnen der holden Liebeskönigin, in weißen, blauen und Amaranth-Gewändern mit Granaten- und Perlschnüren geschmückt, und mit flimmernden Piretleins von Straußenfedern umwallt. Die Eine hielt einen runden Metallspiegel, die Zweite einen Fächer von weichem Flaumengefieder, die Dritte eine weiße Taube mit vergoldetem Schopfe. Über ihnen thronend jedoch unter purpurnem Himmel, umgeben von einem zahlreichen Kreise der bestgezierten Frauen, glänzte Frau Venus selbst, angethan in goldnem Stück, strahlend von blitzenden Kleinodien, eine geborne Fürstin der Schönheit und der Pracht. Es war dießmal für Dagobert eine schlechte Aufgabe, in der heidnischen Göttin und Fee seine Schwester zu erkennen, da ihre Eitelkeit sogar die Gesichtslarve verschmäht hatte. Der geschnirgelte, geschnürte, und geleckte Ritter Tannhäuser an ihrer Seite konnte Niemand anders seyn, als der stutzerhafte Herr von Königseck. Wie spreizte er sich an dem Ehrenplatze, der ihm zu Theil geworden war! Stolzer brüstete er sich dort oben als der dicke Goliath, das Vorbild aller ausgemästeten Philister, der hinter dem Prunkwagen zu Pferde saß, und mit seiner Stechlanze die Rotten von kleinen schwarzen Teufelchen mit Schweif und Scharlachzunge wegprügelte, die gern zum Thron der Venus aufgeklettert wären, lachend von dem halb erstiegnen Wagen purzelten, schnell wieder von ihrem Falle erstanden und entweder das Wagestück von Neuem versuchten, oder die Pfeile ihres derben Witzes [277] gegen den langen dürren und zerlumpten Aschermittwoch kehrten, welcher matt und keuchend, sich anhaltend an den Schweif des friesischen Goliathhengstes, den Zug durch seine Jammergestalt beschloß. »Du bist der treue Eckart, und warnst Jedermann;« rief Dagobert dem weißbärtigen Grafen zu, und warf sich mit klingendem Schellengetöse in den Haufen: »Aber Dich selbst warnt Deine Thorheit nicht. Fliehe die falsche Venus!«

Ehe noch der Graf nach dem aufdringlichen Mahner umschauen konnte, hatte dieser, kecker als die Teufelchen und unangefochten vor dem Philister, den Triumphwagen erklimmt, und sich vertraulich zwischen das Liebespaar geschoben. »Mit Gunst!« sprach er mit verstellter Stimme, die Schellen lustig schüttelnd: »Wo die Minne haußt, darf die Thorheit nicht fehlen. Wie gefällt Dir die Aussicht auf den Eckart dort unten, lieber Tannhäuser? Bilde Dir nicht zu viel ein auf Deinen Schnürleib und Deine wohlriechenden Salben. Frau Venus ist falsch und in Kurzem gehst Du im Staube wie der treue Eckart.« – Tannhäuser schaute hoch auf. Venus wendete sich aber mit verächtlichem Blicke zu Dagobert. »Der Narr mengt sich in Alles, und weiß Alles!« sprach sie höhnisch. »Ei wohl;« versetzte der Schalk dreist und zuthulich: »weißt Du warum der Zug jetzt hält? Weil er unter des Kaisers Fenstern steht. Weißt Du, warum Dein linkes Auge seitwärts schielt? Weil der Kaiser auf dem Altan sitzt, und die Minnefürstin mit seinen Blicken verschlingt. Fürchte Dich vor Kron und Scepter, Tannhäuser, [278] und Du, .. setzte er in Wallradens Ohr flüsternd bei: .. Du, fürchte Eckarts Eifersucht!« – »Abgeschmackter!« zürnte sie, erwiederte äugelnd des Kaisers zärtlichen Gruß, heftete ihren Blick auf das Fenster eines benachbarten Hauses und erröthete plötzlich. – »Du bist bewegt, Frau Minne!« fragte Dagobert neckisch: »Laß hören; Thorheit heilt das Herz.« – Wallrade sah ihm scharf in die gläsernen Larvenaugen, und glaubte eine zärtlichere Theilnahme an dem Schalksnarren zu bemerken, die sie, die schlaue Männerquälerin, nie unbenützt ließ. »Du brüstest Dich Alles zu wissen?« fragte sie lauernd entgegen: »Was, war's, das mich bewegte?« – »Du sahst an jenem Fenster ein Weib, dessen Schönheit den Vergleich mit der Deinigen nicht scheut;« antwortete der Schelm schnell und zuversichtlich. Wallradens Stirne zog sich zusammen. »Du bist nicht der zierlichste Narr;« erwiederte sie nicht ohne Bitterkeit: »Sage mir jedoch, wer ist die Frau mit dem holden Kinde im Arm?« – »Frage mich nicht;« antwortete Dagobert scherzend. – »Sprich, ich befehle es Dir.« – »Die Minne gebietet nie der Thorheit; sie ist ihr unterthan.« – »Rede, ich lasse Dich nicht.« – »Das schöne Weib ist die Frau von der Rhön!« raunte ihr Dagobert hart und rauh in das Ohr. – »Abscheulicher!« schrie Wallrade auf. »Was gibts?« fuhr Königseck dazwischen, dessen argwöhnischer Leidenschaft die heimliche Unterredung mit dem raschen Fremdling schon viel zu lange gedauert hatte. »Eine Überraschung, guter Tannhäuser,« lachte Dagobert ihm in's Gesicht: »Weiter nichts! [279] Leb' wohl!« – Klappernd und schellend machte er sich vom Wagen herunter, nachdem er dem zierlichen Liebesritter seine Kolbe zu kosten gegeben für das überflüssige: »Verdammter Hanswurst!« das der edle Herr, seinem Unmuth Luft zu machen, ihm nachgebelfert hatte. Muthwillig geworden durch den aufregenden Schwank, sprengte Dagobert wie ein dem Pferch entronnenes Füllen kreuz und quer durch das ausgelassene Volk, das sich auf den Gipfel der Lustigkeit hinaufschraubte und immer tollere Streiche machte, je näher die Dämmerung rückte mit ihrem Schatten. Die Schalkheit des Pöbels setzte sich hauptsächlich die Klosterleute beiderlei Geschlechts zum Ziele, die an diesem Tage ihre Clausur zu verlassen, bevorrechtet waren, und, wenig Zucht und Anstand beobachtend, die Stadt durchstreiften, mit den Laien in Thorheit wetteifernd. Jedoch, obgleich sie in Thun und Lassen den Weltkindern nachahmten, so vermochten sie es doch nie, ihren Stand selbst unter der verhüllendsten Maske, ganz zu verbergen. Der Kuttenschritt verrieth die Männer, das ungewisse Trippeln und Zusammenhalten in ansehnlichen Banden den weiblichen Convent; und dieser Umstand setzte die Zellenbewohner manchen Unannehmlichkeiten aus, wie sie die Ausschweifungen der Fastnacht mit sich brachten. Flinke und gelenke Pickelhäringe nähten eine ganze Nonnengemeinde zusammen, und trieben sie mit Peitschhieben und tausendfältigem: Hoho! und Hallah! vor sich her. Das grobe Schiffervolk riß den als Mönche Beargwohnten die Kopfbedeckung vom Haupte, und stellten ihre Tonsur zur Schau, und dennoch, [280] kaum entschlüpft den Händen der ungeschlachten Gesellen, setzten die Ordensleute, ihre Freiheit benutzend, ihre Thorheiten fort, auf Straßen, Plätzen, Tanzhäusern und Trinkstuben bis der Morgen herandämmerte und sie gebieterisch in das Kloster zurückwies, diejenigen ausgenommen, die vom Weine übermannt, den Taumel erst ausschlafen mußten. Bei einem solchen Auflauf, in welchem ein Paar schüchterne Cönobiten gequält und gehänselt wurden, stieß der von seines Ohms Hause kommende Dagobert plötzlich wieder auf den verloren gegangnen Gerhard. Bei dem Flammenscheine einer Pechpfanne erkannte er Mantel, Hut und Visier, und die Behaglichkeit, mit welcher der grobhäutige Fechtbruder dem gemeinen Possenspiel zusah, ließ dem jungen Manne keinen Zweifel übrig. »Gut, daß ich Dich finde;« sprach dieser zu dem Ungetreuen: »Bist Du's, oder bist Du's nicht, Gerhard?« – »Na, beim heiligen Georg! wer soll's denn anders seyn?« brummte Gerhard, mit lustiger Vertraulichkeit Dagobert's Hand ergreifend, und den von Wein unsicher gewordnen Körper auf dessen Schulter neigend: »Das ist Fröschlein,« fuhr er fort, – »Fröschlein oder mich soll der Schwarze holen mit Pferdefuß und höllischem Gestank!« – »Ei Du Trunkenbold!« zürnte ihm Dagobert entgegen und zerrte ihn abseits von dem Menschengewühle: »Nimm die Trommel, und rufe mich aus nach allen vier Winden, Du Schlemmer! Wo kommst Du her, Du trunknes Ungeheuer?« – »Aus dem Paradies,« versetzte Gerhard lustig: »aus dem Paradies;« setzte er bäurisch grob hinzu, da Dagobert[281] nichts entgegnete: »Ihr könnt mir glauben. Es lebe Frau Holda Waldina sammt ihren schmucken Töchtern, und ihrem köstlichen Firnewein!« –

Es ergab sich aus den Reden des Edelknechts, daß er in eine nichts weniger als ehrenvolle Gesellschaft gerathen war, nämlich in die von fahrenden Töchtern und Frauen, deren es um die Zeit des Conciliums eine bedeutende Anzahl zu Costnitz gab, und die entweder einzeln in den Vorstädten, namentlich aber zunftweise unter Meisterinnen versammelt, in der nächsten Umgegend der Stadt, öfters auch nur, nach Maßgabe ihrer Ansprüche, in elenden Hütten und Zelten sich aufhielten. Diese Bande, eine der ansehnlichsten, hatte es am heutigen Tage auf Niemand Geringern, als auf den Kaiser selbst abgesehen gehabt, von dem ein dunkles Gerücht verbreitet hatte, als wolle er selbst, in die Tracht, des wilden Jägers vermummt, allein und ohne Gefolge die Volkslust in den höchsten, wie in den niedersten Kreisen verfolgen und beobachten. Die Hoffnung, von dem leutseligen Herrn ein ansehnliches Geschenk zu gewinnen, hatte diese lockern Töchter so kühn gemacht, ihn im Putze vornehmer Frauen aufzusuchen, und so zierlich zu bewirthen, als es angehen würde. Gerhard's Larve täuschte sie, wie früher schon das lügenhafte Gerücht; erst in dem Saale des Gasthauses, in welchem für die lebenslustige Schar und ihren seltnen Gast ein Vespertrunk bereit stand, enthüllte sich die Wahrheit. Gerhard lachte die Betrogenen aus, log ihnen von seinem Geschlechte und seinen Gütern ein Langes und Breites vor, ließ sich ihren Wein schmecken, [282] seinen Beutel wegstibitzen, und entrann mit leerer Tasche und ziemlich vollem Kopfe den Lockungen des losen Gesindels. – »Sagt nun einmal zur Güte,« schloß er seinen Bericht; »ob ich nicht Wort gehalten habe, wie ein Mann. Hier bin ich wieder und stehe Euch zur Seite. Verlangt, was Ihr wollt. Ich stehe dem Satan selbst, wenn er Lust hätte, mit mir anzubinden.«

»Das glaub' ich Dir von Herzen gern;« erwiederte Dagobert: »denn Dir sitzt ein Dutzend von Teufeln jetzt im Leibe. Da ich indessen heute eines Menschen bedarf, der nicht grübelt, da der Weindunst Dir das Grübeln verbietet, und Deiner Bärenkraft das Doppelte, wie ich hoffe, zulegt; so sollst Du der Wächter einer That seyn, die Dir später Segen bringen wird, erfährst Du auch kein Wort von ihr.« – »Ihr sprecht ein Deutsch, das klingt wie Latein;« meinte Gerhard: »ich will bucklich werden, wie der Montfort, wenn ich ein Wort davon verstehe. Thut indessen nichts. Sagt mir nur, wo ich hinstehen soll. Kreuz und Dorn! ich halte fest.« – »Für's Erste,« sprach Dagobert, indem er ihn in ein finster Gäßlein zog: »für's Erste nimm Dein Jagdmesser zur Hand.« – »Was?« fragte Gerhard, den Jüngling anglotzend, so gut es die Dunkelheit erlaubte: »Ich werde Euch doch nicht die Gurgel abschneiden sollen?« – »Schweig!« raunte ihm Dagobert zu: »Trenne schnell und sicher jetzo die Schellen von meinem Gewand und meiner Kappe.« – »Eine seltsame Grille!« versetzte der Hülshofen »eine wunderliche Aufgabe, hier den [283] Schneider zu machen, wo es Pechrabenschwarz um uns her ist. Schreibt Euch's selbst zu, wenn ich nicht blos die Naht treffe.« – »Thut nichts; nur zu. Ich gebe indessen das Zeichen.« – Während Gerhard mit unbarmherziger Hand die Schellen abschnitt, und mit jeder derselben ein erkleckliches Stück des Gewandes wegnahm, schnalzte Dagobert viermal mit der Zunge, als ob eine Wachtel anschlüge aus grünem Felde. Nicht lange war das Zeichen vorüber als auch schon zwei Männer sich näherten, in schleppenden Röcken. Gerhard, stutzig gemacht, wollte ihnen ein derbes: »Wer geht da?« entgegendonnern, aber Dagobert hielt ihm den Mund zu. »Willkomm!« sprach der erste Ankömmling in ausländischer Mundart: »Die Mund ist da.« – »Wie steht's?« fragte Dagobert. – »Gut;« versetzte der Andre: »der Freund« auf den zweiten zeigend »hat vorgearbeitet. Petrus wird aufmachen.« – »Das gebe Gott;« antwortete Dagobert, und ging voraus. An der Ecke warf er seine Narrenglocken in einen Brunnen, und schritt dann schneller vorwärts. – »Ist das der Mensch, von dem Ihr spracht?« fragte ihn leise einer der Fremden, auf den geduldig nachtrabenden Gerhard weisend. »Ja,« entgegnete der junge Mann: »er ist's, Herr Graf. Zuverlässig, willenlos, und gänzlich unwissend.« – »Gut, gut;« antwortete der Fremde, und hielt sich mit seinem Begleiter dicht auf den Fersen des Führers, der abermals in ein Gäßlein einbog, und vor der Pforte und dem Vorsprungshänslein eines Klostergebäudes stille stand. Kein Laut war weder in dem Kloster, noch in der [284] Nachbarschaft zu hören. »Halte hier die strengste Wache!« sprach Dagobert zu Gerhard: »Wir haben im Hause zu thun. Solltest Du Lärm hören, so decke unsern Rückzug. Schlage das feige Gesindel, mit dem Du zu thun bekommen wirst, nur tapfer hinter die Ohren mit der Klinge. Verletze jedoch nur im allerhöchsten Nothfall. – In der Herberge sehen wir uns im schlimmsten Falle wieder.« – Gerhard brummte zu diesem Allen ein bereitwilliges Ja, pflanzte sich auf ein steinern Bänklein, unfern dem Kloster, und harrte geduldig der Dinge, die da kommen sollten. Dagobert sammt Begleitern klopften hingegen leise an das Pförtlein, und gaben auf die Frage des von innen herausspähenden Bruders die Antwort: »Fastnachtsfreunde.« Darauf öffneten sich die Riegel, und des Thürleins schwarzer Mund verschlang die Pochenden. Ein fettleibiger Klosterbruder stand vor den Eintretenden mit Lampe und Schlüsselbund, und grüßte sie, wie der bildlich dargestellte Fasching mit wankenden Knieen, Brühetriefendem Munde, und in Weineslust verkehrten Äuglein. »O weh!« flüsterte Dagobert den Begleitern zu, von denen indessen der zweite zuversichtlich auf den Pförtner zutrat, und ihn also anredete: »Ihr erinnert Euch wohl noch meiner, Frater Dominikus! Da sind die Freunde, von denen ich Euch gestern sprach, und hier der Beutel, der der Eurige wird, sobald Ihr unsern Wunsch erfüllt.« – Der Pförtner lächelte freundlich aber ungewiß, schob den Hauptriegel vor die Thüre, und summte die erste Zeile des damals berühmten und von den Gelehrten häufig gesungnen Fastnachtliedes: [285] »Edit Nonna, edit Clerus!« »Wollt Ihr nicht in's Stüblein treten?« setzte er mit schwerer Zunge hinzu: »es ist warm darinnen, und wir können daselbst weiter plaudern.« – »Sind wir denn um des Plauderns willen Hieher gekommen?« fragte Dagobert leise die Seinen: »Was treibt denn der verwünschte Frater?« Die Begleiter ermahnten ihn durch Zeichen zur Geduld. »Ad edendum nemo serus!« brummte der Frater gleichmüthig fort, und machte seinen Gästen einen unbehülflichen und unsichern Reverenz: »Wollt Ihr Euch nicht niederlassen, meine werthen Herren und Freunde? Ein Tröpflein Weins schadet nicht.« – Er setzte einen ungeheuern Weinkrug an den begehrlichen Mund; schlürfte einen guten Schluck, und reichte das Trinkgefäß seinem Nebenmanne, nachdem er mit dem Ärmel den Rand abgewischt hatte. »Bibit ille, bibit illa!« sang er weiter, jedoch sich selbst unterbrechend durch Rede und Frage: »Trinkt herzhaft, ihr Männer; 's ist vom Guten! Bibit servus cum ancilla. – So! so! jetzt sagt an .... was steht zu Diensten?« – »Ei, Dominik! habt Ihr denn bereits vergessen, was wir ausmachten?« fragte Einer von Dagobert's Begleitern entgegen, während der junge Mann einen ziemlich vernehmlichen: »Schafskopf!« laut werden ließ. Der trunkne Frater zog dem Offenherzigen ein scheel Gesicht, vergaß aber auf der Stelle die Beleidigung, und fiel wieder in sein voriges Lied: »Bibit abbas cum priore! – Hm! wenn mir recht ist .... hm! hm! bibit coquus cum factore .... Was wollt' ich sagen .... helft mir doch [286] wieder ein wenig auf die Spur, ihr Herren! .... et pro rege ....« – »Zum Donner!« unterbrach ihn der warmblutige Dagobert: »Wir wünschen den armen gefangnen Mann heimzusuchen, den Du zu hüten hast, und ihm zur Fastnacht ein wohlgemeint Geschenk zu bringen.« – »So! so!« erwiederte der Pförtner, sich bedächtig im Kreise umschauend, und das Käpplein lüftend: »Der Ketzer verdient's gar nicht, daß wackre Leute ihn heimsuchen. Et pro rege et pro papa ....« – »Macht voran!« drängte Einer von den Andern: »Den Lohn habt Ihr empfangen. – An der Thüre des Gewölbs könnt Ihr unsrer harren; in einer halben Viertelstunde ist's abgethan, und Ihr habt das Geld verdient – wir unser Gelübde gelöst. Zaudert nicht. Es ist keine Gefahr dabei. Eure Vorgesetzten ....« – »Bibunt vinum sine aqua!« tremulirte Dominikus dazwischen, und griff nach der Lampe: »Ihr habt jedoch den besten Augenblick erwählt ...« stammelte er fortfahrend: »Der Prior und die meisten Herren sind draußen in der Stadt, und die Übrigen – hm! sie sitzen oben am Spiel und Trunk, und haben mehr zu thun, als sich um den verdammten Ketzer zu bekümmern, dem Ihr eine unverdiente Ehre erweisen wollt.« – »Laßt uns aufbrechen!« mahnte Dagobert inständig, schob dem Pförtner das gewaltige Schlüsselgebund in die fehltappende schwammige Faust, und ihn selbst vor sich her zur Thüre. »Et pro papa et pro rege!« intonirte der Mensch mit einer Löwenstimme, da sie in den Kreuzgang traten. »Um des Himmelswillen! schweigt!« flüsterten ihm die Nachschleichenden unter [287] ängstlichen Rippenstößen zu; er ließ sich jedoch nicht irre machen, schlurfte in seinem Elephantenschritte fort, und von seinem: Bibunt omnes sine lege! hallte das Gewölbe wieder. Alles blieb auf dieses, wahrscheinlich zu dieser Zeit gar nicht ungewohnte Geplärre ruhig; nur im fernen Refektorium war ein wüstes Gejohle hörbar; ein Beweis, welchen Geschäften der Convent oblag, und eine gute Vorbedeutung für die drei Fremdlinge, deren Vordermann sie eine lange Treppe, von mehreren Pforten verschlossen, hinunterführte, an deren Ende seitwärts eine ganz niedere mit Eisen schwer beschlagene Thüre öffnete, und die Besucher hindurch kriechen hieß. »Bibunt primum et secundo« summte er während dessen, und rief dann in das tiefgewölbte Kerkerloch hinein: »Steht auf von Euerm Stroh, verruchter Abtrünniger – donec nihil sit in fundo – und Ihr, meine Herren, faßt Euch kurz.« – Dagobert schauderte, da er beim Schein der Lampe das entsetzliche Gefängniß gewahrte, in welchem ein Unglücklicher mit langem Barte und in dürftiger Kleidung einem rechtlosen Urtheil entgegen schmachtete. »Vater Johann! Vater Johann!« riefen des Jünglings Begleiter mit von Thränen halb erstickter Stimme, und warfen sich zu den Füßen des Eingekerkerten. Dieser erhob sich mühsam in seinen Fesseln von dem nassen Lager, und hielt die Hände vor die, von ungewohntem Lichtstrahl geblendeten Augen, aber sein Ohr hatte die bekannten Stimmen vernommen, und sein Herz mit einer, diesem Schreckensorte fremden, freudigen Rührung erfüllt. »Ist das nicht Graf Chlum?« fragte er [288] bewegt; »ist das nicht der edle Herr von Lanzenbrock? Ach, ihr meine unglücklichen Freunde ... was führt Euch in meinen Kerker?« – Lange konnten die zu seinen Füßen Schluchzenden nicht Worte finden, und Dagobert lauschte besorgt nach dem vor der Thür gebliebnen Frater. Von demselben war jedoch keine Unterbrechung zu befürchten. Neben der auf die Schwelle gestellten Lampe sitzend, hatte er sich mit der Zählung seines leicht erworbnen Geldes beschäftigt, und war dabei eingeschlafen. »Eilt, eilt, edle Herren;« raunte der junge Altbürger den böhmischen Edelleuten zu: »der Augenblick ist sicher, aber kostbar!« – »Vater Huß!« begann der Graf dringend: »Dich zu befreien sind wir hier! Eile, nur zu willfahren. Hülle Dich in dieses, mein Gewand. Es ist weit genug, Dich und Deine Ketten zu verbergen. Diesen jungen Mann, der unter der Larve der Thorheit den männlichsten Willen und den glühendsten Eifer für das Recht verbirgt, der schon einmal eine Dir zugefügte Beleidigung edelmüthig rächte, haben wir ersehen, Dich aus der Stadt zu bringen. Er kennt alle Schliche, und die Wege rund um im Land; er und Lanzenbrock schaffen Dich über'n See in's Schweizerland, von wannen sichre Freunde Dich nach der Heimath führen werden. – Fliehe, fliehe, es drängt die Zeit.« –

»Träume ich denn?« fragte Huß, bestürzt um sich schauend. »Steht es denn so schlimm mit mir, daß solche Flucht nothwendig wäre?« – »Fürchte Alles!« entgegnete Lanzenbrock: »Deinem Haupte droht die höchste Gefahr.« – »Und ich sollte nicht [289] der Gefahr gedenken, in welche sich der an meiner Statt zurückbleibende Freund stürzen wird?« fuhr Huß mit ernstem Vorwurf fort. – »Mein Schicksal kümmre Dich nicht!« unterbrach ihn der Graf: »Von Dir hängt die Freiheit unsrer Kirche, unsers Glaubens ab. Tausende meiner Landsleute können fechten wie ich; wie Du zu reden, vermag Keiner außer Dir.«

»Kommt, kommt, würdiger Herr;« setzte Dagobert bei: »wir meinen's redlich, und das Glück für heut nicht minder. Morgen ist's zu spät.« – »Wer sagt Euch,« sprach der Gefangene mit erhabner Sanftmuth: »wer sagt Euch, daß ich morgen anders gesinnt seyn könnte, denn heute? Ich würde zum Lügner an meiner Lehre, wollte ich diesen Kerker feig verlassen. Das Wort ist ewig, und muß den Sieg erringen. Nicht ich bin zu beklagen in meiner Schmach, denn mich bedienen Engel in dieser dunkeln Gruft; wohl aber diejenigen, die ihren Eid gebrochen haben, und den Starken vertilgen wollen in dem schwachen Gefäß, das er sich auserlesen. Geht meine Freunde; meinen Dank für Eure Aufopferung, doch Euch zum Frommen willige ich nicht darein.« – »Grausamer!« seufzte der Graf: »Du rennst in Dein Verderben! Unwiderbringlich verloren bist Du. An Wenzel's Throne bist Du sicher; in Sigismund's Gewalt des Todes.« – »Unnütze Furcht!« lächelte Huß wie ein Verklärter: »Ich bin geweiht vor dem Altare des Herrn; an meinem Haupte werden sie sich nicht vergreifen, und aus den Fesseln, die den Leib belasten, wird mich der Höchste befreien, [290] wann das Werk vollendet ist.« – Ungeduldig ob solchem Starrsinn stampfte Dagobert mit dem Fuße, und die Böhmen umschlangen mit liebevollem Ungestüm die Kniee des Versagenden, mit Worten und Thränen ihn bekämpfend. Sein Entschluß, fest wie ein Fels, begann zu wanken; seine abweisende Strenge wich dem vereinten Bemühen der Freunde, – schon gab er nach; schon ward die Möglichkeit einer nahen Freiheit reizend für seine in Kerkernacht erstorbnen Sinne, ... schon griff seine Hand zögernd nach dem Rettungsgewande, ... als es mit einemmale über den Häuptern der Befreier lebendig wurde. Von Ferne, die Treppe herab tönte ein beunruhigendes Laufen und Rennen; Getöse von Stimmen, zugeschlagnen Thüren, entferntem Waffenklang. »Wir sind verloren!« flüsterte Lanzenbrock erschrocken, und Dagobert fuhr auf wie ein Sturm. »Die Zeit ist versäumt!« rief er: »Schreibt Euch's selbst zu, eigensinniger Mann. Wenig würde es Euch jedoch helfen, gingen wir um der ungeschehenen That willen zu Grunde. Wer Muth hat, folge mir frank und frei. Vielleicht bietet sich bald eine andre Gelegenheit zur Rettung!« – Diese Aufforderung, verbunden mit dem so natürlichen Gefühl der Selbsterhaltung, wirkte auf den Gefangenen und seine Freunde. Der Erstere beschwor die Überraschten, sich dem Unheil zu entziehen, ihn ruhig seinem Schicksale zu überlassen; die Letztern stürzten, da das Getümmel lauter wurde, mit der Schnelligkeit des Hirsches aus dem Kerkergewölbe, die Treppe hinan. Dagobert voran stürmend wie eine Windsbraut. Den fest [291] entschlafnen Frater weckte sein Gefangner selbst, und ermahnte den Taumelnden, doch die Thüre zu verschließen, damit ihm nicht die Lust anwandeln möchte, seine Haft zu verlassen. Kopfschüttelnd über diese seltne Bitte, gewährte sie der trunkne Dominikus, und schleppte sich langsam die Stiege hinan. Indessen war oben alles in Aufruhr gekommen. Die Veranlassung zu der ganzen unzeitigen Störung hatte der vor dem Kloster auf einer Steinbank dahinbrütende Gerhard gegeben, da seine in Schlaf- und Weinlust blinzelnden Augen zwei Klosterherren erblickten, die, satt von den Freuden des Tages, sich behaglich nach ihren Zellen zurückzuwälzen im Begriff waren. Seines Wortes eingedenk, niemand hindurch zu lassen, glaubte er sehr wohl zu thun, wenn er auch diese Klosterbewohner von ihrer Klause zurückhielt. – »Hier geht niemand durch!« murrte er daher barsch den Arglosen entgegen, und stellte sich ihnen, breit und stämmig, wie er war, in den Weg. Die Mönche, obgleich verdutzt im Augenblicke, sahen doch gar bald, daß sie nur mit einem einzigen, wahrscheinlich trunknen Manne zu thun hatten, und bestanden auf ihrem Hausrecht. Der Weglagerer ließ dasselbe jedoch nicht gelten, und verbot fortwährend den Zutritt zur Pforte. Dringendes Ansuchen von der einen, mürrische Abweisung von der andern Seite. Der Auftritt nahm bald eine ernstere Gestalt an. Die Klosterleute, wenig gewohnt sich auf ihrem Grund und Boden die geringste Widerspenstigkeit gefallen zu lassen, wurden böse und giftig; der Kämpfer dagegen rauh und grob. Von den Worten kam's zu Thätlichkeiten. [292] Die Geistlichen wollten mit Gewalt den Schlagbaum auf die Seite schieben. Gerhard's kräftige Faust stieß jedoch beide zurück. Der Frevel gegen das heilige Gewand veranlaßte einen neuen gewaltigern Angriff, der abermals abgeschlagen wurde. Um seine Drohungen wirksamer zu machen, zog Gerhard den Stoßdegen aus der Scheide. Während nun einer von den Mönchen vor der Klinge mit Zetergeschrei zurückwich, schob sich der andre hinter Gerhard's Rücken vorüber nach der Pfortenglocke, und hatte schon beträchtlich Sturm geläutet, so wie mit Händen und Füßen an die Thüre gedonnert, ehe der Hülshofner ihn von der Schwelle peitschen konnte. Dieses Getöse, das der andre Pater erneuerte, sobald Gerhard, den Ersten verfolgend, den Rücken gedreht hatte, machte endlich die Schlemmer im Refektorium, so wie die Knechte, die im Seitengebäude bei den Würfeln saßen, aufmerksam Die Erstern schrien um Hülfe, die Letztern liefen zum Kreuzgange, ihre rostigen Hellebarden nach sich schleifend. Keiner von den Männern allen jedoch hatte den Muth, die verriegelte Pforte zu öffnen, und den von dem unbekannten Teufelsbraten mißhandelten und zerbläuten Herren zu Hülfe zu kommen. Alle schrien nach dem Prior und dem Pförtner. Der Erstere war aber vom Schmausen noch nicht zurück, der Zweite nirgends zu finden. Der Kellermeister faßte den Verdacht, der Frater möchte wohl im Keller stecken, und ein verbotnes Faß verkosten, und eilte, so schnell es seine Uebehülflichkeit, und das Gedränge der Übrigen erlaubte, der Treppe zu, die nach den untern Gewölben des [293] Hauses führte, aber des Todes war er fast vor Schrecken, da einige Verlarvte die Stiege heraufstürzten, ihn sammt der Lampe, die er in Händen trug, – der Einzigen die ein schwaches Licht verbreitet hatte, die Ampel ausgenommen, welche am Bilde des Gekreuzigten in der Halle hing – zu Boden warfen, und mit Riesensprüngen und Faustschlägen nach allen in den Weg Tretenden, die Pforte gewannen. Der Pickelhäring, der den Vorläufer machte, und dessen Habit allein in etwas unterschieden werden konnte, riß, mit der Ortsgelegenheit vertraut, den Riegel auf, und tobte durch die aufklaffende Thüre in's Freie. Seine Begleiter säumten nicht dem Beispiele zu folgen. »Aufhalten!« donnerte Dagobert dem Gerhard zu, der indessen noch immer seine Hetze in dem Gäßlein fortgesetzt hatte, und lief in's Weite; aber der bereitwillige Fechter konnte nicht verhindern, daß einige Klosterknechte dem Flüchtigen nacheilten, dessen buntes Kleid ihnen besser im Auge blieb, als die dunkeln Gewänder der beiden andern, die nach verschiednen Seiten sich verloren. Unter dem übrigen aus dem Gebäude strömenden Gewühl von Mönchen und Laien wüthete Gerhard's flache Klinge mit übermenschlicher Kraft. »Bleibt zurück, ihr Schöpse!« rief er den Bestürzten entgegen: »Bleibt zurück, oder Ihr seyd des Todes.« – »Greift an!« hetzten die beiden, seiner Wuth entkommenen Klosterherren: »Er hat das Schwert gezogen, und ist in des Kaisers wie in der Kirche Bann!« – Der ganze Schwarm wollte sich nun auf den Einzelnen werfen. »Zurück!« schrie dieser [294] noch lauter, denn zuvor: »Schufte! habt Ehrfurcht! Ich bin der Kaiser selbst, ihr Lottergesindel, und will ich meinen Bann hinter die langen Ohren schreiben, daß ihr an mich denken sollt!« –

Diese Aufschneiderei, zu welcher den Edelknecht, dessen Arm schon ermüdete, der Gedanke bewog, daß man ihn bereits heute für den Kaiser angesehen, verfehlte ihre Wirkung nicht. Die Knechte wichen stumm und erschrocken zurück; der Mund der anfeuernden Geistlichen verstummte, und indem sich die Blicke bald nach dem Kaiser, bald nach dem Pförtner richteten, der unbefangen, als ob er kein Wasser getrübt und staunend, unter die Menge trat, ging Gerhard stolz und aufrecht von dannen, weder aufgehalten von seinen Gegnern, noch von dem Volke, das sich um das Getümmel versammelt hatte. Seinem jungen Freunde war jedoch kein so ehrenvoller Rückzug vorbehalten. Von den rüstigsten Knechten des Convents verfolgt, sprang er links und rechts, geschmeidig wie ein Aal durch die Straßen und die gaffenden Pöbelhaufen, die sich noch in so später Nacht im Freien befanden. Gern hätte er sich in einen Hausgang geworfen, allein allenthalben waren die Thüren verschlossen. Endlich gewahrte er an einem Hause hinlaufend, in dem Erdgeschosse desselben Licht, erwischte, um die Ecke stürzend, einen zu der Thüre heraustretenden Menschen, welcher bedächtig hinter sich zuschließen wollte, beim Kragen, und schleuderte ihn mit Riesenkraft den Nachsetzenden in die Arme. – Während nun diese Letztern den ihnen in die Hände Laufenden aufhielten, befragten, und [295] dieser ihnen nichts zu erzählen wußte, da er den, der ihn um die Ecke geworfen, nicht einmal gesehen hatte, machte sich Dagobert eilends in die Unterstube, wo er noch zwei Menschen, einen Mann und ein Frauenbild, fand. »Helft!« rief er ängstlich dem Manne zu: »ich bin des Teufels, wenn sie mich erwischen!« – und ohne eine Antwort abzuwarten, schlupfte er in die offenstehende Kammer, und kauerte sich unter das darin stehende Bette, dessen lange Vorhänge jede Spur von ihm verbargen. Der unerwartete Anblick des Vermummten hatte die Bewohner der Stube in keine geringe Bestürzung versetzt; doch war stillschweigend ihr Entschluß gefaßt, ehe noch die Verfolger in die Stube drangen. – »Um des Gottes Abrahams und Jakobs willen!« seufzte der Mann, den die Knechte beim Fittig hereinzogen: »liebwerthester Gastfreund! wollt Ihr mir nicht bezeugen, daß ich bin der Elieser, der Sohn des langen Schmuls, der gewesen ist ein Leibarzt bei des Markgrafen Hoheit zu Baden? Verdiene ich nicht redlich mein Brod durch Handel und Wandel, und weiß ich etwas von dem schlechten Menschen, der mich hat umgeworfen und getreten mit Füßen, ohne daß ich weiß, wo er ist hingekommen?« – »Halt das Maul!« fuhr ihn einer von den Klosterknechten an: »Dich suchen wir auch nicht, furchtsamer Jude, aber von Dir« zu dem Andern gewendet »von Dir wollen wir erfahren, ob sich nicht hier ein fremder Mann versteckt hat?« – »Gesteht es, Ben David!« klagte Elieser: »bringt nicht Euch in's Unglück, und nicht mich.« – »Ich will sterben, wenn [296] ich weiß, was ihr wollt;« erwiederte Ben David kalt: »Ich habe wohl gehört, wie ein Mensch rannte hier vorbei, doch herein ist keiner gekommen. Nicht wahr, Esther?« – »Wahrlich, wahrlich, Vater;« bekräftigte Esther ganz unbefangen. – »Laßt sehen!« erwiederte der Klosterknecht, nach dem Lichte greifend: »Euch verdammten Juden ist nie zu glauben. Hier ist er nicht, doch in der Kammer sitzt er ganz sicherlich.« – Er leuchtete in die Kammer hinein; kehrte aber, da er nichts in Unordnung fand, und auch kein Geräusch hörte, unzufrieden zurück. – »Wenn Ihr doch schwarz würdet, lüderliches Volk!« brummte er: »bei Euch haben wir die kostbare Zeit verloren, und wer weiß, was indessen daheim vorgefallen ist.« – »Heraus Bruder! ich hab' ihn!« schrie ein vor dem Hause als Wache zurückgebliebener Knecht, der einen, harmlos vorüberstreichenden Fastnachtsnarren, seines Abwehrens ungeachtet, aufgegriffen hatte. »Die ganze Rotte stürmte auch hinaus, versammelte sich um den Zitternden, der in seiner Betroffenheit aussah, als hätte er irgend etwas Übles verschuldet, und schleppte ihn hohnlachend hinweg nach dem Kloster, theils in der Meinung, sie hätten den Rechten erwischt, theils aber auch, um nur nicht ohne Beute von ihrem Heldenzuge heimzukehren.«

Von Ungeduld und Erschöpfung gepeinigt, lag, das Ende des Vorgangs abzuwarten, Dagobert auf der Erde, als Ben David mit der Kerze in der Hand vor ihn trat, und ihm anzeigte, daß die Gefahr vorüber sey. Als der Verfolgte aus seinem Schlupfwinkel[297] kroch, und die Larve vom Gesichte nahm, erstaunte er nicht wenig in Ben David den Juden zu erkennen, den er beim Herzog eingeführt hatte. – »Dienst gegen Dienst!« sagte Ben David zu dem jungen Manne, dessen Gesicht, obgleich verstört aus der Narrenkleidung schauend, ihm wohl erinnerlich war: »Ihr scheint große Angst ausgestanden zu haben.« Verfolger und Verräther sind ferne. Genießt ein Glas Wein, wenn es Euch nicht Eckel macht, von einem Juden die Erquickung anzunehmen. Esther! aus der geschliffenen Flasche dort in der Ecke! – Dieser Name schlug betäubend an des Jünglings Ohr, der sich willenlos in die größre Stube ziehen ließ. Sein Schreck, wenn gleich ein freudiger, war noch betäubender, da Esther selbst in der Blüthe ihrer Schönheit vor ihn trat, den Krystallbecher auf einem spiegelblanken Kredenzteller. Die Bewegung Dagobert's war nur mit der des Mädchens selbst zu vergleichen, da es unmittelbar nachher den Mann erkannte, an welchem seine ganze Seele hing. Teller und Becher drohten ihrer bebenden Hand zu entschlüpfen. Ben David nahm der Jungfrau die Last ab. »Es ist Schade,« sprach er, »daß Dein von dem vorigen Auftritte herrührender Schrecken Dich unfähig macht, dem edeln Herrn die Labung zu reichen. Von der Hand der Jugend hätte er sie um so lieber genommen. Empfangt sie indessen von mir, und glaubt, sie ist Euch geboten von einer treuen Hand.« – Starr auf die Tochter blickend, nahm Dagobert das Glas, und trank, ohne mit dem Blick von ihr zu weichen, gleichsam als ob er auf ihr Wohl den Wein [298] kostete. Die Röthe der verlegnen Scham färbte Esther's Wangen, doch ihre Lippen waren eben so stumm, als ihr Herz, fast hörbar pochend, eine laute Sprache führte. – »Geh zu Bette, mein Kind;« redete ihr der Vater zu: »Der heilige Gott segne Deinen Schlaf, wie den der frommen Rebbecka, und Lilis bleibe fern von Dir.« – Esther, schmerzlich bewegt, so schnell von dem wiedergefundnen Freunde scheiden zu müssen, und dennoch halbfroh, aus seiner ihr beiderseitiges Geheimniß bedrohenden Nähe zu kommen, neigte sich verschämt vor Dagobert, der den Gruß wortlos erwiederte, und verschwand in die Kammer. – »Ruht jetzt aus, werther Herr!« sagte Ben David, und lud den Jüngling ein, auf dem Polstersitze Platz zu nehmen: »Der Zufall hat mir gedient, da er mich ließ in etwas vergelten, was Ihr an mir gethan. Besonders ist mein Herz freudig, da Ihr gewiß Nichts gethan, das wirklich gescholten werden könnte, böse. Ihr seyd ein Vertrauter des Herzogs, und der edle Mann kann nur haben Edle in seinem Vertrauen. Bedürft Ihr das Geringste, so wendet Euch an mich. Was ein armer Jude thun kann, Euch zu gefallen, soll geschehen.« – Dagobert wich allen Fragen aus, die Ben David mit der geschickten Neugier seines Volks ihm stellte, um den Hergang des Abenteuers dieser Nacht zu erforschen; das letztere Anerbieten wies er jedoch nicht förmlich von sich, um sich die Möglichkeit in Ben Davids Haus wiederzukehren, nicht zu rauben. Er verplauderte eine geringe Weile mit Esther's Vater, und verließ ihn endlich mit dem [299] Versprechen, ihn wieder zu sehen. »Du wirst doch nicht?« flüsterte sein Verstand. – »Ach! ich fürchte, Du wirst!« entgegnete sein Herz, und zerrissen von Überraschung, Wonne und Pein langte er in seiner Herberge an, woselbst er sich auf's Lager warf, um nicht zu schlummern.

13. Kapitel
Dreizehntes Kapitel.

Riefst Du einmal nur die Schuld zur Frohne,

Ewig dienst Du ihr dann als fröhnender Knecht.


Wer Liebe und Unschuld vereint und traulich zu Tafel sitzen sehen wollte, mußte an den Tisch des Wildmeisters Bilger von Rhön treten. Mäßig war er besetzt von Gästen und Speisen, allein aus den Gesichtern der beiden Ehegatten, wie des zwischen ihnen spielenden Kindes lachte eine Zufriedenheit, welche die magern Fastengerichte in einen königsüppigen Pfingstschmauß verkehrte. Die Sonne eines heitern Tages, wie ihn nicht selten der scheidende Hornung bietet, schaute behaglich durch die weiten Fenster des Mörsburger Schlosses auf den kleinen Haushalt des Wildmeisters, dem gerade sein Weib in kindlicher Einfalt noch einmal alle Wunder und Festlichkeiten der Fastnacht zu Costnitz erzählte, welche sie schon öfters zum Besten gegeben hatte. Mit liebevoller Geduld horchte Bilger der Geschwätzigen zu; das Töchterlein, halb auf dem Schooße der Mutter [300] gelehnt, stellte sich eben so aufmerksam, und selbst der Bärenfänger Haltan schien, vor dem Tische aufrecht sitzend, und das Gesicht in die Sammetfalten des beschauenden Ernstes gelegt, das stille Vergnügen seiner Herrschaft zu theilen. Des Herrn von der Rhön Aufmerksamkeit war dennoch von dem oft gehörten Bericht nicht so sehr in Anspruch genommen, daß er das Geräusch überhört hätte, das sich in dem Hofe vernehmen ließ; den Hufschlag ankommender Pferde, das Rufen der Reiter, und die langgehaltnen Hornstöße des Wächters. Er eilte, an das Fenster zu kommen, und erblickte, da er die gemalten Flügel aufschlug, mehrere in des Kaisers Farben gekleidete Knechte auf dem Burgplatze, theils zu Gaule sitzend, theils einen aalglatten Schimmel haltend, dessen reiches Sattelzeug alsobald den vornehmen Reiter verrieth. Der Pförtner machte aus seinem Hüttchen die Geberden der größten Verwunderung nach dem herabschauenden Wildmeister herüber, und das Räthsel löste sich diesem bald, denn die Thüre sprang auf, und der Kaiser selbst trat im einfachen Reitkleide herein, ... den Vogt verabschiedend, der ihn bis hieher geleitet hatte. Bilger's und seiner Gattin freudiges Erstaunen wuchs, da der Fürst mit der ihm angebornen Freundlichkeit und Herablassung alle Bewillkommnung von der Hand wies, Reverenz und Gewandkuß untersagte, und so vertraulich am Tische auf einem Schemel ohne Lehne Platz nahm, als sey dieses seine ihm zustehende Stelle. »Keine Zierereien!« sprach Sigmund, während er durch seinen Wink den Hausherrn sammt Ehewirthin [301] in die kaum verlaßnen Lehnstühle wies, und das lächelnde Kind auf den Schooß zog, in den warmen Marderpelz: »Wenn man gute Freunde heimsucht, thut man sich weder Zwang an, noch duldet man ihn; und ich denke ja, ich bin bei guten Freunden.« »Bei den treusten Dienern Ew. römischen Majestät;« versicherte der Wildmeister. – »Ich wollte mich von Euerm Wohlseyn überzeugen,« fuhr der Kaiser fort: »und sehen, wie das holde Weiblein hier im Hauswesen sich benimmt.«

Die Wildmeisterin erröthete verschämt; Bilger aber erwiederte: »Mit drei Worten, gnädigster Herr, kann ich Euch hierüber berichten: ich bin glücklich. Meine Katharine ist das Gestirn, das mildiglich meinen Lebensweg, überstrahlt, und sich in unsern Kleinen zu unfrer Wonne verdoppelt hat.« – »Wie bin ich froh, solch Zeugniß aus Eurem Munde zu vernehmen, Herr von der Rhön,« versetzte der Kaiser: »so hat denn doch der Befehl Eures Vaters, dem ihr so lange widerstrebtet, gute Früchte getragen. So stößt man oft die Perle lange zurück, die uns das Schicksal wohlwollend reicht. Ihr habt noch zu rechter Zeit die Hand aufgethan. Wohl Euch!«

Mit verdüstertem, aber freundlichem Blicke reichte Bilger seinem Weibe die Hand. Sigmund fuhr indessen fort: »Ihr Leute wißt gar nicht, wie glücklich ihr seyd. Ihr freut euch des Daseyns in eurem eignen Hause, während Meinesgleichen in weitläufigen Burgen und Städten mit dem Mißmuth Hand in Hand gehen. Es ist ein schwer Ding um das Regiment über Land und Leute. Wie gerne vertauschte [302] ich den Fürstenpelz mit Euerm Rocke, und würde ein Wildmeister, wie Ihr. Aber so ist es mein Beruf, der ganzen Welt Händel zu schlichten, wie es eben geht. Hier soll ich begnadigen, dort mit dem Schwerte drein schlagen; an allen Orten soll ich zugleich seyn. Bald machen mich die Städte unwirsch, bald hab' ich's mit der Herrenbank verdorben; die Fürsten spreizen sich, die Bauern murren, die Ketzer predigen alles Unheil. Gegenwärtig hab ich's mit der Geistlichkeit zu thun, und der liebe Gott helfe mir gnädig über diesen stachlichen Zaun. Hab' ich aber auch mit Angst und Noth dem Staatsleben so ziemlich aufgeholfen, – flugs reiben sich gewöhnliche Finsterlinge an meinem Ansehen im gemeinen Bürgerleben. Hat sich nicht erst vor Kurzem bei einem gewissen verdrießlichen Handel ein Dummbart unterstanden, sich, für meine Person auszugeben, und mich dadurch vor aller Welt in einen ärgerlichen Verdacht gezogen? Doch übergenug. So wie des römischen Reichs erwählter Kaiser den ersten Mann vorstellt in der Christenheit, so sind seine Sorgen auch die größten, und darum bitte ich geziemend das liebliche Weiblein um einen Becher Wein, damit ich auf ihre Gesundheit trinkend, Grab und böse Erinnerung vom Herzen schwemmen möge.«

Eifrig gehorsam stand die Wildmeisterin auf, griff nach den Schlüsseln am Schenktisch, und eilte nach dem Keller, um dem vornehmen Gast den verlangten Labetrunk so frisch als möglich zu reichen. Der Kaiser legte das auf seinen Knieen entschlummerte Mägdlein behutsam, wie eine sorgende Mutter, [303] in's Ruhebettlein, und setzte sich wieder zutraulich zu dem Wildmeister, der, seinem Willen zuwider, ebenfalls sitzend verharren mußte. – »Bilger,« sprach Sigismund leiser: »Ich muß Euch bekennen, wie es nicht eitel Zufall ist, daß ich mich hieher begeben, obschon mir angenehm ist, wenn die Leute glauben, daß es auf einem unbestimmten Lustritte, oder Euch zu Liebe allein geschehen sey. Eigentlich jedoch bin ich hier, um ein Amt zu verrichten, das nicht zu den Regalien gehört; das Marschalkenamt nämlich. – Eine edle Frau, an deren Schicksal ich viel Theil nehme, wünscht einige Tage in strenger Abgeschlossenheit in diesem Hause zuzubringen, da ihr zu Costnitz, wie sie befürchtet, eine nicht geringe Gefahr droht. Das schwache Weib zu schützen ist jedes Ritters Pflicht; um wie viel mehr die Pflicht des Kaisers also, der ein Meister ist über alle Ritter deutschen Volks. Ich habe der edlen Frau meine Obhut zugesagt in diesem Schlosse, das der Bischof vom Reich zu Lehen trägt, und vertraue sie Eurem absonderlichen Schirm, so daß Ihr keinen Menschen in ihre Nähe lasset, der ihr Unheil bringen könnte.«

»Das Vertrauen meines kaiserlichen Herrn zu rechtfertigen, wird mein Bestreben seyn;« versicherte Bilger von der Rhön. – »Heute noch wird das würdige Frauenbild hier eintreffen,« fuhr der Kaiser fort: »Ich verbiete ausdrücklich nach ihrem Namen und Stand zu forschen. Ich habe ohnedies das Mißgeschick, meine Huld gegen ehrenwerthe Frauen häufig verkannt zu sehen; ich will nicht ihre Namen der Verläumdung Preis geben. Es ist nichts Zarteres, [304] als des Weibes Leumund. Wie gesagt jedoch: Euerm Schirm vertraue ich die Freundin, und empfehle sie der Dienstfertigkeit Eurer Ehewirthin, da sie, wie ich vermuthe, ihre Leute zu Costnitz lassen wird, bis die böse Conjunktur vorüber.« – »Es soll geschehen, wie kaiserl. Majestät befiehlt;« erwiederte Bilger unterwürfig, und der Kaiser wurde durch solche Bereitwilligkeit dergestalt in gute Laune versetzt, daß er den Becher, den ihm Frau Katharine kredenzte, in einem Zuge auf das Wohlseyn des Hauses von der Rhön leerte. – »Traun!« lächelte der Wildmeister: »es ist hohe Zeit. Ich bin der Einzige und Letzte meines Stammes, seit mein Vater vor einem Jahre zur Grube fuhr, und mir wird das Wappenbild nachgeworfen, wenn meine gute Hausfrau mich nicht mit einem Sohne erfreut.« – »Tröstet Euch mit Kaisern und Königen, denen es dann und wann um nichts besser geht;« versetzte Sigmund: »und freut Euch, in dem Alter zu seyn, das eine Hoffnung noch zuläßt. Nun aber, lieber Wirth, laßt uns zu Roß steigen, um eurem holden Gaste entgegenzureiten. Er kann nicht mehr lange säumen.« – Der Kaiser umarmte zum Abschiede Frau Katharinen auf das Zierlichste, drückte einen Kuß auf ihre Stirn und Wange, ließ die goldne Kette von seinem Halse auf das Bettlein des schlummernden Kindes gleiten, und schied. Der Wildmeister ritt zu seiner Linken, und sie waren noch nicht weit vor das Städtlein hinausgekommen, als schon in der Ferne eine Sänfte sichtbar wurde, von einigen Reisigen geleitet. Der Anführer derselben, – [305] ein buntgekleideter Rittersmann, – stolzirte selbstgenügsam voran. – »In dem Wiedehopfe erkenne ich meinen Mann!« sprach der Kaiser lächelnd zu seinem Begleiter, und winkte den Scheckigen heran, der auch dienstfertig herzusprengte, während die Sänfte zögernd folgte. Drei Schritte von dem Kaiser entfernt, warf sich der Reiter vom Gaule, und nahte dem Fürsten mit allen Zeichen betroffner Ehrfurcht. »Sieh da, mein Herr von Königseck!« redete ihn Sigmund, sich verwundert stellend, an: »Unverhofft kommt oft.« »Bei des heil. Stephans Krone! Wie kömmt es, daß Ihr Euch aus der warmen Stube in den Frost wagt? Wer ist die Schönheit, die Ihr in jener festverschloßnen Sänfte zu geleiten scheint?« – »Meine Braut, gnädigster Herr;« versicherte der Geck wohlgefällig: »sie hat den Wunsch geäußert, einige Tage in dem Hause des Wildmeisters zu Mörsburg zuzubringen, dessen Gattin ihr sehr nah befreundet ist, und ich hielt's für meine Pflicht, ihr unterwegs meinen Arm zum Schutz zu leihen.« – »Ein kräftiger Schirm allerdings;« versetzte Sigmund mit leisem Spott: »um so unangenehmer wird es mir, Euch in der Erfüllung süßer Pflicht zu hemmen. Ich bedarf Eurer; noch in dieser Nacht sende ich Euch von hinnen in einem wichtigen Auftrage, den ich nur Eurer Klugheit anvertrauen darf. Säumt also nicht, sogleich in meinem Gefolge gen Costnitz umzukehren.« – »Der edle Herr stand verblüfft neben seinem Pferde, und wußte nur mit einem Bückling, und einer verlegnen Hinweisung nach der Sänfte zu antworten.« – »Die Wohlfahrt Eurer Zukünftigen sey [306] Eure geringste Sorge;« versicherte ihm der Kaiser: »der Zufall will, daß der Wildmeister sich gerade hier befindet. Er wird für die Sicherheit der Freundin seines Hauses stehen. Nicht wahr, mein wackrer Herr von der Rhön?« – »Wie für mein eigen Haupt;« entgegnete Bilger, der aus Unterwürfigkeit in eine Sache einging, deren Zusammenhang er nicht begriff. – Königseck verharrte indessen noch immer in Unschlüssigkeit. Die Sänfte kam immer näher. »Nun denn aber auch, beim Erlöser! steigt doch auf!« rief der Kaiser dem Zaudernden heftig zu: »Des Königs Wille geht vor der Minne. Ihr wißt, wie ich Euch begünstige; seyd indessen auch meiner Gnade werth. Frisch zu Gaule! Da die Zucht mir nicht erlaubt, die Dame Eurer Wahl auf offner Heerstraße, in der Dämmerung des Abends, zu begrüßen, so folgt mir unverzüglich. Der Wildmeister wird die seinem Schutz Befohlne begrüßen, und Euch, wegen Eures schnellen Abschieds, mit meinem Gebote entschuldigen.« – Der Königsecker neigte sich verlegen, und stieg langsam in die Vügel. »Seht doch den faulen Knecht!« sprach Sigmund, seinen langen Bart streichelnd: »Ich hätte Euch mir nicht so saumselig gedacht. Da war der Montfort flinker, da ich ihm heute befehlen ließ, in meinen Geschäften nach Frankfurt zu reiten. Kaum nahm er sich die Zeit, noch eine Messe zu hören, und fort war er, wie ein Irrlicht. Dennoch ist er dem Tyroler zugethan, mehr, denn Ihr es mir zu seyn scheint.« – Diese Neuigkeit belebte auf einmal den zwischen Pflicht, Minne und Eifersucht Schwankenden. »Gott [307] erhalte Euch, kaiserlicher Herr!« rief er hochaufathmend: »so der Montfort von Costnitz gewichen, will ich ja gerne für Euch reiten, denn nun weiß ich meine Lieb vor seinen Drohungen sicher. Doch ein Wort des Abschieds mögt Ihr mir wohl gönnen, Herr König!« – Sigmund winkte ihm kurz, aber billigend; und, nachdem er dem Wildmeister den Befehl zugeflüstert, keiner Seele, – ihn, den Kaiser ausgenommen – Zutritt zu der Fremden zu gestatten, zog er mit seinen Stallmeistern seines Wegs, ohne auch nur den Kopf nach der Sänfte zu drehen, die indessen in des Wildmeisters und Königseck's Nähe anlangte. Der Letztere öffnete zierlich und geschmeidig die Vorhänge, hinter welchen eine dichtverschleierte Frau saß, – sprach mit glatten Worten von des Kaisers Willen, seinem Gehorsam, und dem Schmerz, den er empfinde, sie nicht gänzlich an Ort und Stelle geleiten zu können. Zugleich stellte er ihr den Herrn von der Rhön vor, als ihren weitern Schirm und Beschützer. »So lebt denn wohl, und nehmt meinen Dank, Herr von Königseck!« erwiederte eine gleichgültige Stimme, die dem Wildmeister bekannt und drohend in die Ohren klang: »Ich bin mit meinem neuen Geleitsmann völlig zufrieden, setzte sie hinzu, und aus dem gelüfteten Schleier blickte ein Antlitz, das Bilger's Herz mit starrem Entsetzen erfüllte.« Er schwankte auf seinem Rosse, da er in Wallradens Züge schaute. Das Fräulein grüßte ihn unbefangen, reichte dem scheidenden Bräutigam die Hand, und verschloß wieder sorgfältig die Vorhänge ihres Tragsessels, da Königseck von dannen sprengte, [308] und der Zug sich gen Mörsburg weiter bewegte. Bilger war zu Stein geworden, während im innersten Busen sein Herz tobte und hämmerte, wie das eines flüchtigen Verbrechers. Erschüttert ritt er der Sänfte nach, und blickte vergebens zum Himmel nach Trost und Fassung auf. Sein Geschick lag schwer auf ihm, und schwarz war ihm wieder plötzlich die Zukunft geworden, dunkel wie die Nacht und der Nebelschleier des Firmaments, der nur so viel Mondstrahl durchließ, als nöthig war, um die fürchterliche Pracht der kämpfenden Wolkengebirge bewundern zu können. »Das ist kein gut Zusammentreffen!« seufzte er vor sich hin: »Was soll daraus werden? O ich Unglücklicher! Ich selbst muß das Unheil in mein Haus führen, ... mein eignes Verderben an der Flamme meines Herdes niedersitzen lassen! Wehe mir!« –

Des Wildmeisters Hausfrau empfing die Kommenden auf der Schwelle des Schlosses mit gastlicher Freundlichkeit. Wallrade erwiederte ihren Gruß auf dieselbe Weise, und wandelte an Katharinens Hand zu der Wohnstube, woselbst ein einfaches Mahl bereitet war. »Fürwahr;« sprach das Fräulein mit zuvorkommender Sanftmuth, die den Herrn von der Rhön wohlthätig anregte: »Ich weiß nicht, edle Frau, wie ich zu einer genügenden Entschuldigung gelangen soll; daß ich mich so störend in Eure Hauswesen dränge. Wahrscheinlich verdanke ich nur der auserlesensten Fürsprache den biedern Willkomm, der mich in Euerm kleinen Familienkreise schon im Augenblick meines Eintritts heimisch macht. Vergebt daher der Überlästigen.« – Bilger's Ehewirthin [309] antwortete auf diese bescheidnen Worte aus der Fülle ihres guten Herzens, und ein gutes Verständniß, wie es öfters zwischen Frauen sich befestigt, – wenn auch nur durch luftgewebte Bande – spann sich auch hier an. Die Fremde wußte durch alle kleine Künste, die sich unbemerkt in Gespräch und Thun entfalten, das Vertrauen der Hausfrau zu erringen, und sich über das Gemüth derselben in's Klare zu setzen. Katharine, dieß einfach herzlichgute Wesen, schlicht, wie das Kleid, das sie trug, aber auch rein wie dieses, verhüllte nicht lange den Spiegel ihrer Seele, ohne daß sie daran gedacht hätte, einen Blick unbescheidner Neugier in die Augen des Gastes zu werfen. Die von dem Kaiser und ihrem Gatten ihr Anvertraute nahm nun die erste Stelle in ihrem Hauswesen ein. Sie war das Ziel aller kleinen Sorgen und Rücksichten geworden. Zart und anspruchslos bot ihr Katharine ihre dienstfertige Freundschaft, empfahl sie ihrer Güte das aus dem Schlummer erwachte Kind. Bilger sah dieß Alles mit an, und freute sich der Milde seines gefürchteten Besuchs; aber diese Freude war im Grunde nur die scheue Hoffnung auf einen bessern Ausgang. So unbefangen und heiter auch seine Züge schienen, wenn der Wohlstand verlangte, dem Gaste einige Worte der Theilnahme zu schenken, oder auf irgend eine gleichgültige Frage desselben zu antworten, so finster wurde sein Auge, so sturmbewegt sein Herz, wenn er sein Kind in den Armen der Fremden sah; wenn er vernahm mit welchen Schmeicheltönen sie das Mägdlein kirrte, – mit welcher Bereitwilligkeit das Kind ihre [310] Liebkosungen erwiederte. Ihm war, als müsse er dazwischen treten, sein Eigenthum an seine Brust drücken, um es vor bösem Zauber zu retten; aber kraftlos sank der aufgerichtete Nacken, und die ausgestreckte Hand, so bald Wallradens Blicke auf ihn fielen, und seine Gattin in ihrer unschuldigen Fröhlichkeit betheuerte, ihre Tochter habe sich außer den Eltern noch Niemand so liebevoll genähert, als ihrer werthen Gastfreundin. – Erst spät trennte man sich. Katharine geleitete das Fräulein auf ihr Gemach, und verrichtete den Zofendienst bei ihr, während der Wildmeister im weiten Armsessel bei düstrer Lampe Schimmer einsam und unruhig sich bald hin und her warf, bald mit verschränkten Armen wehmüthig und kummervoll vor sich hinsah. Die kurze Viertelstunde, binnen welcher sein Weib abwesend war, dünkte ihm eine Ewigkeit, und mit einer besondern Ängstlichkeit, schlecht verhehlt, um desto auffallender jedoch, suchte er in den Augen der Zurückkehrenden zu lesen. Katharine konnte nicht Ausdrücke genug finden, um die sanfte Herablassung und Bescheidenheit des Fräuleins zu beloben, und machte schließlich dem Gatten kund, daß die Fremde ihn morgen auf ihrem Gemache erwarten werde, um ihm einen Auftrag von hoher Wichtigkeit anzuvertrauen. Flammen schlugen nun aus dem bisher bleichen Gesichte des Herrn von der Rhön, und Katharinens Unbefangenheit konnte nicht umhin, diesen schnellen Farbenwechsel zu bemerken. – »Was ist Dir, guter Rudolf?« fragte sie besorgt: »bist Du krank? Dein Antlitz ist bald Glut, bald Asche. Du fieberst. [311] Rede doch; – reiße mich aus meiner Angst.« – Der Wildmeister lächelte verlegen, und versuchte es, ihrer Besorgniß zu spotten. »Ei, lieb Weib, wo denkst Du hin?« erwiederte er, so gefaßt als möglich: »Mir ist wohl, trotz Einem, und Du wirst mir's glauben, wenn ich Dir sage, daß ich jetzt noch nach den Fallen sehen will, die ich im Zwinger stellte. Ich vernahm vorhin einen Laut, wie das Gebelle eines Fuchses. Gewiß hat der Feind unsers Hühnerstalles, dem ich so lange nachgestellt, die Schnauze oder eine Klaue in der Falle gelassen. Geh indessen zu Bette; ich komme bald zurück.« – Katharine wollte ihn von diesem späten Rundgange abwendig machen, allein er blieb unbeugsam bei seinem Vorhaben. Ihm ward leichter, da er in der freien Luft stand, und der Nachtfrost kühlte wie ein weicher Balsam seine glühenden Pulse. Er löschte die Leuchte, die des Mondes Schein entbehrlich machte, und wandelte in dem Mauerschatten des schmalen Zwingers nachdenkend und überlegend dahin, bis ihn endlich im Dahinlaufen auch die Bewegung verließ, und er sich unwillkürlich fest in die dunkle Ecke schmiegte, welche das vorspringende Marienbild am Brunnen bildete. Während er nun sich in unbeweglicher Fühllosigkeit seinen trüben Gedanken überließ, hörte er jenseits des Verhau's am Graben einen leisen Werdaruf, und das Gesumme zweier Männerstimmen, das im Anfang unverständlich, dem aufmerksamen Zuhörer in der stillen Nacht bald vernehmlich wurde. »Ei so rede, Bertram,« sprach die eine Stimme: »überall verschlossen, sagst Du?« – »Wie ein Kloster;« [312] erwiederte der andre Mann: »Der grimmige Thorhüter berichtete mir, daß in der Nacht niemals ein Pförtchen geöffnet werde.« – »Sie ist aber doch im Schlosse?« fragte der Erste weiter. »Ohne Zweifel,« antwortete der Zweite: »man hat sie ja in der Dämmerung einreiten gesehen. Der Wildmeister hatte sie eingeholt.« – »Teufel! wenn ich genarrt wäre!« brummte der Erste: »Ihr Brieflein lautet so honigsüß, aber auch Gift kann man mit Honig würzen.« – »Ja wohl, Herr Graf;« meinte der Andre: »'s wäre nicht die Erste, die einen biedern Rittersmann Meilenweit am Faden gezogen hat.« – »Wenn das wäre, – wehe ihr!« sprach der Herr mit entschloßnem Tone: »Morgen wird sich's finden. Bleibt mir auch noch dann der Zugang zu ihr versperrt, so weiß ich, was davon zu halten sey, und kann das Schwert wetzen nach Lust und Rache. Ha; wäre der Kaiser nicht zurückgeritten nach der Stadt, ich würde glauben, das Weib lasse sich gefallen, mit uns den Fasching zu verlängern, aber der Himmel verdamme mich, wenn ich ......« Die Worte verklangen; weil der Sprechende sich vom Graben entfernte, und auch die Fußtritte der beiden Nachtwandrer verhallten bald in den nächsten Gassen. Der Wildmeister machte sich aus seinem Versteck hervor, und schlich nach seinem Wohngebäude. Bitter lächelnd schüttelte er den Kopf, schlug er die Arme übereinander. »Vor einem solchen Weibe muß ich schweigen?« seufzte er: »Sie, die mit Jedem ihr Spiel treibt, wie ich ververmuthe, – sie muß ich scheuen! Hartes Verhängniß, das mich in Fesseln schlug, die nur der Tod zu [313] lösen vermag! Rette nur Weib und Kind von Gefahr. Nur sie verschone!«

Wohl streckte er sich auf das weiche Lager, wohl schloß er die Augen zum Schlummer, aber das Bette wurde ihm zur Dornenhecke; ein qualvolles Wachen, nur dann und wann in Fieberträume ausartend, machte ihm die Nacht zu einer Ewigkeit von Pein. Und dennoch bangte ihm, da der Morgen graute, vor dem Tage. Zögernd entwich er seiner Lagerstätte, und ängstlich zählte er die Stunden, bis endlich diejenige herankam, die ihn zu seinem Gaste beschied. Erst nach wiederholter Aufforderung von Seiten seiner Gattin trat er den sauren Weg an, und klopfte mit zagendem Finger an die Thüre von Wallradens Gemach. Das Fräulein saß mit weiblicher Arbeit beschäftigt unfern von dem Ofen des weitläufigen Zimmers, und nickte kaum mit dem Haupte auf Bilger's geziemenden Gruß. Der Wildmeister fragte, näher tretend, mit unsichrer Stimme nach der Herrin Begehr. Wallrade heftete einen langen Blick auf den Schüchternen, einen Blick, in dem der Triumph eines entschiednen Übergewichts lag, und sprach, von der Frage abweichend, mit der Freundlichkeit, die den Scorpionstachel führt: »Zuvörderst meine Entschuldigung, Herr von der Rhön. Ich konnte mir jedoch die Lust nicht versagen, Euch in Eurem Hause heimzusuchen. Meine Ankunft kam Euch überraschend, fürchte ich.« – »Ich läugne es nicht;« antwortete Bilger mit Ruhe: »welches indessen auch der Beweggrund sey; laßt mich ihn vernehmen.« – »Ich stelle Euren Scharfsinn auf die Probe;« fuhr Wallrade [314] nach einer kleinen Überlegung fort: »Errathet, was mich zu Euch führt.« – »Dürfte ich,« sprach Bilger gemessen: »dürfte ich Euerm Munde glauben, was er gestern Abend sprach zu mir, zu Katharinen und dem Kinde, so möchte ich fast hoffen, daß Friede in Euerm Gefolge kömmt. War jene Freundlichkeit nur Larve, so fürchte ich um so mehr für meine Ruhe.« – »Das böse Gewissen pocht wieder an die Pforte;« entgegnete schlau lächelnd das Fräulein: »ich bin indessen nicht so böse, als Ihr glaubt, Bilger. Ich komme, Euch Gelegenheit zu geben Eurer Sünden quitt zu werden, mit einemmale. Es gilt die Erfüllung eines geringen Wunsches, und ich verspreche Euch,« – sie begleitete diese Verheißung mit einem verächtlich niedergleitenden Blicke – »mich ferner weder um Euch zu bekümmern, noch um diejenige, die Ihr Euer Weib nennt.« – »O sprecht, .. was ist's?« fiel der von der Rhön lebhaft ein: »Sprecht, wodurch werde ich Eurer Verachtung würdig? womit erkaufe ich das Glück, mich von Euch vergessen zu sehen?« – »Es gab eine Zeit,« versetzte Wallrade beißend: »wo alle Schätze der Welt Euch nicht über meine Gleichgültigkeit hätten trösten können. Die Jahre wechseln jedoch: mit ihnen des Menschen Sinnesart. Wohlfeiler kauft Ihr übrigens keine Lust auf Erden, als meine Verachtung, wenn Euer Arm noch nicht verlernte, das Schwert zu führen, oder Euch noch ein Keller zu Gebote steht, in dem sich's allenfalls sterben läßt, ohne von der neugierigen Mitwelt zu Grabe geleitet zu werden.« – »Eure Worte sind mir eben so viele Räthsel,« erwiederte [315] Bilger: »spannt meine Erwartung länger nicht auf die Folter. Hat jemals Mitleid Eure Brust bewegt, – o so versetzt Euch in meine Lage. Ein der Hölle Verfallner dürstet nach der Möglichkeit, wieder den Frieden zu gewinnen. Sprecht, ... wie erringt er das verlorne Kleinod?« – »Euer häuslich Glück hat Euch zum Kinde gemacht;« spöttelte Wallrade. »Indessen, ohne lange zu grübeln oder zu zögern, vernehmt, was ich von Euch begehre. Ein Mann wird sich heute oder morgen an den Thoren dieses Schlosses zeigen, und den Zutritt zu mir begehren; er wird sich auf eine Aufforderung von meiner Hand stützen. Ein kühner Blick, ein braunes Antlitz und eine hohe Schulter zeichnen ihn aus. Mit einem Worte: der Graf von Montfort ist's, den ich zu fürchten Grund habe. Der Eitle warb um meine Gunst, bildete sich ein, in deren Sonnenhöhe zu stehen, und hat mir entsetzliche Rache geschworen, da er seinen Irrthum einsah. Ich, ein schwaches unvertheidigt Weib, müßte früh oder spät seiner Unversöhnlichkeit zum Opfer fallen; darum hab ich's vorgezogen, den Eisenkopf durch List in eine Schlinge zu ziehen, der er nicht entrinnen soll, sobald Ihr mir die Hand reicht. Der Kaiser hat mich Euch vertraut; ich weiß es, denn ich halte die Fäden des Gewebes. Verseht Euer Amt; der zudringliche Frauenschreck finde an Euerm Schwerte seinen letzten Augenblick, oder verkümmre auf ewig in Euerm Verließe. So nur sättigt sich mein beleidigt Ehrgefühl, so nur beruhigt sich mein Herz.« – Bilger schwieg betroffen eine lange Weile; darauf wandte er [316] sein kummertrübes Auge zu Wallraden, und sprach: »Ist es denn nicht genug, Wallrade, daß Deine grausame Arglist gerade mein Haus ausgesucht zum Schauplatze Deiner trügerischen Ränke? Gerade meine Obhut angesprochen zum Schutze gegen betrogne Freier, zum Deckmantel eines unwürdigen Verhältnisses, das eine Königskrone selbst nicht zu adeln vermag? Muß denn auch meine Hand es seyn, die Du aufforderst in unritterlichem Thun?« – »Und wessen Hand sonst?« fragte Wallrade kurz und herrisch: »Ist sie nicht mein? Ich dinge keine Miethlingsfaust, so lange ich einer Leibeigenen zu befehlen habe. Auf Euch kömmt's an, ob Ihr meinem Recht im Stillen huldigen wollt durch Gehorsam, oder ob ich mein Eigenthum vor dem Reiche zurückzufordern habe.« – »Welch einen Preiß verlangt Ihr, Unbarmherzige!« wendete Bilger seufzend ein: »Um ein Vergehen zu sühnen, soll ich ein doppelter Verbrecher werden!« – »Wählt!« rief Wallrade streng: »Der, der mir Rache schwur, darf nicht mehr athmen unter den Lebendigen. Schafft ihn hinweg, und Vergessenheit des Vergangnen, die Ruhe Eurer Zukunft sey Euer Lohn. Weigert Euch hingegen, undaus sey das Gaukelspiel. Ich werde reden, wo Ihr verstummt, und aus meinem Munde sprudle ich Schande auf Euer zerbrochnes Wappenschild, Schande und Tod auf Euer Haupt, Zeter und Schmach auf Alle, die Euch angehören.« – »Halt ein! giftgeschwollner Wurm, der meines Lebens Blüte zernagte!« unterbrach Bilger ungestüm die Zürnende: »Die tiefste Erniedrigung hat eine [317] Gränze. Zehnfach schon büßte ich für den mir abgedrungnen Frevel; nicht länger will ich vor den Drohungen eines Weibes, zittern, das ich verabscheue. Zu Deinem Wächter wurde ich bestellt, nicht zu Deinem Mordknechte. Das will der Kaiser nicht, der getäuschte Kaiser, der nicht ahnt, was Deine glänzende Hülle birgt. Aber, er wird meine Stimme hören; zu seinen Füßen will ich Alles bekennen; er wird verzeihen, mir die Ritterhand reichen!« – »Verzeihen? retten?« lachte Wallrade tückisch: »Thor! vergeßt Ihr, daß Sigmund zu meinen Füßen liegt; daß er seine Pflichten hintansetzt, um mir hier in stiller Abgeschiedenheit seine Huldigung darzubringen? Ein Wort nur kostet's mir, und Ihr steht auf dem Rabensteine, .. Katharine wandert zum Spittel, und Eure Kinder – hört Ihr? – Eure Kinder, Blödsinniger, sind schmachbedeckte Bettler!« – Mit einem Laut aufzuckender Verzweiflung taumelte Bilger zur Thüre, die jedoch im selben Augenblick von einem rasch Daherstürmenden aufgerissen wurde. Der Graf von Montfort stand vor den Staunenden. »Ich will doch sehen,« sprach er in ungestümer Jast: »ich will doch sehen, ob eine Thüre hier im Schlosse dem Geschlechte Montfort verboten seyn kann, das in Habsburg's Vesten frei aus- und eingeht. Ihr habt unhöfliche Wächter zu Euren Thoren bestellt, Herr von der Rhön. Die Bursche wagten es, einem Manne von meinem Ansehen den Einritt streitig zu machen, obwohlen mich Ehre und Minne hieher berufen.« – »Sie thaten nach meinem Gebot;« erwiederte Rudolph, der in dem Trotz des Fremdlings [318] seine Fassung wieder gefunden hatte. – »Desto schlimmer!« brauste der Graf auf: »Ich werde, sobald ich diese Dame hier gesprochen, auch mit Euch ein Wort reden, wie es waffenfähigen Mannen zukömmt. Bis dahin verlaßt uns!« – Bilger gab nichts auf die wegweisende Geberde, und versetzte kalt und bestimmt: »Ich bin der Hüter dieser Edelfrau; befugt, zudringliche Gäste von ihr abzuhalten. Ihr seyd ein solcher, und sie fürchtet von Euch Gefahr. Darum geht in Gutem, ehe ich vergesse, welches Wappen Ihr führt.« – »Montfort's Heerschild war seinen Gegnern immer schrecklich;« antwortete der Graf mit blitzendem Auge: »ich muß mich wundern, in Euch einen hartnäckigen Feind zu treffen, da Euch Niemand aufgefordert, mir die Spitze zu bieten. Das Fräulein von Baldergrün ist von keinem Manne abhängig, und als die Freundin Eures Ehgemahls nicht Eure Magd geworden. Ihr Wunsch berief mich hieher; ich begreife deßhalb nicht, wie Ihr es wagen mögt, zwischen mich und meine Braut zu treten.« – »Eure Braut?« lachte Bilger bitter: »Gleichviel; ich muß Euch bitten, außer diesem Schlosse den Freiwerber zu machen; so lange Fräulein Wallrade in dem Hause wohnt, das ich bewache, treibe ich die Überlästigen von meiner Schwelle.« – Ein Blick, zermalmend wie der Blitz, flammte aus Montfort's Auge über den kühnen Wächter, und zornschnaubend wendete sich der Graf zu Wallraden. »So sprecht doch Ihr, Fräulein;« stammelte er: »sprecht doch selbst. Duldet es nicht, daß Euer Bräutigam, ein Werdenberg, von einem Dienstmanne [319] beleidigt werde, wie man einem unverschämten Possenreisser zu thun pflegt. Redet: bin ich nicht hier mit Eurer Genehmigung, in Folge Eures Begehrs?« – Unverwandten Blicks betrachteten die beiden Männer Wallraden, die, gleich einer verschämten Braut, die Augen niederschlug, und endlich zögernd begann: »Was uns bindet, was uns verknüpft, edler Montfort – gehört es wohl vor den Richterstuhl des harten Mannes, der ohne meine Zustimmung den Meister über mich zu spielen wagt? Der Gewalt des Augenblicks unterthan, darf ich nicht reden, wie mein Herz es verlangt. Wenn Freiheit wieder mir geworden – nur dann fragt mich wieder.« – »Bei des Erlösers Geburt!« antwortete Montfort, den Kopf schüttelnd: »Eure Reden sind mir dunkel wie die sybillinischen Bücher. Das Eine nur ersieht mein Verstand daraus, daß Ihr weniger ein Gast in dieser Burg seyd, denn eine Gefangene, und wenn ich mir alles zusammenreime ...... so steckt Lüzelburgsche List hier unter der Decke. Darum sollt' ich gen Frankfurt reiten? Höll' und Teufel! weiche aus dem Gemache, königlicher Kuppelknecht!«

Die schwere Beleidigung entrüstete den Wildmeister dermaßen, daß er wüthend nach der Klinge faßte, aber eine rasche Geberde Wallradens, die ihm über die Schulter des vertretenden Grafen ein Zeichen gab, denselben nicht zu schonen, bändigte das Gefühl gereizter Ehre, um nur der unbegränztesten Verachtung Raum zu lassen. Bilger hielt den Arm des streitlustigen Montfort auf, und sprach zu dem Staunenden: »Laßt die Waffen ruhen, Herr [320] Graf, und scheltet mich nicht feige, ob solcher Aufforderung. Schön ist's, für die Ehre einer tugendhaften Frau das Leben auf das Spiel zu setzen; aber allzukostbar ist das Blut zweier Biedermänner, wenn es dem Verrath zum Opfer fließen soll!« – »Was bedeuten diese Worte?« fuhr der Graf auf: »Hinter Euch lauscht der Verrath, der mich verderben soll, und meines einst'gen Weibes Ehre.« – »Wünscht Euch das Ungeheuer nicht zum Weibe!« brach Bilger los von Wallradens Trotz empört: »Nicht ich legte Euch Schlingen; – die Gräßliche hat selbst Euch verlockt, und mich zu einem Henkerdienste aufgefordert, den ich ihr verweigerte. Verrathner! Sie hintergeht Euch, den Königsecker, und ihren fürstlichen Buhler. Ihr Leben war nur eine Lüge. Nie hat diese stolze Felsenbrust das Gefühl gekannt; nie noch Liebe empfunden. Blos das Feuer wilder Lust, oder des Hasses Glut entzündet ihr Herz. Die Bande des Blutes, wie der Neigung tritt sie zu Boden, und nimmer noch verzieh sie dem, der nur mit einem Blicke sie geschmäht. Glaubt mir, getäuschter Montfort; ich kenne die in böser Leidenschaft Unersättliche. Verlaßt sie, folgt nicht ihrer Spur. Lächelnd mordet sie Euch, und spottet Eurer im Arme eines Andern, dem ihre Hinterlist ein Grab neben dem Eurigen gräbt.«

Bilger schwieg erschöpft mit bebender und bleicher Lippe, und seine heftige Rede hatte ihre Wirkung auf Montfort's Gemüth nicht verfehlt. Der Graf stierte den Sprecher athemlos an, und trat scheu von Wallraden zurück. – »Welch ein Scheusal [321] malt Ihr mir!« sprach er endlich mit halb unterdrückter Stimme: »Diese gleisende Hülle wäre also wirklich nur der Balg einer giftigen Schlange? Meine Ahnung, meine innerste Seele hätten mich also nicht hintergangen? Ja, ja, Herr von der Rhön! Ihr habt wahr geredet; Wallradens stumme Lippe bezeugt es, die Todtenfarbe, die ihr Antlitz überzieht. Eure unerwartete Offenherzigkeit hat ihre Gestalt in Stein verwandelt, aber diese Hülflosigkeit der Sünde erregt nicht mein Mitgefühl; sie reizt mich nur auf zur That, und ich will untersuchen, ob auch ihr Herzblut zu Eis geworden ist!« –

Mit einem durchdringenden Schrei flog Wallrade zum Fenster, da der blindwüthende heftige Mann mit dem Stahle in der Faust auf sie zustürzte. Bebend wie das Laub der Espe umklammerte sie den gehaßten Rudolph, der sich mit aller Mannskraft zwischen die Beiden geworfen hatte, und mit übermenschlichem Ringen den gereizten Tiger von seiner Beute abhielt. Nach heftigem Kampfe mußte der schwächere Graf von seinem blutigen Vorhaben ablassen, und ergab sich zähnknirschend in den Willen des Überwinders, der seine Pflicht, Wallraden nichts Leides geschehen zu lassen, als eine heilige behauptete, und den Bezwungnen ermahnte, augenblicklich das Schloß zu verlassen, und des Königs Frieden nicht länger zu stören, wolle er nicht Hand und Haupt verwürken. »Wohl!« keuchte Montfort, mit seinen wilden Blicken Wallraden durchbohrend, die eine wundersame Mischung von Frechheit, Wuth, Furcht und drohender Schadenfreude in ihren Zügen [322] trug: »Der Bann des Königs ist mir heilig; des Königs Metze nicht. Zittre Weib, mir jemals wieder zu begegnen! Zittre vor meiner Vergeltung. Montfort kennt nur eine Liebe, aber auch nur einen ewigen Haß!« Mit furchtbaren Geberden ging er davon, schwang sich auf das Roß, das sein Leibknecht im Hofe hielt, und sprengte wie ein Rasender über die Schloßbrücke. Bilger hatte nach ihm Wallradens Zimmer verlassen wollen; das Fräulein hielt ihn jedoch mit Riesenkraft zurück, obgleich ihre Pulse flogen, die Lippe zitterte, und der Busen sich so ungestüm hob, daß jedes Wort nur gebrochen und klanglos ihrem Munde entfliehen konnte. »Einen Augenblick noch;« stammelte sie, während die Hölle in ihrem Auge aufflackerte: »hört mein letztes Wort zu Euch. Ihr habt mich entehrt und dem Feinde in tiefster Schmach gezeigt. Der Verbrecher hat über mich den Sieg davon getragen. Der Himmel mag Euch vergeben, von mir erwartet nun keine Schonung. Ich überantworte Euch dem Henker, der Schande Eure Buhlerin und ihre Brut.« – »Weib!« donnerte der Wildmeister rollenden Auges: »Verhänge über mich, was Du willst. Die Meinigen schone aber. Schone sie, oder ich würge Dich hier zu Tode!« – Schreckhaft fuhr Wallrade zurück, und erwiederte wie oben: »Um Euch ein neu Verbrechen zu ersparen, wohlan! so wählt eine härtre Strafe freiwillig, härter als der Tod. Flieht hinweg von Euerm Herd .... laßt Alles dahinten, was Ihr mit sündiger Liebe umfaßt; ... laßt Euern Namen vergehen und Euer Gedächtniß, wie das eines Gestorbnen, [323] und ich will schweigen, will genug haben an Euerm langsamen Dahinwelken auf fremdem Boden, genug an der ewigen Trauer der verlassenen Waisen! Aber fort müßt Ihr seyn, ehe noch das Abendroth niedergeht; fort ohne jemals wiederzukehren, sonst nehm' ich mein Gnadenwort zurück. Wählt! Werdet flüchtig wie Kain und lebet, oder bleibt und sterbt mit den Euern!« – Die Drohende ließ des vernichteten Mannes Hand los, und er enteilte wie wahnsinnig dem Aufenthalte seiner erbitterten Feindin. Im Sturme seiner Gefühle hatte er nicht die Hornklänge vernommen, die einen neuen Besuch angekündigt hatten, welcher eben die Treppe heraufkam. Der Kaiser war es wieder; zu seiner Rechten die schüchterne und ängstliche Hausfrau des Wildmeisters, die ihrem verstörten Gatten Blicke der furchtsamsten Besorgniß zuwarf. Denn Sigmund war nicht der leutselige herablassende Fürst, wie er noch gestern sich gezeigt; heute glühte die Röthe des Zorns auf seiner Stirne, und von beleidigtem Stolze, vielleicht auch von Eifersucht glänzten die Augen. Kaum eines Blicks würdigte er den Wildmeister. »Ihr kommt sehr spät, um meinen Willkomm zu empfangen!« herrschte er dem Bestürzten zu: »Auch bin ich in Verlegenheit, wie ich Euch zu begrüßen habe: als einen minnelustigen Fant, der in einem fremden Garten Früchte naschen möchte, die ihm nicht bestimmt; oder als einen schlauen, aber ertappten Kuppler.«

»Kaiserliche Majestät!« stotterte Bilger, empört und gekränkt. – »Als einen schlauen aber ertappten Kuppler!« fuhr Sigmund kalt und vernichtend [324] fort: »Ich sagte es, und wahr ist mein kaiserlich Wort, denn so eben hat erst der pflichtvergeßne Montfort das Städtlein und dieses Schloß verlassen. Rechtfertigt Euch nicht, fürchtet meinen Zorn, und weicht ihm aus. Euer Weib wird mich an Eurer Statt zu dem Gemache des Fräuleins von Baldergrün geleiten.« – Verächtlich wandte der Kaiser dem Betroffnen den Rücken, und Catharine, nachdem sie durch klagende Geberden den Antheil ausgedrückt, den sie am Mißgeschicke ihres Gatten nahm, folgte dem Herrscher unterwürfig.

Wie ein Trunkner taumelte Bilger die Stiege hinunter, auf deren letzten Stufe Preyswerck, des Kaisers Hofnarr und lustiger Rath saß; sein einziger Begleiter auf dem Ritte zum Liebchen. Der Bursche nickte freundlich mit dem geschornen Haupte dem Wildmeister zu, und sprach, indem er ihn am Saume des Gewandes festhielt: »Wollt Ihr ein schön Stücklein lernen, wie es die Sperlinge auf den Dächern, und die Narren auf allen Gassen singen?« – »Laßt mich;« gab Bilger unwirsch zur Antwort: »mir ist's jetzo wahrlich nicht um der Narren Gesang zu thun.« – »So?« fuhr Preyswerck gemüthlich fort: »so? dann müßt Ihr zwei Stücklein lernen. Das Erste heißt: ›Herrengunst und Vogelsang ist lieblich, aber dauert nicht lang‹ – und das Andre, das Ihr nothwendig wissen solltet, wärt Ihr ein vollendeter Waidmann, ist nach des Roland's Melodie zu singen und klingt also: ›Edler Falk, man spannt auf Dich, schüttle Dein Gefieder! Edler Falk, so flüchte Dich – kehre nimmer wieder!‹« – »Habe[325] Dank, ehrlicher Narr!« erwiederte der Wildmeister: »Den Rath, den Deine lustige Zunge gab, muß meine Verzweiflung, befolgen. Grüße mein Weib tausendmal und dem Kaiser sage: Bei dem Zorne sey keine Gerechtigkeit, darum wollte ich auch keine von ihm verlangen, sondern hingehen, wo man mich nicht zwingt, ein lockres Weib statt des Wildes zu hüten. Catharine möge mein gedenken, und ...« Ausbrechende Thränen machten ihn hier in seiner Rede verstummen. Gewaltsam: riß er sich von dem lustigen Rathe los, stürzte in das Zimmer, wo seine Tochter harmlos spielte, drückte die Kleine unzähligemale an seine Brust, schwang sich auf ein ungesattelt Pferd, und verließ auf dessen schnellen Hufen das Haus, das er wie ein Geächteter und Gebannter zu fliehen gezwungen war. Der Gedanke, Sigmund's Entrüstung werde sich neu entzünden an Wallradens Wuth, gab seinem Rosse den scharfen Sporn, und weniger sein bedrohtes Leben suchte er in Sicherheit zu bringen, als seine Ehre, den Leumund der Gattin, und seines Kindes zukünftig Geschick.

14. Kapitel
[326] Vierzehntes Kapitel.

Du fauler Bote! Sag' an Deine Post. Deine Zunge ist lahm, wie

Dein Gaul. – Herr! ich reite auch kein Freudenpferd.

Alt. Schauspiel.


Die merkwürdige Sitzung des Conciliums, in welcher die Väter desselben, um die Hyder, die die Christenheit umschlungen hielt, mit einem Streiche zu vertilgen, die Absetzung der drei Päpste beschlossen, und Papst Johann – zu ohnmächtig und zu staatsklug, um der Übermacht zu widerstreben – in eigner Person die Absetzungsformel verlesen hatte, war vorüber, und die Zuhörer, wie die Beisitzer, staunend über das bisher Unerhörte, begaben sich in zahlreichen gedrängten Scharen nach ihren Häusern. Dagobert in seiner geistlichen Tracht war mitten darunter, und schlenderte unbefangen, dem Vesperbrode entgegenharrend, durch die Straßen, als plötzlich unter dem Schwarme der Vorübereilenden, eine derbe Faust seine Rechte ergriff und herzlich drückte: »Hoch lebe das Concilium, alle drei heilige Väter und vorab der gefällige und nachgiebige Johannes!« jauchzte der ungestüme Freund, der Gerhard in Lebensgröße war. – »Willkommen! alter Kumpan!« entgegnete ihm der froh überraschte Dagobert: »Bist Du wieder zu Tage gekrochen, wilder Jäger? Haben sie Dich aus der Eulen Nest gelassen? Und rede, wie kömmt's, daß Du frei und frank vor mir stehst?« – »Für's Erste,« antwortete der Hülshofner, »neigt [327] Euch in Demuth vor meinen Tugenden, die Ihr nie geahnt habt. Drei völlig und gut gezählte Wochen saß ich im Schatten, wo es nicht hinregnet noch schneit, wo nicht Thau noch Sonnenstrahl zu sehen, und während dieser Frist, die, reimweis zu reden, keine geringe ist, habe ich kein Einzigmal geplaudert, denn sonst stolzirtet Ihr wohl nicht so junkerlich und freiherrlich hier herum. Der Syndikns, ein wahrer Pestilenzer, hat mir zugesetzt gleichwie mit glühenden Zangen, und dennoch, und dennoch ... dennoch nichts verrathen. Kreuz und Dorn und Stein! 's hat schier Funken gegeben. Die Pfaffen gaben verdammte Zeugschaft, die leichtfertigen Jägerinnen, deren Geschwätz mich in die klägliche Geschichte hinein gebracht hatte, meinten, sie müßten mir an den Hals zur Strafe, daß ich der Kaiser nicht gewesen, während das Klostergesindel mich braten wollte, weil's mir eingefallen, zur Unzeit kaiserliche Majestät zu seyn. Von Euch erfuhr ich nichts; meine Herren von Frankfurt hatten mich aufgegeben; ich saß in der Brühe, und ärgerte mich nur darüber, daß ich nicht einmal wußte, in welcher. Bald sollte ich einen Ketzer befreit, bald ein ganzes Kloster an den Rand des Grabes gebracht haben, und was des tollen Zeugs mehr ist. Ich spielte jedoch den Klugen, schwieg fein und säuberlich, und leugnete wie ein Heide. Zum Glück hatte ich vor der abscheulichen Verhaftung den wilden Jäger in Eure Obhut gebracht, und konnte mich herzhaft auf den langen Christoph berufen. Das drang denn endlich allgemach durch; ich bekannte mich selbst nicht schuldig, leugnete daher auch alle Mitschuldigen, [328] und heute bin ich denn auf Befehl des Kaisers, der den heutigen Tag als einen großen zu feiern gedenkt, nebst einer Menge von Leuten, die entweder einem Fastnachtsstreich oder einem minniglichen Abenteuer oder auch einem harten Gläubiger ihre Haft verdankten, in Freiheit gesetzt worden. Mein gutes Glück ließ mich alsobald auf Euch stoßen, von dem ich wenigstens als billige Entschädigung einen Imbis erwarte, wie er lange meinen Gaumen nicht gekitzelt.« – »Was meint Ihr zu gefalznen Hechten mit Peterlein, und einem Römer Weins aus der Marggrafschaft?« »Sollst haben, was Dein Herz begehrt,« versicherte ihm der Jüngling freundlich: »Du bist der bravste Edelknecht in deutschen Landen, wie der verschwiegenste. Freilich trug auch die magre Kost im Gewahrsam viel zu dieser letztern Tugend bei; indessen.« ... – »Indessen ist's doch immer lobenswerth;« unterbrach ihn Gerhard fast grob: »Wie viele Leute gibt's, die selbst beim Wasserkrug das Maul nicht halten können? Wunderbarer ist's, daß der alte Schneider Velsner, der die Larven hergeliehen, meine Verschwiegenheit theilte.« – »Das ging sehr natürlich zu, mein guter Altgeselle;« erwiederte Dagobert halb scherzend, halb ernst: »der Tod tanzte mit ihm den Kehraus in der Dienstagsnacht.« – »Das haben sie beide brav gemacht;« sprach Gerhard, andächtig ein Kreuz schlagend: »der weiße Tänzer, daß er kam, und der graue Schneider, daß er sich nicht sperrte, wie eine blöde Dirne. Ich wünsche dem wackern Meister die beste Kundschaft dort oben, obgleich ich ihn wieder [329] bedauern muß, daß er gerade in Aschermittwochs Hungertuch gefallen ist.« – »Ei du armer Schelm!« lächelte Dagobert: »siehst Du doch selbst aus, als ob Du dem Hungertuche gerade entschlüpft wärest. Zum Glück stehen wir, just vor der Herberge. Komm herein; laß Dir's schmecken; aus Dankbarkeit will ich Dein Küchenmeister und Mundschenk seyn. He da! Wirth und Wirthin herbei! Ihr Mägde und Kellerbuben spitzt das Ohr, denn der wackerste Kämpfer am Rheinstrome will tafeln, wie sich's gebührt, und Eure sparsame Fastenküche es erlaubt.« – Gerhard nahm mit wichtiger Feierlichleit an dem Tische Platz, und Leuchter, Wein und Becher standen flugs vor ihm aufgepflanzt. – Dagobert machte sich ein Fest daraus, dem ausgehungerten Schlemmer selbst den würzigen Trunk von Badens Rebhügeln zu kredenzen. – Die Wirthin schleppte Teller und Pfannen herbei. – »So, mein alter Kämpe;« scherzte Dagobert, während er ihm das Tellertuch um den Hals befestigte: »da sitzest Du wie der Kaiser am Krönungsbankett. Dein Bart könnte zwar saubrer geschoren, Dein Wamms reinlicher seyn, allein Dein guter Wille, der sich in der Art und Weise offenbart, wie Du nach dem Eßgeräthe langst, hilft allen übrigen Mängeln ab. Du wirst zwar den gewünschten Hecht vermissen, aber dieser nerrige Stockfisch mit Öl und süßen Rosinen ist auch nicht zu verachten, und solltest Du es für nöthig erachten, Deinen Durst erst zu reizen, so versehen jene gerösteten Picklinge, gewürzt vom scharfen Leipziger Senf, vollkommen den Dienst. So, mein Junge. Frisch in's[330] Handgemenge! ich will Dich kräftig unterstützen.« – Gerhard nahm sich des Verfechteramts eifrig an, und arbeitete bald mit vollen Backen, bald mit dem klingenden Messer, bald mit dem schäumenden Becher, auf dessen Grunde er dreimal ein Goldstück mit dem Gepräge des Freistaats Benegia fand. Dankbar drückte er dem Geber und Gastfreund die Hand und sprach: Solchen Bodensatz im Wein zu finden, lasse ich mir gefallen. Zu viel aber ist's der Freigebigkeit, da ich weiß, daß durch Eure Zwistigkeit mit dem wälschen Ohm Euer Geldseckel in Abnahme gerathen ist. – »Der Herzog Friedrich hat mir erlaubt, dann und wann aus seinem Beutel zu schöpfen, wenn ichs bedarf;« antwortete Dagobert: »Bei seiner milden Hand magst Du Dich demnach für dieß Geschenk bedanken.« –

»Ei, vor dem Herzog alle erdenkliche Ehrfurcht!« sprach Gerhard mit einem Sonnenblicke der Behaglichkeit: »Es gab zwar eine Zeit, wo wir Beide nicht auf dem besten Fuße zusammen standen, allein diese Zeit ist nicht mehr. Was konnte ich in der That auch dafür, daß der wackre Herr damals in ein Reiterwamms zu kriechen beliebt hatte? Am Kragen kennt man den Mann, lautet ein wahres und liebes Sprichwort. Wenn unser Vater Adam nicht die Kleider erfunden hätte, wären die vornehmen Herren übel daran, und nebenbei auch die gemeinen Leute, die am Ende nicht wissen würden, ob sie einem Andern oder sich selbst den Reverenz zu machen haben. Dem sey nun indessen, wie ihm wolle; ich bin mit dem Herzog versöhnt, und empfange um so [331] lieber die Goldpfenninge, die mir aus seinem Schatze durch Eure Freigebigkeit zufließen.«

»Versöhnt?« lachte Dagobert: »Altes Sieb, wie kömmst Du mit dem Habsburger zusammen, der Dich, – gerade heraus gesagt – ungefähr so leiden kann, wie der Rüde den Dachs?«

»Leiden konnte, Fröschlein, leiden konnte;« versetzte Gerhard in seiner ungestörten Friedlichkeit, indem er die letzten Reste der Piklinge versorgte: »Seine herzogl. Gnaden sind aber jetzo mindestens nicht ungnädig auf mich. Im Gegentheil. Der versöhnliche Fürst hat mich durch den Herrn Schöffen von Braunfels auffordern lassen, das Turnier, das er am Zwanzigsten dieses Mondes März zu geben gesonnen, durch meine Tapferkeit und zierlichen Fechterkünste zu verherrlichen; indem – wie er sich huldreichst auszudrücken geruhte – Keiner von allen anwesenden Kämpen im Bügel- und Ringelrennen, im Kolbenschlag und Fußkampf meines Gleichen sey.«

»Beneidenswerther!« rief Dagobert, ihm den vollen Becher zubringend: »Die Gewaltigen der Erde werden aufmerksam auf Deine Verdienste, und es kann Dir gar nicht fehlen, bleibt Deine Rechte nur gesund, und Dein Leib wohl genährt.«

Das Letztere sey auch mein Hauptaugenmerk bis zum Tag, wo es gilt. Laßt sehen, Junker; wie weit haben wir noch zum Zwanzigsten? – »Fünf Tage, mein Gesell;« berichtete ihn Dagobert: »Bis dahin fey mein Gast. Du sollst einen dankbaren Schuldner an mir finden. Was das Concilium an eßbaren Stockfischen aufweisen kann, soll Dein seyn. Der [332] beste Rebensaft werde Dir kredenzt. Verlangst Du Tafelmusik, sie soll Dir nicht fehlen? Siehst Du reizende Aufwärterinnen gerne an Deinem Tische? Ich schaffe sie Dir, anmuthiger als die plumpen Thurgauer Dirnen, die so eben die leeren Schüsseln wegtragen, sittsamer als die leichtfertigen Jägerinnen in Frau Waldina's Gefolge. Kennst Du das Mährlein vom Tischlein deck dich? Meine Dankbarkeit soll es an Dir verwirklichen, und Dich in jene harmlose Zeit versetzen, wo Du noch, ein langknochiger Bube, die trägen Füße unter Deines Vaters Tisch stecktest, und ohne Sorgen verzehrtest, was sich gerade vorfand, unbekümmert, ob es die Vöglein vom Himmel, oder Dein Vater von der Heerstraße gebracht.« – Der unverzagte Esser ließ den Becher sinken bei diesen Worten, schlug die verglasten Augen auf gen Himmel, und eine Mischung von Wehmuth und lächelnder Erinnerung breitete sich über sein Antlitz. Er reichte dem Nachbar die fleischige Hand und sprach mit weicher Stimme: »Ach, lieb Fröschlein! Da habt Ihr's getroffen, wo meine Halsberge nicht zum Besten schließt. Mein rechtschaffner Vater .... Gott erhalte ihn bei der Seligkeit! ... er starb wie ein wackrer Edelmann. Thut mir die Liebe, werthes Fröschlein, und thut mir Bescheid auf den Becher, den ich Euch feierlich zutrinke, als das Gedächtniß an einem ehrenwerthen Mann!« – »Von Herzen gern!« antwortete Dagobert, seinen Wunsch erfüllend: »Auf das Wohl eines Biedermannes trinke ich stets, säße er auch schon im Fegefeuer. Und auf Dein Wohl nicht minder, alte deutsche Haut, weil [333] Du Deines Vaters Angedenken dergestalt in Ehren hältst. Das hätte ich nicht hinter Deinem groben Fell gesucht; und wahrlich, ich werde hinter Deiner Tugend nicht zu rück bleiben, wenn's einst Gott gefallen sollte, meinen Alten zu sich zu rufen.« –

Da riß mit einem Male der Hülshofner die von wehmüthiger Weinlaune feuchtgewordnen Augen auf, sah den jungen Tischgenossen mit einem ganz besondern Ausdruck von Bedauern an, rieb sich die Stirne, wie einer dem etwas entfallen war, und der sich, jetzt fast zu spät, dessen verdrüßlich erinnert, und seufzte: Guter Junker! wenn ein Sprichwort die Wahrheit sagt, so ist es dasjenige, welches lautet: »Im Wein ist Wahrheit; Ihr habt die Ahnung, ich die Erinnerung wieder im Becher gefunden. Vergessen hatte ich schändlich, was Ihr doch wissen müßt. Faßt Euch, lieber freigebiger, theilnehmender Frosch; und glaubt, daß ich Eure Bekümmerniß theilen werde, wie ein Bruder. Ja, ja; schaut mich nur an, wie den Bischof die verwunderte Katze. Euer Lächeln wird sich verkehren in Trübsal. Euer Vater hat den Schöffenstuhl zu Frankfurt mit dem himmlischen vertauscht. Er ruhe in Frieden!« –

Mit offnem Munde und gespannten Zügen saß Dagobert dem Hiobsboten gegenüber, dessen Weichmuth in eine Thränenfluth überging, die einige schnell geleerte Becher kaum auftrocknen konnten. »Sage mir doch,« fing Dagobert endlich kleinlaut an: »ist denn noch Fasching, oder heißt man am nächsten Sonntag: Lätare? Unglücksrabe! spricht der Rausch aus Dir, oder ist sie Wahrheit, die Botschaft, die Du mir, –[334] dem Freien – ans Deinem Gefängniß bringst?« – »Wahrheit, lieb Junkerchen;« versicherte Gerhard ganz treuherzig: »die Sache ist die folgende. Mein erster Weg aus dem Gewahrsam ging zu meinen Herren von Frankfurt, den Schöffen, die hier im Hause wohnen. Der alte Herr Holzhausen nahm sich heraus, mir einen Text zu lesen, wie er sich in keinem Evangelienbuche findet, mich einen Wüstling und Händelsucher zu nennen, und was dergleichen mehr ist, welches auch gerade nicht hieher gehört. Der Herr von Braunfels nahm sich meiner an, und die Beiden sagten sich derbe Worte ....«

»Um Gottes willen!« fiel Dagobert ein: »laß die Umschweife, vollende!«

»Ich bin's eben im Begriff,« versicherte Gerhard: »denn ich setze mit Sporn und Gebiß über den Streit der wohlweisen Herren weg, bis zu der Thüre, durch welche gerade und just der Stadtschreiber Heinrich eintrat, der seit geraumer Zeit weniger für die Stadt schreibt, als Boten reitet, und gerade wieder, mit Schriften beladen wie ein Maulthier, von Frankfurt daher getrabt kam.« Der Gruß von ihm war kurz, und er warf sich gleich mitten in das Gesprächsel. »Wißt ihr etwas Neues, ihr Herrn?« rief er: »Am Abend des verwichnen Tages der heil. Felicitas ist zu Frankfurt unfern vom Hirschgraben der wackre Schöff und Altbürger Diether Frosch ermordet worden!« – »Ermordet?« rief Dagobert, entsetzt vom Tisch aufspringend: »Verdammt sey Deine Zunge, die solche Schreckensbotschaft mir so lange verhehlen konnte!« – »Hat sich wohl!« brummte [335] Gerhard unwillig: »Wo der Kopf vergißt, schweigt auch die Zunge ohne bösen Willen. Erfahrt Ihr's doch jetzo zeitig genug. Sollt' ich Euch das Vespermahl vergällen? Wo wollt Ihr aber hin?« – »Zu den Herren von Frankfurt!« erwiederte Dagobert, und suchte sich ängstlich von dem Zurückhaltenden los zu machen. – »Nehmt doch Vernunft an!« sprach Gerhard entgegen: »die Schöffen sind nicht daheim. Die Abgeordneten der Reichsstädte haben heut ein groß Convivium im goldnen Brunnen.« – »So will ich dorthin!« rief Dagobert: »Laß mich!« – »Bleibt doch!« erwiederte Gerhard: »Ihr schlagt um Euch wie ein rasendes Füllen, aber ich leide es doch nicht, daß Ihr dort Euren Schmerz zur Schau tragt.« – Dagobert besann sich, »Du hast Recht;« sprach er: »ein schiefes Wort, ein schiefer Blick nur in dieser Stimmung von einem Fremden, der, wie begreiflich, mein Leid nicht fühlt, könnte mich zum Mord bewegen. Aber rede doch Du: sieh! ich will mich zu Dir setzen, ganz ein Mann seyn, trotz Einem, aber sage mir, wie ging das Entsetzliche zu? Ich werde mich zwingen, mein Gebreste in meiner Seele zu verschließen, und nur dann weinen, wann Du es erlaubst; sage mir aber, wie ward das Gräßliche vollbracht? wie ward mein Vater ... o, mein Gott! ... wie wurde er erschlagen?« – »Junker!« antwortete Gerhard, verlegen ob der nicht geahnten Heftigkeit des jungen Mannes: »Ihr fragt mich da nach Dingen, die ich eben so wenig weiß, als Ihr. Vielleicht aber« – hier nestelte er den weiten Ärmel seines Kollers auf ... »vielleicht belehrt Euch dieß[336] Schreiben eines Bessern. Der Stadtschreiber brachte es von Frankfurt mit, und Euch es zu übergeben, vertraute mir's der Herr von Braunfels. Bis auf diesen Augenblick hatt' ich's vergessen, doch kommt's auch jetzo nicht zu spät.« – »Da!« fuhr er fort, indem er das wohlversiegelte Schreiben aus dem Ärmel fischte, und dem gierig darnach greifenden Dagobert langsam reichte: »Da ist der Brief, Euer Vater schreibt Euch darin die ganze Begebenheit selbst.« – »Er selbst?« fragte verwundert der Jüngling, das Schreiben staunend in den Händen haltend, und einen Blick auf die Aufschrift werfend: »Wahrhaftig, er selbst! fuhr er fort mit steigender Hitze: Einfältiger Weinschlauch! und Du konntest mich beinahe zum Tode erschrecken? Danke es dem Himmel, daß keine Waffe an meiner Hüfte hängt! Dieser Augenblick wäre Dein letzter!« – »Fröschlein! Ihr redet irre!« erwiederte Gerhard, der sich scheu in die Ecke schmiegte: »Was ficht Euch an? Ist das der Dank für meine gutmüthige Theilnahme?« – »Ich möchte lachen, wäre mir nicht so fürchterlich ernst zu Sinne;« begann Dagobert auf's Neue: »lachen ob Deiner beklagenswerthen Einfalt. Mensch! siehst Du denn nicht weiter als ein Maulwurf? Du entsetzest mich durch die Botschaft von meines Vaters Tode? kann aber der todt seyn, der mir von diesem Mord geschrieben?« – »Ich dummer Hans!« murmelte Gerhard durch die Zähne, und schlug sich mit der geballten Faust vor die Stirne: »Dümmer als ein Gänserich. Es ist auch wahr. Vergebt, Fröschlein; gestorben wird er nun wohl [337] nicht seyn, aber Ihr werdet aus dem Briefe sehen, daß gewiß etwas Schreckliches vorgefallen.« – Dagobert wollte so eben, seinem Zweifel zu entgehen, die Wachsplatte von dem wohlverwahrten Schreiben lösen, als er noch einen Blick der Aufschrift schenkte. »Nein!« rief er alsdann: »bei unsrer lieben Frau vom Berge! Da hätte ich etwas Hübsches angerichtet. Das Schreiben gehört meinem würdigen Ohm, dem Prälaten. Der eifrige Mann würde mich in Bann thun, käme es verletzt in seine Hände. Vergib indessen meiner begreiflichen Neugier, wenn ich Dich jetzo allein lasse, zur Stunde, wo der Becher Dir am besten mundet. Ich denke das Versäumte nächstens einzuholen. Für jetzt aber eile ich, den Ohm, so leid mir's thut, aus seiner abendlichen Bequemlichkeit zu stören, denn bis morgen die Ungewißheit zu ertragen, vermag mein Gemüth nicht. Gute Nacht!« – »Gute Nacht, Junker,« entgegnete Gerhard: »Ihr hegt doch keinen Groll gegen mich?« – »Sorge nicht;« beruhigte ihn Dagobert: »Was kann der Mund, dafür, daß er einem ungeschickten Kopfe gehorcht? Iß und trink! die freie Tafel bis zum Tage des Turniers soll darum nicht wegfallen!« –

Der Prälat staunte nicht wenig, die Stille seines Hauses durch ein ungebührliches Pochen und Lärmen gestört zu sehen, und traute kaum dem Bericht des zur Pforte gesandten Dieners, der die Ankunft des Neffen verkündete, welcher Haus und Hof wie mit Sturm eingenommen habe. Der furchtsame Geistliche, der sehr geneigt war, an eine beabsichtigte [338] Gewaltthätigkeit seines Wildfangs von Anverwandten zu glauben, rief Fiorillen herbei, die ihn nur mit Mühe von dem Vorhaben abhielt, seine ganze Dienerschaft zu seinem Schutze um sich her zu versammeln.

»Entschuldigt meinen seltnen, späten und überlästigen Besuch!« rief Dagobert beim Eintreten: »Mein Geschäft bei Euch ist kurz, aber um so dringender!« – Der Prälat lief einige Schritte zurück, da Dagobert's Hand rasch nach dem Gürtel fuhr, um den Brief herauszuziehen, und die Versicherung Fiorillens, es sey wirklich nur ein harmloses Papier und keine Mordwaffe, welches der Vetter bei sich trage, konnte Monsignore kaum beruhigen. Dagobert war genöthigt, ihm wie einem widerstrebenden Kinde die Finger zu öffnen, und den Brief hineinzulegen, mit der Bitte, doch ja alsobald den Inhalt desselben ihm mitzutheilen.

Nun begann der Muth des Prälaten wiederum zu wachsen. »Per Dio e la santissima vergine!« rief er mit aufgeblasenen Backen, da er den Ungrund seiner Besorgniß einsah: »heißt das nicht die Roheit eines deutschen Lümmels auf die höchste Spitze steigern? Wie nanntest Du Dich vorhin? Einen seltnen, späten, überlästigen Gast? Ja wohl; eine Lüge sagtest Du mindestens nicht in diesen Worten. Ist das eine seine Zucht und Sitte? Überfällt bei Nacht und Nebel, einem Buschklepper gleich, seinen Ohm, einen Prälaten, der noch obendrein aufgebracht gegen ihn ist, und mit Recht ungehalten auf seinen Lebenswandel. Und warum dieser stürmische Überfall, der [339] manchem weniger Beherzten den blassen Tod hätte zufügen können? weshalb dieser Gräul? Um einen Brief zu überbringen, der morgen eben so gut gelesen werden könnte, denn heute.« –

»Mag seyn, Ohm;« erwiederte Dagobert: »ich kann Euch aber darum doch nicht helfen. Meine Besorgniß ist zu groß. Meinem Vater ist ein Unfall zugestoßen, dessen nähern Verlauf ich heute noch wissen muß.« – »Höre doch einmal zu, Fiorilla!« seufzte der Prälat, trostlos die Hände faltend: »Höre doch, wie der Gelbschnabel zu mir spricht. Wie ein Guardian zu einem Novizen. Was geht mich denn seine Besorgniß an? Warum muß ich denn gerade heute noch das Schreiben lesen?« – »Weil es meinen Vater betrifft;« versetzte Dagobert heftig, der freilich nur Euer Bruder ist, und weil ich – kurz und gut – nicht eher aus dem Hause gehe, als bis ich weiß, was den Meinen zugestoßen. – »Du wirst sehen,« raunte der Prälat Fiorillen in's Ohr – Du wirst sehen, er setzt uns noch auf die Gasse, und macht sich breit in meinen vier Pfählen. Sieh nur, er glüht im Gesichte wie ein Kobold. Ob er betrunken ist, oder ob er am Veitstanz laborirt, oder – was den deutschen Bären öfters zu begegnen pflegt – gerade von einer verderblichen Lust zu morden und zu wüthen befallen ist – wer weiß das? – »Thut ihm deshalb den Gefallen, den er verlangt;« ermahnte Fiorilla: »Sohnesliebe spricht aus ihm.« – »Nun, wenn Du meinst;« versetzte der Prälat: »so sey es drum. Gib mir die Brille, und zünde mir im Nebengemach die Lampe an. Du weißt wohl, [340] setzte er leiser hinzu, daß ich an dem verdammten krausen Geschrifft lange studiren muß mit meinen blöden Augen, und ich kanns nicht leiden, daß der wilde Laffe davon Zeuge sey. Unterhalte ihn indessen, wenn Du Dich vor ihm nicht fürchtest; und suche ihn zu begütigen, damit der Teufel Ruhe halte, der in ihm rumort.« – Fiorilla versprach ihm, ihr Möglichstes zu thun, und der Prälat schlich zum Nebengemach, sich an die beschwerliche Arbeit zu machen. Dagobert hatte sich in einen Sessel geworfen, und starrte erwartungsvoll zur Decke empor. Fiorilla machte sich allerlei in der Stube zu schaffen, näherte sich dem Schweigenden, entfernte sich wieder von ihm, hustete, sprach mit dem Sittich, und da alle die kleinen Mittel nicht verfingen, die sonst wohl der Männer Aufmerksamkeit rege machen, trat sie auf's Neue zu dem Jüngling und klopfte ihm leise auf die Schulter. Dagobert tauchte aus der Fluth seiner Gedanken auf, und sah verwundert in das Auge des lieblichen Mädchens, in welchem sich weder Leichtfertigkeit, noch stille Sehnsucht, wohl aber die freundlichste Theilnahme aussprach. »Warum so verloren?« redete Fiorilla sanft und wohlthuend den Vetter an: »Was kann Euch so sehr betrüben und kränken? Euer Vater ist ja nicht gestorben, da er selber Urkund von sich gibt, und andrer Schmerz belastet Euch nicht!« – »Ihr habt Recht, Mühmchen;« entgegnete Dagobert leicht: »für heute ist Ungewißheit mein Einziger.« – »Wir Frauen möchten so gerne jede Plage von der Brust des Mannes nehmen,« fuhr Fiorilla fort: »Wie lohnt ihr mir, wenn ich [341] diese Frauenpflicht an Euch übe? wenn ich vielleicht einen Augenblick Eures Lebens in die Farbe der Rosen tauche?« – »Versucht's!« sprach Dagobert: »Wählt gleich den jetzigen Augenblick, in dem ich der Erheiterung bedarf.« – »So entrunzelt Eure Stirne! Dem Manne, der liebt, und sich der heftigsten Gegenliebe erfreut, ziemt der düstre Unmuth nicht.« – »Gutes Mühmchen! Ihr wißt um meine seltsame Liebschaft; es ist wahr. Was soll diese aber hier? Ihr Gedächtniß könnte meinen Unmuth mehren.« – »Nicht so finster!« äußerte Fiorilla, neckend drohend: »Der Liebende hört ja doch sonst mit voller Seele den Werth seines Liebchens von fremden Zungen preisen. Machtet Ihr hier eine Ausnahme? Ich glaube nicht. So wißt denn, daß ich Euch belobe ob der Wahl, die Ihr getroffen.« – »Ihr?« fragte Dagobert befremdet: »Wie könnt ihr wissen?« – »Erinnert Ihr Euch noch jener Nacht, in der Ihr, des Bedürfnisses voll, eine Vertraute Eurer kleinen Geheimnisse zu haben, unter mein Fenster kamt, und mir mit überströmender Freude erzähltet, Euer Lieb von Frankfurt befinde sich zu Costnitz, ... Ihr hättet sie gesehen ... gesprochen? ...« – »Recht wohl entsinne ich mich des Abends, von dem Ihr sprecht; denn kaum der Wochen dreie sind seitdem verstrichen; wie aber jene Kunde sich mit dem Beginn Eurer Rede reimt .....« – »Das begreift ihr nicht? Kurzsichtiger! Ihr kennt die Wißbegier der Frauen nicht. Diejenige zu schauen, deren Reize Euch unempfindlich gemacht hatten gegen meine Freundlichkeit, ließ ich mich die Mühe nicht verdrießen, das holde Judenkind[342] aufzusuchen. Bald entdeckte ich dessen Aufenthalt. Der Vorwand, italienisch Geld gegen deutsche Münze umzutauschen, führte mich beim Vater ein; meine Jugend und Schmeichelei machte mich der Tochter angenehm, – das Vorgeben: ich sey noch, was ich einst war, – ihre Glaubensverwandte – machte dem Vater meinen öftern Besuch bei der einsamen Tochter wünschenswerth; und mein offnes Bekenntniß von meinem Übertritt und meinen ziemlich nahen Beziehungen zu Euch, gewann mir das unumschränkte Vertrauen Esthers!« – »Ists möglich?« rief Dagobert: »und ich ahnte nicht? ....« –

»Warum kamt Ihr nicht mehr in Ben Davids Haus?« fragte Fiorilla: »Oft schlich ich mich von hier weg, um Euch an Esthers Seite zu erwarten. Oft harrte ich auf einen abermaligen Abendbesuch unter meinem Kammerfenster, um Euch von dem Gesagten in Kenntniß zu setzen. Esther und ich, wir harrten umsonst. Grausamer! wer wollte kalt an solchem Schatze vorübergehen, und seiner nicht begehren, nicht um ihn sich bewerben? Welch eine Fülle von Reizen, die ich neidisch bewundre, aber auch welch ein Reichthum von Tugenden, liegt in diesem Wundermädchen verborgen! Ihr kennt die Blüthe nicht, nach welcher Euer Auge lüstern sah, von welcher sich jedoch die Hand scheu entfernte. Das Vorurtheil ist in Euer Herz eingewachsen, wie sich der stumpfe Splitter öfters in der Wunde vernarbt. Ihr liebt in dem reizenden Geschöpfe sein Geschlecht; Ihr haßt in ihm sein Volk. Welch unendliche Liebe fühlt Esther für Euch! wie lohnt Ihr dieselbe durch [343] schroffes Verschmähen! Ich habe des Mädchens Leidenschaft durchschaut; ich bewundere schaudernd den Abgrund dieser stammenden Neigung, wie sie nur die glühende Sonne des Mittags erzeugt. Esther gleicht dem lodernden Brande; Ihr der abreisenden Eisklippe. Esther könnte Jahrelang für Euch sterben ... Ihr wagt es nicht nur einen Augenblick für sie zu leben!« –

Erschüttert schwieg Dagobert, als Fiorilla geendet hatte. »Eure Gleichnisse sind übel gewählt;« begann er kurz darauf, mit so viel Gleichmuth, als ihm zu Gebote stand: »Und dennoch – ein seltner Fall – treffend in ihrer übeln Auswahl. Sie sprechen das richtigste Urtheil. Brand und Eis sollen nimmer sich verbinden. Der Augenblick, der sie vereint, ist zugleich der Augenblick des Todes für Beide. Müht Euch darum nicht, gutes Mühmchen. Und wäre auch endlich – was ich behaupte – die sittsame, züchtige Esther nicht die Flamme aus der Nachbarschaft der Wüste, und ich, Dagobert Frosch, nicht der eiskalte Sumpfbewohner, den mein Name verkündet, sondern wir beide ganz gewöhnliche Menschen von gemäßigter und gegenseitiger Leidenschaft; – dennoch würde nichts aus Eurer Ehestiftung. Mich fordert der Altar, wie ihr wohl wißt, holde Freundin.« –

»Müßt Ihr denn, einem blinden Wahne gehorchend, zwei Herzen brechen?« eiferte Fiorilla: »Gibt es nicht Lande, wo man vom thörichten Gelübde Eurer Mutter nichts weiß? Flieht dorthin. Esther, ich schwör's Euch zu, wird nach kurzem Widerstande [344] folgen, ohne Kampf die Lehre lassen, die ihr Herz nicht liebt; zu dem Glauben sich bekennen, der ihr jetzt schon theuer, weil es der Eurige ist. Eure Wissenschaft, und adlich Gewerbe sichert den Wohlstand Eurer Hütte. Wagt es glücklich zu seyn, entflieht der Welt, um ihre Freuden ungestört zu genießen. Bedürft ihr des Beistands, des Raths? wählt mich. Durch Überredung, That und Anschlag fördre ich Euern Zweck. Esther wird glücklich, Euer Herz versteinert nicht unter dem Scapulier, und ein blühend Geschlecht wird Euren Freisinn, Euren Muth segnen und verehren.«

»Und rechnet Ihr für Nichts die Verwünschungen eines glaubenseifrigen, betrognen Vaters, mit welchen belastet Esther fliehen würde? für Nichts den Fluch des Meinigen? Das Urtheil der Welt, den Bann der Kirche, unser eignes streng richtendes Gewissen, und endlich den entsetzlichen Augenblick des Wiedersehens dort oben, wenn meine Mutter mir entgegenkommen und mich fragen wird: Sohn! wie hast Du mein Gelübde geheiligt? Es ist nicht gelöset, und doch nicht erfüllt worden! – Ich danke Euch, Fiorilla, für Eure angebotne Hülfe, allein, Gott sey Dank; der Helfer ist in meiner eignen Brust. Laßt die Sache beruhen, und uns lieber geduldigen Gemüths vernehmen, was der Ohm, den ich kommen höre, mir zu verkündigen haben wird.«

Wirklich trat auch der Prälat gewichtigen Schritts aus dem Seitengemach, Lampe und Brief in der Hand. Sein Antlitz zeugte von einer gerade nicht unbedeutenden Bewegung, und auch der Gang war [345] nicht so sicher, wie wohl sonst. – »Redet, um der ewigen Barmherzigkeit willen!« – rief ihm Dagobert entgegen, der alsobald über die Besorgniß für den Vater das so eben abgehandelte Gespräch vergessen hatte: »Martert mich nicht. Was ist geschehen?« – »Der Herr hat es noch wohl gemacht;« erwiederte Hieronymus, kläglich auf die Ruhebank sinkend: »der Bruder lebt, und wird bald vollends genesen seyn, aber ein Unfall hat ihn betroffen, wie er sich nur in den verwahrlosten deutschen Landen begeben kann. In der Dämmerung sich nach Hause wendend, begegnete ihm ein Freihart in Pudelmütze und Wolfspelz, und schaut ihm mit blutroth gefärbtem Angesichte keck und unverschämt unter das herabgekrampte Piret. Dein Vater fährt zurück.« Der Wütherich, dem die leere Straße Muth zulegt, fragt ihn höhnisch: »Kauf mir ein Menschenleben ab, Schöff!« – Und da nun der Bruder ihn zurückstößt, und den Mund öffnet, um nach Hülfe zu schreien, so fühlt er bereits das Messer des Wehrwolfs unter seinen Rippen sitzen, und sinkt dahin. »Gute Nacht, alter Frosch!« ruft ihm noch der häßliche Mörder in's Ohr: »Dein Fröschlein kommt nach!« und packt den Verwundeten an, um ihn an den Rand des Grabens zu schleifen, und wahrscheinlich kopfüber in der Hirsche Revier hinabzustürzen. Da nahen aber glücklicherweise Leute; um seines Werks wenigstens sicher zu seyn, führt der Verfluchte noch einen Stoß gegen die Brust des armen Diether's. Der Stahl prallt jedoch zum Heil von der Halskette desselben ab, und der Bluthund entflieht. Die Wunde wurde, von wenig [346] Bedeutung zu seyn, erkannt, und wie gesagt, Dein Vater ist auf dem Wege zur vollen Besserung.

»Abscheuliches Verbrechen!« riefen Dagobert und Fiorilla entsetzt aus.

»Nun ist aber dennoch auf sothanem Schmerzenlager« – fuhr der Prälat fort – »der Gedanke in dem Bruder erwacht: es möchte denn doch vielleicht der Herr einst schnell über ihn gebieten, und da es löblich ist, in solchem Alter und solcher Befürchtung noch einmal sein Geschlecht um sich zu versammeln, und sich mit denjenigen zu versöhnen, mit denen ein unbilliger Haß uns entzweit hat, so verlangt der wackre Diether, ich solle mich in Deiner und Wallradens Gesellschaft zu ihm begeben, um das Fest seiner Heilung in seinem Hause feierlich zu begehen. Wallrade soll bei dieser Gelegenheit wieder in alle Kindesrechte und den Arm des Vaters aufgenommen werden.«

»Daran thut mein allzuguter Vater gerecht und wohl;« erwiederte Dagobert: »obschon die Schwester diese Liebe nicht verdient, und auch nicht zu würdigen vermag. Was beschließt Ihr aber hierauf, mein hochwürdiger Ohm und Herr?«

»Hm!« sprach Monsignore nach zweifelhaftem Kopfschütteln: »Ich meine, daß es vollkommen hinreichen wird, wenn ich hier zu Costnitz in meiner stillen Kammer dem Herrn für das meinem Bruder wiederfahrne Heil danke, und zu Ehren unsrer lieben Frauen, die durch ihre Fürbitte des Mörders Stoß fehl gehen ließ, einige Messen lese. Wallraden werde ich jedoch zu der Aussöhnung bewegen, und [347] überlassen es Dir gerne, die Schwester nach dem Vaterhause zu geleiten, und wohlbehalten wieder anher zu führen.«

»Mit nichten;« äußerte Dagobert aufstehend und kalt: »Wallrade bedarf meines Geleits nicht. Einer ihrer zahlreichen Freier wird dieser süßen Pflicht sich leicht unterziehen, wenn nicht kaiserliche Majestät selbst ihren Reisestallmeister machen will. Euch überlasse ich es, Ohm, die Liebenswürdige vorzubereiten. Unstreitig wißt Ihr ihren jetzigen Aufenthalt besser denn ich, der nur dann und wann von müßigen Stadtzungen Gerüchte und Vermuthungen hört, die gar nicht zur Ehre unsers Stammes gereichen. Gerne werde ich auch Wallraden den Vorzug im Vaterhause einräumen, und daher einzurichten suchen, daß ich an dem Tage ankomme, an welchem sie geht. Schließlich danke ich Euch demüthigst für Eure gehabte Mühe, und werde dieselbe gegen meinen Vater zu rühmen wissen, da es Euch ohnedies widerstrebt tiefer in das verhaßte deutsche Geburtsland vorzudringen. Gute Nacht, würdiger Herr!«

Der Prälat sah betroffen, beschämt und staunend dem Neffen nach, der – wie er endlich zu begreifen begann, – unter dem Schimmer jugendlichen Leichtsinns einen stechenden Ernst barg, welcher einem verweichlichten Gemüthe um so empfindlicher wehe that. Fiorilla leuchtete dem Scheidenden bis zu des Hauses Pforte. Daselbst ergriff sie seine Hand, sah ihn mit weinenden Augen an, und sagte: »Ihr habt heute durch Eure feste Redlichkeit vermocht, daß ich vor mir selbst erröthete. Könnt Ihr mir vergeben, [348] wozu ich Euch verleiten wollte?« – »Von ganzem Herzen!« erwiederte Dagobert, denn Ihr wart weit entfernt, mich zu beleidigen. Euch reißt die Leidenschaft dahin, und zwingt Euch zum Tribut. Ich aber bin einer ihrer schlimmsten Zahler, und mein Trachten geht darauf aus, die ungestüme Mahnerin ganz aus meinem Hause zu werfen. Schätzt Euch darum nicht geringer, mich nicht höher als von nöthen. Ihr seyd noch lange nicht der lodernde Brand, den Euch die wilde Empfindung vorspiegelt, ich noch lange keine Eisscholle. Esther ist aber viel zu gut, und zu edel, als daß ich ihr für kurze Wonne eine ewige Reue verkaufen möchte. Gute Nacht!

15. Kapitel
Fünfzehntes Kapitel.

Hei! wie freut mich der Herrenstand,

Auf hohem Roß, das Schwert zur Hand!

Gewappnet vor dem Liebchen stehn,

Und neben Fürst' und Grafen gehn!

Du grobes Bürgerpack, vorbei!

Nur für den Adel ist Turnei!

Das Spiel vom hoffärtigen Junker.


Wohl noch nie hat eine Stadt, so weit in deutschen Landen der Lauf des Rhein- und Donaustroms nicht, einen lustigern und gastlichern Anblick gewährt, als Costnitz ihn am zwanzigsten Tage des Monats März darstellte. Geraume Zeit vorher hatte man gewußt, Herzog Friedrich von Österreich-Tyrol [349] werde, das Frühlingsfest zu verherrlichen, ein Kampf- und Ritterspiel geben, wie es selten noch irgendwo geschaut worden. Die Zubereitungen, die jedoch in den letzten Tagen getroffen worden waren, übertrafen durch ihre Pracht Alles, was die gespannte Neugier erwarten durfte. Und am Morgen des anberaumten Feiertags stand das Werk vollendet da, ein wundersames Schauspiel für Costnitzs Bewohner, und weit herbeigeströmte Gäste. Den weiten Rennplatz umgaben zierliche Schranken, getaucht in die weiße und rothe Farbe. In blinkenden Angeln drehten sich die Pforten, durch welche die Kreiswärtel gingen; mit blanken Schildern, Ketten und Hacken waren die Schlagbäume geziert, durch welche die Kämpfer einreiten sollten. Rings um den mit Sand und Kies geebneten Platz flatterten in geringen Zwischenräumen die Banner von Österreich-Tyrol, dem Argäu, dem Thurgäu und andern, Friedrichs Herrschaft unterworfnen Städten und Landen. Hoch aber über diesen Bildern und Fahnen der Macht erhoben sich im Halbkreis die leicht und geschmackvoll gebauten Emporbühnen und Schaugerüste, von welchen der Kaiser mit feines Reichs Fürsten, die Väter des Conciliums, und die Blumen der Gesellschaft und Volksversammlung, die reizenden Frauen, den Spielen zusehen sollten. Des Kaisers Tribune, von goldnem Stück gleich wie ein Feldherrnzelt erbaut, überragte mit ihrem Silberdach, umwallt von wehende Reiherbüschen und Federsträußen, alle Nachbarbühnen, von deren Geländer prachtvolle Sammetdecken mit Wappen, Sinnsprüchen und Thierbildern übersät, [350] zu den Schranken hinabhingen. Die nieder gelegenen Sitze der Kampfrichter und Bankspender, die Trompetergänglein in jeder Ecke des Platzes, die kleinen Hütten der Kreiswärtel und Stechknechte sogar, schlossen sich würdig durch ihr glänzend einfaches Äußre an die Plätze der vornehmern Leute. Jeder Eingang zu dem Platze, jede Treppe zu den Bühnen wurde von Trabanten des Herzogs bewacht, theils zu Fuß, auf ihren Partisanen lehnend, theils zu Roß, im Silberküraß, den Morgenstern an die Faust geknüpft. Die Turniervögte faßen bereits mit ihren Stäben hinter den vor ihren Schirmdächern aufgepflanzten Hellebarden. Die Rennknechte in ihren glatt anliegenden Lederkleidern und Kappen, das Strickmesser am Gürtel hängend, hatten schon die Seile gespannt, und sich dabei gelagert. Am Fuße der, zu den Stühlen der Kampfrichter führenden Stufen hielt in glänzender Rüstung und buntem Wappenscapulier, der Turnierherold, umgeben von seinen Dienern, die rings an den Brüstungen-Schrauben die Schilde der turnierlustigen Herren aufzuhängen beschäftigt waren, so wie diese nach und nach herbeigebracht wurden. Die Fechtpreiße, in silbernen und goldnen Kleinodien, kostbarem Stechgezeug, auserlesenen Waffen und Tigerfellen bestehend, waren in einem eigens dazu bestimmten Raume prahlend ausgestellt. Auch die Spielleute waren schon an ihren angewiesenen Stellen, und so oft ein neues Wappenschild feierlich herzugetragen wurde, um geprüft und neben den übrigen aufgehängt zu werden, ertönte, von Pauken, Trompeten und Zinken geweckt, [351] ein fröhlicher Turnierruf. Zu all dieser Pracht, die ein noch herrlicheres Schauspiel verhieß, hatte der Himmel den klarsten Tag geschenkt, der sich nur je im Bodensee gespiegelt. Die Sonne, warm und lieblich strahlend, streute ihr Gold freigebig auf Land und Fluth, und blau hatte sich Himmel, See und Gebirgsferne geschmückt. Lustig und leicht tanzten die schwankenden Kähne, angefüllt von schaulustigen Leuten, vom jenseitigen Ufer herüber, die Straßen rings um die Stadt waren bedeckt mit herzueilenden Rossen und Fußgängern, und vom frühen Morgen an lebten die Gassen der Stadt. Während jedoch Tausende von Gaffern die Schranken des Rennplatzes summend und durcheinander wimmelnd umgaben, und in den gedrängt vollen Schenkhäusern häufig die Gesundheit des prachtliebenden Herzogs ausgebracht wurde, war Er – der Geber all dieser Festlichkeit und Freude – daheim, mißmuthig in sein innerstes Gemach zurückgezogen, wo er bald unruhig auf- und niederging, bald eine Last von Schriften der Flamme seines Kamins opferte, bald mit heimlichem Lachen ein Schnippchen in die freie Luft schlug, mit dem Finger vor sich hindrohte, und sein Tyroler Liedlein jodelte, mit dem klirrenden Sporn den Takt dazu tretend. Er konnte auch wohl unmöglich zu einer ebenen Stimmung gelangen, denn der Geschäfte hatte er nebenbei viele. Jetzt war es der Stallmeister, der seine Befehle einholte, dann der Haushofmeister, welcher wegen der zu reichenden Erfrischungen, und der dem Volke zugedachten Spenden sich Raths erholen mochte, hierauf der Turniermarschall, der neuen [352] Geldvorraths bedurfte, und zu diesem Endzwecke eine Weisung des Herzogs an den Schatzmeister verlangte; zuletzt war es der Seckelmeister selbst, der sich neuen Zufluß aus dein Beutel Seiner fürstlichen Gnaden erbat. Alle diese dringenden Mahner und Bittsteller befriedigte der Fürst auch mit gemessenen Befehlen und freigebig ausstreuender Hand. War ein solcher Besuch jedoch abgefertigt, so ging wieder dasselbe unruhige Getreibe und Gewerbe los, das den Herzog heute nicht verließ. So eben hatte er einen geistlichen Herrn im violetten, roth verbrämten Habit zur Thüre begleitet, und ihm die Worte nachgerufen: »Sagt Euerm Gebieter, er möchte die Vesperglocke eben so wenig vergessen, als ich mein Wort je vergaß. Mit einem Worte: sagt ihm, ich sey ein Habsburger, und damit genug!« Der Geistliche ging, und der Herzog begann wieder seine Gebirgsweise zu singen, als ein neuer Gast von dem wachhabendem Edeljunker in das Gemach gelassen wurde. »Sieh da! Dagobert!« rief Friedrich, angenehm überrascht: »Du lässest Dich lange erwarten, ehrliche Seele! – Aber, Jesus Christus! steckt Ihr wieder in der verwünschten schwarzen Kutte? So kann ich Euch heute nicht brauchen.« – »Der Erzbischof hat mir heute durch meinen Ohm andeuten lassen, ich solle mich nimmer unterstehen, in weltlicher Kleidung mich sehen zu lassen, und überhaupt mich fertig zu machen, nach Verlauf von Zehn Tagen nach Cesena in's Kloster zu wandern;« erwiederte Dagobert achselzuckend. – »So?« fuhr Friedrich fort: »Die Herren eilen, aus dem freudigen [353] Waldfinken eine schmutzige Eule zu formen. Und Eure Fahrt gen Frankfurt?« – »Ich will sie morgen antreten, befiehlt man mir;« antwortete Dagobert: »binnen neun Tagen muß ich jedoch zurück und nach Wälschland reisefertig seyn.« – »Hm!« brummte der Herzog lächelnd: »Nicht übel berechnet. Ich sage Euch jedoch, Ihr geht morgen eben so wenig schon nach Frankfurt, als überhaupt in's Bartholomäistift. Ich habe Euch heute vonnöthen, und ein wackrer Altbürgerssohn zieht hoffentlich sein Wort nicht zurück.« – »Wahrlich nein!« entgegnete Dagobert lebhaft: »Ich scheere mich den Teufel um alle Erzbischöfe, wenn Ihr mich eines Auftrags würdig haltet, gnädigster Herr.« – »Das dachte ich mir!« versetzte Friedrich mit wohlwollender Geberde: »Heute soll's aber nicht heißen: das Brevier gebetet; sondern: die Stiefel geschmiert, die Sporen gewetzt, in die Handschuhe gefahren, den Degen umgeschnallt!« – »In Gottesnamen!« stimmte Dagobert heiter ein: »Das ist meine Lust. Sagt an, gnädiger Herzog! was soll ich für Euch thun?« – »Das ist bald gesagt, mein Geselle;« begann Friedrich mit gedämpfter Stimme, und winkte dem Aufmerksamen von der Thüre weg; mehr in seine Nähe: »mir liegt daran, einen Mann, an den mich mancherlei Verbindlichkeiten fesseln, unversehrt aus einer dringenden Gefahr zu bringen, die, verwirklichte sie sich, mir sogar Unehre zufügen würde. Euch ist gleichgültig, ob dieser Mann schuldig oder unschuldig in Gefahr gerathen, denn ich hoffe, Ihr nehmt für ihn meine Bürgschaft an.« – »Auf Euer Geheiß rette [354] ich einen Vatermörder vom Scheiterhaufen;« betheuerte Dagobert; »wie aber ist es zu vollbringen?« – »Hört mir zu;« antwortete der Herzog: »Ich bedaure, daß Ihr kein Zeuge des heutigen Ritterspiels seyn könnt, vielweniger ein Theilnehmer daran. Demungeachtet verheiße ich Euch einen Preiß, kostbarer und ehrenwerther vielleicht, als jeder von denen, die im Rennen gewonnen werden sollen; meine Freundschaft, wenn Ihr kühn und gescheit vollbringt, warum ich Euch bitte. Sobald also die Vesperglocke läutet, und alles Volk, dem Turnierplatz zugeströmt, und Aug und Ohr für die daselbst zu schauenden Herrlichkeiten hat, eilt Ihr – meinetwegen in das Rabenkleid gehüllt, das Ihr auf dem Leibe tragt, aber darunter mit Waffen und Rüstzeug versehen, zu Roß in meinen Hof. Die Wächter werden Euch nur gegen das Losungswort: Öesterreich über Alles! einlassen. Unter dem Schuppendache rechter Hand werdet Ihr zwei Männer finden. Der Eine, auf einem Maulthiere reitend, ist ein Bekannter von Euch; der Andre hingegen, auf einem grauen Pferde sitzend, ist derjenige, den es heimlich fortzubringen gilt. Am Thore gen Schafhausen, zu welchem Ihr Euch mit den Anbefohlnen zu begeben habt, alle stark, belebten Straßen vermeidend, und Euern Trab fördernd, mögt Ihr Euch von einem Knechte erwarten lassen, der, wo möglich, ein Fremder seyn mag, und nicht meine Farben tragen darf. Sobald Ihr jedoch langsam und unbefangen des Thores Bogen durchschritten, gebt Ihr dem Pferde Sporn und Peitsche zu kosten, und sorgt, daß Eure Schutzbefohlnen nicht hinter Euch [355] bleiben. Ich thue Euch im Voraus kund, daß Ihr mit zwei schlechten Reitern zu schaffen habt; darum wird es gut seyn, wenn Ihr des Graurosses Zügel ergreift, und der Knecht des Maulthiers sich annimmt; denn so schnell als die Pferde laufen und die Reiter es ausdauern, müßt Ihr Schafhausen erreichen, woselbst Euch das Weitere berichtet, und die Erlaubniß zur Rückkehr ertheilt werden wird. Ihr seht, die Sache ist nicht verwickelt. Den Mann binde ich Euch indessen auf die Seele. Sollten Hindernisse sich auf dem Wege finden – treibt sie ab mit Gewalt oder List; nur bringt unsern Mann sicher und wohlbehalten an Ort und Stelle. Nun wißt Ihr Bescheid, und mögt ohne falsche Scham diesen Beutel annehmen, der kein Lohn seyn soll. Aber Gold ebnet Berge, schlägt Brücken, und hat schon oft aus drohender Feindeswuth errettet.«

Sich verneigend nahm Dagobert das Dargebotne, und sprach: »So sey es denn, gnädigster Herr. Ich hab Euch's zugesagt, und eher will ich sterben, als, den Ihr meinem Schirm vertraut, in Gefahr umkommen lassen.« – »Wohl gesprochen!« antwortete Friedrich: »Der Himmel füge es indessen zum Guten. Ich erwartete indessen keinen andern Bescheid von dem jungen Wagehals, der den Böhmen zu befreien dachte.« – Dagobert stutzte. Der Herzog lächelte aber, drohte ihm mit dem Finger, und sagte: »Laßt's gut seyn, mein Geselle. Das Pfaffenvolk mochtet Ihr hintergehen; ich hätte aber bei meinem Herzogshute geschworen auf Eure Mitwissenschaft. Gott gebe Euch heut ein besser Glück.«

[356] Indem platzte die Schnur, die des Herzogs Hermelinmantel zusammenhielt, und das kostbare Kleidungsstück sank zur Erde. »Ein böses Omen!« scherzte Friedrich, sich nach dem Entfallnen umsehend. »Ein andrer als ich, würde üble Vorbedeutungen aus diesem Zufall ziehen. Nicht wahr, Dagobert? Kommt, helft mir die Prunkdecke wieder auflegen, wackrer Gesell. Eure Hände sind ja dem Altare verlobt; vielleicht bannt ihre Auflegung das prophezeite Mißgeschick.« – Während Dagobert nun sorgfältig die Schnur wieder in einen künstlichen Knoten schlang, und unter einer Spange den Schaden verbarg, betrachtete sich der Herzog kopfschüttelnd und spöttischen Angesichts. »Wahrhaftig!« begann er: »je mehr ich mich beschaue und beäugle, je mehr möchte ich mich einem edlen Thiere vergleichen, das man mit Tand und glänzendem Zeug schmückt, damit es vor dem Gebieter seine eingepeitschten Fertigkeiten und Künste zur Schau lege. Jesus Christus! und vor welchem Gebieter! Vor einem Lützelburger, der nicht besser ist, als seine ehrbedürftigen Vorfahren! Doch nur Geduld! Das Scharwenzeln und Höfeln und Bücken wird bald ein Ende haben, sammt der freigebigen Gastlichkeit, die mir, einem Sigmund gegenüber, Ernst ist, wie meinem Waldmann das Aufrechtgehen. – So, mein guter Dagobert, seyd bedankt. Das war wohl der erste Fürstenmantel, den Eure Hand berührte und meisterte? Die kaiserliche Majestät möchte sich auch mit diesem Handwerk abgeben, aber, so geduldig auch der Mantel seyn mag – der Fürst steckt nicht im Pelz.« – »Wahrlich! Ihr [357] bedürft des äußern Prunks nicht;« versicherte Dagobert. – »Ich weiß das;« entgegnete Friedrich mit Selbstgefühl: »und in meinem Bauernlande, wie es Sigmund nennt, trage ich auch nicht mein Herzogthum am Leibe, wie Er die Fetzen des römischen Reichs. Ha! Ihr solltet nach Tyrol gerathen! Jesus Christus! das Herz im Leibe würde Euch lachen. Ist zwar nur ein Bauernrock, mein Tyrol, aber ein feiner, warmer Rock, der vor Unwetter schützt, und den Flitterprunk entbehrlich macht, den ich hier wie ein Gaukler für geringes Schildgeld zur Schau tragen muß. Das weiß kaiserliche Majestät; darum haßt sie mich auch, aber, bei des ersten Habsburgers Gebeinen! so wenig Sigmund meines Insprucks vergißt, so wenig vergesse ich, was ich meinen Ahnen, und mir selbst schuldig bin. – Gehabt Euch wohl, biedrer Altbürger. Das Schicksal kann mir vielleicht in Kurzem die Zähne fletschen, aber immer werde ich doch noch eine Hand und ein Herz für die behalten, die ich liebe. Sigmund war am mächtigsten und größten, als er im Concilium des Papstes Füße küßte, und ihm im Namen der Christenheit für die – gezwungene – Entsagung dankte; – ich werde ihm wahrlich nicht nachstehen, sollte ich auch unverdient unterliegen! –«

Des Herzogs Worte waren bedenkliche Räthsel für den jungen Mann, allein, gewöhnt, in ihm den trefflichen Mann zu verehren, grübelte Dagobert nicht lange nach dem dunkeln Sinn, sondern ging, um sich zu seiner Aufgabe vorzubereiten. Auf der Straße kam ihm Gerhard entgegen, in vollständigem Fechterzeug,[358] von vielem Volke umgeben, um sein Wappenschild dem Turnierkönige zu überbringen. Freundlich hielt er bei seinem jungen Freunde, allein dieser merkte bald, daß sogar die Freude über die bevorstehende Kampfeslust nur schlecht einen heimlichen Ärger verbarg, der sich nicht von dem Gesichte des Hülshofners verdrängen ließ. Dagobert fragte nach der Ursache, und Gerhard, der vom Pferde stieg, und seine Schildträger allein ziehen ließ, zögerte nicht, sie ihm zu entdecken. »Stellt Euch vor;« sprach er: »der Schuft, mein langer Vollbrecht hat mir den Dienst aufgesagt. Denkt Euch, der Bursche, der mich seit zehn Jahren begleitet, wie der Schatten den Körper, hat mir Valet gesagt. Er behauptet, – der unverschämte Knecht ... er werde mit jedem Tage magrer in meinem Brode. Abscheuliche Verläumdung! Da habe ich ihn denn ziehen lassen in Gottes Namen, ärgre mich aber dergestalt, daß mich eine Katze in den Sand strecken würde, falls ich jetzo mit ihr turnieren sollte.«

»Nimm mein Bedauern, alter Kämpe;« erwiederte Dagobert: »ich denke aber, wenn's zum Treffen kommt, läßt Dein Knecht so wenig von Dir, als Du von ihm zu lassen gedenkst. Es müssen nur erst einige Tage über dem Zwist vergangen seyn. Laß mir den Burschen heute. Ich habe einen Ritt zu thun, der mich bis Übermorgen aussen halten dürfte. Vollbrecht soll wohl genährt werden, während dieser Frist, und ich verspreche Dir im Voraus, daß er wieder bei Dir eintritt, wenn Du die Zusage leisten willst, ihn nicht mehr gar so schmählich [359] hungern zu lassen, als bisher.« – »Von Herzen gern!« versicherte der Edelknecht: »allein, – wie sagtet Ihr? Ihr habt einen Ritt vor? heut an diesem Ehren- und Freudentage sämmtlicher Ritterschaft? Wie ist das zu verstehen?« – »Das heißt so viel als: Dich kümmert's nicht;« entgegnete Dagobert. »Wo finde ich den Langen?« – »Im Maulbeerbaume sitzt er;« maulte Gerhard: »Ihr seyd aber ein Geheimnißkrämer, mit dem nicht auszukommen ist. Schon gut indessen. Ich hole mir Ruhm und Preiße, während Ihr – ich schwör es – auf irgend ein verliebtes Abenteuer zu Dorfe reitet, und am Ende mit zerbläutem Rücken heimkehrt.«

Sie trennten sich, und Dagobert ging nach dem bezeichneten Hause. Wer indessen Füße hatte zu laufen, und Ellenbogen, sich in dem Gedränge Platz zu machen, stürmte dem Turnierplatze zu. Die Mittagsstunde kam und ging. Die Sonne schien heiß auf die Scheitel der gaffenden Menge, aber unbeweglich wie eine Mauer hielt das Volk den Platz besetzt. Die Fenster und Erker und Söller der umliegenden Häuser füllten sich mit Neugierigen, die Giebelzacken und Dachrücken trugen unzählige von kecken, schwindelfreien Gesellen, die, gleichsam in freier Luft schwebend, sich etwas darauf einbildeten, höher zu sitzen als der Kaiser selbst. Nach und nach wurde allenthalben der Raum enger, denn die zum Kampf gemeldeten und schildfähigen Ritter und Edle kamen langsam zu Rosse angerückt, umgeben von reisigen Wappnern mit Fähnleinträgern und Trompetenbläsern. In doppelter und dreifacher Reihe schaarten sie [360] sich um die noch verschlossenen Schranken der Stechbahn. Zugweise kamen nun auch die anmuthig und köstlich geschmückten Frauen herbei, und bildeten den schönsten Kranz auf den überfüllten Emporbühnen. Die vornehmen Würdenträger der Kirche, die, adelicher Geburt und selbst unter Inful und Cardinalshut weltlicher Ritterlust nicht entsagend, den Abscheu nicht theilten, mit welchem die Geistlichkeit niedren Ranges die Kampfspiele betrachtete, nahmen die für sie bestimmten Bänke ein, und musterten lächelnd, in fremder wie einheimischer Zunge scherzend, das schöne, überzählig anwesende Geschlecht. Noch war die Bahn leer, noch lagen die Fallbäume und Gitter im Schloß; da eilten geschäftig die Kampfrichter herbei, begaben sich durch das engste Pförtlein in den Rennkreis, bestiegen ihre Stühle, und winkten den Turniervögten zur Ordnung, den Spielleuten zur Pflicht. Von den Söllern der Letztern ertönte ein vollstimmiger andauernder Jubel, und festlich prangende Klänge. Denn der Kaiser langte so eben, von dem leuchtenden Geschwader prächtig gerüsteter Fürsten und Herren umringt, auf dem Platze an. Sein lenksamer Schimmel, bunt verziert mit Straußen- etc. Federn und Goldbändern tanzte stolz daher, indessen neben ihm der schwarze Hengst des Herzogs von Österreich-Tyrol seinen schweren gewichtigen Schritt hielt. Der Herr der Pfalz und Baierns Fürst ritten dicht hinter Friedrich, welcher, den Wirthspflichten getreu, schnell an der Treppe, die zu des Kaisers Stuhl führte, absprang, mit der linken Hand eine Geberde machte, als berühre er den Steigbügel, und [361] mit der Rechten dem absteigenden Sigmund die äussersten Fingerspitzen zur Hülfe darreichte, die aber auch von dem König nicht angenommen wurden. Hierauf begnügte sich Friedrich mit der Hand nach der Treppe zu weisen, und dem dahingehenden Sigmund noch einmal seinen Arm als Stütze anzubieten, der aber ebenfalls versagt wurde. Ein lautes Lebehoch und Trompetengeschmetter empfieng die Fürsten, da sie in dem goldnen Zelte angelangt waren, und Sigmund ließ sich huldvoll nickend, am Rande der Brüstung auf den Brokatsessel nieder. Die Fürsten im Kreise um ihn her, Friedrich zu seiner Linken. Alle noch freien Plätze waren in einem Nu von den Rittern und Edelknechten, Hofjunkern und Dienstmannen der Gewaltigen eingenommen, und auf ein mit einem weißen Tuche vom Herzog Friedrich gegebnes Zeichen, sprangen Schlagbäume und Pforten auf, und unter dem Getöne aller Instrumente ritten die bezeichneten Kämpfer in geschlossenen Gliedern ein, auf den Platz, und zogen innerhalb den Schranken rund um denselben, die Paniere schwingend, die Lanzen neigend, und ihre Rosse in stolzem Schritte haltend. Hierauf wurden sie in Rotten abgetheilt, nach eigner Willkür und der Anordnung der Kampfältesten. Die Reihenfolge der Renn- und Fußkämpfe wurde bestimmt; des Königs Friede und Bann nach allen vier Winden von dem Herolde und seinen Helfern ausgerufen, und die Seile wieder straff gezogen vor den gewappneten Haufen, die mit einem Gesammtstechen das Turnier eröffnen sollten. Die Spielleute trommeteten und paukten; die Grieswärtel schlugen an [362] die Lanzen, die Stricke fielen, und losbrach der Kampf, nach dem sich Ritter und Knecht, Edle und Geringe mit gleicher Lust gesehnt hatten.

Während nun die Vesperglocke vergebens ihre hellen Klänge in die Luft sandte, um die Zuschauer von dem Turniere weg zur Kirche zu locken, das Rittergefecht ein glänzendes Ende nahm, und nun zum Rennen eingeritten wurde, pochte Dagobert an die wohlverschlossene Pforte des herzoglichen Hofs. »Öesterreich über Alles!« gab er dem fragenden Wächter zur Antwort, und erhielt Einlaß. Der mürrische Thorwart deutete, da er seiner ansichtig wurde, auf das vorspringende Vordach der Stallung, und Dagobert gewahrte daselbst schon der auf ihn harrenden Begleiter. Der Herzog hatte dieselben ganz genau geschildert, und mit leichter Mühe erkannte der Jüngling in dem Einen den Juden Ben David, seiner Esther Vater, der, auf einem Maulthiere hängend, still vor sich hinsah, und wie es schien, ein Gebet murmelte. War aber schon der Jude wunderlich anzusehen auf dem langohrigen Thiere, so war es doppelt sein Nachbar, der, mehrere Schritte von ihm entfernt, des grauen Rosses Zügel um den Arm geschlungen hielt, und ängstlich bald auf das Pferd, bald auf den vermuthlich nicht angenehmen Nachbar schielte, bald endlich die Augen gen Himmel drehte, und ebenfalls das Äußere eines Beters annahm. Der lange hagre Mann steckte in einem geringen Gewande, wie es ein unbemittelter Edelmann allenfalls seinen leibeignen Knechten zu geben pflegt. Ein halb geübtes Auge mußte zugleich wahrnehmen, daß er nicht [363] einheimisch in diesem Kleide war. Die Last der Reitstiefel zog die Knie hernieder; der Koller von Büffelleder hielt Backen und Kinn in unbequemer Steifheit; die Handschuhe waren zu weit, wie der Gürtel, an dem, zurückgeschoben wie ein unnütz und ungewohnt Geräth, ein kurzes Schwert hing. Dasjenige aber, was das größte Widerspiel zu dem reisigen Gewande bildete, war des Mannes Gesicht, das aus dem fingerbreiten Halsstreif dunkelbraun heraussah, wie der Kopf eines Mauren. Die großen Augen, deren Weißes grell gegen die Olivenfarbe abstach, wechselten ungemein schnell mit ihrem Ausdrucke. Jetzt lauerten sie furchtsam nach der Seite, dann wurden sie ernst und düster nachsinnend; darauf nahmen sie sogar eine Art von Hoheit an, die mit dem Übrigen nicht zusammen zu reimen war. Die Augenbraunen waren dick und schwarz, keine Spur von Backen- oder Kinnbart war vorhanden; die Haare versteckte eine schwarze Mütze, die beinahe über die Ohren herabgezogen war, und auf dieser Mütze saß eine graue Filzkappe, an welcher ein dürftiges Federbüschlein schwankte. Dagobert konnte sich eines leichten Schmunzelns nicht völlig erwehren, da er seine auserlesene Reisegesellschaft in Augenschein nahm, und erwiederte obenhin den unterwürfigen Gruß Ben Davids. – »Nun, mein Freund,« wendete er sich zu dem Fremden: »sind wir bereit, abzureiten? Ich dächte, es wäre Zeit.« – »Es ist doch wahrlich Zeit;« fiel der Jude mit einem besorglichen Seitenblick auf den Verkappten ein: »laßt uns eilen, gestrenger junger Herr, dieweil die Straßen noch [364] sind leer.« – Der Fremde warf einen verdrießlichen Blick auf den Plaudrer, nickte dem jungen Geleitsmann zu, und machte Miene zu Roß zu steigen. »Ei, ei, lieber Herr, wie geberdet Ihr Euch doch?« fragte Dagobert halb mitleidig, halb unwillig, da aller Hülfe ungeachtet das Aufsteigen nicht gelingen wollte: »Der mag's bei Gott verantworten, der Euch zum reisigen Manne stempelte. Ein Glück, daß des Herzogs Leute alle ferne sind, und der Thorwart seine Augen auf seinen brummigen Lieblingskater gerichtet hat, Ihr würdet ansonst wohl schwerlich dem Spottgelächter entgehen.« – »Parva sustine patientia, mi fili!« gab ihm hierauf der Mann zur Antwort, und kletterte vollends, so zu sagen, über die Schultern Dagobert's in den Sattel des Grauschimmels, auf welchem er sich mit aufgezognen Beinen und in die Mähnen des Pferds verwickelter Rechten nichts weniger als reiterlich ausnahm. – Dagobert staunte den Lateiner eine Weile an, und schwang sich dann wieder auf den eignen Gaul, das Zeichen zum Ausritt gebend. Der Thorwart öffnete die Sperrflügel, und das Dreiblatt klepperte, ohne ein Wort zu verlieren, durch die engsten und winkeligsten Gassen der Stadt – in welchen das Sonnenlicht so selten war, als ein Menschengesicht – dem Schafhauser Thore zu. Hatte Dagobert schon beim Aufsteigen seines Schutzbefohlnen Sorge und Angst gehabt, so wurde sie noch größer, da er wahrnahm, wie der Fremde so gut als gar nichts vom Reiten verstand, beim geringsten Trab oder Stolpertritt des Gauls hoch im Sattel aufflog, wieder niederhutschte, zusammengekrümmt [365] wie ein tauchender Nir, und den Zügel schier fahren lassend, sein einzig Hort in dem krampfhaft umklammerten Sattelknopf suchte. Der Maulthierreiter, so vertrackt er auch sich ausnahm, war ein Turnier- und Kunstreiter gegen den Unbekannten, den Dagobert endlich vor sich hertraben ließ, um bei einem vorkommenden Unfall bei der Hand zu seyn. – »Sage mir doch, Ben David,« flüsterte er dem Juden zu: »da ihr Juden doch alles besser wißt, als unsereins, wolltest Du mir nicht vertrauen, wer unser Begleiter ist?« – »Ein schlechter Knecht, der nicht kennt seinen Hauptmann;« erwiederte Ben David lächelnd: »ich spreche nicht hier von mir, sondern von Euch, gestrenger Junker. Ihr seyd getreten oder wollet treten in den Stamm der Cohenim, und kennt nicht dessen Obersten? Ihr wollet weiden die Schafe, und kennt nicht den Hirten, der Euch weidet?« – »Ich will ein Schaf seyn, wenn ich Dich verstehe;« versetzte Dagobert wie oben: »Jude, Du bist verrückt.« – »Mit nichten;« antwortete Ben David; »aber werden könnte man's, so man bedenkt, daß das Oberhaupt der Christenheit gezwungen ist, davon zu reiten seinen Feinden, vermummt als ein Knecht, und im Geleite eines schlechten Juden.« – »Herrgott!« seufzte Dagobert erschrocken: »sagst Du die Wahrheit?« – »So ich die Wahrheit gesehen habe, habe ich sie gesagt;« entgegnete Ben David: »vertraut hat man mir sie nicht, aber ich habe einen scharfen Blick und will verkrummen, wenn ich plaudre, was ich gesehen.« – »Das rathet Dir auch der Himmel!« drohte ihm [366] Dagobert, und ergriff schnell herbeieilend den Zügel des Graurosses, das so eben von dem erreichten Thore ab, in eine Seitenstraße lenken wollte. »Hier hinaus, Landsmann!« rief er, und wollte zwischen den müßig an dem Stadtthore umherlungernden Soldknechten hindurch, als eine Stimme unfern von ihnen ein lautes: »Haltet auf! haltet auf!« vernehmen ließ, und die Wächter auf diesen Ruf den Gäulen ihre Partisanen vorhielten. Dagobert hatte genug zu thun, den erblassenden und im Sattel schwankenden Flüchtling, auf eine gute, nicht allzubemerkbare Weise aufrecht zu erhalten, und mußte darum schon die Verfolger ungehindert herankommen lassen. Am unbefangensten, weil er seiner Gesichtszüge am meisten Herr zu seyn wußte, drehte sich Ben David nach den beiden Männern um, die Haltauf gerufen hatten, und in welchen nicht der Stadtschreiber von Frankfurt, noch viel weniger der Rathsweibel von Costnitz, in die Farben der Stadt gekleidet, zu verkennen waren. Es geschieht indessen wohl öfter, daß der launische Geist, der sogern die Handlungen der Sterblichen stört, an dem Schuldbewußten Unheilahnenden vorübergeht, und nach dem Sorglosen Unvorbereiteten greift, um ihn in das zermalmende Räderwerk seines schwarzen Spucks zu ziehen. Also erging es auch in vorliegenden Umständen dem Vater der holden Esther. »Was wollen die gestrengen Herren?« fragte er mit jener einschmeichelnden Freundlichkeit, die seine Nation so willfährig annimmt, um den Zorn des Gegners vor dem Ausbruche zu entwaffnen; aber unfreundlich lautete die Antwort aus [367] des Stadtschreibers Munde: »Dich selbst, Jude!« – Ben David verstummte erbleichend. »Wie so? warum?« rief Dagobert dazwischen. – »Das kümmert Euch nicht, junger Herr!« erwiederte der Stadtschreiber: »Der Jude gehört dem wohlweisen Rathe zu Frankfurt, und ihn zu verhaften, brachte ich die Weisung mit. Heute erst fand ich des Burschen Schliche, und grämte mich baß, ihn ausgeflogen zu wissen, als ich zum Glück seiner jetzt noch zu guter Zeit ansichtig wurde. Euch bringt es aber wenig Ehre, Junker, mit solchen Gelichter in die Welt zu reiten.« – »Hab' ich denn verstanden recht?« fragte Ben David kleinlaut: »Verhaften wollt ihr mich?« – »Ich scherze nie;« versicherte Meister Heinrich: »Steig ab, und folge diesem Manne in den Thurm.« – »Hab' ich doch nichts verbrochen!« seufzte der Jude: »Laßt mich ledig, übt Barmherzigkeit!« – »Steig ab,« wiederholte der Stadtschreiber strenger, »oder ich lasse Dich von der Mähre werfen, und geknebelt von dannen bringen.« – »O mein Herr Gott in Israel!« ächzte Ben David, in höchster Bestürzung vom Maulthier gleitend: »Werde ich geführt zu meiner Tochter?« – »Nein!« äußerte der Stadtschreiber mit Härte: »Wirst sie wohl nimmer zu sehen bekommen; denn morgen mit dem Frühsten geht's mit Dir nach Frankfurt; und dann gute Nacht!« –

Ben David entsetzte sich, daß seine Kniee wankten. Der Reiter des Grauschimmels, der indessen ein Gegenstand der Witzeleien der Thorwächter geworden war, zupfte Dagobert dringend am Ärmel. [368] Dieser kehrte sich aber nicht daran, sondern fragte herrisch, da ihm Esthers Vater nicht so gleichgültig war, als der Jude: »Noch einmal! was hat der Mann verbrochen?« – »Reitet Ihr Eurer Wege sammt Eurem wunderlichen Dienstmann!« antwortete der Stadtschreiber nicht minder herrisch: »Was kümmert den Pfaffen der Ebräer? Fort mit dem Juden!«


»Werd' ich auch nicht dürfen Abschied nehmen von dem guten jungen Herrn, der sich meiner annimmt, wie ein Freund?« sprach Ben David unterthänig zu dem rauhen Gerichtsherrn. – »Meinthalben, wenn sich der Junker nicht schämt, von Dir Freund geschmäht zu werden;« meinte der Stadtschreiber: »Mach's indessen kurz.«


Da näherte sich Ben David rasch dem jungen Manne, ergriff seine Hand, schüttelte sie bewegt, und rief: »Der Herr Israels, der da ist der hochgelobte Gott der Welt, segne Euern Ausgang, und streue Palmen auf Euern Heimweg!« – »Bei dem Haupte Eures Vaters beschwöre ich Euch,« setzte er leise hinzu: »das Pergament, so ich hier in Euern Stiefel gleiten lasse, meinem Kinde zu übergeben – entweder das Geschrift, oder das darin benamste Geld, das ich erheben sollte zu Schafhausen. Der Fürst der Barmherzigkeit wird Euch dafür segnen in der Stunde des Scheidens. Sagt meiner Esther, sie möge .....« – »Verdammter Mauschel!« donnerte der Stadtschreiber, und riß den Juden von Dagobert hinweg: »Was hast Du Heimliches von? Macht [369] Junker, daß Ihr Eurer Wege zieht, sonst muß ich mich auch Eurer Person versichern!« – »Festina, carissime fili!« raunte dem jungen Manne sein Schutzbefohlner zu, und mit einem zusagenden Kopfnicken gegen den ängstlich in seinen Augen lesenden Ben David, mit einem verächtlichen Achselzucken gegen den Meister Heinrich und seinen Schergen – zugleich aber mit einem kräftigen: »In Gottesnamen! ließ Dagobert seinen Gaul über die Spieße der Söldner wegsetzen, riß seinen Begleiter nach sich, und befand sich sammt ihm bald an der Linde des Kreuzwegs, wo der lange Vollbrecht sich in der Sonne dehnte.« – »Holla! auf! du fauler Gesell!« rief er dem Knechte zu: »Zu Gaule! und Ihr, mein würdiger, unbekannter Herr, fügte er gegen den Verkappten bei, – Ihr erlaubt es wohl, daß wir Beide Euer Pferd in die Mitte nehmen, und mit Euch ausziehen, was das Zeug halten mag, denn nun kommt mir's selbst vor, als ob es gerathen wäre, Euch möglichst schnell von dannen zu schaffen« – Der Befragte, für welchen schon der kurze Ritt durch die Stadt eine Höllenqual gewesen war, gab wehmüthig seufzend, und der Nothwendigkeit gehorchend, seine Zustimmung zu des jungen Mannes Vorschlag, und Himmel und Erde vergingen vor seinen Blicken, als Dagobert und Vollbrecht ihren Gaulen die Sporen gaben und mit dem Dritten Reißaus nahmen, als gelte es, vor Abend noch der Welt Ende zu erreichen.

Ohne Gefahr verlief ferner die Reise. Über Heerstraße, Strom und einsamen Pfad geleitete die [370] Fliehenden das Glück. Aber erst, als sie bei dunkler Nacht Schafhausen erreicht hatten, und bei des Herzogs Vogt dem oberherrlichen Befehl gemäß, wohl aufgenommen worden waren, senkte Dagobert im einsamen Zimmer vor dem erhabnen Flüchtling das Knie zur Erde, um den Worten: »heiliger Vater! Ihr seyd in Sicherheit. Wie der Herzog sein Fürstenwort gegen Euch gelöst, also hab' ich meine Zusage gegen ihn erfüllt. Ich danke Gott dafür, und bitte um Euern Segen zur Rückkehr.« – Der Papst, obgleich zum Tode ermüdet von der ungewohnten Anstrengung, legte nicht ohne ein Gefühl der Rührung seine Hände auf den Kopf des erwählten Rüstzeuges. – »Unsern Dank, und des Himmels Segen nimm hin für Deine wohl gelungne That!« sprach er feierlich: »Zugleich aber empfange von unsrer Huld ein Geschenk, das auch in der Zeitlichkeit Werth haben mag. Als uns der Herzog von Deinem Beistande in Kenntniß setzte, unterrichtete er uns ebenfalls, daß ein Gelübde der Mutter Euch zum Dienst der Kirche verpflichte, welchem jedoch Euer Sinn, der nach Thaten und Weltruhm strebt, nicht hold sey. In Betracht, daß dem Herrn nur die Herzen wohlgefallen, die freiwillig seinem Dienste sich weihen, – daß Euerm Ohm, der sich von unsrer Seite losgesagt, vollends nicht zustehe, dem Herrn einen unwillkommnen und gezwungnen Diener zuzuführen, – so wie in Betracht Deiner Bereitwilligkeit, uns gefällig zu seyn, – haben wir dem Herzog versprochen, Deines Gelübdes Bande zu lösen, und lösen sie wirklich hiemit im Namen der Dreieinigkeit und der von [371] Gott uns Unwürdigsten anvertrauten Macht. Morgen soll das Breve Dir ausgefertigt werden, zu Deiner Beruhigung und zum Gedächtniß unsrer dankbaren Huld.«

Die rauhe Stimme des erschöpften Oberhirten klang wie Musik der Engelein in Dagobert's Ohr, und sprachlos küßte er des Befreiers Hände und Kleid. Der Papst winkte ihm jedoch aufzustehen, und warf sich in den Lehnsessel, um mit so viel Würde, als es die freilich sehr unvortheilhaften Umgebungen erlaubten, die Schar der geistlichen und herzoglichen Beamten Schafhausens zu empfangen, die, so eben von der Ankunft des höchsten und unvermuthetsten alle Gäste unterrichtet, noch in später Nacht dem Haupte der Kirche und dem Freunde ihres Landesherrn die schuldige Huldigung darzubringen kamen.

16. Kapitel
Sechzehntes Kapitel.

Frischen Muth,

Junges Blut!

Ziehe nach der Heimath Land

An der schönsten Frauen Hand!

Lied.


Die Flucht Johann's XXIII., die noch am selben Tage, wo sie Statt hatte, ruchtbar wurde, hatte einen unbeschreiblichen Eindruck auf Fürsten, Pfaffheit und Volk gemacht, und das prächtige Turnier, das Herzog Friedrich zum Deckmantel seines Vorhabens [372] gebraucht hatte, auf eine ärgerliche Weise gestört und zu Ende gebracht. Eben so wenig, als die Sache selbst, konnte des Herzogs Mitwirkung lange ein Geheimniß bleiben. Friedrich mühte sich auch keineswegs, seine That zu läugnen, und berief sich kühn auf das sichre Geleit, das er, nebst andern Herren, dem Papst zugesagt, auf die Gefahr, in welcher Johann geschwebt hatte, durch des Kaisers Hinterlist und des Conciliums Feindseligkeit Tiare und Freiheit zu verlieren; auf die Pflicht, die ihm, dem Herzog, daraus erwachsen, solche Willkür nicht zu dulden; und endlich auf die dem Fürsten wie dem schlechten Edelmann heiligen Turnierartikel, die den Schutz der Unterdrückten dem adelichen Manne auf das Gewissen binden. Sothane Ritterlichkeit, freudig und zuversichtlich, ohne Furcht und Reue offen an den Tag gelegt, sollte, nach des Herzogs Berechnung, die wirksamsten Folgen für des Papstes Lache haben, – ein schneidendes Gegenstück zu Sigmund's gegen Huß bewießnen Wortbrüchigkeit liefern, – alle weltlichen Stände auf die Seite des Herzogs bringen, und der großen Anzahl derjenigen Geistlichen, die nur aus Scheu und Furchtsamkeit Partei wider Johannes genommen hatten, neuen Muth, Selbstständigkeit und einen festen Anhalt geben. – Von diesem Allen geschah indessen nicht das Geringste. Friedrichs Biederkeit und Treue scheiterte an dem Bunde seiner Gegner, wie ein die offne See befahrendes Schiff an dem verborgnen Felsenriff zerschellt. Der Herzog hatte Recht gehabt, als er sagte: Sigmund war nie mächtiger, als in dem Augenblicke, [373] wo er, ein demüthiger Knecht, des Papstes Füße küßte, und ihm knieend im Namen der Christenheit für seine Nachgiebigkeit dankte. Diese Nachgiebigkeit eben, – ein Schlangenmittel falscher Staatskunst, von Friedrich mißbilligt, hatte Alles verdorben. Wer den Treubruch eines Andern ahnden will, muß nicht selbst zum Doppelzüngler werden. Dem zufolge kettete sich Kaiser und Concilium fest aneinander. Otto Colonna, ein Fürst der Kirche, ehrgeizig und durchgreifend, wie nur je ein Bewerber um die höchste Macht, trat an die Spitze der zürnenden Väter. Offen ging er nun seinem, früher verhehlten, Zwecke entgegen, und benutzte geschickt die dem Kaiser als Reichsoberhaupt zugefügte Kränkung, um den Bruch zwischen dem Letztern und seinem Reichsstand dem Herzog unheilbar zu machen. Während das Concilium auf der einen Seite die Blitze schmiedete, welche den protestirenden Papst unrettbar von dem römischen Stuhle schleudern sollten, griff auf der Andern Sigmund nach der schrecklichen Waffe, die den, oft nur Schattengewalt besitzenden Kaisern Deutschlands zu Gebote stand, – nach des Reiches Acht. – Wie langsam und zögernd auch diese Strafe vorbereitet wurde, so fand sich doch kein Talisman sie aufzuhalten.

Friedrich, verlassen von seinen Freunden, feindselig geschmäht von denen, auf deren Beistand er gebaut, mußte knirschend dem verhaßten Luxemburger das Feld räumen, ehe noch das Ungewitter zum völligen Ausbruch kam. Seinem kleinen Heere von Rittern, Waffenknechten und Dienern hatte er es zu [374] verdanken, daß man den Vorbereitungen zu seinem Abzuge nichts in den Weg legte. Bittrer Unmuth und die Scham, seinem Todfeinde zu unterliegen, peinigte ihn, und sprach auch aus ihm, als am Abend vor seinem Wegzuge Dagobert, von Schafhausen rückkehrend, vor ihm trat. – »Was wollt Ihr hier?« fragte er den jungen Mann bekümmert: »Entweicht unter dem Fittich der Nacht, – denn – nicht lange wird's dauern, und geächtet bin ich, wie Alle, so mir anhängen. Jesus Christus! wer hätte das gedacht? Wahrlich, wahrlich; die Deutschen sinds werth, vor eines Schalksnarren Zobelpelz zu katzenpuckeln. Pfui! pfui! Ehre, Treue und Redlichkeit sind nur leerer Tand, und der Falschheit gehört die Welt. Flieht, mein guter Geselle. Eure Treue kann ich jetzt mit nichts belohnen, als mit der Warnung: verlaßt diese Stadt; man spricht schon hie und da von Eurer Theilnahme an meinem Verrath, wie sie's nennen. Geht aber auch nicht mit mir; ich habe das Spiel verloren, und das Unglück vererbt sich leicht auf junges Blut. Wird's wieder Tag, sollt Ihr von mir hören!« –


Dagobert betroffen über das Unerwartete, das er hier erfuhr, versicherte dem Herzog seine Treue, seine Ergebenheit, und den Entschluß, dennoch nicht von seiner Seite zu weichen.


Der Herzog schüttelte mit entschiedner Verneinung das Haupt. – »Ich verbiete Euch, mir anzuhängen!« rief er fast unmuthig: »Der Teufel ist [375] in die Zeit gefahren, und was sonst in deutschen Landen unerhört war, ist an der Tagesordnung. Gehts nach Sigmunds Sinn, – und warum sollte es nicht nach ihm gehen? so bleibt mir in Kurzem kein Pfulb um meinen Kopf dar auf zu legen. Wie könnte ich Euren Bedürfnissen steuern. Geht, geht, wohin des Sohns Pflicht Euch ruft; gen Frankfurt, und denkt mein an dem Tage, wenn der Pfaffe Euch des Gelübdes entbindet.« – »Mein Wohlthäter!« seufzte Dagobert, Friedrichs Hand küssend: »Euch zu lassen, fällt mir schwer.« – »Doch ist's vonnöthen;« entgegnete der Herzog, sich rasch losmachend, um der eignen Rührung vorzubeugen: »geht heim, küßt den Vater und das Mütterlein, und freut Euch des Lebens. Jesus Christus! wär' ich noch einmal jung und frei wie Ihr! Mit meinen tyroler Gemsenschützen wollte ich ein Schießen anstellen, daß dem Mehrer des Reichs die letzten Haare wackeln sollten. Aber heut zu Tage gilt's der eignen Haut sich wehren. Geht heim, sage ich, und lernt ritterlich Gewerbe. Wer drein schlagen kann, und das Herz auf dem rechten Flecke hat, verdirbt nicht in unserm rauflustigen Vaterlande. Und – weil mir's gerade einfällt – ich will Euch zu guter Letzt noch Gelegenheit geben, ritterliche Pflicht zu üben. Der arme Schächer, der Jude, dessen Gold mit zu dem bewußten Turniere helfen mußte, und dessen von mir ausgestellten Brief mein Spitzbube von Rentmeister zu Schafhausen nicht eingelöst hat, wie Ihr mir berichtet, ist nach Frankfurt geschleppt worden; der Himmel weiß, was sie mit der Judenseele zu beginnen [376] denken. Die Tochter des unglücklichen Menschen hat sich mir zu Füßen geworfen, und um meine Fürsprache gefleht. Auf meine Fürsprache gibt aber jetzo Niemand das Geringste, denn – wie gesagt – der Teufel ist in die Zeit gefahren. Ich gab ihr jedoch mein Wort, sie nach der Heimath bringen zu lassen. Ich habe dabei Eurer gedacht, und bestelle Euch zu des Mädchens Vogt.« –


»Mein gnädigster Herr« – stammelte Dagobert betroffen und bestürzt. Friedrich fuhr aber gleichmüthig fort: »Fürchtet Euch nicht. Es ist zwar nur ein Judendirnlein, aber so fein und zart und lieblich, daß es manche Heilige nicht zürnen würde, schriebe man ihren Namen unter der Jüdin Bild. Schafft die anmuthige Ketzerin nach Hause, ehe sie gezwungen wäre, Sigmunds Gerechtigkeit und Ritterlichkeit in Verlegenheit zu setzen. Ihr wißt, um welchen Preis die Majestät Witwen und Waisen zu schützen, wie sie das zugesicherte Geleit zu handhaben pflegt. Jagt das Lamm dem Wolf nicht in die Hände. Bringt es zur heimathlichen Herde, und gebt der vaterlosen Maid in meinem Namen das heilige Versprechen, daß ich mich meiner Schuld gegen Ben David entbinden werde, sobald ich den drohenden Sturm überstanden habe. Geht; ich rechne auf meines Auftrags sichre Vollziehung. Zieht von dannen, ehe es zu spät wird, und – Gott mit Euch.«


Der Herzog drehte sich kurz und rasch auf dem Absatze um, und ging mit starken Schritten in das Seitenzimmer, das er heftig hinter sich verriegelte. [377] Dagobert streckte die Arme nach ihm aus, wie nach einem scheidenden Jugendfreund, und blieb einige Zeit bewegungslos im Gemache stehen. Dann aber raffte er sich männlich zusammen, und floh aus dem Hause, in dem er bisher das Ideal eines Ritters, wie er sich es dachte, bewundert hatte. – In dem Hause seines Ohms fand er eine bestürzte und unfreundliche Aufnahme. Des Prälaten Blicke maßen ihn mit gehäßigem Ausdruck; Fiorillens Augen mit ängstlicher Scheu und Beklommenheit.

»Was willst Du noch bei mir?« fragte der Ohm nicht ohne Heftigkeit: »Freude bringst Du nie. Du kömmst ungeladen wie eine Krankheit, und gehst nur wie sie von dannen: nachdem Du Schaden angerichtet.« – »Ihr seyd fürchterlich streng in Euerm Urtheil,« antwortete Dagobert: »allein – auch eine Krankheit sieht man gerne Abschied nehmen, und in keiner andern Absicht hab ich's gewagt, Euch in dieser Zwielichtsstunde zu überfallen.« – »Fahre wohl;« lautete es aus des Prälaten Munde: »ich frage nicht, wohin Du gehst, denn dem Bösen soll man nie auf die Ferse blicken; auch bist Du seit längrer Zeit auf geheimen Reisen begriffen, deren Geheimniß ....« – »Nicht lange geheim bleibt?« fiel der Neffe lächelnd ein: »Ihr Herren habt das Vorrecht, Allem auf die Spur zu kommen, früher als andre ehrliche Leute. Für dießmal geht meine Fahrt zum Vater, und ich habe gewünscht, – wie es einem biedern Blutsverwandten zukommt, – mich mit Euch zu letzen, und Euch zu fragen, ob Ihr mich nicht mit einem Brieflein oder dergleichen zu beauftragen begehrt. Vom [378] Wiedersehen dürfte wohl, nicht leicht mehr die Rede seyn. Die Lust am lieben deutschen Vaterlande hat in mir überhand genommen. Jenseits der Berge, fürchte ich, ist mein Platz nicht, und das Bartolomäistift bei Cesena sogar .....« – »Schweig!« fuhr der Prälat mit zornrothem Antlitz auf, und aus dem fleischigen Antlitz brach ein Strahl von Grimm und gehässiger Tücke, wie ihn Dagobert noch nie gesehen. Fiorilla zerrte, von dem jungen Manne unbemerkt, warnend an des Prälaten Überkleid, und der Sturm begütigte sich hierauf, mindestens dem äußern Anscheine nach. Monsignore zwang die aufgeregten Gesichtsmuskeln in ihre alte Ordnung zurück, und fuhr mit gemäßigtem Tone, in dem jedoch unverkennbar bittrer Spott lag, fort: »Du hast vollkommen Recht, Neffe. Dort findet, sich kein Platz mehr für Dich, nach dem, was Du gethan. – Stelle Dich nicht so unbefangen an. Ganz Costnitz weiß von Deinen Ränken. Der Himmel verzeihe es denen, die Dich dazu verleiteten. Der Himmel verzeihe auch Dir den Nachtheil, den Du Deinen Angehörigen dadurch bereitet. Herzog Friedrich wird die treuen Dienste doch mit einer fetten Pfründe lohnen in seinem Bauernlande?« – »Ei was, Ohm;« erwiederte Dagobert lustig; »Bauern hin, Bauern her! Im Tyrol legen die Hühner Eier, und tragen die Reben Beeren, wie in Wälschland, und ein altes Sprichwort sagt: Wo's nicht an Hennen und Zehnten gebricht, da verdirbt auch die Pfaffheit nicht. Die Präbende, die der Montfort ausbot – Ihr erinnert Euch – konnte ich nicht verdienen. Ich muß demnach [379] auf Ersatz denken.« – Der Prälat antwortete nichts, sondern kaute wehmüthig, und als wie überlegend an den Lippen. –


»Ernstlich indessen;« sprach Dagobert weiter: »Der Herzog ist mir nichts schuldig, und ich habe keinen kaiserlichen Gönner, wie Ihr, würdiger Ohm, der mir Ring und Stab aus dem Ärmel schütteln kann, sobald er nur will, zum Lohn für eine Nachsicht zu rechter Zeit.« – »Toller Schwätzer!« rief der Prälat, von Neuem hitzig werdend: »Was kümmert mich der Kaiser? Spare Deinen Spott zu gelegener Stunde.« – »O weh!« entgegnete Dagobert: »Was bedeutet dieser Groll? trug der Winter die Rosen, und bringt der Frühling den Schnee? Hat Liebstöckel schon im März abgeblüht? oder haltet Ihr es nimmer mit dem Kaiser, seit Johannes es wieder mit der freien Luft hält.« –


»Ich muß gestehen,« versetzte der Prälat mit einer gewissen arglistigen Schalkheit: »daß dieses das seltsamste Gespräch seyn mag, das jemals zwischen Ohm und Neffen geführt worden ist. In dem wälschen Lande, das Du zu verachten scheinst, sprechen Todfeinde zierlicher zu einander, als hier in Deiner gepriesenen deutschen Heimath des Bluts Befreundete. Jedoch, damit Du sehest, wie wenig ich gewohnt bin, Böses mit Bösem, Trotz mit verdienter Härte zu vergelten, will ich Dir erlauben, hier zu verziehen, und einen Abendtrunk anzunehmen, den Fiorilla besorgen wird, während dessen ich, meinen [380] schlechten Augen zum Trotz, aber meiner brüderlichen Liebe zum Frommen, ein Schreiben an Deinen Vater aufsetze. Ich verspreche Dir; es soll Dir nicht zu Leide geschrieben seyn, und keck darfst Du es übergeben. Du machst Dich doch morgen mit dem frühsten davon?« – »Ich denke es;« antwortete Dagobert, sich bequem in einen Sessel niederlassend. – »Thue das;« fuhr der Ohm fort, wie oben: »länger ist's für Dich nicht geheuer zu Costnitz. Dein Pferd steht im Engel?« – »Ja, mein guter Ohm!« erwiederte Dagobert: »das wackre Roß wird mich auch unter Engels Schutz und Schirm weiter tragen. Für den Augenblick bin ich ja sicher genug in meines Vaterbruders Hause.« – »Amen!« fügte Hieronymus bei, sandte Fiorilla zum Keller, und begab sich durch die Seitenthüre in sein Schlaf- und Schreibgemach. Dagobert dehnte sich gemächlich in seinem Polsterstuhl, und stützte den Kopf in die Hand. »Wie ist mir denn?« sagte er zu sich selbst: »Komme ich mir doch vor, wie ein Träumender, oder besser, wie ein Trunkner, der auf schwankenden Eisschollen über einen Strom zu taumeln versucht. Die Geschichte dieser letzten Tage ist wie ein toller Spuck gestaltet. Ich denke einem wider Willen zu einem Verbrechen gereizten Manne, meines Standes höchstens, das Geleit zu geben, – und siehe da, es ist das Oberhaupt der Christenheit selbst, das mich zum Lohn von meinen Altarpflichten frei spricht während – wie ich begreife – das ganze Concilium meiner That den Stab bricht. Ich verlasse den Herzog auf dem Gipfel fürstlichen Glanzes, und finde[381] ihn wieder im Begriff Reißaus zu nehmen vor einer Rotte von Priestermützen und einem Kaiser, dem wenig mehr zu Gebote steht, als ein Mund voll Honig, wenn auch Galle sein Herz erfüllt. Ich stand schon auf einem seltsamen Fuße mit dem Ohm, ehe ich gen Schafhausen zog, aber nun stehe ich auf einem weit wunderbarern mit dem Wackern. Wir sagen uns gegenseitig dürre Wahrheiten, dürr und stachlich wie die winterliche Schlehenhecke, und dennoch will er die Sanftmuth vorwalten lassen; ... er, der sich, wie ich beinahe glaube, durch seines neuen Vaterlandes Doppelzüngigkeit um des Papstes und des Kaisers vorübergehende Gunst gebracht hat? Frei ging ich zu Costnitz einher, nachdem ich einen Ketzer hatte befreien wollen, und jetzo räth mir der Herzog selbst schnellen Abzug, weil ich dem Vater der Rechtgläubigen aus dem Netze half? – Ja, Friedrich hat Recht: der Teufel ist in die Zeit gefahren, aber auch dem Schwarzen trotze ich mit dem Freibrief in meiner Tasche. Bin ich einmal hinter den Mauern meiner Vaterstadt ... dann fahret wohl, Kaiser, Concilium und Reich. Ich mische mich ferner nicht mehr in eure Händel.« – »Ei sieh da;« sprach Dagobert nun laut, und den Kopf nach der Thüre wendend, durch welche Fiorilla mit Wein und Semmeln belastet, eintrat: »sieh da, mein Bäschen! Eure Heimath werde ich nicht zu sehen bekommen, aber den günstigen Augenblick will ich benutzen, um den Kuß des Lebewohls auf Deine Rosenlippen zu drücken.« – Fiorilla entzog sich seinem Arme mit sichtbarer Befangenheit und Furcht. »Warum so [382] ängstlich, närrische Dirne?« flüsterte Dagobert: »Noch haben sie mich nicht vogelfrei erklärt; noch darf mich ein holdes Mägdlein küssen. Oder fürchtest Du Dich vor dem Chorrock? Beruhige Dich; Chorrock und Kutte hänge ich an den Nagel. Oder bangt Dir vor der Nähe Deines eifersüchtigen Freundes? Ohne Sorgen. Der gute Ohm brauchte neulich mehr denn eine Stunde dazu, einen deutschen Brief zu lesen. Wie viel geben wir ihm wohl Zeit, einen deutschen Brief zu schreiben? Bis er sich wieder besinnt, wie die wunderlich gekräuselten Buchstaben gemalt werden müssen, ist die Mitternacht da. Versage mir also Dein Mündlein nicht, holde, dem schwarzen Bocksfuß entrissene Seele!« – Noch einmal wies ihn Fiorilla zurück, und preßte aus fliegender Brust die eiligen Worte hervor: »Ihr werdet scherzen und Kurzweil treiben, wenn Euch der Tod über die Schulter sieht. Verblendeter; verloren seyd Ihr, wenn Ihr nicht schnell Euch von dannen macht.« –

»Ho!« entgegnete Dagobert, ernst und aufmerksam werdend: »Mädchen! Du gönnst mir wohl nicht den Wein aus meines lieben Oheims Keller?« – »Die Freiheit gönne ich Euch lieber;« sprach Fiorilla, wie vorhin: »Flieht, weil es noch Zeit ist. Der Oheim hat Böses gegen Euch im Sinne. Glaubt nicht, daß er sich in seinem Schlafgemach befindet. Vor einem Augenblicke verließ er mit dem Knechte, der die Leuchte trug, das Haus. Hinter der Thüre des Kellers lauschend, hörte ich, wie er zu dem Burschen sagte: Nimm Dich wohl in Acht, und leuchte vernünftig. Von des Cardinals Hause läufst Du, [383] was Du kannst, zum Engel.« – Sorgfältig die Thüre schließend, gingen sie davon, Euch zu verrathen. – »Zu verrathen?« rief Dagobert, aufspringend: »Der Bruder meines Vaters mich verrathen? Zu welchem Endzweck das Bubenstück?« – »Ach, Ihr wißt noch nicht, was geschehen;« entgegnete Fiorilla mit steigender Besorgniß: »Wallradens Verständniß mit Sigmund ist vorbei.« Ohnmächtig wüthend zog sie von hier ab, verspottet von ihren Freiern und der Welt. Eures Oheims Glückstern ging schnell unter. Er, der den Papst verlassen um des Kaisers willen, wird von diesem schnöde behandelt, und seit des heil. Vaters Flucht, die Ihr, wie man allgemein behauptet, begünstigt, geben die Machthaber vor, in Euerm Ohm einen heuchlerischen Anhänger des Geflüchteten entdeckt zu haben. Die Cardinäle, den arglistigen Colonna an der Spitze, der zum Kaiser hält, wiesen den Flehenden von ihrer Thüre, und zu allem Unglück gelangte gestern an ihn die unwillkommne, die zermalmende Botschaft, daß sein Capitel, seines langen Ausbleibens und Geldverschwendens müde, einen Andern statt seiner erwählt, und diese Wahl zur Bestätigung an das Concilium bereits berichtet. Diese Kunde donnerte den Prälaten vollends nieder, und nun geht er hin zu dem Colonna, von dem er allein noch Hilfe erbetteln könnte, und verräth Euch, seinen Neffen, als den Entführer des Papstes; in der Hoffnung .... – durch einen großen Schurkenstreich minder bedeutende wieder gut zu machen; unterbrach sie Dagobert ungestüm: »Wohl bekomm's, ungetaufter [384] Ehrenmann. Gut ausgedacht. Der Eine läuft zum Cardinal, mich anzugeben, der Andre zum Engel, um dort meine Habe zu verhaften. Zum Glück hat mir vom Teufel geträumt, und ich habe dem Ohm eine Nase gedreht. Meine Pferde stehen in einer Herberge vor der Stadt, und dahin eile ich jetzt. Vor dem Kaiser würde ich nicht Fersengeld geben; aber das Concilium ist ein ander Ding. Ich habe Hussens Kerker gesehen, und damit genug gehabt.«


»Wie aber entweiche ich? Sie haben die Thüre verschlossen, sagst Du?« – »Ich besitze noch einen Schlüssel,« antwortete Fiorilla zögernd und roth werdend, »von dem der Ohm nichts weiß. Mit diesem öffne ich Euch die Pforte.« – »Habe Dank, du listige Schlange;« versetzte Dagobert, die Mütze aufstülpend, einen derben Zug aus dem Becher thuend, und Fiorillen die Hand reichend: »Gott segne Dich, und den glücklichen Buhlen, dem dieser Schlüssel wohl schon öfter hinter des ehrwürdigen Freundes Rücken das Pförtlein aufthat. Wie kann ich Dir vergelten?« – »Durch einen kleinen Liebesdienst;« erwiederte Fiorilla eilig, und dennoch verschämt: »Gestattet, daß ein junger Mensch Euch ein Stückchen Wegs begleite. Das junge Blut fürchtet sich, allein von dannen zu gehen, und dennoch ....« – »Und dennoch soll ihn der Ohm hier nicht finden?« fragte Dagobert schelmisch drohend: »In des Himmels Namen – er komme. Ich bin schon einmal dazu bestimmt, der Begleiter von allerlei Menschen zu seyn, [385] die dem Wetter nicht recht trauen, und selbst, wenn ich auf flüchtigen Füßen bin, muß ich noch immer einen Andern mit mir schleppen. Der feine Bube tummle sich indessen. Ich habe nun weder Ruh noch Rast. Käme der Ohm jetzt zurück, wär's sein Unglück und das Meine, und Beides hätte ich nicht gern auf dem Gewissen.« – »Eurer Zusage vertrauend, wartet der Knabe draußen;« sprach Fiorilla: »bringt ihn ja gut dahin, wo er zu Hause ist.« – »Insofern sein Haus an meiner Straße liegt, und der Bube flink auf den Beinen ist, recht gern, weil dem Bäschen so viel an dem furchtsamen Milchbart liegt. Jetzt die Hand, Fiorilla, und die Wange. So! Gott lohne Euch die Warnung, und lasse Euch glücklich und vernünftig werden. Lebt wohl.« –


Schnell verließ er das Zimmer; Fiorilla eilte mit dem Lichte voraus. Auf der düstern Treppe schloß sich der Günstling der Italiänerin, ein feiner Junge, aber wunderlich vermummt in einen, der Kleiderkammer des Prälaten entliehenen, weiten Rock, und eine Stirn und Wange verhüllende Kappe, an die Beiden an. Dagobert, mit seinem eignen Geschick beschäftigt, schenkte ihm nur einen flüchtigen Blick, und schritt rüstig zu der Pforte, deren Schloß Fiorilla's Schlüssel nur zu langsam für des Jünglings Ungeduld öffnete. Thränenden Blicks reichte die Schöne von Cesena dem Letztern die Hand, heftig schluchzend fiel sie dem Vermummten um den [386] Hals, und Dagobert war schon ziemlich voraus, ehe sein Begleiter, dessen Schritt von dem langen Gewande gehindert wurde, ihn erreichte. »Spute Dich, Du verliebter Früh-in's-Holz!« raunte Dagobert dem Keuchenden zu. »Weit ist noch der Weg bis vor die Stadt, wenn Du außerhalb derselben wohnst?« – Der zur Seite Laufende nickte stumm, und Dagobert setzte sich wieder in den alten Schritt, bis er in die Straße gelangte, welche er einst, dem Kloster flüchtig enteilend, nicht minder schnell gemessen. Wie ein Blitzstral fuhr ihm aber hier mit einemmale die Erinnerung an Esther, an des Herzogs Worte, an seine Liebe durchs Gehirn, und unschlüssig blieb er stehen. »Wie ist's?« überlegte er: »soll ich das Mädchen, das ich liebe, wenn ich's gleich nicht gestehen will, einer ungünstigen Conjunktur zum Raube lassen? Oder soll ich, sie zu retten, für mich selbst die Zeit versäumen? Wer bürgt mir dafür, daß nicht in der nächsten Stunde den Wachen an allen Thoren die Kunde ward, auf mich ein wachsam Auge zu haben? Wäre ich nicht alsdann verloren, und das Mägdlein schutzlos wie zuvor? Und dennoch muß ich meine Zusage halten, .... und dennoch muß ich wenigstens versuchen, ob ich sie retten kann, für die mein Herz und Friedrichs Gebot das Wort führt.« – »Herr meines Lebens,« seufzte hier eine schwache Stimme neben ihm, und er gewahrte mit Erstaunen seinen Begleiter neben sich, der die Hände in die Seiten gestützt, verschnaufend an einer Ecke lehnte. – »Was gibt's?« fragte Dagobert unmuthig: »Junger [387] Fant, was soll das Wehleidigthun? Wer sich in den Dienst der Frau Venus will begeben, muß küssen, drein schlagen und laufen können,wann es eben seyn muß; denn vom Abenteuer lebt die Minne.« – »Ich verstehe Eure Worte nicht,« lispelte des jungen Knaben zarte Stimme: »aber ich weiß, daß ich des Todes bin vor Angst und Gram, wenn Ihr von meiner Seite weicht, und nicht Mitleid habt mit meiner Schwäche.« – Dagobert fuhr zusammen bei dem Klange dieser Stimme. »Nein!« rief er, mit seinen Augen des Begleiters Gestalt messend: »also spricht kein Mann; das ist Frauensprache, und, wenn mich nicht ein böser Zauber bethört, eine Sprache, die mir nicht unbekannt geblieben.« – »Könnt Ihr verzeihen?« stammelte der Knabe, und wollte zu Dagobert's Füßen sinken, als dieser, plötzlich Esther's Züge unter der entstellenden Kappe entdeckte, und die furchtsame Dirne kräftig in der Höhe hielt. – »Unglückliche!« sprach er leise zu ihr: »Wie kömmst Du hieher? Doch gleichviel. Die Erläuterung raubt Zeit, und wir bedürfen der letztern. Der Mondstral hat Dich mir genannt. Deinen Mund laß schweigen, bis wir ausser Gefahr sind. Hänge Deinen Arm in den Meinigen. Stütze Dich auf mich. Nun ich weiß, wer Du bist, muß ich nach Deinen Kräften mich fügen.« –


»Guter Mann!« seufzte Esther, und lehnte sich vertrauend auf des Helfers Arm, der sie, obgleich die innere Ungeduld mit Nesseln peitschte, langsam [388] durch die noch ziemlich belebten Gassen dem Thore zuführte. Die Hüter desselben spotteten des Paars, und machten sich weidlich über die bezechten Schüler lustig, die nach dem Gelage mit schwerem Kopfe den Weg zur Heimath suchten. Dogobert ließ die rohen Gemüther gerne bei dem Glauben, der ihm und seiner Schutzbefohlnen so förderlich ward, und geleitete besonnen die Entkräftete zu einer Bank, die am Rande der Heerstraße stand. »Einen Augenblick darfst Du hier ruhen;« sprach er zu Esther: »sprich jetzt, Mädchen – wie erkläre ich mir ...?« – »Fiorilla war meine Freundin geworden, wie Ihr bereits wißt, edler Herr;« antwortete das Mädchen: »sie nahm mich zu sich am gestrigen Tage, und ich ließ mich lieber ihre Zofe nennen, als daß ich noch länger in dem Hause geblieben wäre, wo Nachstellungen aller Art die Vaterlose verfolgten, die selbst zu den Füßen des Herzogs nur ein Versprechen freien Geleits gen Frankfurt erhalten hatte. Euer Ohm ahnte nichts von dem wahren Zusammenhange meiner Verhältnisse, und er schien viel Gefallen an der neuen Dienerin zu finden. Ehe jedoch Fiorilla mit der Bestimmung meines weitern Geschicks im Reinen war, kamt Ihr. O, ich hörte Euch kommen, ich hörte Euch sprechen, und die Vergangenheit lag wieder vor mir wie ein Paradiesesgarten. Ich hoffte wieder, ich war beruhigt, ohne mir genau bewußt zu seyn, warum. Fiorilla bestärkte mich in dieser seligen Beruhigung, als sie plötzlich bei mir eintrat. ›Esther!‹ sprach sie: ›Dein Retter und Geleiter ist gefunden. Man [389] spinnt Verrath gegen den Junker. Ich werde ihn warnen; er muß fliehen, und Dich mit sich nehmen, ohne zu wissen, wer Du seyst, denn der Erklärungen und Einwendungen wäre dann kein Ende, und dennoch ist die Zeit nur allzugemessen. Muth, meine Freundin! Dagobert ist ein edler Mann; er wird Dich nicht verlassen.‹ Vermummt folgte ich Euch, und überlasse es Euerm Edelmuthe, ob Ihr Fiorillens Zusage erfüllen wollt.«


»Ob ich will, ist keinem Zweifel unterworfen,« antwortete Dagobert kurz und gemessen, denn er suchte hinter dieser Kürze den wahren unruhigen Zustand seines Herzens zu verbergen. – »Aber,« setzte er bei: »armes Mädchen! Wohin soll ich Dich führen? Gen Frankfurt, wo Dein Vater im Kerker liegt?« – »Mein Vater ist unschuldig an jedem Fehl – o gewiß! glaubt es mir!« versetzte Esther mit Zuversicht: »Gewiß kömmt er mir ohne Fesseln bereits entgegen, und – wäre es nicht, – so bin ich in des alten Jochai's Armen aufgehoben wie im Schooße der Mutter!« – »Wohlan denn!« sprach Dagobert: »So reiten wir noch diese Nacht. Jenes Dach beherbergt meine Rosse und meinen Knecht. Folge mir bis dahin, und wir wollen überlegen, wie Du am schnellsten fortzubringen bist.« – Er unterstützte sie während des kurzen Gangs. – »Hast Du auch Alles überlegt?« fragte er an der Herbergspforte noch das Mädchen: »Ich bin ein junger wilder Geselle, dessen Arm Dich schon einmal umfing, dessen [390] Lippen schon einmal auf den Deinen ruhten. Hast Du jener Zeit vergessen, oder meinst Du, ich hätte es gethan? Hegst Du Vertrauen zu mir, und übergibt Dich mir auf der weiten Fahrt ohne Scheu, ohne Mißtrauen?« – »Ob ich jener Zeit vergessen?« fragte Esther entgegen mit leuchtendem Blicke: »Ihr scherzt wohl, edler guter Herr. Aber so wahr als diese Hecken um uns her den Frühling künden durch ihre Knospen, so wahr ist das Vertrauen zu Euch, das in mir lebt. Auf der weiten Welt lebt Keiner, dem ich so zuversichtlich mein Leben anvertraue und meine Ehre. Ihr werdet mich führen zum Vater, Ihr werdet durch Eure fromme Hülfe meinen Pfad ebnen, und den Frieden in mein Herz zurückbringen, wie die scheidende Sonne den Thau auf die lechzende Wüste. Denn auch Ihr werdet dann scheiden von mir, und nur die Erinnerung in meiner Seele lassen und die Dankbarkeit, die nimmer Verlöschende. Mein Gebet für Euch sey Friede, und der hochgelobte Gott verwirkliche hundertfältig den Segen, den schon jetzt mein Mund vom hohen Himmel herab auf Euch lenken möchte!«


»Genug! genug!« fiel hier Dagobert rasch und abstoßend ein: »Laß uns erst an's Ziel gelangen, und möge es für Dich ein Erwünschtes seyn. Die Vergangenheit werde nie zwischen uns berührt, und Deine Gesinnung über diesen Punkt gibt mir erst den Muth, Dein Gefährte zu bleiben, bis an Frankfurts Thore. Von da aus findest Du den Weg in's Vaterhaus [391] allein, und unter uns sey es, als hätten wir uns nie gekannt.«

»So sey es!« flüsterte Esther zögernd und kleinlaut, während Thränen ihre Wangen benetzten. Der junge Mann hingegen, der jetzt erst einen großen Sieg über sein eigen Herz davon getragen, und nun den Talisman gefunden zu haben vermeinte, jeder Versuchung zu widerstehen, ging sorglosen Muthes hin, die Rosse zu rüsten, und Alles zu der Reise vorzubereiten, die auch mit dem ersten Frühstral angetreten wurde.


Ende des ersten Bandes. [392]

Zweiter Band

1. Kapitel
[5] Erstes Kapitel.

Der Lenz ist angekommen!

Habt ihr es nicht vernommen?

Es sagen's euch die Vögelein,

Es sagen's euch die Blümelein:

Der Lenz ist angekommen!

Ihr seht es an den Feldern,

Ihr seht es an den Wäldern;

Der Kukuk ruft, der Finke schlägt,

Es jubelt, was sich froh bewegt:

Der Lenz ist angekommen.

Hier Blümlein auf der Heide,

Dort Schäflein auf der Weide!

Ach seht doch, wie sich alles freut,

Es hat die Welt sich schön erneut:

Der Lenz ist angekommen!

Altd. Lied aus der Sage

vom Venusberge.


Es ist doch eine gar schöne, muntre und selige Zeit, wenn der Frühling wieder herein kommt ins Land, der gar nicht unedel von den Dichtern einem Bräutigam verglichen wird, welcher seine Braut zu schmücken und zu umfangen naht, im Glanz und Prunk des Hochzeittages. Ein Fürst der Erde könnte er nicht minder genannt werden, denn tausend leichtbeschwingte und buntgefiederte Herolde ziehn vor ihm[5] her, seine Ankunft verkündend; himmelblau und golden ist sein Kleid, an das sich der fernen Eisberge Saum anschmiegt, wie Hermelinsverbrämung, und alle Blüthenbüsche fügt er in eine duftende Krone, womit er sich und seine Liebe ziert.

Und die Braut, im Gewande zarter Hoffnung, umgürtet von den Silberbändern, deren Juwelenschmuck erst wieder lebendig wurde durch des Ersehnten feurigen Goldblick, winkt dem Nahenden mit jugendlich grünen Zweigen, und scheint ihn demüthig zu fragen: Kommst Du noch einmal, mit mir den Bund zu schließen in neuer Verjüngung? Nicht umsonst, Geliebter, trägst Du die Farbe der Beständigkeit, denn viele tausendmal begingen wir schon unsre Feier, und dennoch freist Du keine Andre als mich? – Der Hochzeiter schüttelt hierauf lächelnd die wohlriechenden Locken, daß Blüthe auf Blüthe und Perle auf Perle daraus in den Schooß der Freundin sinkt, als ein Geschenk seiner Freigebigkeit. Keine Andre als Du, spricht er, schmückt mir Lager und Teppich so bunt und reizend; keine wölbt mir Lauben luftig und schattig, wie Du; keine andre theilt meine Lust, das Leben zu beglücken, das aus Dir stammt, in Dir vergeht, und wieder von neuem aufsproßt, sich unsrer zu freuen. Glücklich sey das Geschlecht, während meines Reiches Dauer, denn nach mir kommen strengere Herrscher, und die Sorge, und die Welkezeit, und die Nacht! –

Wer hat sich nicht schon gefreut unter dem lindwehenden Panier des fröhlichen Lenzes? Wer, der ein fühlend Herz in der Brust trägt, hätte nicht schon[6] unter dem sonnigen Frühlingsschein die Arme ausgebreitet mit unnennbarem Sehnen, entzückt von Dankbarkeit, erregt von milder Rührung? Predigt die schöne Jugendzeit des Jahrs nicht Friede und Versöhnung? Entwaffnet sie nicht den Haß in edeln Gemüthern? O wahrlich, diese goldnen Tage sollten kein gezücktes Schwert schauen, die süße Frühlingsluft kein drohend Wort vernehmen! – Aber die Leidenschaften ziehen eine Eiswand um des Menschen Herz, die auch der Lenz nicht zu schmelzen vermag; das rohe jüngere Geschlecht kümmert sich nicht um den Wonnemond, weil seine kräftige Begehrlichkeit nicht nach der Sonnenwende fragt, um Wonne zu genießen; und nur des reifen Alters Vorzug ists, das Leben zu verstehen, ihm Sinn und Deutung zu geben, und zu wissen, daß unser irdisch Theil ein treues Conterfei des Wechsels in dem Weltall darstellt.

Wenn er's auch nicht aussprach, so fühlte doch Herr Diether, der Altbürger, dasselbe, da er an einem wunderschönen Morgen in seinem Gärtlein lustwandelte, das vor der Stadt gelegen war, und trotz seinem einfachen Plankengehäge, und dem darin schlicht von Dielen auferbauten Lust- und Werkhäuslein höher von Diether geachtet wurde, als sein stolzes Haus zu Frankfurt selbst. Auf den Arm seiner Ehefrau gestützt, – denn noch war die Wunde, an der er darniedergelegen, nicht völlig vernarbt, schritt er sinnend, aber hellen Auges, auf und nieder, und erging sich in der würzigen Luft und dem warmen Himmelshauche. Frau Margarethe, ihrerseits in Gedanken [7] versunken, aber dennoch ein Auge sorglich auf den presthaften Gatten geheftet, während das andre nach dem kleinen Hans hinüberschweifte, der mit Elsen in einem Winkel des Gartens spielte, schwieg gleich ihrem Herrn. Da begehrte der Letztere zu sitzen, und Margarethe führte ihn zu der Bank an der Thüre des Häuschens. Als sie nun beide darauf Platz genommen, fingen die Glocken der Stadt an ihr Geläute ertönen zu lassen. Diether schlug die Hände fromm zusammen, sah eine Weile still vor sich hin, und redete alsdann: Sie haben in der Stadt ein gottesfürchtig Werk vor. In diesem Augenblicke legt der hochwürdige Stiftsdechant, Herr Jakob Herdan, den Grundstein zu einem stattlichen Thurme, der am Damm aufgeführt werden soll. Ehrenwerth ist es, da ein Denkmal für den lieben Herrgott hinzusetzen, wo früher das Rathhaus stand, auf dem der Bürger Wohl besorgt wurde; und ziemlich ist's zu gleicher Zeit, daß ich, den Gebreste verhinderte, von Amtswegen bei der heiligen Handlung zu seyn, den festlichen Augenblick begehe mit frommer That und Rede. Seht, meine werthe Hausfrau: ich habe es bis jetzt aufgespart, mit Euch etwas zu besprechen, das mir am Herzen nagte. Es kann Euch nicht entgangen seyn daß ich seit einiger Zeit wohl nicht derselbe gegen Euch war, der ich früherhin gewesen. Ich kann leider nicht läugnen, daß der Tag, an welchem Euer Bruder uns mit gewohnter Unverschämtheit heimsuchte, eine Quelle des Argwohns und traurigen Verdachts für mich geworden. Ich schäme mich schier, die Reden des wüsten Menschen zu wiederholen, [8] die niemals einen Eindruck auf mich hätten machen sollen. Aber der Mensch ist ein schwaches Geschöpf. Von dem Kleinern zum Größern fortzuschreiten, – selbst den Funken zum Brande anzublasen ist ihm ein gering Geschäft. Der Böse verblendete mich ganz, da mich der Meuchelmörder überfallen und gezeichnet hatte. Ich beklage den Wahn, der mich gehässig gegen Euch anreizte, daß ich eure Hülfe von mir stieß, und mich wie ein Toller geberdete, bis ich ohnmächtig mich Eurer Fürsorge überlassen mußte. Da gingen mir endlich nach und nach die Augen auf. Euer still besonnenes Thun, gleich weit entfernt von dem Trugeifer einer Heuchlerin, wie von der schadenfrohen Sorglosigkeit eines Weibes, das sich Witwe zu werden sehnt, erweichte mein Gemüth, wie meine Wunde. Dennoch, argwöhnisch, wie ich war, las ich aufmerksam in eurem Blicke, und mir entging die ruhige Freude nicht, mit welcher Euch meine Genesung erfüllte. O, diese Überzeugung trug viel zu meiner Herstellung bei, und, als ein gerechter Mann, der sich nicht scheut, sein Unrecht einzugestehen, frage ich Euch heute, unterm Blau des Himmels, und in Gegenwart unsers Kindes, ob ihr den gräulichen Verdacht vergeben könnt.

»Mein werther Eheherr ....« stammelte Margarethe überrascht und beschämt: »Wie könnt Ihr doch meinen, daß ein Groll gegen Euch ....«

»Lieb Weib,« fiel Diether ein: »Ich liebe das Geradezu.« Scheltet mich aus, wie einen Heiden, daß ich zweifeln konnte an Eurer Ehre und euerm Christenthum, auf das Zeugniß eines Lügners hin, und [9] auf die That eines meuchlerischen Buben. »Nein,« – fuhr er fort, Margarethens Wange und Hand streichelnd – »dies fromme Angesicht konnte mich nicht an einen Andern verrathen; diese Hand, die mich so zart und sorgsam pflegte, hat nicht auf das Leben eines alten Mannes gezielt.« –

»Jesus!« seufzte Margarethe erschrocken: »Was kommt Euch zu Sinne, lieber Herr? Die Heiligen mögen Euch verzeihen, wie ich es thue, ob solchem schnöden Verdacht.«

»Wenn Ihr vergebt, die Beleidigte, so thun es die Heiligen nicht minder;« antwortete Diether; »und förder sollt Ihr nicht klagen können. Der Versucher soll nimmer an mich kommen. Mein Siechthum hat gar Vieles anders gemacht in meinem Innern. Eine recht süße Wehmuth, wie ich sie nie gefühlt, seit ich zum Erstenmal freite, hat mirs angethan, und den Wunsch in mir erregt, Alle, die mir nahe angehören, um mich her versammelt zu sehen: den Bruder, den Sohn, und .... ach ja ... und auch die Tochter, obgleich sie sich von uns geschieden hat mit Vorbedacht. Seht, Margarethe, auch um dessenwillen muß ich Euch danken. Wallrade hat Euch schwer beleidigt, und dennoch tratet Ihr nicht zwischen sie und mein Verlangen.«

»Die Jahre werden viel geändert haben;« erwiederte Diethers Gattin sauft: »Damals wollte sie nicht meine Tochter heißen; jetzt würde sie vielleicht meine Freundin.«

»O gewiß;« bekräftigte Diether: »die Zeit macht milder, wie das Sprüchwort heißt. Aber wehe thut[10] mirs, daß bis jetzo auf mein redlich Schreiben weder Antwort kam, noch der herzliebe Besuch von den Dreien, die sich zu Kostnitz plötzlich zusammen doch gefunden. Ich hatte mich darauf gefreut wie ein Kind. Ich hatte mir alles so schön und heimlich ausgedacht, – wie ich Wallraden – die liebe widerspenstige Tochter – in Deine Arme führen wollte; wie ich den zu unsrer Wonne so glücklich gesundeten Sohn an der Geschwister Brust gelegt hätte; ... aber meine Freude fiel in den tiefsten Brunnen. Noch am verwichnen Sonntage zupfte es mich an allen Nähten, und eine falsche Ahnung flüsterte mir zu: heute, – ja, heute kommen sie ganz gewiß. Schier hätte ich mich auf die Heerstraße tragen lassen, um ihnen in die Ferne entgegen zu sehen. Der alte Thor hätte sich aber blind geschaut. Dem Greise versagen sich die, die er liebt.« –

»Habt Ihr denn nicht uns?« fragte Margarethe mit ängstlicher Freundlichkeit, und hob den Knaben der sich herbei gemacht hatte, auf den Schooß des Gatten, dessen Nacken sie umschlang. »Bedürft Ihr, um glücklich, und zufrieden zu seyn, noch andrer Herzen, die Euch fremd geworden zu seyn scheinen?«

»Nicht doch, geliebte Ehefrau!« betheuerte der gerührte alte Mann, den Buben und seine Gattin abwechselnd herzend und liebkosend: »nicht doch, herzliebes Söhnlein! Aber, wenn ich Euch gleich inniger im Busen trage, als die Vermißten, .... sie sind doch auch meine Kinder; vorab der Dagobert, der die Freuden des Hausvaters dahinten lassen muß, um der Mutter zu einer fröhlichen Urstund zu helfen.«

[11] »Hier, sagt man, soll ich Herrn Diether finden?« fragte am Eingange des Gartens eine Stimme, die Margarethen nicht fremd, ihrem Gatten eine liebe war.

»Wallrade!« riefen beide überrascht, und Diether's wankende Knie versagten dem Aufstehenden den Dienst. Indessen kam die Unerwartete und dennoch Ersehnte langsam und stolz herangeschritten, von Elsen begleitet, die ihr den Weg zu dem Elternpaare wies. »Wallrade! Tochter!« stammelte Diether unter Thränengüssen der Freude, die Arme weit öffnend. »Willkommen Fräulein!« setzte die Stiefmutter hinzu, die Hand ihr reichend. Aber weder in die Arme des Vaters sank die Tochter, noch ergriff sie die dargebotne Rechte. Einige Schritte von Diether entfernt, stand sie stille, warf einen durchdringenden Blick auf das Paar, und schlug die Hände zusammen. »Herrgott!« sprach sie in dem tiefen Tone, der nicht selten auf ein hartes Gemüth schließen läßt: »Wie verändert finde ich Euch, Vater! Die letzten Jahre scheinen Euch nicht zugesagt zu haben!« Diether überhörte diese Worte, bewegt von den Gefühlen, die das schwache Alter doppelt empfindet; aber Margarethe faßte sie auf, die wie ein kalter Hauch an ihr warmgewordnes Herz drangen. »Die letzten Tage, wollt Ihr sagen, Fräulein!« erwiederte sie empfindlich: »Die letzten Jahre waren gut, und von Eurer Kindlichkeit wird es abhängen, ob der heutige Tag ihnen gleichen soll. Euer Vater harrt noch immer der schicklichen Umarmung entgegen. Ich möchte [12] Euch nicht gern umsonst darauf aufmerksam gemacht haben. –«

Wallrade näherte sich dem Vater, küßte seine Hand und Wange mit Förmlichkeit, und neigte sich steif vor Margarethen. »O mein liebes Kind!« sprach Diether, der sie neben sich auf das Bänkchen niederzog: »Wie erquickt mich Dein Anblick. Ja, in Frauenherzen wohnt Versöhnlichkeit und der Funke der Liebe. Du, das verloren geachtete Kind, kehrst in's Vaterhaus zurück, während Sohn und Bruder ferne bleiben.« – Wallrade zuckte leicht die Achseln und wendete sich zu Margarethen mit den Worten: »Ehrsame Frau;« wenn mich der Vater schon verloren achtete, ... »um wie viel strenger mag nicht Euer Urtheil über mich gelautet haben?« –

»Ihr irrt;« versetzte Margarethe ruhig: »was das heiße Blut der Jugend fühlte, steht den reifern Jahren zu, wieder gut zu machen. Mein Herr liebt Euch, darum seyd Ihr auch mir kein unlieber Gast.« – »Wacker gesprochen, liebe Wirthin!« rief Diether, ihr entzückt die Hand entgegenstreckend: »Ihr seyd eine Perle, wie sie wohl selten ein Greis in seinen Winterkranz flechten darf, und ich denke, Wallrade soll Euch bald innig befreundet seyn. Umhalst euch vor meinen Augen. Das letzte widerstrebende Gefühl versinke in der freundlichen Annäherung. – So; und nun, meine wiedergefundne Tochter, küsse auch Deinen Bruder, den kleinen muthwilligen Johann, die Wonne meiner alten Tage.« – Wallrade sah sich mit verdüstertem Antlitz nach dem Jungen um, der, wie Margarethe erst jetzt bemerkte, sich hinter [13] die Bank und die Gewänder der Mutter verkrochen hatte. – »Johann, wo steckst Du?« fragte Diether liebreich: »Komm, umarme Deine Schwester!« – »Ei, du einfältiger Bube;« ermahnte Margarethe den Weigernden: »Was muß denn Schwester Wallrade von Dir denken? Du bist ja kein Ungeheuer, das sich nicht am Tage sehen lassen darf. Komm, komm doch!« – Sie zog den schüchternen Buben, der sich aus allen Kräften sträubte, mit Gewalt herbei, und erschrak jetzo selbst über die Blässe, die sein Gesicht überzogen hatte. Ängstlich gebückt, mit niedergeschlagnen Augen, stand der Kleine da, als hätte er ein Verbrechen begangen. Nichts konnte ihn bewegen, der Fremden nur einen Blick, eine Sylbe zu schenken. Diese Scheu, welche Diether und Margarethe sich nicht enträthseln konnten, machte augenscheinlich den widrigsten Eindruck auf Wallraden. Sie stand auf, – zweifelhaft, ob sie ihr Gesicht dem Knaben zuwenden, oder es von ihm kehren sollte. Ihre Augen brannten, ihr Mund zuckte und ihre gespannten Züge drückten die Leidenschaftlichkeit aus, die ihre Brust beseelte. Ihren Unmuth mühsam bemeisternd, wies sie des Knaben Hand schweigend von sich, als die Mutter, in deren Arme er sich geflüchtet hatte, ihn bewog, ihr die widerstrebende zu überlassen.

Zugleich zog sie den Schleier über Stirn und Augen. »Da das Herrlein meinen Anblick unerträglich findet,« – sprach sie mit angegriffener Stimme, – »so thue ich am besten, wenn ich ihm das unwillkommne Gesicht entziehe.« – Wirklich schien [14] es auch, als ob der Knabe sich begütigen wolle, denn seine Ängstlichkeit verlor sich nun so ziemlich, und er heftete dann und wann die blauen Augen staunend auf das reiche hellfarbige Gewand Wallradens, und auf ihre mit blitzenden Ringen gezierten Finger. Auf alle Fragen, Ermahnungen und tadelnden Reden der Eltern erwiederte er nichts; jedoch in demselben Augenblicke, als man ihn zu vermögen gedachte, zwischen Margarethen und Wallraden niederzusitzen, erstand wieder die vorige Furchtsamkeit in ihm, und er suchte abermals in Margarethens Schooß Zuflucht, wie vor einer Gefahr. – »Man hat dem Buben ohne Zweifel angenehme Dinge von mir berichtet;« begann Wallrade mit beleidigtem Stolze: »wenn ihm die Schwester als ein Schreckgespenst geschildert wurde, so muß er sie freilich fliehen, wie die Sünde.« – »Ei,« erwiederte Diether: »das hat meine Hausfrau sicherlich nicht gethan, darauf wollte ich schwören.« – »Mein werther Herr dürfte es auch;« bekräftigte Margarethe mit gesteigerter Empfindlichkeit: »Der Knabe hörte kaum des Fräuleins Namen nennen. Ich wollte wetten, er hat vergessen, daß er eine Schwester hat. Unerwartet kam ihm daher deren Anblick; wenn wir nicht annehmen wollten,« – setzte sie wie im Scherz hinzu, obgleich der Ernst hinter ihrem Lächeln lauerte, – »daß Kinder eine richtigere Ahnung haben, denn die Erwachsenen, ob man sie von Herzen liebt, oder ihnen nur des Herkommens wegen Liebkosungen erweißt.« – »Das Letztere möchte seyn;« entgegnete Wallrade rasch und kalt: »Ich muß bekennen, daß ich Kinder dieses Alters [15] nicht liebe, wären sie auch die Söhne meiner werthen Stiefmutter. Die Tölpelhaftigkeit der Buben ist mir in der Seele zuwider, und ich werde es als ein Zeichen Eurer aufrichtigen Freundschaft ansehen, ehrsame Frau, wenn Ihr mir, so oft ich des Vaters Haus besuche, den Anblick des ungeberdigen Stiefbrüderleins erspart.« –

»Soll gerne geschehen, verlaßt Euch darauf;« versetzte Margarethe gekränkt, und beschäftigte sich damit, die Haare des kleinen Hans unter dem Sonenhütlein zu ordnen, das sie ihm aufsetzte, – damit ein Zeichen zum Aufbruch gebend. –

»Das wird ja alles werden;« sprach Diether begütigend: »Was läßt mich aber Deine Rede muthmaßen, liebe Wallrade? Du gedenkst nicht zu wohnen in meinem Hause«?

»Nein, mein Vater!« antwortete das Fräulein bestimmt: »Ich bin seit Langem gewöhnt, in meiner Behausung Herr zu seyn; und meine Gewohnheiten könnten Eurer Ehefrau lästig seyn, so wie mir vielleicht ihre Hausordnung. Daher habe ich's für gut erachtet, in der Herberge zum Eichhorn abzutreten. Da durch erspare ich uns allen manche Unannehmlichkeit, die um so überflüssiger ist, als mein Aufenthalt zu Frankfurt nur von kurzer Dauer seyn kann.« – Diether wollte sein Bedauern nicht verhehlen, und der Tochter zureden, aber Margarethe unterbrach ihn schnell.

»Es sey fern von uns,« sagte sie hitzig: »des Fräuleins Willen beschränken zu wollen, und darum geschehe nach ihrem Wunsche, aber die Freude, Euch[16] an unsrem Tische zu bewirthen, werdet Ihr dem Vater doch nicht versagen? – Der arme, kleine, ungeberdige und tölpelhafte Johann soll nie durch seine Gegenwart stören.« – »Ihr verbindet mich immer mehr, gute Frau;« erwiederte Wallrade in gleichem Tone: »und damit ihr von meiner Bereitwilligkeit überzeugt werdet, so fordre ich Euch selbst auf, nach der Stadt zu kehren. An meines Vaters Seite sitzend, will ich ihm vom Ohm erzählen, der ihn zärtlich grüßen läßt.« – »Gruß ersetzt wohl bei Tafelfreuden die Einkehr;« entgegnete Diether seufzend, und, zum Weggehen fertig, sich auf Wallradens Arm stützend: »aber wehe thut mir's doch, daß er nicht selber kam, und daß Dagobert ausbleibt, auf dessen treuen Kindessinn ich Felsen gebaut hätte.« – »Von Dagobert laßt mich schweigen;« äußerte Wallrade mit geheuchelter Bekümmerniß, und war aber im Augenblicke, auf die Aufforderung der väterlichen Besorgniß, bereit, dies Schweigen zu brechen. Mit dem alten Diether vorausgehend, entwarf sie dem ängstlich Zuhörenden ein mit hämischer Bemühung ausgemaltes Truggemälde von Dagobert's Lebenswandel zu Costnitz, und führte den Pinsel so gut, daß der Vater in dem Verläumdeten bald den verlornen Sohn beweinte. – Während dieser Einflüsterungen ging in beträchtlicher Entfernung hinter Vater und Tochter Frau Margarethe, den Knaben an der Hand, nachdem sie Elsen voraus zur Stadt geschickt, um zu einem erweiterten Mittagmahl Anstalten zu treffen. Die Art und Weise, wie die ungeliebte Wallrade trotz ihrer Schroffheit sich im ersten Augenblicke des [17] Vertrauens des Vaters bemächtigte, mit geringschätzender Hintansetzung der Gattin desselben, – die Kränkungen, die Wallrade mit freigebiger Hand an die Stiefmutter und den Knaben gespendet, griffen hart und böse an das reizbare Herz der stolzen Leuenbergerin. Wie aber oft das menschliche Gemüth, – ein weibliches insbesondre, – aus Dingen Trost gewinnen kann, die an sich geringfügig sind, so beruhigte sich auch hier Margarethe mit dem Gedanken, daß nicht allein sie selbst der Widersacherin Wermuth, zu kosten gegeben, sondern daß der Knabe sogar durch seine deutlich ausgesprochne Abneigung der Gegnerin Stolz verletzt habe. Von dieser kleinen Vergeltung erfreut, bückte sie sich mit größrer Freundlichkeit, – als sie sonst wohl dem Knaben zu wendete – zu demselben hinab, und streichelte seine Wangen. »Du bist ein wackrer Bube;« sprach sie belobend zu ihm: »ich habe Dich lieb vor Allen, wenn Du gegen Wallraden ferner Dich beträgst, wie heute. Willst Du?« – »Was Du befiehlst, Mutter;« erwiederte der Knabe freundlich.

»Recht so, mein guter Hans,« fuhr Margarethe fort: »Gehe nicht zu der falschen Frau. Sie wird Dir vielleicht Honigkuchen und Semmelringe bieten, um dich kirre zu machen. Nimm aber nichts von ihr, hörst Du? Sie meint es böse mit Dir und mir und mit dem Vater.« – »Ach Mütterlein!« rannte ihr der Knabe ins Ohr: »Ich fürchte mich vor ihr.« – »Thue das immer, mein Söhnlein!« versetzte Margarethe: »Zieh' ihr immer ein finster Gesicht, und iß nicht, was sie Dir bietet. Für jeden Leckerbissen, [18] den Du aus ihrer Hand nicht nimmst, gebe ich Dir deren zwei.« – »O ja Mütterlein!« entgegnete der Knabe hüpfend: »Du bist ein gut und anmuthig Mütterlein bei dem ich bleiben will. Zu der schwarzen Mutter will ich nicht mehr.« – »Was schwatzest Du wieder von dem schwarzen Weibe?« schalt Margarethe: »Du weißt, daß Du nur von ihm geträumt hast, Bube. Vergiß doch endlich den bösen Traum!«

»Ich will ja wohl, lieb' Mutter,« sagte der Knabe, eingeschüchtert durch den heftigen Ton: »aber Heute war mir's, als finge ich wieder an zu träumen, und die Fremde ist gewiß die Schwarze, die mich schlagen will.« – »Lächerliches Zeug!« eiferte Margarethe: »Wallrade ist Deine Schwester, Hans, und Niemand sonst. Aber eine böse Schwester ist sie, ob sie gleich ein rothes lustiges Gewand trägt. Sie will uns arm machen, daß wir betteln gehen sollen, wie der arme Hug, dem du alle Samstag seinen Heller an die Pforte bringst. Denk Dir nur! Je weniger Du sie aber leiden kannst, je weniger vermag sie uns anzuhaben.« – »Ich will ihr aus dem Wege gehen,« versicherte der kleine Hans treuherzig: »Du mußt mir auch dagegen nichts thun lassen.« – »Sorge nicht, mein Kind!« tröstete Margarethe. »Ich will Dich hüten wie meinen Augapfel. Folge nur fein meinen Geboten, und es wird alles gut gehen.« –

Es gieng auch alles nach ihrem Wunsche. Knabe und Stieftochter blieben einander ferne, weil sie sich nicht suchten. Diether, der, von Gatten- und Vaterliebe gleich bedrängt, in seiner unwandelbaren Gutmüthigkeit beständig hoffte, die Mißtöne seines Hauses[19] würden sich endlich doch noch in den gewünschten Einklang auflösen, vermittelte, entschuldigte, sprach zur Sühne, wo und wie es sich nur thun ließ, und erhielt auf diese Weise einen Schein von Friedlichkeit im Hauswesen, welcher bald genug die ganze Stadt täuschte, den nahen Verwandten- und Freundekreis nicht ausgenommen. Wallrade, die man geraume Zeit zu Frankfurt vergessen hatte, gewann nun neue Theilnahme durch ihr musterhaft sittsames Betragen, und durch die reuevolle Versöhnlichkeit, mit welcher sie, nach Diethers jubelvoller Behauptung, den Eltern die Friedenshand gereicht hatte. Der Altbürger, von den Glückwünschen seiner Freunde geschmeichelt, schwamm in einem Meere von Entzücken, und gewahrte in seiner Herzensfreude nicht, wie zwischen Wallraden und Margarethen die Kluft immer größer wurde, und zwischen Schwester und Brüderlein dennoch keine Annäherung sich stiften wollte. Eine Woche war also hingeschwunden, – eine kurze Zeit für Seelen, die sich lieben, – eine lange für solche, die bloß das Band verhaßter Form verknüpft, als Wallrade aus dem Vaterhause unmuthig und düster nach ihrer Wohnung im Einhorn zurückkehrte. Verdrüßlich beurlaubte sie den abgeschmackten Herrn, der durch eine weitläufige Vetterschaft das Recht gewonnen hatte, ihr als Begleiter auf dem Heimwege lästig zu seyn. Verdrüßlich trat sie in ihr Gemach, wo ihre Begleiterin in tiefen Gedanken versunken, am Fenster saß. – »Gute Wallrade,« sprach die Letztere, die Eintretende froh begrüssend: »Wie freue ich mich, Dich schon so frühe bei mir zu sehen. Mich quälen heute[20] ganz absonderliche Grillen.« – »Wie so?« fragte Wallrade entgegen. – »Der schöne Nachmittag hat mich verlockt, mit meiner Kleinen in's Freie zu gehen;« antwortete die andre: »Wir haben die geräuschvollsten Straßen durchstrichen, und ich erging mich einmal wieder im warmen Frühlingsschein. Meinen Kummer hatte ich mir durch Zerstreuung erleichtert; – aber auf einmal wurde er verdoppelt in seiner Last. Plötzlich war mir's, als ob ich unter dem Gewühle der Menschen meinen armen Rudolf erblickte. Du glaubst nicht, Wallrade, welchen Eindruck der grüne Rock auf mich machte, den ich unfern von mir durch das Getümmel schimmern sah. Wie eine aufgescheuchte Taube machte ich mir Bahn, und flog dem rüstig dahineilenden nach. Rudolf! rief ich in meinem Wahn, Vater! lallte mein Mädchen, als ob es meinen Schmerz theilte. Der Mann sah sich um, – und ich gewahrte ein kaltes, fremdes Gesicht. O, wie hatte ich mich getäuscht!« –

»Und wie sehr verdientest du diese Täuschung!« erwiederte Wallrade hart: »Verbot ich Dir nicht, Dich in der Stadt zu zeigen? Ich wußte es ja wohl, daß Deine unselige Leidenschaft den Gaffern ein Schauspiel geben, und die jungen müßigen Thoren in Bewegung setzen würde.« –

»Schilt mich,« versetzte Frau Katharine, »aber zürne mir nicht ernstlich. Was würde aus mir, wenn ich Deine Freundschaft einbüßen sollte? Laß mich indessen erst gänzlich meine Erzählung zu Ende bringen. Einen besondern Zufall habe ich noch zu berichten. Du kannst Dir vorstellen, in welcher Lage [21] ich mich befand, als die Hoffnung, den Gatten zu umfangen, mir entwichen, sein Trugbild, wie ein Gespenst unter meinen Händen in Nichts zerronnen war. Mich kümmerte das Anstarren der Gaffer nicht. In meinem, erst recht lebendig gewordnen Schmerze blickte ich auf zum Himmel, und drückte mein weinendes Kind heftig an die Brust, – da steht plötzlich ein junger Mann vor mir, in dem ich ohne Mühe jenen Jüngling erkannte, der uns, wie ich Dir schon erzählt, zu Costnitz den räthselhaften Besuch abgestattet hat, seit welchem meines Mannes verschloßne Schwermuth anhob.« –

»So?« unterbrach sie Wallrade überrascht: »jener Jüngling? Doch gewiß war's abermals nur ein Truggebild Deines Gehirns.«

»Nicht doch;« fuhr Katharine fort: »die wunderfreundlichen Augen des jungen Mannes habe ich mir zu gut gemerkt, sah ich ihn auch damals nur gleich wie im Fluge. Eben so freundlich blickte er nun mich an, und schien nicht weniger überrascht zu seyn, als ich. ›Ei, Frau von der Rhön,‹ sprach er hierauf: ›wie kömmt's, daß ich Euch hier zu Frankfurt sehe? Ihr habt sicherlich unter dem Gedränge Euern Gatten verloren. Darf ich Euch an seiner Statt nach Hause bringen? –‹«

»Seht doch!« spöttelte Wallrade mit einer gewissen Unruhe: »wie ritterlich! Und Du gingst mit ihm, und benahmst ihm ohne Zweifel seinen Irrthum?«

»Meine Schaam ließ es nicht zu;« entgegnete Katharine: »ich ließ mich zwar von ihm nach Hause geleiten, konnte mich jedoch nicht überwinden, ihm [22] die Wahrheit zu sagen, wie angelegentlich er sich auch nach dem Herrn von der Rhön und der Ursache unsers hiesigen Aufenthalts erkundigte.« Auf der Schwelle des Hauses nahm er Abschied. Da war es aber auch, wo er mir folgende bewerkenswerthe Worte sagte: »Grüßt Euern Gemahl von dem Unbekannten, edle Frau, und sagt ihm, er habe keine gute Zeit gewählt, hier zu verweilen. Sein böser Geist ist um die Wege. Er möge sich hüten, ihm zu begegnen. Ich werde in den nächsten Tagen selber ihn heimsuchen, und ihm, so Gott will, die Kunde bringen, daß die Gefahr vorüber.« – »Somit schied er, und seitdem ich zu Hause sitze, foltern mich neue Zweifel, peinigt mich verdoppelte Angst.«

Wallrade schwieg eine Weile mit gerunzelter Stirne, nachsinnend und düster. »Dieser Mensch,« sprach sie endlich, »ist ohne Zweifel selbst Deines Gatten Feind, oder das Werkzeug seines bösen Geistes. Hinter seinen räthselhaften Worten lauert Unheil, – ich wollte darauf einen Eid ablegen. Du mußt dem Fremdling ausweichen; – ich will es. Ohnehin ist meines Bleibens hier nicht mehr lange.«

»Nicht?« fragte Katharine ängstlich in Wallraden's Augen lesend: »Du wirst doch nicht vergessen, was Du mir, Deiner Freundin gelobtest? Hieher, erfuhren wir, habe der beklagenswerthe Flüchtling sich gewendet; – hier verliert sich seine Spur, dem Anscheine nach; allein Du hast mir nähere Auskunft zugesichert, durch Deines Geschlechts und Deiner Freunde vielseitige Verbindungen. Versäume nicht, für mich zu handeln. Ich, die Verlassene ohne Verwandte, [23] ohne Güter und Freund, vermag es ja nicht.«

»Was ich gelobte, habe ich nie versäumt;« erwiederte Wallrade: »ich habe für Dich gehandelt; ich habe Aufschluß erhalten auf mein beharrliches Forschen; ich muß Dir nun, so wehe es mir thut, mittheilen, was ich aus der reinsten Quelle geschöpft; denn Deine überspannte Sehnsucht, Deine auf's höchste gereizte Leidenschaft für einen Treulosen, der Dich verließ, muß geheilt werden, sey es auch durch das läuternde Feuer des Grams. –«

»Gott! was werde ich hören!« seufzte Katharine in banger Erwartung, die Augen starr auf das unheilverkündende Antlitz Wallraden's geheftet, welche hart und ohne Rührung fortfuhr, Streich auf Streich gegen das kindlich wehrlose Herz der Unglücklichen zu führen. – »Nimmer wirst Du ferner den Schändlichen schauen;« sprach sie: »nach Frankreich ist er gezogen, um unter französischen oder englischen Fahnen sein Blut zu verspritzen. Nicht des Kaisers Zorn scheuchte ihn aus den Gemarken seines Vaterlands, sondern die Furcht vor der Rache Gottes und seiner Kirche. Er liegt im Bann.«

»Herr des Himmels!« schrie Katharine auf: »Im Bann? Was hat der Unglückselige gefrevelt? Was hat ihn in die ewige Verdammniß gebracht? O rede, rede Wallrade!«

»Du forderst mich auf, den größten Jammer. Dir nicht länger zu verhehlen;« versetzte das Fräulein, »der Herr von der Rhön hat mit Gottes heiligstem Gebote seinen verfluchten Spott getrieben. [24] Das Sakrament der Ehe, das der Herr selbst eingesetzt, hat er mißbraucht, um seinen Lüsten zu fröhnen. Ehe er Dich zum Weibe nahm in böser Arglist, hatte ihn der Priester schon mit einer andern eingesegnet vor Gott.«

»Halt ein!« rief Katharine, entsetzt auffahrend; allein die Unerbittliche vollendete demungeachtet: »Die, die er verließ, um Dich zu betrügen, schmachtet dahin in Elend und Kummer sammt ihren Kindern. Und dennoch ist sie weniger zu beklagen, als Du; denn Deine Ehe mit dem Verräther ist Sünde und Schmach; Dein Kind ist unehelich gezeugt in Schuld und Frevel.«

Katharine sank mit einem dumpfen Laut vom Sessel zur Erde, und mitleidige Ohnmacht schloß ihr Auge. – Aber das Mitleid stand an ihrer Seite nicht. Wallrade leistete ihr keine Hülfe, sondern lächelte tückisch in das Unglück, das sie angerichtet. Mit grausamem Übermuth heftete sie die wilden Augen bald auf das arme Weib zu ihren Füßen, bald auf dessen, in weichen Kissen schlummerndes Kind. Grimmiges Rachgefühl verzog ihr Gesicht, hob die kühn arbeitende Brust. Die Hände schlug sie befriedigt zusammen, und murmelte höhnend zwischen den Zähnen: »Der Siegreich ist gefallen! Fast stehe ich am Ziele. Er, flüchtig wie ein Ächter; sie, losgerissen von Allem, in meiner Gewalt; sein Kind mein Opfer, wehrlos hingegeben meiner Vergeltung! So mußte es kommen. Leben muß er zu seiner Qual, und wenn auch die kühnste Verzweiflung ihn wieder zum verlaßnen Herde triebe, verstohlen, um jeden Preiß seine Lieben noch einmal zu sehen, die Stätte öde [25] finden, und nicht wissen, wo sie athmen, die ihm theuer sind. Vergehen muß er nun langsam in fruchtlosem Jammer; vergehen muß aber auch sie an der trägen Glut fressenden Grams; und erblassen muß die Tochter in meinem Schooß, verwelken an dem Genusse des Wermuthbechers, den ich ihr reichen will vom Sonnenaufgang bis zum Abendroth. Dies zu vollbringen helfe mir das Unglück, das so gerne feindselig des Menschen Geschick zu untergraben bereit ist! –«

Die Zofe trat hier in die Stube, und bebte zurück, da sie die erblaßt dahin Gesunkene ersah. »Was solls?« fragte Wallrade. »Rüdiger ist zurück;« berichtete die Magd, ihrer Bestürzung kaum Herr werdend. – »Zurück?« fragte Wallrade wiederum, und ein heller Schein überstrahlte ihre Züge: »Ich gehe, ihn zu sprechen. Stehe Du mittlerweile hier der Elenden bei, und bringe sie zur Ruhe. – «

Mit einem höhnenden Abschiedsblick rauschte sie zur Thüre hinaus, vor welcher der Knecht Rüdiger wartete. Sie winkte ihm in die Seitenstube. – »Sag' an Deine Mähr;« begann sie zu dem Manne. »Gesagt ist sie bald,« erwiederte derselbe. »Es hat Alles seine völlige Richtigkeit. Der Knabe, von dem Ihr Kunde haben wollt, ist wirklich derjenige, wofür er ausgegeben wird.« – »Nicht möglich!« fiel Wallrade ein: »Du lügst!« – »Ihr dürft mich einen Lügner schelten;« versetzte der Breitgestirnte gleichmüthig: »Ihr seyd meine Herrschaft, und ich Euer halseigner Knecht. Aber trotz dem konnte ich zu Wiesbaden nichts anderes herausbringen. Die [26] Frau Willhild von welcher mir Else erzählte, da ich sie Eurem Gebote gemäß, geschickt ausforschte, hat richtig Herrn Diether's Junker erzogen, und ihn verwichnen Herbst zur Stadt gebracht. Keine Seele in ihrem Wohnorte und zu Wiesbaden weiß Anderes davon zu berichten. All meine Mühe war umsonst.« – »Schon genug;« versetzte Wallrade: »Du bist ein Büffel, und ich werde selbst an Ort und Stelle sehen, ob Du meinen Auftrag ausgerichtet, wie ich's begehrt.« – »Das steht Euch frei;« entgegnete Rüdiger wie oben: »aber, ob Ihr gleich der Herr seyd und ich Nichts gegen Euch vorstelle, so werdet Ihr doch finden, daß ich Recht habe.«

Nachdem er sich entfernt, überlegte Wallrade, mit Ernst und Fleiß, wie Alles sich zu ihren schnöden Zwecken fügen müsse. – »Diese schwüle Gewitterhitze kann nicht von Bestand seyn,« sprach sie zu sich selbst: »bleibe ich länger, so kömmt es zur Fehde zwischen der Stiefmutter und mir. Den offnen Bruch muß ich jedoch vermeiden, bis ich ihr hart an's Leben kann. Jetzt treibt mich die Vorsicht von hinnen, denn nach dem, was Katharine sprach, ist mein Bruder angelangt, und brütet sicher in geheimer Stille Verderben gegen mich. Ihm muß ich ausweichen zu gelegner Zeit, und selbst zu Wiesbaden und an Willhild's Wohnorte die Waffen suchen, deren ich bedarf, um Margarethen zu vernichten. Denn – falsch ist ihr Spiel; wie sollte ich den Buben nicht kennen? Warum wäre er so scheu und furchtsam gewesen, da er mich nur sah? Welch ein seltsam Verhängniß ihn auch hieher, gerade in dieses Haus geführt haben[27] mag ..... ich will es benützen. Zuerst diene er mir als Hebel zum Sturze meiner Feindin; dann erst soll auch ihn meine verzögerte Rache ereilen. Ehe ich aber die Fahrt antrete, die mir Gewißheit verschaffen soll, wo Margarethens Sohn hingekommen, muß ich noch ein Gift bereiten, das ich in Diether's Wunde streuen kann, um sie nie verharrschen zu lassen.«

»Um Gottes Barmherzigkeit willen, laßt mich zu ihr!« jammerte eine flagende Stimme draußen, und Bilger's Gattin stürzte mit aufgelöstem Haar und zerrütteten Gewändern zu Wallraden herein. »Ich konnte sie nicht aufhalten!« versicherte die zagend nachfolgende Zofe, da sie in Wallradens finsterm Blicke den Zorn über die unverhoffte und unwillkommne Störung las. Verweint, bleich, mit wankenden Knien nahte sich Katharine dem Fräulein, das durch einen Wink die Dienerin entfernte; sie ergriff des Fräuleins Hand und sah sie mit dem Ausdrucke unaussprechlicher Wehmuth an. – »Was willst Du, Katharine von der Rhön?« fragte Wallrade hart und abgeschlossen. – »Verbirg mich vor meiner eignen Schande!« schluchzte Katharine, »und nenne den unglücklichen Namen nicht, der mich einst selig machte, und nun meine ganze Zukunft vergiften wird.« – »Wie soll ich Dich denn also nennen, Unselige?« fragte Wallrade wie zuvor. – »Hab ich denn mein Recht auf Deine Freundschaft verloren?« klagte Katharine: »An Deinem Busen fand ich Trost über des Gatten Verlust, als er mich und sein Kind so schnöde verlassen hatte: Deinem Zureden folgte [28] ich, als ich unsers gnädigsten Kaisers Gnade von mir verwies, die für meine Zukunft sorgen wollte. Deiner ernstlichen Zuneigung vertraute ich, als Du mich auffordertest, mit Dir zu ziehen, um des treulosen geliebten Flüchtlings Spur zu verfolgen. O, steh mir auch jetzt bei in den schwersten Stunden meines Lebens! Hilf mir in diesem Sturme meines empörten Herzens!« – »Wie soll ich?« sprach Wallrade mit Kälte und unverkennbarem Widerwillen. – »Werde mir nicht fremd;« fuhr Bilger's Gattin dringender fort: »zürne nicht meiner Scheu, zu glauben, was meine Seele durchschneidet wie ein Schwert. Ist es auch sichre lautre Wahrheit, was Du mir berichtet?« – Wallrade richtete sich stolz in die Höhe: »Wozu diese Frage?« sagte sie mit einem Tone, der die arme unschuldige Katharine beben machte: »Ich lüge nicht. Beruhigt Dich aber ein Eid mehr, als mein Wort, so schwöre ich den theuersten, daß ich Wahrheit sprach.« – »Und wer .... wer ist die, die er zuerst umfing, um sie zu meiden für meinen Besitz?« fragte Katharine, wie von Eiseskälte geschüttelt weiter. – »Die Unglückliche ist hier geboren, aus edelm Geschlechte stammend;« entgegnete Wallrade zögernd: »sogar nahe – nahe mit mir befreundet. Ihren Namen, wie den Ort, den sie bewohnt mit ihren vaterlosen Waisen, hoffe nicht von mir zu erfahren.« – »O nenne mir ihn!« bat Katharine flehend, und außer sich: »Nenne mir das Weib, nenne es!« – »Mit nichten!« höhnte Wallrade: »Etwa, damit Du, die leidenschaftlichste aller Frauen, die ein lodernd Feuer unter harmlosem Antlitz [29] birgt, die stille Zurückgezogenheit der Ärmsten stören mögest durch Deine Klagen, Deine Verwünschungen?« – »O, wie hart urtheilst Du von mir!« versetzte die Frau von der Rhön: »ich habe für ihn, den falschen Verräther, den sündigen Mann keine Verwünschung, und ich sollte jener zürnen, die früher von ihm betrogen wurde, denn ich?« – »Du sprichst gut;« antwortete Wallrade gleichgültig: »nur Schade, daß Deine Rede gleißender ist, als die That es seyn würde. Das Weib ist heftiger in seinem Haß, als der Mann selbst. Überdies kehrst Du die Waffen gegen Dich selbst, sobald Du ruchtbar machst, daß Du den in Bann Verfallnen in verbrecherischer Ehe umschlungen. So wie Du die Sünde mit ihm theiltest, so müßtest Du auch die Strafe mit ihm theilen. Gelüstet's Dich, mit geschornem Haupt und nackten Füßen, die gelbe Kerze in der Hand vor der Kirchenpforte zu knien, Buße zu thun vor den Augen der Gemeinde, und jeden Vorübergehenden um Vergebung anzubetteln im Namen des barmherzigen Gottes und seiner Heiligen? Gewährte es Dir Luft etwa, als Verführerin des ruchlosen. Mannes, der, sich selbst feig der Gefahr entziehend, Dich darinnen umkommen läßt, Dein Leben in einem dumpfigen Kerker bei Wasser und Brod zu vertrauern, während Dein Mägdlein im Schlamm der Schande und des Mangels untergeht? Und doch wären dieses die Folgen Deiner Unbesonnenheit. Das Geschlecht der rechtmäßigen Gattin von der Rhön's würde Dich auf's grausamste verfolgen. Du würdest unbezweifelt das Opfer seyn.« –

[30] »Du entfaltest ein erbärmlich Loos vor meinem Blicke;« seufzte Katharine mit Thränen der Angst in den schönen Augen: »wohin ich sehe, droht mir Schande. Meinen Namen wage ich nicht mehr vor einem fremden Ohre auszusprechen.«

»Du mußt ihn auch aus der Welt tilgen;« forderte Wallrade gebieterisch: »Du darfst nicht mehr nach dem Elenden Dich nennen; nicht Dich, nicht Dein Kind: denn nur jene Erste führt das Wappen derer von de Rhön mit Recht. Und nicht nur Dein Name, du selbst mußt aus dem Alltagsleben verschwinden, – willst Du ruhig, ungefährdet seyn, und Reue üben ob dem Frevel, dessen Du Dich theilhaftig gemacht.« –

»So rede!« flehte Katharine: »Rathe! zeige mir einen Weg, der zu der Abgeschiedenheit führt, die allein mir Heil bringen kann!« – Wallrade schwieg hartnäckig, und erst, nachdem Katharine alle Bitten der Freundschaft an sie verschwendet hatte, begann sie ernst und gemessen, wie folgt: »Gerne würde ich Dir eine Zuflucht in meinem Hause anbieten, allein mein Gut wirft kaum meinen Unterhalt ab, und die zahlreiche Nachbarschaft, die in meinem Hofe aus-und eingeht, könnte Dir gefährlich werden. Ich möchte meine Freundschaft nicht gern mit Bann und Interdikt belohnt sehen.« –

»Was bleibt mir übrig?« weinte Katharine und rang die Hände: »Meine Eltern sind schon lange todt. Zu Bilger's Freunden darf ich nicht, soll nicht das Gräßliche an's Tagslicht kommen; des Kaisers Hülfe hab' ich ausgeschlagen ....«

[31] »Mit Fug und Recht;« unterbrach sie Wallrade herrisch: »der Kaiser ist ein Meister in der Kunst, schwache Weiber zu bethören. Du weißt, auf welche Weise er meine unschuldige Freundschaft fast vergolten hätte. Welch ein Schicksal, als seine Buhlerin angesehen, und in der Folge von dem wankelmüthigen Lüstling in's Elend gestoßen zu werden! Ich würde es vorziehen, den weißen Stab zur Hand zu nehmen, und von der Mildthätigkeit meiner Nebenmenschen die Fristung meines Lebens zu heischen.«

»Das ist auch das Einzige, das mir bescheert ist, guter Gott!« seufzte die arme Katharine: »Bilger war nicht reich. Das Wenige, das er vor seiner Flucht gewonnen hatte, und zurückließ, wird bald zerronnen seyn, – und dann, wie Gott will! Die Freundin stößt mich von sich .... was darf ich von fremden Menschen hoffen?« – Sie wankte zur Thüre. Mit dem Ausdruck falschen Mitleids rief sie Wallrade zurück. – »Höre mich;« sprach die Letztere so gleißend, als sie vermochte: »will ich denn Dein Unglück? Zweifelst Du denn an meinem herzlichen Bedauern? Vernimm mei nen Rath. Er wird Dich von der Reinheit meiner Gedanken, wie von meiner aufrichtigen Sorge für Dein Seelenheil, das Du gewissermaßen verwirkt hast durch Deine Verbindung mit dem Sünder, überzeugen. Wahr ist's: der Menschen Satzung spricht ein hart und grausam Urtheil über das Verbrechen, dessen Theilnehmerin Du unläugbar gewesen: darum weiche dem Schwert irdischer Gerechtigkeit aus. Wohin könntest Du aber vertrauensvoller fliehen, als unter den Schirm Gottes, [32] der die ewige Barmherzigkeit ist, und den Tod des Sünders nicht will? Wirf Dich in die Arme des Erlösers! Vertraue, folge mir, und ich führe Dich an seine Brust, welche ihr kostbares Blut vergossen hat, um uns rein zu waschen von jedem Frevel. Die Oberin des Stifts der weißen Frauen ist mir hold, und würde auf meine Verwendung Dich gerne unter die Zahl der Reuerinnen aufnehmen. Hinter jenen uralten Mauern bist Du sicher. Todt ist dort jedes außerhalb begangene Vergehen; Buße und Versöhnung wohnen in dem Schooße jener ehrwürdigen Schwesterschaft. Durch Arbeit und Gebet wirst Du die verlorne Zufriedenheit wieder gewinnen, den sündlichen Namen, den Du trägst, vertauschen mit einem neuen gottgefälligen, und die Krone der ewigen Seligkeit erringen!« – Katharine, bleich wie ein Marmorbild, starrte Wallraden unbeweglich an. Die Augen waren ohne Thränen, obschon ein bittrer Schmerz aus ihnen leuchtete. Lange konnte sie kein Wort der Erwiederung finden. Endlich öffnete sich der blasse Mund. »Wallrade!« klagte die Gequälte: »Du forderst mich auf, lebendig in's Grub zu steigen? O, wie oft hörte ich, daß hinter Klostermauern der Friede nicht wohnt! Dort soll ich des Lebens Blüthe verwelken sehen? Ich bin ja noch so jung, Wallrade, ich habe kaum die Welt geschaut, und soll sie schon vergessen in dumpfiger Zelle? Du begehrst das Schwerste, das ich kaum gewähren könnte!«

»Wie's Euch beliebt;« antwortete Wallrade kalt: »mein Rath war redlich, Katharine; daß ihr ihn nicht befolgt, möchte Euch zu spät gereuen. Mich [33] kümmert zwar Euer Loos nicht im mindesten. Wollet mir jedoch die Liebe thun, mein Haus stracks zu meiden. Ich lebe nicht gern mit Fluch und Bann unter einem Dache.«

Die grausame Rede schüttelte Katharinens schwaches Widerstreben zu Staub. Ein Strom von Thränen preßte sich unter den Wimpern der Leidenden hervor, die wie verzweifelnd sich zu Wallradens Füßen warf. »O Wallrade!« jammerte sie: »Bin ich denn so ganz dem Bösen verfallen in Deinen Augen, daß Du mich unerbittlicher von Dir stößest, als es ein Heide thun würde! Ach, Wallrade! hat jemals Dein Mund wahrgesprochen, als er mich Freundin nannte, – so jage mich nicht von dannen, wie den gehetzten Hirsch! Hast Du nicht Mitleid mit mir – weil ich eine große Sünderin bin, – so habe doch Erbarmen mit meinem unschuldigen Würmlein, das nicht entgelten soll die Frevel seiner Erzeuger. Weise uns nicht hinaus in das wilde feindliche Treiben, das uns verschlingen würde! Ich habe nie gelernt, allein zu wandeln die Bahn des Lebens, .... wie soll ich es jetzt beginnen, da mir alle Stützen brachen? .. mit ihnen mein Muth?«

»Du fühlst es also,« zürnte Wallrade, – »Du fühlst es, daß der Strudel der Welt Dich hinabziehen würde, und zögerst noch, in den sichern Hafen zu schiffen? Du bist Dir bewußt, schwächer zu seyn als ein Kind, und sträubst Dich, nach dem treusten Stab, nach dem Kreuze zu fassen? Thörichte, in Sünde und eitle Sinnenlust Verstrickte! Ich sollte Dich vergehen lassen im Verderben, .... aber noch [34] einmal wendet sich Dir mein Herz zu. Gelobe, ehe es zu spät wird, meinem Willen zu gehorsamen. Rette Dich zu den weißen Frauen. Streng ist ihre Regel, aber herrlich und süß die Zukunft, die sie durch dieselbe erkaufen. Nicht Deine Strafe allein wendest Du vom schuldbewußten Haupte ab .... auch Deines verbrecherischen Buhlen Pein kannst du mildern, ihm ein sanfteres Loos in jener Welt erwirken! ....«

»O, welch einen Gedanken fachst Du in meinem Gehirn an!« versetzte Katharine, erhoben durch die Vorspiegelung der Falschen: »Wenn mich eine Ursache bestimmt, – ein Verlagen, so ist es der Wunsch, das Begehren, ihm, der mich elend machte, durch Wohlthat und Liebe zu vergelten! Ja, ja! ich folge Dir – unbedingt – sein Seelenheil zu retten! – Aber ... fügte sie erschüttert und schmerzlich hinzu: Aber ... mein Gott! das zerreißt mein Herz! ... was wird aus meinem Kinde?«

»Deine Demuth, Deinen Gehorsam belohnt der Herr auf der Stelle!« sprach Wallrade prunkend: »Deine Tochter sey die Meine. Nie werde ich mich vermählen, und in Deinem Kinde die Mutterfreuden kennen lernen, die ich nicht durch die Umarmung eines Mannes erkaufen möchte. Von Zeit zu Zeit bringe ich Dir das Mägdlein in deine Abgeschiedenheit, um es zu küssen, um es zu segnen, und zu sehen, wie mild und gut ich's mit Dir meine.«

Mit der Wonne höchster Dankbarkeit umschlang Katharine Wallraden. »Du bist eine Heilige!« – jubelte die arme Mutter: »An Deine hohe Tugend reichen meine Sinne nicht! Noch vor wenig Augenblicken [35] sah ich eine Feindin in Dir, und nun zwingst Du mich, als meine größte Wohlthäterin Dich zu verehren!«

Wallrade, welcher der herzzerreißende Auftritt, trotz der Siegesfreude, die ihr daraus erwuchs, zu lange dauerte, beeilte sich, ihm rasch und durchgreifend ein Ende zu machen. Sie versicherte unter den kräftigsten Betheuerungen der Ärmsten ihre unwandelbare Zuneigung, ermahnte sie, dem mühsam abgerungenen Vorsatze treu zu bleiben, und versprach ihr zum folgenden Tag die Einführung in das Kloster der weißen Frauen, woselbst unter ihrer Vermittlung die Aufnahme vorbereitet werden sollte. Hierauf redete sie ihr zu, das Lager zu suchen, um durch Ruhe den Sturm ihres Gemüths zu beschwichtigen, und überließ sich, nach Katharinens Entfernung, einem tiefen Nachdenken, dessen Ergebnisse am nächsten Morgen sich offenbaren sollten.

2. Kapitel
Zweites Kapitel.

Reichthum heißt nicht, Gold und Silber zu besitzen, sondern was man liebt.

Serbisches Lied.


Frau Margarethe stand umwölkten Blicks vor dem Kästchen, in welchem auf schwarzem Sammtgrunde die goldne Kette lag, womit ihr Gemahl sie zur Feier ihres heutigen Geburtstages bedacht hatte. Sie hätte mit sich selber grollen mögen, die Beschenkte. Herr Diether hatte so herzliche Worte der [36] Liebe zu ihr gesprochen, und trotz ihrem aufrichtigen Bemühen, solcher Liebe würdig zu seyn, konnte sie kein ähnlich Gefühl in ihrer Brust hervorzaubern. Ehrfurcht und Sorgfalt, den greisen Mann zu rächen, fand sie ihre Seele bereit, aber jene Empfindung, die so zart bewegt, so sanft erwärmt, so selig beglückt, war und blieb ihr fremd. In der prachtvollen Kette, diesem Zeichen von Diether's liebevollem Wohlgefallen, sah sie nicht den Schmuck sondern nur die neue Fessel. Eine befriedigende Selbsttäuschung hatte sie bis jetzt verblendet, und erröthend, widerstrebend mußte sie sich gestehen, daß sie sich betrogen, daß sie für Diether nur ein Herz habe, – kalt wie das Metall, aus welchem das vorliegende Festgeschmeide gefertigt. »Wie bin ich doch so unglücklich!« sprach sie düster vor sich hin: »Ich möchte gerne redlich meine Pflicht erfüllen, wie es meines Eheherrn fromme Güte verdient, und dennoch – meinem Willen zuwieder – kommt mir wie Heuchelei vor, was ich thue und rede. Ach! hätte doch mindestens der Himmel meinen Johann erhalten; .... ich könnte alsdann in Diether den Vater meines Kindes lieben! Aber das Unglück war nicht abzuwenden, ... nur zu verdoppeln durch eine verrätherische Lüge ...« setzte sie leise und unmuthig hinzu.

Rasch warf sie den Deckel des Kästchens zu, und wollte dasselbe in ihre Spinde schieden, aber mit Staunen bemerkte sie nun, daß sie nicht allein gewesen. Der Schultheiß, ein schöngewachsener in den fünfziger Jahren noch stattlich aussehender Mann, dessen Gestalt ein geschmackvoller. Anzug noch erhob, war, [37] ohne von Margarethe gehört worden zu seyn, in das Closett getreten. Diether's Gattin verneigte sich bestürzt, suchte in den Augen des edlen Herrn zu lesen, ob er etwa vernommen, was beinahe unwillkürlich ihren Lippen entwischte, ersah jedoch zu ihrem Vergnügen nichts anders darin, als nur den freundlichen Gruß eines so eben über die Schwelle Schreitenden. Der Schultheiß, ein Mann von Sitte und Geschmeidigkeit, zögerte nicht, der sichtbaren Verlegenheit Margarethens hülfreich entgegen zu kommen, und fragte bescheiden und angelegentlich nach dem Schöffen. Margarethe berichtete ihm, ihr Gatte sey nach dem Garten gewandelt, um über die Anpflanzung desselben Befehle zu ertheilen. Der Schultheiß lächelte fein. »Freund Diether,« sprach er, »scheint Blümlein und Früchte zu lieben; er ist eifersüchtig, auf sein Eigenthum, und entzieht aller Welt dessen Genuß. Die schönste Blume seiner Gärten läßt er in Einsamkeit vertrauern, statt dann und wann die Zahl anderer Verehrer durch ihren Anblick zu erfreuen.« – Margarethe, deren Scharfsinn gar leicht die Bedeutung der sinnbildlichen Rede errieth, antwortete durch das Roth auf ihren Wangen, und duldete es, daß der Schultheiß betonender fortfuhr: »Wir haben Euch so lange nicht in unsrer Mitte gesehen, ehrsame Frau. Die weitberühmte und herrliche Gesellschaft auf Limpurg 1 hat ihren Reiz und Glanz verloren, seitdem sie Euch nicht mehr zu ihren [38] Gästen zählt. Wahrlich, ich werde am Ende von meinem Stubenmeisterrecht Gebrauch machen müssen, um den säumigen Gesellen Diether Frosch zur Ordnung und zur Pflicht anzuhalten. Nicht umsonst heißt Limpurgs Banner- und Wahlspruch: Zucht und Ehren soll man mehren, und Freud nicht wehren. Aber Euer Eheherr wehrt unsrer Freude, indem er uns Eure Holdseligkeit versagt.« – Margarethe erwiederte hierauf besonnen und milde, daß der Schultheiß zu strenge ihrem Herrn zur Last lege, was am Ende sie nur allein verschuldet; daß die Einsamkeit des Hauses ihr besser zusage, als die Festlichkeiten Limpurgs; daß sie deßhalb freiwillig in denselben verbleibe, besonders seit ihr Söhnlein wiederum gesundet nach der Stadt gekehrt. – Der Schultheiß schüttelte am Schlusse dieser Entschuldigung leicht, aber dennoch bedeutend mit dem Haupte. »Es mag seyn,« sprach er, »daß die Liebe zu dem Kinde eines geliebten Mannes in einer Frauenseele alles Übrige verdrängt. Ich, der Hagestolz, habe nie Gelegenheit gehabt, mich davon genau zu unterrichten. Aber all' Eure geschickten Ausflüchte, reichen nicht hin, um mich von deren Wahrhaftigkeit zu überzeugen. Wo Eifersucht ist, ehrsame Frau, da ist auch Zwang; und eifersüchtig ist Diether im höchsten Grade, so sehr Ihr Euch bemüht, ihn zu entschuldigen. Wer weiß, ob ich's nicht auch an seiner Stelle wäre. Je strahlender der Edelstein, je näher der Dieb. Dem sey nun aber, wie es wolle,« fügte er mit zierlicher Verbeugung hinzu: »Der Glücklichste auf Erden würde ich seyn, wolltet ihr mir vergönnen, Euch in Eurer Einsamkeit [39] die Huldigung darzubringen, die Ihr von der Menge verschmäht; wolltet ihr diese goldne Rose gütig empfangen, die ich Euch an dem Tage überreiche, der Euch gebar. Sie sollte von Juwelen gebildet seyn, wäre ich ein Fürst; – ein einfach Maienröslein, wär ich noch ein Jüngling, dessen Rosenwangen seiner schlichten Gabe das Wort reden könnten.« –

Er hielt der staunenden Altburgerin die kostbar gearbeitete Goldblume mit süßem Lächeln und hofmännischer Geberde hin, und stutzte über die Maßen, als Margarethe das Geschenk mit zierlichen, aber klaren und bestimmten Worten zurückwies. – »Seyd nicht ob meinem Thun beleidigt, Herr Ritter;« endigte sie: »Wie dürfte ich von Eurer Hand ein Geschenk empfangen, das ich nimmer erwiedern könnte. Die Sitte, und meine Pflicht gegen Diether verbinden mich, diese Rose auszuschlagen, welches auch ihre Deutung sey, und welche, ohne Zweifel untadelhafte, Absicht Ihr bei ihrer Überreichung haben mögt.«

»Das ist eine harte Weigerung;« antwortete der Schultheiß, mit dem Ausdruck gekränkter Eitelkeit: »es kann Euch ja schon längst kein Geheimniß mehr seyn, schöne Frau, welche Gefühle ich für Euch hege. Schon längst sehnte ich mich nach einem Anlaß, ihnen Worte zu leihen. Heute, an dem schönsten Feiertage, der für mich vorhanden, finde ich diese Gelegenheit, und Grausamkeit wird der Lohn meiner redlichen Empfindung? Bedenkt, holdeste der Frauen, daß Ihr durch Eure Weigerung die Rose nicht allein verwerft.«

[40] »Bedenkt, edler Herr,« erwiederte Margarethe, gereizt durch den drohenden Ernst, der in des Schultheißen letzten Worten zu liegen schien, – »bedenkt, daß ich ein verehlicht Weib bin, das solcher Zweisprache füglich entbehren kann; kann und muß

»Ihr verbergt Euch hinter dem Bollwerke der Pflicht;« redete der Schultheiß bitter: »eine bessre Burg gibt es nicht für spröde Frauen. Wären aber vielleicht nur meine Jahre der Feind, dessen Sturm Ihr so muthvoll abschlagt? Ihr müßt mir schon vergeben, ehrsame Frau, wenn ich in Eurem Hause umsonst nach dem Talisman forsche, der Euch unverletzbar macht.« –

»Seht ihn hier;« rief Margarethe, da gerade der kleine Hans in die Stube sprang, und in ihre Arme eilte: »seht ihn hier, und zürnt meiner nicht, gestrenger Herr!« –

Der Schultheiß verbarg seinen Unmuth über die zur Unzeit eingetretne Störung hinter der Maske wehmuthsvoller Freundlichkeit. Er verbeugte sich mit einem vielsagenden Blick, und streichelte, der Mutter zu gefallen, des Knaben blühende Wange. »Du liebst wohl Deine Mutter sehr?« fragte er den Kleinen.

»Über Alles lieb' ich sie!« versicherte der Letztere mit strahlendem Auge. – »Du Glücklicher!« seufzte der Ritter, verstohlen Margarethens Antlitz hütend: »Du darfst es; Dir gewährt sie Alles. Wie ist's aber mit Deinem Vater? Liebst Du ihn gleich Deiner Mutter?« –

Margarethe warf einen der unbescheidnen Frage zürnenden Blick auf den Schultheiß, und wollte dem[41] Knaben den Mund verschließen, aber schon war die Antwort heraus:

»Ich habe keinen Vater!« rief der kleine Hans, von alten Erinnerungen erregt, und in dem Übermuth seiner Anhänglichkeit für Margarethen. »Abscheulicher Bube!« zürnte diese: »Noch einmal diese Antwort, und« .... – »Laßt ihn doch;« meinte der Schultheiß lächelnd: »der Knabe sagte zu viel; das ist aber die Art seines Alters. Deßhalb weiß man doch, woran man zu glauben hat.« – »Herr Schultheiß!« unterbrach ihn Margarethe heftig. Er ließ sie indessen nicht ausreden, faltete des Knaben Hände, und sagte ihm die Worte vor: »Bitte Deine Mutter, Knabe, sie möge mir um Deinetwillen vergeben, und mir nicht ferner zürnen.« – Der kleine Hans ließ sich gern zur Fürbitte gebrauchen, und seine kindliche Unbefangenheit und Drolligkeit zauberte sogar auf Margarethens Lippen ein leichtes Lächeln. –

»Man soll am Feste der Geburt nicht böse seyn, will ein alter Sittenspruch;« sagte sie, dem Schultheiß schnell versöhnt die Hand reichend, die er zärtlich drückte; »Man hat sonst Galle das ganze Jahr hindurch. Ihr müßt mir dafür geloben, nicht wieder so freventlich zu reden, wie es sich zu Euerm Amt und Alter gewißlich nicht ziemt.« – Der Schultheiß nickte gehorsam, obgleich verdüstert durch die Erwähnung seines Alters. – »Und als endliche Bedingung meiner völligen Vergebung,« setzte Margarethe erheiterter hinzu: »verlange ich von Euch die Gewährung einer geringen Bitte.« – »Sprecht, Frau Minne!« antwortete ihr der Schultheiß neugierig [42] und lächelnd. – »Es wäre mir beinahe entfallen,« fuhr Diether's Gattin immer unbefangner fort, »daß mir heute das Heil wiederfuhr, zur Fürbitterin in einer Sache aufgefordert zu werden, die gewiß so geringfügig ist, daß sie kaum der Rede lohnt, mit der ich Euer Ohr belästige. Ein arm Geschöpf – mit einem Worte, ein schlecht Judendirnlein kam heut weinend und schreiend hergerannt, und flehte mich im Namen des Himmels und der Erde an, durch irgend einen guten Freund zu bewirken, daß ihr Vater, – und wenn ich recht hörte, auch ihr Großvater losgelassen würden, die schon seit einiger Zeit im Kerker schmachten. Die Ursache ihrer Haft, schwört die Dirne, nicht zu wissen; aber ich bilde mir wohl selbst ein, daß der Handel von wenig Belang seyn wird. Dergleichen Plackereien sind so häufig, daß Hebräer, um kleinen Vorwands willen, in den Thurm wandern müssen, um dann an ihrer Habe gebüßt zu werden. Es ist auch ein schlecht Volk, das solchen Zwang verdient, weit es den Heiland kreuzigte. Ich dächte dennoch, daß bei Esther's Vater eine Ausnahme gar wohl zu machen wäre. Er ist ein eifriger Mann; keiner der unredlichsten, und ich kenne ihn aus manchem Kaufgewerbe, das ihn in mein Haus geführt. Ich möchte gerne dem Armen loshelfen, wenn es möglich wäre, und da der Zufall .... oder nicht der Zufall, es gewollt, daß Ihr, gestrenger Herr, mir Eurer Einkehr Ehre schenktet, so richte ich an Euch die Bitte, beim Oberstrichter ein gewichtig Wort zu reden, daß der Jude bald wieder den Weg aus dem Gefängnisse finde, und [43] nicht zu hart an seinem Gelde gebrandschatzt werde.« – »Man könnte das Gezücht beneiden um die Theilnahme, die Eure Purpurlippen für dasselbe aussprechen;« – antwortete der Schultheiß nicht ohne widrige Anregung: »Ich mische mich sonst nie in des Richters Verfahren; indessen, wo Euch, edle Frau, ein Dienst geleistet werden kann, mache ich gerne eine Ausnahme. Wie nennt sich der hebräische Hund?« – »Ben David ist's,« erwiederte Margarethe: »der reichste .... zum mindesten der angesehnste aus der Judengasse.« – Aber schon war des Schultheißen Stirne streng gerunzelt, schon hatten sich seine Augenbraunen dicht zusammengezogen, und finster schüttelte er das Haupt. – »Ist's der?« fragte er mit Härte: »Dann laßt mich aus dem Spiele, edle Frau. Ich rette den Burschen nicht.« – »Nicht?« entgegnete Margarethe staunend: »Hat denn der Mann so Gräßliches begangen?« – »Aus Eurer Frage vernimmt man, daß Euch sein Verbrechen wirklich noch unbekannt;« versetzte der Schultheiß heftig: »welche Mutter könnte gleichgültig dabei bleiben?« – »O erzählt;« verlangte Margarethe, mit böser Ahnung kämpfend: »Erzählt ... eine Mutter, sagt Ihr ...?« – »Nu ja doch;« erläuterte der Schultheiß: »könnt Ihr Euch Abscheulicheres denken? Die Hunde haben ein Christenkind, einen Knaben, seiner Mutter gestohlen, oder um schnöden Sold vielleicht .....« –

Margarethe hörte nichts weiter, denn, in unbeschreiblicher Angst, den kleinen Johann an sich reißend wie einen gefährdeten Sohn, ... dann ihn wieder[44] von sich stoßend, wie einen verhaßten Fremdling .... sank sie bewußtlos mit dem Haupte vor sich hin auf den Tisch. Entsetzt schrie der kleine Hans auf; der Schultheiß sprang hinzu, um der Ohnmächtigen beizustehen. Die Angst des Liebenden half ihm in dem ungewohnten Geschäfte. Mit Wasser benetzte er die Schläfe Margarethens; Küsse drückte er auf ihren bleichen, nicht widerstrebenden Mund, und so geschah es, daß sie bald aus der schweren Bewußtlosigkeit erwachte. Beinahe hätte sie aber zum Zweitenmale die Augen im Todeskampfe geschlossen, denn sie sah sich in des zudringlichen Bewerbers Armen, und zu der gegenüberliegenden Thüre traten eben unvermuthet und rasch Diether und Wallrade ein.

Bestürzung und Überraschung lagen auf jedem Angesichte; eine frohe Betroffenheit jedoch nur auf Wallradens. Diether nahm eine so ernste Stellung an, daß selbst der Schultheiß, ein gewandter Mann, und Meister seiner Bewegungen, nur nach wiederholten mißlungnen Versuchen, den Faden finden konnte, den Grund der befremdenden Lage, in der er überrascht worden, – nämlich Margarethens plötzliche Ohnmacht – anzugeben. Kalt und finster nahm Diether diese Erklärung auf, und peinigte, während Wallrade mit erheuchelter Theilnahme sich um seine Gattin beschäftigte, den unwillkommnen Vorgesetzten mit einer Förmlichkeit, die demselben bald lästig genug fiel, um sich ziemlich verlegen zu entfernen. Die Schlange in des Altbürgers Brust fing wieder an zu nagen, und Wallradens Schadenfreude streute ihr Futter. Denn als Diether benagten Herzens, auf [45] wankenden Füßen von der Hauspforte, zu welcher er den Schultheiß geleitet hatte, zurückkehrte nach der Wohnstube, wo eben Margarethe, deren Schwäche einem wunderlich gereizten Zustand gewichen war, in einem Strom von Thränen sich ausweinte, winkte ihm Wallrade mit dem zwinkernden Auge, ein Tuch zu lüften, das, den Händen der Altbürgerin entsunken, auf dem Tische lag. Im Vorübergehen that Diether nach der Verräterin Begehr, und enthüllte die goldne Rose, die der Schultheiß in dem ängstlichen Drängen der letzten Augenblicke vergessen hatte, mit sich zu nehmen. Diether's bittres Lachen schreckte die Weinende auf, und über ihre bleiche Wange fuhr die Gluth neuer Beschämung, da sie der unglückseligen Gabe gewahr wurde, die ihr Gatte in der Hand hielt.

Zu Eis wurde sie, obgleich unschuldig, da sie aus seinem Munde die Worte hören mußte: »Glück zu, tugendsame Hausfrau, Ihr berühmt Euch hoher Gunst. Ihr habt Euch den stattlichsten Freund gewählt, von besserer Geburt obendrein, als Euer Griesgram von Ehewirth; sinniger und zierlicher nebenbei in seinen Gaben, – denn, wo der Gemahl die lästige Kette bietet, opfert der Buhle das lockende Röslein eines goldnen Maien. O, leicht dürfte für ihn der heutige Tag zum Rosensonntag geworden seyn! Dem Graukopf gehört Wermuth, bis er zur Grube fährt.« – »Ihr seyd ungerecht, lieber Herr;« erwiederte Margarethe, matt und erschöpft: »Diese Rose ist nicht mein. Falsch ist Euer Wahn.« – »Falsch?« lachte Diether grimmig: »So falsch etwa, [46] als Eure Ohnmacht? Am Busen des willkommnen Trösters hat Euch der Sinnentaumel übermannt. Vor Wonne wart ihr außer Euch. Nichts weiter. Woher sonst dieser Magdalenenblick, woher die sündige Scheu, die noch jetzt Eure Züge peinigt? Zehnfache Schaam möge Euch foltern, da Ihr in dieses Knaben Gegenwart sogar Eurer heiligsten Pflichten vergessen konntet.« – Stumm, ohne eine Sylbe zu finden, wand die Altbürgerin die Hände. Wallrade wollte den Augenblick benützen, um des Knaben, den sie schon eine lange Weile mit glühenden Blicken gemessen hatte, sich zu bemeistern.

»Komm, Kleiner,« sagte sie zu ihm, seine Hand ergreifend: »komm, laß uns gehen. Wenn die Eltern hadern, muß der Bube vor der Thüre stehen!« – Der Knabe wehrte sich aber wie ein ungeberdig Pferd gegen sie, riß seine Hand aus der Ihrigen, und floh mit Lauten der Angst zu Margarethens Knieen. »Laßt mich!« schrie er: »Ich darf nicht mit Dir gehen, ... ich darf nicht mit Dir reden .... Mütterlein hat's verboten!« –

»Hört Ihr, Vater?« fragte Wallrade tückisch: »Hört Ihr, wie Euer Weib den Haß zwischen Geschwister pflanzt?« – Noch einmal wollte sie den Knaben mit sich von bannen ziehen, aber noch einmal mit verdoppelter Angst vertheidigte sich derselbe. »Laß mich!« kreischte er: »Du willst uns arm machen«, .... ich soll betteln gehen, .... laß mich ... »Du bist die Schwarze, wenn du schon ein roth Jöplein trägst ...!« –

[47] Wallrade erbleichte plötzlich, und machte eine Geberde, als wollte sie durch einen Schlag den Jungen zum Schweigen bringen; aber er kreischte noch heftiger, und reizte die erschöpfte Margarethe auf, daß sie empor sprang, und wie eine zürnende Löwin der verstummenden Wallrade sich entgegenstellte. »Wage es – Boshafte!« schrie sie: »Wage es, dies Kind zu der berühren, und das Tageslicht sahest Du zum letztenmale!« – »Weib, was ficht Dich an!« rief Diether, zwischen die Frauen sich werfend: »Kennst Du Deines Mannes Tochter nicht mehr? Und Du, Wallrade, was deuten die seltsamen Reden des Knaben?« – Diese Frage löste das Zauberband, das Wallradens Zunge bisher gefangen gehalten. »Was werden sie deuten?« sprudelte sie heftig heraus: »was werden sie deuten, diese Reden eines mit Fleiß eingewurzelten Hasses? Euer Weib wird mich dem Buben als einen Teufel, einen schwarzen bösen Geist geschildert haben, und also sieht mich auch des Knaben verrücktes Hirn!«

»Pfui Wallrade!« erwiederte Diether mit strengem Vorwurf: »Fast möcht' ich selbst Dich einen unsaubern Geist schelten, da Du Deinen Bruder, meinen geliebten Sohn sinnverwirrt und hirnverrückt schelten magst. Das ist sündlich Zungenspiel, das nimmer aus gutem Herzen kommt. Denn, wie Gott dem Knaben gerade Glieder schenkte, so gab er ihm auch völligen Verstand, und nur ein Hexenweib kann solchen gotteslästerlichen Ausdrucks sich bedienen!« – Wallrade zuckte mitleidig lächelnd die Achseln. Margarethe erwiederte jedoch auf Diethers Rede: »Das [48] Kind vertheidigt Ihr; den Leumund der Gattin gebt Ihr aber unbedacht der bösen Zunge einer neidischen Erbschleicherin Preis.« »Meines Körpers Schwäche verhinderte mich, Eure ungerechten Beschuldigungen, wie sie's verdienen, zu beantworten. Jetzt habe ich aber meine Stärke, und mein Bewußtseyn wiedergefunden, und sage Euch: Unwahr ist, was Euer Argwohn und die Einflüsterungen dieser bösartigen Maid Euch vorgespiegelt. Dies Kleinod mögt Ihr darum dem Schultheiß wieder zustellen, und von ihm selbst zu Eurer Beschämung erfahren, wie es sich damit verhält.« – Sie wollte hinauseilen, Diether hielt sie jedoch zurück, und sprach mit weicher Stimme: »Gott weiß, Margarethe, wie schmerzlich mir's wäre, Euch Unrecht zuzufügen. Ich will ja gerne glauben, daß Ihr rein seyd, wie der Schnee des Gebirgs; ich will ja zugeben, daß ein neidisch Auge durch einen bösen Blick den Unfrieden in unsre Wirthschaft bannte; laßt uns darum, dem Teufel zum Trotz, Frieden halten. Die Hände laßt uns verschränken, daß an diesem Feiertage unsers Hauses der unselige Zauber seine Kraft verliere.« – Schmeichelnd bemächtigte er sich der rechten Hand Margarethens, die wie ein zagender aber versöhnlicher Engel nach ihm herüberblickte. – »Möchtet Ihr doch diese Hand auch Wallraden reichen;« fuhr er, zum Vermittler werdend, fort: »zum Abschiede;« setzte er schnell hinzu, da Margarethe finster das Haupt schüttelte: »zum Abschiede; denn sie besteht darauf, Morgen mit dem Frühesten Frankfurt zu vertauschen mit ihrem eignen Besitzthum. – Das Fräulein thue, wie ihr's gefällt;« [49] versetzte Margarethe, kein Auge nach Wallraden kehrend, die den Rücken gegen das Zimmer und die Sprechenden gewendet, durchs Fenster sah: »Es hat verschmäht, meine Freundin zu werden, und fahre wohl. Ich verschmähe, einen Handschlag zu geben, der nicht von Herzen kömmt, und höchstens nur das Behagen ausdrücken könnte, Wallraden Abschied nehmen zu sehen.« –

»Starrsinnige Weiber!« sagte Diether verlegen, wie er sich zu benehmen habe, um nicht der Tochter, nicht der Gattin allzuwehe zu thun: »Nur Eure Eitelkeit sträubt sich gegen eine Nachgiebigkeit, die in Euern Herzen einheimisch ist.« –

»Ich gebe das Beispiel der Nachgiebigkeit;« antwortete Margarethe kalt: »denn ich gehe, und räume Eurer Tochter das Feld. Ich würde ein störender Zeuge Euers Abschieds seyn, und entferne mich daher. Auch beim Imbiß, für den ich Sorge tragen werde, soll meine Gegenwart nicht beschwerlich fallen.« – »Löblich von Euch;« versetzte Wallrade in gleichem Tone, und ohne ihre Stellung zu verändern: »ich überhebe euch jedoch dieses Zwangs; denn ich finde heute noch an dem Tische der frommen Waldburga im Stift der Reuerinnen meinen Platz.« – »Desto besser;« schloß Margarethe das wunderliche Gespräch: »die Reue gönne ich Euch von Herzen.«

Hierauf verschwand sie schnell und führte den Kleinen mit sich hinweg. Diether, sah ihr lange beklommen nach, stand eine Weile sinnend da, und verbarg alsdann grollend mit sich selbst die goldne Rose, welche noch auf dem Tische lag, in eine Lade des[50] Schreins. Während er noch, wie ein Träumender, die Hand am Schlüssel hielt, drehte sich Wallrade rasch um, näherte sich ihm, legte ihre Rechte auf seine Schulter, und sprach mit Schärfe und greller Betonung: »Gott stärke Euch, mein Vater. Ich werde ferne seyn, und die Zeit Eurer Prüfung erst beginnen.« – »Ei, welche Gedanken!« entgegnete Diether, mit Mühe die Unruhe verbergend, die von der bösen Prophezeihung in seiner Seele wieder erzeugt wurde. – »Friede im Haus ist ein gut Kissen;« sprach Wallrade weiter: »Unfriede zwischen Eheleuten hingegen ein Stachel, dem jeder Tag an Schärfe zulegt. Ihr werdet wähnen, der Unfriede ziehe mit mir von dannen, – aber weit gefehlt. Die Warnerin geht von Euch; das Unheil bleibt.« – »Du bist ungerecht und grausam zugleich;« äußerte Diether: »Du verunglimpfst mein Weib, und überlässest mich doch dem bösen Geschick, das Du voraussagst.« – »Mein Maierhof fordert seine Gebieterin,« erwiederte Wallrade hingeworfen: »die Felder sollen bestellt werden, ..... in Euerm Hause ist das Feld schon vom bösen Sämann bestellt. Ich thue Euch und mir eine Liebe, wenn ich gehe.« – »O Du hartherzige Tochter!« versetzte Diether schmerzlich: »Also belohnst Du meine Zärtlichkeit. Ich dachte Alles wieder in's alte Gleis der Sitte zu bringen, Dir das Erbtheil zuzuwenden, dem Du freiwillig entsagst ......« – »Gebt mir's vor Euerm Tode,« spottete Wallrade, »damit ich Euch ernähren könne, wenn Euer Weib und Eure Söhne Euch verlassen. Im Ernste aber; laßt uns Abschied nehmen. [51] In dem Hause wo man mich einen höllischen Geist, eine Erbschleicherin nennt, weile ich nicht mit Freuden. Laßt uns Lebewohl sagen. Mein Platz im Hause wird bald durch einen willkommnern Gast besetzt seyn.« – »Böses Kind,« antwortete Diether: »Warst Du nicht der Willkommenste?« – »Vielleicht für Euch;« lachte Wallrade giftig: »Für Euer Weib ist wahrlich und gewißlich Dagobert der Willkommnere.« – »Was sprichst Du da, Argwöhnische!« rief Diether: »Und wie käme denn Dagobert, der Pflichtvergessene, hieher zu uns, die er meidet?« – »Er ist schon hier, seit mehreren Tagen hier;« erläuterte Wallrade: »so seltsam es Euern Ohren klingen mag, so wahr ist's doch. Ein wackerer Sohn, der Tage lang in derselben Stadt athmet, in der sein Vater wohnt, und des Vaters Angesicht scheutet! Vielleicht fürchtet er auch nurmeine Gegenwart; vielleicht bewegt ihn auch ein wichtigerer Grund, Euer Auge zu meiden.« – »Ich weiß kaum, was Du sprichst,« betheuerte Diether: »Mir wirbelts vor den Sinnen. Dagobert kömmt, da Du gehst? – Er thut sehr wohl daran;« lächelte das Fräulein: »Ich will auch als ein freundlich Schwesterlein des Bruders Vergnügen nicht hemmen. Lebt wohl, Vater, und wird es euch zu eng in Frankfurt, so kommt auf Baldengrün. Willkommen seyd Ihr da, erscheint Ihr allein, ohne Euer zweites Weib.« – »Unversöhnliche!« sprach Diether mit überströmenden Augen, indem er Wallraden wehmüthig an sich drückte: »Den Kindern sind doch sonst der Frauen Herzen hold; laß nicht das Brüderlein den Widerwillen[52] theilen, den Du, – ich schwör es, ohne Grund, – gegen die Mutter hegst. Willst du das zarte Büblein nicht küssen zum Lebewohl, so sprich doch nur gegen mich ein Wort der ausgesöhnten Schwesterliebe.« – »Schwesterliebe?« fragte Wallrade wie verwundert, während sie sich mit argem Lächeln aus des Vaters Armen wand: »Ihr sprecht doch von dem kleinen Johann? Ich wäre dessen Schwester? Ei, das wolle Gott nicht. Nennt mich lieber seine Muhme, guter Vater.« – »Wie soll ich verstehen, was du sprichst?« fragte Diether erbleichend entgegen. – Wallrade zog jedoch mitleidig die Schultern in die Höhe und verneigte sich ausweichend. »Erlaßt doch mir die Erklärung;« sprach sie höhnisch: »fragt die Stadt, und wenn Ihr auch dieser nicht glaubt, so wendet Euch an den heiligen Georg selbst, der über dem Putztische Eures Weibes hängt. Ein feiner Rittersmann, dessen Ebenbild zu seyn, Euerm Sohne – dem Johann nämlich – keine Schande bringen wird, so lange Euch selbst die Sache Freude macht. Lebt indessen wohl, und dreimal wohl, mein Vater. Gott mit Euch!«

Einen Kuß der Pflicht fühlte Diether auf seiner Wange; einen Augenblick hielt ihn die Tochter umschlungen, und schon war die Thüre hinter ihr in's Schloß gefallen. Lange starrte aber noch der graue gebeugte Vater vor sich hin, wie ein, von jähem Tod Erblaßter, und als dann nun wieder Regsamkeit in seine Glieder trat, wandte er den Blick; gezwungen fast, zu dem Bilde des Heiligen, das auf ihn herniedersah wie eines Todfeinds verhaßtes Antlitz, trug [53] es gleich die Züge des einstens zärtlich geliebten Dagoberts. Aber also ist das unglückselige Wesen des Argwohns und der Eifersucht, daß durch ein Wort, durch einen aufgerüttelten Gedanken das Theuerste ein Gegenstand bittrer Verfolgung werden, Liebe sich in Wuth verkehren kann. Und dieser leise Grimm, ein fressend Ungethüm in der Brust des Leichtgläubigen, baut sich fester und fester ein, je angelegentlicher man ihn vertilgen möchte. In gefährlicher Stille wächst der Funke an zur verderblichen Glut, und so kann es geschehen, daß selbst unter dem Eise des Alters ein gährendes Flammenmeer wogt, denn im Mittelpunkt des Lebens stürmt und braust es heiß und kräftig, wenn auch seine Gränzen allgemach in Frost erstarren. Mit der festesten Willensgewalt vermochte nur Diether den bösen Geist zu bändigen; nicht jedoch um die Augen mit Vertrauen zu öffnen, und ihn dadurch völlig zu überwinden, sondern um ihn zu pflegen, und größer zu ziehen in Schweigen und Heimlichkeit. Darum überließ er sich selbst dem Fehler, dem er auf die Spur zu kommen trachtete, der Heuchelei. Mit freier Stirn überließ er sich der Umarmung Margarethens, die ihm ihre Dankbarkeit bezeugte, daß er Wallraden nicht länger in ihrer Nähe aufgehalten; ohne mit einer Miene seinen tiefen Verdacht, seinen heimlichen Groll zu offenbaren, tändelte er mit dem Knaben, den ihm die Ehefrau schmeichelnd in die Arme legte. Stundenlang scherzte er mit dem Buben, verwendete er kein Auge von ihm; aber nicht väterliches Wohlgefallen, wie wohl ehedem, bewog ihn dazu, sondern die Begierde, Johanns [54] Züge sich fest einzuprägen; und so oft sein Blick vergleichend von des Knaben Antlitz zu dem Bilde des heiligen Rittersmannes schweifte, bohrte sich ein neuer Dolch in des Argwöhnischen Gemüth, und je gewisser ihm die Aehnlichkeit wurde, je wüster tobte es in seinem Innern, so freundlich er auch seine Runzeln glättete, so peinlich er auch den Mund zum Lächeln zwang. Die Nacht, die auf diesen Tag quälender Unruhe folgte, war für den von Jahren, Gebreste und Verdacht geschwächten Mann keine Erfreuliche, und, dem Geizhalse zu vergleichen, der auf seiner Geldtruhe nur von Raub und Mord zu träumen pflegt, sah Diether Dagoberts und des Schultheißen hämisch lächelnde Häupter um sein Lager kreisen. Liebesgirren, und Minnegekose folterte sein Ohr, so tief er den Kopf in die Kissen wühlte, und hundertmal verließ er sein Bette, um an Margarethens Kammerthür zu lauschen, ihre Athemzüge zu zählen, und sich zu überzeugen, daß kein kecker Buhle ihre Einsamkeit theile. Den Ermüdeten hatte kaum ein mitleidiger Morgenschlummer überrascht, und schon weckte ihn eine Botschaft, die ihm vor wenig Tagen noch eine freudige gewesen wäre; die Kunde von der Ankunft Dagoberts. Der Sohn nicht ahnend, daß er im Vaterhause fremd geworden, stürzte mit dem Jubel ungeheuchelter Liebe an des überraschten Vaters Brust. Ach! die herzlich gemeinte Freude des Wiedersehens konnte nur auf dürftige Augenblicke den unseligen Wahn von Diethers Bette scheuchen. Ohne Säumen kehrte er wieder zurück. Dem unbefangnen Jüngling sogar konnte die Veränderung nicht [55] entgehen, die sich mit seinem Vater zugetragen, allein er schrieb auf Rechnung des Siechthums, was auf Rechnung eines verblendeten Gemüths kam. Aufrichtig und stürmisch, wie er war, konnte er seine Gedanken nicht lange bei sich behalten. »Sagt mir doch, herzlieber Vater,« sprach er mit jener Zutraulichkeit im Auge, welcher man so selten widersteht: »Sagt mir doch, ob es nur eine Einbildung ist, oder Wahrheit, daß ich Kälte und eine gewisse Fremdheit in Euerm Empfang wahrnehme; und wenn es wahr seyn sollte, ob das noch von Eurer Krankheit stammt, ob nicht. Sprecht aufrichtig vom Herzen weg, damit es alsdann wieder zwischen uns werde, wie vormals.« –

Diether blickte prüfend in des Jünglings redlich Gesicht, aber die Aufrichtigkeit war bei ihm hinter die Wege gezogen. Den Scheingrund schob er ohne langes Überlegen vor. »Wie kommt es,« – fragte er beinahe hart, – »daß mir jetzo erst Dich zu sehen erlaubt ist, während Du bereits seit einigen Tagen hier verweilst?« »Ich Vater?« fragte Dagobert betreten, und hätte gerne verneint, unbefangen verneint. Diether ging aber ohne Zögern auf den Grund, und drängte mit neuer strengerer Frage, so daß am Ende der Jüngling den besten Theil erwählte. »So mögt Ihr's denn wissen;« sprach er: »ich verstehe mich schlecht aufs Lügen, besonders wenn Ihr mir in's Auge seht, denn vor dem Manne, den ich am meisten ehre und liebe, habe ich kein Falsch. Es sey also darum. Wahr ist's; seit vorgestern Mittag bin ich hier, und habe mich sorgfältig von Euerm Hause fern gehalten, [56] weil – Ihr mögt mir darob nicht zürnen – weil Schwester Wallrade darinnen ein- und ausging. Heut sah ich sie jedoch mit Roß und bepacktem Wagen von dannen ziehen, und säumte länger nicht, hier einzusprechen. Gott gesegne Euch die Ostertage. Die Fladen mit Euch zu verzehren bin ich hier, und will sie mir schmecken lassen, so der Himmel will, und Ihr mich gerne an Euerm Tische seht.« – »Du bringst nicht die Eintracht zu dem Feste;« antwortete Diether mürrisch: »der Bruder flieht den Ort, wo seine Schwester haust?« – »Ihr wißt ja, Vater, daß wir's von jeher also hielten;« entgegnete Dagobert mit leichtem Scherz: »Was Hänschen jung gewohnt, das thut es auch im Alter. Doch, weil ich eben seinen Namen nenne, – was macht mein Brüderlein? Ihr sollt sehen, ob wir nicht besser zusammenhalten, als ich mit Wallraden.« – »Wirklich?« spöttelte Diether: »Man sollte es kaum glauben. Ein Stiefbruder ist gewöhnlich nicht der Geliebtere.« – »Hm!« lachte Dagobert: »es hat mit dem Kleinen ein besonder Bewandniß.« – Dem Vater stieg eine dunkle Flamme der Beschämung bis unter die Haare. – »Der arme Junge war stets krank,« fuhr Dagobert fröhlich fort: »nun ist er aber gesundet, wie ich höre. Seht, schon dieses freut mich ungemein. Doppelt lieb muß ich aber den Burschen haben, weil ....« – »Weil ...?« unterbrach ihn Diether gespannt und heftig. – »Weil ich komme, um mit dem armen Schelm sein Erbe zu theilen. Seht mich nur verwundert an. So wie Ihr mich vor Euch erblickt, habe ich mich mit der Kirche abgefunden, [57] oder sie vielmehr mit mir. Sie kann mich nicht brauchen, und hat der Mutter Gelübde gelöst, als ob es auf's Beste erfüllt worden wäre.« – »Wie?« fragte Diether: »das ist nicht möglich. Wie solltest Du ...?« – »Wenn Ihr Latein verstündet,« fiel hinwiederum Dagobert ein: »so würde Euch dies Pergament genug sagen, um zu glauben, was ich sage. Ich habe aber der Ursachen mehr, zu staunen ob Euerm seltsamen Betragen, Vater. Brachte ich Euch die frohe Mähr ein Jährlein früher, so lagt Ihr voll Entzücken an meinem Halse. Heute geberdet Ihr Euch just, als wär es Euch zuwider, was ich bringe, und doch habt Ihr selbst mehr denn hundertmal mein Geschick beklagt, da es noch unabwendbar schien.« – »Wie soll ich mich freuen,« brach Diether los, »wenn ich aus Allem entnehmen muß, daß Dein wüster Lebenswandel allein hier den Ausschlag gegeben. Nicht würdig hat man Dich befunden, das Meßgewand zu tragen und zu binden und zu lösen. Ich weiß, was Costnitz und des Conciliums Väter von Dir denken, wie unzähligemal Du Deinen Ohm gekränkt, mißhandelt, daß er am Ende seine Väterhand von Dir abgezogen.« – »Ho!« versetzte Dagobert, sich mit dem Zeigfinger auf die Stirne tippend: »Jetzt weiß ich mit einemmale, woher es blitzt. Wallradchen hat mein Bettlein aufgerüttelt, und mir's sein bequem gemacht im Vaterhause. Recht so; wo sich der Teufel anlehnte, macht sich auch der weißeste Ärmel voll Ruß. Was lieb Schwesterlein indessen gesagt haben mag, ... glaubt mir, lieber Vater; es ist erlogen. Was den würdigen Ohm betrifft, so muß [58] ich lachen, und behalte mir vor, Euch kund zu thun, wie ich meine Hand von ihm abgezogen habe. Des Papstes Breve aber, aus dem man vielleicht ein Zeugniß meiner lüderlichen Sitten machen möchte, soll Euch Pater Johannes verteutschen. Bis dahin habt mich jedoch lieb, und laßt mich das Brüderlein küssen.« – »Deinem Wunsche kann alsobald Genüge geschehen;« erwiederte Diether: »hier kömmt so eben die Mutter sammt dem Sohne.«

Frau Margarethe erschien wirklich sammt dem kleinen Hans, und stutzte merklich bei Dagobert's Anblick, obschon dessen Ankunft ihr bekannt. Dieses Befremden fand indessen seinen Grund in Dagobert's Kleidung und Gestalt. Die Stiefmutter hatte darauf gerechnet den angehenden Mönch zu finden, mit hohlem Fastengesichte und härenem Gewande, und statt dessen stand ein kräftiger junger Mann vor ihr, im Schmucke des wohlhabenden Sohns eines altbürgerlichen Geschlechts, blühender noch, als da er von dannen gezogen.

Wer mag dem Getriebe des Herzens folgerechten Zwang anlegen? Auf dieses Befremden drängte sich augenblicklich die mächtige Erinnerung vor Margarethens Seele, .... das Andenken an ihren Eintritt in dieses Haus, an jene Zeit der Sehnsucht, in welcher die Jugend nur mit Widerwillen dem Alter gehörte, und eines jugendlichen Freundes begehrte. Dieser Freund, verboten ihr durch Sitte und Kirchengebot, dennoch erkoren von ihr mit leidenschaftlichem Verlangen, dieser Freund, der feindlich sie verschmähte, und in ihr jenes wunderliche Gefühl erzeugte, das [59] uns öfter antreibt, mit blutendem Herzen diejenigen zu hassen, die wir demungeachtet dauernd und ewig lieben, ohne sie unser nennen zu dürfen, – dieser Freund stand nun wieder vor Margarethens Augen; er malte ihr in seinem stummen Bilde eine schmerzlich selige Vergangenheit; – zugleich auf ihre Wangen jene zauberische Röthe, ... der Schaam wie des Entzückens heilige Farbe. – Dagobert hatte sich vorgenommen, der Stiefmutter freundlich entgegenzukommen, um sie mitleidig der ersten so begreiflichen Verlegenheit zu entreißen; aber ihr unerwarteter Empfang, ... die Überraschung, die sich in ihrem ganzen Äußern gestaltete wie die Verwirrung einer geschämigen Braut, übte gleichwirkende Kraft auf den Jüngling. Auch er fühlte seine Wangen glühen; auch er verneigte sich stumm, stotterte alsdann einige Worte, die unzusammenhängend seinem Munde entschlüpften, und beugte sich schnell, um der Begrüßten das Schauspiel seiner Blödigkeit zu entziehen, zu dem Knaben, der fremd und verwundert zu ihm aufschaute. »Ach!« rief er aus: »wie schön, wie stark, wie blühend ist der Junge geworden. Werthes Stiefmütterlein, empfangt meinen Glückwunsch; und auch Ihr, mein guter Vater, erlaubt, daß ich Euch die Hand schüttle, wie ein Freund dem andern, und dem Buben einen Kuß auf den trotzigen Mund drücke, zum Pfand meiner Liebe. Ja, herziger Knabe, wir werden Freunde seyn; Deine hellen Augen sprechen ganz anders zu meiner Seele als Wallradens stechender, nirgends verweilender Blick.« – Er küßte den Knaben, der auch seiner Seits freundlich die Arme zu ihm emporstreckte, [60] und wie ein Eichhörnlein auf seine Knie kletterte. »Hast Du mich lieb, kleiner Hans?« fragte Dagobert in seiner Fröhlichkeit kosend den Knaben. »Gewiß, lieber Herr;« antwortete Hans, den zierlichen Bart des Jünglings streichelnd: »willst Du mein Väterlein seyn?« – »Ei, du einfältiger Hans;« erwiederte Dagobert lachend wie ein ausgelassener Gesell: »welch tolles Zeug bringst Du zu Markte? Haben sie Dir in Frankfurt nichts bessres gelehrt? Dort steht Dein Vater;« er zeigte auf Diether, der, halb abgewendet, seinen steigenden Groll kaum mehr zu mäßigen vermochte: »auch mein Vater ist er, und wir beide wollen gute Brüder seyn. Herzgeliebte Eltern;« fuhr er fort, indem er aufstand, und den Knaben wegsetzte: »Wallrade mag von mir geplaudert haben wie und was sie wolle, – ich bin dennoch nicht so schlecht, als sie Euch überreden mochte. Glaubt ja nicht, daß ich heim komme, um den kleinen Knirbs, mein Brüderlein, zu plündern und zu verkürzen um das Erbtheil, das ich ihm abgetreten. Davor bewahre mich der liebe Gott. Er hat mir schon genugsam bescheert, da er mich vom Pfaffenthum entbinden ließ, durch seinen Statthalter auf Erden. Was ich gelernt, bringt mich schon anderweitig durch, und komme ich vielleicht einmal aus irgend einer Fehde als ein lahmer Krüppel heim, und weiß mit meinem alten Arm nichts mehr zu gewinnen, so erinnert sich wohl der Johann der Liebe, die ich für ihn hatte, und füttert mich alsdann von seinem Überfluß.« –

[61] Die biedre klare und aus voller Brust gesprochne Rede Dagobert's preßte in Diether's Augen Zähren der Rührung; sie waren aber nicht vermögend den Panzer zu erweichen, den der Geist des Verdachts um des Schöffen Milde gezogen. Der Verblendete hatte Margarethens, Dagobert's Erröthen gesehen; er hatte, von Fieberfrost geschüttelt, des Knaben unschuldige Worte vernommen, und ihnen eine giftige Deutung untergelegt. Ein Felsen lag auf seiner unruhig steigenden Brust, und erstickte jedes Wort der Erklärung. Heftig wandte er dem Sohne den Rücken, und ging aus dem Gemach. Verwundert und gekränkt sah ihm Dagobert nach. »Ehrsame Frau,« begann er nach einer Weile zu Margarethen, die den Blick auf den Boden geheftet vor ihm stand, – unschlüssig, ob ihr zu gehen, ob ihr zu bleiben zieme, – zögernd, von dannen zu scheiden, ängstlich, noch länger in des Gefährlichen Nähe zu verweilen, – »Ehrsame Frau. Könnt Ihr mir nicht erklären, wie es eigentlich um den Vater stehe? Welch unheimlich Geberden, welche grollende Verschlossenheit hat er angenommen?« – »Sein Unfall ...« antwortete Margarethe stockend: » ... seine Wunde, die noch nicht geschlossen, ....« – »Ach, wehe uns;« seufzte Dagobert: »wehe uns, wenn jener meuchlerische Bube tödtlich den Fleck verletzte, wo die Liebe für den treuen Sohn sitzt. Täuscht mich nicht, gute Stiefmutter. Ich will nicht glauben, daßIhr mich so gänzlich hinterrücks aus dem Felde geschlagen. Ich habe Euch ja nie Leides gethan, und liebe Euern Sohn, als ob ihn meine eigne Mutter geboren; aber, [62] Wallrade .....?« – Margarethe nickte heftig mit dem Kopfe, und Dagobert fuhr fort: »Gelt? ich hab's getroffen? O die verläumderische Heuchlerin! Doch will ich nicht verzweifeln. Den Vater will ich zwingen, seine Gunst mir wieder zuzuwenden, und Ihr, mein zweites Mütterlein, sprecht ein gutes Wort für mich. Ich bin ein ehrlicher Geselle; verlaßt Euch darauf, und redet mir zur Minne.« – Bittend hatte er ihre beiden Hände ergriffen, die sie, erschrocken über die heftige Bewegung ihres Gemüths, schnell aus den seinigen zog, obgleich ihre Augen mit einem sanften Ausdruck auf dem Stiefsohne ruhten. – »Mißtraut mir nicht;« sprach sie langsam: »ich hoffe, es wird sich Alles geben. Mein Herr wird nicht in seinem Irrthum beharren. Vor meinen Augen seyd Ihr rein, – rein, wie dieser!« – Sie deutete auf das Bild des heiligen Georg, und verließ eilig mit dem Knaben die Stube. Dagobert konnte sich lange nicht von dem nie gehofften Eindruck erholen, den der Empfang im Elternhause auf ihn gemacht. Wehmüthig sinnend saß er da, den Kopf in beide Hände gestützt, wischte sich dann eine Thräne, wie nur gekränkte Treue sie weint, aus dem Auge, und richtete seine Blicke auf St. Georgii Bild. »Die gute Stiefmutter!« sprach er halb lächelnd zu sich selbst: »Wenn sie recht hätte, und ich ein Gotteskämpfer wäre, wie der heilige Reitersmann dort oben. Den Teufel wollte ich mich um alle Wallraden und Prälaten des heiligen römischen Reichs scheeren, wären sie auch alle meine Schwestern und Vettern. Der Verläumdung stieße ich die Rennstange wohlgemuth zwischen die [63] Zähne, bis sie verendete, und beim Vater müßte der liebe Herrgott ein Wort der Sühne einlegen, kräftiger als das Fürwort aus Frau Margarethens Munde, obschon dieser Mund allerliebst ist, und vielleicht nur von einem Einzigen in ganz Teutschland übertroffen wird.«

Er schritt durch das Gemach, und blieb alsdann mit verschränkten Armen vor dem Bilde stehen. – »Ein schmuckes Gemälde!« begann er, sein Herz durch Zerstreuung von schwerer Sorge abzulenken: »hab's noch niemals in Vaters Hause gesehen. Hu! wie der Schimmel springt und steigt! Wie des Reiters braune Locken im Winde flattern! wie stolz und stattlich er im Sattel sitzt! Ja! solch ein Mann zu seyn .... das wäre eine Lust! Die Dirne möchte ich sehen, die mir dann spröde widerstünde! – Närrischer Schalk!« unterbrach er sich, lachend: »als ob mir's darum zu thun wäre! Wie sang der arme Barfüßer, der draußen im Haus der Aussätzigen verkümmert, während aus seinem fruchtbaren Kopfe unzählige Lieder der Minne und Geselligkeit entspringen, und in ganz Teutschland nach gefälligen Weisen gesungen werden? ›Ein Fischlein mir gar wohl gefällt, doch darf ich sein nicht kosten! Drum sey der Fischzug eingestellt ... Die Angel mag nun rosten!‹ Das ist auch mein Bescheid, und kalt, wie ein rechter Frosch will ich seyn, trotz dem wackern Kämpfer Georg, dessen anmuthig Gesicht ich schon irgendwo gesehen haben mag, so bekannt spricht mich's an. Und, wenn mir recht ist, so ist's gar mein Brüderlein Johann, das dem Heiligen gleicht. Wahrlich, [64] wahrlich! Ein feiner Sprößling, der Bube; und eben dessen Züge waren mir beim ersten Zusammentreffen so wenig fremd, daß ich darauf hätte schwören mögen, ich hätte ihn vor Kurzem erst, zu Costnitz oder irgendwo, gesehen. Es mag aber leichtlich nur ein Traumbild gewesen seyn; denn mein guter Predigermönch sagte gar vielmal, daß es Beispiele gegeben, wie gewisse Menschen andere im Traume gesehen, die sie nachher auf dem, Lebenswege angetroffen, und lieb gewinnen müssen. – Ach! auch Esther war ein Bild meiner frühsten Träume; nicht selten ist sie eine Erscheinung meiner jetzigen; und zu verwundern ist's, wie einem frommen Christen von einer halben Heidin träumen, ... wie diese an des Rechtgläubigen Herz wachsen darf, während sie doch nimmer in seine Arme wachsen darf!«

Fußnoten

1 Versammlungshaus und Trinkstube der edelsten Geschlechter von Frankfurt.

3. Kapitel
Drittes Kapitel.

Was ist schärfer, denn ein Pfeil?

was giftiger als Schlangengeifer? –

Die Zunge des Bösen, der den

Feind will verderben.

Persisches Gleichniß.


Am Morgen des Samstags in der heiligen Charwoche war ein reges Getreibe auf dem Römer. Die Osterfeiertage waren vor der Thüre, und alle Geschäfte des Raths, wie des Gerichts mußten bis auf [65] den Punkt vorbereitet werden, die Ostertage hindurch ohne Gefahr und Nachtheil ruhen zu können. Die Kanzelleien waren angefüllt von fleißigen Schreibern, harrenden Boten, befehlenden und in die Feder sagenden Rathsherren; die Vorgemächer wimmelten von ungeduldigen Clienten und Parteien, unter welchen wie geschmeidige Aale Fürsprecher und Momparne hin und her schlüpften, bald zu gütlichem Vergleich beredend, bald zu ernstem Streit vor dem Richter anhetzend. Gläubiger mit ihren Schuldnern, Treuenhänder mit ihren Mündeln, Tabellionen mit Kauflustigen gingen Thüren aus, Thüren ein, und ein schwirrendes Getöse erfüllte das weite stattliche Gebäude, die Säle ausgenommen, wo hinter schweren Flügelpforten die vierzehn Schöffen ihre Gerichtsbank hielten, oder Bürger meister und Rath im weiten Kreise versammelt saßen, des Regiments zu pflegen. Wichtig thuende Schreiberknechte flogen mit Schriftbündeln beladen, die Treppen auf und ab; mürrische Rathsdiener schreckten durch die Gänge. Altbürger, im Bewußtseyn ihres städtischen Ansehens, und Gewichts, stiegen gravitätisch umher, und maßen mit finsterm Blicke die zahlreichen Edelleute vom platten Lande, die, um Händel und Späne mit der Stadt beizulegen, herbeigekommen waren, um wider Willen ihr hohnlächelndes Haupt vor der Rechtspflege der reichsfreien Bürger zu beugen. Nebst all diesen, mehr oder weniger im Heiligthume der Gerechtigkeit beschäftigten Leuten, drehte sich noch in den Hallen eine nicht unbedeutende Anzahl müßiger Gesellen, die heute schon die Osterzeit begonnen hatten, [66] um allenthalben ihr neugierig und faul Angesicht zur Schau zu tragen, – und eine Menge Gesindels, das, keinem zünftigen Gewerbe zugethan, sein elend Stücklein täglichen Brods täglich aus der blauen Luft holt, wie eine Lerche auf gut Glück den Acker bestreift und mit leichter Mühe aus der Furche den Waizen holt, der im Grunde nicht für sie bestimmt ist, und von welchem sie noch nicht wußte in verwichner Nacht. Die Einen dieses Gelichters hielten vor dem Gebäude die Pferde der Junker vom Lande, die Andern zeigten den Fremden die Eingänge zu den verschiednen Kanzleien; die Trägsten endlich bettelten geradezu die Vorübergehenden an, oder bildeten, an Mauer und Treppengeländer gelehnt, eine Straße von Gaffern, durch welche Alles hindurch mußte, um gehörig bewitzelt und beräuchert zu werden. Für diesesmal hatte jedoch der Mund dieser Faulthiere Feiertag, wie ihre beständig ruhenden Hände, und eines unverwandten Blicks starrten sie hinab zur Eingangspforte, hinaus auf die Gasse, wie Menschen, die auf etwas Außerordentliches gespannt sind. Es war nämlich durch einen nicht allzuverschwiegnen Diener des peinlichen Stuhls ruchtbar geworden, daß heute der hundertjährige Jude und sein Sohn vor dem Oberstrichter im stillen Verhöre erscheinen würden. Dem Gesindel war es schon ein Fest, diejenigen von Angesicht zu sehen, gegen welche schon der Name ihres Volks den allgemeinen Hohn, die gräßlichste Erbitterung rege machte. Seit Wochen bereits lagen die Juden im Thurm, und noch war die Art und Gattung ihres Frevels nicht laut [67] geworden unter dem Volke. Ursache genug, die grausame Neugier zu verdoppeln, und den Wunsch zu erhöhen, bald ein blutiges Urtheil aussprechen zu hören, vollstrecken zu sehen. Denn; todeswürdig, – so vernünftelte das Volk – todeswürdig müßte ihr Vergehen seyn, und unmenschlich die Strafe. – Mit Ungeduld harrte die Menge auf ihre Opfer, um ihnen schon diesen ersten sauern Weg durch Verwünschungen und Schmähungen noch schrecklicher zu machen. Plötzlich lief ein Gemurmel durch die Reihen. »Seht ihr den Rothkopf..?« flüsterten sie unter einander: »Kennt ihr den Juden, der sich taufen ließ? Dort schleicht er die Treppe hinan. Was will der hier?« – Scheuen Blicks schritt Zodick durch das murmelnde Volk, grüßte hier demüthig einen ihm begegnenden Vornehmen, der vor ihm ausspuckte; warf dort einem bösen Schuldner, der ihm auswich, einen drohenden Wink zu; zog vor dem Kruzifix der Vorhalle andächtig kriechend den Hut, und berührte darauf furchtsam die Zizis, die er streng verborgen unter seinem Taufschilde und unter dem faltigen Wams auf der bloßen Brust trug, um den hochgelobten Gott der Sünde wegen, daß er den Sabbat entheiligen müsse, um Vergebung zu bitten. –

Er verlor sich in den schwach erhellten Gang, der zu der Thüre der peinlichen Kammer führte. Während dessen entstand eine lebhaftere Unruhe unter dem in den Säulengewölben harrenden Pöbel. Von starker Wache geleitet, schleppten sich in schwerer, schwerer Eisenlast zwei lebende Bilder des Leidens über die Stufen des Gebäudes: Der Greis [68] Jochai und sein Sohn. Das Elend einer kurzen, aber entsetzlichen Haft hatte Wunder des Jammers an Beiden gewirkt; aber dennoch waren jetzo ihre todtenfahlen Wangen geröthet, ihre im Moderduft des Kerkers erloschnen Augen in flackernde Flämmchen verkehrt, denn vor einigen Augenblicken erst hatten sie sich wiedergesehen, die Nichts mehr von einander wußten. Sie hatten die schmerzliche Freude empfunden, sich in gleichem Leide als Genossen zu finden, und von halb menschlichen Wächtern begünstigt, des Glücks genossen, sich zu umarmen im Schmuck der Verbrecher. Sie durften zwar kein Wort wechseln, aber ihre Blicke sagten sich genug, hatten auch ihre Augen das Weinen verlernt. – Dieses Paar, in unscheinbare Überreste feiner Gewänder gehüllt, Haar und Bart triefend von Nässe, starrend von Schimmel und Moder, wankenden Fußes einherschreitend, niedergezogen von schleifenden Ketten, dieses Paar des Erbarmens, wurde mit Hohngelächter und Geschrei bewillkommt. Nicht die Leiden der Seele und des Körpers, die in unverkennbaren Zügen auf Ben Davids Gesichte verzeichnet waren, – nicht des höchsten Menschenalters rührende Ehrwürdigkeit auf Jochai's Antlitz rührte das unbarmherzige Volk. Die Wächter hatten zu wehren, daß nicht im Hause der Gerechtigkeit Frevel an den Gefesselten verübt wurden. Den Schmähworten konnten sie indessen nicht steuern, und beladen mit Drohungen und Flüchen aller Art erreichten die Gefangenen die Höhe der Treppe; hier begegnete ihnen ein bekanntes Gesicht. Der Judenarzt Joseph war's, der gerade von einem, [69] während der Sitzung unpäßlich gewordnen Rathsgliede kam. Kaum hatte er jedoch der Unglücklichen gewahrt, so wendete er scheu und verdrießlich den Kopf hinweg, übersah den Gruß Ben David's und schob sich, so schnell es seine Wohlbeleibtheit verstattete, die Stiege hinunter, tobend und scheltend gegen den Pöbel, der dem, wenn gleich vornehmern und höher gehaltnen Juden den giftigsten Spott nicht schenkte. Erst nachdem sich die Thüre der Kanzlei des peinlichen Gerichts hinter Ben David und seinem Vater geschlossen, waren sie dem schadenfrohen Getümmel entronnen, und nur die Zielscheibe der unziemlichen Scherze, welche sich Schreiber und Diener gegen sie erlaubten, bis sie auf das Zeichen einer Glocke in die Verhörkammer gebracht wurden, woselbst der Oberstrichter, umgeben von dem düstern Gepränge des Blutgerichts, ihrer harrte, sammt dem vereideten Geheimschreiber. – Nachdem der gestrenge Herr die Kettenbelasteten eine Weile mit finstern Augen gemessen, befahl er dem anwesenden Rathsknecht, ihnen die Bande abzunehmen, und sich zurückzuziehen. – Sobald dem Befehle gehorcht worden war, lehnte sich der Richter in den breiten Sessel zurück, winkte dem Schreiber, die Feder zur Hand zu nehmen, und wendete sich mit den hergebrachten Eingangsfragen an die Juden. Auf die Frage nach Namen und Stand erwiederte der hundertjährige Greis: »Gewaltiger Herr! Ich nenne mich David Ben Jochai; mein Sohn, Jochai Ben David, was so viel heißt, als: Sohn des David. Unsre Leute haben sich aber gewöhnt, uns zu nennen, der Kürze halber, [70] mich Jochai; meinen Sohn Ben David. Wir sind von jeher gewesen arme aber fleißige Leute im Handel und Wandel, Trödel und Schacher, und ehrliche Darleiher in guter Münze gegen billige Zinsen. Ich habe zurückgelegt das hundertste Jahr mit der Hülfe des barmherzigen Gottes, welcher zählt die Haare und die Tage des Menschen; mein Sohn ist gewesen funfzig Jahre, wenn mich nicht trügt mein altes Gedächtniß. Der Herr in Israel hat uns auch gesegnet in der Fremde, bis wir sind gekommen in so viel Leid und Trübsal, als wir hier vor Euch stehen. Man hat uns gebunden mit Ketten; man hat uns geworfen in fürchterliche Löcher, wo wir müssen waten bis an den Knöchel im Wasser, wo unser Angesicht bleich wird und unser Auge blöde; und noch hat man uns nicht gesagt, wessen wir beschuldigt sind, und unser Herz ist doch rein wie das Ei, wenn es glatt und zu rechter Zeit aus der Schale geht.« – »Schweig!« unterbrach ihn der Oberstrichter streng: »Deine Zunge rührt sich ungemessen zur unrechten Zeit. Die Ursache Eurer Haft sollt Ihr heute noch erfahren, ihr Ketzer, wenn ihr nicht vorziehen solltet, Euer Verbrechen reuig zu bekennen.« – »Wie können wir doch bekennen, was wir nicht wissen?« fragte Ben David mit ängstlichen Geberden: »Wir wissen uns rein, und können auf die Thora, auf welcher Gottes Herrlichkeit ruht, beschwören, daß wir unschuldig sind an jedem Fehl. Der hochgelobte Fürst und Herr in Israel wird's uns sogar nicht anrechnen, daß wir jetzo den Sabbat entheiligen durch Zeugniß und Verantwortung vor Gericht; denn Noth [71] kennt kein Gebot.« – »Stille!« rief der Oberstrichter ihnen auf's Neue zu: »Wer wird sich darum bekümmern? Macht ihr's mit eurem Götzen aus. Wir wissen nichts von Eurem Baalsdienste. Eine Frage an Euch insgesammt, Vater und Sohn. Was ist aus dem Christenkinde geworden, das Einer von Euch vor fünf Monden etwa in Euern Schlupfwinkel in der Judengasse geschleppt hat?« – Jochai, besonders aber Ben David stutzte heftig. – »Nun?« fuhr der Richter barsch fort: »Wird's bald mit der Antwort? Wahrheit oder Lüge! Wo kam das Kind hin?« – »Ich weiß doch von keinem Kinde,« antwortete Ben David schnell, ehe der zweifelnde Jochai durch ein schwankendes Wort das Gegentheil verrathen konnte. Der Greis, in dessen Augen schon Ängstlichkeit sichtbar geworden war, zögerte indessen nicht, wörtlich die Aussage des Sohns zu wiederholen. »Ihr wißt also nichts?« fragte der Richter bitter lächelnd weiter: »Ihr habt wohl noch nie ein Christenkind in Eurem Hause gesehen?« – »Als uns Gott soll helfen,« erwiederte Ben David ausweichend: »Wir wissen nicht, von welchem Kinde Ihr sprecht.« – »Mein Alter macht vergeßlich;« fügte Jochai bei, welcher nicht bejahen, doch auch nicht ganz verneinen wollte: »Ich wüßte mich nicht zu besinnen, ob jemals ....« – » Ihr läugnet?« sprach der Oberstrichter drohend: »Desto strenger wird das Urtheil fallen.« – »Gott soll uns helfen, und sich Israels erbarmen!« klagten Vater und Sohn: »Wir sind unschuldig, man mag uns zeihen, wessen man begehrt. Wir haben stets gezahlt als redliche [72] Leute unsre Abgaben, den Opferpfenning, die Kronsteuer, des Kaisers Hof- und Kesselgeld. Wir haben richtig eingeliefert Pfänder und Briefe von Herren und Edeln, als der König Wenzel es befohlen. Wir haben nicht beschnitten das Geld, noch böse gemünzt. Wir haben nicht betrogen, nicht geschunden; wir haben vom ehrsamen Rath nur geringe Zinsen genommen, und ihm unser bischen Armuth immer offen gehalten.« Wir finden keine Schuld an uns, und sollten unsre Brüder gefrevelt haben, so kümmerts doch uns nicht, denn der heilige Gott, spricht: »Indem Einzelnen soll gethan werden nach seinen Werken.« – »Spricht Euer Götze so?« erwiederte der Oberstrichter mit hartem Hohne: »Wohlan, so sey es auch also. Es ist hier nicht die Rede von Euern Ketzerbrüdern; von Euch selbst, verworfnes Gelichter; und da ihr nicht gestehen wollt, was Ihr begangen, so will ich's Euch beweisen lassen, von unverwerflichen Zeugen.« –

Er zog die Glocke, und flüsterte dem eintretenden Diener ein Wort in's Ohr. Kurze Weile nachdem sich dieser wieder entfernt hatte, schlich Ben David's Sabbatmagd, die stumme Grete, herein; mit gefalteten Händen, in welchen der Rosenkranz hing; mit thränenden Augen und blassem Angesichte. Sie verneigte sich demüthig vor dem Richter und dem Bilde des Erlösers, das über dessen Stuhle hing, und schlug, seitwärts auf die Beklagten blickend, ein verstohlnes Kreuz. – »Die Schwörfinger in die Höhe!« gebot der Richter: »Du schwörst vor der heiligen Dreifaltigkeit und bei dem Gedächtniß an [73] unsers Heilands bittres Leiden die Wahrheit, sofern sie Dir bewußt, zu bekennen durch unverdächtige Zeichen? Nicke mit dem Kopfe!« – Die Alte that, wie man ihr hieß, und zitterte vor andächtiger Furcht an allen Gliedern. – Nachdem sie der Oberstrichter über ihren Namen, Gewerb und die Zeit, während welcher sie bei den Beklagten in Diensten gestanden, befragt, ging er zur weitern Untersuchung über, und auf seine dringenden Ermahnungen gestand nach und nach das arme Weib, so deutlich es nur aus seiner Zeichensprache anging, daß vor einiger Zeit Ben David einen Christenknaben in sein Haus gebracht, von einer fernen Wanderung zurückkommend; daß sie selbst den Knaben zwei Nächte hindurch in ihrer Kammer beherbergt; daß er aber in der dritten verschwunden, und nicht mehr zum Vorschein gekommen sey. – »Hast Du nicht wahrgenommen,« fuhr der Oberstrichter in seinem Verhör fort, »ob nicht Einer von diesen anwesenden Juden gegen den Knaben einen besondern Widerwillen und Haß bezeigt?« – Grete nickte nach einigem Nachsinnen mit dem Haupte, und deutete auf den Greis Jochai. – »Nun denn, ihr schändliches Gesindel,« fuhr der Richter die Juden an: »Gesteht Ihr bis hieher ein, was die Alte angedeutet?«

»Ben David läugnete frisch weg die ganze Sache, und Jochai, der es erwartet hatte, wie sein Sohn sich benehmen würde, stimmte, ohne zu zögern, in das Läugnen ein. Der Oberstrichter wurde braunroth im Gesichte, zog zum Zweitenmale die Glocke, und nach einer kurzen von den Beklagten bang durchathmeten[74] Stille trat, keck wie die sichre Wahrheit selbst, Zodick in die Kammer, achtete nicht des Schrecks, mit welchem Jochai und Ben David bei seinem Anblick zusammenfuhren, sondern näherte sich furchtlos dem Richter, dessen Gewand er unterthänig berührte, und vor dessen Gerichtstafel er sich mit erhobener Hand stellte, die frechen Augen auf das Kruzifix und den Verhörenden gerichtet, wie einer, der schon oft dabei gewesen. Die Geberde, die er machte, kam jedoch den Juden so unerwartet und so gräßlich vor, daß Jochai, seinen Unmuth vergessend, dem Menschen mit ängstlicher Stimme zurief: Zodick! ach Zodick! ist es denn wahr, was von Dir gesagt haben unsre Leute? Hast Du abgeschworen den einzigen Gott, um zu opfern dem fremden?« – »Zodick, was thust Du?« setzte der von Nichts wissende Ben David überrascht hinzu. Der Oberstrichter rief aber dazwischen: »Schweigt, ihr Hundsjuden, sonst lasse ich euch stäupen zum Lohne für eure verfluchte Schwatzhaftigkeit. Laß Dich's nicht kümmern, Friedrich, setzte er gemäßigter bei, und schwöre vor der heiligen Dreifaltigkeit und ihren Heiligen, und bei dem kostbaren Blute unsers gekreuzigten Erlösers, den Du hast erkennen gelernt durch der heiligen Mutter Fürbitte und ihres barmherzigen Sohns unendliche Gnade, die Wahrheit zu sprechen, sonder Furcht und Mitleid.« – »Ich schwöre,« entgegnete Zodick kurz und fest, und nachdem er auf Befehl des Oberstrichters den Glauben gebetet und das Kreuz vor Stirn und Brust geschlagen hatte, – wobei Ben David unruhig den Kopf schüttelte, und Jochai mit geschloßnen [75] Augen der jüdischen Schulen Bannformel zwischen den Zähnen murmelte, – begann er ein Zeugniß, oder besser, eine Klage abzulegen, während welcher die Stille des Grauens also eintrat mit ihren Schauern in das unheimliche Verhörgemach, daß auch keine Sylbe aus des Klägers Munde einem der Anwesenden entging. –

»Es sind fünf Monden etwa verflossen,« sprach Zodick, – »und es war so gegen das Ende des Monds Monchesran, da die Juden, wie mich dünkt, den letzten Shabbat des Monds feierten, als Ben David, der hier steht in billiger Haft, – mein damaliger Herr, dieweil ich noch bin gewandelt im Finstern, – heimkehrend von einem Gang über Feld, wie er öfters zu thun pflegt, des Handels wegen, – ein Kind mit sich brachte, einen Knaben, und von christlicher Geburt.« Am Abend des eingehenden, so wie am Abend des ausgehenden Festes sah ich den Knaben nicht, denn ich lag darnieder an einer Wunde, die mir böse Menschen geschlagen hatten. Ben David sagte mir mit keinem Worte von dem Kinde, und nicht Esther, seine Tochter, und Jochai war der Einzige, dem in der Geschwätzigkeit seines Alters die Kunde entschlüpfte gegen mich, es befinde sich im Hause ein Knabe, den der Herr geführt habe, man wisse nicht von wannen, und bringen wolle, man wisse nicht, wohin. Von dem Schmerz meiner Wunde geplagt, achtete ich auch nicht auf des Alten Geplauder. Da aber nach dem Habdalah mein Leib wundersam schnell wieder genesete, und ich am folgenden Tage blos um zu ruhen, zu Bette lag in meiner [76] einsamen Kammer, da trat dieser Greis Jochai, als es schon wieder zu dämmern begann, zu mir, und sprach: »Steh auf, Zodick, so Du ein guter Knecht meines Sohns bist, und Deines Leibes Schmerzen er vertragen, und folge mir eiligst mit Schaufel und Haue.« – »Sogleich, Raaf,« antwortete ich dem Alten gehorsam, denn zu der Zeit ehrte ich ihn, wie alle Juden zu thun pflegen, da er das Gesetz kennt und auslegt. Ich stand auch alsobald auf, nahm nach seinem Willen Schaufel und Haue, und folgte ihm, der trotz seinen blöden Augen rüstig voranschritt über die dunkeln Stiegen zu dem Keller; in dessen Gewölbe, das unter dem Hinterhause fortläuft, und durch einen Verschlag geschieden ist, von dem Vordern, wo man Holz und Wintergemüse aufbewahrt, rastete der Alte, und befahl mir, Feuer anzuschlagen und die Leuchte anzuzünden, die er unter seinem Rocke hervorzog. Dieses geschah. Run setzte sich der Alte auf einen Stein, und sprach: »Jetzo, mein guter Knecht, nimm die Werkzeuge zur Hand, und haue hier vor meinen Füßen eine Grube von anderthalb Schritten in der Länge, und von der Breite eines Ellbogenmaaßes.« Ich zögerte nicht, mich an die Arbeit zu machen, in der Meinung, man wollte hier Kostbarkeiten vergraben, wie die Juden gar oft zu thun pflegen, denn sie hegen Verdacht gegen Alles, was sie umgibt, und besitzen gar häufig Dinge, die nicht kommen dürfen sobald an den Tag. Da mir nun aber Jochai ferner gebot, die Tiefe von zwei Ellbogenlängen zu nehmen, und säuberlich geräumig zu machen die Grube, ward ich doch stutzig. [77] »Raaf!« sagte ich, kopfschüttelnd: »Ihr müßt viel köstliche Habe zusammenbringen, um dies Loch nur zur Hälfte auszufüllen.« – Er hieß mich jedoch einen fürwitzigen Mancher, und befahl mir, zu fördern die Arbeit. Ich that es nun auch, und während dessen begann der Alte eitel verdächtige und seltsame Reden, und fragte mich, ob ich etwas verstände von Zauberei und geheimen Mitteln. »Gott soll hüten!« versetzte ich hierauf, und fluchte den Zauberern. Der Raaf sah mich, schnell an, und sprach: »Verflucht seyen die Schedim, aber heilig die Zauberer, die den Schemhamphorath verstehen, und damit die Sprache der Thiere, der Teufel und die Kenntniß der Mittel, die groß machen Israel in Edom. ›Hast Du nie davon gehört,‹ fuhr er fort, ›daß eines unmündigen, vom Berge Seir 1 stammenden Knaben Herz, in der Nacht des Amalekitischen Sabbats von gesegneten Händen ausgerissen, zu Staub verbrannt, und am Abend des Festes Haman in geheiligtem Weine genossen, Glück, bringt und großen Reichthum?‹ Ich schaute dem Raaf bestürzt in's Gesicht, und habe nicht erwiedert ein Wort. Nachdem ich aber die Grube vollendet, und den Grund geschaufelt auf einen Haufen, mußte ich noch verstopfen mit Stroh und Holz die Luftlöcher des Gewölbes, und wurde von dem Alten angewiesen, mich zu begeben hinauf, und dem Herrn zu sagen; es sey geschehen im Namen des Propheten Elias.« – So wie ich nun aber an des[78] Kellers Thüre gelange, kommen mir Schritte entgegen, und herab steigt bereits der Herr, und trägt auf der Schulter einen Knaben, in Schlummer versunken. Er stutzte sehr, da er mein wurde ansichtig, und der Raaf sprach zu ihm wie im Zorne: »Warum kommst Du geschlurft zur Unzeit? Der Knecht sollte Dir erst sagen, war's beschlossen ....« – »Ben David stotterte ein Paar unverständliche Worte, und hieß mich gehen von bannen mit der Lampe, so er mit sich gebracht; und mich legen zu Bette, ohne zu verweilen. Ich ging, und hinter mir schlossen sie die Thüre zu mit allen Riegeln. Da ich nun aber die Stiege emporging, ließ mir's nicht Rast und nicht Ruh, und ich mußte sehen, was da unten vorging, und hätte ich fürchten sollen, zu werden blind, wie Einer, der die Scheching, das heißt, die Herrlichkeit Gottes anschaut, wenn sie gerade auf den Fingernspitzen des Cohen's sitzt, welcher segnet. Ich zog daher aus die Schuhe, und blies aus die Lampe, und tappte in finstrer Nacht in das Höflein, und sah hinunter in den Keller durch eine Ritze, die ich mit Vorbedacht gelassen hatte in einer der Fensterverkleidungen. Ich muß geworden seyn kalt wie Eis, da ich gewahrte, was vorging im Gewölbe. Ben David hatte den Knaben entkleidet, und die Kälte den Armen geweckt. Zu dem leise Wimmernden trat der Raaf, und fragte ihn, wie die Juden zu fragen pflegen am Feste Jom Kippur 2, das da fällt im Monde[79] Tisri: Jüngelchen, über welches der Mohel 3 nicht gekommen. Willst Du seyn mein Kappora? 4 – Das Büblein machte Ben David nicken mit dem Haupte, und plötzlich stopfte ihm der Raaf einen Knebel in den Mund, daß es nur leise und dumpf stöhnen konnte, während dessen seine Augen hervortraten aus den Höhlen, wie die eines Lamms, das man schächtet. Und herbei aus dem Winkel schleppte der Raaf ein roh gezimmertes Kreuz; Ben David streckte darauf den Gepeinigten aus, und voll zitternder Begierde, mit vor Alter bebenden Händen, nagelte ihn der Raaf auf das Leidensholz, indem er das Gebet murmelte, das leider unter den Juden heimisch ist, und also lautet: Dies Opfer soll mir dienen als Wechsel und Tausch; es komme an meine Statt; es gehe in den Tod und ich mit allem Volke! Israel in's ewige Leben! Furcht und Angst komme über die Gojim! Verflucht, seyen die Wohnungen des Berges Seir! Verflucht und vertilgt die Hütten Amaleks! Verflucht und vertilgt Ammon, Edom und Moab Offenbart und endlich geschenkt deinem Volke seine Erlösung!« –

»Während dieses Gebets hat Ben David dem zuckenden Würmlein gespieen in's Angesicht, und gerufen mit Hohn: Gegrüßt seyst Du uns, König in Israel! Herrlich und gesegnet seyst Du, Fürst der Juden! – Darauf hat er die Lampe ergriffen und bedeutet dem Raaf, er möge ein Ende machen denn [80] der Knabe drohe schon jetzo zu verscheiden. Und der Raaf ergriff ein blank geschliffen Messer, und heiligte es in den von den Gliedern des Opfers rinnenden Tropfen, und näherte sich damit her Stelle, wo das ängstliche Herzlein pickte, und zeichnete hier ein blutiges Kreuz ......«

»Ersticke, und verdammt seyst Du, verfluchter abtrünniger, Sohn des Leviathan!« kreischte hier der alte Jochai, und sank unter Zuckungen zur Erde nieder. Ben David stand ihm, obwohl selbst kraftlos taumelnd, bei, und wandte zum Himmel die trocknen Augen, in welchen eine wilde, verzweiflungsvolle Frage an das Verhängniß lag. Der Oberstrichter nahm jedoch keinen Antheil an Jochai's Zustand, und gebot dem fürchterlichen Kläger zu enden. Mit tückischer Behaglichkeit ging auch Zodick zu Ende. »Das Büblein ist verschieden unter dem Messer des Raaf, und sein weitres Schicksal weiß ich nicht;« schloß er. Ob sie das Körperlein vergraben, – ob sie es geworfen in den Fluß, weiß ich nicht, da ich mich entfernte, während sie noch darüber gestritten. Der Raaf war für das Erstere, und Ben David für das Zweite; denn er hat mir nicht getraut, da ich ihn kommen gesehen mit den Knaben. Ich aber konnte nicht mehr aushalten in Ben Davids Nähe, und habe benützt die erste Gelegenheit, um aus der Gemeinschaft zu treten mit dem Raaf und seinem Sohne. Das ist, so wahr mir helfe der Barmherzige, der mich gerettet von der Ketzerei, die reine, lautre Wahrheit; Amen. –

[81] Ein tiefes Schweigen beherrschte den düstern Schauplatz. Jochai lag bewußtlos, Ben David war zu Stein geworden, – Grete betete in Gedanken ihren Rosenkranz zum Heil der hingeopferten Seele; – Zodick rastete von der Anstrengung seiner Rede, und selbst der Oberstrichter und sein Gehülfe, gewöhnt an Schrecknisse und Frevelklagen, erholten sich von den unerhörten Gräueln, die sie vernommen. – Endlich faßte sich der Richter, und wendete sich mit donnernder Stimme an Ben David: »Du hast gehört, Abscheulicher,« sprach er: »wessen man dich anklagt. Ein Genosse Deines Hauses, Dein ehemaliger Glaubensbruder, Dein getreuer Knecht ist es, der den Schleier von dem ungeheuern Verbrechen zieht, das Du mit Deinem Vater begingst. Wirst Du ferner läugnen, und dadurch das Schwert der Vergeltung schärfen? Wirst Du verharren in dem giftigen Groll Deiner irrgläubigen Verstocktheit?«

»Herr!« antwortete Ben David mit frostklappernden Zähnen: »Ich soll reden, und kann kaum finden ein Wort auf meiner Zunge. Ich könnte Euch zuschwören unsre Unschuld bei dem heiligen, hochgelobten Gott, den Gräbern unsrer Voreltern, und Allem, was uns heilig ist in Israel, – Ihr würdet uns aber nicht glauben, denn wir sind schlechte Juden, – ich könnte herbeibringen das Zeugniß meiner unschuldigen Tochter Esther, – aber Ihr würdet sagen, es gelte nicht, weil es meine Tochter gab. – Warum jedoch glaubt Ihr dem abtrünnigen Knecht, der gegen uns zeugt, warum der Magd, die in ihrer Stumpfheit Alles bejaht, was man ihr vorsagt? [82] Unschuldig sind wir, unschuldig, unschuldig an dem gräßlichen Frevel, den man uns auflügt. Fünf Monden sollen seyn verflossen seither, und nun erst kommt der gottlose Bube hier vor Eure Bank, und schreit Zeter über uns? Warum hat er nicht alsobald aufgerufen zur Rache Himmel und Erde, nachdem, – wie er lügt – die Unthat geschehen?« – »Wirst Du schweigen, verfluchter aussätziger Jude!« zürnte der Oberstrichter, indem er heftig aufsprang: »Sollte sich der arme Mann Eurer Rache aussetzen? Ihr Judengeschmeiß klebt an einander wie Kletten, und dieser hier wäre nicht der Erste, den ihr erschlagen habt, um seine Geständnisse zu verhindern, oder zu bestrafen. Ehe er mit Euch in's verdiente Gericht ging, mußte er aufhören in Eurer höllischen Mitte zu leben. Er that's, er hat sich dem Himmel, dem allbarmherzigen Schooß des wahren Glaubens zugewendet, und kann nun offen gegen Euch auftreten, von unsrer Macht geschützt. Noch mehr, die Seele des unschuldigen Knäbleins, das Ihr unserm Heilande zu schmählichem Spott zu Tode gemartert habt, ist diesem neuen Christen zu wiederholten Malen im Traume erschienen, und hat ihn aufgefordert bei seiner eignen Seele Heil und Frieden, die Gräuelthat offenkundig zu machen, und zu rächen schon, in dieser Welt. Blutdürstiges Schelmenvolk! Deine Bosheit liegt am Tage, und noch in dieser Stunde lasse ich euch Beide in Eures Hauses Keller führen, der noch bis jetzt mit meinem Siegelring verpetschirt liegt. Ich will mir ein Fest daraus machen, durch eigne Untersuchung des Klägers Angaben zu beglaubigen, [83] und am letzten Tage der Leidenswoche unsres Herrn zwei Mörder und Gotteslästerer zu entlarven, die mit seinem Namen und seinem Erlösungswerke todeswürdigen Spott getrieben.«

Die Schelle erklang von Neuem, und Rathsdiener erschienen. »Reißt den alten Bösewicht von der Erde auf;« befahl der Oberstrichter, dessen blinde Hitze im Steigen war: »es ist eitel Lug und Trug mit seiner Hinfälligkeit. Die Wahrheit, die er nicht läugnen kann, hat ihn umgeworfen. Schleift ihn an Stricken mit euch. Den andern Höllenhund werft wieder in seine Fesseln. Der Stöcker soll herbei mit seinen Knechten, und das Gezücht nach der Judengasse bringen, denn keinem ehrlichen Manne steht's zu, seine Hand an den Ungeheuern hier zu verunreinigen. Ich folge alsobald.«

Der gestrenge Herr warf den Mantel über, winkte dem Schreiber, dem Zodick und der stummen Magd, ihm nachzukommen, und ging aus der Kammer. Ben David hatte keine Augen für das tückische Lächeln, mit welchem Zodick an ihm vorüberstrich, sondern lauschte sorgsam auf die Athemzüge seines sich erholenden Vaters, von welchem er sich nicht trennte, obgleich man ihn neben demselben in Ketten schlug.

Einer der Rathsknechte lief, befohlnermaßen, nach dem Stöcker und seinem Geleite, der Andre ging vor die Thüre, um den Wachen und neugierigen Gaffern redselig zu beschreiben, in welcher Wuth der Oberstrichter von dannen gegangen, und welche Worte er drohend und zürnend gesprochen. Die Gefangnen[84] blieben einige Augenblicke allein, und Ben David küßte mit Entzücken die Hände seines erwachenden Vaters. »Ach!« seufzte dieser ermattet: »so war es kein Traum! O Herr in Israel! wie kannst Du dulden solche Nichtswürdigkeit! Ich bin zu alt, um machen zu können Anspruch auf's Leben, denn ich habe gelebt für zwei Menschen auf der Erde, aber ... Du – mein Sohn – und Esther, das Enkelchen! Weh mir! was soll das noch werden, wenn Du bestehst darauf, zu schweigen, und nicht zu sagen, wo Du hingeführt den Knaben aus Edom.« –

»Ich darf nicht, Vater,« versetzte Ben David fest: »ich würde machen unglücklich, die jetzt glücklich sind. Ich habe versprochen, zu schweigen, und will halten, was ich versprochen.«

»Und wenn Du hättest geschworen,« fiel Jochai eifrig ein: »so gilt der Schwur nichts, da es geht an den Hals. Ich will Dich entbinden Deines Gelübdes, wie ein rechter Lehrer in Israel. Ungültig soll seyn der Schwur, den man geleistet an die Männer und Frauen von Amalet. Wir wollen beten das Gebet Col niddre, und Dein Schwur soll Dir erlassen seyn.«

»Vater;« antwortete Ben David ernst: »Du magst mich entbinden des Eids, doch nicht der Zusage, so ich geleistet als redlicher Mann. Wenig Gewinn würde entstehen aus meinem Bekenntniß; es würde mir kosten den Kopf, und Estherchen Hab und Gut, und Dir Schande bringen und den Bettelstab.«

[85] »Weh mir!« jammerte der Alte: »In welchen Handel hast Du Dich begeben? unbesonnener Mann; Geld ist gut, doch besser das Leben. So Du aber sterben mußt, und Esther verarmen, begehre ich auch nicht länger zu athmen. Denn mehr als todt ist ein Alter von hundert Jahren, das in Kummer und Hunger versiegt.« –

»Beruhige Dich, Vater;« versetzte David: »wir werden nicht sterben, Du sollst nicht hungern. Die Leute, die da wissen, daß ich reden könnte, werden schon helfen, ehe es seyn wird zu spät. Verlasse Dich darauf!«

»Und wenn sie uns peinigen?« klagte der Greis mit wachsendem Eifer: »Wenn sie uns tödten, schnell wie die Hand des Herrn? Sohn, Sohn! traue nicht auf der Gojim Hülfe und Versprechen! traue nicht auf das Wort, es komme aus der Erde, oder falle vom Himmel! Beten wir nicht täglich: Herr, bau Zion wieder, die Gottesstadt und ihren Tempel? Laß ihn geboren werden und kommen den Messias, den man nennen wird gleich Dir, den Sohn Davids? Und noch ist Zion nicht gebaut, und noch der Messias nicht gekommen; und also werden wir von bannen genommen seyn, ehe Hülfe kommt und Rath; als Opfer Deines unseligen Handels, und Deines Eigensinns.«

»Verzagst Du denn so ganz an der Hülfe des hochgelobten Gottes?« fragte Ben David, den Alten, der zwischen Wahn, Glaube und Unglaube ängstlich schwankte, wehmüthig bei der Hand ergreifend: »Vertraust Du denn nicht auf unsre Unschuld selbst, [86] deren Stimme endliche uns frei sprechen wird von dem teuflischen Lügengewebe?«

»Ach,« seufzte der Alte, zweifelnd und befangen: »fünf Stimmen gibt's, die nicht hörbar von einem Ende der Welt zum andern gehen; aber die Stimme der Unschuld ist nicht darunter. Sie ist nicht die Stimme des fruchtbaren Baums, den man fällt, – nicht die Stimme der Schlange, die man schindet, nicht die eines vom Manne erkannten, von einem Manne geschiednen Weibes; nicht die Stimme des neugebornen Kindes ....!«

»Besinne Dich, Raaf!« unterbrach ihn Ben David sanft: »Ist das Kind nicht das Bild der Unschuld? Halte Dich am Glauben, und laß uns vertrauen.« –

Mit vielem Geräusch trat die Wache ein, die ohne Schonung den Greis mit Stricken band, und ihn neben seinem Sohne durch das wilde Volksgedränge hindurch, an die Pforte des Römers führte, wo auf den Stufen der Nachrichter mit seinen Knechten die Ärmsten erwartete, die er im geheiligten Rathhause selbst nicht abholen durfte.

Fußnoten

1 Bezeichnender Name der Christenheit, gleich Edom, Amalek etc.

2 Der lange Tag – Fest der Versöhnung.

3 Der, welcher die Beschneidung verrichtet.

4 Opfer.

4. Kapitel
[87] Viertes Kapitel.

Wo ist das Auge, das schärfer sähe, als das der Liebe? Wo die Hand, die kräftiger schirmte, als die des Liebenden? Er hütet sein Kleinod mit freudigem Muthe, und nimmt es auf mit einer Welt, die ihm widerstrebt!

W.


Dagobert war noch immer nicht einheimisch in seines Vaters Hause geworden. Diether hatte zwar viel von seinem mürrischen Wesen abgelegt, aber seine Freundlichkeit war Novembersonne. Er schien den Sohn eher zu meiden, als zu suchen, und der fröhliche Ostersonntag war vor der Thüre, ohne daß er seinem Dagobert nur ein einzigmal gesagt hätte, ob es ihn freue, daß ihn der Papst freigesprochen, – ob nicht. Der Sohn blieb daher ungern in dem Hause, wo er nur trübe Gesichter sah, denn auch Margarethe war von einer unbeugsamen Schwermuth befallen. Die zwei Tage, die er bei den Eltern zugebracht, waren ihm schneckenlangsam hingekrochen, und Zerstreuung zu suchen, befahl er seinem Vollbrecht, – der's vorgezogen hatte, bei dem leutseligen Herrn zu verbleiben, – die Pferde zu satteln, und einen Lustritt mit ihm zu machen. Der lange Knecht war's wohl zufrieden, und bald trabten sie im Freien. »Ei, welches ist denn jenes Gebäude dort an der Anhöhe?« fragte Vollbrecht, da sich zu ihrer Linken ein Haus zeigte mit einem Thürmlein dessen farbig Ziegeldach lustig leuchtete im Mittagstrahl. [88] Dagobert blickte hin, und hielt sein Roß an. »Sieh doch,« sprach er: »das ist der Schellenhof, der meinem Vater zusteht. Eine Meierei, auf welcher ich als Knabe manch heitern Tag verlebt. Es ist schon recht lange her, seit ich das wohnliche Haus zum Letztenmale gesehen, und ich verspüre eine Lust in mir, die alte Crescentia zu begrüßen, die dort als unsre Schaffnerin haust, und manch liebes Mal meinen Gaumen mit einem Becher Milch, oder mit saftigen Kirschen erquickt hat. Da wir eben keinen absonderlichen Zweck vor Augen haben, dächte ich, wir ritten an den Hof hinan.« – Gesagt, gethan. In kurzer Frist hatten die Pferde den breiten Landweg, der zum Gebäude führte, gemessen, und die Reiter stiegen an der mit Reben umkränzten Pforte ab. Zwei krummbeinige Dachshunde, die im warmen Sonnenscheine auf den Stufen lagen, umkreisten bellend die Pferde, und über die Halbthüre des Hauses lehnte sich ein altes aber freundliches Gesicht, den Ankömmling mit Vergnügen bewillkommend. »Grüß Dich Gott, alte Magd!« sprach Dagobert treuherzig, und reichte ihr die Hand: »Sieh, es freut mich in der Seele, daß ich Dich lebendig und munter antreffe, wie einen rüstigen Wächter. Kennst Du mich denn noch?« – »Ei, wie sollte ich nicht?« antwortete die Frau mit vieler Rührung, und die Pforte weit öffnend: »An meinem alten Körper sind die Augen noch das Beste. Ein Gesicht, wie das Eure vergißt sich auch nicht so leicht. Tretet ein, lieber Junker Dagobert, tretet nur einen Augenblick ein in meine Klause.« – Der Jüngling folgte ihr bereitwillig [89] und ließ sich's in dem engen Stüblein gefallen, wo Crescentia mit Schürze und Borstwisch Ordnung schaffte, den Tisch rein machte, die Katze vom Ofen, die Lieblingshenne vom Fensterbrett jagte, und einen ledernen Sorgenstuhl herbeischleppte für den lieben Gast. Dagobert sah sich, der Knabenzeit eingedenk, in dem kleinen Gemache um, das ihn heimisch ansprach mit Allem, was darinnen stand und lag. Da waren noch die alten Schränke zu schauen, und der mächtige Tisch mit dem knaufigen Gestell, und die bunte Truhe, und das Himmelbett mit den blau und weiß geflammten Vorhängen, und der Weihkessel an der Thüre, und das Kruzifix zwischen den Fenstern, und selbst die Dreikönigskreuze über dem Eingang standen wieder da, mit Kreide angemalt, wie vor Zeiten. – »Hier war ich glücklich!« sprach Dagobert, all die veralteten Herrlichkeiten musternd: »Glücklicher als jetzt, und jene Glückseligkeit verdankte ich Dir, gute Frau.« – »Ei, warum solltet Ihr denn jetzt nicht eben so viel und doppelt so viel Freude haben, denn sonst?« fragte Crescentia, ihm gutmüthig auf die Hand klopfend: »Ihr verdient's ja, glücklich zu seyn; das sagt mir Euer gesundes und wackres Angesicht, und gewißlich seyd Ihr brav geblieben, wie Ihr's wart. ›Ach,‹ sagte oft mein Seliger: ›wenn ich's nur erleben könnte, den kleinen Junker als unsern Herrn zu sehen. Sein Vater ist zwar gut, aber zehnmal besser würde der Sohn.‹ Nun freilich,« fuhr sie fort mit einem Seufzer: »diese Zeit hat mein Alter nicht erlebt; er würde sie auch nicht erlebt haben, wenn [90] er noch so alt geworden wäre; wir wußten damals noch nicht, daß Eure Mutter, der Gott gnädig seyn wolle, Euch der Kirche verlobt habe.« – »Gott erhalte Euch meinen Vater noch lange,« erwiederte Dagobert: »einen bessern Gebieter findest Du schwerlich wieder.« – »Mag seyn,« versetzte Crescentia trocken: »das Bessre, sagt ein Sprichwort kömmt nicht immer nach. – Eure Schwester, das Fräulein Wallrade, war kürzlich hier.« – »So?« fragte Dagobert gleichgültig: »Wie kam's, daß sie sich hieher verirrte?« – »Ei,« fuhr die Schaffnerin fort: »in solchen Angelegenheiten mag sich's wohl der Mühe verlohnen, auch dem kleinen Schellenhof einen Besuch zu schenken. Das Fräulein hat alle Baulichkeiten und Ländereien betrachtet, Stall und Garten besichtigt, und nach allen Einkünften und Zinsen des Guts gefragt. Das ist eine genaue Herrin, und wird Vieles ändern, wenn sie den Hof antritt.« – »Wallrade?« fragte Dagobert, mit mehrerer Theilnahme schon: »Wallrade? Ei, wie käme sie dazu?« – »Sie hat mir versichert,« sprach die Alte, »daß sonder Zweifel die Meierei an sie fallen würde; und sich überhaupt so herrisch und stolz betragen, als ob Euer Vater schon auf dem Schragen läge, und sie die einzige Erbin sey.« – »Hm!« schaltete Dagobert ein: »Nicht übel. Es dürfte aber leicht anders kommen, gute Crescenz. Laß uns von andern Dingen reden, denn – Du weißt wohl – Geschwister hören nicht gerne von Geschwistern sprechen. – Ich bin gekommen, Eins mit Dir, zu plaudern, gute Seele, von Deinen kleinen Sorgen, von Deinem bescheidnen Wohlstande, [91] von Deinen Leiden und Freuden, mit einem Worte.« – »Ach,« versetzte die Alte lächelnd: »was soll ich Euch denn sagen, lieber Junker, das Euerm gelehrten Verstande nicht langweilig vorkommen sollte? Der Leiden habe ich, dem Himmel sey Dank, nur wenig. Die Vergangenheit hatte mir deren mehr bescheert. Die wenigen Freuden schaffe ich mir selbst, oder die Jahreszeit bringt sie. Damals war eine böse Zeit, als mein Wolfram starb. Euer Vater hatte just zum zweiten Male gefreit, und Eure Stiefmutter war eingezogen in aller Pracht und Herrlichkeit, aber auch mit allem Übermuth einer leichtsinnigen Jugend. Da sollte Alles neu erstehen und aufgeputzt werden; da war Alles zu alt und zu verjährt. Das alte Geräthe aus dem Hause, und die alten Diener hinterdrein, hieß es damals. Ich hatte das Unglück, den Groll der schönen Frau auf mich zu ziehen, weil ich ihr nicht den gehörigen Reverenz erwiesen, da sie den Schellenhof zum Erstenmal besucht. Aber, Du lieber Gott, – mein Wolfram war gerade gestorben, – im Hause Alles drunter und drüber; ich fand kaum ein Wort für mich, geschweige denn für die gestrenge Frau. Sie zürnte deßhalb auf mich, und ich war die Erste, die aus Euers Vaters Dienst entlassen wurde, – eine arme Wittib, ohne Habe, und Mutter eines noch unerwachsnen Mägdleins. Zudem hatte mein Alter noch Schulden hinterlassen, die ich nicht tilgen konnte, und schon wollte ich, das Kleid, das ich auf dem Leibe trug, allein behaltend, meinen Rosenkranz auf meines Mannes [92] Grab legen 1 und dann mit meinem Kinde betteln gehen, als ein Menschenfreund durch seine unvermuthete Hülfe uns von der bittersten Armuth rettete. Wir zogen auf das nahe Dorf, und lebten von der Unterstützung des biedern Helfers. Meiner Hände Arbeit versorgte den Mund, die Milde jenes Edeln half unsern übrigen Bedürfnissen ab. Indessen hatte hier ein Gärtner aus Wälschland sein Wesen getrieben, des Meierhofs Nutzen verkleinert, die Herrschaft betrogen. Durch unsern Freund kam die Schelmerei an den Tag, durch unsers Freundes Fürbitte wurde ich wieder hier eingesetzt, nachdem ich sechs Monden lang dies Haus hatte meiden müssen. Die gestrenge Frau, die ihre Voreiligkeit in ihrer Herzensgüte gerne wieder verbesserte, hat mich seither gut behandelt, und vor zwei Jahren meine Else zu sich als Gürtelmagd genommen. So gut ich meiner Else Arme hier im Hause hätte brauchen können, so wollte ich doch ihre Dienste einer Gebieterin nicht weigern, die mit einer alten Frau menschlich umgeht. Von jener Zeit an lebe ich hier allein und einsam. Der Lenz erfreut mich mit seinen Blumen, der Sommer mit seinen Garben, im Herbste breche ich die Früchte der Bäume, ...« – »Und im Winter?« fiel Dagobert ein: »im Winter? Wie steht es da? Nicht dem Sturme des Nords allein bist Du Preis gegeben, sondern auch dem Muthwillen, der Raublust böser Gesellen, [93] denen Du in Deiner Einsamkeit nicht widerstehen könntest.« – »Ei warum denn nicht?« fragte Crescentia lächelnd: »Glaubt ja nicht, daß ich so ganz Mutterseelen allein sey. Mit nichten. Ein Paar rüstige, Knechte sind immer hier zur Hand. Nicht beständig bin ich einsam, gerade wie heute. Heute ist ein besondrer Fall. Meine Leute sind nach der Stadt gelaufen, weil, wie es heißt, die gefangnen Juden vor Gericht gestellt werden. Ich hätte nicht selbst das traurige Schauspiel sehen mögen, aber wissen will ich doch, was an der Sache ist, weil der Eine der Gefangnen mir besonders am Herzen liegt, und ich mir nicht einbilden kann, was er verbrochen haben soll.« – »Wen meint Ihr da?« fragte Dagobert aufmerksam. – »I nu, den armen Mann Ben David, der mit seinem Vater im Gefängniß liegt,« versetzte Crescenz: »und der eben jener Wohlthäter war, welcher ein halbes Jahr hindurch mein und meines Kindes Leben fristete.« – »Ben David, sagt Ihr?« fuhr Dagobert heftig fort: »der Jude Ben David? Er heute vor Gericht? Er noch nicht frei? und auch Jochai im Kerker? Beim Himmel! Du weißt nicht, Crescenz, welche Nachricht Du mir mittheiltest. Ich muß fort, – zur Stelle fort; Vollbrecht! die Pferde vor!« – »Ei, was habt Ihr denn, mein guter Junker?« rief Crescentia: »So schnell, und auf diese Nachricht hin wollt Ihr scheiden? Wie ist mir denn? Kennt Ihr den Juden? Habt Ihr schon etwa vernommen, wessen er beschuldigt?« – Aber ihre Fragen, und ihr Rufen verhallte, denn schon saß Dagobert zu Roß, schon flog er mit seinem Knechte [94] den Sandweg hinab zur Heerstraße, und erreichte in Kurzem die Stadt. Wie im Fluge ging's, Zwingen und Gassen entlang bis zur Judenstraße. Hier waren jedoch die Reiter gezwungen, ihre Pferde zu bändigen, denn die Gasse stand gedrängt voll von Menschen. Aller Augen auf Ben David's Haus gerichtet, Aller Lippen in unruhig schwatzender Bewegung. Die Bewohner der Gasse hielten sich in ihren Wohnungen verkrochen, Wache hatte die Pforte von David's Hause besetzt, aber dennoch strömten Menschen darin aus und ein, und so eben führte man daraus ein ohnmächtiges Weib auf die Gasse, in Gewändern, wie sie die Bürgerinnen kleiner Landstädte zu tragen pflegten. »Das arme Weib!« scholl es theilnehmend aus dem Munde aller Anwesenden: »Ein, wahres Unglück hat sie just heute zur Stadt geführt!« – »Was gibt's denn hier?« erkundigte sich Dagobert bei einem Kerl, der, Langes und Breites erzählend, unter einem Haufen von Handwerksgenossen stand, deren rothgelbe Jacken die Zunft der Löher verriethen. – »Des Juden Keller ist durchsucht worden;« erläuterte der Geselle: »ich selbst war unten. Das getödtete Kind hat man zwar nicht gefunden – die Buben haben's in den Main geworfen, – aber viel andres Zeug, das wohl bewährt, welch ein Handwerk die Schelmen von Juden im Stillen getrieben haben.«

»Was denn« fragten die neugierigen Zuhörer. – »Kleidungsstücke mit Blut befleckt,« fuhr der Erzähler fort: »Lumpen sowohl als Staatsgewänder, einige Kostbarkeiten, – lauter gestohlnes [95] Gut, und endlich eine Kette mit blutrothen Steinen, kenntlich für den Eigenthümer durch die Steine selbst und die Arbeit des Silberschmids. Der Schmuck hat auch schon seinen Eigenthümer gefunden. Das arme Weib, das dort ohnmächtig liegt und just gelabt wird, hat ihn erkannt.« »Erkannt?« rief der Hause. – »Jeder von Euch,« sprach der Löher weiter, »hat ja wohl einmal von dem schönen Evchen von Berger gehört? Weit und breit war das wunderholde Kind berühmt. Weit und breit wurde Hermann, der junge Metzger aus Friedberg beneidet, da er endlich das schmucke Mädel heimführte. Nun, schaut hin auf das arme Weibsbild, ob man eine Spur der ehemaligen Schönheit auf ihrem Gesicht erkennt; und doch ist sie's. Ihr Mann aber wurde erschlagen, da er mit der Ausstattung seiner jungen Frau nach Friedberg fuhr, und die Halskette mit den blutrothen Steinen, ein Erbtheil von Evchens Großmutter hat einen Theil der Mitgabe ausgemacht, und sich so eben in dem Keller des verfluchten Juden gefunden.« – »Das ist nicht wahr!« donnerte dem Erzähler Dagobert zu, während die Umstehenden sich bekreuzten. Der Kerl gaffte ihn mit offenem Maule an. – »Nu, wenn Ihrs besser wißt, Herr,« antwortete er flämisch, »so hättet Ihr den wackern Leuten hier das Ding erzählen sollen.« Dagobert wollte mit dem Roß auf den Lümmel einsprengen, aber Vollbrecht war dießmal der Besonnenere, und riß den Herrn zurück. »Bedenkt doch die Uebermacht!« flüsterte er dem Heftigen zu, »und lasse uns förderziehen.« – »Nimmermehr!« erwiederte [96] Dagobert: »sehen muß ich, welch ein Ende der verdammte Auftritt nimmt!« – Die Fluth des Volks wälzte sich gerade mit aller Macht gegen Ben-David's Thüre; denn die Gefangenen wurden eben herausgebracht. Der Oberstrichter, erhitzt von Eifer und Zorn ging voraus; ihm folgten Knechte mit Körben und Bündeln, die das Gefundene fortschleppten; hierauf erschien Zodick mit siegreicher Miene, und lange nach ihm die Gebundenen selbst, von Soldknechten umringt. Nachrichter und Gesellen folgten erst weit hintendrein, denn der Oberstrichter hatte dennoch für gut befunden, sie nur als schreckende, nicht dienende Leute mit zu führen. Beim Erscheinen der sogenannten Verbrecher entfaltete das Volk wieder all seine Rohheit, denn es schämte sich nicht, aus vollem Halse das Lied anzustimmen, das in der Rumpelwoche in den Kirchen gesungen wurde, begleitet vom einem tobenden Lärm ungezogener Handwerksgesellen und Straßenbuben: »Ach, Du armer Judas! Was hast Du gethan? Weiß ich doch sonst was, das geht Dich auch an. Ach, du armer Judas! Was hast Du gethan!« – Unter diesem Geheule, dem der blutdürstigen Wölfe zu vergleichen, fiel ein neuer Austritt vor herzzerreißender als der, den das schöne Evchen gegeben hatte, und schmerzlich im höchsten Grade für Dagobert. Eine Dirne stürzte herbei, mit aufgelöstem Haare, bleich wie der Tod, aber bildschön im höchsten Kummer selbst; Esther, die verzweifelnde Esther, die herzueilte, jetzt erst von dem schrecklichen Gange unterrichtet, den ihr Vater thun mußte, welchen bisher zu sehen, ihr nicht[97] vergönnt gewesen. Zu seinen Füßen drängte sie sich durch, seine Hände drückte sie mit Inbrunst an's Herz, die ihrigen streckte sie nach Jochai aus, – aber wilde Gewalt stieß sie von ihren Lieben zurück. Vergebens jammerte, vergebens flehte sie, vergebens bot sie, was sie von Werth bei sich trug, für die Gnade, ein paar Augenblicke lang sich mit dem Unglücklichen zu letzen ..... ihre Bitten prallten ab von den Panzern der Wächter, und da endlich diese Letztern es nicht ferner über sich gewinnen konnten, die rührende Schönheit unbarmherzig mit ihren Waffen zurückzuweisen, so kam eilfertig der Stöcker herbei, um zu thun, was dem Krieger wiederstrebte. Aber, so wie er die Arme ausstreckte, um Esther zu ergreifen, fühlte er einen so heftigen Schlag im Genicke, daß ihm die Lust verging, weiter vorzudringen. – »Gott verdamme Dich, ungehobelter Gesell!« rief dem bestürzt zurückschauenden Dagobert in's Ohr, welcher die Peitsche schwang, um nöthigenfalls seine kräftige Zurechtweisung zu wiederholen: »So Du noch einmal Dich unterfängst, die Dirne hier durch Deine schändliche Berührung unehrlich machen zu wollen, so breche ich Dir den Hals!« – Der Nachrichter schrie nach Hülfe. Das Volk lachte den Verhaßten aus, und höhnte ihn. Da kehrte der Oberstrichter zurück. »Was gibts da?« herrschte er: »Wer nimmt Partie für die Jüdin?« »Ich Herr,« entgegnete ihm Dagobert trotzig: »Ich Dagobert Frosch, des Schöffen und Altbürgers Sohn.« – »Schande für Euch!« eiferte der Oberstrichter: »Stöcker! schafft das freche Geschöpf weg!« – »Dem Schurken kostets [98] die Ohren!« versetzte Dagobert, seinen Dolch ergreifend: »Er wage es nicht. Schande ist's für Euch, edler Herr, solche Gesellen in Eurem Gefolge zu führen. Den Verdammten ergreife der Henker, – den Unschuldigen nicht.« – »Die Jüdin gehört mein!« ließ sich der Stöcker vernehmen: »Sie hat dem Gebot zuwider gehandelt, und ist auf die Gasse gelaufen ohne Schleier und Judenzeichen. Das Halseisen gebührt ihr, und mein gehören ihre Haarflechten, so sie dieselbe nicht mit Geld lösen mag.« – »Der Teufel auf Deinen eignen geschornen Schädel gehört Dir, Galgenrabe!« zürnte Dagobert dem Burschen entgegen: »Soll die Dirne deshalb büßen, daß sie in ihres Herzens Angst Euer Verbot vergessen?« – »Sie ist eine schlechte Jüdin!« rief der Oberstrichter. – »Ein Jude ist auch ein Mensch!« antwortete ihm Dagobert zorniger denn zuvor: »Und kurz und gut, Ihr laßt sammt Euern Helfershelfern das Mädel in Frieden, oder ich will Euch zeigen, wie man mit Hunden umgeht!« – Der Stöcker entwich bei der furchtbaren Bewegung, die der Jüngling gegen ihn machte. Aber zu gleicher Zeit rissen auf einen Wink des Richters, die Knechte, die Gefangenen von dannen, welche indessen Muße gehabt hatten, einige Worte mit Esther zu wechseln. Diese Letztere aus den Klauen der Schergen und des Pöbels zu retten, der nur des Richters Entfernung er wartete, um an der Ärmsten seine rohe Willkür zu üben, war Dagoberts Bestreben von nun an. »Komm Dirne, mit mir!« rief er dem Mädchen zu: »ich führe Dich in's Freie!« – Dankend näherte sich ihm [99] Esther, von Thränen überströmt. Der Oberstrichter lachte höhnisch auf. – »Ein wackres Ritterstücklein!« versetzte er: »Werd's zu rühmen wissen, und Euch deshalb beloben!« »wie's Euch beliebt!« rief dem Scheidenden Diether's Sohn nach: »Wir sprechen uns wohl noch anderswo, Herr Oberstrichter!« – Der Letztere warf ein kurzes: »Ich denk's!« zurück, und ging trutziglich davon. »Faß meinen Steigbügel an!« sprach hierauf Dagobert zu der zitternden Esther, um die sich der Pöbel brausend drängte, im Begriff seinen Schmähungen Luft zu machen: »Halte Dich fest; und Du, Vollbrecht, reite auf des Mägdleins anderer Seite. Ihr aber, Gesindel, bleibt zurück, oder wahrt Eure Köpfe!« – Nach dieser Warnung ging es so schnell davon, als die zwischen den Pferden gehende Ester Schritt zu halten vermochte. Bis an den Ausgang der Straße wogte die Menschenmasse nach; da indessen einige wohl angebrachte Peitschenhiebe ihres Zwecks nicht verfehlten, und die Unbändigsten des Pöbels in ihre Schranken wiesen, blieben die Uebrigen zurück, und bloß mehrere Steinwürfe, die nicht trafen, gaben das letzte Zeugniß von der ohnmächtigen Wuth des Volks. »Wohin soll ich Dich bringen?« fragte Dagobert, um die verwunderten Gaffer an den Hausthüren unbekümmert: »Esther, sprich! Wo hausest Du denn Mädchen?« – »Vor die Stadt bringt mich, edler Herr!« seufzte Esther: »Vor die Stadt nur geleitet mich.« – »So laß den garstigen Steigbügel fahren,« erwiederte Dagobert: »und ergreife die Quaste meiner Satteldecke« – Dies geschah; [100] ehe jedoch noch des Zwingers Graben erreicht war, ruhte Esthers Hand schon in der Rechten Dagoberts. Vor dem Thore, zu welchem kurz zuvor der Jüngling herein geritten, saß er ab, und sprach zu Esther: »Nun sage an, mein Kind, wohin Du Deine Schritte zu lenken gedenkst? Warum entfliehst Du den Ringmauern der Stadt? Hast Du kein sicheres Obdach in derselben?« – Wehmüthig schüttelte Esther, das von Perlen der Kindesliebe geschmückte Haupt. – »Ei, so sage doch, um Gott, wo Du weiltest in den verflossenen Tagen?« fuhr Dagobert betroffen fort: »Ich wähnte Dich in Deines Großvaters Haus und Armen. Sprich doch, Du armes Mägdlein, sprich.« – »Jochai liegt im Gefängniß, gleich meinem Vater;« antwortete Esther schluchzend: »An die Thüren unsrer Nachbarn und Glaubensfreunde wandte ich mich; aber von allen wies man die Tochter, der als Verbrecher gehaltenen Leute zurück. Als ob mich die Schule in Bann gethan, flohen mich alle Bekannte, und nur bei dem Judenarzt Joseph fand ich eine Aufnahme, nach langem, langem Bedenken von seiner Seite; nach vielem Einreden seines Weibes.« – »O Du bemitleidenswerthes Geschöpf!« sprach hier Dagobert theilnehmend, und schmeichelnd ihre Hand fassend: »daß Du gezungen wurdest, bei dem hoffärtigen Manne Brod und Wohnstätte zu begehren! Daß ich Dich schonungslos solchem Zufall überließ! Wie aber wurdest Du von ihm gehalten? Warum kehrst Du nicht zu ihm zurück?« – »Erlaubt mir, davon zu schweigen!« bat Esther mit niedergeschlagenen Augen und geschämiger Wange. – [101] »Nein, Esther;« fuhr der heftige Jüngling fort: »Wissen muß ich's, Du darfst mir's nicht verschweigen!« – »Daß er mich gleich einer dienenden Magd behandelte,« sagte Esther zögernd und oft innehaltend, – »hatte ich ihm gern verziehen; die Hülflosigkeit muß ja immer Sklavendienste leisten; – aber, – daß er eines schändlichen Handels Hoffnung auf meinen Kummer, auf meine Liebe zum Vater baute, ..... das kann ich ihm kaum vergeben, und nimmer kehre ich darum zurück zu dem abscheulichen Mann.«

»Von welchem Handel sprichst Du?« fragte der Jüngling bebend: ..... »rede, mein Kind, ich muß es erfahren; .... hörst Du? .... ich muß.« – »Dem Schultheiß wollte er mich verkaufen,« antwortete Esther, ihr Antlitz mit den Händen verbergend: »ich sollte für meines Vaters leichtere Haft einen Preis zahlen, den .... ach; erlaßt mir das Übrige.« – »Schurke!« knirschte Dagobert. – »Ich widerstand;« sprach Esther weiter: »ich zürnte dem Unholde; da entdeckte er mir schonungslos, was mein Vater verbrochen haben soll, und daß er gerade jetzo zum Hause seiner Väter geschleppt worden sey. Halb gekleidet, wie ich war, heulend vor Schmerz und Angst enteilte ich dem Hause Josephs, fest entschlossen, nimmer dessen Schwelle wieder zu betreten.«

»Da sey Gott vor!« entgegnete Dagobert, mit der Faust gegen die Stadt drohend: »Dem hageprunkenden Fettwanst will ich's gedenken, sollte er mir einst unter die Augen kommen. Wo aber, wo, [102] mein gutes Dirnlein, wo gedenkst Du hin? Wo leben die Freunde, wo Verwandte, die Dein Schicksal beweinen?« – »Ach, nirgends, Herr;« klagte die Verlassene: »ich habe Niemand, den eine Pflicht verbände, mir zu helfen. Hingehen will ich aber auf irgend ein Dorf, und in einem Stalle mich betten, und täglich nach der Stadt ziehen, und täglich zu den Füßen der Wächter meines Vaters um die Gnade betteln, ihn sehen zu dürfen in seiner Gefangenschaft. Vielleicht wird einmal doch meine Bitte erhört, – vielleicht gewährt man mir endlich die größre, im Kerker zu bleiben, bei ihm, dem meine Sorgfalt, mein Leben gehört.« – »Esther! Mädchen!« sprach Dagobert bekümmert: »Betrübe mich nicht also, und handle nicht wie eine Mörderin an Dir selbst! Du solltest eine Beute des rohen Bauernvolkes werden; – am Ende dennoch durch Deine unablässigen Bitten und Versuche in die Hände des saubern Gelichters gerathen, denen ich Dich so eben entrissen? Wahrlich; das gebe ich nicht zu.« – Vollbrecht gaffte mit offnem Munde dem seltnen Auftritt zu; Dagobert, der es jedoch bemerkte, gab ihm den Befehl, die Rosse heimzuführen. Obwohl ungern, jedoch vom Gefühl des Gehorsams beseelt, that Vollbrecht, wie ihm geheißen. – Da er sich entfernt hatte, bog Dagobert, im Gespräch mit Esther, in den Sandweg ein, den er kurz vorher beritten. – »Du mußt mir eine Liebe thun,« sagte er zu Esther, die in stiller Erwartung neben ihm ging. – »Welche? mein guter Herr?« fragte sie, die sanftleuchtenden Augen zu ihm erhebend: »Sprecht. Nach dem Vater gehöre [103] ich Euch allein.« – »Ich habe Dich sonder Gefährde hieher geleitet von Costnitz,« sprach Dagobert weiter; »Dich unter Wegs gehalten wie ein ehrlich Frauenbild, und mich wie einen ehrlichen Gesellen.« – »Das weiß der Himmel!« betheuerte Esther mit dankbarer Neigung: »Einer ehrsamen Bürgerin gleich habt Ihr mich gehalten, und nicht wie eine schlechte Jüdin. Das vergelte Euch der hochgelobte Gott, der es auch gnädig mit ansieht, wie Ihr also wandelt mit mir im Freien, ohne Schaam und Scheu, – mit mir, der von aller Welt Verstoßenen.« – »Wolltest Du mir wohl ferner vertrauen?« fragte Dagobert mit weicher Stimme. – »Bis an's Ende, Herr, unwandelbar;« antwortete Esther. – »Deine Habe hast Du mir bereits vertraut, da wir schieden;« sagte Dagobert ferner: »Herzog Friedrichs Brief habe ich in Händen, und werde Dir einst Rechnung davon stellen; aber nun sollst Du Dich selbst mir anvertrauen.« – »Gerne, Herr!« versetzte das Mägdlein ohne Säumen. – »So nimm eine Herberge an von mir;« sprach der Jüngling, den ruhigen Blick auf sie heftend. – »Eine Herberge, Herr?« fragte sie staunend: »Bei Euch? das ziemt sich nicht.« – »Nein, wahrlich;« lächelte der Junker: »bei mir? das würde sich freilich nicht ziemen. Aber in einem Hause, dem eine wackre Freundin vorsteht ... was meinst Du dazu?« – »Ohne Bedenken;« antwortete Esther mit frohem Danke: »Wohin Ihr mich führt, darf ich gehen.« – »Auf die Gefahr, daß ich des Schultheißen Vorliebe für hübsche Dirnen theilte?« fragte Dagobert mit Laune. Esther sah [104] ihn ernst an, schüttelte lächelnd den Kopf, und sprach: »Verkleinert Euch doch nicht selbst; im Scherze nicht einmal. Woran soll man erkennen den Mann, wann er sich selbst den bösen Leumund anhängt?« – »An seinen Handlungen, treffliche Dirne!« antwortete Dagobert rasch, indem er unwillkürlich ihr die Hand drückte: »Und nun, komme mit mir zum Schellenhofe. Die alte Crescenz will mir wohl und Dein Vater steht bei ihr nach dem Heilande in den größten Ehren. Dort, mein armes Kind, dort wirst Du sicher seyn.«

Fußnoten

1 Gesetzlicher Gebrauch, sobald die Wittib ihres Mannes Schulden nicht bezahlen konnte. Nach geleistetem Eide sie durch obige Handlung aller Verbindlichkeit quitt.

5. Kapitel
Fünftes Kapitel.

Eia, Eia!

Ostern ist da!

Fasten ist vorüber,

Das ist mir lieber;

Eier und Wecken

Viel besser schmecken!

Eia, Eia!

Ostern ist da!

Altd. Kinderlied zum Osterfeste.


Der Heilige Ostertag hatte sich einen schönen Schmuck von Sonnenschein und Wärme angelegt, allein an dem Abend desselben war glänzendere Helle, wenn gleich nur von Kerzenlicht, und eine viel angenehmere Wärme in den Stuben des adelichen Gesellenhauses Limpurg zu finden. Die Gemächer waren[105] geschmückt wie zu einer Hochzeit. Bunte Vorhänge waren an den Fenstern aufgemacht, allenthalben vielarmige Wand- und Deckenleuchter angebracht, und der Fußboden entweder mit gewürkten Teppichen belegt, oder mit weiß und rothem Sand bestreut, den man in allerlei seltsamen Figuren aufgeschüttet hatte. Auch die Tafel, an welcher heute recht viele der edeln Gesellen sammt ihren Frauen und Töchtern und Schwestern das abendliche Ostermahl begehen wollten, war herrlich hergerichtet in dem Saale, welcher der Schauplatz der Schmäuse und Geschlechtertänze zu seyn pflegte. Blendendweiße Tischtücher mit buntem Rande, die Ecken in zierliche Knoten geschlungen, bedeckten die Tafel, mit schimmerndem Geräth versehen, so wie der gegenüberstehende Kredenztisch mit prächtigen Gefäßen besetzt war. Die Becher der Gäste waren schon bekränzt mit den zum Fest gehörigen Maaslieben oder Osterblümchen, und voll angehäuften Zinnschüsseln mit bemalten Ostereiern standen hin und wieder auf Tisch und Schrein aufgepflanzt, um den hin und her wandelnden Herren und Frauen als eine kleine Ergötzlichkeit des Gaumens zu dienen, bis das Zeichen zum Mahle gegeben seyn würde. Der größre Theil der ungemein ansehnlichen Zahl von anwesenden Stubengenossen war im großen Vorgemache versammelt, um den mächtigen Ofen, dessen Flächen mit dem in Farben ausgeführten Wappen der Vaterstadt geschmückt waren, so wie die Wände umher mit der langen Reihe von Limpurgs Geschlechterwappen, mit den auf großen Pergamenttafeln geschriebnen Ordnungen der Ttrinkstube, dem[106] bedeutenden Namens-Verzeichniß von Meistern und Gesellen, und den Panieren der Gesellschaft. Plaudernd und schäckernd unterhielten sich die geputzten Gäste von dem, was der Tag gerade gebracht hatte. Die jüngern Anwesenden sprachen von Scherz und Liebe, zeigten sich gegenseitig die prachtvollen Ostereier, die sie empfangen, gesandt in zierlichen Körben, oder auf seidnen und duftenden Kissen, und mit den niedlichsten Sprüchen bemalt. Der zärtliche Freier benutzte das Dämmerdunkel des Ofenschattens, um der Geliebten das Geschenk wieder zum Geschenke zu machen, und einen süßen Blick dafür zu erhalten. Gespielinnen und Freunde bekränzten sich gegenseitig mit den Blumen, in welchen die Ostergeschenke gelegen, und mancher zärtliche Reimspruch ging von Munde zu Munde. Während dessen redeten die jungen Frauen von der Herrlichkeit der bevorstehenden Frühlingsfeste, die ältern von dem Barfüßer, der heute das wirksamste und ergötzlichste Ostergelächter erdacht, von der Deutschherrenkirche, in welcher das ansehnlichste Osterlicht zu schauen gewesen, und von dem Bäcker, der die schmackhaftesten Fladen zum Feste geliefert. Unter den Männern ging hingegen vom Wechsel und Gewerbe die Sprache, von Gerichten, Fehden und dem Concilium. Trotz diesen ganz verschiednen Redestoffen stand dennoch die Menge beisammen auf einem Knaul, als ob das Gespräch nur einen und denselben Gegendstand beträfe; zwei Herren allein hatten sich von der Versammlung abseits gezogen, und besprachen sich eifrig in einer Ecke des Gemachs: der Schultheiß und der Oberstrichter. [107] – »Ihr würdet mich zur ewigen Dankbarkeit verpflichten,« sagte der Letztere, das Gespräch zu Ende leitend, »wenn Ihr dem Jungen irgend einen Denkzettel anhängen wolltet. Ihr findet eher die Gelegenhenheit hiezu, denn ich. Mir dürfte er schwerlich in's Gehege kommen.« – »Ich denke, mir ist er schon in's Gehege gerathen;« entgegnete der Schultheiß finster: »seyd unbesorgt, ehrbarer Herr; was man sucht, findet sich wohl; ich bin vielleicht sogar bald im Stande, Euch über wichtigere Dinge Aufschluß zu geben, denn ich vermuthe nicht mit Ungrund, daß in jenem Hause gewisse Verhältnisse obwalten, die bis jetzt gut gethan haben, sich mit dem Schleier des Geheimnisses zu verhüllen.« – »Meint Ihr, gestrenger Herr?« fragte der Oberstrichter schnell: »Das wäre Wasser auf meine Mühle, und wenn die Dinge von der Art wären, mein Amt zu beschäftigen, .... um desto besser.« – »Ich verspreche noch nichts;« antwortete der Schultheiß einlenkend: »ich weiß von nichts. Die Zeit wird lehren, wie ich mich zu verhalten haben werde.« – Der Andre bückte sich mit der Freundlichkeit, die willig vor dem Mächtigern verstummt, und ihre Neugier in den Zaum nimmt. Das Stubenmeisteramt, das der Schultheiß bekleidete, machte ihm die nächsten Anordnungen der Tafel zur Pflicht, und als Alles besorgt war, und er schon mit dem silbernen Stabe in das Gemach schreiten wollte, um der harrenden Gesellschaft das Zeichen zum Mahle zu geben, kam ihm der Altbürger Diether Frosch hastig entgegen und zog ihn in das Tafelzimmer zurück. – Der [108] Schultheiß erröthete leicht bei diesem unverhofften Zusammentreffen, faßte sich jedoch bald wieder, und sprach: »Willkommen, mein wackrer Schöff! Sehnlichst haben wir Eurer gewartet. Und Eure Ehefrau .... Ihr habt sie doch mit Euch gebracht, darf ich hoffen?« – »Mit nichten, Herr;« versetzte Diether: »Doch zweierlei Botschaft bringe ich, die Frau Margarethen angeht, und von der ich auch reden muß, ehe Ihr zu Tische sitzt. Ihr habt neulich eine Rose in meinem Hause zurückgelassen, .. ein feines Kleinod, und viel zu kostbar für meine Wirthin, die es Euch durch mich zurückstellen läßt. Ferner habt Ihr die Güte gehabt, heute Morgen Euern Buben in mein Haus zu senden, der ein blankes Körblein trug, mit diesem silbernen Granatapfel, angefüllt von wohlriechender Essenz, und verziert mit einem Minnespruch. Der alte Diether, der, wie alle Sechziger, wenig schläft, und früh das Lager verläßt, fand den Buben, der an Frau Margarethens Thüre harrte, und nahm ihm das zarte Geschenk ab. Er bringt Euch nun Beides wieder: die Rose von Gold, den Apfel von Silber, mit der Bitte, seinen kleinen Hausstand mit solcher Freigebigkeit ferner nicht zu beschämen. Sein Haus war stets ein Wohnsitz der Zucht und Ehrbarkeit, und wird und soll es ferner bleiben, wozu Gott helfe!« –

Der Schultheiß, der schon vorausgesehen, was des Alten grämliche Miene verkündete, nahm heftig die Kleinodien aus Diether's Hand, und sagte halblaut zu dem Schöffen: »Ihr habt recht gut die Zeit gewählt, mich zu beleidigen, denn rings um uns wandeln [109] Leute hin und her, die mit ihren Falkenblicken in Eurem zornigen Antlitz zu lesen verstehen. Ihr mögt indessen Eurem Ehgemahl berichten, daß Versehen und Irrthum nur dieß Geschenke, für andre, geschätzte Freundinnen bestimmt, in ihren Bereich gebracht, und daß ich mich zu hoch dünke, an dem Honig zu naschen, in welchem ein alterschwacher Thor, und ein lasterhafter Stiefsohn geschwelgt.« – »Seyd übrigens versöhnt, guter Schöffe,« setzte er mit dem freundlichsten Lächeln hinzu, um die neugierigen Gaffer irre zu führen, – »daß ich Euch den heutigen Abend nach Kräften gedenken werde.« – Diese Worte, mit welchen der Ritter dem Altbürger den Rücken kehrte, demüthigten Margarethens Gatten um so empfindlicher, je stolzer er in dem Gefühle seines Rechts und des vom Schultheißen beabsichtigten Unrechts gewesen war. Dürr ausgesprochen, schonungslos herausgesagt, hatte er nur den Verdacht gehört, den er schon längst im stillen Herzen bewahrt, und von Empörung und Schaam zugleich bedrängt, wollte er die Trinkstube verlassen, als der Schultheiß an der Spitze der Paarweisgehenden Gäste wieder eintrat, und ihn so vertraulich unter dem Arme nahm, als wäre niemals etwas zwischen ihnen vorgefallen. – »Biedrer und ehrsamer Freund,« sprach der gestrenge Herr mit lauter Stimme und freundlicher Geberde, daß alle Umstehende seine Worte vernehmen mußten: »es ist schon lange her, seit Euer Unfall Euch hinderte an unserm geselligen Mahle Theil zu nehmen. Da Ihr nun gewissermaßen heute auch das Fest der Auferstehung feiert, so beliebe es Euch, hier zwischen [110] den Stühlen der Stubenmeister, und an meiner Seite Platz zu nehmen. Wir haben oft zusammengesessen im Rathe, zusammen gestritten im Felde; laßt uns nach geraumer Zeit wieder zusammen tafeln.« – Ehe noch der greise Diether ein Wort des Widerstrebens zu finden vermochte, hatten ihn schon die übrigen Stubenmeister zu einem Sessel geführt, und ihn mit freundschaftlicher Gewalt genöthigt, sich darauf niederzulassen. Die übrigen Tafelgenossen reihten sich nach Rang und Würden um den Tisch, und hinter den Stühlen der Frauen und Töchter sammelten sich die jungen Männer, die entweder zu spät gekommen waren, um einen Sitz zu finden, oder deren Lebhaftigkeit es vorzog, sich an keinen Ort binden zu lassen. Sie stellten sich entweder gleich wie Edelknechte, bereit, auf den ersten Wink der Dame von dannen zu fliegen, und auszurichten, was sie befohlen, oder sie kauerten und knieten nieder auf gepolsterten Schemeln, um ihren Bräuten, Liebchen oder Freundinnen kurzweilige Reden und zärtlich Geflüster in die Ohren zu wispern. Nach und nach sammelte sich jedoch der große Schwarm um das untere Ende der Tafel, wo ein junger Mann in feiner Kleidung das Wort führte, und allerlei lustige Sprüche und Fündlein an die Reihe kommen ließ. Der fröhliche Erzähler war Dagobert, der erst vor Kurzem eingetreten und seinen Standpunkt hinter dem Lehnstuhle der Frau von Dürningen genommen, einer Adelichen aus der Gegend von Friedberg, die, nur zum Besuch, über das Fest nach Frankreich gekommen war. Mit ihr, der freundlich und [111] gemüthlich gestimmten Wittib in dem besten Alter, und mit ihrer Tochter, einem gar muntern und lieblichen Mägdlein von vierzehn Jahren höchstens, beschäftigte sich Dagobert vorzüglich, da, den trocknen Vetter der Dame ausgenommen, beinahe niemand der Anwesenden ein Wort an die Fremden richtete. Die Mutter wußte den Liebesdienst des ehrlichen Junkers zu schätzen, und hörte seinem Gespräche gern zu; mit größrer Theilnahme jedoch die holde Regina, welche den hellen Blick kaum von des angenehmen Gesellschafters Lippen verwendete, lächelnd seinen Worten mit dem lauschenden Ohre folgte, und züchtig erröthete, so oft seine Augen auf ihrem Antlitz verweilten. Der schelmische Jüngling schien es nicht zu bemerken, und machte sich ein Vergnügen daraus, seine Scherze fast immer an das Mädchen selbst zu richten, und dadurch die umstehenden Junggesellen schier eifersüchtig zu machen. »Vergönnt mir,« sprach er unter anderm: »vergönnt mir Euer Ritter zu seyn, holde Jungfrau aus der Fremde! Nennt mir Eure Farbe, damit ich sie trage zum Zeichen, daß ich der Eurige bin.« – »Unsers Wappens Farbe ist blau und Silber und grün,« erwiederte das Mädchen unbefangen: »ich selbst jedoch, nicht wahr, Mutter? ich habe noch keine Farbe, mit der ich Euch zieren könnte.« – Die Mutter nickte lächelnd. »Das ist schlimm!« scherzte Dagobert: »So werdet Ihr mir mindestens erlauben, Euch dies Osterei zu überreichen, mit dem Spruch, den ich mir dabei denke?« – »Und dieser ist?« fragte Regina neugierig. – »Er lautet ganz einfach;« versetzte Dagobert: »Ich wünsche, [112] Liebchen, froh und frei, mich Dir, Dich mir zum Osterei.« »Ei wie schön!« rief Regina, von einer strahlenden Röthe übergossen; die Mutter streichelte ihr aber die glühende Stirn und das goldne gescheitelte Haar, und sagte mit scherzhaftem Vorwurf: »Nicht doch, junger Herr! Euer höfelndes Gerede macht die Dirne eitel.« – »Warum sollte sie auch nicht eitel seyn?« fragte Dagobert lustig entgegen: »Hat sie doch schon in der Taufe die Vollmacht und das Recht erhalten, eitel und stolz herabzusehen auf uns Übrige? Was bedeutet denn Regina anders als eine Königin? Und wenn diese kleine Königin be stimmt ist, Hunderte zu beherrschen durch die Macht ihrer Holdseligkeit, .. warum nicht auch mein Herz, eines der Empfänglichsten?« –

»Diese glatten Reden voll Muthwillen passen wenig zu dem geistlichen Stande, dem Ihr bestimmt seyd, junger Herr!« warf der Vetter der Frau von Dürningen, ein hagrer, aller Lust feindseliger Patrizier von steifsten Schrot und Korn ein. Diether's Sohn schaute ihn groß an, und erwiederte: »Lieber Herr, das mache ich mit meinem Gewissen aus. Wollt mir das gütig erlauben. Habt Ihr mir keinen Spruch entgegen zu schenken?« fuhr er fort, sich lächelnd an Reginen wendend. »O ja,« entgegnete die Dirne geschwätzig: »hört nur zu, ob ich mich recht darauf besinne; ich, Du, das Ei, das sind unser drei. Theilen wir das Ei, bleiben unser zwei.« – Das Mädchen schwieg, als ob der Spruch zu Ende sey. Dagobert lachte. »Man kann den überlästigsten Freier nicht besser abfertigen!« betheuerte er: »Ihr habt [113] aber den Schluß des Reims vergessen, schöne Maid. Er schließt also: Einen wie uns zwei, bleibts bei Einerlei. Oder nicht?« – »Bleibts bei Einerlei!« wiederholte halb ernstlich, halb schalkhaft das Fräulein mit einer lustigen Verneigung, und ein fröhlich Gelächter erscholl aus dem Munde der Umstehenden, während des Oberstrichters Sohn, der ausschweifende Jungherr Schweikard, der nach dem eiteln Ruhme geizte, über all der einzig gefeierte Lustigmacher zu seyn, mit mißmuthiger Geberde dem Beifall entfloh, der einem andern zu Theile wurde, und seinem Vater einige Worte in's Ohr raunte. Dieser nickte beifällig, und wandte sich heimlich flüsternd an den unsern sitzenden Schultheiß. Die Beiden wechselten viele und schnelle Worte, mit drohenden Blicken bald auf den, jetzt erst bemerkten Dagobert hinzielend, bald auf dessen Vater, der schon längst wie auf Kohlen neben dem Schultheiß saß, aber der Schicklichkeit halber, dem Bürgermeister, der auf der andern Seite sein Nachbar war, und ihn in Fluthen von Erzählungen längst vergeßner Begebenheiten vertiefte, zuhören mußte. Dem Altbürger war es klar, daß der Schultheiß mit seiner überraschenden Freundlichkeit und vorhergegangnen Schimpf, nur bezwecke, vor der Gesellschaft den Zwist sammt dessen Ursache zu verbergen, oder ihm eine noch empfindlichere Beleidigung zufügen zu können. Daher konnte ihm kein Bissen schmecken, kein Tropfen munden, und ihm war es sehr willkommen, als der Stubendiener ihn benachrichtigte, im Vorgemach harre ein Knecht, der ihm Wichtiges zu verkünden habe. Er stand schnell [114] auf; indessen erschien aber auch bereits der Hausmeister und rief mit vollen Backen; »Ihr werdet Euch wundern, ehrsamer Herr Frosch. Das Unglück .... mir selbst zittern alle Glieder!« – »Nun, was gibt's?« fragte der Schultheiß mit schadenfroher Ahnung, während der Bürgermeister den erschrocknen Diether wieder auf den Stuhl niederzog. – »Eure Tochter, das tugendbelobte Fräulein Wallrade« .... – stammelte der Schwätzer ferner.

»Meine Tochter?« entgegnete Diether mit erlöschender Stimme. – »Sie ist in's Unglück gerathen, da sie eine Stunde Feldwegs von Wiesbaden gekommen!« platzte der Hausmeister heraus: »Die Herren vom Stegreif, welche dort und hier die Landstraßen unsicher machen, haben sie aufgefangen, und, Gott weiß in welches ihrer Raubnester gebracht. Erst gestern wurden ihre Leute freigelassen und mit verbundnen Augen in der Nacht an einem Kreuzwege ausgesetzt, wenig Stunden von hier, unfern auch von dem Gebirge. Knecht und Zofe haben die erschreckliche Kunde mitgebracht, und Eure Hausfrau fordert Eure Heimkehr, Herr!« – »Gleich, gleich,« stotterte Diether halb außer sich, und nach Mantel und Piret rufend, welches ihm der Stubendiener zögernd und faul herbeibrachte. Indessen ging die Nachricht schnell um die ganze Tafel, und Dagobert sprang ebenfalls auf, um dem Vater zu folgen, der sich gerade der Thüre näherte, als der Schultheiß zu dem Bürgermeister laut genug sagte: »Wie könnt Ihr nur eine Frage verschwenden nach dem Thäter, wohlweiser Herr? Wie die Sachen in jenem Hause stehen, [115] ist mir nicht fremd. Man muß wissen, daß die Stiefmutter und der eigne Bruder die arme Schwester stets verfolgten, und daß der Erstern leiblicher Bruder ein weitberüchtiger Buschklepper ist, der im Stadtbann wie im Kirchenbann liegt, um den ganzen Handel begreifen zu können.« – Diether horchte hoch auf; schleuderte dann einen vernichtenden Blick auf seinen Sohn, und rannte ungestüm aus der Thüre. Dagobert, den Groll des Vaters übersehend, trat jedoch festen Schritts und schnell auf den Schultheißen zu, und sagte mit Gewicht: »Wie mögt Ihr nur, edler Herr, solch unüberlegt Wort in offner Gesellschaft meinem Vater und mir zum Gehöre reden? Wie mögt Ihr meine Stiefmutter beschimpfen, die des Leuenberger's sittenlosen, übeln Wandel nicht theilt, sondern stets ein Muster von Rechtschaffenheit für die ganze Stadt gewesen?« –

Der Ritter maß den Jüngling, auf den sich alle Blicke richteten, vom Kopf bis zu den Füßen, und verzog höhnisch den Mund. »Wenn ich auch sehr gut begreife,« sprach er, »wie es kommt, daß hier der Stiefsohn für die Stiefmutter so heftig Partei nimmt, so möchte ich das Recht wohl kennen, das Euch zusteht, mich zur Rede zu setzen? Ich muß Euch auffordern, vorlauter Mensch, zu schweigen, wenn ich nicht reden soll.« – »Frei heraus:« entgegnete Dagobert, in welchem das vom Schultheiß gegen Esther beabsichtigte Unbill die Flamme schürte: »Frei heraus! Ich habe schon gesehen, daß ihr scheel auf mich schaut. Vielleicht erfahre ich jetzt, warum. Doch rathe ich Euch, jede Schmähung gegen Vater oder Mutter [116] unterwegs zu lassen, soll ich nicht vergessen ...« – »Mäßigt Euch!« flüsterten ihm mehrere theilnehmende Freunde zu, und ein begütigender Blick von der Frau von Dürningen machte ihn schweigen. – »Ihr habt Euch schon vergessen;« braußte der Schultheiß auf; »doch soll man nicht sagen, als wollte ich vergelten, was der Jugend Thorheit, oder der Trunk aus Euch spricht; als Ritter und als Schultheiß vergebe ich Eure rohe Unart. Aber als Stubenmeister dieser löblichen und reinadelichen Gesellschaft habe ich ein Wort zu Euch zu sprechen, das früher schon gefallen wäre, hätte ich früher Eure Anwesenheit bemerken, oder Euern Vater nicht schonen wollen. Warum, junger, unbesonnener Gesell, erfordern unsre Ordnungen acht Ohrenschilder zur Aufnahme in die Genossenschaft? Damit nur reinadeliche Gesinnung in diesem Kreise herrsche. Wer gegen Sitte, Zucht und Biederkeit handelt, was schlechter Gesellschaft plegt, zum Abschaum des Pöbels herniedersteigt, und mit Rohheit den Adel und die Würde schmäht, wird aus diesem Haus gewiesen, und also thue ich Euch.« – »Mir?« fuhr Dagobert auf, und rings ward es stumm. – »Euch!« wiederholte der Schultheiß mit der zu Boden schlagenden Hohheit, die ihm zu Zeiten eigen war: »Denkt des gestrigen Tags, und fragt Euch selbst, ob Ihr ferner würdig seyd, auf diesem Boden zu stehen. Wer mit Juden, Mördern und Dieben verkehrt, sie gegen die öffentliche Gewalt in Schutz nimmt, den Richter in seinem Amte lästert und bedroht, wer sich nicht schämt, an den unehrlichen Stöcker auf offner Gasse Hand zu legen, um das [117] Gesindel zu befreien, .. der stehe nicht mehr unter uns, nicht heut, nicht morgen und nimmer. Dort ist die Thüre. Geht!« –

»Um aller Heiligen willen! was ist vorgefallen?« fragten die meisten aus der Versammlung, und zur Antwort flog die Erzählung des Vorfalls gestrigen Tags, entstellt, vergrößert und gehässig gemacht, rings umher, von dem Oberstrichter, seinem Sohne und des Schultheißen Neffen verbreitet. Die Dagobert Zunächststehenden wichen um mehrere Schritte zurück, denn der Angeklagte hatte ja mit Juden zu thun gehabt, und den Nachrichter berührt, war vielleicht von dem letztern wieder berührt worden. Die Frauen, die am längsten für ihn Theilnahme gehegt, rümpften, da sie von der Judendirne hörten, höhnisch die Nase. Die Frau von Dürningen mit ihrer Tochter sah scheu und befangen, obwohl nicht zürnend nach dem Jüngling. So sehr indessen Mehrere auf des Schultheißen rücksichtslose Schmachrede einen heftigen Ausbruch von Dagobert's Wuth befürchteten, den wieder andre, der Folgen wegen, wünschten, so sehr hatten sich diese geirrt. Die letzten Worte des Stubenmeisters hatten eine himmlische Ruhe über das Antlitz des Beleidigten verbreitet. – »Ich dachte bis jetzo unter gefühlvollen Menschen zu stehen;« erwiederte er, sich ernst umschauend: »doch hab' ich mich geirrt. Es ist wohl keiner unter all' diesen edeln Herren, der nicht sein Geld verschwendete, um einem lahmen Pferde wieder auf die Beine zu helfen; keine unter all' diesen Frauen, die nicht ihr Herz zerrissen fühlte, sähe sie[118] ihren Schooßhund in Gefahr. Doch sprechen sie über mich das Urtheil, weil ich mit den erbarmenswerthesten Menschen Mitleid fühlte; weil ich eine Grausamkeit abwehrte, die nur in dem traurigsten Verfolgungsgeist, nicht im Richteramte ihren Grund findet. In Gottesnamen denn; ich wußte nicht, daß Juden weniger als Hunde und Gäule sind, und diese Lehre ist der Verweisung aus diesem Hause wohl werth. Ich gehe mit Freuden, und thue dieses ohne Groll, denn ich erzähle nicht einmal den ehrsamen Anwesenden, was zwischen dem gestrengen Herrn Schultheiß und dem schlechten Judenarzt Joseph abgeredet worden ist.« – Mit einem mitleidigen Blicke streifte er noch einmal alle Umstehenden, besonders den höhnisch lächelnden Oberstrichter und den verlegnen Schultheiß, gürtete langsam seinen Stoßdegen um, band das Piret unterm Kinn fest, und verließ ohne irgend ein Zeichen des Lebewohls, wie ein im Rückzuge noch furchtbarer Feind, das Tafelzimmer. Sein Scheiden war das Zeichen zu offnem Zwiste in der Gesellschaft. Manche, mit dem Geschlechte der Frosche theils befreundet, theils verschwägert und verbunden, erkühnten sich, dem Stubenmeister Vorwürfe über sein hartes Benehmen gegen den Sohn eines angesehenen Altbürgers und Schöffen zu machen. Ohne Dagobert's Schuld an dem Vorfalle in der Judengasse vertheidigen zu wollen, theils von Vorurtheile befangen, theils zu muthlos, um gegen die Vorurtheile Andrer anzukämpfen, sprachen sie von dem zahlreichen Anhange Diether's, der sich in seinem Sohne schwer beleidigt sehen würde; von der [119] Rache, die wohl auf eine oder die andre Weise nachfolgen dürfte. Die Widersacher bestritten hingegen verächtlich alle Mahnungen, verlachten jede Drohung, und gedachten des Ausgewiesenen und seines Vaters mit den ehrenrührigsten Beinamen. »Sie mögen versuchen, wie weit ihre Ohnmacht reicht;« rief der Schultheiß: »ich habe meine Pflicht gethan, und werde als Stubenmeister wie als Schultheiß mein Recht behaupten.« – »Für rebellische Bürger gibt es noch Thürme!« drohte der Oberstrichter. – »Was ist hier auch viel zu scheuen?« lachte des Schultheißen Neffe: »Dagobert's Wandel auf dem Concil ist stadtbekannt, sein Leumund nicht ehrenvoll.« – »Der verruchte Mensch will nicht einmal der Mutter Gelübde erfüllen, und Pfaffe werden!« klagte der Vetter der Frau von Dürningen mit heuchlerischer Miene. – »Wohl uns, wenn der lüderliche Pickelhäring sich nicht mehr in adliger Gesellschaft zeigen darf;« schrie des Oberstrichters Sohn, und der Schultheiß fügte, wie mit prophetischer Zuversicht hinzu: »Es dürften vielleicht bald ganz andre Dinge von dem Hause der Frosche zur Sprache kommen!« – Die dem geschmähten Geschlechte Anhängenden brachen schmollend und zürnend auf; die Freuden des Festes waren gestört, und aus der fröhlichen Ostertafel eine gallige Gasterei geworden, an welcher Feindseligkeit und Haß ihr Panier aufsteckten. –

Verachtung gegen seine Feinde, aber auch ein ruhiges Bewußtseyn im Herzen, hatte Dagobert sein väterlich Haus wiedergefunden. Vollbrecht öffnete ihm die Thüre. »Wo ist mein Vater?« fragte er den[120] Knecht. – »Der gestrenge Herr hat sich durch den Peter zum Stadthauptmann leuchten lassen, um ihm die Anzeige von dem Raube zu machen.« – »Gut;« versetzte Dagobert: »Die zurückgekommenen Leute meiner Schwester?« – »Sie schlafen schon in wohlverriegelten Stuben,« berichtete Vollbrecht: »denn die ehrsame Frau meinte, sie könnten wohl selbst allenfalls das arme Fräulein getödtet, oder an einen Räuber verkauft haben.« – »Möglich wär es allerdings;« erwiederte Dagobert: »ich will morgen die Leute sprechen. Gib mir die Kerze, und warte indessen auf den Vater.« – Dem wie aus dem Himmel herabgefallnen Bubenstück nachsinnend, stieg Dagobert die Treppe empor, und kam eben an Frau Margarethens Gemache vorüber, als dessen Thüre sich leise öffnete, und der Altbürgerin Stimme ein leises: »Junker Dagobert! seyd Ihr's?« daraus vernehmen ließ. – »Ja freilich ehrsame Frau;« antwortete der junge Mann: »Behüt' Euch Gott und segne Euern Schlaf.« – »O bleibt,« flüsterte Margarethe, mit der weißen Hand aus dem Halbdunkel, hervorwinkend: »laßt mich den Augenblick benutzen und tretet bei mir ein.« – Dagobert stutzte, und Margarethens frühere unverholne Leidenschaft für ihn, und auch zugleich etwas von des ägyptischen Josephs Geschichte fiel ihm ein. Er zögerte. – »Um der göttlichen Barmherzigkeit willen!« seufzte die Stiefmutter dringend: »Einen Augenblick nur hört mich an. Fürchtet nichts, mein lieber Sohn!« – Die Bitte klang so rührend, daß Dagobert ferner kein Bedenken trug, einzutreten in das warme trauliche [121] Gemach, in welchem, beim halben Schimmer einer verdeckten Lampe, die schöne Margarethe im tiefen Nachtgewande ihn empfing. Sein Herz pochte, seine Hand zitterte in der ihrigen, aber besonnener als sie, zog er den Schirm von der Lampe, und fühlte eine Art von Beruhigung, da er in kein von lüsternem Verlangen erregtes Gesicht, sondern in ein Antlitz voll Kummer und Gram, in thränenvolle Augen sah. – »Was begehrt Ihr?« fragte er sanft und mitleidig die weinende Frau: »Ich bin bereit mit Wille und That; nur einen Rath verlangt nicht, denn ich bin gerade in einer ganz besondern Stimmung, wo mir Alles bunt durch den Kopf geht.« – »Ich bin gränzenlos unglücklich!« brach Margarethe unter bittern Thränen aus, und sank auf einen Stuhl: »Ich bin ein armes Weib, nicht fehlerfrei, aber so entsetzlich sollt' ich doch nicht für meine unschweren Vergehen büßen!« – »Der Gedanke und der Wunsch nach einem Fehltritt macht ihn oft zur Folter, als sey er schon vollbracht,« meinte Dagobert; doch bereute er schnell den Stachel seines Worts, und setzte hinzu: »redet, und gebe Gott, daß ich helfen könne.« – »Mein Herr, Euer Vater war hier;« sprach Margarethe in kurzen Absätzen. – »Er hat unmenschlich gegen mich gewüthet. Argwohn und Grimm theilen sich in seine Seele. Unbezweifelt scheint es ihm, daß mein Bruder Wallraden aufgefangen, und daß ich die Anstifterin des Frevels gewesen. Ich kann bei dem ewigen Gott beschwören, daß ich unschuldig bin, aber Herr Diether glaubt meinen Schwüren nicht. Wie soll ich ihn überzeugen? Sprecht; Ihr könnt [122] mir Euern Rath nicht verweigern, noch Eure Hülfe; denn auch Euch verwickelt der Argwohn in seinen Verdacht. Er glaubt ein Verständniß zwischen uns beiden wahrzunehmen.« – »Ein schönes Vertrauen in Gattin und Sohn!« erwiederte Dagobert aufwallend: »Uns traut er einen Bund von dieser Schändlichkeit zu? Wir sollten einen Menschen, unsre Verwandte an Räuber verkauft, wohl gar aus dem Wege geräumt haben? Der Vater hat sich sehr geändert. Aber Ihr habt Recht, arme Stiefmutter. Wer nicht glauben will, muß die Überzeugung in der Hand sehen. Um Euern Ruf und den meinigen zu retten, setze ich mich morgen zu Pferde, und reite in der Welt herum, bis ich die Spur des Unkrauts gefunden.« – »Ihr seyd ein wackrer edler Mensch!« sagte Margarethe mit auflebender Hoffnung, seine Hand in ihre gefalteten nehmend: »Seyd Ihr mein Hort, wenn mich die ganze Welt verläßt, ... dann fürchte ich nichts. Guter Dagobert;« fuhr sie mit dem Ausdruck verschämter Dankbarkeit fort: »leider kann ich noch nicht so offen gegen Euch seyn, als ich es sollte, denn Ihr seyd unfähig, mich zu verrathen und unglücklicher zu machen, als ich schon bin. Indessen, kehrt Ihr zurück, so sollt Ihr mehr erfahren, von dem Ihr Euch nicht träumen laßt; und dann beklagt mich vollends, und flucht mir nicht.« – »Ich verstehe Euch nicht;« entgegnete Dagobert unbefangen: »ich hoffe auch nicht, jemals aus Euerm Munde etwas Fluchwerthes zu erfahren; aber bei dieser Gelegenheit entsinne ich mich plötzlich eines Auftrags, den ich von guter Hand erhalten, und dessen ich mich [123] gegen Euch entledigen muß, bevor ich ausreite, lieb Schwesterlein zu suchen. Der arme Jude Ben David, der unter der Anklage unerhörter Verbrechen im Kerker jammert mit seinem hundertjährigen Vater, läßt Euch dringend um Hülfe anflehen.«

Margarethe erblaßte. – »Es sey die höchste Zeit, läßt er Euch vermelden,« fuhr Dagobert fort: »die Folter sey ihm schon angedroht, und er würde sie am Ende nicht aushalten können. Ihr möchtet also, da er von Euch allein Hülfe erwarten könne, damit nicht säumen, und seiner Ergebenheit gewiß seyn.« – »Nicht säumen!« wiederholte Margarethe langsam und erschöpft: »Dieses setzt meinem Elend die Krone auf. Wie soll ich ihn, wie mich retten?« setzte sie händeringend und außer sich hinzu. – »Beruhigt Euch,« sprach Dagobert tröstend: »Euch rette ich vom schmählichen Verdacht, und einer Fürbitte ist der arme Jude wohl werth. Die Schöffen werden über den Elenden richten, und ein gutes Wort an den Vater ist wohl nur mit dem Ansuchen gemeint. Schlägt's der Vater ab, so habt Ihr Menschenpflicht gethan, und könnt ruhig seyn.« – »Ruhig?« rief Margarethe wie in Verzweiflung: »Ich muß den Juden retten .... bald retten, oder ich bin verloren! Dagobert! Edler Mensch! Mann, den ich leidenschaftlich liebte, den ich noch verehre wie einen Heiligen! nimm Dich meiner an. Es streitet wider Dein eignes Recht, aber ... rette den Juden, rette mich! Das Schicksal droht mein Verhängniß mit Füßen zu treten, wie das des Kindes, das in jener Kammer schläft.« – »Johann's?« fragte Dagobert bestürzt: [124] »Ehrsame Frau! Der Himmel behüte Eure Vernunft. Ihr redet irre!« – »O nein, nein!« schluchzte Margarethe: »Euch allein und dem Himmel befehle ich mein und des Knaben Loos! O, dieser Knabe ... er hat keinen Vater .... Dagobert! nehmt Euch seiner an! Werdet Ihr des Knaben Vater!«

Dagobert trat erschrocken zurück, als die Frau ihm zu Füßen sank, und wie vernichtet die Hände vor das Gesicht schlug, da Dieter, heimkehrend, plötzlich in das Zimmer trat. Entsetzt blieb der Greis am Eingang stehen, und Dagobert eilte, nachdem er die Stiefmutter aufgehoben und in den Sessel gebracht, auf ihn zu: »Liebster Vater!« rief er, ohne in seiner Seele nur eine Ahnung von dem bösen Schein zu haben, den dieses späte und seltsame Beisammenseyn auf ihn und Margarethen warf: »Ihr kommt zu rechter Zeit. Nehmt die Mutter in Euern Schutz. Ihr Verstand leidet unter dem Argwohn, den Ihr auf sie geworfen. Mich schmerzt es, daß Ihr auch mir mißtraut. Doch, Euch zu überführen, verlaß ich Morgen mit dem Frühsten die Stadt, um Wallraden aufzusuchen, und ohne sie kehre ich nicht wieder. Vergönnt mir nur, ihren Knecht mit mir zu nehmen, denn sein bedarf ich, und versprecht mir, gegen den Schultheiß, der mich heut auf's gröblichste beleidigte, meine Sache zu führen bis zu meiner Heimkehr, damit der Ritter und sein Gelichter nicht glauben, daß ich aus Feigheit oder Beschämung ihnen ausgewichen.« – Diether schwieg eine lange Weile hindurch, den finstern Blick zur Erde geheftet. Dann sprach er kurz: »Ich werde allezeit meines [125] Hauses Ehre zu bewahren wissen. Mache was Du willst. Du thust aber Recht, wenn Du nicht ferner weilst.« – Dagobert sah ihn groß an; um aber des Vaters Grimm nicht zu reizen, ging er still davon. Diether starrte wild zum Himmel auf. »Die Gewißheit ist da, die ich erbeten!« grollte er dumpf in sich hinein; dann fügte er, zu der Frau gewendet, hinzu: »Beschämt stand ich vor meinem Sohne, nachdem ich Eure Worte gehört. Es kann also ferner nicht zwischen uns bleiben, wie bisher. Ich hasse das Aufsehen und die Lästerungen; befehle Euch jedoch, Eure Stuben nicht zu verlassen, und weder mit noch ohne den Knaben einen Versuch zu machen, bis zu mir zu dringen. Ich will Euch ferner nicht mehr sehen, und in Stille und Ruhe überlegen, wie ich, ohne Euch vor der Welt zu Schanden zu machen, noch mich herabzuwürdigen, Euer Geschick bestimmen möge.« – Dies sagend kehrte er der in Schmerz und Angst aufgelösten Gattin unerbittlich den Rücken und verschloß sich in seinem Gemache.

6. Kapitel
[126] Sechstes Kapitel.

Ist auch mein Haus nicht groß und schön,

Und leer Gewölb und Speicher,

Brauch' ich vom Thurm nur umzusehn,

Und wer ist dann noch reicher?

Ich denke über Feld und Hain

Der einzige Herr und Fürst zu seyn

Und daß die Unterthanen mir es glauben

Will ich sie, eh' ein and'rer kömmt, berauben.

Ballade.


Der Leuenberger Veit saß auf einem Vorsprunge in der Burg zu Gelnhausen, von welchem er durch ein Gitter in's Freie schauen konnte. Seine Base Petronelle hinkte um den Herd des anstoßenden Gemachs, das zugleich Küche, Wohnstube und Schlafkammer vorstellte, und blinzelte nur von Zeit zu Zeit nach dem Vetter, der sich gerade beschäftigte, seinem Falken ein neues Geschühe anzupassen. Der Falke machte ein sehr verdrüßlich Gesicht, aber sein Herr noch ein verdrüßlicheres. Seinem ungeduldigen Blick und noch ungeduldigeren Händen wollte das Nesteln und Schnallen der langen und kurzen Gefäße und Wurfschnüre nicht schnell genug gelingen. »Warte, verdammter Falk!« schalt er: »deinen Trotzkopf werde ich schon zu beugen wissen. Seit neun Monden machst du mir das Leben sauer, und bist so einfältig, als ob du gerade aus dem Gestäude gehoben wärst. Aber hungern sollst du und wachen, daß dir der Kitzel vergehen wird in kurzer Zeit.« – Damit packte er den wilden Vogel auf, zog ihm die Haube übern Kopf und setzte ihn drinnen auf die [127] Stange. Als nun aber Veit pfeifend und mit auf den Rücken gelegten Händen wieder hinaus auf den Vorsprung ging, und in's Weite starrte, konnte die Muhme nicht länger an sich halten. – »Wenn Hunger und Nachtwachen jeden Trotzkopf zahm machen könnten,« keifte sie vom Heerde her, »so müßte auch der Deinige schon lange in der Ordnung seyn, Neffe.« – »Habt Ihr etwas geredet, Muhme?« sprach der Leuenberger spitzig zu ihr hinüber. – »Schon lange, toller Mensch,« erwiederte Petronella, nach dem Blasebalge greifend: »Aber was hilfts? Der Herr mag noch so reichlich die Heerstraßen segnen, Du bringst gewiß nichts heim, das der Mühe werth wäre. Daß gestern der Weinhändler von Nürnberg mit seinen Fässern ungeschlagen hier vorbeikam, werde ich Dir nimmer vergessen.« – »Pah!« rief Veit, und schlug ein Schnippchen in die blaue Luft: »Den Käsebergern muß man auch aus Freundschaft etwas gönnen.« – »Ei ja;« spöttelte die Alte: »Deine alte getreue Base kann aber daheim darben, während ihr ein Becher Rheinwein dann und wann so gut thun würde.« – »Trinkt klares Wasser,« lachte Veit: »'s macht helle Augen, und Euer einziges wird nachgerade schadhaft, wie Eure Nase stumpf, denn Ihr seht und riecht nicht, daß unser Linsengericht in der Pfanne anbrennt.« – »Ei potz Velten!« schrie die Muhme erschrocken, und hob die Pfanne vom Feuer: »Ich muß auch die Augen überall haben, weil Du Dich um nichts kümmerst.« »Komm, Veitchen, komm, setz' Dich zu Tische; komm, iß mein armer Junge.« – Sie schob [128] mit dem Ermel alles Hinderliche von dem morschen Rundtische, warf eine geblumte Schürze darauf, und setzte das unlieblich dampfende Gerücht auf das unreinliche Pfannenholz. Von Tellern war keine Rede, und die rostigen Gabeln und Messer gaben eben keinen sonderlichen Begriff von dem Hauswesen des Edelmanns. Veit setzte sich wankend zum Essen und lachte spöttisch über das Endchen Wurst, das die Muhme triumphirend aus den Linsen fischte, und gewissenhaft mit dem Neffen theilte. »Ein feiner Braten in der Osterwoche!« sprach er verdrüßlich, und schnitt ein Stück Gerstenbrod der Muhme ab: »Ich sag's Euch, Base; wenn dieses Leben noch lange dauert, so hänge ich mich am nächsten Nagel auf. Diese unaufhörliche Armuth bei so vielen Gefahren halte ich nicht länger aus. Seitdem der verdammte Schwager zu Frankfurt mir den Brodkorb höher hängte, ist es zum Teufelholen.« – »Du haderst immer mit dem Schicksale, statt es zu verbessern;« predigte die Alte, tapfer die Schüssel angreifend: »Drei Landstraßen stehen Dir offen; warum passest Du nicht auf, wie Andere?« – »Warum bin ich ein ärmerer Schlucker als andere?« fragte Veit höhnisch entgegen: »Der Eppsteiner und die Käseberger und All' die Brüder in der Runde haben Rosse wie Stahl und Eisen, die achtzehn Stunden in einem weg trappen, ohne daß ihnen ein Huf wehe thut. Meinem Klepper kann ich kaum mehr einen Ritt von hier gen Frankfurt in einem Tage zumuthen, und wenn ich ihn in den Sprung bringe, so bekommt er gleich das Keuchen. Die obige Sippschaft [129] hat Geld, um die Kundschafter tüchtig zu bezahlen;mir verrathrn die Bursche kaum einen wandernden Schuhflicker, weil ich ihre Klauen nicht versilbern kann. Das Schlechteste kommt an mich, und, theil ich mit Andern, habe ich sicher den kleinsten Theil. Bring ich etwas heim, so geht's in Rauch auf, wie's gewonnen wurde, und Schmalhaus zählt uns immer die Brocken zu. Pest und rother Hase! Ich hab's satt, und dreimal satt. Ich habe Wind und Wetter ausgehalten, verstehe mein Gewerbe, wie ein Alter, und soll Leben aus, Leben ein, am Hungertuche nagen, während andere im Wohlleben schwimmen, und kein Haar besser sind als ich? Gott verdammne mich, wenn ich's länger mit ansehe!« – »Du bist ein trotziger ungenügsamer Mensch, ein fauler Bärenhäuter oben drein!« versetzte die Muhme: »Schau einmal unsere Nachbarn unter den Burgleuten an. Betrachte den Jost, der just unter unserm Gemache haußt, und dessen Kinder uns den Kopf toll machen mit ihrem Geschrei. Die Stube voll Würmchen, und die ewig kranke Frau, und den lahmen Vater; und bei alle dem auch nichts als den Grauschimmel und Sattel und Stegreif. Da heißt es, die Ohren steif halten. Gedenke nur des Henne von Riedlingen, der im andern Flügel wohnt, dicht am Hundezwinger. Eine Stube, wie ein Stall, und darinnen eingepfercht zu seyn mit Kind und Kegel, und gezwungen zu seyn, für die vielen Mäuler Tag aus Tag ein, die Kost aus dem Forste, oder vom Vogelherde, oder aus dem verbotenen Teiche zu holen! Um wie viel glücklicher bist Du, ein unbeweibter [130] Mann, dem eine sorgfältige und regsame Base das Hauswesen führt! Du gehst, wenn Du willst, Du kömmst, wenn Dir's einfällt, und findest immer etwas für den Schnabel, bald wenig bald viel, bald vollauf bald knapp, je nachdem Dein Gewerbe geht oder stockt. Daheim kannst Du Deinen Leib pflegen, Falken abrichten, die Fenster verkleben, wenn es Noth thut, und auf Deinem wohlgefüllten Strohsacke lungern, so lange Dir's gefällt. Ich wette darauf, Deine ungerathene Schwester, die uns vergißt, wie alle Reiche zu thun pflegen, hat in ihrem Überflusse der Sorgen mehr als Du.« – »Möglich!« antwortete Veit: »Ich würde dennoch gleich mit ihr tauschen. Schaut einmal mein Wamms an, Muhme. Der Ellbogen des rechten Ärmels ist geplatzt.« – »Ei, so gib her!« versetzte die Muhme geschäftig; »und lange mir vom Fenstergesims Nadel und Faden. Das muß auf der Stelle ausgebessert werden, denn die Katze hat sich heute gar oft hinter den Ohren gekratzt, und mir juckt die Stirne beständig.« »Beides bedeutet aber einen Besuch, der heute nicht ausbleibt. Ach, möchte es doch ein Guter seyn!« murrte Veit, unruhig auf und abgehend: »nicht der Junker von Hagen, dem ich noch sechs Schillinge vom Brettspiel schulde, und nicht der Landschaden, dem ich vor acht Tagen das Heu mit Gewalt dem Schober nahm und nicht der Jude Nathan, von dem ich ein Pfund Heller entlehnte auf meinen nächsten Fang.« – »Du wirst doch all die Leute nicht fürchten, Neffe?« sprach Petronella: »Den von Hagen vertröste, den Landschaden fahre nur grob an, [131] und den Juden wirf die Wendelstiege hinunter, daß er den Hals bricht, wenn er sich untersteht; denn der Hund ist Dir nicht ebenbürtig, und darf Dich in der adlichen Ganerbschaft nicht beleidigen.«

»Sey indessen unbesorgt. Es kribbelt mir in Einem fort an der linken Hand, und das bedeutet allemal ein Stück Geld, das man einnimmt, oder ein Glück, das Einem bevorsteht.« – »Wollte Gott, Ihr hättet Recht, Base!« rief der Junker, und stellte sich an den in der Ecke des Gemachs stehenden Schleifstein, um seinen Dolch und sein Jagdmesser abzuziehen: »Wenn ich nur der Kaiser wäre, Frankfurt müßte ich im Sturme gewinnen, und alle Bürger niedersäbeln lassen, .... die hochfahrenden Hunde, – und in ihre Häuser würde ich lauter Adliche setzen, die in Teutschland ein unverdientes ungünstiges Schicksal tragen.« – »Du bist noch immer ein kindischer Gesell,« lächelte die Muhme beifällig, .. »Obschon nicht mehr der Jüngste. Ach, wie Dich Deine gute Muhme liebhaben würde, könntest Du ihr ein sorgenfreies Ende bereiten!« – »Das glaube ich;« versetzte Veit, wacker drauf los schleifend: »Käm's auf ein Wort an, oder eine Handvoll Stahls, wir würden bald reicher seyn, als der alte Frosch, den neulich der ungeschickte Tölpel so schlecht getroffen hat.« – »Ich möchte wissen, wer wohl eigentlich dem Altbürger an die Kehle wollte;« brummte die Alte nachsinnend. – »Mag's gewesen seyn, wer da will,« erwiederte der Neffe unwirsch: »Den Schafskopf von Mörder sollte man aber vom Handwerk jagen. Die Galle peitscht mir das Blut[132] durcheinander, wenn ich daran denke, wie viel wir an uns hätten ziehen können, wäre der Alte gefaßt worden, wie sich's gehört. Pah! weg mit den Grillen,« fügte er schnell hinzu: »Von etwas Anderm. Erzählt mir ein Mährlein, deren Ihr so viele wißt, Muhme, oder besser: singt mir ein Lied aus der alten Zeit. Der Schleifstein wälzt sich dann hurtiger, und das verdrüßliche Geschäft geht schneller von der Hand.« – »Gern, mein guter Junge:« erwiederte Petronella; hing das fertig gewordne Wamms an den Wandhacken, vergnügte mit dem Überrest des ärmlichen Mahls die hungrige Katze, und begann, indem sie die Pfanne säuberte und scheuerte, mit gellender Stimme ein Lied zu singen, von dem Kaiser Rothbart und der Burgmannstochter Gela, das zu jener Zeit in und um Gelnhausen, unter Bürgern und Landvolk, stark im Schwange ging. Während nun die Base sang, und das Schleifrad flog, und die Klingen lust'ge Funken sprühten, und der Falk auf seiner Stange ungeduldig kauete und das Gefieder sträubte ob dem störenden Lärm, kam des Burgmanns und Nachbars Jost ältester Bube eilig heraufgesprungen über die dröhnende Wendelstiege, und rief in das offen stehende Gemach: »Edler Nachbar! mein Vater läßt Euch berichten, Ihr möchtet in Wamms und Stiefel fahren, und die Mütze bürsten, denn der Hornberger Herr ist eben angekommen mit Roß und Wagen, und wird gleich bei Euch seyn. Er beschickt nur Pferde und Gefährt im Stall! Der Bube sprang mit drei Sätzen die Treppe hinab, und schon verkündete das wohlbekannte Gebell des[133] weit in der Wetterau gefürchteten dänischen Bullenbeißers, des Hornbergers Anwesenheit.« – »Hab ich's nicht gesagt?« rief die Muhme munter und lustig: »Einkehr, freundliche Einkehr hat uns die Katze prophezeit.« – »Ich hätte den blauen Teufel von der freundlichen Einkehr!« maulte der Neffe, indem er die schweren Holzsohlen in die Ecke schlenderte, Stiefel und Wamms überwarf, und eine Wolke von Staub aus dem dürftigen Federstrauß seines Barets blies: »Der Hornberger ist ein armer Schlucker wie ich. Nur versteht er das Schmarotzen, trägt feinere Kleider und reitet einen bessern Gaul.« – »Und treibt sein angewiesen Gewerb besser als Du;« entgegnete die Muhme, zusammenräumend und unter den Heerd werfend, was ihr nicht geeignet schien, vom Gast auf den ersten Blick wahrgenommen zu werden: »Der gute Herr hat Dich oft zum Theilnehmer an einträglichem Geschäft erwählt, und merke auf: aus keiner andern Absicht kömmt er heute.« – Die Muhme war mit ihrem Aufräumungsgeschäfte noch nicht zu Ende, als schon der klingende Tritt der Edelknechte, sein heller Pfiff und das ungezogene Schnauben seines Hundes hörbar wurde, und Herr und Thier zugleich in das Gemach stürmten, beide gleich übelgerathene Gesellen.

»Guten Tag!« schrie der Erstere, »schüttelte dem entgegenkommenden Namensbruder die Hand, klopfte der Muhme derb auf den gekrümmten Rücken, und brach in ein ungestümes Gelächter aus, als sein Bullenbeißer Petronella's Katze ansichtig wurde, mit einem Riesensprunge die Fliehende über Heerd, [134] Tisch und Schemel verfolgte, die Paar Töpfe der Haushaltung in Staub und Scherben legte, und ein fürchterliches Gebell erhob, als die Katze durch das Gitter des Vorsprungs einen Ausweg gefunden hatte.« – »Mein Packan ist ein kreuztolles Thier!« jubelte der Hornberger die Fäuste in die Seite stemmend: »ein Hund ohne Gleichen; ich lieb' ihn wie einen Bruder. Laßt Euch den Plunder nicht kümmern, Fräulein Hinkebein. Eure Töpfe mögen immer beim Teufel seyn. Ich bezahle sie.« – Er warf vornehm eine Handvoll von Weißpfenningen auf den Tisch, und klimperte obendrein mit dem Geldvorrath in seiner Tasche. – Die Muhme machte urplötzlich ein freundlich Gesicht, und ihr Neffe fragte halb neugierig, halb neidisch: »Du thust ja dicke und groß, wie der Schatzmeister des römischen Reichs? Welcher Kaufherr oder Müller hat Dir seine Kisten oder Sparhafen öffnen müssen?« – »Bruder!« rief Hornberg vergnügt: »Bruder! ein Fang, wie er nicht alle Wochen vorkömmt; ich schwör's bei meinem Schutzpatron! Das Wichtigste aber muß ich jetzt gleich vom Herzen drücken. Base, Peterlein, und Du mürrische Rauchschwalbe! Angezogen, aufgeputzt, aufgesessen; ich bringe Euch die Aussicht auf eine Schlemmerei von vierzehn Tagen wenigstens.« – »Eine Schlemmerei?« fragte Veit mit gespitztem Ohre, »von vierzehn Tagen?« wiederholte die Muhme, deren Antlitz die frohste Hoffnung auf eine Frist des Wohllebens abspiegelte. – »So ist's,« versetzte der Hornberger; »ich bin geritten wie ein Dieb, und ehe es noch zwölfe schlägt, müssen [135] wir aufbrechen. Unser guter alter Degen, der ehrliche Bechtram von Vilbel ladet Euch beide schönstens zu Gaste auf seine Veste.« – »Bechtram von Vilbel?« begann die Muhme staunend. – »Ei, wie kömmt denn der geizige Hellerfuchs dazu, uns einzuladen?« setzte Veit mißtraurisch bei: »Seitdem er aufgehört hat, der Feldhauptmann der Frankfurter Spießburger zu seyn, und wieder adlich Handwerk treibt, hat er sich nie um mich bekümmert, obgleich er mir das Raufen lehrte; um die Muhme noch weniger.« – »Wie soll ich denn die Einladung verstehen?« – »Redlich und annehmbar;« antwortete Hornberg: »Mein adlich Wort darauf. Jetzt aber, Gott verdamme mich, mag die Base sich zum Aufbruch rüsten; denn in diesem Aufzug einer Küchenhexe nehm' ich sie nicht mit.« – »Aber Du liebes junges Blut,« entgegnete die Alte, verlegen umher trippelnd: »wenn ich nur erst wüßte .... ist es Ernst? .... und wie werde ich fortkommen, ohne Pferd noch Esel .....?« – »Dafür ist gesorgt,« fuhr Hornberg fort: »Aber, potz Kreuz und Dorn! So sputet Euch doch einmal. Während Ihr Euch in den Staat werft, will ich Eure Neugierde befriedigen.« – »In's Himmels-Namen denn!« seufzte die Alte, suchte aus ihren Taschen, den selten gebrauchten Schlüssel zur Truhe des Hauses, und hinkte in eine Ecke des Gemachs, wo der über einen ausgespannten Strick gehängte, abgetragene und hie und da durchlöcherte Reitmantel des Leuenberger's, Petronellen's Lagerstätte und ihre wenigen Habseligkeiten dem unbescheidnen Auge des Besuchers spärlich und nothbedürftig verbarg. Der[136] Hornberger setzte sich indessen auf den Spreusack, der mit Kalbfellen bedeckt, das Bett seines Freundes vorstellte, kratzte dem Bullenbeißer gnädig den Kopf, und hob an zu erzählen, wobei Petronella und ihr Neffe, der mittlerweile, über eine Schüssel voll Wasser gebückt, das Geschäft des Bartscherens vornahm, eifrig zuhörten. »Ich war über Land geritten,« sprach er, »dieweil ich zu Hause nicht Holz hatte, um mich zu wärmen, noch Wein, mich zu erquicken; und das fiel in die heilige Woche. Ich wollte den Reiffensteiner heimsuchen, fand ihn aber nicht, und die Frau schien nicht Lust zu haben, mich den Mann, der nach Franken geritten war, erwarten zu lassen. Ich schnallte daher meinem Gaul den Gurt fester, wie auch mir, und trabte gen Neufalkenstein, wo auch der Eppsteiner seyn sollte, wie ich vernommen. Der alte Bechtram ist zwar nicht freigebig, aber seine Hausehre, Frau Else, läßt einen wackern Rittersmann nicht Noth leiden, wenn er Gründe halber die Feiertage in ihres Herrn Hause zuzubringen verlangt. Die Anstalten zu dem Feste waren auch richtig schon gemacht. Frau Else handthierte am Backtroge, und die Knechte im Hofe brachen ein Paar Rehe auf, bei deren Anblick mir das Wasser im Munde zusammenlief. Es war Morgens um die neunte Stunde etwa, und der Ritter saß schon mit dem Eppsteiner und dem Wernher von Hyrzenhorn bei einem Trunke Weins und einigen in Essig gesottnen Fischen. Die Herren empfingen mich auch gar fröhlich und guter Dinge.« »Absonderlich,« sagte der Hausherr: »Da kömmt der Hornberger; ein grober, aber ausgepichter Ostergast.« [137] – Hierauf mußte ich mich zu ihnen setzen, und der alte Bechtram schenkte so fleißig ein, als ich es noch nie an ihm gewohnt gewesen. Der Becher ging tapfer in der Runde umher, bis dem langen Wernher der Kopf schwer wurde, und er entschlief. Nun begann Bechtram erst mir zu reden: »Er hätte nicht zu gelegenerer Zeit kommen können, ungeschlachter Hornberger. Wir haben etwas vor, der Eppenstein und ich; so dies und jenes, und eins und das andere, wobei wir Euch brauchen können.« – »Ich war dessen bereitwillig, und wunderte mich nur, daß sie den Hyrzenhorn nicht angeworben, der doch ein schier noch rüstigerer Kämpe sey, denn ich.« Da verzog der Eppsteiner das Gesicht, und Bechtram sagte: »Der Teufel hole alle Frankfurter, und die, die es aus Feigheit mit ihnen halten;« womit er des Hyrzenhorners spottete, der sich der Stadt zu eigen verschrieben. »Ich habe lange genug den Schwefelkrämern das Panner getragen;« fuhr Bechtram fort: »Wie haben sie mir's vergolten? Dafür will ich ihnen jetzt auch das Licht halten, daß ihnen die Haut schauern soll.« – Nun verabredeten wir ein Paar Ritte gen Peterweil und Erlebach; vorzunehmen nach der heiligen Zeit. Alsdann nahm mich aber Bechtram bei Seite und redete zu mir: »Wollt Ihr Eure Osterfladen in meinem Hause und ein brav Stück Geld nebenbei verdienen, so mögt Ihr Euch morgen mit mir zu Gaule setzen, und auf das Wiesbad zureiten. Der Eppstein hat ein Gelöbniß gethan, nicht eher zu satteln, als bis die Glocken von Rom zurückkommen.« »Dasselbe Gelübde habe ich zwar auch gethan, mit [138] dem Eppenstein zu gleicher Zeit, als uns die Erzbischöflichen von Mainz schier beim Kragen gepackt hatten, und die Heiligen haben uns darum auch durchgeholfen. Jedoch hab' ich nicht Noth, mein Gelöbniß zu halten, weil mich vor drei Wochen der Pfarrherr zu Offenbach in Bann gethan; und ich bin nicht gesonnen, einen Hauptgewinn von der Hand zu weisen. Ein vornehmer Mann hat mir aufgetragen, ein gewisses Fräulein aufzufangen und fest zu halten, das von Frankfurt nach dem Thüringer Walde zu ziehen vor hat, und dessen Kostbarkeiten und Geld mein seyn sollen, ohne Ausnahme, benebst einem reichlichen Lohngelde und Atzungsvorschuß, so mir der biedre Edelmann zu zahlen verspricht. Seit länger denn einer Woche hat mein guter Geselle Kunz Doring das Fräulein zu Frankfurt belauert, und mir gestern gemeldet, daß es sich plötzlich entschlossen, gen Wiesbaden zu ziehen; zwar nur auf einen Tag oder anderthalb, wie man aus dem Geplauder ihres Knechts vernommen. So hab' ich denn beschlossen, das Weib, wenn es von Wiesbaden von dannen fährt, aufzufischen, und bedarf eines rüstigen Beistands, denn der Reiffenberger und der von Wiede, meine Freunde und Helfer, sind den Rhein hinab, um einen Zöllner leicht zu machen, und Doring's Arm ist mir nicht hinreichend, im Fall die Frau mit starkem Geleite daher käme.« – Es versteht sich, daß ich ohne Bedenken einschlug, und am stillen Freitage lagerten wir schon auf der Heerstraße zwischen dem Wiesbad und Frankfurt, weil unser Fräulein nach der Stadt zurück wollte. Die [139] Sache verzog sich indessen bis zum Sonnabend, weil ein Aberglaube ist, daß man am Charfreitage Unglück hat, zu reisen. Die Sonne war gerade aufgegangen, als sich der Wagen sehen ließ; und wir, drauf und dran und drüber her, und ich machte die Arbeit ganz allein, schlug den Knecht vom Gaule, schnitt die Stränge los, warf die Zofe vom Wagen, knebelte die Gebieterin, obgleich sie sich wehrte, als wäre sie ein verkappter Mann, räumte den Karren aus, und band das Fräulein auf's Sattelpferd. Während nun Doring einem Bäuerlein vergebens nachsprengte, das hinten auf den Wagen gesessen, und sich beim Überfall schnell auf und davon und nach dem Wiesbad zurückgemacht hatte, Bechtram die Habseligkeiten der Gefangnen seinem Pferde aufpackte, und sein Knecht die Dienstleute derselben an Knebel und Leine legte, trabte ich mit dem Fräulein, einem saubern, ja man möchte sagen, schönen Weibsbilde, die Kreuz und die Quer, über Acker und Hecken und Bach davon, auf Neufalkenstein zu. Dem armen Geschöpfe wurde der harte Trab bald zu viel, und es hätte wenig gefehlt, so hätte die Arme den Geist im Sattel aufgegeben. Bisher hatte ich dazu gelacht, denn der vornehme Herr hatte sich ausbedungen, daß man ohne Schonung mit ihr verführe; da sie aber schwankte und den Kopf sinken ließ, und bleich wurde, wie der Tod, hatte ich Mitleid, löste ihr den Knebel vom Munde, nachdem ich sie mit dem Erwürgen bedroht, wofern sie schreien würde, und vergönnte ihr, an einem einsamen Waldrande ein wenig zu rasten. Ich bot ihr sogar einen Bissen [140] von dem Brode und dem Knoblauch an, das ich im Sattelbeutel bei mir führte. Sie schlug die Labung zwar aus; betrug sich aber so friedlich, klug und stille, daß ich meine Freude daran hatte, und ihr alle Erleichterung angedeihen ließ, bis wir in der Dämmerung nach dem Schlosse gelangten, wo wir denn auch die Übrigen versammelt fanden. Die Dienstleute ließ man am andern Morgen, ohne ihnen zu sagen, wo sie gewesen, laufen, und die schöne Gefangne blieb allein zu rück. –

»Aber, Gotts Marter!« rief Veit, der sich indessen in seinen besten Putz geworfen: »Was kümmert uns denn die verdammt lange Historie? Dergleichen Begebenheiten an Kreuz- und Hohlwegen sind mir doch, bei Gott! bekannt genug.« – »Was Euch die Historie kümmert?« lachte der Hornberger: »Sehr viel; denn Ihr verdankt Ihr ein Paar zehr- und zechfreie Wochen, und die Bekanntschaft mit einer liebenswerthen Base, denn keine andre ist Bechtram's Gefangne, als Eurer Margarethe Stieftochter Wallrade.« – »Wallrade?« kreischte die Base hinter dem Mantel hervor; Veit sah aber den Hornberger mit ungläubigem Lächeln an. – »So wahr ich, wie ein ächter Christ, meine österliche Zeit gehalten habe,« betheuerte der Hornberger, »so völlig hat mein Wort seine Richtigkeit. Das Fräulein von Baldergrün ist's, und ihre Klugheit und Besonnenheit hat mir viel Freude gemacht. Sie benimmt sich so gleichgültig, als ob sie ein Rittersmann wäre, dem das Glück der Fehde untreu geworden. Aber im Innern scheint's dennoch unheimlich zu stürmen, [141] und damit sie nicht krank werde, und etwa sterbe, bevor die Atzungskosten angewachsen, und das Fanggeld bezahlt, haben Bechtram und Frau Else den Entschluß gefaßt, Euch, dem Fräulein zur Erheiterung, einladen zu lassen. Wallrade soll durch den Besuch ihrer Blutsfreunde überrascht werden, und sich an den Mährlein Petronellens ergötzen.« – »Ich zweifle, daß unser Besuch die hochmüthige Dirne erheitern werde;« entgegnete Veit schadenfroh grinsend: »aber mir wird's ein Fest seyn, das Krämerfräulein in seiner Erniedrigung zu sehen.« – »Ja wahrlich; Du hast Recht, guter Neffe!« fiel Petronella ein, die in ihrem Staats- und Abendmahlsrocke aus ihrem Winkel rauschte: »Mich gelüstet sehr, meine eitle Verwandte zu begrüßen, die es für einen Schimpf gehalten, daß das Leuenberg'sche Wappen zu ihres Vaters Hause herabgestiegen ist. Sage doch, guter Veit, ob mein Gewand in den gehörigen Falten liegt, und noch im Stande ist, die Stiefnichte zu ärgern, und dem Hause der Leuenberger, wie dem Hause meiner alten Freundin, der Frau Else von Vilbel, Ehre zu machen.« – Veit musterte aufmerksam und wichtig das veraltete Prachtgewand, das sich schon seit einem Jahrhundert beiläufig von einer Leuenbergerin auf die andre vererbt hatte, und der Hornberger biß sich in die Lippen, daß sie schier bluteten, um nicht beim Anblick des greisen Fräuleins in ein allzubeleidigendes Gelächter herauszuplatzen. Der wunderliche, mit Figuren seltsamer Art gezierte Zeug des Gewandes von gelb und blaßrother Farbe, war von Veit's Urgroßvater, der eine Fahrt nach [142] Wälschland gemacht hatte, aus Venedig heimgebracht worden, in der Absicht, daraus zwei Meßgewänder fertigen zu lassen, die er, während eines Meersturms, in seine Taufkirche verlobt hatte. Wie es nun aber sich öfters trifft, daß die eifrigsten Gelober, – ist die Noth vorüber – die saumseligsten Bezahler werden, so traf sich's auch hier. Das Ehgemahl des Heimkehrenden schnitt sich aus dem schweren Zeuge ein Gewand mit ungeheuer bauschigen Ärmeln und ausgesteiften, mit Draht unterlegten Falten, in welchem die gelbe, unaussprechlich hagre und kleine Muhme kaum zum Vorschein kommen, kaum sich bewegen konnte. Der gewichtige Besatz von Sammetstreifen und wollenen Zotteln fiel so tief herab, daß kaum der leinwandne Strumpf und der halbe Schuh des rechten Fußes sichtbar werden konnte; des linken, verkürzten, gar nicht zu gedenken. Ein ungeheurer Wetscher an einem breiten Lendengürtel mit einst versilbert gewesenen Buckeln beschlagen, hinderte die Geputzte stark im Gehen; die vergilbte, aber auf die Dauer von einer Ewigkeit berechnete Halskrause faßte das vertrocknete einäugige Antlitz wie in einen Korb, und der Hauptschmuck von gesteiftem Schleiertuche, zwischen welchem die ergrauten Haarflechten der adelichen Jungfrau zu sehen waren, schien in seiner ungefälligen Gestalt keineswegs geeignet, das nicht gefälligere Angesicht der Geschmückten im Geringsten zu verschönern. Petronella hatte ein kleines Bündelchen zusammengewürfelt, das sie unter'm Arme trug. An Veit's Seite stolzirte der Raufdegen, auf seinem Kopfe prangte der befliederte Hut. Des Hornberger's [143] Weißpfenninge klapperten in einem weitschimmernden Beutel an Veit's Gürtel, und somit waren alle zum Aufbruch fertig. »Macht ein Ende,« drängte Hornberg mit einem seiner kräftigen Hausflüche. »Eh' es Zwölfe brummt, müssen wir auf und davon seyn, und doch wird's hart halten, vor stockfinstrer Nacht Neufalkenstein zu erreichen, wenn auch Räder und Hufe Feuer geben. Für einen Wagen nämlich ist gesorgt. Die Muhme möchte einen Ritt, selbander auf dem Rosse, nicht allzuwohl aushalten.« Petronella verneigte sich geschmeichelt, und nahm nun, mit einemmale erheitert, die Katze, die sich heimlich wieder herbeigeschlichen, unter'm Arm. – »Donner und Wetter!« rief aber Veit: »Dem alten Bechtram ist gewiß sein Stündlein nahe, da er uns sogar einen Wagen schickt.« – »Meine Vorsorge,« lachte der Hornberger: »zwei Stunden von hier fällt mir plötzlich ein, wie ich denn wohl die Base vom Platze bringen werde, und ich bin schon halb und halb entschlossen, sie als höflicher Rittersmann vor mich auf's Pferd zu nehmen, als mir, gerade wie gerufen, ein Bauer begegnet, der gen Frankfurt und Höchst zu fahren gedenkt mit einem Wägelein voll des besten Stroh's, auf dem ein Bettelmönch sitzt, schmutzig, wie sie alle sind, aber nicht so feist, wie sie gewöhnlich zu seyn pflegen. Den Bauer anhalten, ihm befehlen, mit mir umzukehren, und dann mit einer neuen Ladung hinzufahren, wo es mir belieben würde, war eins, und schnell abgethan. Der Hund wollte sich weigern. Da hieb ich einem von seinen beiden Gäulen die Sehne am linken Hinterfuße durch,[144] und drohte, den andern eben so zu zeichnen, falls er nicht gehorsam seyn wolle. Die Lehre half, und er fuhr mit zurück. Den Pfaffen, der nach Frankfurt gedenkt, wollte ich vom Wagen jagen; der Mensch wies mir aber seine wunden Füße, und so ließ ich ihn denn in Ruhe, weil ich mit dem Gesindel barmherzig bin, da man nicht weiß, wo man einmal eine Kutte brauchen kann. Bauer, Mönch und Fuhrwerk hab' ich unten im Stalle eingesperrt, und meinen Knecht als Wache zurückgelassen, damit die Geschichte nicht in der Stadt verträtscht wird. Den wunden Gaul mach ich Dir zum Geschenk, Veit, und dem Bauer wollen wir unterwegs schon wieder ein andres Pferd schaffen.«

Die Muhme versicherte, daß sie nun noch einmal so gern die Fahrt mitmache, da ein Gesalbter des Herrn ihr Nachbar seyn würde, hängte den vergeßnen Rosenkranz an die Hand, das kupferne Kreuz an den Hals, und forderte nun die Männer auf, zu gehen. – Veit nahm den Falken auf die Faust, und warf noch einen Blick in dem Gemache umher. »Habt Ihr die Truhe verschlossen, Muhme?« fragte er dann leise: »habt Ihr das Eisengeräth wohl verwahrt, das ich neulich heimbrachte, und die Gefäße, die vor Kurzem aus der Marxkapelle.abhanden gekommen sind?« »Alles ist wohl verwahrt, Neffe,« erwiederte Petronella, indem sie das Gemach nach den vier Weltgegenden mit Weihwasser besprengte, das an der Thüre hing: »Gott und seine Heiligen werden in unsrer Abwesenheit unsre stille Klause wohl bewahren.« Damit ließ sie das Schloß zuschnappen, [145] und hinkte den Männern nach, belastet mit Katze und Bündel. Veit hatte indessen dem Nachbar Jost die Aufsicht über seinen kleinen Palast empfohlen, und einen Sattel von ihm geliehen, ein, dem Nachbar, dessen Pferd erst kürzlich gefallen, sehr entbehrliches Geräth.

Des Leuenberger's Klepper wurde geschirrt, Petronella auf denWagen neben den in seine Kaputze verhüllten Mönch gehoben; die edeln Herren saßen zu Pferde, des Hornberger's Knecht auf dem Hintertheile des Karrens. Die Fenster und Pforten der angränzenden Burgwohnungen waren von den edeln Ganerben und ihren Sippschaften besetzt, die theils lachend auf das schlechte Fuhrwerk blickten, theils den Leuenberger beneideten, der trotz seiner, der Ihrigen nichts nachgebenden Armuth zu fernen Festlichkeiten auf so viele Stunden Wegs abgeholt wurde. Der arme Fuhrbauer warf noch einen trüben Blick auf den verletzten Gaul, der in einem fremden Stalle zurückbleiben mußte, um wohl nimmer zu seinem Herrn wiederzukehren. Dann schwang er mit einem Seufzer und abgewandtem Gesichte die Peitsche; das dienstbare Roß zog an; der Bullenbeißer bellte, und fort gings, wie auf einer Rennbahn.

7. Kapitel
[146] Siebentes Kapitel.

Ach, daß die Hülfe aus Zion über Israel

käme, und der Herr sein gefangen Volk

erlöste! So würde Jakob fröhlich seyn,

und Israel sich freuen!

Psalm Davids.


Schlösser und Riegel klangen. Eine helle Stube that sich auf. Die Augen der Gefangenen die hineingelassen wurden, zogen sich zusammen, ob der ungewohnten Klarheit. –

»Was sollen wir hier?« fragte Ben David den Schließer, der beiden wenigstens die Schellen an den Händen abnahm. – »Wem haben wir zu verdanken die Wolthat, wieder beisammen zu seyn?« setzte Jochai hinzu, und rieb sich den Arm, wo die engen Ketten gesessen hatten. – »Werdet's schon sehen!« brummte der Wärter entgegen: »Ihr werdet heute mancherlei Besuch haben, den man nicht in euer Verließ führen kann.« – Eine lange Stille folgte, während welcher der Wächter sich auf einen Schemmel setzte, und die Juden sich forschend beobachteten. »Dürfen wir denn miteinander reden?« erkundigte sich Jochai demüthig. – »In Gottesnamen;« erwiederte der Wächter: »der ehrbare Herr Oberstrichter meint, es könne nichts verschlagen. Denn ob Ihr bekennt oder nicht; auf jeden Fall brennt man Euch zu Asche.« – Eine Bewegung zaghafter Angst konnten die Gefangenen bei dieser rohen Rede nicht unterdrücken. Ben David faßte sich jedoch zuerst, und gieng auf den bleichen Vater zu: »Wie geht Dir es [147] Vater?« fragte er in dem Dialect, der, aus hebräischen und deutschen Worten zusammengesetzt, für den Zuhörer von Amtswegen, beinahe unverständlich war. – »Frage die im Moor verdorrende Weide;« antwortete Jochai schmerzhaft: »Die Lampe brennt aus allmählich, und bald werde ich liegen in dem angstvollen Zustande, wo die Seele unstät umherläuft durch alle Glieder und zittert vor der Nähe des Todesengels. O Sohn! Sohn! Dein Eigensinn und Starrmuth wird mich von der Welt bringen, dessen Liebe Dich zur Welt brachte.« – Ben David rieb sich bekümmert die Stirne. »Es ist beinahe verflossen eine Woche ....« sprach er wie verloren vor sich hin: »keine Kunde doch von Esther und ihrem Auftrag. – Weißt du nichts von dem Kinde?« – »Der Wärter hat mir zweimal Wein gebracht;« antwortete Jochai: »Gewiß hab' ich nur Esther's Liebe verdankt diese Stärkung.«

Ben David wendete sich an den Kerkerknecht: »Guter Mann,« sagte er: »wißt Ihr uns nichts zu sagen von Esther, unserm Kind? Kömmt sie noch wohl wie früher täglich an die Pforte, und fragt nach ihrem Vater und dem Greise Jochai?« – »Was weiß ich?« polterte der Wärter: »Ich hätte viel zu thun, wollte ich auf all die Leute merken, die mir Jahr aus Jahr ein die Ohren voll jammern und heulen. Ihr Gesindel bekümmert euch wenig um die, die im Pfeffer sitzen. Eine Dirne ausgenommen, die ein Paarmal Wein für den Alten brachte, hat Niemand nach Euch gefragt.« – »Diese Dirne ist Esther! [148] Gott segne sie dafür im Reiche des Messias!« stammelte Jochai unter Freudenthränen.

»Hm!« grunste der Knecht: »Eine Jüdin ist das Mädel nicht, denn es trägt ein Kreuz am Halse; aber häßlich ist sie dafür, daß es alle Tage in eure Sippschaft gezählt werden könnte.« – »Also Esther ist's nicht!« seufzte Ben David, und sah kummervoll zu Boden.

»Wie kommt die Barmherzigkeit in die Seele der Tochter aus Edom?« murmelte kopfschüttelnd der Greis. – »Wo mag wohl hingekommen seyn mein Kind?« fuhr Ben David fort, und lehnte sich trostlos an das mit Gittern von innen und aussen verwahrte Fenster.

Einer Glocke Schall rief den Wächter hinaus. Ben David und sein Vater sahen mit gespannter Erwartung nach der Thüre, ob nicht der angekündigte Besuch hereintreten würde. Endlich erklangen Stimmen und Tritte, und der Wärter trat wieder ein, – hinter ihm Zodick. Die Blicke der Juden wendeten sich voll Abscheu von dem Abtrünnigen, dessen Züge einen sonderbaren Ausdruck von Wildheit, Ängstlichkeit und verstellter Teilnahme angenommen hatten. Auf einen Wink von ihm trat der Wächter ab. »Ben David und Jochai,« sprach der Convertit ernst und bedächtig: »Ich habe ein Wort mit Euch zu reden, gewichtig für Hunderte.« – »O, daß Dich doch Deine Mutter geboren hätte stumm!« eiferte Jochai in kaum verhaltenem Groll; Ben David schwieg aber finster und erwartungsvoll. »Der hochgelobte Gott weiß,« fuhr Zodick leiser fort, »wie [149] schwer mir's ist geworden, aufzutreten als Werkzeug seiner Vergeltung. Ich habe doch mit ihm gerungen, wie einst der Erzvater in dem Lande jenseits des Meeres. Aber des barmherzigen und zornigen Herrn Wille geschieht in Ewigeit.« – »Lästre nicht den Herrn,« ermahnte Ben David: »Du bekleidest ihn mit Schande durch Deine schändliche blutgierige Lüge, die uns bringt in des Henkers Hand.« – »Scheltet mich immer einen Lügner,« erwiederte Zodick: »beweißt aber, daß ich es bin.« – Ben David zeigte ruhig gen Himmel. – »Auf Erden will man Schwarz auf Weiß, oder einen besiebneten Eid;« versetzte spöttisch Zodick: »und mein Schwur würde allenfalls höher gelten, als der Eurige.« – Er zeigte auf das Kreuz an seinem Wamms, und Jochai, durch diese Geberde ausser sich gebracht, hätte einen Schlag dagegengeführt, wenn ihn nicht sein Sohn zurückgehalten. »Was thust Du, Raaf?« schrie er dem zornentflammten Greise zu, während Zodick ihn höhnisch angrinste. »Laß ihn doch,« sprach dieser: »laß ihn, Ben David. Es gäbe noch eine Klage mehr von Gotteslästerung und Kreuzentweihung. Die Sünde häuft sich ohnehin auf Eurem Kopf, ohne daß ich etwas thue dazu. Der Halsschmuck, den man gefunden in Eurem Keller .... er hat gedibbert wie eine Elster, und euch genannt Hehler und Stehler von der Blutzapferrotte. Verrathen ist es durch aufrichtigen Bericht der Judenschaft zu Worms, die immer offen handelt und ehrlich gegen die von Gott eingesetzte christliche Obrigkeit, daß Du, Ben David, daselbst den Buben gekauft, den Ihr so schmählich ermordet[150] habt. Der Rittersmann, dem Du das Knäblein abgeschachert, ist gar wohl bekannt, und wird Euch Verstockte bringen zum Geständniß. Ihr seyd verloren, und mir blutet das Herz als Mensch und als Christ, denn der Gott, den ich jetzt habe erkannt, will nicht, daß der Sünder sterbe, wie ihn sterben läßt das Gesetz.« – Ben David und Jochai, obgleich von Zodick's unheildrohender Rede erschüttert, warfen ihm einen Blick der Verachtung zu, und schwiegen. – »Rechnet es daher meiner Erbarmniß zu Gute, fuhr der Heimtückische fort, daß ich jetzt komme zu euch, ein Bote der ewigen Milde, des Fürsten der Barmherzigkeit. Zwei Wege thun sich vor euch auf, zum Leben. Schon mancher Jude hat sich gekauft los vom Scheiterhaufen und dem Strang. Versucht auch ihr das Mittel. Vertraut mir, wo Ihr vergraben Euer Geld, denn des Silbers wenig hat man gefunden bei Euch. Hab' ich Euch gebracht in Babylon durch des hochgelobten Gottes Fürsicht und Wille, kann ich Euch auch bringen wieder heraus durch die Kraft der Masumme, der die Gojim selten widerstehen.« – »Deine Mitbrüder willst du sagen, abscheulicher Mancher!« schalt Jochai, dessen Gesicht sich bei der bloßen Erinnerung an Zodick's Übertritt krampfhaft verzog. Der Gescholtne maß den Zürnenden mit den frechen Augen, und wendete sich alsdann wieder mit fragendem Blicke zu Ben David. Dieser, nachdem er den Vater durch eine bittende Geberde veranlaßt, Ruhe zu halten, sprach nicht ohne Bewegung. »Jetzt erst gibt sich bloß der Heißhunger des Gerichts und der Deine nach meinem[151] Golde und meiner andren geringen Habe. Aber eben so wenig, als mich werden vermögen die gräulichsten Martern zu bekennen eine Sünde, die ich nicht begangen, eben so wenig soll mich überreden Deine Zunge, dir des Sammaels, zu bezeichnen den Ort, wo ich vergraben und verborgen, was mein ist. Was Werth hat an Silber und Gold und Edelstein, ist uns theuer, denn davon leben wir armes, verachtetes Volk. Edom würde uns ja mißgönnen die Luft, so wir athmen, hätten wir nicht Stein und Metall, seinen Lüsten zu fröhnen. Darum vertheidigen wir mit dem Leben unsern kleinen Schatz, eben weil er ist unser Leben. Aber einen Schlüssel dazu will ich Dir geben, so fern Du mir gibst Kunde von dem größten Schatze den ich besitze: von meiner Tochter Esther. Ist auch sie gerathen in die Hände von Amalek durch Deinen treulosen Mund? Sind auch ihre zarten Glieder bedroht von Folter und Schmach? Das arme Geschöpf, .. es weiß ja von Nichts: unschuldig ist es gekommen zur Welt; unschuldig wird es gehn von dannen. Oder hat sich des Mägdleins etwa bemächtigt Deine gierige Lust? Gib mir Gewißheit, und ich will nicht herabfluchen den Zorn des starken und eifrigen Gottes auf Dein Haupt. Gewißheit über Esther's Schicksal – sey's die traurigste – gib dem trauernden Vater!« – »Mir thuts leid,« erwiederte Zodick, der bei all diesen Reden beständig Zeichen einer ungewissen, von Ängstlichkeit beengten Haltung an den Tag gelegt hatte: »Das Mädel geht wie Ihr entgegen dem Stöcker und seiner Flamme.« – »Halte mich, Herr in Israel!« [152] stöhnte Jochai, während Ben David erschrocken nach Zodick's Hand griff. – »Ich will verkrummen, ist's nicht wahr;« betheuerte dieser Letztere keck: »Esther ist in Buhlschaft verfallen mit einem rechtgläubigen Jüngling. Der unbesonnene Altbürger, der jüngst Euch und eure Dirne allen Gesetzen zum Trotz vertheidigte, hat sie aus der Stadt gebracht, und hält sie irgendwo versteckt zu eigner Kurzweil.« – »O ihr ewigen Schaaren der Elohims!« seufzte der gebeugte Greis Jochai: »Also hat die krumme Schlange eine von Zions Töchtern mit Schmach bedeckt. Sohn, Sohn, Vater Deiner Esther! Wie wirst Du bestehen, vor dem Fürsten des Gerichts und dem Throne des Messias, da Du durch Deinen Eisenkopf all das Unheil, das wir erleiden und befürchten, erzeugt hast!« – Ben David machte eine heftige Bewegung und unterbrach den Vater lebhaft: »leide ich nicht wie Du, Raaf, und befürchte ich weniger? Hab' ich Dich nichs geehrt und geliebt, wie ein gerechter Bechor? Mußt Du nicht darum auch willigen zu theilen meine Noth? Wir haben zusammen gewonnen Geld, Gut, und haben getheilt manche Freude.« Laß uns thun ein Gleiches mit dem Leide. Nicht meine Schuld, .. die Lüge hat uns hieher gebracht, und der hochgelobte Gott, dessen Herrlichkeit unser Haupt berührt, und Deine Fingerspitzen, so Du mich segnest, wird uns nicht umkommen lassen durch die Ungläubigen. Schrecklich wär es, wenn Esther in den Stricken läge der Wollust, der Buhlerei mit einem fremden Manne ... aber, es heißt in den Büchern der Väter: »So Dich einer einmal belogen, und falsch Zeugniß gegeben von Dir, [153] so glaube ihm nicht ein andermal, und nicht ein drittesmal, und nicht zum hundertenmale, denn die Zunge desselben ist ein schlecht Stück Fleisch, das verdorren wird im Thale der Auferstehung.« –

Zodick wies höhnisch die Zähne. »Wahrlich, sage ich Euch:« sprach er, – »Esther und der junge Altbürger Frosch sind verfallen dem Scheiterhaufen, so die Gerechtigkeit der Obern sie ereilt. Noch ist ihr Aufenthalt nicht entdeckt, aber ganz gewiß wird er nicht entgehen meiner Wachsamkeit, da mich der Herr bestellt hat zum Mittler in Euerm traurigen Schicksal. Ihr aber nehmt zu an Verblendung und Lüge, wie das wachsende Kind an Kraft und Mark, da ihr Euch weigert, die in Gesellschaft der Blutzapfen geraubten Schätze herauszugeben, um Euer Blut zu retten. Der Tag, der Eure Rechnung völlig schließt, ist jedoch noch nicht angebrochen, und der Prophet Elias, der immer um Euch ist, sieht betrübt, wie sich vermehrt die Last Eurer Sünden. Es ist schier außer Zweifel, daß Du es gewesen, Ben David, der an dem alten Rathsschöffen Frosch das Mordstücklein gewagt, das ihn beinahe in den Talles gelegt.« – »Sohn! Sohn! Sohn der Gebote und meines Gebets!« stammelte Jochai: »Unseliger Mann! wohin bist Du versunken? Bringt doch jeder Augenblick eine neue Klage auf Haut und Haar, jeder Augenblick einen neuen Herzstoß für den greisen Vater! O weh mir! weh mir! warum hab' ich gelebt der Jahre zweimal fünfzig und darüber? Warum verläßt mich der Gott David's und Samuel's also in meiner Noth, daß ich schauen muß,[154] wie mein Geschlecht langsam versinkt in Blut, Schande und den Flammen des unehrlichen rothen Mannes! David! David! So wahr du trägst den Namen des Erlösers, den wir hoffen, so wahr will ich Deinem Schweigen ein Ende machen; bekenne Deine Unschuld wider Deinen Willen. Zodick! rufe herbei den Richter! Ich will reden; der alte Jochai will reden, und Wahrheit sagen. Geh! geh! und Dir vergebe der hochgelobte Gott Deine Sünde an uns, die Dir nicht abgenommen werden kann weder durch den Tag der Versöhnung und das Kapporah des Bocks Hazazel, noch durch die Fasten, Esther und Gedalja und die Feier der Tempelzerstörung.« – Der Greis schwieg erschöpft; Ben David verharrte in mißbilligendem Schweigen. – »Nicht um Dein Geschrei zu hören, habe ich geredet;« sprach Zodick mit schadenfrohem Vorwurf zu dem Alten: »um Euch ein Mittel anzugeben vielmehr, das Euch, wenn nicht zur Freiheit und zum Leben, dennoch zu einem sanftern Tode verhelfen würde, so Ihr es annehmen wolltet. Denn dem Tode seyd Ihr gewiß, wenn Ihr Euere Habe verhehlt, und der Tod in Flammen ist schrecklich Bekennst Du hingegen, Ben David, daß Du den Altbürger Frosch ermorden wolltest, auf Anstiften und Anregen seiner Ehefrau, so will der Altbürger selbst ein Fürwort einlegen, daß Eure Strafe in die leichteste verwandelt werde, weil er seinem Mörder Gutes zu thun wünscht. Beeilst Du Dich, die Gnade des Herrn zu verdienen, so könnte wohl gar noch werden bewiesen, daß Jochai im Wahnsinne gehandelt, da er den Knaben gekreuzigt im Keller, und [155] könnte ihm, ob seines Alters Elend, noch werden geschenkt das Leben.« – Jochai befühlte sich bei diesen seltsamen Eröffnungen den Kopf, gleich als ob er aus einem bösen, bösen Traume aufzuwachen im Begriff stände. Ben David hingegen gewann eine Ruhe und Heiterkeit, die gleich sehr gegen den dumpfen Jammer des Vaters, wie gegen die befangene Frechheit Zodicks abstach. »Ich sehe jetzo;« sprach er recht laut und vernehmlich: »daß ganz Frankfurt toll geworden. Das Ungeheure könnte mich schier bringen zum Lachen. Wenn jetzo plötzlich aufstiege ein Nebel des Gewässers, und unsichtbar machte die Brückenthürme oder Sachsenhaufen .... was gilts ... der arme David müßte sie gestohlen und seinem Vater gesteckt haben in den Schnappsack. Geh, geh, Du lächerlicher Bote! Du hast gewißlich am heiligen Sabbat zu weite Schritte gemacht im Kundschafterdienst, denn diese schwächen Gesicht und Verstand. Du bist, ob ein Lügner, ob ein Irrsinniger, gleichviel. Kannst Du mir jedoch bringen wahrhaftige Kunde von Esther, und ein Zeichen von ihr, – ein glaubhaftes, daß sie lebt und frei ist, wenn gleich versunken in dem Laster, dessen Du gedacht, – so soll's Dein Schade nicht seyn; ich schwör's auf die Torah; und dieses heilige Gesetz wird mir geben die Kraft durch mein Gebet des Mädchens Seele abzulenken vom Bösen, und sein irrdisch Theil zu retten von schimpflicher Strafe.« – Zodick warf spöttisch den Mund auf, und ging hinweg, ohne ein Wort zu erwiedern. – Ben David näherte sich dem Vater, der wie eine Bildsäule vor sich hinstarrte. »Du [156] willst bekennen, Raaf;« fragte er ihn sanft und sehr leise: »was willst Du denn bekennen, da Du nichts weißt, als daß der Knabe nicht gestorben, sondern seinen Freunden wiedergegeben? Sage tausendmal, daß ich unschuldig sey, und Du nicht schuldig, und tausendmal werden sie Dir nicht glauben, .. selbst dann nicht, wenn ich's wollte und könnte beweisen. Wisse aber, daß ich eher auf der Folter die Zunge verschlucke, ehe ich rede; weil ich gethan ein Gelübde, das ich halten werde fester als eins, das ich in der Schule geleistet.« – Jochai sah ihn fragend und kopfschüttelttd an. »Weh mir!« sagte er: »Ein Eid, und wann hast Du ihn gethan?« – »Er ist noch nicht so alt, als Zodick's Besuch;« erwiederte Ben David: ich hab' ihn geschworen bei der Lade des Bundes im Allerheiligsten meiner Gedanken. »Raaf!« setzte er leise flüsternd hinzu: »Raaf! ich habe böse gethan, fühle ich jetzt, denn ich habe gehandelt mit Menschenblut. Das Schändliche solchen Beginnens ist mir geworden klar, da mir einfiel, wie Esther jetzo hülflos einem gleichen Handel Preis gegeben ist, der vielleicht das Kleid ihrer Ehren in Koth tritt, vielleicht ihr junges Leben erstickt. Darum will ich büßen, und, sollt' ich ersterben in Graus und Schmerz, nicht durch mein Zuthun den Versuch machen, zu lindern mein Schicksal.« –

Jochai wollte in ein Geschrei des Jammers ausbrechen; Ben David bedeutete ihn jedoch heftig, zu schweigen, und raunte ihm in's Ohr: »Spare Deine Worte, die unser Elend nur beschleunigen, denn hinter jener Wand lauschen verborgne Zeugen, die Zodick's[157] Unterredung mit uns behorchten. Mir hat's verrathen sein ängstlich Lauschen, und ich warne Dich.« Man kömmt schon: »hörst Du? Ermanne Dich. Dein Leben werd' ich gewißlich retten. Meine Vertheidigung muß der hochgelobte Gott unternehmen. Eine Menschen-Zunge allein rettet einen Juden nicht.«

Der Oberstrichter kam herein mit gewohnter Würde; in seinem Gefolge ein Schreiber, das Verhörprotokoll unter'm Arme, das Schreibzeug am Gürtel. Der Gefangenwärter schob den Tisch zurecht, und ging. – »Jude Jochai und Du, sein Sohn David!« begann der Richter: »Man hat uns gemeldet, daß die Aufrichtigkeit in eurer Seele die Oberhand gewonnen, ehe wir noch der Folter bedurft, um sie zu wecken. Ihr thut klug daran, zu bekennen, denn eure Missethaten brechen von Tag zu Tage mehr hervor aus dem Schleier, mit welchem Eure Ränke sie umhüllt hatten. Gerhard von Hülshofen – erbleicht ihr nicht noch deutlicher unter eurer Blässe? – wird nicht säumen, vor unsern Schranken Zeugniß gegen euch abzulegen, um also die Schuld wieder gut zu machen, so er als rechtgläubiger Christ zu böser Stunde auf sich geladen. Des armen Friedbergers Schmuck, von seiner Witwe erkannt, bezeichnet Euch als Glieder der verruchten Mordbande, die ihre Verbrechen sogar in unsern Mauern ausübt. Nichtswürdige Gesellen, die schon seit lange in unsern Verließen schmachten, und ehemals mit jener Rotte Korah in Verbindung gewesen, entsinnen sich auch recht gut, einen der Hauptmörder mit dem Namen: [158] ›der Jude‹ bezeichnen gehört zu haben, und würden gewiß den David von Angesicht zu Angesicht erkennen, wäre er ihnen damals nicht immer in einer unkenntlichen Vermummung erschienen. Kurz: die Zeit bricht ein Stück nach dem andern von dem Bollwerke ab, das eure Heuchelei um die Wahrheit gezogen hat. Gerade jetzt ists noch Zeit zu bekennen, um die schwere Hand der gesetzlichen Rache in ihrem Falle etwas aufzuhalten, und ein milderes Loos zu gewinnen, wenn es seyn kann. Wir haben daher auch nicht gesäumt, der an uns gegangenen Aufforderung diesenfalls zu entsprechen, und begehren von Dir, Jochai, daß du sonder Ausschweife an den Tag gebest, was Du zu bekennen hast.« – »Zu bekennen, Herr!« sagte der durch Hingebung seines Sohns muthiger gewordne Greis: »Gott soll mir helfen, wenn ich weiß, was ich bekennen soll, wenn es nicht ist unsre Unschuld.« – Ben David schwieg befriedigt, aber des Oberstrichters schlaufreundliche Miene wandelte sich in eine frostige um, da er die Weigerung des Alten hörte. – »Wie?« fragte er: »Hast Du Deinen Vornamen sobald geändert? Man sagte mir doch ...« – »Edler Herr!« versezte Jochai mit scheinbarer Offenherzigkeit: »So uns der hochgelobte Herr der Welt Stärke verleiht, so werden wir selbst unter Folterpein nicht aussagen, was uns, sind wir gleich fleckenlos wie das Lamm, den Stab bricht; um wie viel mehr müßten wir die Zunge schelten, die an uns zur Lügnerin werden wollte, freiwillig, ohne Noth.« – »Aber,« polterte der Richter aufwallend, »Du sagtest doch selbst, alter [159] Sünder ....« – Jochai schüttelte schweigend den Kopf, wie Einer, der seiner Sache sehr gewiß ist, und, mit einem Lächeln, nur den Unglauben eines Andern straft. Diese Geberde machte indessen den Richter hitziger. »Läugne nicht, Jude,« sprach er drohend: »Friedrich hat die Lügen verabscheuen gelernt im Schoose des wahren Glaubens. Du warst geneigt zu bekennen .... so bekenne denn. Deine Aufrichtigkeit kann nur wohltätigen Einfluß auf Dein, selbst auf deines Sohns Geschick haben. Bekenne die erschreckliche Kreuzigung des Knaben, die hauptsächlich dir zur Last gelegt wird, hast Du einmal diese erste und größte Missethat von Allen gestanden, dann, wird das Bekenntniß der Übrigen leichter.« – Jochai warf einen verstohlenen Blick auf den unerschütterlichen Ben David, und sagte dann entschlossen: »Gestrenger Herr ....« mir sollen alle Glieder erstarren zu Eis, wenn ich anders sagen kann, als: »Wir sind unschuldig.« Der abtrünnige Knecht Zodick hat auch heute gelogen wie in seiner Klage. Gras wachse vor seiner Thür, und Er soll seyn der Lezte nach allen Menschen auf der Erde. »Ich werde nicht bekennen, was ich nicht weiß.« –

»Ja, verdammter Jude!« brach der Oberstrichter los: »Du hast Bekenntniß und Lüge in einer Tasche. Die wenigen Augenblicke, die du mit diesem Elenden hier allein geblieben, alter Thor, waren hinreichend, dich umzustimmen, und nun soll Friedrich gelogen haben, obgleich ....«

Hier verstummte der edle Herr, weil ihn beinahe der Zorn veranlaßt hatte, zu gestehen, daß er alles hinter [160] jener Wand verborgen, mit angehört. Jochai entgegnete jedoch mit treffendem Blick und bitterm Lächeln: »Und wenn ihr selbst, gestrenger Herr, mit Euern eigenen Ohren gehört haben wolltet, was Euch Zodick sagte, so müßte ich erklären, daß Ihr Euch irrt.« – »Genug;« fuhr der Oberstrichter fort: »Ich sehe, daß Ihr unverbesserliches Gesindel seyd. Was jener blut- und raubdürstende Mensch, dein Sohn, an Kraft und Geschick, das Böse zu thun, vor Dir voraus hat, das ersetzest du durch deine hundertjährige Schlauheit und Tücke. Aber – was es nun auch sey – boshafte Lüge, beginnender Wahnsinn des Alters, oder jene Vergeßlichkeit, die den ergrauten Bösewicht zuweilen befällt, und seinem Gedächtnisse schwere Frevel entrückt, als ob sie nie vollführt worden wären, ... ich will Dich schon zum Geständniß bringen. Die Verworfenheit, die rund um unser Weichbild, und innerhalb desselben, das Haupt zu Raub, Todschlag und Brand erhebt, zittert vor meinem Namen, meinem Ansehen und Eifer. Diese Schrecken der Zügellosigkeit sollen auch nicht an zwei erbärmlichen Juden erlahmen. –«

»Gebraucht Eure Macht, ehrbarer und strenger Herr;« sprach Jochai mit leidender Demuth: »der Mensch ist ein schwach Gefäß in den Händen seines zornigen Feindes, sagt der Rabbi Jose, auf welchem der Friede sey, und das Paradies seinem Andenken. Der große Tag, jenseits des Meeres, hat aber ein Andrer gesagt, wird ausgleichen Alles, was geschehen ist zwischen Auf- und Niedergang. Ich sage nicht, was nicht ist, wenn ich unsre Unschuld bekräftige. [161] Der Wahnsinn, dieser Aussatz, mit welchem die Schedim den innern Menschen schlagen, wie Job geschlagen ist worden von dem Fürsten der Wildniß, von dem haarigen Bocke, redet auch nicht aus mir. Aber auch nicht Vergeßlichkeit, erzeugt vom Übermaaße der Verbrechen, hat entrissen meinem Gedächtnisse, was einst, wichtig wie allenfalls seyn kann ein Mord, sich ihm einprägte. Ich weiß noch herzuzählen an den Fingern die zweihundert und acht und vierzig Gebote, wie die dreihundert fünf und sechzig Verbote, denen ich mich mußte unterwerfen, da ich wurde im dreizehnten Jahre meines Lebens ein Ban Mitzra, das ist: ein Sohn des Gesetzes. Ich habe mich gewöhnt, aufzuzeichnen und zu behalten im Kopfe alle glückliche und unglückliche Tage meiner Jahre. Der glücklichen hatte ich wenig aufzuzeichnen: der unglücklichen jedoch zu behalten viele, denn ich bin ein schlechter Jude.« –

»Was soll das Gewäsche?« fragte der Oberstrichter barsch: »Spare die erheuchelnden Thränen für die Folterbank und den letzten Gang, elender grauer Dieb. Was hast Du noch vorzubringen? Kurz; sage ich Dir.«

»Ich werde seyn schnell zu Ende;« antwortete Jochai, mit schmerzlichen Lächeln in die Hände hauchend und über seine nassen Augen fahrend. »Ich will nur reden von der Zeit gestrenger Herr, da Ihr noch wart ungeboren, Euer Vater ein Knabe noch beinahe, und Euers Vaters Vater noch ein rüstiger Mann. Herr, ich habe erlebt, was sich jetzt noch die Enkel des damaligen Geschlechts erzählen mit behaglichem [162] Grausen. Herr, ich war schon gewesen ein Mann von vierzig Jahren, da des hochseligen Kaisers Carl IV. Majestät genau drei Jahre am Regiment gewesen, und da wir zählten das fünftausend einhundert und neunte Jahr der Welt, in welchem man allenthalben begann, die Juden zu schlachten, weil sie vergiftet haben sollten die Brunnen, verzaubert das Vieh und herbeigeflucht die große Pest. Mir gedenkt's wie der Tag von gestern, da das Gemetzel losbrach, hier zu Frankfurt, als die Geißler eingezogen waren mit Fahnen und Kerzen, und den vielen Bildern des gekreuzigten Mannes.« – »Der Heiland!« verbesserte der Oberstrichter finster; unterbrach jedoch, mit einer Art von Theilnahme sich vorlehnend, den Greis nicht, so sehr auch der Schreiber, den die anhebende Erzählung langweilte, mit ungeduldiger Geberde zum Unterbrechen mahnte. –

»Die Geißler haben gesungen durch die Straßen: Ach, so hebet eure Hände, daß sich doch das Sterben wende!« fuhr Jochai fort: »Mittlerweile aber sie sich die Rücken zerfleischten, und den Staub der Gassen düngten mit ihrem Blute, ist ein Feuer ausgebrochen, und weh! weh! in der ganzen Stadt gerufen worden. Unfern von unsrer Gasse war durch Nachläßigkeit oder vorsetzlichen Frevel der Brand aufgegangen. Ich stand gerade fertig, um über Land zu gehen, und zu holen mein Weib, daß heimgesucht hatte seine Eltern über dem Rheine. In meiner Mutter Stube stand ich, da die Glocken anfingen zu wimmern, und das Getöse überhand nahm in den Straßen. Die arme alte Frau von siebzig Jahren, [163] erblindet durch die Mühen des Gerwerbes, erschrack zum Tode, und schickte mich fort, zu sehen, was es gabe. Ich lief, ich schrie, ich entsetzte mich.« »Die Juden haben den Brand gemacht!« schrieen die rasenden Geißler auf den Gassen: »Wir haben's gesehen! Sie haben geschossen mit feurigen Pfeilen aus dem Hause zum Storch nach dem Rathhause! Und das Volk schrie nach, und dürstete Rache, und brach ein in die Häuser, die Geißler beständig voran, die raubten und sengten und metzelten. Herr! da kam ich heim, vor Angst und Ermattung halbtodt, um zu retten die blinde arme Mutter.« Die war in ihrer Herzensnoth herausgegangen zur Stube, und hatte sich zur Treppe gefühlt, war aber gestiegen hinauf, statt hinunter, und also gerathen auf den Speicher, wo nebenan des Nachbars Haus brannte lichterloh. Und ich stand vor'm Hause, und konnte nicht hinein, weil alles voll Plünderer wogte, und sah die liebe Frau, die mich geboren, am Giebelfenster stehen, wie sie die Hände rang und hinausrief in die Flammen, die sie nicht sah: »Sohn! Sohn! Jochai! Sohn Davids! wo bist Du? verlaß mich nicht!« Ich sah endlich, wie die Räuber zu ihr hinaufdrangen, und konnte, selbst geschlagen und mißhandelt, nicht herzu. »Heule nicht! Judenvettel!« donnerte der Verzweifelnden ein Mann zu, erhitzt von Wuth und angethan mit Grausamkeit: »Dort ist Sein Sohn! fahr gesund zum Teufel!« Und in die Flammen des Nachbarhauses flog die Blinde. »Auf ihrer Asche sey der Friede!« –

[164] Eine tiefe Stille folgte dieser Erzählung Jochai's. Der Oberstrichter starrte ungewissen Auges zu dem Gitter des Fensters empor; sprach aber keine Sylbe. Da schloß Jochai also: »Die Blinde, Herr, ist gewesen meine Mutter, und, der sie in das Feuer warf, Euer Großvater, Herr. Ich kenne demnach, was ein Jude zu gewärtigen hat von Euerm Geschlecht, und Ihr habt ein Pfand, daß ich nicht bin so vergeßlich, als Ihr glaubt. Was der Großvater übrig gelassen, mag nun verderben der Enkel.«

Der Oberstrichter schwieg noch immer mit äußerst nachdenklichem Gesichte. Er rieb sich heftig die Stirne, zog die Augenbraunen zusammen, und hing an einer unangenehmen Erinnerung. »Du bist also ...?« fragte er mit einemmale, wie bewußtlos, unterbrach sich aber schnell, und wendete sich zu dem Schreiber. »Ich bedarf Euers Diensts nicht;« sagte er: »Geht, und nehmt diesen Alten mit Euch. Der Thurmwächter soll ihm ein luftigeres und reinlicheres Gefängniß geben, und ihm förder die Ketten nicht mehr anlegen.«

Der Schreiber winkte dem staunenden Jochai, auf den Ben David schnell zuging, um ihn zu umarmen, und ihm die Hand zu küssen. »Ein Strahl der Milde bricht in die Hütten Jakobs!« sagte er heftig bewegt: »Raaf! zage nicht, und vertraue dem Herrn!« – Jochai schwankte hinaus mit dem Begleiter. Der Oberstrichter hatte seinen ganzen fürchterlichen Ernst wieder gesammelt, und redete zu Ben David. »Du siehst, wie barmherzig ich seyn kann. Ich habe Wille und Vollmacht, für Dich ein Gleiches [165] zu thun, wenn Du weniger halsstarrig seyn wolltest. Friedrich's Klage ist klar wie die Sonne, aber ein schwerer Verdacht, der sich in des Volkes Stimme gegen Dich erhebt, bedarf Deines bestätigenden Geständnisses. Bekenne, daß Du Diether's Mörder seyn wolltest, angereizt und besoldet von seinem treulosen Weibe. Gestehe ohne Scheu. Eine gnädige Behandlung, ein leichter Tod sey Dein Lohn dafür.« – »Heer!« erwiederte Ben David ohne Bedenken: »Wär' ich allein in das Gewebe verflochten, das mich Unschuldigen droht zu erwürgen, so sagte ich ohne Wahl und Furcht ein lautes: ›Ja!‹ Zu glücklich, um damit zu erkaufen Linderung der Kerkerqual, und einen schnellen, beschleunigten Tod unter den Fittigen des Boten der Barmherzigkeit, Gabriel, welcher die Seelen der unschuldig Sterbenden hinüberführt gen Canaan. Aber es ist wider das Gebot, eine fremde, schuldlose Seele mit zu tödten durch falsches Zeugniß. Ich kenne die Ehewirthin des Altbürgers nicht.« – »Du lügst;« entgegnete der Oberstrichter gereizt: »Du warst oft in ihrem Hause; ich habe Zeugen.« – »Gehandelt hab' ich mit der ehrsamen Frau;« gab David zu: »Doch soll mir Gott helfen, kenn' ich sie weiter.« – »Du lügst!« zürnte der Oberstrichter heftig: »Man hat Dich zur dunkeln Nachtzeit aus dem Hause schleichen sehen, in welches Du hineingekommen warst, unbemerkt, von Niemand geachtet. Du warst in fremder Tracht, beladen mit Geld, wie es schien, und doch wurde von einem Diebstahl nichts gehört. Also hast Du damals den Lohn des blutigen Werks im Voraus [166] empfangen, und den Handel geschlossen.« – »Gestrenger Herr!« entgegnete Ben David, seine Betroffenheit künstlich verbergend: »Da Meister Diether Frosch angefallen wurde, war ich zu Costnitz, und geträumt hat dem, der mich vermummt gesehen haben will.«

»Du ermüdest meine Langmuth!« schalt der Oberstrichter: »In der Folterkammer wirst Du geschmeidiger werden, sage ich Dir indessen voraus. Denk an mich!«

»Ich will es erwarten, Herr;« antwortete Ben David ruhig, und ließ sich geduldig die Ketten wieder anlegen, und in sein trauriges Verließ zurückbringen.

8. Kapitel
Achtes Kapitel.

Ich bin ein leibeigner Bauer,

Mein Leben wird mir sauer;

Ich steige auf den Birkenbaum,

Davon haue ich mir Sattel und Zaum;

Ich bind meine Schuhe mit Bast,

Ich füll' meinem Junker den Kast,

Leiste dem Pfarrherrn die Pflicht

Und weiß von Gott und seinem Worte nicht.

Liefländisches Volkslied.


»Wohin?« fragte Diether, im Begriff, sein Haus zu verlassen, um in seinem Garten Zerstreuung zu suchen, einen Mann in bäurischer Tracht, der, einen[167] Tragkorb auf dem Rücken, die Treppe hinanstieg. Der Mann hielt auf diese rasche, unvermuthete Frage still, sah mit offnem Munde hinauf, strich sich die Haare von der Stirne, und fragte, die Mütze in der Hand, entgegen, ob hier die Frau Altbürgerin Margarethe Frosch wohnhaft sey. Diether bejahte, und winkte dem Zaudernden näher zu kommen. »Was soll denn die ehrsame Frau?« begann er, dessen Mißtrauen durch die scheu umherschweifenden Blicke des Bauern erregt wurde. – »Ich muß selbst mit ihr reden;« meinte hierauf der Letztere, und die liebe Dummheit sprach sich in seinen Zügen und Worten aus: »Der Herr soll nichts davon erfahren, hat mein Weib gesagt; oder – seyd Ihr vielleicht der Herr?« – »Nicht doch;« erwiederte Diether kurz: »Ich bin Frau Margarethens vertrautester Freund, und Du kannst nichts Besseres thun, als auch mir Dein Gewerb vertrauen, weil die ehrsame Frau verreist ist, und unter einigen Tagen nicht wiederkehrt.« – »So?« sprach der Bauer, auf den Stock gelehnt: »Das ist einfältig, guter Freund. Wer wird mir denn abnehmen, was ich in meinem Kober trage?« – »Tritt hier herein!« befahl Diether, die Thüre seiner Stube öffnend: »Ich will Dir Botschaft und Werth abnehmen, Deine Zunge und Deinen Rücken ledig machen.« – Der Bauer sah sich verwundert in der Stube um, und wußte nicht recht, ob er niedersetzen oder fortgehen sollte. Diether gebot ihm hingegen nachdrücklich, den Inhalt des Korbes vorzuweisen; und mit einer dummpfiffigen Miene gehorchte endlich der Mensch. Mit einem verstockten Lächeln zog [168] er die grobe Leinwand von dem Korbe, in welchem ein kleines Mägdlein saß, das seine Händchen bittend dem Alten entgegenstreckte. Diether nahm das holde Kind schnell aus dem unbequemen Versteck, und maß staunend bald den Träger, bald seine Bürde. »Was soll das?« fragte er: »Ein Kind?« – Der Bauer lachte, und wiederholte: »Mein Seel, Herr, es ist ein Kind.« – »Wessen Kind? Sag an?« – »Hm!« versetzte der Bauer langsam, und kratzte sich auf dem Wirbel: »Herr, wenn ich das wüßte, mein Seel, ich wollt's Euch sagen.« – »Ist der Mann hier Dein Vater?« sagte Diether zu dem Kinde, das sein Köpfchen an des Alten Brust legte. Es schüttelte aber auf diese Frage das Haupt, und antwortete mit kindischem Lallen: »Nein, nein, Vater weit, Mutter weit, Agnes ganz allein gelassen!« – Diether begütigte das Mägdlein, so gut er es vermochte, und wendete sich wieder zu dem dämischen Boten, der mit eingebogenen Knieen und vorgestrecktem Halse da stand, ein gleichgültiger Zuschauer. – »Wer bist denn Du, Mensch, und wie hängt das Alles zusammen?« fragte der Altbürger. – »Mein Seel,« entgegnete der Bauer: »guter Herr und Freund, ich will Euch wohl sagen, daß man mich Paul getauft hat, und daß ich ein eigner Mann des gestrengen Grafen von Katzenelnbogen bin. Wir armen Leute wissen nicht, wie alt wir sind, aber, daß der Johannistag heuer zum ein und zwanzigsten Mal wiederkommt, seitdem ich mich mit meiner Willhild habe einsegnen lassen dürfen zu Wiesbad, – denn wir zu Moorweiler haben keinen Pfaffen für uns, – das [169] weiß ich genau.« – »Willhield?« wiederholte Diether; »wäre die Pflegerin meines Söhnleins ... des Herrn Diether's – wollte ich sagen, – wäre sie Dein Weib?« – »Mein Seel, Herr, sie ist's, wenn uns anders der Leutpriester recht eingesegnet hat.« – »So rede schnell. Was ist's mit dem Kinde, und was soll es bei Frau Margarethen?« – »I nu,« redete Paul: »mein Weib meint, daß es am Besten da aufgehoben wäre, weil es doch einmal die Tochter von der Frau ist.« – »Wer?« rief Diether mit gallebewegtem Blute: »Wer ist Margarethens Tochter.« »Ho, die müßt Ihr wohl kennen, wenn Ihr der Freund vom Hause seyd;« entgegnete der Bauer: »das schöne Weibsbild, das vorige Woche von der Heerstraße gestohlen wurde.« – »Wallrade?« –

»Recht, so heißt sie;« fuhr Paul fort: »und ihr Töchterlein ist das Kind hier, das sie bei uns zurückgelassen hat. Wir sollten's ihr aufheben, bis sie wieder käme.« – »Wallradens Kind?« sprach Diether bestürzt und entsetzt vor sich hin: »Barmherziger Gott! in welchen Höllenschlingen finde ich bei jedem Schritte Alle, die ich liebe!« – »Wie kam denn das Fräulein zu Euch!« setzte er laut hinzu. »Zu Wagen, lieber Freund;« antwortete Paul: »Was die Weiber mit einander schwätzten, weiß ich nicht, denn ich hatte die Frohne für meinen gestrengen Herrn, und die Willhild sagt mir auch nicht viel. Genug, da es Sonnabend war vor des Herrn Geburt, sollte ich mit herein und auf Alles Ja sagen, was die Frau, die Mutter nämlich von diesem [170] Kinde, erzählen und vorbringen würde.« – »Vor des Herrn Geburt?« wiederholte Diether kopfschüttelnd: »Mensch, bist Du irre; vor Ostern vielleicht?« – Meinetwegen vor Ostern, wenn das nicht Eins ist, was wir ungelehrte Leute nicht wissen. Es ist einmal noch nicht lange her. Die Frau war sehr aufgebracht und sagte einmal über das Andremal: »Ich will zurückkommen, ich will dem Vater sagen ... doch, das geht Euch nichts an, und ich weiß es auch nicht mehr so recht.« – »O meine Ahnung!« murmelte Diether durch die Zähne: »Strahlende Gewißheit bist Du geworden. Wallrade hat den wunden Fleck meines Hauses getroffen, Willhild zum Bekenntniß gebracht, den Bastard in meinem Geschlechte entlarvt. Ich müßte ihr danken, hätte sie nicht ähnliche Schande auf mein Haus gehäuft!« Er sah bei diesen Worten das Kind auf seinen Armen finster an, und drang in Paul, endlich doch fortzufahren, und zu endigen.

»Ich bin schon zu Ende:« versicherte der Bauer! »Die Frau wurde gestohlen, und ich lief heim, ohne zu wissen, wo sie hingekommen.« Einer von den Teufelsburschen hat mich gejagt wie einen Hasen, und Willhild mich noch obendrein ausgescholten. Und da die Frau nicht widerkam in den nächsten Tagen, und keine Kunde von hier aus, so redete meine kluge Willhild zu mir: »Morgen, Paul, nimmst Du das Mägdlein im Korbe mit Dir, und trägst es zu Frau Margarethen, denn die Mutter, fürchte ich, ist dahin, und ich könnte nicht ruhig sterben, wenn das Kind nicht versorgt wäre. Sage der ehrsamen Frau, [171] sie soll mir nicht böse seyn, allein ich mußte reden, um unser beider Seelenheil, und daß der alte Herr nicht ferner betrogen sey.« – »Hörst Du, alter Thor?« fragte Diether knirschend in sich hinein: – Weiter, Paul! – »Laß Dich aber nicht vom Herrn erwischen,« sagte das gute Weib ferner, fuhr Paul fort: »Es könnte mit diesem Kinde auch einen Hacken haben, wie mit dem Johannes, und zu viel Verdruß auf einmal muß man dem lieben Herrn nicht machen.« –

»Schweig!« herrschte Diether dem Erzähler zu, welcher erschrocken zusammenfuhr: »Aus Deinem Munde will ich nicht wissen, was noch zurück ist. Laß das Kind hier, und packe Dich, so lieb Dir Dein Leben ist, schnell aus der Stadt in die Heimath. Mit Dir, Du Tölpel, habe ich nichts zu schaffen. Aber Willhild soll kommen; übermorgen soll sie hier seyn, oder es schwer bereuen. Hinweg!« – »Na, na, lieber Freund,« sprach Paul begütigend: »ich will's wohl ausrichten, und die arme Willhild wird freilich kommen, wenn sie kann. Aber ... hier kratzte er sich wieder hinter den Ohren – es ist ein kitzlich Ding.« – »Wie so?« fragte Diether strenge. – »Das arme Weib wird wohl gestorben seyn;« versetzte Paul weinerlich: »der Pfaffe gab ihr, da ich heute früh aufbrach, nur zwei Stunden noch zu leben.« – »Verflucht!« zürnte Diether dumpf, und setzte das Kind nieder. – »Wenn Ihr jedoch ein vertrauter Freund des Herrn wart, wie der ehrsamen Frau,« fuhr Paul fort, »so wollte ich Euch wohl ein Brieflein für denselben zustellen.« – »Das [172] Bekenntniß meiner Schande!« seufzte Diether für sich, und griff finster nach dem Zettel, den ihm der Bauer reichte. »Ein verkleideter Mann gab ihn mir, da ich Moorweiler verließ;« setzte dieser hinzu: »Er mag wohl seine Ursachen haben, warum er ihn nicht selbst überbringt.«

Diether öffnete bedächtig den Zettel, und las zu seiner Verwunderung ganz andre Worte, als er vermuthet hatte. Es standen darin folgende: »Wisset, Schöff und Rathsherr, Diether Frosch, daß ein Freund seine Ehre bewahrt will haben, und Euch verrathen, an welchem Ort sich befindet Eure Tochter Wallrade. So Ihr am Tage, da der nächste Vollmond eintritt zur elften Stunde der Nacht Euch wollt einfinden an dem Feld-und Bannsteine, das Sprünglin genannt, unfern von Bergen, und mitbringen wollt einen Sack mit vierhundert Mark löthigen Silbers, sollt Ihr Alles wissen und erfahren, wie Ihr wieder zu Eurer Tochter gelangen könnt. Kommt allein, sonder Gefährde, sonst sucht Euch der rothe Hahn daheim. Ich bin der Niemand.« –

Mit finster gerunzelter Stirne sah Diether von dem Zettel zum Boten auf; Letzterer hatte aber für gut gefunden, sich – einem Unwetter vorzubeugen – aus dem Staube zu machen. Diether rief seinen Leibdiener herbei. Der Mensch wollte jedoch nichts von dem Bauern gesehen haben. – »Eitel!« sprach Diether unwirsch, da sein Auge wieder auf das Kind fiel, das still und furchtsam in der Ecke saß: »ist meiner Tochter Knecht noch nicht heimgekehrt von dem Streifzuge des Jungherrn?« Der Diener verneinte. – »Liegt die Magd [173] noch krank?« fuhr der Hausherr fort. – Eitel berichtete, daß seit dem gestrigen Tage das Fieber nachgelassen habe, das von dem Schrecken des Überfalls erregt, die Dirne bisher außer Stand gesetzt hatte, außer dem Bette zu bleiben, und Antwort auf die ihr vorgelegten Fragen zu ertheilen. Diether befahl, die Zofe heraufzusenden. Überlegend ging er auf und nieder. »Soll ich denn von der Magd erfahren, was mein Blut jetzt schon sieden macht? was mir jetzt schon klar wie der Tag ist?« fragte er endlich: »Nein! Diether,« – antwortete er entschlossen; – »Nein, sey Du gerade, bleibe Du redlich, wenn Dich auch der hinterlistige Verrath umgibt. Schirme, so viel als möglich, die Ehre Deines Namens.«

Er führte das Kind in die Kammer, und unmittelbar darauf trat die Zofe Wallradens, eine hübsche, etwas blasse Dirne zu ihm in's Gemach, gewärtig, seine Befehle zu empfangen.

»Du bist eine feine Magd;« begann Diether ernst: »Deine Gebieterin schmachtet in arger Haft, und Du denkst nicht einmal an das Kind, das sie hülflos zurückgelassen?« »Ihr Kind?« entgegnete die Dirne betroffen, und ihr Angesicht wurde bluthroth: »Ach, gestrenger Herr, Ihr wißt ...?« – »Wie sollt' ich nicht?« fragte Diether mit scheinbarer Unbefangenheit entgegen, obgleich die Bestätigung von Paul's Bericht sein Herz durchschnitt: »Unverzeihlich ist es von Euch, zugegeben zu haben ....« – »Ach Herr,« seufzte das Mädchen ängstlich: »Vergebt uns. Der Diener muß gehorchen und schweigen, so die Herrschaft befiehlt. Und da es Gott so gut [174] gemacht hatte mit dem Kleinen, ... in welchen Händen konnten wir das Kind lieber sehen ....?« – »Als in Willhildens Hütte, bei der Sterbenden?« unterbrach sie Diether rasch: »Unverzeihliches Beginnen der Mutter und der Pfleger! und mir ein Geheimniß aus dem zu machen, was ich wußte, blieb das arme Kind verwahrlost zurück?« – Die Magd wollte reden. – »Kein Wort, bei meinem Zorn!« fuhr Diether auf: »Ich sehe hell und brauche Euer Deuteln nicht. Hier ist das Kind« – er führte das Mägdlein aus der Kammer .... »heute mag es noch bei Dir im Hause bleiben; ich mache Dir's jedoch zur Pflicht, vor Niemand es sehen zu lassen; vor meiner ... vor Frau Margarethen am allerwenigsten. – Wo die Mutter nicht gern gesehen ist, wird das Kind verachtet;« schaltete er bitter ein, und endigte mit dem Versprechen, der Zofe und dem Töchterlein mit dem nächsten Tage eine Zuflucht anzuweisen, in welcher sie die Befreiung der Mutter zu verbleiben hätten. – Die Zofe schwieg gehorsam; in ihren Augen war jedoch ein gewisses Staunen nicht wohl zu verkennen, da Diether ihr das Mägdlein hinreichte, das sich mit dem Schmeichelworte: »Ach, Du liebe Gundel! Du bist da?« an der Erröthenden Brust schmiegte. »Sieh da, Agnes, Du hier?« entgegnete der Mund der Letztern endlich, und nachdem sie noch einige Fragen des Altbürgers, die er, geflissentlich den Aufenthalt im Wiesbad und die Geschichte des Kindes umgehend, über einige Umstände des Raubes auf der Heerstraße an sie richtete, [175] beantwortet hatte, ging sie stille und demüthig mit der müden Agnes hinweg.

Diether saß lange da, und konnte des Grollens in seiner verwundeten Brust nicht Herr werden. Der Groll wich endlich auf kurze Weile, und ein unsäglicher stummer Schmerz trat für ihn ein. Der Gedanke, von Weib und Sohn sich verrathen, von der tugendhaft geglaubten Wallrade entehrt zu sehn, preßte dem alten Manne dicke Tropfen der innersten Marter aus den Augen, und in solcher Niedergeschlagenheit fand ihn der Oberstrichter, welcher plötzlich in dem Gemache erschien. Der Eintritt desselben machte keinen unangenehmen Eindruck auf den Leidenden. In einer nicht unbedeutenden Reihe von Jahren durch die Geschäfte des Kriegs und des Friedens verbunden, hatten sich beide einander freundschaftlich genähert, ohne innige Freunde geworden zu seyn. Der Oberstrichter, dessen größter Fehler ein Jähzorn war, leicht zu wecken, schwer zu besänftigen, hatte keinen Grund gehabt, Diethern gehässig zu seyn, und dieses letztere Mißtrauen, von des höfelnden Schultheißen Bewerbungen um Margarethens Gunst aufgereizt, hatte den für Frauen nicht empfänglichen Oberstrichter unverwehrt dann und wann das Haus besuchen lassen. Sogar der verdrießliche Auftritt mit Dagobert auf Limpurg hatte Diether nicht von dem Richter entfernt, obschon der letztere unverholen auf des Schultheißen Seite gewesen. Gewohnheit hatte sie, die beide gegen Dagobert grollten, zusammen gehalten. Auch heute reichte Diether dem Gaste die Hand zur stummen Begrüßung. – »Gott walte im Hause!« [176] sprach der Oberstrichter: »Vergebt, Alter, daß ich einbreche wie ein Kundschafter. Von Eurer Wallrade ist noch keine Spur zu finden, und der Stadthauptmann in Verzweiflung, Euch nicht kräftiger dienen zu können. Die Aussagen des Knechts reichen nicht hin, und nicht die der Zofe, wie ich vernehme. Beide wissen nur, daß die Veste, in welche man sie geschleppt, weit von hier liegen muß, und aussieht wie ein jedes Schloß im Innern auszusehen pflegt. Man muß von der Zeit erwarten, was sich jetzo nicht fördern mag. Ein ander Geschäft bringt mich hieher. Ich suche Vollbrecht, Euers Sohnes Knecht. Sein ehemaliger Herr ist in den Handel des Juden verwickelt, und am Ende weiß der Knecht mehr davon, als wir alle.« – »Vollbrecht ist mit Dagobert auf die Streife gezogen,« erläuterte der Altbürger. – »Hm!« brummte der Oberstrichter: »da werden wohl beide nimmer heimkehren. Euerm Sohne ist's schwerlich Ernst, die Schwester aufzusuchen, deren Gefängniß ihm bekannt genug seyn mag. Und das böse Gewissen wird schon das Übrige thun. Ich bedaure Euch, alter Freund, Ihr habt keine Freude an dem Erben Euers Namens, denn ... was den Johannes betrifft ....« – »Schweigt um's Himmelswillen!« unterbrach ihn Diether: »Schmerz und Zorn zersprengen mein Herz. Nicht der leiseste Zweifel bleibt mir mehr. Dieß sey Euch genug. Mein lasterhaftes Weib ist aus meiner Liebe gestoßen, wie ich es schon aus meinen Armen stieß.« – »Und dennoch wollt Ihr nicht glauben, was die ganze Stadt glaubt;« erinnerte der Oberstrichter: »das [177] Laster geht riesengroß einher, sobald man es nicht im Wachsthum tödtet. Glaubt mir; Ben David wollte Euch erwürgen; Ben David wurde dafür von Margarethen gedungen. Schüttelt nicht das Haupt. Die Zeit trifft zusammen. Eitel, euer Knecht, glaubt in jenem Manne, der bei Nachtzeit aus dem Hause schlich, den mit Geld beladnen Juden entdeckt zu haben. Dagobert hatte dazumal schon den Freibrief von dem Papste erwirkt; Dagobert sollte zurückkehren. Gatte und Vater war im Wege.« – »O daß ich es glauben muß!« seufzte Diether trostlos: »aber, hörten meine Ohren nicht selbst, wie die Sünderin ihrem Buhler die Rettung des Juden so dringend empfahl? Warum, wenn nicht ....?« – »Hört ferner:« fuhr der Oberstrichter fort »In unserm Thurme liegt ein junger Bube, ein angehender Helfershelfer der Blutzapfer; ein Lehrling des Webergesellen Borames. Ein einzigmal ist der Bube in der Mörder Genossame gekommen, ohne, wie er schwört – einen einzigen derselben zu kennen, noch den Ort wieder bezeichnen zu können, an den er damals in einer Schneenacht geführt worden. In jenem Mordwinkel jedoch, behauptet er gehört zu haben, daß ein Ritter mit dem Juden einen Handel abgeschlossen, Euch aus der Welt zu schaffen; um zehn Pfund Heller glaubt er, seyet Ihr verkauft worden.« – »O der Niederträchtigkeit!« rief Diether empört: »und dieser Ritter ....?« – »Dagobert oder Euer Schwager von Leuenberg;« antwortete der Freund achselzuckend. – »Schändlich!« jammerte der trostlose Vater: »Ich bin Preis gegeben [178] dem abscheulichsten Meuchelmord, und weiß es nicht, in welcher Hand der Dolch mich bedroht.« – »Das Mittel, hell zu sehen,« fuhr der Oberstrichter fort, »wäre, der Anklage freien Lauf zu geben, die ich gegen Euer Weib verhängen will, und die das Geständniß des Juden bekräftigen muß. Die Wahrheit muß alsdann durch Gottes Fürsicht an den Tag kommen.« – »Nimmermehr;« erklärte Diether mit schneller Fassung: »nicht also beschimpfe ich selbst mein Haus. Das Weib, das ich einst liebte, sollte ich der öffentlichen Schande Preis geben, einem schmählichen Tode überliefern? Nein! ich will nicht klagen, und verbiete Euch, es zu thun. Ich werde die Sünderin von mir entfernen, über als eine letzte Gnade empfange sie ihr Leben von mir.« – »Ihr seyd die Milde selbst,« äußerte der Oberstrichter: »ich weiß jedoch nicht, ob ich Eurer Barmherzigkeit werde willfahren können. Des Schultheißen Befehl dürften ...« – »Der Schultheiß wird nicht als Kläger auftreten können, so lange ich schweige,« versetzte Diether heftig. – »Wohl und recht;« sprach der andre nach einer Weile: »erlaubt jedoch, daß ich Euch auf eine Pflicht aufmerksam mache, die Ihr – böslich, will ich nicht glauben – aber lässig zu übersehen scheint.« – Hiemit ging der Oberstrichter nach der Thüre, sah behutsam hinaus, ob Niemand um die Wege, kehrte dann zurück, und zog Margarethens Gatten in die Ecke. »Euer Sohn,« sprach er, »hat ein gewaltig Ärgerniß gegeben, und seine Vergehen sind weltbekannt. Er hat geschändet Euer Haus in sträflichem Bunde mit Eurem Weibe; er hat entehrt Euern[179] Stamm, der einen wilden Zweig in seiner edeln Krone trägt. Er hat höchst wahrscheinlich einen Mörder gedungen gegen Euch; er hat das richterliche Amt verletzt auf öffentlicher Straße, eine schlechte Judendirne vertheidigend; er lebt, nach wohlverbürgten Angaben in Buhlerei mit dieser Jüdin, deren Schlupfwinkel die Gerechtigkeit nur zu erfahren strebt, um ihr den wohlverdienten Lohn werden zu lassen. Blutschande, Verletzung kaiserlicher Majestät, Mord, Abfall vom christlichen Glauben nennt man obige Vergehen. Ihr hemmt den Arm der öffentlichen Rechtspflege; aber die Sünde soll nicht ungestraft bleiben, da auch im Verborgnen gerichtet wird unter dem höchsten Königsbann. Ich frage Euch also, Diether Frosch, Schöppe der heimlichen beschlossenen Acht, ... was werdet Ihr thun?« – Diether fuhr heftig zusammen, und mußte sich an dem Gesimse anhalten, um nicht hinzusinken. Der Oberstrichter raunte ihm hierauf in die Ohren: »Denkt Euers Eides, und Eurer frei-kaiserlichen Schöppenpflicht. Einmal habe ich gewarnt. Ich thue es nicht das zweite Mal. Nächsten Dienstag wird gehegt, und der Stuhl erwartet Eure Klage.« – »Um Gott!« seufzte Diether: »Dieses Gräßliche hat mir nicht geahnt. Um des Heilands willen! eben so gut hätte ich meinem Sohne, der doch mein Fleisch und Blut bleibt, den Dolch in die Brust stoßen können, denn – muß ich dort klagen, ist er ohne Gnade dahin.« – »Ertapptet Ihr ihn auf handhaftiger That, so wär's an Euch, in des Königs Namen zu richten;« versetzte der Oberstrichter kalt: »verbessert jetzo Euern[180] Fehler. Die Pflicht ist schwer, ich geb' es zu; aber eines echten Freischöffen schwerste Pflicht ist seinem Eide etwas Leichtes. Lebt wohl, Bruder. Gedenkt Euers Schwurs.« – Der Oberstrichter überließ den Altbürger seinen Betrachtungen, wie unerbittlichen Henkern ein vergebens widerstrebendes Opfer.

Da nun der ehrbare Herr sich dem Rathhause näherte, sah er an dessen Pforte den Schultheiß stehn, im vertraulichen Gespräche mit Zodick, den er jedoch bald entließ, da er des Oberstrichters ansichtig wurde. Der Letztere säumte nicht, seinem Gönner und Freunde zu berichten, daß durch seine Bemühungen alles Verdächtige in Diether's Hause sich zu entwickeln im Begriffe stehe. Der Schultheiß lächelte freundlich bei dieser Kunde. – »Recht, mein guter Herr und Freund;« sprach er: »hier gilt es viel zu thun für Euern Eifer, das Böse, das sich halsstarrig Euerm Falkenblick zu entgehen strebt, an's Tagslicht zu ziehen.Mir,« setzte er lächelnd hinzu: »mir ist das Glück nicht so günstig. So oben benachrichtigt mich der getaufte Jude, daß es ihm noch nicht gelungen, den Aufenthalt Esther's auszuwittern, und ich darf Euch versichern, daß ich des Geldes nicht schonen würde, ihn zu entdecken.« – Der Oberstrichter wiegte achselzuckend den Kopf. »Ich konnte nicht wissen,« entgegnete er, »daß die armselige Jüdin Euch es angethan. Ich hätte sie wahrlich nicht so wohlfeilen Kaufs damals entkommen lassen.« – »O, Ihr wißt nicht, was schön ist!« versetzte der Schultheiß seufzend: »Das verwilderte Gesicht eines Mörders, der schon Jahre lang in Euern Kerkern modert, hat [181] der Reize mehr für Euch als die Rosenwangen des schönsten Frauenbildes. Schafft mir diejenige wieder, nach deren Besitz ich mich unaussprechlich sehne, und verlangt von mir, was Ihr wollt. Mein schöner floßreicher Weiher am Feldberg hat Euch beständig so wohl gefallen. Er ist Euer mit all seinen Fischen, für das einzige Fischlein, das Ihr aus dem Netze ließt, weil Ihr seinen Werth nicht zu schätzen wußtet.« – »Traun, Herr Schultheiß,« lachte der Oberstrichter: »ich war all mein Tage ein schlechter und lässiger Dirnenfänger, aber dort seh' ich, wie mich dünkt, einen ganz andern Fisch die Straße heraufschwimmen, der noch nicht einmal weiß, an welcher Angel er hängt.« – Es wälzte sich auch wirklich durch die ziemlich enge Gasse ein Schwarm von Menschen daher mit Sing und Sang und Pfeifenklang, die sich gar fröhlich geberdeten. Zwei Gestalten in buntfarbiger Kleidung, – junge Männer, die ihre jugendlichen Gesichter mit ungeheuern falschen Bärten verziert hatten, – eröffneten den kleinen Zug, lange Schwerter auf den Schultern tragend. Ein Panner- und Schildträger folgte auf sie, und ihnen nach jubelte die ganze Zunft der Harnischer und Waffenschmiede, dem Reiter, der in ihrer Mitte langsam und gravitätisch einherklepperte, ein helles »Lebehoch!« bringend.

»Ist das nicht der von Hülshofen?« fragte der Schultheiß, die Hand vor die Augen haltend, um besser zu sehen. – »So ist's, gestrenger Herr,« erwiederte der Oberstrichter: »auf meine Einladung in Euerm Namen kehrt er zurück, und ich gönnte [182] ihm gerne das kurze Festgepränge, das ihm die Waffenschmiede zugedacht, da er in Costnitz durch seine Fechterkunst unsrer Stadt viel Ehr' und Ruhm erworben. An Euch ist es nun, ihm anzukünden, wozu er eigentlich hieherberufen.« – »Das geschehe auch auf der Stelle,« meinte der Schultheiß, und zog sich mit seinem Freunde an die innere Treppe zurück, da die ankommende Menge schon anfing, die Pforte zu belagern. Mit einem dreimaligen Vivat, dem Kämpfer und der Vaterstadt dargebracht, wurde Gerhard vom Gaule gehoben, und betrat die Schwelle des Heiligthums der Gerechtigkeit. Zu seiner Linken trug man sein Wappen und die Waffenstücke, die er im Rennen zu Dank erhalten; zu seiner Rechten das Panner der Zunft, und die in Turnieren eroberten Stechfähnlein. Mit einer bescheidnen Unterwürfigkeit, aber nicht ohne jenes Selbstbewußtseyn, das so gerne dem wirklichen oder Schein-Verdienst entspringt, näherte sich der Fechter dem Vorsteher der Stadt, und empfahl sich seinem Wohlwollen, mit der Bitte, ihm die Ursache wissen zu lassen, die seinen also schnellen Aufbruch von Costnitz nöthig gemacht. – Der Schultheiß erwiederte mit Würde: man würde ihm diese Ursache nicht vorenthalten, sobald er sein Geleite verabschiedet haben würde. – »Nun, so geht denn hin, ihr guten Jungen;« sprach Gerhard zu den jubelnden Freunden: »Gott hat meinen Einritt gesegnet, und mich mit allerlei Ruhm bekrönt wiederkehren lassen. Eure Freude thut meinem Herzen wohl, aber noch wohler wird meiner dürftenden Kehle der Firnewein thun, den ich von Eurer Freigebigkeit zu erhalten [183] hoffe, gehet darum hin auf Eure Stube, und pflanzt die weißen Holzbecher auf, die ich so sehr liebe, und diese Waffen und Fähnlein, die Zeugen der Tapferkeit, mit welcher ich das Ansehen Eurer Stadt in der Fremde behauptete. Mit den gestrengen Herren allhier habe ich noch einige Worte zu wechseln, und dann bin ich bei Euch, ehe Ihr's Euch verseht.« – Die Meister der Zunft schüttelten dem erprobten Zecher und Raufer die mächtige Faust, die Gesellen schlugen die kleinen Tartschen und Kolben aneinander, mit denen sie sich der Festlichkeit halber geschmückt hatten. Die Pfeifer bließen zum Rückzug, und unter gellendem Freudengeschrei wurde dieser auch wirklich angetreten. Gerhard stieg mit den beiden Machthabern die Treppe vollends hinan, und erschöpfte sich in prahlerischen Redensarten, und in der Wiederholung der Grüße und Freundschaftsversicherungen, welche ihm, seinen Betheuerungen zu Folge, Fürsten und Herren an den wohlweisen Rath von Frankfurt aufgetragen, mit auf den Weg gegeben hatten. In dem Strome seiner langathmigen Rede dahinschwimmend, und wie ein geschickter Schütze immer das vorgesteckte Ziel erreichend, und die Hoffnung berührend, die er auf die bekannte Großmuth und Freigebigkeit des Magistrats gesetzt, bemerkte Gerhard nicht, daß Schultheiß und Oberstrichter hartnäckig schwiegen, und kein Wörtlein auf all diese zudringlichen Höflichkeiten zu erwiedern Lust hatten. Da aber die Thüre des Schöffengemachs hinter ihnen zugefallen war, und Gerhard sich noch immer vergebens nach einem freundlichen Gesichte umsah, statt [184] dessen jedoch nur zwei ganz ernsthafte vor sich erblickte, wurde ihm anders zu Sinne. Er schwieg ebenfalls, und manche längst vergessene Schalkheit, für die er jetzo zur Verantwortung gezogen zu werden befürchtete, drang sich seiner Erinnerung auf; indessen glaubte er aus allen Himmeln zu fallen, als ihn der Schultheiß folgendermaßen anredete: »Herr! Ihr habt Euch zu Costnitz gehalten wie ein Mann; glaubte ich nicht den Berichten der dort anwesenden Schöffen, ich müßte es Euerm ruhmredigen Mund unbedingt glauben; allein nicht um Eurer Thaten willen belobt zu werden, wurdet Ihr zurückberufen, sondern um Rechenschaft zu geben von einer Handlung, die sich eben so wenig mit Euerm Wappen, als mit Euerm Stand als Dienstmann dieser reichsfreien Stadt verträgt. Darum werdet Ihr Belieben tragen, Eure Wehr an den ehrbaren Herrn hier zu meiner Seite abzuliefern, und in seinem Hause für's Erste ritterliche Haft Euch gefallen zu lassen. Von Euerm Benehmen und Euern Geständnissen wird es abhängen, ob Ihr daselbst verbleiben dürft, oder härtern Gewahrsams schuldig seyd.«

Der Edelknecht stand verblüfft, und spielte in seiner Verlegenheit mit dem Wehrgehänge. »Gestrenger Herr,« versetzte er endlich: »Gott der Herr behüte meine Ohren; ich fürchte aber, sie haben falsch gehört. Ich wüßte nicht, welcher Popanz von Gläubiger mich verklagt haben könnte. In Costnitz hat der Wirth zum Engel mein Kerbholz feierlich zerbrochen, und in allen Ehren auf der Schiefertafel das Zeichen, das mich vorstellte, ausgelöscht. Ich bin [185] frei dort weggegangen wie der Barfüßer, der den besten Schmaus mir mit einem Gratias vergilt. Kleine Lumpereien zu geschweigen, welche einige gemeine Hintersassenseelen allhier von mir zu fordern haben, bin ich ohne alle Schulden, und begreife darum nicht, warum ich in des ehrbaren Herrn Oberstrichters Hause meine Schlafstätte aufschlagen soll 1. Hier ist ein Irrthum, liebe Herren und Meister.«

»Mit nichten, Junker;« erwiederte der Oberst-richter: »Von Eurer gewöhnlichen Krankheit ist diesmal nicht die Rede. Ihr gebt einen sehr unvortheilhaften Begriff von Euerer christlichen Gewissenhaftigkeit, daß Ihr keine Ahnung von dem Vergehen kund gebt, dessen man Euch bezüchtigt. Da sich jedoch Eure Erinnerungen meistentheils nur an Herbergen und Trinktische knüpfen, so brauche ich Euch nur den Wirth zur Traube zu Worms in's Gedächtniß zu rufen, um Euch mit einemmale von Allem in Kenntniß zu setzen.« – »Ha! der Schelm!« braußte Gerhard auf: »Ich wollte, ich dürfte bei einem Ringelrennen seinen nichtswürdigen Glotzkopf vom Rumpfe stechen. Der Bursche lügt, wenn er das Kleinste noch an mich begehrt. Hie Paar Turnosen, die ich ihm schuldig wurde, weil er immer doppelt und dreifach in's Holz schneidet, sind ihm längst bezahlt; das will ich durch einen gestabten Eid erhärten und bekräftigen.« – »Laß das!« antwortete der Schultheiß verächtlich: »Daß Ihr[186] zahltet, wissen wir. Sagt uns lieber, wie Ihr bezahlet.«

»Je nun,« .... hob Gerhard an, und verstummte aber in selbigem Augenblick, da ihm plötzlich der Handel mit dem Juden beifiel. – Der Oberstrichter fiel dagegen siegreich ein: »Da haben wir's. Dieses Stocken verräth den ganzen Hergang. Die Wormser Juden haben Recht, und Junker Gerhard wird sich freisam herausreden müssen, wenn er mit ehrlichem Schild aus dem Gedränge zu kommen Lust hat.« – Gerhard nahm mit einer wehmüthigen Miene das Schwert von der Hüfte und reichte es wie ein armer Sünder dem Oberstrichter hin. – »Getrenge Herren,« stammelte er verlegen: »Eure Weisheit und Gerechtigkeit wird ja wohl einen Fehler von einem Verbrechen unterscheiden.« »Nicht alles, was Juden und ähnliche Heiden über einen eifrigen Christen aussagen, ist ein Evangelium. – Ich vermuthe,« fuhr er immer verzagter fort, während seine Zuhörer das Lachen verbeißen mußten, – »daß hier von einem gewissen Knaben die Rede werden dürfte, der mir zu Worms plötzlich zu, und noch plötzlicher abhanden gekommen seyn soll. Ich kann jedoch einen körperlichen Eid darauf ablegen, daß der verdammte Jude,« .... – »hier ist nicht der Ort zu Eurer Rechtfertigung, noch zum Eide,« unterbrach ihn der Schultheiß: »Der Oberstrichter wird Euch beides abfordern, wann er es für nöthig erachtet. Folgt ihm jetzt.« – Gerhard rieb sich ängstlich die Stirne. »Euer Haus, liebster Herr,« seufzte er, »ist so nahe am Eschenheimer Thurm, [187] daß ich nichts Gutes aus meiner Einkehr bei Euch erwachsen sehe. Und dennoch – Ihr werdet sehen – bin ich eigentlich schuldlos. Laßt mich daher zum mindesten im Staat gewahrsam. Ich gebe Euch meinen adlichen Handschlag, durch kein Pförtlein noch Thor zu entwischen.« – Der Oberstrichter verneinte. – »Traut Ihr dem Worte eines biedern Edelmanns nicht, so verstattet mir einen Bürgen;« fuhr Gerhard dringender fort. »Mein bester Freund lebt zum Glücke hier, Herr Dagobert Frosch des Schöffen Sohn. Er wird sich für meine Redlichkeit und Haft verbürgen, und mir ein vorteilhaft Zeugniß geben können, da, wie mir gerade einfällt, er selbst just bei dieser ganzen Wormser Begebenheit gegenwärtig gewesen.«

»Dagobert Frosch?« fragte der Oberstrichter schnell. – »Der junge Mann hat ja überall die Hände im Spiel;« setzte der Schultheiß mit Schadenfreude hinzu, und dem armen Gerhard wurde es mit einemmale recht klar, daß er des Freundes wohl zu vorschnell erwähnt hatte. Nun half ihm kein Zögern mehr. Der Schultheiß wieß ihn bloß auf ein aufrichtiges Bekennen an, und, statt auf der Zunftstube Wein und Lob im ungeheuern Maße zu genießen, mußte er dem Oberstrichter ohne Widerrede folgen. Wie ein Sieger war er eingezogen, und saß nun zwischen vier kahlen Wänden. Von einer Säule des Ruhms hatte ihm geträumt, und vor den Gittern seines Fensters streckte sich der Eschenheimer Thurm in die Höhe, sein künftiger Aufenthalt, wenn Zufall oder Willkür oder Gerechtigkeit seine Lage [188] verschlimmern würden. Von Dagoberts Klugheit allein hoffte er einen Ausweg aus diesem Gewirre von bösen Folgen einer übeln That, und darum war bald der Entschluß in ihm fest geworden, den jungen Mann ohne Rückhalt mit in die Geschichte zu verwickeln; überzeugt, daß der Verstand desselben gewiß Sieger werden würde.

Fußnoten

1 Des Oberstrichters Wohnung war in der Regel das Schuldgefängniß angesehener Leute.

9. Kapitel
Neuntes Kapitel.

Ein wenig Lieb' ist karg und leer,

Ein wenig Lieb' ist keine;

Viel Lieb' ist eben auch nicht mehr;

Lieb' ist die völlig Eine,

Lieb' ist nicht wenig und nicht viel,

Deine Lieb' ist ohne Maß und Ziel.

St. Schütz


»Leb' wohl, mein süßes Kind! Gott behüte Dich, arme Maid!« hatte Dagobert bei seinem Abschiede zu Esther gesprochen, und dieses einfache herzliche Lebewohl war der Verlaßenen fest im Gedächtniß geblieben. An jedem Tage wiederholte sie wohl tausendmal die Worte ihres Beschützers, wie ein frommes Gebet, denn sie schienen ihr einen unfehlbaren Segen zu enthalten. Die gute Crescenz, die – ein seltnes Beispiel in ihrer finstern Zeit – Dankbarkeit höher achtete, denn Vorurtheil, bemühte sich, an Esther aus Kräften zu vergelten, was sie von [189] deren Vater empfangen, und war treu in der Sorgfalt, die sie dem scheidenden Junker Dagobert gelobt hatte. Auf diese Weise konnte es denn geschehen, daß Esther auf dem Schellenhofe einige Tage verlebte, so ruhig, als sie nur, den Umständen nach, seyn konnten. In einem versteckten Giebelstübchen hausend, von niemand bemerkt. Allen im Hause fremd, – die gutmüthige Pflegerin ausgenommen – hatte sie völlige Muße, ihres treuen Freundes zu denken, und ihres armen Vaters, den sie nicht sehen zu wollen dem Junker, welcher für ihre eigne Freiheit zitterte, hatte versprechen müssen. Sobald jedoch die Dämmrung heranschlich, durfte sie auch von den Gegenständen ihrer Liebe sprechen, denn Frau Crescenz nahm alsdann Platz an ihrer Seite im traulichen Kämmerlein, und geschwatzt wurde von der Vergangenheit und gebaut auf die Zukunft. Wollte nun auch Estehr's Vertrauen auf diese letztere wanken, so war die fromme Hauswirthin bereit, mit unzähligen Trost- und Denksprüchen dieses Vertrauen zu befestigen, erinnerte die Zagende an die Unschuld ihres Vaters, die denn doch gewiß, wie Alles, an den Tag kommen müßte, an den Freund, den ihr die Vorsicht zugesandt, und an die unendliche Gnade Gottes, die auch an ihr sich wunderthätig erweisen werde. – »Glaube mir;« sprach die wackre Alte dann: »was auch Deine Rabbiner sagen mögen, – Ihr habt keinen andern Gott, denn wir. Er ist der Einzige der alle Mensch mit gleicher Liebe umfaßt. Es ist freilich ein Unglück, daß Du noch in den Irrthümern Deiner Glaubensbrüder verstrickt liegst, allein [190] der Herr wird Euch schon davon befreien, wann es zu Euerm wahren Heil seyn wird. Ich denke, Euerm Beschützer, der sich ja ohnehin der heiligen Kirche zu weihen hat, wird das fromme Werk Eurer Bekehrung vorbehalten seyn, und einen bessern Täufer findet Ihr niemals. Bis dahin tröste Dich jedoch mit dem Beispiele andrer Unglücklichen, die aus ihren tiefen Nöthen zum Herrn emporschreien und seufzen, je nachdem sie ihr Elend offenkundig machen dürfen, oder geheim halten müssen. Geld und Gut macht nicht glücklich, die liebe Gesundheit des Leibes sogar nicht, aber die weit bessre Gesundheit der Seele und des Gewissens, die Zufriedenheit in Herz und Haus. Sieh nur einmal die Eltern unsers ehrsamen Junkers Dagobert: Reichthum die Hülle und Fülle, und doch nicht glücklich, nicht einig.« – »Esther horchte auf, und fragte nach der Ursache. Crescentia schüttelte bedeutend den Kopf, und meinte, Gerüchte wie sie des Pöbels lügenhafter Mund ersinne, zu wiederholen, gezieme einer gottesfürchtigen Frau nicht.« – »Meine Else hat mir auch mehr des Unheils ahnen lassen, als wirklich erzählt;« setzte die Alte bei: »aber ein böser Wurm muß an dem Leben und dem Frieden der beiden Eheleute nagen. Sie sind, wenn gleich von derselben Mauer umschlossen, getrennt in ihrem eignen Hause, und der Himmel weiß, welch Unheil noch aus all den bösen Vorzeichen sich entwickeln wird. Eh, als eine treue Dienerin des Hauses, baue fest auf die Vermittlung des jungen Herrn, der wohl bald im Kleide des Friedens zwischen die beiden treten und sie versöhnen wird.« – [191] »Jawohl!« bekräftigte Esther mit schwärmerischem Ausdruck: »Er ist ja ein versöhnender Engel! ein gar holder lieblicher Diener des barmherzigsten Herrn, wie er sie nicht häufig zur Erde niedersendet.« – »Du sprichst ja fromm und zart, wie ein heiliges Buch!« bemerkte Crescenz wohlgefällig lächelnd: »Wandle fort in dieser Bahn, so wirst Du bald den Herrn in seiner reinsten Glorie erkennen lernen. Verehre immerhin den tugendhaften Junker als einen Heiligen und liebe ihn wie einen solchen. Es ist völlig in der Ordnung, daß er sich nimmer ehelich verbinden darf. Er gehört nämlich unter die seltnen Männer, die zu edel sind, um blos als Männer geliebt zu werden. Meinst Du nicht auch?« – Verschämt und stumm gab ihr Esther vollkommen Recht, insofern ihr Haupt nickte. Was aber auf dem Grunde ihres Herzens vorging, mochte sie der freundlichen Wirthin doch nicht enthüllen. Sie mochte ihr nicht entdecken, wie Dagobert so ganz der Abgott ihrer Seele geworden, wie sie sich sehne, ihn zu umfangen hier auf der Erde wie jenseits in den Himmeln. Sie mochte ihr nicht gestehen, daß selbst des Vaters Leiden nicht den Sturm in ihrer Brust erregten, als der einfache Gedanke, es möchte dem geliebten Dagobert auf seinem Zuge ein Leid begegnen. Zerrissen von herbem Kummer, und beseligt von verschwiegener Liebe verschloß Esther den Schmerz und die Lust ihrer Abgeschiedenheit in sich, um flehte täglich zu dem Gott ihrer Väter um die Erfüllung ihrer heißesten Wünsche: um Dagobert's Rückkehr, um Ben David's und Jochai's Befreiung durch des Edeln Hülfe [192] und Macht, um ungestörte Verborgenheit bis zu diesem ersehnten Zeitpunkte. Diese Verbogenheit aber konnte sie dem Geschick nicht abringen. Am folgenden Tage wurde Crescentia, da sie gerade ihrer Schutzbefohlnen das Vesperbrod gebracht hatte, durch den Klang der wohlbekannten Thorschelle abgerufen, um einen Besuch zu empfangen. Esther, deren Busen hoch schlug in der Erwartung des Geliebten, lauschte an der Treppe, ob nicht die erfreuliche Stimme des Junkers unten laut würde. Sie hörte Reden aus männlichem und weiblichem Munde wechseln, und endlich in Crescentia's Wohnstube verhallen, und bereits wollte sie, mißmuthig über die Täuschung ihres sehnsuchtvollen Herzens, in ihre Klause zurückkehren, um sich einzuriegeln, als ein leiser knisternder Schritt sich auf den Treppen hören ließ, die zu ihrem Versteck führten. Die Hoffnung erneute sich in ihrer Brust. O gewiß! dachte sie, ... o gewiß ist er zurückgekehrt, und gedenkt mich zu überraschen mit einer Fülle von Seligkeit, mit seinem wonnigen Anblick, Leise erklimmt er die Stufen, um wie eines Schutzengels Erscheinung plötzlich vor mir zu stehen; aber er soll mich vorbereitet finden. Er soll sehen, daß ich nur an ihn denke, daß meine Sinne nur nach ihm gerichtet sind, daß ich durch mein dankbares Vertrauen seines Schutzes werth geworden bin! –

Erfüllt von diesen entzückenden Gedancken beugte die Lauschende dem Nahenden über die Spitze der Treppensäule den Kopf entgegen, und blieb stehen wie ein in gebückter Stellung ausgehauenes Steinbild, da der Anblick, welcher sich ihr darbot, ihr [193] alle Kräfte zum Fliehen für den Augenblick benahm. Denn nicht Dagobert's blühendes Antlitz, umwallt von braunen Locken, – ein Rothkopf mit blassem häßlichem, aber wohlbekanntem Angesichte schaute sie an. »Ei, Schickselchen,« flüsterte der Häßliche, in welchem der abscheuliche Zodick nicht zu mißkennen war: »ei, lieb Estherchen! Sind' ich Dich endlich? O Du bös Vögelein! hast Du doch endlich nicht entkommen mögen dem Vogelsteller, der so lange hat geharrt umsonst?« – Der Mensch stand nun lebensgroß vor der Versteinerten, und gab ihr das Leben wieder, da er es versuchte, ihre Hand zu ergreifen. »Zurück! Gräßlicher!« rief sie mit vor Entsetzen halb erstickter Stimme: »Du wagst es? Diese Hand, die meine Väter ermordet, wagt's, mich zu berühren? ..« – Zodick gebot ihr mit einer halb spöttischen, halb drohenden Geberde Schweigen, und zog sie in die offne Thüre der Giebelkammer. »Laß ein vernünftig Wort finden Platz in Deinem Ohre;« ermahnte er mit leiser Stimme: »kümmre Dich nicht um das, was ich unternommen gegen Deinen Vater und Jochai. Solche Dinge gehören nicht für das Weib, und ich werde verantworten alles, so ich gethan, an jenem Tage des Zochs und der Barmherzigkeit.« – »Laß ab von mir,« seufzte Esther »wie kömmst Du hieher, ungetreuer Sohn Jakob's? welch böser Fürst des Unglücks hat Dir verrathen, wo ich athme?« – »Zwei scharfe Diener meines Willens;« entgegnete Zodick: »meine beiden hellen Augen. Beruhige Dich. Nicht von heute erst ist die Entdeckung. Ich schlich Euch nach, da Ihr diesen [194] Schlupfwinkel suchtet, Dein Buhle und, Du.« – Esther erblaßte. – »Beruhige Dich, sage ich noch einmal,« wiederholte Zodick scharf: »daß ich bis jetzo Dich nicht an die Gojim verrieth, die Deiner Freiheit Ketten schmieden möchten, sey Dir Bürge, daß ich Dich noch nicht verrathen will.« – »Lügner!« zürnte Esther. – Er fuhr jedoch kalt und gemessen fort: »Ich spreche die Wahrheit. Ich will nicht gehen gerade von hier, wenn ich lüge. Warum sollte ich auch gehässig seyn Dir, die ich zur Frau machen wollte, ehe der Goi Deine Gunst errang? Hast Du doch nicht den Christenknaben gekreuzigt, und nicht erschlagen den Friedberger. Hast Du Dich versündigt mit einem Edomiter, ist es Deine Sache allein, und Deinem Geschlechte der Treubruch angeboren. Schon Hera hat gefrevelt vor dem Gesetz. Warum nichts Du? Die Obrigkeit würde Dich deßhalb auf den Scheiterhaufen setzen, aber ich vergebe Dir.« – »Welche. Sprache?« fragte Esther entrüstet: »Bist Du gekommen, meiner zu spotten, ehe Du mich dem Henker überlieferst? Geh' oder ich rufe nach Hülfe.« – »Und bereitest dadurch Dein eigen Verderben;« ergänzte Zodick boshaft: »thue es doch ja. Es sitzt ein Gast bei der alten Beschließerin, der es nicht ungerne sähe, wenn er mit der Verführerin seines Sohns bekannt würde. Herr Diether Frosch nämlich, der Altbürger. Verloren bist Du, gibst Du einen Laut von Dir. Ich verhafte Dich dann im Namen der Obrigkeit.« – »Barmherziger, hochgelobter Gott!« klagte Esther die Hände ringend: »Entziehe mir nicht gänzlich Deine Huld! Laß mich nicht umkommen in den [195] Schlingen meiner Feinde. Oder, .. wär' es nicht besser, ich theilte die Fesseln meines Vaters, als daß ich hier noch kurze Frist athme unter der Faust des unmenschlichen Henkers?« – »Oder, ..« äffte Zodick nach ... »wär' es nicht besser, ich gäbe mich gutwillig in die Fesseln des Schultheißen, als daß ich schmachte noch länger ohne Liebeskuß und Spiel, wie eine Wittib?« – Esther erschrak mehr über die Mahnung an des Schultheißen Sinnlichkeit, als über die rohe Beleidigung, die sie aus diesem Munde erwarten mußte. Der Abtrünnige fuhr aber fort: »Bist Du klug, Estherchen, so schweigst Du, und vertraust auf meine Güte. Ich hab' es überlegt: Du bist zu schön und zu holdselig für die lüsternen Richter aus Amalek. Ich gönne Dich ihnen nicht; aber auch dem jungen Goi gönne ich Dich. Der Bube hat mich einst geschlagen mit Faust und Kolben, und das vergesse ich ihm nie, so wahr ich gedenke meines Vaters, dem das Paradies sey. Denn es heißt: ›Wer einen schlägt aus dem Volke Israel, dessen Stamm wird verdorren und sein Geschlecht ausgerottet werden mit der Schärfe des Schwerts, oder durch den Strahl des Himmels.‹ Was der Herr bös gemacht hat durch meine Hand und meinen Mund, will er wieder gut machen auf dieselbe Art. Ergib Dich mir zum Weibe, und Ben David soll nicht sterben; – auch Jochai nicht,« setzte er nach einigem Bedenken hinzu. – »Esther starrte ihn unbeweglich an und stumm empört.«

»Besinne Dich nicht lange;« fuhr er fort: »gemessen ist die Zeit. Kurz ist nur der Augenblick, der mir erlaubt hat, Dir zu nahen. Seit manchem Tage [196] umschleiche ich das Haus, aber immer liegt die Pforte im Riegel, oder das alte Weib steht daran wie der feurige Wächter am Paradiese. Die Ankunft des Herrn hat auch meine Einkehr begünstigt. Aber lange darf ich nicht weilen, sollst nicht Du verloren seyn. Entscheide also. Gib auf den Goi, dem die Hölle sey, und rede zu mir, wie die Braut zum Verlobten.« – »Unsinniger Bösewicht!« erwiederte Esther heftig, und entzog sich seinen Armen: »Welch ein Wahnsinn blendet Dich. Weißt Du nicht, daß des Scheiterhaufens Flamme mir willkommner wäre, als eine Liebkosung aus Deinem Munde? Hinweg! thue was Du willst, aber ich sterbe eher, ehe ich Dein sündlich Verlangen erwiedre.« – »Gemach! gemach!« flüsterte Zodick, dessen linkes Ohr beständig gegen die Treppe gespitzt war: »Estherchen, geberde Dich doch nicht wie die krumme Schlange.« Warum eiferst Du also? Sehe ich doch hier nichts Besondres. Du bist einst gewesen die Tochter des reichen Ben David, und ich Dich Knecht, den Du verschmähtest. Jetzt bist Du das Kind eines zum Tod verdammten armen Sünders, und ich hingegen mehr als Du; nämlich ein Christ. Die schlechte Jüdin sollte sich's zur Erde rechnen, bewirbt sich ein Bekehrter um sie. Allein sie gedenkt von liebrer Hand die Taufe zu empfangen. Ich merke das. Wie dem auch sey. Dein Sträuben hilft nichts, und nicht Deiner Schmähungen ergiebige Quelle. Bei meines Vaters Gebet und Todeskampf! Ich hole Dich heim, ehe noch des Mondes Scheibe sich füllt; magst Du mich nun erwarten, geschmückt wie die Braut, oder thränend wie das [197] gebundne Opferthier. Hoffe nicht, mir zu entrinnen, denn es heißt: »Dem Falken gehört die Welt, und meinem Falkenblick wie meinen Spähern entkömmst Du nicht.« – »Mensch!« stammelte Esther, Todtenblässe auf den Wangen: »Was willst Du beginnen in Deiner tollen Grausamkeit? Hast Du geschworen zu verderben mein Geschlecht, so ermorde mich. Kannst Du erringen Geld und Belohnung, so verrathe mich an das Gericht. Welchen Vortheil bringt Dir's aber, so Du mich quälst mit Zumuthungen, deren Gräßlichkeit mir den Tod wünschenswerth macht?«

»Närrchen!« lachte Zodick hähnisch: »Du wirst mich kennen lernen besser, denn bisher. Leb wohl, und setze all Deine Hoffnung auf mich. – Noch eins!« setzte er bei, an der Thüre umkehrend: »ich habe versprochen Deinem Vater, zu bringen von Dir ein Zeichen des Lebens und des Wohlseyns. Der hochgelobte Gott will, daß ich ihn dadurch tröste in der Nacht seines verdienten Kerkers. Gib mir den Ring Deines Fingers, oder die Flechtenspitze von Deinem Haupte, auf daß sie Zeugniß geben für mich bei Deinem Vater!« – Esther sah den Menschen lange und forschend an. »O sage mir, Zodick,« sprach sie alsdann: »rede, und sage mir, wer Du bist, eigentlich und wahr. Ob ein Abschaum der Verworfenheit, auf welchem immer die Lüge schwimmt, oder ein wahnsinniger Thor, den der Herr geschlagen, daß er die Welt unglücklich mache durch seine bösen Träume und giftigen Reden, oder aber ein cerblendeter unglücklicher Mensch, der böse handelt [198] aus Rache und Haß, und gern wieder gut handeln möchte, um seinem bessern Theile zu genügen, und dem Gesetze, und dem empörten, zagenden Gewissen? Der Erste scheinst Du zu seyn, da Du Unschuldige in den Kerker legst, und durch falsche Eide den Tod herabrufst auf ihr Haupt; als den Zweiten gibt Dich Dein Erscheinen kund in dieser Kammer, und die Reden, die Du darin ausgestoßen; aber zugleich möchte ich Dich für den Letzten halten, so Du mir betheuern könntest, daß keine Hinterlist hinter Deinem Begehren lausche.« – »Wofern ich nicht habe versprochen Deinem Vater, ihm zu bringen ein Pfand Deines Lebens und Deiner Freiheit,« hob langsam und beschwörend Zodick an, – »so will ich verkrummen und werden wie ein lahmer Wurm, der im Staube verscheidet. Die Seligkeit meines Vaters soll von ihm genommen seyn und dessen unstäte flüchtige Seele zurückkehren zu dieser Welt, um mich zu peinigen durch sieben Ewigkeiten, und alle Blutschuld von Israel und Edom falle über mein Haupt zusammen wie die Felsen von Josaphat. Also geschehe mir, wofern ....« – »Halt ein mit dem gräßlichen Schwur, der den Ungläubigsten überzeugen müßte von der Wahrheit dessen, was Du gesagt!« unterbrach ihn Esther schaudernd, indem sie mit schneller Hand eine Locke vom Haupte schnitt, und sie dem falschen Boten hinreichte: »Da; nimm, räthselhafter Mensch, der bald die Hölle selbst in sich erschließt, bald eine menschliche Regung kund gibt. Bringe den armen Gefangnen in Babylon Trost durch dieses Zeichen, und laß den hochgelobten Gott Deine Seele lenken, daß Du [199] er wachsen mögest aus dem Schlummer der Sünde, und widerrufest, was Du gelogen und falsch beschworen. Zodick!« fuhr sie fort, da er stumm und stier, wie nachsinnend vor sich hinsah, und sie dieses Schweigen für eine menschliche Rührung nahm: »Zodick! Höre mich! Noch habe ich mich nicht herabgelassen, zu flehen bei Dir; heute aber thue ich es. Höre den Jammer eines Kindes, das seinen Vater sieht sterben in Noth und Pein. Auch Du willst einst Vater werden. Laß Dich rühren das Schicksal Ben David's, Deines väterlichen Freundes. Nimm sie zurück, diese Anklage, die drei Menschen erbärmlich hinwürgt, wie schuldlos gepeinigte Lämmer.«

»Schweige!« entgegnete Zodick überrascht: »Das geht nicht; aber, Gott soll mir helfen, das Ärgste will ich treiben ab, so Du mir sagst: Massal tosch!« –

Mit einem Blicke des Abscheus wendete sich Esther ab, und der freche Brautwerber drohte ihr grinsend mit dem Finger: »Was man oft verweigert in Güte,« murmelte er spottend, »das gewährt man oft der Gewalt. Gute Feiertage, Schickselchen. Wir sehn uns wieder. Denk an mich.« –

Mit der Schnelligkeit eines Kobolds huschte der Mensch über die Treppen hinunter, und entkam glücklich, wie sich aus der Ruhe des Hauses schließen ließ. Statt seiner fand sich bald die alte Crescentia ein, und weckte Esther aus den bösen Träumen, in welche sie der Besuch des gefürchteten Zodick versetzt hatte. – »Gute Esther,« sprach die Frau, nicht ohne eine kleine innere Bewegung zu verrathen: »ich bitte Dich, ja recht ruhig Dich hier oben zu verhalten,[200] damit Deine Unwesenheit nicht kund werde.« – Nun erst fiel Esthern der Besuch des alten Diether ein, und aufschreckend fragte sie: »Bin ich entdeckt? Hat mich Herr Frosch ausgekundschaftet?« – Crescenz schwieg ein wenig betroffen, dann entgegnete sie: »Ei, ei, Mägdlein, wie kannst Du wissen, daß Herr Frosch der Altbürger hier gewesen, wenn Du nicht gelauscht hast an der untern Treppe? Diese Neugierde ist euch Juden angeboren, hätte Dich aber diesmal in große Gefahr bringen können. Der alte Herr war ohnehin so aufgeregt und unwirsch, ... und wenn er vollends Dich gesehen, – erfahren hätte, wen ich hier ohne sein Vorwissen beherberge .... – beim Stöcker säßest Du, und ich wäre um den kommlichen ruhigen Dienst.« – Esther erwiederte nichts, da sie es nicht gerathen hielt, den gehabten Besuch anzuzeigen, und die geschwätzige Crescenz fuhr fort: »Zum Glücke hat es diesmal nicht Dir gegolten, Du mein armes neugieriges Heidenkind; aber neue Hausbewohner hat der Herr auf den Schellenhof gebracht, und da dieselben gerade unter dieser Giebelstube ihren Sitz aufgeschlagen haben, so empfehle ich Dir leise Socken und ein hübsches feines Schweigen.« – »Neue Hausbewohner?« fragte Esther: »Herr Diether Frosch hat sie gebracht?« – »Jawohl;« seufzte die Alte, und schlug, achselzuckend gen Himmel sehend, ein Kreuz: »Die Welt wird immer böser und verdrossener von Tag zu Tage. Komm' ich mir doch beinahe vor, wie der Gefängnißwärter hüten, die man in der Stadt nicht wohl aufheben mag.« – Esther seufzte [201] tief auf. – »Nu, nu,« fuhr die Alte fort: »das soll Dir nicht zum Gehör geredet seyn, mein Däuschen. Du bist, abgerechnet, daß Dein Vater ein Jude ist, wofür Ihr beide, er und Du nichts könnt, ein seines reines Mägdlein, und ich wollte auf Deine Ehrbarkeit einen Eid schwören, blos allein, weil Junker Dagobert Dich seines Schutzes würdigt; allein die da unten ist nicht mehr rein wie der Schnee und die Apfelblüthe an meinen Bäumen, und ich wollte alles verwetten, daß in ihr der Grund alles Zwiespalts im Froschiachen Hause aufzusuchen ist.« – »Wer ist diejenige, von welcher Ihr sprecht?« fragte Esther. – »Die Magd ist's, die so eben der alte Diether hieher geleitet, und sammt einem holden Töchterlein in meine Verwahrung gegeben hat, bis auf weiteren Befehl. Er nimmt Antheil und Sorge an dem Töchterlein, sagt er, und ich glaube es wohl, denn man müßte blind seyn um nicht die Wahrheit zu errathen. Er findet es nicht gerathen, das Mägdlein und deren Mutter in seinem eignen Hause zu beherbergen. Das meine ich auch, sintemalen die Hausfrau daselbst das Regiment führt, und solche vom Himmelgefallene Kinderleins mit scheelen Augen ansehen würde. Da soll denn nun mein guter ehrlicher Schellenhof das Nest seyn, wo fremde Eier, Kuckuckseier, verwahrt werden mögen.« – »Aber, was bedeuten denn diese Reden?« fragte Esther: »was meint Ihr damit?« – »Daß den alten Herrn der Leidige zu unrechter Zeit geblendet hat,« eiferte die fromme Crescentia; »und daß hier die Schande verborgen werden soll. Meinethalben; ich bin eine [202] alte Magd, und mich kümmert nicht, was die Herrschaft thut oder läßt; ich sehe daher auch ganz ruhig zu, und will, – dem Befehl des Herrn zu folgen, sogar mich bezähmen, und die Dirne, die gleichmüthig dasitzt wie die Unschuld selbst, nicht einmal ausfragen, sondern die Sachen gehen lassen, wie sie eben können, aber, wenn die ehrsame Frau heraus kömmt, wie sie in jedem Frühling ein Paarmal zu thun pflegt, und mich die Stuben aufsperren heißt, und die ganze Bescheerung sieht, dann wasche ich meine Hände in Unschuld, und dem alten Herrn von sechzig Jahren und darüber, dem ich stets etwas Besseres zugetraut hätte, geschieht dann recht. – Aber,« setzte sie, plötzlich leicht erröthend hinzu: »da bemerke ich so eben, daß ich in der Fülle meines Herzens und meiner Gedanken alles herausgesprochen habe, was ich mir als Wahrheit einbilde. Das will sich für eine alte treue Wächterin nicht wohl geziemen. Du magst es jedoch der Geschwätzigkeit des Alters zu Gute halten, und es wieder vergessen. Besonders empfehle ich Dir, gegen den Jungherrn bei dessen Rückkehr nicht das geringste merken zu lassen, denn Kinder müssen nichts erfahren von den Verirrungen ihrer Eltern, selbst nicht einmal so würdige und wackre Söhne, wie Junker Dagobert.« –

Als die Alte hinweggegangen war, setzte sich Esther in einen Winkel, und machte ihrem gepreßten Herzen durch einen Strom von Thränen Luft. »Wie unglücklich bin ich!« klagte sie still und leise vor sich hin: »Und wie kommt es, daß mir jetzt gerade einfällt das wahrsagende Wort, so einst der Altvater [203] Jochai zu mir gesprochen, da er mich warnte vor der Hinneigung zu den Bekennern des Gekreuzigten? Hat er nicht damals vor meinen Augen gestellt das Schicksal der Engel Asa und Asael, denen es gelüstete nach Bräuten der Erde? Seit Jahrtausenden schweben die Armen zwischen Himmel und Erde, wo sie aufgehängt hat in seinem Zorn der eifrige und hochgebenedeite Gott. Und ihr Schicksal ... ist es nicht das Meine? Einer Liebe hingegeben, die bald wie eine sanfte Glut mein Innerstes erwärmt und veredelt, bald aber wie ein ungeduldig Feuer meine Seele quält und anschmiedet an einen Gegenstand, der unstät und rastlos sich immer meiner Sehnsucht entzieht, bin ich bald niedergezogen zur Tiefe, bald schwebe ich auf zur Höhe der Himmel. Die Pflicht ruft mich gebieterisch auf die Schwelle wenigstens des Kerkers, in welchen meine Väter athmen, da die rohe Willkür mir das Glück versagt, ihn mit denselben zu theilen; die Liebe aber hält mich hier in diesem engen Raume zurück. Ihr vertrauend, die mir Schutz und Beistand den Meinigen verheißt, überlasse ich Jochai und Ben David ihren Leiden. Wird aber dieses Vertrauen sich erfüllen? Wird denn der Freund erfüllen können, was er zu erfüllen wünscht? Reißt mich daß Verweilen auf dieser Stätte nicht endlich auch in den Abgrund, aus welchem ich meinem Vater nimmer emporreichen werde können die rettende Hand? O Mutter, welcher das Paradies sey, und die Palme des ewigen Friedens, Mutter, erinnere Dich, wenn gleich ein abgeschiedner Geist, Deiner Tochter, und leiste Hülfe! Ureiniger Gott, [204] zu den Jakob's Söhne beten, wie die Verehrer des Menschgewordnen, schütze Du den edeln Mann, den ich ehre wie einen Seligen und Gesegneten des Herrn, daß er bald zurückkehre, und durch seine Kraft und Großmuth das Truggewebe zerreiße, das meines Vaters Unschuld, unser aller Geschick umhüllt! Schon drang der Verrath über diese Schwelle; wer weiß, wie lange der verbrecherische Unhold seine Drohungen aufschiebt? Wer weiß, ob mich nicht vielleicht der nächste Tag verrathen und verkauft in den Händen der Feinde sieht? Ich möchte fliehen, und wage es doch nicht. Wie entkomme ich den Kundschaftern des Unseligen, die vielleicht hinter jedem Baume lauern? Wohin könnte und dürfte ich entfliehen? Wo lebt der Mensch, der mich aufnehmen, .. wo ist die Veste, die mich schützen würde? Wo weilt er, der einzige Hort, auf den ich baue? Kann meine angstvolle Stimme ihn rufen über Berg und Thal? Hört denn sein Ohr den flüchtigen Schritt meiner Sohle? O, daß meine Klage ein Zauberspruch wäre, der ihn fesselte, und herbeizöge mit unwiderstehlicher Gewalt; daß der hochgelobte Gott die Schwester doch wieder in seine Hand gegeben hätte, damit er Zeit gewinnen möge, an seine unwürdige Magd zu denken! Welche Leiden ich auch schon erduldet habe, – welcher Kummer mir auch noch bevorstehen mag, seine Nähe allein dünkt mir schon ein Balsam für alle Wunden, die das Schicksal schlägt. Und meine allzugefällige Einbildungskraft gaukelt mir nur zu oft eine schmeichelnde Täuschung vor. Pocht mein Herz bang und ungeduldig, so höre ich den Hufschlag seines [205] geschwinden Rosses. Zittern meine Pulse, so vernehme ich seinen nahenden Schritt. In den Glocken, die gerade jetzt herübertönen aus der Stadt, spricht seine anmuthige Stimme, aus dem Abendroth dort an den Bergen schaut sein freundlich Angesicht. Ungeduldig berge ich mich hinter diesen Riegeln, da ich doch von jenen Höhen den geliebten Namen ausschreien möchte durch die Welt. Zürnend sieht mein Auge jenes verschlossene Fenster an, das mir die Aussicht nach der Heerstraße verbirgt, auf welcher er daher ziehen wird. Wenn er käme, jetzt käme, im Andrange der höchsten Noth! Wenn ich ihm könnte entgegeneilen auf den Flügeln des Auges, um ihn zu begrüßen, schon im fernen Dämmerschein? Warum nicht jenes Fenster, das unnütze Vorsicht verschloß, kann eröffnen die muthige Hand. Vom Aufgange kommt alles Gute, alles Wahre. Vom Sonnenaufgange her sieht der hochgelobte Gott in unsre Tempel; von dort muß auch Dagobert wieder heimkehren!« – Kühn schlug ihre Hand den verschloßnen Laden des Fensterleins auf, und ihr Blick suchte unter den Rosen, die der Niedergang dem blaudunkeln Osten zuwarf, den Geliebten. Umsonst! Leer war und blieb die Straße. Längs der Gartenmauer jedoch kroch ein Mann schwer und unbehülflich am Straßenrande hin, beschäftigt, wie es schien, Kräuter zu sammeln im thauigen Abendschein. Zufällig richtete sich auf ihn Esther's Auge, – zufällig blickte er zu dem klingenden Fenster empor, – und schnell fuhr das Mädchen zurück. Es war der Judenarzt Joseph, [206] der dort unten verkehrte, und Esther flehte zum Himmel um die Gnade, von dem Gefürchteten nicht erkannt worden zu seyn.

10. Kapitel
Zehntes Kapitel.

»Komm, Alte, komm, erzähle uns ein Mährlein!« Gern, liebe Püppchen; werdet Ihr aber auch das Grausen vertragen können? Wer kein gut Gewissen hat, setze sich vor die Thüre, und bete indessen ein Vaterunser!

Kindermährchen.


Das Schloß Neufalkenstein, der Sitz des Ritters Bechtram von Vilbel, hatte seit Langem nicht so viel Geplauder und Gelärm in seinen Mauern gefaßt, als seit der Zeit, da der Graft von Montfort dem Besitzer einen Besuch abgestattet, und demselben aufgetragen hatte, das schöne Fräulein von Baldergrün von der Heerstraße wegzufangen, zum schuldigen Dank für so manche Unbill, die der Graf zur Zeit, da er um das Edelfräulein warb, hatte ertragen müssen. Dem in dergleichen Aufträgen geübten Bechtram, welcher, nachdem er lange Jahre hindurch der Hauptmann der Reichstadt Frankfurt in Ehren und Frieden gewesen, vorgezogen hatte, das unedlere Gewerbe der Wegelagerei wieder zu ergreifen, war des Grafen von Montfort Aufgabe über alle Maßen trefflich gelungen, und die Beute richtig geworden. Ein solcher Fang warf zu viel an Gewinn ab, und [207] war überhaupt so selten in der Rechnung der Herren vom Stegreif, als daß sich die Letztern nicht hätten etwas zu Gute thun sollen. Bechtram mit seinen Genossen bankettirte Tag aus, Tag ein, was doch sonst seine Sache nicht war; seine Hausfrau hatte alle Hände vollauf zu thun, um ihre Gäste zu bewirthen, und Wallrade hatte in ihrem männlichen Geiste mit überraschendem Scharfblick den Standpunkt erfaßt, von welchem sie ohne weitere Demüthigung in das Gewühl um sie her herniedersehen konnte. So finster es auch in ihrem Innern wogte, so heiter und glatt hatte sie die Stirne gelegt. – Nicht die Gefangene schien sie zu seyn, – preisgegeben der harten Willkür räuberischer Wächter; – eine Fürstin vielmehr, die sich es gefallen läßt, auf kurze Zeit von dem Gipfel ihrer Größe in's gemeinere Leben herniederzusteigen, und durch ihre Gegenwart das Haus eines ihrer ärmern Wasallen zu beglücken. Den Zwang, der sie drückte, wußte sie unvermerkt in den Hintergrund zu drängen, und zu ihrem Diener zu machen, daß es den Anschein hatte, als sey jede Beschränkung ihre freie Wahl. Sie sah auf den Lippen oder der Stirne ihrer Hüter keinen Befehl, keinen Wunsch schweben, den sie nicht plötzlich errathen, und zu ihrem eigenen Willen gemacht, ihn also geäußert hätte. Sie vermochte es über sich, dem ganzen Abenteuer eine scherzhafte Seite abzugewinnen, und dann und wann mit feinem Spott ihren Umgebungen merken zu lassen, daß der ganze Vorfall ihr nichts weniger, als wichtig erscheine, sondern im Gegentheile kurzweilig und ergötzlich, da er über Kurz [208] oder Lang dennoch ein für sie erwünschtes Ende nehmen werde. Mit verächtlicher Kälte hatte sie ihre Kleinodien und ihre Baarschaft den Räubern hingegeben, mit unbefangner Ruhe hatte sie es mit angesehen, da Frau Else, Bechtram's Hauswirthin, ihre breitschultrige, unangenehme Gestalt mit diesen Kostbarkeiten geschmückt, und sich ihr also geputzt wie in höhnendem Scherz vorgestellt hatte. Den derben Übermuth des Burgherrn und seiner Freunde vergalt sie eben so mit unempfindlicher Derbheit, des Leuenberger's und Petronellen's schadenfrohen Spott mit schalkhaften Antworten, die die Lacher auf ihre Seite brachten; und stand im Ganzen genommen da, nicht wie ein eingekerkert schwaches Weib, sondern wie ein zu Schutz und Trutz gerüsteter Kämpfer, der keine Blöße gibt, ohne die des Gegners zugleich zu treffen. – Je unerwarteter dieses Benehmen den Innsassen und Gästen Neufalkensteins war, je weniger verfehlte es seinen Zweck, und die kräftige Wallrade hatte die Genugthuung, bald den Erfolg zu beobachten. – Bechtram, sein Weib und seine Gesellen, rauhe Menschen, wie das wilde Leben in Fehde, Forst und abgeschiedner Veste sie zu gestalten pflegt, hätten die stillduldende Sanftmuth einer Unglücklichen unerbittlich zu Boden getreten; aber der unduldsame Trotz, die kecke Widerspenstigkeit und Spottsucht Wallradens erschienen den Harten als Eigenschaften, eines bessern Schicksals, wie einer günstigern Behandlung würdig. Bechtram lächelte, wenn das Fräulein ihn einen grauen Taugenichts, seine Veste ein Raubnest schalt. Else duldete scherzend den Spott, welchen [209] die gezwungne Gastfreundin über ihre unschmackhafte Küche aussprudelte. Der wilde Hornberger gerieth in Entzücken, sah er Wallraden auf dem Rücken seines Gauls, dessen Koller sie mit aller Kraft eines Mannes im wenig geräumigen Zwinger bändigte. Der schielende Doring, der wüste Reifenberger, der dicke Henne von Wiede, – Bechtram's Gefährten – so wie der ab und zu fahrende Eppsteiner bemühten sich um die Wette, das in Haft liegende Fräulein durch kurzweilig Gesprächsel zu vergnügen, oder durch ein Spiel im Brette, oder durch ein vom Zuge mitgebrachtes Geschenk. Der Leuenberger legte nach und nach, von Stunde zu Stunde, mehr von der Schroffheit ab, die er gegen seine Stiefnichte geäußert hatte, und wandelte sein Betragen in eine gewisse tölpische Höflichkeit und Augendienerei um, die von Wallraden nicht unbemerkt, so wie von allen Übrigen nicht ungeneckt blieb. Die Base Petronella endlich, verblüfft von dem ungezwungnen und freien Benehmen Wallradens, hatte so ziemlich ihre beißende Zunge zur Ruhe verwiesen, und ihren gewöhnliche Standpunkt eingenommen; nämlich den einer Zeitvertreiberin, weil ihre Mährlein und Schnurren weit und breit in den adelichen Genossamen der Gegend guten Klang und Ruf hatten. Frau Else liebte das Erzählen im traulichen Kreise, und Wallrade forderte oft selbst die Muhme dazu auf, wenn sie den Zudringlichkeiten des Leuenbergers ein Ende machen wollte. War die Alte dann im Zuge, so entfernte sich Diether's Tochter gewöhnlich unvermerkt, und erklimmte den Wartthurm, wo sie sich zwischen den [210] mächtigen Zinnen niederließ auf die Steinbank, in die weite Luft hinausstarrte, und ihren stürmischen, mit übermenschlicher Kraft zurückgepreßten Gefühlen den Lauf ließ. Der Thurmwächter, der seiner tauben Ohren halber aus den Reihen der reisigen Knechte in die Höhe verwiesen worden war, wo seine scharfen Augen noch gute Dienste zu leisten vermochten, saß dann gewöhnlich vor der Öffnung, die auf des Thurmes Platte seinem elenden Schlafwinkel als Thüre und Fenster diener, und schneiderte an den Kleidern der Burgleute, oder kämmte seinen Hund, und begriff nicht, wie sich das schöne gefangne Fräulein so ganz allein zu unterhalten vermöge auf der einsamen Warte. Wallrade legte aber die glühende Stirne an die kalten Steine, und blickte hinaus gen Frankfurt, von wannen immer noch kein Retter nahen wollte. Immer noch war es ihr nicht gelungen, eine Botschaft den Vater zu senden; von Tag zu Tage verzögerte sich ihre Befreiung. Unwillig klagte sie den Himmel an, daß er sie, gleich wie auf einem Siegerzuge, aufgehalten, während sie im Begriff gestanden, des Unfriedens und der Zwietracht höchstes Maaß über das Haupt des Vaters und der Stiefmutter auszugießen. Unwillig fragte sie die Vorsehung, wie lange sie noch hier zu verharren habe in einem Zwang des Willens und der Empfindung, der ihr an's innerste Leben zu greifen begann, trotz Verstellung und Standhaftigkeit. Zagend und zürnend zugleich gedachte sie des Augenblicks, in welchem der Graf von Montfort; – dessen Zuthun bei der verwünschten Begebenheit sie leicht errieth, wenn gleich[211] Bechtram seinen Namen nicht auszusprechen wagte, – auf der Veste erscheinen und durch seine Gegenwart die durch seine Unritterlichkeit Gefangene am tiefsten demüthigen würde. Allein, wie sehr sie auch klagte, zürnte und zagte, der Zeitpunkt ihrer Erlösung lag immer noch ferne, denn ein geheimnißvoller Schleier bedeckte vor jedem fremden Auge die auf Neufalkenstein verwahrte Beute. – Der Aufenthalt der von Gelnhansen geladenen Gäste hatte bereits mehrere Tage gedauert, und Wallrade, von trüben Gedanken in ihrer engen Kammer gepeinigt, war gerade nach dem Imbis zu dem Wartthurm emporgestiegen, um die laue Frühlingsluft in ihrer klaren Reinheit zu trinken, und ruhiger zu werden. Der Weg, welcher unfern der Veste vorüberlief, war leer und öde wie immer, seitdem die Nachbarschaft von Bechtram's neuen Unternehmungen vernommen hatte. Ein frischer Luftstrom erquickte aber Auge und Stirn der Gefangenen, und ihr Blick schweifte kühn über die Höhen und Ebenen, über Gewässer und düstre Tannenwipfel, und senkte sich tief in das Innere der kleinen, zu ihren Füßen liegenden Veste. Ihr Herz ergrimmte auf's Neue, da sie jetzt erst wahrnahm, wie gering und unbedeutend der Kerker war, der sie einschloß. Der an und für sich nicht sehr ergiebige Raum war von dem Erbauer haushälterisch benützt worden. Ein tiefer Graben umschloß die unregelmäßig gebaute Veste, deren Eingang ein schmales Thor, blos für einen Mann zu Pferde breit und hoch genug bildete. Zugbrücke und Pforte verschloß diesen Eingang beständig, wie eine von aller Welt abgeschnittene [212] Klause. Hinter den dicken, am Graben emporragenden Mauern schlängelte sich der enge Zwinger, in welchem Knechte und Pferde und Hunde, sammt dem geraubten Zug- und Melkvieh ihre Hütten und Ställe fanden. Eine elende Waffenschmiede, in welcher die auf Raubzügen zerhacken Blechhauben und Drahtwämser nothdürftig zusammengeflickt wurden, streckte hier ihren rauchenden Schlot. Dicht daneben hatten die Burgleute zu ihrem Vergnügen eine bald zum Armbrustschießen, bald zum Regelschieben benützte Bahn angelegt; der einzige Fleck, auf welchem allenfalls ein Roß zugeritten werden konnte. Wer aus diesem Zwinger in das Innerste dringen wollte, mußte durch ein niedres, von schwerem eichenen Gegatter fest verschloßnes Pförtlein kriechen, hinter welchem der enge finstre Hof das Wohngebäude des Herrn einfaßte, zu dessen, ungefähr acht bis neun Schuhe von dem Boden erhöhten Schwelle eine in Klammern gehängte Holztreppe führte, die im Nothfall weggenommen werden konnte, um einem Feinde oder einem Räuber den Eingang zu den Schätzen und Vorräthen des Hauses unmöglich zu machen oder mindestens zu erschweren. In dem Hofraume schnatterte und lärmte des Federvieh's bedeutende Menge, rauchte der Ofen, in welchem die thätige Hausfrau das Brod bereitete, umfangen von hohem, rußigem Gemäuer, das in die Fensteröffnungen des Erdgeschosses der Burg nur den bleichsten Strahl des Tages eindringen ließ. Und dennoch waren hier die Räume, in welchen die Geschäfte der Wirthschaft und des Hauswesens verrichtet werden mußten. Hier war [213] die Halle, welche den mächtigen Herd in sich faßte, und den in tiefer Schlucht quillenden Brunnen der Veste, und den Eingang in die unterirdischen Waarenkammern und Weinkeller des Hauses, so wie die Treppe zu den obern Gemächern, deren zwei sich in der Burg befanden, in eben so vielen Stockwerken vertheilt. Das erste, zu welchem die Wendeltreppe führte, – das Gemach der männlichen Bewohner, – zugleich die größte Stube der Veste, in welcher Trinkgelage und Mahlzeiten gehalten wurden, nahm den ganzen Raum des Stockwerks ein, eine Kammer ausgenommen, in welcher auf Stroh- und Rohrgefüllten Säcken, überdeckt mit Wolfs- oder Bärenfällen die Männer des Schlafs genossen, umgeben von ihren Gewändern, Waffen und den Satteln ihrer Pferde. Stieg man die fortlaufende Wendeltreppe empor, so gelangte man im zweiten Stockwerke zu dem Gemach der Frauen, das, wenn gleich zierlicher geputzt, als das der Einrichtung hatte. In jedem der vier ziemlich breiten aber niedern Fenster zwei steinerne Ecksitze, an den Wänden fortgehende Bänke mit Polstern; in jedem Winkel des Gemachs ein schwerer Schwenktisch oder Kleiderschrein, geschmückt mit glänzendem Schloß und zierlich geputzten Kürbissen und Pfauenfedersträußen, Truhe und Spinnrocken und Garnwinde nicht zu vergessen. Vorspringende Erker von kleinen Schartenfenstern erhellt, enthielten die Lagerstellen der Frauen des Hauses, und der längs der Vorderseite des obern Stockwerks hinlaufende Söller bot ihnen eine willkommne Stelle dar, um in freier Luft zu arbeiten, [214] zu beten, zu plaudern, oder in stiller Unthätigkeit dem Treiben und Leben des Taubenvolks zuzuschauen, das oben an des Schlosses Zinne seinen Schlag besaß, und auf und nieder flatterte an den steil gezackten Giebelseiten des bunten Ziegeldachs. Rings um war oben die Aussicht frei, nur an der Seite nicht, wo der lange und runde Wartthurm in die Höhe strebte, welcher aus dem Gemäuer des innern Hofraums entsprang, – in seinem Erdgeschosse die enge und kleine Kapelle der Burg enthielt, und drei Stockwerke zählte, bis zu der Zinnen räumlicher Krone, drei Verließe enthaltend, von welchen das oberste des Lichts genoß, das mittlere einer milden Dämmerungshelle sich erfreute; das unterste aber, zu welchem nur ein rundes Loch den Eingang bot, tief hinabging in schaurig dunkle Gruft, wohin blos die ferne Stimme des in der Kapelle die Messe singenden Priesters drang, da der schreckliche Schlauch des Verließes dicht hinter dem Altar sich abwärts senkte. Auch dieser schwache Trost war jedoch zu gegenwärtiger Zeit dem Unglücklichen versagt, der vielleicht diese Schreckensgrüfte bewohnen mußte. Der Herr dieser Behausung, welcher weiter nichts Merkwürdiges als das schon Berührte aufzuweisen hatte, war in den Kirchenbaum gethan worden; der Pfaffe, der den Kapellendienst im Schlosse versehen hatte, war ausgeblieben, und dumpfiges Schweigen herrschte Tag und Nacht in dem verödeten Kirchlein, wie der Staub auf seiner Glocke. Wallrade wußte nicht, ob das unterste Verließ des Wartthurms, auf dem sie stand, einen Gefangenen barg; aber daß im mittlern Stockwerke [215] des Erkergebäudes Menschen in Haft lagen, war unbezweifelt, da von Zeit zu Zeit, trotz dem dicken Gemäuer und den schmalen Luftluchen klagende oder singende Stimmen herausdrangen, nur hörbar für den auf der Thurmspitze aufmerksam Lauschenden. Im Vergleich mit diesen armen, zwischen düstern Wänden eingesperrten Leuten mußte Wallrade freilich ihr Schicksal glücklich preisen, und sie that es auch, so lange ihr Auge Erholung suchte in den freien Himmelsräumen. Sah sie jedoch hinab in die enge Veste, welcher sie dennoch nicht entrinnen konnte, da wollte ihre Brust beinahe zerspringen. Montfort hätte keine bitterere Qual für sie ersinnen können, als den Verlust ihrer Freiheit; und alles Gold der Welt hätte sie für die Erlaubniß gegeben, einen jener Renner zur Flucht besteigen zu können, die so eben im Zwinger zu einem Zuge fertig gemacht und gezäumt wurden. Die Knechte der Burg, vielleicht ein Dutzend an der Zahl, krochen gerüstet aus ihren Hütten, und jagten sich, plumpe Scherze treibend, auf dem Rasen umher, während der Schmied die Hufe der Rosse besichtigte, und in Eile zusammenpfuschte, was verdorben war, oder nicht mehr halten wollte. Mittlerweile traten die Herren des würdigen Trosses aus der Gatterpforte: Bechtram mit seinen Gefährten. Ihr Anzug verrieth deutlich, daß sie nicht zu einem Lustritt gingen. Bewaffnet bis an die Zähne stiegen sie zu Pferde, winkten der Hausfrau, die dem scheidenden Gatten noch die Hand durch's Gatter reichte, ein Lebewohl, und zogen durch das schmale Thor über die schwankende Brücke in's Freie. Der Leuenberger, [216] der zur Bewachung des Hauses zurückgeblieben war, ertheilte dem Thorwächter die nöthigen Befehle zur Verschließung der Burg. Die Brücke ging knarrend in die Höhe; die wenigen zurückgebliebenen Burgleute gingen an ihr Geschäft, oder an das zeitvertreibende Spiel, und die ausgezogenen Männer waren noch nicht an die Spitze des Tannenbruchs gelangt, als schon in der Veste wieder eine Ruhe herrschte, gleich der des Grabes. Es währte indessen nur kurze Zeit, so kamen rasche Tritte den Thurm herauf, und der gegenwärtige Schirmvogt der Veste stand plötzlich vor Wallraden. Das Gefühl und Bewußtseyn des wichtigen Amts, das er in diesem Augenblicke zu bekleiden erkoren war, sprach aus seiner Haltung und seinen Zügen. – »Beschäftigt, alle Räume des mir anvertrauten Schlosses zu besichtigen,« sprach er mit widerlichem Lächeln, – »muß ich doch auch sehen, wie und wo sich meine werthe Gefangene befindet.«

»Sie lugt hier nach dem Zuge der freien Lerchen,« entgegnete Wallrade ebenfalls lächelnd: »und kann nicht begreifen, wie sich diese holden Sänger diesem finstern Thurme nähern mögen, in welchem die Knechtschaft weint.« –

»Ei, was kümmern Euch die Knechte im Thurm?« versetzte Veit mit einer plumpen Verbeugung: »Ihr seyd die Herrin von Neufalkenstein, mehr denn Frau Else selbst.« – »O spart Euer höhnisch Schmeichelwort,« erwiederte Wallrade leicht, »und vor Allem laßt ja dergleichen Frau Else nicht hören, Ihr [217] wißt, sie versteht nicht lange Scherz, und ist eifersüchtig auf die Oberherrschaft.« –

»Wie ich auf einen Blick von Euerm holden Augenpaar;« fügte Veit wie oben bei. Wallrade zuckte die Achseln, und gab sich die Miene, seinen Worten keinen Glauben beimessen zu wollen, daher nahm der Leuenberger seine Zuflucht zu Betheuerungen. – »Pest und rother Hahn!« rief er: »Schönes Fräulein, ich will den Hals brechen zur Stelle, wenn ich eine Lüge spreche. Ich würde lügen wie ein Schelm, wenn ich sagen wollte, daß ich Euch von Anbeginn gern gesehen, aber das Wohlwollen, und – laßt es mich heraussagen, – die Liebe nistet sich ein, ohne daß man's vorher sieht, oder geradezu merkt. Das wißt Ihr auch gar wohl, denn Ihr seyd ein verständig Frauenbild, und könnt unterscheiden, was blanke Zierhöfelei ist, was Ernst und baare Münze.« – »Guter Leuenberger,« erwiderte Wallrade: »die Männer sprechen alle auf diese Weise, wenn sie ein Frauenherz zu berücken suchen.« – »Pah,« lachte Veit: »Zeit meines Lebens habe ich mich noch nie damit abgegeben, Weiberherzen zu kirren, und habe das Falkenabrichten immer der Minne vorgezogen. Wie man einen Stoßvogel zähmt, weiß ich; aber nicht, wie man ein Weib gewinnt.« – Wallrade gab ihm in ihren Gedanken völlig recht. Er fuhr jedoch fort: »Hier ist der Spieß umgekehrt. Ihr habt mich berückt, ob ich gleich bis auf den heutigen Tag mein Herz bewahrte, und ob Ihr gleich meine Stiefnichte seyd.« – »Ihr schreibt mir einen großen Sieg zu;« versetzte Wallrade scherzend, aber[218] einen der gefährlichsten Blicke hinzufügend, deren sie nur Meister war. Dieser Blick ermuthigte den unbeholfnen Ritter, in seiner Herzensergießung fortzufahren. – »Mich soll der Schwarze reiten, hier vor Euren Augen,« sprach er, »wenn, was ich sage, nicht mein voller Ernst ist; wenn ich Euch nicht verehre, wie eine Nonne ihr Muttergottesbild. Ich habe in meinem Leben noch vor keinem Strauß gezittert, und bin auch jetzo zu jeder Probe bereit, die Ihr mir auferlegen wolltet, um meine Treue zu erwahren. Vergebt mir: ich rede sonst nicht viel mit Weibern, aber heute, und Euch gegenüber bin ich in den Zug gekommen. Ihr wißt jetzt mein Geheimniß, von welchem ich nicht einmal der Base ein Sterbenswörtlein verrathen habe. Erwiedert mein Vertrauen mit dem Eurigen. Laßt mich wissen, ob ich vielleicht hoffen dürfte.« – »Eure Rede wird sehr dringend und ernstlich;« meinte Wallrade, eine Aufmerksamkeit verrathend, die des liebetrunknen Junkers Glut anfachte. – »Wenn Ihr nur endlich das Ernstliche einseht;« rief er: »Kreuz und Stein! Wie soll ich's anfangen, deutlicher zu reden? Ich denke, mit einem Wort, so gut als Euer Vater und meine Schwester ein Paar werden konnten, – so gut könnten wir's auch werden, und sollte die Verwandtschaft ein Hinderniß machen wollen, so martre ich einen Pfaffen so lange, bis er einen Dispens herausgibt, gültig wie einer von Rom.« – »Ei, Ihr sprecht ja ruchlos, wie ein böhmischer Ketzer!« rief Wallrade scherzhaft: »Nimmer werdet Ihr mich von der Wahrheit einer Liebe überzeugen können, die sich so gotteslästerlich [219] ausdrückt.« – »Pest und rother Hahn!« eiferte der Leuenberger, heftig mit seinen braunen Händen die Luft sägend: »Fordert eine Probe meiner Liebe, – mehr kann ich ja doch nicht thun, als Euch die Wahl lassen. Soll ich den tauben Hund von Wächter, der dort wie ein Klotz auf der Matte kauert, und in die Ferne stiert. Kopf über Kopf unter vom Thurm werfen? Oder soll ich mich mit Dreien raufen auf Leben und Tod? Oder soll ich in Frankfurt einreiten, trotz dem Stadtbann, in dem ich liege, und mich wieder herausschlagen, und das Dintenfaß des Stadtpfaffen vom Römer mit heimbringen? Gebietet; was Ihr wollt, soll geschehen, und wenn sich der Satan dreimal dazwischen legte.« – »Ihr stellt Euch Aufgaben, allzuschwer, als daß ich Euch beim Worte neh men könnte;« entgegnete Wallrade; – »und gerade durch solches Überbieten in Gefahren, die Ihr bestehen wollt, macht Ihr mich mißtrauisch. Kann ich an die Liebe des Mannes glauben, der, um mir zu gefallen, Andre mordet; mich selbst jedoch, ohne vor Schaam und Unwillen zu erröthen, in dem Schlamm der Demüthigung sehen kann? Wie mögt Ihr, ein freier adelicher Mann, Euch ein gefangen Liebchen wählen, das Ihr doch nicht erlösen wollt? Ihr fordert, daß ich Euer Herz prüfe. Wohlan; geht hin, öffnet mir die Pforte dieses Kerkers, löst meine Fesseln, und dann bewerbt Euch um meine Gunst. Oder, – thut das Leichtere: meldet nur meinem Vater den Ort meiner Gefangenschaft, und dann – nachdem ich in seine Arme zurückgekehrt, – dann fordert meine Hand.« – Der Leuenberger schwieg [220] eine Weile betroffen, während Wallrade den scharfen Blick auf ihn heftete. Verlegen spielte er mit den Knöpfen seines Ärmels, strich sich den Bart und kaute an den Lippen. »Edles Fräulein,« – sprach er endlich bedächtig: »Was Ihr verlangt, geht über meine Kräfte. Wir Edelleute halten fest an unserm Wort, und Bechtram hat das Meine; und von Euerm Vater vollends erwarte ich nichts als Undank. Er würde mir zehnmal eher vor dem Gallusthor zu Frankfurt Nase und Ohren abschneiden lassen, als mich in seiner Sippschaft aufzunehmen.« – »Ich weiß nicht, in wiefern Herr Diether Euch gehässig ist;« erwiederte Wallrade seufzend; »allein ich dächte, auch meiner Dankbarkeit solltet Ihr in etwas vertrauen.« – Der Blick, den sie bei dieser Rede auf Veit's Antlitz warf, sollte heftiger zünden, als die vorigen, aber seine Kraft prallte ab, an der Scheu des Leuenberger's vor Bechtram's Rache und Diether's gegründetem Haß. – »Ei was!« brummte er: »Eure Haft kann ja doch wahrlich nicht ewig währen. Hat Bechtram vom Montfort erst erhalten, was er will, liegt ihm ferner nichts daran, Euch zu füttern. Dann wäre es an der Zeit, meinen Wünschen zu genügen, und eine fröhliche Ritterehe zu schließen, zu welcher man nichts braucht, als einen Bettelmönch, der den Segen gurgelt, und ein stilles, sichres Kämmerlein. Was sagt Ihr dazu, mein süßes Lieb?« – »Daß Ihr ein Abscheulicher seyd, der meine Verachtung verdient, aber nicht die Minne einer ehrsamen Jungfrau;« erwiederte ohne Hehl Wallrade, der das Blut in die Wangen geschossen [221] war, bei dem unziemlichen Antrag des Stegreifritters. Veit, welcher seine Furcht vor den von dem Fräulein vorgeschlagenen Prüfungen hatte hinter der Larve eines rauhen Muthwillens verbergen wollen, schwieg wie ein ertappter und geschlagener Schüler, und lehnte sich verlegen auf die Brustwehr des Thurms. »Einfältiger, tölpischer Klotz!« murmelte Wallrade vor sich hin, und stützte verdrüßlich den Kopf in die Hand. Der Leuenberger gewahrte aber so eben seine Base am Erkerfenster der Burg, und winkte ihr und Frau Elsen, heraufzukommen auf die luftige Höhe. – »Muhme Petronella soll uns ein Mährlein erzählen,« sprach er mit läppischem Lächeln zu Wallraden:»sie wird Euch dadurch auf andre Gedanken bringen, und mich vergessen machen, was ich von Euch vernehmen mußte.« – Wallrade machte eine unwillige Bewegung gegen ihn, und stand auf, um zu gehen. Der Versuch war aber umsonst, denn schon knarrte die Thüre des Thurms, und die schwerfälligen Tritte der Frauen kamen bald näher und näher heran. Frau Else schritt wackrer und rüstiger zu, als die hinkende Base, und hielt die auf der Höhe der Steige unschlüssig verweilende Wallrade auf. »Ei, wo hinaus?« fragte sie mit ihrer männlichen Stimme, die im Hause Befehle ertheilte, donnernd wie der Schlachtruf eines Feldhauptsmanns: »Dageblieben! Nicht davon gelaufen. Wir sind jetzt die alleinigen Herrn im Hause, und wollen uns gütlich thun auf der kühlen Warte.« – Somit drehte sie Wallraden mit einer Schwenkung des Ellbogens um, und reichte der mühsam heranklimmenden Base die Hand. – »Herauf! Herauf! [222] alte Nixe!« rief sie der Keuchenden entgegen: »Hier oben ist's wohl seyn. Hast Du dem Wilpert gesagt, daß er uns eine Kanne kühlen Weins heraufschleppe, und einen Korb mit Brod und Fleischkuchen?« – Petronella bejahte; Else klopfte beifällig und munter in die mächtigen Hände, und zog Rocken und Spindel aus dem breiten Ledergürtel, der ihren stämmigen Leib umschloß. Der Thurmwächter mußte dem zögernden Wilpert entgegeneilen, und die Frauen machten sich's bequem auf den Mauerbänken zwischen den Zinnen. – »Wie ist es doch so schön hier oben!« sprach Petronella, nachdem ihr Husten, von dem Treppensteigen und der Einathmung reinerer Luft erregt, nachgelassen hatte: »Himmlischer Vater! wenn das Alles, was wir hier vor Augen sehen, unser wäre! Was meint Ihr, liebe Frau Else?« –

Bechtram's Ehewirthin zuckte verächtlich mit den Lippen. »Man hört's Euern Reden wohl an, Fräulein,« sprach sie derb, »daß Ihr kein Haus als Eigenthum besitzt, sonst würdet Ihr nicht so tolle Wünsche von Euch geben. Mir kommt ein ähnlicher Gedanke nicht, denn ich bin zufrieden in meinem Hauswesen, und wenn dieses mir nach Wunsch geht, so frage ich nicht nach Allem, was um uns her liegt an Wald und Feld, an Häufern und Höfen.« – Hier beschrieb sie mit dem hoch und drohend geschwungnen Rocken einen großen Kreis rings um sich her, und schlug damit auf die Schulter des Leuenberger's, der in Gedanken verloren, den Weibern den Rücken gekehrt hatte. – »Frau Else! Frau Else!« rief der Erschrockene, sich die Schulter reibend: »Ihr führt [223] einen harten Zepterstab, und der Ritterschlag von Eurer Hand ist nicht sanfter, als der von einer Männerfaust.« – »Meint Ihr?« entgegnete die Frau von Vilbel: »Ich möchte auch wissen, wie ich wohl zurecht kommen würde unter dem Gelichter, das in unserm Hause aus- und einfährt, wie die Hexen aus und in den Schlot. – Vergebt aber, Leuenbergerin, daß ich gerade von bösen Hexen sprach. Ich sollte wissen, daß Ihr's nicht liebt, wenn man von Truden redet.« – »Hm!« meinte Petronella: »so man nur davon redet, mag es hingehen. Nur über die Schwelle dürfen sie nicht kommen, und dafür habt Ihr gesorgt, Frau Else, denn das Hufeisen, das unter Eurer Pforte angenagelt ist, bleibt ein wahres Gottesmittel dagegen, und so Ihr vollends nicht versäumt, jeden Morgen zwei Strohhalme kreuzweis drüber zu legen, so kömmt Euch nimmer eine Hexe zu nahe.« – »Ihr seyd eine kluge Jungfrau,« erwiederte Frau Else, »und ich werde mir noch manches von Euern Erfahrungen merken, ehe Ihr von dannen scheidet.« – »Ho, die Base ist gelehrter, als ein Meister der freien Künste,« fiel der Leuenberger ein; »besonders im Erkennen zauberischer, übernatürlicher und verborgner Dinge.« – »So?« fragten Else und Waltrade. »Das hätte man versuchen können;« fuhr die Erstere fort: »Ihr hättet meinem Manne des heutigen Zuges Ausgang und Erfolg weissagen müssen.« – »Hm!« meinte Petronella, den Kopf bedenklich wiegend: »dem Gastfreund geziemt's eigentlich nicht, des Wirths Thun und Lassen zu deuteln, aber, wenn man Achtung hat, auf das was um uns vorgeht, so [224] kann man manches in seinen Handlungen ändern, was ersprießlich und von Nutzen wäre.« – »Ihr sprecht als ob's Lateinisch wäre,« lächelte Else: »ich verstehe Euch nicht.« – »Der Hund hat die ganze Nacht im Zwinger jämmerlich geheult,« sprach die Alte weiter: »die Eule hat geschrien und die Todtenuhr hat gehämmert, als wollte sie nimmer aufhören. Das bedeutet nicht viel Gutes. Zudem ist heute kein glücklicher Tag, und ich hätte an Eurer Statt den Ritter nun nimmermehr reiten lassen.« – »Ihr macht mir bange!« versetzte Else, ohne jedoch weiter eine Bewegung zu äußern: »Mein Mann lacht über solche Dinge, und fürchtet sich nicht, weil er ein geweihtes Amulet bei sich trägt, das er einem Pilger abgenommen, der es gerade von des Erlösers Grab geholt hatte. Wenn ihm nur das Heiligthum noch hilft, da er jetzo im Banne liegt?« – »Ei, wie sollte es denn nicht?« fragte Petronella entgegen: »die hochwürdigen Barfüßer Ordensherren weihen ja gewöhnlich diese Schutzmittel, und man weiß ja, daß sie sich nicht viel um Bann und Interdikt kümmern.« – »Ihr beruhigt mich wieder völlig;« antwortete Else, dem alten Fräulein gutmüthig und derb auf den hohen Rücken klopfend: »ich hatte schon den Gedanken gefaßt, trotz Bann und Strahl eine Messe in der Kapelle lesen zu lassen auf die glückliche Heimkehr meines Alten.« – »Eine Messe?« lachte Petronella: »wie das?« – »Wer versteht das Handwerk hier?« spottete Wallrade: »etwa der edle Herr, der vor uns steht, oder der taube Wächter, der endlich mit dem ersehnten Vorrath anlangt?« – »Hoho!« [225] fiel Else ein: nur nicht so höhnisch, gefangnes Fräulein Naseweis. Wir haben wohl noch andre Leute hier im Schlosse, die Kutte und Platte tragen. »Da unter uns sitzt ein armer Pater im Kühlen, dem Eure Gesellschaft, Leuenbergerin, Unglück gebracht hat, und der wohl jetzo, obschon Mittag vorüber, nüchtern genug wäre, um das Meßopfer zu bringen.« – »Wie?« schrie Petronella, erstaunt die Hände faltend: »Wie? Der arme Mann, der mit uns hier angelangt?« – »Derselbe;« versetzte Frau Else kaltblütig: »er sammt dem Bäuerlein, das Euch den Wagen lieh, bewohnt unsern Thurm, weil mein Alter meinte, die Leute seyen mit der Gegend zu bekannt, als daß nicht der Gewahrsam der schönen Wallrade verrathen hätte werden müssen. Sie werden sich's nun gefallen lassen, so lange hier zu verharren, bis des Fräuleins Haft vorüber.« – »Ha, Euer Herr macht wackre Streiche!« rief Wallrade keck; »an schwachen Frauen und wehrlosen Mönchen erprobt sich des Helden Muth.« – »O laßt den Heldenmuth aus dem Spiele, gutes Fräulein:« entgegnete Else: »einen schönen Falken läßt der tapferste und großmüthigste Mann nicht aus den Händen. Wahrlich, Wallrade, hätte ich einen Sohn, ich ließe Euch gar nicht mehr von meiner Seite; Ihr müßtet meine Schwieger werden, und noch heute müßte der Pfaffe da unten Euch trauen.« – »Das ist ein Wort, vortrefflichste Nichte;« sprach Petronella beißend: »Frau Else denkt nicht an ihr alt Geschlecht.« – »Ihr habt Recht, Base Stolperwitz;« ließ sich Wallrade vernehmen: »unser halbadelig Wappen würde nicht [226] zu dem des Ritters Bechtram passen, wenn er gleich Räuberei treibt. Beruhigt Euch indessen. Meine verehrte Wirthin hat ja keinen Sohn, der ihre Drohung verwirklichen könnte.« – »Freilich nicht;« setzte Else seufzend hinzu: »das ist's, was mir oft blutige Thränen kostet. Was nützt meinem Alten seine schwere Mühe und saure Arbeit? Was nützt ihm langes Leben und Gedeihen? Wir haben ja doch niemand, dem wir hinterlassen könnten, was er mit Schweiß und Blut erobert. Der Tag, an dem unser Philipp starb, der wilde Bube, war ein harter Tag, und auch damals schrie die Eule wie ein wahrer Unglücksvogel. Der Junge mußte gerade seinen Kopf aufsetzen, und ein Pferd in die Schwemme reiten wollen. Mein Alter erlaubte es dem Fürwitz, und gestürzt, vom Roß geschleift und zertreten, brachten uns die Leute den Buben sterbend in's Haus zurück.« – Else wischte sich eine Thräne ab, die in ihr finstres Auge gedrungen war. – »Den leibeigenen Knecht, der das Unglück, ohne zu helfen, geschehen ließ, ließen wir todt peitschen,« setzte sie mit fürchterlich gepreßter Stimme hinzu, »allein unsern Philipp machte es nicht lebendig.« – Eine tiefe Stille folgte auf diese kurze und gräßliche Erinnerung. Frau Else richtete sich indessen schnell in die Höhe, stampfte einigemal mit dem Fuße auf das Pflaster, fuhr sich verstohlen mit dem Ärmel über die Augen, und langte die Kanne mit Wein an Wallraden. »Trinkt! thut Bescheid!« sprach sie mit ganz verändertem Tone: »dem Gaste gebührt die Ehre. Dann die kluge Leuenbergerin, dann ihr Vetter, und zuletzt ich. Petronella ist hernach [227] so gut, und gibt uns eine Sage oder Legende zum Besten. Man vertreibt damit die Zeit am Besten, und der Faden am Rocken wird noch einmal so glatt und eben, und die Kuchen schmecken noch einmal so gut.« – »In Gottesnamen denn,« fügte Wallrade hinzu, und drehte dem Leuenberger den Rücken, da er ihr einige verbindliche Worte in's Ohr flüstern wollte: »in Gottesnamen, Muhme. Hebt an, und erzählt.«

Veit stemmte maulend den Kopf in beide Hände, und pfiff in die Luft hinaus: die Alte setzte sich indessen zurecht, roch ein Paarmal mit besinnender und bedächtiger Miene an dem Bisamapfel, den sie auf der Brust trug, und graute sich am Kinn. »Lieben Freunde,« begann sie, indem sie den Finger an die Nase legte: »eine Sage, die Ihr nicht schon wüßtet, fällt mir gerade nicht ein; eine Geschichte von den lieben Heiligen ziemt sich nicht zu berichten, an einem Orte, wo kein Gottesdienst gehalten werden darf; demzufolge will ich Euch lieber, da wir von Kindern gesprochen haben, auch ein Kindermährchen erzählen; nicht das beste, nicht das schwerste, das jemals von einer Amme oder einer treuen Mutter erfunden worden ist.« – »Meinethalben;« entgegnete Frau Else: »nur sey es nicht zu lustig und schnurrig, mein kluges Fräulein. Das Ernsthafte und Schauerliche ist mir lieber, und stimmt besser zu meinem heutigen Gemüth.« – »Wie Ihr befehlt, meine gute Wirthin;« antwortete hierauf des Leuenbergers Base, und hob an, mit lebhaften Geberden und wackelndem Kinn, wie folgt:

[228] »Es sind wohl länger denn zweitausend Jahre her, und viel darüber, als es einen reichen Mann gab, der eine gar schöne, fromme und sittige Wirthin in sein Haus geführt hatte, und mit ihr des Lebens Glück genoß im höchsten Maaße, ausgenommen das Glück, ein Kind zu haben. Da geschah es einmal, daß die Ehewirthin an einem frischen Wintertage unter dem Mandelbaume saß, der im Hofe stand, und einen Apfel schälte. Das Messer glitt jedoch ab, und fuhr ihr in den Finger, daß ihr Blut in den Schnee rann. ›Ach!‹ sagte sie hierauf und seufzte aus innrer Brust: ›Ach, wohl ist weiß der Schnee und roth das Blut, und hätte ich hoch ein Kindlein roth und weiß wie sie beide.‹ Kaum hatte die Frau diese Worte gesprochen, als ihr recht fröhlich und heimlich um's Herz wurde, denn sie hatte nicht umsonst geredet und geseufzt.Ein Mond ging hin und der Schnee ging weg; der zweite Mont fand alles grün, im dritten kamen die Blümelein aus der Erde, im vierten alle Bäume in's Holz, worin die Vögelein sangen, und die Blüten fielen. Und wie der fünfte Mond vorbei war, da stand die Frau unter dem Mandelbaum, der gar zu lieblich roch, und ihr Herz war froh und konnte sich nicht fassen vor stiller Freude. Und der sechste Mond vorüber war, da begannen die Früchte aufzugehen und stark zu werden; sie aber wurde ganz still. Im siebenten Mond griff sie nach den Mandelbeeren, aß davon und ward borsthaft und traurig. Da aber der achte Mond hingegangen war, da rief sie ihren Mann, und weinte, und sagte zu ihm: ›Wenn ich sterbe, [229] so begrabe mich unter den Mandelbaum.‹ – Nun wurde ihr wieder ganz wohl und getrost zu Sinne, und kaum war der neunte Mond vorbei, so gebar sie ein Kind, weiß wie der Schnee und roth wie Blut, und freute sich daß, und starb. Ihr Mann begrub sie unter den Baum, wie er es versprochen, und fing an zu weinen gar sehr, eine Weile lang; nach und nach und allgemach legte sich aber das Herzeleid, und dann hörte er auf zu greinen, und dann währte es nur eine kurze Zeit, so nahm er sich wieder ein Weib.« – »Männertreue!« sprach Wallrade bitter: »Ihr erzählt kein Mährlein, Muhme. Daß ich Euch also nennen muß, beweist, daß wirklich im Leben geschieht, was in der Ammenstube erdichtet wird.« – Petronella zog ein verdrießliches Gesicht, und ihr Vetter schlug eine spöttische Lache auf. Frau Else aber schlug allen beginnenden Hader durch den Wunsch nieder, das Mährlein weiter zu hören, und das Fräulein von Leuenberg fuhr fort: »Die Stiefmutter gebar eine Tochter in's Haus, und diese war ihre Liebe, und der Sohn der Verstorbenen wurde ihr Haß, und sie dachte ihn zu verderben. Und der Gott sey bei uns fügte es, daß einstens der Junge aus der Schule kam, und von der Mutter 'nen Apfel begehrte. Sie machte ein finster Gesicht und glühende Augen, und begehrte von dem Buben, daß er heraufkomme zur Dachkammer, wo eine Kiste stand mit scharfem Schloß von Eisen, und da sie den Deckel aufmacht, und dem armen Jungen befiehlt, sich einen Apfel aus der Truhe zu holen, und der unschuldige Knabe sich hineinbiegt ... [230] Puff! Schägt sie den Deckel zu, daß des Buben Kopf unter die rothen Äpfel fiel. Darauf hat sie mit einem weißen Tuch das Haupt wieder an den Körper gebunden, den Knaben vor die Thüre gesetzt, und ihm einen Apfel in die Hand gegeben. Und da sie in der Küche stand, und einen Topf mit heißem Wasser brudeln ließ, da kam ihr Töchterlein traurig zur Küche, und sprach: ›Ach Mutter mein! Vor der Thüre sitzt das Brüderlein und sieht aus wie der Schnee, und ißt nicht seinen Apfel und antwortet nicht, ob ich ihn gleich gebeten; mir von dem Apfel zu geben.‹ – ›Ei,‹ sagt die Mutter, ›wenn der böse Bube nicht reden will, so ziehe ihn an den Ohren.‹ Lenchen ging hin, und that wie ihr die Mutter geheißen, und da lag der Bruder todt zur Erde. Da hat nun das arme Mägdlein geschrien und geweint, und die Mutter hat gesprochen: ›Ach, Lene, Lene, was hast Du gethan. Komm, daß wir's dem Vater verbergen!‹ Und sie hackte den Jungen in Stücken, und steckte diese in den Topf mit Wasser und kochte sie zum Imbiß; Lenchen stand aber dabei, und weinte, und weinte, daß alle Thränen in den Topf fielen, und das Gericht brauchte weiter kein Salz.« – »Aber, Fräulein!« sprach hier Frau Else: »welch schreckliche Mähr erzählt Ihr uns da? Gott vergebe der bösen Stiefmutter!«

»Und es ist doch nur 'ne Stiefmutter;« entgegnete Petronella mit häßlichem Lächeln, »und manche wahre und echte Mutter hat also gethan an ihrem Kinde« – Else schlug ein Kreuz; Veit wollte sich todt lachen über die Schnurren, die seine Base [231] auftischte; Wallrade war jedoch ganz still, und sah ernst vor sich. Die Leuenbergerin nahm dafür den Faden wieder auf, und erzählte:

»Wie nun der Vater kam aus dem Wald, und warf die Art weg und setzte sich zum Tisch, so fragte er: ›Wo ist denn der Bube?‹ – Zuerst antwortete die Mutter nicht, und trug das Essen auf; du jedoch Lenchen die Zähren nicht verbergen konnte, so fragte der Vater wieder: ›Weib, wo ist denn der Bube, mein Sohn?‹ – ›Über Land ist er gegangen,‹ antwortete ihm die Frau hierauf, als ob sie kein Wasser getrübt hätte: ›er will beim Großohm verweilen sechs Wochen lang und ich habe ihm's nicht versagen mögen.‹ – ›Ach, was ist doch dem Buben eingefallen?‹ versetzte hierauf der Vater gar wehmüthig: ›Wie konnte er doch fortgehen, ohne mir gesagt zu haben: Leb' wohl Vater, und bleib' gesund?‹ – Der gute Mann wurde recht wehmüthig, und wollte nichts genießen; da er aber den ersten Bissen der Gräßlichen Speise gekostet, wurden ihm Augen und Mund weit, und er aß und aß, und aß ganz allein, und ließ keinem Menschen einen Bissen übrig, und vom ganzen Gerichte nur die Beinlein, die das kleine Lenchen in ein seiden Stück wickelte, verstohlen, daß es die Mutter nicht sah, und damit von dannen ging, unter den Mandelbaum, wo sie des Bruders Überreste niederlegte in's grüne Gras, und sie befeuchtete mit blutigen Thränen. Da geschah es aber mit einemmale, daß der Mandelbaum begunnte sich zu bewegen, und der Wipfel nickte freundlich, während dessen die Zweige [232] auseinander rauschten, und wieder zusammenschlugen, wie fröhliche Leute mit ihren Händen zu thun pflegen, und die Wurzeln hüpften hüpften und zuckten, wie die Füße eines tanzlustigen Gesellen. Und dabei ging eine Nebelwolke aus von dem Baume und in der Wolke brannte ein schönes rothes Fetter, und aus dem Feuer flog so ein schöner Vogel heraus, wie er nimmer gesehen wird in deutschen Landen; der sang lieblich und wohlgemuth und flog in die hohe Luft. Unter dem Mandelbaume war jedoch alles wie zuvor, und das Gras spielte im Winde, die Blätter regten sich leise, aber des Brüderleins Gebeine waren verschwunden, wie das seidne Stück, so daß Lenchen's Herz weit wurde, wie das eines Glücklichen, und sie sich nicht anders vorstellen konnte, als daß lieb Brüderlein noch lebe. Worauf sie vergnügt nach Hause ging. Der bunte Vogel setzte sich inzwischen auf eines Goldschmids Haus, und sang vernehmlich: ›Die Mutter hat mich erschlagen, – Verzehrt hat mich des Vaters Mund, – Mein Schwesterlein thät mich begraben, – Beim Mandelbaum im kühlen Grund! Kywitt! kywitt! welch ein schöner Vogel bin ich!‹ – Meister Goldschmid saß gerade in der Werkstatt und fertigte eine goldne Kette. Der Gesang des fremden Vogels auf seinem Dach gefiel ihm über die Maßen, und er lief, ob er gleich Schuh' und Schurzfell in der Eile verlor, auf die Straße, wo die Sonne so hell schien, wie das goldne Geschmeide in seiner Hand. – ›Ach Vögelein!‹ rief, der kunstreiche Mann: ›wie singst Du doch so schön! Wiederhole die Weise noch einmal.‹ Der [233] Vogel kratzte sich darauf schelmisch am Kopf, und er wiederte: ›Gibst Du mir die goldne Kette in Deiner Hand, so singe ich noch einmal. Umsonst thu' ich's jedoch nicht.‹ Der Goldschmid reckte ihm hierauf die Kette dar vom reinsten Golde, und der Vogel packte sie in die Kralle, und setzte sich vor dem Goldschmid nieder und sang: ›Die Mutter hat mich erschlagen, – Verzehrt hat mich des Vaters Mund, – Lieb Schwesterlein thät mich begraben, – Beim Mandelbaum im kühlen Grund! Kywitt! kywitt! welch ein schöner Vogel bin ich!‹« – »Traun!« schaltete hier der Leuenberger ein: »man kann nicht leichter zu goldnen Ketten kommen.« – »Unterbrecht doch die Muhme nicht,« schalt Else dagegen: »Ihr seyd ein unruhiger Zuhörer. Nehmt ein Beispiel an Eurer Nichte, welche da sitzt wie ein fleißig Mägdlein in der Kinderlehre.«

Petronella schenkte der aufmerksamen Zuhörerin einen günstigern Blick, denn zuvor, und ließ sich weiter vernehmen: »Der Vogel flog von dannen und setzte sich auf eines Schusters Dach, wo er abermals sein Lied sang, und damit Meister und Frau , Kinder und Gesellen auf die Straße lockte, wo die Sonne nicht heller schien, als die goldne Kette um des Vogels Hals. Und da ihn der Schuster aufgefordert hat, das Stücklein noch einmal zu pfeifen, so gurrte der Vogel, als ob er sich besänne, und fragt: ›Gibst Du mir die rothen Schuhe, die Du gerade vollendet hast, so will ich singen; umsonst thu' ich's aber nicht.‹ – ›Was will ich machen?‹ versetzt der Meister, und reicht die Schuhe dem Vogel, [234] der sie erpackt, auf des Schusters Schulter fliegt, und das Lied wiederholt, das wir schon wissen. Weit davon stand aber eine Mühle, die ging klipp klapp, klipp klapp vom Morgen bis zur späten Nacht, und zwanzig Müllerknechte standen darin und behaupten einen Stein, und ihre Hämmer klangen: hick, hack, hick hack zwischen durch der Mühle Klipp klapp, klipp klapp. Ein Lindenbaum stand gar lustig vor der Mühle und darauf setzte sich der bunte Vogel mit Kette und Schuhen, und sang sein Lied, daß einer von den Gesellen nach dem andern aufhörte zu hauen, und alle herausgelaufen kamen, und den wunderlichen Vogel anstarrten, der so vernehmlich singen konnte wie ein Mensch, und so bedenklich obendrein. Da sie nun verlangten, er möchte seine Weise wiederholen, so entgegnete der Vogel: ›Gebt Ihr mir den Mühlenstein, so Ihr behauen habt, so will ich wohl. Umsonst aber thu ich's nicht.‹ Die Gesellen pflogen hierauf Raths unter sich, und wurden endlich eins, daß der Stein dem Vogel gehören sollte. Da sie nun mit Hebeln und Stoßbäumen ansetzten, um den schweren Stein zu erheben, so kam der Vogel herbeigeflogen, die Kette in der rechten, die Schuhe in der linken Kralle, steckte sich den Mühlstein an den Hals, wie einen Helmkragen, und da er noch einmal gesungen hatte, so flog er weit, weit weg mit Stein, Kette und Schuhen, nach seines Vaters Hause.«

»Dort fliegt Staub auf am Waldrande!« rief der Leuenberger, mit der Hand nach der Heerstraße deutend: »Es wirbelt lustig durcheinander. Was [235] gilt's, unser wackrer Hauswirth kehrt heim!« – Else warf einen Blick nach der Straße, und erwiederte gelassen; »Gottlob! Aber noch sind die Männer fern, und das Fräulein hat alle Muße, ihre schöne Mähr zu endigen, deren Schluß ich mit Neubegier erwarte.« – »Gewiß!« setzte Wallrade mit einem gezwungnen Lächeln bei, während ihr Auge bald gespannt auf Petronellens Munde haftete, bald scheu den Boden suchte. Die Base, nachdem auch sie den fernen Ankömmlingen einen Blick ihres Auges geschenkt hatte, fuhr lebhafter und mit feierlichem Antlitz fort: »In der Stube des Hauses saßen der Vater, die Mutter, und Lenchen am Tisch,« und der Vater sagte: »Mir wirb so wohl und frei um die Brust, ob ich schon nicht weiß, warum.« Die Frau sagte dagegen: »'s wunderlich. Mir wird so schwül zu Sinne, als ob ein Wetter über'm Schlot stände.« – Lenchen aber mußte verstohlen greinen und weinen, so kamen ihr die Thränen in die Augen. Plötzlich fliegt der Vogel herbei, und so wie er sich auf das Dach setzt. – »Ach!« sagt der Vater: »Mir ist heut sonnenwohl und heiter, als ob ich einen guten alten Freund wiedersehen sollte.« Die Frau sagt dagegen: »'s ist wunderlich! mir wird so bang, und die Zähne klappern mir, und es kriecht wie Feuer durch meine Adern, und das Mieder will mit zerspringen vor Gebreste.« Lenchen sagte kein Wort, und weinte, daß die Schürze naß wurde, wie ein Regentuch. Inzwischen war der Vogel auf den Mandelbaum geflattert, und indem er durch die Scheiben stierte, als wäre jeder seiner Blicke eine Stechlanze, [236] sang er: »Die Mutter hat mich erschlagen ....« da hielt die Frau die Ohren zu, und kniff die Augen zusammen, daß sie nicht hören und nicht sehen mochte. Doch vor den Ohren braußte es ihr wie alle Waldströme des Fichtelgebirgs, und vor den Augen zuckte ein Blitz nach dem andern. – »Verzehrt hat mich des Vaters Mund ....« sang der Vogel weiter, und obgleich der Mutter das Lied klang wie Todtenglocken, so war's doch dem Vater als ob Engel singen zu goldnen Harfen, und ein süßer Geruch wie Rosmarin und Holderblüthe herabrieselte von dem Wipfel des Baum in die sonnenhelle Stube, »Lieb Schwesterlein thät mich begraben,« tönte des Vogels Stimme weiter, und Lenchen mußte, um sich satt zu weinen, den Kopf auf die Knie legen. Der Vater konnte hingegen nicht mehr im Hause bleiben, und wollte heraus, nach dem seltsamen Vogel zu schauen, was er auch that, ob ihn schon die Frau beim Ärmel zurückhielt und stammelte: »Geh nicht! Geh nicht! Es wankt ja das Haus, und steht's nicht in Flammen?« – Da der Vater nun den Vogel beschaute, und sich seines Gefieders freute, wie auch sich wunderte ob der befremdlichen Worte, die er sang: »Beim Mandelbaum, im kühlen Grund, .. kywitt! kywitt! welch ein schöner Vogel bin ich!« so ließ der Sänger die goldne Kette fallen, gerade um des Vaters Hals, daß sie ihm stand, wie der Schmuck eines Ritters oder Marschalls. Als er nun freudig hineinging, und der Frau das Geschmeide wies; so konnte die Sündige sich kaum aufrecht erhalten, weil der Vogel wieder anhob, wie mit tausend Zinken- und Heroldsstimmen: [237] »Die Mutter hat mich erschlagen!« – »O mein Herz!« seufzte die böse Frau: »O läge ich doch tausend Klafter unter dem Boden, daß ich nicht hören müßte, was das Gespenst dort auf dem Baume krächzt.« Der Vogel kam nun an die Weise: »Lieb Schwesterlein thät mich begraben,« und nun mußte auch das Mägdlein hinaus, um den Vogel zu schauen, der ihr die rothen Schuhe herunter warf, auf denen sie fröhlich in die Stube zurücktanzte. Da schmetterte der Vogel fein: »Kywitt! kywitt!« wie ein rüstiger Trompeter durch die Luft, und hörte nicht damit auf, daß der falschen Mutter die Haare zu Bergen standen, wie Feuerflammen und wehende Waldbäume. – »Ach!« schrie sie verzweifelnd: »Geht denn die Welt nicht unter? Hört denn der Bube nicht auf zu schreien? Ich muß hinaus zu ihm, ob es mir wohl mein Herzblut kosten wird!« – Rannte hinaus, und vom Mandelbaum polterte der Buchtstein herab, daß sie elendiglich zerschellt dahin sank, viele Fuß tief in die Erde, aus welcher der Stein nimmer gehoben werden konnte. Der Vater und Lenchen rangen die Hände, da Dampf und Feuer aufging von der Stätte. Als aber der Rauch verzogen, die Flamme erloschen war, da war es unter dem Mandelbaume wie zuvor, das Gras spielte im Winde, die Blätter regten sich leise und der kleine stand, weiß wie Schnee, und roth wie Blut, und lebendig wie ein Hirsch vor dem Vater und dem Schwesterlein, und sprach: »Guten Tag, ihr Lieben, und wohl mir, daß ich wieder bei Euch bin.« Und wie sie sich fröhlich zu Tisch setzen, ist das Mährlein zu Ende.

[238] »Blase, Bärenhäuter!« schrie Veit: dem Wächter in die Ohren, der langsam und faul nach dem Horn griff, da die Reiter schon nahe am Graben waren. – »'S ist wahrlich mein Alter!« rief Else unter dem Geschmetter des Horns: »Gott und alle Heiligen seyen gelobt.« – Indem sie jedoch schnell aufstand, bemerkte sie mit Schrecken, daß Wallrade von der Steinbank zur Erde gegleitet war, und ihrer Sinne verlustig geworden, dahin liegend wie eine Leiche. Die Frauen sprangen der Ohnmächtigen bei. Der Junker sah ihnen höhnisch lächelnd über die Achseln. »Seht doch einmal!« rief er: »Das Fräulein ist ja doch sonst hart wie Stahl und Eisen, und weder Haß noch Liebe erschüttert sie. Wie kommt's, daß ein Kindermährlein die Starke umwirft? Ich laufe, die Zugbrücke herab zu lassen.« – Er überließ die Bewußtlose ihren Pflegerinnen, und eilte hinab an das Thor der Veste, um den Ankommenden den Einritt zu verstatten. Sie kehrten alle wohlbehalten zurück, aber mit verdrüßlichen Gesichtern. Bechtram ritt eines Knechts Mähre, und sein eignes Pferd kam hinkend hinterdrein. »Das war ein Miserereritt!« rief er dem Leuenberger entgegen: »Gotts Marter! wer sagt mir denn, was meinem Hengste fehlt?« Die bockbeinige Mähre hat mich abgeworfen, da ich ihr das Hinken mit den Sporen austreiben wollte, und das hat unserm Zug ein plötzliches Ende gemacht, denn der Satan versuche an dem Tage sein Glück weiter, wo sein Leibpferd ihm abwarf. Das gedeutet Unglück, und vielleicht sogar Hexere. – »Wir hatten der bösen Zeichen viele,« rief der Hornberger[239] dazwischen: »eine alte Vettel war der erste Mensch, der uns begegnete, und der Teufel selbst kann kein größer Unglück herbeiführen.« – Die Übrigen hatten indessen das Pferd umringt, und belugten das Thier von allen Seiten, wie schon im Freien geschehen war, ohne die Ursache seines Gebrestes und seines Kollers entdecken zu können. – »Kreuz und Stern!« rief Bechtram ungeduldig, und zauste seinen grauen Knebelbart: »Irgend etwas muß doch die Schuld tragen. Wer weiß, ob Deine Base den Gaul nicht verhert hat, Leuenberg.« – Die Übrigen brachen in lautes Gelächter aus. Doring faßte übrigens den Gedanken auf, und versicherte ernsthaft und kopfschüttelnd, es sey hier wohl eher die Wahrscheinlichkeit einer Zauberei da, als nicht. – »Es wäre möglich, daß die Krämer zu Frankfurt Dir den Gaul geknüpft hätten;« meinte der Reifenberg, und der von Wiede schwor bei allen Wettern, Zauberei stecke dahinter, und weiter nichts. Sie standen mit untergeschlagenen Armen im Kreise um den Gaul, und Bechtram sprach endlich verdrüßlich: »Was verzaubert ist, muß, sich auch entzaubern lassen, wenn man's nur verstände.« – »Warum liegt Ihr im Bann?« wieherte der Hornberger: »Warum nahm Euer Kaplan Reißaus? Die Schorköpfe kennen Teufelei und Hexenwerk wie ihr Meßbuch, und beten dem Satan die Hörner stumpf.« – »Wenn's nur das ist, da kann abgeholfen werden,« meinte Bechtram: »in meinem Verließe steckt ja ein Kuttenknecht, und man könnte ihn ja eine Weile aus dem Käfig lassen, um hier seine Schuldigkeit zu thun.« – »Ja wohl,« [240] pflichtete der Leuenberger bei: »und so Ihr begehrt, verlange ich von Eurer Hausfrau die Schlüssel, und schleppe Euch den hagern Burschen her.« – Bechtram gab nach einigem Bedenken die Einwilligung, und Veit eilte, seinen Auftrag auszurichten, und kehrte bald mit dem Mönch zurück, dessen Gang sich sehr von dem schleichenden Katzentritt seiner Ordensbrüder unterschied. Kraftlosigkeit lag jedoch über sein ganzes Wesen ausgebreitet, und das Gesicht hielt er in der Kaputze verborgen, durch deren Öffnung ein verwirrter Bart sich sehen ließ. »Willkommen, hochwürdiger Herr;« redete ihn Bechtram spottend an: »Ihr mögt vergeben, daß meines Gewerbes strenge Beschäftigung mir noch nicht die Muße gönnte, einen werthen Gast, wie Ihr seyd, von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Ich hoffe indessen, daß Euch und euerm Begleiter die nothwendige Atzung nicht gefehlt haben werde.« »Der arme Schelm!« schaltete Doring mitleidig ein: »Frau Else hat nur für trocken Brod und klares Wasser gesorgt.« – Bechtram warf ihm einen finstern Blick zu, und entgegnete mit trockner Kälte: »Ein Jeder, Freund, wird in meinem Hause gehalten, wie es seinem Stande geziemt. Mönch und Bauer sind auf die nüchternste Kost angewiesen, und darum hat meine Wirthin ihre Tafel also geordnet. Ich möchte Euch indessen, würdiger Vater, gern zu einem bessern Trunk und leckerem Bissen verhelfen, wenn Ihr mir dieses Pferd hier, das am Hinterfuß verzaubert und gebannt ist, wieder zurecht bringen wolltet durch euern Segen und Beschwörung.« – Der Mönch, der bis daher noch kein [241] Wort gesprochen hatte, sah auf den Gaul und dessen Herrn hernieder wie ein Fürst, und erwiederte ruhig: »Ich verstehe das nicht, Herr, was Ihr begehrt.« – Bechtram war mit der Antwort nicht zufrieden. – »Ausflüchte,« sprach er lächelnd: »Ihr Klosterleute pflegt doch sonst eher mehr zu versprechen als ihr halten könnt, und allzugroße Bescheidenheit ist eure Sache nicht. Hängt sie an den Nagel, und stellt mir das Thier wieder her. Es soll euer Schade nicht seyn. Höher als eines Menschen Leben schätze ich das Roß, und meine Dankbarkeit ist Euch gewiß.«

»Ich wiederhole Euch, Herr,« versetzte der Mönch gelassen, »daß ich nichts von Beschwörungen verstehe.« – Bechtram's Stirne wurde glutroth, und der Hornberger fuhr auf. – »Bist Du ein Pfaffe,« schrie er, »und kannst nicht einmal ein verhextes Vieh lösen? Schwänke über Schwanke! Das Zaubern lernt ihr aus euern Chorbüchern, die keine andre Christenseele versteht. Merkt Ihr nicht, Bechtram, daß der schmutzige Barfüßer Euch nur zum Besten hat? daß es ihm Freude macht, Euern Renner krumm und lahm zu sehen? Die Pfaffen sind Eure geschwornen Feinde. Laß diesem hier nur die Peitsche geben, bis er sich bequemt. Kreuz und Dorn! ich mache nie so viele Umstände mit den braunen Unthieren.« – »Hm,« erwiederte Bechtram: »ich werde doch in sechzig Jahren nicht weniger gelernt haben, als Ihr, mein Herr von Hornberg? Laßt das Hofmeistern auf gelegnere Zeit, wenn Euch der Bart grau geworden. Ich weiß schon selbst, wie mit [242] Widerspenstigen, umzuspringen ist.« – Der Hornberger wurde empfindlich über die öffentliche Zurechtweisung. »Bei allen Gewittern!« rief er: »Nicht so hitzig und beißig, Meister Bechtram. Daß ein grauer Bart nicht vor Thorheit schützt, beweißt Ihr gerade jetzo, da Ihr einen erprobten Freund wegen eines Pferds und eines Tagediebs beleidigt.« – »Schweig! Gelbschnabel,« erwiederte Bechtram mit zorniger Geberde, indem er an die Hüfte schlug, wo das breite Schwert hing. – Friede! Friede! riefen jedoch die Andern dazwischen. Der Leuenberger nahm es über sich, den Hornberg zu besänftigen, und der ältere Döring machte sich an Bechtram. Die beiden gereizten Männer ergaben sich nicht alsobald in den Willen der Vermittler, und sträubten sich lange gegen eine Versöhnung des so schnell ausgebrochnen Zwists. Endlich hängte sich noch der Reifenberg an den Hornberger, Henne von Wiede an den Burgherrn, und sprachen, so gut es ihre rauhe und der Schmachreden mehr denn der Friedensworte gewohnte Zunge vermochte, kräftig genug zur Sühne. Während nun die eine Partei unter lebhaften Geberden auf der Scheibenbahn des Zwingers auf und ab lief, und die andre, heftige Worte wechselnd, sich an das Gatterthor gezogen hatte, besah der Mönch das arme Roß nach allen Regeln der Kunst, so daß sich die Knechte selbst ob der Unerschrockenheit wunderten, mit welcher ein des Reitens unkundiger Klosterbruder das wilde und ungeduldige Thier zu behandeln wagte. Er war mit seiner Untersuchung zu Ende gekommen, als gerade die friedestiftenden Freunde [243] auch an das Ende ihrer Bemühungen gelangt waren. Des Hornberger's Hitze war größtentheils verdampft; der kältere Bechtram hatte erwogen, daß er des unerschrocknen Kämpen wohl noch ferner bedürfe, und beide boten endlich willig die Hand zur Ruhe und Minne. – »Laßt's gut seyn;« brummte Bechtram, des Junkers Rechte schüttelnd. – »Gott strafe mich, wenn ich's Euch gedenke;« erwiederte der rohe Mensch, dem ältern Kumpan um den Hals fallend: »aber, setzte er hinzu: da sich zwei wackre Edelleute um solches Ungethüm – auf den Mönch zeigend – vermeinigt haben, so muß der Bube uns beiden Genugthuung leisten, und auf der Stelle den Teufel beschwören, der in dem Gaule sitzt, oder es geht ihm nicht gut.« – »Recht, Hornberg;« bekräftigte Bechtram, der sich mit dem Übergewichte eines hochmüthigen Zwingherrn gegen den Mönch wendete: Mache Dich fertig, Pfäfflein, sonder Widerrede, heile mir das Pferd. Ehe die Abendsonne hinter jene Linde sinkt, muß es geschehen seyn. Mangelt Dir etwas vom geistlichen Staat, so zu diesem Werke nöthig wäre, so soll es Dir gereicht werden. Weihkessel und Wedel, Stola und Meßrock findet sich in meiner Kapelle. »Darum sprich und treibe Deine Schwänke, damit mein Gaul gesunde, und es Dir wohl gehe auf Erden.«

»Muß ich denn wiederholen, was ich früher sagte?« fragte der Mönch achselzuckend, mit etwas verächtlicher Miene, so weit sich sein blasses Gesicht unter der Kaputze erkennen ließ. – Bechtram stampfte wild mit dem Fuße. »Hagel, Sturm, Pest und rother [244] Hahn!« schrie der vorlaute Hornberg: »Tagdieb! willst Du wohl gehorchen? Seit einer Stunde schon gibt Dir ein biedrer Rittersmann die besten Worte, und Du, schmutziger Bettelgänger, treibst Deinen Spott mit ihm? An's Werk, oder ich lähme Dich wie den Gaul hier.« –

Er griff nach seinem Lieblingswerkzeug, dem Messer am Gürtel. – »Bist Du denn toll?« rief ihm der Leuenberger in's Ohr, und hielt seinen Arm. Der wilde Junker sträubte sich jedoch ungeberdig, und rief außer sich: »Laß mich, Veit, laß mich! Ich will die Kniesehne des Faullenzers treffen, so gut als die eines Pferdes!« – Leuenberg ließ indessen nicht ab, und die Übrigen standen ihm bei. Der Mönch kehrte sich gelassen zu Bechtram, und sprach: »Ich weiß wohl, daß der gute ungestüme Junkherr Wort halten würde. Einen Menschen zu verstümmeln wie ein Thier fällt ihm nicht schwer. Demungeachtet kann ich Euerm Wunsche durch eine Beschwörung nicht genügen, wohl aber durch leichtere Hülfsmittel. Das Roß ist nicht behext, und wenn es der Hufschmidt Sr. kaiserlichen Majestät behaupten wollte. In seinem Hufe sitzt die ganze Zauberei, und diese Krankheit nennt man die Steingalle. Gefällt es Euch, so will ich noch diese Nacht ein wundätzend Wasser bereiten, und morgen das Pferd damit von Grund aus heilen. Mit Zauberei gebe ich mich aber nicht ab.« – Die Edelleute standen ungläubig und stumm bei diesen Worten. Als aber der Mönch mit gewandter Faust des Pferdes Huf aufhob, und ihnen Allen den kleinen braunrothen Fleck darinnen zeigte, [245] den ihr ungeübter Blick übersehen hatte, und sie sich überzeugten, daß bei der Berührung dieses verletzten Fleckchens das Thier zusammenschauerte, und mit aller Macht zu hauen und zu beißen verlangte, da kam ihnen doch nach und nach zu Sinne, daß der verachtete Klostermann wohl Recht haben könnte, und eine gewisse Art von Bewunderung trat an die Stelle des pöbelhaften Hohns. – »Ei, hochwürdiger Herr,« sprach Bechtram so verbindlich als es ihm möglich war: »Ihr verrathet einen Mann, der nicht in die braune Haut gehört, die Ihr auf dem Rücken tragt. Solch adlich Reitergewerbe zu verstehen, wie Ihrs versteht, was sich aus Euren Handgriffen und zuversichtlichen gerechten Worten ermessen läßt, – das lernt man sonst in Euern Klöstern nicht, worin der Bettelesel das einzige Thier ist, das von Ferne eine Ähnlichkeit mit dem edlen Rosse hat. Sagt, womit ich Euch erfreuen kann; nur die Freiheit muß ich Euch für jetzo versagen, da mir es eine andre Pflicht gebietet.« – »Ich weiß zwar nicht, welche Pflicht Euch gebieten kann,« – versetzte der Mönch, – »die Gewaltthätigkeit fortzusetzen, die jener junge unbesonnene Mann an mir und meinem armen Fuhrmann verübt hat. Allein eben in die Gewalt muß man sich fügen, so man nicht der Stärkre ist. Heile ich Euch jedoch den Hengst, und findet Ihr morgen, daß ich nicht zu viel versprochen, so erleichtert in etwas das Schicksal des armen Bauers, der mit mir in Euerm Thurme schmachtet. Bedenkt, daß er ein Weib daheim hat, und fünf Kinder, die nicht ahnen, wohin ihr Ernährer gerathen ist, und die vielleicht [246] vergehen in Noth und Jammer, wie Er dahin schwindet in Heimweh und verzehrendem Gram. Behandelt ihn nicht schlechter als Euere Rüden, die denn doch dann und wann eine bessere Atzung erhalten, als verdorbnes Haferbrod und schlammiges Wasser. Mit einem Worte: haltet den Unschuldigen wie einen Menschen; dann habt Ihr mir reichlich den geringen Dienst vergolten, welchen ich Euch leisten will.« – Bechtram schwieg etwas beschämt. Die edeln Herren sahen sich der Reihe nach verwundert an. – »Ein wunderlicher Heiliger!« lachte der Hornberger, der sich aus seiner Wuth wieder zum Scherz gefunden hatte: »Wenn Ihr ihn auf der Fahrt hieher gesehen hättet, ... geschworen hättet Ihr, der Mensch sey stumm. Auch kein Wörtlein hat er verschwendet, so tapfer Leuenberger's Base ihn in's Gebet nahm. Ohren und Augen in die Kutte gehüllt, saß er da, wie ein Bild von Holz, und ich schwörs, er hat auch kein Wort gehört, was wir gesprochen. Jetzo aber geht ihm der Mund frisch weg, wie ein fleißiges Rädlein. Glück zu, Pater!« – »Man rede nur zur gelegnen Zeit;« versetzte der Mönch ruhig. – »Man rede aber auch alsdann für sich, und nicht für Andre;« fügte Bechtram mit einer Gutmüthigkeit bei, die ihm um so besser anstand, als er selten darein verfiel: »Mir wär's lieber, bei Gott; Ihr verlangtet etwas Bessres, als ein Stück Fleisch für den dummen Bauer.« – »Mein Gewand ist das der Demuth;« entgegnete der Mönch kurz: »ich begehre nichts für mich; aber hindert Euch denn dieses, mir freundlich entgegen zu kommen? – Für heute wünsche [247] ich nichts als Ruhe, und daß man mir verstatten möge, in den Thurm zurück zu kehren, um das Wundwasser für das Pferd zu bereiten.« – »Wohl wird es kühl und dämmrig hier im Zwinger,« – meinte Bechtram, – »und wir wollen Euch unter Dach und Fach bringen, guter Klostermann. Aber bei leibe nicht in den Thurm. An unserm Hausherde könnt Ihr weit leichter Euern Balsam brauen, und an unsrem Trinktische sitzt sich's besser, als in dem Kerker. Kommt mit; einige Becher edeln Getränks werden Euch stärken, und ein Stück köstlichen Wildbratens-Euern Gaumen vergnügen. Ihr erzählt uns dabei aus Euerm Leben, und aus der Ferne, denn, weit seyd Ihr hergekommen, und helft uns also den Abend verkürzen.« – »Ich bin ein schlechter Erzähler,« antwortete der Mönch: »im Thurm aber wird mein Begleiter, der arme Bauersmann, meine Gesellschaft vermissen. Mein Trost allein und mein Zuspruch drückten ihm die Augen zu auf seinem elenden Strohlager.« – »Pah!« rief der Leuenberger: »solch Volk braucht kein Einlullen.« – »Keine Genossenschaft, als die der Ratzen und Spinnen,« setzte Hornberg hinzu. – »Ja wahrlich!« bekräftigte Bechtram: »Ich sende dem Manne einen Becher Wein, daran mag er sich Rausch und Schlaf zutrinken, und fröhlich seyn. Ihr aber, Pater, – Kreuz und Stein! Ihr müßt mit, und ohne Zögern.«

Der Ritter nahm den Arm des Mönchs unter den feinigen, und das ganze Häuflein der Gäste nahm seinen Weg zu dem Gatterthore, an welchem die Hausfrau ihnen entgegen kam, und den Eheherrn bewillkommte. [248] »Wo ist das Fräulein?« fragte er schnell, und jeder Mund wiederholte die Frage, und jeder Blick suchte sie. Frau Else gab jedoch eine unbedeutende Unpäßlichkeit vor, versicherte, daß dieselbe bald vor über seyn würde, und führte die Herren sammt und sonders in das Gemacht des ersten Stockwerks, wo auf dem eichenen Tisch Speisen aufgestellt waren, und vom Kandelbrett die glänzenden zinnernen Kannen herableuchteten, mit den sauber geformten Ängstern, den mächtigen Paßgläsern und den bauchigen Krügen. Wie heißhungrige Wölfe fielen die Gäste über die derben Keulen her, und der duftige Wein strömte in die Becher. Frau Else schnitt das Fleisch vor, das Fräulein von Leuenberg kredenzte in Ermanglung eines reizendern Mundschenks den Trunk, und bald verwirrte sich Alles in scherzhaften Gesprächen und Alletagsreden. Doring und Weide griffen nach der reisenden Uhr 1, sich die Zeit zu vertreiben; der Reifenberger krähte ein Minnelied zu Petronellens Ehre, welches der tolle Hornberger mit einer verstimmten Laute begleitete; Bechtram, der Leuenberger und der Mönch saßen beisammen, und schwatzten von Jagd und Falkeniererskunst, in welcher der Letztere nieder ungemeine Fertigkeit verrieth, und den Zuhörern manch Jägerstücklein und Falknergeheimniß zum Besten gab, von dem sie sich nichts hatten träumen lassen. Bald jedoch nahm der Wein in Bechtram's, wie in Veit's Kopfe überhand, und es entspann sich zwischen ihnen ein Hader über [249] Wilderei und Forstherrngerechtsame. Die Übrigen, nicht minder vom Wein erglüht, mischten sich in den Handel, und ehe man sich's recht versehen konnte, saßen alle beisammen an einem Tische, um sich mit weniger Aufwand an Stimme und Geberden zanken zu können. Petronella nahm keinen Theil an dem Männerzwist, sah sich vergebens nach Elsen um, die aus der Stube verschwunden war, und steuerte endlich auf den geistlichen Herrn zu, der jedoch von ihrem Vornehmen etwas merken mußte, da er plötzlich aufstand, und aus dem Gewirre und Gelärm der Bezechten, wie vor der Redseligkeit der alten Jungfrau froh, um an den verglimmenden Kohlen des Herdes die Wundarznei zu bereiten, und daneben seine Schlafstelle zu suchen. Die Glut knisterte schon unter dem Topfe, in welchem das Wasser gährte, vermischt mit dem nothwendigen Wein und Gewürz, und der lange braune Mann stand sinnend, mit übereinander geschlagenen Armen, über die Dämpfe des Topfes hinwegsehend in den finstern Schlot, bis ihn ein Geräusch aufzuschauen bewog. Frau Else stand neben ihm, ergriff seine Hand, und küßte seinen Ärmel. Da sich nun der Mönch darob verwundert anstellte, so redete Frau Else also, mit demüthigem Gesichte: »Liegen wir gleich jetzo im Baum hier zu Falkenstein, so sind wir doch getaufte Christen, und keine Heiden oder Juden, die es gerne sehen, wenn die Geweihten des Herrn in Trübsal schmachten und Noth. Hochwürdiger Herr; es hat mir oft das Herz geblutet, daß mein Alter Euch gefangen halten muß, seiner eignen Sicherheit wegen, und daß sich Euch [250] nicht besser bewirthen durfte, als bisher geschehen: ich bin aber die Frau, würdiger Herr, und der Mann führt den Befehl. Vergebt mir also.« – »Hab' ich Euch gezürnt, Frau?« fragte der Mönch dagegen: »Wollt mir gütigst hier eine Weile beistehen, so lange das Wasser kocht;« setzte er hinzu: »denn ich muß Euch bekennen, daß ich des Küchenhandwerks nicht allzu gewohnt bin.« – »Ich glaub' es wohl, hochwürdiger Vater;« erwiederte Frau Else: »das Geschäft schickt sich eher für weibliche Hand, und ich will gerne, so Ihr mir begreiflich macht, was dabei zu beobachten ist, es ganz an Eurer Statt zu Ende bringen, wenn Ihr geneigt wärt, einer armet mit sich selbst und ihrem Gott zerfallnen Frau einen Liebesdienst zu erweisen, wie ihn die Kirche und der Heiland fordern und eingesetzt haben.« – »Wie meint Ihr das, Frau, und ist von Euch die Rede?« fragte der Mönch ernsthaft. – »Nicht von mir gerade, liebster Herr;« sprach Frau Else heimlicher: »ich liege im Bann durch meines Mannes Schuld, und darf ja von der Kirche nichts begehren, bevor wir nicht losgesprochen. Aber da ist eine Frau im Schlosse, eine Verwandte von uns, müßt Ihr wissen; und diese Frau sehnt sich plötzlich nach dem Sakrament der Beichte und Buße, wie ein Sterbender nach dem Liebesmahl. Ich hab's nicht gern gethan, allein ich mußte ihrem Bitten nachgeben, da der Zufall gewollt hat, daß mein Herr Euch aus der engen Haft entlassen. Wollt also sagen: Ja, und die Schlüssel zur Kapelle empfangen, denn in das Gemach der Schwermüthigen darf ich Euch nicht [251] bringen, weil die Männer es merken könnten, und der Jähzorn meines Alten ist ohne Gränzen, weil er im Bann liegt, und er kann daher nicht leiden was geistlich, oder geistlicher Verrichtung ist. Ich sende Euch die Bußbedürftige, ... in einer halben Stunde ist alles abgethan, und Ihr nehmt einen Gotteslohn mit Euch.« –

Der Ordensmann war während dieser Erläuterung verlegen und unruhig geworden. Mit einer gewissen Heftigkeit weigerte er sich des Antrags, und schob der Weigerung, Schuld auf das Interdikt, das auf der Veste ruhe. Frau Else warf ihm dagegen ein, daß die Fremde nicht dem Banne unterliege, und es demnach nicht gegen das Gewissen des Paters laufen würde, wenn er das Verlangte thue. Durch die abschlägige Antwort noch obendrein ein wenig gereizt, setzte das männliche Weib mit unverholner Bestimmtheit hinzu: »Ihr Herren macht ja sonst keine Umstände, wenn es darauf ankömmt, einen Beichtheller zu gewinnen. Den heilige Vater mag Städte und Weichbilder in Bann thun, und alle andre Welt- und Ordenspriester mit Kreuz und Fahnen von dannen ziehen, Ihr bleibt zurück, und singt Eure Metten und Vesper, nach wie vor. Fügt Euch darum heute auch gutwillig, versteht Ihr mich? Eure Tafel soll Eure Willfährigkeit verspüren, hört Ihr? Hier ist der Schlüssel zum Kirchlein, setzte sie hinzu, indem sie den Mächtigen von dem breiten Schlüsselringe losmachte: hier steht eine Leuchte, mit der Ihr vorsichtig umgehen mögt, denn es liegt allerlei brennbares Zeug in der Kapelle, und sie ist etwas in Unordnung [252] gerathen, aber zum Beichtsitzen ist Platz genug vorhanden. Geht voraus; gleich sende ich Euch das Fräulein. Laßt es aber unterwegs, mit demselben vielleicht eine List anzuspinnen, um zu entkommen; unsre Augen, sind scharf; man hintergeht nicht mich, nicht meinen Alten.« – Somit drehte sie, ohne eine Antwort abzuwarten, dem Mönch den Rücken, und ging nach der Treppe, über welche das Gebrüll der Zecher, die ein Fechtlied angestimmt hatten, in die Halle schallte. »Wartet! wartet, ihr Trunkenbolde!« schalt die Hauskönigin, indem sie ihre Faust mit einem Besen bewaffnete: »Ich will Euch zur Ruhe bringen, daß der Lärm aufhöre bei nachtschlafender Zeit. Ihr müßt fromm seyn, wenn Ihr noch einen Tropfen Weius bekommen wollt!« – In der That verfügte sie sich auch vorerst in die Trinkstube, brachte durch ihre Vorwürfe und durchdringende Stimme die Lärmenden zu besserer Erkenntniß, und nachdem sie die Ruhe wieder in etwas hergestellt, begab sie sich in das höhere Stockwerk, das Frauengemach, wie ihre schweren Schritte auf der steinernen Stiege vernehmen ließen. Der Mönch zündete indessen die Leuchte an der Flamme des Herds an, schob sein Gebräude von der Glut, lächelte dann seltsamlich, und blickte nachdenkend gen Himmel. – »Sollte es denn wohl eine Sünde seyn,« fragte er vor sich hin, »wenn ich mich in diese Zumuthung füge? Nicht doch; setzte er nach kurzem Bedenken bei: dies Gewand schon erheischt es, und dann ist es ja eine Trostbedürftige in Räuberhänden, die nach der Theilnahme eines Menschen verlangt, in dessen [253] Worten sie den allmächtigen Gott zu finden hofft. – Vermuthlich, trotz der Verwandtschaft, von welcher Frau Else sprach, eine gleich mir Gefangene, .... vielleicht diejenige, um deren Willen man mich und den Unglücklichen, der mich fuhr, zurückhält, ob wir gleich in unsrer Abgeschiedenheit nicht einmal ihren Namen erfuhren? Werde ich sie aber trösten können, ich, der Trostsuchende und Trostlose? Vielleicht denn doch: auf die Lippen des Leidenden setzt sich wohl zuweilen ein Engel, welcher andern Geprüften das Heil einer gesegneten Zukunft verkündet. Laß sehen!«

Er faßte Leuchte und Schlüssel, und schlich über die Holztreppe in den engen Hof, in welchem er nach wenigen Schritten das Kirchlein erreichte, dessen niedrige Pforte mit einem großen Kreuze bezeichnet, und von einem halb verwitterten Fliederbaume dürftig beschattet war. Schon hatte die Spinne ihr Gewebe über die Öffnung des Schlosses gezogen, schon hatte der Rost sich in die Angeln gesetzt, daß sie knarrten wie Räder, als der Mönch die Pforte aufthat. – »Was macht Ihr da, frommer Herr?« fragte eine Stimme über die Brustwehr der Hofmauer aus dem Zwinger herüber, leise und mit Theilnahme. Ein Knecht guckte herüber, der gerade vier Stunden lang die Rundwache hatte, und auf dem Mauergänglein einherschlenderte. – »Ich gehe beten!« versetzte der Mönch ohne eine Betroffenheit zu verrathen, die ihm hätte Schaden bringen können. – »Ei Herr,« sprach wieder der Knecht, ein junges Blut mit treuen Augen: »darf man denn beten, wo der Bannfluch haust?« – »Warum nicht?« redete [254] der Mönch: »Gott ist überall, und seine Mondesscheibe sieht die Gebannten an, wie die Freien.« – »Ach, wie dank' ich Euch, würdiger Herr,« versetzte der Knecht: »ich habe mich gescheut, den englischen Gruß zu beten, seit ich auf der Veste bin, während ganzer drei Wochen, und war doch daheim gewohnt, nie ohne Gebet einzuschlummern.« – »Bete Du auch hier!« versicherte ihn der Mönch; »fromm seyn bringt Segen überall. Behüte Dich Gött!« – »Und Euch;« flüsterte dankbar der Knecht: »so Ihr etwas Geheimes da drinnen zu verrichten habt, habe ich Euch nicht gesehen. Ave Maria, Herr!« – Ohne weitere Störung trat der Mönch in die Kapelle, und es wurde ihm seltsam um's Herz, da er das kleine Gotteshaus in so ganz anderm Zustande antraf, als man es wohl an solchen Gebäuden gewohnt seyn durfte. In einem Winkel aufgethürmt lagen Betschemel, Bahre und Abendmahlbänke, umflort von Staub und Spinnenfäden. Die Hälfte des Kirchleins war angefüllt mit Laubhaufen und Strohbündeln, wie mit einem Heuvorrath, welchen zu ergänzen oder wegzunehmen die Burgknechte den bequemsten und kürzesten Weg gefunden hatten, nämlich durch das an die Zwingermauer stoßende Fenster der Kapelle, wo die Leiter lehnte, welche diese Geschäftsgänge zu erleichtern bestimmt war. Die hölzernen Stufen des Altars waren zertrümmert; der Altar selbst in dem traurigsten Zustande. Der Burgpfaffe hatte die Monstranz mit sich genommen, und das Tabernakel stand offen und verödet. Das Bild unsrer lieben Frau neigte sich dem Beschauer von der [255] Höhe entgegen, äber seines Schmucks entkleidet, und von dem Haupte des Bildes hingen noch wenige verwelkte und vertrocknete Blumen, die einst eine fromme Hand zu einem Kranze für dasselbe gewunden hatte. Der Priesterornat, wie die Gefäße des Altars lagen in dem Schrein, dessen Thüre weit offen stand, so wie der Zufall und neugierige Finger sie unter einander geworfen hatten. Die Fetzen eines alten Kirchenpaniers flatterten im Zugwinde traurig von der bestaubten Stange, und die Lampe, die ewige genannt, nunmehr aber auch erloschen, bewegte sich, von einer Kette losgerissen, blos noch von der andern emporgehalten, klirrend im Luftstrome hin und her. Der Besucher dieser Öde hatte nicht lange Muße, alle Gegenstände genau zu betrachten, die sich ihm in finstrer Unordnung in diesem engen Raume, aufdrängten. Bald vernahm er die Schritte eines näher kommenden Menschen, und er hatte kaum noch Zeit gefunden, sich in den Beichstuhl zu setzen, den man zur Herberge alter und verdorbener Satteldecken gemacht hatte, als die Pforte wieder leise aufging, und eben auf diese Weise zugemacht wurde. Wallrade trat ein, in dichte Gewänder und einen trüben. Schleier gewickelt, warf im Vorübergehen gegen den Altar einen Blick in den Stuhl der Reue, und nickte dem Darin sitzenden langsam zu. Alsdann warf sie sich vor den Stufen des Altars nieder, und Thränen, seltne, seit Langem ungewohnte Gäste, heute schon einmal erschienen, besuchten die Erschütterte zum Zweitenmale. Ihre Lippen beteten, wie ihre Augen weinten, heftig, stürmisch, und ihr Flehen stieg leise [256] aber dennoch stürmisch wie das vom Orkan gepeitschte Meer, wenn man es aus der Ferne sieht, zum Himmel empor. – »Herr der Erde und aller Welten!« stammelte ihre Empfindung in unhörbaren Worten: »Wie ist doch mein Herz heute erfaßt worden auf wunderbare Weise, und bist Du es, oder einer Deiner strafenden Ellgel, der also zu mir redete durch den Mund der aberwitzigen Alten? O gib mir doch einen Wink, daß Du es bist, oder verrathe mir, daß es der Geist der Ohnmacht allein gewesen, der über mich kam, und mich schwächer machte, denn ein unbeholfenes Kind! ... Ha, wie dieses Wort mich ergreift. Warum hasse ich den Namen des Kindes, warum verachte ich den der Mutter, und warum dennoch ergriff mich so allgewaltig das mährchenhafte Beispiel der Grausamkeit einer Mutter, des Leidens eines Sohns? Warum klang es wie mit metallnen Schlägen an mein Herz, daß auch ich .... o weh mir! Wer hilft aus diesem Wirrsal! Wer sagt mir, was ich thun soll, und ob ich recht thue, indem ich meinem entsetzten Gewissen folge, und zur Buße schreiten will, die mich vielleicht verwirft, die ich vielleicht verwerfen sollte, wenn meine Kraft noch die alte wäre? Heilloses Schwanken! traurige Furcht vor den Gespenstern meiner Einbildung! Ich habe ja nicht gemordet! was will ich denn eigentlich bekennen? Gott schütze mich und meine Vernunft!« –

Sie erhob sich entschlossen, näherte sich rasch dem Beichtstuhle, in welchem der Geistliche lehnte; zu dessen Füßen die hell aufflackernde Leuchte brannte. Und als sie den Schleier zurückwarf und auf die [257] Stelle des Reuigen treten, die Knie beugen wollte, tönte ein schmerzliches »Ach!« von den Lippen des Mönchs, und er schien in Bewußtlosigkeit zu vergehen. Wallrade, erschrocken, heftig wie sonst, reißt die Lampe auf, leuchtet in das Gesicht des Todtblassen, und entsetzt sich nicht minder. Denn nicht nur das Antlitz, das sich gewaltsam emporreißt aus den Banden des umklammernden Halbtodes, auch die Stimme ist's, die sie erkennt und fürchtet. Die Augen des Mönchs gehen auf wie drohende Mordbilder, seine Hand erfaßt mächtig die erkaltende Wallradens; mit der Linken entreißt er ihr die Leuchte, die sie so eben sinken lassen will, und seine Zunge stammelt ein schreckliches: »Jesus! Jesus! sehen wir hier uns wieder? – Kennst Du mich?« setzt er heftiger bei, und sie nickt stumm mit dem zitternden Haupte, und hält sich schwindelnd fest in den Armen dessen, den sie haßt, damit sie nicht niedergleite zum kalten Boden. Und der Mann, der Zürnende, hat Mitleid mit der Vernichteten, und ein freundlicherer Ton seines Mundes ruft sie wieder auf zum Leben, zum Schauen. – O daß in solchen Augenblicken der hereinbrechenden Wahrheit, Reue und Beschämung ein falsches Herz nicht bricht, um rein unter die Erde zu gehen! Daß mit der Besinnung und der wiederkehrenden Kraft auch die vorüberblitzende Schaam schwindet, und das Bedürfniß der Sühne! Daß auf der Schwelle zum Licht, der finstre Geist seine Verbündeten zurückzuhalten vermag! Daß jeder gute Vorsatz durch der Lüge gift'gen Athem in der Blüthe vergeht, wie das Wort der Vertheidigung auf den [258] Lippen des schüchternen Mägdleins! Von Wallraden wich der gute Engel trauernd, in einem Augenblicke der wichtigsten Warnung, und gerade dem gegenüber, dessen plötzliches Erscheinen das Siegel auf ihren Bund mit der Buße hätte drücken sollen.

Fußnoten

1 Schach- und Brettspiel, Würfel etc.

11. Kapitel
Elftes Kapitel.

Bist Du ein Weib? Du sollst mir keine Kinder gebären.

Macbeth.


»Wallrade! kennst Du mich?« wiederholte der Mönch mit schmerzlicher Stimme, und Wallrade wand sich stolz aus seinen umfangenden Armen. »Wie sollte ich nicht, Rudolph?« fragte sie bitter: »Ich finde Euch immer im Gewande der Lüge. Trug ist Euer steter Begleiter, und nimmer stand ein offner Helm über Euerm Wappen. Was sucht Ihr hier? wie kommt Ihr hieher?« – »Weib!« entgegnete der Herr von der Rhön, dessen bleiche Wange sich höher färbte bei dieser schnöden Anrede: »Weib! sieh selbst, was Du aus mir gemacht hast. Hab' ich denn so schwer gesündigt, daß ich umherirren muß wie ein Flüchtiger, dem Henker Verfallner? Du hast mich fortgetrieben aus meinem Hause, von Allem, was ich liebte. Zu stolz, um mich einen Thoren schelten zu lassen von den Freunden, die mir auf dieser seltsamen Flucht begegnen möchten, – zu schwach hingegen, [259] ohne Scheu dem schimpflichen Tode entgegenzutreten, der von einem Worte Deiner Lippen abhing, beschloß ich, auch den Namen des Unglücklichsten aller Menschen von der Erde verschwinden zu lassen. Weg warf ich alle Zeichen meiner bessern Herkunft, weg die Erinnerung, daß ich einst am Tische des Königs Platz genommen. Diese Erinnerung verband sich ja zu nahe mit derjenigen meines gezwungnen Abschieds von meinen Theuern. In das Gewand der Demuth und Dürftigkeit gehüllt, zog ich nach den Wallfahrtsorten der Schweiz, und fand an dem Fuße der Altäre keinen Ersatz für das, was ich zurückgelassen. Durch das Elend ermannte sich aber mein Geist, der dem unmenschlichen Gebote zu widerstreben begehrte. Zurück trieb es mich nach dem Wohnsitze meiner Lieben, trotz Deinen fürchterlichen Drohungen. Was empfand aber mein Herz, da ich diesen Sitz, des häuslichen Friedens verödet und verwaist fand, alles von dannen genommen, was meinem Leben Werth zu verleihen vermochte, alle Blüthen entwendet, durch die Hand, die von jeher mein Unglück machte; durch die Deinige. Lächle nicht so höhnisch. Du kennst die Bitterkeit dieser Empfindungen nicht. Du hingst nie aufrichtig und treu an einer Seele auf Erden. Wohin? stammelte mein Mund, wohin? fragte meine Zunge, und achselzuckend, – denn meine Fragen klangen absonderlich und verwirrt, – wendeten sich Alle, die ich fragte, von dem sinnverwirrten Pilger. Zu Costnitz erfuhr ich, daß Du zur Heimach gekehrt seyst, zu den Deinigen nämlich, an Thüringens Gränze, daß eine Frau [260] mit einem Kinde in Deinem Gefolge sey. Ein neuer Donnerschlag! Mein Weib, mein Kind in Deinem Gefolge! Nachgeschleppt an Deine Kette, wie stumme Zeugen Deines grausamsten Sieges! Ich erkannte Deine Tücke, aber die Gegenstände meiner Zärtlichkeit Dir zu entreißen, beschloß ich alsobald. Die Fluren, die ich seit Jahren mied, weil auf ihnen mir die Hölle erwuchs, betrat ich wieder, gestärkt durch den Gedanken an Katharinen. In jenem Hause, das meine Verblendung und den Ursprung unsers unseligen Zwistes sah, suchte ich meine Lieben, und fand sie nicht, – leer die Stätte, wo ich mich einst in den Himmel träumte, während ich einen finstern Geist umarmte.« – »Redet deutlicher;« unterbrach ihn Wallrade kalt: »Ihr meint das Haus Euers Weibes, in welchem Ihr Euer unrechtmäßiges Weib und Eure Bastardtochter suchtet.« – »Wallrade!« fuhr der Herr von der Rhön empor, besann sich aber schnell, und sprach gemäßigt fort: »Ich muß mich schämen, daß ich nicht gelassen Euern Vorwurf erdulde, da ich doch die Schuld mit leichtem Muthe begangen, deren Ihr mich zeiht. Aber, Wallrade, des Menschen Zorn soll nicht durch Ewigkeiten dauern. Vergebt endlich; ich muß glauben, daß ein erschüttertes Herz Euch in dieser Kapelle Einsamkeit geführt, wo Ihr einen Priester des Herrn, einen Tröster zu finden hofftet. Laßt die seltne Regung in Eurer Brust nicht ganz verschwunden seyn! Laßt aus der Gefangenschaft, die uns beide hier fesselt, die Blüthe der Versöhnung entsprießen. War ich hart und ungerecht gegen Euch, so vergebt mir, wie ich [261] Euch verzeihe, was Ihr mir Böses zugefügt. Laßt ab, mich zu verfolgen, wegen dessen, was unwiderruflich einmal geschehen, – nicht mehr zu ändern ist.« – Wallrade sah ihn verächtlich an: »Ihr traut Euch viel Werth zu,« sprach sie, »da Ihr glaubt, mein Haß könnte wirklich niemals eine Gränze finden. Ich habe Euch es gedroht, aber der Jammer, in welchem ich Euch muthlos versunken sehe, bewegt meine Brust. Konnte ich einst Euch lieben? das frage ich mich selbst erstaunt, da ich Euch winselnd um meine Gnade flehen höre. Ist das der Mann, der einst alle Schranken übersprang, um mein zu seyn? Seines Vaters Befehl, meine eigne Abneigung gegen jedes feste Band? Ach, schon damals hätte ich ahnen müssen, was die Folge bringen würde. Ihr scheutet Euch, im hellen Sonnenlichte mir zu gehören, und diese Scheu gefiel meinen abenteuerlichen Gedanken, meiner gedemüthigten Sprödigkeit, die gern vor aller Welt die Larve der Unüberwindlichkeit vorbehalten hätte. Eure Flatterhaftigkeit, Euer Wankelmuth enttäuschte mich fürchterlich. Der Segen des Priesters war ein Zauberwort gewesen, das unser Wohl vernichtet hatte. Laßt mich über jene Zeit hinweggehen, wo Ihr mich überreden wolltet, ich sey plötzlich ein Teufel geworden, während Ihr mich zuvor den Engel Euers Lebens nanntet. Von Eifersucht und Unzufriedenheit zerrissen, verließt Ihr mich und Euer Kind, um der Gatte einer andern zu werden. Wäre ich wirklich so böse gewesen, als Ihr betheuertet, schon damals hätte ich unsre Ehe bekannt gemacht, Euch und Euer Kebsweib der Schande [262] preis gegeben. Ich that es nicht; nur mag mir vergeben werden, daß ich denjenigen nicht mehr in meiner Nähe dulden wollte, dem ich's verdanke, daß ich mit dem Leben zerfallen bin.« – »Bin ich es weniger?« fragte Bilger entgegen, und sah sie durchdringend an: »Weib, das durch seine gleißnerische Beredsamkeit meinen Fehler in eine unverzeihliche Sünde verkehren möchte. Fräulein von Baldergrün! gedenkt des deutschen Herrn, Eures weitläufigen Verwandten, Eures nahen Freundes! Laßt mich schweigen! Seine Hülfe schloß unsern Bund, seine Hand hielt unsern Knaben zur Taufe, – sein tückischer Sinn vergiftete mein Glück, und gab Dir Muth, in Deiner wahren Gestalt aufzutreten. Hier ein Bündniß, das mir nicht ehrenhaft mehr schien, um es laut zu offenbaren, ein Weib, das ich, das mich hassen gelernt hatte, ein Freund, der unter dem Mantel der Blutsfreundschaft und der Sittenreinheit eine unumschränkte Gewalt über Dich und mein Kind ausübte, – kurz eine Zukunft voll Verzweiflung und blutigen Ausgangs, – dort hingegen ein greiser Vater, der es in die Hand seines Waffengenossen geschworen hatte, seine Tochter nach dessen Tode zu erziehen, und seinem Sohne zu vermählen, – diese Tochter selbst, ein Urbild von Sanftmuth und Unschuld, gegen deren Vorzüge Deiner Reize gefährlicher Zauber mich unempfindlich gemacht hatte, – Scheu, falsche Schaam, dem Vater zu gestehen was vorgegangen, das nagende Gefühl, kein Glück an Deiner Seite, nur Elend zu finden, – das Bewußtseyn, daß Katharine um meinetwillen vergehe in stillein [263] Liebesgram, – mit einem Worte, ich war ein Mensch, und fehlte vor Kirche und Gesetz, während mein Herz mich frei sprach.« –

»Eitle Reden!« erwiederte Wallrade streng: »Die Schmähungen, mit denen Ihr mich, und den Herrn von Issing überhäuft, verzeihe ich Euerm Gewissen, das schwindelnd an dem Abgrunde steht, und jeden Strohhalm fest halten möchte, um nicht rettungslos zu versinken. Ihr seyd fortan ein unwürdiger Gegenstand meines Hasses. Geht hin! ...« – Bilger hielt die, zum Entweichen Gewendete zurück, und fragte mit Thränen der Angst im Auge: »O Wallrade! ich will ja gerne schweigen, und glauben, daß die Tugend, die Ihr heuchelt, eine wahre ist; allein nicht dieser kalte und leere Bescheid genügt mir. Seyd nicht die Schlange, die in einem Augenblicke sich zahm um die Hand des Neugierigen wickelt, in dem nächsten jedoch ihn tödtlich verwundet. Sprecht, .. wo ist meine Katharine, ... wo meine Agnes ...? soll ich beide nimmer wie der sehen?«

Wallrade sah mit einem stechenden Lächeln in das blasse Antlitz des Geängsteten. »Ich habe bewiesen,« sprach sie langsam, »indem ich Mutter und Tochter der Hülflosigkeit entriß, in welche Euer Abschied sie versetzt hatte, – daß ich keinen Groll hege gegen sie, die ich doch wahrlich – den Umständen nach – nicht lieben konnte.« –

»Ihr hättet in Gutem für sie gesorgt?« fragte von der Rhön mißtrauisch: »Ihr? wäre es auch, wär's doch kein Verdienst; Ihr selbst triebt ja den Gatten und Vater von ihnen.« – »Schweigt!« [264] herrschte ihm Wallrade zu: »Ich konnte sie verschmachten lassen, und that es nicht; ich konnte sie dem Hohn der Welt preis geben, und that es nicht. Nach Baldergrün wollte ich sie führen. Der Gedanke gefiel mir, gerade ihnen wohl zu thun. Allein ... begehrt Ihr ihr ferneres Schicksal zu wissen, – so muß ich befürchten wirklich der Schlange zu gleichen, von welcher Ihr spracht.« – »O sagt's heraus!« unterbrach sie Bilger schnell und verstört: »Euer Zögern gibt mir im Voraus den Tod. O welches Wort sprach ich jetzt aus?« setzte er hinzu, und schauderte: »Mußte ich ihn nennen, den Tod? Und steht er nicht in Verbindung mit dem, was ich von Euch erfahren werde?« –

»Möglich;« antwortete Wallrade kalt: »Gewißheit ist indessen besser als der Zweifel. Durch meines Herzens Bezwingung erhielt ich Katharinens Freundschaft, allein weder Trost noch Freigebigkeit konnten ihr Leben erhalten. Mit ihrem Kinde im Arms stürzte sie sich in die Fluthen des Mains.« – Der Herr von der Rhön sank langsam nieder auf die Trümmer der Altarstufen. – »In die Fluthen des Mains!« wiederholte er mit der eisigen Kälte der Verzweiflung, die jedes Wort mit Zentnergewicht belegt, damit es ja unerbittlich die Seele zerschmettre. – »In die Fluthen des Mains? Das, unglückseliges Weib, war also deiner Tugend Ziel? das das letzte Schlafstündlein meines Kindes? O, wahr ist es, wahr, daß die Sünde nimmer Gedeihen bringt, aber nur der Teufel bringt die Sünde auf die Welt.«

[265] »Laßt doch meine Hand los!« sagte Wallrade zitternd, da sie sich von Bilger's eisiger Rechten erfaßt fühlte: »Die Kälte des Todes zuckt in Euern Fingern!« – »Warum habt Ihr nicht recht?« jammerte der Herr von der Rhön, und erleichternde Thränen schossen in seine Augen, wie der Angstschweiß auf die Stirne: »Warum liege ich nicht auch, ein erstarrter Leichnam, im Abgrund des trügerischen Stroms? Ach, ich habe ja doch nur sie geliebt. Was früher mein Herz bewegte, war eitler Tand, ... sie nur war das Juwel, die Perle meines Lebens. Aber so wie die Perl emporsteigt aus der Tiefe der Fluth, so hat sie sich hinunter gesenkt auf den kühlen Moosgrund, weil die Welt zu arm war, dies Kleinod zu kaufen und zu hüten.«

»Ihr werdet wahnsinnig!« versetzte Wallrade; »laßt mich!« – »Nicht eher, als bis Du mich hingeführt hast zum Grabe meines Weibes!« sprach Bilger: »Wo ruht sie? wo mein Kind? O sage es mir, – Du, ihre letzte Pflegerin, Du ihre Mörderin!«

»Spart Euern Witz!« antwortete das Fräulein kalt: »Eure Sünden haben sie umgebracht. Ihre Leiber fand man aber nicht, und gewiß hat die Fluth sie hinausgeführt in's offne Meer, damit nicht christlich geweihte Erde die Theilnehmerin wie die Frucht schändlicher Doppelehe bedecke!« – »Nicht einmal ihr Grab werde ich sehen?« klagte Bilger, ohne auf Wallradens Schmachrede zu hören: »Wie elend bin ich nun?« Mochte ich doch flüchtig umherirren ... ich wußte ja doch, daß fern von mir zwei Herzen voll [266] Liebe für mich schlagen! Und diese sind jetzt zur Ruhe gegangen! »O, ich Schändlichen! Du, Grausame! wir haben sie gemordet! Ein unerbittlich Strafgericht hat mich gen Frankfurt geführt, und in diese Höhle des Raubes, damit ich erfahre, wie ganz verwaist ich nun bin? Meine Katharine! meine kleine, holde, unschuldige Agnese!« – »Seht da, in welcher Erbärmlichkeit und Blöße Euer unmännlicher Schmerz Euch darstellt!« sprach hierauf Wallrade, deren Büsen hoch aufklopfte bei diesem Anblick: »Ihr trauert um das Weib, das Euch nicht gehörte, – um das Kind der Unzucht; und Eure rechtmäßige Gattin verabscheut Ihr? nach Euerm Sohn sendet Ihr kein fragend Wort aus?« – »Wölfin!« seufzte Bilger, trostlos ihr in's Auge sehend: »Erbarmte mich nicht des Knaben Schicksal? hielst Du ihn nicht von mir entfernt, und begannst meine Strafe, indem Du ihn mir entzogst?«

»Weil ich mein Kind nicht als einen Fündling in Euerm Hause wissen wollte;« erwiederte Wallrade: »Täuschung verabscheut mein Herz. Der Knabe sollte Euern Namen nicht führen, aber unter Katharinens Herrschaft stehen? Nimmermehr! Ich behielt ihn, damit er mir stets Euer Verbrechen vergegenwärtige, und – ich läugne es nicht – zu meinem Rächer wollte ich ihn erziehen.« – »Mein Sohn sollte Dich an mir rächen?« fragte Bilger entsetzt: »Weib! Du hast keinen menschlichen Blutstropfen in Deinen Adern. Wo wird er zu diesem abscheulichen Geschäft erzogen?« – »Ich hatte ihn dem Freiherrn von Issing vertraut;« entgegnete Wallrade [267] ruhig, obgleich bei diesem Namen ein Blitz aus Bilger's nassem Auge schlug: »allein der edle, von Euch verkannte Mann war schon in Preußen in einem Volksaufruhr gefallen, und der Knabe selbst wurde mir geraubt.« – »Geraubt?« stammelte Bilger: »Geraubt? O sprecht es aus: Er ist auch todt?« – »Ich würde es Euch nicht verhehlen!« erwiederte das Fräulein fest: »allein ich sage die Wahrheit. Euch hatte ich zuerst im Verdacht; aber nun habe ich erkundet, wo der Knabe ist, und werde ihn – so bald ich befreit bin – zurückfordern.« – »Wo, wo ist er?« fragte Bilger dringend: »Dieses Kind könnte mir allein die Ruhe wiedergeben. Wenn noch ein Anklang jener Zeit in Deinem Busen lebt, die uns das Trugbild einer schönen Zukunft vorspiegelte, so verhehle mir auch nicht – des Knaben Aufenthalt. Wer hat ihn entführt? Wer hat sich seiner angenommen? O, wenn ich ihn auch nicht mein nennen darf, – nur sehen, sehen möchte ich ihn! Ihn küssen und fliehen bis in mein Grab!«

»Ihr seyd berauscht von Euerm Schmerz;« versetzte Wallrade: »Ich bedaure Euch; aber des Knaben Wohnort nenn ich Euch nicht. Eure Unbesonnenheit und Euer Ungestüm könnten mir mein Eigenthum rauben, ehe meine Ketten sich hier lösen.«

»O warum bin ich ein ohnmächtiger, wehrloser Mann?« rief Bilger: »Warum kann ich Euch nicht befreien, daß Ihr mich hinführen könntet zu dem holden Knaben, den Ihr zu unnatürlichem Dienste bestimmt. O gewiß! meine Reue, meine Liebe würden schon in dem Kinde die Rache, des Mannes entwaffnen! [268] Ich würde ruhig und ferne sterben können!« – »Der List, welche ohnmächtig scheint, und es nicht ist, gelingt oft mehr als der Stärke und Gewalt!« sprach Wallrade: »Euerm Gewande sollte, selbst in der Mitte dieser rohen Bösewichter, nichts unmöglich seyn. Wollt Ihr dem Sohne zu Liebe thun, was Ihr der Mutter nie zu Gunsten thun würdet, so trachtet, mich zu befreien. Dann führe ich Euch zum Sohne. Im Gegenfalle sterbe ich eher, als ich an Euch verrathe, wo der Knabe lebt. Sinnt nach! An Muße dazu fehlt es in dem Gefängnisse nicht. Ich lohne Euch mit gänzlichem Vergessen, und mit einer Umarmung unsers Johanns. Vielleicht thue ich auch mehr, wenn ich Vertrauen zu Euerm Vaterherzen fassen kann. Nunmehr laßt uns aber scheiden. Im nahen Dorfe schlägt die elfte Stunde, und, so ich nicht irre, vernehme ich von fern Frau Elsen, die mich abzuholen kömmt.« –

Sie verließ den zerknirschten Mann, der unbeweglich auf des Altars Stufen ruhen blieb. Frau Else kam ihr wirklich im Hofe entgegen, und der Anblick der Gefangnen erheiterte die harten und finster gewordenen Züge der Frau von Vilbel. – »Sieh, sieh,« sagte diese Letztere, die Lampe in ihren Händen putzend: »das war ein lang Gewerbe in dem Kirchlein. Ich dachte, es würde kein Ende nehmen, midi fürchtete bereits, Ihr möchtet mit dem Ordensmanne durch die Luft davon gegangen seyn. Nun, nun, wenn man Buße thut, so thue man sie recht; das ist auch meine Meinung, und ich würde auch recht fleißig zur Kirche gehen, wenn mein Alter nicht [269] beständig im Interdikt läge. Kommt jetzo nur mit hinaus. Ich habe die Trunkenbolde alle zu Bett geschickt, denn ich saß wegen Eurer auf Nadeln zwischen den ungehobelten Gesellen. Der Weg zu unserm Gemache ist rein und still.« – Während Wallrade auf das Gebäude zuschritt, rief Else in die offne Kapellenthüre: »Kommt, ehrwürdiger Herr! Ihr werdet müde seyn, und ich habe Euch am glimmenden Herde ein Lager bereitet, worauf ihr schlafen könnt, wie ein Kaiser.« – Indem trat der Herr von der Rhön auf sie zu, und vor seinem leichenmäßigen Antlitz entsetzte sich Bechtram's Ehewirthin. – »Um Gott!« flüsterte sie: »Was ist Euch zugestoßen, hochwürdiger Herr? Ist es doch, als hättet Ihr ein Gespenst gesehen, oder wärt selber eins!« – Da nun aber der sogenannte Mönch nicht antwortete, sondern unwillkürlich nach der Thüre des Thurms ging, in welchem er bisher gewohnt war, seine Behausung zu sehen, so nahm ihn Frau Else ohne Umstände beim Arm, und sagte: »Was treibt Ihr denn, guter Herr? Seyd Ihr schlaftrunken, oder hat Euch ein Gesicht erschreckt? Kommt, kommt; dort in der Halle ist es warm und heimlich. Dort werdet Ihr ruhen und Eurer bisherigen Leiden vergessen. Ich werde meinem Alten sagen, daß es anders mit Euch wird. Kommt nur! kommt!« – Sie schloß die Kirchenthüre zu, und führte sorglicher, als man von dem harten Weibe hätte erwarten dürfen, den von seinem Schreck noch nicht zu sich Gekommenen, in das Haus. Wallrade floh bei seiner Ännäherung die Stiege hinan, und Bilger sank, nachdem Else mit [270] eigner Hand die Holztreppe des Hauses in die Höhe gewunden, und in dem Schloß befestigt hatte, ermüdet von Gram und Entbehrung auf die dürftige Ruhestätte, die ihm die mitleidige Ritterfrau am Fuße des Herdes bereitet hatte. Die Stunden schlichen aber über seinem Haupte hin, wie saumselig zögernde Grabgestalten; und Gestalten des Grabes sah auch nur sein wacher Traum. Er hatte Wallraden nur wieder gesehen, um neues Unbill von ihr zu erfahren. Ein größres hatte sie ihm indessen niemals zugefügt; denn die Kunde von Katharinen's und Agnesen's Tode schlug seinen Muth völlig darnieder. Die Ungewißheit über seines Sohnes Schicksal, den er nur mit bangem Widerstreben, um sein Geheimniß nicht zu enthüllen, Wallraden überlassen hatte, vermehrte seine entsetzliche Stimmug, und der Gedanke, daß er Wallraden zuvor befreien müsse, ehe er erfahren werde, wo sein Sohn hingekommen, scheuchte auch die leiseste Annäherung des Schlummers von seinem Haupte. Und da gegen Morgen die Erschöpfung ihr Recht geltend machen wollte, umstanden schon die Herren und Gäste des Hauses sein Lager, und weckten ihn unter Scherzen, wie sie in der Genossenschaft gäng und gäbe waren. – »Aufgestanden, Hexenmeister!« rief der Hornberger, aus dessen rothen Augen noch die Flamme der gestrigen Ausschweifung loderten: »Halloh! an's Werk! Bechtram's Roß muß gesund seyn, ehe noch die Sonne ganz über den Bergen ist.« »Wo seyd Ihr denn gestern hingekommen?« fragte Bechtram, der dem Herrn von der Rhön vom Lager aufhalf. »Nicht weiter als hieher, ich wette!« lachte[271] der Leuenberger: »Der feurige Steinwein war dem armen Burschen ein ungewohnt Ding, und er ging an die Arznei, als schon der Kopf nicht mehr sein war. Da hat er sich gewißlich während des Kesselschwenkens nieder gelegt, um sanft zu entschlafen und selig.« – »Kommt, ihr Herren,« erwiederte Bilger nach all diesen freundlichen und spöttischen Reden: »ich denke, ich werde nicht zu viel versprochen haben.« – Der Versuch fiel glücklich aus. Bechtram's Gaul spitzte muthig die Ohren, da die schmerzhafte Heilung vorüber war, und scharrte mit dem Huf, als wollte er in's Weite. Bechtram jubelte ob dem Gelingen, und ließ sorgfaltig den Gaul in den Stall zurückbringen. – »Habt Dank, Meister Kuttenmann!« sprach er freundlich zu Bilger: »Meine Anerkennung will ich Euch thätig beweisen, so bald ich kann. Vor der Hand könnt Ihr frei gehen, so weit der Zwinger reicht, und meine Hausfrau soll Euch nichts abgehen lassen. Ich hab' es ihr befohlen, und will bei meiner Rückkehr hören, ob sie Wort gehalten.« – Der Herr von der Rhön nickte gleichgültig mit dem Kopfe, und entfernte sich langsam in's Innre der Burg. – »Ein närrischer Kumpan!« spottete der Hornberger: »Kurz angebunden, als ob er, – weiß Gott wer – wäre. Und wie nennt man ihn denn?« – Die Übrigen mußten bekennen, daß sie es eben so wenig wußten. »Wozu auch einen Namen?« rief der Leuenberg: »Ist ›Pfaffe‹ nicht genug? Pfaffe, und damit gut. Mag er uns ein Freudenamt singen, wenn unser Wirth gesund und wohlbehalten von Frankfurt wiederkehrt.« – [272] »Willst Du im Ernste hin?« fragte Doring den Ritter: »und lächelnd bejahte er es.« Doring schüttelte den Kopf. »Traue den Krämerfüchsen nicht!« sprach er warnend: »Du wirst Dich verlassen auf das freie Geleit, daß sie Dir vor einer Woche zustellen ließen, für den heutigen Tag, und den morgenden, im Fall sich die Unterhandlungen in die Länge dehnen sollten. Aber wir erleben heut zu Tage gar oft das Beispiel, daß frei Geleit gebrochen wird, sonder Scham und Reue. Geh nicht hin.« – »So tapfer im Strauß, so feig im Rath!« versetzte lächelnd wie oben der Burgherr: »Ich traue den Frankfurtern, und habe eher Recht, als sie, wenn sie mir vertrauen wollten. War ich nicht geraume Zeit ihr Stadt- und Feldhauptmann? Sie werden nicht hinterlistig handeln gegen einen Mann, der ihre Fahne trug.« – »Eben darum!« fuhr Doring lebhafter fort: »Hättest Du den Lappen nie getragen! Und wozu soll denn wohl der vorgeschlagene Vergleich dienen? Du wirst doch nicht die Artikel halten wollen, die das Bürgerpack Dir aufschwatzen möchte?« – »Beschwören und halten ist nicht einerlei;« sprach Bechtram dagegen: »aber mir kann's nicht einerlei seyn, wenn ich sehe, daß die vorsichtigen Pfeffersäcke mir die Heerstraße rein halten, so weit das Auge reicht. Darum will ich sie wieder kirre machen, und wimmelts alsdann wie ehedem von Körnern, Mezgerzügen und Weinfuhren, so will ich ihnen die Leichtgläubigkeit eintränken, und meine Vorräthe anhäufen. Jährlich einen Span mit Frankfurt, und jährlich wieder Versöhnung! Dabei finde ich gute Rechnung. Haltet [273] mich darum nicht auf, meine Freunde. Den alten Fuchs von Vilbel fängt man nicht so leicht, und die Herren von Frankfurt fürchten mich und meine Drohungen.« – »Donner und zehntausend Teufel!« rief der Hornberger dazwischen: »Das dürfen sie auch. Wir heißen nicht umsonst die wilde Jagd in der Wetterau. Eine Lohe wollten wir anschüren über den Giebeln der Stadt, daß die Engel im Himmel die Füße zusammenziehen sollten vor Brandschmerz; .. und so viel Achtung und Freundlichkeit mir das Fräulein von Baldergrün eingeflößt hat, – das Haupt schlüge ich ihr vom Rumpfe, und schickte es ihren Landsleuten zum Geschenke, wenn sie sich an unserm biedern Wirth vergreifen wollten.« –

»Erbärmliche Prahlerei!« sprach der Leuenberger halblaut zu dem von Wiede: »Ich wollt es ihm doch rathen, des Fräuleins Kopf ungeschorn zu lassen.« – »Donner und Pestilenz!« erwiederte der Junker von Hornberg, der die Äußerung gehört hatte: »Wer spricht da? Veit! Veit! nimm Dich in Acht mit Deiner vorlauten Zunge! Einen Prahler schilt mich Keiner zweimal.« – »'s käme darauf an, es zu versuchen!« entgegnete Veit, und warf die Nase in die Höhe: »Es gibt Dinge, die ich nicht einmal im Scherz begreife.« – »Wahre Dich vor dem Hornberger!« redete Bechtram lachend dazwischen: »Du weißt ja, daß er mir gestern beinahe in aller Freundschaft und Kumpanei den Hals gebrochen hätte. Schäme Dich aber auch, alter, großer Leuenberg, daß Du so unritterlich dem Fräulein den Hof machst. Schon längst hab' ich's gemerkt, und ich glaube, in [274] der ganzen Veste gibt es Keinen, dem es ein Geheimniß wäre. Es gibt, weiß Gott, nichts Lächerlicheres, als einen verliebten Burschen, der schon beinahe über die Jahre hinaus, und in seinem ganzen Leben der Schönste nie gewesen ist.« – Die Genossen des Ritters lachten hell auf, während eine Art von Schaamröthe in Veit's braunes Gesicht stieg. – Bechtram fand Anerkennung seines rohen Witzes, und fuhr daher kecker fort: »Den Hornberg lob' ich mir dagegen. Die Blicke einer Dirne prallen von ihm ab, wie die Pfeile des Schützen von dem Küraß. Und doch wäre er ein andrer Mann als Du, mein guter Veit Lustiger, offner, und ... ich muß es sagen, – weit kecker als Du. Während Du auf der faulen Haut liegst, und denkst, die Sonne soll Dir Wein, Brod und fleisch in die Kammer scheinen, sitzt der Hornberg risch und straff zu Gaule, und ist in der Wetterau gefürchtet, wie ich es nur war in meiner besten Zeit. Aber derselbe Muth, der im freien Felde, sich herumschlägt, gewinnt auch in einsamer Kammer die Herzen der Weiber. Merke Dir das, Veit; und vergib mir, daß ich Dir in etwas die Wahrheit sagte, wie man nur einem Freunde zu thun pflegt.« – »An Eurer Ausrichtigkeit ist mir nie eingefallen zu zweifeln,« versetzte Veit, seinen auf's Höchste gestiegenen Unmuth hinter einem bittersüßen Lächeln verbergend: »ob es geziemend ist, einen Gast durch solche Reden zu kränken vor ansehnlicher Ritterschaft, meine ich nicht; allein ich übersehe es Euch, da Ihr eben mein Gastfreund und obendrein mein Lehrer seyd, und Eures Alters wegen ein Wort voraushaben [275] mögt.« Daß ich überall dabei bin, wo es gilt, und ich einen Vortheil absehe, daß ich in Kühnheit und Muth es aufnehme mit Jedem, der es mit mir wagen will, behaupte ich, so wie, daß ich Jedem den Hals breche, der an den des Fräuleins will. »Sie ist meine Base, und wahrlich weder der Graf von Montfort, noch Ihr, verehrlicher Ritter habt Euch durch ihren Raub Ruhm erworben.« – »Horch! horch!« spottete Hornberg, die Weise eines damalig beliebten Liedleins nachäffend: »Wie anders die Schalmeye klingt, denn sie zuvor erklungen! wie anders doch der Buhe singt, denn er zuvor gesungen! Wie hat der Leuenberg vor wenig Tagen noch gesprochen, und wie spricht er jetzo? So lernt man minnen, was man haßte. Was gilt's, hol' mich der Satan, er bedauert, der arme Schelm, daß ihn die Frankfurter in den Bann gethan. In die Krämerladen würde er sich stellen, und das Einmal Eins lernen, und die Elle handhaben, um sein Liebchen zu gewinnen!« – »Wenn Du nicht schweigst!« – schrie Veit, nach dem Dolche fahrend. Bechtram stieß ihn indessen kurz und bündig zurück.

»Friede!« rief er barsch dazwischen: »Stern und Kreuz! Ihr habt mich gestern verhindert zu raufen, ob ich gleich der Herr vom Hause bin. Heute sollt Ihr mir dafür keinen Lärm und Hader anzetteln, und müßte ich euch Beide vor das Schloß werfen. Vertragt Euch, und damit ihr's könnt, soll meine Wirthin Wein schaffen!« – Er klatschte in die Hände, pfiff seinen wohlbekannten Forstruf, und da das Fenster erklang, und Frau Else herausschaute, [276] begehrte er einen Valet-und Satteltrunk. – »Ich bin heute so vergnügt;« fuhr er fort, und sah sich munter im Kreise um: »Ich gedenke heute einen frohen Tag zu feiern, und morgen spätestens wieder behaglich in Eurer Mitte zu seyn.« – Alle, sogar des maulende Veit reichten ihm die Hände. Doring sagte jedoch kopfschüttelnd: »Gott verdamme den Weg, den Du machst, Bechtram. Ich habe böse Ahnung, Dein Gaul hat gestern das Vorzeichen gegeben. Es droht Dir entweder zu Frankfurt Unheil, oder Du bringst es von dannen nach Deinem Hause. Bleib daheim.« –

»Plaudertasche!« versetzte Bechtram lächelnd, ihn beim Schnauzbart zupfend: »Sorge nicht; mir begegnet nichts Böses. Der alte Auerstier ist die Furcht des Waldes, und wäre ich's auch nicht allein, den die Städter fürchten, so sind es doch meine Freunde. Sieh einmal hin, auf die Hand voll Menschen, keck wie die Hähne, gespornt wie sie, und nicht minder hitzig. Ihr laßt mir nichts geschehen, Freunde, und in diesem Vertrauen laßt uns die Becher leeren auf fröhlich Wiedersehen!« – Frau Else kredenzte den Trunk, und mit einem Jubel aufflogen die geleerten Humpen in die Luft. – »Nun keinen Tropfen mehr!« rief der Reifenberger. »Auf morgen, oder heute Abend schon, das Übrige!« setzte Henne von Wiede hinzu. – »Wiedersehen!« murmelte Doring, dem Bechtram die Rechte schüttelnd. – »Ehe wir aber uns hinsetzen, um über die hintergangnen Reichsstädter in's Fäustchen zu lachen, müssen wir unsern Freund an Frankfurts Thore geleiten!« sprach lebhaft [277] der Hornberger. – »Ja! das müssen, das wollen wir!« jubelten alle insgesammt. – »Ich reite mit ihm in Sachsenhausen ein!« fügte der von Wiede hinzu: »ich gehe ihm nicht von der Seite!« – »Warum darf ich nicht ein Gleiches thun!« brummte Doring: »Aber ich habe einen Span mit dem Rathe, und traue nicht.« – »Wir erwarten den Bechtram zu Oberrad!« schlug der Hornberger vor, und Bechtram willigte gerne in das Geleit seiner Freunde und Genossen. – »So sey's!« sprach er: »so bald ich mit dem Magistrate im deutschen Hause Frieden geschlossen, komme ich zu Euch, und sollte jener Unglücksvogel, der Kunz, recht haben, und sie mich einsperren auf ein Lösegeld, trotz Geleit und Furcht, so kommt der Wiede doch, und bringt Euch Kunde.«

»Wehe dann, der Stadt!« betheuerten Alle mit Lärm und Geschrei. – »Dir, mein werther Schüler und Freund,« wendete sich Bechtram zu Leuenberg: »Dir glaube ich eine Liebe zu thun, wenn ich Dich abermals zum Hüter der Frauen und des Hauses bestelle. Wallradens Gefangenschaft wird Dir weniger grausam erscheinen, wenn sie nur Deine Gefangene ist. Du magst indessen die liebe Base trösten. Bleibt der Montfort noch eine Weile aus, trotz Versprechen und Wort, so liefre ich das Fräulein wieder aus an ihren Vater, der mir ein schweres Lösegeld dafür bezahlen soll. Dann magst Du um dasselbe freien nach Herzenslust, guter Veit, insofern Herr Diether Frosch Deine Armuth, und der Papst die Blutsfreundschaft übersieht. Bewahre mir also vor der Hand Thurm und Haus mit treuem [278] Sinn, und sorge, daß meiner Hausfrau und Deinen Basen nichts Böses, widerfahre.« – Die Herren schwangen sich auf die Gäule, und nachdem Frau Else einen kurzen und männlichen Abschied von dem Gatten genommen, zogen die Reiter von dannen, einige wenige Knechte auf ihrer Spur. Der Leuenberger sah ihnen durch das Vorsprungfensterlein am Thore nach, und sprach zu sich: »Viel Glück auf den Weg, lieben Freunde; elendes Volk und Gesindel, das sich überhebt, als wäre es schon vor der Sündfluth geadelt worden. Daß der Hornberg ein vorlauter, böser Geselle ist, war mir längst bekannt, und seine Freundschaft, so viel Wesens die Base Petronella davon macht, hat mir nie Erkleckliches in den Seckel gelockt. Ich hasse den Buben jetzt von ganzer Seele, aber ich denke, ich hasse den alten Bechtram noch weit mehr seit einer Stunde. Wie mich der Graubart hingestellt hat vor aller Welt, wie man einen gemeinen Dieb an's Halseisen legt! Was er sich nur einbildet? Auf was er nur pocht? Auf seine Habe? Der Teufel danke ihm sein Geld, seinen Wein und seinen fetten Tisch. Hätte ich ein Paar Dutzend Knechte, und einige arme, aber handfeste Schlucker wie der Doring, der Wiede oder der Reifenberg zu meinem Befehl, ich wollte mich auch bald reich gearbeitet haben. – Oder pocht er auf seinen Stamm? Mein Adel ist so alt als der seine, und dem Kaiser wird es schon lange leid thun, daß er ihn zum Ritter geschlagen. Was nützen ihm die goldnen Sporen? Wenn es um den Scharlachhandel zu thun ist, oder darauf ankömmt, ein Paar elende Kaufleute [279] nieder zu werfen, so ist der Edelmann mit der besten Faust der tauglichste, er sey nun Ritter oder Junker. Eine gute Faust konnte man dem Bechtram nicht abläugnen, aber er ist schon einalter Bär geworden. Ich hätte mich wohl unterfangen, mit ihm anzubinden, aber ich habe die Übrigen gefürchtet. Indessen soll er an mich denken, und es bereuen, daß er mich wie einen Schmarotzer und Krippenreiter behandelt hat. Ich fürchte, seine Hoffnung auf das Lösegeld aus Diether's Hand schlägt fehl, denn ich kenne Einen, der ihm zuvorkommen wird. Heute haben wir Vollmond, und ich meine, Meister Diether werde auf der Bergener Straße zu finden seyn. Ist das Geld in meinen Händen, dann wird auch Wallrade mir folgen müssen, wenn auch nicht in ihr väterlich Haus, und die Frankfurter brennen zum schuldigen Dank dem hochmüthigen Bechtram den Schornstein ober, dem Haupte weg.«

»Pest und rother Hahn! Ein herrliches Fündlein,« setzte er bei, indem er vergnügt sich die Hände reibend, aufstand: »Mit einem Streiche erlange ich Diether's Geld, Wallradens Demüthigung, Bechtram's Verderben, und zuletzt muß mein verhaßter Schwager erst noch, getäuscht, mit langer Bahn von diesen Mauern abziehen! Noch einmal: Glück auf den Weg, ihr Herren und Freunde! der Leuenberger macht Euch Alles wett!« –

Die Stunden verstrichen in sorgloser Stille. Die Veste lag einsam, und weder Roß noch Mann weit hinaus in die Runde war zu sehen. Die Sonne sank, und im Zwinger und Burghof wurde es schon [280] schattig und düster. Die Frauen beschlossen, abermals auf dem Wartthurme luftige Helle zu suchen. Während sie jedoch die Höhe erklimmten, ließ der Leuenberger seinen Gaul aus dem Stalle ziehen, und die Pforte öffnen. – »Wilpert;« sprach er zu dem Knechte, der ihm das Pferd vorführte: »ich kehre erst zur Nacht zurück. Der Frau magst Du sagen, daß ich, meines Falkens Steigen zu erproben, ein wenig in's Freie geritten sey. Bleibe hübsch auf Deiner Hut, und hab' Acht auf das Thor.« – Der Knecht nickte mit dem Kopfe, und der Junker ritt aus, und lenkte seinen Klepper gleich ausser der Burg auf versteckte Waldpfade, daß die auf dem Wartthurme sitzenden Weiber nicht das Geringste davon bemerkten. – »Ihr seyd also völlig wieder hergestellt?« fragte Petronella das Fräulein mit erheuchelter Theilnahme: »Ihr werdet mir nun sagen können, ob der Luftzug über die Zinnen, oder mein arm, unschuldig Mährlein an Euerm Zufalle schuld gewesen?« – »Keins, von beiden;« versicherte Wallrade spitzig: »im Ganzen war es nur ein Übelbefinden, das mich öfter anwandelt; ein Schwindel; weiter nichts. Ihr kennt ja solche Zufälle, ob sie gleich bei Euch vom Alter ihren Ursprung nehmen, und bei mir das junge heiße Blut daran Ursache ist.« – Frau Else lachte, während das Fräulein von Leuenberg die Stirne verzog und die spitzige Nase rümpfte. – »Mag ich doch der Jahre so viele zählen, als der Erzvater Methusalem;« sprach sie bitter: »ich bleibe doch immer jung gegen das Alter unsers adeligen Stammes. Nicht alle Leute können [281] sich solcher Herkunft rühmen.« – »Nicht alle Leute mögen hoffärtige Armuth einem bequemen Bürgerthum vorziehen;« versetzte Wallrade gereizt: »vergebt mir, Fräulein; es mag alles wahr seyn, was Ihr mir von Euerm schönen Schlosse zu Gelnhausen zu erzählen für gut fandet, allein es ist wohl bessres zu finden, als schmale Kost und magre Mährlein, wie Ihr sie Euerm Vetter auftischt. Das wußte Eure Base Gretchen sehr gut; sie scheute sich keineswegs dem Wohlleben eines Frankfurter Bürgers ein leeres Wappen zum Opfer zu bringen.« – »Dieses Opfer unbesonnener Jugend hat auch schier mein Herz gebrochen;« erwiederte Petronella: »der Falk soll nie auf einem Finkenneste horsten. Merkt Euch das, gute Nichte.« – »Warum hatten doch eure Warnungen keine kräftigere Wirkung?« fuhr Wallrade glühend und mit Spott fort: »Meinem Hause wäre viel Unfriede erspart gewesen, – und viele Schande.« – »Schande?« schrie Petronella, erstickend fast vor Unwillen: »Welch böser Geist spricht denn heute diese Lästerungen aus Euch, da Ihr Euch noch gestern geberdet habt, wie ein reuiges Schäflein? So man auch wollte, man könnte sich doch nicht mit Euch vertragen, denn Ihr seyd schlimm, wie ein schneidiges Messer.« – »Allerdings;« gab Wallrade zu: »in ungeschickten Händen werde ich dazu, und das ist bei Euch der Fall.« – »Was sollen, denn die Stachelreden?« fiel Else derb und heftig ein: »Wenn Verwandte sich also erzürnen, was sollen denn wildfremde Menschen thun? Gebt Euch zufrieden. Beide seyd Ihr mir gleich liebe Gäste, – und,« setzte sie scherzend[282] hinzu: – »das Fräulein von Baldergrün ist mir schier noch angenehmer, als Ihr, Leuenbergerin.« – »Weil das Fräulein mit goldnen Ketten und Geschmuck den gezwungnen Aufenthalt bezahlen muß;« ergänzte Petronella. – »Und Ihr das erwünschte Traktament nur mit Mährlein;« setzte Wallrade verhöhnend hinzu: »Ihr verdankt meinem Unglücke, das aber dennoch, wie Alles, ein Ende nehmen wird, ein Paar lustige Gelagwochen, Euer alter Kater ist schon in seinem Fett erstickt, und auch Eure hagre Gestalt beginnt sich zu runden. Während dessen aber muß der arme Bauersmann, der Euch gefahren, im Thurme verzweifeln.« – »Was kümmert mich der Mensch?« fragte Petronella unwirsch: »Ich bin sammt meinem Vetter in Ehren geladen hieher gekommen, und es steht Euch schlecht an, mich für eine Schmarotzerin geltend zu machen. Der Hochmuth ziemt Eurer Lage nicht. Meinen Adel, meine Freiheit, mein gutes Gewissen habt Ihr doch nicht. Lacht nicht, mit dem Gewissen ist's wirklich nicht richtig; die gestrige Ohnmacht, und die plötzliche Bekehrung, die darauf folgte, beweisen es, und der Mönch, der Eure Beichte anhörte, würde viel zu erzählen haben, wenn er anders erzählen dürfte.« – »Keine Beleidigung!« zürnte Wallrade; aber Petronella hätte unerbittlich fortgefahren, wenn nicht Frau Else dazwischen getreten wäre. »Ei, beim Wetter!« rief sie: »Ist des Haders noch kein Ende? Schämt Euch, Fräulein von Leuenberg. Euer Alter sollte vernünftiger seyn. Schämt Euch, noch einmal, – und nehmt Euch in Acht vor dem Vetter Veit, denn es scheint, als hätte er seine [283] Nichte zu lieb gewonnen, als daß er Euch nicht den Kopf zurecht setzen wollte, wenn Ihr das Fräulein schmäht.« – »Das wolle Gott verhüten!« seufzte Petronella mit niedergeschlagenen Augen: »Der Bruder wird doch nicht dem Beispiele der Schwester zu folgen trachten?« – »Und wenn es wäre?« entgegnete Wallrade mit verächtlichem Scherz. – »Mein Tod wäre es;« fuhr Petronella giftig fort: »der letzte Nagel zu meinem Sarge.« – »So sterbt immerhin;« sprach Wallrade höhnisch weiter, während Frau Else des Lachens kein Ende finden konnte: – »der Junker von Leuenberg macht mir den Hof, und hat geziemend um meine Hand geworben.« – »O der dumme Christoph!« seufzte das alte Fräulein schmerzlich, und machte ihre Augen groß auf. – »Noch mehr!« fuhr Wallrade schnell fort: »er wird mich befreien; er hat's versprochen.« – »Befreien? versprochen?« stammelte Petronella und sank auf ihren Sitz zurück: »Ich bin verloren. Der undankbare Mensch kann seiner Muhme also vergessen? mich würde er aus dem Hause stoßen wollen, um eines Bürgers Tochter in unser Schloß zu setzen? Abscheulich! Wo ist er, der Wütherich? hören will ich's; aus seinem Munde will ich's höre!« – »Ihr erfahrt es früh genug;« versicherte Wallrade. »Ich gebe Euch indessen mein Wort, daß ich mich lange besinnen werde, ehe ich zu Euers Vetters Zärtlichkeiten ein gutes Gesicht mache.« – »Und warum?« fragte die Alte ereifert: »Ein junger Edelknecht von Veit's einnehmender Gestalt, ist Jungfrauen von zweideutigem Bürgeradel immer willkommen und [284] wenn ich's beim Lichte besehe, so kann ich's nicht dulden, daß Ihr meinen Vetter ausschlagt.« Es wäre ein Schimpf für unser gutes Wappen, das Kaiser Karl der Große unserm wohlverdienten Ahnherrn gab. »Der Frosch soll sich's zur Gnade schätzen, mit dem Leuen auf dem Berge wandeln zu dürfen.« – »Ihr sprecht verwirrtes Zeug, Fräulein;« fuhr Frau Else dazwischen: »das Alter und die Galle machen Euch thöricht vor der Zeit. Laßt das Ding nur seinen Weg gehen, und kümmert Euch nicht darum. Unser lieber Gast Wallrade hat mit Euch sich einen Scherz erlaubt. Der Vetter Veit wird sie weder zum Altar führen, noch befreien, ehe mein Alter nicht klingendes Geld dafür gewonnen. Riegel und Knechte bürgen uns für ihre Ruhe und stilles Verhalten, wenn die Freundlichkeit, womit wir die Gefangene behandeln, es nicht thut. Ich habe indessen – glaubt mir's Leuenbergerin – ein weit besseres Vertrauen zu des Leuenberger's Redlichkeit gegen uns, und zu des Fräuleins Aufrichtigkeit, als Ihr. Glaubt Ihr wohl, ich zögerte im Geringsten, die ehrsame Wallrade zu bitten, aus meinem Schreine die Stickarbeit zu bringen, die ich vor einigen Tagen begonnen, und ihr zu diesem Behuf meinen ganzen Schlüsselbund anzuvertrauen? Hier habt Ihr diese theuern Schlüssel, mein Fräulein von Baldergrün. Eure Bereitwilligkeit bürgt mir dafür, daß Eure jungen Beine meinen ältern den Liebesdienst erweisen werden.« – In der Bitte der Frau Else lag ein Befehl; Wallrade zögerte daher nicht, mit erkünstelter Freiwilligkeit zu thun, wozu sie sich nicht gerne hätte zwingen [285] lassen. Schnell nahm sie die Schlüssel, verneigte sich boshaft vor der Base Petronella, und sprach: »Vergebt, edle Blutsfreundin, meiner vielgeliebten Stiefmutter, daß der Wunsch unsrer verehrten Gastfreundin mich hindert, Euch jetzt schon zu sagen, was der Frosch zu dem Leuen sagen könnte, wenn er mit demselben auf dem Berge lustwandelt. Dieses sinnige Gleichniß hoffe ich indessen später mit Euch abthun zu können, und diese Hoffnung wird nicht der geringste Beweggrund seyn, der mich zur Eile antreibt.« – Sie flog die Treppen hinab, und erschrack beinahe, da sie, an des Thurmes Pforte angelangt, den Herrn von der Rhön erblickte, der mit verschränkten Armen auf der Steinbank an der Kapellenthüre saß, und in tiefe Betrachtung versunken zu seyn schien. Die Geübte faßte sich jedoch schnell, warf dem Aufschauenden einen verächtlichen Blick zu, und ging stolz vorüber nach dem Wohngebäude. Bilger sah ihr nach, bis sie innerhalb der Thüre desselben verschwunden war, und ein schwerer Seufzer löste sich von seiner Brust. Unmuthig in der Erinnerung seiner Verirrung und seiner Leiden, wollte er in den verborgensten Winkel des Hofs entfliehen, um nicht zum Zweitenmale den Anblick der Frau ertragen zu müssen, die er einst für eine Heilige gehalten, und die er jetzo nur verabscheuen konnte, als über die Mauer herüber eine nicht unbekannte Stimme kam: »Gott grüße Euch, und gelobt sey Jesus Christus, frommer Vater!« – Bilger sah den jungen Knecht über die Brustwehr lugen, mit dem er in verwichner Nacht geredet, und dankte ihm nach Art [286] der Mönche. »Hochwürdiger Herr!« fuhr der Geselle vertraulicher und leiser fort: »ich bin Euch viel Dank schuldig. Die Erlaubniß zu beten, die Ihr mir gabt, hat mich erquickt, und im Schlaf heute Morgen ist mir mein Mütterlein erschienen, und hat mich aufgefordert, wieder heimzukehren aus der ruchlosen Gemeinschaft.« – »Gott geleite Dich, mein Sohn!« erwiederte Bilger: »Bete Du dann auch für mich.« – »Ach, Herr!« meinte der Knecht: »frei seyn ist edler, denn Alles. Wie gerne wollte ich Euch frei machen , wenn ich's nur vermöchte« – Indem vernahm man ein Rennen und Laufen im Zwinger, und der Balken der Zugbrücke knarrte, wie der Riegel des Thors. – »Was gibt's denn da draußen?« fragte der Herr von der Rhön den freundlichen Knecht. – »Denkt doch!« flüsterte dieser herab: »das böse Zeichen! der Gaul, auf dem heut der Herr fortgeritten, kömmt schon wieder gesattelt und gezäumt. Das Roß rennt wie toll am Abhang auf und ab, und hin und her. Die Knechte machen sich hinaus, um's einzufangen. Ach Herr! was wäre das ein Augenblick des Heils für Euch, wenn das verdammte Gatterthor nicht wäre? Brücke nieder, Thor auf, Knechte zerstreut, ein Pferd, halb beschlagen, steht verlassen an der Schmiede. Warum könnt Ihr nicht hinauf, und dann im Abendschein in den grünen Wald hinein!« – So eben rief ein andrer Knecht den Plaudernden von dannen, und alles Getöse verlor sich in der Ferne. Bilger blinzelte durch das Gitterlein am Gatterthor, und sah, wie Recht sein junger Freund gehabt. Alles leer, auf der herabgelassenen [287] Brücke ein einziger gaffender Knecht, ... der an der Schmiede verlassene Schimmel ruhig grasend, mit schleppender Trense. – Nach Freiheit klopfte des Gefangenen Brust, und mit leuchtenden Augen kehrte er sich, Groll und Kummer vergessend, zu Wallraden, die gerade mit Frau Elsens Stickerei aus dem Hause trat. – »Dort ...« stammelte er, mit dem Finger durch das Gitter zeigend: »ein Augenblick der Rettung ... wer zu dieser Pforte den Schlüssel hätte!« – Wallrade stand betroffen, dann faßte sie schnell nach dem Schlüsselgebunde, schleuderte Frau Elsens Stickerei in die dunkle Hausflur zurück, und lief nach dem Thurme, dessen Pforte sie in einem Nu zuzog, und mit dem ihr bekannten Schlüssel sperrte. Wie ein entschloßner Held zauderte sie keinen Augenblick, den Schlüssel zu suchen, welcher das Gatterthor öffnete, und ein günstiger Engel leitete ihre Hand. Der zweite, mit dem sie es versuchte, schloß die Pforte auf. Bilger eilte ihr voraus in den Zwinger; das Schlüsselgebund flog in den Nesselbusch am Eingange; des Wildmeisters geübte Hand bemächtigte sich des Schimmels, und hob Wallraden schnell auf dessen Rücken. Trotz der Kutte und der unbehülflichen Holzsohlen sprang er nach, und der Gaul, begrüßt von Zungenschlag und Rippenstoß, entsetzt von der ungewohnten Doppellast, die sich ihm plötzlich aufgeschwungen, tobte wie rasend gegen das Thor, und war schon durch Gewölb und Blückenbogen, ehe dem wachhabenden aber in die Ferne schauenden Knechte es einfiel, »Halt!« zu schreien. Dieser Ruf kam zu spät, denn schon verloren sich Roß und [288] Flüchtlinge hinter Kieferstämmen und Buschwerk, als erst die im Weiten nach Bechtram's Renner laufenden Burgleute das Geschrei vernahmen. Der Schimmel verstand seinen gezwungenen Dienst auf's Trefflichste, denn er stand nur erst nach einer langen zurückgelegten Strecke still; auf einem Waldplatze, der einsam zwischen hohen Bäumen lag, und auf welchem man nur schwach die Hornstöße vernahm, die von Neufalkenstein's Warte ertönten. Wallradens Gesicht überflogen, trotz der Ermüdung und Erschütterung, Streiflichter der boshaften Schadenfreude, da sie diese Nothtöne vernahm. – »Ein Mark Silbers gäbe ich darum,« stammelte die fast athemlos im Grase Ruhende, »könnte ich auf jenem Wartthurme Zeuge der Verwirrung der beiden niederträchtigen Weiber seyn. O, daß sie den Hals brächen von der Zinne herab! Wie wird Bechtram fluchen bei seiner Heimkehr! Er ist im Stande und mordet die Weiber mit eigner Hand! Süße Wonne der Vergeltung, wenn diese Kunde mein Ohr berührte!« – »Seyd doch nicht unversöhnlich und gehässig in der Stunde, da es gilt, den Himmel anzuflehen um völlige Befreiung;« ermahnte Bilger sich aufraffend: »Eure ruchlosen Wünsche möchten leicht den Engel von uns scheuchen, der unsre allzukühne Flucht bis jetzt beschirmte!« – Wallrade sah ihn finster an; er übersah es jedoch, und drängte zur schleunigen Fortsetzung der Fahrt. – »Wir haben keinen Augenblick zu entmüßigen;« sprach er heftig: »durch jene Büsche sehe ich im falben Abendglanz die Heerstraße schimmern. Die Sonne ist fast erloschen, und das Dunkel beginnt. Noch lange jedoch sind wir [289] nicht auf befreundetem Boden, und ich fürchte, mit dem Pferde haben wir keine Zeit zu verlieren. Seht, wie es keucht und schnauft, als ob es dem Herzgespann unterliegen wollte!« – »Wohlan denn!« entgegnete Wallrade, aufgeregt von der Möglichkeit, wieder angehalten zu werden, und ließ sich wieder auf des Schimmels Rücken heben: »Kommt, und eilt, wenn auch das Thier in der nächsten Stunde zu Schanden gehen sollte!« – Rasch brachen sie durch auf die Straße, und immer hastiger ging's voran. Der Herr von der Rhön hatte keinen andern Gedanken als den der Flucht, und alles übrige vergessend, hielt er mit dem rechten Arme Wallraden umschlungen, während die Linke den Gaul regierte, wie es sich eben mit dem unzulänglichen Zügelriemen thun ließ. Wallrade fand aber unter Gefahr und banger Furcht noch Zeit zum unbescheidnen Scherz. »Ihr thut ja so eifrig, und umschlingt mich so fest,« sprach sie, spöttisch lächelnd zu ihm zurückgewendet, »als wär' ich nur erst Euer geliebtes Bräutlein, und nicht Eure verhaßte Ehefrau! Oder vermeint Ihr etwa, mein rascher Rittersmann, mich wieder in den Arm zu nehmen, weil Euer wahres Lieb der Sensenmann umfangen?« – Der unzarte Scherz griff eiskalt wie die Hand des Sensenmanns an Bilger's Herz, und von Wallradens schlankem Leibe wich schaudernd seine Rechte, und der schwache Zaum entsank seiner Linken, und alsobalb stürzte der Gaul, über Baumwurzeln stolpernd, nieder, um nimmer wieder aufzustehen. Ein Vorderfuß war gebrochen, und auch die keuchende Brust des Thiers, vom scharfen Ritte[290] längst entwöhnt, war am Verathmen. – »Euerm Frevel folgt doch gleich der Fluch auf der Ferse!« zürnte Bilger, und riß Wallraden unsanft in die Höhe: »Jetzt mag unsrer eignen Füße Kraft uns weiter tragen.« – »Feiger Mann!« schalt Wallrade verächtlich entgegen: »Das schreckt Euch? Jeder Weg ist gut, führt er zum Ziele. Mag auch Dorn und Kies meine Sohlen zerreißen, – gleichviel – entgehe ich nur dem schändlichen Bechtram, und dem noch schändlichern Montfort!« – »Ho! wer gedenkt hier meiner?« rief sie ein Mann an, der zu Pferde um die, einen Schritt entfernte Waldecke bog, und Wallradens Knie brachen, denn selbst in der mächtig einbrechenden Dämmerung war des Grafen verwachsne Gestalt, die wie ein Kobold im Sattel saß, nicht zu verkennen. Der bestürzte Bilger ließ die Erbleichende aus seinem Arm, und dies war der Augenblick, in welchem sich der vom Roß springende Montfort der willkommnen Beute bemächtigte. »Ei, was seh' ich?« rief er schadenfroh und überrascht: »Ist das nicht die tugendsame Jungfrau, der ich so eben zu Hofe zu reiten im Begriff bin? Wollte sie mir entgegeneilen, oder hättest Du es gewagt, lüsterner Klostermann, mein Täubchen zu entführen? Fort mit Dir, soll ich mich nicht an Deiner Glatze vergreifen!« – »Herr Graf!« entgegnete Bilger trotzig: »Ihr werdet nicht so unedel seyn, dies Weib auf offner Straße zu rauben, da es mir angehört.« – »Der Teufel ist hier Graf, und Dir gehört auch nur der Teufel an!« fuhr ihn Montfort an, indem er die bloße Wehr gegen ihn erhob: [291] »Weiche, verdammter Kuttenträger, und erkühne Dich nicht, meinen Namen nur auszusprechen, weil er zu edel für Deinen Mund ist.« – Wallrade machte eine Bewegung um zu entkommen; des Grafen Arm hielt sie jedoch fest; den vor Zorn erglühenden Bilger hielt er mit dem vorgestreckten Schwerte zurück. – »Ich höre Schnauben von Rossen, und Stimmen von ferne;« jammerte die neuerdings Gefangene, die aber die Besonnenheit nicht in dem Grade verlor, um zu vergessen, daß nur dann erst Alles verloren war, wenn beide wieder gefangen würden: »die Verfolger sind's! Weicht der Übermacht, frommer Vater! Rettet Euer Leben!« – »Ja, fliehe, geschorner Wicht!« donnerte ihm Montfort zu: »fliehe, weil ich Dir's vergönnen muß, da ich allein bin, und ohne Geleite. Fliehe, mir ist's nur um diese hier zu thun, an welcher die Welt nichts verliert, mag sie Dir vorgelogen haben, was sie will, gefälliger Beichtvater! Kommen hingegen die Andern heran, denen Ihr entlieft, so möchte es Dir nicht gut gehen.« – »Flieht! Ihr macht uns alle unglücklich!« schrie ihm Wallrade zu, und deutete heftig nach der Gegend hin, wo Frankfurt lag, und da plötzlich Frau Elsens gellende Stimme auf der Höhe des Wegs laut sich vernehmen ließ, so fand Bilger's Unschlüssigkeit ihr Ende schnell, und mit der Schnelligkeit eines Hirsches warf er sich abermals in das dicke Forstgehäge hinein, wohin kein Pferd dringen konnte, und das Rauschen seiner Schritte verscholl, ehe noch der Troß herbeikam, welcher in der That aus Leuten von Neufalkenstein bestand, die je zwei [292] und zwei auf einem Ackergaule oder Lastesel hängend, herbeiklepperten. An ihrer Spitze war Frau Else selbst, quer auf einer grauen Stute sitzend, einen runden kleinen Schild am linken Arme führend, und mit einem breiten Waidmesser bewaffnet, das an ihrer Hüfte hing. »Sah man den hinkenden Lauf ihres Rosses, das im aufgehenden Mondlicht erglänzende Regentuch, das um ihr Haupt flatterte, den im Abendwinde schwimmenden und wehenden Gürtel, und das abenteuerliche Häuflein, das ihr folgte, so war man versucht, sie für die wilde Hexen- und Waldfrau zu halten, von deren Spuck und Gespenstergeleite die Sagen des Thüringerwalds, und des Brockens so viel zu erzählen mußten.« – »Halt!« rief sie ihrer Rotte zu, da sie gewahrte, daß ihre Beute eingeholt worden: »Halt! herab von den Thieren! Kreuz, Nagel und Dorn! Grüß Euch Gott, so ich Euch recht erkenne, Herr Graf von Montfort. Der Teufel auf Euern verdammten Schlangenkopf, listiges Fräulein! Haben wir Euch wieder? Alle vierzehn heilige Nothhelfer mußten Euch gerade diese Straße führen, Herr Graf. Heda! Bursche; nehmt das Weibsbild, und bindet es recht fest mit Zweigen und Riemen, daß sich die falsche Hexe nicht rühren kann.« –

»Frau Else!« entgegnete Wallrade empört: »so Ihr dieses an mir thun laßt, so ersticke ich mich selbst. Das Unglück hat mich in Eure Gewalt gebracht, und kein Verbrechen!« – »Seht doch!« eiferte die Mann-Frau, indem sie die Fäuste in die Seite stemmte: »ist es kein Verbrechen, mein Vertrauen zu betrügen? meine Leute zu verführen?« – [293] »Ich antworte Euch nicht mehr;« versetzte Wallrade: »aber ich tödte mich, wenn Ihr mich mißhandelt; verlaßt Euch darauf.« – »Verruchte Kröte!« murrte Else in sich hinein, und der Graf sprach mit beißendem Spott: »Bedenkt doch, Frau von Vilbel! es geht wahrlich nicht, daß wir eine Leiche mit heim bringen, statt der holden Verlobten, in deren Armen ich Ersatz für meine mühsame Reise zu finden hoffte. Überlaßt das Fräulein meiner alleinigen Obhut. Ich will es so zierlich, als ein Kämpe von der Tafelrunde in das so schnöde verlassne Kämmerlein zurückbringen, und Wallrade, die sanfte, reizende Wallrade wird meinen Schutz sicher nicht verschmähen. Nicht wahr, mein Fräulein?« – Lächelnd hielt er ihr den Steigbügel seines Pferds, und Wallrade erwiederte, indem sie sich ungeduldig aufschwang: »Herr Graf! unter solchen Umgebungen hat Eure Überredung eine so unwiderstehliche Gewalt, daß ich Euch noch hundertfach mehr verabscheuen müßte, als ich es wirklich thue, um nicht Eure Gesellschaft derjenigen einer wüthenden Frau vorzuziehen, die es mir nicht vergeben will, hübsch listig versucht zu haben, was sie selbst in ähnlicher Lage, – wenn auch gröber und unbehülflicher, in's Werk gesetzt haben würde.« – »Die Leuenbergerin hat Recht;« entgegnete Frau Else bitter: »Ihr seyd ein schneidig Messerlein, dem nicht zu trauen ist. Traut ihr nur ja nicht, bester Graf. Den Leuenberger Veit hat sie verführt, daß er ihr durchgeholfen, und den Mönch hat sie mitgenommen. Er und der arme Gaul, der hier am Boden liegt, möchten in Gottes Namen seyn, wo sie [294] können, wenn wir nur des ungetreuen Schirmvogts, des Leuenbergers habhaft würden. Der Vogel hat aber sicherlich die Gefahr davon gespürt, und ist auf und davon gegangen.« – Wallrade schwieg hartnäckig und ergötzte sich im Stillen an dem falschen Verdachte der Alten, obschon die getäuschte Hoffnung ihr Gehirn und Brust zusammenpreßte, daß die Tropfen bittrer Thränen in ihre Augen traten. Stumm wurde der Zug nach der kaum verlassenen Veste zurückgelegt. Auf Frau Elsens Ruf öffnete sich die Burg; als sie aber über die Zugbrücke zu dem Hofe ritten, entsetzten sich Wallrade und der Graf, und auch die rohen, des Bannfluchs gewohnten Knechte bekreuzten sich, und beteten einen Stoßseufzer, denn an den Thorpfeilern hingen zwei Leichname. Auf Befehl der strengen Hausfrau hatte hier der Thorwächter geendet, welcher Wallradens Flucht nicht auf der That gehindert, und der alte Schmied, der von dem Schimmel gegangen war, dessen sich Bilger bemächtigt hatte. – »Spiegelt Euch daran!« sprach Frau Else hartherzig und trocken zu Wallraden: »Allen, die es mit Euch halten, geht es also, und müßte ich den Letzten mit eigner Hand aufhenken. Diese Schlüssel aber, – sie zeigte hohnlachend das wiedergefundne Gebund, – diese Schlüssel vertraue ich nimmer Eurer gefährlichen Hand, obschon es mit dem Einsperren im Wartthurm nicht so vieles auf sich hatte. Ihr habt vergessen, daß der Thurmwärter eine Axt, und die grobe Frau Else Fäuste besitzt, die allenfalls, mit Eisen bewaffnet, ein Schloß auch ohne Schlüssel zu öffnen verstehen. Euch jedoch soll fürder weder Axt [295] noch Schlüssel zu Gebote stehen, bis mein Herr sich mit dem Grafen abgefunden, und Euer Schicksal entschieden hat.« – Der innere Raum der Veste wurde nun verrammelt, als ob ein die Acht vollstreckendes Heer des Kaisers vor derselben läge. Frau Else bewirthete ihren unvermutheten, aber längst erwarteten gräflichen Gast in der Trinkstube, und Wallrade betrat beschämt und von Zorn zerrissen, aber nicht verzweifelnd, das Frauengemach, das sie vor wenig Stunden auf ewig verlassen zu haben glaubte, und in welchem Petronella, vom Schreck über die plötzliche Flucht der Gefangenen, und die muthmaßliche Theilnahme ihres Vetters, zusammengeschüttelt, krank zu Bette lag, und die mit dem Geschick grollende mit den härtesten Vorwürfen empfieng.

12. Kapitel
Zwölftes Kapitel.

Hast du gethan, was nicht recht, so trage den Lohn mit Geduld,

Laß' vom verdienten Geschick nicht allzutief Dich beugen:

Willst Du die zürnende Welt von Reue überzeugen,

Wähle die Mittel nur gut, sonst mehrst Du die vorige Schuld.

Anonymus.


»Was bringt Ihr mir, würdiger Vater!« sprach Frau Margarethe Frosch, da sie den Beichtvater Reinhold bei sich eintreten sah, und eilte ihm hoffend entgegen: »O sagt, – sagt, mein guter Herr, bringt [296] Ihr Leben oder Tod?« – Der Mönch machte das Zeichen des Kreuzes auf die Stirne der angstvoll Harrenden, und entgegnete: »Liebe Schwester im Heiland! die Kirche und ihr Diener bringen nie den Tod, so lange ein gläubiges Vertrauen in sie gesetzt wird; wohl aber immer das wahre Leben durch den himmlischen Trost, wenn auch der beschränkte Menschenverstand dagegen ankämpft. Auf Euren Gatten, liebe Frau, hofft indessen nicht mehr. Er ist hart wie ein Fels, und will weder durch Eure Bitten, noch durch meinen Zuspruch, der Rührung Eingang verschaffen. Es haben sich böse Mächte seiner angenommen, die sein Ohr verstopfen, und seine Sinne umnebeln; darum gieng ich auch nicht zum Äussersten, und habe ihm nichts entdeckt, was seine Wuth noch hätte reizen können.« – »Er weiß also nicht?« fragte Margarethe mit langem Athemzuge, »er weiß nicht, und zürnt mir dennoch unversöhnlich?« – »Schwerer Verdacht;« versetzte der Mönch achselzuckend: »Sein Sohn Dagobert scheint ihm der Räuber seiner Ehre zu seyn, und sein Sohn Johannes eine Frucht unziemlichen Verständnisses.« – »So ist es denn nun herausgesagt, was ich ahnte?« klagte Margarethe mit hervorquellenden Thränen: »und dennoch, bin ich unschuldig, unschuldig, wie die Sonne!« – »Allerdings;« stimmte Reinhold bei, »ohne Zweifel, ob ihr gleich den jungen Mann geliebt, wie niemand besser wissen kann, denn ich. Ihr habt Euch männlich herausgerissen aus den Schlingen, in die Euch der Satan verstricken wollte; eifrig habt Ihr Buße gesucht, und darum sie auch gefunden.« [297] – »Und dennoch also verkannt?« fiel Margarethe ein. – »Nehmt dieses hin als eine Strafe für den Fehl, den Ihr begangen;« erinnerte Reinhold: »Daß Ihr, wie ich aus Eurer Beichte weiß, einen fremden Knaben statt des Euern verstorbenen eingepflanzt, wäre nichts, denn, was wir nicht wissen, ist nichts, und ein glücklicher Wahn ist besser, denn eine bittere Wahrheit; allein die Mittel zu dem Zwecke waren nicht gut, sondern verdammlich gewählt. Einen Juden zum Vertrauten zu machen, ... eine Kreatur, weit verabscheuungswürdiger, denn die schwarzen Heiden im Lande Afrika, die doch nur halbe Menschen seyn sollen ... o! das wird Euch böse Früchte tragen. Mich befremdets, daß Euer Name nicht schon vor dem Richterstuhl genannt worden ist, und Gott hat mir noch nicht den Ausweg gezeigt, der endlich diesem Wirrsal ein Ende machen werde.« – »Sollte Wahrheit nicht die beste Wahl seyn?« fragte Margarethe kühn entschlossen: »Sollte es mir nicht den Frieden wiedergeben, wenn ich hinträte und offen eingestünde, was ich gethan?« – Der Pater schüttelte bedenklich den Kopf. »Ein altes Sprichwort ist's,« sagte er, »daß man den schlafenden Wolf nicht wecke. Ist einmal der Pfeil vom Bogen, dann halte ihn auf, wer kann. Nicht doch. Ihr würdet Euch vielleicht unnöthig der Schande preis geben, während jetzt nur ein Verdacht Euch belastet. Was ist ein Verdacht, wenn man sich unschuldig fühlt? Eine giftberaubte Schlange zu unsern Füßen. Hundert Frauen tragen ja geduldig den gegründeten Verdacht. Daß sie die Treue nicht bewahrten, ihre Stiefsöhne [298] küßten, immerhin! Aber mit einem Juden solchen Menschenhandel getrieben zu haben. – Das würde keine von sich sagen lassen wollen. Zudem, wo ist die Gewißheit, daß Johannes das Kind sey, das der Jude ermordet haben soll? Ist's unwahrscheinlich, daß der Bösewicht ein ander Kind gemartert habe? Noch hat er nicht geplaudert, und übermorgen wird sein und seines Vaters Urtheil gesprochen. Könnte er mit dem Geständniß seinen Hals retten, – sicher hätte er's nicht unterlassen. Ich werde übrigens das Nähere morgen wissen, denn ich will versuchen, ob's möglich wäre, diese heidnischen Blutzapfer vor ihrem gräßlichen Ende zu bekehren.« – »Ihr verwerft also ein offen reuiges Bekenntniß?« fragte Margarethe noch einmal. – »Gott und seiner Kirche ist man verbunden, Alles zu entdecken und aufzuthun die geheimsten Falten des Herzens;« erwiederte Reinhold kalt; »das Laienvolk braucht nicht Alles zu wissen. Einen einzigen Mann kenne ich, bei welchem Euer Bekenntniß Nutzen bringen möchte; indem sein Schutz und Schirm Euch aus der peinlichen Lage reißen würde, in die Euch der Argwohn Diethers versetzt hat. Ich meine den Schultheiß. Der Ritter hat längst nach Eurer Gunst gestrebt. Mit Begierde wird er die Gelegenheit ergreifen, sie zu verdienen. Ein Wort von Euch, und die gefährlichen Juden sterben plötzlich dahin, der Schöff wird beschwichtigt oder zur Ruhe gezwungen, und Johannes bleibt, was er seyn soll, Euer Erbe.«

»Nimmermehr!« entgegnete Margarethe unwillig: »Aus Eurem Munde diesen Rath? Nein; ich [299] habe nicht Lust wirklich zu werden, wofür mein Eheherr mich hält.« – »Wie ihr meynt;« sprach Reinhold gelassen: »ich preise Eure Tugend, welche verwirft, was Tausende thun würden, um die Möglichkeit zu vermeiden, vor der Welt ein Ärgerniß zu geben. Ihr seyd aber nicht wie Andere, obwohl auch aus heiligen Büchern Beispiele anzuführen wären, daß selbst die frömmsten Weiber sich nicht scheuten, dem besten Zwecke manche Bedenklichkeit zu opfern. Denkt an Judith, die dem wilden Holofernes sich überließ ...« – »Schweigt, würdiger Herr!« bat Margarethe: »Ich vermag nicht, was Ihr jetzo begehrt. Laßt es daher beruhen, und sprecht mir von Derjenigen, die noch ferner um das Geheimniß weiß; ... von Willhild.« »Ich weiß nichts von ihr und ihr Schweigen macht mir bange.« – »Ich kann Euch beruhigen,« antwortete der Mönch: »Ich habe mich befragt. Willhild und ihr Mann sind vor wenigen Tagen gen Compostell gezogen, auf eine Wallfahrt. Besorgt nichts von ihnen. Der Mann ist blödsinnig zu nennen, und die Frau, die vor Kurzem erst sehr krank gewesen, kömmt sicher aus Hispania nicht wieder heim.« – »Ich hätte nimmer geglaubt, daß die Hoffnung auf eines Menschen Tod mich beruhigen könnte;« versetzte athemholend Margarethe. – »O die Hoffnung ist immer süß,« sagte der Pater, »wenn sie sich auch auf Gräber richtet, die sich erst öffnen sollen. Haben den Juden die Flammen erstickt, die unzuverläßige Willhild die Mühseligkeiten der Wallfahrt hinweggerafft ... wie lange dauert's, und sie tragen einen alten Schöffen [300] zur Gruft? Dann fallen Eure Fesseln; dann feiert Ihr schon hienieden die Auferstehung.« – »Ach, hochwürdiger Herr!« seufzte Margarethe: »Gehe es mit mir, wie es wolle; aber dieser Augenblick bleibe fern. Kann ich den Greis auch nicht lieben, wie eine Braut den gefälligen Bräutigam, so ehre ich doch sein graues Haupt, und bin ihm dankbar, daß er mein dürftiges Leben mit Überfluß gekrönt hat.« – »Hm!« entgegnete Reinhold: »Jedem das Seine. Der reiche Prasser kann zwar, sitzt er im Schwefelpfuhle der Hölle mit all seinem Golde nicht einen Tropfen Wasser erkaufen, aber hienieden steht ihm die schönste Blume zu gebot, daß sie an seiner kalten Brust verwelke. Hat Diether Euer Leben mit Überfluß gekrönt, so krönt er es jetzt mit unverdienter Schmach. Ihr seyd im Vortheil gegen ihn, und Er muß Euch dankbar seyn für die edle Gesinnung, die ihr für ihn hegt. Der alte Mann ist derselben nicht würdig, da er beinahe unverholen ahnen läßt, er schreibe Euch jenen Mordüberfall zu, und versehe sich eines Zweiten, wenn nicht seine Klugheit vorbaue.« – »Schrecklich!« rief Margarethe empört: »Die Schlange erneut sich stets in seiner Brust. Er fürchtet einen Meuchelmord von seiner Gattin!« – »Noch mehr,« versetzte der Mönch: »er achtet ihn ganz nahe. Heute just, fürchtet er, lauern Mörder auf sein Leben; Mörder von Euch gedungen und Eurem Bruder, vielleicht von Dagobert, wie der Argwöhnische sich nicht schämt, zu glauben. Ein Unbekannter hat ihm gemeldet, daß er erfahren würde, wo Wallrade hingekommen, wenn er in der heutigen Nacht, mit [301] Geld versehen, am Bannsteine von Bergen, das Sprünglin genannt, erscheinen wolle. Diese Nachricht hält er von Euch erdichtet, und wittert Verrath, und wird nicht gehen, niemand senden.« – »Am Sprünglin? sagt Ihr?« fragte Margarethe neugierig. »So ist's,« antwortete Reinhold: »Ich, an seiner Statt, würde doch Jemand hinaussenden; denn ich traue eher dem, der um Geldes willen mir ein Ding zu verrathen verheißt, als der reinen Menschenliebe wegen. Indessen, Euch kann's gleichviel seyn. Wallrade mag Euch nie zu lange aussen bleiben; wohl aber der gute Dagobert, dessen keckes Handeln Euch und Eurer Sache nur Vortheil gewähren kann. Nicht wahr?« –

Margarethe schlug die Augen vor den forschenden des Paters nieder, welcher nach einer Pause fortfuhr: »Wie ich vernommen, hat der junge Mann sich von der Kirche, welcher er verlobt gewesen, lösen lassen. Meines Bedünkens hat er übel daran gethan, und sogar sein hochmüthiger Lehrer, der Predigermönch Johann, der, wie alle seines Ordens, dem unsrigen nicht hold ist, weil er am Evangelium reiner hängt, denn alle Andern, muß mir Recht geben. Wäre der Junkherr Priester geworden, es wäre ihm nicht geschehen, was seit heute Morgen das Gerede der ganzen Stadt ist.« – »Um Gotteswillen!« sprach Margarethe ängstlich: »Was ist ihm geschehen? welch Unheil? redet.« – »Ihr wißt nicht?« fragte Reinhold entgegen: »Da sieht man wohl, wie sehr Recht das Lied hat, welches sagt: Jenseits bin ich wohl bekannt, – Fremdling doch im eignen Land! [302] Daß Eure Zofen aus Schonung Euch's verschwiegen haben, gebe ich zu, – aber der Rachbegierde Eures Eheherrn hätt' ich das Schweigen nicht zugetraut. – Heute morgen hat Euer Knecht Eitel, als er des Hauses Thüre öffnete, ein Pergament daran geheftet gefunden, und die drei Späne, die aus der Pforte gehauen worden waren, entdeckten dem des Lesens Unkundigen gleich das Wahre, wie auch dem Pöbel, der schon lange gaffend vor dem Hause stand. Eine Ladung der heimlichen Acht ist es, gerichtet an den Junkherrn Dagobert Frosch, welcher auf den nächsten Dienstag vorgefordert wird vor den Stuhl zu Sachsenhausen, um sich zu verantworten über schwere Missethaten, deren er angeklagt worden.« –

»Heiliger Gott!« stammelte Margarethe: »die heimliche beschlossene Acht? armer Dagobert! welch' ein Teufel hat Dich vor diese Schranken gefordet, wo derKläger nur Recht erhält? Hochwürdiger Herr! Um meinetwillen, – o gewiß, um meinetwillen ist er in diese Verderbniß gerathen! Wie soll ich mir jetzt rathen, ...: wie soll ich mir helfen?« – Der Mönch zuckte die Achseln, verwies die Klagende auf den Willen Gottes, und auf das eigne Schweigen, und begab sich mit dem Versprechen hinweg, bald wieder einzusprechen, und ihr sogleich zu wissen zu machen, wann der gefangene Jude ein gefährliches Geständniß besorgen lassen sollte.

Eine unsägliche Angst bemächtigte sich Margarethens, da sie wieder allein war, und in ihrem erschütterten Geiste Alles zusammenstellte, was sich in den letzten Tagen zugetragen, und ihr Schicksal auf [303] solch entsetzliche Weise verwirrt hatte. Ihres Fehls bewußt, drängte es sie, etwas zu unternehmen, wodurch sie die Schuld ihres Gewissens in etwas zum mindesten zu sühnen vermöchte, und dieses Etwas wurde, trotz seiner gefährlichen Abenteuerlichkeit, bald in ihr zum festen Entschluß. »Ich will ihn zwingen, wenigstens nicht das ärgste von mir zu glauben,« sprach sie zu sich selbst; »nicht die Bosheit, Wallraden aus dem Wege geschafft, noch die größre, Mörder gegen sein Leben aufgestellt zu haben. Ist es Gottes Wille, daß ich in meinem Vornehmen umkomme, so sey es darum; – wo nicht, so sey der Engel gepriesen, der mir diesen Weg gezeigt, wieder etwas in der heillosen Verwirrung gut machen zu können, worein meine leichtsinnige Verblendung mein Haus gestürzt hat.« – Sie sammelte mit zitternder Hand die Kleinodien und den kleinen Schatz von Denkmünzen und seltnen Goldpfennigen, die sie der Freigebigkeit ihres Gatten verdankte, und wählte aus ihrem Kleiderschreine einen dichten, weitverhüllenden Regenmantel, welcher ihr zu ihrem Vorhaben geeignet schien. Hierauf sagte sie zu Elsen, die sich mit dem kleinen Johannes bei ihr eingefunden hatte: »Gute Dirne! Du hast schon viele Heftigkeit von mir ertragen und meinem aufbrausenden Zorn stille Geduld entgegengesetzt. Nun, da ein böses Geschick mir die Augen geöffnet, und mir selbst Duldung zur Pflicht gemacht hat, danke ich Dir für Deine Nachgiebigkeit, welche immer mit der seltensten Treue gepaart war. Du hast treu bei mir ausgehalten, seit mich ein widriges Gestirn in die Tiefe des häuslichen Unglücks versenkte; nicht [304] Dein Mund, nicht ein Blick von Dir hat mich fühlen lassen, wie sehr die Gegenwart meine Vergangenheit in Schatten stellt. Empfange dafür meinen herzlichsten Dank, und gib mir Gelegenheit, Dir eine noch wärmere Dankbarkeit widmen zu können. Willst Du, meine gute Else?« – Die Zofe staunte bei dieser ungewohnten und aufrichtigen Sanftmuth ihrer Herrin, und versicherte sie ihrer Bereitwilligkeit. – »Entsinnst Du Dich noch des Traums, den ich Dir vor manchen Monden erzählte?« fuhr Margarethe fort! »Ich spottete damals Deiner finstern Ahnung, obwohl mir der Spott nicht von Herzen ging. Nun aber erwahrt sich das Gebilde jener Nacht auf eine furchtbare Weise. Aus der Zeit ist eine Schlange erwachsen, aus Allem dem, was ich für das Theuerste achtete, ist ein Ungeheuer entsprungen, das mir das Herz abfrißt. Ich weiß, um diese Schrecken zu mildern, nur einen Ausweg, und diesen zu ergreifen, sollst Du mir behülflich seyn.« – Else küßte der Gebieterin Hand, und fragte unter Thränen: »Was soll ich thun, ehrsame Frau, das Euch genehm wäre, und das Mittel darböte, den Frieden in Euer Haus und Herz zurückzubringen? Wenn eine schwache Magd vollbringen kann, was Ihr begehrt, so zählt auf mich.« – »Ich muß fort;« sprach Margarethe mit gedämpften Tone weiter: »noch in dieser Nacht muß ich fort. Begünstige diesen Vorsatz; hilf mir hinaus aus diesem Gebäude, wo mich Kummer und Angst tödtet.« – »Fort?« fragte Else erstaunt: »Fort? Ei, um unsrer lieben Frauen willen? was wollt Ihr beginnen? Wollt Ihr Euern Herrn verlassen, und[305] Euern guten Leumund zu Grunde richten? oder wollt Ihr Euch ein Leides anthun? Ach, liebe Meisterin, unterlaßt doch dieses Vornehmen! Ihr seyd jung, Ihr seyd Mutter und Hausfrau. Verzweifelt nicht an der Barmherzigkeit, die Allen hilft. Ist der Kummer unverschuldet, der Euch drückt, ... und wie könnte es anders seyn? ... so wird er Euch nicht tödten, und der Allmächtige Euch nicht umkommen lassen. Die Wahrheit muß ja doch endlich an's Tageslicht kommen, und Eure Feinde verderben. Man lebt nur einmal, gute Frau, und was helfen Euch alle Ehrenkronen auf Euerm Grabe, so bald Ihr die Augen nicht wieder aufthun könntet.« – »Nicht doch;« versetzte Margarethe mit schmeichelnder Überredung: »Gutes Kind, Du irrst. Ich will weder flüchtig gehen, noch mir das Leben nehmen, und, wenn die Sterne mir günstig sind, bin ich morgen bei guter Zeit wieder zurück. Sollte ich jedoch nimmer wiederkehren, so sage meinem Herrn, daß er von Deiner Mutter erfahren würde, wohin ich gegangen, und wie mein letzter Gruß an ihn gelautet. Du aber bete dann für meine Seele, Mädchen!« – »Ihr wollt mich beruhigen, ehrsame Frau;« begann Else nach einer kleinen Weile, in welcher sie die Gebieterin stumm betrachtet: »und dennoch mehrt sich meine Angst. Wohin wollt Ihr gehen, daß Ihr vielleicht nimmer lebendig wiederkehren dürftet. O, liebe Frau, denkt an Euern Knaben!« – Sie führte den wehmüthig die Hände faltenden Johannes zu Margarethen. Die Altbürgerin betrachtete den Knaben kummervoll, legte die Hand auf seinen Kopf, und sagte:[306] »Armer Junge! Du bist die Quelle des Unheils, das uns betroffen, und doch unschuldiger, als wir Alle! Traue auf Gott, und er wird wohl an Dir machen, was Menschensinn verdarb. Du wirst, wie auch Dein Geschick sich wende, an Herrn Diether einen Vater finden.« – »Das walte Gott!« seufzte das Mädchen: »Was wird aber der rauhe, argwöhnische Herr an dem Knaben thun, da Ihr, die Mutter, so kalt von ihm scheidet?« – »Du schiltst mein Mutterherz?« fragte Margarethe heftig, und ihr Auge suchte weinend am dämmernden Himmel den Wohnsitz des verblichnen Sohns. Sie faßte sich jedoch bald wieder, und fuhr gelaßner fort: »Die Nacht bricht ein, mein Kind. Laß mich nicht vergebens bitten. Bleibe mir treu; ich fordre es vielleicht zum Letztenmale von Dir. Berichte mir, wenn Herr Diether heut Abend das Haus verläßt, und öffne mir alsdann die Thür, wenn Du's vermagst. Ich selbst habe die Schlüssel des Hauses nicht mehr, da sie mein Herr mir abfordern ließ, allein ich denke ...« – »Gute Frau,« fiel Else ein: »ich habe Mitleid mit Euch. Herrgott! so jung, so schön und reich zu seyn, und doch nicht glücklich! Das kann uns armen Leuten nicht recht zu Sinne gehen, wenn wir nicht in Herrendiensten sind. Ich sehe es aber hier deutlich, und will gerne die Hand zu einem Schritte bieten, von welchem, wie Ihr sagt, meine wackre Mutter weiß. Aber Ihr vergeßt, daß der ehrsame Herr, so oft er Abends das Haus verläßt, die Thüre sperrt. Wie wird es möglich seyn, zu entweichen, wenn es auch geschehen könnte, daß keine Magd und kein [307] Knecht Euch sähe?« – »Welch ein Hinderniß!« klagte Margarethe: »und heute, gerade heute muß ich fort! Sinne nach, kluge Dirne, sinne nach, und hilf. Schon steigt der neue Mond herauf am Himmel; wir haben nicht lange Zeit zu verlieren, denn weit ist der Weg, den ich unternehme.« – »Es wird mir schauerlich zu Muthe,« erwiederte Else, »hör' ich Euch also sprechen. Ihr werdet doch nicht zu einer Hexenfrau gehen, um Euch die Zukunft deuten zu lassen durch verbotnen Zauber? Gute Frau, ... das thut nimmer gut, nicht hier, nicht jenseits über den Himmeln.« – »Schwätzerin!« schalt Margarethe halb scherzhaft, ihr auf die Wange klopfend: »Vergissest Du, daß Deine Mutter um die Sache wissen wird, und daß sie eine allzufromme Christin ist, um sich mit Hexenwerken einzulassen? Sey ruhig, und öffne mir einen Weg aus dem Hause. Höre aber vorerst, was das Geräusch bedeutet, das ich in den Gängen vernehme.« – Die Zofe ging hinaus, um nach dem Willen der Gebieterin zu thun. Der kleine Johannes näherte sich aber der in Trübsinn versinkenden Frau; faltete nochmals seine Händchen, und sprach: »Lieb Mütterlein! Du kommst doch wieder? Du lässest mich doch nicht allein bei dem finstern Manne, der uns nicht mehr sehen nicht mehr hören will?« – »Ich komme wieder, Johannes!« versicherte Margarethe, seine Hand streichelnd: »und wenn ich auch nicht wieder käme, so verzage nicht. Du bist ja ein unschuldig Kind. Dir werden sie nichts zu Leide zu thun.« – »Ach, dem kleinen [308] Hans ist schon viel zu Leide gethan worden,« – klagte der Knabe: »die schwarze Mutter hat ihn viel geschlagen, und endlich gar verlassen. Und Du bist so eine freundliche Mutter, und wolltest auch von mir gehen?« – »Ei, Hans;« zürnte Margarethe leise: »Wie magst Du denn schon wieder an Deine Träume denken? Geträumt hat Dir von der schwarzen Mutter ... nichts weiter. Wie kömmt es denn, daß Du wieder an die Tollheiten kömmst?« – »Seit heute Nachmittag, lieb Mütterlein;« erklärte der Bube gesprächlicher: »Es muß am Ende doch wahr seyn, was ich geträumt habe. Else hat mich hinausgeführt auf die Gassen unter die andern Buben, und wir haben gespielt. Und da ich müde würde, und Else sich vor einem großen schönen Hause mit mir hinsetzte, mir das Hütlein abnahm, und den Schweiß abtrocknete, – ja, da hab' ich den Mann gesehen, der mich gefunden hat, da meine schwarze Mutter von mir gegangen war, und es ist just so vor mir gestanden, Alles, wie damals, als es mir geträumt hat, wie Du sagst.« – »Welchen Mann?« fragte Margarethe mit pochendem Herzen. – Der Knabe besann sich ein wenig; dann versetzte er: »ich habe bei ihm geschlafen, ... ganz gewiß, ... und bin auf seinem Knie geritten; ... ach Mütterlein! welch ein großer Schnauzbart; und den hat er noch.« – Ei, wo sahst Du ihn denn, Hans? – »Am Fenster stand er,« fuhr der Bube fort, »und ein schwarzer großer Herr neben ihm, und sie sahen mich auch lange an; der Mann hätte gewiß mit mir geredet, wenn er nicht im Hause gewesen wäre, und ich auf der Gasse.« – [309] »Gewiß,« versetzte Margarethe, leichter athmend: »daß er aber nicht zu Dir heraus kam, sey Dir ein Beweis, daß es doch nichts war, als ein Traum, was Du Dir einbildest; ein Traum, von dem zu reden ich Dir ernstlicher verbiete als jemals; hörst Du? Wenn Du haben willst, daß ich nicht mehr zurück komme, so magst Du thun, was ich verboten habe.« – »O, mein Mütterlein!« antwortete schmeichelnd der Bube: »Wieder kommen! nichts sagen, – gewiß nicht, herziges Mütterlein.« – Da trat Else wieder in die Stube. – »Ersame Frau,« sprach sie, auf den Zehen heranschleichend: »es ist, als ob ein Zauber Euern Ausgang begünstigen wollte: wir haben Besuch bekommen; der Bruder des Herrn, der Prälat aus Wälschland ist so eben im Hause eingekehrt, mit einem gar holdseligen Fräulein, das wohl seine Haushälterin oder eine Verwandte seyn mag. Der Herr Schöff ist überrascht auf seiner Stube ihnen entgegen gegangen, und hat die Gäste bewillkommt, und in den großen Gaden geführt. Darauf hat er dem Eitel befohlen, spanischen Wein heraufzubringen, und ein Nachtmahl anzuordnen, wie es in der Eile sich würde thun lassen. Das Gesinde ist in Küche und Keller beschäftigt, die Thüre ist offen, das Glück und die Nacht sind Euch günstig, wenn Ihr ferner bei Eurem Vornehmen beharrt.« – »Ob ich dabei beharre?« fragte Margarethe lebhaft: »Hartnäckiger denn zuvor. Den Prälaten, welcher Wallraden liebt, wie seinen Augapfel will ich nicht eher sehen, als bis ich etwas gethan, das unläugbar von meinem guten, aber schnöd verkannten Sinne zeugt. [310] Komm, Else, hilf mir, und Du, mein Junge, setze Dich dort in den Winkel, und weine nicht, und plaudre nicht. Ich werde wiederkommen, und Dir schöne Sachen mitbringen.« – Hans that, wie ihm geheißen war, und Else warf der Gebieterin den Mantel um. »Gott schütze Euch!« schluchzte die gute Seele, da sie die schweren silbernen Hacken am Halse Margarethens zumachte, und ihr das Kästchen unter den Arm schob: »Der Himmel gebe, daß wir alle es nicht bereuen mögen, daß Ihr heute fortgegangen von Euerm Herrn und Sohne.« – »Das gebe der Himmel!« erwiederte Margarethe, und öffnete die Thüre des Gemachs leise und vorsichtig. Else folgte der voranschleichenden Herrin, wie ein lauschender Dieb, und der Zufall wollte, daß kein Verräther über ihren Weg ging. Die schwere Hauspforte wurde halb aufgezogen, und in die braune Dämmerung entschwand Margarethe.

Die aufgeregte Einbildungskraft zeigt uns oft, wenn uns die Nacht auf Haide und Blachfeld überrascht, am Saume der Wolken Schatten und Gestalten, die dahin gleiten wie in Flören und weit verhüllenden Gewändern schwebend, Klagefrauen ähnlich, die um den in Meeresfluthen begrabnen Tag trauern, und die Hände ringen. Also durcheilte Margarethe die Straßen der Stadt, über welche der neu eingetretne Vollmond einen feuchten, düstern Himmel gespannt hatte. Mit der Sonne hatte auch das schöne Wetter Abschied genommen, und gewitterliche Wolken den Schauplatz bezogen. Wohl leuchtete der Mond, aber seine Scheibe war bleich, und diese blasse [311] Helle deutete auf herannahenden Sturm und Regenguß, so wie die Mitternacht herankommen würde. Wann hätte jedoch des Firmaments Beobachtung einen Menschen abgehalten von dem Vorsatz, zu welchem ihn der feste Wille treibt, oder die unerschütterliche Nothwendigkeit? Auch das schwächre Weib zittert nicht vor den drohenden Schrecken der Natur, wenn sein Herz zu höhern Pflichten, zu wirklichen oder eingebildeten ruft, und Margarethe bemerkte, rasch fortschreitend, nicht den stillen Wolkenkampf am Himmelsbogen, nicht das dumpfige Wehen der näßlichen Luft. Es war ein seltnes Schauspiel, um jene vorgerückte Abendstunde ein Weib aus dem bessern Stande allein auf den Gassen der Stadt zu gewahren, und mehr als ein zudringlicher Junker bot der Eilfertigen seine Begleitung an. Kaum hörte sie jedoch die Begrüßung der Schüchternen, die Frechern wies sie mit harten Worten zurück, und verschloß ihre Ohren vor den Spöttereien der Wächter am Thore. Ein Ziel vor Augen habend, ging sie muthig hinaus in's Weite, und das Mondlicht sowohl, als auch dann und wann ferne am Feldberg aufzudeckende Blitze leuchteten ihr mitleidig auf dem Weg zum Schellenhof. Keine menschliche Seele war ihr vor der Stadt begegnet. Züge von Dohlen und Krähen, die, vor dem fern dräuenden Sturm einen Zufluchtsort suchend, dicht am Boden vorüberflatterten, waren die einzigen lebenden Geschöpfe, die sich zeigten. Frau Margarethe, trotz aller Standhaftigkeit dennoch solcher einsamen Wanderungen ungewohnt, dankte dem Himmel im Stillen, als die Hunde [312] des Schellenhofs bei ihrer Annäherung anschlugen, obwohl hier erst der halbe Weg zur Gefahr überwunden war. Die Hunde tobten an der Kette, und der geschloßne Fensterladen im Erdgeschoße ging auf. Crescentia, die nach der Ursache des Gebells aussah, erschrack in die tiefste Seele, als sie die Stimme der Dienstherrin vernahm, die auf einen Augenblick den Eintritt in'ß Haus verlangte. Die Beschließerin gehorchte indessen auf der Stelle, und that ihr gastliches Gemach auf, in welchem Margarethe einen langen Mann gewahrte, welcher so eben einen mäßigen Nachtimbis einnahm, und verlegen aufsprang, da Margarethe in die Thüre trat. – »Sieh da, Vollbrecht!« rief die Altbürgerin, schmerzlich und freudig betroffen von dem Anblick des Knechts: »Du hier? Ei, sprich, wo ist Dein Herr, und kehrt er zurück?« – »Ehrsame Frau!« lautete die Antwort: »Wir sind herumgezogen in der Irre, wie Roland's Knappen, haben aber nichts erlauert, nichts erspürt. Wir haben zwar manchen Span bestanden mit den adelichen Herren, die rundum an den Straßen und Flüssen die Schlagbäume machen, und von Freund und Feind den Zoll heischen, – aber, die wir suchten, fanden wir nicht, und des Fräuleins leibeigner Knecht Rüdiger, nachdem er uns lange links und rechts und kreuz und quer im Lande umhergeführt hatte, meinte endlich, er werde doch nimmer das Schloß erkennen, in welchem sie gesteckt, – das Fräulein, Er und die Zofe, – und glaube steif und fest, man habe das Fräulein umgebracht, weil auch kein Laut mehr, von ihr zu hören sey. Darauf haben wir uns [313] auf den Rückweg gemacht, und wollten heut zur Vesperzeit in Frankfurt einreiten, als mit einemmale der Rüdiger krank wurde, und so bresthaft, daß er wohl nimmer erstehen wird. Der Mensch hat sich so viel Gedanken um seiner Herrschaft Schicksal gemacht, und sich so sehr darob gegrämt, daß, er sicher schon verschieden wäre, wenn er nicht etwas auf dem Gewissen gehabt hätte, das ihn, wie er sagt, seit geraumer Zeit gedrückt hat, wie ein Fels. Der Junkherr hat ihm zugesprochen, wie ein Beichtherr, denn das versteht er aus dem Grunde, und endlich hat der Knecht sich drein ergeben, und versprochen, ihm Alles zu bekennen, und sein Herz zu erleichtern vor dem Ende.« – »Was kümmert mich der Knecht?« schaltete Margarethe dringend ein: »Wo ist Dein Herr? das will ich wissen.« – »Ich bin ja gleich zu Ende;« erwiederte der Knecht gehorsam: »Wir waren gezwungen, in einer schlechten Winkelschenke einzukehren, nicht allzufern von hier, da der Rüdiger nicht weiter konnte, vor Frost und Hitze, und wenn man ihn auf's Pferd gebunden hätte. Und da es den sterbenden Mann drängte, meinem Herren zu vertrauen, was ihn quält, und mir, dem Knecht, nicht nöthig und ziemlich ist, davon zu wissen, so hat der Junker gesagt: ›Reit Du indessen gen Frankfurt, Vollbrecht, und sieh nur, wie's dorten steht, ob sich vielleicht durch Gottes und eines andern Biedermanns Hülfe die Schwester daselbst wieder eingefunden, und wie es mit dem lieben Vater steht, der Mutter und dem kleinen Hans. Vergiß jedoch nicht, vorerst auf dem Schellenhofe einzusprechen, und der [314] wackern Frau Creszens meinen Gruß zu bringen, mit dem Vermelden: es stehe bis auf die getäuschte Hoffnung, wohl mit mir, und sie solle es nur weiter sagen. Sobald des Rüdigers Zustand es erlaubt, komme ich selbst.‹« – »Um Gotteswillen nicht!« fiel hier Margarethe eifrig ein: »Fliege zurück zu ihm, und bringe ihm diese Kunde! Nur gen Frankfurt nicht. Die Heimath wird sein Grab. Er bleibe fern, denn seine Feinde haben die tödtlichsten Pfeile auf ihn gerichtet. Die heimliche Acht hat ihn vorgeladen, und von ihren Schranken kehrt kein Gerechter wieder.«

»Jesus Maria!« seufzte die Beschließerin, und schlug ein großes Kreuz. Der lange Vollbrecht faltete erschrocken die Hände, und sprach kein Wort. – »Wenn ihm sein Leben, wenn ihm meine Ruhe lieb ist, so bleibe er fern, so verberge er sich in entlegnen Landen vor den Schöffen der Vehme!« fuhr Margarethe bewegter fort: »Sage ihm, Vollbrecht, ich hätte gehört, daß der Kaiser allein die Vervehmten zu schützen vermöge. Er suche zu Sigmunds Füßen die Lossprechung von jener furchtbaren Ladung. Er fliehe zu den Füßen des heiligen Vaters, denn in Deutschland sollen Hunderttausend Dolche auf die Brust des Geächteten lauern. Doch, was rede ich?« setzte sie sich besinnend bei: »ich sollte ihn wegscheuchen vom heimatlichen Boden, ohne ihm erst zu sagen, wie sich Alles gestaltet? Nein, nein, nein! Guter Vollbrecht! vergib mir, wenn ich verwirrt rede, aber wiederhole ihm getreu meine Worte. Sie verrathen selbst in ihrer Verwirrung die Liebe, die dankbare Freundschaft, die ich für ihn empfinde. Er [315] soll mir glauben, Vollbrecht, – nicht wähnen, als sey es Bosheit einer Stiefmutter, die den Sohn erster Ehe aus dem Vaterhause treiben möchte! Ich bin ja selbst geächtet, ... selbst verstoßen! Aber recht! reden muß ich noch einmal zu ihm. Ich muß ihn sprechen, obgleich ich nicht weiß, ob ich morgen noch lebe! Sage ihm, treuer Knecht, sage ihm, daß er morgen, um diese Stunde – hier erscheine – er würde mich finden, ihm Lebewohl zu sagen; bis dahin möge er jedoch verborgen bleiben; denn Alles sey gegen ihn verschworen. Und nun mache Dich zur Stelle auf, und eile von dannen. Vielleicht ist jetzt schon Rüdiger des Todes, oder genesen. Vielleicht geht jetzt schon der Sorglose, Unbefangne seinem Untergange entgegen, ohne Warnung, ohne Ahnung! Geh! geh! guter Vollbrecht!« –

Um den schwankenden Entschluß des zögernden Burschen zu beschleunigen, drückte sie ihm ein Geldstück in die Hand, und diese Freigebigkeit, verbunden mit der aufrichtigsten Anhänglichkeit an seinen Herrn bestimmte den Knecht, sich alsobald auf zu machen. Frau Margarethen für ihr Geschenk das Kleid küssend, Crescenzien für das Nachtmahl dankbar die Hand schüttelnd, sprang er hinaus, warf sich auf den harrenden Gaul, und suchte auf gut Glück in dunkler Nacht den Weg, den er gekommen. Die Schaffnerin hatte kaum ihren Ohren getraut, als sie die Reden vernommen, die Margarethens Mund, wie vom Sturme beflügelt, gesprochen hatte. Es schien ihr noch immer, wie ein Traum, das ihre Meisterin jetzt, zu dieser Stunde in ihrem Gemache [316] stehe, und eine ängstliche Neugierde bemächtigte sich ihrer, zu erfahren, was der seltne und verstörte Gast eigentlich hier begehre. Die Altbürgerin ließ diese Neugier nicht zu Worte kommen, denn auch sie wurde von der vorrückenden Nacht gemahnt, ihr Gewerbe hier zu Ende zu bringen. – »Das Morgen wird kommen,« sagte sie ernst zu der Dienerin: »Ich werde vielleicht nicht wiederkehren, denn meines Lebens bin ich nicht sicher auf dem Wege, den ich heute gehen muß. Versprich mir aber, Crescenz, daß, wofern ich morgen in des Tages frühe nicht zurückkehrte, Du meinen Herrn aufsuchen wollest, und ihm melden: Ich hätte es nicht ferner tragen können, meine Unschuld für böse Schuld abgewogen zu sehen. Ich sey ihm immer treu gewesen und hold, – Dagobert sey rein, wie das Sonnenlicht, – ich hätte weder meinen Herrn und zu Ehewirth zu morden begehrt; noch sein Herz zu zerreißen durch Wallradens Raub, den er mir ebenfalls zugeschrieben. Um ihn zu überzeugen, daß ich wahr und redlich gehandelt, sey ich heut hinausgegangen zum Sprünglinsteine, um dort zu verrichten, was Herr Diether, von Argwohn und Mißtrauen befangen, nicht unternehmen wollte. Er möchte mir daher vergeben, was ich vielleicht im Leichtsinn der Jugend an ihm gefrevelt. Böses habe mein Herz dabei nie im Schilde geführt. Er möge mir auch verzeihen, was ich Schwereres begangen, und mir nicht als Sünde zurechnen, was ein irre geleitetes Gefühl verbrach. Er möge endlich meiner in Frieden gedenken, und von dem kleinen [317] Hans seine Hand nicht abziehen, wie auch die Dinge kommen sollten. Verstehst Du mich, gute Crescenz?«

Die Alte hatte zugehört, und immer aufmerksamer Auge wie Ohr geöffnet. Nun aber, da Margarethe zu reden aufgehört, starrte sie dieselbe unbeweglich an. »Ich werde ausrichten, was Ihr befehlt, ehrsame Frau,« sagte sie, in ihrer Bestürzung verharrend, – »aber ich will nicht getauft seyn, wenn ich begreife, was das Alles heißen soll? Hat Euch denn der liebe Herrgott Euer Sterbestündlein offenbart? oder welche Ursache habt Ihr dann, daß Ihr solche bedenkliche Reden führt? Oder hätte Euer häuslich Kreuz Euren Verstand beschädigt? Ich sollte Euch wahrlich nicht fortlassen in der dunklen Nacht.« – »Keine Widerrede:« befahl Margarethe herrisch, und Crescenz zog sich alsobald in die Schranke der Demuth zurück: »Höre noch das letzte:« setzte die Altbürgerin hinzu: »Athme ich morgen noch, so werde ich am Abend hier mit meinem Stiefsohne ein Wort des Abschiedsreden, – in Gegenwart Deiner beiden Augen, unter der Obhut Deiner verschwiegenen Zunge. Hat jedoch der Herr des Lebens über mich geboten, so sage dem jungen, unglücklichen, durch mich unglücklich gewordnen jungen Manne: Bis zu meinem letzten Athemzuge sey er mir der theuerste Mensch auf Erden gewesen. Die Zeit, da ich ihn verstohlen liebte, wie ein unerreichbar höchstes Gut, sey meine glücklichste; die Zeit in der ich ihn haßte in verirrter Leidenschaft, meine elendeste gewesen. Seine vergebende Freundschaft war Paradieseshauch in meinem häuslichen Jammer, sein Bild [318] der Heilige zu dem ich betete. Bekenne ihm in meinem Namen, daß ich, die Unwürdige, glücklich war, in der Erinnerung an ihn, und daß, wenn es möglich ist, mein Geist sich von oben herabneigen wird, um über seine Schritte zu wachen, daß ich ihn aber bitte mit der verzweifelnden Liebe einer Mutter, sich selbst zu erhalten, und die Stätte zu meiden, wo öffentlich und heimlich die höchste Gefahr ihm droht, wo selbst der eigne Vater von schnöder Rachlust entbrannt ist gegen den Unschuldigen. Beschwöre ihn,« ... – hier hemmten Thränen die Worte Margarethens, und mit einem schmerzlichen: »Ich kann nicht mehr; lebe wohl!« stürzte sie aus dem Gemach. Die angstvolle Crescentia folgte ihr ermahnend, bittend und klagend. – Die Altbürgerin war unerbittlich gegen ihr Flehen; – noch unter der Hausthüre mußte ihr die Alte in dem ungewissen Dunkel die Richtung bezeichnen, die sie gen Bergen zu nehmen hätte, und unter dem Gebell der wachbaren Hunde, entwich die kühne, auf's Äußerste gefaßte Frau den Augen der alten Dienerin. – Kopfschüttelnd sah ihr die Letztere nach, schob alsdann den Riegel vor, und sendete das Gesinde, das durch das Hundegebell aufgeschreckt worden war, wieder zum Lager zurück. Sie setzte sich hierauf in den Sorgenstuhl, und dachte im unruhigen Geist nach über die Begebenheiten des Abends. Nach allem Überlegen schien ihr endlich nichts klarer und gewisser zu seyn, als daß der angehäufte Gram und Unmuth Margarethens Verstand in Unordnung gebracht habe, und sie begann, sich die bittersten Vorwürfe zu machen, [319] daß sie die Sinnverwirrte hinausgelassen in die einsame Finsterniß, wo ihr unstäter Fuß gar leicht in des Wassers Fluth gerathen, oder ein Blitz ihr Haupt zerschmettern konnte. Sie schalt sich einfältig, daß sie gar nicht bedacht, wie ungnädig Herr Diether ihr Betragen, – kam's zu Tage – aufnehmen würde, und bedauerte abwechselnd die arme Frau, sich selbst, und den guten Junker Dagobert, den die Botschaft, die Margarethe seinem Knechte aufgegeben, unbedingt zum Tode erschrecken müsse. – »Der biedre Junker!« sagte sie vor sich hin, während sie ihr Nachtkleid überwarf: »Wie er Alles liebt, das ihm vertraut. Wie dankbar, gedenkt nicht sein die Stiefmutter, die ihn haßte? Wie zart denkt er nicht Aller, deren er sich angenommen! Wie werde ich das gute Judendirnlein morgen mit der Nachricht erquicken, daß er gesund und wohl ist. Der lange Knecht ließ sich's gewiß nicht träumen, daß der Gruß an die alte Crescenz auch noch jemand Anderm galt! Wie aber in aller Welt, kommt es, daß der biedre junge Herr vor die Vehme gerathen ist, von der ihm nur der Kaiser loshelfen mag?« – »Ei!« unterbrach sie sich, gegen das Fenster lauschend: »war mir's doch, als ob die Hunde sich wieder bewegten, und leise knurrten. 'sist aber wieder Alles stille. – Und dennoch,« setzte sie nach einer Pause hinzu: »dennoch regt sich draußen etwas, und ich höre die Hunde schnaufen und schmatzen, als ob sie etwas köstliches zu fressen erhalten, hätten.« – Schon griff die herzhafte Frau nach der Lampe, als eine behutsame Faust einigemal leise an den Laden klopfte. – »Da [320] haben mir's!« flüsterte die Alte vor sich: »Das ist ein frecher Dieb, der meinen Hunden mit Gift das Maul gestopft hat, und nun herein möchte.« – Sie erfaßte schnell eine Haue, die in der Ecke stand, öffnete das Fensterlein, und sprach durch die Ritze des Ladens hinaus: »Du diebischer, ungeschlachter Gesell, wer du auch seyst, – packe Dich fort, denn meine Leute sind beim ersten Schrei wach und hellmunter. Auch halte ich eine Haue in der Hand, die dir den Kopf zerschmettert, wenn Du in's Fenster einzubrechen wagst. Zieh darum ab. Ich bin 'ne arme Frau, und hier ist nichts zu holen, als ein blutiger Kopf.« – »Macht keinen Lärm!« flüsterte es von draußen herein: »Ich bin kein Dieb, sondern ein ehrlicher Mann. Ich komme doch nur, um Euch zu warnen, Mütterlein.« – »Wofür? Du Schalksgesell?« fragte Crescenz, noch immer ungläubig. Der Fremde vor dem Fenster fuhr aber fort: »Man ist Ben David's Esterchen gekommen auf die Spur; Du gutes Weiblein. Sie werden kommen, ehe vergeht eine Stunde, mit Spießen und Stangen, um die Jüdin zu fangen, und um Dich, als Hehlerin, zu setzen auf den Thurm bei Wasser und Brod.« – Crescentia's Herz klopfte heftig, – denn sie konnte nicht an dem guten Wissen des Klopfenden zweifeln. Sie öffnete scheu den Laden, obgleich nur halb, und beleuchtete vorsichtig Zodick's häßliches Antlitz, das sich herein bog. »Wer bist denn Du, Nachtläufer?« fragte sie halb erschrocken. – »Kennst Du mich denn nicht, Mämme!« sagte Zodick entgegen: »Bin ich doch gewesen der Knecht, der Dir so oft gebracht hat [321] mildthätige Beisteuern von David, dem Sohne Jochai. Du mußt Dich noch besinnen auf meine Gestalt.« – »Ach! Du bist's?« rief die Alte erschreckt: »Weiche von dannen, Du Lügner, der seinen Herrn zum Tode bringt, durch seine blutige Bosheit!« – »Ich bin nicht derselbe;« hieß es entgegen: »Jener Zodick, der geklagt hat in Edom, ist nicht mehr, sondern ein reuiger Zodick lebt noch, und darum will er retten, die Tochter seines Herrn, die Einer aus Israel verrathen hat an den wollüstigen Schultheiß.« – »Um Gotteswillen!« fiel die Alte kläglich ein: »Der Schultheiß? das arme Kind ... wer war der Verräther?« – »Joseph der Arzt;« erwiederte Zodick leise: »Um die elfte Stunde kommen des Oberstrichters Trabanten heraus, und wehe Dir, wenn man die Dirne findet. Mir hat's gesagt der kleine Finger, und ich will holen das Estherchen, und es bringen zum Vater.« – »Zum Vater?« fragte Crescentia mißtrauisch: »Faule Fische, rothköpfiger Jude.« – »Ich will sprudeln Gift und Galle ein Jahr lang,« betheuerte Zodick, »wenn es nicht ist wahr. Ich habe herausgebracht den Alten aus dem Thurm, und ihm versprochen, weil er selber ist krank und schwach, die Tochter zu retten aus den Klauen der haarigen Böcke.«

»Ei, Du unverschämtes Lügenmaul!« eiferte die Alte: »Du hälst mich für eine Schnattergans, daß Du solch Possenzeug mir weiß machen willst. Esther ist nicht hier, ist noch nie hier gewesen, magst Du wissen, Du schleichender Spürhund. Hier haußt eine andre Jungfer, die mit Euch Juden nichts gemein [322] hat: weißt Du das? Deine Mährlein von dem Oberstrichter und seinen Knechten trage nur anderwärts hin, hörst Du?« –

»Laßt doch das lächerliche Gedibber;« versetzte Zodick unwillig: »Wer im Giebelstübchen wohnt, weiß ich gar wohl, so gut als der Prophet Elias. Ruf' mir das Schickselchen herab, und ich führe sie zum Ärte, ehe noch die Gewalt kommt über Euch.« – »Wenn Du nicht alsobald gehst,« erwiederte die Alte derb, »so kommt die Gewalt meiner Haue und meiner Hunde über Dich; wenn Du nicht die Letztern vergiftet hast, da ich keinen Laut von ihnen höre.« – »Ohne Sorgen, Mütterlein;« sagte Zodick schmeichelnd: »sie leben, die Thiere; aber thun werden sie mir nichts, denn ich verstehe das Handwerk, und habe ihnen gegeben Kuchen, besser als der Kuchen Levi in der Nacht des Passah. Du, laß mich aber hinein, daß nicht Unglück einzieht bei Dir und Estherchen frei werde, von Amaleks sündigen Richtern.« – »Nimmermehr!« wiederholte Crescenz: »Ich traue Dir nicht, ich glaube Dir nicht, Du abtrünniger Mensch, dem's mit dem wahren Glauben eben so wenig Ernst ist, als mit dem falschen. Du bist ein Gezeichneter. Mache, daß Du von hinnen kömmst!« –

Ein blitzendes Messer züngelte wie ein Strahl durch die Öffnung des Ladens; Creszens gewahrte jedoch noch zu rechter Zeit des meuchelmörderischen Versuchs, sprang zurück, und riß den Laden mit einer Gewalt zu, daß die Klinge zerbrach. – Der Mordbube fluchte draußen halblaut über des Weibes [323] Klugheit, und den Verlust seines Gewehrs. Crescenz belferte ihm aber zu: »Rothhaariger Schuft! wo Du nicht gleich Reißaus nimmst, rufe ich meine Leute, und Dein letztes Brod ist gebacken, Du Schurke.« – Eilig, wie ein rollender Kiesel, entsprang der Bösewicht, und die Hunde, wie von einem Zauberspruch betäubt, rührten sich nicht in ihren Hütten.

13. Kapitel
Dreizehntes Kapitel.

O, höret doch, wie sein Donner zürnet, und welch eherne Rede von seinem Munde ausgeht! Er siehet unter allen Himmeln, und sein Blitz scheinet auf die Enden der Erde!

Hiob.


Die gute Crescenz hatte nichts Eiligeres zu thun, als den Weg nach der Giebelkammer zu suchen, um die holde Esther, die kaum, von Thränen und Leid erschöpft, entschlummert gewesen, aus der süßen Ruhe zu wecken. Das Mädchen fuhr erschrocken empor, und ihr Schrecken verdoppelte sich, als ihre Pflegerin ihr in's Ohr rief: »Du bist verrathen, Mägdlein! auf! Dein Heil ist nur die schnellste Flucht!« – »Verrathen?« stammelte Esther: »woher wißt Ihr ....? wer hat das gethan?« – Crescenz säumte nicht, so schnell als ihre Zunge es gestattete, den Auftritt mit Zodick der staunenden Zühörerin zu berichten, [324] die sich hierauf in Danksagungen gegen sie erschöpfte. – »Ei, so laß Dank und glatte Worte bei Seite!« schalt endlich die Alte: »was ich dabei gethan, ist gar keines Lobes würdig. Welcher Mensch in der Welt wird solch ein Galgengesicht gutwillig in's Haus und sich die Gurgel abschneiden lassen? darauf hatte es der Schurke doch am Ende bei uns beiden abgesehen. Die Gefahr ist je doch nicht vorbei, sondern sie kömmt erst heran. Entweder ist es wahr, was der Bursche behauptete, und der Judenarzt hat Dich an den Schultheiß verschwatzt, und in diesem Falle mußt Du schleunig fort; oder, es ist nicht wahr, und der Schandbube gibt selber Dich an; dann mußt Du auch fort. Darum kleide Dich, und laufe; es blutet mir das Herz, daß ich Dich vor die Thüre stoßen muß, – aber überall wirst Du besser seyn, als in den Händen des lustgierigen Schultheißen.« – »Hochgelobter gepriesener Gott!« seufzte Esther trostlos: »Kann Dein Vaterauge sehen solche Bedrängniß ohne zu helfen? O, daß er fern seyn muß, auf den ich baute, wie auf einen Engel.« –

Crescenz hätte gerne der Klagenden den Trost gegeben, daß Dagobert nicht mehr ferne sey, allein sie bedachte noch zu rechter Zeit, daß diese Kunde den Schmerz des Mädchens, und ihren Widerwillen gegen die plötzliche Trennung vom Schellenhof vermehren würde, und dennoch war, ihrer Meinung nach, kein bessres Mittel vorhanden, dem nahenden Unheil zu entgehen. Sie begnügte sich daher, der trauernden Esther aufzutragen, sich in Wald und Busch so lange verborgen zu halten, bis der nächste [325] Abend herangekommen seyn würde, und alsdann fein vorsichtig auf dem Hofe sich wieder zu melden. Unnachsichtlich drängte sie indessen jetzo zum Abschiede, denn neben der Furcht, das Mädchen selbst in der Feinde Schlingen fallen zu sehen, beunruhigte sie das Loos gar sehr, das ihrer warten dürfte, ward ihre Theilnahme an dem heimlichen Handel bekannt. – Aber so sehr sie auch drängte und trieb, so sehr Esther sich beeilte, ihrem Willen folgsam zu seyn, und kaum sich die Zeit nahm, die schönen Locken mit Crescentia's eignem Miedertuche vor dem gegen die Fenster schwirrenden Regen zu schützen, – so waren doch Warnung und Vorsicht zu spät gekommen. Die Hunde, die sich bisher nicht geregt hatten, fuhren auf einmal mit wüthendem Toben aus ihren Hütten, und an ihrem kurz darauf folgenden erbärmlichen Geschrei war bald zu merken, daß einige derbe Schläge sie zur Ruhe verwiesen. Zugleich polterten mehrere Stöße gegen die Hausthüre, und barsche Stimmen, verlangten Einlaß. – »Herrgott! schütze Deine Magd!« stöhnte Crescenz, und löschte schnell die Lampe aus, die sie mit in die Kammer gebracht hatte. »Halte Dich ganz ruhig und still, Estherchen,« flüsterte sie derselben zu, die sich, an allen Gliedern bebend, in eine Ecke des Stübleins verkroch: »bis ich hinunterkomme und Licht mache, und dem Gesindel die Thüre öffne, fällt mir vielleicht ein Nothbehelf ein, und ich rette Dich vor der Nase dieser Spürhunde.« – Rasch, wie ein Mann im rüstigsten Alter, tappte die Alte die Treppen hinab, und begann durch das Schlüsselloch mit den Bewaffneten vor dem Hause zu unterhandeln. [326] Diese waren jedoch keineswegs gelaunt, Scherz oder Zögerung mit sich treiben zu lassen, und drohten, Thür und Fenster in Stücken zu hauen, wofern nicht alsogleich aufgethan würde. Da sich nun Crescenz entschuldigte mit Mangel an Licht, so erboten sich die Belagerer, ihre eignen Laternen herzugeben, um das Haus zu durchsuchen. Wie sie dann nun immer heftiger wurden, und ohne Aufhören im Namen des Oberstrichters die Öffnung begehrten, auch indessen das Gesinde zusammengelaufen war, und sich wunderte über den muthwilligen Verzug der Schaffnerin, so blieb der Letztern nichts übrig, als in Gottesnamen dem rohen Söldnerhaufen Einlaß zu geben. Der Anführer der grimmigen Schaar fuhr sogleich mit Donnerstimme über die Alte her: »Den Judenbalg gib heraus, den Du in Deinem Hause versteckt hältst! heraus! ohne Widerstand und Ausflucht. Du bist des Todes, wenn Du nicht blitzschnell thust, was wir begehren!« – Crescenz spielte die Überraschte, die Unwissende, aber ihr linkisches Läugnen machte die Herren noch dringender, die gar nicht übel unterrichtet zu seyn schienen. – »Lüge, daß Du erstickst!« schrie der Führer: »Wir werden doch wissen, welch Nestlein wir hier auszuheben haben! Spare also Deine Winkelzüge, und freue Dich auf den Pranger, alte Kupplerin, welche Söhne von ehrlichen Bürgern verführt zur Gemeinschaft mit nichtswürdigen Jüdinnen. Mach' Dich fertig, und steige voran. Wir wollen schon finden, was unser ist.« – Je näher die Gefahr rückte, je trotziger wurde indessen die Alte, und hätte sich beinahe verleiten lassen,[327] eine Betheuerung darauf abzulegen, daß die gesuchte Jüdin sich nicht im Hofe befinde. Indem drängte sich eine neue Figur in den Kreis, und der häßliche Zodick stand wieder frech und leibhaftig wie vor einer halben Stunde vor dem zankenden Weibe. »Glaubt nicht der Hexe!« rief er den Söldnern zu: »Die Dirne ist nicht gekommen aus dem Hause. Ganz Mokum 1 will sie an der Nase führen, daß sie selbst komme davon mit ganzen Ohren. Doch ich will Euch sagen, was sie nicht will schmusen. Das Vögelein steckt oben im Nest. So Ihr erklimmt die Stiege, hört Ihr's schon piepen und flattern.« – »Der Jude hat eine Nase wie der Teufel!« schwor der Anführer der Häscher, welche lärmend, gegen die Treppe vordrangen. Vergebens suchte Crescenz den grinsenden Zodick Lügen zu strafen, vergebens gegen ihn selbst eine schwerere Anklage zu richten; sie wurde nicht gehört, ihr Geschrei übertäubt, und der andrängende Haufe riß sie in seinem Wirbel mit fort. Den schlagendsten Beweis, daß sie mit Ränken umgehe, schien obendrein das Erscheinen einer Dirne zu liefern, die oben auf dem ersten Treppenabsatz sich sehen ließ, gehüllt in unordentlich übergeworfene Nachtkleider, und mit ängstlicher Stimme herunterschrie: »Aber Frau, Frau, um Alles in der Welt! was soll das Getöse? was gibt es denn?« –

»Das ist sie!« rief Zodick dem Häscheranführer in's Ohr. »Das ist sie!« donnerte der ganze Haufe, und zwanzig Hände streckten sich nach der Dirne aus[328] die – ersehend, daß es auf sie gemünzt sey, mit jämmerlichem Geschrei: »Mein Kind! mein Kind! Hülfe! Hülfe!« zurücksprang, und eine schwere Thüre hinter sich in's Schloß warf. – »Siehst Du, alte Vettel!« donnerte der bestürzten Schaffnerin, die vergebens eine Erklärung versuchte, der Anführer zu, und gab ihr einen groben Rippenstoß: »da ist das Geschöpf, das wir suchen. Nicht die Dirne, noch ihr Junges soll uns entkommen, und brennen sollen sie beide! Sperr' auf die Thüre.« – Crescenz, von tödtlichem Schreck erkältet, suchte zähneklappernd einen Schlüssel nach dem andern in das Schlüsselloch zu passen; da jedoch die Angst den rechten ihr nicht finden ließ, so machten die Bewaffneten kürzere Wirthschaft, und rannten die Thüre ein. Wie ein Knaul von Wahnsinnigen stürzte der helle Haufe in das Gemach, und erwischte die schreiende Dirne, da sie eben, besinnungslos vor Entsetzen, mit einem Kinde im Arme, zum hohen Fenster hinausspringen wollte. Während nun Crescenz in der Mitte des Getümmels umsonst ihre Lunge anstrengte, um zu beweisen, daß die Gefangene nicht diejenige sey, die man suchte, während die Gefangene selbst in Thränen zerfloß, und das Kind jammerte, – während die Häscher Stricke und Riemen hervorsuchten, um nicht nur allein die muthmaßliche Esther, sondern auch die Schaffnerin und ihr Hausgesinde zu binden, hatte Zodick, seinen Vortheil ersehend, einem gaffenden Knechte die Leuchte aus der Hand gerissen, und war damit unter dem allgemeinen Getöse verschwunden, um den obern Theil des Hauses zu durchsuchen. Wild klopfte sein [329] Herz, als er die Stufen zum Giebelstübchen erstieg, denn er dachte an die Möglichkeit, daß Esther bereits seiner Wuth entgangen seyn möchte; aber, so wie er die Kammer öffnete, und mit gierigem Auge in das Dunkel leuchtete, so machte sein ahnender Zorn, hohnlachender Freude Platz. Die arme Esther hatte in ihrer Unruhe, gequält von banger Furcht, nicht an die Flucht gedacht, und sich wie ein Opferlamm in das gräßliche Schicksal ergeben. Nicht die Thüre hatte sie verriegelt, und lag betend, aber ohne zu wissen, was die Lippen beteten, in dem Winkel auf ihren Knien. Hier ergriff sie die Faust des siegenden Feindes; hier raunte ihr seine entsetzliche Stimme in die Ohren: »Du bist mein, Estherchen! Gedenkst Du meiner Worte? Der Vollmond ist da, und ich komme, Dich zu holen heim. Zögre nicht, zaudre nicht, kleine Spinne! Komm, daß ich Dich führe vom Berge Seir!« – »Abscheulicher!« versetzte Esther, mit verachtender Würde sich erhebend: »Hier sind meine Hände, fessle sie, aber höre auf zu mißhandeln die Frau, die mich hat gepflegt wie der Rabe der Wüste. Ihr Geschrei dringt herauf zu mir, Unhold. Laß es verstummen.« – »Alles verstummt unter den Füßen des Herrn!« entgegnete Zodick höhnisch: »Auch Deine Schmähung wird verstummen, Weib. Mag ich Dir seyn wie Gabriel, der Fürst der Barmherzigkeit, oder wie Sammael, der Fürst der finstern Wildniß; gleichviel. Folge mir, und schweige wie in der Neumondnacht, die unsers Lebens Dauer uns kund thut.« – Behutsam löschte er die Leuchte aus; packte Ester's rechte Hand fest in die [330] seinige, und stieg vorsichtig mit ihr die Treppe hinab. Noch dauerte das Getöse in der Stube des ersten Stockwerks; da der Bösewicht dieses hörte, zwang er auf einmal seine Beute, geschwinder zu entlaufen, stülpte ihr seine weite Mütze über Kopf und Augen, und entführte sie also hinaus in's Weite, trotz den heulenden Hunden. Der Regen floß rieselig und kalt hernieder. Esther schauderte am Arm ihres gräßlichen Führers, und ließ sich eine gute Weile durch Sand und Moor mit fortziehen im schweigenden Dunkel, bis sie endlich so viel Besinnung gewann, die lederne Mütze vom Haupte zu reißen, plötzlich stille zu stehen, und mit der Stimme der Verzweiflung zu fragen: »Was ist das, Zodick? Warum rissest Du mich denn weg aus dem Hause? warum hast du mich nicht übergeben den tobenden Häschern, daß sie mich bänden und fortschleppten? und wohin führst Du mich? nicht gen Frankfurt? was soll ich in diesem Gestrüpp oder in den Furchen des Feldes? wohin schleppst Du mich, unsaubrer Geist?« – »Nach der Hochzeitkammer, Liebchen?« antwortete grinsend der Schurke: »Nach dem Hochzeitsbette, und von dannen in's Paradies.« – »Ach!« schrie Esther: »Du willst mich tödten in Schmach?« – »Nicht doch, Schickselchen;« versetzte Zodick kalt: »Du wirst leben im Überfluß, so Du thust meinen Willen. Doch ist nicht hier der Ort, wo zu reden ist von der Zukunft. Komm, komm, Estherchen? 's ist nimmer weit!« – Die Überzeugung, ohne Rettung verloren zu seyn, gibt dem Menschen öfters übermenschlichen Muth, und ungewöhnliche Kräfte. Esther empfand [331] tief, daß der Augenblick gekommen sey, diese Kräfte zu wecken mit dem verzweifelnden Willen. Mit einer Heftigkeit, die nur dem aus brennender Zone stammenden Blute eigen ist, warf sie sich wild und kreischend auf den Niederträchtigen; der sie weiter nach seiner Höhlen schleppen wollte. Weiblichkeit und die zarte Sanftmuth abstreifend, welche sonst ihre Zierde waren, gestaltete sich Esther aus einem duldenden Lamme zu einem kühnen Tiger um, und griff den Feind mit offner That an. Der Überraschte wehrte sich im Anbeginn nur schwach; da es aber Esther zu gelingen schien ihn zurückzudrängen und von seiner Klaue sich loßzureißen, da ergrimmte der fürchterliche Mensch. Vom Sturme des Zorns und der Leidenschaft hingerissen, bot er alle Kräfte gegen die Widerstrebende auf; seine riesigen Arme wurden länger, seine Fäuste stärker, und die Ärmste, deren Kräfte endlich in dem ungleichen Kampfe erlagen, sank keuchend und wimmernd auf den nassen Sand zu den Füßen des Schrecklichen, dessen eherne Hand sie beinahe zermalmte, während er nach seinem Gürtel griff, um die Bezwungene damit zu binden. Der entsetzlichsten Mißhandlung Preis gegeben, änderte Esther ihre Handlungsweise. Die Schlauheit ihres Geschlechts in das Treffen führend, ließ sie ab von dem fruchtlosen Kampfe, faltete die Hände wie eine Flehende, und beschwor unter Schluchzen und Thränen den übermächtigen Feind ihrer zu schonen. Sie wolle die Seine werden, sobald er ihr Zeit gönnen würde, sich zu fassen, zu erholen von dem gräßlichen Sturme in ihrer Seele. – Befriedigt lächelnd [332] horchte Zodick auf die seinem Ohre willkommenen Worte, und zog die Bittende unsanft vom Boden in die Höhe. – »So gefällst Du mir, Estherchen!« sprach er, tief Athem holend: »Du hast mir warm gemacht; aber Du kennst nun auch, was es heißt, mit mir anbinden. 's wär' ein schlecht Geschäft, ein Druck des Fingers, um Dich zu vernichten hier in der Einöde; drum ist's besser, Du ergibst Dich in des Herrn Befehl, und folgst mir zur Kammer. Eile aber jetzo. Wir sind bald zur Stelle.« – Unaufhaltsam riß er das Mädchen mit sich fort, durch Sandgetriebe, Weidenbüsche und verödete Triften, bis es endlich schroff über Kies und Gerüll hinunterging zu einer nackten Vertiefung, in welcher bei der Mondhelle ein Sumpf stand, wie ein trüber Spiegel, und daneben eine schwarze Hütte, aus deren Lücken ein mattes Licht schimmerte, dem Johanniswürmchen gleich, in schwarzer Hecke. Zodick befahl Esthern, leise aufzutreten, und schlich an die lichtspendende Öffnung, um den forschenden Blick in das Innre zu tauchen. Esther's Brust hob sich indessen wie die Brust einer Sterbenden. Und war sie nicht eine solche? Den theuern Schwur, sich eher zu tödten, als beschimpfen zu lassen, dachte sie unverbrüchlich zu halten, und jenes traurige Moor schien ihr vom Geschick auserlesen zu seyn, ihr Todesbette zu werden. Welche Schrecken aber noch bis dahin an ihrem Geiste vorübergehen konnten, daran gedachte sie bebend. Zodick hatte indessen erkundschaftet, daß nicht gefährliches in der Hütte verborgen sey. Er pochte leise an das Fensterlein, und gab ein kauderwälsches Losungswort [333] von sich, nach welchem man von innen fragte. Hierauf zog er Esther mit sich zum niederen Pförtchen der Hütte, welche schon aufgethan worden war. »Gut Zeit!« sagte er zu dem alten Weibe, das, den brennenden Span in der Hand, die Einkehrenden empfing, und sorgfältig hinter ihnen zumachte: »Ist sauber die Luft, und rein Alles von Gefahr?« – »Drinnen ist Alles rein,« erwiederte die Alte, und maß verwundert die bleiche Esther vom Kopf bis zu den Füßen. – »Ist Marten daheim?« fuhr der Mordknecht fort, argwöhnisch in alle Winkel schielend. Das Weib bejahte, und stieß die Thüre zur elenden Stube der Mordherberge auf, in welcher der Anführer der Blutzapferrotte sich auf einer schmutzigen Bank wiegte, – die Augen roth und glühend vom Übermaaß des berauschenden Getränks. Esther fuhr zusammen bei dem Anblick dieses Menschen und seiner Umgebung, und setzte sich stumm, mit verbissenem Schmerz auf einen Schemel in der Ecke. Das alte Weib des trunknen Marten ging forschend und lauernd vor der Fremden auf und nieder, und hütete sie mit Drachenblicken. Marten reichte dafür dem begrüßenden die blutgewohnte Hand, mit dem Vorwurfe, daß er sich lange nicht habe sehen lassen. – »Hab' Andres zu schlichten,« erwiederte der Mensch: »bring' Euch da einen Gast, welcher aufwiegt alle Töchter in Israel, und will ihn Euch geben in Obhut, wenn es rein und koscher ist bei Euch.« – » 's ist Alles leer;« versicherte der alte Räuber: »die Gesellen sind alle in Thüringen gezogen, und an den Rheinstrom, weil's die Witterung erlaubt, in der Ferne [334] sich Nahrung zu holen. Kein Mensch ist hier als das Weib und die Tochter, denn die drei Rittersknechte, die seit heut Nachmittag hier eingekehrt sind, sind nicht zu rechnen. Einer von ihnen liegt am Tode, und wir haben sie und ihre Rosse in die Scheuer eingestellt, am Moor.« – Zodick winkte dem Schwätzer mit einem Seitenblick auf Esther zu. »Zu dieser Nacht verlange ich die Kammer hier nebenan, für mich und mein Weib;« sprach er, und die alte Frau entgegnete dienstwillig, sie stehe bereit, allein es sey kein Fenster darinnen angebracht. – Zodick schlug ein freches Gelächter auf. »Braut und Bräutigam fragen nicht nach Helle und Licht,« scherzte er, »und wär's auch die Schechinah des hochgelobten Gottes selbst. Wir werden sie gern entbehren. Nicht wahr, Liebchen?« – Mit Abscheu wendete sich Esther, stumm die Hände ringend, von ihm. – Der rohe Marten lachte. »Das Mägdlein« sprach er, »geht so frei und lustig nach dem Brautbett, wie das junge Thier zum Metzgerhaus. Wohl bekomm's Euch beiden. Ich für mein Theil wollte, es käme endlich mein Knecht Wolfhard. 's geht an die elfte Stunde, und ich muß noch heut hinaus.« – Inzwischen hatte sich Zodick zu Esther herabgebeugt, und raunte ihr drohend zu: »Gib Dich in Dein Schicksal. Wo Du schreist, wo Du Widerstand wagst, hast Du den Talles. Besinne Dich kurz; ich gebe nicht mehr Frist. Ich will nicht werden alt wie Abraham, ohne zu kosten Deine Reize. Du kannst werden glücklich und leben lang, sobald Du wirst bekennen, wo Dein Vater hat hinvergraben seine Schätze. Der schlechte Mann [335] hat mir geläugnet ab, daß er welche besessen. Du weißt aber sicher darum, und nur diesem Bekenntniß wirst Du zu danken haben Dein Leben. Bleibst Du stumm, mach' ich Dich ewig stumm nach der Hochzeit.«

»Grausamer! tödte mich jetzt, da ich noch bin wie das Lamm der Weide!« flehte Esther: »ich weiß nicht von dem, was Du begehrst.« – Zodick kehrte ihr drohend den Rücken, und stürzte ein Glas des Weins hinunter, den die katzenfreundliche Wirthin aufgestellt hatte. Indessen ging die Thüre auf, und Judith, Marten's und des Weibes Tochter, kam langsam und finstern Angesichts herein. Ohne zu grüßen, betrachtete sie abwechselnd Zodick wie Esther mit durchdringendem Auge. Der Jude wendete sich verächtlich von ihr, – Esther nicht minder, da sie in den groben und düstern Zügen der Dirne eine neue Feindin zu entdecken glaubte. Judith blieb in ihrer Stellung, bis der Vater sie anfuhr: »Wo streifst Du herum, Dirne? Woher so spät?« – »Ich komme vom Moor,« antwortete sie gelassen: »ich habe dort gebetet.« – »Du sollst verschwarzen, Greinerin!« zankte Zodick giftig: »Bei dem Reitergesindel hat sie gesteckt in der Scheuer.« – »Dort ist der Tod;« entgegnete Judith trübe: »Du witterst den Tod, blutiger Mann, darum bist Du hier.« – Zodick spie verächtlich vor der seltsamen Magd aus, und stürzte noch ein Glas hinunter. – »Schlinge nur, schlinge, nimmersatte Gurgel!« sprach die Dirne ernst: »Bald wirst Du hier Blut zu saufen haben, Zodick.« – Der Genannte wie die andern schwiegen[336] betroffen, und Judith wendete sich zu Esther mit der Frage: »Wie kommt es denn, daß die Reinheit eingegangen ist in diese Mordhütte an der Hand des blutigen Frevels? Bedauernswerthe Jungfrau, – denn Du bist's, – warum bist Du gekommen an diese Stätte des Verderbens?« – Esther suchte zagend in den Augen der Sprecherin, ob Wahnsinn oder eiserne Vernunft aus ihr rede. Judith errieth ihre Gedanken, und sprach viel milder: »Ich bin nicht toll, mein schönes Bild. Alles um Dich her ist nicht Wahnsinn oder Trug; es ist fürchterliche Wahrheit. Dies ist ein verfluchtes Haus; jener dort im Kleid des Elends und der Trunkenheit ist mein Vater; und dieses entmenschte Weib ist die Mutter, die mich Erbarmenswerthe geboren. Steh' auf, Weib, von der Seite der Unschuld, daß ich sie näher kennen lerne.« – Mit einer gebieterischen Geberde befahl sie der Mutter von Esther's Seite zu weichen, und das Weib, das höhere Zungen aus ihrem Kinde zu hören vermeinte, that wie sie begehrte. Zodick machte eine ungeduldige Bewegung: »Wär' mein Kind der verfluchte Lästerbalg,« murrte er, »den Kopf hätt' ich ihm eingedrückt in den Windeln. Ein Wort jedoch Alter!« – Er zog den Alten bei Seite, und befragte ihn scharf nach den in der Scheuer liegenden Reitern. Marten blieb dabei, von denselben sey keine Gefahr zu besorgen. Der Eine sey sterbend, ein Zweiter zu seiner Pflege bestimmt, und der Dritte sey, wie er meine, schon von dannen geritten. – »Sind's Reisige, die zurückkommen aus einer Fehde,« sagte Zodick überlegend, »so könnte zu finden seyn [337] Beute bei ihnen. Warum gehen wir nicht dahin, und bringen sie um, und nehmen, was sie haben? Zum mindesten sind werth die Gäule ihren Schilling.« – »Recht;« erwiederte Marten: »wenn nur kein Sterbender in der Scheuer läge! Aber s'ist ruchlos, da zu plündern, wo ein an Gebreste Verschmachtender verscheidet. Das bringt Unglück, weißt Du wohl. Glück bringen nur die Leichen, die wir selbst mit rothen Wunden gezeichnet.« – Zustimmend nickte Zodick. »Du hast Recht, Marten,« sagte er alsdann: »s'ist gefährlich und nicht geheuer. Steht doch zu den Füßen des Sterbenden der Engel des Todes mit seinen tausend Augen, und schlägt herum mit seinem scharfen Schwerte, daß man geblendet rennt in dessen Schärfe! Nein, – wir wollen verharren, bis er seyn wird starr, und alles Wasser hinweggegossen 2; dann wollen wir sehen. Schofel ist's aber, daß in der heutigen Nacht nicht kann werden etwas gewonnen, bevor ich steige zu Bett mit dem Liebchen.« –

»Ho! wenn Dir das Noth anthut und Zwang, so wüßte ich wohl zu helfen;« meynte Marten mit schalkhaftem Zähnefletschen: »Hab's Euch nur nicht anbieten wollen, Zodick, ... oder ... vergebt, ... Friedrich, wollt ich sagen.« – »Laßt's beim Alten, trunkener Goi;« schaltete Zodick finster lächelnd ein, »und laßt hören, was es ist.« – »Ein glockenhell und unvereitelbarer Fang;« antwortete Marten leise: »Ich weiß von guter Hand, daß heut gegen Mitternacht am Sprünglin Bürger von Bergen nach einem [338] Schatz zu graben gedenken, den ihnen eine nächtliche Flamme verrathen, und ein Pfaffe verheißen haben soll. Die Dummköpfe haben Geld zusammengebeutelt aus allen Kisten und Truhen, denn sie müssen hundert Mark Silbers auf den Platz bringen, und nur über dem Gelde kann die Beschwörung gehalten werden. Merkst Du nun, Jude? Die armen Schlucker sind wohl darauf gefaßt, den Teufel in eines Hundes Gestalt auf dem Schatze zu finden, doch auf zwei rüstige Männer mit rothgefärbten Gesichtern und scharfen Messern sind sie nicht vorbereitet. Geh mit, Zodick, und wir heben den sichern Schatz. Ich hätte dem Wulfhard gern den Antheil gegönnt; der Bube bleibt aber aus, und Deine Faust ist doch die gewandtere.« – »Topp!« sprach der andre: »ich gehe mit, doch muß zuvor Dein Weib geloben, meine Esther dort zu hüten, wie den Stern des Auges, und mir sie aufzubewahren sonder Falsch.« – »Ei, warum denn nicht?« lachte die Alte frech, die hinter die Sprechenden geschlichen war. »Bei meiner Seligkeit will ich geloben ...« »Nichts da!« fuhr Zodick dazwischen: »Bei Deiner Gurgel schwöre, Alte; denn Du trägst sie nicht ganz davon, wenn ich nimmer finde mein Lieb.« – Die Alte betheuerte noch mit aller Zuversicht, sie wolle ihre Kehle wagen, denn es sey unmöglich, daß Esther entfliehen könne aus ihrem Gewahrsam. Die Männer möchten nur bald wiederkehren, und ihr und der Tochter einen gehenkelten Silbergroschen verehren. – »Putze die Schemmlinge;« sprach noch Zodick zu der Alten: »Du hast zu hüten zwei Schlangen. Esther [339] und das blödsinnige Thier, Deine Tochter. Wahrlich, wären nicht zu verdienen hundert Mark, ich wollte eher verlieren das Paradies, denn weggehen von der Dirne, meinem Lieb. Aber Dein Leben Alte, ist mir Bürge, daß ich finde Alles im Alten.« – »Verlaßt Euch darauf;« schwur noch einmal die Alte, und die beiden Mörder machten ihren scheußlichen Aufzug zurecht. Die entblößten Arme wurden feuerroth angestrichen, so wie die verzerrten Gesichter, rauhe Kappen über den Kopf gezogen, und ein Lederwamms über die Brust geknüpft, von welchem ein nicht mit der größten Sicherheit geführter Stoß oder Hieb abprallen mußte, wie von einem eisernen Bruststück. Zodick wählte, sein zerbrochenes Handmesser zu ersetzen, einen schneidenden Dolch aus Marten's Rüstkammer, und da er die Waffe in seinen Gürtel steckte, schien er sich mit verdoppelter Grausamkeit und Bosheit ausgestattet zu haben. Von Habsucht und Mordlust glühend, drang er nun selbst in Marten, aufzubrechen, und nachdem er der von seinem großen Ansehen zurückbebenden Esther noch einmal seine Drohungen wiederholt, und sie abermals der Wachsamkeit der Wirthin empfohlen hatte, stürmte er mit seinem trunknen Gefährten dem Schauplatze eines neuen Frevels zu. –

In welchen Qualen Esther zurückblieb, läßt sich denken, nicht beschreiben. Sprachlos starrte sie zu der beräucherten Decke der elenden Stube hinauf, und flehte in ihrer Seele um Vernichtung. Judith saß an ihrer Seite mit gefalteten Händen, und betete mit lauter Stimme ein lateinisches Gebet. Die [340] Mutter, nachdem sie die Hütte wieder verschlossen, fragte die Tochter mürrisch, was sie denn daher plaudere in unverständlicher Sprache? – »Es ist ein Gebet für die Todten;« antwortete die Dirne kurz und ernsthaft. – »Ei, welch thöricht Beginnen;« schalt die Mutter: »Draussen ist's schwarze Nacht, und schauerlich ist's, jetzo an die Bahre und das Grab zu denken.« – »Stirbt nicht einer draussen in der Scheuer am Moor?« fragte Judith entgegen: »Liegt nicht einer schon längst begraben im Moor? Ach, du verderbte und leichtsinnige Mutter! Ich fürchte, wir werden bald zu Grabe singen müssen, und zehn Jahre meines Lebens gäbe ich darum, wäre diese Nacht schon vorbei.« – »Verdient Euch einen Gotteslohn,« jammerte Esther, vor innerer Bewegung aufspringend, ... »und schafft mich vom Leben, noch ehe sie vergeht diese Nacht, und wiederkehrt mein Henker!« – »Hättest Du mir auch nicht gesagt, daß Du nicht getauft bist,« entgegnete Judith verweisend, – »ich würde es an Deiner Rede hören. Verzweifle nicht an dem Gott über uns, denn so weit sein Sternendach, so weit und unendlich seine Gnade. Er läßt nicht zu Schanden werden, wer ihm vertraut. Für den Gläubigen wird das Eisen in der Hand des Mörders zum kühlenden Palmblatt; denn unser Gott ist nicht zornig, wenn er uns tödtet. Seine Liebe giebt uns den Tod, weil er uns ferner nicht zu missen vermag in dem Vaterhaus der Himmel; und vor bitterer Schmach bewahrt er uns durch den Tod.« – »Ich verstehe Dich,« rief Esther: »und Dein Mund bekräftigt mir, was ich [341] schon geahnt im Geiste. In dieser Hütte geht aus der Quell meines Lebens.« – »Wenn Gott es will, ja,« versetzte Judith: »aber nicht vorgreifen darfst Du ihm. Und wahrlich, wahrlich, Du wirst ferner athmen; ich verkünde dir Leben im Angesicht des bejammernswerthen Weibes, das Dich bewacht, wie das verkaufte Schäflein unter dem Messer. Du wirst leben, denn mein Gebet hat Kraft, und meine Ahnung wird lebendig.« – »Tochter! Du hast den Verstand wahrlich verloren!« seufzte die Mutter, unruhig in der Stube umherwandelnd. – »Nein, Mutter,« redete Judith: »Du aber hast Dein Heil verloren, unglückliches Weib, und sie ist, fürchte ich, verstrichen die Zeit der Besserung. Du wirst zur Hölle gehen müssen, wenn nicht meine Thränen ihre Flammen auslöschen.« –

»Ach, wie lieblos bist Du gegen mich vor der Fremden!« klagte die Alte mit schmerzlich bewegtem Gewissen. – »Ich hasse Dich ja nicht,« antwortete Judith milde, und nahm die Hand der Mutter: »Komm, wir wollen uns letzen, da noch nicht die Stunde da ist. Wir wollen uns vergeben, wie Leute die von der Jammerwelt zu scheiden begehren. Du bist ja meine Mutter, und Dein Schooß hat mich getragen; aber besser wäre es, Du wärst ein unfruchtbarer Baum geblieben, oder noch besser, Deine Mutter hatte nie geboren. Schön ist ein Stamm mit gesunder Blüthe und Frucht, aber den gifttragenden sollte man abhauen. Thue Buße, Mutter, da es noch nicht an der Stunde ist, dahinzugehen in das Dunkel drüben.«

[342] »Du wirst mich noch aufbringen durch Dein abgeschmackt Gewäsch;« versetzte die Alte, deren Geduld auszugehen begann: »Schweige, ungerathnes Kind, deren Thorheit wir unbegreiflich lange nachgegeben haben. Schweige.« – »Das kann ich,« entgegnete Judith aufstehend: »Ich bin nicht die einzige Stimme in der Welt, welche erstickt wird im Unrecht, Ich will hinausgehen an das Moor, wo mich das Schilf versteht, nur Einer mit mir betet aus der kalten Tiefe. Denn auch aus Schlamm und Röhrig dringt der Todten Gebet zum lieben Gott.« – »Nicht von der Stelle!« eiferte die Frau, sie zurückhaltend: »Du sollst mich nicht allein lassen in dieser Nacht. Du hörst's, über die Berge kommt ein Wetter daher, und es donnert dumpf und gräulich. Du sollst dableiben, sage ich Dir.« – Judith besann sich eine Weile, kehrte dann ruhig um, kauerte sich zu den Füßen der Mutter am Heerde, und sagte weich: »Ich will bei Dir bleiben, Mutter. Ich will Dir noch gehorsam seyn, und erfüllen, was ich Dir gelobte, bis an's Ende. Denn bald wird sie vorüber seyn, die Zeit des Gehorsams, denke ich. Deine Zeit, unglückliche Mutter.« – »Sprich doch nicht so frevelhaft;« schalt die Alte: »Mich schauert vor Deiner Liebe, wie vor Deiner Bußpredigt.«

»Fühlst Du das,« – fragte Judith langsam, – »fühlst Du das bei meiner Liebe, was soll ich fühlen, wenn Du mich Deine liebe Tochter nennst? – Doch, sieh, die Fremde ist entweder im Kummer dahingegangen, oder sie ist entschlummert vor Ermattung. Sie scheint von uns die unglücklichste zu seyn, [343] und ist doch viel, viel reicher, als wir. Sie hat ein gut Gewissen, und einen Vater, der unschuldig im Kerker leidet. Unschuldig, Mutter. Aber, nicht wahr, Du kennst das Wort nicht mehr? Gib mir die Hand, armes Weib; ich will Dir vergeben im Namen des Herrn, der über uns gebietet, wenn nur ein Funken von Reue in Deiner rauhen Brust aufschlägt.« – Die Alte schlug erbittert die dargebotene Hand aus, und stand ergrimmt auf. Judith seufzte aus tiefer Brust, und ließ, ruhig sitzen bleibend, geduldig geschehen, daß die Mutter die arme Esther ziemlich derb und roh aus ihrer Betäubung aufschüttelte, und ihr befahl, sich in die Kammer zu begeben, wo sie bis zu Zodick's Rückkehr eingeschlossen verbleiben sollte. Esther warf scheue Blicke um sich her, als befürchte sie, den gräßlichen Bräutigam zu schauen; dann schlug sie die Augen noch einmal mit bitterm Vorwurf gen Himmel, und ließ sich halb bewußtlos von der Alten an die Thüre der elenden, ringsum dunkeln Kammer gleiten. Judith war indessen aufgestanden, und faßte auf der Schwelle ihre Hand. »Thue nicht vorschnell!« ermahnte sie das leidende Mädchen: »Der Mensch kann sich aus dem Leben reissen, wann und wo er will, aber nicht zu rasch beginne er das traurige Werk. Bete in dem Dunkel dieser Kammer, aber tödte Dich nicht, und kämpfe gegen die Verzweiflung. Wahrlich, ich sage Dir, Du wirst leben, und Dein Frühling wird nicht in dieser Sturmnacht untergehen, denn schon rollt über Himmel und Gebirge der Wagen desjenigen, [344] der Dich retten wird, so gewiß als sein Sohn Mensch geworden ist.«

Die Alte stieß Judith unwillig zurück: »Blödsinnige!« schalt sie: »Deine Tollheit steigt. Laß die Dirne im Frieden. Nicht jeder bringt sich um, der damit droht, und was gilts. Ehe es Morgen wird hat die Spröde hier in des Buhlen Arm den abgeschmackten Vorsatz vergessen, und begehrt nichts besseres, denn zu leben.« – Mit einem Blicke der tiefsten Verachtung wendete sich Esther von der Unverschämten, und gieng stolz in die Kammer, deren Thüre die Alte hinter ihr verriegelte. Judith zuckte die Achseln mit finsterm Gesicht, und gieng zum Fensterlein; während Marthen's Weib still und verdrossen an den Herd schlich, und sich auf seinen gewohnten Platz niederließ. Mutter und Tochter sprachen kein Wörtlein, und eine angstvolle Stille lagerte sich in der Stube, nur unterbrochen von dem Schluchzen Esthers, das manchmal laut wurde, und von dem näher und näher rauschenden Hochgewitter. Die Kienspäne flackerten traurig, und der Blitz der Wolken welcher von Zeit zu Zeit einen Strahl seines blendenden Lichtes in die Hütte warf, schien der armseligen Fichtenflamme zu spotten. Mit der Heftigkeit des Gewitters stieg die Beklommenheit des alten Weibes, das alle Überreste von Bußseufzern und Wettergebeten aus seinem Gedächtnisse hervorsuchte, um dieselben gedankenlos mit bebender Lippe abzuplärren. Die Alte sang bald, bald betete sie mit lauter Stimme ein Stücklein eines andern Betspruchs, bald grommelte sie zwischen den Zähnen Worte ohne Verstand [345] und Zusammenhang. Dabei wurde ihre Angst immer mächtiger, und Judith, die das verzweiflungsvolle Treiben der Mutter ersah, trat endlich wieder zu ihr. – »Mutter;« sagte sie zu ihr: »Nicht thuts Noth, Euern Leib zu peinigen, da doch die Seele nimmer gesunden will. Was sollen die Worte der Angst aus Eurem Munde, da doch das Herz nichts von ihnen weiß? Warum zerschlagt Ihr die Brust, da doch nicht der Heiland darinnen seinen Tempel erbaut? Ach Mutter, so Ihr nicht Euer Elend erkennt, wird Euch die Bitte auch nur zum Fluch. Aber auch nur ein Gedanke kann hinwiederum Euch retten; ich besorge jedoch, er wird sich nicht einfinden in Euerm verstockten Gehirne, der Gedanke Eures entsetzlichen Jammers, erzeugt durch die Ruchlosigkeit Eures Wandels. Verdreht nicht die Augen, seufzt nicht, als ob ein Berg auf Eurer Brust läge, denn nicht Eure Schuld belastet Euch, sondern die Mahnung an das Ende. Stoßt mich nicht von Euch, denn wie bald werden nicht Eure zitternden Hände nach mir langen? O Mutter, .. Mutter, die mich gesäugt hat zum elenden Daseyn! Warum ist Dein Haar schon grau vom Schimmel des Alters? Warum ist Dein Leib vertrocknet, und darinnen nicht minder Dein Herz? Daß Du zum Kinde werden könntest, mit offenen Ohren und vertrauender Seele, und weichem Gefühl. Du würdest dann in jenem Donner der Höhe nicht den Schritt des zornigen Gottes vernehmen, sondern die Siegesklänge seiner Liebe ... Du würdest Dich sehnen hinaufzugehen zu ihm auf der Leiter seiner flammenden Blitze; – aber nicht dem himmlischen [346] Feuer ist Dein Leben verfallen, Unglückliche.« – Das Wort auffahrenden Zornes auf der Zunge der mitten in ihrer Angst erbitterten Mutter erstarb unter dem krachenden Gebrüll eines fürchterlichen Donnerschlags, welcher die Erde beben machte. Der Blitz, der mit ihm zugleich vom Himmel fiel, schien die Umgegend rings in Feuer zu setzen; er war indessen schon lange erloschen, als seine falbe Helle noch von den geblendeten Augen der Weiber flatterte, die nun langsam sich weiter auftathen. Ihre Ohren summten aber noch lange den gräulichen Wetterschlag nach, der noch jetzt dumpf und langsam fortdröhnte, und sich wie in einen jammernden Schmerzruf aus der Ferne auflöste. Judith, die der armen Esther klagende Stimme zu vernehmen dachte, lehnte lauschend das Haupt an der Kammer Thür. Das Mädchen darinnen betete laut in hebräischer Sprache, eifrig und stark. Durch das Fenster jedoch, das Sturm und Wettergewalt aufgerissen hatte, drang durch den heftig niederströmenden Regen der vorige Schmerzruf in die Stube, und wollte nimmer verstummen, und erneute sich immer wieder, und wurde gräßlicher, je länger er währte, und schien der Hütte näher zu kommen. –– Judith's Haar sträubte sich, und die Mutter rief mit frostig klappernden Zähnen: »Horch! Horch! O mein Herrgott! Judith! das ist der Todte aus dem Sumpfe, und verlangt nach seiner Habe!« – »O nein! o nein! Mutter!« entgegnete langsam und hohl die sehr ergriffene Tochter: »Den Todten singt der Donner das Schlaflied, aber, der jetzt heraufkriecht zur Hütte, und dessen Stöhnen unterm Fenster [347] klingt, will erst ein Todter werden, und sich hinunterlegen, von wannen wir zum Gerichte gehen.« – »Um des Heilands willen! was redest Du denn?« jammerte die Mutter: »Mich überläuft eine Gänsehaut. Es wird doch nicht Einer von unserm Hause sterben?« – »Ja!« erwiederte Judith mit gebrochener Stimme, da ein leichenblasses Gesicht zum Fenster auftauchte: »Vorseinem Hause ... der Vater ist's.« – »Jesus!« kreischte die Mutter, herzuspringend mit dem brennenden Span: »Christus! Marten! Ach wie bist du voll Blut.« – »Laß mich ein!« stammelte der am Kopf auf's Entsetzlichste Verwundete, – sich mit den schwachen Händen an das Fenster klammernd: »Mach auf ... ich will drinnen ein Ende machen.« – Er sank trotz aller Anstrengung, wieder zum Boden nieder, und wurde ohne Sinnen von Weib und Tochter hereingebracht, und auf Judith's dürftiges Lager gebracht, das hinter einer elenden Scheidewand von Rohr her gerichtet war. Die Alte geberdete sich wie eine Verzweifelnde, warf sich über den Körper des röchelnden Mannes, und zerraufte sich das spärliche graue Haar. Indessen schaffte Judith, besonnen und klaglos Alles herbei, was zur Erleichterung des Verwundeten gereichen konnte. Aber nicht Wasser, nicht Wein konnte das Blut stillen, das aus der gräßlichen Todeswunde floß, und der Verlorne dankte es nicht den Bemühungen der Tochter, die seine Lebensgeister wieder erregte: »Der Tanz ist aus!« lallte er in wildem Sterbekampfe: »Heut holt mich der Schwarze, und morgen den verdammten Edelmann, der mich zusammenhieb.« – »Wo ist der Jude?« [348] schrie ihm Judith in's Ohr. – Marten machte mit der Rechten eine Bewegung zur Erde, als ob er auf einen zu Boden Gestreckten deutete. – »Halleluja!« betete die Tochter mit heiterm Gesichte bei diesen Worten, obgleich sich die Züge des Vaters fürchterlich verzerrten, und die Mutter wüthend rief: »Schlange! Du preisest den Himmel an Deines Vaters Sterbelager?« – Die Dirne schob dem Vater den Polster zurecht, und verließ dann sein Bett, um in einen Winkel zu knieen. Die Alte badete den erstarrenden Mann mit siedenden Thränen, ballte die Fäuste gen Himmel, und spie Gebete aus, die wie Lästerungen klangen. Marten erwiderte hierauf unverständliche Worte, und vermochte bald nur stumm die Lippen zu bewegen. »Judith! Judith!« krächzte die Heulende: »Er stirbt! Hilf! Hilf, Du jetzt, Betschwester hilf!« – »Laßt ihn doch vergehen!« antwortete diese eintönig: »Ich sagte es ja, ich würde heute ein Todtenlied singen müssen; und ... ach Herrgott! wäre doch die Nacht schon vorbei, Mutter. Mein Herz ist noch nicht ruhig geworden, und meine Ahnung ist noch lebendig. Weint über Euch, Mutter, nicht um den verlornen Mann.« – Die Alte drohte ihr mit Wuthgeberde, warf sich jedoch wieder über den Sterbenden, und überließ sich allen Ausschweifungen eines im wildesten Gramm auflodernden Herzens. Judith ersah den Augenblick, wo die Alte ihr Gesicht in die rauhe Decke des Lagers gedrückt hatte, und stille verschnaufte. Sie hob den Schlüssel auf, der dem Weibe entfallen war, und schlich leise zu Esther's Kammerthüre. »Komm heraus!« flüsterte [349] sie, das Schloß behutsam öffnend: »Der Jude ist todt: der Vater stirbt. Entfliehe!« – Wie auf den Flügeln der Hoffnung stürzte ihr das Mägdlein in die Arme, und beide schlüpften an der Rohrwand vorbei aus der Stube, ohne von der Alten bemerkt zu seyn. »Ach, wohin in diesem tobenden Sturme?« fragte zitternd Esther, da vor der Thüre der pfeifende Zugwind die Flechten ihres schönen Haars durcheinander peitschte: »Ich sterbe, stößest Du mich hinaus in das Brausen des Wetters.« – »Komm« – erwiederte Judith ... »komm zur Scheuer! Unter den wilden Kriegsknechten bist du sichrer, denn unter uns. O, diese Nacht ist noch nicht vorüber, sagt mir ein finstrer Geist. Komm, daß ich Deine Unschuld rette aus dem Neste des Verbrechens.« – Am Brunnen und dem wüsten Gärtlein vorüber, vorbei am Moore, das selbst unter dem Rauschen des Windes und des Regens still und bleiern zu liegen schien, umfangen von traurig öden Ufern, leitete Judith die Zitternde zu der Scheuer leichtem Bau. Rosse stampfend darinnen, und da Judith die breite Thür öffnete, sahen die Eintretenden zwei Männer bei einer verhüllten Leiche sitzend, und wachend beim Schimmer einer dem Verlöschen nahen Leuchte. Die Männer fuhren beim Geräusch auf, und nach den Waffen, aber mächtiger denn Waffe und Wehr war Esther's staunender Blick. Denn vor seinem Leuchten sank des einen Mannes Schwert zur Erde, ein himmlisches Lächeln streifte über sein verstörtes Antlitz, und mit dem Rufe: Esther! geliebte Esther! wo kommst Du her bei dunkler Nacht? stürzte er dem[350] aufschreienden Mädchen um den Hals. Die Erschütterte, die sich in Dagobert's Armen, an seiner Brust fühlte, dachte nicht daran, seiner plötzlich, allen Fesseln zum Trotz, hervorbrechenden Liebe zu widerstehen, und überließ sich mit Freude und erneutem Vertrauen seinen Liebkosungen. – Während hundert und wieder hundert Fragen von ihrem und seinem Munde flogen, und keine beantwortet wurde, und doch eine jede auf Antwort drang, rieb sich Judith verwirrt die Stirne, und sah bald betroffen auf die Gruppe der Neuvereinten, bald auf den Knecht Vollbrecht, welcher, ohne viel mehr zu begreifen, regungslos dabei stand. –

»Verblendete Welt!« rief sie endlich, zwischen Dagobert und Esther tretend: »Ist es an der Zeit, im Rachen des Todes sündliche Flammen zu schüren? Mann! seyd Ihr ein Christ? und umarmt eine ungläubige Jüdin? Weib, willst Du also das Bad der Taufe verdienen? Flieht, rettet Euch. Hier ist Eures Bleibens nicht. Mörder sind um die Wege. Fort, ohne Säumen, denn ich weiß ... ich weiß ... die Zeit die ich fürchte, ist da.« –

Ohne weiter ein Wort zu verlieren, eilte Judith davon, um zu den Eltern wiederzukehren. Aber am Sumpfe hielt sie ihre Schritte an, und lauschte scheu nach dem flirrenden Röhricht, auf welchem die Tropfen des langsam fallenden Regens knisterten, und aus dessen Grunde Schatten zu nicken schienen, mit glühenden Augen und verzerrten Gesichtern. Hier, an dem Ufer warf sich die Dirne auf die Knie, und breitete ihre Hände aus über das stille Moor, und [351] sprach, wie eine beschwörende Hexenfrau: »Unschuldig Gestorbner auf dem Grunde und im Schilf! Zürne nicht mehr der Seele meines Vaters, denn sie verläßt den Leib gerade jetzo mit Angst und Seufzen. Zwei Augen haben sich zugethan, die den Herrn nimmer erkannt haben. Vergib den beiden, die noch offen stehen, um des Erlösers Willen, und ruhe fürder im Frieden. Und Du, barmherziger Gott! entsündige die, die mich zeugten, und sollten ihre Laster alle auf mein Haupt fallen; laß aber auch die schmachtende Unschuld nicht verderben, wenn es in Deinem Rathschlusse ist, und schone dann mein Herz nicht.« – Ihrer aufgeregten Einbildungskraft war es just, als ob aus dem bleischwarzen Sumpf eine weiße Hand sich herausstreckte, lang und hager, die Ihrige zu fassen, wie zum Pfande Ihres Gelöbnisses, und sie riß sich entsetzt von der unheimlichen Stätte. Indem sie mit Befriedigung dem Hufschlage der Pferde lauschte, die aus der Scheune heraustrabten, und sich jenseits gen Bergen hin verloren, – indem sie Gott dankte, daß er die fremde Jungfrau in seinen Schutz genommen, – hörte der Regen auf, und die zerreißenden Wolken ließen schwaches Licht hernieder. Es leuchtete gräßlich für Judith, denn sie erblickte den Schatten eines Mannes durch das Dunkel nach der Hütte eilen und darin verschwinden. Der Gedanke: Wenn Zodick nicht todt, ... wenn der Jude jener Schatten wäre! stieß wie ein scharfes Schwert in ihr Gehirn, und die Erinnerung an seine entsetzliche Verheißung schlich fröstelnd durch ihre Adern. – »Wenn er wirklich zurückgekehrt wäre aus dem gelogenen [352] Tode!« murmelte sie zwischen den Zähnen, und sah vor sich hin in das Dunkel: »O, welch ein Ende würde das Elend nehmen? Aber nur auf Gott vertraut! Er kann binden, er kann lösen!« – Noch eine Weile horchte sie, dann drang ein entsetzliches Geschrei aus der Hütte. – »Herrgott! die Mutter!« stotterte die heftig Zusammenfahrende: »Weh mir! Der blutige Mann bringt sie um, und fort wollte sie, um dem Mörder die eigne Brust zu bieten, statt des Mutterherzens.« Aber ihre Füße konnten nicht von der Stelle. Riesenkräftig strebte sie vorwärts, aber wie eingewurzelt hielt sie der Boden. In erbärmlicher Angst arbeitete ihr Busen; der Mund versuchte zu schreien, doch seine Stimme war erloschen; alle Sinne und Kräfte schienen allmählig von ihr zu entweichen; nur das Ohr blieb in grausamem Gehorsam, denn sie mußte hören, hören, wie nach und nach das Geschrei zum Gejammer, die Klage zum Gewimmer wurde, wild unterbrochen von Zodick's fluchender Wolfsstimme. Und schwächer wurde das Gestöhne, und endlich gelang es der gefolterten Tochter, sich zu ermannen, und loszureißen von dem Platze des Entsetzens. Allein, nicht hinweg von dem Orte des Schreckens, – hin drängte sie der schwarze Geist des Augenblicks. Sehen – sehen wollte sie, und dem Wüthrich in's Auge schauen. Wie eine wuthentflammte Löwin, die Züge bald in bleiche Angst, bald in rothen Zorn getaucht stürzte sie in die Hütte, und vernahm in der Stube das Ächzen der Mutterstimme, die Verwünschungen des Unholden, der Thüren zu sprengen, Kisten und Kasten zu zerschlagen [353] im Begriff zu seyn schien. Welch ein Anblick, da Judith in das Gemach drang? Umgestürzt die Rohrwand, und blutend darauf ausgestreckt die Wirthin des Hauses ... das Messer in der Brust. Des Vaters starrer Leichnam halb aus dem Lager geschleudert, in welchem die gierigen Hände des Räubers gewühlt hatten. Schrank und Truhen erbrochen; der Raub von manchem Jahre hervorgezerrt an's Licht der Herdesflamme, und zerstreut auf dem Boden liegend. Und mitten in dem Gräul dieser Umgebung der schändliche Zodick selbst stehend, durchnäßt von Regenfluthen und Blut, plündernd, wählend, verwerfend, und Gotteslästerungen und gräuliche Flüche aus dem giftigen Munde sprudelnd. Das schauderhafte Bild entlockte der eintretenden Judith einen lauten Schrei. Die endende Mutter hörte ihn noch, faltete bittend die Hand gegen die Tochter, und verschied. Aber auch dem Mordbuben war die Gegenwart der verhaßten Judith nicht entgangen. Sein gräßliches Auge blitzte ihr Verderben entgegen, sein schäumender Mund stammelte: »Verflucht seyst Du, häßliche Brut, und während die Linke den Sack sinken ließ, in welchem er das Kostbarste von Marten's Habe geworfen hatte, um es fortzuschleppen, suchte die wuthzitternde Rechte das Messer an der Hüfte.« Judith verstand die unglücksschwangere Bewegung, und kam ihr zuvor, denn das Eisen, das der von Raub und Mord zerstreute Bube am Gürtel wähnte, riß sie aus der Brust der Hingeschlachteten, und zückte es schreiend gegen Zodick selbst. Dem Meuchelmörder fehlte die Faust, was sie nicht mit Stahl bewaffnet, [354] und der feige Verbrecher erstarrte vor dem beherzten Weibe. »Komm an!« rief ihm das Letztere entgegen: »Jude! gottesmörderischer Jude! erwürge mich jetzo, wie Du meine Mutter erwürgt hast.« – »Ich hatt' ihr's geschworen!« erwiederte Zodick frech, indem er sich gegen die Wand zurückzog: »Ihr habt davon geholfen meinem Lieb, und dafür hat die alte Kehle bezahlt.« – »Niederträchtiger!« schrie Judith unter heißen Thränen schmerzlichen Grimms; »wär' ich ein Mann, Du kämst nicht lebend über diese Schwelle; aber ich bin ein Weib, gerade noch stark genug, Dir das Messer in den Hals zu rennen, so Du mir nahst. Doch spricht der Herr zu Dir, aus meinem Mund: ›Dein Weg auch naht sich seinem Ende. Vier Augen, die ich schonen mußte, sind geschlossen auf ewig, aber die Deinen, die ich hasse, dürfen nicht allein offen bleiben. Raube hier, und stehle, was Dir gefällt. Mir würde grauen, von dieser blutgetränkten Habe ein Stück zu nehmen. Doch Dir sey sie Verderben. Ich habe nicht mehr den Vater, nicht die Mutter zu verschonen; und jetzt noch, – heute – von diesen Leichen weg gehe ich nach Frankfurt.‹« – »Gott soll mir helfen!« rief der überraschte Zodick, wie zusammensinkend: »Das thätst Du, Ungeheuer? Drache des Amalek?« – »Der Himmel will's!« antwortete Judith gehoben: »Versuch's, mich aufzuhalten, da der Herr mir befiehlt, zu gehen!« – »Eher sollst Du verschwarzen!« brüllte der Jude, auf sie losfahrend. Da stürzte die Leiche des alten Räubers vollends herab vom Lager, vor die Füße [355] Zodick's, und dieser Sturz hemmte seinen Lauf, daß er erbebend stille stand. – Judith riß die Thüre auf: »Siehst Du, wem ich vertraue?« rief sie siegreich: »der Gott der Welt ist mit mir. Die durch Dich elend Gemachten werden nicht sterben, ... – Deine Bosheit wird enthüllt, und verfällt dem Schwerte. Verzweifle, ich gehe gen Frankfurt!« –

Sie warf sich entschlossen aus der Thüre, und rannte wie eine Gemse davon über Hügel und Sandstürze, das Keuchen und Schnauben des sie verfolgenden Mörders hinter ihr. Ihrem kräftigen Vertrauen, dem Bewußtseyn ihrer, wie von Gott selbst auferlegten Pflicht gelang es, den Vorsprung im gewaltigen Laufe zu vermehren, statt eingeholt zu werden. Zodick's Flüche wurden dumpfer, das Keuchen seiner Brust, wie seine Schritte verhallten hinter ihr, und da sie, unfern vom Schellenhofe inne hielt, um von dem gewaltigen Rennen sich zu erholen, war der Nachsetzende ganz zurückgeblieben. Sie zog sich hinter einen Versteck von Schlehensträuchen zurück, um ruhig sich zu erholen, und nach dem Aufgange, wo schon der Tag bleichte, lenkte sich ihr Auge, in welchem jetzt die Thränen ausbrachen, die der Schmerz über den fürchterlichen Tod ihrer Erzeuger darin angehäuft hatte. Feierlich betete sie ein De profundis für die des himmlischen Lichts unwürdigen Seelen, und eine gewisse Freudigkeit entstand in ihr, da sie dieser letzten Kindespflicht genügt hatte, und an die schönere Pflicht dachte, die sie jetzt zu erfüllen sich vorgenommen. Diese Freudigkeit verließ sie auch nicht, als blutrothe Flammen in der Ferne aufstiegen, [356] und Hütte und Scheuer emporloderten im gefräßigen Feuer. »Dort feiert der Mörder sein Fest!« sagte sie ruhig und betrachtend: »Seine ohnmächtige Rache zerstört das Haus des Meineids und des Mords. Fahrt wohl, arme verirrte Eltern! Besser ist's, das Feuer verzehrt Euer Gebein, als der unehrliche Stöcker müßte es auf dem Anger begraben. Euerm unsterblichen Theil sey aber der Herr der Himmel gnädig, wie auch mir, daß meine Stimme nicht verhalle in der Wüste, und Segen entsprieße aus dem Grabe der Meinigen!«

Fußnoten

1 die Stadt

2 Jüdischer Gebrauch nach dem Tode eines Hausgenossen.

14. Kapitel
Vierzehntes Kapitel.

Fasset Muth im Sturm der Wellen,

Euern Mast hält Gottes Hand;

Nimmer wird der Kiel zerschellen,

Der euch führt in's freie Land!

Nur, wenn das Vertrauen bricht,

Geht ihr unter, eher nicht!

Moore.


Der Altbürger Diether Frosch betrat mit zornflammendem Gesichte und heftiger Geberde das Vorzimmer des Schöffensaals im Rathause, und fragte auffahrend und rauh nach dem Schultheiß. Der Rathsknecht wies ihn in das Verhörgemach, in welchem der Ritter, die Hände auf den Rücken gelegt, und finster simulirend auf und nieder ging. Es war [357] noch früh am Tage; darum war der edle Herr noch völlig allein. Als er den Schöffen hereinkommen sah, blieb er stutzig in der Mitte des Zimmers stehen, und nahm eine drohende Haltung an, da er um des ganzen Wesens des Alten willen auf einen stürmischen Angriff rechnen konnte. Diether rechtfertigte diese Vermuthung, und fing mit übelverhaltnem Groll an: »Mir ist's lieb, daß ich Euch allein treffe, Schultheiß, – oder auch nicht lieb, denn ich hätte Euch auch gerne vor Zeugen gesagt, was ich nicht auf dem Herzen behalten kann. Ihr seyd ein frecher unritterlicher Mann, der viel zu kurz kommen möchte, würde ihm Rechenschaft von seinem Handeln abgefordert.« – »Herr! ...« entgegnete der Schultheiß empört; der Schöffe ließ ihn jedoch nicht vollenden, sondern fuhr fort: »Es ist ein Unglück, das öffentliche Wohl in den Händen eines Mannes zu wissen, der; im Innersten verderbt, seinen Leidenschaften jeden Zügel schießen läßt, das Beispiel der Unsittlichkeit gibt, und in jedem Dirnengesicht einen Stachel für seine Wollust findet.« – »Seyd ihr toll geworden, Schöff?« fragte der Schultheiß trotzig: »oder plagt Euch der Teufel der Eifersucht abermals?« – »Keine Ausflüchte!« fuhr Diether heftig fort: »Was soll die Geschichte vergangener Nacht bedeuten? Warum habt Ihr mein Eigenthum, den Schellenhof, verletzt durch unziemlichen und verbotnen Angriff? Warum habt Ihr Leute, die ich dorthin gesetzt, gefangen wegführen lassen? Ist ein ehrlicher Mann nicht mehr hinter seiner Gränze und Feldmark sicher? Oder ist mein Haus ein Sammelplatz, eine Herberge lüderlichen [358] Gesindels? Ich verlange, daß Ihr Abbitte leistet, und die unschuldig Gefangenen losgebt.« – »Ihr redet irre, guter Mann,« erwiederte spöttisch und kalt der Ritter: »Von dem Auftritte verwichner Nacht weiß ich wohl, doch ging er nicht auf mein Geheiß vor sich. Was hätte ich auch auf Euerm Schellenhof zu suchen? Der Oberstrichter jedoch hatte Fug und Recht, Kraft seines Amtes, den Versuch zu machen, ein gefährliches Weib, dem man lange schon auf der Spur gewesen, aus dem Nest zu heben, das ihm sicherlich Euer Sohn auf Euerm Eigenthum bereitet. Man hat statt dieser Dirne, die wohl, früher gewarnt, die Flucht nahm, eine Andre ergriffen, die Euch ziemlich nahe angehen mag, und die, sammt ihrem Kinde, wenn sie das übliche Verhör ausgehalten, Euch wieder zurückgegeben werden wird. Das ist der Zusammenhang der Sache, und ich finde es frech von Euch, Schöff, daß Ihr Euch herausnehmt, mich bei jedem Anlaß zu verunglimpfen. Für meine Würde ziemt sich indessen Vergebung besser, denn Rache, und ich behalte mir vor, einmal später mit Euch die ganze Rechnung abzuthun auf einmal.«

»Ihr seyd eine glatte Schlange;« entgegnete der gereizte Diether: »Der Oberstrichter schiebt die Schuld auf Euch, und Ihr wälzt alle Verantwortlichkeit auf den Richter.« – »Hagel, Blitz und Strahl!« fuhr der Schultheiß auf: »Wahnwitziger Mann! treibt mich nicht aufs Äußerste. Eurer groben Tücke bin ich schon längst herzlich müde. Solch Verfahren steht Eurem Greisenalter wenig an, schier so wenig als es sich für Euch schickt, eine fahrende [359] Tochter sammt ihrem Bankert auf Euerm Hofe zu halten. Ihr gebt das Beispiel der Unsitte und schlechten Zucht, und es ist gar kein Wunder, daß Sohn und Frau nicht aus der Art schlagen. Schämt Euch und schreibt es Euch selbst zu, wenn die Gerichte Euch auf dem Halse liegen. Es gehen unerbauliche Dinge in Euerm Hause vor, und Ihr selbst habt Rath und Bürgerschaft in Eure mißliche Händel gezogen. Auf allen Gassen spricht man von der Historie Eurer Ehewirthschaft: Auf allen Straßen laufen Spärer umher, nach Eurer Tochter zu forschen, die, – wer weiß, in welchem Waldneste, mit einem Buschklepper Buhlerei treibt, mit dem sie willig entlaufen? Euer Argwohn hat ja nicht geruht, bis ich dem Stadthauptmann erlaubte, gestern einen Troß seiner laufenden Gesellen nach dem Sprünglin zu senden. Wie ich vernommen, hat sich die kaiserlich freie und heimliche Acht nicht minder in die Unthaten Eures Sohns gemischt. Donner und Teufel! was soll nach solcher Menge von Ärgerniß, die Euer Haus gegeben, die stolze verletzende Rede, welche Euer Mund so freigiebig führt? Ich weiß sehr gut, daß Ihr wünscht, jetzo ein Basilisk zu seyn, um mich mit einem Blicke zu erstechen, weil Ihr noch immer so thöricht seyd, zu glauben, ich hätte Euerm Weibe nachgestellt. Allein ich lache Eures possierlichen Grimms, und wenn Ihr's noch ärger macht.« – Diether stand wort- und bewegungslos da, so gewaltig hatte ihn des Schultheißen Rede zerschmettert, weil sie eine Masse von Unrecht auf ihn warf, die er nicht mit einem heftigen Worte abzuschütteln [360] die Macht besaß. – Der Schultheiß dagegen freute sich, den überaus verhaßten Schöffen, so recht in's Leben treffen zu können, und sprach mit boshaftem Lächeln weiter: »Wie steht's mit Euerm Weibe, Diether? Ich hörte schon in aller frühe, Margarethe sey entlaufen. Läugnet nicht, denn ich weiß es von guter Hand, wie es schon die Stadt weiß, und mich wundert nur, daß Ihr mir nicht auf den Kopf zusagt, ich hätte sie Euch gestohlen. Wie es aber auch damit gegangen seyn mag, ... ich kann ihr nicht Unrecht geben. Einmal ist es hart für eine Frau von lockern Sitten, bei einem mürrischen Manne auszuhalten, der den strengen unerträglichen Sittenrichter spielt, ob er gleich unfern der Stadt sein eigen Lieb in stiller Kammer hält; zum Andern ist sie wahrscheinlich von ihrem Buhler Dagobert, der seine Ursachen hat, nicht nach der Stadt zurückzukommen, beschieden worden, – und endlich, denke ich, hat sie gerade die rechte Zeit gewählt, zu gehen, um dem weltlichen Gerichtsarm zu entlaufen.« – Diether staunte den Ritter finster an .... »Ich vergebe Euch die Schmächungen, mit denen Ihr mich überhäuft,« ... sagte er, kaum vernehmbar vor innrer Bewegung; ... »aber ... habt die Gnade, mir zu erklären, wie meine Hauswirthin Margarethe dem Gericht verfallen seyn kann, da ich noch nicht als Kläger vor die Schranken trat?« – »O, mein lieber Herr,« entgegnete der Schultheiß: »Das soll Euch nicht vorenthalten bleiben, und gewiß wird Euch's noch diesen Morgen kund.« – Der Rathsknecht [361] meldete: der Stadthauptmann und ein Rottmeister der Stadt forderten Gehör bei dem strengen Herrn, um zu berichten, was bei'm Sprünglin vorgefallen. – »Recht;« erwiederte der Schultheiß: »Herr Frosch: Ihr seyd ja am meisten bei der Sache im Spiele. Verharrt, und hört mit an, was uns die Leute sagen werden. Ihr mögt hören, daß Alles, Euerm Wunsch gemäß und in strengstem Geheimniß ausgerichtet worden.« Die Gemeldeten erschienen, und der Stadthauptmann fragte den Schultheiß, ob es ihm gefällig wäre, zu vernehmen, was der Rottmeister Sebald erzählen werde. »Ich habe ihn,« sprach er, »als einen geschickten Mann auserwählt, mit zehn laufenden Söldnern den Zug nach dem Bannsteine von Bergen, das Sprünglin genannt, zu verrichten, und er ist gestern um die neunte Stunde der Nacht von dannen gegangen, und heute, als die Thoren wieder geöffnet wurden, hereingekommen.« – Der Schultheiß gebot dem Rottmeister kund zu thun, was ihm und seinen Leuten begegnet sey, und getreulich begann dieser Folgendes zu berichten: »Wie der edle Hauptmann Euch eröffnet,« sagte er, »so bin ich mit meinem Häuflein von dannen gezogen, da es gerade neun Uhr am Abend seyn mochte, und das Wetter drohte, nicht das Allerbeste zu werden. Deshalb ließ ich meinen Bieber frisch drauf los treten, und wir waren auf Feld- und Hohlwegen in die Gemarkung von Bergen gelangt, ehe wir es nur merkten, und kehrten ein in dem einzelnen Gehöft, das man gewöhnlich im Tannicht nennt. Versteckter hätten [362] wir allerdings in der Martenschenke gelegen, die am Sandgübel steht, und wo man gemeiniglich bessern Trunk erhält, obschon nicht immer die besten Kunden sich da zusammen finden. Aber vom Tannicht aus hatten wir den Sprünglinstein, so zu sagen im Gesichte, wenn man also reden darf in der Nacht um die zehnte Stunde, wo der Mond gerade ausgegangen war, und es stockdunkel wurde, daß man die Hand nicht vor Augen sehen konnte, geschweige das Sprünglin, das vierhundert Gänge weit vom Tannicht liegt. Ferner ist zu merken, daß in der Martenschenke es nicht geheuer ist, und um dieselbe am Moor Gespenster zu gehen pflegen, die auch den herzhaftesten Kriegsknecht erschrecken können. Denn wie Ew. Gestrenger weiß, so ist dorten die Abdeckerei gestanden, und des Marten's Großvater ist selbst 'mal Stöcker gewesen.« – »Du wirst allzuweitläuftig, Freund;« versicherte der Schultheiß gähnend: »Spute Dich. Wir haben noch mehr zu verrichten, als Dich anzuhören.« – Der Rottmeister machte ein verdrüßlich Gesicht, verschluckte aber den Ärger: und fuhr rascher fort: »Wie Ihr befehlt. Kurz, wir steckten im Tannicht, und ein Knecht stand unfern vom Bannsteine auf der Wacht und Lauer. Die eilfte Stunde kam heran, und wir alle waren noch recht wohl nüchtern, als der Wächter in das Gehöft sprang, und meldete: es sey gerade jetzo von Bergen her ein Mann zu Gaule gezogen, der am Sprünglin abgesessen sey, und dabei lustwandle, trotz dem aufziehenden Wetter und dem Sturme, der [363] sich zu erheben begann.« – »Paßt auf,« sagte ich: »Paßt auf. Das wird unser Mann seyn. Jetzt reibt die Ohren rechtschaffen, damit Ihr mein erstes Wort versteht.« – Denn, beiläufig zu bemerken, ich hatte, sintemal mir das Geheimniß auf die Seele gebunden gewesen, noch bis jetzo keinem von den Leuten gesagt, was eigentlich hier im Schilde geführt würde. Wir demnach hinaus, und umzingeln fein leise den Platz, und schleichen uns näher um den verdächtigen Mann heran, und sehen, daß er, den Gaul am Zügel mit ihm hin und her geht, als ob's im schönsten Sonnenschein wäre, und er hätte einen guten Freund am Arme. Da ist uns schier schauerlich geworden, allen sammt und gar, und haben uns in der Ferne zusammengethan, und mit einander gewispert, und etliche von uns haben gemeint, der Mann möchte am Ende wohl nicht ein Mann von Fleisch und Bein seyn, sondern ein Verstorbner, der zur Nachtzeit mit Sporn und Gaul herausmüsse aus dem Grabe, um Wacht zu halten bis um Zwölfe. Ich habe den Burschen jedoch die Ammenfurcht verwiesen, und zumal, da ich vernahm, wie der Fremde vernehmlich nießte, was ein Gespenst nicht thut, so machte ich mich auf, und ging wieder leise an ihn heran. Da wurde es mir bald klar, daß er ein rechter Mensch sey, denn er fluchte recht verständlich: »Gott verdamme das vertrackte Zögern, und den vermaledeiten Regen!« – Ein guter Geist redet nicht von der Verdammniß, ein Böser nicht von dem lieben Herrgott, und aus dem bischen Regen machen [364] sie sich Beide nichts; also war der Mann ein rechter Mann, und ich ging strack und beherzt auf ihn zu. Er saß just auf dem Bannsteine, den Zügel seines Gauls um den Arm, und in seinem Gesichte konnt' ich nichts erkennen, als eine große Nase und einen Schnauzbart. Er fuhr in die Höhe, da er mich endlich gewahrte, und antwortete auf mein barsches: »Wer da?« mit einem drohenden: »Der Teufel, Kerl, wenn Du Dich nicht packst!« – Er machte eine sehr auffallende Bewegung, und ich denke, er hätte nach mir geschlagen, hätte ich nicht die Hellebarde blitzen lassen, und gesagt: »er solle ja das Schlagen unterlassen, denn ich sey Rottmeister der edeln Stadt Frankfurt, und ein Rudel meiner Knechte, sey nicht fern.« Da besann er sich freilich, setzte sich wieder auf den Bannstein, und fragte was wir von ihm zu begehren hätten. Ich sagte ihm nun für's Erste fein höflich, um keinen Verstoß zu machen, er möchte mir melden, was er um diese Stunde hier zu schaffen habe. – »Ich treibe Sternguckerei,« antwortete er, und sah steif und fest nach dem Himmel, auf welchem wohl zu merken, Wetterwolken genug zu schauen waren, aber um tausend Goldgulden kein Stern. Da ich ihm dieses nun bemerkte, so lachte er laut auf, und sagte: »Wann Ihr blind seyd, kümmerts mich nicht. Ich sehe einen Wald von Sternen, und laßt mich jetzt ungeschoren.« Es versteht sich, daß ich ging, denn mir war nicht aufgetragen, Einem zu verwehren, sich am Sprünglin nach Sternen umzusehen. Doch schickte ich nach einer Weile [365] einen Knecht an ihn mit derselben Frage, die ich gethan, und demselben erwiederte er, »er sey um frische Luft zu schöpfen, vom Hanauer Schloß herübergeritten; und bedrohte den Frager mit einer Tracht Prügel, wenn er noch einmal käme.« Dieser kam auch nicht wieder, aber ich schickte einen Zweiten, welchem der Nachtwandler den Bescheid gab: »Er warte hier auf seine Maid, die ihm ein Minnestündlein versprochen habe.« Zugleich aber fing er an, dem Knechte die Tracht Prügel zu geben, die er dem Andern versprochen hatte. Ich traute nicht, mich darein zu mischen, weil mir in den Kopf gekommen war, der Mann möchte wohl einer von den jungen Herren von Hanau seyn, die ihrer verliebten Schwänke wegen in der ganzen Wetterau bekannt sind, und mit denen einen Span zu haben, nicht gut ist. Zudem blitzte und donnerte es redlich um uns her, und es war gerathener, im Gesträuch zu liegen und zu passen. Während sich nun die beiden am Bannsteine prügelten, und ich vergebens dem Bastian pfiff und rief, umzukehren, so kömmt schnell durch das Gebüsch geraschelt, ein Weib im Regenmantel und Regentuch, und prallt zurück, da sie beim Blitzschein uns erblickt. Ich, nicht faul, packe sie am Gewand, und frage, wer sie ist. Sie hat mir kauderwälsch darauf geantwortet, und da sie in der That ein Weibsbild, und mir nicht befohlen war, am Sprünglin eine Frau zu fahen; ... da mir auch der Zusammenhang der Historie klar wurde, so fragte ich sie schlau und pfiffig, ob sie nicht ein Ständlein am [366] Sprünglin zu besuchen, im Begriff stehe, und auf ihre Bejahung ließ ich sie zum Bannsteine führen, und sagte zu dem Reiter, der den Knecht noch immer an den Ohren hatte: er möchte doch einmal aufhören, denn hier sey ja das Weib, das er erwarte. Drauf ließ er den Bastian los, und besah sich die Frau von oben bis unten, und, da mir nicht befohlen war, ein Paar Liebesleute am Sprünglin zu stören, so ließ ich meine Leute wieder unter die Bäume kehren, wo mir der scheltende Bastian vertraute, er wolle sich henken lassen, wenn der, mit dem er sich gerauft, nicht der Leuenberger gewesen. Das war dann nun verdächtig; denn der Leuenberger ist im Stadtbann, und auf ihn hatte ich absonderliche Weisung. Darum rasch mit gefälltem Spieß gegen das Sprünglin zurück im hellen Haufen, und wir sahen, weil der Himmel von allen Seiten flammte, wie der Mann und das Weib noch auf der Matte standen, und die Frau sich geberdete, als wolle sie verzweifeln. Was sie aber sprachen, hörten wir vor Donner und Getöse nicht, sondern schrien wie aus einem Halse: »Gib Dich, Leuenberger! Gib Dich!« – Wie wir jedoch also auf ihn anrückten, und er Unrath merkt, so nimmt er das Weib auf den Arm, springt mit ihr und dem Gaule über einen Graben in ein Gerstenfeld, und ruft uns zu: »Zurück, Ihr Schufte, – mit Verlaub vor Ew. Gestrengen – zurück, denn hier ist des Grafen von Katzenelnbogen Mark und Eigenthum, und er brennt die Stadt nieder, so Ihr sein Gebiet verletzt.« – Da half dann nun freilich nichts: [367] »Mit dem Grafen ist nicht zu spassen, und da wir nur für das Sprünglin Auftrag hatten, und es hier offenbar nur einem Liebeshandel galt, so blieben wir zurück, absonderlich, da uns ein wahres Mordgeschrei vom Tannicht her, zu Ohren kam. Wie das wüthende Heer, trotz Blitz und Sturm jagen wir zurück und fallen gerade in ein Gemetzel, das zwei verkappte und bewehrte Buben an einigen Leuten verüben wollen, die mit Leuchte und Haue und einem Pfaffen von Bergen gekommen waren, um beim Tannicht nach Schätzen zu graben. Hier war unsere Hülfe nöthig, und wir schlugen auf die Räuber los, wie die Bären, ohne daß sie recht verwußten, woher das neue Wetter kam. Der Eine wollte just dem Pfaffen an die Kehle, weil er Geld bei sich trug; der Andere balgte sich mit den beiden andern Leuten herum. Den Ersten rannte ein Lanzenstoß, wie ich glaube, nieder, und dem Zweiten spaltete der Bastian, den der Leuenberger böse gemacht hatte, mit der Hellebarde den Kopf, daß er niederschlug, als hätte er nie gestanden. Zum Unglück verlöschte plötzlich im gewaltigsten Platzregen die schwache Leuchte, und wir sahen unter einander herumschlagend beim nächsten Blitze nur, daß wir in Gefahr waren, uns selbst und gegenseitig todt zu machen. Der Teufel mochte es länger im Freien aushalten. Es wetterte nieder, wie eine Sündfluth, und wir, wie die Leute von Bergen kamen wie gebadet in dem Gehöfte zum Tannicht an. Das Höllengestürme hörte indessen bald auf, und wir suchten nachher in allen Richtungen auf [368] dem Platze nach, aber keine Spur von den Erschlagenen war zu finden, und sicher hat sie der Teufel während des fürchterlichen Donnerschlags geholt, der uns sammt und sonders unter Dach trieb. Nicht einmal ein Saum von Blut war mehr auf dem Boden zu schauen. Der Regen hatte Alles abgespült. Während wir nun lange Zeit suchten und lugten, so sah Einer vor uns, wie von fern ein Brand aufging, und da wir drauf los eilten, so kamen wir gerade an die Martenschenke, die lichterloh brannte, dergestalt, daß sich keiner von uns hinein wagte. Entweder war die Hütte ganz verlassen, oder alle Leute waren darin umgekommen, denn es war nichts zu hören als das Jauchen der Flamme, und das Geprassel der Balken. Von dannen kehrten wir zur Stadt zurück.« – »Und habt bewiesen, daß Ihr trunkne Mannen gewesen, die man in der Folge zum Ochsentreiben, aber nicht zum Spitzbubenfang aussenden wird;« versetzte der Schultheiß mit erkünstelter Strenge, obschon es ihn ergötzte, daß Diethers Hoffnung auf ein günstigeres Ergebniß getäuscht worden war: »Ihr, Hauptmann, hättet besser daran gethan, einen verständigern Gesellen zum Führer zu wählen, als diesen breitmäuligen Erzähler, den der rohe Witz eines Gaudiebs dergestalt überlisten konnte. Mir thut es leid,« – fügte er aufstehend, und gegen Diether gewendet, hinzu, – »daß Ihr um nichts gelehrter seyd, nach diesem Zuge, und lade Euch ein, von diesem Handel abzubrechen, da ich Leute nahen sehe, die unsre Aufmerksamkeit anderweitig in Anspruch nehmen werden.« – [369] »Sogleich;« entgegnete Diether finster grollend: »Was ist aber aus dem Leuenberger geworden, und dem Weibe, das zu ihm sich gefunden?« – »Traun, lieber Herr,« antwortete der Rottmeister verdutzt: »Das mögen die Beiden am Besten wissen. Hat sie nicht der Blitz erschlagen, werden sie wohl mit heiler Haut davon gekommen seyn.« – »Dummkopf!« murrte Diether dem Fortgehenden nach, und sprach dann vor sich hin: »Bleibt mir denn eine Wahl der Gedanken und Vermuthungen? Margarethe war das Weib ... und ihr bös Gewissen hat sie von mir gejagt. O, ich stehe allein unter entmenschten Geschöpfen, gezwungen zu hassen, die ich liebe, ein verlassener, betrogener, mißhandelter Greis!« –

»Macht Euch auf Weiteres noch gefaßt;« sprach der Oberstrichter sanft zu ihm, und Diether gewahrte beim Aufschauen das Gemach von Leuten angefüllt, in deren Kreise sich zu finden er sehr betroffen war. Da waren eingetreten, außer dem Richter in der Amtstracht, der Barfüßermönch Reinhold, der Predigermönch Johannes, berühmt durch seine Gelehrsamkeit und seines herrlichen Gemüths Vorzüge, der Edelknecht Gerhard von Hülshofen, welcher, blaß und abgefallen, kaum mehr zu erkennen war; und im Hintergrunde verweilten noch zwei langbärtige, schattenähnliche Gestalten, Jochai und sein Sohn David. Frei ging der hundertjährige Vater einher, aber schwere Ketten belasteten die Hände des Sohns, dessen Blick indessen furchtlos war, obschon die Glieder bebten, vor Schwäche theils, theils vor Angst. Ganz [370] zuletzt bemerkte Herr Diether an der Hand des Bettelmönchs einen Knaben, seinen Sohn. – »Hochwürdiger Herr,« sprach er bestürzt zu Reinhold: »wie kommt der Knabe hieher, und was soll er in dieser Versammlung?« – »Ihr werdet's sehen,« antwortete der Mönch mit finsterm Blick, und auch der Predigermönch schwieg mit mißbilligenden Mienen, da der Schöffe an ihn sich wandte. Der Knabe schien an des Beichtvaters Hand nicht furchtsam zu seyn; aber den Hülshofen betrachtete er mit aufmerksamem Gesichte und unverwandt. – Nachdem der Knecht die Thüre verschlossen hatte, vor dem Andrange des Volks, das in dem Wahne stand, die Juden müßten heute zum Flammentode verdammt werden, begann der Oberstrichter, nachdem er Platz genommen, und dem Schultheiß, dem Schöffen und den Ordensmännern Sitze angeboten, mit feierlichem Tone: »Es sind oft Dinge vor den Schranken des peinlichen Rechts anhängig, die es nöthig machen, daß man abgehe von der Weise des Herkommens und der geschriebenen Satzungen. So haben wir denn beschlossen, heut, anstatt des geheimen und stillen Verhörs der angeklagten Juden, wobei dieselben doch immer auf ihrem Läugnen beharren würden, ein offen Verhör anzustellen, wobei alle diejenigen erscheinen mochten, die schon in der Klage verwickelt sind, oder zur Aufklärung des Geheimnisses Theil daran zu nehmen wünschen. Jochai und David sind angeklagt auf Haut und Haar, ein Christenkind gemartert und ermordet zu haben. Der Edelknecht von Hülshofen ist mit reuigem [371] Muthe geständig, einen Knaben an den Juden David verkauft zu haben, um wenige Turnosen; doch läugnete es der Jude ab, und sollte heute, nach langen leeren Drohungen wirklich auf die Folter gesetzt werden, als sich gestern plötzlich ein Umstand ergeben, der die Sache verwickelter, die Klage trügerisch, und dennoch den Gegenbeweis nicht leichter macht. Der Junker von Hülshofen hat auf seinen Eid geschworen, in diesem Knaben den erkannt zu haben, welchen er am Tage nach dem des heiligen Martin im verwichnen Jahre an den Juden David verhandelt hat. Dieser Knabe ist Herrn Diether Frosch, des Schöffen Söhnlein, oder wird dafür gehalten. Um in's Klare zu kommen, soll der Kleine in seines Vaters Gegenwart befragt werden.« – Mit vieler Milde richtete der Oberstrichter viele Fragen an den Knaben, die er in seiner Einfalt und kindlichen Erinnerung so beantwortete, daß kein Zweifel übrig blieb, daß er es wirklich gewesen, welchen Gerhard gefunden. – »Mit Verlaub, gestrenge Herren,« betheuerte der Edelknecht nach ergangner Aufforderung: »der Henker soll mein Wappen unterm Galgen zerbrechen, wenn das nicht der Bube ist, von dem ich sprach. Nicht wahr, mein Junge? In meinem Mantel hast Du geruht, ... vor meinem Barte bist Du erschrocken, ... Malvasier hast Du bei mir gekostet, und mit dem schäbigen Juden dort, dem zerfetzten Haman, bist Du gegangen? Sag's frisch heraus, und Ihr, meine Herren, könnt Ihr noch an der Wahrheit deuteln, da der Bube bejaht? Glühte [372] ich nicht wie die lustige Sommersonne mitten im November zu Worms? und bin ich nicht jetzo von Kummer, Reue, betrübter Haft und schmaler Kost ein rechtes Charfreitaggesicht geworden? Und dennoch kennt mich der Bube, und entsinnt sich meiner. Nicht wahr, mein kleiner Hans?« – Der Knabe bekräftigte so gut er's vermochte, des Edelknechts Behauptung, und Diether's funkelnde Augen zeugten von einer ungewöhnlichen Sehnsucht, auf den Grund dieser Verwirrung zu kommen. Gerhard suchte von dem Augenblicke Nutzen zu ziehen, und sagte demüthig: »Nun, Ihr Herren, wäre ich im Reinen. Reu und Leid thue ich von Herzen, und will auch die Armen reichlich bedenken, so ihr mich von hinnen laßt. Ihr seht, der Bube ist ein Christenbube geblieben und in reiche Sippschaft gerathen. Ich wasche meine Hände in Unschuld. Der verdammte Jude, der von meiner Trübsal Nutzen zog, mag es entgelten. Spart nur die Folter nicht an dem Hunde, bis er bekennt, was er mit dem Knaben vorgenommen, bis er ihn so weit gebracht. Mich jedoch laßt ziehen mit Verlaub.« – Ein ernster Blick des Schultheißen brachte mit einemmale den Schwätzer zum Schweigen, und der aufgerufene Jochai bezeugte mit zitternder Stimme: »Dieser sey wirklich der Knabe, den einst David in sein Haus gebracht, aber auch wieder von dannen geschafft habe, ohne zu sagen, wohin.«

Ben David trat nach ihm vor, und sagte bescheiden und ruhig: »Mir soll Gott helfen ... Das ist das Jüngelchen, leibhaftig, und ich will nicht läugnen [373] fürder.« – »Aber bei den Wunden des Herrn!« fuhr Diether auf: »wie verwickelt sich denn plötzlich meines Hauses Ehre mit diesem ekelhaften Judengesindel? Was ist da vorgegangen? Wer ist der Knabe? Ist dieser Bube mein Sohn ... ist er's nicht? Rede, verruchter Menschenkäufer!« – Der Schultheiß lächelte tückisch, und hing mit den Blicken an Ben David's Antlitz, welcher sich ruhig neigte und laut erwiederte: »Bei der Hoffnung Israels! Euer Sohn ist's, Herr; Ihr mögt's glauben!« – »Gelobt sey doch der Herr, unser Gott, und gepriesen, daß er endlich aufgethan den Mund des Stummen!« betete Jochai aus dem Grunde seines Herzens, und umarmte den Sohn, welcher die weitern Fragen des Richters, wie des Schöffen erwartete. – »Aber, ... bei den Märtyrern!« begann der Letztere mit unruhig pochender Brust: ... »ist der Bube mein ... wie kam er nach Worms, wie in Deine Hände, Jude? Hast Du begonnen, die Wahrheit zu reden, so vollende auch, oder bekenne, daß Du in diesem Augenblicke gelogen. An Deinen Worten hängt Schuld oder Unschuld meines Eheweibes.« – »Das Frau Margarethe rein in dieser Sache war, wie der Abendstern, bekräftige ich mit meinem priesterlichen Worte;« entgegnete Reinhold wichtig und vernehmlich, ohne sich durch des Schultheißen drohendes Antlitz ausser Fassung bringen zu lassen: »es ist an der Zeit, daß Ihr endlich von Euern verderblichen Irrthümern wiederkehrt zum Vertrauen, Herr Diether. Gerade nicht die, die Ihr haßt, wollte Euern Gram und Verderben, [374] sondern die, die Ihr unverdient geliebt. Es thut mir weh, daß ich hier das Vergehen einer unnatürlichen Tochter aufzudecken habe; allein ich rede vor Männern, und die Wahrheit soll man sagen ohne Menschenfurcht. Eure Tochter Wallrade, von Haß entbrannt gegen eine Stiefmutter, die ihr Erbe und Vaterliebe zu schmälern schien, hat Euer Kind aus Willhild's, der Pflegerin Hütte gestohlen, und mit sich gen Worms geführt auf ihrer Fahrt gen Costnitz. Dort hat sie den Knaben ausgesetzt dem Mangel und der Hülflosigkeit, ihn schlafend auf der Straße verlassen. Gott wollte, daß dieser Mann das Kind finden mußte, und sich dessen annahm, und der Jude, der den wohlbekannten Sohn einer Frau, die ihn im Handel günstig stets bedacht hatte, in dem Buben entdeckte, säumte nicht, ihn zu erkaufen, und der zum Tod betrübten Mutter heimzubringen. Zu den Füßen derselben hatte sich indessen die trostlose Willhild geworfen, und sie angefleht, ihre Sorglosigkeit nicht dem Zorne des Vaters Preis zu geben. Um der Verzweifelnden zu schonen, und des Vaters Herz nicht zu brechen, schwieg die barmherzige Mutter, und verbarg ihren Gram in sich. Allein ihr Gebet war eifrig, und blieb nicht unerhört. Aus den Händen eines verworfenen Hebräers ließ er für Euer Haus das Heil erwachsen, und den Knaben wieder hervorgehen. Und als endlich durch Wallradens Erscheinen im Vaterhause der leise genährte Verdacht, daß sie des Knaben Räuberin gewesen, bestätigt wurde durch ihr Erschrecken bei seinem unverhofften Anblick, [375] durch des Kindes Sträuben gegen sie, die ihn mißhandelt hatte, und durch dessen eigne kindliche Geständnisse, ... da zeigte sich dafür die Tugend Margarethens in ihrem schönsten Lichte. Sie verbot der eifrigen Willhild, die Euch, edler Schöffe, in's Geheimniß ziehen wollte, jede Einmischung: sie verzieh großmüthig der bittenden Feindin nach den Worten des Heilands: ›Segnet, die Euch fluchen! thuet denen Liebes, die Euch Böses gethan!‹ – Sie schwieg um nicht des Vaters Herz von der Tochter zu reißen, und ahnte nicht, daß der unseligste Argwohn so bald ihren Frieden trüben würde. Verkannt duldete sie jede Kränkung und schwieg, und floh lieber das Haus ihres Eheherrn, um nicht vor den Schranken des Gerichts eine Tochter anklagen zu müssen, die sie lieben möchte. Da aber nun plötzlich die Dinge und der böse Handel dieser Juden eine solche bedauerliche Wendung nehmen, und das ehrliche Haus eines wackern Altbürgers mit in den Strudel der Verworfenheit hinab zu reißen drohten, konnte und mochte ich nicht länger schweigen, und entdecke, um die Abwesende zu vertheidigen, lieber frei und offen, was sie mir, nicht unter dem Siegel der Beichte, wohl aber im engsten Vertrauen längst geoffenbart.«

Der Mönch hielt inne mit seiner Rede, die er mit stürmischem Eifer vorgetragen hatte, und alle Anwesende schwiegen eine Weile. Diether sah starr auf den Knaben, der sich an die grobe Kutte des Mönchs schmiegte, der Oberstrichter kaute an den [376] Nägeln, der Schultheiß lehnte sich mit vornehmer Geberde, ein ungläubiges Lächeln auf dem Antlitze, in den Sessel zurück. – »Und was sagst Du, Jude?« fragte der Oberstrichter endlich den harrenden Ben David. Dieser zuckte die Achseln, und entgegnete: »Was fragt Ihr doch nach meinem Gezeugnisse, gestrenger Herr, da schon der gelehrte und heilige Mann dort gezeugt hat, und geredet? Ich bin nur ein schlechter Jud; aber auch unsre Leute glauben alle an die vom Stamme Levi.« – »Welche Widersprüche!« rief der Schultheiß: »Mit Erlaubniß, hochwürdiger Herr; allein wie mag's geschehen, daß der Jude geschwiegen bis jetzt?« – »Das möge er selbst verantworten;« versetzte Reinhold mit scharfem Seitenblicke auf Ben David. Der Letztere nahm auch alsobald das Wort: »Ich habe gehandelt recht, da ich den Buben zurückgab der Mutter, und das Recht ist ein gut Kopfkissen im Thurme sogar. Ich habe auch immer gehofft, wir würden seyn gerettet durch der ehrsamen Frau Margarethe Beistand, und nicht verlassen hätte uns diese Zuversicht bis zum Ende. Darum habe ich nicht genannt ihren Namen vor dem Gericht, weil ein edler Name nicht gehört davor.« – »Schurke!« murmelte Gerhard zwischen den Zähnen: »ich wollte, mein Name wäre auch hier nicht genannt worden.« – »Ihr habt freilich nicht am Vortheilhaftesten Euch ausgezeichnet,« meinte der Oberstrichter: »allein ohne Euer Zeugniß wäre das Ganze nicht enthüllt worden, denn niemand, auch Frau Margarethe nicht, konnte ahnen, daß von diesem [377] Knaben gerade die Rede sey, in der Anklage gegen die Juden. Aber, erklärt uns lieber, Junker voll Hülshofen, wie es wohl geschehen seyn mag, daß der Sohn des ehrsamen Schöffen, der junge Dagobert, den kleinen Stiefbruder nicht erkannte, da er doch bei dem Funde gegenwärtig gewesen, wie Ihr behauptet habt.« – »Ei Herr,« antwortete Gerhard, begierig, sich so schnell als möglich aus dem Handel zu wickeln, der einen überraschend guten Ausgang für ihn darzubieten schien: »das geschah am Martinsabend, wo wir alle nicht recht im Stande gewesen wären, unsre Väter und Mütter zu erkennen, geschweige denn unsre Brüder. Daß der Jude den Buben erkannte, – am folgenden Tag nemlich, – das glaube ich recht gern; er war betroffen; aber die Hoffnung, Gewinn zu ziehen, machte ihn schweigen, damit ich ihm nicht etwa zuvorkäme; ich begreife das.« –

»Der Herr weiß, wie wir handeln;« fügte Ben David schlau lächelnd bei. – »Mich ergötzt es ungemein,« hob hier der Predigermönch Johannes an, der bis jetzt keine Sylbe zu dem Gespräch gegeben hatte, »daß durch des Junkers Aussage mein guter Dagobert von jeder Mitwissenschaft an dem dunkeln Gewebe dieses seltnen Menschenkaufs freigesprochen wird. Mich hat es tief betrübt, da ich hörte, daß auch in dieser gräulichen Judensache meines Zöglings Name vorgekommen. Ein teuflischer Unhold scheint sich seit kurzer Frist Mühe gegeben zu haben, alles Unheil über dem Haupte Dagoberts, des Schuldlosesten [378] aller Menschen, zusammenzublasen, und sein eigner Vater sogar hat an die Lügen der Leidenschaft und des Zufalls geglaubt. Deßhalb habe ich mich aufgemacht von meiner Zelle, um hier ein Wort der Sühne für den Zögling zu sprechen, der – abwesend – nicht selbst seine Sache zu führen vermag; denn ich kenne sein Herz, – ich habe es gebildet; ich darf – ich kann – ich muß mich für ihn verbürgen.« – Reinhold schaute, während Diether vor der Hoheit des beredten Priesters die Augen niederschlug, den Mann eines verhaßten Ordens, scharf von der Seite an, und sprach: »Das mögt Ihr allerdings, gelehrter Herr; allein laßt uns im Geleise bleiben. Dagobert findet seinen Richter in und außer sich. Hier handelt sich's jedoch um andre Dinge: um dieses Knaben Wohlfahrt, um die Unschuld seiner Mutter.« – »Rede, Hans!« hob nun mit einem tiefen Athemzuge Diether an, und nahm den Buben freundlich bei der Hand: »Sage uns selbst, mit eignem Munde, wer Dich davon geführt hat, von Willhild.« – Der Knabe sah ihn fragend an. – »Wer verließ Dich zu Worms?« fügte der Oberstrichter bei. – »Ei, die schwarze Mutter!« antwortete das Kind: »sie hat mich erbärmlich geschlagen, und dann auf der Gasse liegen lassen, da ich schlief. Der Mann hier hat mich darauf zu sich genommen.« – »Ganz recht, Knabe;« versetzte Reinhold: »wer ist aber die, die Du eine schwarze Mutter nennst?« – »Schwester Wallrade ist's,« entgegnete Hans nach kurzem Besinnen: »Da sie wieder kam und mich küssen wollte,[379] hatte sie ein roth Röcklein an; ich habe sie aber doch wieder erkannt.«

»Wer ist Dein Vater, Knabe?« – fragte der Schultheiß plötzlich und scharf. Der Knabe stutzte ob der heftigen Anrede; aber ein ermunternder Händedruck des Paters an seiner Seite gab ihm Muth, und er deutete scheu und verzagt auf Diether. – Also ist die Gewalt eines liebevollen Herzens, das gleichsam wider Willen von Groll umsponnen wurde, daß der geringste Anlaß den Geist der Liebe wieder darinnen mächtig weckt. Diether erfuhr es in diesem Augenblicke. Die scheue, – man möchte sagen – sclavische Geberde des Kleinen gewann ihm plötzlich die Zärtlichkeit des Alten, weil es demselben schmeichelte, dadurch vor der Welt sein Recht, das er selbst beinahe im Argwohn aufgegeben, behauptet zu sehen. Er zog den Buben an seine Brust, küßte ihn, und rief: »Ja, ja, du armer kleiner Hans! Du sollst den Vater nicht länger missen. Bitte nur den Himmel, daß er völliges Licht in diese Wildniß von Zweifeln sende.« – »Das ist Dein Vater also;« fiel der Schultheiß ein, welcher gar zu gerne den Knaben auf einem Fehlwort ertappt hätte: »Wer aber ist Dagobert?« ... »Mein lieber Bruder!« erwiederte Hans vergnügt und munter. – »Und Frau Margarethe? ...« fuhr der Versucher fort. – »Mein liebes, liebes Mütterlein!« hieß die unbefangene Antwort, und der Schultheiß sprang auf mit den Worten: »In Gottes Namen denn! Selig sind die da glauben, und nicht sehen!« Diether sah gehässig [380] auf den Unmuthigen, der zum Fenster trat, und wandte sich dann zu dem Oberstrichter und den geistlichen Herren. »Gewisse Vorfälle,« sprach er, »die sich während meiner Tochter Anwesenheit zwischen ihr und dem Knaben ereignet, so wie die Aussagen des Kleinen bestimmen mich schier, an die Gewißheit der Aufklärung, die Ihr gegeben, würdiger Pater Reinhold, zu glauben. Ich danke Euch auch mit zerknirschtem Herzen dafür, denn ich beginne mein Unrecht einzusehen, und verzeihe sowohl dem Junker von Hülshofen, als auch dem elenden Juden hier, daß sie mit meinem Blute einen Handel getrieben. In diesem Augenblicke schmerzt mich nichts mehr, als daß meine Wirthin einen Schritt gethan, der ihr nicht erlaubt, selbst hier das Gesagte zu bekräftigen. Willhild, welche um die Sache vollkommen wissen muß, hat sich am zweiten Tage nach Wallradens unbegreiflichem Raube, auf eine weite Wallfahrt begeben, und ich habe nichts von ihr gehört; allein Wallradens Zofe, unstreitig eine Vertraute des Frevels, ist in diesen Mauern, und sie ist es, die Ihr gefangen haltet, Herr Schultheiß, weil sie das Unglück hatte, von Euern Häschern für eine Andre gehalten zu werden.« – »Weder ein Unglück für sie,« entgegnete der Ritter stolz, »noch eine Sünde von mir. Der Oberstrichter hat über die Magd sammt ihrem Kinde zu verfügen, und wird sich nicht weigern, sie vorführen zu lassen.«

Der Oberstrichter zog die Schelle, und befahl, die Magd aus dem Gefängnisse zu holen. Während [381] nun Diether mit dem Bettelmönche und seinem Buben in freundlicherm Gespräche verkehrte, der Predigermönch von dem von Hülshofen sich den Hergang des Abenteuers zu Worms berichten ließ, und der Schultheiß voll stillen Grimms die Fensterscheiben einsam und verdrossen zählte, nahten sich die beiden Juden dem Oberstrichter ehrfurchtsvoll, und küßten den Saum seines Gewandes, und Jochai hob an: »Gestrenger Herr! Großer Richter über uns. Die Zeit hat angefangen zu werden gut, nachdem sie lange ist gewesen böse. Werdet auch Ihr gut wie die Zeit, und haßt nicht meinen Sohn, und haltet ihn nicht länger wie einen Mörder, denn er ist ja keiner, und ihm wird einst seyn das Paradies der Gerechten, und auf seinem Andenken Friede. Ihr habt mich gewürdigt einer großen Barmherzigkeit, für die Euch des gepriesenen Gottes Herrlichkeit wird segnen mit vielen Gütern und vielen Jahren in der Zeitlichkeit; denn Ihr habt seit geraumer Frist geschont mein weißes Haar, gespeist meinen Leib, und das Öl der Gnade gegossen in die Wundmale, die ich an mir trug von den Ketten der Gefangenschaft. Laßt Ausgehen diese Barmherzigkeit nicht minder über meinen Einzigen, weil er auch schuldlos ist, damit er nicht verkümmre und verkrumme im Elend.« – »Was soll das Gewäsch?« fuhr der Oberstrichter mit Härte auf: »Soll ich ihn auf Teppiche betten, und in Prunkgemächern wandeln lassen? Mit Deinem Alter hatte ich Mitleid, und weil ....« der Oberstrichter verschluckte was er sagen wollte. Kurz darauf fuhr [382] er indessen mit der obigen Härte fort: »Ein für allemal, Ihr seyd ein zudringliches Volk. Reicht man Euch den Zaum, wollt Ihr gleich das Pferd nicht minder. Was wollt Ihr denn? Ihr seyd nicht gerechtfertigt, nicht frei. Eine Anklage wie die Eurige auf Haut und Haar wird nicht aus der Luft gegriffen seyn. Einen Buben mögt Ihr verkauft, einen andern gemartert haben, und Euer Antheil an der Blutzapfer entsetzlichem Gräuel, ist unläugbar. Gesteht darum lieber, denn der Folter werdet ihr nicht entgehen, ich schwöre es Euch.« – »Peinigt uns doch nicht!« bat Ben David: »Mein Vater ist rein wie der Schnee, und ich nicht weniger schuldlos an den Gräßlichkeiten, die man mir aufgebürdet. Aber wir würden beide bekennen das, was nie geschehen, unter den Martern der Folter. Sollen wir denn verwirken das Leben durch ein gezwungen falsches Geständniß?« – »Ausflüchte,« schalt der Oberstrichter: »Schon zu lange hat die Untersuchung gedauert, und der Rath zürnt meiner zögernden Nachsicht. Es muß zu Ende gehen; so oder so. Die Kerker liegen voll. Wir haben Eile.« – »Ei, ehrsamer Herr,« sprach hierauf der Predigermönch, der sich in das Gespräch mischte: »Frommt denn die Eile im Blut- und Königszwang? Gibt es denn Fürchterlicheres als einen Richterstuhl, vor welchem die Sandkörner ängstlich gezählt werden, weil das Urtheil nach dem Falle einer gewissen Zahl derselben gefällt werden muß? – O, mein edler Herr! Gedenkt der traurigen Geschichte die sich beim Halsgericht zu [383] Friedberg ereignet hat. Ein Jude war auch dort der Angeschuldigte, Zauberei mit einem Kinde getrieben zu haben, und während hier durch Gottes Zulassen die Wahrheit an den Tag kam, hatten die Friedberger dort bereits den Armen verbrannt.« – »Das geschah nicht minder mit der Zulassung des Herrn;« antwortete der Oberstrichter kalt: »Jedem das Seinige, hochwürdiger Herr. Ihr seid ein Held auf der Kanzel, wie an dem Arbeitstische; laßt mich auf dem Richterstuhle gewähren. Euch mag ein Sünder, der aus seiner Verstockheit zurückkehrt zum Heil, angenehmer seyn als tausend Gerechte, die nie gestrauchelt sind; denn die göttliche Milde spricht durch Euern Mund zu uns. Wir aber sind die Diener weltlicher Macht, und das Schwert ist in unsre Hand gegeben, – nicht, daß wir damit spielen, sondern daß wir es gebrauchen, und besser ist's, wenn zehn Unschuldige fallen, als daß ein Schuldiger aufrecht stehen bleibe.« – »Gräßlicher Grundsatz,« seufzte Johannes, während die Juden sich bekümmert ansahen: »Eine Vorschrift, die der heimlichen Acht würdig wäre, welche den Stab ohne Unterschied über jeden bricht, der einen feindlichen Kläger gefunden hat.« – »Wißt Ihr das so genau?« fragte der Oberstrichter mit feinem Lächeln: »Ein Glück ist's daß Euer Gewand Euch sicher stellt vor der Vehme, sonst möchtet Ihr doch ob solchen Reden Ungelegenheit erfahren. – Hier ist übrigens ein offen Gedinge, und über Zwang und Hinterlist dürfen sich die Beklagten nicht beschweren.« – »So laßt, um ehrlich [384] und redlich zu verfahren,« – fiel Johannes ein, – »zum Nutzen und Frommen dieser armen Leute, die, wenn gleich Verirrte und in bösem Wahne befangen, dennoch Menschen sind, jetzt alsobald, um wenigstens den Handel über diesen Knaben in Ordnung zu bringen, die Ankläger vorfordern und mit dem Kinde zusammenstellen, damit sie aussagen, ob es dasjenige wirklich sey, das damals in des Juden Haus erschien. Auf das Zeugniß der stummen Grete wäre noch am Ersten zu bauen, denn der getaufte Jude soll Zorn und Haß gegen seinen ehemaligen Meister hegen, und dieß macht seine Klage verdächtig.«

»Ei, das hebt sich auf;« antwortete der Oberstrichter: »diese Juden haben sich nicht entblödet, Abscheuliches von ihrem ehemaligen Glaubensbruder zu berichten. Die Magd, von der Ihr redet, ist während der Zeit gestorben, und Friedrich steht allein gegen die Juden, aber um so gewichtiger und bestimmter ist seine Klage, die durch ihre Umständlichkeit jeden Zweifel niederschlägt, und dann verdient sein Wort ein unbedingteres Vertrauen, weil ihn der Himmel so sichtbarlich erleuchtet hat durch seine Gnade, und er gleich und den Erlöser verehrt, den diese Hunde läugnen.« – »Ach!« seufzte der Mönch, mit einem Blicke der tiefsten Wehmuth auf die Unglücklichen, dieihre Augen niederschlugen zur Erde, um der bitternDehmüthigung nicht in die Augen zu schauen: »gestrenger Herr! Der Buchstabe nicht und nicht das Wort macht lebendig, denn beide sind nur ein leerer Schall, wenn sie der Geist nicht belebt. [385] Eben so wenig, guter Herr, als unsre Psalmen, an der Bahre eines Todten gesungen, wieder Athem hauchen in dessen Brust, – eben weil sie todt und starr ist, – eben so wenig wird im Glauben derjenige leben, welcher nie im Glauben wandelte. – Indessen« – setzte er mit einem leichten Übergange hinzu, – »will ich nicht an der Bekehrung dieser Beiden hier zweifeln, da der eifrige Vater Reinhold sein Werk mit ihnen begonnen, und schon die vorige Nacht im Kerker mit ihnen zugebracht.« –

Jochai schauderte zusammen bei dieser Vermuthung, und Ben David schüttelte unwillkührlich und fast unmerklich den Kopf. Indem ging die Thüre auf, und der abgeschickte Rathsknecht kam eilig herein, und gieng verstört auf den Oberstrichter zu, den er geschäftig auf die Seite zog. – Ben David bückte sich mittlerweile vor dem gelehrten Johannes, und küßte den Ärmel seines Gewandes, obgleich ihn Jochai von dieser, eines eifrigen Juden unwürdigen Handlung zurückzuhalten versuchte. »Ihr seyd ein Mensch;« – sprach er bewegt, mit nassen Augen: »Der hochgelobte Gott lohne Euch Euer mildes Mitleid, denn ihr geht einher, wie der Fürst der Barmherzigkeit. Euch sind wir keine Fremdlinge, wie unser Name uns nennt 1, und Ihr seyd es nicht für uns, weil Ihr achtet unser menschlich Angesicht, und versteht unsre Sprache; denn wir wissen gar wohl, daß Ihr das Buch Hiob entbunden habt aus den Ketten fremder Zunge, und es gelegt habt auf die [386] Lippen der Deutschen 2; und auch wir kennen den Mann aus dem Lande Uz, und auch über unserm Haupte hat geleuchtet die Leuchte des Herrn, und gleich ihm ist sie uns ausgegangen in der tiefen Finsterniß, wo wir denn hülflos tappen, wenn nicht eine Freundeshand uns führt, wie die Eure.« – Der Mönch wollte so eben die Lobrede des Juden unterbrechen, als der Oberstrichter mit lauter Stimme durch das Gemach rief: »Der Thürmer muß in's Wasserloch. Bei den Wunden des Heilands. Die Dirne entwischen zu lassen. Lieber Freund! Die Zofe des Fräuleins von Baldergrün, wie der ehrsame Schöffe hier die Dirne nennt, ist entsprungen samt ihrem Kinde. Ein neuer Beweis für des hochwürdigen Vaters Reinhold; die Magd hat dem Wetter nicht getraut, und das böse Gewissen hat ihre Fersen leicht gemacht.«

»So komm denn, mein Sohn!« sprach Diether zu dem Kleinen, den er liebreich auf den Arm nahm, indem er dem Pater Reinhold die Hand reichte: »Habt Dank, wackrer Mann, für Euern Zuspruch. Ich will alles aufbieten, die Verlorne wieder zu finden, und bewährt sich ihre Unschuld, wie Ihr sie verbürgt, so soll sie wieder die Meine seyn, wie ehedem.« – »Lieber Herr,« flüsterte Gerhard dem Lehrer Dagoberts zu: »Sprecht doch ein Wörtlein zu dem Richter, daß er mich mindestens in Stadtgewahrsam versetze. Ich will zur Stechlanze werden, wenn ich länger die verdammte einsame Haft aushalte.« [387] – »Sohn, Sohn,« sprach indessen Jochai schmerzlich zu Ben David: »Du wirst sehen, sie geben ihn los, der Schuld ist am ganzen Handel, und uns sperren sie ein in härtere Gefangenschaft.« –

Noch hatte Johannes keine Zeit gefunden, das erbetne gute Wort zum Oberstrichter zu reden, als der ganze Schauplatz mit einemmale eine andere Gestalt gewann. Denn wie Sturmes Brausen tobten Menschenstimmen und Menschentritte über die Gänge, und der Thürsteher meldete athemlos, daß ein Volksmeer das geräumige Haus überschwemme. An der Spitze der anstürmenden Haufen ziehe eine häßliche aber rüstige Dirne heran, über deren Haupt ein schwarzes Tuch herabhänge, und welche wie begeistert zu dem Volke rede, und dasselbe auffordere, unverzagt voran zu gehen. – Der Schultheiß, durch diese Nachricht seiner finstern Grillen enthoben, und seiner Würde zurückgegeben, ging vornehm und schnell dem tobenden Menschenstrudel entgegen, vor welchem so eben die mit Mühe von den Knechten zugehaltnen Flügelpforten des Gemachs aufgehen mußten. In die Stube quollen die ersten des Haufens; in ihrer Mitte Judith, aus deren Zügen, Gang und Geberden ein heftiger Schmerz und eine wilde Entschlossenheit sprach, welche vor der unnachahmlichen Hoheit des Schultheißen nicht verstummte! – »Richter und Herren dieser Stadt!« rief sie mit starker Stimme: »Da Ihr zu hören vermögt, so hört, hört, was der Herr von mir begehrt hat, Euch wissen zu lassen!« – Die auffallende Erscheinung des Mädchens fesselte jede Zunge, und Judith fuhr fort: »Lasset los, die [388] Ihr gebunden, und fanget diejenigen, so Ihr frei gelassen, denn ich will das Gewebe der Lüge zerreissen, da es noch Zeit ist, und keine Seele deßhalb gestorben. Also spricht der Herr, unser Gott: Ich will nicht, daß Verirrte den Tod leiden sollen, da sie doch nichts Todeswürdiges verschuldet haben. Ich begehre aber, daß das Blut gerächt werde an dem Blute des Schuldbewußten. Lasset darum los diese Juden, denn es ist kein Fehl an ihnen, und ihr Ankläger allein ist der Frevel voll, ein gerüttelt Maaß.« –

»Ist das Weib wahnsinnig?« fragte der Oberstrichter heftig, da der Schultheiß nur Blicke des Staunens hatte, welche aber die entschlossene Judith nicht aus der Fassung brachten. – »Lüge ist Wahnsinn;« erwiederte diese Letztere stark: »aber Wahrheit ist gesunder Sinn. Der ewige Lügner hat Euch angesteckt: hört mich jedoch an, und Ihr werdet genesen.« – Das umstehende Volk, welches schon durch die Gassen der Stadt der Rednerin gefolgt war, und an jeder Kirchthüre aus ihrem Munde Worte vernommen hatte, deren Sinn und Zusammenhang es sich nicht zu deuten wußte, gewann nun Ehrfurcht vor der Kühnen, welche mit den Vätern der Stadt eben ohne Scheu und Zurückhaltung redete, wie zu ihm, und die Rathsherren, die nach und nach in dem Gedränge sich einfanden, Bürgermeister und Schultheiß an der Spitze, achteten bald die Überspannung der melancholischen Dirne für keine Tollheit mehr, und forderten sie auf, endlich herauszusagen, was sie auf dem Herzen trage. – Diese Aufforderung klang wie Himmelsmusik in Judith's Ohr, und sie begann [389] freudig: »Euer Wille, edle Herren, ist mir Gottes Stimme. Derjenige, der mich errettet hat aus den Klauen des unversöhnlichen Feindes, beweißt sich wieder stark und kräftig in dieser Mahnung, und wird die Saat zur Frucht aufgehen lassen durch sein himmlisch Wort. So hört denn zu, wie ich beginne vor allem Volke, im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes!«

Langsam beginnend, aber immer schneller vorschreitend, – immer beredsamer werdend durch die Anspannung seiner Gedanken und Kräfte entwickelte das muthige Mädchen vor den Augen derer, zu welchen es redete, eine lange Reihe von Gräuelbildern, deren Wiege ihr väterlich Haus gewesen war, eine traurige Kette von Freveln, deren Schauplatz die berüchtigte Schenke, deren Grab das dunkle Moor geworden. Die Zuhörer bebten bei dieser furchtbaren Rechnung, und schauderten, als sie erfuhren, daß in jenem abgelegenen Winkel die Herberge jener entsetzlichen Mörder gewesen, unter deren Dolchen seit langen Jahren die ganze Umgegend gezittert hatte. Noch höher stieg ihr Abscheu, da endlich aus diesem Gewirr von gräßlichen Thaten eine Gestalt aufdämmerte, deren Scheußlichkeit Alles überbot, was in gewöhnlichen Diebskreisen gefrevelt wird; ein Riesenmann an Blutgier und Mordsucht. Alle Augen richteten sich auf Ben David, da Judith diesen Hauptmörder anfänglich mit dem Namen: »der Jude« bezeichnete, aber alle Augen flogen furchtsam und beschämt vor dem ruhigen Blicke Ben David's zur Erde, als Judith Zodick's Namen nannte, unnachsichtlich [390] jedes Bubenstück enthüllte, dessen Zeuge sie gewesen war; als sie Ben David von jeder Gemeinschaft mit den Räubern frei sprach; als sie erzählte, daß Zodick des Schöffen Mord unternommen, daß Zodick den Schmuck der bedauernswerthen Wittib des Bürgers von Friedberg um seiner Kenntlichkeit willen in Ben David's Keller verborgen, – eine That, deren sich der Niederträchtige nachher noch oft bei Trunk und Scherz gerühmt; daß Zodick endlich die Wurzel des Truggespinnstes sey, das Jochai und Ben David bisher im Kerker gehalten. Da sie nun endlich an die letzte Schreckensbegebenheit in ihres Vaters Hütte kam, – an das Elend, das dort gewaltet, ... an die Leichen, die der Brand, von den Händen des Ungeheuers entzündet, zu Asche gebrannt hatte, ... da schwammen nicht nur allein in den Augen der Umstehenden Thränen, sondern auch in die Ihrigen trat wieder das helle Wasser, und das Schluchzen machte ihre Stimme versagen, denn sie dachte nun ganz lebhaft daran, daß sie nie auf dem Grabe ihrer Erzeuger sitzen könne, daß sie ihrer nie in Liebe gedenken könne, und daß sie gehalten sey, statt einer kindlichen Todtenfeier, ihre Laster und Verbrechen schonungslos zu enthüllen. Und als, – nachdem eine lange Stille vorüber, und das darauf folgende Gemurmel der Menge verrauscht war – der Oberstrichter sie ernst und mahnend fragte, ob dieses auch alles wahr sey, und warum sie nicht früher diesen Schurken Einhalt gethan, durch ein offnes Geständniß, da antwortete sie mit wehmüthigem Vorwurf: »Ihr vergeßt, ehrsamer Herr, daß es mein [391] Vater und meine Mutter waren, die an der Spitze jener Horde standen. Die, denen ich das Leben verdanke, auf das Rad zu bringen, hätte ich nicht vermocht, und wenn noch Tausend unter dem Messer des Juden und seiner Gefährten hätten verbluten müssen. Ihr gestriges Schreckensende hat mich frei gemacht, und ich schwöre beim Himmel und all seinen Heiligen, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Oft hab' ich mich angstvoll auf dem Lager hin und her geworfen, und mit meiner Kindespflicht gerungen, wie Jakob mit dem gewaltigen Herrn. Aber ... die Verbrecher blieben doch immer meine Eltern. Die Natur hat ein Schloß vor meinen Mund gelegt, und gestern erst hat der gnädige Gott es aufgethan mit seiner Kraft und unergründlichen Weisheit. Darum verachtet nicht die einfältige Rede, so ich gesprochen, und lasset leben, die da ohne Fehl sind, und lasset sterben den, der den Tod verdient hat.« – Judith schwieg erschöpft, und schlug die Augen nieder vor den dankbaren Blicken, welche die Juden auf sie richteten. Die Meister des Raths standen indessen noch mit gefalteten Stirnen in tiefes Nachsinnen verloren, und der Schöffe Diether war der Erste, welcher die Sprache wiederfand, und ausrief wie ein von schwerem Traum Erwachender: »Gottlob! Gottlob! gräßlicher Argwohn fällt Stückweis ab von meiner Brust. Gesegnet seyst Du, muthige Magd, die da eingetreten ist zu rechter Zeit!« – Der Priester Johannes wendete sich an die Vorsteher der Stadt: »O redet ein mildes Wort;« sagte er bewegt: »Seht diese armen Leute, welche zitternd [392] da stehen, und selbst nicht begreifen können, wie ihre Unschuld so schnell an den Tag gekommen. Wenn auch ihre Fesseln jetzt noch nicht fallen dürfen, so erleichtert sie ihnen doch durch ein Wort des Trostes und der Hoffnung. Viel Freude und Glück ruht auf den Lippen der Mächtigen, wenn sie es aussprechen wollen gegen das Elend.« – »Die Dirne muß beweisen, was sie vorgebracht,« – entgegnete der Oberstrichter: »oder die Zeit beweise und bürge für sie. Ich habe ausgesandt nach Friedrich, und wehe ihm, wenn sich alles so befindet, wie dieses Weib gesagt.«

»Der Mörder ist eine schlaue Natter;« versetzte Judith: »er wird sich hüten, in die Falle freiwillig zu gehen. Hier sind aber meine Hände, damit man sie binde. Freudig will ich den Kerker beziehen, und keine Schmach daran finden; denn der Herr, der mich hiehergeführt, wird mein und dieser Armen nicht vergessen, als ein rechter Richter und Helfer der Waisen. Er wird die Hand des Gottlosen zerbrechen, und aufstehen zu unsrer völligen Rettung!« –

Ein Wink des Oberstrichters beendigte den ergreifenden Auftritt. Judith wurde zu leichter Haft in das Haus der Reuerinnen gesendet, und die Juden in den Kerker zurückgeführt. Judith wurde von einer jubelnden Menge begleitet, wie ein siegreicher Kämpfer von seiner Freunde Schaar, – Jochai und Ben David waren von einer lautlosen Volksmasse umgeben, die ihren Schritten, wie mit einer innern Beschämung folgten. Auch die Herren vom Gerichte theilten diese stille Schaam, und mancher beklagte [393] nun im Geheimen die Schmach, die den Untadelhaften widerfahren war. Ben David sagte aber mit freudethränenden Augen zu Jochai: »Nun, Raaf? was sagst Du nun? Die Leuchte des hochgelobten Gottes ob unserm Haupte beginnt wieder zu brennen, und des Herrn Finger ruht auf uns. Gepriesen sey der Gott Abrahams, der die Hütten Jakobs beschirmt, der den Bösen versenkt in die Grube, die er selbst gegraben, – der dessen Fuß fängt in dem Netze, so er selbst gestellt.« – »Preis ihm und Dank ihm,« antwortete, den Kopf wie beim Gebete neigend, der alte Jochai: »mit uns will er es wohl machen, der starke, eifrige Gott; sein guter Segen wird salben unser Haupt mit Balsam, und sein Fluch verderben den Feind; – aber wie wird es geschehen mit Esther, unsrer Tochter? Mir will zerspringen die Brust, so ich an sie denke, – die Freude unsers Alters, das Leid unsrer Liebe. Sie irrt umher in Amalek, gerathen unter die Hände des Gottlosen, woraus sie errettet worden, um vielleicht zu fallen in ärgere Stricke. Das, mein David, das quält mich, und frißt an meiner Freude.« – »Vertraue, Raaf;« erwiederte Ben David, ob er gleich sein eigen kummervolles Antlitz nicht bergen konnte: »Vertraue; auch sie wird unverletzt wieder kommen zu uns, und werden unsre starke Stütze. In dieser Zuversicht will ich betreten mein Gefängniß, wie ein König seinen hohen Saal, und mich niederlassen auf mein Strohlager, wie auf das köstliche Bette des Passah, denn mein Herr ist wieder mit mir, und die [394] Hülfe in der Noth, und der Glaube, daß wir noch schauen werden das Glück im Lande der Lebendigen.«

Sie standen an der Thüre ihres Thurms, und Jochai segnete den Sohn, mit der Liebe, die den Erst- und Einziggebornen bei seinem Eintritt in die Welt zu empfangen pflegt. Alle Eigenheit, herstammend von Volkssitte und Gewohnheit war während dieser Augenblicke in einem Jeden von ihnen verschwunden, und sie waren nur Menschen, freudige Menschen. Nach langer, von Jubelthränen gefeierten Umarmung trennten sie sich seufzend, aber Beide traten, wie mit Kronen geschmückt, in ihre Gefängnisse, beide hatten eine herrliche Begleiterin in ihrem Gefolge: die Hoffnung, die frisch und grün bekränzte Hoffnung!


Ende des zweiten Bandes.

Fußnoten

1 Hebräer – Fremdlinge.

2 Der Predigermönch Johann von Frankfurt hat wirklich das genannte Buch übertragen.

Dritter Band

1. Kapitel
[5] Erstes Kapitel.

Ist's der Haß, der wehe thut mit seinen grimmigen Streichen? Argwohn und Mißtrauen schmerzen tiefer, – die fressenden Schlangen.

W ...


Das zweifelhafteste und unschlüssigste Herz, das jemals geschlagen, schlug in des Altbürgers Diether's Brust. Die Eröffnungen, welchen er auf dem Rathhause beigewohnt, hatten das Gebäude seines Argwohns bis zum Grunde erschüttert, aber es nicht gänzlich niederzuwerfen vermocht. Daß nicht Margarethe, daß nicht Dagobert den Mord gegen ihn gedungen, daß weder Sohn noch Gattin die geliebte Wallrade geraubt, daß der kleine Hans wirklich sein, bei Willhild verpflegter Johannes sey, das war ihm völlig klar geworden; die Bilder seiner Hausfrau, seines wackern Dagobert's, trüb und düster umflort, bisher in dem Hintergrunde seiner Erinnerung verweilend, näherten sich ihm, heller, glänzender, wie Sterne, die das dunkle Gewölb durchbrechen, aber noch immer zweifelte er an ihrer völligen Reinheit; noch immer versagte er ihrer Unschuld die vollständige [5] Anerkennung; noch immer fand er es möglich, daß ein verbrecherischer Bund zwischen Beiden bestanden, daß Johannes die Frucht desselben gewesen. Und dennoch, – so wankelmüthig, – so ungleich in seinem Wollen ist der Mensch, – dennoch umklammerte er jetzt mit aller Liebe den Knaben. In ihm sah er jetzt die letzte Stütze seines Alters und seines Hauses; im nächsten Augenblicke fürchtete er den Bastard in ihm zu erkennen. Aber trotz diesen Zweifeln, trotz diesem Treiben zwischen Vaterliebe und der Angst eines Getäuschten, hätschelte und pflegte er den Knaben, da er der Einzige zurückgebliebne, der Letzte seiner Lieben war. Margarethens Flucht war ihm entsetzlich, und senkte einen nimmer ruhenden Stachel in seine Brust. Wo war sie hingeflohen? Durfte er jemals hoffen, sie wiederzusehen? Sollte er bereuen, was er gegen sie gethan? Sollte er sich beruhigen mit dem Gedanken, daß er ihr gethan, wie sie verdient? Ähnliche Zweifel bestürmten ihn, gedachte er Dagobert's, dessen Heimkehr nach der geschehenen Ladung des heimlichen Gerichts sich nicht erwarten ließ, da bei dem Namen schon der beschlossenen Acht der Gerechte wie der Schuldbewußte scheu das Kreuz schlug, und entwich, wo er nur entweichen konnte. Und Wallrade endlich? War sie nicht die Beute eines Räubers, vielleicht das Opfer des Mords geworden? Und, kam sie jemals auch in's Vaterhaus zurück, – mit welcher Stirne sollte er sie empfangen? Mußte er sich nicht, – wie sie sich einst von seinem Hause losgesagt, – lossagen von ihr, die ihm den Sohn geraubt, ihn der Hülflosigkeit Preis gegeben hatte, [6] von ihr, die den Unfrieden verschwenderisch in seinen Garten gesät hatte, während sie doch selbst auf der Bahn der Schuld geschritten war, wie nur zu deutlich das Töchterlein bewies, mit welchem die furchtsame Magd entkommen war, ehe man darüber völlige Auskunft hatte sammeln können. Die Zofe hatte auf alle Fragen, die Diether an sie gerichtet, mit der größten Seelenangst geantwortet, und dadurch den Verdacht einer thatkräftigen Mitwissenschaft an der geheimen Verbindung Wallradens auf sich geladen, die sie endlich nicht mehr läugnen konnte. Den Namen des Mannes, der Wallradens Gatte geworden war, hatte sie genannt; einen Namen, den Diether vorher nie gehört. Den Ursprung jener Liebe, die Begebenheiten bis zur ehelichen Verbindung des Paars hatte sie ziemlich genau angegeben. Ein Wetterstrahl hatte eine Scheuer auf Wallradens Gute entzündet, und die Feuergefahr den Hütten der Knechte, wie dem Wohnhause gedroht. Die Nothglocke auf dem Thürmchen des einsam gelegenen Maierhofs hatte die fern wohnenden Nachbarn herbeigelockt, und einer der fernsten, gerade zu jener Zeit im anstoßenden Forste auf seinen Wildgängen verweilend, war mit den Übrigen herbeigekommen, und hatte durch seine entschlossene Besonnenheit das Allermeiste zur Rettung von Wallradens Habe beigetragen. Diese Hülfleistung hatte dem Junker von der Rhön, einem nicht reichen, aber altadelichen schönen Manne, gewisse Rechte auf des Fräuleins Dankbarkeit gegeben. Liebe ward daraus, und ein Feind dieser Liebe entstand: des Junkers Vater, der Wallradens minder adelichen Stamm [7] verachtete, und einer Zusage zufolge, seines seligen Waffenbruders verwaiste Tochter, zur Gattin für seinen Sohn erzog. Hingegen fand sich auch ein helfender Freund; ein deutscher Herr, der im nächsten Städchen in Angelegenheiten seines Ordens verkehrte, und täglich auf Baldergrün zur Einkehr war. Er war es, der eines Abends einen Mönch zum Maierhofe brachte, der das Paar, väterlichem Verbote zum Trotz, einsegnete, zu einer Ehe, aus welcher ein Kind entsprang. –

Bis hieher hatte der Altbürger durch unablässiges geschicktes Forschen die Magd in ihren Geständnissen gebracht. Es schien, nach ihrer Verwirrung und ihrer Angst, die sie oft zu Thränen zwang, noch manches Geheime an's Licht des Tages treten zu wollen, – da unterbrach des Schultheißen Willkür, und der Dirne leicht verzeihliche Flucht die Reihe ihrer Bekenntnisse, und Diether fand darin nur die einzige untrügerische Gewißheit, daß Wallrade seiner ausgezeichneten Liebe nicht würdig gewesen. Zwar fand das Fräulein einen kräftigen Vertheidiger an dem Prälaten, welchen das Unglück – die unabänderlich erfolgte Absetzung und Verweisung aus seinem Stifte zu Cesena – wieder zum Stammhause getrieben hatte, als einen Obdach suchenden und Pflege heischenden Gast. Allein, so innig Diether auch den gelehrten Bruder geliebt hatte, so konnten dennoch seine Reden nicht mehr den Eindruck machen, wie vor längerer Zeit, denn Diether erkannte, je länger, je mehr, den Geist der Heuchelei, des demüthelnden Stolzes, der in dem Prälaten regierte, und der Vaterlandsliebe [8] des Altbürgers galten die Worte des Bruders schon deßhalb gering, weil dieser Letztere deutsche Sitte und Ordnung nicht aufhörte zu schmähen, und dagegen Wälschlands Vorzüge zu preisen, ob er gleich jetzo aus seiner zweiten Heimath gestoßen, unter einem deutschen Dache sein Haupt niederlegen mußte, an einem deutschen Tische seinen Platz um der Liebe willen fand, aus deutscher, ehrlich erworbner Habe seiner Bedürfnisse Gewährung schöpfte, und von all seiner wälschen Herrlichkeit nur das zweideutigste Kleinod, Fiorillen behalten hatte. Es fiel dem zu Argwohn und Verdacht gereizten Diether nicht schwer, das wahre Verhältniß zwischen dem Prälaten und seiner Freundin zu ergründen; theils jedoch benahm das von Gebrechen aller Art belastete Alter des Monsignore dieser Verbindung das öffentliche Ärgerniß, – theils schloß sich Fiorilla mit wahrer inniger Liebe an den kleinen Knaben Hans, der ohne alle weibliche Pflege geblieben war, weil Diether, bei der ersten Kunde von Margarethens Flucht, im Aufwallen seines Zorns, die, jede Mitwissenschaft laugnende Else, aus dem Dienste gejagt hatte. Der arme Kleine fand in Fiorilla's Sorgfalt Elsens Pflege in doppeltem Maaße wieder, und Diether, – sah er die Liebe der Pflegerin zu dem Knaben – bedauerte nur eins so sehr, daß ihm der Zufall Wallradens holdes Töchterlein geraubt, und ihm kein Mittel zu Gebote stehe, etwas Gewisses von dem Schicksale der kleinen hübschen Agnes zu erfahren. Über das Geschick ihrer sogenannten Mutter kam er dafür binnen einigen Tagen in's Klare.

[9] Eine Mönchsgestalt, vom Fieber geschüttelt, und von Blässe entstellt, trat eines Morgens, – der zweite nach jenem Verhöre auf dem Römer, – auf einen Stab gestützt, vor den Altbürger. Dem Leidenden eine milde Gabe zu reichen, war Diether's erster Gedanke, – aber wie erstaunte er, da der Mönch nicht allein jede Gabe verschmähte, sondern ihn selbst mit einer unerwarteten Kunde beschenkte: mit der Botschaft von Wallradens Aufenthalt, von ihrer vereitelten Flucht, von ihrer Rückkehr in die traurige Haft, – von der Gefahr in welcher sie schwebe, von ihrem einzig auf den Vater gesetzten Vertrauen. – Diether, – obwohl in Zorn glühendob Wallradens Vergehen, fühlte doch sein Vaterherz beben bei dem Berichte ihrer Leiden. Allein, so schnell auch sein Entschluß gefaßt war, Alles aufzubieten, um sein Kind zu retten, so schnell gesellte sich diesem Vornehmen auch der Verdacht bei. Mißtrauisch maß er den Mönch von Kopf bis zum Fuß, verwickelte er ihn in verfängliche Fragen, und ließ ihm nicht undeutlich merken, daß er versucht sey, ihn für ein Werkzeug jener Räuber zu halten, und die ganze Botschaft für eine Schlinge, welche seiner Habe, – wo nicht gar seinem Leben – gelegt sey, wie jene Ladung zum Sprünglinsteine gewesen. – In dem matten Auge des Mönchs blitzte eine Flamme ritterlichen Unmuths auf, und seine Lippe warf sich auf, um kühn und trotzig den schnöden Verdacht von sich zu wälzen. Doch bezwang er sich, und erwiederte, so ruhig als die erregte innere Bewegung ihm verstattete, daß er sich willig als Bürge und Geißel [10] darstelle für jedes von ihm gesprochne Wort, daß übrigens das heftige Fieber, das ihn auf einem unfern gelegenen Dorfe ergriffen, und ihn abgehalten, am verwichnen Tage bereits in Frankfurt zu seyn, schon der beste Bürge für sein Verweilen in jeder beliebigen Haft sey, und daß er fürchte, es werde – sollte ihm Hülfe und milde Sorgfalt noch ferner entstehen – mit seinem Leben bald zu Ende seyn. Der eisige Frost, welcher des Gequälten Glieder durcheinanderschüttelte, und ihn beinahe zu Boden warf, machte Diether's natürliche Barmherzigkeit rege. Er ließ den todtkranken Mönch auf einer Tragbahre in das Kloster des Ordens bringen, zu welchem der Unglückliche, seiner Kutte nach, zu gehören schien, und empfahl ihn der angelegentlichen Fürsorge des Paters Reinhold, Margarethens Beichtvaters. Er selbst jedoch eilte auf den Römer, um die erhaltne Botschaft dem Rathe zu verkünden. Seine Freunde in demselben staunten; seine Feinde schüttelten ungläubig die Köpfe, und behaupteten, der Schöff täusche Meister und Rath mit unhaltbaren Gerüchten, und halte muthwilliger Weise die Stadt sammt ihrer bewaffneten Gewalt in Athem. Hätte er einen andern als Räuber genannt, – riefen sie, – dann wäre ein Schein von Glaubwürdigkeit vorhanden; aber gerade diesen Bechtram von Vilbel zu nennen, diesen alten wackern Kämpen, der so lange der Stadt treu gedient, der sich in der letzten Frist nur, gewisser Ansprüche wegen, mit der Reichsstadt veruneinigt hat! Und diese Ansprüche, sind sie nicht geschlichtet? Dieser Span, – ist er nicht in Minne beigelegt worden? [11] Hat nicht vor drei Tagen erst Bechtram Friede mit uns gemacht, sonder Gefährde, in Treu und Glauben, und in Gegenwart der verehrlichsten Zeugen, der ritterlichen Herrn vom deutschen Orden? Ein Mährchen also der ganze Bericht; der Schöff, entweder selbst getäuscht, oder im Begriffe uns zu täuschen, und die Klage ohne Grund! – Diether's, wie des Mönchs Wahrhaftigkeit wurde jedoch um ein Gutes verbürgt und vergewissert, da der jüngste Bürgermeister mit einem Gesichte voll Zorn und Wildheit in die Versammlung trat, den Wirth vom Einhorn auf seinen Fersen. »Gott verdamme doch alle Verräther und Meineidige!« begann er heftig, wie man es an ihm gewohnt war, bei wichtigem Anlaß: »Vernehmt doch, ihr liebe Herren und Freunde, welche Mähr unser guter Bürger und Wirth zum Einhorn Euch zu bringen hat.« Der Wirth erzählte also nach vorhergegangener Aufforderung, daß schon seit manchem Jahre der Kaufdiener Conrad Schwarz, gemeinhin, seines Vaterlandes und seiner Mundart halber, der Schwabe oder das Schwäbeln genannt, und zu Diensten des weltberühmten Hauses Ulrich Arzt in Augsburg stehend, auf seinen Meßzügen und Reisen in's Brabant sich in der Herberge zum Einhorn eingefunden habe, und stets als ein ehrlicher Geselle und guter Zahler von dannen gefahren sey. Ein solches sey ebenfalls vor dreien Tagen geschehen, an dem Tage selbst, da Bechtram von Vilbel und des Raths Freunde und Abgesandte im Deutschherrenhause ihren Frieden gemacht. Nun habe aber Er, der Wirth zum Einhorn, heute Morgen durch einen [12] Landmann vom Maingehöft einen Zettel erhalten, den ein reisiger Knecht demselben zur Bestellung übergeben; einen Zettel, von dem Schwaben selbst geschrieben, worinnen er berichtet, der Herr von Vilbel habe ihn am bewußten Sühntage, im Heimreiten begriffen, von der Straße aufgefangen, nach Neufalkenstein geschleppt, und ihn genöthigt, diesen Brief zu schreiben, damit der Wirth zum Einhorn zweihundert Mark Silbers als Lösegeld für den Gefangenen nach Neufalkenstein trage. Er, der Wirth, begehre nun zwar nicht, das Verlangte zu thun, sintemalen ihm bang geworden um sein Geld und seinen eignen Leib; er habe jedoch nicht verfehlen wollen, denen gestrengen Herren solches zu berichten, damit sie in ihrer Weisheit das Nöthige beschließen möchten, ob vielleicht der ehrliche Kaufdiener aus seiner Angst erlöset werden könnte. – Diese Erzählung, unterstützt durch den vorgewiesenen Zettel, weckte den Unwillen der ganzen Versammlung, und Diether's Angabe fand nun unbedingten Glauben. Der Schultheiß und Diether's Feinde, die so sehr auf Bechtram's Redlichkeit gepocht hatten, traten nun auf die Seite derjenigen, die seinen Treubruch schmähten, und vollwichtige Rache für den auf dem Gebiete der Stadt verübten Frevel forderten, und für den höhnenden Meineid, den der alte Buschklepper am Tage selbst der Friedensstiftung in frechem Muthe begangen. Die Furcht vor der Wuth des Raubritters und seiner Diebsgesellen in der Wetterau wich nun zurück, indem man die der freien Stadt wiederfahrene Beleidigung fest in's Auge faßte, und eine Stimme nur [13] war's, die aus jedem Munde die Befreiung der Bürgerin Frankfurts und des fremden Gastes forderte. Als aber die Mittel dazu zur Sprache kamen, da waren wieder die Zungen uneins geworden. Die Kühnsten riethen zu einem Auszug, wie er im Jahre 1404 gegen Rückingen, das Schloß des Hans von Rudenscheim, des Marktschiffschinders, statt gehabt hatte. Die Vorsichtigern verwarfen die offne Gewalt, die alle Genossen des Räubers gegen die von Streitern ziemlich entblößte Stadt anhetzen würde, und sprachen von List und besonnener Klugheit. Die Feigen schlugen vor, die Hülfe eines benachbarten Fürsten anzurufen; ein Vorschlag, der den Vaterlandsfreunden, welche jede fremde Einmischung in die Händel der Stadt haßten, vollkommen widerlich war; aber demungeachtet einen Streit entspann, welcher die Berathung der Versammelten in eine wilde Gährung verwandelte, aus welcher sich Diether, um mit seinem Gram und seinen Entwürfen allein zu seyn, rettete. Aber auch dieses Alleinseyn, dieser Strom von Gedanken, den er einsam an sich vorbeirauschen ließ, führte sein Herz nicht zur Ruhe, und er suchte sein Haus auf, um Zerstreuung in der Gesellschaft seines Bruders, seines Knaben zu finden. Wie vom Blitze gerührt, stand er jedoch da, als ihm sein Knecht Eitel berichtete, Dagobert sey angelangt, als Vollbrecht, der Knecht des Junkherrn, ihm den Reverenz machend, vorüberging, und Dagobert selbst ihm auf der Stiege entgegen kam. – Des Vaters Verwirrung war gränzenlos, und Schreck und Beschämung knickten seine Knie ein, daß er das Geländer [14] der Stiege erfassen mußte, um nicht zurückzusinken. Dagobert ersah diese plötzliche Schwäche, und reichte ihm schnell die helfende Hand, an welcher er den Vater zu seinem Schlafgemach geleitete. Schwer athmend ließ sich der Schöffe in den Sorgenstuhl nieder, und erst, nachdem er einige Zeit lang den Blick auf den Boden, alsdann auf das mildfreundliche Antlitz des gegenüber sitzenden Sohns geheftet hatte; wagte er die Anrede: »Du hier, Dagobert? Und Wallrade? ...« – »Mein Bemühen war vergeblich;« entgegnete der Sohn bedauernd: »Eben so leicht hätte ich den großen Kaiser Karl finden mögen, der seit sechshundert Jahren im Brunnen der Beste zu Nürnberg sitzen soll. Dafür, – hab' ich vernommen – habt Ihr selbst gelegnere Kunde erhalten, wozu ich Euch und mir von Herzen Glück wünsche, Herr Vater.« – »Dir?« fragte Diether mit spöttelnd ungläubiger Miene. – »Weiß es der Himmel, auch mir;« versetzte Dagobert: »Ich habe zwar nicht viel Ursach, Wallraden Gutes zu wünschen, aber mehr denn sie, lieb' ich meinen guten Leumund, und bin herzlich froh, daß endlich die Stadt erfahren wird, – und auch Ihr beineben, Herr Vater, – daß ich Wallraden nicht hab' stehlen lassen.« – Diese Worte, obgleich mit mildem Ernst, weit von jeder Anmahnung an grollenden Spott gesprochen, trieben dem Alten die Röthe der Schaam auf die gefurchte Wange. »Das eigne Gewissen ist des Menschen fürnehmster Richter;« sprach er stockend, und Dagobert entgegnete gelassen: »Das ist's, Herr Diether. Mein Gewissen ist jedoch heil, wie ein frisches [15] Auge: darum bin ich auch hier, wo der Teufel recht geschäftig gewesen ist, mich anzuschwärzen vor aller Welt. Ein biedrer Mensch weicht dem Satan nicht aus, sondern nimmt ihn bei den Hörnern und wirft ihn aus dem Wege.« – »Du sprichst kühn!« meinte Diether, der ihm forschend in's Auge sah. – »Ich vertraue auf den Himmel;« antwortete Dagobert muthvoll: »ich bin dem lieben Gott von Herzen treu und hold, und er wird's mir nicht minder seyn; darum fürchte ich auch nicht den Schultheiß, nicht den Oberstrichter, nicht des Prälaten, der hier in's Nest gezogen ist, Verläumdungen; auch die heilige Acht nicht, die mich einer Ladung vor ihren Stuhl gewürdigt hat.« – Diether's Wange sank von hoher Röthe in die Blässe des Todes herab: »Unglücklicher;« murmelte er: »Du frevelst. Fürchte jenen Stuhl, vor welchem der Sünde die letzte Larve entfällt, und die Wahrheit sich aufthut in finstrer Nacht.«

»Ich scheue die Wahrheit nicht;« entgegnete Dagobert fest: »ich wünsche sie, mein Vater. Wollte Gott, die unbekannten Herren ergründeten sie beim fröhlichen Sonnenlicht; aber auch um Mitternacht stehe ich ihrer Ladung, und morgen soll der Frohne nicht um sonst meiner warten.« – »Du wolltest ernstlich ...« – »Soll ich mich verfehmen lassen, mein Vater, um unter dem Messer irgend einer Blindschleiche der Acht zu fallen, sonder Gehör und Vertheidigung? Oder wäre das ernste Gericht im Grunde nur ein Fastnachtsschwank, den man nur aufführt, sobald sich Zuschauer eingefunden haben; und unterläßt, sobald kein Mensch seine Ohren dazu leihen [16] will, trotz Heroldsruf und Pfeifenklang? Ich halte mehr von dem finstern Richterstuhle und will ihm meine Reverenz nicht versagen, damit ich vernehme, wessen man mich eigentlich beschuldigt hat, und mich rein wasche von der aufgelogenen Sünde.« – »Eine trotzige Zuversicht!« schaltete Diether warnend ein.« – »O, daß Ihr sie nicht theilen mögt, Vater;« sagte hierauf der Jüngling, und ergriff wehmüthig Diether's widerstrebende Hand: »o, daß Ihr der Erste seyd, der den Stein auf mich geworfen, und der Letzte, der ein offnes Ohr für meine Schuldlosigkeit haben wird! Ich kenne mich selbst kaum mehr, seitdem ich geahnt, seitdem ich vernommen, was in Euerm Herzen vorgegangen, wie sich dasselbe so ganz von mir gewendet. Ich bin irre an mir geworden, ich habe meiner Gedanken innerste Kammer durchsucht, und nicht eine Spur von Gottlosigkeit darin gefunden. Und Ihr – der Gerechte – zweifelt an meiner Seele, – Ihr verdammt mich, während ich rein bin, wie ein hülfloses Kind! Doch habe ich gegen Euch keine Waffen. Im Gegentheile; ich wähle Euch zu meinem Beistande vor dem Stuhle zu Sachsenhausen, und gewiß schlagt Ihr mir's nicht ab, mich dahin zu begleiten, wo die Wahrheit sich aufthut in finstrer Nacht.« –

Diether schrack sichtlich zusammen, und die Vorwürfe seines Gewissens pochten so heftig an sein Herz, daß er kaum eine ängstliche Weigerung hervorbringen konnte. Dagobert sah verdüstert vor sich hin, seufzte, und sagte: »Ihr verstoßt mich ganz, mein Vater. So muß ich denn allein den dunkeln [17] Weg machen. In Gottesnamen; aber mich betrübt's, daß Ihr mir verweigert, warum Wallrade an meiner Statt sicher nicht vergebens gebeten haben würde.« – »Nichts von Wallraden!« rief Diether ängstlich und unwillig: »Ich bin nicht ungerecht in der Liebe, die ich meinen Kindern schenke. Ich liebte Wallraden, da ich sie fleckenlos glaubte; aber nun, ... selbst gegen den ihr gehässigen Bruder vertheidige ich sie nicht.« – »Ich hasse ja Wallraden nicht;« sprach Dagobert ruhig; »doch ihrem Haß vermag ich nicht verschwenderische Liebe entgegen zu setzen, und darf Euch mit dem heiligsten Eide versichern, daß diese Schwester, Eure Tochter niemals würdig war, unsern Namen zu führen. Wollt Ihr Beweise ...?« – »Schweig!« unterbrach ihn Diether heftig: »aus Deinem Munde will ich nicht wieder hören, was ich schon weiß. Welch ein Sieg für Dich und Margarethen!« – Dagobert zuckte schweigend die Achseln. – Diether fuhr aber entrüstet fort: »Schlange nennst Du Wallraden; sag' an, gelehrter Sohn: welch Urtheil fällst Du über Margarethen? Schenkst Du ihr einen Heiligenschein, oder mußt Du beschämt bekennen, daß sie schlimmer fehlte, als Wallrade?« – Dagobert schwieg nicht lange. »Dies Bekenntniß vermag ich nicht zu leisten,« sagte er: »daß jedoch Frau Margarethe fehlte, Eurer unwürdig handelte, will ich nicht läugnen. Leider darf ich's nicht.« – Triumphirend sah Diether zu ihm empor und rief: »Dank Dir, mein Gott, daß des Sünders Mund so eben die eigne Schuld bekennt in der fremden.« – »Ich begreife kaum mit Sinn und Ohr, was Euer [18] Mund spricht,« erwiederte Dagobert; »doch schwör ich's Euch, daß meine Lippen manches enthüllen könnten, was ich verschweige, weil Frau Margarethe Eure Hausfrau, meine zweite Mutter ist. Die Zeit ersetze das, was ich versäume.« – »Recht; doppelzüngiger Mensch;« rief Diether gereizt: »Hülle Dich nur ein in räthselhafte Reden. Deine Vergehen blicken überall hervor, und das strafende Gericht wird nicht ausbleiben. Die Ehre Deines Vaters hast Du mißhandelt; Deine eigne Ehre in den Staub getreten; Dein Leben verwirkt durch Deine Buhlerei mit der Jüdin, von welcher die ganze Stadt weiß.« – »Vater!« rief Dagobert mit flammenden Augen und eilenden Worten: »Beschützt habe ich Eure Ehre, und nie besudelt die meinige. Vater, wer an die reine Sitte der Unglücklichen tastet, der ich Beschützer ward, weil sie keinen Freund auf der weiten Erde hat, – wer Ben David's Tochter schmäht, blos deßhalb weil sie eine Jüdin und mir lieb ist, – gegen den zieht mein Zorn zu Felde, und wäre ich gleich sein Sohn. Buhlerei, sagt Ihr? Die Farbe des reinen Himmels reicht nicht an Esther's Unbescholtenheit; eine Schurkerei habe ich noch niegedacht. Aber unter meinem Schilde ruht die Taube sicher; ich verrathe ihre Zuflucht den Feinden nicht, und würde jetzt schon der Holzstoß für mich angezündet.«

»Prahlender Wüstling!« zürnte Diether: »Tritt immer auf in Deiner wahren Gestalt; fliehe aber die Stätte wo ein Freistuhl Westphalens steht. Häufe nicht noch den Jammer auf mein Haupt, Dich an[19] einem Stadtthore von den heimlichen Rächern aufgehängt zu erblicken.« –

»Der Herr wurde unschuldig gerichtet;« erwiederte Dagobert mit völliger Seelenruhe: »beneidenswerth wäre ich, ein schwacher Sohn des Staubes, träfe mich ein gleiches Loos. Lebt wohl indessen, Vater. Ich scheide. Lieblich war mir dies Haus, da ich noch eine fröhliche Jugend darin herumtrug, von Stiege zu Stiege, von Speicher zu Flur, von Gemach zu Gemach, und mich überall in die Arme eines guten Vaters, in den Schooß einer treuen Mutter legen konnte. Aber, nun die getreue Mutter zum Himmel gezogen ist, und das Vaterherz ein doppelt Erz angethan hat, sind mir erst diese Wände eng geworden, und niedrig wie Särge diese Gemächer. Ich will Euch, Herr Vater, wie den wälschen Ohm mit meinem Anblick verschonen, und fürder allein für mich meine Straße ziehen. Behüt' Euch Gott, und lebet wohl.« – Auf der Schwelle stieß Dagobert, in dessen Augen der Thränen Gewalt drückte und preßte, auf den kleinen Hans, den Fiorilla an der Hand führte. Fiorilla begrüßte den Jüngling mit jener Fremdartigkeit, die vor den Zeugen die nähere Bekanntschaft zu verbergen strebt; der kleine Hans jedoch jubelte laut auf und kletterte an Dagobert empor. Dieser wurde roth vor Überraschung, und setzte den Knaben stumm wieder nieder, ohne seine Liebkosungen, wie wohl vordem, zu erwiedern. Hans machte ihm kindliche Vorwürfe wegen dieses Kaltsinns. – »Die gute Mutter ist fortgegangen,« klagte er, »und Else ist fortgegangen, und der Mann dort [20] macht ein finster Gesicht. Was soll ich denn anfangen, Dagobert, wenn auch Du nichts mehr von mir wissen willst?«

Gerührt blickte Dagobert auf den Knaben herab, betrachtete ihn aufmerksam, nickte dann mit dem Kopfe und sprach: »Wahrlich, Du armes Kind, ... Du bist übel daran, ... übler als Du weißt und verdienst.« – Hier wendete er sich rasch zu Diether, aber der schon zum Reden geöffnete Mund verstummte vor dem stieren Blick, mit welchem der Vater seine Söhne beobachtete. »Überlasse Alles dem Herrn!« flüsterte der Jüngling in sich hinein und bückte sich wieder zu dem Knaben herab: »Gutes Kind!« sagte er halblaut zu demselben: »Vaterloser Knabe! fasse Muth und stärke Dich zu jedem Unglück. Bist Du einst Allen fremd geworden und ich lebe noch, so komm zu mir; ich will Dir Vater seyn!« – »Ach ja;« wiederholte der Knabe, seinen Lockenkopf vertraulich auf Dagobert's Schulter lehnend: »Du mein Vater.« – »Ich, mein Sohn; ja! beim ewigen Gott! ich ....« stammelte Dagobert unter Thränen, umarmte das Kind, legte es in Fiorillens Arm und entfloh dann aus dem Gemach. Fiorilla brachte den sehnsuchtsvoll nach dem Scheidenden blickenden Knaben auf Diether's Schooß. Der zornige Mann stieß ihn aber von sich, und rief: »So geh' doch hin zu Deinem Vater, junger Kuckuck, und verwünscht sey die Stunde, in der mich mein leichtgläubig Herz abermals betrog!« –

2. Kapitel
[21] Zweites Kapitel.

Schauet doch, und sehet, ob irgend ein Schmerz sey, wie mein Schmerz, der mich getroffen hat! Denn der Herr hat mich voll Jammer gemacht am Tage seines grimmigen Zorns!

Jeremias.


Es geschah, daß an dem Abend desselben Tags, an welchem Dagobert nach Hause kehrte, ein böses Stücklein in der Stadt verübt wurde. Es war in der Neustadt ein Haus belegen, das man »Zum heißen Stein« nannte, und worin schon mancher seine Hölle auf Erden gefunden hatte. Man pflog nämlich daselbst des Spiels mit Würfeln und Brett, und es ging scharf dabei her, mit Geld und Gut und fahrender Habe. Zu verschiedenen Malen war schon der Reiche als ein Bettler aus diesem Hause getreten; seltner jedoch der Habenichts als ein vermöglicher Mann, weil der Zufall nicht immer allein waltete in diesen Spielen, sondern auch gar oft und häufig die geschickte Hand und der falsche Würfel. Es hatte sich schon häufig, – namentlich während der Messen zugetragen, daß trügliche Spieler aus dem Fenster waren geworfen, oder dem Arm des Gerichts übergeben worden, das ihnen nachher zum Lohn für ihre Frevel die Augen hatte ausstechen, sie selbst aber in den Main werfen lassen. Diese schreckliche Strafe hatte indessen die Frevler nicht ausgerottet, sondern nur ihre Behutsamkeit und Vorsicht vermehrt, indem es doch immer für Abenteurer aus der Fremde eine [22] gar zu lockende Gelegenheit blieb, um leichtsinnige Bürgersöhne, oder übermüthige Prahlhänse von Junkern, oder unerfahrne Kaufleute und Diener zu rupfen, und um ihr blankes Geld zu bringen. Wurde hin und wieder ein solcher Spielgauner ertappt, so wußte er schon recht gut, welch ein Schicksal seiner harrte, und er wehrte sich daher, oft von Spießgesellen unterstützt, seiner Haut dergestalt, daß die Rauferei nicht immer zum Vortheil der Rechthaber ausfiel. Der heiße Stein wurde dann oft ein blutiger, und nur die öffentliche Gewalt vermochte in der wüsten Spielherberge Ruhe und Friede herzustellen. Ein ähnlicher Handel fiel auch an dem benannten Abende vor, denn ein wälscher Gaudieb, der sich über die Messe zu Frankfurt verweilt hatte, war dem Verbot des Raths zum Trotze, welcher selbst die Würfel an den heißen Stein lieferte, mit eignen aus Wälschland gebrachten Würfeln daselbst aufgetreten. Wie denn das Neue immer dem Gewohnten vorgezogen wird, so waren die Spielgäste, junge Brauseköpfe aus reichen Bürgergeschlechtern, mit dem Willen des Fremden einverstanden, und zwangen den Spielwirth, die ausländischen Würfel auflegen zu lassen. – Und also ging dann das Rumoren und Geklapper los, und der Italiäner gewann und gewann, und sein Beutel wurde immer straffer, während die Geldtaschen der Mitspieler sich leerten bis auf den Grund. Aber nicht minder die Geduld der Verlierenden versiegte, und da des Fremdlings Gewinn immer mehr und mehr anschwoll, so ergriff einer von den heftigsten Spielern im Zorn die Würfel, die ihm so eben die letzten [23] Goldkronen gekostet hatten, und warf sie mit dem Rufe: »Ei so sey doch Du verdammt, sammt Deinem Spielzeuge, vermaledeiter Schelm!« dergestalt auf den Boden, daß einer derselben zersprang, und es sich ergab, daß er mit Blei gefüttert gewesen, und immer die Sechsen, wenn die geschickte Hand des Wälschen die Knochen regierte, oben liegen mußten. Darob ergrimmten denn die Herren sammt und sonders, und derselbe, der zur Entdeckung Anlaß gegeben, nahm sich auch des Rächeramts an, und ging dem Gauner mit dem Degen zu Leibe. Allein derselbe war ein Raufhahn nebenbei, und wehrte sich mit dem langen wälschen Rappiere dermaßen, daß, obgleich die Andern dazwischen sprangen, und der Wirth nach Hülfe lief, der Angreifer durchbohrt auf dem Estrich lag, ehe noch die Klingen dreimal gekreuzt worden waren. Der Schreck, den der Fall des Fechters einflößte, half dem Spitzbuben zur Flucht, und die herbeikommende Nachtwache fand weder Mörder, noch Zeugen mehr im Hause, sondern einzig und allein den todten Mann, den man für des Oberstrichters Sohn, einen leidenschaftlichen, ausschweifenden Menschen, erkannte. Sprach nun gleich die ganze Stadt, es sey an dem Wüstling gar nicht viel verloren, so redete das Vaterherz doch anders, und der Oberstrichter, der von vielen Kindern diesen Einzigen groß gezogen hatte, überließ sich der stummen Verzweiflung, da ihm die abgerissne letzte Blüthe seines Stammes heimgetragen wurde. Die Morgenröthe fand ihn neben dem starren Sohne sitzend, und dessen Hand in der seinigen haltend, und brütend [24] über dem Verhängniß. Da nun die Sonne heraufstieg, und das Trauerhaus eben so gut mit Gold bekleidete, wie das Haus der Freude, – da nun der gebeugte Vater sich erinnerte, daß sein Schmerz, obgleich der eines Gewaltigen, im weiten Kreise der Welt nur ein schwacher Punkt sey, unbeachtet von Allen denen, welchen des Mörders Klinge nicht gleich ihm in's Innerste des Herzens gedrungen war, da legte sich die Verzweiflung zur Ruhe, und ein milder Schmerz trat an dessen Stelle; nicht der nach Rache dürstende Jammer, sondern der versöhnliche weinende Gram. Zitternd blickte der alte Mann in sein Leben zurück, und suchte nach einer Wurzel dieses Verderbens, das sein ganzes Geschlecht dahingerafft, denn der Mensch greift zum Aberglauben, um den leitenden Faden zu finden, den ihm sein unbewaffnetes Auge nicht zeigt im Leben. Er gedachte seines strengen Amts, der vielen Schuldigen, die seine Thürme verschlungen hatten; ... der wenigen Unschuldigen, die wieder daraus hervorgegangen waren. Er gedachte jener Vielen, die noch unter der Hand des Henkers ihre Unschuld betheuert hatten, und quälende Zweifel, ob er auch immer recht gerichtet, stiegen in ihm auf. Plötzlich erinnerte er sich der Juden, die, allen Zeugnissen zu Folge, schuldlos und unverdient, – höchstens nur einer leichten Büßung würdig, im Kerker schmachteten, und an diese Gestalten des Elends reihte sich eine andre, aus ferner Vergangenheit, ... die blinde Mutter, die des Oberstrichters Vater in die Flammen geworfen hatte, und bis an seinen Tod nicht wegbringen konnte von seinem Kopfkissen, wie [25] er oft dem Sohne mit bitterlicher Reue geklagt. – »Wer weiß,« seufzte der betrübte Richter, .. »wer weiß, ob nicht von jener unbesonnen gräulichen That das Unheil ausgebrütet wurde, das mich und die Meinen schon betraf? Wer weiß, welch gräßliches Verhängniß meiner noch im schwachen Alter wartet, wenn ich nicht vergüte, was in meiner Macht steht?« – Diesen trübsinnigen Gedanken nachhängend, kämpfte der Oberstrichter lange mit dem wilden Vorurtheile; riß sich alsdann männlich empor, und begab sich mit einer Hast, als möchte es im nächsten Augenblicke schon zu spät seyn, zum Thurme, in welchem Ben David und sein Vater schmachteten. Der Wächter zog achselzuckend ein langes Gesicht, da der ehrsame Herr nach dem alten Jochai fragte. »Mit ihm wird's wohl am längsten gedauert haben,« brummte der rohe Mensch: »seit gestern Abend hat's ihn angefallen, wie ein tödtlich Gebreste, und mein Schwager, der Scherer am Liebfrauenberge, der den Alten gesehen, meint, es gehe mit der Judenseele zu Ende.« – Der Oberstrichter entsetzte sich, ohne jedoch ein Wort des Mitleids vor den Ohren des Kerkermeisters zu wagen. »Hat man denn dem alten Manne keine Hülfe gereicht?« fragte er schier gleichgültig. – »I wozu, ehrbarer Herr?« fragte der Wächter entgegen: »Das Gesindel bedarf keiner Arznei. Der Teufel hilft seinen Jungen ohnehin, wenn sie nicht sterben sollen, und er holt sie auch in seinen Pfuhl, wenn's an der Zeit ist. Dann hilft kein Sträuben, und der alte Schelm von hundert Jahren fährt auch gerade zu in die Flammen; so hat der hochwürdige Pater Reinhold [26] gesagt, der erst vor Kurzem hinwegging. Der verfluchte Hundsjude hat sich nicht bekehren wollen, und der Pater versichert, daß ihm angst und bang bei dem Sünder geworden sey: dermaßen habe der Teufel, der in ihm sitzt, geschnauft und gefaucht und geknurret, so oft der Pfaffe mit Gebet und Beschwörung angesetzt.« – »Ist denn der Sohn bei dem Sterbenden?« fragte der Richter, und der Wärter schüttelte den Kopf. Das Kopfschütteln begann wieder, als er den Befehl erhalten hatte, David zu Jochai zu führen. »Gott genade unsern Ohren!« sprach der Brummbär, nach den Schlüsseln suchend: »das verdammte Volk wird ein Geschrei und Geklage anheben, daß man sein eigen Wort nicht versteht, und es hilft doch zu nichts. Der Schurke muß dennoch fort.« – Der Oberstrichter wiederholte kalt und bestimmt seinen Befehl, und ließ sich indessen Jochai's Gemach öffnen. Da lag der Greis, ausgestreckt auf einem elenden Lager, das doch immer im Vergleich mit seinem vorigen modernden Strohbette eine köstliche Ruhestelle war, – ganz allein, ohne Hülfe, ohne Labung, und nur der Tod war bei ihm, begriffen in seinem traurigen Geschäft. Das Gesicht hatte schon beinahe die Züge angenommen, die der alte Arzt Hippokrates als die letzten bezeichnet; die Brust hob sich ängstlich und keuchend, weil in ihr das Leben sich sträubte gegen das Erlöschen, während schon die Glieder regungslos ruhten, unvermögend, den armseligen Wasserkrug, der zu Haupten des Bettes stand, an die fieberisch zitternden Lippen des Sterbenden zu bringen. Der Oberstrichter erwies diesen[27] Dienst dem Hülflosen, er unterstützte dessen Haupt, und sprach sanfte Worte zu ihm. Das Labsal der kühlenden Tropfen und der milden Rede rief den Entschlummernden zur Besinnung zurück, und die starren Augen belebten sich wieder, und sahen in der feindlichen Amtstracht einen Menschen an dem Bette des Todes stehen. – »Der hochgelobte Gott soll Euch vergelten,« sprach der Greis, welcher den Oberstrichter gar wohl erkannte: »mich hat überfallen die elende Zeit, da uns der Herr hinweggehen heißt aus dem Leben, und Versöhnung befiehlt mit dem Feinde.« – »Auch unser Gott nicht minder will Versöhnung im Sterben;« entgegnete der Richter mit trübem Blicke und dumpfer Stimme: »Vergib meiner Pflicht, was ich Dir Böses gethan, und fluche meinem Namen nicht.« – »Da sey Gott vor,« redete Jochai, »daß ich fluche dem, der meinen Mund genetzt hat mit kühlem Wasser. Genommen sey von Euch jeglicher Fehl und das Vergehen Euers Vaters, denn ich kann Euch vergeben für Israel, doch nicht für den gebenedeiten Gott, welcher Edom verdammt hat zum Feuer. Ich will aber bitten für Euch im Thale Josaphat, so Ihr mir gewähren wollt zwei Bitten.« – »Sprich!« erwiederte der Oberstrichter. – »Jaget den Pfaffen von meinem Lager,« versetzte der Sterbende wehmüthig: »seine Götter sind mir ein Gräul des Baal, und weil kein Rabbi stehen kann zu meiner Seite, und keiner von den Freunden, so will ich seyn allein mit dem Engel, der da bringt das Ende.« – Der Oberstrichter nickte, und der Alte fuhr fort: »Sehen möchte ich noch den Sohn, meinen Bechor, und dessen Tochter, [28] die arme Esther.« – »Von Esther weiß ich nicht,« äußerte der Richter: »jedoch Dein Sohn, ... so eben bringt man ihn.« –

Man muß den leidenschaftlichen Schmerz der Völker des Südens gesehen haben, um Davids furchtbaren Kummer sich denken zu können. Er strebte gewaltsam vorwärts aus den Händen der Wächter, die im Begriff waren, ihm die Ketten abzunehmen, und hätte sich mit der ganzen schweren Eisenlast über den Körper des Vaters geworfen, wenn man es zugelassen hätte. – Endlich, von den Banden befreit, stürzte er an dem Bette nieder auf die Knie, faßte die erschlafften Hände des Sterbenden, küßte sie und den bleichen Mund unter Thränen und Schluchzen und stieß von Zeit zu Zeit ein Geschrei und eine laute Klage aus, die man im Munde des Weibes, aber nicht auf den Lippen des alternden Mannes erwartet haben würde. Der Ungestüm dieses Auftrittes, welchem der Oderstrichter mit Thränen im Auge entfloh, um nach dem Hause seiner eigenen Trauer zu kehren, und zu überlegen was ferner zu thun sey, dauerte eine gute Weile hindurch, und Jochai schien diese heftigen Schmerzäusserungen als den schuldigen Tribut der kindlichen Liebe hinzunehmen. Endlich verstummte jedoch der allzulaute Jammer in ängstliches Stöhnen, und auch dieses hörte auf, da Ben David das bekümmerte Auge auf Jochai's erlöschendes richtete, gleichsam als wolle er die Augenblicke zählen, die noch dem Sterbenden übrig blieben. Der Greis begann nun mit brechender Stimme ein Gebet zu murmeln, in welches der Sohn einstimmte, und das [29] bald beendigt war. Nun sprach Ben David trostlos und zögernd: »Raaf! wirst du mich segnen, bevor Du hinweggehst, oder wird mein Name verflucht seyn von Dir? Raaf! Du hast mir gegeben das Leben, und ich habe Dir gegeben den Tod; ach! es ist wahr geworden, was Du gesagt hast in Weisheit. Du stirbst hin in edomitischen Banden, und ich hab es verschuldet, daß Dein Angesicht bleich wird ausser Israel und den Hütten Jakobs!« – »Sohn;« entgegnete Jochai sanft: »So Du mir hättest Gift gegossen in den Leib, würde ich Dir doch verzeihen, nun ich sterbe, denn wir werden doch theilen das Paradies mit den verderbten Kindern, da wir ihnen nicht entziehen das Erbtheil dieser Welt? 1 Aber Du bist nicht gewesen die Schlange der Wildniß, und weil mich der Herr geschlagen hat mit Schwäche und Blödheit da ich lebte, so hat er mir verliehen Gewalt und Kraft vor dem Tode. Ich gehe nicht dahin aus Leid, mein Sohn, ich gehe dahin aus Freude, weil die Herrlichkeit Israels hat gesiegt, und der Väter Fürbitte bei dem Ewigen an's Licht gebracht unsre Unschuld. Das ist ein freudevoll Hinscheiden, mein Sohn, und ich verdanke es Dir.« – Dankbar preßte David die milde Hand Jochai's an seinen Mund.

»Wir haben gelitten viel;« fuhr der Greis mit schwächerer Stimme fort: »aber die Freude ist größer, denn die Qual. Aus Amalek führt uns der Weg [30] in's Paradies, wo der Herr waltet, als oberster Fürst und gastlicher Wirth, und den Behemoth füttert, wie den Leviathan zur Kost der sieben Schaaren der Gerechten aus Israel 2. Mag auch ausgehen die Leuchte unsers Lebens, .. wenn doch nur strahlt die Leuchte ober unserm Haupte: die Herrlichkeit des hochgelobten Gottes. Meines Hand ist kraftlos geworden, Sohn, und ich kann sie nicht auflegen Deinem Haupte, wie die Väter es gethan, aber meine Zunge spricht ihn noch aus, den Segen, der Dich geleite zum ewigen Leben der Wonnen, zu dem ich vorangehen will. Finde Gold auf Deinen Wegen, und der Herr stärke Dein Gesicht und Deine Hände, auf daß Du mögest sehen die Stricke Edoms, und gewinnen Deine verlorne Habe. Der hochgelobte Gott lasse Dich fahren unter die Gerechten, und Deine Tochter Esther nicht minder.« – Ben David seufzte schwer. Jochai fühlte es, und fuhr, wiewohl eremattet, fort: »Gelobe mir,« mein Sohn, »daß Du – so Du wieder findest unser verlornes Kind, – daß Du es erhalten willst auf dem Wege des Heils. Daß sie nicht anhänge einem Goi aus Edom!« – »Wie soll ich geloben, was ich nicht kann hindern?« fragte David ängstlich: »Ich kann nicht legen Fesseln an ihr Herz, kann nicht machen ungeschehen, was vielleicht schon ist.« – »So gelobe mir,« sprach der Sterbende mit mühsam erhöhter Stimme weiter, »sie nicht zu lassen zu dem verruchten, vermaledeiten Bad, das sie die Wiedergeburt [31] nennen; halte sie ab, daß sie nicht abschwöre vor dem Volke den Glauben aus Canaan. – Schwöre, gelobe!« setzte er zornig bei, da Ben David zögerte und zauderte: »Schwöre, denn dort zu meinen Füßen richtet sich schon der Engel des Todes auf.« – Halb ohne Bewußtseyn gelobte David, was der Alte begehrte. Jochai beruhigte sich merklich, und sprach: »Der Segen folge diesem Eide, und dem Kinde, das sich nennt wie das Pflegkind Mardochai's. Und nun, mein Sohn, binde mir auf das Haupt, um die Hand die Tephilum, da mein Gebein schwach geworden ist.« – David that, wie ihm geheißen war. Jochai's Auge wurde wieder starrer, und seine Stimme verwirrt. »Die Seele wird unstät im Leibe,« seufzte er unter den Bewegungen des nahenden Endes: »sie durchläuft zitternd die Glieder, weil sie bebt vor dem Engel, der dort steht, und feurige Augen trägt vom Wirbel bis zur Sohle. Hüte Dich, David, daß Du nicht geräthst unter das Schwert des Wilden, der dort unten tanzt wie ein trunkner Fechter. Halte Dich an mich, denn das ist Samael, der die Seelen nimmt derjenigen, die sterben ausserhalb dem heiligen Lande. Hilf mir, Sohn! Gib mir die Erde des Herrn, die Du trägst auf Deiner Brust, daß ich in der Heimath sterbe, und der Engel Gabriel meine Seele hole 3.« – Ben David riß das Päckchen [32] von der Brust, und schob er unter den Kopf des Verscheidenden, dessen Blicke noch einmal aufloderten in dem Scheine einer wehmüthigen Freude. »Groß ist der Herr!« stammelte seine Zunge: »gekannt in Juda, und sein Name herrlich in Israel. Zu Salem ist sein Gezelt, und seine Wohnung zu Zion! Laßt uns ihn preisen, den hochgelobten Gott!« – Hier stockte die Zunge des Erblassenden; seine Augen umdüsterte die in's Leben hereinbrechende Nacht; noch einmal öffnete sich der Mund, und von dem Schwerte des Todesengels fiel der an der Spitze hängende Galltropfen hinein, von welchem das Angesicht bleich wird, und die Seele entflieht 4. Aber ein guter Engel, der Fürst der Barmherzigkeit mußte hier gewaltet haben, weil freundlich das Angesicht wurde und still wie der Friede. – Ben David zog dem Todten das armselige Kissen weg unter dem Kopfe, stürzte den Wasserkrug um, in welchem vielleicht der Todesbote sein Schwert abgewaschen hatte; zerriß fein Gewand, und warf sich nieder auf dem Boden, wo er trauerte im Schweigen, oder betete, oder jammernd im Staube sich wälzte.

In diesem Zustand fand ihn am Abend der Oberstrichter. Die Wahrhaftigkeit seines Schmerzens hatte selbst die rauhe Brust des Thurmwärters gerührt, daß er es nicht gewagt, die theure Leiche dem Trauernden zu entreiffen, bevor der Befehl dazu gekommen [33] seyn würde. Starr und schweigend, ohne sich zu erheben, sah Ben David in des Oberstrichters Antlitz, als suche er in den Augen desselben zu lesen. Die Starrheit seiner Züge milderte sich jedoch, da er nichts als Mitgefühl in des Richters Blicken wahrnahm. – »Stehe auf, David;« sprach derselbe zu ihm: »Stehe auf, ich will zu Dir reden.« – »Herr;« versetzte Ben David: »ich darf nicht aufstehen; so will es das Gesetz, weil die Erde ist das Lager der bittern Armuth, und verschlingt unsern wahren Reichthum. Erlaubt mir, daß ich dem Gesetze folge, und redet zu mir, wie ein milder Herr zu seinem Hunde.« – »Steh auf, David,« wiederholte der Oberstrichter: »mich kümmert nicht Dein Gesetz; und Du magst es üben an anderm Orte und zu andrer Frist. Denn Du sollst frei seyn.« – »Frei?« fragte Ben David staunend: »Herr! redet Ich auch wahr und redlich? Schwer ist die Kette, aber sie wird schwerer, denn die Welt, wenn man versprach, sie zu lüften, und nicht dem also thut.« – »Ich lüge Dir nicht;« erwiederte der Oberstrichter ernst: »Du sollst frei seyn.« – »Frei?« wiederholte Ben David noch einmal: »hab ich's doch ganz verlernt, wie man ist frei. Gehen in freier Luft, ohne Bande, schlafen unter freiem Dache, ohne Schmerz und Sorge? Versteh ich Euch? und hat der Rath endlich erkannt die Wahrheit?«

»Er hat sie erkannt;« sagte der Oberstrichter: »der Schurke Zodick ist flüchtig gegangen, und Werkzeuge seiner mörderischen Frevel hat man in seiner Wohnung gefunden. Was den abscheulichen Menschenhandel [34] betrifft, den Du getrieben, so will der Rath Gnade für Recht ergehen lassen, in Rücksicht auf die böse Zeit, die ihr, auf Mord und Raub beklagt, ausgestanden habt, damit nicht gesagt werde, wir hätten Euch ungerecht behandelt. Allein, da es sich doch nicht geziemen würde, daß ein von einem Betrüger irre geführter Richterstuhl bekenne, daß er sich übereilte, und die peinliche Rathbank nimmer darauf eingehen wird, sich gegen einen Juden ferner zu erklären, so fiel der Schluß dahin aus, daß Dir zwar die Thüren des Kerkers geöffnet werden sollen, jedoch ohne öffentlichen Freispruch; daß die Dokumente dieses Handels vernichtet werden mögen, und Du binnen sechs Jahren verbannt bleibest aus dieser Stadt und ihrem Weichbilde, bei Verlust der Ohren und des rechten Daumens, so Du Dich wieder betreten ließest, binnen der aufgegebenen Bannfrist. Diese Pön magst Du hinnehmen, als Vergeltung für den Kauf eines Christenknaben. Im übrigen danke der Milde des Gerichtes, und entferne Dich noch disen Abend.« – »Herr!« versetzte Ben David nach langer Überleguug: »Es müßte nicht gelten die Freiheit, wenn ich nicht annähme Euern Antrag. Aber der Bann, der Bann macht mich zum Verbrecher.« Mein Haus wird verfallen, Gras wachsen vor meiner Thür, meine Freunde werden mich suchen, und fragen: »Wo ist er hingegangen, daß wir ihn nicht finden? Und meine Tochter, mein Esterchen! Herr! ich werde doch nicht können fort.« – »So muß ich Dich mit Gewalt wegbringen lassen;« entgegnete der Oberstrichter gleichgültig: »und wehe dann Deinem [35] Kopf und Deiner Faust, im Falle des Wiederbetretens.« – »O Herr!« seufzte der Jude: »Ihr seyd grausam in Eurer Barmherzigkeit. Und doch ist ein so herrliches Gut die Freiheit! Ich wollte gerne gehen, ob ich gleich nackt bin, wie ein Bettler, arm wie das Kind das eben zur Welt gebar der Schooß des Weibes. Denn ich habe nicht vergraben Schätze, ich habe nicht verborgen mein Gold. Meine einzige Habe ist ein elend Geschrifft, das der Wind mag zerstückeln, und vielleicht schon weggeführt hat die Fluth. Dennoch wollte ich gehen hinaus in die Welt, um zu seyn frei; ich wollte legen den Schlüssel meiner Thür in die Hände des Nachbars, und aushalten den Baun, mit dem Brandzeichen des Verbrechens, und zu suchen, und wieder zu finden mein Kind; aber diese Leiche, ... mein Vater .... ich kann sie doch nicht tragen auf meinen Schultern davon, und was wird aus ihr werden? Soll sie doch jetzt schon ruhen in der Erde, weil der Herr befiehlt, daß die Trauer nicht schlafe über Nacht im Hause. Was geschieht aber mit ihr: Werdet Ihr sie auf den Anger werfen lassen, oder in den Fluß? Wehe, wehe über Israel und seine Schmach! Mein Herz wallet mir im Leibe, denn mein Elend ist groß!« – »Beruhige Dich,« versetzte hierauf der Oberstrichter: »Deine Glaubensgenossen sollen Morgen den Todten von hinnen holen, und ihn nach ihrer Weise bestatten dürfen; bei meinem Eide!« – Da ging Ben David hin zu der geliebten Leiche, bückte sich über sie, und fragte: »Raaf, wirst Du Zorn fühlen gegen mich in Deiner unstäten Seele, wenn ich nicht [36] aushalte hier die Tage der Trauer? Ich will mich ja aufmachen, zu suchen meine Esther, – das Kind, das Du geliebt, das Kind, das Du getragen hast in Deinem Herzen, wie in Deinem Arm. Ich will, ein Verbannter, aufsuchen das Land, wo Deine Hütten stehen, Jakob, und das Gesetz gelehrt wird. Ich will dort die doppelte Zeit hindurch fasten und beten, und sitzen auf der Erde mit zerrissenem Gewand. Zürne mir jetzo nicht, ich darf ja nicht beerdigen Deinen Leib, ich darf ja nicht folgen Deinen Gebeinen zur Grube. Verzeihe mir, Raaf, dem das Paradies sey, und lebe wohl!« – Er küßte noch einmal zärtlich und ehrerbietig die Stirne und den Mund des Todten, drückte ihm die Augen zu, und band die Tephillum des Haupts darüber. Dann breitete er ein Tuch über das erblaßte Gesicht, und wendete sich zu dem Oberstrichter mit den Worten: »Befehlt, ehrsamer Herr, ich will gehorchen.« – »So gehe hin, sobald der späte Abend dämmert;« sprach der Richter: »Der Kerkerknecht wird Dich nach Sachsenhausen hinüber geleiten. Dort magst Du weilenbis Morgen. Mit dem frühesten des Tages jedoch schüttle den Staub von Deinen Schuhen, und wandre, wandre weit von hier. Dem erbarmenden Gefühle in meiner Brust habe ich genug gethan, da ich Dich losgebettelt habe bei dem Rathe. Zwinge mich nicht, Deine Strafe aussprechen zu müssen, und halte Deinen Bann.« – »Schon dämmert der Spätabend;« entgegnete Ben David langsam, durch die Fenster schauend, auf die nächsten Häuser, in welchen die Lichter angezündet wurden: »Das Brückenthor wird [37] bald gesperrt werden; ich will daher jetzt gehen, Herr, so Ihr befehlt.« – Der Wächter erschien mit Licht an der Thüre, und der Oberstrichter machte sich auf, das Zimmer zu verlassen. Ben David that einige Schritte, und blieb dann wie eine Bildsäule stehen. »Ist mir doch, stammelte er, als ob michs hielte bei den Haaren und Salomon's Ring mich festbannte, daß ich nicht kann fort!« – »Fasse Muth, Jude,« – antwortete der Oberstrichter hierauf: »Die Freiheit winkt. Spare die ungemessene Trauer. Der alte Mann stand lange schon am Ziele seines Lebens, und der Vater stirbt vor dem Sohne nach dem Laufe der Natur. Mich beklage, denn ich gehe von hier zum Sarge meines Erben!« – Ben David gedachte seiner Söhne, wendete mit dem schmerzlichsten Seufzer den Kopf noch einmal nach dem Entschlummerten, und folgte alsdann, sich wie in der Verzweiflung losreissend, dem Kerkerknecht. – Der Mann warf ihm, während sein Gehülfe dem Richter des Thurmes Thüre öffnete, ein wollnes Wamms zu, und sagte: »Das schickt Dir die Barmherzigkeit der verrückten Dirne, die des getauften Schurken Frevelthaten an das Licht gebracht. Die Jacke war für den Alten bestimmt, doch kommt sie Dir jetzo auch zu gut, so wie diese Flasche Wein, die von derselben Geberin geschickt worden ist. Die närrische Dirne hat Euch schon früherhin, da Eure Leute sich nicht um Euch bekümmerten, manchmal Wein geschickt, und er hat, – wenn gleich nicht koscher – Euern Judengurgeln wohl geschmeckt. Da, nimm auch diesen.« – »Was soll mir Wein?« fragte Ben David [38] bitter lächelnd: »Ich bin getränkt mit Sorge und Bangigkeit. Trinke Du, mein Freund.« – »Lieber Pech und Schwefel;« erwiederte der grobe Knecht: »lieber des Teufels heißesten Trunk, als Rüdesheimer, der schon einmal für jüdische Ketzer bestimmt ist. Darauf haftet schon der Fluch. Trink, und dann komm. Ich würde Dich an die Leine nehmen, wie der Schlächter das Schwein, euern Erbfeind; aber ich schämte mich, wenn mich in der Dämmerung ein Mensch in Deiner Gesellschaft erkennte. Darum will ich Dir erlauben, frei vor mir zu gehen, und ich zähle auf Deine schwachen Beine, daß Du mir nicht in der Stadt entkömmst.« – Ben David antwortete nicht auf die pöbelhaften Beleidigungen, zwang sich, einen Zug aus der übersandten Flasche zu thun, und folgte, nachdem er seine zitternden Glieder mit dem warmen Wamms bedeckt, seinem rohen Führer, der ihn auf der Gasse vorschreiten ließ, um ihn im Auge zu haben. Er trieb den armen geschwächten Juden hastig an, und brummte ohne Aufhören vor sich hin, daß er die Gnade des Magistrats nicht begreife; daß er es vorgezogen haben würde, den überlebenden Juden wo möglich zweimal verbrennen zu lassen, damit ihm die Strafe des Gestorbenen zu gute komme; und daß die Juden das schlechteste, aber auch zugleich das glücklichste Gesindel von der Welt seyen, dem Herren und Fürsten allzugnädig gar Vieles durch die Finger sähen. Am Brückenthor angelangt, wo schon die Pforten gesperrt werden sollten, schickte er seinen Begleiter unter derben Flüchen zum Teufel, und befahl den Wachen an, dem Juden, [39] falls er sich heute noch herüber wagen wollte, mit der Hellebarte die Nase aus dem Gesicht zu hauen, und ihn zu weiterer Bestrafung, einzufangen. – Ben David hatte indessen völlige Freiheit, zu gehen, wohin er wollte. Wankend vor Schwäche schritt er durch die Haufen der nach Sachsenhausen kehrenden Handwerker hin, under, dessen Schicksal eine geraume Zeit hindurch auf allen Zungen gewesen war, blieb unbemerkt und unbeachtet. Der Rath hätte kein besseres Mittel wählen können, allem Deuteln des Pöbels wie der Bessern auszuweichen, als den mißhandelten Juden gerade um diese Zeit wegweisen zu lassen. Ben David suchte auch nicht, sein Schicksal Jemand mitzutheilen, oder sein sehr kennbares Gesicht bei Lichte zu zeigen; deßhalb setzte er sich, da feine Mattigkeit ihm nicht erlaubte, weiter fürbaß zu ziehen, in einen entlegenen Winkel der Gasse, in welcher die Maternuskapelle lag, ein unausgebautes, seit bald fünfzig Jahren öde und wüst stehendes Kirchlein, das dem Müden wohl ein besseres Obdach gegeben hätte, aber als eine christliche Tempelstätte, schon mit dem Namen eines heiligen Patrons begabt, von dem gewissenhaften Juden nicht zum Schlummerplatz erwählt wurde. – Die Gedanken, die einen betrübten Sohn und noch betrübtern in alles Ungemach des Lebens und der Armuth herausgestossenen Vater quälen, belagerten auch die Sinne des unglücklichen Ben David, und verwehrten dem mildernden Schlummer allen Zugang zu dem Gepeinigten. Wohin sollte er sich jetzt wenden, um das verlorne Kleinod seines verbitterten Lebens aufzusuchen? Wohin [40] hatten die wilden Reiter, von denen Judith sprach, die bedauernswerthe Esther entführt? Und wenn er das Kind seiner Tage wieder in die Arme schloß, welche Schande weilte nicht vielleicht im verborgenen Hintergrunde? Seine grausame Einbildungskraft stellte die ganze wunderliebliche und verführerische Gestalt der Verlornen vor seine Augen, und bekümmerter hob sich seine Brust, denn so viel Liebreitz konnte nimmer der Gefahr entgangen seyn. »O Gott meiner Väter!« seufzte er aus dem Grunde seines Herzens in die rings um ihn still gewordene Nacht hinaus: »O Du, der Du gemacht hast die Sterne, die dort oben funkeln in der Krone Deines Haupts! Wie liege ich doch hier, so geplagt und gepeinigt, wie ein von Deinem Angesichte Verstossener? Ich bin unglücklicher, denn der arme Mann Job und der Bettler vor der Thüre des Reichen. Ich habe gehabt Geld und Gut, ich habe gepflegt einen greisen Vater, ich wurde bedient von einer geliebten Tochter; ich habe hinausgeschickt in die Fremde zwei Söhne, zu werden der Stolz meiner Tage, und meine Freude im Tode. Weh mir! weh mir! was ist geworden aus diesem Reichthum? Wahrlich, wahrlich; auch gegen mich hat sich der Schrecken gekehrt, und hat verfolgt wie der Wind meine Herrlichkeit, und wie eine laufende Wolke meinen glückseligen Stand. Das Schwert hat gefressen den einen meiner Söhne; abgefallen ist der zweite von dem Gesetze seiner Väter. Geschieden ist mein Vater in den Banden der Knechtschaft, und verstummt ist unter dem Himmel die Klage meiner Tochter. Wo ist sie, [41] die blühende Rose aus meinem Garten? Ach, sie ist vergangen wie ein Schatten, und von dannen gerafft worden, wie meine Habe, und betteln muß ich mein Brod vor den Hütten Jakobs, oder den Wohnungen Amaleks, das mir den Tod wünscht, statt Gedeihen, weil ich hänge an dem Gesetz, an Deinem Gesetz, hochgelobter, gepriesener Gott! weil ich mich nenne nach Israel, das Du geweiht hast vor allen Völkern der Erde. Gerechtigkeit war mein Kleid, mein Recht der fürstliche Hut meines Haupts! Hast Du denn so gar große Sünde gefunden an Deinem Knecht, o Herr, daß Du ihn schlägst mit Deinem unendlichen Zorn? oder willst Du prüfen, ob .....« Das leise Flüstern der bebenden Lippen verlosch in lauschende Stille, denn Gestalten, wie die Schatten der Nacht in düstre Gewänder gehüllt, eilte unfern von dem Platze des Juden vorüber. Gingen ihrer gleich mehrere zusammen, so wurde dennoch kein Wort gewechselt, und dieses schnelle und ganz geräuschlose Vorübertreiben der nächtlichen Wanderer machte nicht auf Ben David allein einen unheimlichen Eindruck, denn ein guter Bürger, welcher gegenüber, vielleicht der letzte Wachende in seiner ganzen Straße, beim düstern Lampenschimmer am halb geöffneten Fenster saß, schlug bei obigem Anblick mit dem halblauten Rufe: »Ach Jesus Maria!« das Fensterlein zu, und löschte schnell den Lichtschein, um scheu in sein Lager zu kriechen. – Ben David, mit Gespensterfurcht wenig bekannt, sah in den verhüllten Leuten keine Schrecknisse des Grabes; wohl aber erinnerte ihn seine Vernunft gar bald an das im [42] Finstern waltende Gericht, das von Zeit zu Zeit auf Sachsenhausens Boden gehegt wurde, und von dem Volke gefürchteter und gehaßter war, als von den Juden, die nicht vor die heimliche Acht gezogen wurden. Diese Freiung sicherte indessen diese Letztere nicht vor ungläubiger Mißhandlung, so sie in dem Umkreise der Vehmstätte als lauschende und neugierige Späher aufgefunden würden, und, um von den hin und her schweifenden Vermummten nicht ertappt zu werden, versuchte Ben David, trotz seiner Erschöpfung, von dannen zu schleichen, als eine bekannte Stimme, die sich in geringer Entfernung hören ließ, ihn neuerdings vermochte, sein Ohr aufzuthun, und zu verharren. »Bis hieher, und nicht weiter;« sagte eine Stimme freundlich: »hat anders die Sage des Pöbels einen Grund, so muß ich im Bereich der Maternkapelle meine Leute finden. Habe Dank, daß Du mich bis hieher geleitet, denn, da ich hier der Feinde so viele und mächtige zähle, wird mir bald selbst vor Meuchelmord bange.«

»Wer weiß, ob Ihr nicht einem ähnlichen Schicksale entgegen geht;« antwortete eine andere Stimme: »Seht, guter Dagobert, ich möchte Euch gar zu gerne wieder mit mir zurück nehmen nach der Stadt. Laßt das Wagstück bleiben, und geht in's Kloster, oder in die Fremde auf Abenteuer; dann lassen Euch die Finsterlinge ungeschoren!« – »Wahre Deine Zunge;« entgegnete Dagobert: »hier ist die Luft nicht rein; und von meinem Vorhaben bringst Du mich nicht ab. Um Deines freundlichen Geleits willen jedoch verzeihe ich Dir, daß Du mich so feig in Deinen bösen [43] Handel verwickeln wolltest, und nehme all meinen Groll zurück.« – »Ihr habt gut reden, Junker;« versetzte der Andre, – Gerhard von Hülshofen: – »und Ihr selbst hättet alsobald dem ganzen Ding eine andre Wendung geben können, hättet Ihr die Augen bei Euch gehabt, und den Jungen als Euern Bruder erkannt.« – »Du hast Recht;« sprach Dagobert mit einem Seufzer, nach kurzer Stille: »'s ist meine Schuld. Mir war der Knabe fremd. Geh aber jetzt mit Gott von dannen. Mir ist, als stände ich in einem Zauberkreise, und keinen Zweiten möcht' ich in mein Geschick verwickeln. Frage morgen im Einhorn nach mir; bin ich am Leben noch, so wollen wir einen Valettrunk halten, trotz dem im Rosengarten zu Worms, denn mir ist Vaterhaus und Vaterstadt verleidet, und ich will fort. Bei dieser Gelegenheit magst Du über Deinen langen Vollbrecht staunen. Die Kost in meinem Dienste schlug dem Burschen trefflich an, und er beginnt, Dir's gleich zu thun.« – »Ihr könnt noch scherzen,« sprach Gerhard: »und mir pocht das Herz wie einem armen Sünder! Ein gut Gewissen mag ein wackrer Harnisch seyn, allein ....« – »Das ist es auch;« meinte Dagobert: »noch einmal, geh! Komm ich nicht wie der, so grüß' den Vater und den Lehrer Johannes, und nimm mein Pferd, das Beste meiner Habe. Leb wohl aber jetzt.« – Ein Handschlag noch, und fort eilte der Begleiter. Dagobert sah sich unschlüssig auf der Kreuzstraße um, und brummte in den Bart: »Am besten ist's, ich warte hier, bis man mich ausgewittert. Ist's denn wohl der Nachtthau, der meine Augen[44] feucht macht, oder etwas Besseres? Der plumpe Wicht sogar hätte mich bald weich gemacht, und an den Vater, und an sie will ich gar nicht denken, sonst heule ich den unbekannten Herrn etwas vor, statt wie ein Mann zu reden. Und wahrlich, dieses Letztere zu thun, ist Noth, denn dort gilt's, wie es heißt. In Gottes Namen, und im Namen der Dreifaltigkeit: ich bin gefaßt.« – Er schlug den Mantel fester um die Schultern, und blickte scharf nach der Seite, von wo sich etwas gegen ihn bewegte. Den linken, in den Mantel gewickelten Arm vorgehalten wie ein Schild, und die rechte Faust am Griffe des kurzen Schwerts, das an seiner Seite hing, rief er dem Nahenden fein: »Wer geht da?« entgegen. Statt der stumpfen Stimme eines harrenden Freifrohnen redete ihn jedoch Ben David's Stimme an, die er alsobald erkannte; erschrocken rief er ihm zu: »Unglücklicher, woher kömmst Du? was willst Du hier? Rede, oder besser: fliehe! Man bringt Dich in Deinen Kerker zurück, oder die Diener der Acht schleudern Dich in den Main, so Du nicht eilig auf und davon gehst!« – »Ich bin nicht entsprungen, Herr!« erwiederte der Jude schwerathmend und demüthig: »ich will weiter wandern jedoch, um zu retten mein armselig Daseyn für mein Kind. Doch, eben dieses Kind ... Herr, ... Ihr habt es gekannt, ... Ihr habt es beschützt ... Ihr habt es vielleicht geliebt, wie ein Edelmann nicht soll lieben eine schlechte Jüdin.« – »Ben David!« rief der Junker halb zürnend, aber der Jude ließ ihn nicht weiter sprechen, sondern fuhr fort: »Hab' ich gesagt eine Lüge,[45] so verzeiht mir, und der liebe Gott wird es nicht minder thun. Und hätte ich gesagt die Wahrheit, und wär Esther geworden ein Spiel Eurer Muße und Eures raschen Bluts, ... Herr, ... ich muß Euch vergeben, da Ihr ein Christ seyd, und ich nur ein elender Jude; aber ich will auch vergeben, wenn Ihr barmherzig seyn wollt, und mir nur einen Wink gebet, wo ich sie wiederfinden kann, das Licht meiner Augen, – den Stab meiner schwachen Hand.« – »Aber, was rede ich?« setzte er hinzu, da Dagobert noch vor Bestürzung schwieg: »Ich bin ein Thor; blödsinnig bin ich geworden, und vergeßlich wie das Hirn eines alten Weibes. Weiß ich denn nicht, daß der verfluchte Zodick sie geraubt aus Euerm Gewahrsam, .... daß sie geworden ist eine Beute des Kriegsvolks? ... Weh mir! weh mir! wehe geschrieen über mich und Israel!« –

Der arme erschütterte Mann war im Begriff, in laute Klagen auszubrechen und mit seinem Jammer Nacht und Nachbarschaft aufzustören. Dagobert hatte besorgliches Mitleid mit den Vater seiner Esther. »Fasse Dich;« sagte er eindringlich zu dem Winselnden, indem er ihn mit starker Hand emporhielt: »Du stürzest Dich in's Verderben durch Dein zweckloses Gewimmer. Deine Furcht ist grundlos. Esther ist in Sicherheit; Gott und ich – wir haben sie nicht verlassen. Du wirst mich besser kennen lernen.« – »Engel, Fürst der Barmherzigkeit!« stammelte der froh überraschte Vater, Dagobert's Hände küssend: »Ihr habt Segen gepflanzt auf meinen dunkeln Weg, Öl gegossen in die Wunden meines Grams. Erfüllt [46] das Maaß Eurer Menschenliebe .... zeigt mir den Weg zu Esther. Besorgt nicht, daß ich sie reiße mit mir in's Unglück. Ist sie Euer Eigenthum geworden; wie der Knecht das des Herrn, ich raube sie Euch nicht, ... ist sie geworden Euer Gut, wie das Lieb des Buhlen, ich verführe sie Euch nicht; aber letzen muß ich mich mit ihr, damit ich hinfahren könne in Frieden.«

»Merke auf;« versetzte Dagobert schnell und bewegt: »Morgen schon magst Du im Arme Deines Kindes liegen. Unfern von der Stadt Friedberg liegt das Dürninger Schloß, und in dem Walde, der das Ritterhaus umgibt, steht, eingehägt wie das Veilchen im weitverbergenden Wieswachs, die Forsthütte des Schlosses. Darin haust Esther, dort magst Du sie finden, und mein in Frieden gedenken, sollte ich nimmer dahin zurück kommen. Geh' aber jetzt, Alter, denn sicher bleibt diese Stätte nicht mehr lange leer.« – Er riß die zwar nicht überflüssig gefüllte Börse vom Gürtel, und drückte sie dem Freudevollen in die widerstrebende Hand. Mit dankbarer Inbrunst küßte Ben David den Saum seines Mantels, stammelte die Worte: »Herr des Lebens! Herr der Gnade! Und Dich konnte ich nennen grausam?« und lief, ohne ferner zu verweilen, fort gegen das Gatterthor zu, das aus Sachsenhausen einen Ausweg darbot, und seine Flügel vor der Freigebigkeit des eiligen Wandrers willig öffnete. – »Die Begierde, über den Strom zurück zu kommen, stürzt vielleicht den armen Mann in die Fluthen, ehe noch das Morgenlicht den [47] Schiffer weckt, die Fähre zu rüsten!« sagte Dagobert vor sich hin, und schritt mit aufmerksamem Ohre hin und her. – »Es dauert lange!« fuhr er nach einer kurzen Stille fort: »wüßte ich nur ein Mittel, mich den Herren bemerkbar zu machen; denn gehegt wird heute. Die schwarzen Vögel strichen schon an mir vorbei.« – Indem er nun mit verschränkten Armen zu den Sternen emporsah in ungeduldiger Erwartung, und in der schmerzlichen Erinnerung an die Ferne, Ersehnte, – fiel ihm ein Lied ein, das zu jenen Zeiten im Munde aller gefühlvollen oder minneholden Jünglinge war; und da dessen einfach rührender Inhalt sich vollkommen nach dem Zustande seiner innersten Seele richtete, so sang er es vor sich hin mit halblauter Stimme, damit wieder Ruhe und Fassung in seine Brust kehrte: 5 »Vom Vaterland,« so fern so fern, – »hat mich erkannt« der Abendstern, – »und lacht mich an;« ich kenne Dich, »und Deine Bahn;« hier siehst Du mich! –

Nachdem er diesen ersten Vers vollendet, und sein Herz in neuer Kraft aufschlagen fühlte, war es ihm, als ob sich unfern von ihm wieder etwas regte. Er lauschte; das Geräusch hatte aber aufgehört. So begann er denn den zweiten Vers des ermunternden Liedes: »Ich blick' Dich an,« ach Abendstern, »auf [48] Deiner Bahn,« so nah und fern, »Wie freu' ich mich,« Dich hier zu sehn; »Du kannst – nicht ich,« zum Liebchen geh'n. – »Zum Liebchen gehn!« wiederholte er schmerzlich, und hielt die Hand vor die thränenden Augen. Neben ihm ließ sich indessen eine freundliche Mannsstimme vernehmen: »Habt Dank, guter Geselle: Euer Lied kam von Herzen, und ging auch zu Herzen. Gott segne den wackern Sänger, der es machte, und lasse es ihm wohl gehen; säße er auch in Schmach und Elend, ... vergnügt müßte er seyn, da die Dichtkunst und die liebliche Musika ihm dienen, und sie sind beide gar holdselige Engelein.« –

Dagobert schaute verwundert auf den Nachbar mit der leisen gemüthlichen Rede, und wäre fast erschrocken, da er in demselben einen kleinen verkappten Mann wahr nahm, über dessen Haupt die Kaputze eines dunkeln Mantels tief herabfiel. »Ich muß Euch aber jetzo bitten,« sprach der Mann weiter: »diesen Platz zu meiden. Es wird hier herum die kaiserliche beschlossene Acht gehegt, und wir haben Fug und Recht vom Kaiser, hier nur Geladene zu dulden. Ich hab' Euch nur das Liedlein wollen vollenden lassen, und denke, Ihr werdet ohne Säumen heim gehen.« – »Ei, mein Freund,« antwortete Dagobert fast lustig und wohlgemuth: »ich bin ja ein Geladener, und wenn Ihr, wie ich denke, ein Diener der Heimlichen seyd, so thut mir die Liebe, mich hinzuführen, wo man meiner bedarf, denn es ist nicht eben fröhlich, hier das Grab umsonst zu hüten 6. [49] Die Stunde ist spät, und vom Main weht keine sommerliche Luft.« – Der kleine Mann warf sich bei diesen Worten etwas in die Brust, und fragte nach dem Namen des Andern. Als derselbe sich genannt, staunte der Frohn ein wenig. – »Ihr seyd allzufertig, Junkher Frosch;« sagte er mit einer Art von Verbeugung: »Nur ein gut Gewissen stellt sich, ohne die dritte Ladung abzuwarten, vor die Schranken. Glück auf, Herr, und folgt mir. Ich will hoffen, Euch wohlbehalten wieder hieher zurück zu bringen.« – »Gott geb's!« versetzte Dagobert: »Schreitet voran, Ihr da; ich komme nach.« – »Erlaubt, daß ich Euch mit diesem Tuche die Augen blende;« entgegnete der Frohn: »wir haben nicht weit zu gehen, und der Gebrauch will es so. Auch Eure Waffen gebt mir, falls Ihr deren bei Euch tragt.« – Dagobert besann sich ein wenig; dann sagte er: »Und warum denn nicht? Mein Recht bedarf keines Schwerts, und die schwache Klinge würde nicht der Gewaltthat Vieler sich erwehren können.« – Er reichte dem Frohn die Waffe, und ließ sich geduldig das Antlitz verhüllen, worauf ihn der Frohn bei der Hand nahm, und behutsam mit ihm voranging. – »Wäre ich Freigraf und Schöppenbank in Einem,« wisperte der Kleine dem Jüngling zu: »so hätte ich Euch schon dort auf dem Kreuzwege freigesprochen; denn ein[50] Mann, der solche Liedlein singt, und singt, wie Ihr es thut, .. der hat nimmer einen Frevel im Schilde geführt.« – »Ihr habt viel Vertrauen, obschon Ihr zu den Heimlichen gehört;« meinte Dagobert: »könntet Euch wohl irren.« – »Nicht doch;« versetzte der Frohn: »ich kenne Euch auch nicht erst seit heute, und schon, da Ihr mit Singen aufhörtet, und zu sprechen begannt, hab' ich wohl gewußt, wer Ihr seyd. Ich kenne Euch recht gut und Euer Haus.« – »Ei, so soll mich Gott! ..« sagte Dagobert, im Gehen inne haltend: »Ihr seyd mir auch nicht fremd, und manches Stiefelpaar hat mir Eure Hand gefertigt, Meister Freudenberger, wenn mich meine Ohren nicht abscheulich hinters Licht führen.« – »Pst!« antwortete der Andere, und weiter nichts. – »Wie kommt denn Ihr, der fröhliche Meister und kunstgerechte Chor- und Stubensänger, – wie kommt Ihr unter diese Eulen der Nacht?« fragte Dagobert theilnehmend weiter. Der Frohn drückte ihm aber rasch die Hand, und flüsterte: »Stille, um des Himmels Willen. Wir sind unfern dem Stuhle, und haben nur das Zeichen zu erwarten.« – Lautlos standen Beide stille, und nachdem verschiedne Stimmen, brummend und flüsternd an ihnen vorüber gegangen waren, geschahen unweit von ihrer Stätte sieben Hammerschläge auf ein dröhnendes Brett, und mehrere Menschen kamen heran. »Ben!« rief der Eine, mit viel Frohsinn in dem Ausdruck seiner Rede: »'s hat hart gehalten, aber, Gott sey Dank; Recht ist Recht geblieben. Wie wird sich meine Mutter freuen, wenn ich wohlbehalten nach Hause komme. Sein ferneres [51] Geplauder, wie eine Mahnung der Begleiter sich ruhig zu verhalten, verscholl in der Weite.« – »Dieser Mensch hat's glücklich überstanden;« dachte Dagobert für sich: »die Vehme scheint also nicht aus eitel Bluthunden zu bestehen; darum Muth, Freund Dagobert. Muth und offnen Helm!« –

Rasch fühlte er sich nun fortgeführt; sein Fuß betrat glattes Steinpflaster; er hörte ein Geräusch um sich summen, wie Reden aus dem Munde Vieler, die sich an den Bogen eines Gewölbes brechen. Der Frohnbote hieß ihn stille stehen, und nahm ihm die Verhüllung von den Augen. Dagobert erkannte angenblicklich die Maternuskirche als die Stätte des heimlichen Gerichts. Auf den Stufen, den Altar zu tragen bestimmt, war eine schlichte Tafel errichtet, hinter welcher der Freigraf auf einem Stuhle, die sieben ihn umgebenden Schöppen auf niedern Bänken saßen. Vor dem Erstern lag ein Schwert und der Zweig einer Weide. Hinter den Sitzen der Richter standen und saßen theils einzeln, theils in mannichfachen Gruppen, eine Anzahl von Männern, deren sorgfältige Verhüllung, jener der Richter gleich, andeutete, daß sie mit zu den Wissenden gehörten, ob als Frohnboten, oder als echte und rechte Schöppen, jedenfalls ohne an dem Gerichte thätigen Theil zu nehmen. Um den Vorgeladenen standen einige Diener des Gerichts in bescheidentlicher Entfernung. Zwei Lampen, von welchen die eine an der Thüre gehalten wurde, die Andre vor dem Grafen stand, leuchteten in diesem düstern Bau. Die Unterredung der im Kreise Sitzenden dauerte mit Lebhaftigkeit [52] fort, bis endlich der Frohnbote den Freigrafen bescheidentlich erinnerte, daß der Vorgeladene des Weitern harre. Ein Schlag auf den Tisch stellte die Ruhe her. Aller Augen richteten sich – unter den bergenden Kaputzen hervor – auf den Jüngling, dessen Ruhe und Sicherheit in dem Maaße zunahm, als er mehr und mehr gewahr wurde, mit welcher Sorglosigkeit die so gefürchteten Richter ihr Geschäft betrieben. – Der Freigraf erhob zuerst seine Stimme, und sprach: »Ich frage Dich, Frohne, ob es noch wohl an der Zeit seye, in Statt und Stuhl unsers allergnädigsten Herrn, des römischen Kaisers, daß ich ein Gericht und heilig Ding hege, zu richten unter'm Königsbanne.« – Der Frohne antwortete: »Sintemalen Ihr von der Freigrafschaft, und von der leiblichen Hand des römischen Königs Fug und Recht zu hegen empfangen habt, so mögt Ihr noch immer thun zu Rechten an diesem Beklagten, Geladenen und Gegenwärtigen.« – Hierauf wurde dem Jüngling abermals das Haupt verhüllt; dagegen enthüllten Freigraf und Schöppen ihr Antlitz, und entblößten ihre Häupter. Sie legten die Mäntel zurück auf die Schultern und warfen die Handschuhe ab. In Aller Namen sprach der Freigraf die Worte: »So hege ich denn ein Gericht und billig gefeimtes Geding unter'm Königsbann, auf des Königs Bank, Stätte und Stuhl mit diesen echten, rechten freien Männern des Königs, und fürbaß mit diesen andern Freischöppen; wie sich's mit Recht gebührt unter'm Königszwang und bei der höchsten Strafe des Strangs.« – Die Richter verhüllten sich wieder, setzten sich, und [53] dem Geladenen wurden die Augen freigegeben. Nach den Eingangsfragen, aus welche Dagobert mit harmloser Unbefangenheit antwortete, kam die Reihe im schnell und oberflächlich geführten Verhör auf die Missethaten, deren der Vorgeladene von einem Wissenden beschuldigt worden sey. Dagobert's Herz empörte sich bei der Aufzählung der Verbrechen, die ihm zur Last gelegt wurden, aber diese edle Zorn übermannte nicht das Bewußtseyn seiner Unschuld, und raubte ihm nicht die Sprache des kühnen Mannes, der sich stark und kräftig gegen solche Unbill vertheidigt. Mit hinreißender Beredsamkeit schilderte er den Unbekannten seines Lebens klaren Weg; wie ihm ein gesundes, gutes Herz stets das höchste Kleinod gewesen, wie er immer seine Eltern geliebt und geehrt, – wie er selbst die Stiefmutter, die ihn gehaßt, so kindlich behandelt, daß sie endlich seine vertrauende mütterliche Freundin geworden. Er sagte klar und frei heraus, wie Wallrade ihn stets verfolgt und gehaßt, wie er ihr freundlich die Hand geboten, doch ohne Erfolg. Er sprach von der nothwendig guten Beziehung, die Judith's letzte Aussagen, und die Kunde vom Aufenthalt Wallradens auf seine Sache haben müßten.

»Ich habe also nicht des Vaters Leben einem Mörder verdungen;« sprach er: »ich habe nicht die Schwester in Räubers Hand geliefert; ich habe keinen Theil an dem Verkauf des Knaben Johannes gehabt. Die Vernunft spricht mich frei davon. Wird es mir, erleuchteten und weisen Männern gegenüber, schwer fallen, meine Unschuld in den übrigen Anklagen [54] zu beweisen? Nicht die That steht mir zu diesem Endzweck zu Gebote; nur das Wort. Aber auch nicht die That kann man als Beweis gegen mich aufbringen; nicht das Wort. Mein Wandel war unsträflich bis hieher. Ich habe meinen Vater stets geehrt, und geachtet seine grauen Haare. Ich habe ihm nicht den schlechtesten Pfenning entzogen, und sollte mich an dem höchsten Schmuck seines Hauses, an dem Herzen seines geliebten Weibes zum Diebe gemacht haben? Die abscheulichkeit kann nur aus dem Grunde einer verläumderischen Brust kommen, und ich verachte sie als Mann und als Christ. Die letzte Beschuldigung endlich, ihr Herren des Vehmgedings, ist nicht minder ungegründet. Buhlschaft unterhalten mit einer Jüdin, und dadurch zum Ketzer werden? Wer zeiht mich dessen? Ich habe die arme verlaßne, von der Welt gehaßte und verachtete Dirne in meinen Schutz genommen, ohne sträfliche Absicht. Ich halte sie verborgen vor ihren Feinden, und bin fröhlich, daß es mir gelungen ist. Vergebens befragte man mich nach ihrer Zufluchtsstätte. Das Lamm, das ich rettete, verkaufe ich nicht selbst den Wölfen, und ich müßte mich zuvörderst überzeugen, ob nicht hinter diesen Gewändern, die Euch, ihr Herren, verhüllen, von diesen Wölfen einige verborgen wären. Verzeiht mir dieses dreiste Wort; überführt mich jedoch vom Gegentheil; und könnt Ihr mir verbürgen, daß Esther, Ben David's Tochter, gehalten werden soll, wie eine ehrliche Dirne, und nicht wie ein verworfnes Thier, – könnt Ihr mir verbürgen, daß sie Händen übergeben wird, die redlich und ohne Haß ihr Bestes wahren, – [55] dann erst sollt Ihr ohne Widerrede erfahren, wo sie weilt. Ich aber habe mich in Eure Gewalt gegeben, ob Ihr meinen Worten trauen wollt, ob nicht. Es wäre mir nicht schwer geworden, manches Böse zu enthüllen, das ich von denen erfahren, die ich verletzt haben soll, allein Rache und böse Vergeltung ist meiner Seele fremd. Ich bin ein deutscher Junge, handle schlicht und recht, und denke in dem kaiserlich freien Gericht, vor dem ich mich sonder Furcht gestellt, nicht den Stuhl zu finden, vor dem die Wahrheit flieht, und die Lüge das Haupt erhebt, wie das Volk insgemein befürchtet; sondern einen Verein von deutschen Männern, die des Königs heiligen Namen ehren, und nicht minder den untadeligen Menschen, den Gott nach seinem Ebenbilde schuf.« –

Als nun der herzhafte Jüngling schwieg, verbreitete sich über den ganzen Raume eine Stille sonder Gleichen, und jeder von den Unbekannten überlegte, ob denn Dagobert gesprochen wie ein Beklagter, oder vielmehr wie ein Wissender selbst, der den Stuhl des Grafen besteigen will. Der Freigraf hob, der Erste, wieder an zu reden, und sagte: »Gott walte, daß auf dieser Vehmstätte die Unschuld wissentlich verderbe. Der Mann, so das Reich hütet, – unser gnädigster Herr und König hat nicht darum seine höchste Macht über Gut, Ehr' und Leben in unsre Hand gelegt, daß wir tödten sollen den Schuldlosen, und erhöhen den Sträflichen. Bedeutet das Schwert hier vor uns das Kreuz, an welchem der Erlöser gelitten, und die Gestrengigkeit unsers Gerichts, so wie die Weide die Strafe der Bösen, um [56] ihre Missethat; so hat uns doch der Herr die Weisheit gegeben, die das Wahre unterscheiden mag vom Falschen. Gleichwie der erste Stuhl auf rother Erde der Spiegel des Reichs genannt wird, in welchem Alles zu schauen, wie es ist; also jede Vehmstätte für die ihr Untergeordneten durch kaiserliche Satzung. Ich finde nicht die Schuld an Euch, deren Ihr bezüchtigt worden, und die Stimmen dieser sieben Freien mögen zur Sprache kommen.« – Während die Schöppen rings um die Tafel leise ihre Entscheidung dem Freigrafen mittheilten, bemerkte Dagobert, daß in einer Ecke, halb von einer vorspringenden Säule verdeckt, einer der Verhüllten sich wie ein trostloser Mensch geberdete, das Haupt gegen die Säule stemmte, und sich nicht durch das Zureden einiger um ihn Versammelten begütigen ließ. –

»Die Schöppen der heimlichen Acht finden keinen Fehl an Euch;« begann der Freigraf feierlich, »und damit Ihr sehet, daß wir redlich richten, sonder Willkür und Minne, so rufe ich den Wissenden, Euern Kläger vor die Schranken, hiemit zum ersten, zweiten und dritten Male.« – Der Verhüllte, von dem früher gesprochen, wankte heran, umgeben von seinen Begleitern. – »Schöppe;« sprach der Freigraf ernst: »wir finden Eure Klage ungegründet. Wollt Ihr sie beschwören auf Euern Eid, oder beweisen, daß Ihr den beklagten Mann ergriffen auf handhafter That? oder weiter führen die Klage vor die Kammer des Reichs zu Dortmund?« – Der Kläger schüttelte den Kopf, und sprach mit halberloschner Stimme: »Nein, mein Herr Graf. Nimmer soll [57] das geschehen. Die schwerste Pflicht hab' ich als redlicher Freischöppe in Treuen und Wahrhaftigkeit zu erfüllen geglaubt. Der Himmel will, daß ich erliege mit meiner Klage. Ich schwöre nicht auf meinen Eid und meine Pflicht; denn dieser wäre dann verloren, und Gott will, daß er frei ausgehe. Auf handhaftiger That hab' ich ihn nicht ergrisfen, und kann nicht Zeugniß stellen ohne Lüge, und vor dem Spiegel der rothen Erde trage ich meine Schande fürder nicht.« – Das Blut in Dagobert's Adern starrte, denn die Stimme seines leiblichen Vaters war in der des Klägers nicht zu verkennen. Gewaltsam mußte er an sich halten. Als aber der Gedemüthigte fortfuhr: »So unterwerfe ich mich denn der Strafe, die des Freigerichts Ordnung selbst gegen den Wissenden verhängt, und biete meinen Hals der Weide, wie der Beklagte hätte thun müssen; ...« da konnte Dagobert nicht ferner schweigen; sondern stürzte mit dem Ausrufe: »Barmherziger Himmel! mein Vater!« gegen den Stuhl hin: »mein armer getäuschter Vater sterben für mich? O ihr Herren der Vehme! Das nicht, das nicht dem ärmsten betrogenen Greise, den ein grausam Verhängniß gezwungen hat, den Sohn selbst anzuklagen auf peinliche Strafe!« – Der Freigraf winkte ihm Stille zu. Indem trat ein Andrer auf, dessen Rede und Geberde den Oberstrichter verrieth: »Herr Graf,« sagte er: »Dieses heutige Freigeding ist merkwürdig durch den leichten Sieg, den eines Jünglings beredte Zunge und scheinbare Freimüthigkeit sonder Beweise über eines Wissenden Klage davon getragen. Jedoch; Euer [58] Spruch, ihr Herren, ist einmal geschehen, und unumstößlich für uns. Übt jedoch Nachsicht gegen den Kläger, der mit Ehren seit langer Frist unter uns gesessen. Seine Klage war Pflicht; eine gebotene. Die klare Wahrheit ist noch nicht am Tage. Sprecht daher kein blutig Urtheil. Es sey hinlänglich, ihn unfähig zu machen, ferner zu sitzen und zu klagen an gespannter Bank.« – »Diese Schande?« rief Diether heftig entgegen: »Nimmermehr! nehmt meinen Kopf, damit jener Mensch lebe!«

»Vater! Vater!« sagte hier Dagobert mit überwallendem Schmerze: »Vater! Ihr versündigt Euch an mir. Habt Ihr denn mein Leben gewollt? O dann Ihr Herren, nehmt es hin. Nehmt es in diesem Augenblicke. Haßt mich gleich der Vater unverdient, so will ich dennoch lieber alle Missethat bekennen, die man mir aufgebürdet, und als Ketzer und Ehrenschänder sterben, als daß nur ein Haar meines Vaters gekrümmt, seine Ehre nur mit einem Hauche verletzt werde.« – »Und diesen Sohn konntet Ihr verfolgen, Schöppe?« fragte der Freigraf mit strengem Vorwurf: »Und die verderbliche Leidenschaft tobt noch in Euch? Weniger zu hassen, als zu bemitleiden seyd Ihr, ein Spielwerk in den Händen des Zufalls und falscher Freunde. Ich sah voraus, in welchen Kampf Eure Seele gerathen würde, bei dieser unseligen Klage, die ich mit blutendem Herzen angenommen habe. Um dieses Mitleid zu üben, greife ich zu dem Mittel, das schon als ein letztes bereit lag, wäre auch der junge Mann überwiesen worden der Beschuldigung. Denn – nicht solle es heißen, daß [59] unter meinem Vorsitze der Vater den Sohn gemordet habe auf der Stätte des Gerichts. Ich erkläre daher unsern Spruch nicht als ein kräftig Unheil, sondern weise die Klage ab. Der Junker Dagobert Frosch ist gefreit von der Vehme. Er ist der Kirche verlobt, und schon als Cleriker zu halten. Null und nichtig ist die Freisprechung, die ihm Johannes, der Papst, zugewendet. Johann war seines heiligen Amtes entsetzt, hatte selbst die Formel der Absetzung verlesen im Concilio, und war nicht mehr befugt, ein solches Kirchenrecht zu üben. Sein Mund konnte nicht mehr lösen was gebunden war durch fromme Gelübde: Dagobert Frosch, des Altbürgers Sohn, ist demnach noch Priester, frei von dem Zwang der Vehme, und wir überlassen es dem geistlichen Amte und dem Bischof, ihn zu seinen Kirchenpflichten anzuhalten, von welchen wir, da wir die Ladung gaben, nichts gewußt. Also haben wir abgeurtheilt nach altem Herkommen und Gesetzen des Kaisers und des Reichs, und zum Frommen legen wir dem Beklagten den Eid auf, geheim und hehr zu halten, was er an diesen Schranken des Freigedings westphälischen Gerichts gesehen und gehört.« –

Dagobert wollte zwar anfangs mit keckem Muthe widersprechen, da der Freigraf von der Nichtigkeit feiner Freisprechung durch den Papst handelte, aber der Gedanke, daß dieses der einzige Weg sey, sich und den Vater von Schimpf und Schmach zu retten, verschloß ihm den Mund. Eben so willig leistete er den verlangten Eid auf das vorgehaltne Schwert, und ließ sich von dem Frohnboten wieder von dannen[60] bringen. Der gute Mann nahm theilnehmend Abschied von dem Junkherrn, und sagte: »Ja, Herr; Gott hat es wohl gemacht; aber er erhalte uns auch noch lange den edeln Freigrafen, der selbst unter den Wissenden strenges Recht übt. Ihr habt ihn, – er Euch vielleicht noch nie gesehen, aber der gottesfürchtige Mann macht keinen Unterschied. Sie sind nicht alle so sanft und gerecht, wie Er, mein lieber Herr. Doch hier seyd Ihr unfern dem Brückenthore. Gehabt Euch wohl. Ich muß zurück. Es gibt noch heute eine Ladung anzuschlagen; und da der Bursche flüchtig ging, und darum der Brief an alle Warten geheftet werden muß, so haben wir, meine Gefährten und ich der Müdigkeit noch viel, des Schlummers wenig zu gewarten.« Dem guten Dagobert ging's nicht besser. Schien ihm doch die Begebenheit der Nacht nicht als ein böser Traum.

Fußnoten

1 Die jüdische Lehre verbietet, ein Kind zu enterben, aus welchem Grunde es auch geschehen möchte.

2 Andeutungen aus dem Talmud.

3 Reichere Juden pflegten sich aus Palästina Erde kommen zu lassen, mit welcher sie einen Polster oder ein kleines auf der Brust zu tragendes Amulet anfüllten, damit sie ihnen beim Sterben unter das Haupt gelegt werde.

4 Nach den Angaben und Lehrsätzen mehrerer Rabbiner; vielleicht der schönste poetische Gedanke des Talmud.

5 Dieses Lied an den Abendstern ist wirklich ein dem Mittelalter angehörendes, welches durch seine naiven Worte einen eignen Zauber über das Gefühl des Lesers übt.

6 Sprichwörtl. Redensart, entsprungen dem Gebrauche, in der heil. Woche das Grab des Heilands in den Kirchen von Schülern gegen eine Vergütung an Geld und Speise hüten zu lassen.

3. Kapitel
Drittes Kapitel.

In des Löwen Höhle führen wohl die Fußtapfen; ... wer sagt mir aber, ob zurück?

Fabel.


»Ihr könnt mir glauben, lieb Herrlein,« sprach am andern Morgen Gerhard zu dem Sohne Diether's: »Ihr könnt mir glauben, daß ich von Herzen froh bin, Euch wiederum zu sehen, lebendig anzutreffen, [61] und erlöst aus den Klauen des schwarzen heimlichen Gesindels, ob mir gleich ein schönes Roß dadurch entgeht, und Ihr nicht einmal meiner Neugierde etwas von der Historie, die drüben vorgefallen ist, zum Besten geben wollt.« Aber dennoch bin ich nichts weniger, denn zufrieden mit Euch, und ich möchte ausrufen, so oft ich Euch ansehe, wie Ihr da sitzt, trüb vor Euch hinstarrend und wortkarg: »Wo sind sie hin, die Tage von Costnitz? und wie bedaure ich es, daß sie von hinnen gerauscht sind. Und noch mehr: wo sind sie hin, dieAbende von Costnitz, wo wir andres zu thun hatten, als der Vehme unsere Reverenz zu machen? Damals blühtet Ihr wie ein Borsdorferapfel, und ich war mit meinem Fett zufrieden; heute seht Ihr blaß, und mein Wamms wirft, – Dank der Atzung im Oberstrichters Hause, – verdrießliche Falten. Damals gleitete der Wein durch unsre Kehlen auf der Bahn ölglatter Bissen, lecker bereitet und hungrig verschlungen; heute schenkt Ihr nicht einmal einen Blick den herrlichen Fleischschnitten und dem Würztrunk, mit welchen Euch der freundliche Wirth vom Einhorn zum Frühimbiß bedacht hat; geschweige, daß Ihr noch so viel Gastfreundschaft bewahrt hättet, mich an Eurer Statt zum Mahle zu laden.« –

Der Edelknecht wartete übrigens die Einladung nicht ab, sondern griff nach dem Becher und nach dem Messer. Dagobert nickte ihm halblächelnd zu, und sagte: »Nur zu, altes Sieb; nur zu. Ich gönne Dir's von Herzen, und würde selig und vergnügt seyn, könnte ich Dir's nachthun. Ich hätte nimmer [62] geglaubt, daß ich mich einst an Deine Stelle wünschen möchte; allein, alles, was ich besitze, Eines ausgenommen, gäbe ich darum, könnte ich seyn ein fröhlicher Thor, wie Du.« – »Ein Lobspruch, der mich ärgern könnte;« erwiederte Gerhard mit vollen Backen: »aber .... ich vergebe Euch: Ihr seyd verliebt, und der Hagel soll mich treffen, wenn Ihr nicht das Judendirnlein minnt; das wunderholde Gesicht, das während der Mummerei zu Costnitz neben des vertrakten David's narbigem Gesichte aus dem Fenster sah. Ist das jedoch eine Liebe, wie sie einem kecken Manne geziemt? Laßt das Seufzen und Grämeln einem siechen Weiberknecht, oder einem dünnleibigen Minnesänger; laßt es den scheinheiligen Pfaffen, die sich mit Demuth und Wehmuth, und verdrehten Augen und schmunzelnden Lippen in das Herz einer Dirne schwatzen, bis sie darin ganz unverschämt den Herrn und Meister spielen. Stillt Eure Sehnsucht und kümmert Euch nicht um die Welt. Der Kutte seyd Ihr ledig, und mir zum Mindesten kömmt's nicht wie eine Todsünde vor, eine hübsche Judenmagd zu lieben. Der liebe Gott hat viel Unkraut erschaffen, das demungeachtet anmuthig aussieht, und erquickt durch Farbe und Geruch.« – Dem Schwätzer war's gelungen, durch die dreiste Auslegung seiner Lebensweisheit dem ernsten Dagobert ein neues Lächeln abzugewinnen. »Guter Freund;« antwortete dieser: »bin ich gleich nicht einverstanden mit Deinen wilden Gedanken, die aufschießen wie das Unkraut, so beurtheilst Du mich doch falsch. Nicht die Minne preßt mein Herz, daß es seufzt, und schwerem Gebreste [63] unterliegt. Die Minne ist's allein, die mich aufrecht erhält, und mein Gram wurzelt nur im Vaterhause.«

»Ei, so laßt das törichte Haus liegen, wo es liegt, unfern der Liebfrauenkirche zu Frankfurt am Mainstrom,« meinte Gerhard: »und geht dahin, wo Euer die Stütze der Liebe wartet. Die Dinge in Eures Vaters Hause sind böse, bis auf das Fleisch hinein, wie ich wohl merke. Laßt darum Eure Hände davon; nehmt Euer Lieb, hinaus damit in die Welt, und wollt Ihr gar gewissenhaft seyn, so laßt das Mägdlein taufen. Dann mag der Teufel selbst es Euch nicht rauben.« – »Du malst die Zukunft leicht und schön;« entgegnete Dagobert leichtern Herzens: »und wer weiß, ob ich Deinem Rathe nicht folge. Der Herzog von Österreich-Tyrol hat wieder Friede gemacht mit dem Kaiser, und ich glaube doch, ich möchte wohl hinter seinen Alpen ein Plätzlein finden, meinen Herd zu gründen; auch ohne Vatershülfe.« – »Ei, der Herzog soll leben!« rief Gerhard, den Becher leerend: »Ist er gleich derb wie ein Eichenknorren, so ist er doch gut wie ein Kind. Ihr wißt, wir sind zuletzt aus Feinden die besten Freunde geworden, und ich habe dem Kaiser die Pest auf den Hals gewünscht, daß er dem Herzog die Eidgenossen auf den Hals hetzte, in der größten Noth, und Schuld war, daß die Länder im Argau, Thurgau und Breisgau zum Teufel gingen. Aber von Tyrol hielt Sigmund die große Nase weg, und Friedrich, wird er gleich der mit der leeren Tasche genannt, vermag es doch noch, einen Freund wie Ihr seyd,[64] warm und trocken zu setzen.« – Gerhard wollte sich just noch eines Breitern über Dagobert's hingeworfenen Vorsatz auslassen, als der Wirth des Hauses schnell hereintrat. »Denkt Euch doch, Ihr Herren!« begann er, wider seine Gewohnheit schnell und lebhaft redend: »Ein Bauersmann, der meine Küche versorgt mit den Früchten seines Ackers, sitzt so eben unten, und erzählt, er sey dem Schelmenritter, dem von Vilbel begegnet, der nach Hayn zum Grafen von Katzenelnbogen ritt; einzig und allein von zwei Knechten geleitet. ›Kennst Du mich, Bäuerlein?‹ hat er den armen Mann angefahren, der demüthig in's Wagengeleis getreten war, und sein Käpplein abgezogen hatte. Und da der Bauer bejahte, so fuhr der Ritter fort: ›Ziehst Du nach Frankfurt auf den Markt, so grüße mir die Herren auf dem Römer, und lade sie in meinem Namen ein nach Erlebach für diesen Abend. Meine Buben, die wilde Jagd aus der Wetters, feiern heute dort den Kirchweihtag, und ich will noch selbst darauf den Reigen eröffnen, trotz meinen alten Beinen.‹ – Nachdem er diesen Spott von sich gesprudelt, hieb er den Bauer mit der Peitsche über den geschornen Kopf, daß er taumelte, und die Knechte warfen ihn aus Muthwillen in den Graben, daß all die Waaren, die er im Korbe trug, verdorben im Morast lagen. Sagt nun, ihr Herren; wär's wohl gerathen, den Herren auf dem Römer die Mähr anzuzeigen, daß sie den Erlebachern Hülfe schicken, die der Wüthrich gewiß heut Nacht mit Brand und Mord bedroht?« –

[65] »Thut wie es Euch gefällt, guter Wirth;« erwiederte Dagobert: »viel helfen wird's jedoch nicht, wenn auch der Räuber in seinem Übermuth, frech genug die wahre Färthe verrieth. Die Herren des Raths sind unschlüssig, uneins, und ich denke wohl, daß meine Schwester graue Haare haben, und Euer Gast, der Kaufdiener verhungert seyn wird, wann einmal der Beschluß herauskömmt, ernstlich auf deren Befreiung zu sinnen.« – Der Wirth begab sich, durch Dagobert's Worte unschlüssig geworden, kopfschüttelnd hinweg, und der junge Altbürger sprach munter und eilig zu dem Edelknecht: »Glaubt Ihr wohl, daß diese Kunde mich wieder aufregte zum Leben? Ihr habt Recht: Trübsinn und Schwermuth machen uns bresthaft, ohne zu helfen. Männlich Wollen und Thun gibt uns hingegen neue Kraft. Ich liebe meine Schwester nicht; weiß Gott, ich müßte es lügen, allein das erneuerte Angedenken an ihre schmähliche Haft empört mich; nicht minder die Saumseligkeit des Raths, der mit Drohungen stets, zur That aber selten gerüstet ist. Laß uns die Vollstrecker des Befehls werden, den die Bürgermeister geben werden, wann es zu spät seyn wird. Mich drängt es ohnehin, diese Mauern zu verlassen, die mir vorkommen, wie ein Grab meiner angebornen Fröhlichkeit. Laß uns reiten, und auf dem Wege nach Hayn in Hinterhalt uns legen. Ich will doch auch einmal versuchen, wie sich's thut, wenn man auf der Landstraße den Feind niederwirft, und – will's Gott, – muß Bechtram unser seyn, ehe noch die Sonne im Mittag steht. Er wird sich fördern im Geschäfte mit[66] dem Grafen, um rasch wie der Blitz am hellen Tage noch an unsrer Stadt vorüber zu ziehen, und Abends bei seinen Gefährten zu seyn; denn einen blutigen Tanz hat er sicher vor, wenn auch wohl nicht zu Erlebach.« – »Beim heiligen Martin!« rief Gerhard: »Ihr habt mir aus der Seele geredet. Ich habe ohnehin mit dem alten Bösewicht einen Faden vom Rocken zu spinnen. Mögt Ihr's glauben, daß der Graukopf, zur Zeit, da er noch Hauptmann der Stadt gewesen, dergestalt vom Teufel des Hochmuths geplagt worden ist, daß er es abschlug, mit mir Brüderschaft zu trinken, ... blos, weil er dem Kaiser die Sporen abgegaunert hatte? Donner und Strahl! heute ist der Tag, an dem ich ihm jene Unbill in den Bart reiben könnte. Darum, mein wackrer Geselle! auf, und nicht gesäumt. Ich will gerne ohne Trunk die Mittagshitze verwinden, wenn wir nur nicht die Gelegenheit versäumen, dem Schurken einen Stein in den Garten zu werfen, und uns dafür einen solchen bei der Stadt in's Brett zu setzen.« – »Das Letztere mag Deine Sorge seyn;« versetzte Dagobert spöttisch, und rief nach Vollbrecht, um Alles ohne Aufsehen zum Auszuge rüsten zu lassen. – Bei dem Namen des Knechts faltete sich des Hülshofners Stirne: »Wär's nicht, daß wir Dreie seyen gegen Dreie,« sprach er, so möchte ich wohl, daß wir den Langen zu Hause ließen. Der Anblick des Burschen demüthigt mich in etwas, denn er trägt seine Wohlbeleibtheit so stolz vor sich her zur Schau, als wollte er mir immer sagen: »Gelt, Du armer Fechtbruder; ich bin in die Pfingstwoche gerathen, [67] während Du noch immer am Aschermittwoch kauest?« – »Laß den wackern Knecht ungeschoren,« erwiederte Dagobert freundlich, und wendete sich gegen die aufgehende Thüre. Wie staunte er aber nicht, da nicht Vollbrecht hereinkam, sondern der unerwartetste von allen Menschen: Diether der Altbürger, fein Vater! Verlegen und glühenden Antlitzes ging er auf den Überraschenden zu, ohne eines Wortes mächtig zu seyn. Der Alte, gewohnt sein Äußeres bei öffentlichen Gelegenheiten und Anlässen zu beherrschen, nickte langsam grüßend mit dem Haupte, und blickte auf den Edelknecht, als wollte er fragen, warum sich ein unerwünschter Dritter hier befinde. Dagobert verstand den Wink besser, als der glotzende Gerhard, und fandte ihn hinweg mit der Bitte, im Stalle nach dem Rechten zu sehen. – Als nun Vater und Sohn allein waren, begann der Erste, nachdem er sich gesetzt: »Du willst fort, Dagobert?« – Dieser bejahte gelassen. – »So leicht also wäre es Dir schon geworden, von Deiner Heimath und Deinem Vater zu gehen?« – Dagobert schwieg, um sich nicht in unangenehme Erörterungen einzulassen. Diether fuhr langsam fort: »Dagobert, Du warst ja sonst ein harmloser Mensch, dessen Gutmüthigkeit, wie ein Kind, nach Allem in der Welt griff, um es an die Brust zu drücken, wären es auch Schlangen gewesen. O dieses kindliche Vertrauen kann noch nicht ganz aus Deiner Seele gewichen feyn! Das böse tückische Schicksal kann Dich nicht so kalt gemacht haben, daß Du nicht für die Reue eines Vaters ein Ohr, für seine Bitte ein versöhnlich Herz, für seine zitternde, [68] Vergebung suchende Rechte eine freundliche, offene Sohneshand hättest!« –

Dagobert war auf ganz andere Reden gefaßt gewesen; um so überraschender klang die herzliche, erschütternde des Alten, unterstützt von seiner dargebotenen Hand, von der Thräne die in seinem Auge bebte, von der schwachen Röthe, welche die Beschämung in seine blassen Mangen trieb. Auch in Dagoberts Augen stürzten Tropfen des heiligsten Gefühls, und zu den Füßen des Vaters sank er nieder, als ob er der verlorne Sohn sey, und der Verbrechen unzählige zu bekennen hätte. Diether war so ergriffen, daß er nicht aufstehen, den Knieenden nicht aufheben konnte, sondern bloß mit seinen Händen dessen Wangen streichelte, und Perle auf Perle in dessen braune Locken, auf dessen Stirne fallen ließ. – »O, mein Sohn,« – sprach er nach langem Schweigen: »Du kennst meinen unbeugsamen Willen, – Dir ist nicht fremd, daß ich eher in Zorn gerathe, als in Rührung; allein, ich fühle, seit Gestern bin ich anders geworden. Mein Wahnsinn mußte mich auf den höchsten Gipfel treiben, um zu erliegen den glühenden Worten eines Fremden. Welche Nacht habe ich zugebracht in den quallvollsten Leiden meines Innern! Mit welcher Pein wurde ich wiedergeboren, und wie sträubte sich mein eiserner Sinn gegen die Reue, welche dem Beleidigten die Hand reichen muß, ... wie wehrte sich mein Fuß gegen den ersten Schritt, welcher der Buße auferlegt ist. Endlich hat der Herr gesiegt, und mein bessrer Theil; abgeschüttelt habe ich alle Schaam, allen Hochmuth, ... [69] und in dem Gewande der Demuth bin ich vor den Sohn getreten, um ihn zu bitten, daß er mir verzeihe, was ich schwer an ihm verschuldet, – daß er mir den schimpflichen Verdacht vergebe, den ich gegen ihn gehegt, – und daß er darein willige, wieder in mein verwaistes und verödetes Haus zu ziehen, geschmückt mit der Fröhlichkeit seiner frühern Zeit, und mit ungetrübtem Vertrauen gegen einen Vater, der die noch kurze Frist seines Daseyns gerne hingeben würde, könnte er damit die vergangenen Schreckenszeiten zurückkaufen.« – »Ach, mein Vater;« antwortete Dagobert sanft und schonend: »wie weh und dennoch, wie wohl thut mir nicht Eure Rede. Wenn es mich schmerzen muß, den Vater mich anflehen zu hören, wie kaum ein reuiges Kind thun möchte, so wollte ich doch gerne aufjubeln vor Freude, daß Ihr endlich mein Herz erkannt habt, das stets rein geblieben ist, und ohne Falsch. Schier wäre ich verzweifelt an der Hoffnung, mich wieder treu und liebevoll an Eure Brust legen zu dürfen: ein guter Gott hat aber dafür gesorgt, daß nicht getrennt bleibe, was der Allvater gnädig zusammenfügte. Glücklich werde ich seyn, mein Vater, wenn Ihr mich wieder in Eure Arme aufnehmen wollt, und läge es an mir, Euer Leben zu verschönern .......« – »Deine Rede beschämt mich immer mehr;« versetzte Diether aufstehend, und des Sohnes Hand schüttelnd: »Laß uns reden, wie es Männern geziemt, ohne viele Worte, die nur weich machen, wo das Herz wieder stark werden soll. Wir wollen wieder Eins seyn, Freunde, gute Freunde, nicht wahr mein Sohn?« – [70] »Wahrlich, Vater!« versicherte Dagobert aufrichtig. – »Wir wollen vergessen und hinter uns werfen, was unser Gefühl beleidigt hat, und zerrissen unsre Herzen!« – »Das wollen wir, Vater! – Wir wollen nicht zögern, der Welt zu zeigen, daß wir uns wieder vereinigten, und ablassen von jedem Groll, den wir hegen könnten, gegen Feinde und falsche wohldienerische Freunde!« – »In Gottesnamen, Vater.« – »Nun denn,« setzte Diether hinzu: »So komm mit mir, mein Erstgeborner, mein Wiedergeborner, damit der Gang in unser Haus mir lieblicher werde, als der saure Gang hierher, wo ich den Sohn unter Fremden suchen mußte.« – »So Ihr mir erlaubt, alsdann auf einen Ritt zu gehen, den ich nicht verschieben kann?« – »Gerne, mein Sohn, Zwang soll Dich nicht drücken. Nur einen Augenblick ruhe wieder aus in meinem Hause, damit der Geist der Zwietracht völlig daraus entweiche.« – Sie gingen, Arm in Arm, durch die Gassen, wo alle Fenster aufgingen, und alle Hausthüren, an welchen sie vorüberkamen. Der Zwist zwischen Vater und Sohn war zum Geschwätze der Stadt geworden; ihre Versöhnung wurde es nicht minder. Die wahren Freunde winkten ihnen lächelnd zu, die falchen zogen sich beschämt auf die Seite, und der Schultheiß warf klingend die Fensterflügel zu, an welchen er zufälligerweise ein Zeuge dieses rührenden Schauspiels gewesen war. Bei dem Eintritte in das väterliche Haus sah Dagobert den Mann ihm entgegentreten, in welchem er alsobald – nächst Gott – die Wurzel dieser ersöhnten Vereinigung erkannte: [71] den Predigermönch Johannes, seinen würdigen Lehrer. »O, wie lieb ist mir's,« rief Dagobert: »daß dieses weiße Friedenskleid mir entgegen kommt, und nicht die schwarze Kutte meines Ohms. Gott segnet meinen Eingang hier durch Euern Empfang, hochwürdiger Herr!« – »Der Mensch ist nur ein schwaches Gefäß, so lang ihn seine Begierde regiert;« erwiederte Johannes: »aber herrlich und stark, wenn der Herr ihn besucht, in seiner Gnade. Seht hier einen solchen Herrlichen und Starken« – fügte er bei, indem er auf Diether deutete, der mit seligem Lächeln daneben stand, und die Hand auf Dagoberts Schultern hielt, als ob er befürchte, den Wiedergefundenen auf's Neue zu verlieren. – »O mein Lehrer und Freund!« fragte Diethers Sohn: »Noch Gestern so unglücklich, – Heute so glücklich in den Armen des Vaters! womit vergelte ich diese unerwartete Gnade?« – »Mit Versöhnung;« entgegnete Johannes, nach der Thüre zeigend, durch welche sich langsam und feierlich der Prälat von Cesena herein bewegte. Das Gespreizte und Gezwungene seiner Haltung, die heuchelnde Freundlichkeit, die auf seinen Lippen und Wangen saß, während der finstere Zug auf der Stirne ein still brütendes Mißvergnügen verrieth, hätte den scharfblickenden Neffen sicher wieder von der geforderten Versöhnung zurückgeschreckt, wenn nicht der Mönch seine Linke, der Vater seine Rechte ergriffen hätte, um ihn zu dem Eintretenden zu geleiten. – Die Annäherung indessen, welche, selbst der Liebe entbehrend, durch den Einfluß geliebter Freunde dennoch nur zögernd zu [72] Stande gekommen wäre, machte sich leichter durch die salbungsvolle Anrede des Prälaten, welcher aus vollem Munde seinen Reffen ein Pax cum tibi, mi fili! entgegenrief. Der Verstoß gegen die römische Sprache, der darinnen lag, half glücklich über das letzte Hinderniß weg, denn Dagobert erinnerte sich, in sich lachend, der Zeit, in welcher er den Ohm über manchen ähnlichen Schnitzer aufgeklärt hatte, und in diesem Angedenken an lustige Tage, gab er denn seine Hand in die feiste des Prälaten, und sagte; »Gleichfalls, lieber Ohm und würdigster Herr! Will kommen auf deutschem Grund und Boden. Es wird Euch schwer gefallen seyn, wieder zur Heimath zu kehren, aber besser spät, denn niemals. Gott lasse Euch noch lange deutsche Luft genießen, und uns Freunde seyn. Vergebt mir, was ich vielleicht gegen Euch gesündigt, und ich will Euch herzlich gern jenen Gang zum Cardinal vergeben.« – Verstummend sah der Prälat verlegen auf den Saum seines Gewandes; aber Johannes erbarmte sich seiner Verlegenheit, und brachte ihn auf einen Text, der angenehmer war, – auf den Unterschied der deutschen und wälschen Lebensweise. Monsignore gerieth in verwickelte Abhandlungen, und Dagobert, nachdem er, guter alter Sitte gemäß, vor dem Altar des Hauses ein kurzes Gebet verrichtet hatte, machte Anstalt, wieder zu scheiden. – »In Kurzem bin ich wieder zurück,« sagte er zu Diether, der ihn schwer wieder von der Seite ließ: »und mir glückt's vielleicht, etwas zu gewinnen, das Euch lieb und genehm ist, mein Vater!« – »Was kann mir lieber seyn, als [73] Deine Nähe, und die des kleinen Hans?« fragte Diether schmerzlich, sich umschauend: »So weit ich sehe durch das geräumige Haus, so fehlt doch immer die darinnen, welche fleißig hier waltete, ... eine ehrsame Hausfrau, bis mich der Satan beschlich. Nicht minder fehlt die Tochter .... ach, und diese wird immer fehlen, da ich in ihr die Schlange erkannt habe. Ich beklage nur ihr Schicksal, das meines Hauses so ganz unwürdig ist, und zu dessen Entscheidung Bitten und Dringen den Rath noch nicht vermögen konnte. Und das Kind der Unglücklichen ....«

»O schweigt, schweigt:« fiel Dagobert rasch ein: »Ihr spracht wahr, ... sie ist eine Schlange, aber dieses Kind, von welchem Ihr redet, ist ihr fremd, – und gerade darum, ... o mein Vater .... ich wage es nicht diese Räthsel zu lösen, da ich nur einer mildern, günstigern Zeit es vertrauend überlasse! Dem sey, wie ihm wolle; Wallradens Haft bleibt ein Brandmal für unsre ganze Sippschaft, wenn wir sie nicht mit Gewalt zu Ende führen. Dieser Pflicht gilt mein heutiger Ritt, und es wird sich zeigen, ob ich Glück mitbringe oder getäuschte Hoffnung.« – Zum Lebewohl reichte er dem staunenden Vater die getreue Hand, und begegnete auf des Hauses Schwelle dem kleinen Hans mit Fiorillen. »Grüß Dich Gott, Mühmlein!« rief er lustig: »Der Teufel ist mit Gottes Hülfe ausgetrieben, obgleich der Ohm noch im Oberstocke wohnt; bete für mich, schöne Bekehrte, daß der Schwarze gänzlich aus dem Wege bleibt!« – Florille deutete sorglich nach der Treppe, [74] und winkte dem Jüngling Schweigen zu. »Ich sehe es gerne,« sagte sie flüchtig und scheu, »daß Ihr Eure Laune wieder himmelblau gekleidet habt, – aber die Vertraulichkeit, die Ihr mir zu Kostnitz schenktet, mäßigt vor der Eifersucht des Prälaten, und dem Ernste Eures Vaters, und den Lauerblicken des Gesindes. Ich verlange nun nichts mehr zu gelten, als eine Magd, und frage nur aus teilnehmenden Herzen nach der holden Esther, deren Haus so schmählich zu Grunde gieng.« – Dagobert flüsterte ihr in's Ohr, daß Esther sicher sey, und wollte fort. Da klammerte sich Hans an ihn, und fragte: »Schon wieder, lieb Brüderlein, willst Du scheiden ohne Gruß und Kuß für den armen kleinen Hans?« – »Ach, Du armer Bube!« redete Dagobert zu ihm, und zog ihn zu sich empor: »Du armes Unglücksmännlein! kannst Du mir nicht sagen, wo der rechte Johannes ist?« – Der Knabe sah ihn groß an, und erwiederte: »Ich verstehe Dich nicht, lieber Dagobert. Aber in der Erde oder im Himmel muß er seyn, glaube ich.« – »In der Erde, im Himmel?« versetzte Dagobert düster: »O Du sagst die Wahrheit, Du armer Bube.« – »Was habt Ihr denn, guter Junker?« fragte Fiorilla theilnehmend. – »Du verstehst mich auch nicht, Blümchen,« erwiederte Dagobert, seinen Trübsinn zum Scherz zwingend, und wollte Gott, ich verstünde mich selbst nicht, und wäre noch wie wohl sonst, und könnte hier den Buben lieb haben, wie sonst, und wüßte nicht .... aber wahrhaftig, ich rede thöricht Zeug, und wünsche doch nicht, daß Dein Mund meine Tollheit verrathe, meine [75] Freundin. »Hörst Du?« – »Habt Ihr nicht erfahren, daß ich schweigen kann?« fragte Fiorilla entgegen: »Aber so gebt doch dem guten Jungen, der schon lange sein Mäulchen spitzt, einen Kuß, bevor Ihr geht.« – »Das will ich;« sagte Dagobert, indem er dem Hans einen derben Schmatz aufdrückte: »Da, mein kleiner Hans! Und wenn ich wiederkehre, bringe ich Dir einen Butterwecken mit, damit Du glaubest an meine Freundschaft.« – »O ja,« rief der Kleine fröhlich hüpfend: »Einen Wecken und die gute, liebe Mutter; nicht wahr, Dagobert?« – »Deine Mutter? Deine gute, liebe Mutter?« fragte Dagobert schnell und überrascht; dann setzte er mit einem stillen Seufzer hinzu: »Ja, mein Hans, Deiner Mutter gilt auch mein Gang. Leb' wohl!« – Mit einem bittern Zug um den Mund stellte er den Knaben nieder, und eilte, was er nur konnte, dem Thore zu, unter dessen Schwibbogen Gerhard und Vollbrecht seiner harrten, denn der Mittag kam mit Macht heran. Der Hülshofner fluchte wie ein Heide über des Junkers langes Aussenbleiben, und behauptete: entweder sey der Gaudieb schon wieder seines Wegs zurückgekehrt, oder die Mittagssonne würde sie verschmachten lassen, bevor sie einen dienlichen Hinterhalt erreicht haben würden. Dagobert ermangelte nicht, ihm wie gewöhnlich Trost zuzusprechen, und seinen erkalteten Eifer anzufachen. Er verhieß ihm frischbelaubte, starkschattige Eichbäume, um sich darunter zu lagern, eine kühle Quelle, um den verdorrenden Gaumen zu netzen, und Abends, ob nun das Gelingen den Plan krönen würde, ob nicht, etwas[76] Besseres, als kühles Wasser zur Erquickung. Diese Prophezeiungen willig für ein Evangelium haltend, trabte Gerhard dem voraneilenden Dagobert nach, der, seinen Gedanken nachhängend, wenig auf die vielen Fragen des Kämpfers erwiederte. Eine ziemliche Strecke von der Stadt entfernt, dem Gutleuthause gegenüber, fanden die Reiter gut, zu rasten. Aber da war nicht Eichbaum, nicht Quelle, sondern ein dürrer Erdaufwurf, hoch genug, Gaul und Reiter zu verbergen, umschattet von magern Schlehenbüschen, die dem kleinsten Sonnenstrahl willig den Durchgang ließen. Vollbrecht hatte jedoch in beträchtlicher Entfernung einige Gestalten auf dem krummlaufenden Wege bemerkt, die aus dem Forste zu kommen, und Reisige zu seyn schienen. Gerhard hatte sich deßhalb in sein Schicksal ergeben, in die Ginsterbüsche niedergestreckt, und den Schatten seines Pferdes in Anspruch genommen. Dagobert hielt rüstig und lauernd hinter den Schlehenbüschen, durch welche sein scharfes Auge, sowohl den Gayner Weg, als auch das jenseitige Ufer des Mains im Visir hatte. Vollbrecht hingegen, hatte seinen Klepper an einen Erlenstrauch geschnürt, und kroch auf allen Vieren, von Haidekraut und Dornbüschen versteckt, nach der Richtung zu, in welcher er die besagten Gestalten wahrgenommen zu haben vermeinte, um Kundschaft zu bringen, und der Erste bei der Hand zu seyn. Je weiter er auf diese Art kriechend vorrückte, je gewisser wurden seinem Blicke die Umrisse der Gestalten, und er erkannte endlich deutlich drei Reiter, von denen einer vor dem andern daherzog. [77] Ihre Annäherung verzögerte sich indessen ausserordentlich, da ihrer Pferde Schritte bald inne hielten, bald langsam vorwärts rückten. Lange versuchte Vollbrecht vergebens, die Ursache dieses ungleichen Rittes zu enträthseln; endlich aber bemerkte er, wie auf einem querfeldein laufenden Feldwege ein Wagen daherkam, bedeckt mit einem Segeltuche, und von zwei Pferden bespannt; ein Fuhrwerk, wie es sich die Kaufleute der Landstädte zu ihren Reisen über Land anzukaufen pflegten. Da nun, je näher der schneckenähnliche Wagen kam, auch die Reiter je mehr und mehr inne hielten, und sich endlich an den Saum des Weges zogen, wo einige dicht verwachsene Hecken und Bäume sie verstecken konnten; so zweifelte Vollbrecht keineswegs daran, daß die Herren es auf den Karren abgesehen hatten, und machte sich unverzüglich auf den schnellsten Rückweg. Bei seinem Herrn angelangt, fand er diesen und sogar den von der Hitze träg gewordenen Gerhard schon bereit, loszugehen auf die fernen Reiter. »Es ist kein Zweifel« sagte Dagobert, nachdem er Vollbrechts Bericht angehört, »es ist kein Zweifel, daß es der alte Raubgeselle Bechtram ist, der dort hinter dem Busche lauert. Mir sagts meine Ahnung. Aber nicht minder ist kein Zweifel, daß, wofern wir nicht eilen, der Ruhm, hier den Strauß begonnen zu haben, uns entgehen werde, denn ich vermuthe, der Rath war dießmal seiner Seits auch wachsam. Dort bei den drei Buchen über'm Main sehe ich Bewaffnete ans Ufer laufen. Sie tragen die Stadtfarbe, und ich wette, sie suchen die Fürth, um ihres Wildes nicht [78] zu fehlen. Drum frisch voran, ihr Gesellen!« – Wie der Wind sprengte er den Andern voran; ihm nach trabte Hülshofens schwerfälliger Hengst, auf welchem der Edelknecht saß wie ein Mann von Erz. Vollbrecht knüpfte sich den Streithammer an die Faust, und spornte seinen Klepper dergestalt, daß er nur wenig hinter seinem Herren zurückblieb. Die Raubscene hatte schon begonnen, als die Reiter noch fern von dem Schauplatze waren. Der Besitzer des Wagens, der völlig sorglos unter dem schattigen Dache saß, ein schlichter Wollen- und Hanfhändler aus der Gegend, wurde zu seinem Schrecken von dem Anrufe der Buschklepper aus dem Schlummer geweckt, in welchen ihn die drückende Hitze gewiegt hatte. Schlaftrunken griff er mit der Rechten nach dem Haudegen zu seiner Seite, während er mit der Linken, am Leitseil reißend, die müden, vom Sandweg erschöpften Gäule zu einem wiewohl vergeblichen Rennen antreiben wollte. Dieser Versuch belohnte sich aber schlecht. Ein grausamer Stich streckte das Leitpferd nieder, und ein gewaltiger Hieb lähmte den Arm des unglücklichen Kaufherrn. Der Wagen hielt. Mächtige Fäuste langten unter die Decke, und zogen den von Schmerz halb ohnmächtigen Eigenthümer hervor in's Freie, – warfen ihn unter den Wagen, wie ein unnützes Stück Holz. Der Arme konnte diese Mißhandlungen nur mit einem ängstlichen Gewimmer erwiedern, das die Unmenschen verlachten, die sich alsobald an die Beraubung des Wagens machten. Die Bündel und Päcke, die darin aufgeschichtet lagen, schienen ihnen theils zu gering an Gehalt, theils [79] zu unbequem zum Fortschaffen, und so eben rissen sie unter den grimmigsten Drohungen den Kaufmann in die Höhe, um ihn nach Geld zu durchsuchen, oder ihn zu zwingen zu gestehen, wohin er sein Geld verborgen habe, als der den Befehl führende Ritter einen Blick in die Höhe warf, und zu seinem Mißverguügen wenige Pferdslängen von der Stätte entfernt, drei Reiter ersah, die gerade auf ihn und seine Leute losrannten, mit unverholner drohender Geberde. – »Hagel! Strahl und Pestilenz!« schrie er: »Auf, ihr Buben, schlagt den Hund vor den Schädel, und setzt Euch zur Wehre! Frisch, auf die Schurken dort!« – Zum Glück für den Kaufmann, der unter dem Eisen der Knechte sein letztes Stündlein mit Zittern und Zagen erwartete, waren die Retter schnell da, wie Gottes Blitz und seine Gerichte. Gezwungen, sich vor den einhagelnden Hieben zu schützen, und zum Beistand ihres Herrn angerufen, ließen die reisigen Knechte den Mißhandelten ledig, und das Handgemeng begann zu wüthen. Dagobert war auf den Ritter losgestürzt, und beschäftigte ihn mit blitzschneller Klinge, während Gerhard einen nach dem Andern von den Knechten vom Gaule rannte, durch die Wucht seines Ansprengens allein. »Gib Dich, grauer Raubknecht!« donnerte er hierauf dem Herrn von Vilbel zu, und hieb ihn mit der flachen Klinge auf die Faust, daß er des Pferdes Zügel fahren lassen mußte. – »Kreuz, Stein und Strahl! Vermaledeiter Hülshofen!« fluchte Bechtram, und Dagobert riß ihn vollends vom Pferde. Der alte Raubgeselle wehrte sich noch am Boden, [80] wie verzweifelt, aber sein Grimm erstarb in Ohnmacht, und Thränen der Wuth perlten in seinen grauen Bart, da er seine Hände gebunden, und sich aller Waffen beraubt fühlte. Die Söldner der Stadt, die mittlerweile über den Strom gesetzt hatten, machten vollends reine Arbeit und knebelten die beiden Knechte des Stegreifritters. – »Ritterliche Haft! ritterliche Haft!« bat der überwundne und gedemüthigte Bechtram, die gebundnen Hände zu Gerhard und Dagobert aufhebend. »Den Teufel auf Deinen Schurkenschädel!« antwortete ihm der Hülshofen: »Ich will Dich lehren, wackern Kämpen die Freundschaft zu versagen, hochmüthiger Dieb! Sieh her, wie Du den armen Mann zugerichtet hast; setzte er hinzu, auf den Kaufmann zeigend, der sich mühsam herbeischleppte: armer Heinz Duke! wohl erkenne ich Dich in dieser Jammergestalt. Ich habe schon manches Wollenwamms bei Dir gekauft und auch manches geborgt. Stehe ich allenfalls noch auf Deinem Kerbholze, so kannst Du mich dieses Dienstes wegen auslöschen, und Dir die Freude machen, aus Deinem schönen Hanf einen Strick für diesen Buben zu drehen, der ihm fein und glatt zum dicken Halse stehen soll.«

»Niederträchtiger Klopffechter!« schnaubte Bechtram wild, und dieses Wort wäre mit einer entsetzlichen Mißhandlung bestraft worden hätte sich nicht Dagobert des Gefangenen angenommen, den Überwindern Mäßigung gepredigt, und darauf gedrungen, schnell nach der Stand zurückzukehren mit der guten Beute. – Seine Worte wurden befolgt, – Ritter [81] und Knechte auf die Gäule geschnürt, und Reiter, Fußknechte und Wagen zogen bald wie stolze Sieger in der wichtigsten Fehde in Frankfurt ein. Der Jubel des Volks donnerte auf allen Gassen, da es den gefürchteten Feind in seiner Gewalt sah, und Dagobert's, wie Gerhard's Namen schwebten gepriesen und erhoben zum Himmel auf allen Zungen. Sogleich versammelten sich Bürgermeister, Schöffen und Rath, und der Schultheiß, an der Spitze der gesammten Väter der Stadt, mußte, so schwer es ihm auch wurde, dem verhaßten Sohne Diether's den Dank der Bürgerschaft verheißen. Diether umarmte seinen Dagobert mit der Liebe, die den Knaben in's Leben geleitet hatte, und rief: »Ja, Du bist ein treuer Mensch. Die Feindin zu retten, wagst Du Dein Leben!« – »Die Feindin?« fragte Dagobert wehmüthig entgegen: »Verhüt' es Gott, Wallrade ist meine Schwester, aber unwürdig leider unsers Namens. Ich hasse sie jedoch nicht, und würde, sie zu befreien, wohl noch mehr thun, als einen Räuber niederwerfen.« – Dieser Räuber war ein Felsen von Verstocktheit. Sein Läugnen, sein Hohn gegen die Vorwürfe, mit welchen ihn des Raths Vorsteher überhäuften, seines Treu- und Friedensbruchs wegen, überstieg an Frechheit Alles, was man bisher aus Räubersmund vernommen hatte. Seine Knechte, in der Schule des Verbrechens groß gezogen, folgten dem Bespiele ihres Gebieter, bis der Oberstrichter ihnen mit der Folter drohte, und zum Beweise, daß er es ernstlich meine, die schrecklichsten Folterwerkzeuge herbeibringen ließ. Dieser grausenvolle Anblick erschütterte die [82] Standhaftigkeit der Reisigen; sie wankten, ließen nach von ihrem Starrsinn, und bekannten endlich unter der Bedingung, ihr elendes Leben zu behalten, eine Unzahl von blutigen Thaten und Raubfreveln, die ihr Brodherr binnen der letzten Frist verübt hatte. Keine Schandthat war zu denken, die nicht von Bechtram und feiner wilden Jagd begangen worden wäre, und der graue Sünder erblaßte selbst, da man ihm die Litanei seiner Bubenstücke vorhielt. Sein Trotz und Übermuth verwandelte sich, da er seine Helfershelfer von ihm gewendet sah, in plötzliche Muthlosigkeit, und in eine finstre Ahnung des Schicksals, das ihn betreffen möchte. Unter solchen Umständen wurde es dem Oberstrichter leicht, noch in der Nacht desselben Tages das Bekenntniß von ihm zu erringen, daß Wallrade und der Kaufdiener Schwarz und noch einige andere arme Leute in seinem Raubneste gefangen gehalten würden; ... und die Furcht vor einem schmählichen Tode, – die Hoffnung, Leben und Freiheit zu erhalten, bewog den an der Vorsehung und seinen Freunden Verzweifelnden, an seine Hausfrau folgende Zeilen zu schreiben: »Der ehrbaren Else von Vilwyl, meiner lieben Hausfrauen, meinen freundlichen Gruß zuvor. Liebe Hausfrau! ich lasse Dich wissen, daß mich die von Frankfurt gefangen haben; darum befehle ich Dir, die Gefangenen von Stund an laufen zu lassen, weil ich gefunden habe, daß ich nichts mit ihnen, noch sie etwas mit mir zu schaffen haben. So Du das thust, ist mir's lieb. Gegeben unter meinem Insiegel. Zum Wahrzeichen[83] schicke ich Dir Deinen eignen Siegelring. Bechtram von Vilwyl, Ritter.«

Dieser Brief, die Befreiungsurkunde der in Haft gehaltnen, war geschrieben, aber der Bote fehlte, welcher ihn überbracht hätte, indem die Härte und grausame Rohheit der Frau von Vilbel, wie der Genossen des Ritters im ganzen Gau bekannt war, und selbst der Entschlossenste den Tod fürchtete, als sichern Lohn der Botschaft. Vergebens befahl der Rath: seine Diener meinten, ihr Leben käme nicht wieder, wenn man auch den Bechtram alsdann der Rache opfern wollte, und Geld und Versprechungen bewogen keinen, nach dem übelberüchtigten Schlosse Neufalkenstein zu reiten. »Schande genug für so viele im Kriegshandwerk ergraute Leute!« schalt Dagobert, da er diese unaufhörlichen Weigerungen erfuhr: »Gebt mir Brief und Ring, und ich hole die Gefangenen unversehrt aus der Höhle des Wolfs. Trifft mich dabei ein Unglück; nun, so laßt eine Messe für meine Seele lesen, und damit gut. Es soll nicht gesagt werden, daß sich in ganz Frankfurt kein Mann gefunden, der es gewagt hätte, den Räubern in das Weiße des Augs zu sehen.« – Auf dieses kecke Anerbieten hin, fanden sich Viele, die nun das Wagstück unternommen hätten, allein Dagobert blieb fest bei seinem Begehren, und der Schultheiß unterstützte es, gegen alle Einwendungen des Vaters und der Freunde des Jünglings. Dagobert erkannte wohl den bösen Sinn seiner Worte und Bemühungen, freute sich aber ihrer Unterstützung und ritt von dannen, geleitet von Vollbrecht und einem Trompeter [84] der Stadt, als ob er zu einem fröhlichen Kirchweihfeste geladen wäre. – »'s ist doch mein alter böser Fluch,« – brummte er lächelnd vor sich hin, – »daß ich immer wie der ew'ge Jude umherziehen muß im Lande, und die Pfoten in's Feuer stecken für Leute, die mich vergiften möchten; aber, was thuts? Mit meinem Frohsinn wächst meine Zuversicht, und meine Lust, jedem zu helfen, der meines Diensts begehrt. Mit dem Vater habe ich mich versöhnt, und das ist denn doch die Hauptsache. Mütterlein und Bruder Hans im Himmel werden mich dafür segnen, und es nicht übel nehmen, wenn ich mich auch um die entartete Schwester, um die verirrte Stiefmutter bekümmre, und den armen kleinen Hans nicht aus dem Hause stoße, wenn er gleich nicht hinein gehört. Seine Mutter ist ja doch unser eigen Blut. – Frisch also vorwärts! Ich gehe auf dem Wege des Rechten, und darf mich nicht fürchten; wartet doch meiner Segen, und ein freundlicher Blick aus Esther's holdem Auge.«

Das Bild der Lieblichen, das in ihm emporstieg, machte ihn selig, aber traurig zugleich. Denn ob er gleich, nach langem Widerstreben seiner Liebe zu dem Mädchen so klar bewußt geworden, daß er sie nicht mehr läugnete, so war ihm doch das Ende, welches dieses Gewirr von Begebenheiten nehmen würde, nichts weniger als klar. Denn, wenn seine Zärtlichkeit sich auch über die Vorurtheile der vornehmern Stände hinwegsetzte – immer riß sich eine unübersteigbare Kluft zwischen ihm und Esther auf. Ihr Vater trat immer dazwischen, wie ein störender Geist, und diesem [85] Mann hatte er jetzt selbst den Aufenthalt seines Kindes verrathen, ... diesen Mann war er gewiß, bei Esther zu finden. Wie würde sich alles entwickeln, – wie sich lösen? – Esther mit sich vereinigt zu denken, schien ihm vom Schicksale zu viel gefordert. Eine Trennung von ihr? Ach, wie weit schob seine sehnsüchtige Liebe diese Möglichkeit in den fernsten Hintergrund der Zukunft! –

Neufalkenstein ragte vor ihnen empor im Mittagsglanze. Der Wächter auf dem Wartthurme blies aus Leibeskräften sein Horn, da der Trompeter der Stadt die Annäherung eines Besuchs verkündigt hatte. Ein unruhiges Hin- und Herlaufen im Zwinger wurde durch die Fensterlucken und Schießscharten der Mauer bemerkbar, und eine Stimme rief durch das Gitter am Thorbogen den jenseits des Grabens haltenden Reitern zu. »Ich habe eine Botschaft zu werben bei der Frau von Vilbel!« antwortete Dagobert: »im Namen der freien Reichsstadt Frankfurt.« – Frau Else ist krank, lautete die Gegenrede. – »Thut nichts; ich werde nur wenig mit ihr sprechen, und nur einen Brief übergeben.« – Die Stimme innerhalb dem Thore verstummte, und die Boten der Stadt harrten lange vergebens. Indessen waren auf dem Wartthurme Leute erschienen, unter ihnen ein Frauenbild mit wehendem Schleier, das starr und unverwandt auf Dagobert und seine Begleiter herniedersah. – »Wenn die Sonne mich nicht blendet,« sagte Vollbrecht, »so ist das Frauenbild Eure Schwester, Herr. Sie trägt dasselbe Kleid, in welchem sie von Frankfurt abfuhr, da Ihr mich auf ihre Spur sandtet.« [86] – »Sie lebt also! sie lebt!« jauchzte Dagobert: »Ich werde ihr mit Gutem vergelten können, was sie Böses an mir versucht.« – So eben klirrte die Zugbrücke wieder, und des Thores Flügel öffneten sich. Vollbrecht wollte seinem Herrn folgen, aber dieser wies ihn zurück. – »Bleibe hier bei diesem Manne,« sprach er: »bleib' ich aus, so meldet's zu Frankfurt, und Du, mein Vollbrecht, sagst es an in der Forsthütte zu Dürningen. Gott befohlen indessen.« – Gelassen und stolz ritt er über die Brücke durch das Thor, und rief hier freierlich aus vor dem Haufen Bewaffneter, die ihn umgaben: »Ich bin ein Herold und unverletzlicher Bote der Stadt, und, so ihr ein Haar krümmt auf meinem Haupte, sage ich diesen Mauern Brand zu, und Euch allen, die da halfen, den Tod auf dem Rade.« – Als er nach diesem Eingange sich vom Roß geschwungen, so bemerkte er wohl, wie unnöthig seine Drohung gewesen sey, denn bleiche Gesichter standen um ihn her; kein Trotz war in der Mienen zu schauen, sondern eine wilde Ängstlichkeit, eine Unruhe, wie sie Verbrecher vor dem Gange zur Strafe zu überfallen pflegt. Am Thore des innern Hofes empfing den Jüngling Frau Else mit rothen Augen und kraftlos einherschreitend, – die mächtige Frau. Kaum vermochte sie sich den Schein der stolzen Gebieterin zu geben, die des Boten Gewerbe gleichgültig erwartet; aber auch dieser Schein verging, als Dagobert ihr den Brief verlesen, und den bewahrheitenden Ring überreicht hatte. Ihre Kniee zitterten, wie ihre Lippen. – »So ist es denn sicher und gewiß,« sprach [87] sie zu dem alten Doring, der neben ihr stand. – »Ich konnte es bis jetzo noch nicht glauben. Mein Alter in den Händen der Frankfurter! Sprecht, Doring, ... was soll ich thun?« – »Befolgen, was er Euch befiehlt;« erwiederte der Alte, dem die Augen feucht geworden waren: »Gebt frei die Gefangenen, damit Euer Herr lebe und frei sey. Zögert nicht.« – »Alsobald;« versetzte die Frau, und suchte an ihrem Schlüsselgebunde die Schlüssel zum Thurme, und konnte sie lange in der Verwirrung nicht finden.

»Nicht wahr,« fuhr sie weichmüthiger, denn je fort, als Doring mit den Schlüsseln hinweggegangen war: »nicht wahr, Bechtram wird nicht sterben, da ich thue, was Er und Ihr verlangt. Nicht wahr, mein guter Herr! Ihr versprecht mir das?« – »Wie kann ich das, gute Frau?« fragte Dagobert, den die Erschütterung dieses männlichen Weibes nicht unbewegt ließ: »Unsre Herren zu Frankfurt haben darüber zu richten, doch werden sie milde seyn, denke ich.« – Wallrade flog her bei, und umarmte den überraschten Dagobert wie den herzlichsten Freund. »Willkommen, Bruder!« rief sie mit der Freundlichkeit der Schlange: »Willkommen hier als Bote der Erlösung! Auf Dich habe ich gehofft, auf Dich gebaut; von Dir meine Rache erwartet. Der Gatte dieses schändlichen Weibes, – auf Else deutend, – ist gefangen, wie ich vernehme, und sein Tod ist unsre Freiheit. Dank dem Himmel!« – »Ha!« fuhr Else, durch die boshafte Rede des Fräuleins gereizt, empor: »Wenn ich das wüßte! wenn er sterben müßte, trotz Eurer Loslassung! Erwürgen ließ [88] ich Euch zur Stelle, und diesem Boten das Haupt abschlagen, als vorausgenommene Rache.« – Der herbeigekommene Conrad Schwarz, sammt einigen Bauern, die in Neufalkensteins Kerker gesessen hatten, sammelten sich erschrocken um den furchtlosen Dagobert; denn sie hatten die in Wuth auflodernde Frau schon kennen gelernt. Wallrade hielt sich zitternd an seinen Arm. Er machte sich aber ruhig los von der Falschen, und erwiederte Frau Elsen: »Versuchts, mein Amt zu verletzen, und erwartet alsdann die fürchterlichen Folgen.« – »Was könnte denn noch Schrecklicheres kommen, wenn Bechtram verloren wäre?« klagte Else mit dumpfem Tone: »Wir sind so lange zusammen gegangen; über dreißig Jahre sind's, haben Freud und Leid, Ehr' und Schmach getheilt und getragen. Wahnsinnig müßte ich werden, ginge er vor mir heim wie ein schimpflicher Verbrecher, ... und noch einmal ... wüßt' ich's im Voraus, ... weder das böse Fräulein hier, noch Ihr, der Bruder, trügt Eure Köpfe ganz hinweg!« –

»Laß uns gehen, mein Bruder;« drang Wallrade in Dagobert: »laß uns gehen. Höre nicht auf die Worte des Weibes. Komm.« – »Alsobald, mein Fräulein;« antwortete Dagobert kalt. »Erlaubt nur, daß ich zuvor Frau Elsen auf das Ernstlichste befrage, ob kein Gefangner mehr in der Veste Verborgen?« – »Else schüttelte schweigend mit niedergeschlagenem Blicke das Haupt.« – »Keiner, keiner, mein Bruder!« antwortete für sie und ungestüm Wallrade: »Komm, laß uns eilen!« – Indessen hatte ein junger Knecht dem muthigen Dagobert [89] zugeflüstert, er möge nicht glauben; es sey noch eine Frau im Schlosse verborgen. Dagobert fragte unerschrocken nach der Versteckten. Wallrade, roth vor Zorn und Ungeduld, bestritt einstimmig mit Elsen die Forderung des Bruders. Dagobert stellte den Läugnenden den Knecht gegenüber, nachdem er ihm Freiheit und Leben zugesichert. – Verräther! herrschten nun diesem Elsens Lippen entgegen, und auch Wallradens Munde entfloh eine leise Verwünschung.

»Was soll dieses verstockte Lügengewebe?« fragte Dagobert, als sey er der Herr Neufalkensteins: »Denkt Ihr mit mir und meinem gnädigen Herrn ein frevelnd Spiel zu treiben? Zittert: ihr möchtet es bereuen. Eine kleine Strecke von hier rastet ein Fähnlein gut Bewaffneter. Glaubt Ihr denn, ich hätte mich allein in Euern Schlupfwinkel gewagt, daß Ihr meinem Begehren solch unverschämten Widerstand geleistet? Heraus an's Tageslicht mit der Unglücklichen, die Ihr verborgen haltet; heraus, oder das Spiel endet sich mit Euch nicht gut.« – »Wären nur der Hornberger und Eppensteins Wolf zugegen, Ihr solltet bald zahm werden!« murmelte Henne von Wiede grollend. »Gewiß die saubern Gesellen, die gestern Nacht zu Erlebach brannten, sengten und plünderten, wie gottvergessene Heiden?« fragte Dagobert wild entgegen: »Die Missethäter entlaufen ihrem Galgen nicht. Ihr rettet aber Euern Herrn, wenn Ihr ohne Widerrede bekennt, und heraus gebt, wen Ihr widerrechtlich zurückzuhalten Lust bezeigt.« – Else schwieg noch unentschlossen; da [90] drängte sich aus dem Haufen der Burgleute der Leuenberger vor, mit seiner gewohnten Frechheit gerüstet, und seine Unverschämtheit gleichsam überbietend: »Thut nicht so patzig, Neffe!« rief er: »Auch den Heroldsrock sammt dem Herzen darunter, zerreißt mein Stahl, wenn's nöthig ist. Hier aber habt Ihr eben so wenig Recht, das Wort des Herrn zu führen, als wir der Heimlichkeit bedürfen, um unser Recht darzuthun. Das Weib, das hier zurückbleiben muß, wird, und sogar will, ist meine Schwester, Eures Vaters Frau, die er schändlich aus dem Hause hat gestoßen, er – der Krämer, eine adeliche Leuenbergerin. Schutz hat sie bei mir gesucht, und bei Pest und rothem Hahn; ich will sie schirmen wie der Vogt das Kloster. Euere Schwester nehmt immerhin mit Euch; sie ist eine Hexe, die den Klügsten kirre macht, und hinterher verläumdet. Ihre Schlangen hätte mir fast das Leben gekostet. Fort mit ihr; aber Margarethe bleibt bei mir.« – »Frau Margarethe hier?« fragte Dagobert staunend: »Margarethe hier in Haft? Wenn Euch Euer Leben lieb ist, gebt sie heraus.« – »Das Weib geht mich nichts an,« erwiederte Else trotzig: »Der Bruder hat Gewalt über die Schwester.« – »Der Mann hat größre über sein Weib!« versetzte Dagobert: »Gebt sie heraus, die Hausfrau eines Altbürgers von Frankfurt.« –

»Der Teufel hole Frankfurt, seine Bürger und alle leichtfertige Waare, wie Wallrade ist!« fluchte der Leuenberger: »Neffe, reizt mich nicht. Meine arme Base ist schon von Eurer Schwester in's Grab geärgert worden. Meine Schwester soll nicht zu [91] Grunde gehen in Euern buhlerischen Armen, denn nur für Euch gedenkt Ihr sie heimzuführen!« – »Verdammter Hund!« brach Dagobert los, und griff nach dem Schwerte. Die Schaar von Taugenichtsen gerieth in Bewegung; Veit zog seine Klinge blank und Frau Else schrie Zeter. »Mord und Tod!« rief sie wild: »Seht, wie der Herold selbst sein Recht verletzt. Thor zu! Brücke auf! Geht dem Frankfurter Wichte zu Leibe!« – Da Veit seine aufmahnende Stimme mit der ihrigen vereinte, schickten sich die Knechte willig an, Folge zu leisten. Einer der entfernt Stehenden langte die Armbrust vom Haken und zielte auf den in den Sattel gesprungnen Jüngling, um welchen sich das Häuflein der wehrlosen Gefangenen drängte, das von ihm Rettung und Befreiung erwartete. Der heimtückische Schütze fehlte jedoch sein Ziel, da ein schnell Herbeikommender ihm mit aller Gewalt die Waffe aus der Hand schlug: »Schurke!« rief er: »hüte Dich vor Meuchelmord, und Ihr, Frau Else, gedenkt Euers Herrn und seines Schicksals, das auf der Spitze einer Nadel wirbelt. Kommt herzu, ehrsame Frau,« setzte der Mann bei, indem er ein bekümmertes Weib in die Mitte der empörten Streiter leitete: »stiftet Ihr den Frieden, und endigt durch Euern Ausspruch diesen Auftritt, der dem Rasenden hier nur Gefahr bringen würde, und den ich ferner nimmer ansehen kann.« – »Graf von Montfort!« rief Dagobert mit düsterm Blicke: »wie kommt Frau Margarethe zu Euerm Schutz? Ich bekenne, daß Ihr Euch der Weiber unsers Hauses allzusehr annehmt, wenn Bechtram wahr sprach, als er [92] Euch den Stifter des Raubes an dieser hier« auf Wallraden zeigend »nannte.« – »Wahr sprach er!« fiel Wallrade giftig ein: »dieser unedle Rittersmann befahl den Frauenraub, und kam selbst, an meiner Qual sich zu weiden, und mich mit seinen unziemlichen Wünschen zu verfolgen.« – »Das Letztere ist Lüge,« versetzte Montfort: »das Erstre läugne ich nicht und bereue, daß ich, von der Leidenschaft des Hasses und der Rache geblendet, unedel an der Nichtswürdigen handeln konnte, und in Gemeinschaft treten mit dem räuberischen Bechtram, dessen Schandgewerbe mir erst klar wurde, da ich in das Junre seiner Wohnnug trat. Seinen Dienst bezahlte ich mit meinem Golde, und Euch, mein kühner Degen, biete ich Vergeltung im ehrlichen Zweikampfe, damit mein Schild rein werde von der bösen That. Jetzo aber entscheidet rasch das Schicksal dieser Allen, und nehmt sie fort mit Euch.« – Dagobert antwortete ihm nicht, sondern heftete den Blick auf Margarethen, die wie eine ergebne Dulderin da stand, mit gerötheter Wange und fliegendem Busen. – »Den will ich sehen, der mir die Schwester raubt;« sprach Veit frech und kühn: »ihr eigner Wille ist's, zu bleiben.« – »Wie, ehrsame Frau?« fragte Dagobert staunend: »Spricht der Mensch die Wahrheit?« – »Der Wille, recht zu handeln,« entgegnete Diether's Gattin, »hat mich aus meines Herrn Hause geführt und in dieser Leute Hand gegeben. Ich fürchte jedoch, ich darf nimmer wiederkehren zu meinem Herrn, und eh' ich der unverdienten Schande mich überlasse .....« – »Eher wolltet Ihr dem Straßenräuber [93] folgen?« fragte Dagobert ernst: »Mutter, das sprach nicht Euer guter Wille, und um den bösen Geist zu bannen, schwör' ich's Euch, Ihr werdet offne Arme in Euerm Hause finden.« – »Dann, ja dann ...« lispelte Margarethe überrascht und zögernd. – »Nichts dann! nimmer dann!« fiel Veit brausend und tobend ein: »Pest und rother Hahn! Eine Leuenbergerin wieder zurückkehren zu dem Ellenprinzen, gleichsam wie in Sack und Asche? Des Todes ist der Bube, wenn er nur Deine Fingerspitze berührt, wankelmüthige Grete.« – »Der Leuenberger hat Recht,« schrie Else dazwischen; »und ich bin die Herrin auf Neufalkenstein, und ehre wohl den Herold der Stadt Frankfurt, aber den ungeschliffenen Gast, der in meines Hauses Rechte greift, laß ich in's Verließ werfen. Thor zu! Brücke auf, sage ich noch einmal!« – Nun eilten die Knechte, den Befehl zu vollziehen; Montfort sprang jedoch zwischen Veit, welcher Margarethen mit sich fortreißen wollte, und Dagobert, der wüthend wie ein Löwe unter das Gesindel sprengen wollte. – »Weib!« rief er der zornrothen Else zu, die so eben dem verrätherischen Knecht den Strang zum Lohne verhieß: »Weib! Du selbst bringst Deinen Mann unter das Beil des Henkers!« und in demselben Augenblicke ließen sich schmetternde Trompetenstöße vor der Burg vernehmen, die von einigen Hörnern in der Ferne beantwortet wurden. Diese kriegerischen Töne, Dagobert selbst unerwartet, machten auf die Burgleute den Eindruck wie Posaunen des letzten Gerichts. – »Ihr bringt uns alle auf's Blutgerüste!« brüllte Doring dem erstarrenden Leuenberger [94] zu: »Der Bursche hat nicht gelogen. Draußen liegen die Helfer, und wir sind verloren, ein schnell überwundnes Häuflein. Laßt das Weibsbild ziehen, und rettet Eure Haut!« – Veit ließ es geschehen, daß Montfort die frohlockende Margarethe an Dagobert übergab, und Else weigerte sich eben so wenig, die Wiedereröffnung, des Thors zu befehlen. Die Gefangenen zogen aus, und Wallrade fühlte die Demüthigung, sehen zu müssen, wie Dagobert Margarethen auf sein Pferd hob, und dasselbe am Zügel führend, neben herging, ohne einen Blick, ohne ein Wort ihr, der Heuchlerin, zu schenken. – Frau Else sank, – in ohnmächtigem Grimm und banger Ahnung vergehend, trostlos, am offnen Thore nieder, den Abziehenden nachstarrend, und ein Gebet für ihren Gatten versuchend; der Leuenberger rennte im Hofe wie ein hintergangner Teufel auf und nieder; die Knechte glotzten unmuthig und leise fluchend dem Zuge nach, und sandten, da derselbe schon ferne war, noch einige Bolzen und Steine hinterdrein, die jedoch ihr Ziel nicht erreichten. – »Wir sehen uns wieder,« hatte Montfort beim Scheiden zu Dagobert gesagt: »und dann stehe ich Euch Rede!« – Wallrade hatte ihm einen vernichtenden Giftblick zugeworfen und schritt verdrossen neben Dagobert hin. In kleiner Entfernung kamen den Befreiten Vollbrecht und der Trompeter entgegen, und jubelten, Dagobert gesund und unversehrt wieder zu erblicken. – »Wahrlich,« sprach der Knecht: »wir hatten Angst, da die Zeit verrann und Ihr nicht wiederkehrtet. Und als nun vollends die Brücke aufflog, glaubten [95] wir Euch hingemetzelt und sprengten fort. Doch, kaum an jenes Tannengehege gelangt, ersehen wir eine Schaar von Gerüsteten, die eilig heranziehen. Der Trompeter bläst, das Hifthorn des Führers antwortet, und ein Reiter voran, schwingt im Sonnenstrahl die. Lanze. Frankfurter sind's, und, trüge ich mich nicht, an ihrer Spitze der Edelknecht, mein ehemaliger Herr.« – Die Söldner kamen so eben heran, und der Hülshofner in eigner Gestalt sprang vom Gaule, und fiel seinem Freunde um den Hals. – »Gott sey Dank,« rief er, »daß Euers Vaters Besorgniß vergebens war, und wir, die Nachgesandten, Euch wohl und heil antreffen. Was mich betrifft, der ich freiwillig diesen Ritterzug, Euch zu beschirmen, unternahm, ich bin schier aufgebracht darüber, daß ich nicht für Euch Sturm laufen, nicht für Euch mich herumbalgen darf. Die Hunde sollten meine Faust gespürt haben.« – Er erblickte nun Wallraden, und bot ihr, höflich genug für einen rohen Gesellen, sein eigen Pferd zum Dienste an. Das Fräulein schlug es, mit einem unwilligen Blick aus ihren Bruder, aus. Dagobert gebot seinem Knechte, sein sanftes Pferd Wallraden zu leihen, und half ihr in den Sattel. Während dessen sprach Wallrade hämisch zu ihm: »Dein unzartes Benehmen gegen mich war mir ein Räthsel. Der Edelknecht hat es gelöst. Der Vater hat sicher Friede mit Dir gemacht, und Dein Übermuth ließ die Überwundne zu Fuße gehen, neben dem Rosse Deiner so sehr geliebten Stiefmutter. Nicht wahr, Du stilles Wasser, Du ehrliches Auge Du?« – »Ich antworte Dir nur,« versetzte Dagobert [96] still, aber, ernst, »daß ich Dir rathe, Deine giftige Zunge im Zaume zu halten. Wisse, Unselige; Rüdiger starb in meinen Armen: gebeichtet hat er mir Deine Frevel. Ein Versuch von Dir, den häuslichen Frieden meines Vaters zu stören, und ich spreche ohne Schonung, Du entartetes Weib, Du gefühllose Mutter!« – Wallrade wurde bleich, wie der Schnee, und Dagobert kehrte, ohne ihre Erwiederung zu erwarten, und sie der Leitung Gerhard's überlassend, zu Margarethen zurück, welcher der Unmuth in seinen Mienen nicht entging. – »Ihr habt mit Wallraden Zwist gehabt?« fragte sie: »O erzürnt Euch nicht um dieses Weibes willen. Gott stärke nur mich. In den wenigen Tagen, die ich auf Neufalkenstein verlebte, hat Wallrade mir durch ihre Bosheit fast das Blut vom Herzen gesaugt; was wird meiner erst warten, betret' ich wieder Diether's Haus, vor welchem ich mich fürchte, wie vor der Hölle?«

»Der Vater ist versöhnlich geworden,« entgegnete Dagobert: »der böse Geist ist von Saul gewichen.« – »Ihr seyd das Vertrauen selbst,« sagte Margarethe; »und warum solltet Ihr auch nicht ein Kind seyn, das fröhlich und treu Glauben gibt, und Glauben fordert? Ihr seyd edel und bieder, ohne Falsch, ohne strafendes Bewußtseyn, .... nicht ich also, mein Freund, und darum scheue ich meines Herrn Antlitz und meine Rückkehr in sein Haus!« – »O, Mutter,« redete dagegen Dagobert: »wie unglücklich habt Ihr selber Euch gemacht durch einen Schritt vom Pfade der Wahrheit! Versucht nicht, mir Alles zu bekennen, denn ich weiß schon Alles, [97] und als Euer Sohn schweige ich in Ehrfurcht vor Euch. Aber, so wie Euer Mund schweigen mag gegen mich, also mögt Ihr ihn aufthun gegen den Mann, dem Euer Vertrauen gebührt, gegen meinen Vater. Bekennt ihm offen Eure Schuld, damit er nicht aus dem Munde des Zufalls sie erfahre; vertraut seiner Liebe zu Euch, die nicht erlosch unter der Last von Argwohn, welche er auf seinem Herzen trug, – die nicht unterging unter der Fluth von Verläumdung, mit welcher Neid und Bosheit Euern guten Ruf besteckte. Ihr werdet Euer Schicksal durch die Hand geschäftiger Freunde entweder, oder durch ein Verhängniß, das Euch wohl zu wollen scheint, gestellt finden, daß Euer Bekenntniß Euch unnöthig, vielleicht gefährlich vorkommen dürfte. Traut aber dieser einflüsternden Stimme, die nicht Euer Bestes will, nicht mehr. Das Verhängniß kann gleißen und Euch um so tückischer verderben; Willhild könnte plötzlich wiederkehren ....« – »Ja; Ihr wißt Alles!« rief Margarethe händeringend: »Ihr wißt Alles, und Ihr schwiegt bis jetzt? O, welch ein Zufall hat Euch entdeckt ....? Warum habe ich gegen Euch geschwiegen ...? warum ...? Hätte ich wiederkehren können aus dem Garne, in dem mein abenteuerlicher Vorsatz mich verstrickt hat, auf dem Schellenhofe, wohin ich Euch beschied, hätte ich Alles Euch vertraut, ich hätte ....«

»Unnöthige Mühe;« versicherte Dagobert: »ich wäre nicht erschienen. Der unschuldigen Gattin meines Vaters war ich ein aufmerksames Ohr, eine hülfreiche Hand schuldig; der des Fehls bewußten [98] hingegen durfte ich nicht folgen, um gegen den Vater in eine Verschwörung zu treten.«

Margarethe schwieg beschämt. Dagobert, darüber betroffen, und unwillig über seine Freimüthigkeit, suchte ein fröhliches Ende an den betrübten Anfang des Gesprächs zu binden.

»Laßt's gut seyn, Mutter!« sprach er: »ich wollte Euch nicht kränken, sondern Euch Muth machen, und die Erkenntniß Eures bessern Theils in Euch erwecken. Nicht vergeblich hab' ich das gewollt, und darum bin ich der Eure mit Hand und Mund, sobald Ihr aufrichtig und Eurer würdig zu seyn begehrt. Mag dann der Vater auch vielleicht aufbrausen und den Zorn, den gerechten, anlegen, – nehmt's hin in Geduld um Eurer Sünden willen, und daß es nicht zu arg werde, und zu jämmerlichem Ausgang führe, – dafür laßt mich sorgen. Ich bin mit der Vehme fertig geworden, ich habe Wallraden kirre gemacht, und das Diebsgesindel dort in seinen eignen Schlupfwinkeln zu Paaren getrieben – ich werde doch wahrhaftig an einem guten Vaterherzen nicht erlahmen. Es ist ein herrlich Ding, zur Sühne reden, und Friede stiften, und ich will's fürder treiben, wenn auch nicht im Chorrock. Doch, ich merke, daß die Schatten länger wurden und die Pferde ermüdet einherschreiten. Wir wollen daher in der Schenke dort unser Nachtlager ausschlagen, um Morgen mit dem Frühsten in der Stadt einzuziehen, wie es den Siegern für eine gute Sache geziemt.« –

Margarethens Angst hatte keine Eile, in Diether's Haus zurückzukehren; Gerhard hatte nicht das [99] Mindeste gegen einen Rastabend, der sich beim Becher ruhig zubringen ließ; Wallradens Gewissen hatte das Fräulein unwohl und krankhaft gemacht. Die übrigen zu Fuße laufenden befreiten Gefangnen waren müde geworden, und Alle sehnten sich nach Ruhe. Dagobert ließ das ganze Haus von den Söldnern umlagern, schaffte Margarethen in die beste Stube des Gebäudes; trennte Wallraden von ihr, und schlief, um die Hinterlistige zu verhindern, früher als er dem Vaterhause zuzueilen, auf seiner Schwester Schwelle. Vollbrecht aber sprengte noch am selben Abend nach der Stadt, um die fröhliche Botschaft ohne Verzug zu hinterbringen.

4. Kapitel
Viertes Kapitel.

Stärker noch als Frauenhaar, –

Starke Fesseln doch fürwahr, –

Stärker auch als Fürstenhand,

Die regiert das ganze Land,

Ist des Vaters treue Lieb'!

Helvet. Denkspruch.


Das abgelegenste und verschlossenste Plätzchen, viele Meilen in der Runde, war in dem Forste um das Ritterhaus Dürningen, die Stelle, auf welcher die Forsthütte erbaut war. Das Gebäude, fest und stark aus Baumstämmen zusammengefügt, war auf einer Grasfläche errichtet, die dem schönsten bunten Teppiche aus den Niederlanden glich, rings umgeben [100] von einem schwarzgrünen dichten Waldsaum, welcher, durch angepflanzte Hecken zu einer undurchdringlichen Wand gemacht, nur einen einzigen Eingang auf die Hütte zuließ. Dieser Zugang, war demungeachtet nicht leicht zu finden, unter den vielen Schlangenwegen, die durch den Wald liefen, und der Fremde, um zur Hütte zu gelangen – mußte es entweder dem günstigen Zufalle verdanken, oder etwa dem Schall der Glocke folgen, die zur Mittagszeit vor der Hütte geläutet wurde, um das im Forste gehegte Wild zum Futter zu rufen. Der Pfleger dieser Waldthiere, die in ungemeiner An zahl gehalten wurden, weil die Frau von Dürningen, weder an der Jagd Freude hatte, noch täglich einen Wildbraten für ihren Tisch verlangte, – wohnte nun in dem aus Baumstämmen erbauten Hause, warf dem Wildvolke sein Futter vor, wählte die zur Küche bestimmten Stücke aus, und wachte zunächst über die Sicherheit der Waldung, die früherhin häufig von unbefugten Schützen und Holzfrevlern beunruhigt worden war. Der Herr von Dürningen selbst war von einem solchen Wilddiebe mit einem Bolzen durch die Brust geschossen worden, wie er gerade vor der Thüre der Hütte stand, und seine Rehe überzählte; er war auch alsobald auf diesem Platze gestorben, und seine Wittib hatte sich nicht entschließen können, jemals wieder die Stelle zu sehen, auf welcher das Blut ihres lieben Eheherrn geflossen war. Desto öfter schlich sich dagegen Regina, der Freiin Tochter und einziges Kind auf die bunte Wiesenfläche, setzte sich nieder auf den Buchenstumpf, neben welchem ihr Vater verschieden, [101] gedachte in fröhlich wehmüthiger Erinnerung seiner, ob sie gleich bei seinem Tode nur ein ganz junges Mägdlein gewesen, und es däuchte ihr, als könnten nirgends die Blumen des Feldes schöner blühen, als gerade auf dem Hügel um den Buchenstrunk. Es traf sich oft, daß sie mit dem frühesten Morgen schon sich auf der bethauten Stätte einfand, um die perlgefüllten Waldglocken zu pflücken, und mit Butterblumen in einen Kranz gewunden, an den Resten des Buchenbaumes aufzuhängen, weil sie denselben höher wie die Grabstätte des Vaters selbst hielt. Es war nicht minder nichts Ungewöhnliches, sie am Abend wiederkehren zu sehen, um Kräuter zu pflücken zu kräftigen Suppen für die kränkelnde Mutter. Zu dieser Zeit war sie auch immer die fröhliche, unbefangen aufblühende Dirne im schönsten Lebensalter, und nicht beschlich sie die Trauer, wie wohl am Morgen geschah. Sie scherzte mit dem zahmen Hirschlein, das auf der Forsthütte gehalten wurde, spielte mit den braun und weißgefleckten Hunden des Waldwärters, oder plauderte kindisch geschwätzig noch mit dem Staarvogel des Hauses, welcher die Jägerrufe: Hussa! Sa sa! Hoho! gelernt hatte, und ausschrie in den hallenden Wald; oder sie hörte dem alten Forstwart selbst aufmerksam zu, wenn er von seinen Lebensabenteuern anhob, bis die blaudüftige Abendluft kühler wurde, und das Rosenlicht der Sonne an den Tannenwipfeln verglühte. Dann eilte sie, schnellfüßig wie die Rehe, die hie und da über ihren Pfad schwirrten, – so daß kaum der Wärter, ihr gewöhnlicher Begleiter zu Abend, ihr [102] zu folgen vermochte, nach dem Edelhof zurück. Die Mutter wußte von ihren Waldgängen sehr genau und umständlich, aber sie dachte nicht daran, der Tochter diese harmlose Lust zu verbieten, weil sie gefahrlos zu genießen war. Der Wald war nämlich, seit der alte Ammon auf der Forsthütte hauste, so sicher geworden, als er vor dem unsicher gewesen. Plötzlich hatten die Diebereien darinnen aufgehört, und die losesten Gesellen und Gaunervögel scheuten sich in die Nähe von Ammons Wohnung zu kommen, und schlugen ein Kreuz, so sie der Zufall dann und wann Abends am Rande des Forstes vorüberführte. Der Forstwart stand nemlich in dem Rufe, einen Bund mit dem Bösen gemacht zu haben; ein Glaube, der im Bauervolke nicht auszurotten war. Der Alte, obgleich geboren auf dem Hofe der Dürninger, kam den Nachbarleuten dennoch vor, wie ein Fremdling. Er war als ein trefflicher Falken- und Sperberlehrer, mit Befugniß seines Leib- und Zwingherrn, in die Fremde gegangen, um seine Wissenschaft zu erweitern, ein Stück Geld zu verdienen, und nach Verlauf der ihm erlaubten drei Jahre zurückzukehren mit wohlabgerichteten Beitzvögeln für den Herrn. Er kehrte aber nicht wieder, und konnte auch keine Falken senden; denn Neubegier und Leichtsinn hatten ihn über das pyrenäische Gebirg nach dem Lande Hispanien geführt, woselbst er in die Gewalt der unglaubigen Mauren gerieth, jedoch bald aus einem geplagten Knecht der Liebling des Königs seines Herrn wurde, seiner Geschweidigkeit und kecken Natur halber. Von diesem Könige, nach manchem Jahre, [103] in Afrika gesendet, um ein Gespann von Leuen zu erhandeln, und nach Spanien zu bringen, als eine Zierde der königlichen Gärten; kam's ihm plötzlich ein, daß es doch besser sey, umherzuschweifen wie der freie Löwe, statt wieder in den goldnen Käfich zu kriechen. Ohne sich zu besinnen, suchte er den Weg zum gelobten Lande, wo der Herr gewandert ist in Menschengestalt. Ein widriges Geschick verfolgte ihn in Palästina, und nackt wie ein Bettler, schiffte er von einem mitleidigen Schiffer aufgenommen, übers Meer, zurück gedenkend nach der Heimath. Stürme verschlugen das Fahrzeug an die Küsten des griechischen Kaiserthums, und ein Seeräuber von dem tapfern muhamedanischen Volke, das schon beinahe ganz Griechenland unterjocht hatte, fieng es auf mit Mann und Maus. Wieder manches Jahr verlebte Ammon unter den Zelten der Sarazenen, und begehrte, an dem wilden Leben Freude findend, schier nimmer von ihnen weg, als nach einer schweren Krankheit plötzlich ihn das Heimweh überfiel, das schon Manchen in der Fremde den Garaus gespielt hat. Da trieb es ihn fort auf nackten Sohlen und in die Lumpen des Elends gehüllt, durch die Wildnisse und Moräste der Bulgarei, ohne Säumen, ohne Ruhe, bis er die Länder erreicht hatte, wo man weder den Propheten anruft, noch auf griechische Weise das Kreuz macht. So kam er endlich an in der Gegend, wo er geboren worden, ein fremder, unbekannter Mensch, mit ungewohnten Sitten, ausländischen Gebräuchen und in der heidnischen wilden Sprache besser erfahren, denn in der vaterländischen. [104] Als ein schmucker Bursche war er von dannen gezogen, und ein wilder rauher Greis kam er heim, mit der Röthe eines heißen Himmelsstrichs auf den benarbten Wangen, und mit geschornem Kopfe, aus welchem nur sparsam die Stoppelspitzen des weißen starren Haars wieder heraufteimten. Der Herr von Dürningen hatte Erbarmen mit dem alten Landstreicher und setzte ihn in den Wald als Forst- und Wildhüter. Er hatte just den Diener in sein Haus geführt, und ihm die Zahl der Rehe angegeben, als sein Stündlein schlug. Ammon schwur dem unbekannten Thäter und seinem Gelichter unversöhnliche Rache, und hielt sein Wort. Mit der gräßlichsten Strenge gieng er zu Werke; die Holzdiebe peitschte er zum Sterben; die auf's Wild lauernden Räuber ereilte er leise wie der Tod, und ehe sie sich's versahen, saß ihnen auch schon der Tod im Herzen, den der wilde Ammon aus einer tragbaren Donnerbüchse, die er selbst verfertigt hatte, schleuderte, ohne nur einmal seines Ziels zu verfehlen. Diese Sicherheit im Schuß, und der Umstand, daß ihn nimmer ein Bolzen getroffen, von denen, die man oft aus Busch und Dickicht meuchlings gegen ihn versandte, schreckte die Bösewichter schon, die auf übernatürliche Künste zu schließen gern bereit sind. Bald theilte das ganze Landvolk, um und um, diese Meinung. Ammon ging nie zur Kirche, wurde nie betend gesehen, und zeigte sich immer so finster und verschlossen, daß Jedermann, darauf schwur, er stehe mit dem Gottseybeiuns im Pakt. Dieser Glaube schien nicht ohne Grund zu seyn, da Ammon häufig bei Nachtzeit in Wald und [105] Moor herumlief, Ottern suchte, und ihr Fett zu gewissen Salben bereitete, und seine Hütte offen stehen ließ, ohne Furcht. Einige Waghälse hatten zwar einmal den Augenblick benützen wollen, da der Alte nicht zu Hause war, um dasselbe zu berauben, oder in Asche zu legen, allein sie fanden in einer ungeheuren Wolfsfalle auf spitzigen Pfählen den Tod, und Ammon hing ihre Leiber zur Warnung für Andre an den Fichten auf, neben welchen der Eingang in den Wald führte. Nun floh ihn und seinen Aufenthalt, was in der Umgegend lebte, Regina ausgenommen, die das Geheimniß gefunden hatte, sich die gutmüthige Theilnahme des verwilderten Greisen zu gewinnen, indem sie seinem polternden Wesen Gleichgültigkeit entgegensetzte, seinen Erzählungen ihr aufmerksames Ohr nicht entzog, und ihn auf jede Weise in Schutz nahm, wenn nachbarliche Zungen die fromme Mutter vor dem alten Knechte warnten, der zu keiner Messe gieng, und den geselligen Verkehr mied, wie die Sünde. Nach wie vor fand das Fräulein seines Tages Freude auf dem stillen Waldplatze, und war eines Morgens, wie gewöhnlich, beschäftigt, einen Kranz von Wiesenblumen zu flechten, als der Schall mehrerer menschlichen Stimmen unter den Baumgewölben vernehmbar wurde, – Stimmen, die sich anriefen, und Verirrten, des Weges unkundigen zu gehören schienen. – »Ammon;« sagte Regina zu dem Alten, der, unweit von ihr, ein Jägernetz ausbesserte: »Geh doch hin, und weise die Leute zu recht.« – »Ei was!« brummte der Forstwart entgegen: »Haben sie sich hereingefunden, mögen sie [106] auch sehen, wie sie wieder hinauskommen. Führt sie der Weg hierher, dann will ich ihnen schon den Weg weisen.« – Diese letzten Worte begleitete er mit einer sehr nachdrücklichen Geberde, die auf keinen guten Empfang der ungeladeuen Gäste schließen ließ. – Regina warf ihm seine Unverträglichkeit vor, und verbot ihm ernsthaft jede Gewaltthat, insofern die Verirrten hieher gerathen, und nach dem Wege fragen sollten. Sie hatte kaum ausgeredet, als sich schon am Eingange des Platzes ein Mann zeigte, welchem ein Frauenbild folgte, und ein anderer Mann, der einige Gäule nach sich durch den Wald zog. Ach! wie ging in Reginens Seele die Erinnerung an den letzten Osterabend auf, den sie in Frankfurt zugebracht. Denn der junge Mann, der so bescheiden sich nahte, um nach der rechten Straße zu fragen, war – sie wußte es ganz gewiß – der anmuthige Junker, sie eine Königin genannt, und der erste Mann gewesen, der wohlthuend ihren Reitzen vor aller Augen Gerechtigkeit hatte wiederfahren lassen. Der ernsthafte Ausgang jenes fröhlich begonnenen Ostermahls hatte ihre, jugendliche Brust wit Bewunderung für den kühnen Jüngling erfüllt, der die unverletzlichen Menschenrechte muthig vertheidigte gegen den schnöden Vorwurf, – und dann und dann und wann war des Jüngling Bild noch wiedergekehrt vor ihre Seele, und hatte immer den Wunsch im Gefolge gehabt, ihn einst wieder zu sehen, – ihn bald wieder zu sehen; nicht im Ernst eines schon Standes und Alters, sondern noch im Schmuck, in der fröhlichen [107] Freiheit jugendlichen Lebens, Plötzlich nun war dieser Wunsch erfüllt worden, und Regina, davon überrascht, zögerte nicht, ein harmloses Kind der Natur, dem Ankömmling entgegen zu eilen, ihn zu begrüssen, seine Hand zu schütteln wie ein Mann, und ihm das Anerbieten zu machen, ihn zu ihrer Mutter zu führen, die erfreut seyn würde ihn zu sehen. Dagobert, wohlthätig überrascht von diesem Empfang, den er in diesen Wäldern nicht erwartet hatte, warf einen forschenden Blick um sich her, und sprach zu Reginen: »Mein gutes Fräulein! Es ist als ob mich Gott hiehergeführt hätte, in diesen traulichstillen Wald, und in Eure Nähe. Ihr befehlt als Herrin hier, und so Ihr wollet, könntet Ihr mir größere Huld verleihen, als ich Euch je vergelten könnte. Wir sind seit Mitternacht geritten auf's Geradewohl in die Welt hinein, verfolgt von Ungewitter und gefährlichen Menschen, die es auf dieser Jungfrau Leben abgesehen hatten. Die Unglückliche hat jedoch kein Obdach für die erste Zeit, und heilige Pflichten rufen mich auf mehrere Tage von ihrer Seite. Wäret Ihr wohl geneigt, meine liebliche Königin, in deren duftigen Wald und Blumenreiche wir angekommen sind, eine kurze Zeit hindurch, dieß edle, sonder Verschulden in's Elend gerathene Mädchen in diesem stillen Hause verborgen zu halten vor Jedermann, – die Mutter selbst nicht ausgenommen, – weil die Jungfrau hier noch keine Christin ist, sondern sich erst vorbereiten will, zum heiligen Bunde zu treten? Eine kurze Frist nur, – dann sorge ich ferner für Esther's Geschick; ... den alten Mann dort [108] wenn er ihr verschwiegener Hüter seyn wollte, würde ich lohnen, wie ein Fürst nur kann, und ewig dankbar seyn, mein Fräulein.«

Es wallte sich in Reginens Busen die Begierde auf, dem bewunderten jungen Manne einen Dienst zu leisten, und es schmeichelte nicht wenig ihrer kleinen Eitelkeit, hier, ganz im Stillen, eine Handlung der Oberherrschaft auszuüben. Ihr Auge verweilte indessen forschend und ernst auf Esther's Angesichte, und je reizender ihr dieses vorkam, je deutlicher wurde ihr ein geheimer Widerwille, der in ihr aufstieg, und ihr widerrathen wollte, sich der allzuschönen Fremden anzunehmen. Ihre Haltung wurde dadurch gemessener. Der schlanke Leib, sonst in Geberden und Bewegung zwanglos frei sich regend, nahm die Stellung einer prüfenden, mißbilligenden Herrin an, und ihr Blick wandte sich halb verlegen gegen Ammon, in dessen Gesichte sie indessen zu ihrer Verwunderung keine finstre Verwirrung, sondern eine wohlgefällige, seltne Heiterkeit wahrnahm. – »Sprecht doch mein Urtheil,« sagte hierauf. Dagobert schmeichelnd, und führte Esther dem Fräulein entgegen: »Seht, holdes Fräulein, dieses seltne Geschöpf, und gesteht, daß selbst unter dieser niedern Hülle eine Blüthe verborgen ist, die mit den Schönsten Eures stilles Reichs den Wettstreit beginnen kann, ... Eure Majestät, wie sich's gebührt, ausgenommen.« – Das Fräulein mußte über diese scherzhafte Schmeichelei lächeln, und schon ließ ihre angeborne Fröhlichkeit die Larve der gezwungenen Bedenklichkeit sinken. – Esther, die es deutlicher fühlte, was in dem Busen Regineus, [109] der kaum entwickelten Jungfrau, vorging, schwieg, ergeben in ihr Schicksal, und senkte erwartungsvoll die schöne Wimper über das schönre Auge. – Regina, zweifelnd, zögernd, nachgebend und dennoch widerstrebend, ließ sich in abgebrochenen Worten vernehmen. Sie äußerte, es falle ihr schwer, vor ihrer lieben Mutter ein Geheimniß zu haben, ob sie gleich im selben Augenblicke zugab, es sey nichts leichteres, als das Geheimniß zu bewahren, weil die Frau von Dürning nimmer diesen Platz besuche. Aber ihre Bedenklichkeiten beschränkten sich endlich darauf, daß sie nicht wisse, ob es nicht eine Sünde sey, eine Jüdin heimlich zu hegen, und ob Ammon sich bewegen lassen würde, die Ungläubige in seinem Hause aufzunehmen. Dagobert bekämpfte den ersten Theil dieses Vorwandes mit der Betheuerung, Esther verlange nichts Sehnlicheres, als eine Christin zu werden, und Ammon stellte seinerseits Reginen völlig sicher. »Mir ist gleich,« sprach er, ob's ein Türke, ein Heide, oder ein Jude ist, der unter meinem Dache haußt, so Ihr's befehlt, mein Fräulein. Gott ist überall, und – getauft oder nicht getauft, – Gottes Sonne bescheint uns überall, und dem Heiden wachsen so gut seine Saaten, als dem Christen; und des Christen Feld zerschlägt der Hagel eben so gut, als des Ungläubigen Korn. Sagt, ob Ihr wollt, Fräulein, und mehr bedarf es nicht. – Und da Regine einen neuen, wohlwollendern Blick auf die schöne Fremde warf, und sich nicht verhehlen konnte, daß sie eben so schön sey, und rein in ihren Zügen, als wie das kunstreiche Marienbild im Edelhofe; – als endlich [110] Esther ihre Augen aufschloß, das Fräulein in den ganzen Zauber dieser Paradiesessterne sehen ließ, und mit der schmelzend weichen Stimme, der nichts widerstehen konnte, die Worte sprach: »Verstoßt mich nicht, gute, edle Jungfrau, und vergelten wird's Euch der hochgepriesne Gott, und meines Vaters Segen, und meines edeln Freundes Dankbarkeit!« – Da hätte Regina nicht das gefühlvolle, reine Mädchen seyn müssen, um nicht einzuwilligen von Herzen. –

So wohnte denn nun, von jenem Augenblicke an, Esther in der Hütte des Forsts zu Dürningen, und der alte Ammon sorgte für ihre Bedürfnisse, so gut als er es vermochte, denn er war geschmeidig geworden durch die Erinnerung, durch diesen Zauber, der den Menschen durch das Leben geleitet, und im Greise stärker wirkt, als im Jüngling selbst, weil sein Daseyn blos nur in der Vergangenheit liegt. Auch der wilde Falkenjäger hatte einst geliebt, da sein Scheitel noch umwallt war von braunen Locken, und seine Jugend in der schönsten Blüthe stand; und diese Liebe war ein Maurisches Mädchen gewesen, herstammend aus glühender Zone, und ähnlich den Zügen Esther's. Seit vierzig Jahren war diese Dirne aus den Lebenden geschieden, von gäher Krankheit dahingerafft, in einer Zeit, wo Ammon seiner Väter Glauben willig hingeworfen hätte, um das schöne Kleinod sein zu nennen. Seit vierzig Jahren feierte Ammon alljährlich des Mädchens Todestag, und nun, da Kida's Bild merklich schon abgebleicht worden war in der Kammer seines Gedächtnisses, – nun war sie gleich wie auf's Neue lebendig geworden in [111] der reizenden Esther, zu ihm getreten in seine Wildniß, – ein freundlicher Engel, ein Trost für seine leere Brust. Darum hatte er auch dem Mädchen die einzige Stube des Hauses eingeräumt, und sich auf den Speicher gebettet: darum hatte er, rund um die Hütte, neue, gefährliche Fallen und Gruben angelegt, damit ihm Niemand bei Nacht die Anvertraute stehle; – darum ging er wie ein sorgsamer Knecht hinter der Gebieterin her, um ihren Wünschen sein Ohr zu leihen, und ihr so viel Annehmlichkeiten zu verschaffen, als in seinen schlechten Kräften stand. Er fand in Esther's Lobe kein Ende, wenn Regina kam, nach ihr zu fragen, und mißbilligte es sehr, daß das Fräulein sich weigerte, die schöne Fremde näher kennen zu lernen, daß es gleichgültig die warmen Dankesäußerungen Esther's zurückwies, und sich ihren einsamen Beschäftigungen überließ, wie zuvor, ohne seinen Schützling zu verstatten, ihm näher zu kommen, und vertraulicher zu werden. Ammon wußte nicht, daß weder der niedre Stand Esther's, noch ihr Glaube sie von Reginens mitleidigem Herzen entfernte, sondern gerade der Vorzug, den das Fräulein ihr einräumen mußte: der Vorzug, Dagobert's Freundin zu seyn. Ammon bemerkte es nicht, wie oft Regina im Grase sitzend, in tiefes Nachdenken versank, und Viertelstunden lang nach dem Waldgange blickte, als müsse er jetzt kommen, ... als müsse er dann den fremden Gast hinwegführen, und dann allein wieder kommen, und täglich wiederkehren, und endlich gar nicht mehr von dannen gehen. – An Dagobert's Statt kam aber eines Mittags Ben David [112] an, – dürftig und verschmachtend – blos von der Hülle bedeckt, die ihm das Mitleid zugeworfen. Ammon hatte schon nach der Peitsche gegriffen, um den verdächtig aussehenden Bettler aus dem Reviere zu treiben: Esther's Freude- und Angstruf entwaffnete ihn. Dem Vater von Kida's Ebenbilde konnte er nichts Übles zufügen, und er besann sich, daß auch ihn einst sein Vater unsäglich geliebt hatte, daß auch er einst an seinem Vater mit Treue gehangen; er begriff Esther's Empfindung, und wehrte dem Alten nicht, die Wohnung seiner Tochter zu theilen. Vater und Tochter waren völlig ungestört, denn eine Unpäßlichkeit hielt Reginen vom Walde fern, und Ammon machte doppelt eifrig seine Runde. Esther's und David's Wiedersehensfreude, wie ihr Leid um Jochai's Hinscheiden und ihre Verstoßung aus der Stadt, die ihnen Schirm und Heimath gewesen, durfte ohne störende Zeugen sich aussprechen, fessellos, wie es der Schmerz, frei, wie es die Lust verlangt. Aber schon am folgenden Tage begehrte David zu wissen aus Esther's Munde, wie ihr Verhältniß gewesen sey zu dem Junker. Esther's Wange erröthete zwar; doch hatte ihr Mund keine Schuld zu bekennen, und ihre Rede, einfach und erklärend, trug der Wahrheit Stempel. Ben David scharfes Auge, allen seinen Glaubensgenossen mehr oder minder eigen, sah indessen durch den Schimmer der Wahrheit hindurch einen dunkeln Punkt in dem Herzen seiner Tochter; ein verschleiertes Gefühl, dessen Decke zu heben sie nicht begehrte. Er faßte daher ihre Hand, und sprach! »Geliebtes Kind; Du verschweigst mir, was Du [113] nicht solltest, und wegen dessen ich Dir nicht zürnen mag, denn es ist nur die Folge der Vergangenheit. Dagobert ist gewesen Dein Schirm, Dein Alles, weil ich lag in Banden. Dagobert hat Dich genährt und gepflegt, und gerettet aus tausend Gefahren; der hochgelobte Gott wird ihn darob segnen und ihn eingehen lassen in's Paradies, weil er Gutes gethan an Israel; weil er es hat gethan uneigennützig, und nicht hat befleckt Dein Kleid der Ehren. Friede sey mit ihm, und auch auf seinem Andenken sey einst Friede, wie auf Zodick's Gedächtniß Schmach sey und der Zorn Gottes, und ihm selbst das Feuer der Gehenna! Aber, liebste Tochter, mein Kind: dergestalt, wie Du den abtrünnigen Knecht Zodick mußt hassen, – dergestalt hast Du gelernt lieben den seltnen Mann, der da handelte, als stamme er aus den Lenden Jakob's, und nicht vom Berge Seir. Gesteh' es mir, mein Kind.« – »Vater,« erwiederte Esther stockend: »Deiner Klugheit kann nichts verborgen bleiben. Ich muß es bekennen, und wenn es Sünde wäre vor Dir und dem Gesetz. Nach dem hochgelobten Gott, den ich fürchte, – nach Dir, mein Vater und Herr, den ich ehre, lebt Niemand mehr auf der Welt, denn Er, den ich bewundre, den ich liebe, .... o laß mich nicht vollenden.« – »Nein, meine Tochter; vollende nicht;« versetzte David ängstlich: »Du liebst ihn nicht, wie der Dankbare den Wohlthäter, .... Du liebst ihn nicht, wie das Kind den Vater, ... nicht wie die Schwester den Bruder; ... Du liebst ihn wie die Jungfrau den Mann, und Wehe geschrieen über mich und Dich ... was soll [114] aus dieser Liebe werden?« – »Was Gott wird beschließen, und Du, mein Vater:« sagte Esther ergeben, wiewohl sie erbleichte, und erkannte, daß sie nun an den Markstein ihres Lebens getreten. – »Ich kann nichts beschließen;« antwortete seufzend der Vater, mit größrer Fassung, weil er auf sein eigen Unglück zurückkam: »Ich bin ein armer, geschlagener, zu Nichts gewordener Mann; sie haben mich hinausgestoßen in die Welt, und ich habe von all meinem Gute nichts mitgenommen, als die Last der Dankbarkeit gegen den Jüngling Dagobert, dessen freigebige Hand mir noch einige Pfenninge zuwarf. Des Herzogs Glückstern ist erloschen, und mein Gold, das ich ihm lieh, gewiß verloren. Meine übrige Habe, theils in Costnitz zurückgeblieben, theils in unserm Hause zu Frankfurt verwahrt, ist eine Beute geworden, dort betrügerischer Freunde, hier der habsüchtigen Richter, die noch nach verborgenen Schätzen lechzten, von welchen ihnen der abscheuliche Zodick vorgelogen. Ich muß wieder hinaus in die Welt, wie ich gekommen bin herein, um zu erjagen, wo möglich, ein neues Glück; und Dich, mein einzig Kleinod, muß ich lassen hinter mir, auf daß Du nicht verderbest unter'm Druck des Elends und der Entbehrung meiner flüchtigen Wanderschaft. Du magst nun entscheiden, Tochter: ich lasse Dir die Wahl: willst Du Dich werfen in die Arme Edoms? willst Du zurückbleiben unter unsern Leuten, zu Worms entweder, oder zu Nürnberg? Wir haben zwar nicht Freunde mehr, nicht Verwandte, aber Israel wird nicht lassen von David's unglücklicher Tochter.« – Esther sprang [115] auf, faßte heftig ihres Vaters Hand, und rief mit ausbrechenden Thränen im Auge: »Vater! bei der Herrlichkeit des Reiches, das uns vom Messiah gebracht werden soll! Nimm mich mit Dir; ich will leiten Deine Schritte durch Fels und Sand; ich will schlummern neben Dir auf Haidekraut und Moor, ich will nicht mehr begehren, denn ein Stücklein verschimmeltes Brods, um mein Leben zu fristen; und am Ende auch dieses Leben willig verlieren, erliegend unter Bekümmerniß und Gottes, des Herrn Schickung. Aber nimmer geh' ich nach Worms, nimmer nach Nürnberg. Unsre Leute, zu denen ich flüchtete zu Frankfurt, haben mich verrathen an die Wollust, ein Sohn der Gebote hat Dich verrathen und den Raaf Jochai getödtet; was soll ich erwarten von ihnen? Die Arme wird seyn verachtet und arm in Ewigkeit: eine Magd werde ich seyn müssen in Schmach und Kummer. Vater, Dir will ich folgen, aber nicht fürder dem Gesetz und seinen Bekennern. Der Herr hat uns verderben lassen in der Noth, die Brüder haben uns lassen verzweifeln. Der Christ hat mich errettet. Ihm gehören, nach Dir, meine Tage. Weisest Du mich von Dir, so bin ich sein Eigenthum, wenn er's verlangt, seine Dienerin, denn er ist mehr als ein Mensch; ein Engel des Heils, ein Erlöser und Erretter!« – »Weh mir! weh mir!« entgegnete Ben David bekümmert: »O, wie ist Dir doch angeflogen der Mehlthau aus Amalek! Du willst nicht mehr seyn eine Tochter Zion's! Du brausest auf in Leidenschaft und Hitze, und hörst nicht die Stimme des Herrn und des Vaters! Erwarte nicht, daß ich Dir fluche, [116] nicht daß ich zu Dir flehe! Aber gerettet möchte ich Deine Seele wissen. Ich würde Dich ermorden, wenn ich Dich mit hinaus nähme in Sonnenbrand und Nachtsturm, um mir mein Brod suchen zu helfen unter den Hefen des Volks, begleitet von Verachtung und Hohn. Deine Blüthe würde nicht groß gezogen, um zu ersticken im Kothe. So bleibe denn lieber in Edom, und halte Dich zu den Ungläubigen. Vielleicht, daß einst der Herr in seiner Barmherzigkeit Deine Seele berührt mit dem Stabe seiner Gnade, – vielleicht, daß Du einst zurückkehrst in den Schooß des Gesetzes, nicht zu spät für Deine Paradieseshoffnung, wenn gleich zu spät für meine in Kummer und Todesgram erloschenen Augen!« – Wehmüthig und beklommen stand der Vater auf, und überließ Esther dem Strome von Thränen, in welchen sich die Erschütterung ihrer Brust auflöste. Ben David legte sich hinter der Hütte in's üppige Waldgras, von Mücken umtanzt, von Vögeln umgeben, deren Gezwitscher herrlich und frei aus dem Wipfel der Bäume zum Himmel stieg. In dieser Einsamkeit legte sich der Sturm seines Vorurtheils und, zu der blauen Decke hinaufblickend dachte er, daß dieses schöne Zelt ja für Jeden erbaut sey, und daß die Hand des Herrn alle Menschengräber mit Gras und Blumen ziere. Die Brust wurde ihm weiter, und mit ihr auch die Fesseln, die seine knechtische Glaubenslehre ihm von Jugend an über den Nacken geworfen. Er beseufzte das Geschick, das ihn unter diesem Himmelsstriche in Jakobs's Hütten hatte hervorgehen lassen; er wünschte um seiner Esther willen, in den [117] Reichen der Gojim geboren zu seyn; er dachte sich die Möglichkeit, sie mit Dagobert vereint zu sehen; er gönnte ihr den edeln Mann, ihm die reine vollendete Jungfrau; aber wie ein Felsstück von der Höhe eines Alpengebirgs rollte die Erinnerung an jenen Schwur, den er in des sterbenden Jochai's Hände hatte leisten müssen, auf sein Herz. – »Ich darf sie ja nicht zulassen zu dem Bade, das in Edom ein Bad der Wiedergeburt genannt wird;« sprach er vor sich hin: »ich darf sie ja nicht abschwören lassen vor dem Volke ihren Glauben! O, Herr! hochgelobter Herr! halte mich aufrecht, daß ich nicht verdiene den Zorn meines abgeschiedenen Raaf's. Erleuchte mich in meinem Haupte, damit ich den Ausweg finde – den rechten, untrüglichen! Leite mich Herr, und Du, Seele meines Vaters, auf dessen Andenken der Friede sey!« – David versank in ein eifriges Gebet, das er in den folgenden Tagen, nach kurzen Zwischenräumen immer wieder fortsetzte im Dickicht des Waldes. Er sprach kein Wort mehr über das Vergangene mit Esther. Seine Zunge schien gleichmüthig geworden zu seyn, wie seine Stirne. Er hatte seinen Entschluß gefaßt und harrte sogar mit Ungeduld auf Dagobert's Ankunft, welcher auch Esther's Herz sehnlichst entgegenschlug, denn auch ihr Herz, ihre Vernunft war zu einem Entschlusse gelangt, zu dem höchsten, dem seltensten in der Seele und dem Munde eines leidenschaftlich liebenden Weibes, zu dem Entschlusse der Entsagung.

Dagobert ließ sich nicht allzulang erwarten. Eines Abends schnaubte sein Roß am Waldgehege; seine[118] Schritte wurden hörbar vor Esther's Kammer, und ein trat er zu den ihm entgegen Eilenden, wie ein verklärter Lebensbote. – »Grüße Dich Gott, Du vielgeprüfte Dirne;« sagte er, dem Mädchen treuherzig und liebevoll die Hand reichend: »und auch Du, armer Ben David, sey gegrüßt. Als ich von dannen ritt aus diesem Walde, dachte ich nicht, mit so viel Glück beladen, wieder zu kommen. Esther, Du liebes treues Kind, freue Dich mit mir. Mit dem Vater ausgesöhnt, habe ich auch die Mutter, ungekränkt und gleichsam wie eine zweite junge Braut an sein Herz gelegt. Wallrade, die Stifterin des Bösen, ist verwiesen aus dem Hause, und mein Vater hat aus ihrem Munde kein Wort vernehmen wollen. Graf Montfort, dem ich Schonung zu erweisen im Stande war, will dankbar mich dem Herzog Friedrich anempfehlen, daß meine Freilassung von dem Kirchendienst vom neuen Papst bestätigt werde, und daß der Herzog so schleunig als er kann, das Geld ersetze, so er von Dir geliehen, armer Ben David. Mein, Vater, willfährig gegen meine Wünsche geworden, hat mir erlaubt ihm eine Tochter zuzuführen, sobald mein Handel mit Rom ausgeglichen und will nicht fragen nach ihrem Stand, nicht nach ihrem Namen, nicht nach ihrer Habe.«

»So bringe ich denn, mein zierlich Mägdlein, mein Werben bei Dir an. Das Geschick hat uns so oft und wunderlich zusammengeführt, daß es des Himmels seyn muß, daß wir uns näher angehören. Schlag' ein in meine Hand: Dein Vater wird sich nicht weigern, in Dein Glück zu willigen.«

[119] Bei dieser Zuversicht überflog eine zitternde Bewegung Esther's Körper, und ihr Mund stammelte: »Herr! Ihr überrascht mich ... diese Güte, ... dieser Vorzug ....«

»Ei, meine Esther, ist Liebe denn Güte oder Gnade?« fragte Dagobert lächelnd. »Wenn's ein Vorzug ist, daß ein Reicherer eine minder begüterte Ehewirthin wählt, so hast Du diesen Vorzug über alle Maßen verdient durch Deine zarte Weiblichkeit, durch Deine Engelstugend, und durch Deine Schönheit.«

»Die Schönheit verblendet Euch;« sprach Ben David, schüchtern seine Stimme erhebend: »wird sie jedoch Euern Vater blenden? Weiß er, daß Ihr eine Jüdin begehrt, und verpönen nicht Eure Gesetze solchen Bund mit der Strafe des Feuers?« –

»Nun, bei Gott!« rief Dagobert: »wenn Esther eine Jüdin ist, so möchte ich die Christin sehen, die ihr gleich kömmt. Alle Menschen gleich zu lieben, befiehlt uns der Heiland; und wenn seine Worte nicht immer und allenthalben befolgt werden, so ist es nicht des göttlichen Lehrers Schuld: kein Mensch auf Erden ist der Taufe würdiger, als Deine Tochter. Sie sehnt sich darnach, sie hat eingewilligt, aus Eurem Bunde zu treten, und als Christin wird sie vor Gott und Menschen mein Weib!« –

»Welch ein Mann!« seufzte Esther, die Hände faltend; Ben David's Stirne überzog ein finstrer Schleier, da er die Augen auf seine Tochter heftete. »Du sehnst Dich nach der Taufe?« fragte er düster und langsam: »Du hast eingewilligt? Tochter! was [120] soll ich Dir sagen, jetzt noch in dieser Stunde? Soll ich zerreißen mein Kleid, wie für einen werthen Gestorbenen, oder soll ich mich freuen Deines Glücks in der Zeitlichkeit? Und Ihr, Herr Frosch, ist's Euer ernstlicher Wille, daß Esther sich scheide von mir, und fürchtet Ihr nicht mindestens die Zungen der Welt, wenn Ihr gleich gefangen habt das Herz eines allzuschwachen Vaters?«

»Eines gerechten Vaters,« verbesserte Dagobert: »ich scherze nicht mit einer Leidenschaft. Ich gebe ihr auch nicht leichtsinnig Raum. Aber hier bin ich fest entschlossen. Du mußt zugeben, daß Deine Tochter ihre Irrthümer abschwört; Du mußt zugeben, daß sie mein Weib werde; und damit die Zungen der Welt unser Glück nicht stören, und meines Vaters Tage nicht trüben, will ich mich fern von der Vaterstadt häuslich niederlassen, einsam mit meinem schönen Kleinod. Lieb und angenehm ist mir's, wenn Du, Ben David, auch den falschen Herrn vertauschen willst gegen den wahren Glauben, aber selbst im Gegentheile auch soll Dir in der Ferne eine namhafte Unterstützung nicht entstehen; nur magst Du, vor der Welt zum mindesten, meine Schwelle meiden. – Entscheide jetzt und sey klug.«

»Also frägt man den Verdammten um Entscheidung seines Schicksals;« entgegnete Ben David, betrübt und im Kampfe mit sich selbst: »Herr! ich bin geworden zu alt, um wegzuwerfen mein Licht und Hort wie ein unnützes Kleid. Herr! ich habe keine Stimme der Gewalt gegen eine Tochter, die da liebt, und einen Mann, der mir mein Höchstes nimmt mit[121] dessen Befugniß. Herr! ich bin Euch Dank schuldig, denn Ihr seyd ein vornehmer Mann, und begehrt mein Kind, eine schlechte Jüdin, in Ehren. – Ich bin geworden Euer ewiger Schuldner, da Ihr gehandelt habt wie ein Bruder an ihr, wie ein Sohn an mir. – Ich bin Euch, Gott soll mir helfen, verpflichtet, als Knecht, weil ich gesündigt habe gegen Euer Haus, und Ihr mir dennoch wollt vergeben ...«

»Die Verirrung meiner Mutter wird sich milde lösen,« entgegnete Dagobert: »ich hege keinen Groll deßhalb gegen Dich, ob ich gleich weiß, daß Du vor Gerichte die Wahrheit nicht gesagt, und daß der kleine Hans nicht mein Bruder ist.« – »Gott soll mir helfen,« versetzte David eifrig, »wenn ich nicht habe gesagt Alles, so wie mir's der Beichtvater Eurer Mutter im Thurme hat befohlen.« – »Ich dachte mir's,« sprach Dagobert: »darum sey ruhig, und fahre fort in Deiner Rede, deren Bedenklichkeit ich mit den Worten der Wahrheit beantworten will.« – »Herr;« begann Ben David wieder: »Ihr habt gesagt, ich müßte willigen in Esther's Übergang, in Esther's Ehe mit Euch. Vor dem Gesetze Eurer Herren müßte ich's, denn ich bin ein elender Jude, den man aufhängt zwischen Hunden, wenn man seiner los seyn will. Aber ich muß nicht vor meinem Herzen; ich muß nicht vor dem Euern, das da ist ein gutes, und treues Herz, welches sogar in den Kindern des alten Bundes ersieht seine Nebenmenschen. Aber die Dankbarkeit ist mir mehr geworden, als das Gesetz Eurer Herren. Aber die Dankbarkeit läßt mich dazu lächeln, daß Ihr so grausam seyn wollt, [122] auf ewig meinen größten Schatz zu nehmen, zum Lohne für das, so Ihr gethan an uns. Ich will jauchzen, wenn mir gleich das Herz brechen möchte, und ich will segnen das Band, weil ich will lösen meine Schuld, und nicht laden will auf mich den Fluch meines Kindes, mag auch dann aus mir werden, was da wolle.«

Esther und Dagobert wurden tiefbewegt durch diese Rede, die Keines von ihnen erwartet hatte, durch diese Einwilligung, in welcher ein großer Schmerz sich kund that. Die Flamme der Beschämung schlug in Dagobert's Gesichte auf, und sein redlicher Mund verhehlte nicht, was in ihm sich vorbereitete. »Wahrlich,« sprach er: »Ben David, Du bist kein gemeiner Jude, der seine Rede nur setzen lernt, um einem Käufer ein Stück schlechter Waare für ein gutes auszuschwatzen; Du hast die Kunst erlernt, zum Innern der Seele zu reden, und Dir möchte es gelingen mir das Theuerste, das ich kenne, damit von der Brust zu reißen. Ich will nicht grausam seyn, und die Dankbarkeit, die Du mir vielleicht schuldest, als eine Schlinge gebrauchen, in welcher Deines Lebens Freuden ersticken sollen. Davor bewahre mich der Allmächtige. Aber Deine Tochter, deren Lebensglück ich gerne stiften möchte, hat doch auch in diesem Handel eine Stimme. Sie rede frei, ohne Zwang, ohne Überredung. Wird sie dem Vater und seinem Irrthume folgen, oder dem Verlobten in den Bund der wahren Kirche?« – Ben David schwieg, wie Dagobert verstummte, und die Blicke beider hefteten sich unruhig auf Esther, die in den grausamsten Kampf [123] verfiel, wie eine Siegerin jedoch, sich schnell und besonnen daraus emporriß. –

»Dagobert!« rief sie, ihren Arm fest um seinen Nacken schlingend: »Mensch, der nicht von der Erde stammt! Herr meiner Gedanken und meiner Seele! Daß ich Euch liebe und an Euch hänge für alle Zeit; .. das Erstemal ist's, daß ich es wage, Euch es zu gestehen; aber, Engel des Friedens! würde ich seyn Eurer werth, wenn ich zauderte in diesem Kampfe? Ich glaube fest, daß uns Alle jenseits vereinigen wirdEin Paradies. Dort Euer zu seyn, Dagobert, wird meinem Glauben der hochgelobte Gott gewähren. Hier .... o seht den Schmerz des Vaters! Ich kann nicht tödten den, der mir gegeben hat das Licht; – Vater! nimm mich mit Dir; über Berg und Thal, über Feld und Meer! Dein gehör' ich bis an's Ende Deiner Tage!« –

Von dem Halse des Geliebten sich losreißend, warf sie sich in die Arme des Vaters, der überrascht auf seinen Füßen wankte, der Tochter Stirne mit Küssen bedeckend, und Perlen der Angst und der Freude auf seinen benarbten Wangen tragend. So wie aber die Feier des großen Siegs verrauscht war, und Ben David's Auge sich nach Dagobert umschaute, und den erbleichenden Jüngling gewahrte, wie er sich kaum aufrecht zu halten vermochte, und demungeachtet seiner Esther Beifall zulächelte; – als David auf Esther blickte, die, nicht minder zum Tode blaß, unter dem Gewichte der erfüllten Pflicht zu erliegen dachte; da wurde sein Gesicht wieder trübe und ängstlich, und er trat an das Fenster, und sah in das [124] Grüne hinaus, und betete zum Herrn und zu der Seele seines verstorbnen Vaters. Endlich wendete er sich um zu dem Paare, das stillschweigend sich die Hände erfaßt hatte, als sollte schon jetzt Trennung und Abschied hereinbrechen, und sprach recht milde und recht leise, wie er's gewohnt war, mit Esther zu reden: »Ich danke Dir, meine Tochter. Du hast wir wieder gemacht Muth, und Jehovah wird lohnen, wo ich es nicht kann. Aber Dich mitnehmen auf meinen Wegen, ... ich kann es nicht. Und zu unsern Leuten kehren willst Du nicht, und Menschen, die sich also lieben, reißen von einan der; das soll nicht seyn, spricht der Herr unser Gott, sobald er abgelegt hat den Rock des Zorns, und anlegt das Gewand der Milde und Barmherzigkeit. Darum will ich denn auch, so schwer mir's wird, gestehen, was ich weiß, um zu fördern Euer Glück, und mir zu erwerben Euer dankbar Angedenken.« –

Ehe er begann, schöpfte er mühsam Athem; sein kurzes Überlegen war schon eine Ewigkeit für Dagobert und Esther, die mit wißbegierigen Blicken erwartungsvoll an seinem Munde hingen. Endlich hob er an, und sprach mit kurzen Unterbrechungen und Zwischenräumen: »Mein Weib – ihre sey das Paradies – hat mir geboren zwei Söhne, und das letzte Kind, das es mir schenkte, war ein Mägdlein, an das ich mich gewöhnte schneller und leichter, denn an die Buben, was selten ist bei unsern Leuten, die nach Söhnen streben, wie nach Reichthum. So oft ich ging über Feld, legte ich das Töchterlein der Mutter auf's Gewissen, und drohte ihr, wofern dem [125] Kinde widerführe etwas Leides, sie zu verstoßen aus dem Hause und der Ehe, so wie's das Gesetz erlaubt. Gewiß, – Gott soll mir helfen – ich hätt' es nicht gethan, aber die Angst war gekommen auf das Weib, und es meinte, sterben zu müssen auf dem Fleck, als es eines Morgens – da ich abwesend war, und mein Töchterlein erst alt drei Wochen – das Kind todt fand in der Wiege; denn die Katze hatte sich hereingeschlichen vom Nachbarhause, und sich gelegt auf des Kindes Hals, und dasselbe also erstickt. Die Mutter erhob kein groß Geschrei, denn sie wollte nicht kund geben ihre Nachlässigkeit, allein sie setzte sich in den Winkel neben das todte Kind, und weinte bitterlich, und da gerade der Vater Jochai hereinkam, so redete sie zu ihm: ›Raaf! sieh hier das Kind. Dein Sohn verstößt mich; so er's erfährt, und ich bin doch unschuldig. Hilf mir, daß wir beten über das Kind, ob es vielleicht erwache, ehe noch der Vater heimkommt mit den Buben.‹ Und sie beteten über das Kind, und Gabriel erweckte es nicht. Da nun mein Weib wieder, anhob zu klagen, so sagte der kluge Greis Jochai: ›Schweige, Weib: Ich will gehen hinaus, und sehen, was mir der Herr eingibt, oder der Prophet Elias.‹ – Und nicht lange war er fort gewesen, so kehrte er wieder zu der betrübten Mutter, und trug ein klein Mägdlein auf dem Arme, und redete: ›Weib! sieh hier; was mir hat Gott bescheert. Draußen an der Straße hab' ich gefunden ein Bettelweib im Sterben, und das Würmlein hier an dessen Brust, die doch keine Nahrung mehr gab. – Mutter, sagte ich, weil mir's [126] der Herr eingab: willst Du mir erlauben Dein Kind, ehe es mit Dir stirbt? Ich bin ein ehrlicher Mann. – Das Weib sah schon nicht mehr hell und wußte nicht, daß ein Jude zu ihm sprach: es reichte mir aber das Mägdlein hin, und sagte: »Nimm' ehrlicher Mann, und Gott vergelt's. Getauft ist das Kind, und heißt Marie.« – Es war der Armen letztes Wort; sie starb, und hier bringe ich Dir die Kleine, damit sie eine Jüdin werde, und Davids Herz nicht betrübt sey bis in den Tod.‹ Legten die beiden das lebende Kindlein von gleichem Alter und selbem Ansehen an die Stelle des todten, das sie heimlich fortschafften, und da ich wiederkam, liebte ich das Kind wie zuvor, und habe es erzogen, und nicht anders gewußt; als bis ich von Jochai auf seinem Sterbelager erfahren, was er gethan; wofür ich ihn noch segne, denn mein Weib ist hinüber gegangen im häuslichen Frieden, mein Herz war nicht betrübt bis in den Tod, und ich vermag's, zwei Herzen zu verbinden, die sich lieben, denn Du, Esther, .. wahrlich ... Du bist jenes Kind.«

»Eine Christin?« rief Dagobert frohlockend. »Nicht Deine Tochter?« fragte Esther mit einer Empfindung gemischt aus Freude und Wehmuth: »So steht ja unserm Bunde nichts im Wege?« fuhr Dagobert fort: »Marie! Geraubt aus unsrer Kirche kehrst Du doch wieder dahin zurück, zum Glück der Zeitlichkeit, zum Glück des ewigen Lebens. Marie! o laß uns den Greis segnen, der noch am Sterben seinen Betrug offenbarte; laß uns diesen ehrlichen Juden segnen, der die Hinterlist seines Volkes verschmähend, [127] uns bekannt gemacht mit dem Geheimnisse, das uns ohne Widerrede verbindet!« – Dankbar gerührt reichten Beide dem Juden die Hände. »Es quält mich, wie es mich entzückt, daß ich nimmer Deine Tochter seyn soll;« sprach Esther: »Ganz verwaist stehe ich nun da in dieser Welt.« – »Hast Du nicht mich, Deinen Freund, Deinen Gatten?« erwiederte Dagobert: »Hast Du nicht den Heiland wieder gefunden, Du, nach seiner Mutter genannte? O, ich ahnte oft, was sich jetzt entdeckt! Du warst nie eine Jüdin; du theiltest nie den Haß jenes Volkes gegen Andersglaubende, Du warst stets so rein, so züchtig, wie die Heilige, deren Namen Du führst.« – »Ich bin wie im Traume!« stammelte Esther, sich dem Arm des entzückten Jünglings überlassend: »Was ich wünschte, wonach ich mich gesehnt, ist längst geschehen, ich bin schon eine Christin; darf nicht vor allem Volke den Schwur leisten, nicht erst betteln um das Bad der Weihe, denn ich hab es schon empfangen, oder, mein Freund, muß dieser Gebranch erneuert werden, um .....?« – »Nein, nein,« fiel Ben David ängstlich ein: »Nein, nein, mein Kind. Es wird ja nur getauft einmal, und war' es nicht Sünde, zum zum zweitenmale es zu begehren?« – »Sündlich und überflüsiig;« versicherte Dagobert: »Wozu ein neues Hinderniß auf die Bahn zu unserm Glücke schleudern? Marie! Nun bist Du mein. Nun hat dieser Mann keinen Theil mehr an Dir, keinen Anspruch, als auf meine Dankbarkeit, die ihm allenthalben folgen, ihn überall erreichen wird.« – »Ben David!« setzte Esther weinend hinzu: »Ich habe Euch geliebt, [128] wie eine Tochter den Vater; ich habe wegen Euer mich wollen reissen los von dem edlen Mann, der mein Alles ist in der Welt. Vergebt mir meine Freude darum, ihm jetzt schon näher anzugehören, und empfangt meinen Dank.« – »Ei! ei!« antwortete Ben David kopfschüttelnd und schmerzlich lächelnd: »Seht doch, wie ihre Gesichter sich tauchen, nicht allein in's Abendroth, sondern auch in das Roth der Freude. Vor einer Weile hatte ich noch eine Tochter, jetzt nicht mehr. Vor einer Weile wollte mir folgen eine treue Seele in's Elend; jetzo stehe ich verwaister, als die Palme in der Wüste. Gelobt sey der Herr! Gesegnet sey meine Zunge und Ihr, deren Glück einzig ist mein Werk.« – Mit Thränen in den Augen riß er sich von den Wonnetrunkenen los, und gieng hinaus in den Forst, wohin er durch eine Lücke im Gehege drang. Unter einem von Buchen gewölbten Dome warf er sich auf seine Knie, und betete, nach seiner Väter Weise, zum Herrn der Himmel, der hoch oben seine Sterne schon angezündet hatte. »Vergib mir, Gott Israels!« beteten seine Lippen zum Schlusse: »vergib mir, wenn ich gehandelt habe wider Deine Gebote; aber ich – habe gehandelt nach der ewigen Thora, die da wohnt in jedes Menschen Brust. Verzeih', daß ich freiwillig dahin gab eine Tochter Zions, da sie doch, spät oder früh, gezogen wäre zum Berge Seir, statt zu wohnen, in dem herrlichen Salem! So habe ich doch gehalten den Eid, den ich geschworen in meines Vaters sterbende Hand, so habe ich doch geübt Dankbarkeit, so habe ich doch gelassen mein Kind im [129] Schutze der Gewalt und der Macht, nicht im Staube Deines auserwählten Volks, das noch immer Dein Zorn darniedertritt, wie einen Grashalm. O baue, baue Zions Zinnen recht bald, starker eifriger Gott! O laß mich finden im Paradiese die Tochter und den heldenmüthigen tugendhaften Jüngling! Du prüfest ja Herzen und Nieren! vor Dir ist der Behemoth eine Milbe. Und also kann auch Deine Gnade reinigen den Ungläubigen zum Sohne Jakobs. Mit mir aber, so lange ich auf Erden lebe, thue nach Deinem Gefallen, Herr. Ich bin geworden unter Deinem Zorne und den Streichen der Feinde ein Wurm statt eines Menschen, ein Spott der Leute, eine Verachtung des Volkes, aber gesegnet sey Dein Wille, gelobt Dein Name, gepriesen Deine Herrlichkeit; hochgelobter, unendlicher ewiger Gott!« – Gestärkt und ermuthigt stand der arme David auf, und ging davon; allein zu Esther kehrte er nicht mehr zurück.

5. Kapitel
Fünftes Kapitel.

Sieh doch zu, Junge, wer jener Mann ist. Sein Gesicht weissagt nichts Gutes, so wie sein Rock nur Trübsal. Den hagern gelben Leuten traue ich nicht eine Spanne weit!

Aus einem veralt. Schauspiele.


»Laßt den Hund laufen, gelehrter Herr! Der Bube entläuft seinem Galgenholze nicht. Schade, [130] daß mein Bolzen ihm nicht in's Bein flog, sondern durch die Mütze. Er wäre ansonst gewißlich nicht davon gerannt wie ein Heide!« – »Der elende Mensch!« antwortete dem alten Ammon der Mann, der, schier gekleidet wie ein Cleriker, vor dem Jäger auf einem Feldsteine saß, und ausschnaufte: »Mein ganz Gepäcke hat er mitgenommen, und ich dank es nur Deiner Hülfe, guter Mann, daß ich mit dem Leben davon gekommen bin; der Schurke hatte nicht wenig Lust, mich auch des Geldes zu berauben, das ich im Gürtel trage.« – »Aber sagt mir doch,« fragte Ammon, »wie's kommt, daß ein gelehrter Herr, wie Ihr, um diese Abendzeit allhier im Busche zu finden ist? Euch Herren gehts doch nicht, wie einem armen Teufel, der seine Füße brauchen muß, statt des Fuhrwerks.« – »Du weißt es alsobald;« versetzte der Mann im aufgeschürzten Talar: »Von Frankfurt fuhr ich weg, um gen Friedberg zu gelangen. Der Karren brach jedoch, eine Stunde Wegs von hier, so ungefähr.« Ich saß mißmuthig und halb zerschlagen am Rande der Heerstraße, und wartete bei meinem Gepäck die Rückkehr des Fuhrmanns ab, der auf dem Gaule nach Leuten und Hülfe geritten war. Wenig Menschen auf der Straße. Kommt plötzlich durchs Feld und über Wiesenpfade ein Mann daher, rüstig und stark darauf losschreitend, den Dornstock in der Hand, und also scharf um sich blickend, und dennoch sorglos vor sich hingehend, als sey er wohlbekannt auf all diesen Stegen und Wegen rings im Land. Da mir's zu lange dauerte, bis mein Knecht zurückkam, so fragte [131] ich den Wanderer nach demselben, und verrieth ihm meinen Unfall. Da meinte er, ich könnte wohl noch lange vergebens warten, und am Ende schon zu Friedberg seyn, ehe der Geselle vom Dorfe zurückgekommen, wenn ich nur ihm folgen wollte auf abkürzendem Pfade, den er genau zu finden wisse. Mir war der Vorschlag recht, und ich trug nur Zweifel wegen meines Gepäcks. Der breitschulterige Mann lachte, und meinte, es wäre ein bloßes Kinderspiel für ihn, mir das Gepäck zu tragen bis zur Herberge zu Friedberg, und wenn ich ihm daselbst zum Lohne einen frischen Trunk wollte reichen lassen, so würde er's dankbar annehmen, und herzlich damit zufrieden seyn. – Er hatte noch nicht ausgeredet, und ich auch noch nicht »Ja« gesagt, und flucks hatt' er den Bündel auf dem Rücken, und wanderte rüstig voraus. Ich folgte ohne Argwohn, und kam mit ihm in solch Gespräch, daß ich nicht bemerkte, wie er mich in diese Gegend geführt hatte, wo rings um uns einsam Gestrüppe steht, doch weit und breit kein Thurm noch Thor von Friedberg. Und da ich endlich es bemerke, und ihn deßhalb zur Rede stelle, so lugte er frech hinauf zum Himmel und ringsum, und spricht: »er werde sich wohl im Pfad geirrt haben; der Abend sey jedoch noch nicht weit vorangerückt, und wir würden zeitig noch nach Friedberg gelangen, dessen Thurm schon zu sehen sey.« Wie er mir nun zeigt, nach welcher Seite ich sehen müsse um ihn zu gewahren, und ich dem bösen Rathe des falschen Menschen folge, sauste mir sein Dornstock in's Genick, daß ich hinfalle, und ihm, dem Räuber, keinen [132] Widerstand zu leisten fähig bin. Mein Schreien war jedoch nicht vergeblich, und – wohl mir – Dein Ohr hat's zeitig genug vernommen, ehe der Schurke mich geplündert. Mag er doch laufen mit dem Pack; der Herr wird ihn schon lassen verlahmen und steif werden wie das Eis, und, .....

Mehrere andere Verwünschungen, die der Fremde auf seiner Zunge hatte, verhallten in dumpfem Gemurmel. Ammon erwiederte darauf lachend: »Nur heraus mit dem Gewetter und Gefluche. Ein meilenlanger Fluch erleichtert recht das männliche Herz, und Ihr seyd ja jetzt im Freien und nicht in Eurer Schule, wo es sittsam und friedlich hergehen muß. Wenn ihr wolltet, könnte ich Euch türkische und wallachische Flüche lehren, die weit besser klingen, als unsre matten in Deutschland. Allein im Grunde hilft doch der wetterlichste Schwur Euch nimmer zu Eurer Habseligkeit. Besser wär's gewesen, ich hätte den vertrakten Schurken in's Knie geschossen; dabei bleib ich. Wo wollt ihr aber jetzt hin, gelahrter Herr? Die Stadt ist an zwei Stunden Wegs von hier; dort links, und schwer zu finden für einen Fremden. Ich wollt Euch gern dahin geleiten, müßt ich nicht in meinen Wald zurück. Auch trautet Ihr wohl meinem Gesichte nicht; denn die Leute sagen, der alte Ammon sehe aus, wie der leibhaftige Teufel selbst.« –

»Hätte ich nur dem Gesichte jenes Schurken nicht getraut;« seufzte der Fremde: »der Bube hatte Gaunerzüge, und brandrothes Haar!« – »Hütet Euch vor den Gezeichneten;« schaltete Ammon ein: »Wißt Ihr jedoch sonst nichts, das auf die Spur [133] des Sünders führen könnte? Ich wollte lauern lassen auf den Burschen, wie auf einen Iltis.« –

»Ich weiß nichts, das mir ausser seinem Gesichte aufgefallen wäre;« sprach der Fremde weiter. »Ein Schild, das er auf seiner linken Brust trug, könnte vielleicht einen Neubekehrten verrathen; doch traue ich darin meinen Augen nicht.« – »Einen getauften Juden!« rief Ammon: »das wäre möglich; und das ist gefährlich Gesindel. Das vertauscht seinen Gott, wie ein Söldner seinen Hauptmann. Und dennoch ist es immer Eins, woran man glaubt. Das hab' ich auf meinen Kreuzzügen oft genug erfahren. Mir gilt der Heide, wie der beste Christ, und wenn Ihr, gelahrter Herr, in meiner schlechten Hütte übernachten wolltet, so wäre ich gern bereit, Euch ein ungläubig Dirnlein zu zeigen, das seines Gleichen sucht in der getauften und ungetauften Welt.« – »So?« murmelte der Fremde, der in Gedanken versunken war, vor sich hin; dann setzte er bei: »Ich nehme es an, Meister Graurock. Ich gehe mit Euch, aber einzig und allein um eines warmen Obdaches willen, weil mich mein Genick schmerzt, – nicht der schönen Dirne wegen.«

»Mir recht;« versetzte Ammon: »Ich hab' noch nie aus freien Stücken 'nen Gast in meine Hütte geführt. Ihr seyd der Erste, und ein warmes Heulager soll Euch nicht entstehen. Morgen wandern wir dann selbander auf Friedberg los. Kommt; laßt Euch führen, denn Mohren und Cordova! Ihr wankt auf den Füßen; ... was ist Euch denn? Warum stieret Euer Auge also in die Ferne, als wollte er in [134] dem Hohlweg sich verlieren? Ihr werdet ja immer bleicher, Herr! Was ficht Euch an?« –

»Der Fremde war starr und steif stehen geblieben, und zeigte unverrückt mit Aug und Hand auf einen Mann, der schnell, obgleich mühsam aus dem Hohlwege, zur Seite kletterte, rasch auf die Gehenden loskam, scheu von der Seite sie anblickte, und, ob vor Ammons Zügen, oder dem Gesichte des Fremden erschreckend, plötzlich die Kappe in die Stirne drückte, mit einem Laute des Unwillens oder der Überraschung sich abwendete, und, als wie von einem Gespenste gejagt, über die buschige Fläche sich verlor.« Während der Fremde ihm bewegungslos nachstarrte, schrie Ammon, der ihn erkannt hatte, wild hinterdrein: »Hoho! sa sa! Jude! wohinaus? Wirst doch nicht gestohlen haben? halt auf, Jude, halt auf!« – »Sein greller Ruf scheuchte den Fliehenden nur noch flüchtiger von dannen, und Ammon brach da er dieses sah, in ein wüstes Fluchen und Toben aus, das nur die wiederholte, dringende Frage des Fremden unterbrach: ob der Jäger den Flüchtigen kenne, und wer dieser sey?« – »Ei, potz Reiher und Falk!« schrie Ammon: »ob ich ihn kenne? Der narbige Ketzer ist kenntlich genug. Das ist eben der Vater der schönen Esther, von der ich Euch geredet.«

»Esther? Ihr Vater?« rief der Fremde an seine Stirne fühlend, ob denn auch alles um ihn her wirklich sey, oder ein Traum: »Gepriesener Gott! ich kenne ihn auch, diesen Mann. Sein Name?« – »Der leidige Teufel kennt ihn besser als ich,« antwortete Ammon, mit der Faust nach der Gegend [135] drohend, in welcher der Fliehende verschwunden war: »ich könnt' ihn nicht behalten.« – »Ben David?« fiel der Fremde ein: »rede, Mann des Himmels! So Du sagst ja, werde ich Dich halten wie einen Freund, wie einen Bruder.« – »Nun denn, in aller Hexen Ramen: Ja!« – rief Ammon: »So heißt der Bursche. Warum aber der Mensch davon läuft, als habe er die Kleinodien des Reichs gestohlen? Warte, Hund! Wenn ich zu Hause etwas Unrechtes merke, wenn meiner guten Esther etwas geschehen ist, so verschreibe ich mich dem Teufel wirklich und leibhaftig, um nur Deiner habhaft zu werden, Jude, und Dir die Fußsohlen mit glühenden Peitschen streichen zulassen.«

»Esther! Ben David!« wiederholte der Fremde indessen häufig hinter einander, und geberdete sich ganz seltsam, die Hände zusammenschlagend, mit dem Kopfe nickend und schüttelnd, Füße und Hände und Körper bewegend in lebhaften und wunderlichen Geberden, während sein blasses eingefallenes Gesicht bald Freude, bald Kummer, bald Ängstlichkeit, bald eine Art von wildem Unmuth verrieth. – »Gott sey bei uns!« rief Ammon derb und roh dazwischen: »Trügt Ihr nicht einen Rock wie ein christlicher Schulherr, ich würde Euch für 'nen Rabbiner halten, so verzerrt ihr Leib und Angesicht. Laßt doch die Possen, und tretet derb auf; ich kann nicht erwarten, zu sehen, was daheim ist vorgefallen.« – »Daheim! ja daheim!« wiederholte der Fremde, unbekümmert um Ammon's Reden: »ja, zu Esther laß uns eilen. Ich kenne sie, ich kenne ihn, ihn, der [136] an uns vorbeiflog. Ich muß ihr Schicksal wissen; ich muß ....« – »Ihr müßt in's warme Heu!« polterte Ammon: »Kreuz und Mond! Des Galgenstricks Dornknittel hat Euern Verstand getroffen, und nicht allein das Genick. Geduldet Euch indessen, und werdet mir nicht vollends toll, bevor wir unter Dach sind. Seht, seht, hier ist schon der Pfad; dort zeigt sich der Hütte Giebel, noch ein Paar Schritte hurtig gemacht, und wir sind allen Kobolden zum Trotz, zur Stelle.« – Ammon's Unruhe wurde bald besänftigt, da er die Hunde fröhlich anschlagen hörte, wie sonst, und Esther gewahrte, die auf dem Platze saß, den Regina wohl sonst einzunehmen pflegte, Dagobert's Braut saß in die süße Schwermuth vertieft, welche zärtliche Gemüther am Vorabend ihres Liebesglücks gerne beschleicht. Der treue Freund hatte Abschied genommen, um nach der Stadt zu reiten, und am nächsten Abend, mit Geschenken und neuen Gewändern für sein Lieb beladen, zurückzukommen. Sie hatte ihm das Geleit bis zum Waldpfade gegeben, dann in die tönenden Forsthallen Ben Davids Namen gerufen, und sich endlich niedergelassen in's thauige Gras, um des wackern Mannes zu harren. Ammon, der zuerst am Eingange des Gehegs erschien, war ihr willkommen, und in demjenigen, der seinen Schritten folgte, vermuthete sie den Vater. Aber ein fremdes Gesicht neigte sich vor ihr an seiner Statt, und je mehr sie dieses Gesicht betrachtete, und von demselben mit glühenden Blicken durchbohrt wurde, je mehr war es ihr kein fremd Gesicht mehr. Aus der Tiefe ihres Gedächtnisses, [137] aus dem Born kindlicher Erinnerungen mußte sie schöpfen, um sich dieses schmale Antlitz, mit der Adlernase, und dem geklemmten Munde zu vergegenwärtigen, und sie hörte nicht auf Ammon's Stimme, noch auf dasjenige, was der Jäger schwatzte, sondern nur auf die schon verklungenen Laute des Fremden, welcher gesagt hatte: »Esther! Ben Davids Tochter! Dich hätt' ich nimmer wieder erkannt, – aber wirst Du auch nicht mehr kennen mein Antlitz?« – Esther's Erinnerungen waren übrigens mangelhaft, nur mit einem Seufzer aus tiefer Brust mußte der Fremde ihr zu Hülfe kommen, in den Worten: »Ich habe einst geheissen Ascher, Du Tochter Ben Davids, und wirst Du mich kennen noch nicht?« – »Jehovah! unser Gott!« schrie Esther auf: »Ascher! mein Bruder Ascher! Sey gegrüßt, sey willkommen, Du Verlorner!«

»Die Dirne hat den ganzen Sabbat vom Brocken hieher gelockt;« murrte der Forstwart vor sich hin: »und was gilt's, sie wandelt meine Hütte um in eine Judenherberge. Vater und Bruder sind schon gekommen, und wer weiß, wer noch alles folgt. Nein, Jungferlein: Also geht es nicht; und morgen weiß die Frau von Dürning Alles.« – »Er ging mißmuthig zu seinen Hunden und in die Hütte, während das Gespräch zwischen Esther und dem Ankömmling so ernst wurde, daß sie Ammon's gänzlich vergaßen. – Verlorner! sagtest Du;« sprach Ascher wehmüthig, Esther's Hand ergreifend: »die Wahrheit kommt nicht reiner vom Himmel, als in diesem Worte aus Deinem Munde. Verloren war ich, verloren [138] bin ich, und würde es bleiben, wollte ich nicht zu rechter Zeit mich wieder gewinnen. Ach, sieh mich nicht an, Esther. Ich habe schon des Vaters Zorn gesehen; laß mich nicht schauen auch Deine Berachtung. Vergib mir, daß ich hingegangen bin vom Glauben zum Irrthum, von dem Gesetz der Väter zu einem fremden. Die Überredung hat mich verleitet, der finstre Geist des fälschen Wissens hat mich verführt; Hoffnung auf ein zeitliches Glück hat mich bethört, daß ich gethan, was ich jetzt bereue von Herzen, wie der große König David bereut hat seine Sünden.«

»Ei, was muß ich hören:« fragte Esther dagegen: »Du bereust, der Thora abgeschworen, dem reinen Gesetze gehuldigt zu haben? O schwanke nicht in diesem neuern herrlichen Glauben! Zittre vor Wankelmuth, und halte Dich fest an dem Leitfaden, den des Ewigen Milde Dir erlaubte.« – »Versteh' ich Dich?« sprach Ascher verwundert: »Ist das meine Schwester, die Tochter meiner Mutter, der einzigen Tochter des frommen Alliba zu Oppenheim, auf dem der Friede sey, wie auf ihr die Ruhe und Segen? Spricht also die Tochter David's, des Sohnes Jochai, die nimmer versäumt hat eine von den vielen Pflichten, die zu erfüllen hat ein Sohn des Gebots? Wie kommt es, daß Du mich schiltst, da ich thue, was Recht ist? Reue und Buße.«

»Ach, Ascher!« entgegnete Esther milde unk freundlich: »Ich hätte Euch nicht gehaßt, so auch noch Alles geblieben wäre, wie ehedem, denn die Gojim, wie Du und Deine Brüder sie nenne, sind [139] mir doch immer vorgekommen, wie unsre wahren Brüder. Aber; es ist alles ganz anders geworden. Ich heiße nicht mehr Esther; mein Name ist Maria, und eine Christin bin ich von Geburt an; nicht Davids Tochter, nicht Deine Schwester.« – »Nicht Davids Tochter?« fragte Ascher: »nicht meine Schwester? Wie fasse ich das?« – Esther erzählte vom Ungemach des Vaters an, bis auf den heutigen Tag, und das Geständniß Davids Alles, der Wahrheit getreu, und Ascher traute kaum seinen Ohren. »Weh geschrieen!« rief er, da das Mädchen vollendet hatte: »Gott! was habe ich gehört? Der Herr segne den Raaf im Paradiese, und der Raaf verzeihe dem Vater die Lüge, die er auf jenes Grab gepflanzt. Eine Lüge? – Ich will sterben zur Stunde und ohne Gebet und ohne Beistand dahin fahren, wie der Abtrünnigen Gräßlichster in seinen Sünden, wenn das wahr ist, was der Vater mir berichtet. – Wie? – O, David ist ein sanfter Herr seinen Kindern; er will sie glücklich sehen; er will allein tragen den Vorwurf, damit das Gewissen seiner Kinder frei bleibe vom Vorwurf. Er will selbst werden ein Sünder, bevor, er zugäbe, daß Du, Esther, eine Sünde begehest. Du, Esther, Du bist Davids Tochter, und keine andre. An Deiner Wiege saß ich über einen Mond, wachend und Dich wartend in einer Krankheit, die mit der Geburt über Dich gekommen war. Ich und, mein Bruder sind niemals mit dem Vater gewesen über Land. Nie hatte sie Statt, die angebliche Verwechslung. Der Raaf hätte nimmer ein Christenkind in's Haus eines Gläubigen geführt, nimmer sich theilhaftig [140] gemacht einer solchen Sünde wider das Gesetz; und dieser hebräische Buchstab an dem kleinen Finger Deiner linken Hand ist eingeätzt worden von dem kunstreichen Raaf, da Du noch keine Woche alt gewesen, als Zeichen unsers Hauses. Ich gelobe Dir's, beim Haupte des Vaters: Du bist von seinem Blute und aus Israel.« –

»Herr Gott im Himmel!« feufzte Esther ängstlich und niedergeschlagen: »Wenn das wäre! Entsetzlich! Wo ist der Vater? Du wirst sehen, Ascher!« ... – »Nicht doch, mein Kind;« versetzte Ascher, seiner Sache gewiß: »Ich werde nicht einmal den Vater sehen, denn er ist geflohen vor meinem Antlitze.« – Esther's Staunen mehrte sich, da sie nun erst erfuhr, was auf dem Wege hieher vorgefallen. – »O, gewiß, ist es, gewiß,« schloß er: »Vaterliebe seltner Art hat Ben David's Zunge regiert. Aber Bruderliebe ist noch gekommen zu guter Zeit, um dich zu retten für die Ewigkeit, die ohne Ende ist in ihren Freuden, aber auch unendlich in ihren Qualen. Höre mich an, Schwester, höre mich an, und glaube, was ich rede. Der Vater hatte mich bestimmt zu lehren in der Schule, und ich habe darum gelernt das Geschrift und die Kunst zu lesen unsre Sprache nach der Wissenschaft, und die Kabbala in all ihren Zweigen. Da kam mir's plötzlich an, als würde ich machen mein Glück unter den Christen, und ein vornehmer Mann von Mainz, der sich im Hebräischen oft Raths bei mir erholte, rieth mir dringend an, zu thun, wie ich gesonnen. Meine Jugend war müde, immer Knecht zu seyn von andern, und zu gehören [141] zu der Sohle von ganz Deutschland. Ich schwor daher der Väter Lehre ab, auf daß es mir wohl gehe auf Erden. Meine Wissenschaft wurde nun hervorgezogen aus dem Staube der Erniedrigung, und jener vornehme Mann wirkte mir einen Lehrstuhl aus zu Heidelberg, um die hebräische Sprache zu lehren, nachdem ich ihn selber vorher einige Jahre unterrichtet hatte. Mir ging es wohl, und der Lehrer Taufkirch war wohl gelitten allenthalben, verfehlte keine Messe, keine Predigt, und hatte ausgezogen den verachteten Juden, – kaum mehr zu erkennen an der Mundart. Nichts hätte gestört mein Glück, wenn es nicht war der Wurm in meiner Brust, der plötzlich anfing, sich zu heben, mich zu quälen. Mein Amt begehrte, daß unsre heiligen Bücher sich einprägten in meinen Kopf, und da fand ich denn nach langem Sinnen, daß alle unsre Lehre, wie die Väter sie befolgten, der Grund der Lehre vom Erlöser sey, und daß ohne diesen Grund die Letztere nicht habe können entsteh'n und wachsen. Und nun schlug mir das Gewissen, und nachdem ich einige Jahre hindurch gekämpft, gelitten, und mich halb gegrämt zum Tode, hat des Himmels Herrlichkeit und Israels Gott den Sieg gewonnen über meine zeitlichen Begierden; weggeworfen habe ich das Amt, um heimzukehren zum Vater, wie der verlorne Sohn, zu den Schulen, wie das verirrte Schaf. Da erfuhr ich zu Frankfurt Euer grausam Schicksal, des Vaters Flucht, wie sie es nennen, den Tod des Jochai, und Dein Verschwinden. Auf's Gerathewohl habe ich mich gehen lassen in die Welt, und die Reihe von Abenteuern, die mich [142] bis hieher gebracht zu diesem abgelegenen Winkel, verbürgt mir, daß es Gottes Wille sey, daß ich Dich rette!« – »Hochgelobter Gott!« jammerte Esther: »Welche spitzige Widerhaken wirfst Du in meine Brust? Ben David entflohen? und ich dennoch sein Kind? den noch aus Israel? Bruder! sey barmherzig, und sage, daß Alles gewesen ist Lüge und leerer Schaum.« – »So wahr ich lebe, und der Himmel gemacht ist vom Herrn, so wahr ist mein Mund;« betheuerte Ascher düster und dringend: »ich bin gesendet, ein Prophet zu der am Abgrund schwebenden Zion, die einst Königin der Städte gewesen, und nun sich herablassen will zur Magd der Edomiter! O höre auf meine Stimme, Esther, höre sie, damit Du nicht einst bereuen mögest, was Du gethan. Lasse ab von dem Jüngling, der zu Rom hält. Lasse ab von dem Gedanken, zu werden, wie er. – Tröste Dich nicht mit dem Gedanken, nicht Du, sondern David, unser Vater, müsse verantworten die Lüge, die seine unendliche Liebe gewagt hat, auf die Gefahr, seine eigne Seligkeit zu verlieren. Aber der Herr, der hochgelobte Gott, ein starker und eifriger Gott, züchtigt für die Sünden der Väter die Kinder bis in's tausendste Glied. Unglück und Schande wurde erwachsen aus Deiner sündigen Ehe, Ungeheuer an Leib und Seele daraus hervorgehen, den Teufeln gleich, die Leviathan mit Lilis zeugte.« – »Halt ein, Ascher!« rief die Verzweifelnde. Der Schonungslose fuhr aber dennoch fort: »Höre mich, verführte Tochter Salem's! Gib Dich nicht in Moloch's Gewalt. Du sollst seine Sklavin seyn. Warum wird [143] er nicht ein Sohn Jakobs, wenn seine Liebe eifrig ist? Warum sollst Du zu seiner Lehre schwören? Weil er Abrahams Saamen verachtet, weil er Dich sündigen machen will, damit Du sein und der Hölle seyst, auf immerdar. Denn Sünde ist dieser Tausch, – glaube mir, dem Sündigen. Wer seinem angebornen Herrn untreu wird, seinem Gott; wie kann der ferner treu seyn im Haus, im Ehebett? wie kann ein solcher Treue verlangen? und wie wird einst seine Sterbestunde seyn? O, glaube, glaube an die Qualen des Abtrünnigen; ich habe sie gefühlt, ich fühle sie noch, und werde nur erst dann ruhig werden, wenn ich gebüßt habe in einer Schule. O kehre um, setzte er wie in Verzweiflung hinzu: Kehre um, da es noch Zeit ist, und Du dieser Buße nicht bedarfst. Sieh mich an, wie mich der Herr geschlagen hat: Wie meine Gebeine geschwunden sind, wie mein Leib zum Schatten geworden. Nicht Schlaf, nicht Ruhe kommt über mein Auge, nicht die Hoffnung in meine Brust, und dieser Zustand muß sich ändern, sollte ich auch Jahre lang vor der Thüre einer Synagoge liegen, und mit meinem Rücken den Gläubigen zur Schwelle dienen 1. Aber selbst dann würde ich nicht wieder seyn, wie zuvor, wenn ich Dich nicht gerettet; versiechen würde ich im Jammer, wie auch versiechen wird in Elend und Trostlosigkeit David, unser guter, allzu guter Vater. Dir gehört dann sein Tod; und mein letzter Seufzer wird seyn Dein Werk!« –

[144] »O schweige, schweige, grausamer Bruder!« schluchzte Esther, trostlos die Hände ringend, »Du greifst fürchterlich mein Herz an, das doch nichts Böses wollte, das doch nur glücklich zu seyn begehrte! Aber nicht Dein Tod, nicht der unsers Vaters komme über mich. Wie könnte ich die Freuden des Lebens finden, müßte ich mir vorwerfen, sie seyen erkauft durch das Eure. Nimmermehr! Ich will seyn stark, stärker als mein Geschlecht, stärker als der Mann selbst, der nicht freiwillig abläßt von dem, was er liebt.« – »Dann segne Dich Jehovah!« entgegnete Ascher freudig: »O gehe mit mir, Schwester, wiedergefundne Tochter Abrahams und Jakobs. Noch besitze ich Geld und Gut, zu fristen unsre Tage. Komm, theile mein bescheiden Loos, tröste mich in meiner Buße, in meiner Reue; halte bei mir aus, und der Herr wird uns wiederschenken den Vater, dessen Schmach und Elend gewißlich nur eine Folge ist meiner Missethat.« – »Ein Lebewohl, – das Letzte, werde ich doch dem Freunde bringen dürfen?« – »Nein, nein!« herrschte Ascher: »Fliehe die glatte Zunge aus Midian, fliehe den Mund, der Dich bethörte. Ein Hauch der Schlange reicht hin, Dich und uns Alle zu verderben. Du mußt mir folgen! O, warum ist die Nacht schon dunkel geworden? Warum leuchtet nicht die Sonne? Gleich müßtest Du gehen mit mir. Aber morgen, morgen, so wie es Tag wird, folge mir!« – »Du brichst mein Herz und meine Gefühle, wie Binsen!« rief Esther schmerzlich: »Aber, mag ich doch das Opfer seyn, daß der Herr nicht zürne, und daß es den Meinen wohl gehe [145] auf der Erde! – Ich will mir denken, Er sey mir untreu geworden, während ich doch meineidig werde gegen ihn. Ich will mir denken, daß er in den Tagen, wo ich für ihn zitterte, ein Opfer der Vehme gefallen sey; aber werden diese Gedanken mich beruhigen? Werden sie nicht entsetzliche Geißeln und Stacheln seyn, um zu zerfleischen mein Inneres? Mein Bewußtseyn erhalte mich aufrecht, und mein hochgelobter Gott, der mich geschaffen. In seinem heiligen Namen, – Bruder – ich folge Dir!«

Fußnoten

1 Eine ehemalige Büßungsart der Juden.

6. Kapitel
Sechstes Kapitel.

Du bist ein hartgesottener Sünder!

Schiller's Fiesko.


Der arme Dagobert hatte nicht die kleinste Ahnung von dem, was in seiner Abwesenheit vorgegangen war. Mit der Freude eines Liebenden, der auf sein nahes Glück hofft, hatte er aus den Kaufläden der Stadt das Schönste und Beste zusammengelesen, um seine Liebe damit zu zieren, und es vermag der Mensch keine größre Seligkeit zu fühlen, als er, da er am folgenden Abend am Forstgehege anlangte, und klopfenden Herzens sich der Hütte näherte. Dort saß eine weibliche Gestalt, harrend, nachdenkend, wie es ihm schien, und ihr schmuckloses Gewand war wie Esther's anzusehen. Der Jüngling verdoppelte seine[146] Schritte, – er flog der Theuern entgegen; – und sie war es nicht. An ihrer Statt begrüßte Regina den Betroffenen, und bei seinem Anblick stiegen ihr Flammen auf die Stirne, Zähren in's Auge. – »Mein Gott!« stammelte Dagobert: »mein gutes Fräulein! Ihr hier? Genesen, aber allein? Was verkündet mir diese Stille? diese Bewegung in Euerm Antlitze? Wo ist Esther?« – »Ich soll Euch ihr Lebewohl bringen;« entgegnete Regina halblaut und schüchtern; aber diese Verlegenheit wurde zum Schreck, da sie den jungen Mann fast bewußtlos hinsinken sah. Kaum vermochte sie alsdann seinen stürmischen Fragen Genüge zu leisten. Sie erzählte, so gut ihre eigne Erschütterung es zuließ, wie sie heute in aller Frühe zum Wald gekommen, um sich des schönen Morgens zu freuen, da die Krankheit sie so lange in der Kammer daheim gehalten; wie Esther ihr in Begleitung eines finstern Mannes – aber sonst ohne Geleit, schon fern von dem Hüttenpfade begegnet, – wie sie bestürzt das Mädchen angeredet habe, und nach Dagobert gefragt. ›O mein holdes Fräulein,‹ hatte Esther gesprochen: ›sagt ihm, der heute vergebens sich dieser Stätte nahen wird, – sagt ihm mein letztes, herzliches Lebewohl. Sagt ihm, daß Ben David uns wohlmeinend getäuscht, daß mein Bruder mich errettet aus der Sünde, in die ich unschuldig fast gerathen wäre; daß ich meinen Gott nicht verläugnen darf, aber ewig ihn, mein Heiligenbild, im Bußen tragen werde; ... daß er mich beklage, sich aber dennoch meines Sieges freuen möge,[147] und ... setzte Regina verschämt hinzu; in der Liebe einer Andern, Bessern glücklich sey.‹« –

Keine Schilderung von Dagobert's Gefühlen. Nach langem Kampfe sich mühsam erhebend, seufzte er: »Nun dann! so ist er vorbei der schöne Traum, der mich beglückte. So ist dahin, was ich in meinen Nächten gesonnen, warum ich im Sonnenlichte gekämpft, wonach ich gestrebt mit allem Feuer meiner Jugend. Der Aberglaube, eines Bruders finstre Glaubenswuth reißt Alles zusammen, was ich, dem Verhängniß zum Trotz erbaute; den Tempel meines Glücks. In Gottes Namen also. Das Unheil soll auch seinen Mann an mir finden; aber, daß sich also löste, was so eng verbunden wurde, daß die holde Fessel so schnöde gesprungen; ... das thut mir weh, und darum wird diese Wunde nimmer vernarben. O, welche Menschen! Mein Vertrauen also zu täuschen! Ben David lügt mir ein Glück, das ich kaum ahnte, ... sein Sohn entreißt es mir, und Esther reißt sich kalt von allen Banden los, die sie an mich schlossen: Wehe mir!« – »Ach, mein guter, trauriger Junker!« sprach Regina tröstend und legte ihre Hand auf die Seine, und heftete ihren Taubenblick auf sein düstres Auge: »wer sagte denn, daß sie kaltsinnig schied, deren Flucht euch bekümmert? Heiße Thränen weinte sie, und darum .... ich will Euch gestehen, daß ich sie vorher nicht liebte ... darum aber gewann sie meine Theilnahme im Augenblick der Trennung.« – »Wenn Ihr sie gekannt hättet!« klagte der Jüngling: »Tugendhaft und rein war sie, wie Ihr, mein Fräulein. Eine Seltne in dem Kranz der Frauen, [148] die Einzige in den Reihen ihres Volks, das geadelt wurde durch ihren Besitz. O, diese Hütte hier! eine Kapelle sollte man auf ihre Stätte bauen, weil die Liebliche durch kurze, allzukurze Frist hier verweilte.« – »Ihr sprecht ja nicht wie ein Christ!« sagte Regina mit lächelndem Vorwurf: »ich sollte böse auf Euch werden, wenn ich nicht die Vertraute Eurer Liebe geworden wäre. Ach, mein Antheil an ihr ist mir schlimm bekommen. Der garstige Ammon hat heute der Mutter Alles auf's Kleinste berichtet, denn er fürchtete die Folgen; und Mütterlein hat mich gescholten, und gesagt, es zieme sich für ein Edelfräulein nimmer, um solche Abenteuer zu wissen, und sie werde mir verbieten, je den Wald wieder zu besuchen.« Dennoch bin ich ihrer Wachsamkeit entgangen, denn Ihr mußtet ja erfahren, wie Alles kam, und ich wäre gestorben hätte ich Euch in Ungewißheit lassen müssen. »Nehmt Ihr Theil an mir, holde Dirne?« fragte Dagobert weich und dankbar. – Regina wurde roth, entzog ihm ihre Hand, und sagte ausweichend: »Wenigstens wollte ich's gern ertragen, daß mein Mütterlein mich schmält, könnte ich Euern Schmerz nur wenden. Ich liebe traurige Gesichter nicht. Seh' ich jedoch Euch in Gram versunken, so möchte ich flugs mit Euch weinen, ob es vielleicht Euern Kummer lindern möchte.« »Lindern? gewiß!« rief Dagobert: »Die Thränen der Unschuld, die des allerreinsten Gefühls sind Lebensbalsam für den Trauernden. Ja, mein wunderholdes Mägdlein; die Zuversicht, .. das gläubige Vertrauen auf eine helle Zukunft, diese heilige Schrift, die in Euern Augen [149] zu lesen ist, klar und deutlich, wie das Licht der Sonne, ... sie gibt mir Trost, und Muth zu leben, ... muß ich auch allein auf meiner Bahn zu Ende wandeln.« – »Allein?« fragte Regina neugierig: »wie meint Ihr das?« – »Ich werde nimmer um eine Jungfrau minnen;« versetzte Dagobert: »einsam bleiben, und allein, keinen Herd mir bauen, keine Hütte, sondern flüchtig seyn und unstät.«

»Um Gottes willen nicht!« rief Regine: »Nur das, ehrsamer Junker, das thut nicht. Viel Hundertmale hörte ich meine Mutter sagen, ein Hagestolz hätte nicht Freude und nicht wahre Lust am Leben, er besäße nicht einmal ein Herz für seinen Hund; und ich will's glauben, lieber Herr. Da ist der Vetter Schwarzbach, und der Ohm von Miltenberg, vor denen mir schon bang wird, wenn sie unser Haus betreten. Da geht's Treppe auf, Treppen ab, mit beschmutzten Stiefel und ungekämmten Bärten, mit Halloh und Hassah durch Feld und Wald, und nur dem Becher wird ein freundlich Gesicht gemacht, und Frauen hingegen beständig ein scheeles. Zu solchem Leben seyd Ihr nicht gemacht, guter Herr. Ihr seyd so freundlich, und wart so froh, daß es Schade wäre, wenn Euch einer Jüdin Verlust zum Trübsinn brächte.« – »Anmuthige Regina!« erwiederte Dagobert: »wollte der Himmel, die Sachen stünden noch wie am verwichnen Ostertage. Damals glaubte ich mich noch frei, und Euer Liebreiz nur allein hätte mir eine Fessel anlegen können.« – »Ach nicht doch!« kicherte das Edelfräulein verneinend, und hielt die Hände vor das geschämige Antlitz. Indem [150] trat, von Ammon begleitet, die Frau von Dürningen an den Eingang des Geheges. »Regina!« rief sie ernst, und Dagobert eilte, das erschrockne Mädchen zu der Mutter zu führen. – »Ich danke Euch Eure Gegenwart nicht, Junker;« sagte die Edelfrau, »da ich nun – zu spät nur – durch Ammon erfahren habe, was mir meiner Tochter Mund verschwieg. Ihr habt unedel genug die Eitelkeit meiner Tochter mißbraucht, um einer Dirne von schlechten Herkommen und ungewissem Leumund eine Zuflucht auf meinem Boden zu gewinnen; und Ihr versucht's vielleicht, jetzt noch die Leichtgläubigkeit der unerfahrnen Jungfrau zu verführen, da Euers Herzens Lieb Euch untreu geworden. Ich bin ein Weib, und kann, ohne männlichen Schutz, mit dem Manne nicht rechten, wie sich's gebührte. Thut mir jedoch die Liebe, so schnell als möglich mein Eigenthum zu meiden.« – »Euer Mißtrauen, gestrenge Frau, betrübt mich;« antwortete Dagobert gelassen: »ich weiche jedoch gerne aus Euerm Eigenthume, in welchem ich das meines Herzens verlor, um Eurer fleckenlosen Tochter ferner keinen Kummer zu verursachen. Habt Dank, Fräulein, für das, was Ihr an Esther und mir gethan, und belehrt, überzeugt Eure Mutter eines Bessern, damit sie nicht aufhöre, mich zu achten, wie einen Ehrenmann.« – Schweigend verneigte er sich und verschwand. – Seinen quälenden Gefühlen konnt' er jedoch nicht entgehen, wie den strafenden Blicken der argwöhnischen Mutter. Viele Male hielt er auf seiner Straße inne, und überlegte bei sich selbst, ob er zurück gen Frankfurt kehren [151] solle, – ob er es versuchen werde, Esther's Spur zu finden. Gegen diesen letzten, von keinem Hülfsmittel unterstützten Versuch sträubte sich sein Stolz. »Ward ihr's so leicht, von dir zu scheiden ohne Frage, ohne Wahl und Lebewohl,« sagte dieser, »so laß sie. Sie hat deine Liebe nicht verstanden, oder war ihrer nicht würdig.« – Und dennoch flüsterte sein Herz im nächsten Augenblicke: »Ach, freilich hat sie dich verstanden, so wie auch du ihre Liebe, die heilige, tadelreine verstehst. Freilich war sie deiner würdig, und auch in der Ferne wird sie's bleiben. Und hierauf dachte er an das Vaterhaus, an den Vater, der ihm wieder lieb geworden, an die reuige Mutter, an den kleinen Hans, und den biedern gelehrten Johannes, und er fühlte, daß außer der Liebe noch das Leben Ansprüche an ihn, und Pflichten für ihn habe, und daß daheim nur das heilende Kräutlein – vielleicht auch nur – wachsen möchte, seiner Seele Wunden zu sänftigen. Gegen alle Weltgegenden breitete er daher seine Arme aus, als wollte er die Verlorne damit an sein Herz ziehen, und wäre sie am äußersten Ende der Welt. Ihren Namen rief er laut und oft in die Luft hinaus und himmelan; dann waffnete er sich mit neuem Muthe, und wandte sich nach der Vaterstadt, ... nicht ein Vergessender, sondern ein in seines Herzens Muth und zuversichtlicher Kraft Getrösteter.«

Er hatte kaum den Scheideweg verlassen, der ihm die Straße frei ließ nach Friedberg und weiter in's Land, oder nach dem Mainstrome, als eine leise Stimme, hinter einem Haselbusche hertönend, [152] fragte: »Aber Veit! warum fendest Du dem Schurken nicht einen Pfosten nach – oder in Ermanglung – einen guten derben Stein?«

»Ei, laß mich doch, Leuenberg,« antwortete der Hornberger; denn die beiden Ehrenmänner waren's, die hinter dem Busche lagen: »ich bin noch müde, wie ein kolleriges, Pferd, das seinen Meister gefunden hat. Der scharfe Ritt schon hatte mich angestrengt, und Du, guter Geselle, warst in eine verdammt schlechte Sippschaft gerathen, deren Arme nicht von Wachs gewesen sind. Sag' mir doch, wie kamst Du unter das Gelichter?«

»s' hat weiter kein Bedeuten,« entgegnete Leuenberg, »und mein wunder Schädel schmerzt mich dermaßen, daß ich nicht viel reden mag. Seit ich von Neufalkenstein wegging, hat mich tausend Noth verfolgt. Wie hab' ich's bereut, daß ich dem ängstlichen Doring folgte, der von der Burg ausriß, als hätten ihn schon die Häscher der Stadt beim Helmkragen. Der Taugenichts ging seine Wege, ich die meinigen. Auf der Gelnhäuser Burg hatte ich nichts zu leisten, nichts zu thun, und schlug mich hieher, wo ich auf dem Anstand herumlungerte, ohne ein glücklicher Schütze zu seyn. Ein Paar arme Bauern, nicht der Mühe werth, sie zu durchsuchen, – das war Alles, was die Heerstraße bot. Doch halt! bald hätt' ich's vergessen: einen Schelm bot sie auch: den rothen Juden Zodick, oder wie der Teufelskopf in der Taufe genannt wurde.« – »Ho!« fiel der Hornberger ein: »wie schön! Friedreich, mein Pathchen! Was treibt der hier herum?« – »Der Gauner [153] stiehlt auf eigne Faust, zu Fuß zwar, wie ein rechter Dieb,« versetzte Leuenberg, »allein dem hebräischen Hund war das Gewerbe im stillen Busche weit günstiger, als mir außer dem Feld und Holz. Gestern hat er einen Reifenden geplündert, und heute den Plunder zum Verkauf getragen. Hier wollt er sich einfinden, sagt' er. Ich schlenderte indessen zu Gaule hin und her, bis der verdammte Wechsler daher fuhr, in dessen Gefolge ich eben so wenig nassauische Reitersknechte vermuthet hätte, als den Tod, und den ich also blind und thöricht angriff. Wie mir's erging, weißt Du so gut wie ich, denn ohne Dein Hinzukommen wäre ich jetzt steif und starr. Hab' Dank, daß Du mich hieher geschleppt hast; ich wollte gerne meine Wunde verschmerzen, wenn ich meinen guten Klepper, den die Hunde niederstießen, wieder lebendig machen könnte, oder wenigsten das Blut jenes breitmäuligen Junkers gesehen hätte, der Deiner Trägheit verdankt, daß ihm sein erbärmliches Leben geblieben ist. Oder war's etwa eine gewisse Ängstlichkeit, die Dich zurückhielt? Willst Du Reu und Leid machen? und hat Dich das, was Du in Frankfurt saht, auf ernsthaftere Gedanken gebracht?« – »Möglich wär's schon gewesen, beim Donuer;« hieß des Hornberger's Antwort: »Dich hätt' ich an meiner Stelle sehen wollen. Ich ritt ganz ruhig und verkappt in der Stadt ein, und kaufte mir die Dolchklinge hier. Da nun die Gassen wimmelten von neugierigen Leuten und Alles sich dem Bockenheimer Thore zuwälzte, konnte ich mich nicht enthalten, nach der Ursache zu fragen. ›Der verdammte Räuber, der [154] alte Bechtram von Vilbel, wird gerichtet;‹ gab mir der Krämer zur Antwort, und ich hätte ihm dafür die Rippen durchbohren mögen. Aber, so entsetzt ich auch war, von der Kunde, den, den ich wo möglich zu befreien gekommen war, auf dem Wege zum Tode zu finden, ... dabei mußte ich seyn und es mit ansehen, kostete es mir auch selbst den Hals. O, welch bedauerlich Schauspiel, Freund Leuenberg! Du hättest sehen müssen, wie unser wackrer alter Ritter daherschritt in den Stricken der Soldknechte, die er einst angeführt hatte. Donner und Strahl! so weh mir dieser Anblick that, so war ich dennoch hoch entzückt, zu sehen, wie er noch den alten Trotz und die ritterliche Würde auf seiner Stirne festhielt, vor welcher sie Krämerlümmel die Augen niederschlagen mußten. Und so blieb er auch bis zum Ziele. Vor dem Thore auf dem Anger war ein schwarzes Tuch ausgebreitet, und auf demselben ließ man den alten Mann niederknien wie einen Verbrecher. Ich hätte ein Gewitter seyn mögen, um über die abscheulichen Rathsschnauzen herzufallen, die so steif und hölzern dem Bechtram das Urtheil wieder vorlasen, als ob sie im Recht säßen, und der von Vilbel im Unrecht. Und dennoch hatte er sie Gefangenen losgegeben, und folglich ward ihm von treubrüchigen Hunden das Leben abgesprochen. Mit diesem letztern war's auch bald vorbei. Ein Rottmeister brachte ein Tuch heran, um dem Sterbenden die Augen zu verbinden, ... aber tausend Hagelwetter! der Bube kannte unsern Alten nicht, welcher das Tuch verweigerte und die Augen muthig offen hielt, unterm Schwert des Henkers, [155] das schon blitzte, und nach welchem die in unzähliger Menge versammelten Reichsstädter schielten, wie abgestandne Fische, denn das Gesindel fürchtet sogar die Klinge, die es selbst aber noch mein Unstern wollen, daß, während ich also in Zuschauen und grimmiger verhaltner Wuth versunken, auf meinem Gaule hielt, und hervorragte über den Pöbel an der Erde, ... daß Bechtram das Auge zu mir empor hob, und trotz meines falschen Bartes mich erkannte. Unwillig rief er aus, mir winkend: ›Hoho! Hornberger! Du hier, und ich muß sterben? Hilf!‹ – Im selben Nu siel sein Kopf, aber alle andre Köpfe drehten sich nach mir, der ich meinem Gaule wüthend die Spornen gab, um mich aus dem Strudel zu arbeiten, der um mich her summte, wie ein Schwarm wilder Bienen, und mir kein bessres Schicksal verhieß, blieb ich in seiner Mitte hängen. ›Halt auf! halt auf!‹ schrie es um mich her, und manche kecke Faust griff zu nach meinem Zügel; ich aber, nicht faul, hieb mit der Peitsche um mich her wie ein toller Mann, und habe manchen Spießbürger gezeichnet, daß er ewig an den wilden Hornberger denken wird. Reiter hinter mir drein ... Steine durch die Luft ... und ich voran wie die Windsbraut, und narrte sie hinter mir her bis an die Warte. Dann streckte ich dem Lumpenpack die Zunge heraus, und ritt gemächlicher durch Feld und Flur und Saat, bis ich in Deine Händel fiel. Aber geschworen hab' ich's, heute wenigstens keiner Christenseele ein Leid zu thun, weil mich des armen Bechtram's Tod doch sehr bestürzt gemacht, [156] und deßhalb ließ ich auch den Fant ziehen, den Du nicht leiden kannst.« – »Hol' ihn der Teufel, und nicht minder den Juden, der seines Vaters Brust verfehlte!« brummte Veit von Leuenberg grollend: »Daß ich mich nicht rühren konnte! Ich hätte den Buben kalt gemacht wie seine Landsleute an Bechtram thaten, der übrigens auch noch lebte; wenn auf Neufalkenstein mein Rath befolgt, und der saubre Neffe gehangen worden wäre.« – »Pah!« erwiederte der Hornberg: »hört man Dich allein, so hast Du zu Allem das Beste gerathen, und von Allem das Beste gethan. Geht man auf den Grund, ist wenig dahinter. Ich denke, die meisten Leute leben noch, denen Du den Tod geschworen!« – »Keinen Schimpf!« drohte Veit, sich mühsam auf den Ellbogen stützend: »gerade hier bin ich dem Platze nahe, wo ich zum Erstenmale einen Menschen auslöschte. Es war mein Probestück, auf einem Wildgange, der mich durch den ganzen Forst geführt hatte. Bei der Futterhütte des Waldes sah ich einen Mann stehen, einen Edelmann, nach Kleid und Wehr zu halten; er zählte seine Rehe, und mir wässerte in dem Versteck der Mund, daß mir's jetzo so leicht seyn würde, ein Wild aus diesem gedrängten Haufen herauszuschießen; daß mir aber nicht gestattet sey, das Geschossene zu holen. – Ich ergrimmte bei diesen Gedanken, und dachte: wie wär's denn, Veit, wenn Du den breitschulterigen Mann holtest, der, wie ein frohlockender Geizhals seinen Reichthum überzählt, von dem dir nichts gehört? Der Gedanke war auch sogleich die That, und wie hineingeblasen saß der Pfeil der Armbrust [157] dem Menschen in der Gurgel. Ich auf und davon, sah ihn von ferne noch taumeln, stürzen, und kam selber glücklich davon. Hinterher erfuhr ich, daß ich den Herrn von Dürning erschossen.« – »Ei, das ist ja eine gräßliche That, ein Jugendstreich, wie es wenige gibt;« versetzte der Hornberg: »aber Dir ähnlich, Leuenberg. Einen wehrlosen Mann aus dem Busche zu treffen, oder einen friedlichen Pfarrherrn vom Kirchwege in's Grab zu legen, das ist Deine Sache.« – »Schweig mit dem Spotte!« eiferte Leuenberg wild werdend: »Ein Jeder treibt's nach seiner Lust und Freude. Dieser in geräuschloser Nacht, jener in Rauferei und offnem Streit. Da kömmt aber Einer, dem das wahre Mordhandwerk noch keiner jemals besser nachäfft, als er's treibt.« – Der getaufte Jude Zodick schlich sich eben auf Kreis- und Schneckengängen aus dem Gehölz daher. Sein Rücken war ohne Last, sein Aussehen verrieth indessen wenig den glücklichen Vertrödler geraubter Sachen, als vielmehr den zornigen erbitterten Bösewicht. Vorsichtig und wie ein Falke blinzelte er hinter jeden Strauch, und trat, nachdem er sich überzeugt, daß es rings umher still geworden, mit zuthulicher Frechheit zu den Junkern, die ihn starr ansahen, aber seinen Gruß kaum erwiederten. »Bringst Du Geld?« fragte der Leuenberg: »heraus damit, ohne Widerrede und Umstände. Du siehst, Jude, daß ich Hülfe in diesem Manne erhalten habe. Weigre Dich demnach nicht ferner.« – »Euer Knecht, Herr von Hornberg;« versetzte der Jude flüchtig: »wie seyd Ihr gekommen in die Wildniß, die da beherbergt [158] zwei von Euern besten Bekannten?« – »Um Dich zu sohn, mein Taufsohn!« grinste der Hornberger dem Buben zu: »Wie steht's mit Dir, Bursche?« – »Gut, Herr;« entgegnete Zodick boshaft lächelnd: »ich habe den Fehdebrief geschrieben der ganzen Welt, meine Freunde, die edeln Herren hier, ausgenommen. Ich hatte gebaut so schön mein Haus, und die krumme Schlange hat's eingeschlagen. Zu Frankfurt verlangen sie meinen Kopf, und das Vehmgeding hat mich geladen vor seinen Stuhl. Was thue ich aber mit der Ladung? Damit ich nicht erst zurückgehen muß, bleibe ich gleich ganz weg.« – »Das Beste;« meinte Hornberg lachend: »wie bringst Du Dich jetzt durch?« – »Ich nehme; was mir überlassen die adelingen Herren;« antwortete Zodick schnell: »und muß obendrein stehlen für den Mann, der mir noch schuldig ist fünf Pfund Heller für ein Menschenleben.« – »Verdammte Brut!« fuhr Leuenberg wüthend auf: »Die fünf Pfund, die Du erhieltest, waren noch viel zu viel für Deine Ungeschicklichkeit.« – »Ungeschicklichkeit?« spöttelte der Jude: »so man mir zahlt halb, morde ich auch nur halb, und halb hatte der Alte seinen Rest, was man nicht läugnen kann. Was sollen mich im Übrigen kümmern Eure Händel, Herr, da Ihr Euch nicht umseht um die meinigen? Der arme Friedreich muß Alles ausfechten mit seiner eignen Hand, und kein Mensch steht ihm bei.«

»Elender Jude!« murrte der Leuenberg. – Der Hornberger erwiederte jedoch halb ernst, halb scherzhaft: »Ei bei leibe, Bruder Veit! Ich bin Freidrichs[159] Taufgevatter, und behaupte gegen Juden sein Christenthum. Heisse ihn den schlechtesten Burschen im römischen Reiche, nur keinen Juden.« – »Wär' ich doch geblieben ein Jude!« lachte Zodick höhnisch: »die heimliche Acht hätte mich dann wohl in Ruhe gelassen. Wär' ich doch geblieben ein Sohn Jakobs, so wäre doch vielleicht Esther geworden mein, und Alles nicht geschehen, was sich begeben hat. Wär' ich doch gewesen ein vorsichtiger Mensch, ... ich hätte gewittert, daß das ganze Nest in meiner Nähe war! – Dummer, dummer Zodick!« – Er schlug sich bei diesen Worten einigemal tüchtig vor die Stirne, und die edlen Herrn wollten sich, trotz Wunden und Müdigkeit ausschütten vor Lachen. – »Der Hund ist verrückt geworden!« meinte Leuenberg – »Gottes Wunden und Zeichen!« versetzte Zodick mit verzerrtem Gesicht: »Verrückt und mischukke vor Zorn und wüthiger Sehnsucht. Ich soll theilen mit Euch mein erworbenes Geld ... und Ihr haltet nicht einmal meine Feinde auf, die an Euch müssen seyn vorübergezogen! Das ganze Geschlecht, das ich verfluchte in's tausendste Glied ist gewesen hier ... aber mein Fluch hat es wieder zerstreut in alle Welt. Hätt' ich doch gewußt, daß der Soi, den ich gestern geplündert habe, kein Goi gewesen! daß er gehörte zu der Sippschaft die ich hasse wie den Tod; ich hätte nicht gerastet, nicht geruht, bis er hätte verseufzet seinem Athem unter meiner Faust!« – »So rede doch vernünftig; sag at, was hast Du denn? fragte der Hornberger heftig, und Zodick erzählte von der Forsthütte, von Esther, Ben David und[160] dem Bruder aus der Fremde.« – »Dummer Bube!« maulte Hornberg: »uns das nicht früher wissen zu lassen! Eine schmuke Dirne wäre mir lieb, wenn gleich nur eine Jüdin. Wir hätten sie aus dem Bette gestohlen.« – »Wie erfuhrst denn Du?« fragte Leuenberg. »Ich kam zu vertrödeln meine gewonnene Habe zu Dürning,« antwortete der Jude: »und dem Gesindel im Hofe erzählte der alte Ammon, der Forstwart, die ganze Begebenheit. Der Schurke werde krumm, lahm und taub, weil er mir gestern hat abgewehrt, und heut von den Dingen erzählt, die schon vorbei waren. Noch dachte ich zu erwischen den jungen Frosch, und ihm zu werfen einen Stein zwischen die Füße, aber auch diesen entzog mir der Fürst der Finsterniß. Verdammt und vermaledeit; und ich ruhe doch eher nicht, bis ich mich blutig gerächt habe an dem Wicht ohne Bart.« – »Traum; ich möchte wissen, welcher von uns sich über den Fant nicht zu beklagen hätte?« fragte Veit von Leuenberg ungestüm: »Hat er mir nicht Schimpf und Schmach angethan zu Neufalkenstein? Hat er nicht die Freilassung der gefangenen Hunde ertrotzt, und dadurch dem Henker das Zeichen gegeben, unsern Bechtram abzuthun.« – »Ja wahrhaftig, bei meinem Eide!« fügte Hornberg, wild drohend, hinzu: »Soll mich doch tausend Ewigkeiten hindurch der Teufel mit Pech und Feuer laben, wenn ich die Hinterlist dem Buben nicht vergelte.« – »Und ihm allein gebührt nicht Vergeltung!« eiferte Leuenberg, sich erhebend: »die ganze Sippschaft ist mir zuwider Opperment und Krötengift. Der alte, schäbige, schmutzige Filz; die [161] nichtswürdige Grete, die all adlich Blut verläugnet hat, um zu dem Spießbürger zu kehren; der kleine Wechselbalg sogar, der Hans, der, bei Gott, nichts Anders ist, als ein Bastard von Mutter und Sohn, und endlich vor Allem der Abschaum von Niederträchtigkeit; Wallrade, an die ich, moosiger Bursche, mich noch vergaffen mußte, Dank sey es ihren Teuselskünsten, und die alsdann mich selbst anklagte, ich hätte ihr und dem Pfaffen durchgeholfen; dem verdammten Pfaffen, der uns verrieth. Ich hätte meinen Hals hergeben dürfen, hätte mich nicht mein holdseliges Schwesterlein mit ihren Kleinodien ausgelöst. Wenn ich den Streich der spitzbübischen Schlange je vergesse, so will ich schon jetzt um Haut und Haar seyn.« – »Wie gewonnen, so zerronnen,« spottete Hornberg: »Mit Deiner Schwester war's eine verworrene Geschichte. Sie hatte sich aus ihres Mannes Haus geflüchtet, und in Deinen Arm geworfen, wie Du uns zum mindesten gesagt. Und dennoch geberdete sie sich untröstlich, und dennoch gieng sie freiwillig zurück?« – »Laß' die verdrießlichen Tage dahinten!« fiel Veit ein, dem diese Fragen unangenehm wurden: »ich wollte nur sagen, daß ich hasse, was Frosch heißt, meine eigne Schwester nicht ausgenommen; und ein Fest sollte es für mich seyn, die ganze Brut auf einem Holzstosse sich verzappeln zu sehen, mindestens durch einen Dolch niedergeworfen. Ein Kinderspiel für einen Blutzapfer, wie der, der hier vor uns sitzt, wäre er nicht so erbärmlich ungeschickt geworden, daß das morsche Leben eines Weißkopfs noch einen stichfesten [162] Panzer gegen seinen Stachel abgibt.« – Zodick, der bis jetzt, halb dem Gespräche zuhörend, halb in sich hinein brütend, auf einem Steine gesessen hatte, die Hände auf den Knien, und das teuflisch lauernde Gesicht vorgebeugt wie ein tief nachsinnender Mann, richtete sich bei diesen Worten rasch auf, und sagte: »Ihr habt gut reden von Ungeschick, edler Herr. Doch das Gedibber allein führt nicht zum Zweck. Versucht's einmal selbst, oder besser, folgt dem Rath, den ich Euch gebe. Es kommt mir bald vor wie Schofel und Jammer, wenn man sein Messer zuckt auf einen Einzigen, der doch nur ein Sandkorn ist in der Welt. Das thut auch nur ein verworfner Jude um ein Paar Groschen willen, oder ein Paar Lumpen, Handel damit zu treiben. Für edle Herren wie Ihr, ist's schöner und muthiger und frecher, zu schneiden hinweg ganze Geschlechter, wie die Sichel auf dem Felde die Garben. Ich bin ein Hund gegen Euch. Ihr sagt's, und ich will mich hüten, anders zu denken. Aber der Hund hat jetzt gleich Schicksal mit dem Herrn. Einer ist vogelfrei, wie der Andre. Laßt uns darum erklären Allen den Krieg, weil Alle ihn führen gegen uns. Der alte Frosch sterbe nicht allein, aber mit ihm sein Haus, und mit diesem ganz Frankfurt, und Verderben sey über seinen Bürgern und ihrem Geschlecht.« – Die beiden Männer sahen den Juden staunend an, und Hornberger sagte endlich: »Beim Stern und beim Kreuz und beim Hammer! Kerl! Du faselst, oder Du hast da einen Streich ausgesonnen, wie ihn die Welt noch nicht [163] gekannt hat, und wie er selbst in meinem frischen, kecken Hirn sich nicht gefunden hatte.«

»Diether und all' die Seinen? ganz Frankfurt sammt seinen Männern, Weibern und Kindern?« fragte Leuenberg neugierig, und die Begierde nach Mord, Brand und Beute leuchtete aus seinen aufflammenden Augen: »Rede, Jude! rede! zögre nicht.« –

»Die Wildniß hat Ohren wie der Hund,« meinte Zodick: »in einsamer Kammer spricht sich's besser von solchen Dingen. Zudem ist's schon dunkel geworden, und kühl weht die Nachtluft.« – »Ich spür's wohl an meines Schädels Verletzung;« erwiederte Leuenberg, schmerzhaft nach der Wunde greifend: »aber ich weiß hier nirgends in der Runde ein sichres Wirthshaus für uns.« – »'s wird wohl am besten seyn, die Nacht unter'm Mantel zuzubringen,« setzte Hornberg bei: »der Teufel traue in diesen ersten Tagen nach Bechtram's Hinritt dem Frieden!« – »Ei, nicht doch;« schmunzelte Zodick: »als Ihr kommen wollt mit mir, will ich Euch führen, wo Euch niemand sucht, und im Fall des Suchens, niemand findet. Ein prächtig Haus, und sicher wie im Schooße Abrahams, soll mir Gott helfen.« – »Nun, so hol der Schwarze das harte Lager hier und die Abendluft;« rief Leuenberg, und machte sich auf die Beine. »Vordem schlief ich, that's Noth, unter meinem treuen Gaule. Der ist nun dahin, – entschlafen wie die einäugige Muhme. Gott tröste sie beide, und bescheere uns ein Strohlager und einen wärmenden Trunk. Sollen wir aber dem Hundsjuden da so unbedingt [164] trauen? setzte er zu Hornberg gewendet hinzu.« – »Warum nicht?« lachte dieser mit gewohnter Rohheit: »'s war sein eigner Schade. Denn mein Messer schlitzt ihm den Bauch auf, ehe ein Verräther uns ergreift.« – »Gott foll hüten!« entgegnete höhnisch der Jude! »Hab' ich doch meinen Leid zu lieb, und meine Herren und Freunde. Wandert herzhaft mit mir: ich kenne auch hier die Schliche, und unsre Leute sind überall!«

7. Kapitel
Siebentes Kapitel.

Schnell ist der Pfeil, schneller die Rache, am schnellsten die Reue.

Pers. Sittenspruch.


»Du kommst allein, mein Sohn?« fragte Diether staunend und freundlich zugleich, als Dagobert zu ihm hereintrat in's Gemach, wo er mit Frau Margarethen in völliger Eintracht saß, den kleinen Hans auf seinen Knieen. Dagobert bejahte stumm, reichte seinen Eltern die Hände, warf einen prüfenden Blick auf Margarethen, und küßte den Knaben. – »Sieh,« begann Diether wieder und liebevoll: »sieh, das freut mich; ich läugne es nicht. Es ist erfüllt worden, warum ich Gott in meinen letzten Nächten gebeten habe. Du hast muthig eine unziemliche Leidenschaft bekämpft, deren Gegenstand nur als [165] unsre Tochter aufgenommen worden wäre, um Dir einen Beweis unsrer ausserordentlich Liebe zu geben, nicht aus Neigung unsers Herzens, da wir in der Jüdin, selbst wenn sie die Taufe empfangen, nur die nicht mit Rechten unserm Kreise Angehörige sehen können.«

»Ja,« setzte Margarethe bei, die ihr Auge vor dem Dagobert's niedergeschlagen hatte, nun es aber mit freundlicher Klarheit zu ihm erhob; »bester Sohn; obgleich ich Euer Glück von ganzer Seele wünsche, so ist mir's, wie meinem Herrn genehm, daß Ihr der hebräischen Magd entsagt habt. Mit unserm Verlangen stimmt es überein. Was mein Herr noch ferner auf den Herzen trägt, überlasse ich ihm selbst, zu erklären gegen Euch.« – »Was ferner, mein Vater?« fragte Dagobert sanft. – »Deine Stimne gibt mir Muth;« erwiederte Diether: »es möge Dir nicht grausame Willkür scheinen, was ich von Dir jetzt fordre. Lege es aus Rechnung meines durch manchen Fehl betrübten Herzens, das recht innig und aufrichtig Friede schließen möchte mit dem Himmel. Deiner Mutter Gelübde, ... Sohn, ... laß mich nicht vollenden. Der Eid, den sie gethan, ist nicht gelöset, denn des Papstes Brief verliert die Kraft, so bald er nicht mehr das Recht besitzt, zu lösen. Also spricht der würdige Vater Reinhold, also spricht der gelehrte Dechant des Doms, Herr Herdan; darauf dringt Dein Ohm, der Prälat, – Pater Johannes selbst, der sehr zu Deinem Vortheil neigt, zuckt hiebei die Achseln. Ich weiß keinen Weg zu finden aus der Gewissensangst, die mich belastet, [166] und der Dechant hat schon geäußert, er wolle an den bischöflichen Stuhl berichten ....« – »Nicht doch, mein Vater,« unterbrach ihn Dagobert gelassen und heiter: »der würdige Herr mag diese Mühe sparen, wie Ihr die Sorge, nach Worten zu suchen, die Eure Absicht aussprechen sollen, ohne mir wehe zu thun. Nicht Ihr, nicht Herdan, nicht Reinhold, nicht einmal der Ohm, die Hauptquelle dieser Einwirkung der Kirche ... keiner von ihnen fügt mir dadurch ein Leides zu, sondern ihre Worte sind aus meiner Seele genommen. Ja, mein Vater: ich will Priester seyn, und will den Bischof um die Weihen bitten, sie mir nicht aufdringen lassen.« – »Sohn! Dagobert!« rief der Vater entzückt, so schnell am Ziele zu seyn: »ist es möglich, daß ich recht hörte? Du wolltest? wahrlich, Du bist mehr als ein gewöhnlicher Mensch, und gränzest an den Heiligen, der dort – Dein Ebenbild – von der Wand herab uns zulächelt.« – Dagobert warf schnell den Blick auf das Gemälde, welches den heiligen Georg in seinen Zügen darstellte. Seine Bescheidenheit hatte nie geahnt, daß dieses Bild ihn selbst vorstelle, und er erröthete. Dann verneigte er sich vor Margarethen, und redete: »Ehrsame Frau, Euer Befehl schuf jenes Bild, und ich muß Euch herzlich um Vergebung bitten. Ich dachte, vom Haus geschieden, in schlechterm Andenken bei Euch zu stehen. – Ihr jedoch, mein Vater, preiset allzusehr mein schwach Verdienst. Ich bin kein Heiliger, begehre auch nicht, es zu seyn; aber wohl ein gehorsamer Sohn und ein Mensch, der allein seyn will mit Vergangenheit und Gegenwart. Es bleibt [167] dabei, mein Vater. Morgen, heute noch spreche ich mit Pater Johannes über diese Sache, oder mit Reinhold, wenn Ihr meint. Ich liebe raschen Entschluß, und denselben rasch zu vollführen.« – »Geh', wohin Dein Herz Dich zieht;« versetzte Diether: »die Mutter wird vom Himmel herab Dich segnen, und Dein Bruder Johannes Deiner Tugend huldigen. Ich gehe, um den Dechant und den Vater Reinhold von Deinem freien Willen zu unterrichten. Im Barfüßerkloster wartet meiner ohnehin eine andre Pflicht. Der Mönch, der mir von Wallrade Kunde brachte, ist genesen, und soll meinen Dank empfangen. Reinhold, der ihn in der Krankheit oft gepflegt, betheuert, der Mann sey nicht Priester, sondern von ritterlicher Herkunft, wie er aus Worten vernommen, die seinem Munde in der Hitze des Fiebers entwischten. Wie dem auch sey, – ob eine Ordensregel, ob Unglück oder ein Gelübde den Mann in diese Kutte zwang; ich will ihm vergelten, so gut ich's vermag; denn er war mir ein froher Bote, und seine Botschaft darf nichts gemein haben mit meinem Zwiste mit Wallraden,« – »Wallrade! die Unglückliche und Unselige!« rief Dagobert theilnehmend aus: »Wo ist sie? sicher nicht in diesem Hause, denn ich sehe, hier wohnt endlich her Friede.« – »Ja wahrlich!« bekräftigte Diether, mit einer herzlichen Umarmung seines Weibes: »Der kühne Gang zum Bannstein hat Margarethen gereinigt in meinen Augen, wie ein heiliges Feuer. Sie ist eine wackre Hausfrau, eine biedre Mutter, und pflegt mit voller Liebe den Knaben, der uns fast so schnöde verloren gegangen wäre, durch[168] die Schlange, meine Tochter; durch mein eignes Kind! Ha, diese That hat mich empört, wenn ich ihr gleich den Fehltritt verziehen hätte, der sie in jenes Edelmanns Arme führte. Gott schütze ihr unglücklich Kind, das, wer weiß, auf welchem Strom des Lebens jetzo schwimmt, aber sie, die nichtswürdige Tochter und Mutter, will ich nicht mehr wiedersehen, kein Wort mehr von ihr hören. Möge sie in dem Hause der Reuerinnen, wohin sie sich grollend zurückzog, Reue lernen und Gefühl. Ich bin mit ihr fertig.« – »Ach, lieber Herr,« seufzte Margarethe: »bezwingt doch diese Unversöhnlichkeit. Bedenkt, in welchen Jammer uns Eure Härte ohne Gottes Beistand gebracht haben würde.« – »O sieh, sieh, Dagobert!« sprach Diether entzückt: »sieh diesen beleidigten Engel, der für die Beleidigerin bittet. Ich lese in Deinen Augen gleiche Wünsche, aber, um nicht weich zu werden, entziehe ich mich lieber Euern Bitten, bis ich kälter und ruhiger geworden bin.« – Er ging rasch hinaus, und Dagobert sagte kopfschüttelnd: »Der Vater gleicht einem gewandten Gesellen, der auf der Mummerei Tag und Nacht vorstellt. Argwöhnisch und gehässig in einer Stunde, – entzückt und das Vertrauen selbst in der andern. Ich sehe, nur ein guter Schiffer vermag sicher durch dies trügliche Meer zu steuern. Euer Schifflein jedoch, meine Mutter, geht hohl und einer Klippe zu.« – »Sprecht;« fuhr er zu der Verlegnen, sich herabneigend, fort: »Sprecht doch, ehrsame Frau! Wie mögt Ihr doch in lügendes Schweigen der Wahrheit vorziehen, die sich überall Bahn bricht: Noch, wie ich höre, weiß mein Vater [169] nichts von dem falschen Johannes. Und ich bat Euch doch so sehr! Soll ich denn reden an Eurer Statt? Und muß ich es nicht vielmehr?« – »Vater Reinhold rieth mir zu schweigen;« antwortete die Betroffene ängstlich: »Seine Klugheit ....« – »Sucht hinter Eurer Lüge die eigene – wohlgemeinte – zu verbergen, mit welcher er Euern Leumund rettete;« unterbrach sie Dagobert: »aber,ihn trifft nicht der Blitz, der Euer Haupt nicht verfehlen würde, erführe mein Vater durch andre Zungen, was sich begeben. Verachtet doch endlich die Winkelzüge. Ihr habt mich einst sehr geliebt, Ihr liebt mich noch; wie eine treue Mutter den frommen Sohn, denke ich. Thut mir doch zu Liebe jenes Geständniß, daß Euch süße Früchte tragen wird. Thut es bald, denn die Zeit verrauscht, und jeder Tag könnte Euch unrettbar verderben. Überlegt, und laßt mich, – kehr' ich wieder, – Euch entschlossen finden.« –

Kurze Zeit, bevor Dagobert aus seines Vaters Hause ging, um sich zu seinem geliebten Lehrer Johannes zu begeben, hatte der Herr von der Rhön, von den Schmerzen des heftigen Fiebers erstanden, das Barfüßerkloster verlassen, um zu lustwandeln im Strahle des sommerlich leuchtenden Tages, neue Kräfte zu gewinnen, und seine wunderliche Lage genau zu bedenken. Schon im einsamen Krankenzimmer des Klosters hatte er gehört, daß Diether's Tochter zurückgekehrt war aus der Haft des räuberischen Bechtrams, der ein blutiges Ende gefunden. Er lenkte unwillkürlich halb, und dennoch halb von Sehnsucht[170] getrieben, seine Schritte nach Diether's Wohnung. Er umschlich sie einigemale, und lugte empor zu den Fenstern des Hauses, um vielleicht Wallraden zu gewahren, einen Anlaß, sie zu sprechen, zu suchen, um von ihr zu hören, wo sein Knabe, – die einzige Hoffnung seines Lebens, sey. Freilich mahnte ihn öfters die innere Stimme, der Arglistigen, die seine Feindin geworden war, nicht blindlings zu vertrauen; freilich beschlich ihn die Furcht, sie möchte ihn – nun sie in Freiheit, – täuschen, wie sie schon oft gethan, allein – nach dem Strohhalme greifend, wie ein Schiffbrüchiger, treibend auf wallender See, sehnte er sich dennoch nach dem Anblicke der Gehaßten. Ihr Antlitz, so widerlich es ihm geworden, war das Ziel, nach welchem seine Blicke suchten, allein vergebens war sein Bemühen. Die Fensterflügel alle standen offen, um die balsamische Luft in das dunkle Gebäude zu lassen; jedoch an keinem dieser Fenster war Wallrade zu erspähen. Ein freundliches Gesicht, – Margarethens, – neigte sich wohl öfters aus den Bogen; kein anderes war aber zu schauen. Seiner Fassung nicht vertrauend, um unvorbereitet in das Haus, unter die Augen der Unversöhnlichen, oder ihres Vaters, des strengen Mannes zu treten, kehrte er seufzend, sein Vorhaben auf günstigere Zeit verschiebend, den Mauern, in welchen Wallrade, das Unglück seines Lebens, geboren wurde, den Rücken, und ging weiter, ohne ein bestimmtes Ziel sich zu stecken. An den Hütten vorüber, in welchen Bettlerrotten ihr unverschämtes Gewerbe trieben, und in Horden die Vorübergehenden [171] anfielen 1, schritt er gedankenvoll dem Rauerberge zu, um von dannen an den Mainstrom zu gelangen; nicht die Aussicht über den Fluß zog ihn dahin; wohl aber die schmerzliche Lust, die Fluthen wogen zu sehen, in welchen sein geliebtes Weib, sein theures Kind zu Grunde gegangen waren. Wie er nun so dahin ging, dieser verlornen Lieben im Innersten wehmüthig gedenkend, so strich eine junge Betteldirne an ihm vorüber, die ein Kind auf dem Arme hielt, und dem Mönchsgewand eine fromme Verneigung schenkte. Als wie durch eine Fügung gezwungen, drehte Bilger den Kopf nach ihr, und indem er das Kind gewahrte auf ihren Armen, schlug wie ein Donnerstreich der Gedanke durch sein Gehirn: Rudölf! dieses Kind! ist's nicht das Deine? – Und zu stehen befahl er der Dirne, und auch ihre Züge waren ihm bekannt, als wie aus früher, dämmernder Zeit. – »Wer bist Du, Maid?« stammelte er betroffen, und hielt die Bettlerin mit zitternden Händen fest: »Wer bist Du, Unglückliche, und wessen ist dies Kind?« – Seiner heftigen Bewegung zu Folge fiel die Kaputze von seinem Haupte, und sein Antlitz erschien im Sonnenlichte, – der bestürzten Magd so schrecklich und drohend, daß sie aufschrie: »Um aller Heiligen Willen! Herr von der Rhön! Ihr seyd's? O welche Freude!« – »Kunigund!« stammelte er, wie von einem neuen Fieberanfall geschüttelt: »Antworte mir .... antworte! dieses Mädchen!« – »Ist das Eure, Herr;« erwiederte Gundel, sich vor ihm [172] auf die Kniee werfend: »verzeiht, vergebt, Herr, ich wußte nicht, daß Ihr zu Frankfurt; ich fürchtete mich .... mich schreckte der Kerker. Bettelnd hab' ich meine und des Kindes Tage gefristet, um nur Frau Wallradens Rückkehr zu erwarten.« – »Wallrade?« rief Bilger entsetzt, indem er das schreiende Kind, das den Vater in der rauhen Hülle, entstellt von Blässe und verwildertem Varte, nicht erkannte, auf seinen Arm riß: »Wallrade? ich entsinne mich. Welch fürchterliches Licht! Sie nannte mir das Kind todt!« – »Todt?« fragte befremdet Kunigunde: »Todt? ach nein, lieber Herr!« – »Des Kindes Mutter jedoch? ...« – fuhr Bilger mit steigender Angst und Hoffnung fort. – »Auch sie lebt, guter Herr!« betheuerte Gnudel. –

»Abschaum der Hölle!« schrie von der Rhön in heftigster Bewegung: »Niederträchtige Wallrade! Wo ist mein Weib, wo? sprich, Dirne, sonst ist Dein Ende da!« – »Ich schwöre, daß ich es nicht weiß, Herr,« entgegnete Gundel schluchzend und die Hände ringend: »hätte ich den sonst nicht der Mutter ihr Kind gebracht, das nur mich allein hatte in der Welt? Ach, Herr, Wallrade ist böse, und ich berene mit blutigen Thränen, daß ich um ihre Frevel weiß. Euer Sohn, o Herr! ...« – »Nachher von meinem Sohne!« donnerte von der Rhön: »nachher! jetzt aber, von ihr, der Lügnerin! Wo finde ich sie? wo?« – »Erst gestern hab' ich ihren Aufenthalt erfahren,« antwortete Gundel schnell: »die Äbtissin der Reuerinnen ist ihre Freundin, und sie wohnt darum im Hause der weißen Frauen.« – »Der Teufel im [173] Hause der Buße?« fragte von der Rhön mit wilden Zornesflammen im Gesichte: »Wenn ich sie finde, wenn ich sie treffe! ...« – Mit diesen Worten enteilte er, das Kind auf dem Arme, dem Kreise von neugierigem Pöbel, der sich um diesen seltsamen Auftritt versammelt hatte, und stürtzte mit der Hast eines Wüthenden der Mainpforte zu. – »Um Gottes und Christi Willen!« jammerte Gundel, nachrennend.: »Ihr stürtzt Euch in's Verderben, Herr! Hört mich! hört!« – Aber so wie ihr Geschrei, – das eines schwachen Weibes fruchtlos verhallte unter dem Toben der Menge, also war überhaupt nicht mehr aufzuhalten das Rad des Unglücks, das vom Zufalle entfesselt worden war, und nun zerschmetternd daherrollte. Der Stifterin alles Übels nahte ihre verhängnißvolle Stunde, denn sie begegnete, wenige Schritte von der Pforte dem Rasenden, der wie ein böser Geist an sie heranstürmte. – »Willkommen, Ungeheuer!« rief er ihr zu, daß sie entsetzend vor ihm wich, und sich an ihre Begleiterin festhielt: »Kennst Du dies Kind? Kennst Du mich? und soll ferner noch Dein schändlich Lügengewebe bestehen? Wo ist die Mutter dieses Kindes?«

»Gott der Barmherzigkeit!« flüsterte erschrocken Wallradens Begleiterin, und das Fräulein schrie: »Kommt Willhild, kommt! befreit mich von dem Tollgewordenen!« – »Wo ist dieses Kindes Mutter?« brüllte der Verzweifelnde, und schleuderte sie mit mächtiger Faust zurück: »In dem Strome? Lüge ist's! darum bekenne, oder fürchte das Äußerste, Höllengespenst!« –

[174] »Der Mensch will mich ermorden!« jammerte Wallrade, verblassend und bebend an allen Gliedern: »Willhild! helft mir von dannen!« – »Ermorden? ja bei Gott!« donnerte Bilger: »Nicht leben sollst Du, wenn Du nicht auf der Stelle bekennst!« – Vor seinen fürchterlichen Blicken wich die Menge zurück, die das Schauspiel umbraußte. Wache von der Pforte näherte sich nun, um auf Willhild's durchdringendes, Geschrei Ruhe zu stiften. Bilger stürzte jedoch mit der Wuth eines Tigers auf den Anführer der Söldner und entriß ihm gewaltsam die blanke Waffe. Sie in einem leuchtenden Kreise schwingend, schreckte er die Knechte von sich, und verdoppelte Wallradens Angst, an welche er die vorige Frage wiederholte, außer sich vor Zorn und Grimm. Da gewahrte Willhild den Junker Dagobert, der, von der heulenden Gundel geleitet, sich durch das Volk drängte, und schrie, was sie vermochte, nach Hülfe, und nach seinem Schutz. – »Erbarme Dich meiner, Bruder!« wimmerte Wallrade, vor dem Wüthenden zurückweichend. – »Du schweigst?« stammelte dieser: »So stirb, Verfluchte! – Und mit einem gewaltigen Schwertstoß auf die Brust der Feindin warf er sie in den Staub, daß sie, schwer blutend und ächzend zusammenfiel, ohne ferneres Zeichen des Lebens. –«

»Zeter!« schrie der Haufe und fuhr weit zurück vor dem Herrn von der Rhön: »Ein Mord! Genade der Armen Gott! Ein Mord! – Wer bist Du, Entsetzlicher!« rief Dagobert, der die in seinen Arm Gesunkne, Willhild und Gundel überließ. Der Herr von der Rhön war beim Anblick der Verletzten und der Ströme ihres Bluts wie gefühllos geworden, und dieser Schreck [175] gewann ihm die Herzen des Pöbels, und Dagobert's Mitleid, der seinen Mann plötzlich erkannte, und wie von einem Gespenste berührt, zurücktaumelte. – »Herr von der Rhön?« schrie er: »Unglücklicher! Abscheulicher! was habt Ihr gethan?« –

»Stoßt mich nieder,« antwortete ihm Bilger wie bewußtlos, und die triefende Klinge entfiel seiner Hand. – »Das walte Gott!« versetzte Dagobert schaudernd: »Dort naht schon die zurückkehrende Wache, Schöffen an der Spitze. Euer Blut komme nicht über mich, flieht!« – »Flieht! flieht!« schrie die Menge: »Flieht, unglücklicher Vater! Nach der Freistadt, nach der Freistadt! fort, fort!« – »Wo? wo?« stotterte Rhön, in dem die Lust zum Leben wieder erwachte. – »Nach dem deutschen Hause!« raunte ihm Dagobert in das Ohr, und stieß ihn in das Gewühl des Volks, das dem bewußtlos Fliehenden geräumigen Platz machte. – »So versorgt Ihr mein Kind?« entgegnete der arme Vater, und im Nu hatte es Dagobert schon auf seinen Armen gezogen. Bilger entfloh, so schnell, als seine Füße es erlaubten und die unbequeme Tracht. Das Mitleid der aus den Häusern laufenden Bürger bahnte ihm den Weg. »Laßt ihn durch!« riefen einige Stimmen: »er ist ein armer Mörder!« – »Zu den deutschen Herren mit ihm!« riefen wieder andre. »Haltet die Wache auf!« schrieen die Kühnsten, Meister und Knechte der Metzgerzunft, und schleuderten Steine, Äxte und dergleichen Dinge mehr den eifrig Nachsetzenden zwischen die Beine. Am Brückenthore wollten die Söldner den Mönch nicht durchlassen. Metzgerfäuste [176] stießen sie zurück. Zweie von der handfesten Schifferzunft packten den ermatteten Bilger bei den Händen, nahmen ihn in die Mitte, und rannten mit ihm, schnell wie der Wind, über die Brücke. Wagen sogar mußten ausweichen, und aus den Fenstern des Deutschherrenhauses wurde der Auflauf gesehen. Eifersüchtig, ihr heiliges Vorrecht zu üben, gaben die Obern Befehl, die Thüre weit zu öffnen. Bilger nahte dem Ziele, aber auch die Verfolger waren nur einen Schritt hinter ihm zurück. Auch sie machten sich durch Hellebardenschläge und Rippenstöße Luft und freien Weg, und ihre Hände berührten schon die Kutte des Unglücklichen, als er die Schwelle des deutschen Hauses erreichte, und athemlos darauf zusammen sank.

»Rühre nur die Mauer an, armer Mann!« riefen ihm Mitleidige zu, und seine matte Hand erfaßte einen Stein der Pfortensäule, als der Schöffe anlangte, ihn in Haft zu ziehen. – Dieser Letztere, ein rüstiger, noch junger Mann, wollte sich ohne weitere Umstände seiner Beute bemächtigen, und auf seinen Wink griffen die zweifelhaft zögernd Söldner zu, allein Bilger klammerte sich mit der Kraft eines Verzweifelnden an die rettende Pforte, und gewährte einen augenblicklichen Widerstand, der dem Oberreiter des Hauses Zeit ließ, sich in den Handel zu mengen. Er wies die Angreifenden mit Wort und That zurück, und das umstehende Volk nahm seine und des unglücklichen Verbrechers Partei. Der Schöff schien jedoch hierauf nicht zu achten in seinem Ungestüm, und legte in Person Hand an den Herrn [177] von der Rhön. Verloren schien dieser in seiner Verfolger Gewalt, als der Komthur des Hauses rasch aus der Pforte kam, und mit kühner Faust den Ergriffenen wieder frei machte.

»Wer wagt's, sich an unsern guten Rechten zu vergreifen?« fragte er trotzig: »Hat uns der Stuhl zu Rom und Kaiser und Reich dieselben darum gegeben, daß ein Rathsherr, von Frankfurt mit ihnen verfahren könnte, wie ein Kind Mit seinem Spielwerke? Laßt die Hand ab, und geht mit Gott ohne diesen Mann.« – Der Schöff behauptete, der Verfolgte habe noch nicht die gefegten Steine berührt gehabt, als man herangekommen; aber die Stimme des Volks widersprach seinen Worten, und der Komthur hielt sich an die Rede des Volks. – »Zieht ab;« rief er: »ohnehin gehört der Mönch vor sein eigen geistliches Gericht.« – »Er ist kein wirklicher Mönch!« entgegnete der Schöffe zornig: »Er trägt die Kutte ohne Beruf und Vergunst. Unser muß er seyn.« – »Und wenn's der Teufel selbst wäre im Barfüßergewand,« – überschrie den Rathsherrn der Komthur, – »so muß er sicher seyn unter unserm schwarzen Kreuze, sonst sperren wir das Haus, und ziehen Euch vor dem Reichstage zu Rede und Antwort. Laßt darum den Mann und uns in Frieden; über vier Wochen mögt Ihr wiederkommen!« 2 – Mit diesen Worten, ohne seine Rede ferner zu vergeuden,[178] zog der Komthur den Herrn von der Rhön nach sich in's Haus, und riegelte mit eigner Hand die Pforte zu, sich wenig bekümmernd um das Toben und Schelten der abziehenden Rathsknechte und Söldner. Bilger folgte seinem Schutzherrn ohne jede Überlegung in-den Saal des Erdgeschosses, wo sich zu gleicher Zeit der Trappierer und der Pfaffe des Hauses einfanden, um den Ankömmling neugierig zu betrachten.

»Ihr habt Euer Probe- und Meisterstücklein herrlich gemacht, Herr Komthur!« sprach der Pfaffe schmunzelnd zu dem Ritter: »Ihr seyd mit den Leuten umgesprungen, als ob Ihr seit einem Jahrzehend mit ihnen zu Felde gelegen.« – »Hm!« entgegnete der deutsche Herr lächelnd: »Ihr wißt ja, Pater, daß man die Kinder hat, wie man sie zieht. Gleich von Anbeginn den Daumen wacker auf die Augen gedrückt, bewahrt vor dem Allzuhellsehen. Nun aber zu Dir, Du sauberer Vogel;« fuhr er fort, zu Bilger gewendet: »Du hast ein leichtfertig und verpöntes Stücklein gemacht, wie ich vernommen. Der Todschlag mit offner Wehr kommt sonst in Deinem Gewand selten vor. Sag' darum an, ob der Schöffe wahrgesprochen, da er schwur, Du seyst kein Mönch, und bekenne: wer bist Du denn?« – Bilger hatte indessen den Blick starr und steif auf den Komthur gerichtet, schwieg noch eine Weile, und antwortete hierauf mit dumpfer Stimme: »Ich bin bereit, Euch zu sagen, was Ihr verlangt, Herr, doch eben und gerade nur Euch.« – »Da muß Erbauliches dahinterstecken, was wohl nicht mit einer Buße von vier [179] Wochen abgethan seyn dürfte,« spottete der Ritter, beurlaubte indessen seine Freunde mit einem stolzen Kopfnicken und blieb mit dem von der Rhön allein. Dieser, statt ein Wort zu reden, begnügte sich, vor den Komthur hinzutreten, ihm fest in's Auge zu sehen, und die Kaputze vom Haupte zu ziehen. Der Ritter starrte ihn verwundert an, aber nur nach langem Zweifeln stieg eine Erinnerung in ihm empor, die seine Augenbraunen hoch emporzog und die kahle Stirne in trübe Falten legte. – »Bei meinem Eid!« begann er endlich: »seh' ich recht? täuscht mich auch nicht der Bart und das fahle Gesicht, oder seyd Ihr's wirklich, Rudolph Bilger?« – »Ich bin's, Herr,« entgegnete der von der Rhön, »und an Eurer gerunzelten Stirne sehe ich, daß Ihr mir ferner Euern Schutz nicht gewähren werdet für ein Verbrechen, dessen Wurzel eigentlich nur in Euch zu suchen ist; wißt, ich erschlug Wallraden!« – Da wurde der deutsche Herr bleich wie die Wand, und so ergriffen, daß er sich an das Fenstergesimse lehnen mußte. »Wallrade?« seufzte er kaum vernehmlich: »Wallraden habt Ihr erschlagen?« Er hielt die Hand vor die Stirne und Augen, und da er sie wieder wegzog, war die braune Röthe abermals auf sein Antlitz gestiegen, und seine Augen leuchteten wieder wie herausfordernde Irrwische und der Mund warf sich wieder trotzig auf unter dem borstigen Knebelbarte wie zuvor. »Seyd mir willkommen, von der Rhön!« sagte er, dem Staunenden die Hand reichend: »Obschon Ihr an meinem Schutze verzweifelt, so liefre ich Euch dennoch nicht aus; gerade jetzo nicht, denn [180] der heilige Georg hat nicht besser gethan, da er den Lindwurm verletzte, als Ihr, da Ihr diesen Teufel zur Heimath sandtet. Wohl bekomm's der falschen Metze! Sie hat's verdient an manchem Biedermann!« – »Euch, gerade Euch also reden zu hören ...?« hob Rudolph an: »Wie reim' ich das?«

»Reimt's wie Ihr wollt;« antwortete der Komthur: »aber ich bin ein reifer geworden in der Welt, seit wir uns nicht sahen. Ich bin ein wildes Blut gewesen, und die Leute sagen, ich wär' es noch, obgleich der Säbel eines verfluchten Polen meinen Schädel – seht diese Narbe – in der Feldschlacht also zugerichtet hat, daß mir mit den Haaren auch der Satan darunter hätte ausgehen müssen, wenn Alles mit rechten Dingen zuginge. Aber meine Wildheit reicht noch lange nicht an die Schlechtigkeit der Dame von Baldergrün. Nachdem meine Wunde geheilt worden war, und der Heermeister im Kapitel den Komthursstab als Pflaster darauf gelegt hatte, als ich wieder auf meiner Fahrt hieher durch meine Heimath wieder auf meiner Fahrt hieher durch meine Heimath und Thüringen kam, wo man mich allenthalben anstaunte wie einen todtgeglaubten Mann, ... was hörte ich nicht von Wallraden? Wie manchen wackern Mann nannte man mir nicht, der sich zeither in den Schligen der Hexe gefangen und sehr übel darnach befunden hatte? War sie früher nur ein Spiel meiner Leidenschaft gewesen, so wurde sie jetzo ein Gegenstand meines Abscheus. Ich wußte wohl, daß sie sich hier befinde, aber tausend Jahre hätte sie leben können, ohne mich zu sehen. Vetter Issing ist für sie [181] nicht mehr auf der Welt. Noch einmal: wohl bekomme ihr der gähe Tod. Was aber ist aus Euerm Johannes geworden, von der Rhön?« – »O, Ihr reißt eine Wunde auf, deren ich in dieser unglücksschwangern Stunde ganz vergessen hätte;« rief Bilger außer sich, und erzählte nun dem aufmerksamen Komthur seiner Leiden bedauernswürdige Geschichte, wie er geglaubt, Weib und Tochter verloren zu haben, wie er seine einzige Hoffnung auf den Knaben gesetzt, und wie ihm das grausame Verhängniß die Tochter wieder in die Arme geführt habe, um ihm sie, ihre geliebte Mutter, den von fremder Gnade lebenden Sohn, und überhaupt alles Glück, alle Freude des Lebens durch einen im Zorn verübten Mord unerbittlich zu rauben.

»O ich bin ein sehr unglücklicher Mensch!« schloß der arme Mann mit jener starren Verzweiflung, die auch im höchsten Schmerz keine erleichternde Thräne in das trockne Auge läßt: »und besser fürwahr wäre es, Ihr übergäbet mich alsobald den Händen des Halsgerichts, das vor der Thüre lauert, und dem ich nach kurzer Frist ohnehin zum Raube werden muß. Das Elend, in welchem ich vergehe, beschreibt keine Zunge, und wenn ich mich über den Verlust meiner irdischen Freude trösten möchte, so kann ich's nicht, denn mein Bewußtseyn ist voll Schuld, denn auf mir lastet – außer der blutigen That, die mir vielleicht der Barmherzige vergäbe – eine Sünde wider Ihn und seine Gebote, die nicht Er, die nicht seine Kirche verzeiht und erläßt; die Sünde der Doppelehe, gleich [182] zu rechnen der Blutschande und sträflichen Unzucht. Wer hilft mir aus diesem Gewirre von Freveln, und werde ich sie denn auf dem Blutgerüste sogar abbüßen können?« – Der Komthur blickte unter seinen buschigen Augenbraunen hervor auf das zerstörte Gesicht des jammernden Bilger's, und er sagte mit roher Gutmüthigkeit: »Denkt doch nicht jetzt schon an's Sterben und den unehrlichen Henker. Noch habt Ihr Frist genug dazu, und die Bullenbeißer auf unsers Hauses Schwelle mögen sich vor der Hand die Nase stumpf wittern. Erholt Euch; aus einem Scheinfreunde bin ich Euer wahrer Freund geworden, und will Euch Gutes thun, wie ich nur vermag. Weib und Kind kann ich Euch nicht wieder schaffen, und Euern Hals nicht sichern vor dem Schwerte der Frankfurter, aber lustiger und gemächlicher sollt Ihr die Zeit hinbringen, und erwarten, ob nicht etwa ein Cardinal oder der heilige Vater selbst, oder der Kaiser diese Straße ziehe; das sind Leute, deren Anblick allein Gnade bringt und Freiheit. Hofft, auf was Ihr wollt; auf ein Wunder, auf des Himmels Einsturz sogar; das gilt mir gleich! aberhofft nur, und schlagt Euch den Stöcker aus dem Sinne. Werdet wieder ein Mensch, der Alles hinter sich wirft, und glättet die Stirne. Wir im deutschen Hause sind keine Kopfhänger, und lieben Tafel, Wein und Scherz. Selbst mit den Weibern nehmen wir's nicht genau, – sind sie uns gleich verboten. Anlässe genug um fröhlich zu seyn mit den Fröhlichen. Vier Wochen sind eine Ewigkeit für den [183] zuversichtlichen Grillenfeind. Euer Trübsinn hilft nicht; darum jagt ihn weg, und laßt für die Zukunft den Herrgott sorgen!«

Fußnoten

1 Auf dem Liebfrauenberge.

2 Ein Mörder war in dem Hause der deutschen Herren eine Frist von vier Wochen hindurch vor dem Blutrichter sicher.

8. Kapitel
Achtes Kapitel.

Wenn auch kein Balsam mehr des Leibes Wunden heilen mag, so nehmt von der Zunge des Scheidenden die Schuld, und legt darauf den süßen Balsam der Vergebung, daß er fröhlich hinscheide.

W ...


So wie der Haufe des neugierigen Pöbels vor dem Hause der deutschen Herren stand und die geschlossene Thüre angaffte, sammt den Söldnern des Raths, die vor der derselben auf der Lauerwache standen, also auch die Menge des Volkes vor dem Klosterthore der weißen Frauen, nachdem man Wallraden hineingetragen hatte, blutig und entstellt, eine erbarmenswerthe Leiche. Wie ein Blitz hatte die Schreckenskunde die Stadt durchflogen, und nicht zuletzt Diethers Haus erreicht. Der Altbürger war abwesend, und Margarethe, – allen Groll vergessend, nur der Stimme des Mitleides und weiblicher Milde Gehör gebend, die in ihrem Herzen laut wurde, flog auf den Flügeln, der Angst und des Schreckens [184] nach dem Kloster, um wo möglich Wallraden vor ihrem Hintritt noch zu sehen, ihr den Tod leichter zu machen durch die Versöhnung. Die Zelle, die Wallrade als Gast des Klosters bewohnte, war gedrängt voll von Menschen. Um das von Blut geröthete Lager standen dienende Frauen des Klosters, ... Gundel kniete zu Haupten des Bettes und flehte zum Himmel, daß er ihr nicht den Tod der Gebieterin anrechnen möge; zu den Füßen des Bettes lag Willhild auf ihren Knien, und betete, ohne aufzuhören, oder ihren Lippen einen Stillstand zu gönnen. Die Oberin des Klosters, die stolze Walburg, die innige Freundin Wallradens, war beschäftigt mit ihren kunsterfahrnen Händen und Augen die Wunde der Bewußtlosen zu untersuchen, und Judith, die Magd half ihr bei diesem mühsamen Geschäfte. In der Ecke aber stand Dagobert mit blassem Angesichte, die kleine Agnes noch auf dem Arme, und im Auge den trostlosen Anblick einer sterbenden Schwester, gegen welche er jeden Zorn verschwunden fühlte. Ihr Leiden hatte ihn entwaffnet, und dankbar schier reichte er Margarethen die Hand, da sie zu ihm trat. »Gott vergelte Euch den guten Herzenswillen, ehrsame Frau;« sprach er: »Ihr verschmäht es nicht, einer in den Staub gefallenen Euch zu nahen, und zum Frieden zu reden, wie mir's Euer himmelklares. Angesicht sagt; – eine deutliche Schrift. Ich fürchte jedoch, – Ihr kommt zu spät. Dennoch aber,« setzte er leiser, hinzu, auf Willhild deutend: – »dennoch früh genug, um diese hier zu sehen.« – Margarethe erbleichte jählings, da sie das gefürchtete Weib ersah, [185] und näherte sich demselben. Mit gepreßter kaum vernehmbarer Stimme fragte sie die Hochaufschauende, wie sie daher gekommen, und welcher Endzweck sie zu Wallraden geführt habe. – »O liebe Frau,« entgegnete Willhild: »Ich habe gelernt, wie nichts besser sey, denn Wahrheit. Konnte diejenige, die dort verscheidet, mir die Wahrheit abschwatzen mit Trug und List, warum sollte ich sie nicht öffentlich bekennen? Erschrocken, daß ich Eurer Stieftochter, in Krankheitsangst und von meinem blödsinnigen Manne versucht, entdeckt, was ich nicht entdecken sollte, fürchtete ich Euren Anblick, und da mein Paul wieder heim kam, und mir glaublich wurde, daß er Euern Gemahl selbst gesprochen, daß dieser um Alles wußte, und fürchterlich strafen würde, da ward ich plötzlich gesund von dem Gebreste. Die Angst hatte mich geheilt, und mein Herz sehnte sich nach dem Compostell, um dort Vergebung meiner Sünde zu holen. Aber aus einem Kloster auf der Gränze von Elsaß sandte man mich zurück. Der Prior versagte um jeden Beistand zur weitern Pilgerfahrt, wenn ich nicht heimkehren, selbst Alles reuig bekennen würde, und Vergebung erhielte. Meinen Mann zurücklassend eilte ich zurück auf wunden Sohlen, und gelangte heute hieher. Wie hätte ich ohne Schutz vor Euer Antlitz treten können, vor Euch, die ich verrathen? – Eine Fürsprecherin glaubte ich in dem Fräulein zu finden, was ein bedauernswerther Zufall mir in den Gassen der Stadt begegnen ließ. Wallraden's Freude über mein Erscheinen war ausserordentlich. ›So mögen sie denn Alle mich Lügen strafen!‹ sagte sie recht [186] hämisch: ›Ich habe hier den besten Zeugen gefunden, und aus dem Hause soll mir die Frau und der Bube. Kommt mit, Wilhild. Seyd herzhaft und dreist, und Euer Schade soll's nicht seyn.‹ – Nun merkte ich wohl, daß ich vor die unrechte Schmiede gerathen war, allein hier half keine Widerrede. Angstvoll der Dinge wartend, die da kommen würden, folgte ich Eurer Stieftochter, als mit einemmale das Unglück in dem wahnsinnigen Mönche einherraste.« – »Und was gedenkst Du jetzt zu thun?« fragte Margarethe forschend. – »Ich muß Herrn Diether Alles bekennen, ehrsame Frau;« versetzte Wilhild: »Sie sprechen mich sonst nicht los zu Compostell. Aber Euch, die ich so sehr getäuscht, will ich überlassen, wann es geschehen soll.« – Dagobert winkte Margarethen zu, und sie verstand den gutgemeinten Wink. – »Ich rufe Dich;« sagte sie zu Wilhild, die sich sofort wieder zum Beten anschickte, und ging an das Bette der unglücklichen Wallrade. »Gesegnet sey der Herr,« sprach so eben Walburga: »noch lebt die Ärmste, und heilbar scheint mir die schwere Wunde.« Alles drängte sich dem Lager näher, um zu sehen, wie stufenweise das Leben wieder in die Glieder der Verwundeten trat, um zu hören, wie endlich der erste Seufzer ihren Lippen entschwebte, und das erste Wort aus ihrem Munde ging, dem alsdann wieder der erste Blick folgte. Doch das Auge Wallradens schloß sich wie geblendet vor den Zügen Margarethens, und die Schaam jagte eine flüchtig vergehende Röthe, auf die todtenfarbigen Wangen des Fräuleins. – »Warum nicht todt?« stammelte ihr Mund: [187] »warum gerade diese vor meinen Augen?« – Die Oberin, um das Gemüth ihrer Freundin, und einen schmerzlichen Auftritt zwischen ihr und ihren Angehörigen, nicht der Neugierde und dem Tadel fremder Augen bloßzustellen, entfernte die Frauen des Klosters. Unter ihnen, oder vielmehr nach ihnen entfernte sich auch Judith, die sich erinnerte, daß sie über dem gräulichen Mordschauspiele vergessen hatte, der armen Frau, die im Kloster eingesperrt war und gehalten wurde, wie eine Wahnsinnige, ihre Kost zu bringen. Das Versäumte eilte die Mitleidige nachzuholen, ließ sich von der Küchenmeisterin Speisen und Schlüssel geben, und trat zu der abgehärmten Frau in die dürftige, enge und wohlverwahrte Clause. – »Seyd nicht böse,« redete sie so sanft als möglich, und versuchte ihre unschönen Züge durch Freundlichkeit gefälliger zu machen: »seyd nicht böse, liebe Frau Katharine. Ich bin ein unwürdig, vergeßlich Ding, das allenthalben seine Hände bieten möchte, und dabei immer Einem oder dem Andern ein Leid thut. Mir thut es herzlich weh, daß Ihr gehungert habt um meinetwillen. Vergebt mir.« – »Ach, was bist Du eine gute treue Magd;« erwiederte Katharina wehmüthig freundlich, richtete sich aber nicht empor, aus der nachdenkenden Stellung, in welcher sie von Judith gefunden worden: »Habe Dank! beruhige Dich jedoch. Mich hungert nicht, ... denn wie sollte ich in meinem Elend mich erinnern, daß ich ein Weib bin, daß noch fürder zu leben gedenkt? Sage mir, liebe, gute Judith, ob noch keine Frau nach mir gefragt hat, ... ob noch kein Kind [188] gebracht worden ist, das ich umarmen soll?« – Judith verneinte, bekümmert lächelnd, denn sie meinte, die Frau spräche wieder im Wahnsinn. – »Das ist doch recht traurig,« sprach Katharine weiter, und das Haupt ließ sie in ihre Hand sinken, wie die hellen Thränen aus den Augen: »Sieh, Judith, sieh, das wird mich wahnsinnig machen, wenn ich's nicht schon bin. – Und sie hatte mir's so heilig versprochen und gelobt!« setzte sie, vor sich hinredend hinzu: »und sie bleibt aus, mit meinem Kinde.« – »Esset doch, gute Frau!« ermahnte Judith: »Es segne der Herr Eures Körpers Gedeihen, und zugleich das Licht Eures Haupts.« – »Laß mich doch;« versetzte Katharine schwermüthig: »Glaubst denn Du auch, daß ich thöricht im Gehirn bin? O laß doch die Leute reden. Leider habe ich meinen Verstand, und wenn ich ihnen nur sagen dürfte, wer ich bin, und wie ich mich nenne, und wenn meine Freundin käme und sähe, wie man hier mit mir verfährt, grausam, wie mit einem wilden Thiere ... dann sollte Alles anders werden. Aber wo wird sie seyn, die Zeit? wo sind sie, meine Lieben?« – »Wehrt doch Euern Thränen, Frau,« ermahnte Judith dringender: »Das Wasser des Auges hilft nie von dem, was das Auge gesehen, noch zu dem, was es verloren hat.«

»Verloren?« fragte Katharina schnell: »Verloren? Wahrlich, wahrlich, Du hast Recht. Hin ist hin, verloren ist verloren, und nimmer, – ach nimmer kehrt das Verlorne wieder. Glaube mir doch ja,« setzte sie langsamer und schwermüthig hinzu: »Glaube doch ja, daß ich nicht wahnsinnig bin, und sage es [189] der hochwürdigen Frau Walburg; ich könnte aber verwirrt im Haupte werden, wenn man mich fürder zwingen möchte, mit meinem Schmerz und meiner ungewissen Angst allein zu seyn. Erzählt mir aber jetzt, meine gute Magd, wie es kam, daß Du heute so lange weggeblieben?« – Judith erzählte, was vorgefallen war, aber mit vieler Vorsicht, um das Gemüth der Seelenkranken nicht allzuheftig zu erschüttern. Gleichgültig fast fragte endlich Katharina nach dem Namen der zum Tode Verwundeten, und Judith glaubte ihr nicht verheelen zu müssen. Nun war es aber gerade, als ob alle Flammen der Leidenschaft aus der schwermütigen Frau von der Rhön schlügen, denn sie fuhr auf, daß selbst die herzhafte Judith erschrecken mußte. »Wallrade!« rief sie: »Wallrade? o bittre, allzubittre Täuschung! Sie hat in diesen Mauern gelebt, und ließ mich im Kerker? .... Auf ihren Befehl liege ich also hier im Ketten? O, der Gräuelstunden meines Lebens schrecklichste komme über ihr Haupt! Doch nein, nein ....« eitzte sie gemäßigter hinzu: »hat sie denn Gottes Gericht nicht schon getroffen? Liegt sie nicht darnieder, wie ein abgerissener Zweig! Fluche ihr nicht Katharine, aber fluche auch deinem Gatten nicht, dessen Leummuth die Schlange gewiß nur vergiftet hat, um meine Ruhe zu morden!« – »Ach, welche Erinnerung thut sich mir auf beim Angedenken meines Gatten! Judith! Judith! denke Dir den Jammer einer Mutter! Hat gleich das schwere Schicksal und Dein eigner starrer Wille Dich bestimmt, nie die Mutterfreuden zu genießen, so bist Du doch ein Weib; Du [190] ahnest doch Leiden und Wonne des Weibes; hilf mir darum heraus, heraus aus diesem Kerker, – hinaus zu der Sterbenden, .... denn ich muß mit ihr reden, .... ich muß sie sehen ....« – »Gute Frau,« – entgegnete Judith, welche noch immer auf dem Glauben an Katharinens Wahnsinn beharrte, und in ihrem Schmerz nur einen heftigen Anfall der Krankheit sah: »Faßt und mäßigt Euch, .... ich vermag nicht, was Ihr begehrt, und zudem ist es leider gewiß schon zu spät. Wallrade lebt gewiß nicht mehr.« – »Barmherziger Gott!« kreischte Katharina gräßlich auf: »Sie lebte nicht mehr? Was sagst Du, Unselige? Das kann nicht seyn! Sie darf nicht todt seyn, .... sie kann nicht sterben! Sie muß mir ja sagen, wo mein Kind hingekommen ist .... ich bin ja Agnesens Mutter, .... sie darf mir ja nicht verhelen ... O um Gotteswillen, Judith! Judith! laß mich fort an ihr Sterbelager.« – Judith suchte in dem Vorrath ihrer Bibelsprüche vergebens Einen, der als Talisman gedient hätte, die gegen jeden fernern Zwang rüstig Aufstrebende zurückzuhalten, ..., die Gewalt ihrer Hände gegen die Unglückliche zu gebrauchen, weigerte sich ihr Mitleid, welches die Möglichkeit, daß hier nicht Wahnsinn sowohl, als endloses Leid die Sprache führen möge, gar wohl ahnte. Sie war daher auf dem Punkte, dem ihr auferlegten Gebote zum Trotz, die als thöricht Eingesperrte dahin zu lassen, wohin ihrer ganzen Seele Sehnsucht strebte, als Walburg's Eintritt sie aus der Verlegenheit riß. Das Gesicht der strengen, unerbittlichen Oberin war finster und trug die Spuren einer unangenehmen[191] Beweg. Sie trat langsam vor Katharinen hin, betrachtete die in Schmerz Vergehende, welche, aus Furcht verstummend, umsonst nach Worten suchte, der Nonne zu sagen, was sie der Magd gesagt hatte, und schüttelte ernst das Haupt. – »Ich bin arg hintergangen worden;« sagte sie alsdann, – »oder aus der Verwundeten spricht die Glut des Fiebers. Wahr soll es seyn, daß Ihr Eure Vernunft besitzt: daß Ihr nicht wahnwitzig geworden über den Tod eines Kindes ....?« – »Mein Kind lebt!« fiel Katharine ein: ›hochwürdige Frau‹! um Gotteswillen, mein Kind lebt; sagt mir nicht anders. Ich will Euch ja von Herzen vergeben, was Ihr Böses an mir gethan. Ihr wart hintergangen, – Ihr seyd ein schwacher Mensch gleich mir; der Satan hatte Euch umstrickt; .... aber damit ich Euch verzeihe, sagt mir nur nicht, daß mein Kind todt ist. Sie wird es doch nicht gemordet haben, – die Abscheuliche? Sagt nicht. – ›Ja‹ würdige Frau. Des Kindes Vater hat sie ins Elend getrieben; ... sie wird doch nicht das Töchterlein erwürgt haben? – »Nein, nein, ehrsame Frau;« antwortete Walburg zuversichtlich: »Dieses Kind lebt; ich will es Euch zeigen sogar, in Eure Arme es legen, denn diese Mutterangst ist nicht Tollheit, und ich fürchte, ich habe mich sehr versündigt an Euch. Kommt mit mir, arme Frau, und bringt ein versöhnlich Herz zu der Todtkranken, damit sie nicht auf ihren Sünden hinab, sondern auf ihrer Reue zum Himmel steige.« – Ohne ein Wort zu erwiedern, behende wie die Löwin, die, zur Höhle kehrend, ihre Jungen nicht mehr findet, [192] und hinausstürmt, um ihre Spur zu entdecken, folgte Catharine der Oberin, und Judith murmelte hinter ihnen her: »O ja, ihr Menschenkinder. Thut Buße, und übt Reue, denn Ihr wißt nicht, wann die Zeit da ist, weil Ihr nicht glaubt an Wunder, Zeichen und Ahnung. Ließe ich mir nicht die Hand abhauen, wenn ich meinem Vater, meiner Mutter einen tod hätte bereiten können, wie ihn hier die Verbrecherin stirbt, im Schooß der Reue? Eitle Wünsche! Barmherzig ist der Herr und er kann Alles thun, was er begehrt, weil auf seinen Fingern einst die Ruhe, und strafe ihren Mörder nach Verdienst. Wenn jemals die Bitten einer Tochter Eingang fanden zu seinem Ohre, so wird, so muß dieses Gebet erfüllt werden. Amen!« –

Mit versöhnlichem Herzen, und mit dem aufrichtigsten Willen, zu vergeben, betrat Catharina an Walburg's Hand Wallradens Zelle, aber nur einen schmerzlichen Blick warf sie auf die Todbleiche, die so eben von Margarethen und Willhild aus einer Ohnmacht geweckt wurde, – und zu stürzte sie auf die kleine Agnese, die von Dagoberts Armen ihr entgegenlächelte und jauchzte. Die treue, im Entzücken versunkene Mutter hatte keinen andern Gedanken von da an, als ihr Kind, kauerte sich mit demselben in einen Winkel, koste mit ihm, herzte es, machte tausend Fragen an seinen geschwätzigen Mund, und vergaß Alles um sich her. Wallraden, die wieder zu sich gekommen war, that es wohl, von der Mißhandelten nicht angeredet zu werden, und sie fuhr in der [193] offenen Beichte fort, die sie schon früher gegen Margarethen begonnen hatte, – von der kurzen Bewußtlosigkeit unterbrochen. »Es ist hart«, lispelte sie, »daß ich um mich nur Menschen sehen kann, denen ich weh gethan, die ich hinterging. Das Schwert des Mörders hat der Reue eine fürchterliche Bahn in meinem Busen gemacht, und nur Eure Gegenwart, Margarethe, ... Eure Milde ist Arznei für mich. Die ich am meisten haßte stehen bei mir, ... die Andern verließen mich. Laßt mich endigen, Stiefmutter; laßt mich Eurer freundlichen Sorge das Kind empfehlen, das von mir ausgestossen wurde, und alles Unheil in Euer Haus und über Andere brachte, ... der unschuldige Knabe. Ich hatte nie ein Mutterrherz: ich habe nie das Kind geliebt, dessen Vater ich haßte. Ich überließ dem, dermich verlassen, den Knaben nicht, damit er keine Freude an ihm erleben sollte; ich mißhandelte den Buben, weil ich in ihm des Vater Ebenbild zu demüthigen glaubte: ich stieß ihn hinaus in die Welt, weil mir endlich sein Anblick unterträglich wurde, da sich in seinem Gesichte, durch Zufall oder geheimen Zusammenhang der Blutsfreundschaft, die Züge des verabscheuten Bruders entwickelten. Gundel und Rüdiger waren Zeugen meiner Thaten, und der unverfälschlichste ist der Knabe selbst, denn Er ist Euer kleiner Johannes.« – Staunend schlug Margarethe die Hände zusammen, und versank in düstres Nachdenken. – »Laßt ihm nicht entgelten, was seine Mutter verbrach, ...« flehte Wallrade: »Stoßt ihn nicht von Euch, wie ich gethan; .... Dagobert, ... sey Du des[194] Knaben Schirm. Ach, der Vater wird ihn ja nicht ganz verlassen, denn er hat mich Unwürdige ja einst geliebt, obschon sein Zorn ihm jetzo nicht erlaubt an meinem Todtenbette zu stehen. Dagobert! Sorge Du für den kleinen Hans! Versprich es mir!« – »Ich gelobe,« antwortete Dagobert, Wallradens Hand fassend, – »des Knaben Freund und treuer Ohm zu seyn; ihn nimmer zu verlassen, und zu halten wie einen Sohn.« – »Das erheitert mein schrecklich Ende;« flüsterte Wallrade; dann setzte sie mit erhabener Stimme hinzu: »O meine Lieben und Freunde: könnte ich Euch doch eine Hoffnung zurücklassen zum Ersatz für all das Böse, das ich Euch in Wirklichkeit gethan. Vergebens werdet Ihr das Kreuz auf dem Grabe Eures Söhnleins suchen. Willhild's Angst vor der gerechten Strafe ihrer Unvorsichtigkeit wälzte eine Schuld auf sie, die alles Andre nach sich zog. Johannes starb nicht bei ihr.« – »Nicht?« rief Margarethe heftige aus, und beugte sich tiefer zu Wallradens Lippen. »Hab' ich auch recht vernommen? Johannes starb nicht? Um Gotteswillen! Willhild; was soll das bedeuten?« – Willhild drückte furchtsam und schuchzend das Antlitz in die Kissen des Lagers; Wallrade versuchte vergebens zu sprechen; Dagobert jedoch ergänzte mit vorsichtiger Kürze das Mangelnde. »Rüdiger, der Knecht,« sprach er, »hat mir im Sterben gestanden, was er dem Manne Willhildens, dem halb blödsinnigen Paul entlockt hatte: Der Knabe kränkelte sehr, und war nahe dem Versiechen, da rief eines Tages ein nothwendig Feldgeschäft Willhild und Paul zur Bestellung ausserhalb [195] der Hütte. Das seltne freundliche Spätherbstwetter, bewog die Pfleger, den ihnen anvertrauten Sohn nicht in der Hütte einzusperren, wie sie sonst wohl gethan, wenn sein überhandnehmendes Gebreste es verhinderte, ihn mit auf's Feld zu nehmen. Sie ließen dem Buben Wies und Gärtlein frei, und da sie von der einsamen Wohnung gingen, hatte sich das kranke Kind in den Sonnenschein auf eine kleine Bank gelagert, die am Gehege stand, und war eingeschlummert vor Schwäche. Die Leute blieben stehen vor dem Knaben, und ihnen war, als sollten sie nicht von dannen gehen, und das Herz wurde ihnen weich beim Anblick des abgemagerten Gesichts und Körperleins. Sie trauten sich jedoch nicht, den Kleinen zu wecken, breiteten noch ein Tüchlein über sein Antlitz, und begaben sich hinweg. Da sie aber wieder zurückkehrten, war der Bube nicht mehr da, und nicht in Haus und Hof, nicht auf Wies und Feld zu finden, und bis auf den heutigen Tag nirgends eine Spur von ihm anzutreffen gewesen.« – Dagobert schwieg, und der Schmerz der Mutter nahm nun das Wort: »O, wie erneuert diese Erzählung blutende Wunden!« klagte sie: »Wie doppelt fühle ich jetzt den Gram um meinen Einziggebornen! Bis jetzt glaubte ich ihn in kühle Erde versenkt, im geweihten, christlichen Grabe, und jetzt erst muß ich befürchten, daß ihn ein wildes Thier hinweggetragen, das herabgekommen ist von des Haynreichs waldigem Rücken 1. Seine Gebeine sind ein Spott der Vögel [196] geworden, und düngen den Boden des Forstes! Willhild! Willhild! Was hast du auf dem Gewissen, Unglückliche? Und ist Alles wahr, was ich vernommen?«

Willhild vermochte nur, stumm den Kopf zu neigen, und brach in lautes Weinen aus. Wallrade winkte ebenfalls bekräftigend, und faltete die Hände, wie um Vergebung für die reuevolle Pflegerin zu bitten. – »Das hat lange auf meiner Brust gelastet,« begann Dagobert; »und ich konnte mich nicht überwinden, es zu entdecken, aber das Unglück schenkt dem Menschen nichts. Faßt Euch daher, gute Mutter, und setzt Eure Zuversicht auf Gott, wie Ihr auf diese arme Frau keinen Groll werft, sondern die Liebe des Gerechten, das Mitleid Eurer Seele.« – »Dann sterbe ich leichter,« sprach Wallrade, die wieder zu Kräften gekommen war: »ruhiger, unter Verzeihenden eine Vergebende, denn ich nehme alle Schuld von meinem Mörder, dem unglücklichen von der Rhön.« –

»Von der Rhön?« fragte Catharina, aus ihrem zärtlichen Kosen mit dem Kind aufschreckend: »Was ist mit ihm? Wallrade, ich beschwöre Euch bei der Barmherzigkeit Gottes, ... bei Eurem Seelenheil, ... wo ist der dessen Namen Ihr nanntet? Auch dieses lallende Kind nannte ihn .... was soll ich glauben, was werde ich hören? Redet, ... nur ein Wort, mein Fräulein, wo ist mein Gatte, ... was geschah mit ihm?« – Wallrade schlug die Augen gen Himmel, blickte dann fragend nach der Äbtissin, im Begriff zu reden. Walburg raunte jedoch befehlend in [197] das Ohr der Verwundeten: »Schweigt, .... laßt mich der Schwerbedrängten antworten, damit die Kunde von der Wahrheit sie nicht tödte aus unsrer Mitte. – Euer Gatte lebt:« sprach sie hierauf zu der gespannten Zuhörerin: »Noch mehr; Ihr werdet ihn sehen; macht euch gefaßt, ihn im Schooße des Glücks zu finden, ...« – »Des Glücks?« fragte Catharine rasch entgegen: »Hochwürdige Frau, ... wie konnte Bilger glücklich seyn, ohne die, die ihn lieben? Ach, möchte er in Armuth und Dürftigkeit darniederliegen ... mein Anblick, der Anblick seines Kindes wird ihm willkommen seyn. Ich will ihn pflegen, ich will sein Leben erleichtern. Gott! Alles will ich thun, Alles leiden, Hunger und Pein mit ihm leiden, wenn ich ihr nun sehen, in seiner Nähe seyn kann, denn so wie ich liebt ihn keine Andere, so hat ihn jene sicher nicht geliebt, der er gehuldigt, bevor er mir die Treue gelobte.« – Wallrade zuckte schmerzhaft zusammen. Walburg versetzte; »Über die Vergangenheit, gute Frau, laßt uns einen Schleier werfen, und uns freuen, daß auch die Zukunft hinter einem Schleier liegt. Verlaßt Euch indessen darauf: Euern Gatten sollt Ihr sehen. Vielleicht schon morgen, vielleicht noch heute Abend. Bleibt aber ruhig jetzt, und geht auf Eure Zelle mit Eurem Kinde. Ihr sollt wohl gehalten seyn; denn ich will mein Unrecht gut machen; betet aber dafür ein Vaterunser und ein Stoßgebet für diese im Todeskampfe Leidende!« – Dagobert glaubte, indem er einen Blick auf der Schwester Antlitz warf, daß sie schon verschieden sey, doch Margarethens Ohr hörte das [198] fast unmerkbare Athmen ihrer wunden Brust, und winkte Allen stille zu seyn. Dieser Schlummer, der die Arme befallen, schien derjenige, der oft dem allerletzten Schlummer, in welchem der Odem erlischt, vorausgeht. Katharina entfernte sich mit ihrer kleinen Agnes um in der Hoffnung des Wiedersehens zu schwelgen, Walburg betete bei dem Lager der Freundin. Dagobert saß neben ihr, wie ein treuer Wächter. Margarethe, nachdem sie eine kleine Weile überlegt, flüsterte zu Dagobert: »Bleibt Ihr, mein guter Sohn; ich kann sie nicht verscheiden sehen. Ich gehe, meine längst versäumte Pflicht zu erfüllen, und vor Diethers Augen die Wahrheit zu enthüllen. Weh mir, daß meine Schwäche, mein Wankelmuth bis jetzt das Geständniß verzögerte: bis jetzt, wo es ein entsetzliches Verhängniß aus meinem Busen reißt. Indessen einmal besser als nie. Komm, Willhild, komm, von diesem Sterbelager müssen wir rein gehen, und nur zu den Füßen meines Herrn ist jetzt unsre Stelle.« – »Gott segne Euern Weg;« erwiederte Dagobert mit freudeleuchtenden Augen: »Es wird hell in unserm Hause werden, und nur zu beklagen ist's, daß hier Nacht werden muß, damit es dort tage. Geht mit Zuversicht und Muth; ich fürchte, ich werde auch bald folgen können.« – Er warf einen besorglichen Blick auf die schwerathmende Schwester. Margarethe zerdruckte eine Thräne im Auge, und schlug ein großes Kreuz über die Leidende. Willhild, die sich mit einem Seufzer von der Erde erhob, besprengte Wallradens Lager mit einigen Tropfen Weihwasser, und wankte der schnell davonschreitenden [199] Altbürgerin nach. So still ihr Gang durch die Straßen war, so still war ihr Empfang zu Hause. Herr Diether bemerkte kaum, in sein Leid versunken, die Eintretenden. Gleichgültig sah er auf Willhilds bebende Gestalt, aber mit erzwungner Ruhe fragte er Margarethen: »Ihr kommt von ihr? Sie ist hinüber?« – Die Gattin schüttelte den Kopf, und sagte mit geheimer Angst, wie sie denn wohl das harte Bekenntniß einleiten möchte: »Sie lebt noch, mein werther Herr, und sie hoffte, Euch an ihrem Bette zu sehen, als ein versöhnter Vater.« – »Zerreißt mir ihr Tod nicht das Herz?« fragte Diether mit ausbrechender heftiger Wehmuth: »Ist sie denn nicht meine Tochter? Ich bin kein Thier des Waldes, das sich die Gebeine seiner Jungen selbst zur Nahrung wählt; ich bin ein Mensch, ein alter Mann von rauhen Sitten, aber meine Brust ist nicht fühllos. Bei meinem scheidenden Kinde zu weilen, wäre mir eine heilige Pflicht, könnte ich mit ganz reinen, ungemischten Gefühlen die Tochter wiedersehen. Aber, mit dem Mitleid würde der Groll kämpfen, mit der Versöhnung der Haß, mit dem Segen der Fluch, und besser ist's, ich bleibe weg von ihr, als daß mir in ihrem letzten Stündlein, wieder in ihrer Nähe beikäme, was sie gegen mich, gegen uns verbrochen hat.«

Margarethe wollte in seine Rede fallen, aber Diether gab es nicht zu. – »Kein Wort zu ihrer Vertheidigung,« sprach er heftig: »verzeihen kann ich ihr, segnen will ich sie, aber nicht selbst ihr das Wort der Vergebung bringen, aber nicht selbst die Hand auf ihr Haupt legen, aber nicht vergessen daß sie es war, [200] die alles Elend über uns gebracht, daß sie das Kind uns gestohlen, um es dem Jammer hinzuwerfen, wie ein armes junges blindes Thier in den reißenden Strom!« – »O Herr,« rief Margarethem seine Knie umfassend: »hemmt doch Euern Zorn, hemmt doch Eueren Groll. Wallrade hat viel verbrochen, aber unschuldig ist sie an diesem Vergehen.« – »Unschuldig?« wiederholte Diether, und sah mit Bestürzung, wie auch Willhild sich heulend vor ihm niederwarf, und nun aus dem Munde der Frauen ein Bekenntniß zu Tage stieß, das sich der alte Mann nicht hätte träumen lassen. Und da er nach und nach heller sah in der verworrenen Geschichte, hörte, wie er hintergangen, und wie diese schnöde List der Anfang alles Unglücks seines Hauses gewesen, da empörte sich sein Gemüth; das Blut wallte siedend uaf in seiner Brust und seinem Gehirn. Der gewohnte Ungestüm wollte hervorbrechen aus den kaum geschmiedeten Fesseln, verstoßen wollte er die schuldige Gattin, der strengsten Strafe überliefern ihre Mithelferin; aber ein Augenblick gestaltete sein Inneres anders. Margarethe, in ihrer Reue schöner noch, als an dem Tage, da sie in Diether's Hause einzog, – eine siegreiche Braut, – sah auf zu ihm aus der Vernichtung, in welcher sie vor ihm lag. Alle Engel des Erbarmens schienen um sie her im Kreise auf den Knieen zu liegen vor dem zürnenden Greise, ihre Hände gegen ihn zu falten, und seiner stürmischen Seele Friede zuzufächeln mit ihren bunten und goldnen Schwingen. Der Zauber, der über des Kindes [201] wie über des Alten veränderlich Gemüth eine strenge Herrschaft übt, wirkte auch hier. Gegen die entwaffnete Buße hatte er nur Rührung zu stellen, wiederkehrende Liebe, und all diese Gefühle wurden geheiligt durch eine erhebende Ahnung der ewigen, unabänderlichen Vorsehung. So konnte es denn geschehen, daß sein Grimm plötzlich vernichtet dahin fiel, daß wehmüthige Freundlichkeit über seine Züge schlich, und daß die Hand, die vor einem Athemzuge noch, die vor ihm Knieende hinwegstoßen wollte, dieselbe jetzo aufhob, wie ein Vater das liebe Kind aufhebt. – »Steht auf, meine Ehefrau;« sprach er gütig, und siegreich im Kampfe der Leidenschaft: »Ihr habt mir so vieles zu vergeben, daß ich, obgleich schmerzlich aus der Himmelshoffnung meines Alters gerissen, nicht anders thun kann. Kein Wort mehr von dem, was gewesen ist.« – Er schüttelte Margarethen treuherzig die Hand, sie küßte die seine schluchzend und dankbar. Hierauf hob er auch Willhild auf, und sagte zu ihr, wenn gleich mit strengem Blicke: »Dich könnte ich fragen: Wo ist das Kind, das ich Dir vertraute? Aber, .... ich bezwinge mich. Der Herr hat's gegeben, – der Herr hat's genommen, – der Name des Herrn sey gelobt. Der arme kranke, todtschwache Knabe wird freilich von uns nie mehr gesehen werden, setzte er weich hinzu: und auch seine Überreste werden wir nicht finden. Das Haus bleibt aber darum doch nicht ohne Erben, und auch der kleine Hans soll nicht unglücklich seyn, um der Missethat seiner Mutter willen. Jetzt aber, kommt zu [202] eben dieser Mutter Sterbebette, daß ich jetzo sie mit heiterm Muthe segne, und ihr aus vollem Herzen das sühnende Lebewohl zurufe!«

Fußnoten

1 Haynreich – ein mittelalterlicher Name des Taunusgebirges.

9. Kapitel
Neuntes Kapitel.

Wenn die Noth am größten, ist die Hülfe am nächsten!

Sprichwort.


Im Scheine des gelblich flammenden Abends saß Bilger von der Rhön an einem Fenster des Deutschordenshauses, das hinaussah auf die wallende Fluth des Stroms, und vor dem die Schiffe und Kähne, die darauf zu Berg und zu Thal tanzten, sich tummelten, wie die Fischlein im Grunde ihrer nassen Heimath. Aber das lustige und rege Leben auf Strom und Brücke regte den in kummervolles Nachdenken Versunkenen nicht an, sondern vermehrte nur seinen Schmerz, sich hinausgestoßen zu wissen aus der Mitte des Volks, geächtet, seiner Freiheit, seiner Ehre, seines Lebens selbst am Ende verlustig. Er sah voraus, wie alles um ihn her sich noch schwärzer und düstrer gestalten würde, als es schon bis jetzt geworden war, und seine lebendige Einbildungskraft zeigte ihm hinter den Gefahren der Gegenwart und der Zukunft die Gestalten seiner Lieben, wie sie, gleich verwiesenen Engeln, ihre Hände ausstreckten nach dem [203] Vater und Freund, ohne ihn retten, oder an sich ziehen zu können. Bei diesen trostlosen Gedanken überraschte ihn manchmal auch der verzweifelnde, einen Weg zum Strom zu suchen, um darin alles Kummers und Elends auf einmal quitt zu werden. Dieser Gedanke, – in seiner Fürchterlichkeit dem Gefolterten ein Freund, hatte ihn von der Tafel des Komthur's gejagt, dessen rohe und leichtsinnige Reden, im Verein mit der Schlemmerei in Mahl und Trunk, welche die drei Herren des Hauses trieben, seine Brust grausam verletzt hatten. Die deutschen Herren jener Zeit, sowohl Ritter, als Amtleute und Geistliche waren in ihrem Übermuthe, der sich auf die Reichthümer, die Gewalt und Vorrechte ihres Ordens gründete, weit über alle Schranken gegangen. Hang zum Wohlleben, Habsucht und Willkür waren die bezeichnenden Eigenschaften der größern Mehrzahl der Ordensglieder, die vom Volke nicht geliebt, aber wohl gefürchtet wurden, um ihrer weit um sich greifenden Macht willen. Unter den Schwelgern und Trotzköpfen, die der Orden aufzuweisen hatte, stand der Herr von Issing in der vordersten Reihe. So wie er der Tapfersten einer im Felde war, ... seinem Muthe verdankte er die Komthurei, – so war er im Frieden einer der Stolzesten und Unverträglichsten, der mit Härte und Eigenmächtigkeit Alles durchsetzte, was zum Besten des Gesammten war, sollte auch Recht un gut Andrer dabei zu Grunde gehen. Ohne ein böses Herz zu haben, besaß er doch alle Untugenden eines zum Laster aufgelegten Mannes, und vom Augenblick, von der Laune, [204] die dieser ihm gerade einflößte, hing der Werth seiner Handlungen ab. Eine gutmüthige Rohheit sprach sich in ihm aus, hatte er gerade seine beste Stunde; kalte Unbarmherzigkeit oder grausamer Zorn brachte vielleicht die nächste, minder günstige. Von frühster Jugend an den Weibern ergeben, hatte er seine höchste Glückseligkeit in den Ausschweifungen sinnlicher Liebe gefunden. In seinen männlichern Jahren hatte sich die aufkeimende Lust an Schmaus und Gezech mit Frau Venus und ihrem Gefolge in sein Herz getheilt, und bei der wohlbesetzten Tafel war es immer, wo er seine unbändige Fröhlichkeit frei daher gehen ließ, seine Scherze, nicht die zartesten, freigebig auftischte, und gleich wilde Lustigkeit von seinen Tischgesellen verlangte. Der Pfaffe des Hauses, ein rüstiger Trinker, ließ sich nicht lange auffordern, Issing's Farbe zu tragen, und der Trappierer, ein durchtriebener Schelm, voll Geiz und Schlauheit versäumte nicht, dem Komthur, von dessen Nachsicht er mancherlei Vortheile bei seiner Amtsführung erwartete, dienstfertig zu höfeln, und ihn schier noch zu überbieten in schwelgerischer Eßlust und unziemlichen Reden. In der Mitte dieser Männer konnte einem Unglücklichen unmöglichst wohl seyn, da die grausame Rohheit der Genossen immer wie mit eiserner Faust an das wunde Herz des Armen griff; und Bilger vollends hätte gewünscht, einer jener dürftigen Unglücklichen zu seyn, denen man, um eines Verbrechens willen, zwar die Freistadt im Hause gönnte; um welche man sich aber nicht bekümmerte; denen man überließ, für ihr Obdach und ihren Unterhalt so gut zu sorgen, als sie [205] konnten. Der Komthur hatte aber seinen Stolz darein gesetzt, gegen den Herrn von der Rhön von der freundlichsten Bereitwilligkeit zu seyn, und ihn zu halten, wie es sein Stand und sein Name wohl verdiente. Daher mußte Bilger eine stundenlange Qual an dem tische des Hauses aushalten, und sich, wie ein Dieb, bei guter Gelegenheit fortschleichen, um ungestört seiner Traurigkeit nachhängen zu dürfen ... Zwar war dieses Alleinseyn schmerzlich, aber des Unglücklichen einzig Eigenthum bleibt ja nur noch sein Schmerz. Bilger horchte also nicht auf die fern her gellende Stimme des Ordenspriesters, der in trunknem Muthe die Hymne an den heiligen Johannes, den Patron der Sänger 1, zum Besten gab, sondern er lauschte auf die angstvollen Schläge seines Herzens, auf die Geisterstimmen, die klanglos, aber verständlich zu seinem Ohre sprachen, und sah nicht, wie es dämmerte immer mehr und mehr. Aber das Geräusch welches der eintretende Komthur machte, rief ihn zurück aus der Welt seiner sehnsüchtigen Träume. – »Ei! bei den Dornen und Wunden unsers Herrn!« rief der Herr von Issing: »von der Rhön! was ficht Euch den an, den einsamen Saal hier unserer heimlichen Eßstube vorzuziehen? Schickt doch Eure Grillen zur Hölle. Meint Ihr denn, die alten Ordensherren, deren gemalte Gesichter uns so kriegerisch [206] anglotzen durch den dämmerigen Abendschein, werden Euch helfen aus der Noth? Die Lebenden sind's, auf welche Ihr hoffen müßt, und so lang Ihr unter dem Schutze des Kreuzes steht, soll Kaiser und Reich die Hand von Euerm Leibe halten. Seyd demnach hübsch munter, und – behagt Euch etwa unsre Kumpanei nicht, so sagt's nur frisch heraus, von Brust und Leber: ich kann Euch auch wohl andere Gesellschaft zuweisen, mit welcher Ihr zufrieden seyn möchtet.« – »Herr Komthur!« antwortete Rudolph ernsthaft: »mein Unglück hat mich unter Euern Schirm gebracht; doch gewinnt Ihr nicht dadurch das Recht, meiner und meines Grams zu spotten. Bedenkt, daß von Euch selbst alles Übel meines Lebens seinen Ursprung nimmt.« – »Nun, bei meinem Eid!« lachte Issing schonungslos: »es ist lustig, daß Ihr mir aufbürden wollt, was Eure freie Wahl und eines schlechten Weibes Niederträchtigkeit verschuldet hat; indessen, weil Ihr unglücklich seyd, nehme ich's nicht so genau, und behaupte Euch ruhig in's Angesicht, daß ich Eurer nie gespottet habe, und nimmer spotten werde. Der Zufall erlaubt mir, Euch sogar gute Botschaft zu bringen. Aus dem Weißfrauenkloster erhalte ich Kunde, daß Wallrade nicht gestorben, daß sogar die Hoffnung gehegt wird, sie zu heilen und ihr Leben zu erhalten. So wenig ich es der Elenden gönne, so lieb mag's Euch seyn, daß sie ein Katzenleben hat.« – »Wirklich?« fragte Rudolph mit frohem Blicke: »sie lebt wirklich noch? O habt Dank, Herr von Issing, daß Ihr meiner Seele dieses Labsal brachtet. Meinen Hals befreit [207] die Kunde freilich nicht, aber mein Gewissen wird leicht dagegen und gesünder. Habt Dank. Könntet Ihr mir nur gleich gute Mähr von meinem Kinde bringen, ... von meinem Weibe ... o Gott!« – Bilger ließ den Kopf, auf die Brust, die Hände in den Schooß sinken, und schwieg seufzend. Der Komthur zuckte die Achseln, und sprach: »Davon weiß ich nicht, mein Freund. Vielleicht wäre jedoch der Bote besser unterrichtet, der vom Kloster nach unserm Hause kam. Wär's Euch recht, ihn zu sehen, selbst zu sprechen? Man mag ihm wohl vertrauen, sonder Gefährde!« – »Zwar sollte ich jeden Menschen scheuen,« entgegnete von der Rhön: »allein, – ob ich mich jetzo nenne, ob nicht; es ist gleichviel. Lebt Wallrade noch, o so hat ihr Mund mich genannt; Gundel hat mich verrathen, Dagobert gegen mich gezeugt; ich darf fürder nicht hoffen, unerkannt mein Leben zu lassen, ohne Schande für meines Hauses Wappen! Verstattet mir daher, den Mann zu sehen, Herr Komthur.« – »Gern!« antwortete dieser, und stieß mit des Schwertes Scheide auf den steinernen Boden, daß es an der Decke des Saals wieder hallte, worauf die Flügelthüre sich öffnete, und ein blendender Kerzenschimmer hereinstrahlte.

Die plötzliche Helle schloß Bilger's Augenlied, aber schnell eröffnete er es wieder, als eine süße Stimme seinen Namen rief, und die Freude rüstete ihn mit starkem Arme empor, da seinem Blick hinter dem Diener, der die Kerzen hereintrug, die Gestalten sich zeigten, die seine Einsamkeit schon diesen Abend besucht hatten; diesmal aber keine vergebens [208] nach ihm sich sehnende Engelsbilder, sondern lebende, verkörperte Gestalten, die an sein Herz flogen, die ihn mit Liebesarmen umschlangen, und ihm abwechselnd zuflüsterten oder zujubelten: »Gatte! Vater! wir sind hier, ... wir, Dein Weib, Dein Kind! Wir sehn Dich wieder!«

Rudolph's Augen, vor Kurzem noch überfließend von den Zähren des Jammers, strömten nun über von den Thränen der Freude, der dankbarsten Freude. Aber nicht in seinen Wimpern allein hingen diese köstlichen Perlen des Gefühls: auch die Gattin schluchzte an seinem Halse, auch die kleine Agnes weinte unter ihren freundlichen Liebkosungen, – und an der Thüre stand die harte Judith, aufgelöst in Rührung; in der Mitte des Saals stand der Komthur und fühlte sein rauhes Herz erschüttert von menschlicher Bewegung. Die Glücklichen, die sich wiedergefunden hatten, vergaßen die Zeugen um sich her, und verloren sich in Fragen und in Antworten, in dem Labyrinth der Rede, welche der laute Herold des innern Gefühls ist. Ach, nun erfuhr Rudolpf, daß Katharine von seiner ersten Ehe wußte, wenn gleich nicht das Daseyn des Knaben Johannes. – Diese Künde war ein bittrer Tropfen in Bilger's Freudenkelch, und er nahm ihn hin wie ein reuiger Sünder, ohne zu läugnen, obschon Katharine mit ängstlichem Blicke dieses Läugnen erwartete, und einer Sylbe von seinen Lippen mehr geglaubt hätte, als allen Schwüren Wallradens, deren entsetzliche Falschheit sie kennen gelernt hatte. Als jedoch Bilger reuevoll um Vergebung bettelte, [209] da wurde aus den schmerzlichen Vorwürfen der Gattin der barmherzige Trost eines Engels, und sie vergab, und forderte ihn auf, sie, und Agnes ferner nicht zu verlassen. »Wer auch jene Andre sey,« rief sie begeistert: »sie liebt Dich nicht wie ich; sie hat Dich nie also geliebt; unglücklich muß sie Dich gemacht haben, denn Du bist denen treu, die Du im Herzen trägst, ... obgleich Du auch von uns gegangen bist, von mir und Deiner Agnes!« – Katharine schwieg schluchzend und kauerte sich zu dem Mägdlein hernieder, um ihre nassen an dessen Halse zu verbergen. Der Herr von der Rhön rief dagegen, den Komthur heftig bei der Hand fassend: »Seht her, edler Herr, seht her; welch ein Weib! Ihr habt nur Sinn für die äußere Blüthe der Frauen, aber ahnen mögt ihr dennoch, was Liebe, was Tugend, was Hingebung und Opfer für den Geliebten sey! Weh mir, daß ich solch ein Herz zu betrüben geschaffen bin, und daß ich noch Schande häufe, auf dieses theure Haupt. Wehe Euch, Herr, denn Ihr habt mich zu jenem abscheulichen Bunde überredet; Ihr gabt dem Zagenden, dem blöden Jüngling die Mittel zur Hand, die Kette unwiderruflich zu schmieden, nach welcher sein ahnend Herz bald verlangte, welche es bald verwarf. O hätte ich doch nimmer die Stunde erlebt, in welcher ich das verhängnißvolle Ja gesagt, hätte ich doch nimmer den dienstfertigen Mönch geschaut, den Eure Hand auf Baldergrün einführte, dessen Segensspruch – der Fluth meines Lebens – dieses edle Weib zu meiner Krebsfrau, dieses holde [210] Kind zu einem Bastard macht, – und mich gefesselt hält an die unselige Wallrade!« – »Wallrade!« schrie Katharine laut auf, und sank von der Überraschung überwältigt, zu Boden. Judith flog auf die Erblassende zu, und mit dem Rufe: »Barmherziger Gott! sie stirbt!« wollte sich Rudolph neben ihr niederwerfen. Issing hielt ihn heftig zurück. »Seyd ein Mann!« sprach er ernst und doch nicht unfreundlich: »das ist nicht der Tod; eine Schwäche blos, aus welcher dieses Weib hier die Unglückliche rütteln mag. Ich dafür will Euch aus einer verderblichern Ohnmacht zum Leben reizen, aus den Ketten einer verderblichen Wahns. Hört mich an, und wohl mir, daß mein Spott am Heiligsten mir gönnt, euch Heil zu verkünden. Wallrade hatte mich unterjocht, und wünschte, meiner fast überdrüßig, und Euch mit flücht'ger Liebe umfassend, eng mit Euch verbunden zu seyn, um den zaudernden blöden Freier unauflöslich an sich zu binden. In einer schwachen Stunde entlockte sie mir den Eid, selbst die Hand dazu zu bieten. Ich konnte nicht zurück, fühlte ich gleich die ganze Hölle, selbst den Segen über die Geliebte und den verhaßten Nebenbuhler sprechen zu müssen. Aber meine Arglist verfiel auf eine Auskunft. Ich wollte Euch binden, aber nur vor Euern Augen; und einst euch niederdonnern mit dem grimmigsten Hohne, Euch erniedrigen vor meiner Verachtung. Der Kirche Segen durfte nur ein Possenspiel seyn, und ein Ordensknecht, der dem Noviziat im Bettelkloster davon gelaufen war, stellte den Mönchspopanz vor, der Euch verband mit ruchloser Spottrede und entweihter [211] Stola.« – »Wie?« stammelte von der Rhön, zurückfahrend. – »Wie die Dinge nachher wurden,« sprach der Komthur weiter, »so war mir's nicht gelegen Euch den Irrthum zu benehmen, denn ich sah Euch unglücklich seufzen unter dem eingebildeten Joche, und meiner Rache Ziel war erreicht. Dieses Stückleins habe ich mich stets gefreut, und Ihr mögt es jetzt meinem weichen Herzen und der Rührung Eures schönen Weibes danken, daß ich Euch den Aufschluß gab. Der vorgebliche Mönch ruht aber längst schon in der Erde. Ein ungeheuerer Polacke hieb ihn neben mir zusammen, in demselben Kampfe, der mir die kahle Stirne eintrug.« – »Komthur!« rief Bilger außer sich vor Freude: »nimmer hat ein Teufel dem Menschen so viel des Übeln zugefügt, als Ihr, schwerverirrter Mann, mir des Guten gethan habt, in böser Tücke. Weib, Gattin, Katharine! erwache und freue dich mit mir. Ich bin Dein, nur einzig und alleinDein Gatte. Keine Fremde hat Theil an mir, und unverletzt ist Deine Ehre, unsers Kindes Herkunft. Mag man mich nun auch von hinnen reißen, mich foltern, und mein Haupt vom Rumpfe trennen, weil ich in blindem Wüthen meinen Feind zu erschlagen begehrte, ... ist doch diese Schuld, die gräßliche Gewissensschuld von mir genommen.« – »Ich bin ein gnädiger Beichtiger!« lachte der Komthur, wieder in seinem Gleichmuth zurücksinkend: »seyd Ihr hingegen einkluges Beichtkind, und tödtet nicht durch vorlaute Rede die Arme, die jetzt erst mühselig aus der Ohnmacht wiederkehrt. Sie weiß noch nicht, was Ihr begangen, warum [212] Ihr Euch hier befindet. Mitleidig verschwiegen ihr's die Oberin des Weißfrauenklosters, und Wallradens Freunde, damit sie gelinder und gemildert die Unglückspost aus Eurem Munde höre.«

Der Herr von der Rhön schreckte heftig bei dieser Eröffnung zusammen. Das Schwerste war ihm dem nach noch übrig, und langsam mußte er das Geständniß seiner That, die blutige Hoffnung seiner Zukunft den dringender und dringender werdenden Aufforderungen Katharinens entgegensetzen, welche begehrte, er möchte alsobald mit ihr und dem Kinde dies Haus verlassen, und niemals wieder von ihnen weichen.

Die Tiefen des Gemüths, zumal des weiblichen Gefühls, sind unergründlich. Ungleich weniger als der Name Wallradens in obiger Beziehung Katharinen erschreckt hatte, erschütterte sie die Nachricht von Bilger's Schuld und gefährlicher Lage. Trotz ihrem weichen versöhnlichen Herzen fühlte sie eine Art von schreckhafter Freude da sie hörte, daß der Arm des beleidigten, verhöhnten, getäuschten Rudolph's das Werkzeug der Vergeltung gewesen war, daß durch ihn das gerechte Verhängniß die Frevlerin in den Staub gestürzt hatte. Denn ihre Leichtgläubigkeit hoffte aus diesem blutigen Vorgange Wallradens Besserung erwachsen zu sehen, und ihre Unerfahrenheit übersah spielend das drohende Schwert, das über ihres Gatten Haupte hing, an einem leisen Faden hing. Hatte er doch nur im gerechten Zorne das Schwert entblöst, und gebraucht; war doch Wallrade nicht an der Wunde verschieden, und sogar die Hoffnung [213] da, sie wieder herzustellen. Die kindliche Frau glaubte, es müßten recht bald dem Flüchtling die Thore geöffnet werden zum Auszug in die Freiheit; sie dachte schon daran, wie sie vielleicht durch eine Fürbitte die Frist abkürzen könne. Bilger hingegen, welcher wohl wußte, daß der Bruch des Stadtfriedens, das Beginnen des Mordes die strengsten Richter finden würde, und daß die Gesetze der Reichsstadt für den Fremden mit Blut geschrieben waren, schwieg trübe und düster bei den Vorsätzen und Hoffnungen, die Katharine in ihrem wachsenden Muthe an den Tag legte, und konnte es nicht über sich gewinnen, durch ein beifälliges Lächeln die Arme zu täuschen. – »Gute Katharine!« sprach er bewegt: »ich danke dem Himmel aus vollem Herzen, daß er mir das Glück gewährt hat, Euch noch einmal zu schauen, meine Lieben, die ich jetzt mit allem Recht mein nennen kann. Mehr zu begehren geziemt jedoch nicht meiner Schuld, nicht meinem jetzigen Zustande. Ihr habt selbst von den Soldwachen gesprochen, die des Hauses Pforte belagern; Ihr habt mir selbst ihre Wachsamkeit geschildert, die Strenge, mit welcher sie Euch befragten, und den Argwohn, mit welchem sie Euch nachsahen, da Ihr mit Erlaubniß des Komthurs durch dieses Thor eingingt. Diese Wachsamkeit wird sich nur von Tag zu Tag verdoppeln; begierig werden sie die Stunden zählen, nach deren Verlauf ich ihnen verfallen bin, und – ist die letzte verronnen, mir fürder keinen Augenblick mehr schenken. Ihren Ketten entgehe ich nicht, wie mein Haupt dem Spruche des Blutgerichts. betrüge Dich darum [214] nicht mit eitler Hoffnung, gute Katharine. Wir haben uns wiedergefunden, um uns in Kurzem wieder zu verlieren, denn also ist's beschlossen im Himmel, und die Erfüllung dieses Beschlusses schreitet schnell auf Erden.« – »O, was sagst Du, mein Rudolph?« seufzte Katharine aus bangem Herzen: »Du willst mir jede Hoffnung rauben? Du verzweifelst an jeder Rettung?« – »Warum mich hinhalten mit trügerischer Ahnung, mit falschem Vertrauen?« – entgegnete von der Rhön: »Ich bin nur reich durch Euch, meine Lieben! Gold und Silber habe ich nicht; und wo findet der Arme einen uneigennützigen Retter?« –

Der Komthur, der bisher geschwiegen hatte, lächelte hierbei halb spöttisch, halb gutmüthig, und rief: »Bei Kreuz, Dorn und Wunden, Herr! Ihr wißt die Waffen zu führen, habt gekämpft und die Wildbahn beritten wie ein erfahrner Jägersmann, und wollt nicht vertrauen auf das Glück, das so oft da hilft, Wo weder Klinge noch Pfeil noch der Arm ausreicht? Ich bleibe dabei: noch lange habt Ihr Frist, und wer weiß, ob nicht in diesem Augenblicke schon Euer Retter Euch nahe steht?«

Rasche Schritte kamen den Gang herauf, und auf die Thüre des Saals zu. – Mehrere Stimmen wurden laut. – »Ei, zum Donner!« fragte de Komthur: »wer stört uns denn noch am späten Abend?« – Die Antwort auf diese Frage gab der eintretende Oberreiter, der einen Boten des Herzogs Friedrich von Österreich meldete, und welchem auch der bemeldete Bote auf dem Fuße folgte. Von der Rhön fuhr [215] bei seinem Anblick zusammen, denn Dagobert, Wallradens Bruder, war es in leibhafter Gestalt. Mit ungezwungnem Anstande, ohne kaum einen Blick auf den Unglücklichen und dessen Gattin zu werfen, näherte er sich dem Komthur, und redete ihn an: »Zuvörderst, edler Herr, hab' ich Euch zu berichten, daß Se. fürstliche Gnaden, der Herzog dich hinter mir einherzieht, und von Eurer Gastfreundschaft eine willige Aufnahme in Euerm Hause erwartet, wo er, die kurze Zeit, die er zu Frankfurt zu verweilen gedenkt, wohnen will.« – »Ehre und Schuldigkeit;« erwiederte der Komthur, und sandte den Oberreiter sogleich an den Trappierer, um die nöthige Vorbereitungen treffen zu lassen: »Se. fürstlichen Gnaden sind ein lieber Gast, und sollen gut gehalten werden in unsers Ordens Hause, das der Freigebigkeit der österreichischen Fürsten viel verdankt. Wie aber nenne ich Euch, mein Herr, der mir die frohe Kunde bringt?« – »Mein Name ist nicht wohlklingend für diese Mannes Ohr,« entgegnete Dagobert mit einem Seitenblick auf Bilger: »er möge aber wissen, daß ich nicht als sein Feind erscheine, sondern lediglich als des Herzogs Vorläufer, zu dem mich der Zufall gemacht hat, da ich diesen Nachmittag, eine gute Strecke vor der Stadt lustreitend, unversehens auf des Herzogs Geleite stieß. Ich heiße Frosch, des Altbürgers Diether Sohn.« – Issing biß sich betroffen in die Lippen; sammelte jedoch seine Fassung schnell wieder, und nickte bewillkommend mit dem Kopfe. Judith ersah aber den Augenblick, welchen das tiefe Schweigen, das nun auf allen Lippen herrschte, [216] ihr gönnte, um Katharinen zuzuflüstern: es sey nun die höchste Zeit nach dem Kloster zurückzukehren. Seufzend wand sich die Arme, den Gesetzen der Ehrbarkeit gehorchend, aus Rudolph's Arm, und gelobte hoch und theuer, morgen sicher wiederzukehren, wenn der Komthur es erlauben würde. Verbindlich antwortete dieser: er wisse sich nur weniger Fälle aus seinem Leben zu erinnern, wo er gegen Frauen unerbittlich gewesen sey, und er finde vollends keinen Willen in sich, der leidenden Schönheit zu wiederstehen. »Geht mit Gott, edle Frau,« sprach er zum Abschiede: »und mit Gott kehrt wieder, so oft Ihr wollt. Dieses Haus ist eine Zuflucht für den Verfolgten, und wird durch solche liebliche Unschuld doppelt geheiligt, wie durch des Priesters Spruch. Euern Gatten sollt Ihr unverletzt wieder finden, verlaßt Euch darauf.« – Der Herr von der Rhön geleitete Katharinen, vor welcher ein Diener des Hauses mit einem Windlicht zu schreiten befehljgt war, bis zur Pforte, und während dessen hob Dagobert freimüthig und zutraulich zu dem Komthur an: »Erlaubt, gestrenger Herr, daß ich ein billig Wort zu Euch rede. Ihr seyd noch nicht lange an diesem Platze; die Stadt hat Euch indessen als einen unbeugsamen strengen Mann kennen gelernt, und fürwahr, man darf Euch nur in das Gesicht sehen, um dasselbe zu glauben. Sollte ich mich denn wohl täuschen, wenn ich bei Euch auch einen unbeugsamen Willen zum Guten voraussetze? Ihr habt der Gelegenheit manche, Gutes zu üben, und gerade jetzt wäre eine herrliche vorhanden. Dieser unglückliche [217] Mann, der bei Euch Schutz und Schirm gesucht und gefunden, – soll er denn aus diesen Pforten endlich doch wieder in die Hände der Schergen gelangen, welchen er mit genauer Noth entkam? Wollt Ihr ihm nur auf dreißig elende Tage das Leben gerettet haben, damit es nach dieser Frist dennoch des Henkers Beute werde? Rettet ihn für immerdar, Herr, und werdet der Wohlthäter von drei dankbaren Menschen.« – Der Komthur maß lächelnd den vor ihm stehenden Jüngling, in dessen Auge das reinste Feuer strahlte, die Begeisterung für Barmherzigkeit und Milde gegen das Elend. – »Ich soll mich über Eure Reden wundern,« begann er hierauf, »und Euch für einen leidigen Versucher halten, der gern enträthseln möchte, was ich im Schilde führe. Ihr seyd Wallradens Bruder, und Blutrache zu üben wäre Eure erste Pflicht, denke ich.« – »Wofür haltet Ihr mich?« fragte Dagobert kühn entgegen: »Ich sollte einen armen Menschen tödten, der im aufwallenden Zorn die That beging, die ihn – ich weiß es – reut? Nimmermehr; und hier, Herr, stehen die Dinge anders denn gewöhnlich. Gestern hat sich's entschieden, daß Wallrade wieder auf das Leben hoffen darf; der Bußfertigen eigner Wunsch ist's, ihren Mörder frei zu wissen und straflos. Soll ich auf die Seite des unerbittlichen Gesetzes, – jede menschliche Regung mit Füßen treten? Lernt mich besser kennen, Herr, und folgt meinem Beispiele. Mir ist durch des sterbenden Rudiger's Mund bekannt, daß Ihr Antheil genommen an jenem Unglücksbunde auf Baldergrün; laßt Euch nicht durch [218] eifersücht'ge Rache verleiten, hier grausam zu seyn, der Tigerkatze überm Meer zu gleichen, von der die Sage geht, daß sie unbarmherzig noch mit dem Opfer spiele, das unter ihren Klauen zittert – ihm einen Schein, eine Hoffnung – eine Spanne von Freiheit lasse, um es im nächsten Augenblicke unerbittlich zu zerfleischen!« – Da sah der Komthur den jungen Mann mit einem auflodernden Blicke an, der den Ausdruck einer fast beleidjgten Seele annahm. – »Bei meinem Eid!« rief er: »Ihr nehmt Euch etwas viel heraus, junger Degen, und fürwahr, Euer Name ist nicht geeignet, mich nachsichtiger gegen Euch zu machen, aber Euer kühner Muth gefällt mir, ob er mich gleich zu unrechter Zeit an Baldergrün und Wallraden erinnert hat. Ihr mögt wissen, daß der Ritter von Issing keiner Weisung bedarf, um Gutes zu thun. Sein eigen Gemüth befiehlt ihm, keine fremde Zunge. Ihr mögt wissen, daß er schon bei sich beschlossen hatte, den armen Mann zu retten, um Gottes und seines Weibes und Kindes willen, und daß er nur den Augenblick erwartet, der ihm erlaubt, ohne ihn der Straffälligkeit gegen seine Pflicht und gegen den Rath der Stadt zu unterwerfen, der doch einmal unsers Ordens Haus bevogtet und bewacht.« – »Der Augenblick ist gefunden;« versetzte Dagobert freudig, des Ritters Hand ergreifend und dankbar schüttelnd: »wann erschiene er gelegner, wann so günstig? Der Herzog kömmt; von seinem starken Gefolge wird das Haus, werden Sachsenhausens Gassen wimmeln. Die lauernden Söldner vor der Pforte werden durch die Zahl der Fremden – mehr [219] noch durch des Fürsten Gegenwart, der keinen Häscher in der Nähe duldet, zurückgedrängt – genöthigt, aus der Ferne dies Haus zu beobachten, damit der Mörder ihren Netzen nicht entschlüpfe. Morgen Mittag geht ein großer Theil des Comitats auf demselben Wege zurück. In dessen Mitte, im hellen Glanz der Sonne entschlüpfe der Verfolgte. Für reisige Gewänder sorge ich, wie für die Bewilligung des Herzogs Farbe tragen zu dürfen, bis er in Sicherheit seyn wird. Die überraschende Einkehr des Fürsten, der dadurch veranlaßte Tumult im Hause, – die Verwirrung unter den Ein- und Abziehenden rechtfertigt Euch, Herr Ritter, und der von der Rhön ist gerettet, ohne daß Ihr öffentlich die Hand dazu geboten.« –

»Schön ausgedacht,« erwiederte der Komthur spöttelnd: »fein schnell und leicht auszuführen, aber ein jugendlich Vornehmen, das erst die That will, und dann die Überlegung. Wie steht's denn mit dem Manne, wenn er seinen Gefahren entronnen ist? Hülflos ist er in die Welt gejagt, und die Seinen erliegen unter der Last des Unglücks, und unter dem Kummer, den Vater abermals von ihnen getrennt zu wissen.« – »Der Herzog wird helfen;« antwortete nach kurzem Nachsinnen Dagobert: »O, gewiß, er wird helfen. Er hat wieder mit dem Kaiser Friede gemacht, und besitzt, wenn gleich an Länderthum geschmälert, noch manche Hufe Landes, auf welcher ein unglücklicher Hausvater eine sichre Stätte finden mag. Ich hatte ja beschlossen, für mich seine Gunst anzuflehen; aber mit mir ist's ohnehin vorbei, und so mag [220] dem Ärmern werden, wessen ich nichts mehr bedarf. Ich darf mich der Huld des Herzogs rühmen, und rede heute noch mit ihm davon. Ihr aber, Herr Komthur, nehmt meinen Dank für Euer redlich Wollen. Ihr habt mich dadurch mit Euerm Namen ausgesöhnt, der mir aus Rüdiger's Munde nicht lieblich geklungen hat. Bereitet Ihr den Herrn von der Rhön und seine Gattin vor, und laßt mich gänzlich dabei aus dem Spiele. Es ziemt sich nicht wohl, daß meiner Schwester Feind auf meinem Rücken davon schwimme, und ich möchte sei nem wunden Herzen durch kein Wort verrathen, daß er mir, gerade mir, Wallradens Bruder, Dank für sein gerettet Leben, für seine gesicherte Zukunft schuldig sey.« – »Ihr seyd ein wackrer Mensch;« versetzte der Komthur etwas beschämt, wie es die Röthe seiner Wange bezeugte: »'s ist seltsam, daß ein Stamm nebeneinander die herrlichste und die böseste Frucht zu tragen im Stande ist. Um dieses Stückleins willen, so Ihr's vollführt, muß Eure Seele, wenn's zum Letzten geht, gerade auf zum Himmel fahren, des Fegefeuers quitt und ledig. Ich begreife wohl, daß der Dank dreier Menschen eine feste Himmelsleiter seyn mag, und der Herr rechnet vielleicht an meinen Sünden ein Geringes ab, wenn ich mein Scherflein zu der biedern That hinzufüge. Es bleibt also dabei; indessen, so sehr ich mich darob freue, so thut mir weh, daß wir dem Armen nicht den Trost mitgeben können, daß er wisse, wo sein Knabe weilt. Wallrade hat nichtswürdig an dem Kinde gehandelt, und ihr unmütterliches Herz weiß wohl nicht, wo der Bube aufgehoben [221] ist, – im Himmel, oder auf der Erde. Der Knabe ist mein Taufenkel; ich möchte wohl für ihn sorgen, wüßte ich nur .....« – »Für Johannes ist gesorgt;« unterbrach Dagobert den Komthur freundlich und zuversichtlich: »er lebt, und lebt in Wohlbehagen und Freude Er vermißt nicht die herzlose Mutter, nicht den Vater, den er nicht gekannt. Aber seines Lebens Stätte und Heimath verschweige ich barmherzig dem Vater. Soll diesem einst Glück blühen in seiner frisch aufstrebenden Häuslichkeit, so bleibe ihm und seiner Gattin der Sohn fremd. Für beide wäre der Unschuldige nur eine quälende Erinnerung, die den Frieden ihres Hauses vergiften, ihm ein trauriges Leben bereiten würde. Ich gelobe es Euch, Herr Komthur, Johannes ist in den besten Händen, und einst sollt Ihr Euch selber davon überzeugen. So viel ich Euch jetzt gesagt, mögt Ihr dem bekümmerten Vater auf Euern Rittereid ungefährdet mittheilen. Nur unsers Geschlechts Namen nicht dabei genannt. Laßt dem Herzog vor allem und Euch zunächst das Verdienst der guten That, und Gott gebe hiezu sein gnädiglich Gedeihen.« –

Pferde und Wagen braußten und rollten in den Hof. Das lebendige Getümmel eines reisigen Zugs, das Gelärme des fürstlichen Trosses spottete der still gewordnen Nacht, und brachte in das einsame Deutschordenshaus alles Geräusch eines mächtigen Fürstenhofs. Der Komthur eilte, den Herzog ehrerbietig an der Pforte des Hauses zu empfangen, und ließ den Hof von Fackeln erleuchten, daß er im Mittagschein zu liegen schien. Mit einem freundlich herablassenden [222] Gruße stieg Friedrich aus den Bügeln, und schritt auf den Komthur und den herzukommenden Dagobert gestützt, die Treppe hinan, nach den Prunkgastzimmern des Gebäudes, die durch die Sorgfalt des Trappierers schon bereit standen, den hohen Fremdling gebührend aufzunehmen. Der Herzog, müde von der Reise, verschmähte das angebotne Mahl, entließ bald den Komthur, dem er nur auf wenig Tage lästig zu fallen verhieß, und behielt nur seinen wiedergefundnen jungen Freund, seinen Dagobert, bei sich zurück, den er vermocht hatte, die Nacht mit ihm zu verplaudern, in welcher der von Schlaflosigkeit geplagte Fürst ohnedies seit geraumer Zeit keine erquickende Schlummerruhe fand. – Der kommende Tag begann eben so geräuschvoll, als der vorige geendet hatte. Die Wachen des Herzogs geriethen in Händel mit den Söldnern des Raths, die sich nicht zurückziehen wollten. Friedrich sandte einen seiner Junker nach dem Römer, um von seinem Erscheinen Meldung zu thun, und den ärgerlichen Streit beizulegen. Eine Ehren- und Schildwache des Raths besetzte nun die Pforte des Deutschherrenhauses, die Häscher zogen sich in die nächsten Straßen, und mußten auf ihr Amt so gut als verzichten, da das Volk, so wie es von der Einkehr des Herzogs erfuhr, in hellen Haufen herbeieilte, um das Haus anzugaffen, in welchem sich der Mann befand, der es gewagt hatte, zu Ehren deutscher Treuen und Redlichkeit, dem Kaiser wie einem großen Concilio die Spitze zu bieten, und lieber einen großen Theil seiner Habe aufgeopfert hatte, als seinen Schwur, sein Fürstenwort. So [223] verstrich die Hälfte des Morgens, und die anwallende Fluth der Menge, welche beständig hoffte, den Herzog ausreiten zu sehen, stieg immer höher, so daß die Gesandtschaft der Stadt, da sie gegen Mittag zum deutschen Hause kam, um den erhabnen Gast zu begrüßen, kaum Raum genug finden mochte, um hindurch zu dringen. Was den Ermahnungen der Väter der Stadt nicht gelang, gelang den mächtigen Pferden, die auf großen Wagen die Gaben heranzogen, welche das gemeine Wesen der Stadt dem Fürsten, der Sitte der Zeit gemäß, darzubieten hatte. Diese Huldigungsgeschenke bestanden in Wein, Heu, Hafer und Fischen, und der Schultheiß, umgeben von den Bürgermeistern, dem Oberstrichter und den Schöffen, alle in ihre Amtstracht gekleidet, bat den Herzog, vor dessen Angesicht endlich die Gesandtschaft gelangt war, die Geschenke als einen Beweis des guten Willens der Bürgerschaft, und ihrer Anhänglichkeit an den Stamm Östreich, von dem schon mancher um das deutsche Reich verdienter Fürst ausgegangen, huldvoll anzunehmen. – Der Herzog, umringt von seinen Marschällen, Dienstjunkern und den Kreuzherren, seinen gastfreundlichen Wirthen, nahm sowohl die Rede des Schultheißen, als auch die zu Hofe gebrachten Gaben mit der ihm eignen Leutseligkeit auf, und erwiederte dagegen: »Seyd bedankt, ihr lieben Herren und Freunde, für das, was Ihr mir aus gutem Herzen reicht, und auch jetzo wieder, – Gott sey Preis und Lob, – reichen dürft; denn unser Haus ist wieder erlöst von des Reiches Acht, und wir sind wieder einig geworden mit unserm lieben Herrn, dem[224] Kaiser.« – Der Herzog bemühte sich, die bittre Miene, die sein Antlitz bei diesen Worten beschlichen hatte, in eine freundliche umzuwandeln, und fuhr fort: »Darum mögt Ihr mir wohl vergönnen, einige Tage unter Euch zu weilen, und mich in Euern Mauern umzusehen, dieweilen ich wichtige Angelegenheiten gerne schlichten möchte, über die Euch mein Kanzler eines Weitern belehren wird. Zugleich jedoch habe ich gehofft, hier eine Sache abzuthun, die mir nicht minder am Herzen liegt; ich habe indessen vernommen, daß sich mir Hindernisse entgegenstellen. Ich habe an den Juden David, Sohn des alten Jochai, der Eures Schutzes genoß, Gelder zu entrichten, die er mir vorgeschossen. Ungern mußte ich hören, daß der Mann sich nicht mehr in hiesiger Stadt befindet, wie auch niemand seiner Angehörigen.« – »Er hat sich flüchtig gemacht;« versetzte Achselzuckend der Oberstrichter; »und uns mangelt Kunde, wo er hingerathen.« – »Das ist schlimm, ihr Herren;« entgegnete Friedrich ernst: »wir dachten, in Gnaden uns des Mannes anzunehmen, und ihn nach Innsbruck zu setzen, als unsern Hofwechsler; denn wahrlich, er ist der Erlichsten einer, und mit Bedauern erfuhr ich, daß man ihn allhier unredlich beklagt, übel gehalten, und seinen ganzen Wohlstand zertrümmert habe.«

Der Oberstrichter zuckte wieder mit verlegnem Gesichte die Achseln; der Schultheiß aber, den des Herzogs Rede spitzer traf, antwortete: »Mag seyn, gnädiger Herr; allein der Schein war wider den Mann, und noch hat er sich vor unserm Stuhle, vor [225] welchen er doch mit Leib und Leben gehört, nicht vollkommen gereinigt.« – Die Betonung, mit welcher der Schultheiß diese Worte vorbrachte, verfehlten ihren Entzweck nicht. Der Herzog furchte die Stirne, und sagte: »Gar wohl, mein Herr Ritter und Schultheiß. Ich habe nicht Befugniß, mich in Eure Gerechtsame zu mischen, welche von Kaiser und Reich bestätigt und verbürgt sind. Ich meine jedoch, daß Recht und Urtheil Jedem gleich seyn soll, sey er nun getauft, oder nicht. Ihr habt hier, wie ich höre, einen Judenarzt, dem Ihr Euren Körper anvertraut, sonder Furcht und Angst; warum schenkt Ihr dem, der vor Euern Schranken steht, nicht gleiches Vertrauen? Doch, geschehen ist geschehen, und ich bin bereit, die fraglichen Gelder einem berühmten hiesigen Manne zu übergeben, damit der Jude, kehrt er jemals wieder, oder wird uns von ihm Kunde, wieder zu seinem Eigenthum komme. Ich glaube zu diesem Entzweck keinen bessern aus Euch wählen zu können, ihr Herren, als den Schöffen Diether Frosch; einen biedern, ehrlich strengen Mann, den ich bitte, sich mir vorzustellen.« – Diether trat aus den Reihen der Schöffen, und verneigte sich ehrbar vor dem Herrn. Der Herzog ließ eine Weile den Blick auf ihm ruhen, wendete sich dann zur Seite, und sprach zu Dagobert, den er aus der Schaar seiner Umgebung zu sich winkte: »Dieser also ist Dein Vater, Dagobert?« – Dagobert bejahte freundlich, und grüßte den Vater. – »Mich freut's, ihn kennen zu lernen;« fuhr der Herzog fort, dem Altbürger die Hand reichend: »seyd mir willkommen, alter Herr, [226] und empfangt meinen Glückwunsch zu Euerm wiederhergestellten Hausfrieden, wie zu Euerm Sohne. Ja, lieben Freunde!« setzte er hinzu, dem jungen Manne vertraulich und wohlwollend auf die Achsel klopfend, »einen bessern Mann als diesen hier, hat Frankfurt sicher nicht aufzuweisen, und vielleicht nicht allzuviele die ihm gleichen. Es macht mich froh, die Tugenden und seltnen Eigenschaften des Junkers vor Euer Aller Augen würdigen und preisen zu können. Er ist der treuste, redlichste und heiterste Mensch, den ich kenne, und Schade wäre es, wenn so viel Gutes in einem Kloster verkümmern sollte, wie es den Anschein hat. Nicht wahr, liebe Herren und Meister?« – Der Schultheiß kaute an den Lippen, über des Oberstrichters Stirne flogen trübe Wolken, aber beide bückten sich gleich den Andern, und stammelten ein: »Freilich, gnädigster Herr, ... aber ... Beweggründe ...«

»Schon gut«; meinte der Herzog mit einem verächtlichen Blicke auf sie: »ich weiß bereits Alles. Vielleicht kenne ich aber auch ein Mittel, diese Ungerechtigkeit des Muttergelübdes wieder gut zu machen. Ich wertze heute noch an den hochwürdigen Dechant Herdan, der am heftigsten, wie der Ohm des jungen Mannes, auf dessen Weihe besteht, einen pergamentnen Brief senden, in welchem der heilige Vater, Martin V., die Freilassung die der abgetretne Pabst dem Dagobert Frosch ertheilte, im Ganzen bestätigt, mit dem Vorbehalte jedoch, daß ein anderes Glied der christlichen Gemeine, sey es nun ein Mann, oder sey es ein Weib, an seiner Statt das kirchliche Gelübde ablege. Ich zweifle [227] nicht, daß eine fromme christliche Seele zu diesem Berufe bald sich finden werde, und ermahne sowohl den Vater Dagobert's, als auch sämmtliche Herrn vom Rathe, wie vom Kapitel, denselben von dem Gelübde, das er durchaus ablegenwill, abzuhalten; bedenkend, daß Gott kein Gefallen hat an einem Diener, der sich ihm nur opfert, weil er mit der Welt zerfallen zu seyn glaubt. – Stille, guter Freund,« flüsterte er nach diesem dem Sohne Diethers zu, welcher einige Worte der Weigerung auf der Zunge hatte: »Montfort hat mich nicht früher an diese Pflicht gemahnt, als mein Herz es schon gethan hat. Erlaubt mir daher, den Weg zu Euerm Besten, – sey's auch für Heute Euerm Wunsche zuwider, – kräftig fortzusetzen.« – Dagobert verstummte ehrfurchtsvoll; dagegen ward es an dem Hofthore laut und geräuschvoll. Die Blicke aller Anwesenden flogen durch die Reihe stattlicher Fenster hinab gegen die Pforte, und befremdet sah der Herzog die Rathsherren an, da er einen Streit zwischen Leuten seines Gefolges und den Stadtwächtern gewahrte. »Ei, was gibts dort, ihr Herren?« fragte er mit gerunzelter Stirne. Ein Bürgermeister wollte hierauf sogleich hinunter, um nach der Veranlassung des Vorfalls zu forschen, allein der Oberreiter welcher eintrat, verkündete sie, indem er meldete, die um das Haus vertheilten Wächter seyen ob der bedeutenden Zahl von Reitern, die dasselbe verlassen wollten, argwöhnisch geworden, und witterten unter denselben den Verbrecher, der sich hier versteckt halte. – Des Comthur's Stirne, so wie Dagobert's Wange flammte; der Herzog ließ [228] sich nicht aus seiner strengen Haltung bringen, sondern nahm eine noch drohendere Stellung an. »Was soll das heissen?« rief er, indem ein Zorngewitter über seine Züge lief: »Bin ich denn Herzog Friedrich oder ein Landstreicher, von dem man nicht weiß, von wannen, er kommt, wohin er geht, und dem man nicht über den Zaun traut? Jesus Christus! Werden Österreichs Farben nicht höher geachtet, als der Bettelbrief eines Gauners? Nein fürwahr; das mögt Ihr abstellen, ihr Herren, denn ich werde mich nimmer herablassen, Eure Erlaubniß zu fordern, will ich mein Geleit zurücksenden, wie Heute geschieht. Um Eure Verbrecher kümmre ich mich nicht, und frei will ich Alle sehen, die mein Wappen und Zeichen tragen. Darum befehlt stracklich und ohne Verzug, daß man meinen Wildmeister auf Schloß Ambras, sammt seinem, in jenem Rollwagen befindlichen Weibe und Kinde und dem anvertrauten Gefolge, das ich gen Tyrol sende, ungehindert ziehen lasse, bei meiner Ungnade.« – Diese ernstlichen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Ein Schöffe eilte, um das Gebot des Fürsten schleunigst vollziehen zu lassen, und mahnte die Wächter ab, die sich noch immer ungestüm in den Weg des reisigen Trosses warfen, und sich auch nicht so willig den Geboten des Schöffen fügten, als dieser es erwartet hatte. – »Seht, ehrsamer Herr!« behauptete der Anführer der Söldner: »ich will nicht selig werden, wenn das Weib, das sich so ängstlich hinter jenes Wagens Vorhänge verbirgt, nicht dasselbe ist, das gestern und erst noch Heute mit einem Kinde zu diesem Hause kam, um [229] den darin versteckten Mörder heimzusuchen, und ganz gewiß befindet sich der Letztere unter diesem übermüthigen Trosse.« – »Und wenn es wäre,« erwiederte der Schöffe heftig, – »so befiehlt, doch hier der Rath, und an Euch ist's Gehorsam zu üben.« – »Ei, so waschen wir unsre Hände in Unschuld;« antwortete der Führer unmuthig, und wendete sich gegen die Seinigen. Indem ritt der Anführer des Zuges heran, und fragte: »Wird's bald, Herr Schöff? Wie lange soll's noch dauern, frage ich?« – Der Schöffe, der dem Frager in's Auge sah, vermochte nichts zu entgegnen, denn er selbst, der den Todtschläger vor wenig Tagen bis zu der Thüre des deutschen Hauses verfolgt hatte, glaubte in dem schmucken Jägersmann den Gebannten zu erkennen. Dachte er sich den wirren Bart sauber geschoren, die grobe Kutte vertauscht mit einem grünen prächtigem Rock, an der Stelle des Gürtelstricks Österreichs. Schärpe, so waren es die Augen, die Züge, die Gestalt, die Stimme des flüchtigen Mörders. Der Schöffe, ein junger Mann, war in feiner Überraschung auf dem Punkte, das Gebot seiner Herren eigenmächtig zu wiederrufen, aber zu eben derselben Zeit donnerte der Ruf des Hauptsmanns: »Laßt freien Paß! durch die Reihen der Fußknechte;« auseinander flog der drohende Trupp; und unter Hörnerschall jubelte der reisige Troß, den bedeckten Wagen in der Mitte, durch die staunenden Hüter hindurch, entlang die Straßen von Sachsenhausen, hinaus aus dem Thore, und ohne Säumen fort auf dem Heerwege, den der Herzog am verwichenen Tage [230] einhergezogen. Und als die Warte, hinter den Reitern lag, und mit ihr die Gränze der Reichsstadt, da näherte sich der Anführer, nach dankbarem, den Vornehmsten des Geleits gereichten Handschlage, dem Wagen, aus welchem ein in Thränen schwimmendes Frauenantlitz, und ein rosiges Kindergesicht ihn anlächelten. Gerührt reichte er die Hand seinen Lieben, und rief: »Segne Gott den edeln Herzog und den biedern Comthur. Wir sind frei, und ein guter Engel möge Dich, Katharine und unser Mägdlein erhalten zu meiner langen Freude, und mich einst ruhig sterben lassen in Euern Armen. Sieh, mein gutes Weib, dort hinter jenen aufdämmernden Bergen, dort liegt unsre neue Heimath. Laß' uns vergessen, was bis jetzo uns schmerzlich gepeinigt. Ich hatte die schwere Prüfung verschuldet, aber Gott ist gnädig und Deine Fürbitte, Du Reine, von ihm erhört worden. Wir dürfen – ich ahne es, – wir dürfen noch glücklich seyn!« –

Fußnoten

1 Das dem Musikkenner wohlbewußte Lied, welches seine Anfangssylben zu Bildung der Tonleiter hergab, und in mittelalterlicher Zeit als Mittel gegen die Heiterkeit gesungen wurde. ›Ut queant resonare fibris etc.

10. Kapitel
Zehntes Kapitel.

Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren,

Und nicht in Dir, Du bleibst noch ewiglich verloren.

Geistlicher Spruch.


In einer einsam Zelle des Predigerklosters saß Dagobert, die Laute in der Hand, und sang mit [231] halblauter Stimme ein frommes Lied, zu welchem das schwermüthige Antlitz des Jünglings, wie die klagenden Töne, die er den Saiten entlockte, passende Begleiter waren. Er überhörte, ganz seinem Tiefsinn hingegeben, daß man schon einigemal leise an die Thüre gepocht hatte, bis dem rüstigen Klopfer draussen die Zeit lange wurde, und seine Hand die Klinke öffnete, ohne ferner ein einladendes Wort von innen zu erwarten. Dagobert staunte, den Hülshofner vor sich zu sehen; allein, da mit dem Gesichte des Bekannten auch zugleich manche wohlthuende Erinnerung wieder vor seiner Seele wach wurde, so verzog sich unwillkürlich sein ernst geschlossener Mund zu einem freundlich bewillkommenden Lächeln, und er fragte sanft: »Ei, alter Freund, wie kommt Dein fröhlich Angesicht in diese Klause? Mich befremdet das, obgleich ich Dich gerne hier sehe.« – »Laßt mich Euch mit einer andern Frage antworten;« entgegnete Gerhard, der sich ohne weiters neben den jungen Mann setzte: »Wie kommt der weiland fröhlichste Geselle in der Wetterau in diese enge Zelle, wo alle Freuden des Lebens schon vor der Thüre Valet nehmen? Traun, ich hätte nimmer gedacht, Euch wieder zu finden, schmal und blaß, trotz einem bußfertigen Sünder, der zur Seelgerette noch vor seinem Ende in eine Kutte kriechen will, um sich darin in den Himmel zu stehlen.« –

»Deine Vergleichung könnte mich kränken,« versetzte Dagobert gelassen, »wenn ich sie nicht Deiner Narrheit zu gut hielte, Freund.« – »Narr hin, Narr her,« erwiederte Gerhard lächelnd: »Laßt das [232] gut seyn, Junker. Schon oft hat ein lustiger Narr durch seine freie Rede mehr Gutes gestiftet, als der hohläugigste Fastenprediger durch seine abschreckende Tugend. Ihr konntet mich einst wohl leiden, und deßhalb habe ich's, nach meiner Rückkehr von einer lustigen Rheinfahrt unternommen, Euch auf den Zahn zu fühlen, und meine Meinung zu sagen, – deutsch und gerade heraus, wie ich mir sie denke. Bei allen Kreuzen und Dornen! Ihr seyd nicht mehr der Schatten dessen, der Ihr ehemals wart. Und desto schlimmer ist's, da Ihr Euch selbst zum Schatten machtet. Hui! wie viele Freude machtet Ihr mir, da Ihr auf dem Wege wart, ein recht ungeschlachter Kapitelherr zu werden, geistlich aus Zwang, aber rüstig bei Jagd und Gelage! Aber nun, da das Gelübde Eurer Mutter den Stachel verloren hat, und es Euch frei steht, einen Andern an Eure Stelle zu schieben, nun zieht Ihr freiwillig die Kaputze über die Ohren, um darunter ein rechter Tuckmäuser zu werden, aus eigner Wahl! Schämt Euch, zum Frömmler seyd Ihr nicht geboren, und der Friede belohnt niemals solch widernatürlich Beginnen.« – »Du schiltst mich unverdient;« antwortete Dagobert, ohne jedoch eine leichte Röthe bezwingen zu können, die über seine bleiche Wange hinlief: »Mein Bewußtseyn verheißt mir den Frieden, wenn ihn auch diese Mauern nicht verleihen sollten. Ich habe Ruhe und Glück in meines Vaters Haus zurückgeführt. Darinnen, in dieser Überzeugung finde ich tröstenden Balsam für mein ganzes Leben, das jeder andern Blüthe tückisch beraubt worden ist.« –

[233] Gerhard lachte wieder und rieb sich mit einer Art von Freude die Hände. »Der liebe Gott,« sprach er, »hat mich zur Abwechslung einmal wenigstens im Leben vernünftiger gemacht, denn Euch. Ich traue kaum meinen Ohren, da ich Euch also reden höre. Ich begreife aber leicht, warum Herzog Friedrich, Euer Freund und Gönner, sich so schnell davon gemacht hat. Es thut weh, den Busenfreund verrückt zu sehen. Ich will mit meiner steifen Zunge die bloß an das Vorwärts! Kolbe auf! Lanze ab! Schlagt zu! Hopp, mein Fuchs! und an das beliebte: ›Eingeschenkt!‹ größtentheils gewöhnt ist, versuchen, Euch klar und heiter darzustellen, wie Ihr gehandelt habt. Närrisch für's Erste, denn Ihr zieht ohne Noth den Mönch über Euern ritterlichen Leib. Der zaundürre Dominik Pfülber aus dem Lamprechtgäßlein, der feiste Henne Wiedling unter den neuen Krämen, beide arme Teufel, die um ein Stück Geld augenblicklich baarfuß gehen, und den Bettelsack umwerfen würden, haben Euch um aller Heiligen willen gebeten, ihnen an Eurer Statt zum Himmel zu verhelfen. Ihr habt's nicht gethan, obgleich Euch beide Schlucker um ein Paar Pfund Heller feil gewesen wären. – Eitel und thöricht handelt Ihr für's Zweite Ihr meynt, Ihr habt Glückliche gemacht? O, Ihr irrt Euch sehr. Was Euer Biedersinn gut gemacht hat, verdirbt Euer verderblicher Dumpfsinn um so gewisser. Seht Euern Vater an, der nach einem Erben seiner Habe aussieht, und nur die Wahl hat, seinen Stamm gleich einem unfruchtbaren Baum abdorren zu sehen, oder Alles seinem Enkel zu überlassen, [234] dessen Anblick ihm, der Mutter willen, jedesmal einen Stich versetzt, da wo sich die linke Schulterplatte des Harnisches öffnet. Seht Eure Stiefmutter, die ihr ganzes wiedererworbenes Lebensglück durch den Gedanken vergällt sieht, Euch, ihren Heiland, unglücklich zu wissen. Seht den kleinen Johannes, der einst vergebens an der Brust des liebeleeren Mönchs den Freund suchen wird, zu welchem ihm der beweibte Mann geworden seyn müßte. Seht endlich Euern väterlichen Lehrer Johannes, dessen Antlitz über Euer Beginnen von Gram gefurcht ist, der seufzend schweigt, da die Pflichten seines Standes ihm verbieten, Euch zu ermahnen, demselben nicht beizutreten. So steht's um das Glück Eurer Angehörigen, und ich will nicht einmal davon reden, wie mir's ums Herz ist, der ich Euch so viel verdanke, und wahrlich für Euch gerne Messe lesen würde, wenn ich zu dem verdammten Latein nicht schon gar zu alt wäre. Glücklich durch Euer freiwillig Unglück wird nur der Pater Reinhold, der für sein Kloster im Trüben fischen wird, bei Eurer Stiefmutter, wird nur der hochnäsige Prälat, Euer Ohm, der in Euerm Hause liegt, wie ein schmarotzender Blutigel, und sich an Euerm Erbe für den lumpigen Maierhof zu entschädigen gedenkt, den er einst der bösen Wallrade abgetreten. Lachen wird nur der Schultheiß, der Euch weniger leiden mag, als mein Roß eine Bremse; sich freuen wird nur der Oberstrichter, der, weil er seinen lüderlichen Sohn in so verdrießlichem Handel verlor, Eurem Vater herzlich den Verlust des seinigen gönnt. O, ich könnte, da ich einmal in Fluß [235] gerathen bin, dieses Bild noch sehr in die Länge dehnen, aber schon wird meine Zunge trocken, und ich muß eilen, Euch noch zu guter Letzt vorzurücken, wie unverzeihlich blödsinnig ihr drittens und schließlich handelt. Ihr sagt, alle Blüthen hätten Euerm Leben abgeblüht, alle wären Euch tückisch geraubt worden? Donner und Hagel! Ist das eine Sprache für einen Mann, oder überredet sich nicht vielmehr also ein krankes Gemüth, eingesperrt in dumpfiger Zelle? Welches Glück vermißt Ihr? Den Besitz einer Jüdin, vor der jeder Rechtgläubige ein Kreuz schlägt, weil sie ein Satanskind ist, wenn gleich ein recht feines. Glaubt mir, junges Herrlein, ob ich gleich nicht gelahrt bin, wie Ihr, durch die Juden ist alles Unglück auf die Erde gekommen. Wer erschlug den guten Christen Abel? Der abscheuliche rothköpfige Jude Kain. Wer hat unsern Herrn und Heiland verrathen und verkauft, den rechtschaffensten Christen seitdem die Welt steht? – Der verfluchte rothhaarige Jude Ischarioth. Wer hat den wackern Haman aufhängen lassen, und den ganzen Hofstaat des damaligen römischen Kaisers Ahasverus? Wer anders als die abscheuliche Esther, die einen Ohm hatte, zehnmal schlechter als der Eure? Seht, indem ich also an Alles das denke, was mir in der Jugend der Leutpriester zu Friedberg eingebläut hat, so dreht sich mir das Herz um bei dem Namen Esther. Ihr und ich, und die Euern wären nimmer dergestalt in die Tränke gekommen, wären Ben David der Jude nicht gewesen, und nicht dessen Tochter Esther, an deren Haupt Ihr die Hörner nicht sehen wollt, wie [236] unter den Fransen ihres Kleides nicht die Pferdefüße. Wißt Ihr, woher das kömmt? Weil sie Euch einen Liebestrank beigebracht hat bei zunehmendem Mond. Wenn sie Euch liebte, warum ließ sie sich nicht taufen? Warum lief sie davon? Eine schöne Sippschaft in die Ihr schier gerathen wärt. Der Vater hängt vielleicht schon irgendwo am lichten Galgen, oder sucht in der Ferne ein Paar neue Ohren. Der aus den Wolken gefallne Bruder wird vielleicht in diesem Augenblick als Falschmünzer in kochendem Öl gesotten, und das heuchlerische Esterchen ..... Nun, nun! runzelt nur die Stirne nicht also, und haltet Eure Geduld nur ein klein wenig noch fest. Ich meine es ja nicht so böse, aber ich denke, der liebe Herrgott wird wenig Freude daran haben, wenn er Euch vor seinem Altare stehen sieht, im Meßgewand, den Kelch mit seinem heiligen Blute in Händen, und das Bild einer unheiligen Jüdin im Herzen!« –

Dagobert unterbrach durch eine heftige Bewegung den Redefluß des Edelknechts, der in seinem ganzen Leben nicht so viel auf einmal geredet hatte, und, nachdem er der Freundschaft dieses unerhörte Opfer gebracht, sich allenthalben und vergebens in der dürftigen Zelle nach einem Trunk Wein umsah, um sünen dürren Gaumen zu netzen. »Wir sind Freunde gewesen, so Du weiter fortfährst, altes Sieb!« sagte Dagobert heftig, und ein Funke des alten lebendigen Geistes schlug aus seinen Augen. »Beinahe kommt mir der Glaube an, daß man Dich, den wunderlichen Redekünstler, abgesandt, um mich kirre zu machen. An den unüberlegten Worten eines [237] rohen Fechtmeisters soll mein Vorsatz stumpf werden, der schon Vaters Ermahnungen, den Bitten der Mutter und der Mißbilligung des hochwürdigen Johannes widerstand? Welch ein Mensch wär' ich dann? Du, – Ihr Alle begreift es nicht, was ich an Esther verloren; Ihr wißt nicht, daß dieses Mädchen in seinem Irrthume reiner und heiliger ist, als die frömmste Nonne. Ihr ahnt nicht den Werth des Kleinods, das von meiner Brust fiel in das tiefste Meer. Die Welt bietet mir keine Freude mehr; aber diese kleine Zelle, in welcher ihr Bild zum allererstenmale in mir emporstieg, ist jetzt noch von ihm erfüllt, wird es ewig seyn. Darum will ich selbst der Mutter Schwur erfüllen, und nicht feilen Miethlingen die Sorge überlassen. Hätte ich einen Seelenfreund, einen Blutsverwandten, der aus reiner Anhänglichkeit für mich das Kreuz auf sich nehmen wollte, vielleicht hätte ich, wenn gleich wider Wunsch und Willen, den Bitten der Ältern willfahrt; aber da dieses nicht war, nicht ist, so ist's beschlossen, auf immerdar, hier in Abgeschiedenheit die Lust zu genießen, welcher ich in der Welt entbehren würde auf ewig!« –

»Thor aller Thoren!« rief Gerhard aufspringend aus: »Ihr redet also, und draußen lacht der blaue Himmel, rauschen die dichten Zweige, und zwischen ihre Schatten streut Frau Sonne ihre Goldstrahlen, welche den Saft der Traube kochen, und im Voraus Jedem Fröhlichkeit in's Auge blitzen, wie in's Herz? Wie anders würdet Ihr reden, hättet Ihr mit mir die heitre Rheinfahrt gemacht auf dem blankem Wasserspiegel, durch gesegnete Fluren und [238] heitre Städte; hättet Ihr mit mir erklimmt die Burgen der Freunde, wo es treuen Händedruck gab, und Sang und Klang und Berglust; hättet Ihr mit mir die Thäler besucht, wo aus jeder Hütte ein freundlich Dirnengesicht lacht, von jedem Giebel schier der lustige Tannenbusch schwankt, und mit Fidel und Schalmei die Erndte gesammelt wird; hättet Ihr mit mir gekostet vom herrlichen Weine, den der Keller des Bürgers aufweisen kann, wie die Gewölbe der Schlösser und das plumpe Faß des Weinbauers! Kreuz und Dorn! Wer jemals zu Bacharach saß auf dem Stalecker Fels, den Scheitel mit Reblaub bekränzt, ein Mädel im Arm, den Pokal in der Hand, und den Blick weit schweifend über Strom, Städte, Schlösser, Berge und Ebenen, – und hat nicht den Herrn gepriesen unter dem Dache seines prachtvollen Hauses, ... der freilich hat an der ganzen schönen Welt keine Freude, und mag sich auf den Friedhof legen, wann es ihm gefällt, ihm zum Nutzen und seinem Nachbar zum Frommen. Aber das könnt Ihr nicht; das sagt mir Euer glänzendes Auge, das sich aufgethan hat bei meinen Worten, Eure hochathmende Brust, die sich endlich wieder hebt, wie es einem jungen Kämpen geziemt, und die Leibfarbe der kecken Jugend, die sich abermals auf Euerm Gesichte zeigt. Werft sie vollends ab, diese Trauer, diese unmännliche Schwermuth. Ich bin ein rauher und derber Geselle, aber weinen möchte ich, wie ein gepeitschtes Kind, sehe ich Eure angeborne Fröhlichkeit in solch traurigen unnatürlichen Banden liegen.« – Dagobert rieb sich die Stirne, hielt die Hand einen Augenblick [239] auf der Brust, schüttelte dann mit mildwehmüthigem Lächeln seine Locken, und des Freundes Hand. »Wahrlich,« sagte er: »Gerhard! ich hätte nicht so viele Anlagen zu einem Sänger hinter Dir gesucht. Deine Worte haben mich um so mehr ergriffen, als ich ihrer aus Deinem Munde nicht gewärtig war. O, warum sprachst Du nicht blos von dem, was Du besonders liebst: von Deinem Rosse, Deinen Fechterkünsten, Deiner Trinklust und Deinen Schulden? Ich wäre im Geleise geblieben, und das Leben mir noch abgestandner erschienen, denn zuvor, aber wie ein Zauber hat Deine Rede auf mich gewirkt. Seit Wochen schon glaubte ich, mit mir fertig geworden zu seyn. Indem ich das Vaterhaus verließ, und wieder zu dieser Zelle zog, dachte ich die ganze Welt dahinten gelassen zu haben, aber nun war mir es plötzlich, als müßte ich mindestens noch einmal hinaus in die weite Schöpfung, und noch einmal ihr ganzes Bild in meine Augen ziehen, um sie dann auf ewig in Klosternacht zu schließen. Der alte Muth hat angeklopft in meiner Brust; der alte Frohsinn lüftete meine Stirn, und wenn auch gleich diese herrliche entzückende Bewegung nicht zur That werden darf, so habe Dank dafür, Du gute treue Seele. Gehörte mein die Jakobskirche zu Compostell mit all ihren Kronen und Schätzen, – wären mein die Kleinodien des Reichs, – Dein müßten sie werden für das Hochgefühl dieses Augenblicks.« – »Seht Ihr wohl, wie Ihr schwärmt!« lächelte Gerhard zufrieden: »Die Kronen des heiligen Jakob, wie unsers Herrn und Kaisers wolltet Ihr hinwerfen um den [240] Schatten dessen, was Euch die Wirklichkeit umsonst bietet, und eine Grille nur verhindert anzunehmen! Ich schenke Euch indessen meinen Lohn nicht, und Ihr werdet, statt mir Silber und Gold zu schenken, mir etwas zu Liebe thun.«

»Sprich!« entgegnete Dagobert mißtrauisch. – »Thut einen einzigen Schritt noch zurück in die Welt, der Ihr Valet zu sagen denkt;« sprach Gerhard: »erheitert noch für einen Augenblick das Haus Euers Vaters. Er feiert heute den Jahrstag seiner Vermählung, und – ich darf's nicht läugnen, – er, der ehedem nie gute Freundschaft mit mir hielt, er hat mich aufgesucht, und mich gebeten, auf meine Weise zu versuchen, was nicht seinem Munde und nicht dem Munde Frau Margarethens gelingen mochte.« – Dagobert schwieg erschüttert; dann sagte er, den Kopf schüttelnd: »Dieser Gang wird mir weh thun; denn alle Proben meiner Standhaftigkeit werden sich verdoppelt erneuern.« – »Ei, so zeigt Euch doppelt standhaft;« versetzte mit gutmüthigem Scherz der Edelknecht: »kommt aber mit mir; noch ehe der Pförtner das Kloster schließt, bringe ich Euch frei und frank hieher zurück, und Ihr mögt Euch meinentwegen Morgen schon die Platte scheeren lassen. Aber heute seyd noch einmal den Euern; heute fehlt nicht in Eurer Eltern Mitte; denn nicht froh würden sie seyn, sagten sie, wenn der Schutzgeist ihres Glücks unter ihnen fehlte. Darum, wollet nicht des Tages Freudenwein durch Eure halsstarrige Weigerung in Wermuth verkehren. Es gibt ja in dem Ehestand. Galle genug durch's ganze übrige Jahr.«

[241] Dagobert's Augen wurden feucht; seine Blicke flogen gen Himmel und mit einem freundlichen: »Keinen Wermuth in den Becher meiner Ältern!« ergriff er das Barett, die Hand des Freundes und verließ mit ihm schneller, als dieser es gedacht hatte, das Haus des heiligen Dominikus, um seinen Ältern festliche Wohnung einmal, das Letztemal – dachte er – vor seiner Einkleidung zu betreten. – Wie wurde ihm zu Muthe, da er dieses Haus wieder sah, geschmückt mit der alten gediegenen Pracht, die nur bei den feierlichsten Anlässen hervorgeholt würde aus den bergenden Schreinen. Schon die Flur, die Treppe verkündete Festlichkeit, und aus den Mienen der, dem Sohne des Hauses entgegeneilend Diener leuchtete das Behagen, den willkommensten Gast, zu empfangen. Der alte Diether, von der guten Botschaft erfreut, umarmte den Sohn auf der letzten Treppenstufe, und Frau Margarethe trug in ihren zarten Händen den aus silbernen Münzen kunstfertig zusammengefügten Pokal herbei, um ihn, mit duftendem Weine gefüllt, dem lieben Dagobert zu kredenzen.

»O, meine Ältern!« sprach der überraschte und gerührte Jüngling, ihre Liebkosungen dankbar vergeltend, ... »wie macht Ihr mir es doch so schwer, dieses Haus wieder zu betreten, da ich es ja doch wieder meiden muß? Aber Euers Vermählungsfestes Jahrstag, der zugleich meiner wackern Mutter Geburtstag ist, forderte meine Gegenwart, obgleich noch in diesen unheiligen Kleidern dabei erscheinen muß.«

[242] »Vor dem Herrn ist der reine unbescholtne Sinn das hochzeitlichste Gewand,« sprach dagegen der Predigermönch Johannes, der, Wallradens Söhnlein an der Hand, zu den Umschlungenen trat: »Ein drolliger Schalk hat Dich der Klause entlockt, guter Dagobert, in welcher ich Dich ungerne sah. Möge ein guter Engel es fügen, daß Du nicht mehr dahin zurückkehrest.« – Der junge Mann sah ihn betroffen an. Während dessen aber ergriff Diether ihn bei der Hand und führte ihn in die Stube ein, um deren Tafel ein bunter Kranz fröhlicher Gäste sich reihte. Die Männer, größtentheils nahe Freunde des Hauses, begrüßten den Sohn mit dem gewichtigen Handschlage; die geladenen Frauen mit sittiger Kopfneigung, und er rieb sich verwundert die Augen, als ihn der Vater zu seiner Rechten setzte, und er in seinen Nachbarinnen die Edelfrau von Dürning und ihre anmuthige Tochter Regina erkannte. Beide Frauen, seine Überraschung gewahrend, theilten sie gewissermaßen, in einer Befangenheit verharrend, die sich in Mutter und Tochter gleich aussprach, obschon von verschiedenen Beweggründen erzeugt. »Ihr staunt, ehrsamer Junker,« begann endlich die Edelfrau, »Ihr staunt, uns hier anzutreffen. Allein die Ursache, daß wir seit kurzer Frist in diesem Hause fast heimisch geworden, ist zugleich die Ursache der Beschämung, die mir es schier verwehrt, ohne Rückhalt mit Euch zu reden. Es ziemt jedoch dem Fehlenden, zuerst den Mund zum Vergleiche aufzuthun. So mag ich Euch denn nicht bergen, daß mir schon lange in der Seele leid gethan, was ich damals in bitterm ungerechten [243] Verdachte Euch gesagt vor unserm Scheiden. Meine Regina, die kein Geheimniß mehr vor ihrer Mutter hat, hat mir erklärt, wie die Dinge zusammenhingen und wie ehrenwerth Euer Schmerz um Esther, wie rein Euer Verhältniß zu Regina gewesen. Glaubt mir, daß ich einen Anlaß herbeiwünschte, um gut machen zu können, was ich verbrach, und wider Vermuthen fand sich dieser. Da Eure überhand nehmende Schwermuth Euch gewaltsam aus dem Hause Eurer Ältern riß, so wurde der Sinn Euers Vaters also erweicht, daß er seine Habe darum gegeben hätte, Esther wieder aufzufinden und in Eure Arme selbst zu führen, wofern sie nur zum Bund der wahren Kirche treten wollte. In dem Bemühen seiner Vatersorge wendete er sich auch an mich, ob ich denn von keiner Spur des Mädchens je gehört. Leider mußte ich verneinen. Diese Zufälligkeit jedoch hat uns mit den Euern bekannt gemacht und mich veranlaßt, der Einladung Eurer Mutter zu dem heutigen Tage nachzukommen, weil ich mir die Möglichkeit dachte, vielleicht Euch sehen und von Munde zu Munde sagen zu können, daß ich herzlich meinen Argwohn gegen Euch bereue, und Euch um Vergebung bitte.« – »Ich müßte wohl jetzo ein recht hartherziger unversöhnlicher Feind seyn,« entgegnete Dagobert lächelnd, »um solche Bitten aus hochgeehrtem Munde tagelang mir wiederholen zu lassen. Leider aber erfordert mein zukünftiger Stand Friedensliebe und Versöhnlichkeit, und somit ertheile ich Euch, edle Frau, von Herzen die gewünschte Absolution, ob mich gleich noch nicht die Weihe des Bischofs dazu befugt hat.« – »Also [244] ist es doch wahr?« fragte Regina ein wenig vorschnell und ein wenig erschrocken: »Ihr wolltet wirklich in's Kloster gehen, edler Junkherr? einen weißen Rock anlegen, wie der lange Mönch dort, der Euch immer so freundlich anlächelt? Thut das ja nicht, Herr. Das ritterliche Kleid steht Euch viel besser an, und Ihr seyd für das Kloster viel zu ... viel zu jung.«

»Ei, Regina!« unterbrach die Mutter die Stockende mit verweisendem Blicke: »Was soll das heißen, was soll der Junker von Deiner Frömmigkeit halten, wenn Du also unehrerbietig von den heiligen Klöstern sprichst?« – »Eure Tochter hat selbst die Frömmigkeit einer Heiligen,« versetzte Dagobert: »Diese bindet sich nicht an ein Kloster oder einen Wallfahrtsort, sondern an den lieben Herrgott selbst, und die Seinen. Rechtet aber mit der heiligen Kirche deßhalb nicht, mein Fräulein. Dringt gleich der feiste Herr dort oben, mein Ohm, der Prälat, auf meinen Profeß, fordert ihn gleich der würdige Herr Dechant, – derselbe, der so eben nach der Pfeffertunke langt, als eine unerläßliche und unaufschiebbare Pflicht, .... so zwingen mich doch die Genannten nicht, und nicht der Bischof, und nicht der heilige Vater sammt dem Concilium: mein Wille thuts, und meines Herzens Gefühl.« – »Das ist traurig;« sprach Regina niedergeschlagen, und ließ das Haupt sinken: »Ich glaubte Euch nicht, als Ihr damals bei der Forsthütte den Vorsatz ausspracht, in Zukunft einsam in der Welt zu leben. Aber ich sehe, daß Ihr bittern Ernst macht, denn Ihr hättet wohl sonst nicht eigensinnig [245] Alle die zurückgewiesen, die für Euch der Mutter Eid lösen wollten.« –

»Ich verabscheue den Beter um Sold,« entgegnete Dagobert kurz, »und besitze auf der Welt kein Freundesherz, das freiwillig, nur um meinetwillen für mich einträte.« –

»Nicht?« fragte rasch Regina, und ihre Augen blitzten auf, so schnell als ihre Lippen weiter sprachen: »Wie aber, wenn ich den Schleier nähme, um Euch zu lösen?«

Dagobert schwieg überrascht und bestürzt. Sein Blick, der verwundert dem Blicke Reginens begegnete, flog plötzlich vor diesem zu Boden, und sein Mund wußte kein Wort zu bilden, um so mehr, als Regina in ihrer kindlichen Unbefangenheit weiter plauderte: »Laßt mich doch immerhin, Mütterlein. Ob Ihr mich am Gewande zupft, oder mit dem Ellbogen tippt, es ist ja doch wahr. Von dieser Tafel ginge ich zum Kloster, wenn es dem Junker frommen möchte, – und nimmer, .... ach mein Gott, gewiß nimmer würd' es mich gereuen.« – Die Edelfrau warf einen halb lächelnden, halb mißbilligenden Blick auf Reginen, die das von stolzer Zufriedenheit strahlende Antlitz hoch emporhielt, und Dagobert konnte nur, von seltsamen Gefühlen befangen, erwiedern: »Um die Rosen Eurer Jugend wäre es Schade, mein liebliches Fräulein. Solcher Liebreiz ist zu gut für's Kloster. Seyd indessen bedankt, daß Ihr mir ein theilnehmend Herz erschlossen,« fügte er nach kurzem Schweigen hinzu: »Das Bewußtseyn, von Euch bemitleidet zu werden, soll der Engel seyn, der nimmer [246] von mir weichen darf in meinem vom Schicksal erlesenen, freiwillig gewählten Kerker.« – »Ist das die Rede eines jungen Deutschen?« fragte Diether, der die letzten Worte des Gesprächs vernommen hatte: »Ist das eines jungen Reichsstädters, eines Altbürgers Sprache? O, mein Sohn, wie schmerzlich betrübst Du Deinen Vater. Bedenke: mein Gewissen, – das des greisen Mannes ist ruhig geworden, da alle Zweifel beseitigt wurden, und der heilige Vater Dir die Wahl freigestellt, und Dein Starrsinn verschmäht die Huld der Kirche.« –

Dagobert erwiederte einige Worte der Beruhigung, und versuchte, dem Vater vorzustellen, daß er weniger in ohnmächtigem Groll gegen das Schicksal handle, als nach innigem Pflichtgefühl. Diether schüttelte ungläubig den Kopf, und versank in jenes Zuhören, das nur das Ohr in Anspruch nimmt, ohne den Verstand zu überzeugen. Plötzlich wurden aber seine Züge lebhafter; Frau Margarethe, die, den Schlüsselbund an der Seite, als geschäftige Hauswirthin um die Tafel ging, gab ihrem Gemahl einen Wink mit den Augen, und deutete verstohlen auf die Thüre des Nebengemachs. »Sieh, wie unsere Gäste froh sind!« sprach Diether, Dagobert's Hand fassend: »Die zahlreichen Trinksprüche, die der Hülshofen ausgebracht, haben die Köpfe erhitzt, und der Mund geht über in raschem Gesprächsel. Die Frauen sind nicht minder lebendig geworden, und schmausen plaudernd die venedischen Mandeln und Weinbeeren, die in Fülle vor ihnen stehen. Alles ist froh bei diesem Doppelfeste, an welchem ich Deiner Mutter ersten Lebenstag [247] feiere, wie meinen zweiten Hochzeitstag, damit Jedermann sehe, daß ich meiner Frauen Unschuld erkannt, und sie wieder aufgenommen habe, in mein Herz, in meine Arme. Laß mich dieser Feier eine dritte Bedeutung hinzufügen: lasse sie auch das Fest Deiner Befreiung seyn. Komm mit mir, mein Sohn. Die Männer vermissen nicht den Wirth, die Frauen nicht die Hausfrau; uns bleiben einige Augenblicke. O, daß sie günstig währen für uns, wie für Dich!« – Er zog, rasch aufstehend, seinen Sohn schnell mit sich in's Nebenzimmer, wohin auch Frau Margarethe folgte. Dagobert, der nicht wußte, wie ihm geschah, und was alles dieses zu bedeuten haben möchte, prallte an der Thüre vor Erstaunen zurück, da er im Hintergrunde des Gemachs auf einem Lehnsessel ruhend, eine bleiche Frauengestalt erblickte, deren Gesichtszüge man früher genau gekannt haben mußte, um in ihnen diejenigen der, ehemals so reizenden, Wallrade wieder zu finden, Von Diether's, wie von Dagobert's Anblick bewegt, erhob sich die Jammergestalt, unterstützt von der hülfreichen Oberin des Weißfrauenklosters, die mit der Freundin gekommen war, und streckte die Hände dem Vater entgegen. »Endlich sehe ich Euch wieder, mein Vater;« sprach sie mit annoch sehr schwacher Stimme: »Nachdem Eure Hände segnend mein Haupt berührt hatten, da ich noch im Todeskampfe zu ringen schien, entzogt Ihr mir Euern Anblick, und die Kunde meiner Wiedergenesung entfernte Euch von mir, denn Ihr fühltet Euch nur stark genug, der Sterbenden, nicht der Lebenden zu verzeihen. Ich murrte nicht gegen Euern Entschluß; [248] ich habe Euern Zorn verschuldet. Aber zürnt mir nicht, daß ich nach einem Mittel forschte, Euern Unwillen zu mildern. Frau Margarethe, die gute Frau, die ich bisher schmählich mißkannt, und die mein Krankenlager bis auf den heutigen Tag umgeben hat, wie ein helfendes Engelsbild, zollte meinem Vorsatze Beifall, und ermuthigte mich, zu Euern Füßen mich zu werfen, daß ich Vergebung erhalten möge.« – Der gerührte Vater hinderte Wallradens Kniebeugung, und ermahnte sie liebevoll, auf ihrem Sessel zu verbleiben, und nicht ihm, der schon von Allem wisse, sondern dem Bruder zu verkünden, was sie, von Gott erleuchtet, beschlossen habe, und bereit sey, zu vollführen. – Erwartungsvoll sah Dagobert auf die entstellte Schwester, die, wie ein Bild des Leides ihn eine kleine Weile stumm betrachtete, und nachdem die in ihrem Antlitz aufgestiegnen düstern Schatten verdämmert waren, also begann mit langsamen Worten aber vernehmlicher Stimme: »Obgleich, mein Bruder Dagobert, eine Mutter uns gebar, so haben wir uns dennoch nie geliebt, und es wird einst dort oben zur Sprache kommen, wessen Schuld es gewesen. Indessen hat mein unglückselig Geschick mir durch die Schreckensthat, die an mir verübt worden, den Fingerzeig gegeben, daß man noch hienieden selbst die Hand zum Frieden und zum Guten bieten müsse, weil die Zeit verinnt, und schnell herbeikömmt der Tod. Verzeihe mir daher, mein Bruder, so ich Dich beleidigt.« –

»Auf Deinem Schmerzenslager habe ich Dir vergeben, Dich gesegnet;« erwiederte Dagobert: »ich [249] kenne keinen Groll mehr gegen Dich.« – »So nimm auch ein Geschenk von mir;« fuhr Wallrade fort. – »Was Deine Liebe mir zugedenkt;« entgegnete Dagobert: »mein sey es, und ich will Dir's danken, als ein Pfand unsers Geschwisterbundes.«

»Du schwörst mir, daß Du nichts verschmähst, es sey auch noch so dürftig und gering, oder noch so köstlich und begehrenswerth?« – »Ich schwör' Dir's zu, Schwester;« antwortete Dagobert rasch, und über die Gesichter aller Anwesenden ging die Sonne der Freude auf. – »So empfange von mir Deine Freiheit;« sprach gewichtig und betonend Wallrade: »Unser Vater verzweifle nicht kinderlos. Bleibe Du ihm, da sein lieberer Sohn ihm starb. Des Papstes Brief läßt zu, daß Mann oder Weib Deine Stelle im Chor vertrete. Ich thue das Gelübde an Deiner Statt, und löse also das Deiner Mutter, die auch die meinige war.« – Das hatte Dagobert nicht gedacht; unüberlegt hatte er sich in der Betheuerung fangen lassen, und suchte nun auf Wallradens Stirne zu erforschen, ob Wahrheit, ob Lüge sie sprach. Wallradens Antlitz blieb sich jedoch gleich, als wie aus Stein geformt, und dankend umarmte sie Margarethe, und dankend schüttelte ihr der Vater die Hand, obgleich der Eltern Brust erbebt hatte unter der schonungslosen Berührung des Absterbens ihres kleinen Johannes. Dagobert allein sah lange stumm vor sich hin, und reichte hierauf ziemlich kühl und verstimmt ebenfalls der Schwester seine Rechte. – »Ich will wohl glauben,« sprach er, »daß das Vergangene Dein Herz gewendet, Schwester. Ein Erdstoß stürzt [250] ja auch Felsen ein. Allein, die Art, wie Du das Gute thust, ist ganz der Schlangenlist ähnlich, die Dich früherhin beseelt. Du hast mich in einer Schlinge gefangen, und zerstörst grausam das Gebäude eines wehmüthig stillen Einsiedlerglücks, daß sich meine Einbildung in die Zukunft hinein, aus der Welt hinaus gebaut hatte. Ich müßte nicht ein Mann seyn, dem sein Wort heilig ist, ich müßte nicht die Freudenthränen meines Vaters, meiner zweiten Mutter sehen, wenn ich länger unerbittlich bleiben sollte. In Gottesnamen denn! geh' hin an meiner Statt, und diene dem Herrn, aber diene ihm ohne Falsch, mit redlichem Herzen. Erwarte aber keinen Dank von mir, denn ihr Alle, die ihr mich liebt, ihr raubt mir die Ruhe, die ich hoffte, und schleudert mich als Beute hin dem Strudel eines unruhvollen Lebens, auf dessen schönsten Fluren mir dennoch ewig das Schönste fehlen wird.« – Nicht wie einer, dem eine wohlthätige Hand die unverdienten Ketten abgenommen, – nein; – wie ein Knecht, den tyrannische Gewalt erst auf die Ruderbank gezwungen, ging er zu der Versammlung zurück. – »Kehrt Euch nicht an den Sonderling, Wallrade!« sprach zu dieser entschuldigend Margarethe: »Wir achten oft eine Wohlthat gering, die wir nachher nicht hoch genug zu schätzen vermögen.« –

»Laßt das, liebe Frau;« erwiederte Wallrade kalt: »Nicht ihm zum Guten, sondern mir zu Liebe thue ich das, was ihm mißfällt. Mein Gewerbe ist jetzo hier vollendet, darum, Vater, bitt' ich um ein tröstend Aschiedswort, und sag' Euch Lebewohl.« –

[251] »Wie?« fragte Diether besorgt: »Schon willst Du scheiden? nicht den Freunden unsers Hauses diejenige zeigen, deren Aufopferung mir den Erben erhält?« – »Wo denkt Ihr hin, Vater?« fragte Wallrade bitter lächend entgegen: »Mein abgezehrtes Antlitz taugt nicht in den Kreis der Fröhlichen. Ihre Blicke, ihr Flüstern, ihr Achselzucken würde mir den Tod geben. Ich gehe zu meiner Zelle zurück.« – »Aber, Wallrade,« – redete Margarethe sanft in ihr Ohr: »wollt Ihr nicht wenigstens den Knaben sehen, der Euch angehört? Euern Johannes?« – Da fuhr Wallrade empor, und schoß einen Blick auf Margarethen, daß diese zusammenfuhr, denn alle Flammen einer auflodernden Hölle sprühten daraus ihre Funken. Dabei schüttelte sie heftig den Kopf, und rief aus gepreßter Brust: »Nein! nein! nimmer! in Ewigkeit nicht!« –

Während sie bei diesen Worten den Schleier rasch zusammenzog, daß er gänzlich verhüllend herabfiel über die drohende Gestalt, und das noch drohendere Antlitz, faßte Margarethe den staunenden Diether bei der Hand, und zog ihn hinweg aus der Thüre. »O kommt!« flüsterte sie: »Ich fürchte mich. Gewiß hat sie sich nicht ganz gebessert, denn unmöglich kennt ein Mutterherz solche Härte und Grausamkeit, hat es die Sünde nicht versteinert,« –

Eben so kopfschüttelnd, als Diether seiner Gattin folgte, also blickte die Oberin Walburg, die Freundin an, da sie zusammen zum Kloster gekehrt waren. »Erkläre mir doch das größte Räthsel,« sprach sie mit forschendem Auge. »Wallrade erkläre Dich selbst;[252] denn ich höre auf, Dich zu begreifen. Wo ist die Weichheit hin, die unter bitterm Leiden Deine Stirn verklärte, und jedes Deiner Worte in Honigseim tauchte? Wohin die Liebe, die Du damals für den Sohn aussprachst, den Du mißhandelt? Welche Wendung nahm der Auftritt heute in Deines Vaters Hause? Die gottgeweihte Magd, – die, die sich selbst hingibt, um Andrer Willen, zum Sühn- und Löseopfer, – in Dir habe ich sie nicht erkannt. Deine Liebe scheint von Erz zu seyn, die Wohlthaten, die Du spendest, – obgleich ungezwungen und freiwillig, – sie erwecken Grauen. Mir selbst erscheinen sie, wie verhängnißvolle Gaben, die das Verderben unter angenehmer Hülle bergen, und fast möchte ich lieber der Knabe seyn, den Du so unmütterlich verwirfst, als zu Jenen gehören, die sich Deiner Liebe erfreuen, wie die, welche wir verlassen haben.« – Wallrade lächelte hierauf nachdenklich und arg, und versetzte unbefangen: »Der Geist, mit dem wir in's Leben traten, begleitet uns auch bis zum Grabe, und ist unterthan dem Körper, obgleich dieser nur ein Leib aus Staub und Asche ist. Sind unsre Glieder schwach, so erlahmt auch Wille und That. Sind sie stark, so erstarkt auch unsre Seele. Daraus erkläre Dir selbst, meine Freundin, die mich schon seit meiner frühsten Jugend kannte, wie ich in meinem Siechthum so ganz anders reden und handeln konnte, als ich früher that, und ferner thue und reden werde. An den Pforten des Todes war ich nicht mehr Wallrade, – nur ein zur Grube taumelndes, irrdisch,[253] schwaches Weib. Aber, so wie die Kräfte wuchsen, so kam auch der alte Geist wieder zurück, und obgleich noch nicht völlig hergestellt, so spüre ich doch die ehemaligen Gefühle wieder die Flügel regen, und ich werde seyn wie ehemals.« – »Du wirst mir unerklärbarer;« schaltete Walburg ein: »Du, wie ehemals? Du, mit Deinem Hange zu den Freuden der Außenwelt, willst in ein Kloster Dich verkriechen, und dennoch seyn wie ehemals?« –

»Glaube mir,« antwortete Wallrade. »Der elende Mörder hat mich nicht zum Tode getroffen, aber an seinem Eisen blieb die Blüthe meines Lebens. Weg aus der Welt mit der Unvermählten, deren Rosenwangen und Körperschönheit zu Grabe ging. Dem schönen Weibe gehört die Welt mit ihren Königen und Helden; der Verblichenen ein Altar und hinter demselben ein spätes Grab. Und ich vollends .... ich, übermannt von der Last von Vorwürfen, die die Welt auf mich geschleudert, weil böse Zufälle und ein tückisches Geschick mich zu Boden warfen; ... ich sollte wieder hinaustreten in diese Welt? Nimmermehr! Ich werfe mich in die Arme der Kirche, – doch nicht als reuige, bußfertige Sünderin: eher würd' ich sterben. Aber segnen, benedeien müssen mich noch diejenigen, die ich hasse, und bis zum Grabe hassen werde. Die Hand müssen sie noch küssen, die sie züchtigt, und laut ausrufen: ›Sie ist unsere Wohlthäterin geworden! Wir haben sie verkannt.‹ Indem ich mich also aufopfere für das Beste dieses Bruders, so bereite ich mir einen Heiligenschein, [254] und jenen in der Brust eine glimmende Hölle. Bleibt Dagobert im Vaterhause, so baut des Argwohns Schlange wieder dort ihr schwer zerstörbares Nest, Eifersucht und Trug werden dort wieder heimisch, und Dagobert selbst, der in seiner Schwärmerei im Kloster glücklich geworden wäre, wird der Unglücklichste der Sterblichen. Durch diesen Schritt werfe ich dem Prälaten, der sein früheres Wohlseyn nicht benutzt hat, wieder den Maierhof zurück, den er mir einstens überlassen; und mich ergötzt's, daß er, der mich an alle Fürsten verkauft haben würde, um seinen Beutel zu füllen, jetzo mir ein dürftiges Almosen danken muß. Die nichtswürdige Frucht meiner Ehe mit dem von der Rhön weise ich somit gänzlich an die Mildthätigkeit der Blutsfreunde, und bin freier in meinem Kloster, als ich es vielleicht jemals außer demselben war, lebe meiner Behaglichkeit, und der Hoffnung auf schwere Rache an allen meinen Feinden.« – »Hör' auf!« bat Walburg: »mir zittern die Glieder, so ich Dich anhöre.« – »Meiner Freundschaft verdanckst Du diese seltne Aufrichtigkeit;« entgegnete Wallrade ernst: »von Deiner Freundschaft hingegen erwarte ich Geduld, Verschwiegenheit und ehrliche Behandlung. Eine andre Lebensfrist beginnt hierin für mich. Herab vom Himmel will ich Rache flehen, und wie die Ritterdame vom Söllen einem Turniere, so aus dem Klosterfenster ruhig dem Wirrsal zusehen, das ein unbeugsam Geschick über meine Feinde verhängen wird; ... und somit, Freundin, Oberin, laß die Kirche schmücken zum Empfange einer [255] neuen Braut, raube mir die Locken, in welchen sich schon manch Gewaltiger hing, ziere mich mit dem Kranze, und dann: Salve Regina!« –

11. Kapitel
Elftes Kapitel.

Die weite Stadt faßt nicht die Zahl der Gäste, .....

Schiller.


So sehr lieblich auch der Lenz gewesen war, so stellte sich doch der Sommer ein, als ein glühender Gast, der Fluren und Matten versengte, Bäche austrocknete, und den verschmachtenden Menschen und Pflanzen kaum einige kühle Nachtstunden zur Erholung gönnte. Indessen, je mehr er andauerte, je mehr ließ er wieder nach, von seiner brennenden Strenge, und ein heiterer gewitterleerer Spätsommer entschädigte für des Augustmonats entsetzliche Hitze. Darum strömten auch, wie neubelebt, aus allen Gegenden des Vaterlandes und der Fremde, zahlreiche Schaaren zu der alten Herbstmesse, die zu Frankfurt wieder eingeläutet wurde, und sie versprach, weit glänzender zu werden, als in vielen vergangenen Jahren. Die Züge der Kaufherren, die nach einander unterm Geleite der Reichsstadt, des Erzbischofs von Mainz und des Pfalzgrafen bei Rhein eintrafen, überboten sich an Zahl und Reichthum. Nicht bloß die Städte am mächtigen Rheinstrome, von Basel [256] beginnend bis gen Cöln, sandten ihre besten Handelswaren, nicht aus dem reichen Nürnberg und Augsburg, oder aus den gewerbfleißigen Niederlanden allein eilten die Fürsten des Handels herzu, sondern auch aus weit entlegnern Landen fanden sich Käufer und Verkäufer ein. Wälschlands Werkherren, die Gevertschen aus der Lombardei, und die Wechsler aus Burgund, die Stahlarbeiter und Wollentuchhändler aus Engelland, die Pelzverkäufer aus den nördlichen Reichen, dem fernen Polen, und dem noch fernern Reußenland, der mächtigen Stadt Neugart, füllten die Gewölbe Frankfurts mit ihren Waaren, und genossen freundliche Aufnahme in der von Menschen aller Völker wimmelnden Stadt. Bis unter die Lucken der Dächer lebte und webte jedes Haus, und dennoch schien die Zahl der Gebäude zu klein, um all die Gäste zu fassen, denn auf dem Fischer- und Klapperfelde standen Lager von lustigen Zelten, und auf den Gassen drängte sich unaufhörlich ein rastlos tobendes Menschenmeer. Stolzer als sonst wohl, sah nun jeder Frankfurter Bürger aus seinem Fenster in das Gewühl vor demselben, und pries glücklich sich und seine Heimath, auf deren Markt das fernste Ausland seine Erzeugnisse brachte, und sein klingend Geld, oder seine gültigen Wechselbriefe. Durch alle Thore rollte der Seegen des Handels, durch alle Pforten zogen heitre Menschen mit lebenslustiger Stirne und schwergefülltem Beutel; den Mainstrom herab kamen die überfüllten Marktschiffe aus Franken unterm Knall der zum Jubel losgebrannten Donnerbüchsen und dem Gesange der Mannschaft; den Strom herauf zu Berg [257] steuerten die reichbeladenen Fahrzeuge vom Neckar und vom Rhein. Und welche Fröhlichkeit entfaltete ihr Panier, fanden sich in der weiten Stadt Landsleute zu Landsleuten, Bekannte zu Bekannten. Die Glockenschläge und Trompeterstücklein, die vom Thurme den Ankömmlingen entgegenschallten, stimmten zur Freude, denn nun war sie ja überstanden, die gefahrvolle Reise, auf welcher schon manch Unglücklicher Leben und Habe verlor, unter den Mordklauen des räuberischen Gelichters, das Heerstraße, wie Strom unsicher machte. Nun befanden sich ja die sicher Geleiteten unter dem Schutze eines wohlgeordneten Gemeinwesens, hinter schirmenden Mauern, und im Schooße geregelter Gesetze, die den Meßfremden gar günstig waren, und insonderheitlich keiner Freude wehrten. Darum schwang sich auch das Rad des ernsten und eifrigen Gewerbes scheinbar leicht wie das Spielrad einer Knabenmühle; die Wichtigkeit des Geschäfts gewann den Anstrich eines sorgenlosen Tauschvertrags, und über den düstersten angefülltesten Gewölben und seinen emsigen Dienern und Schreibern wehte die Wimpel der Heiterkeit. – Welch ein reges Leben in allen Theilen der Stadt, und längs dem Flusse, wo sowohl die zweckmäßigste Lage, als auch Gewohnheit die Hauptsammelplätze der Kaufmannschaft geordnet haben. Still und besonnen treiben die Tuchhändler aus den flandrischen Städten, die reichen Antwerper, die stolzen Genter und die verschmitzten Herren von Brügge ihr Werk, ohne viel Geräusch, aber mit sicherer Geschäftigkeit. Neben ihren Niederlagen preisen die Schleierhändler [258] von Straßburg den vorüberziehenden Frauen ihre dünne und köstliche Waare, sammt den Gold- und Silberspitzen, die sie lockend und prahlend zugleich am hellen Sonnenlichte durch die feinen Finger gleiten lassen. – Während auf der Schwelle einer einladenden Weinschenke feurig glühende Weinhändler aus dem Elsaß den Kauflustigen das duftende Öl ihrer Fässer rühmen, und mit Schwank und Scherz ihren Handel richtig zu machen suchen, rufen an ihrer Seite die Kaufleute vom Rhein ihre Hüte und Handschuhe zum Verkauf, und nicht fern davon die Schweizerhändler in ihrer rauhen Mundart die Teppiche und Zeuge von seltner Güte, die sie aus ihren Bergen zu Markte bringen. In der Bude des Böhmen klingelt die zerbrechliche Glaswaare, wie in des Steuermärkers Laden das dauernde Eisen rasselt. Gegenüber jedoch wiegt der kluge Kaufherr aus Sachsen schweigend und bedächtig die Silberstangen, um welche die Münzwardeine und der Silberschmiede gelehrte Schaar prüfend steht; nicht minder vermißt nebenan der Ulmer seine schöne Leinwand mit geräuschloser Fertigkeit, und spart die freundlichen Worte nicht, um die ehrsamen Hausfrauen, die sein Gewölbe füllen, zu seinem Vortheil zu stimmen. Mag immerhin der Krämer aus Pisa oder Lukka aus vollem Halse sein Gewürz, seine wohlriechenden Salben ausschreien, ... lächelnd und still erwartend lehnen unfern die Kaufleute der Hansee an ihren Ladenthüren, durch welche blankes Schießgewehr, köstliche Nordfelle auf die Straße sehen. Des Zuspruchs holder Frauen sind die schweigsamen Männer nicht gewärtig, [259] ausgenommen vielleicht die Verkäufer der gesalzenen und getrockneten Seefische, und nur Männer suchen in diesen entlegenen Buden und Kellern ernstere Waare, die Metalle und Erze des Nordens, das gefährliche Pulver, die schweren Brandweine in den ungeheuren Tonnen. Hier vorüber geht es aber wieder in das dicke Gewühl des Gewerbes hinein. Die langen Reihen von Fässern, die aus Thüringen herbeigeschafft werden, und Pech, Theer und Kienruß enthalten, ziehen das Volk der Schiffer an; die Färber und Wollenhändler strömen dagegen zu den Niederlagen der Erfurter, welche den nicht genug herbeizuschaffenden Waid feilbieten. Hier spielen die Waidträger mit ihren Körben und Tragen den Herrn und Meister; die Messerschmiede, eine unhöfliche Zunft, schließen sich mit ihren Kramstellen an die Thüringer, an diese die Holzwaaren- und Messinghändler von Nürnberg, die Seidenweber von Augsburg, und überall dieselbe Regsamkeit, allenthalben derselbe Eifer, von dem Lehrjungen an, der auf eine Kiste das Zeichen seines Kauf- und Lehrherren pinselt, bis zu dem Ostfriesen, der vor Rittern und Herren die ausgesuchten Rosse tummelt, die er auf den bedeutenden Markt gebracht. – Doch nicht allein für das Nützlichste ist allenthalben im Überfluß gesorgt, ... auch das Lustige und das Seltsame will sein Recht behaupten. Nicht im Handel und Wandel allein sollen die Beutel geleert und gefüllt werden; das abenteuernde Volk der Kunst will auch, daß man der Thorheit seinen Zoll entrichte, und an Wunderlichkeiten der Natur nicht ohne Spende vorübergehe, .. [260] besondere Geschicklichkeit nicht unbelohnt lasse. Hat die Handelwelt ihre Throne auf dem Römerberg, im Saalhofe und am Ufer des Mainstroms errichtet, so baut dagegen die Kunst, die sich zur Schau stellt, anderwärts ihre luftige Bühne, oder durchzieht wandelnd die Gassen, Bürgern und Fremden vor die Thüre bringend, wonach, sie aus der Thüre keinen Schritt thun würden. Wandernde Dichter und Sänger ziehen umher, von Herold und Pickelhäring begleitet, und halten Wettkämpfe der Begeisterung oder possenhaften Reimerei. Häufig ist der blaue Himmel das Dach ihres Schauplatzes, und aus den Fenstern der Häuser und den Thüren der Laden fliegen die Heller, die ihre Anstrengungen belohnen sollen. Öfter jedoch ziehen sie es vor, die heimlichen gewölbten Stuben der Küfermeister zu besuchen, die in der Messe niemals leer werden, weil ihr Kranz und Busch immer grün, und der dadurch verheissene Wein immer duftig und kühl ist. Der Sänger liebt der Rebe Gold, der wohlgenährte Bürgersmann ist freigebig; die Fässer laufen über, und in der Laune des Trunks fliegt aus der Gäste Hand oft das Doppelte dessen in des Herolds Mütze, das der Geber zu steuern sich vorgenommen. Auf dem Roßmarkte bereitet sich indessen ein ernsterer Wettkampf vor, obgleich im Grunde auch nur Posse und Spielerei. Ein hohes Gerüste besteigen so eben zwei Fechter, die das Volk unter lautem Jubel herbeigeführt. Die Schelme, die so fremd gegeneinander thun, und sich drohend messen mit den Blicken, und die Nase rümpfen, daß der gewaltige falsche Schnurbart [261] sich in die Höhe zieht, – sie kennen sich recht gut, und sind nur zu verschiedenen Thoren eingezogen, um das leichtgläubige Volk zu täuschen, ihre Fertigkeit in höhern Werth zu setzen, und ihre Rechnung dabei doppelt zu finden. Eine Bürgerfreude ist solch ein Fechteraufzug; die größte Wonne des Pöbels zwei fremde Kämpfer aneinander zu hetzen. Die lederne Sturmhaube auf dem Kopfe, geschmückt mit einer langen Feder, die schon bei manchem Strauß gewesen, ein ungeheures Schlachtschwert auf der Schulter tragend, ... seltsam aufgeputzt mit farbigen Bändern, erklimmen die Klopffechter die Bühne, um dort zu siegen oder zu unterliegen, je nachdem gerade die Reihe an einem oder dem andern ist. Das Volk klatscht sich die Hände wund, schreit sich die Kehle rauh, und aus den, bis zum Gibel mit zahllosen Zuschauern besetzten Häusern des Roßmarktes regnet reiches Schaugeld, von einem kecken Hannswurst erbettelt, in den Seckel der Schalksgesellen, die in's Fäustchen lachen, und vielleicht, um dem Schauspiel ein glänzendes Ende zu verleihen, sich gegenseitig den Doctorgrad des langen Schwertes unter albernen Gebräuchen ertheilen.

»Ich will doch des Donners und des Hagels seyn,« – sprach Gerhard von Hülshofen zu Dagobert, mit welchem er durch das Gewühl schlenderte, – »wenn ich nicht die beiden angeputzten Hasenfüße auf jenem Gerüste, so barsch und reckelhaft sie sich auch haben, mit einem Pfannenstiele in die Flucht jage, so weit der Himmel blau ist. Das sollen Fechterhiebe seyn? Buffelei, weiter nichts, mein [262] guter junger Herr. Was meint Ihr dazu?« – Dagobert blickte den Frager mit der Miene eines Mannes an, der so eben aus einem tiefen Schlaf erwacht, und nicht eine Sylbe von dem gehört hat, was man ihm seit Stunden vorgeredet. – Gerhard schüttelte unwillig den Kopf. »Seyd wieder in Eurer besten Laune, mein Lieber;« brummte er: »Ich rathe Euch, löscht Eure Lampe aus, und sagt der Welt ›Gute Nacht;‹ s'ist eine Schande für alle Junggesellen des römischen Reichs, daß Ihr, der Wackersten Einer, Euch geberdet, wie ein träumend Kind. Ihr helft der ganzen Welt aus dem Eisen, wie die Historia mit dem Wildmeister erst kürzlich bewiesen, obgleich der Herzog Alles gethan haben mußte; ... aber Euch selbst könnt Ihr nicht helfen. Schämt Euch, und kommt zu bessern Gedanken. Daß Ihr nicht heirathen wollt, wie es Euer Vater wünscht, ist gut, ... denn nur der unbeweibte Mann ist ein ganzer, – aber der Grund, warum Ihr's nicht thun wollt, ist ein schlechter Grund. Für dießmal sey's genug, aber seyd doch lustig, in's Teufels Namen, s'ist Meßzeit, Jubel und Freude an allen Ecken, und der wohlweise Rath so sanft wie ein Lamm, er weiß schon warum. Alle fahrende Frauen und Töchter sind losgelassen, und dürfen schwärmen auch ausserhalb dem Rosenthale 1. Die Schenken sind offen die ganze Nacht hindurch, und kein sauertöpfischer Wirth darf mich auf die lange Glocke verweisen, wenn ich [263] nach neun Uhr mein herzhaftes: Eingeschenkt, über den Tisch donnre. Ich mag jetzo meine längste Stoßklinge an die Hüfte stecken, und damit den Waden der jungen Fante beschwerlich fallen, während ich sonst mein kürzestes Schwertlein anhängen muß, das nicht besser aussieht, als das Wetzeisen am Gürtel eines Schlächters. Ja, mir ist's sogar nicht verwehrt, Sonntags meinen Bart scheeren zu lassen, so mir's gefällt. Es lebe die Meßfreiheit! Sagt, kann man wohl glücklicher seyn? Jagt darum die Grillen zum Teufel. Sprecht, wohin wollen wir? Soll ich Euch etwa zu dem Wundarzt führen, der an der Ecke der Klauskirche seine Latwergen und Pillen verkauft? Vielleicht hat er ein Mittel gegen Euren Blödsinn, oder sein Schalksnarr zwingt Euch zum Lachen, was das Herz froh macht, und hungrig den Magen; oder wollen, wir den Vogel Strauß sehen, von welchem Alt und Jung erzählt, oder das ungeheure Elephantenthier, in dessen Wanst, wie das Volk behauptet, der Teufel selbst stecken soll?« – »Besieh Du allein diese Seltenheiten,« erwiederte Dagobert kopfschüttelnd: »laßt mich jedoch hier unter der Menge von Menschen, die mir größtentheils fremd sind, und folglich auch meine Bürde nicht kennen.« – »Glaubt Ihr denn, ich würde Euch allein lassen, guter Freund?« fragte Gerhard lachend: »Behüte Gott; ich bin wie zu Eurem Wächter bestellt. Ihr wärt im Stande, in Euerm Trübsinn geradezu in den Strom zu gehen, oder Euch zum Mindesten von dem einfälltigsten Spitzbuben Eure Börse vom Gürtel stehlen zu lassen; – denn der Diebe gibt es hier zu [264] Frankfurt ein ansehnlich Gelichter. Wenn der Markt eingeläutert ist, mögen Schelme und Strolchen zur Stadt kommen, bis wieder ausgeläutet wird. Wohl dann den Liebesrittern, wenn sie viele solche Junkherrn antreffen, die, wie Ihr, eihergehen, die Hände auf dem Rücken, die Augen in der Luft, und nicht bemerkend, was um sie her sich begibt. Schaut! während ich so rede, hat sich ein abscheuliches Gesicht an Eure Seite gedrückt. Zieh' aus, Schelm!« – Dagobert blickte neben sich, und ersah einen Menschen, welcher der drohenden Geberde Gerhards entlief, und im Entspringen gegen den Edelknecht höhnisch die Zunge herausstreckte. – »Pfui!« rief Dagobert: »welch ein abscheulich Gesicht, entstellt noch obendrein durch das Pflaster, das die Höhle des verlornen Auges bedeckt. Wahrlich! wären dem Burschen nicht schwarze Borsten gewachsen, ich würde ihn für des elenden Judenknechts Ebenbild halten, den ich einmal von den Schranken schlug. – Wer weiß,« – setzte er nach langem Schweigen hinzu: »wer weiß auf welchem Anger der Schädel des Bösewichts bleicht, ... aber sein schrecklich Angedenken verbindet sich so innig mit einem unaussprechlich wehmüthigen, – mit Esther's Gedächtniß, daß ich schier Thränen in meinem Augenwinkel fühle.« – »O weh!« klagte Gerhard ärgerlich: »da sind wir wieder auf der alten Fährte. Die Pest über alle Liebesnarren. Das Gesicht des häßlichen Gauners erinnert sie an ihres Liebchens Antlitz. Kaum wage ich's, Euch auf jene Bande von holden Dirnen aufmerksam zu machen, die kosend und lachend an des Goldschmieds Laden [265] stehen. Der glatzköpfige Bube hatte gewiß lange keinen so freundlichen und willkommenen Besuch. Seht wie er in seinen kleinen Schreinen kramt und wühlt, als ob seine gichtbrüchigen Finger erst vor sechzehn Jahren gewachsen wären; wie er den Mund süßlächelnd zusammenkneift, daß die blühenden Dirnen das mangelhafte Gebiß nicht bemerken sollen. Euch, liebes Herrlein, ist freilich seit geraumer Frist der Anblick schöner Weiber ein Gräuel geworden. Erlaubt aber immerhin, daß ich mich ein Weilchen daran ergötze. Das runde kleine Mägdlein in der Ecke, – dasselbe, das so verlegen in dem Kästlein sucht, und an ihres Gürtels Hacken ebenfalls etwas zu suchen scheint, – ich weiß nicht was? – Das Mägdlein sticht mir ganz besonders in die Augen, und wen mich diese nicht hinters Licht führen, so ist die Maid eine Bekannte, sowohl von Euch, als auch von mir.« – »Wer? wer?« fragte Dagobert hastig, warf einen Blick nach der Bude, und ein hoher Grad von Überraschung malte sich in seinen Zügen: »Ist das nicht,« .. setzte er staunend hinzu – »ist das nicht das Fräulein ... Regina ... von Dürning?« – »Freilich!« erwiederte der Freund: »das liebliche Fräulein von Dürning, wie es leibt und lebt. Wer ist denn aber der junge Mann, er vor mir steht?Seyd Ihrs denn noch, Freund Dagobert? euer Gesicht glitzert ja wie das Abendroth?« – »Thut es das?« fragte Dagobert hinwieder mit einer gewissen Ängstlichkeit: »O so komm', alter Kumpan, komm', laß uns von dannen eilen.« – »Warum zupft Ihr mich so ungestüm am Ärmel?« lachte Gerhard: [266] »ein schön Dirnengesicht ist doch keine Teufelsfratze, die uns begehren könnte. Macht der schönen Maid Eure Reverenz und geht dann!« – »Um Gotteswillen nicht!« entgegnete Dagobert ängstlicher, und suchte zu entkommen; allein im Nu drehte sich auch Reginens Gesicht nach dem seinigen, und die Flucht mußte unterbleiben. Das anmuthige Geschöpf, obschon in dessen Zügen eine zarte jungfräuliche Verwirrung ihre Rosensaat ausgestreut hatte, neigte sich freundlich gegen den Erkannten, und faltete wie flehend die zierlichen Hände, mit der Bitte doch absobald näher zu treten. Dagobert konnte sich der Einladung nimmer entziehen, und näherte sich fragenden Blicks. Regina flüsterte ihm hierauf rasch und heimlichst in das Ohr: »Ach, mein lieber, ehrenwerthester Junkherr! Ihr erscheint, recht wie ein Engel, mir zum Troste. Die blasse Kunigunde dort, eine liebe Gespielin von uns allen hier Versammelten, geht zum Advent in's Kloster, und sie soll ein Andenken von uns Allen haben. Ringe sind der Freundschaft Sinnbild und Kette, sagt man. Eine jede hat daher einen goldnen Reif erhandelt, zum Geschenk für die Freundin, und auch ich nicht minder; da gewahre ich jetzt erst, daß mir ein böser Mensch meiner Wetscher vom Gürtel gestohlen hat. Meine kleine Baarschaft war darinnen, und doch möchte ich von dem Goldschmied nicht als eine leichtsinnige Käuferin oder Borgerin angesehen, noch von des Vetters hochnäsigen Töchtern ausgespottet werden. Werdet Ihr daher Bürge für mich, lieber Junkherr. Die Mutter wird, sobald als ......« – Die Liebliche durfte [267] nicht ausreden, und schon hatte der Kaufmann, was ihm gehörte. Wie nun Dagobert bemerkte, daß sein Gefährte mit den übrigen Jungfrauen in's Gespräch getreten war, und diese Letztem begierig auf die Fabeln horchten, die des Edelknechts ruhmrediger Mund zum Besten gab, so sprach er ferner zu der dankbar bewegten Regina: »Ihr werdet mir doch wohl erlauben, mein anmuthiges Fräulein, daß ich den Augenblick, in dem ich so glücklich war, Euch einen geringen Dienst zu erweisen, ebenfalls an eine Kette legen darf, wie Ihr mit dem Gedächtniß Eurer Freundin zu thun begehrt? Der einfache Goldreif taugt immerhin für die Nonne, die nur in stiller Zelle dergleichen Weltherrlichkeiten beschauen darf; Euerm Liebreiz und Eurer freien Jugend gebührt jedoch ein schönes Geschenk.« – Somit langte er mit sicherm Finger in des Goldschmieds Vorrathskasten, und holte den allerschönsten Ring heraus, der sich unter den übrigen ausgenommen hatte, wie ein König unter seinen Vasallen. Er war von wälscher Arbeit, und hielt einen Saphir umfaßt mit einer herrlichen Krone von Gold und Perlen. Regina wußte nicht, wie ihr geschah, als ihr Dagobert das blitzende Kleinod an den Daumen schob, wo die vornehmsten Frauen ihre Prachtringe zu tragen pflegten, und mit einem gewissen Befremden, mit einer süßen ahnenden Lust jedoch zugleich, sah sie auf das Juwel hernieder, ohne mit Worten es anzunehmen, ohne sich dessen mit Worten zu weigern. Der Goldschmied pries indessen die Freigebigkeit, mit welcher Dagobert ihm seine Forderung bewilligte, erzählte mit geläufiger [268] Zunge, daß solch ein Wunderwerk in deutschen Landen nicht gefertigt worden, sondern, daß Neapolis dessen Heimathland gewesen; daß vor einem Jahrzehnd ungefähr eine vornehme Frau dieses Kleinod nebst vielen andern bei ihm verpfändet, und auch nach verstrichener Lösefrist gelassen habe, und setzte schelmisch lächelnd und flüsterlich hinzu: »Der gestrenge Herr möge nicht übersehen, daß dieser Ring ein Verlobungs- und Ehereif sey.« – Unangenehm überrascht sah Dagobert nach dem Kleinod hin, welches Regina so eben wieder vom Finger zog, und sinnig lächelnd betrachtete. »Ja, ja, ....« lispelte sie, wie in einem holden Traum befangen, vor sich hin: »Das war er .... der war gemeint; ....« – wandte sich dann zu Dagobert, und sagte mit einer Verneigung: »Es ist vielleicht nicht recht, mein edler Herr, daß ich von Euch ein Geschenk empfahe, und obendrein will sich ein köstliches, wie dieses, für mich nicht ziemen, aber dennoch behalte ich den Ring und danke Euch. Wollt mir jedoch nicht zürnen, wenn ich ihn nicht am Finger trage, sondern der Nonne gleich, in einsamer Zelle nur beschaue.« – »Thut, wie's Euch gefällt,« entgegnete Dagobert sichtlich erleichtert; »Doppelt geehrt ist ein Geschenk und dessen Geber, wenn man es der stillen Aufmerksamkeit würdigt, ohne sein im alltäglichen Gebrauche zu vergessen.« – Regina warf einen verlegenen Blick auf den Jüngling, und der Ring verschwand schnell in dem golddurchwirkten Mieder. Nun erst besann sich das Fräulein auf ihre Gespielinnen, allein diese waren indessen dem schwatzhaften Gerhard bis an die [269] Ecke der Straße gefolgt, wo ein Wildbär in starken Ketten tanzen mußte, um welches Schauspiel sich eine Fluth von Neugierigen drängte; Dagobert schlug seiner holden Gefährtin vor, sie dahin zu führen. – »Was soll ich in dem wilden Gewühl?« fragte sie sanft und mit leuchtenden Augen: »Vor Allem, was soll ich jetzt dort? Führt mich lieber zu unsrer Wohnung, guter Junkherr. Die Mutter wird sich freuen, Euch wieder zu sehen.« – »Ei,« lächelte Dagobert: »der Ton mit dem Ihr langsam und gezogen diese Worte spracht, ließe mich beinahe das Gegentheil vermuthen. Wie kommt es überhaupt daß Ihr, die Herrlichkeit der Messe anzuschauen, in Eures steifen Vetters Haus gezogen seyd, welches in abgelegner, finstrer Gasse steht, und nicht vielmehr in das unsrige, mitten im Gewühl emporragende, in welches Euch obendrein der Mutter und des Vaters freundliche Einladung berief?« – Regina betrachtete im Gehen verlegen die Schnabelspitzen ihrer Schuhe, und antwortete anfänglich gar nicht. Alsdann erwiederte sie zögernd: »Fragt mich doch nicht, ehrsamer Herr. Ich kann Euch ja hierauf nicht berichten, und ich darf es ja auch nicht.« – »Ihr kommt mir räthselhaft vor,« versetzte Dagobert, dem die Wangen heiß wurden, ohne daß er sich bewußt war, warum: »Hingen Eure Augen nicht so fest am Boden hin, wie Eure zierlichen Füßchen, ich möchte wohl die Wahrheit in ihrem klaren Spiegel erforschen. Ein Kummer scheint Eure heitre Stirne zu trüben. Was ist's, daß Euch ein Kind des Himmels zu bekränken vermag?« – Regina seufzte schwer, und entgegnete so [270] leise, daß kaum der lauschende Dagobert sie vernahm: »O Herr, auch ich habe meinen Gram, wie jeder andre Mensch, ... wie Ihr zum Beispiel selber, Junkherr.« – »Wolle Euch doch der Himmel vor solchen Leiden bewahren!« rief der junge Mann erschrocken: »Eure Leid ist nur das eines harmlosen Kindes, und vergeht schnell wie der Märzschnee, aber ich, ich sehe meinem Trübsinn kein Ende.« – Da blickte ihn Regina von der Seite an, mit einem Gesichte, als wollte sie sagen: Schelm! Du solltest ewig grämlich bleiben? – Ihr Mund sprach aber zu dem Betroffenen die Worte: »Nehmt Euch zusammen, Herr. Macht doch Euch, euern Ältern, und nur Euern Freunden wieder Freude. Glaubt mir, euer Trübsal wird sich endigen, und bald, sage ich Euch.« – »Ho, mein Fräulein,« versetzte Dagobert leicht scherzend: »Seyd ihr etwa eine weise Sybille, die in der Zukunft oder in den Sternen liest? Prophezeit mir nur recht viel Gutes, reizendes Wunderkind. Was Eure Kirschenlippen verkunden, muß der Himmel verwirklichen, wie eines Engels Ausspruch.« – Regina schüttelte heimlich lächelnd den Kopf und erwiederte: »Ihr redet heidnisch, denke ich. Hier bedarf es jedoch nur einer tröstenden Zuversicht. Ich habe meine Sache auf die heilige Mutter gestellt, und sie wird mir gnädig seyn, das weiß ich; seit einer Stunde weiß ich's ganz gewiß.« – »Seit einer Stunde?« fragte Dagobert neugierig und ahnend: »O, mein Fräulein, Ihr versteht es, einen ehrlichen Burschen auf die Folter zu legen. Wer hat Euch denn gesagt ....?« – »Der Ring, [271] den Ihr mir gabt, hat mir Alles gesagt;« platzte Regina heraus, und setzte schnell hinzu, gleichsam, als fürchte sie, für ihr Zartgefühl zu viel gesagt zu haben: »Nun aber kein Wort mehr, guter Junkherr. Seit die Glocken läuten, stehen wir schon an des Vetters Thüre. Wenn die Mutter mich sah, so ergeht mir's nicht gut. lebt wohl, mein Freund; ich sende Euch durch Ammon, was Eure Güte für mich ausgelegt.« – »Warum diese Erinnerung zum Abschiede?« fragte Dagobert, dem es jetzt schwer fiel, sich von der Anmuthigen zu trennen: »Sagt mir lieber, ob ich Euch nicht wiedersehe? sagt mir, wann es geschieht.« – »Ihr fragt mich zu viel,« antwortete Regina eilig und ernsthaft: »daß wir uns aber wiedersehen .... verlaßt Euch darauf.« – Mit diesen Worten war sie innerhalb der Pforte verschwunden, und Dagobert's Auge starrte ihr nach in den dunkeln Gang, in dessen Hintergrunde ihr flatterndes Gewand von dannen rauschte. Eine rauhe Stimme ließ sich hinter ihm mit einem gezogenen: »Guten Tag, edler Herr!« vernehmen. – »Wie? Du hier, altes wildes Gesicht?« fragte Dagobert den begrüßenden Ammon, der mit einem Korbe beladen, in's Haus wollte. – »Euch zu Diensten, gestrenger Junker!« antwortete der Alte. »Mögt zugleich wissen, daß auch die Edelfrau zu Frankfurt ist, und in kurzer Frist hier seyn wird. Sie folgt mir auf dem Fuße. Laßt Euch hier nicht von ihr finden, Herr.« – »Warum denn nicht, alter Jäger?« – »Als ob Ihr's nicht wüßtet!« versetzte hämisch lächelnd Ammon: »Ihr verrückt Getauften [272] wie Ungetauften den Kopf, und das Schlimmste bei der Sache ist, daß Ihr ausseht, als hättet Ihr nimmer ein Wasser getrübt.« – »Du bist toll, Alter.« – »Ich nicht, aber das Fräulein wohl mit mitunter, denn es spricht nur von Euch, denkt nur an Euch, und ich wette, seine Träume sind nur von Euch, und da Ihr dennoch ehelos bleiben wollt, was soll die Mutter anders thun, als die Tochter hüten vor Eurer gefährlichen Nähe? Macht, daß Ihr von dannen kommt. Ihr wißt nun zu Deutsch, was die Glocke schlug, und mögt Euch darnach richten. Gott befohlen. Dort kömmt die Frau von Dürning.« –

Dagobert konnte sich selbst nicht Rechenschaft geben von der innern Gewalt, die in seiner Seele aufbrauste, und ihn von dannen riß vor der nahenden Edelfrau, wie ein gescheuchtes Reh vor dem Jäger, wie einen flüchtigen Feind vor dem Verfolger. Genug, er entging den Blicken der Frau von Dürning schnell und gewandt, und holte erst in der dritten engen Nachbargasse Athem, um zu überlegen, warum er eigentlich die Flucht ergriffen. »Habe ich denn ein böses Gewissen?« fragte er sich aufrichtig und ehrlich, und glaubte, die Frage verneinen zu dürfen. »Weßhalb also diese plötzliche Scheu? Wenn ich glaube, was mein Herz mir zuflüstert, so fürchte ich, daß Regina meiner Nähe gefährlich werden könnte. Und welcher tückische Geist mußte mich verleiten, ihr das Geschenk zu bieten, das, ich fühl' es, plötzlich zu einem geheimen zauberischen Bindemittel zwischen uns geworden ist; der Ring einer Kette, die uns zu vereinen strebt, obgleich ich selbst dadurch zerrissen [273] werde in zwei sich abstoßende Hälften? Gehört denn nur ein Augenblick dazu, die Vorsätze eines Mannes zu zertrümmern, ein geliebtes Bild zu vernichten, und ein andres an dessen Statt aufzustellen? nur ein Augenblick, um mit Schaam die Blicke zu verschleiern, die noch vor ganz kurzer Frist frank und offen einem Jeden unter den Helm sahen? – Nicht doch, Dagobert;« setzte er hinzu, und ermannte sich gewaltsam: »Was dir den Mangel an Selbstgefühl und Selbstvertrauen zuflüstert, – das ist nicht ... nein! das ist nie gewesen. Esther! Deine Vorurtheile, Deine Härte haben Dich von mir geschieden, aber mein Herz wird Dir dennoch immer sehnsüchtig nachweinen. Du hast meine Brust zerfleischt, aber diese Brust fühlt bis zum letzten Lebensfunken nur für Dich. Den Schwur, den ich Deinem Angedenken leistete – ich will ihn halten. Vom Altar riß mich das Flehen meines Vaters, aber nicht in die Arme einer Gattin soll sein Befehl mich stoßen, so lange Du lebst, Geliebte, – und wie könnte ich Dich überleben? – so lange Du mir treu bleibst, trotz Trennung und Glaube, – und wie könnte mein Gehirn so wahnsinnig und verbrecherisch seyn, Deine Untreue nur möglich zu achten?« –

Dagobert, nachdem er auf diese Weise mit seinem Gefühl und Gewissen in's Reine gekommen zu seyn glaubte, bemerkte, daß sein Selbstgespräch, oder vielmehr die Geberden, mit welchen er dasselbe begleitete, Zuschauer an die kleinen Fenster der umstehenden Häuser gezogen hatten. Er schämte sich deßhalb, hier ein Schauspiel gegeben zu haben und eilte [274] mit hastigen Schritten, in der nächsten Kirche seine brennende Wange zu verbergen und die Heftigkeit seiner Gemüthsbewegung zu mäßigen. Da er nun eben mit dem eisigen Weihwasserborn seine glühende Stirne kühlte unter dem Zeichen des Kreuzes, kam ihm aus dem Halbdunkel des Betgewölbes, in welchem sich – die Mittagsstunde nahte – nur wenige Gläubige befanden, eine Frauengestalt entgegen, die, bekannt und freundlich zwar, ihm schon lange eine Gleichgültige geworden war; jetzo aber, Dank sey es den feierlich vorragenden Schatten des Gotteshauses und der vorhergegangenen Gewissensforschung, einen neuen Werth für ihn erhielt. – »Ei, mein Bäschen!« fragte er leise und vertraulich, die Hand der Entgegenkommenden fassend: »Bäschen Fiorilla! unter dem Dache des Herrn begegnen wir uns, was unter dem unsrigen fast nimmer zu geschehen pflegt. Woher, wohin, mein Kind? plaudre mir die Grillen weg durch ein paar süße wälsche Worte, Bäschen. Wir sind hier ungestört und zu Hause meidest Du mich ohnehin wie das Fieber.« – »Wir meiden uns gegenseitig;« lächelte Fiorilla: »Ihr, weil Eure Schwermuth jede, vor allen weibliche Gesellschaft flieht. Ich, weil meinem Herzen nichts gefährlicher ist, als der Anblick eines traurigen Jünglings, der von Liebesgram verzehrt wird. Heute indessen kommt Euer Zusammentreffen mir erwünscht. Für's Erste darf ich Euch Lebewohl sagen. Morgen scheiden wir.« – »Scheiden?« fragte Dagobert zerstreut: »wer denn? Du von mir?« –

[275] »Der höchwürdige Oheim und Prälat,« versetzte das Mädchen; »und in seinem Gefolge ich, seine treue Dienerin.« – »Ja, ja,« sprach Dagobert wie oben, und Fiorillen theilnehmend ansehend: »Ja, gute Fiorilla. Du bist dem Satan verfallen auf immerdar. Weine nicht, mein Kind, ich habe es nicht böse gemeint, und um der Taufe willen muß man sich auch schon etwas gefallen lassen. Zürne mir nicht, und sage mir lieber, was den Ohm forttreibt? Er vermißt gewißlich hier das wälsche Ungeziefer, die wälsche Zaunkönigskost, und unser Rinderbraten ist ihm ein Gräul geworden. Nicht also?« – »O nein, bester Dagobert;« erwiederte Fiorilla: »er thut nur, was ihm einzig übrig bleibt. Er hat von der Nichte wieder angenommen, was er ihr einst großmüthig abgetreten, sein Gut zu Baldergrün; zu glücklich, auf einer deutschen Hufe sein Leben beschließen zu können, da zu Cesena Glück und Ehre ihm verloren ging. Vorbereitungen zu unsrer Reist zu treffen, hatte ich das Haus verlassen, und bin erfreut, auf der Rückkehr von den Geschäften Euch zu begegnen, bester Junherr!« – Mit feuchtem Blicke drückte sie die Hand des Jünglings, und zog ihn in einen stillen Winkel des Gebäudes, wo selbst noch Vorübergehende die Sprechenden nicht leicht gewahren mochten. – »Zugleich,« spann sie dort den Faden des Gesprächs weiter, ... »zugleich bin ich entzückt, vom Zufall in den Stand gesetzt zu seyn, Euch eine Kunde mitzutheilen, die, je schmerzlicher sie Euch im Augenblicke betroffen mag, um so wohlthätiger in ihren belohnenden Folgen sich bewähren wird.« – »Eine[276] schmerzlich Kunde?« fiel Dagobert ein: »Ich bin des langsam fressenden Leids schon gewohnt, und sehne mich nach einem harten Schlage des Schicksals; der durch seine Übermacht meine Sehnen wieder spanne und aufwecke zum Widerstand. Indessen scheint Dir vielleicht schmerzlich, was mir gleichgültig geworden. Vater, Mutter und Neffe leben und freuen sich des Lebens. Da bin ich also nur von einer Seite verwundbar, und diese wird Dein Pfeil nicht treffen.« – »Und wenn ich Euch den Namen: ›Esther‹ nenne?« fragte Fiorilla langsam, ihm prüfend in's Auge sehend. Seine Farbe veränderte sich mit einemmale, seine Hand fuhr nach der Brust, und ohne zu reden, nickte er der Freundin zu, ihre Mähr anzuheben. – »Esther ist hier,« sprach Fiorilla gemäßigt: »ich habe sie gesehen, gesprochen. Der Zufall führte mich heute bei ihr ein, wie einst zu Costnitz meine Neugier.« – »Hier? gesehen, gesprochen?« stammelte Dagobert, mit ängstlich wartendem Auge des fernern Berichts lauschend. – »Ihr früheres Unglück in dieser Stadt zwingt sie, in Verborgenheit zu leben,« fuhr Fiorilla fort: »aber, wär' auch dieses nicht, ... Euch, Dagobert, würde sie nimmer sehen, und Ihr letztes Lebewohl Euch zu bringen, hat sie mich beauftragt.« – Dagobert fühlte nach seiner Stirn, um sich zu überzeugen, daß er wach sey, daß er lebe, daß er selbst es sey, der Alles dieses höre, entgegnete aber keine Sylbe. Fiorilla sprach weiter: »Ihr würdet sie kaum mehr erkennen, denn selbst das scharfe Auge der Liebe würde geblendet seyn, von der Pracht, dem Überfluß, welche die Holde umgeben. Wie eine [277] Königin des Morgenlandes stand sie vor mir und sprach von Euch in Worten der Liebe, der in Freundschaft übergegangenen Liebe.« –

»Also nicht im Elend?« sprach Dagobert, leichter Athem schöpfend, und Fiorillens letzte Worte überhörend, vor sich hin: »Gottlob! – Und auch nicht gut;« setzte er mit Thränen im Auge hinzu: »Bin ich nicht der Bewahrer ihrer Habe? Die Grausame! als Bettlerin hätte sie mir wohl ihren Augenblick gegönnt, und des Herzogs Geld gefordert. Im Schooß des Reichthums verschmäht sie das falsche Erz und den treuen Freund.« – »Sie schont den letzten,« entgegnete Fiorilla, »und trägt billige Scheu, vor ihm zu erscheinen.« – »Wie?« fragte Dagobert mit voller Glut der aufflammenden Liebe: »sie zweifelt an mir? Hat sie mich denn jemals geliebt, wen sie dieses kann? Weiß sie nicht, daß Liebe unendlich ist, wie die Sonne, und so mild, wie diese? Sie hat mich zum Tode betrübt durch ihre Flucht, durch diese entsetzliche Täuschung meiner Hoffnung, aber sie ist's allein, die ich im Herzen trage. Sie kehre wieder; kein Vorwurf betrübe sie, sie bettle nicht um Vergebung. Sie sey mein, sie werfe endlich Starrsinn und Vorurtheil weg; sie empfange die Taufe des Herrn, und vor aller Welt sollen unsre Hochzeitskerzen brennen!« –

»Zu spät!« seufzte Fiorilla dazwischen, aber der leidenschaftliche junge Mann fuhr heftig fort: »Zu spät? warum? Sind wir denn in den wenigen Monden unsrer Trennung steinalte Leute geworden? Findet sich kein Priester mehr, sie aufzunehmen in [278] den Bund der Christen, zu segnen den unsern? O Fiorilla, ich vertraue Dir ganz. Du hast gewiß zu meinem Vortheile geredet, aber die Sprache der Freundschaft überredet nicht wie die der Minne. Sprich, wo ist sie? wo finde ich ihre Wohnung? Den Feinden sey sie verborgen, dem Freunde nicht, daß er zu ihr rede, daß er sie umgarne mit den Zauberworten seines Mundes, daß er sie wider Willen führe zum Glück!« – »Zu spät;« wiederholte Fiorilla mit Thränen des Mitgefühls im Auge: »indem wir sprechen, entführten leichte Rosse die Schönste ihres Volks diesen gefährlichen Mauern. Sie wird Euch nimmer wiedersehen; aber ...« fügte sie langsam und eintönig hinzu: »des Herzogs Gold mögt Ihr bereit legen. Ihr Mann wird es heute noch bei Euch abholen«. – Dagobert's Sinne drohten zu vergehen, und kalter Todesschweiß trat auf seine Stirne. Aber sich ermannend, drückte er grimmig Fiorillens Hand, und fragte mit bebendem Munde: »Wie sagtest Du? Ihr Wann .... ihr Mann? O wiederhole mir dies Schreckenswort.«

»Einmal mußtet Ihr's doch erfahren;« versetzte Fiorilla, die niederschlagende Rede mildernd, so gut es in ihrer Kraft stand: »ihr Ehemann, der Wechsler Joël von Lüttich, des Bischofs rechte Hand in Geldsachen, und reich, wie der griechische Kaiser. Esther's Bruder zwang sie, dem reichen Manne die Hand zu reichen, obschon ihr Herz geblutet. Allein, da der Bruder Gewalt über sie hat an Statt des noch bis heute räthselhaft verschwundnen Vaters, und keine Möglichkeit, Euch je mit ihr vereint zu sehen, [279] sich zeigte, so ergab sie sich endlich in den Willen des Bruders und des Geschicks, und wurde Joël's Weib. Seit drei Monden vermählt, ...« setzte Fiorilla schonend hinzu, »hat sie den redlichen Mann, wie sie versichert, lieben gelernt, und um so sichrer den Unverstand der ersten Liebe eingesehen, die niemals belohnt worden wäre. Sie wird Mutter werden .....«

»Genug!« versetzte Dagobert mit bewegter Stimme: »genug; obgleich diese letzten Worte mich nicht mehr erschüttern. Das Erste war allein vermögend, mich noch einmal zum Kinde zu machen, das, ohnmächtig und lächerlich zugleich, seine schwache Wuth gegen den grollenden Gewitterhimmel auslassen möchte. Esther abgewichen von der Bahn der Treue, von dem Gelübde, das ihr das eigne Herz aufgedrungen haben mußte, that es auch kein fremder Mund? Das heißt Alles in sich fassen, das ein Männerherz zermalmen oder heilen kann. Und an diesem unerwarteten Schreckniß soll mein Herz nicht zerschellen. Genesen soll es, wie der Kranke, dessen Wunde ein glühend Eisen ausbrennt, mit schmerzlich wohlthätiger Gewalt; ... wie der Vergiftete, dem der besonnene Arzt ein schrecklicheres Gift aufzwingt, damit es mit dem verderblichen Vorgänger in den Kampf gehe und ihn überwinde. Alle Segenswünsche der Erde über Dein Haupt, Fiorilla. Das Messer Deiner Rede hat tief in meine Seele geschnitten, daß sie gesunde. Über Dein Haupt der Segensruf der Glücklichen, die ich jetzo machen werde und machen darf.« – »Wie verstehe ich Euch?« fragte Fiorilla neugierig[280] und besorgt nach der Hand des Entweichenden greifend. – »Es ist das Leichtste und das Angenehmste von der Welt;« erwiederte Dagobert mit bitterm Lächeln: »ich will das vierte Gebot erfüllen und thun, wie mein Vater will, und meine zweite Mutter begehrt. Die Frau des Juden Joël ziehe immerhin gen Lüttich, wie der Ohm nach Baldergrün. Mit der Erstern sey der Gott der Barmherzigkeit und der Vergebung Engel, für den Zweiten mag meine fromme Schwester beten. Ich aber für mein Theil, will hingehen und, ein gehorsamer Sohn, die Ältern fragen: Wo ist die, die ich freien soll? Zeigt und nennt sie mir, daß ich thue nach euerm Willen.« – »Ihr wolltet wirklich ...?« fragte Fiorilla halb fröhlich überrascht, halb ängstlich: »Ohne zu wählen, ... ohne zu überlegen..,?« – Dagobert zückte spöttisch die Achseln. »Hatte ich nicht schon gewählt, und stehe jetzo doch allein?« fragte er: »Laßt mich gewähren. Die Zeit eilt. Die Stunden sind gezählt, wie meines Vaters graue Haare. Ehe er von hinnen geht, soll er Freude an seinem Sohne erleben, und wenn mir auch das Herz darüber bräche. Leb' wohl, Fiorilla, und habe Dank.«

Fußnoten

1 Der Ort, in welchem der Rath diese Personen gebannt hatte. –

12. Kapitel
[281] Zwölftes Kapitel.

.... ein nomadisch Volk,

Diebisch, listig und verwegen,

Heidenbrut aus Afrika,

Vogelfrei und dennoch furchtbar.

Romanisches Lied.


Die edle Frau von Dürning stand ihrer Tochter gegenüber, und beide schienen ihr Wesen gegen einander ausgtauscht zu haben. Regina, die sonst gewohnt war, mit niedergeschlagenen Augen der Mutter Worte anzuhören, wie ein demüthig Kind, stand nun aufgerichtet vor ihr; im offnen geraden Blicke freudige Unbefangenheit, Lichter einer seligen Lust, die auch ihre Züge mit rosigem Schimmer verklärten. Frau von Dürning hingegen hatte die Augen zu Boden gerichtet, sah sinnend vor sich hin, und um ihren Mund spielte das leichte Lächeln, das sich einfindet, wenn uns eingetroffen ist, was wir für unmöglich hielten, und was wir überrascht in eine nicht unangenehme Wirklichkeit treten sehen. So wie in Reginens Gesichte etwas Siegerisches lag, so prägte sich in der Mutter Zügen ein gewisses Nachgeben aus, das nicht Zwang und Gewalt, sondern mütterliche Liebe allein herbeigeführt zu haben schien, und in dem dazu gehörigen Tone, wiewohl in der obigen Stellung noch verharrend, fragte sie die Tochter: »Bist Du nun zufrieden, mein Kind?« – »Zufrieden und glücklich, mein Mütterlein!« erwiederte Regina, und der Mutter Sanftmuth zog das Mädchen unwiderstehlich an deren Brust. »Fast kömmt [282] mir's vor, wie ein Traumbild,« hob wieder die Edelfrau an, schüttelte lächelnd den Kopf, und trat an das offne Fenster. »Dort gehen aber noch beide,« fuhr sie fort: »der alte Herr in seinem stattlichsten Feierkleide, und sein Sohn in dem schlichten kurzen Rocke, der ihm so gut steht, wie ich nicht mehr länger läugnen mag.« – Regina blintzelte verschämt über die Schulter der Mutter, und lispelte: »Leb' wohl, und kehre recht bald wiedeer, Du guter, guter Mensch.« – »Er wird wohl nur zu bald wiederkehren;« meinte die Mutter schalkhaft: »ist's doch, als ob der junge Mann in den Krieg müßte, so eilt er sich mit Freierei und Einsegnung. Ei, wer hätte gestern dieses schon gedacht?« – »Lieb Mütterlein,« versetzte Regina: »seit gestern wußte ich's ganz gewiß, daß Dagobert, mein Herr wird, und kein Andrer.« – »Sieh doch!« schaltete die Edelfrau ein: »So laß doch hören, Du verständig und vorwitzig Kind.«

»Ich will Euch dessen haarklein berichten,« antwortete die Tochter freundlich, und setzte sich zu der Mutter Füßen auf den gepolsterten Schemel: »Euch war es lange nicht nicht mehr unbekannt, daß ich den Junker liebgewonnen hatte seit verwichnem Osterfeste, und noch viel mehr zur Zeit, da er in unsern Forst kam mit der armen Dirne, die er leider damals liebte, wie sie's nicht verdiente, weil sie eine Jüdin war, und weil sie ihm nicht treu blieb. Seither habt Ihr mir verboten, ihm merken zu lassen, daß ich ihm hold sey, und nachdem wir in seinem Hause seiner Eltern Hochzeittag begangen, habt Ihr mir untersagt, an [283] ihn zu denken, weil er damals frei heraus gesagt, er werde, obgleich vom Kircheneide frei, nimmer heirathen in seinem Leben. Aber, gute Mutter; das untersagt sich leichter, als sich's thun läßt, dem Verbote zu gehorchen. Wider Willen sogar mußte ich stets an ihn denken, und ich hatte ihn jetzt weit lieber denn zuvor, und grämte mich schier, als unsere Nachbarin vom Wildenstein Hochzeit machte, und ich sah, wie die beiden Brautleute sich herzten, und ich mir immer sagen mußte, Dagobert und ich würden nimmer ein glückliches Paar werden dürfen. Da begab es sich einstmal – es mögen drei Sonntage seitdem vergangen seyn, – daß Ihr nach Friedberg gefahren wart, und ich das Haus hütete. Ich hatte Langeweile in den Stuben, und keine Kurzweil in unserm kleinen Garten, weil die Blumen schon meistens abgeblüht haben, und auch die Bäume fruchtleer stehen, des Frostes wegen, der die Blüthen verdarb. Gar zu gern hätte ich mich unter die Hofleute gemischt, die unter der großschattigen Linde des Burgplatzes saßen, und mit Plaudern und Scherz und Gesang sich den Feiertag vertrieben; aber Ihr habt mir oft gesagt, daß sich das für mich nicht mehr zieme, und so unterließ ich's denn, mich bezwingend, vom Fenster aus, ihrem fröhlichen Weben und Leben zuzuschauen mit sehnsüchtiger Freude. Da gewahrte ich, daß die Wurzel aller Freude jener Leute ein Mann war, von häßlichem Aussehen zwar, der jedoch der possenhaften Geberden viel trieb, zu einer ganz verstimmten Laute Lieder sang nach lustigen Weisen und mit lächerlichem Nasentone, und sich überhaupt [284] vorgenommen hatte, für ein Paar Pfenninge und einen Trunk die Burgleute zu unterhalten. Den meisten Spaß aber machte er den Zuhörern, da er ihnen aus der Hand wahrsagte, nach der Reihe, einem nach dem andern, und so oft er dem Neugierigen gesagt, was sich ferner mit ihm begeben werde, so erschallte laut und anhaltend das Gelächter der Übrigen. Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich mit einemmale auf der Schwelle des Hauses stand, und Eure Gürtelmagd vorüberging, mit den Worten: ›Der kann mehr als Brod essen, gutes Fräulein‹. Er hat uns alles gesagt, was wir schon erlebt haben, und, da er es so gut getroffen, so muß auch wahr seyn, was er von der Zukunft uns gelehrt.«

Um so neugieriger sah ich nach dem fremden Manne, und plötzlich stand er vor mir, daß ich schier erschrocken wäre vor seinem häßlichen Gesichte, und dem Pflaster auf seinem Auge. – »Fürchtet Euch nicht, lieb Fräulein!« sprach er mit unangenehmen Lachen: »Der Mensch kann nichts für sein Gesicht. Gott gibt die Schönheit und die Häßlichkeit; die Klugheit jedoch nicht minder. Erlaubt, daß ich Euch wahr sage aus der Zukunft.« –

Unwillkürlich halb, und halb mit Wißbegier reichte ich ihm die Linke, in deren Fläche er lange Zeit schaute und blinzelte, heimliche Worte murmelnd. Endlich begann er mir zu erzählen aus meiner Jugend, und sagte mir unverholen, ich sey in meinem Herzen einem jungen Mann gar hold und zugethan. Wie ich da erschrack! Gut war es nur, daß er nicht des Jünglings Namen genannt; ich wäre sonst vergangen vor[285] Schaam. Hierauf versicherte er mir, ich würde nächstens eine Hausfrau werden, und derjenige ganz gewiß mein Liebster und mein Ehegatte seyn, der mir einen Goldring schenken würde mit 'nem blauen Stein und zwei verschlungnen Händen unter einem Kranze. – Nun wollte ich nichts weiter hören, reichte ihm eine reichliche Gabe, und dachte mir die Prophezeihung aus den Sinnen zu schlagen. Des Fremdlings Geschicklichkeit bewährte sich indessen schon in der folgenden Nacht. Dem Freisassen Kunz vom Wildensteine, der mit unsern Leuten trank und scherzte, hatte er vorausgesagt, er solle sein locker Leben einstellen, denn es stehe ihm ein gewaltsam Ende bevor, und der Freisaß hatte ihn verhöhnt, verspottet und für verrückt gehalten. Aber in derselben Nacht wurde er auf seinem Hofe jämmerlich um's Leben gebracht, und seine Ställe und Kästen geplündert, man weiß zur Stund noch nicht, von wem. Von da an mußte ich täglich, stündlich sogar der Voraussagung gedenken, und – stellt Euch vor, – gestern schenkte mir Dagobert einen Ring, gerade so, wie ihn der Wahrsager beschrieben, ... denselben, den er heute von mir verlangt, und feierlich, zum Zeichen unsrer Verlobung, an den Finger mir gesteckt. – »Denselben Ring, den Du mir verheimlicht;« versetzte die Mutter mit sanftem Vorwurf: »es ist wahrlich Zeit, daß Du aus meiner Obhut trittst, sonst erlebte ich noch das Bittre, das ganze Vertrauen meines Kindes zu verlieren.« – »Nicht böse, mein Mütterlein!« flehte die bewegte Regina, und ihrem schmeichelnden Tone konnte die Frau von Dürning nicht widerstehen. Sie nahm die [286] blühende Braut in die Arme, herzte und küßte sie unter mütterlichen Thränen, und sprach dann, sich ermannend: »Gott segne Dich, mein Kind; das ist mein bester Wunsch. Ich denke, Du wirst einen wackern Eheherrn erhalten; gehorche ihm wie einem Vater, liebe ihn mehr als Dich selbst, und vor allem erinnere ihn niemals Dein Mund an die Liebe, deren Vertraute Du gewesen. Sah er gleich ein, wie unwürdig der Gegenstand derselben war, so blutet doch vielleicht sein Herz bei der Erinnerung noch. Laß die Wunde ganz verharrschen: rede nicht von ihr, bis er selbst einst lächelnd es zu thun vermag. Schon manche Hausfrau hat die zärtliche Liebe ihres Gatten verloren, weil sie unzart verschollne Schwächen aus den Schleiern der Vergangenheit an's Licht zog. Hüte Dich vor gleichem Schicksale. Webe still und emsig Rosen in des Mannes Leben. Er empfinde tief, welchen Schatz er in Dir besitzt, und werde nicht gemahnt an das Spielwerk seiner Neigung, das ihm entrissen wurde. – Nun aber, mein Kind, lasse mich von Dir, damit ich gehe, und dem Vetter, wie unsern Freunden die schnelle Veränderung Deines Standes bekannt machen darf. Ich werde viel Widerspruch erfahren; es ist außer dem Geleise der Sitte, an einem Tage um die Braut zu freien, am andern sie schon heimzuführen; allein ich werde standhaft seyn, mein Kind, und der Förmlichkeit unsrer Basen, wie dem Widerwillen, den der Vetter gegen die Sippschaft des Schöffen Frosch von jeher hegte, muthig die Sorgfalt für Dein Glück entgegensetzen, über welches zu wachen mich das Schicksal berufen[287] hat.« – Die Edelfrau warf das Piret auf das Haupt, band es fest, zupfte vor dem Spiegel die Haubenkannten gerade, hing Kette und Wetscher an Hals und Gürtel, und ging nach freundlichem Abschiede von dannen. Regina blieb mit ihrer Fröhlichkeit allein, und schritt in dem einsamen Gemache mit gefalteten Händen auf und nieder, den trunknen Blick zum Himmel hebend, und ihm dankend für die gewährte Seligkeit. Bald jedoch eilte sie an's Fenster, um in das Gewühl zu schauen, das so eben durch die enge Gasse durchwogte. Ein Zug von neu ankommenden Kaufleuten, welchem sich ein Trupp von Wallfahrern aus der Wetterau angeschlossen hatte, der nach St. Wendels Kapelle ging, um die Schafheerden von dem Veitstanz loszubeten, erregte das Getöse. Eine Menge Volks lief den Fremdlingen und den Pilgern nach, und Regina's Scharfblick gewahrte unter diesem Pöbeltroß des Wahrsagers, von welchem sie so eben der Mutter berichtet hatten Der Mensch sah gerade mit einem neugierigen Gesichte herauf, und ehe sie es selbst noch bedacht hatte, hatte Regina ihm gewinkt, und herein in's Haus war er geschlüpft, die Thüre des Gemachs hatte er gefunden, und stand mit demüthiger Frage, nach des Fräuleins Befehl, vor demselben, die Filzmütze unterm Arme, wie sich's für den Geringern geziemt, und das freie Auge blinzelnd in neugieriger Erwanung. – »Du hier?« fragte ihn Regina staunend: »Bist Du denn überall?« – »Wie der Wind, schöne Maid,« erwiederte der Mensch; »überall, wo es Geld gibt und mitleidige Seelen.« – »Du solltest des Mitleids [288] gar nicht bedürfen,« meinte Regina: »Deine Geschicklichkeit sollte Dir Kisten voll Gold einbringen.« – »Freigebigkeit ist geworden selten in der Welt;« hieß die Antwort. – »Ich will nicht die Kargste seyn,« sprach Regina, dem Staunenden einen Beutel mit Silbermünze hinlangend: »Deine Prophezeiung ist eingetroffen, Du häßlicher, aber kluger Bursche. Der Ring mit dem blauen Steine kam, und mit ihm mein Hochzeiter. Auch von ihm kannst Du noch einen reichlichen Lohn gewinnen, stellst Du Dich ihm morgen, an unserm Ehrentage vor.« – »Euerm Hochzeiter?« fragte der Mensch neugieriger und lauernd. – »Ja doch;« erwiederte Regina lächelnd: »dem ehrsamen Altbürgersohn Dagobert Frosch, wenn Dir etwa sein Name noch nicht bekannt seyn sollte. Wir werden morgen ein Ehepaar, und möchten im Vorgefühle einer glücklichen Zeit den Herold derselben belohnen, wenn er's nicht verschmäht.« – »Verschmähen?« fragte der Fremde mit scharfem Lächeln: »Ein Bettelmann wirft nichts hinter die Thür, am wenigsten den Dank, den ich nicht erwartet hätte von Euerm jungen Eheherrn. Ich werde kommen zum Schmaus, und nicht alleine, hoffe ich. Ein Hochzeitgeschenke soll mich begleiten, und Ihr werdet seyn glücklich in Ewigkeit, so Ihr's fromm und geduldig empfahen mögt. Valet, junge Braut.« Mit diesen Worten war der Mensch mit dem klimperden Beutel wie der Blitz davon, und ließ Reginen allein, die über das seltsame Benehmen des Fremdlings nicht genug sich wundern, es nicht genug belächeln konnte. Während sie sich jedoch den Kopf vergebens zerbrach, ruderte [289] der Fremdling mit schnell arbeitenden Ellbogen durch die Menschenerfüllten Gassen, unter schadenfrohem, heimlichem Lachen, und mit wildfreudig klopfender Brust. Er stürzte sich in das dickste Volksgedränge, und entfaltete hier sein eigentlich Gewerbe. Mit scharfer, im Ärmel verborgnen Scheere schnitt er hier eine Geldtasche von einem Frauengürtel, dort einen Beutel von des Mannes Hüfte. Die goldnen Troddeln an den Kaputzen der Mäntel wurden häufig auf dieselbe Weise sein, und wo er, von Andrer Augen gehütet, nicht das Kostbare erobern mochte, schnitt er, nur um zu schaden, die köstlichen Pelzverbrämungen der Frauenröcke, wie auch die herrlichen Sammetschauben der Vornehmen in Stücken. Trotz diesem eifrig betriebnen Geschäfte drang er doch unaufhaltsam in einer geraden Richtung fort bis zum Mainstrome, wo er mit dem Mittagsgeläute eintraf. Andächtig, wie alle Vorübergehende entblößte en den schwarz und rauh behaarten Kopf, und warf sich auf die Knie, die Brust klopfend und die Stirne bekreuzend; dann spie er verstohlen aus, und schlüpfte in eine von den Breterschenken, die, luftig und für den Augenblick erbaut, zum Besten der Kaufleute am Ufer errichtet waren. In einem verborgnen Winkel derselben verzehrte er hastig und gefräßig den Knoblauch und das harte Brod, das er in der Tasche trug, und schlürfte dazu seine halbe Kanne schlechten Weins, das Geld im Verborgnen überzählend, das er auf seinem Gewerbgange erobert. – Nach kurzer Ruhe erhob er sich wieder wie ein Fuchs vom Lager, strich am Herde vorüber, warf die ganze Pfefferbüchse auf [290] ein Gericht von Fischen, das dort in der Pfanne schmorte, stieß einen vor der Hütte stehenden mit Wecken gefüllten Korb mit einem schnellen Fußtritt in den Strom und verschwand innerhalb dem Bereiche mehrerer Zelthütten, die von einigen Meisterinnen fahrender Töchter unfern davon aufgeschlagen worden waren, und in welchen das lüderliche Herren-und Pöbelgesindel seine Schwelgereien feierte, unter'm Schutze der Meßfreiheit. Der Beutelschneider, aller Wege und Stege in diesen Hütten der Ausschweifung wohl bewußt, brachte schnell bei den üppigen Dirnen die Quasten und Troddeln an, die er gestohlen, und die sie ihm dreifach bezahlen mußten, um ihrer unverschämten Eitelkeit und ihres Sündenerwerbs willen. Der Handel fiel glücklich aus, und im Davongehen stieß der Dieb auf einen hagern Mann in bürgerlicher Tracht, der seinen Weg gegen die Zelte zu nehmen schien. »Wohin? wohin? edler Herr?« fragte der Erstere halblaut, und dem Manne vertraulich auf den Leib rückend: »Schleicht man doch nicht im Mittagsscheine zum Liebchen, und hättet Ihr wohl was Beßres zu thun, als hier im Schlamm zu verderben Zeit und Masumme!« – »Halts Maul, Jud!« raunte ihm der Andre ergrimmt zu: »Scheer' Dich Deiner Wege.« – »Nichts da;« versetzte der Gescholtne: »Ihr werdet mir folgen in den Knippling, und vernehmen allda, was sich begeben, oder nichts haben von der Brut.« –

»Verdammter Hund!« murrte der Andre vor sich hin, und drehte sich aber um, dem Kerl zu folgen, der wie ein Wiesel, durch die Straßen dahin schoß, [291] und sich nach mannichfachem, wiederholtem Umschauen nach seinem Nachfolger, in das engste Gassengewinkel der Altstadt verlor. Hier, – in einem Sackgäßlein, zu dem Jahr aus, Jahr ein kein Sonnenstrahl den Weg zu bahnen sich vermochte, weil die eng an einanderstoßenden Überhänge der Häuser jeden Luftzugang versperrten, hier stand, – rechts und links von düstern Stiftsgebäuden eingefangen, – eine elende Schenke, – zum Knippling genannt, im Munde des Volks, und allerdings nicht allzu wohl berüchtigt, obgleich im Herzen der Stadt belegen. Der Wirth, ein eisgrauer Hagestolz hatte es gleich von Anbeginn nicht darauf abgesehen, eine klare, ehrliche Wirthschaft zu errichten, und hatte nur die niedern Bürger an sich gezogen durch wohlgeil Getränke. Anfänglich hatte er auch ein Kupplerwesen in der Stille getrieben, und mancher Altbürger, wie auch mancher Chorherr des benachbarten Stifts hatte wohl damals, bis an die Augen vermummt, unter'm Schirm der finstern Nacht, des pfiffigen Brändlings Haus besucht; aber seit der Rath die üble Wirthei ergattert, und der Stöcker, als Herr und Meister der fahrenden Weiber, bei hellem Tage die Dirnen aus dem Knippling getrieben hatte in's Rosenthal unter seinen eignen Bannbereich, – seitdem hatte der vornehme stille Zuspruch aufgehört, und aus der Bekanntschaft mit den Stiftsherren war für Brändling nur der Vortheil erwachsen, daß er ferner ungestört auf dem Grund und Boden des Kapitels verweilen durfte. Von Stund an hatte sich auch nichts Unredliches vom Knippling weiter hören lassen, aber rechtliche Leute [292] mieden beständig die Spelunke, in welcher nach wie vor nur sparsamer Pöbeltroß, oder arme Meßkrämer, oder listige Meßgauner ihre Einkehr hielten. In dieses finstre Haus traten die beiden Kumpane, begrüßten den gähnenden Wirth wie einen alten Bekannten und begaben sich in die kleine gewölbte Stube, in welcher zwei andre Männer an einem schmutzigen Brettspiele saßen. »Ho!« rief der Gefährte des Beutelschneiders: »Da komm ich ja guter Stunde: Schon da, Namensvetter? Grüß Dich Gott, und auch Dich, Bruder Reifenberg!« – Das Brettspiel flog nach diesen Worten unter den Tisch, die Dreie schüttelten sich die Hände und umarmten sich, wie alte Freunde. Der Vierte, der schwarzborstige Diebsgeselle, stand daneben, rieb die Hände und lachte wie ein Satan. Der Eine der Fremden sah sich nach ihm um, und sprach: »Du auch hier, Pathchen? Herrlich! ein ganzes Nest zünftiger Vögel. Wein her, Brändling! Wein! und nun rund um den Tisch, ihr Leute, und aufgethan den Schnabel, und erzählt wie es hier steht. Friedrich! mach Du den Anfang, denn in Deinen Augen .... Donner und Pestilenz! – da wetterleuchtet es, wie unter den Braunen des Teufels!« –

Brändling schleppte, auf leisen Socken schleichend, einige Kannen herbei, empfahl seinen Gästen Behutsamket und heimliches Gespräch, und ging, um an der Thüre Wache zu halten, daß sie nicht überfallen würden von ungebetnen Gefährten. –

»'s ist alles reif,« begann Zodick: »reif, als mir Gott soll helfen im Sterben. Alle die, die einst [293] gedient haben unter dem trunknen Marten, Alle, die bis jetzo entgangen sind dem Blutgericht, sind hie, und vertheilt in den Erdhütten und schlechten Bayes auf dem Klapperfeld und dem Fischerfeld. Ich steh' für sie ein, mit Gut und Blut. Sie zittern nicht, sie zagen nicht. Als ich ihnen sag': Stoßt zu! so stoßen sie auf den Fleck, bis er nichts mehr fühlt.« – »Die zwanzig angeworbnen Söldner sind ebenfalls um die Stadt herum versteckt;« setzte der Leuenberger, Zodick's Kumpan, hinzu: »tüchtige Leute, ein wahres Mordgesindel, das den Pfaffen am Altar ermordet, und aus des Papstes Hand den Kelch stiehlt, wann man's haben will.« – »Herrlich, beim Blitz und Strahl!« jubelte der Hornberger Veit, Reifenberger's Begleiter: »Siebzig Knechte haben wir im Gefolge und rings im Feld und Acker aufgestellt, die alle vor Begierde brennen, sich an den hochmüthigen Ellenreitern zu rächen, die sie herrenlos gemacht!« – »Gott sey Lob und Dank;« ließ sich der Reifenberger vernehmen, – »so dürfen wir doch hoffen, unserm armen Bechtram eine Todtenfeier zu halten, bei welcher die Frankfurter Geisel- und Römerfahrt, das große Sterben und die Gräuel der Judenschlacht vergessen sollen. Sagt aber, ihr Freunde, wann soll's beginnen?« – »Morgen!« fiel Zodick hastig ein: »Morgen, edle Herren, und nicht früher, und nicht später.« – »Hoho!« riefen die Andern: »Friedrich! Dir funkeln schon die Finger nach der Plünderung; aber so schnell wird's nicht seyn können!« – »Gott soll mir helfen;« betheuerte der Jude: – »entweder morgen, und ich bin dabei, oder nicht – morgen,[294] und ich ziehe ab meine Hand.« – »Dummer Hecht!« versetzte der Leuenberg: »hier können wir nicht ohne Dich seyn, Du sollst uns den Pöbel aufhetzen lassen, daß er an dem Spiele Theil nehme, Du sollst uns zu den Kisten und Kästen der Reichen führen, und uns zeigen, welches Haus früher brennen muß, als das andre.« – »Das will ich!« versicherte Zodick: »aber ich will verkrummen, und schwarz werden wie die Nacht, so ich's an anders thue, denn morgen. Ich will nicht haben umsonst mich gestürzt in die Gefahr des Todes; denn auf diesen Gassen liegt der Strick für meinen Hals; ich will Euch friedigen die Lust nach, und die Lust nach Rache.« – »Geld und Rache!« rief Hornberg: »Bei Donner und Strahl! der Jude, – Friedrich, wollt' ich sagen – hat Recht. Ist's denn nicht auch unsre Losung? Geld für uns! Rache für Bechtram's Henkertod!« – »Ganz recht!« polterte Leuenberg: »die Pest auf die Frankfurter und der rothe Hahn ihre Häuser; aber noch einmal: nichts übereilt! Vorsicht; ihr Freunde!« – »Versäumen wir's um einen Tag,« erläuterte Zodick, »so gehn die reichsten Niederländer fort, denn schon stehen leer ihre Gewölbe, und voll sind ihre Kasten; zaudern wir, so geht für mich verloren das höchste Glück der Rache. Mein Feind, der junge Frosch, macht morgen Hochzeit. Hat er gewonnen die Hand der Braut, soll er doch nicht gewinnen ihren Leib. Ich schlachte ihn am Hochzeitschmause mit seinem Ette, und will nichts weiter dafür, Herr von Leuenberg; aber ich will lahm werden wie ein Hund, wenn sie nicht die Ersten [295] sind, die da kriegen den Talles. Ich hab's geschworen, ihr Herren, und halten will ich's bei Gott!« – »Den jungen Frosch! den alten Sünder daneben?« fiel Leuenberg wild ein: »Vortrefflich! das bewegt mich, und bringt mich zu Allem. Am Hochzeittag? Drauf und dran! Bei dem blutgen Hochzeitsmahl tanz ich mit meiner Grete den Kehraus und mit Wallraden. Sie haben's um mich verdient!« – »In Gottesnamen! wie Ihr wollt!« stimmte Hornberg ein: »Je früher es an's Gemetzel geht, je freudiger schlage ich zu.« – »All' gut,« meinte der Reifenberger: »'s will aber doch beredet seyn, wie wir's vollführen, denn Kopf und Fuß muß eine Sache von dieser Wichtigkeit haben; das begreift Ihr wohl. Laßt uns darum überlegen, wie's am Besten anzufangen ist, und in's Reine bringen, wo und wann der Angriff statt zu finden hat; wo zu seugen und zu plündern, wie die Beute dann zu theilen ist.« – »Der lange Zodick mag zuerst sein Scherflein anbringen;« sprach der Leuenberg: »er kennt hier Zeit und Ort am Besten, und sein eigner Vortheil ist's, führt er uns gut und zur gelegnen Stunde.« – »Mir recht!« antwortete Zodick: »ich will Euch vorschmusen, wie ich mir's hab' gedacht. Erlaubt jedoch, daß ich zuvor werfe die roßhaarne Haube und 's Pflaster vom Kopf. Die Stirne glüht mir darunter wie ein Ofen.« – Indem er davon redete, hatte er auch die täuschende Verhüllung vom Haupte gerissen und sein rothes struppiges Haar, wie das blasse, zernagte und zerstörte Gesicht zu Tage gefördert. Indessen bemerkte Reiffenstein, der nach [296] dem Fenster blickte, vor demselben einen Mann, der durch die Scheiben glotzte, als suchten seine Augen einen Bekannten in der Stube. – »Die Mummerei vor's Gesicht!« rannte er dem Juden, der davon nichts gewahr worden war, zum und gab ihm einen bedeutungsvollen Wink. Zodick sah sich rasch um, und gewahrte noch den Mann, der so eben von Brändling bemerkt und angerufen worden war.

»Gott soll mir helfen, wenn mich der lennt;« sprach er gleichgültig und lächelnd zu dem Reiffenberg: »Ich kenn' ihn doch auch nicht: aber Vorsicht ist recht, und ich will darauf halten.« Er stülpte die Haarhaube auf den Kopf, und schlich mit den Andern an die Thüre der Stube, um zu horchen, wer wohl eigentlich der Fremde sey, und was er hier begehre. Sie vernahmen alsobald auch Brändlings Rede, die sich also vernehmen ließ: »Ei, ei, Meister Freudenberger! seit wann ist es denn Sitte, ungebeten in die Zechstube zu schauen, und zu hören, was die Gäste darin verhandeln?« – »Seyd nur nicht böse, Brändling;« erwiederte der Fremde: »Ich hab' nur einen Augenblick hineingeschaut, um zu sehen, ob Ihr daheim, und gehorcht hab' ich vollends nicht. Ihr wißt, mich kennen die Schenken nicht viel. Meine Einkehr gilt Euch; ich habe noch aus Euerm Hause ein Paar Schillinge zu fordern für Schuharbeit, und möchte Euch bitten, mir das längste Schuldige zu zahlen, weil ich Leder zur Messe kaufen muß.« – »Ho!« entgegnete Brändling grob, während seine Hände vergebens in den leeren Taschen nach Münze suchten; »der Bettel wird doch noch gut bei mir stehen, Meister Freudenberger? [297] Ihr seyd ein unhöflicher Mahner, so süß Ihr auch Eure Worte vorbringt, und kommt täglich zweimal, wie der Hunger. Setzt Euch doch hinein in die Stube, und sauft die kleine Schuld vom Kerbholze ab. Euch Schuhworten kömmt ja ohnehin selten genug ein Glas Wein in die trockne Gurgel.« – »Ich trinke nicht bei Euch, lieber Nachbar;« versetzte Freudenberger gelassen und freundlich: »will ich meine Kanne trinken, weiß ich auch schon bessere Häuser. Bemüht Euch um Geld, Lieber; ich komme morgen am Abend wieder.« – »Oder übermorgen lieber,« antwortete Brändling grob und aufgeblasen, wie zuvor: »Übermorgen zahle ich Alles bei Heller und Pfennig.« – »Also übermorgen,« entgegnete Freudenberger, wie oben: »Will aber doch morgen wieder nachfragen. Gott befohlen, Nachbar.« – Der Schuster ging, und Brändling belferte ihm ein: »Daß Du den Staupenschlag hättest, frömmelnder Schurke!« nach. Freudenberger sah sich nicht einmal mehr um, und zog ruhig seines Weges fort. Indessen trat Zodick zu Brändling, und rief ihm in's Ohr, während er ihm den Schopf beutelte: »Wenn Du noch einmal läßt kommen solch verdächtigen Goi in unsere Nähe, so hast Du gegessen Dein letzt Brod, Du fauler und träger Wirth!« – Die edeln Herren versicherten dem seine Unschuld Betheuernden ein Gleiches, und wollten, sich beglückwünschend, daß kein gefährlicherer Mann in dieses Freudenbergers Haut gesteckt, wieder an ihre Berathungen gehen, als in der Straße, nach welcher man eine Handbreit Aussicht aus Brändlings Kneipe hatte, ein Geläufe und Getobe entstand, als [298] ob die Stadt mit Sturm genommen würde. »Pest und rother Hahn!« donnerte Leuenberg, und griff nach der verborgnen Wehr: »was geht dort los? Schelm von einem Wirth! hast Du uns verrathen und verkauft, oder sind uns andre im frommen Werk zuvorgekommen?« – »Soll mich doch gleich der Blitz zehn Klafter in die Erde schlagen;« schrie Brändling weinerlich, denn Veit von Hornberg hatte ihm im Voraus schon, auf Abschlag, einen Schlag in's Genick versetzt, daß er sich kaum aufrecht zu halten vermochte: »ich weiß von Nichts: aber ein Sprung an die Ecke, Ihr Herren, und ich sag' Euch, was vorgeht!« – »Nicht ohne mich;« setzte der Hornberger bei, und packte den Wirth unter den Arm: »Wir gehen zusammen, Kumpan, und bei der mindesten Falschheit sitzt Dir mein Schnepper in der Gurgel, Du schielender, krummbeiniger Hund!« – Somit schleppte er den sich sträubenden Wirth mit sich, und in einiger Entfernung folgten die übrigen Drei, durch ihre Verkleidung keck gemacht, und sicher genug, von niemand unter diesen Federn erkannt zu werden. So wie sie aus dem Sackgäßlein hervortaten, und aus dem Gebrause des sie umstürmenden Volkes einige Worte klar auffischen mochten, so sahen sie die Nichtigkeit ihres Argwohns ein. Hundert Stimmen antworteten auf ihr Befragen: »Die braunen Leute aus Ägypten kommen! der Herzog aus dem Lande Afrika wird gleich hier vorbei ziehen,« und Zodick, der auf seinen Kreuzzügen durch das platte Land schon die Vorläufer dieser braunen Leute kannte, säumte nicht seinen Spießgesellen alsobald auf's Eiligste mitzutheilen,[299] welche Bewandniß es mit diesem Volke habe. Es hatten sich nämlich seit ganz kurzer Frist eine Menge von landstreicherischen Horden im Osten des deutschen Landes gezeigt, von fremder Abkunft, dunkler Farbe, zerlumpter abentheuerlicher Kleidung und kauderwälscher Sprache, wie auch von unbekannten Sitten. Diese Eigenschaften, – mehr aber noch als diese – der Fremdlinge überkeckes Thun und Treiben, hatten die Landbewohner in Staunen und Bestürzung versetzt, denn nichts von dem, was klingt und leuchtet und glänzt, war sicher vor den habsüchtigen Fingern der Fremden;. aber auch Hühnerhöfe, Taubenschläge und Ferkelställe leerten sie aus, verzehrend, was ihnen gerade behagte, vertauschend gegen Geld, was sie gerade im Überflusse besaßen, und verderbend, was ihnen unnützlich schien. Mit Unwillen sah der Bauer das zuchtlose Betragen des gleichwie vom Himmel geschneiten Gesindels, dessen Ursprung, Namen, Zunge und Bestimmung auch dem Gelehrtesten unbekannt war; er hätte gerne die frevelnden Gäste mit offner Gewalt vertrieben, denn Muth im ehrlichen Streite schien eben ihre Sache nicht zu seyn; aber die Menge, die stets sich erneuend wie aus dem Boden wuchs, ersetzte hier die Tapferkeit, und die Tausende, auf Leben und Tod durch die Bande ihres unbekannten Vaterlandes verknüpft zu dem gefählichen Zug, durch fremde Länder, bildeten eine furchtbare Macht, welcher selbst das wohlbewahrte Frankfurt den Durchzug, – und was mehr noch ist, – einige Rasttage nicht verbieten zu können glaubte. An dem Morgen des heutigen Tages waren, nach dem [300] Berichte mehrere Bürger, die erzählend und neugierig unter dem Getümmel standen, waren die Herolde des braunen Volks vor Schultheiß, Burgermeister und Rath erschienen, und hatten Geleitsbriefe vorgelegt von Königen, Fürsten und Herren, und im Namen ihres Herzogs den Durchzug gefordert, gegen Westen und Mittag, und der Magistrat, geschreckt von der im Munde des Volks weit übertriebenen und vergrößerten Zahl der zu einer Einzigen versammelten Horden, hatte dem Begehren willfahrt. In dieser Stunde kamen sie eben an, die Fremdlinge, geführt vom Oberstrichter selbst, und umgeben von Söldnern des Raths, die von Zug zu Zug verhindern sollten, daß Einer von den Ägyptern sich in die Stadt verliere, und zugleich ihnen als Begleitung dienen, bis zu der wüst liegenden Maternuskapelle in Sachsenhausen, wo sie ihre Rastzeit zubringen sollten. Helle Haufen von Weibern braunen Angesichts, mit glänzend schwarzen Haaren, ihre Kinder theils führend an der Hand, theils tragend auf dem Rücken, eröffneten, an langen Stäben wandernd, den langen Zug. Zerlumptes Männervolk mit Zwerchsäcken, Bündeln und Schläuchen auf den Schultern, Hahnenfedern auf den Mützen und kurzen Messern an der Seite, folgten. Ihre Gesichter waren meistens dunkel, wie die braune Kastanie, ihre Augen schwarz und lebendig, das Haar kurz und von gleicher Farbe, die Zähne lang und glänzend, wie das Elfenbein. Diese Horden, wenn gleich zahlreich und aus handfesten Leuten bestehend, waren indessen nur die Vorläufer der eigentlichen Volks- und Heeresmacht der Ägypter. Ein wildes Getöse ließ [301] sich in der Ferne vernehmen. Koppeln von Hunden wurden tobend vorbei getrieben, einzelne Bewaffnete auf dürren Eseln oder kleinen unansehnlichen Kleppern, mit dicken Köpfen und armseligen Schweifen, reitend; ließen sich unter dem dichter werdenden Getümmel sehen, und eine barbarische Musik rückte heran: Schaaren von Sängern und Spielleuten, die mit kleinen Trommeln, Handpaucken, Schellen, blechernen Klingdeckeln, Dudelsäcken und kleinen Mohrenpfeifen, einen wüsten Jubel erhoben und unterhielten. Hinter ihnen wurde die Stange, mit vergoldetem Knopfe und Büscheln von Roßhaaren geschmückt, getragen, von welcher an goldnen Schnüren der große pergamentne Freipaß herabhing, den Kaiser Sigismund dem aus fernem Osten heranziehenden ägyptischen Volke hatte ausfertigen lassen, und den viele große Herren und Städte durch ihr Insiegel bekräftigt hatten. Die prächtige Kleidung des Herzogs dieser Horden, der unter dem Schatten jenes Pergament-Paniers auf einem schellengeschmückten Maulthiere einher trabte, stach grell gegen die zerlumpte Tracht seiner Untergebenen ab. Das ungarische Gewand starrte von goldnen Zierrathen, auf seiner Mütze prangte ein Busch von rothen Hahnenfedern, und unter dem pelzverbrämten Rande dieses Hauptschmucks blitzten Augen hervor, die des Mannes Beruf, über das ungeschlachte Volk den Stab der Gewalt zu schwingen, auf's Bündigste bekräftigten. Um ihn her wurden die Kochgeschirre der Horde getragen, Schläuche mit Wein, Säcke mit Mundvorräthen; Weiber und Männer. Die rüstigsten aus Allen, – mit langen Speeren bewehrt, [302] folgten dem Heere, und an diese schloß sich, die Nachhut des ganzen Zuges bildrnd, ein unzählbarer Schwarm von Gesindel, Troßvolk und schwarzgebrannten, mit langen Knebelbärten gezierten Burschen, die den verwegnen Blick nach allen Seiten richteten, und bereit schienen, bei der ersten verdächtigen Bewegung des gaffenden Volks, wie blutlechzende Hunde in dessen Reihen einzubrechen, und zu morden und zu plündern nach Gefallen und Willkühr. – Also zog unter dem Summen der neugierigen Bürgermenge, dem widerlichen Getöne der Brumm und Gellpfeifen, und unaufhörlich aufwirbelnden Staubwolken die wunderliche Heeresmacht vorüber, und hinter ihr floß das nachdrängende Volk in einen Knaul zusammen, um die seltsamen Fremdlinge und ungebetnen Gäste nach ihrer Ruhestätte zu geleiten.

Zodick und seine Gefährten machten sich dagegen nach dem Knippling zurück, wo ihnen Brändling, da sich indessen in der Schenkstube einheimische Zecher eingefunden hatten, ein dunkles abgelegnes Hinterstüblein anwieß, in welchem sie sich um den Tisch lagerten, die Paßgläser füllten, und weiter sprachen von ihren verderblichen Planen. – »Gottes Wunder!« rief Zodick schmunzelnd und sich wohlgefällig das Kinn reibend: »Ihr edlen Herren und Genossen! Kann man finden einen bessern Deckel für unsre Sache, so wir nicht verschieben die Ausführung? Das ägyptische Volk hält hier Ruhtag, begreift Ihr, wackre Herren? Man fürchtet das Volk, man traut ihm nicht. Was wir anzünden, werden gethan haben sie die Fremden. Was wir zum Kapporah [303] nehmen, werden geschächtet haben sie. So wir geben das Zeichen zur Gewalt, so werden auch sie ergreifen das Schwert und bringen die letzte Verzweiflung über Mokum. Tausend Helfer haben wir errungen, in jenen; darum zögert nicht.« – »Donner und Teufel!« rief der wilde Hornberger mit Freudengelächter; »das trifft sich, wie gerufen, und unser Herrgott hat selbst der hochmüthigen Reichsstadt das Ziel gesteckt. auf das Wohl der Ägypter, weiß auch keine Seele, welcher Kukuk diese Satanseier in unser Nest gelegt hat. Wohl bekomme ihnen, und den Frankfurtern das Fest, zu dem wir die Melodey aufspielen wollen. Sie mögen Sachsenhausen und den erbärmlichen Strich, wie auch die Buden am Main plündern, und Tod und Feuer allenthalben hinbringen. Bis sie sich an die Arbeit machen, haben wir in Alt- und Neustadt schon die Augen von der Brühe geschöpft, und suchen das Freie. Mag dann das Heidenvolk keinen Stein auf den andern lassen. Desto besser für uns.« – »Und keinem Zweifel unterliegt's,« setzte Leuenberg hinzu, »daß die brannen Gesellen in unser Horn blasen.« – »Ob sie's thun?« fragte Reiffenberg: »Art läßt nicht von Art.« – »Zeigt dem Wolf nur Blut;« bekräftigte Zodick mit hämischem Spotte: »Er wird es dann suchen mit Begier.« – »Nun aber,« erhob Reiffenberg noch einmal die Stimme: »Vergleicht Euch; wie ist's zu beginnen, zu vollführen? Unsre Leute müßen morgen mit dem Frühsten schon Bescheid wissen.« – »Warum denn?« fragte Zodick mit ängstlicher Schlauheit: »Wollt Ihr geben unsre Hoffnung in hundert Männer? [304] Dann sitzen wir morgen Alle auf dem Brückenthurm, denn unter hundert Menschen, die ein Geheimniß wissen, sind achzig geneigt es auszudibbern. Eh's losgeht, – den Augenblick zuvor, sollen sie's erfahren, und nur an uns ist's, zu bestimmen unter uns, wie's losgehen soll. Auch wir sind schon um vier Augen zu stark, wenn man will seyn vorsichtig.« – »Schweig, Hund, mit solchem Diebsgeschwätz!« schnauzte ihn der Leuenberger an: »Rath, Anleitung und Handdienst verlangen wir von Dir; weiter Nichts.« – »Wir sind die Herren,« stimmte Hornberg mit flammenden Augen ein: »vergiß nicht, daß Du weniger bist als mein schlechtester Knecht, dessen Eltern und Voreltern schon getauft waren.« – »Das heißt:« schloß der Reiffenberger: »Halte Dein Judenmaul, wenn Du nicht gefragt wirst. Jetzo aber befehlen wir Dir, uns kurz und bündig zu sagen, wie Du über das Besprechen denkst und was Du räthst.« – Zodick warf unter den buschigen Augenbraunen einen grimmigen Blick auf die stolzen Herren und Freunde; er bezwang aber bis zu gelegner Zeit, klug und vorsichtig, die Galle, die ihm schon auf die Lippen zu treten drohte, und erläuterte nun den Edelleuten, wie er sich das Ganze ausgesonnen. Die zehnte Stunde der Nacht sollte die zum gräßlichen Werk bestimmte seyn. Der erste Schritt des Verderbens sollte nach Diethers Hause im Mittelpunkte der Stadt geschehen. Zodick und Veit von Leuenberg wollten daselbst mit den aufgebotnen Überresten der Blutzapferrotte ein entsetzlich Schauspiel geben, und den alten Diether, seinen Sohn, Margarethe, [305] den Schultheiß, Oberstrichter und die Schöffen, die sich, wie sie nicht zweifelten, beim Schmause befinden würden, so wie Wallraden, die sie auch nicht dabei fehlend dachten, mit Blitzesschnelle hinmetzeln, das Haus plündern, und dann in Brand stecken. Dieses Geschäft von geübten Mörderfäusten verübt, sollte bald abgethan, und die am Liebfrauenberge himmelansteigende Flamme das Zeichen für die Übrigen am Römerberg, und in der Neustadt verborgenen Rotten unter dem Hornberger und dem von Reiffenberg seyn. Die Häuser der reichsten Bürger, der Geschlechter Glauburg, Goldstein, zur Hofstatt, deren von Cölle, zum Kranich, von Holzhausen, der Münzberechtigten Altbürger Klabelauch wurden den Räubern zum vornehmsten Ziele gegeben. – Gold, Gold und Mord! hieß der Wahlspruch. Und nach all diesem Brand und Verwüstung. Reiffenberg übernahm es, den Stadthauptmann von Dudenhofen im Bette zu erschlagen, und somit den Arm aller Söldner des Rathes zu lähmen. Zodick versprach, die Geldvorräthe der ersten Wechslerstuben aufzuräumen. Leuenberg gelobte der niederländischen Kaufleute Niederlagen zu plündern, und hinwegzuschaffen, und Feuer in alle Holzhütten zu werfen. Der Hornberger vermaß sich hoch und theuer das Gewandhaus abzubrennen, die Gewölbe der Goldschmiede auf sich zu nehmen, und der reichen Stifter nicht zu schonen. Alle Gefängnisse sollten aufgesprengt, alle Meßgauner zur Theilnahme aufgefordert, der Pöbel, ihn zu gewinnen, in den Weinkellern der Reichen berauscht werden. Die Schiffe am Mainufer[306] sollten gekappt, einige von ihnen, mit dem Raube beladen, und also gen Mainz gesteuert werden. Und endlich, nachdem, wie zu hoffen stand, vom Dunkel der Nacht, wie von der schlaftrunknen Ohnmacht der zum Verderben Bestimmten, begünstigt, das Werk unter Flammen, Blut und Mordgeheul zu seiner schönsten Blüthe erwachsen, – dann wollten die Verschwornen die Brückenthore mit Gewalt eröffnen, und die Fremdlinge, das räuberische Volk herüberrufen zum Kehraus; während dessen sich auf dem Strome von dannen treiben lassen, und auf irgend einem befreundeten Raubnest des Rheinthals die kühn errungne Beute theilen. – Nachdem Zodick also gesprochen, konnten ihm die Andern ihren Beifall nicht versagen, und der Hornberger staunte nur, daß der Gedanke zu solchem Heldenwerk in eines Zodick's Hirn entspringen konnte, früher als in dem seinigen und seiner Gefährten. »Wahrlich!« rief er: »bei Hagel und Donnerstrahl! der Friedreich ist ein andrer Bursche geworden, denn zuvor. Ein schlechter Beutel- und Kehlabschneider war er, ein kühner Waghals ist er geworden. Der heilige Geist hat ihn wundersam in der Taufe überschattet, und mich freut's, ihr Herren, daß ich bei dem Kindlein Gevatter stand.« – »Mehr freut mich's,« sprach der Leuenberger, »daß endlich der Augenblick der Rache vor der Thüre ist: Pest und rother Hahn! Jetzt ist die Reihe an mir, Euch zu vergelten, Ihr Frankfurter Wichte. Die Frösche niedermetzeln, Wallraden und Margarethen zeichnen, daß sie meiner gedenken, – hu! welche Lust. Und das Eine, Ihr Brüder und Freunde, das [307] Eine müßt Ihr mir versprechen; schenkt keinem der aus Frankfurt ist, aus der verdammten Stadt, das Leben. Stoßt jeden nieder, der Euch in den Wurf kommt. Kind, Jüngling, Greis, Mann oder Weib, schont ihrer nicht, der verfluchten Brut!« – »Ei, so sollen mich tausend Teufel zerreißen, ehe ich etwas Anders thue, als du begehrst!« fluchte Hornberger mit seinem entsetzlichsten Kampfgesichte. »Und mich!« fügte der Reiffenberg, – »und mich,« setzte Zodick langsam hinzu; – »Amen!« sprach der Leuenberg, und da gerade die Viere nach den Kannen griffen, um sich zuzutrinken, schlug ein tiefer Seufzer an ihr Ohr. Wild fuhren sie in die Höhe, der Eine nach der Thüre, der Andere nach dem vergitterten Fenster. Zodick jedoch hatte das geübteste Gehör und suchte hinter dem Kachelofen nach dem verborgenen Zeugen ihres Gesprächs. Eine Knabe von zwölf bis dreizehn Jahren lag dort auf der Ofenbank, und hatte sich furchtsam zusammengekauert, da Zodick mit allen Zeichen der Überraschung und Wuth an ihn herantrat. – »Verflucht seyen die Brüste, die Dich säugten, niederträchiger Goi!« sprudelte der Jude, und spie dem Knaben seinen Geifer in's Angesicht: »Für Dein Ohr muß zahlen Dein Hals!« – Mit keckem Schlächtergriff packte er den armen Jungen bei der Kehle und zerrte ihn aus dem Winkel nach dem Tische, auf welchem sein Messer lag. Der Knabe, mit dem Ersticken kämpfend unter der riesigen Faust des Elenden vermochte nur ein krächzendes Gestöhne hervorzubringen, und sich mit der Gewalt der Todesangst an den Fußboden und die Kniee des Mörders anzuklammern, [308] so daß dieser, einige Schritte vom Tische entfernt, und den Hals seines Opfers, – um es stumm zu machen, – nicht lassend, nicht von der Stelle konnte, und von dem Reiffenberg schäumend den Dolch verlangte. – Dieser weigerte sich dessen, und behauptete, der Junge müsse zuvor reden, und – müßte er sterben – zuvor auf alle Fälle noch beten dürfen. Leuenberg widersprach dieser Regung von menschlichem Gefühl; Hornberg dagegen, obgleich der Wildeste unter Seinesgleichen sprang auf des Reifenbergers Seite, und begehrte von Zodick, er solle den Buben loslassen. – »Gott soll mich strafen an Leib und Seel!« rief er, da der Jude verneinte; »ich haue Dir die Faust vom Rumpfe, wenn Du nicht Deine Krallen von dem Buben lässest. Dir aber, Bube, befehl ich, alles Geheul und Wehklagen von dannen zu lassen, und fein leise und still mir zu sagen, wie Du hieher gekommen. Beim ersten Schrei fährt Dir mein Stahl in die Gurgel?« – Zodick ließ zitternd vor Wuth und Grimm dem Buben ein wenig Luft, und der Arme schleppte sich dumpfwimmernd zu den Füßen des Hornbergers, obgleich ihn Zodick noch immer fest hielt, wie ein Fanghund die angeschossne Beute. Reiffenberg suchte indessen den von Leuenberg zu begütigen. Auf Befragen des Hornbergers berichtete der Knabe schluchzend: »er sey Brändlings Vetter Heinrich, von ihm an Sohnsstadt aufgenommen, und zur Küfnerei bestimmt. Er sey verwichne Nacht als Aufwärter bei einem Benderschmauße gewesen, und müd zum Tode heimgekommen. Nach dem Mittagimbiß habe er noch seine Hausarbeit verrichtet, sey [309] dann in diese Stube gedüsselt, und auf der Ofenbank eingeschlafen, auf welcher er vor einigen Augenblicken erst erwacht. Er betheuerte, von dem Gespräch der Herren nicht das Geringste vernommen zu haben, und bat um Vergebung und um sein Leben.« – »Der Bube lügt, wie ein Schelm!« rief Zodick dazwischen: »Seht doch, wie er wird roth bei jedem Wort. Der ist cochem wie ein Fuchs. Darum nieder mit ihm.« – Er krallte seine Faust wieder um den Knabenhals, und zuckte das Messer. – Der Hornberg zuckte die Achseln, und wendete sich ab. Reiffenberg fiel dem Juden in den Arm, und sprach: »Blutunke! bedenke doch ... das Geschrei des Knaben, sein Röcheln, man wird es vernehmen ... die Folgen ...!«

»Sorgt nicht!« spottete der Jude: »ich verstehe es, wie man schächtet, ohne daß das Lämmchm schreit!« und wieder zu Boden warf er den Knaben, als mit einemmal die Thüre aufging, und Brändling hereintrat, der weiß vor Angst und Entsetzen wurde, da er seines Vetters Bedrängniß sah. – Wie ein wüthender Mensch sprang er auf den Juden zu, zerrte ihm sein Opfer aus der Faust, und fragte mit blauen bebenden Lippen nach der Ursache solch grausamen Verfahrens.

Ein Wort des Hornbergers reichte hin, ihm Aufschluß zu geben, und seinen Mund zur flehenden Bitte zu öffnen. »Ach ihr Herren,« seufzte er: »verlangt Alles von mir, nur nicht, daß ich in diese that willigen soll. Der Bube ist mein leiblicher Schwestersohn, ein guter Bursche, ohne Trug und Falsch, und – ohne Ruhm zu melden, – weit besser [310] als wir alle sammt und sonders sind. Nimmer könnt' ich mir vergeben, hätte ich meinen Schwestersohn umkommen lassen in Gefahr. Seyd nur dießmal barmherzig, ihr Herren, und Gott wird Euch um so reichlicher segnen, in dem was ihr vorhabt, und mir einen doppelten Theil zuwenden.« – »Heuchle keine Menschlichkeit, du krummer Katzenbuckel!« schalt der von Leuenberg: »Der Bube hat uns behorcht, und fort muß er.« – »Und den Talles bekömmst auch Du, wenn Du ihn nicht gibst heraus, den Horcher!« fügte der Jude bei, und griff abermals nach dem Knaben. Brändling bewies aber durch die Heftigkeit, mit welcher er den Knaben in die Arme schloß, wie sehr es ihm Ernst sey, um das, was er vorhin gesagt, denn er riß den zitternden Heinrich zu der Thüre hin, drückte die Faust auf die Klinke, und sprach mit der klanglosen bebenden Stimme des auf's höchste Gereizten: »Versuchts, ihr Herren! versucht's! Stecht mich zusammen, aber im Fallen reiße ich die Thüre auf, und mein Gebrüll ruft die Schifferknechte, von welchen die Schenke wimmelt, hieher, und verloren seyd Ihr dann; noch im Sterben verrathe ich Alles, was ich weiß, und geheim halten will wie der Pfaffe die Beichte, wann Ihr ablaßt von dem Knaben.« – »Brändling, hat Recht!« fiel der Hornberger ein: »Wegen seiner auf's Rad gesetzt zu werden, gelüstet mir nicht. Sag aber an, welche Bürgschaft leistest du für den Buben? – denn haften mußt Du für ihn mit Haut und Haar!« – »Das will ich auch, Herr!« erwiederte der Wirth, von schwerer Angst erlöst, und freier athmend: »Schwören [311] soll der Knabe, daß, wenn er auch etwas vernahm, nichts über seinen Mund gehe, es zu verrathen.«

»Gottes Wunder!« höhnte Zodick: »Was soll uns helfen ein leerer Schwur?« – »Schweig!« murrte Reiffenberg: »Dem Kinde da ist ein Eid heilig wie der Tabernakel.« Leuenberg lachte ungläubig, Zodick fletschte verdrossen die Zähne, und Hornberg hielt unterdessen dem Knaben das Kreuz seines Schwerts vor, indem er ihm die Eidesformel vorsprach: »Ich gelobe handlich und festiglich auf dieses Kreuz das des Erlösers Kreuz bedeutet, keiner Seele, die da lebt auf Erden, zu vertrauen, und zu verrathen, was ich in der heutigen Nacht als unberufner Zeuge gehört und vernommen. Verdammt will ich seyn in Ewigkeit, und das schrecklichste Gebrest und Siechthum erdulden in dieser Welt, wenn ich den Eid nicht halte, den ich hier schwur mit aufgehobenen Händen zu Gott, seinem Sohne und allen Heiligen. Amen.« –

Der Knabe sprach deutlich und sichtlich ergriffen und bewegt den Eid nach, und zerfloß nach dessen Leistung in Thränen. Reiffenberg nickte, zufrieden gestellt, mit dem Kopfe, und der Hornberger übergab den Buben seinem Vetter Brändling. »Das Letzte für unsre Ruhe und Sicherheit ist noch an Dir, zu thun,« sprach er: »Sperre den Buben ein in Deinen tiefsten Keller, und lasse ihn nicht eher los und ledig, als bis es Zeit geworden ist. Solch kurze Frist hindurch ist ein glatter Aal zu hüten; warum nicht ein junger Bursche? So Du redlich unsern [312] Willen thust, sind wir Dir gewogen, alter Brändling. Beim mindesten Versehen hingegen, und bei der kleinsten Falschheit sollst Du der Erste seyn, der den verdienten Lohn erhält.« – Brändling, Treue und Gehorsam gelobend, riegelte vor den Augen der wilden Gäste den Vetter Heinrich, – ein duldsames Lamm, – in das hinterste Gewölbe seines Hauses, und beruhigt suchten die Verbündeten ihr dürftiges Lager.

13. Kapitel
[313] Dreizehntes Kapitel.

Ich nehme den angeklagten ungehorsamen Mann hier aus den Rechten, aus dem Frieden, aus den Freiheiten, die Kaiser Carolus gesetzet, Papst Leo confirmiret hat, und von allen Fürsten, Herrn, Rittern, Knechten, Freien und Freischöppen beschworen und geleistet worden, in dem Lande zu Sachsen, und werfe ihn nieder vom höchsten Grade, und thue ihn mit all' seinen Freiheiten, Frieden und Rechten in des Königs Bann, und strafe ihn mit höchstem Unfrieden und Ungnade, und mache ihn unwürdig, achtlos, rechtlos, siegellos, redelos und unfähig zu allen Rechten und Verfahren, und setze ihn aus nach den Satzungen der heimlichen Acht, und verfalle seinen Hals dem Strange, seinen Leichnam den Vögeln des Himmels und den Thieren der Luft zur Atzung, und befehle seine Seele Gott im Himmel in seine Macht und Gewalt, und erkläre seine Lehen und Gut für heimgefallen ihrem Herrn von dem sie zu Lehen rühren, oder der heiligen Kirche, sein Weib eine Wittib, seine Kinder Waisen!

Der heimlichen Acht Bannfluch auf Haut und Haar.


Der arme Heinrich erlebte eine üble Nacht auf dem Spreusack, den die Hand des mitleidigen Vetters ihm zugeworfen hatte, um sich bequemer auf den feuchten Boden des Kellers zu betten. Der Vorfall [314] des Abends schien dem geschreckten Knaben nur ein Fieberbild, wie uns der unruhige Schlummer zuweilen vorführt, allein zu bald nur erinnerte er sich an die Wirklichkeit des Gräuelauftritts, indem er in der Stille der Nacht sich nach und nach aller Reden wieder erinnerte, welche von den bösen Gesellen geführt worden waren, und die er von Anbeginn alle vernommen, ob er gleich in der Todesangst es geläugnet; denn er war kurz nach dem Eintritt der furchtbaren Männer erwacht, und hatte sich, von einer dem Knabenalter sehr gewöhnlichen Scheu ergriffen, nicht getraut, seine Anwesenheit kund zu geben, und mit Herzklopfen den Augenblick erwartet, in welchem die Schrecklichen gehen würden, bis ihm das Entsetzliche ihres unverholen ausgesprochenen Vorhabens einen tiefen schmerzlichen Seufzer ausgepreßt. Und betrübter noch seufzte er jetzt in seines Kerkers Einöde, weil er Klugheit und Gefühl genug besaß, um das Verderben, das über die Stadt verhängt worden, zu würdigen, und das jammervolle Schicksal der zum Tod bestimmten Bürger voll inniger Wehmuth beklagte. Und der gräßliche Eid vollends, den er geschworen, den ihm der Vetter selbst noch dringend an's Herz gelegt; den er seinem Glauben und Gewissen zufolge, nicht einmal dem Priester im Beichtstuhle entdecken durfte, um nicht hienieden elend zu sterben, und jenseits auf ewig zur höllischen Flamme verdammt zu seyn! Der Knabe litt unaussprechlich, und zu diesen Seelenleiden noch körperliche Angst. Wenn ein Luftzug durch das hoch gelegne Luftloch hereinstrich, glaubte er das [315] mordgierige Schnauben Zodicks zu vernehmen; wenn eine Ratte an den Riegeln und Angeln der Thüre emporkletterte, fürchtete er die Annäherung seiner grausamen Feinde zu hören. Seines Vetters Gestalt sogar, die sich früh und Mittags zeigte, um den kleinen Gefangenen Atzung hinzustellen, beruhigte seine aufgeregten Sinne nicht. Er wußte ja leider, daß sein Verwandter selbst zu der abscheulichen Rotter gehörte; er durfte argwöhnen, daß vielleicht in der nächsten Stunde der entartete Mann selbst die Hand zu seines unschuldigen Vetters Tode bieten möchte. Und näher und immer näher schlich schon wieder der Abend, und näher und näher kam die Zeit des Verderbens, und er, der um Alles wußte, mußte schweigen, an Schwur und Kerker gefesselt! – Da wurden hastige Schritte in dem Vorgewölbe hörbar: geschäftige Hände riegelten auf und drehten den Schlüssel der Thüre behende, und Brändling, blaß und verstört rannte in den Keller. Der erschrockene Knabe, nur seinen Tod ahnend, floh in die Ecke des Gewölbes, aber Brändling beruhigte ihn durch Wort und Geberde, indem er zu ihm sprach: »Guter Vetter, lieber Heinrich! Du warst von jeher ein wackrer Knabe und Verwandter, und nicht meine Schuld ist's – du weißt es wohl, – daß Du hier sitzest, gleichwie in der Löwengrube. Zürne mir darum nicht, und thu' mir das zu Liebe.« – Der Knabe war bereitwillig, und Brändling fuhr fort: »Ein schlechter Mensch von meinen Zechgästen hat den Weinstecher Veit verrathen, daß ich dann und wann, stummen Wein ausschenke. Du lieber Gott! in der [316] Zerstreuung geht wohl manchmal dergleichen vor, und ich habe nicht 'mal recht gewußt, daß ich ein unklar Faß im Keller habe. Veit war aber da, er hat's gefunden und ist hinweg gegangen, mit der Drohung, noch heut' den Stöckerknecht zu schicken, daß er das Faß abhole und vor dem Römer auslaufen lassen. Bedenke Henrich, – welche Schande, ... welcher Anlaß zu andern Entdeckungen! Wenn Du nicht hilfst, so kann mich's heute an den Galgen bringen. Veit ist mir nicht hold, aber Dir, mein Neffe und Söhnlein, den er aus der Taufe hob, um desto mehr. – Deine selige Mutter war ihm lieb und werth, und – nun – es wird schon alles gut werden, wenn Du stracks zu ihm laufen, und für mich eine Fürbitte einlegen wolltest. Nur den Stöcker lasse er zu Hause, und zahlen will ich, was er will, – Morgen schon bezahlen, – und den Wein vertilgen im Geheim. Willst Du, mein Söhnlein?« – Heinrich bejahte gütmüthig. – »'s ist jetzt die beste Zeit,« sprach Brändling weiter: »die Wütheriche sind nicht daheim, bis auf einen., der oben in der Giebelkammer faullenzt. Es sieht dich Niemand fortgehen, und zurück bist Du, ehe und ohne daß dich eine Seele bemerkt. Aber, – Heinrich, – gutes Kind, denke an Deinen Eid, und an Deine ewige Seligkeit, und plaudre an keinem Menschen aus was Du Unglückseliger vielleicht gehört!« – Heinrich gelobte es noch einmal in des falschen Mannes Hand, und entrannte, wie ein flüchtiges Reh, dem unbequemen Kerker. – Die Sonne neigte sich zum Untergange, und des Pathen Haus war, obgleich fern, – doch bald erreicht. [317] Der treuherzigen Fürbitte des Knaben konnte der biederherzige Veit nicht lange widerstehen, und ließ ihn endlich mit guter Botschaft, aber auch mit der strengen Warnung für den Ohm ziehen. Heinrich flog wieder heimwärts; allein, da es um die Zeit war, da alle Handwerksgesellen durch die Straßen jubelten, von der Arbeit kommend, – die reichern Kaufleute ihre Laden schlossen, und die Vornehmem der Stadt behaglich lustwandelten durch die Straßen in der abendlichen Kühle, – da wurde dem Knaben das Herz schwer, seine Tritte wurden langsamer, da er der Gräul gedachte, die in diesen froh lebendigen Straßen bald wüthen sollten. Hausväter und ihre Frauen, ihre Kinder und Enkel saßen vor den Thüren, durch welche der Mord eingehen sollte, – buntgekleidete Musikanten, Lustigmacher und dergleichen Volk durchstreiften die Gassen, und wenn man sie fragte: »wohin die Reise?« so antworteten alle: »Zu des Altburgers Froschen Haus; 'sist Hochzeit dort, und die Stoßpfeifer dürfen zum Tanz nicht fehlen!« – Diese Worte zerrissen Heinrichs Brust, und ohne Bewußtseyn und Willen fast, flüchtete er sich in die uralte Kirche der Weißen-Frauen, die noch offen stand für Reuige und Leidende. Ein innrer Trieb zwang den Knaben, sich vor den Stufen des vergitterten Chors nieder zu werfen auf seine Kniee, und inbrünstig zu Gott zu beten, um Erleichterung, um Trost, um Hülfe und um Eingebung von Oben. Nachdem er sein Gebet verrichtet, sah er sich um in der Kirche und sie war leer; er blickte, mit Anstrengung auf den Zehen sich erhebend, durch das [318] Chorgitter, und gewahrte eine von den weißen Frauen, die auf einen Betschemel kniete, und zu beten schien; sonst niemand. Da fuhr dem aufgeregten Knaben ein abentheuerlicher Gedanke durch den Kopf, und er schritt auf der Stelle zur Ausführung, – dem Zufall es überlassend, ob seine Saat auf guten Boden falle, oder auf Stein. Die Nonne dort konnte ja schlafen, – sie konnte taub seyn oder ungläubig; aber – Gott wird ja Alles zum Besten lenken, dachte der Knabe, ... und Deinen Schwur hast Du nicht gebrochen. – Er wendete sich daher frischen Muths knieend mit ausgespannten Armen zu dem Magdalenenbild, das, verwittert und. bemooßt am Eingange des Chors trauerte, und sprach mit vernehmlicher Zunge: »O Du, mein heiliges Steinbild, laß Dir vertrauen, was ich geschworen habe, keiner lebenden Seele zu verrathen, und wann der Herrgott nicht ein Wunder thun will, und Dir den steinernen Mund öffnet, daß Du redest, – so behalte in Deinem tauben Ohre meine Rede. Wisse, daß die Stadt in großer Gefahr ist, daß böse Gesellen sich verschworen haben, mit der zehnten Stunde Glockenschlag noch heute den Hochzeitschmauß in der Froschen Hause in ein Blutbad zu verwandeln, und zu erwürgen Alles, was sich dort zusammenfindet, vom Bräutigam bis zur Magd. Wisse, daß auf diesen Mord die Stadt angestossen werden soll mit Feuer, und geplündert der Reiche, und ermordet Arm und Reich. Wisse, daß die Ägypter herübergerufen werden sollen, um Stein von Stein zu reißen, während die Mörder den Main hinunterschwimmen wollen auf abgekappten [319] Schiffen, von Blut und Beute schwer. Wisse dieß All', du heiliges Steinbild, denn mein Herz kann's nicht bewahren, und die Zunge soll's doch verschweigen. Wahr ist's; dazu helfe mir Gott, und von dem Tode all' den armen Leuten, die morgen nicht mehr leben sollen. Amen!« – Der Knabe hatte dieses Bekenntniß kaum abgelegt, als er mit der Eile eines flüchtigen Wildes die Kirche verließ, um heimzulaufen. Seine Worte waren nicht ungehört verhallt. Die weiße Frau hatte sich horchend erhoben, und keine Sylbe verloren; aber nicht minder hatte eine dienende Schwester, die von einem vorspringenden Grabmal verdeckt, dem Blick des Knaben entgangen war, alles gehört mit zagender entsetzter Seele. Der kleine Redner war auch kaum ausser der Kirche, als die Schwester zu der Nonne trat, und dringend fragte: »Habt Ihr gehört, hochwürdige Frau!« – Die Nonne nickte stolz mit dem Kopfe. – »Um aller Heiligen willen!« fuhr die Andere fort: »war das ein wahnsinniger Bube, oder ein gesunder Herold der Wahrheit?« Die Nonne zuckte die Achseln. – Die Schwester sprach ängstlicher, und die Hände ringend weiter: »Wie mögt Ihr doch so kalt und gleichgültig seyn, würdigste Frau, da doch die Schreckenskunde euer eigen Haus betrifft? Die Stimme des Herrn ist die eines Löwen, daß Zion sie vernehme!« – »Was wollt Ihr denn thun, Schwester Judith?« fragte die weiße Frau langsam und bedächtig. – »Reden, reden will ich;« antwortete Judith heftig: »des Herrn Gnade verkünden. Du sollst Dein Licht nicht unter den Scheffel stellen. Die [320] Oberin, der Beichtvater, der Rath soll wissen und erfahren, du Himmelskönigin und Jesu Christe! es ist keine Zeit zu verlieren.«

Die Nonne blickte starr und schweigend vor sich hin. Judith machte sich indessen fertig, dem Chor zu melden, plötzlich jedoch besann sie sich, und sagte zu sich selbst: »Die Pflicht geht vor. Thue zuerst, was Du mußt, und dann erst, was Du sollst. Bald hätte ich den Geißelstrick der Oberin aus dem Gewölbe mitzunehmen vergessen.« »Gleich«, setzte sie zu der Nonne gewendet hinzu: »gleich, hochwürdige Frau, bin ich zurück, und dann laßt uns den Mund aufthun, um zu reden mit der Stimme der Gewitter, wie der Herr gethan hat, auf den Höhen Horeb; denn zornig ist der Herr, und doch allmächtig in dem Schwachen.« – Bei diesen Worten schob sie den schweren Riegel vor der Fallthüre des Geißelgewölbes, und bemühte sich, die ungeheuern Eichenbohlen aufzuheben; mit aller Anstrengung gelang es ihr nicht, und sie wollte schon das Werk verlassen, als die Nonne sich selbst herabließ, ihre Hülfe anzubieten, und zu leisten. Der vereinten Kraft der Weiber fügte sich die schwere Last, und ließ sich in ihren Angeln herumlegen. Judith, den scheidenden Abendstrahl, der durch die Fenster schimmerte, als einzige Leuchte mit sich nehmend, eilte die Treppe hinab, nachdem sie noch gesehen, wie die Nonne durch die Seitenthür in den Kreuzgang verschwunden war. Kaum aber war der Klang ihrer Schritte schwächer geworden, und sie im Gewölbe selbst angekommen, als schnell die Nonne zurückkehrte, auf die Gruft zueilte, die [321] eiserne Stützstange der Fallthüre wegriß, und die Pforte donnernd und dröhnend in ihre Fugen fallen ließ. Der Schlag hallte schrecklich im ganzen Gebäude wieder, und vor ihrer eignen Handlung erschreckend, floh die Boshafte nach ihrer Zelle. Dort athmete sie ruhiger. – »Muth, Wallrade!« sagte sie zu sich: »geht heut die Rache nicht in Erfüllung, so verzichte ich auf sie in Ewigkeit«. Die schwatzhafte Judith schmachte, bis die Stunde vorüber. Ihr ohnmächtiges Poltern an der Grabespforte wird die furchtsame Beschließerin zum Gespensterspuck rechnen, und mit scheuem Kreuzschlage ihres Weges ziehen. Ein Zufall entschuldigt wohl später der Laienschwester unwillkommne Haft. Ich aber will spielen mit dem Schicksal, das jetzt in meiner Hand liegt. Die zehnte Stunde muß erst geschlagen haben, ehe ich durch meine Worte die Stadt rette. Ich will sehen, wie in meinem Hause daß Unglück schreitet; ob ich allein dazu verdammt bin, oder Andre mit. Falscher Dagobert! so schnell konntest Du Deine Liebe vergessen, und treulos in die Arme einer andern sinken? So war es nicht gemeint. Ich raubte Dir der Zelle Trost, damit Du der Entsagung und der Täuschung Foltern schmeckest dein Lebelang; damit Du Unkraut säest im Vaterhause, wie bisher. Glücklich wollt ich Dich nicht sehen, und heute – welche Freude – heute trittst Du an Deines Glückes Gränze. Die Pforte dazu ist auch schon sein Markstein. Fahre hin; und Du, einfältige Braut, und Du, scheinheilige Stiefmutter, welche einen Sieg über mich errungen zu haben wähnt; fahrt hin, ihr Lästerzungen [322] alle, die ihr meinen Leumund zerfleischt habt, und an meiner Feinde Hochzeitstisch zu prassen denkt. Schon rüstet sich der Pfaff zu Eurer Todtenmesse! – Sie schauderte selbst vor dem entsetzlichen Gedanken zurück, und ein Bild mit greisen Zügen und weißen Haaren, ein Bild voll Liebe und Gram stellte sich langsam in der Dämmerung vor ihre Augen. – »Mein Vater!« seufzte sie unter menschlicher Regung: »Mein Vater! Er ist der Einzige in jenem Hause, der nicht fallen sollte wie die Andern? Er ist aber auch der tugendhafteste, setzte sie, in grausamem Wahn sich selbst belügend, hinzu: und Gott thut Wunder an dem Gerechten. Wenn Gott nicht will, so erlahmt der Arm des Mörders, sein Stahl zerbricht, und frei aus geht der Gute unter'm fürchterlichsten Wirrsal. Fasse Muth, Wallrade, rede nicht matt und feige. Gott wird unter den Sündern die Seinen finden und behüten.« – Also ihr böses Trachten mit ihrem nagenden Gewissen trotzig, und schlau vereinbarend, ließ die tückische Wallrade die Stunde hinschleichen, und schwelgte im Voraus in den Schreckensauftritten, die im Vaterhause vorfallen sollten. Ihres Vaters gedachte sie zwar häufig, – weniger, ihres armen Sohnes, aber die Glut wilder Leidenschaft und eine gewisse freche Lust, das Schicksal in die Schranken zu fordern, erstickte den Funken von Kindesliebe in ihrer Brust. Mutterliebe hatte sie nie gekannt, und das Andenken an den so gehaßten Vater des kleinen Johannes war allein schon hinreichend, um sie zu bewegen, den Knaben einem dräuenden Unheil sonder Mitleid zu überlassen. Während [323] nun die Schreckliche also still und einsam in der dunkeln Zelle brütete, und die arme Judith im ganzen Kloster wie verschwunden schien, dämmerte tiefer und tiefer der Abend nieder; die Straßen wurden leerer, die Trinkstuben voller, und auch im Knippling ging es lustig und geräuschvoll her. In der vordern Stube johlten Waidträger, Löher und Schiffknechte, in dem hintersten Gemache saßen die Verbündeten mit mehreren ihrer Helfershelfer beim schäumenden Trunke. Die neunte Stunde hatte schon längst geschlagen, und mit Ungeduld harrten die Raublustigen, auf die zehnte. Um sich die Langeweile und Unruhe zu vertreiben, trank der Hornberger Zug für Zug einen Becher leer, und der Reiffenberger, wie auch Veit von Leuenberg thaten herzhaft Bescheid. Zodick hingegen hielt sich nüchtern, und ermahnte die Führer der, bereits auf ihren Sammelplätzen versteckten Knechte, die sich ebenfalls zum Abendtrunk hier eingefunden hatten, klar und hell im Kopfe zu bleiben, um den Dienst nicht zu versäumen. – »Wie der Jude schwatzt!« rief der Reiffenberger unwirsch: »Ein rüstiger Mann und ein wackrer Fußknecht müssen trinken wie Teufel, um, gleich Teufeln, losschlagen zu können .. Im offenen Streit ist ein kleiner Weinnebel an seiner Statt; man sieht nicht lange, wo man hinschlägt. Um eine Kehle abzuschneiden, bedarf man freilich klarerer Augen.« – »Mein! mein!« versetzte Zodick giftig: »wir wollen sehen, wer lacht von uns am letzten: ich mit meinen hellen Scheinlingen, oder Ihr mit Euern trüben. Ich und meine Gesellen, und diese guten Freunde, wir werden [324] noch immer thun müssen das Beste.« – »Pest und rother Hahn!« polterte Leuenberg dazwischen: »fröhlich gelebt und fröhlich gestorben ..... wie heißt das Sprüchlein, Bruder Hornberg?« –

»Laß mich doch ungeschoren mit Deinem Possenschwank!« antwortete ihm der Hornberger, eine Kanne leerend, und damit auf den Tisch klopfend: »Ich weiß ein beßres Liedlein: ›Firnewein vor der Schlacht, hat viele, zu Helden gemacht!‹ und so wollen wir's heute halten. Donner, Strahls Hagel und Gewitter! keine halbe Stunde mehr, und der Tanz geht los. Bis hieher haben uns alle Heilige bewahrt und geschirmt. Von all den Stadtschurken, die uns vorgekommen sind, hat uns kein einziger gekannt, – nicht mich, der ich mit der Stadt meine Späne haben, – nicht den Reiffenberg, der hier so viel schuldig ist, daß er von dem Gelde sein verfallnes Dach mit Goldgulden decken, und seinem Hof damit pflastern könnte; – nicht den Leuenberg, der im Stadtbann liegt, er weiß wohl, warum ...?« – »Nicht einmal den verfluchten Judenchristen hier haben sie erwittert;« fiel der Leuenberg ein, – »ob er gleich von Stadt, Kaiser und Reich verfehmt und geächtet ist.« – Zodick lachte pfiffig. – »Wißt ihr, ihr Herren,« sprach er: »woher das kommt? weil ich mir nie getrunken habe einen Rausch, weder im Wein, noch im Früßelhannes. Nüchtern seyn, ist klug. Für den Groschen, den hinauswirft der trunkne Mann, gewinnt der nüchterne ein Pfund.« – »Pah!« rief der von Leuenberg: »wie könnte, auch ein Jude fröhlich seyn, wie ein christlicher Rittersmann. Gebt [325] dem Gelichter 'ne Zwiebel, schimmlich Brod und faul Wasser; glücklich ist's dabei, wenn es nur Münze zusammenscharren mag.« – »Daß Ihr doch lahm würdet, verfluchte Gojim!« murmelte Zodick in den Bart, während er, es zu verbergen, sich unter den Tisch bückte, als wollte er ein Messer aufheben. – »Laßt doch den Friedrich;« brummte der Hornberger: »der ist ein Christ, so gut wie einer, und wer ihn schimpft, hat's mit mir zu thun. Aber, Donner und Teufel! wo steckt der Wirth? Vergebens klopfe ich seit einer ewigen Frist nach einer frischen Kanne, und doch ist zu Frankfurt mehr des Weins in den Kellern, als Wasser in den Brunnen! Heda! eingeschenkt!« –

Vergebens mahnte der vorsichtigere Zodick ab; Hornberg polterte aus allen Kräften mit den Kannen auf den Eichentisch, bis endlich Brändling erschrocken zur Thüre hereinsprach. Der Mann hatte zwar in der Freude über Heinrichs willkommne Botschaft, so wie in der heimlichen Seelenangst vor der kommenden Nacht, ebenfalls viele Schlucke über den Durst gethan, und wankte unsicher auf seinen Beinen umher, aber die Sorge für die Sicherheit seines Hauses und seiner Gäste verließ ihn selbst in diesem Zustande nicht. »Um der ewigen Barmherzigkeit willen!« rief er: »Ihr Herren macht doch nicht des Lärmens so viel. Die Trinker in der Stube werden aufmerksam werden, und wissen wollen, wer dahinten also rumort. Und denkt 'mal; wer Euch also sähe, bewahrt und bewaffnet, wie Ihr seyd ....« – »Halt's Maul, Hund!« fuhr ihn der Hornberger an: »Schenk ein: wir sind die Herren, Du der Knecht, und nicht[326] lange währt's, so haben wir ganz Frankfurt unter unsrer Sohle. Schaff Wein herbei, und sey nicht lässig im Dienst, sonst schneide ich Dir, – Gott verdamme meine arme Seele,– für jede Kanne einen Kerbstrich in Dein Hundeantlitz, daß Du aussehen sollst, wie ein bemalter Turnierpfahl. Wein, Schurke! Wein! Wasser unter'n Wein! Wasser darunter!« flüsterte Zodick dem erschrocknen Brändling zu, welcher verblüfft seinen Abtritt nahm, und bald neuen, sehr getauften Weinvorrath brachte. Mit ihm trat ein Knecht des Reiffenberg in die Stube, auf welchen alle neugierig losgingen und taumelten. »Sieh da, Eckart!« fragte sein Herr: »Wie ist's? wie steht's? was bringst Du?« – »Alles ruhig, ihr Herren;« meldete der Knecht: »die Leute alle auf ihrer Stelle im Hinterhalt. Ich gab noch den Befehl, daß keiner von ihnen sich unterstehen solle, etwas zu beginnen, bevor Ihr nicht mit Euern Freunden an ihrer Spitze seyd. Sie erwarten das Zeichen ungeduldig.« – »Wahrlich nicht mit größrer Ungeduld als wir;« antwortete der Hornberger: »Gewitter und Strahl! will denn die Zeit stehen bleiben? Sag an, Bursche: welche Stunde ist's?« – »'s muß im Augenblicke Zehne schlagen;« antwortete der Knecht: »in Sachsenhausen drüben riefen die Wächter schon die Stunde ab, doch pflegen sie's stets früher zu thun, als hier herüben die Glocke schlägt.« – »Ei, so laßt uns die Krüge leeren!« sprach der Hornberger: »Gott sey gelobt; wir stehen am Ziele.« – »Krüge, aus, Waffen an!« lallte der Leuenberg: »Bruder Reiffenberg, schnalle mir den Gurt fester; meine Hand ist [327] schwer und ungeschickt geworden.« – »Du wirst doch nicht zu viel im Kopfe haben?« fragte der Hornberger spöttisch: »Ich fühle Bärenmark in meinen Knochen, und wollte einen Eichbaum spalten.« – Um den Beweis zu führen, hob er die schwere Klinge mit Macht, und wollte einen Hieb gegen den Ofen thun, allein die niedre Stubendecke wehrte dem Streich, und die Waffe fiel klirrend aus des Zechers Hand. – »Weh geschrieen! weh geschrrieen!« begann Zodick, der unruhig wurde: »Was soll daraus werden. Hab' ich doch gezählt auf einen Simson, und es wird nicht da seyn ein Davidchen! Ihr Leute, ihr Waffenknechte: haltet Euch besser als eure Herren, und folgt dem, was ich werde befehlen; denn ich werde gehen sicher, und zustoßen ohne Fehl, und wenn herabkäme vom Himmel der Melach der Könige!«

»Bist Du gewesen an der Frosche Haus?« fragte er sodann den Eckart leise. Dieser bejahte, und berichtete, Alles gehe dort hell auf, von Kerzenschimmer funkle Fenster und Thor, die Pauke wirble, der Bombard schnurre und die Pfeifer bliesen lustig zum Tanz. – Zodick rieb sich, teuflisch lachend, die Hände, während die Edelleute in Braus und Verwirrung ihre Waffen und Wehr ordneten, zusammensuchten, schalten und lästerten, und die Knechte alle Hände voll zu thun hatten, ihre Gebieter zum Strauß zu rüsten; und sprach vor sich hin: »Ich danke Dir, hochgelobter Gott, daß Du mich lässest Rache nehmen an meinen Feinden. Ich war flüchtig wie Kain, aber bald werden sie vor mir fliehen; ich war getreten in den Staub, aber bald werd' ich sie stoßen [328] in's Elend! Warum kann ich nicht mit diesem blanken und haarscharfen Messer trennen vom Rumpfe der Menschheit alle Hälse meiner Feinde? Warum ist Ben David gegangen in die Welt? Jochai geflohen von wannen man nicht kehrt heim, und Esther gewandert mit ihrem Bruder in's Weite, wohin mein Dolch nicht trifft? Aber euch verfolge mein Fluch; euch sey die Hölle und das Feuer der Geheime, Amen!« – Indem blies vom nahem Stiftsthurme der Wächter, und die Glocken schlugen die zehnte Stunde an. »Halloh! halloch!« rief der Hornberger: »rüstig, ihr Genossen! der Teufel ist: los!« – »Hand in Hand noch einmal laßt uns stehen!« sprach der Reiffenberg, »und schwören, ehrlich an einander zu halten, und unsre Pflicht zu thun.« – »Wir schwören's,« riefen Edle und Knechte. – »Du, Jude, thue Deine Schuldigkeit.« – »Gott soll mir helfen, daß ich sie thue;« erwiederte Zodick, sich die Mütze fest bindend. – »Geschwinde!« rief Eckart in die Thüre: »Stunde schlug, Thür' ist offen, der Wirth harrt unser, leis an der Stube vorbei, hinaus auf die Gasse!« – »Baschol! baschol!« trieb nun Zodick selbst eilfertig und heimlich: »wir haben gewonnen, so wir behalten den Kopf frei und die Hand. Wenn ich nicht vollführe, was ich versprochen, so will ich den Talles haben im Augenblick ohne Gebet und Barmherzigkeit. Fort! fort!« Der Schwarm von Menschen drängte sich zur Thür, als diese rasch aufging, und Brändling's geisterbleiches Angesicht hereinsah. – »Halt! halt!« stammelte er entsetzt: »wir sind verloren ...!« – »Verloren?« donnerte ihm der Hornberger [329] zu, und hob das gewichtige Schwert; aber, wenn gleich des Schenkwirths Stimme versagte, so ergab sich doch alsobald der Bescheid auf des Hornbergers Frage. »Im Namen der kaiserlich freien beschlossenen Acht!« schallten mehrere Stimmen draußen, begleitet von Schlägen an Wand und Thüre. – »Die heimliche Vehm!« riefen die Söldner verwirrt, und aus ihren Händen fiel die Wehr, einige verkrochen sich unter Tische und Ofen, wohin auch Brändling sich geflüchtet hatte, andere schmiegten sich auf die Bänke an Wand und Ecke. Selbst den Leuenberg und den von Reiffenberg hatte dieser Schreckensname dergestalt erschüttert, daß sie auf ihre Stühle zurücksanken, und der Hornberger senkte das dräuende Schwert, hinter der Thüre lauschend, durch welche einige vermummte Gestalten rasch und keck hereintraten, und wie Falken nach allen Seiten die Augen drehten. »Keiner rühre sich!« schrie der Erste von ihnen mit rauher Stimme, »und wer ein frommer Mann ist, sitze still!« – Da ergriff den Zodick eine entsetzliche Angst. Wild sprang er auf, schlug die Lampe um, und wollte durch die Geheimen durch in's Freie brechen; allein der Schimmer eines Windlichts, das durch die Öffnung der Thüre blitzte, blendete ihn, und der Verhüllte riß ihm indessen Kappe, Haarhaube und Pflaster, vom Kopf und Gesicht. – »Der ist's!« rief er, den Schaudernden gegen seine Begleiter stoßend, und diese antworteten in tiefem Tone: »Bei unserm Eid! der ist's!« – »Jehova! Sammael! Christus! rette mich!« schrie der verzweiflungsvolle Jude, da ihn nun eine fürchterliche Ahnung [330] durch's Herz zuckte: »Weh mir! helft ihr Freunde!« – Aber die Freunde blieben scheu und unthätig, weder Himmel noch Hölle that zu des Frevlers Gunsten ein Wunder, und der heftige Dolchstoß, den seine erprobte Faust mit aller Gewalt auf die Brust des Anführers der Verhüllten führte, brach sich an dem Panzer, den dieser trug. Ein heftiger Schlag schleuderte ihm die Waffe aus den Fingern, und eine feste Schlinge flog um seinen Hals, und riß ihn, seine Kehle zuschnürend, zu Boden. – »Genade Dir Gott, Missethäter!« riefen die Trabanten der heimlichen Acht, und schleppten den ohnmächtig widerstrebenden vor die Thüre. Vor ihrem Anblick flohen die übrigen Gäste, –bisher neugierige Zuschauer, zur Pforte und Gasse hinaus. – »Macht geschwinde!« herrschte der Schöffe seinen Frohnen zu: »Henkt ihn auf.« – »Wohin, Herr?« fragten diese. – »Knüpft ihn an den Kettenhaken neben der Thür!« befahl der Schöppe kalt; und dies Todesurtheil brachte den halb bewußtlosen Mörder zu sich selbst. – »Gott! hochgelobter Gott!« stöhnte er, außer sich: »Ich bin doch unschuldig! Ihr Männer! ich bin unschuldig.« – »Du bist verfehmt,« erwiederte der Schöppe: »und all ist zu spät. Gott genade Dich.« – Schon ward der Strick um den Haken geschlungen. – In wüthiger Todesangst brüllte Zodick: »Ich gehöre nicht vor Euer Gericht. Ich bin ein Jude, des Kaisers Kammerknecht ....!« – »Wardst Du nicht getauft, abtrünniger Hund?« riefen die Frohnen: »Fahr' hin!« – Der Elende schwebte in die Höhe. All' seine Glieder strebten an gegen den hart einbrechenden [331] Tod, ... seine erstickende Kehle schnappte nach Luft, sein Mund versuchte noch den letzten Fluch, aber unter dem dumpfen: »Fahr' hin! Zeter! fahr' hin! genade Dir Gott!« stockte das verhaßte Leben und der Gräßliche war nicht mehr. Die Frohnen streckten ihn aus, der Schöppe stieß sein Messer in den Thürpfosten, und alle entfernten sich eilig durch die verödete Gasse – denn alle Gäste der Schenke hatten die schnellste Flucht ergriffen vor den Vollstreckern der gefürchteten heimlichen Acht. Die zum Mordbrand Verschwornen, sammt ihren Söldnern und Gesellen hatten sich nicht minder, von blindem Schreck gejagt, nach allen Seiten hin zerstreut. Der Unbändigste und Frechste aus ihrer Mitte war vom schnellen Tod dahingerissen worden, den seine frevelnde Zunge gerade herbeigerufen, – und Jeder der Übrigen war sich mancher schweren Schuld geheim bewußt. Die Spannung der Trunkenheit war gewichen, die Erschlaffung der Kräfte und die Pein des Gewissens war zurückgeblieben. Ohne ferner an die Verübung des gräßlichen Mordplans zu denken, irrten die Teilnehmer desselben in den Gassen der Stadt umher, und ihre Furcht wuchs mit jedem Augenblicke mehr heran, denn mit Staunen und Herzklopfen hörten sie, wie plötzlich, rasch hintereinander alle Glocken auf den Kirchthürmen wach und lebendig wurden, wie die Wächterhörner von den Zinnen bliesen, laut und dringend, wie das Gämperlein 1 läutete, die Schnurre durch die Straßen lief, wie die [332] Trommel vor dem und Quartier der Söldner wirbelte und die Trompete die Reisigen zu dem Sammelplatze rief. Lichter und Laternen wurden allenthalben ausgesteckt, in allen Häusern wurde es hell und lebhaft. Die Zünfte, Rotten und Fähnlein der Bürger und Söldner strömten zusammen auf ihren Lärmplätzen. Die Bürgermeister mit den Bannern, den laufenden Gesellen und den Zünften der Altstadt hielten auf dem Samstagsberge und vor dem Falkenstein; in der Neustadt riefen die Hauptleute vor St. Marthen und Katharina die ihrigen auf. Der Schultheiß jagte zu Pferde, wie ein Wüthender zu seinen Reitern auf dem Liebfrauenberge; und nach Sachsenhausen hinüber der Oberstrichter, um dort den Befehl zu übernehmen, und die verdächtigen, daselbst gelagerten Ägypter zu bewachen und zu beobachten. Um die Verbindung mit der Stadt zu unterhalten, blieben die Brückenthore offen, wiewohl mit Wachen und freiwillig herbeieilenden Bürgern besetzt; denn es hatte sich das Gerücht verbreitet, die Stadt sollte mörderisch angestoßen werden mit Feuer und Schwert, und jeder zitterte für seine Habe, und jeder entbrannte in Begierde, für das gemeine Wesen sein Schwert zu ziehen. Die vielen Fremden, aus dem Schhlummer aufgeschreckt durch das Getöse und die Besorgniß ihrer Wirthe, hatten sich, in Landsmannschaften getheilt, und bewaffnet, um ihre Niederlage versammelt; streifende Rotten von Spiesknechten durchflogen die Straßen, aufgreifend Alles, was verdächtig schien, und vor dem Römer glimmten die Lunten der Hakenschützen, kampf- und streitfertig. Noch suchte jedoch das Auge [333] der Gewarnten und Gerüsteten vergebens den bewehrten Feind. Er hatte die Waffen weggeworfen und. irrte vermummt und verzweifelnd über Plätze und Gassen, das Dunkel suchend, und einen rettenden Ausweg. Dieser letztere war aber nicht zu finden, und so mußten die Verschwornen sich begnügen, einen Schlupfwinkel für den gefährlichsten Augenblick zu erspähen. Am Schlimmsten war daran der von Leuenberg, in dessen Gehirne noch der Taumel des Weins tobte, während seine Füße Blei waren, und der Hornberger, der mitleidig bei ihm aushielt, alle Mühe hatte, ihn mit Gewalt von der Stelle zu schleppen. Zodick's Hinrichtung hatte den fürchterlichsten Eindruck auf ihn gemacht, und er sah sich selbst schon unterm Schwert des Nachrichters. So prahlend seine Zunge sonst gewesen, so feige war sie jetzt, und er hätte sich zum Mönch scheeren lassen um den Preiß seiner Rettung. Aber diese Rettung war ihm nicht beschieden. Die schwarze Stunde trat auf seine Ferse. Am Ausgang eines Gäßleins warf sich den Flüchtigen ein Trupp von Fußknechten in den Weg, und trennte sie. Während auf der einen Seite der Hornberger angehalten wurde, und seine Kunst, so frech zu lügen, daß man's glauben mußte, in Anwendung brachte, verbarg sich Leuenberg unter die Bank eines Eckhauses, und kroch schwerfällig hervor, da die Söldner weiter gezogen waren. Mit aller Schwere seines Körpers und seines eiligen Laufs fiel er einem unfern gehenden Manne, den er für Hornberg hielt, um den Hals und in die Arme. »Pest und rother [334] Hahn!« rief er, obwohl leise genug: »Du hast Dich meisterlich durchgelogen, Veit; und nun laß' uns weiter gehen.« – Der Mann brummte einige unverständliche Worte, und suchte sich los zu machen. Um so fester klammerte sich der Leuenberg an ihn, und raunte ihm hastig und bebend in's Ohr: »Hornberger! Du wirst mich doch jetzt nicht verlassen wollen? Nur jetzt nicht Bruder, denn beim Teufel, ich bin schwach wie ein Kind, und in meinem Herzen spür' ich 'ne Angst, wie ich sie nicht verspürt, da ich dem Dürning den Rest gab, ob's gleich mein erstes Stücklein war.« – Da stieß der Mann, Veits böser Engel – einen gellenden Schrei der Überraschung aus, und eine derbe Faust packte den Raubjunker wild bei der Brust. »Hund!« rief eine fremdartige Stimme: »Du bist's also? Du der Schelm, der meinen Herrn ermordet hat? Nieder mit Dir, Mordbube!« – Beim auflodernden Schein eines Pechkranzes sah Veit mit sträubendem Haar in ein wüstes, grausam verzerrtes Gesicht, und dieser Blick war sein letzter, denn Ammon's Jagdmesser übte die langgenährte Blutrache fürchterlich und schnell, daß kein Laut dem Darniedersinkenden mehr über die erbleichenden Lippen ging. Ammon stand eine Weile mit wilder Zufriedenheit bei dem Entseelten, steckte den rächenden Stahl in die Scheide, und murmelte: »Wenn das nur Zufall war, so bin ich ein Schurke, und will schlechter seyn, als der gemeinste Heide. Nach so langer Frist mußte ich hieher gerathen, um dem Todtschläger des Herrn seinen Lohn zu geben? Und er ging heim, ohne zu wissen, wer ihn heimschickte? [335] und ich erschlug ihn, ohne mehr von ihm zu kennen, als sein selbstgeständiges Verbrechen? Lieber Herr dort oben, bitt' für mich, wenn's eine Sünde war, die ich gethan!« – Er wendete sich nun schnell von dieser Stelle, und wollte von dannen, als unfern von dem Platze eine Flamme aufging, und das ganze Gewühl der in den Straßen strömenden Volksmenge zu der Rettung eines brennenden Hauses aufforderte. Ammon, – nicht gelaunt, dem Gewühle zu folgen, hielt sich gegen den Strom fest an der Ecke des Nebenhauses. Fußgänger und Berittene gingen über den Leuenberger weg, ohne im allgemeinen Drange der gefürchteten Gefahr sonderlich auf den in dunkler Gasse Erschlagenen zu achten, und da der Menschensturm etwas nachließ, drängte sich ein Mann, mit einem Kinde an der Hand, quer durch, und wendete sich mit Heftigkeit an den harrenden Ammon. – »Der Lärm und das Getöse hat mich verwirrt gemacht;« sagte er mit unruhiger Hast: »Wollt mir berichten, wo man zum Liebfrauenberg am schnellsten gelangt.« – »Ich gehe dahin;« erwiederte Ammon, den Zerlumpten mißtrauisch betrachtend:. »Habt Ihr ein gut Gewissen, mögt Ihr folgen; wo nicht, so bleibt zurück; der Schultheiß befehligt dort.« – »Auf meinem Wege fürcht' ich ihn nicht;« antwortete der Andere ruhig, und folgte mit seinem kleinen Begleiter getrost dem schnell vorangehenden Ammon.

Fußnoten

1 Sturmglocke; eigentlich viel später erst aufgehängt.

14. Kapitel
[336] Vierzehntes Kapitel.

Findet ihr den Trost nicht in der Nähe, so erhebt euch und sucht ihn immer hoher; der Paradiesvogel flieht aus dem hohen Sturm, der sein Gefieder packt und überwältigt, blos höher hinauf, wo keiner ist.

Jean Paul.


Noch eine Stunde vor jenem wüsten Lärm und Getöse, von welchem jetzt die bedrohte Stadt wiederhallte, war Diethers Haus ein Schauplatz stiller geselliger Freude gewesen, und ein froh' und zärtliches Brautpaar hatte bei Tafel und Tanz die Ehrenämter des Hauses verwaltet, um den Gästen gefällig zu seyn. Das Prunkgemach des Gebäudes, das ganze Jahr hindurch verschlossen, und nur bei feierlichen Anlässen eröffnet, hatte auch diesmal den Freunden und Geladenen seine Herrlichkeiten aufgethan. Längs der blank getäfelten Wand streckte sich der reichbelastete Tisch, von Polsterbänken und zierlich geschnitzten Schemeln umgeben; ein reicher Schenktisch strahlte neben der bemalten Eingangsthüre. Gegenüber fanden die Spielleute ihren erhöhten Platz. An den Wänden flammten Armleuchter, von der gemalten Decke schwebten an grünen Laubgewinden viele Kerzenreife herab, von welchen lange und buntglänzende Bänder herniederflatterten bis auf die Scheitel der Tanzenden mitten im Saale. Denn das junge Volk hatte, Braut und Bräutigam an der Spitze, den Tisch verlassen, um sich an rascher Bewegung zu ergötzen. [337] Die Alten waren zurückgeblieben, und ließen sich das letzte Prachtstück der reichen Tafel, den köstlichen Mandelkäse schmecken, der bei keiner ähnlichen Festlichkeit fehlen durfte, und auf dessen Zubereitung die größte Sorgfalt verwendet wurde. Während nun also Alt und Jung dem Vergnügen fröhnte in erlaubter Hingebung, brach plötzlich von aussen die Störung ein, die das lustige Band der Geselligkeit zerriß. S'ist Feuer! schrie Alles, und die Männer, besorgt für ihr Hab und Gut, machten sich bereit, dahin zu gehen, wo ihre Gegenwart erforderlich seyn möchte. Auch Heer Diether säumte nicht, seiner Schöffenpflicht zu gehorchen, die ihn zum Mittelpunkte der Gefahr rief. Vergebens waren die Bitten Margarethens, umsonst die Vorstellungen des Sohns, der sich erbot, an seiner Statt auf den Römer zu eilen, und für ihn einzustehen in der gefährlichen dunkeln Nacht. – Der unbeugsame alte Mann hatte zu viel Eifer, einen all zu hohen Begriff von seiner Würde, als daß er hier sich hätte überreden lassen können; er ging, und ließ seinem Dagobert noch obendrein den Befehl zurück, als Schirmvogt im Hause zurück zu bleiben, und für das Wohl der Frauen besorgt zu seyn. Darauf ging er hinweg, und wollte kaum dem Edelknecht von Hülshofen, den Dagobert zum Beistand aufgefordert, erlauben, an seiner Seite zu bleiben, damit er unversehrt wieder nach Hause kehre. Das Hochzeithaus gewann nun ein ganz anders Ansehen. Das Gesinde wurde ausgeschickt, und nur einige rüstige Knechte zur Hut der Pforte zurückbehalten; die zurückgebliebenen Frauen [338] hatten sich in einen dichten Kreis um Frau Margarethen, die Frau von Dürningen, und den Pater Johannes gedrängt, der am Morgen selbst die Trennung verrichtet hatte, und nun all seine Beredsamkeit aufbieten mußte, um seinen ängstlichen Zuhörerinnen nur eine Quelle des Trostes zu eröffnen. In dem Erker stand Dagobert, unruhig nach dem Himmel blickend, ob er sich nicht von Brandgluth röthe, oder niederschauend nach dem unfernen Liebfrauenberge, wo die Reisigen der Stadt ihre Rosse tummelten, und des Lärms viel war. Seine junge Gattin stand neben ihm, seine Hand in des Geliebten Antlitz, nach dem Zustande seines Gemüths. Da fiel ein Blick der Liebe aus des jungen Mannes Auge auf die Bräutliche, und er sprach mit zarter Stimme, ihre Wange streichelnd: »Sey nicht also beklommen, gute Regina. Es scheint zwar ein gewaltig Unheil die Stadt zu bedrohen, oder schon betroffen zu haben, aber die Bürger von Frankfurt sind ein starkes Volk, zusammenhaltend wie an stählerner Kette, und Brust an Brust zu einer Mauer reihend gegen den gemeinschaftlichen Feind. Da prallen denn gewöhnlich auch die Pfeile des Unglücks machtlos ab, findet sich in der dräuendsten Gefahr. Darum fasse Muth. So lange mein Am Dich umschlingt, soll Dir nicht Brand, nicht Feind Schaden zufügen.« – Er umfaßte sie liebreich, und zog sie an sich, die sich ihm anschmiegte, wie ein vertrauendes Kind. Sie hob die hellen Augen zu ihm empor, lächelte sanft, und erwiederte: »Bei Euch, lieber Herr, fürchte ich [339] auch nichts, was von Menschen kömmt. Aber, – sollte diese unbegreifliche Störung, die unsre Hochzeitfreuden zerstört, – sollte sie nicht eine Vorbedeutung seyn von mehrerem Unheil, das unsern neuen Stand betreffen soll?« – »Gott verhüte, mein Kind, daß solcher Wahnglaube Wurzel in Deinem Herzen fasse;« sagte Dagobert ernst, wiewohl milde: »Da führtest dann selbst den Feind in unser stilles Hauswesen. Laß' dem Volke seinen Aberwitz, und vertraue auf Gott, der nicht mit seinen Kindern ein muthwilliges Spiel treibt. Liebst Du mich herzlich, so wie ich Dich, so werden wir stets glücklich seyn«. – »Dann müßt Ihr mich aber auch stets lieben;« hob Regina wichtig an. – »Nun freilich;« lachte Dagobert: »Wie könnte ich anders, meine Königin?« – »Ach, ich glaube euch so gerne;« versetzte Regina mit leisem Seufzer, und dennoch nicht ohne Schalkhaftigkeit: »aber ich habe mir schon meine eigenen Gedanken gemacht, und ich darf sie Euch jetzo gestehn, da Ihr ... da Ihr mein Herr seyd.« – »Du mußt sogar;« schaltete Dagobert scherzend ein, und faßte die Erglühende beim Kinn, daß sie ihm nicht den Anblick ihrer lieblichen Schönheit entziehe. »Rede also zu Deinem Herrn.« – »Daß Ihr um mich geworben, guter Dagobert,« – fuhr Regina nach kurzem Innehalten ermuthigt fort, – »das, das war mir lieb, sehr lieb sogar; – aber, daß es so schnell gekommen, daß dieses Werben sich so dringend ausgesprochen, das ließ mich im Stillen befürchten, Euer Gemüth möchte noch nicht ruhig, und jenes Bild, das Euch einst verzaubert hatte, noch darin geschäftig seyn. [340] Mir war's, als ob ich das Mittel seyn sollte, das der Leidende auf's Ungefähr ergreift, ob es ihn vielleicht gesunden mache, – das er jedoch, lindert es seine Qualen nicht, unmuthig wegwirft.« – »Ach, mein verehrter Herr, und lieber Dagobert,« – fuhr sie, da ihr Gatte lächelnd, aber schweigend, ihr in das liebliche Antlitz sah, – fort, »wenn Ihr je mich also wegwerfen könntet, – wenn jemals eine Zeit kommen sollte, in welcher Ihr Euch sagtet: O, daß ich sie doch nicht gesehen, nicht gefreit hätte! O, daß doch die Andre mein wäre, die ich unsäglich liebte, und die jetzo noch mein ganzes Herz erfüllt! das wäre ein Unglück, lieber Herr, und ich wollte dann lieber des Vetters Schwarzbach Hausfrau seyn, von dem ich schon am Altare wußte, daß er seinen Bärenfänger mehr liebt, als Weib und Kind.« – »Seht doch, welche Grillen!« entgegnete Dagobert, ruhig und gelassen, und sah offen und ehrlich dem bekümmerten Weiblein in das schwimmende Auge: »Diese Zweifel thun mir weh; indeß ist ein Vertrau'n des Andern würdig. So wisse denn, mein Kind, daß ich nicht von heute, nicht von gestern an, dich in meiner Brust trage, als eine liebe Freundin. In den Fesseln einer seltnen und seltsamen Liebe befangen, hatte ich darum nicht minder Sinn für Deinen Liebreiz, Deine kindliche Anmuth, und ich hatte in der letzten Frist Mühe genug, gegen mein Gefühl anzukämpfen, und die Stimmung zu behaupten, die das Erlöschen meiner thöricht geträumten Glückssonne in mir erzeugt hatte. Ich floh wohl dann und wann sogar Deine Nähe, mein süßes Kind, und jener Ringkauf an des [341] Goldschmids Laden war ohne meinen Willen nur vom Zufall, oder der Bestimmung herbeigeführt. Ich läugne es nicht, daß dabei mein Herz schwer verwundet wurde, und gleich darauf, wie ein Donnerschlag aus heiterm Himmel, kam mir die Kunde, daß sie, um die ich trauerte, sich gänzlich losgerissen von meinem Herzen und Gedächtniß. Mein Ergrimmen gegen das Geschehene war vergeblich, unnütz, kindisch, und meine Pflicht gegen den Vater trat vor meine Seele. Ich will verschweigen, welchen Eindruck der Besuch des Wechslers Joël auf mich machte. Das finstre, grämliche Gesicht des Buntgekleideten, seine flache Einsilbigkeit, beleidigten meine Eitelkeit. Ihn, der nur für das Geld Sinn hatte, das ihm mein Vater hinzählte, – ihn, der so kalt und theilnahmlos mir die wenigen Geschenke wieder reichte, die Esther einst von mir empfangen, – ihn hatte sie mir vorziehen, – diesen Juden mit ihrer Hand begaben können! – Unwillig entließ ich den Mäkler, gehässig dachte ich an sein Weib zurück; und Deine Schönheit, Deine jungfräuliche Tugend trat, wie durch einen Zauberschlag, lichtglänzend und strahlend, wie eine Himmelsgestalt, vor mich. Mit diesem Engelbilde besuchte mich auch mein guter Geist, und zu dem Lehrer meiner Kindheit, meiner Jugend führte er mich mit Sturmgewalt, daß ich durch seine Weisheit das Gute vom Bösen unterscheiden lernen, und den würdigen Theil erwählen möge. Ich vermag es nicht, Dir die Worte zu wiederholen, die seinem Munde entquollen, mir zum Troste und zur Belehrung. Genug; ich verdankte ihnen meine Ruhe und die Rückkehr meines [342] heitern Sinns, das Bewußtseyn, Dich nicht leichtsinnig gefreit zu haben, meine gute, meine liebliche Regina. Johannes hat mich überzeugt, daß Segen und Zufriedenheit wohl nimmer aus dem Bunde zwischen Esther und mir entsprungen wären, hätten beider Herzen sich auch unveränderlich geliebt. Die Kluft ist zu groß gewesen, selbst für die Edelsten und Besten, und sie überspringen zu wollen, war nur der Wunsch, die Sehnsucht einer feurigen, rücksichtslosen Jugend. So habe ich mich denn schnell entschlossen, mein süßes Weib, um Deine Hand zu werben, und mit dem Kranze der Zufriedenheit meiner Ältern Dach zu zieren. Da ich am Altare schwur, war ich fertig mit der Vergangenheit, die freundliche Erinnerung abgerechnet, die mich zum Grab geleiten wird; mein Frohsinn hat sich wieder eingestellt, und dies Fest nicht unwürdig begangen. Ich bin der Alte geworden, und selbst die Stürme dieses Abends, wie sie sich auch noch gestalten mögen, sollen mich nicht darnieder beugen, rette ich nur Dich, mein Kleinod, unversehrt aus dem Gedränge.« –

Regina warf sich mit dem vollsten Vertrauen der Liebe in Dagoberts Arme, und die Neuvermählten vergaßen in ihrer Seligkeit den Saal um sich her, mit seinen düster brennenden Kerzen und seiner ängstlich lauschenden Bewohnerinnen, wie auch das auf der Gasse auf- und niederwogende Toben, Lärmen und Treiben, dessen Ursache noch kein Mensch, allem Fragen zum Trotze, angeben konnte. Da erdröhnte von wiederholten Schlägen die Pforte des Hauses, daß alle Anwesende zusammenfuhren, und der hinter [343] dem Ofen entschlummerte kleine Hans erschrocken aus dem Schlafe taumelte, und in die Arme der gütigen Margarethe lief. – »Was giebt's da unten?« rief Dagobert dem kurz darauf eintretenden Ammon zu, und dieser winkte ihm, jedoch die Übrigen mit einigen Worten beruhigend, auf die Seite. – »Ein Mann ist draussen, der Euch zu sprechen wünscht;« flüsterte er wichtig: »fast bedaure ich's, ihn hieher geführt zu haben; denn erst beim Laternenschimmer im Hausgange ersah ich, daß der Bursche einer von dem ägyptischen Volke ist, das gestern hier eingezogen ist, und in Sachsenhausen Rasttag hält. Vor solch Gesindel muß man auf der Hut seyn, darum hab' ich seine Gefährten bei dem Pförtner zurückhalten lassen, – als Geißel für Eure Sicherheit Herr, und die des Hauses. Draussen im Vorgemache wartet der zerlumpte Mensch.« –

Dagobert folgte dem Forstwart mit Zuversicht und Muth, und stand alsobald vor dem dunkelbraunen Gesellen, dessen Gesichtszüge die herunterhängenden Haare verbargen. – Da jedoch Dagobert die Rede an ihn richtete, da strich der Mann die Haare zurück, und fragte mit wohlbekannter Stimme: »Kennt Ihr mich nicht mehr. Herr Frosch? Bin ich Euch geworden ganz fremd?« Er streckte die Hand dem Staunenden entgegen, welcher jedoch betroffen einige Schritte, zurücktrat, und schier erschrocken aus rief: »Ben David! Mensch! bist Du's, oder äfft mich ein possenhafter Zufall mit Deinem Gesichte und Deiner Stimme?« – »Soll mir Gott helfen, als ich's selber bin, wie mich geboren hat die Mutter;« erwiederte Ben David, und griff nach des Jünglings, [344] Hand, wie ein Freund nach des Freundes Hand. – Aber Dagobert wies die dargebotne Rechte erschrocken zurück, und fragte dringend und ängstlich: »Mensch! Was willst Du hier? Du bist gebannt; zittre vor Deiner Strafe; und fliehe, fliehe, armer Mensch! Dein Gesicht ist gekommen, um mir den heutigen Abend vollends zu trüben, und kein Glück bringt Dir dieser Gang!«

»Weh' mir! weh mir!« seufzte Ben David beklommen, faltete die Hände, und sah hierauf wehmüthig und bekümmert in das Gesicht Dagobert's: »bin ich gekommen darum, daß ich empfangen werde also mit Schmach und Verweis? Ist das ein Willkomm für den Schwäher, für den Vater Eurer Braut?« – »Meiner Braut?« fragte Dagobert noch staunender. – »Hab' ich doch lassen rufen Euch, damit nicht erschrecke mein Estherchen vor meinem laugen Bart, in meiner zerlumpten Kleidung,« fuhr Ben David fort: »Hab' ich doch geglaubt zu finden in Euch ein menschlich Herz; aber jetzo werdet Ihr mich führen zu meiner Tochter, damit ich sehe, ob sie verlernt hat jede Liebe zu ihrem Ette, jede Anhänglichkeit an das Gesetz, das sie verlassen.« – Mit der Zudringlichkeit, die seinem Volke und der leidenschaftlichen Bewegung eigen ist, wollte Ben David neben Dagobert vorbei in das Gemach dringen; der junge Mann, der jetzt erst den Mißverstand begriff, hielt ihn stark aber mitleidig zurück. – »Halt ein, Unglückseliger!« rief er: »Du bist im Irrthum, obgleich im Verzeihlichern.« – »Nicht?« stammelte verblüfft der Jude, und hielte inne, schlug die Hände [345] über dem Kopf zusammen, und setzte hinzu: »Nicht? unglücklicher Vater!« – Hierauf verklärte sich aber plötzlich sein Gesicht, wie zum Danke erhoben sich seine Arme, und ein: »Nicht? Gelobt sey Gott, der hochgelobte Herr und König!« entschwebte seinem zitternden Munde. – Dagobert betrachtete ihn, mit bittern Gefühlen kämpfend, und Ben David ging bald aus seiner freudigen Erschütterung in eine unangenehme über. – »Wer weiß,« murmelte er vor sich hin .... »wer weiß, ob es nicht also ist geworden schlimmer? Sagt mir, gnädigster Junker,« sprach er laut, den Saum von Dagobert's Rocke küssend, – »sagt mir, wo Esther ist gekommen hin? Vielleicht wär' es doch gewesen besser, sie hätte geschlossen mit Euch den Bund, als« .... – »Beruhige Dich!« versetzte Dagobert der ein bittres Lächeln nicht unterdrücken konnte: »Sie ist Eurer würdig geblieben. Sie ging mir voraus in der Ehe, und Lüttichs reichster Jude, Joël ist ihr Mann!« – Überrascht und zweifelnd starrte Ben David den Jüngling an; da er aber in dessen Augen Wahrheit keine Falschheit las, so verkehrte sich schnell sein Trübsinn in Jubel, außer sich voll Freude fiel er vor dem Junker auf die Kniee, und jauchzte: »Heil sey Euch, Herr, und der Segen des hochgelobten Gottes in Israel. Dank dem Propheten Elias und dem Fürsten der Barmherzigkeit, die gnädig regiert haben das Herz meiner lieben Esther, die ich nun mit Freuden nenne mein eignes liebes Kind. Also belohnt der Herr die Treue, die an ihm hält fest wie Eisen und Gold. Ihr hättet mir geben können alle Kronen von [346] Perl und Edelgestein, und sie hätten nicht also erquickt mein Herz und meine Augen, als Eure Worte es gethan. Gern will ich seyn ein schlechter Jude und unter Euern Schuhen der Staub, weil es also gekommen ist; gern nicht mich brüsten, mit dem Namen Eures Schwähervaters und ohne mein Kind in Pracht und Herrlichkeit zu sehen, umsonst gekommen seyn zur Hochzeit. Doch.« fügte er, sich besinnend, hinzu: »Nein! umsonst bin ich nicht da, gestrenger Junker.« – »Du meinst des Geldes wegen, das Dir der Herzog schuldete?« fragte Dagobert, der hinter Davids Rede jüdischen Eigennutz witterte. »Das Gold hat Deiner Tochter Gatte, Joël, schon empfangen.« – »Recht!« erwiederte David ruhig: »ist's doch meines Kindes Erbtheil, von dem ich nicht gesprochen, da ich einen größern Schatz trage auf meiner Brust, – die Haarlocke meiner Esther, für welche ich einst verrathen habe mein letztes verstecktes Geld an den grausamen Zodick; ein Kleinod, das mich ermannt hat in jeglicher Gefahr, das mich geführt hat wie Zauberwerk durch jedes Elend; köstlicher denn Gold und Geschmuck, das mir der hochgelobte Gott gesendet hat durch die Hand des Bösen, wie seine unerforschliche Klugheit heilt durch Gift und reif macht durch Kummer, Mühe und Last. Nein, Herr! ich habe nicht geredet, von dem Gelde des Herzogs, – ich habe nicht begehrt ein Geschenk von Eurer Freigebigkeit; ich bin gekommen zu bringen ein Geschenk für Euer Haus und Euer Hochzeitfest. Ich habe vermeint, zu schmeicheln den schmutzigen hebräischen Schwähervater ein in das Haus der Hochzeitfreude; [347] aber, – ist mir gleich dieses verwehrt, – so wird sie doch angenehm seyn, des Landstreichers Gabe, und übersehen lassen sein unhochzeitlich Kleid, und ihm erwerben ein verschwiegen Obdach in Euerm Hause.« – »Eine Gabe? Du?« fragte halb lächelnd, halb mißtrauisch Dagobert. – »Laßt Euch sagen:« erwiederte der Jude geschäftig, zutraulich und eilig: »Gottes Wunder sind groß. Ich bin gelaufen gen Hungarn, um dort zu finden mein Brod oder den Tod, und zu besuchen die Städte, wo sie gemordet haben meinen Sohn. Das Gespenst des Andern hat mich gejagt, .... doch Ihr versteht nicht, was ich rede, und darum sag' ich Euch, daß ich gekommen bin zu der ägyptischen Horde, die von Aufgang herzieht gen Niedergang, und an welche sich angeschlossen haben viele Verfolgte von unsern Leuten, um also zu gelangen in's Abendland, das sie nicht erreicht haben würden, als Juden, allein und hülflos. Denn mir war's eingekommen plötzlich zu wandern nach dem hispanischen Land, und zu suchen mein Glück. Geschah es eines Tags, daß ich finde bei einem gestorbnen Ägypterweibe, das im Graben lag, ein Knäblein, fein und flink, das bitter weinte, fragte ich ihn nach seinem Leid, und erzählt mir der Bube, daß hier seine Pflegerin liege, todt, und daß er sey hülflos in der Welt, denn die Alte habe versprochen, ihn zu führen zurück bei seinen Eltern, denen er gestohlen worden sey von wälschem Bettvolk, das ihn, der krank und schwach gewesen, brauchen wollte, um der Allmosen mehr zu gewinnen für das sieche Kind. Da aber die Bettelfahrt das Kind gesund [348] gemacht, statt es noch gänzlich aufzureiben, so ist der Knabe bald geworden ein unnützig Eßmaul für die Bettler, und sie haben ihn in Hungarn verkauft an das Weib, das todt vor mir lag.« – »Ei, Jungelchen,« sprach, ich: »weißt Du denn, Du junges Blut, wer sie sind Deine Eltern, und wo sie wohnen?« – Der Knabe lachte, und hat gesagt in seiner halb kauderwälsch gewordnen Sprache: »Freilich weiß ich's Alter! Heiß ich doch Johannes Frosch, das liebe Junkerlein von Frankfurt; denn also hat mich die Willhild genannt, alle Tage da ich bei dir gewesen bin auf dem Dorfe.« – »Gott! Gott! da wurde mir, als ob die Schechinah des Herrn herunter stiege von den Fingern der Cohenim und sich setzte auf meine freudige Brust.« – »Mensch!« fiel Dagobert ein: »ist das wieder eine Lüge? oder spricht ein gnädiger Gott Wahrheit aus Deinem Munde?« – »Wahrheit, Herr, Gott soll mir helfen!« versetzte der Jude gerührt, mit Thränen in den Augen, und die Worte schnell herausstoßend: »Denn wir sind gekommen an, und waren bald verzweifelt, weil man uns drüben streng bewacht, daß keiner herüber komme, und ich nicht traute, ob des Bannes, dem Oberstrichter Alles zu entdecken. Morgen wäre es jedoch geschehen, .... da hat der Herr uns heut befreit. In dem Getümmel und Geschrei, daß man die Stadt verrathen wolle und anbrennen, haben wir gewonnen die Flucht, und sind herüber gekommen ganz und heil; laßt den Buben holen, der beim Pförtner sitzt, .... laßt ihn holen, Herr, denn bei dem Gotte Israels, und bei des Vaters Seele, auf der der Friede sey; [349] der Knab' ist Euer Bruder, Euers Vaters Sohn!« – »Johannes!« rief Dagobert entzückt, und eilte nach der Treppe. Da tönte schon von unten die Stimme der alten Willhild, die schon am Tage verstohlen in's Haus gekommen war, um bei Frau Margarethen und dem Brautpaar ihren Glückwunsch abzustatten. Sie kam dem Sohne Diether's auf der Stiege entgegen, den Knaben schon im Arme, den sie so eben beim Pförtner gesehen, ihn küssend unter Thränen, und ihn an's Herz pressend, wie das eigne Kind: »Herr!« stammelte sie schluchzend, und den Knaben in des Bruders Arme legend: »Herr! preißt Gottes Barmherzigkeit. Johannes ist der Knabe, – frisch, gesund und von graden Gliedern ist er, – er hat mich erkannt, er nennt seine Eltern, – er bringt Freude und Glück in Ihr Haus!« – »Und Ruhe, Friedensruhe in meine Brust!« setzte Ben David in seliger Zufriedenheit verstohlen bei, gen Himmel blickend: »So hab' ich doch nicht umsonst gelebt; so hab' ich doch nicht gelitten umsonst. Leid ist gekommen durch mich über dieses Dach, – Freude, Freude führe ich an meiner Hand wieder, hinein!« – Indessen hatte Dagobert die Thüre aufgerissen, und den Wiedergefundenen im Triumph in das Gemach getragen, auf Frau Margarethens Schooß. – »Mutter! Euer Sohn!« rief er freudetrunken, und der Knabe, der in seinen, des aus ihrem Gedächtniß Verschwundnen, Armen unruhig und ängstlich geworden war, brach in lauten Jubel aus, da er die Mutter wieder sah, deren Züge ihm nicht fremd geworden waren. »Mutter! Mütterlein!« schrie er, weinend vor Entzücken: »Mütterlein, ich bin wieder da. Johannes, das liebe [350] Junkerlein von Frankfurt ist wieder da. Nicht mehr von Dir lasse mich, Mütterlein, und dem guten Manne, der mich wiedergebracht! Hörst Du, Mütterlein! hörst Du? den armen Johannes behalte bei Dir!« –

Wer hat Mutterfreude je gesehen? Wer hat das Entzücken je genossen, das vom Himmel herabfällt, plötzlich unerwartet in die Nacht des Grauens, wie ein duftiger Blumenkranz in ein düstres Verließ? wie ein erquickender Himmelsthau auf die lechzende Flur? Margarethe, die kräftige, starke Frau, erlag dem Übermaaß der Wonne nicht, aber die Kunst des Malers, der es versuchen wollte, diesen Jubelauftritt zu schildern, würde unterliegen. Eine große Freude hat aber, wie ein großes Leid das Eigene, daß sie beklemmend auf die Brust derjenigen fällt, die nicht auf's innigste Theil nehmen an dem Freudevollen. Also auch hier. Die meisten der Anwesenden zogen sich in entferntere Gemächer zurück, oder verließen das Haus, da das Getöse auf den Gassen nachließ, und nur die eng Befreundeten blieben wohlwollend darin zurück, wie ein kleiner Hofstaat die glückliche Mutter umgebend, die den Thron der reinsten Zärtlichkeit bestiegen hatte. Aber weder Margarethe, noch die Zeugen ihres Glücks bemerkten, daß draußen Alles ruhiger wurde, daß Hornklang, Glockenschall und Trommelschlag aufhörten, .... niemand bemerkte, daß ein Gast in die Stube getreten war, bis derselbe sich selbst ankündigte. Dagobert, Margarethe und alle Umstehende staunten, denn es war der Schultheiß. Mit einem edel ritterlichen Anstande näherte er sich der Gattin Diether's, [351] hengte sich auf ihre Hand, sie küssend, und redete: »Ich war nur Willens, ehrsame Frau, hier einen Becher Weins zu heischen, – ein Labsal, das Ihr gewiß dem ermüdeten Feinde nicht versagt haben würdet, ... allein, zum Zeugen dieses rührenden Auftritts geworden, – wäre, ich in Versuchung, Euch um Verzeihung vergangner Unbilder zu bitten, wenn ich wüßte, daß mir diese Vergebung nicht entstehen möchte. Ich war ein thor, ein böser Thor; ich habe Euer Unglück für Schuld, Eurer Jugend leichten Sinn für Tugendlosigkeit gehalten; .... doch ich bereue, ich sehe Euch nun rein, wie den Thautropfen im Blumenkelch vor mir; und die heutige Nacht, die durch ihre drohenden Schrecken auf's Neue alle biedern Bürger an einander schloß zu gemeinschaftlichem Streben, gibt mir den Muth, mit Zuversicht Euch mein Geständniß abzulegen. – Reicht mir die Hand, Dagobert. Vergeßt, und werdet mein Füsprecher bei Euer Mutter, bei Eurem Vater, der sich heute durch seinen Eifer, seine Thätigkeit meine höchste Bewundrung und den Dank der Vaterstadt errungen.« – Welcher Augenblick wäre zur Versöhnung geeigneter gewesen? Dagobert reichte fröhlich dem Ritter die Hand, und Frau Margarethe lispelte mit niedergeschlagnen Augen: »Ich habe Euch nie gezürnt, gestrenger Herr. Ich beklagte nur Eure Verblendund, und bin erfreut, daß Ihr mir Eure Hochachtung ferner nicht versagt. Wo ist aber mein Eheherr? fragte sie lebhafter, den Knaben an sich drückend: Wo weilt er? Ihr spracht von drohenden Gefahren? Sind sie vorüber, oder? ...« – »Vorüber;« erwiderte der [352] Ritter beruhigend: »vorüber durch die redliche Hochherzigkeit einer schlichten Magd, die unter dem härnen Kittel ein Gemüth voll Adel bürgt. Ohrenzeuge einer Verschwörung geworden, die Leben und Habe aller Bürger, – die Eure vor allen – betraf, wollte sie, was sie gehört, entdecken. Teuflische Schadenfreude am Bösen trat ihr hinterlistig in den Weg. Die arme Dirne konnte aus einem Kerker, in den man sie gesperrt, nicht entwischen, als in den letzten Augenblicken vor der bestimmten Stunde des Verbrechens, wo es ihr gelungen war, ihre Stimme Andern vernehmbar zu machen. Die Tücke ihrer Gegnerin, – einer Klosterfrau, leider diesem Hause befreundet, – kam schnell an den Tag. Die Oberin ließ die Strenge walten, und hat die Unverbesserliche zu ewiger Clausur verdammt. Für die Welt, der sie nur schaden wollte, ist sie verloren. Indessen, rief Judith, die wackre Magd, mich und die Bürgermeister aus dem Schlummer; mit uns die Stadt. Gott hat gnädig den Schild vor uns gehalten. Viele verdächtige Gesellen fielen in unsere Hände. Ein Schiff, angefüllt mit andern, entkam auf dem Strome. Einen abscheulichen Rädelsführer hat die Vehme gerichtet; einen andern, bis zur Unkenntlichkeit von Rossen und Menschen zerstampften Leichnam fand man auf der Straße. Mit der größten Wachsamkeit konnte man dennoch nicht verhüten, daß ein Haus, von Meßfremden größtentheils bewohnt, von dem mord- und raublustigen Gesindel mit Feuer angestoßen wurde. Dort, begriffen zu löschen, zu retten und zu schirmen, befindet sich Euer Gemahl, ehrbare Frau. Bald wird [353] er heimkehren, seine Bürgerkrone, Euch zu Füßen zu legen, und sich mit den Freuden des Wiedersehens seines Sohns zu bekränzen. Glück auf! aber auch Dank dem Biedermanne, der also sein Unrecht gut gemacht, und vergessen an der Thüre steht, wie ein Fremder. Komm näher, David, den ich wohl erkenne! fürchte nichts! Der Bann soll von Dir genommen werden, und, dies bewirkend, will ich beweisen, daß ich's fürder redlich meine mit diesem Hause und seinem Frieden.« – Die Zuhörer, die bisher der Rede des Schultheißen mit ängstlichem Schauer gelauscht hatten, verklärten nun ihr Antlitz zum Lächeln der Zufriedenheit und beeiferten sich um die Wette, dem Juden, dem die innere Gemüthsbewegung auf dem unschönen Gesichte stand, die redlich verdiente Dankbarkeit durch Wort und Handschlag zu beweisen. Sogar Ammon, der an der Thüre lauschte, fühlte sich davon ergriffen, spürte eine Thräne in seinem Auge, und hätte es nicht über sich gewinnen können, dieses Fest der Herzen durch die Kunde seiner That zu stören. »Gott segne meine Edelfrau!« sprach er in sich hinein: »Sie und ihre Tochter sind so selig, wie fast nie. Darum sollen sie auch nie erfahren, daß ihr Vater und Gatte blutig gerächt wurde. Weiß ich's doch, und war doch die That gerächt.« – Plötzlich schoß der Diener Eitel an ihm vorüber, riß die Thüre auf, und rief freudig: »Der Herr kehrt heim! Der gute Herr! welche Freude wird das seyn!« – Dem Ankommenden strömte Alles entgegen, und alle Zungen sprachen zu ihm, und alle Augen strahlten ihm Freude zu, und alle Hände [354] legten dem von Lust und Überraschung Trunknen seinen Knaben, seinen Sohn in die zitternden Vaterarme. »Vater! Vater! bist Du's, und kennst Du das liebe Junkerlein aus Frankfurt noch?« fragte der wahre Johannes in seiner kindischen ausgelassenen Wonne: »Gelt! ich hab' Euch wiedergefunden, ihr meine Eltern? Gelt, ich bin gesund heimgekommen, und ich darf jetzt bei Euch bleiben? Ich muß nicht wieder zu Willhild, auf das Dorf, wo man die schlafenden Kindlein stiehlt?« – »Nein, nein!« betheuerte der begeisterte Greis: »Nicht mehr aus diesem Hause, nicht mehr aus diesen Armen!« – Indem nun Diether, vorschreitend, den um ihn gesammelten Kreis durchbrach, und vergebend und vergessend dem Schultheiß die Hand schüttelte, wurden hinter ihm zwei Gestalten sichtbar: ein Mann in wohlhabender Kleidung und ein verschleiert Frauenbild. – Dagobert erschrack heftig, denn der Mann war Joël, der Wechsler aus Lüttich, und unter dem bergenden Schleier konnte nur Esther athmen. Es schnürte ihm das Herz zusammen, während Margarethe den Eheherrn nach den Fremden fragte. –

»Das Haus, in dem sie wohnten, brannte nieder, erklärte, sich entschuldigend, der Altbürger. Ihr Habe habe ich gerettet, und bot ihnen ein Unterkommen für diese Nacht, obschon sie sich sträubten, mir hieher zu folgen. Aber, – seh ich recht? setzte er bei: Hier erst, guter Freund, erkenne ich Eure Züge. Beim Blitz, Ihr seyd der Mann, dem ich das Geld gezahlt, das seinem Schwähervater zugehört, und diese Frau ....« – »Gottes Wunder!« schrie hier [355] plötzlich Ben David auf, dessen bis jetzt die dem alten Erzählenden in der Freude ihres Herzens kaum erwähnt hatten, und der demüthig hinter den Vornehmern stand: »Gottes Wunder! es ist nicht gewesen sein Geist ... er ist es selbst! Ascher! Ascher! mein Sohn! mein Sohn! seh ich Dich wieder, ... und weg geschrieen, ... wie seh ich Dich wieder?« – »Vater! Vater! hochgelobter Gott in Deiner Gnade!« rief mittlerweile die Verschleierte, deren Verhüllung sank, deren Züge Esther's waren, deren Knie brachen, und welche hingleitete in des bestürzten Dagobert's Arm, sogleich unterstützt von ihrer glücklichen Nebenbuhlerin Regina. Dieser Auftritt wandelte die Zuschauer zu Stein, den Schultheiß ausgenommen, der, von Esther's Anblick beschämt, davon schlich aus dem Saale, und ausgenommen Ascher, der auf seinen Vater zugelaufen war, und mit ihm, lebhaft und unterwürfig sich geberdend, einen wichtigen Zweisprach hielt in hebräischer Zunge.

»Esther! Tochter Ben David's!« rief Dagobert der Erwachenden in's Ohr: »Sage, Du hier? Du betrittst dies Haus?« – Die Augen öffnend, aus welchen die zärtlichste Liebe auf Dagobert strahlte, erwiederte die Liebliche, reizend selbst in der Blässe der Ohnmacht: »Euch, verehrter Herr, sollte ich noch einmal sehen; Zeuge Euers Glücks seyn sollte ich; Euch finden mußte ich im Arme der Braut und der wonnevollen Eltern. So wollte es das Schicksal und der hochgelobte Gott, der noch einmal prüfen wollte dies Herz. – Aber,« – setzte sie mit himmlischer Zufriedenheit auf Stirn' und Wange hinzu: »gepriesen [356] sey seine Huld! Ich kann Euch offen sehen in's Auge, ohne neidisch zu seyn auf Euer Wohl, und gut hat er's gemacht und recht in seiner unerforschlichen Weisheit!« – Wie staunend und sprachlos auch Dagobert und seine junge Gattin an den Lippen der Redenden hingen; – ihre Staunen, ihre Überraschung steigerte sich, da Esther in ihres Vaters Arme flog, der gerade seinen wiedergefundenen Sohn gesegnet hatte; denn Ben David sprach: »Gesegnet sey der Herr, der meine Augen offen gehalten, daß ich sehe zurückkehren zu den schönen Hütten Jakobs den Verlornen, und preisen darf das Loos derjenigen, die ich liebe, trotz einem Sohne, weil sie nicht gefallen ist in die Schlingen der Abtrünnigkeit! Ist mir's jedoch gewesen wie ein Traum, daß man mir gesagt, Du seyst vermählt, mein Kind! wo ist Dein Mann, Kind, daß ich ihn segne mit den Fingern meiner Hand und dem Spruche des Gerechten?« – Da blühte das Geständniß des größten Edelmuths, den je ein Weib bewiesen, in Purpurflammen auf Esther's Angesichte auf; und sie schüttelte ehrerbietig den Kopf, und beugte sich nieder vor Ben David, und ihre Lippe stammelte: »Bei dem Gedächtniß des Raaf! Ich bin Jungfrau, und unvermählt!« – Dagobert's Hand zuckte heftig in Regina's Hand bei diesem Geständniß, und noch einmal erhob sich mit Sturmesgewalt eine Bewegung in seiner Brust, auf welcher sich der böse Geist, der in den Tiefen schlummert, herauf arbeiten wollte, zur Geschäftigkeit und That. »Du warst getäuscht!« raunte er dem erbleichenden Bräutigam zu: »Verrathen und betrogen um Dein Lebensglück! [357] Warum ist sie schon fern Fiorilla, die Lügnerin? warum Dir so nahe, – unauflöslich an Dich geschmiedet, die minder als Esther geliebte Regina? Giebt es kein Mittel, zu ändern, was vorgegangen?« – Das Geflüster des bösen Geistes verstummte jedoch, und zurück wogte die finstre Welle, auf welcher er gekommen, denn Dagoberts Treue und Männlichkeit behielt den Sieg. Beruhigend und liebevoll blickte er auf Reginen hernieder, die, von Esthers Bekenntniß erschreckt, mehr denn Dagobert, ängstlich das Haupt an seine Brust gelegt hatte, das Auge zu ihm emporgerichtet, als wollte sie fragen: »Mein Geliebter! wankst Du nun? bereuest Du nun? und bin ich die Deine noch, oder schon von Dir getrennt?« Er umschlang sie mit der Innigkeit eines wahren und redlichen Gefühls, drückte einen Kuß auf ihre Stirne, und wendete sich mit offnem Gesichte zu Esther, die, in den Armen des Vaters liegend, mit wehmüthiger Freundlichkeit nach ihm herüber sah. – »Seltsames Mädchen!« sprach er, ohne Vorwurf, ohne Bitterkeit: »Ich weiß nicht, soll ich Dir zürnen, oder Deinem Gedächtniß eine doppelte Liebe schenken? Bunt und täuschend schimmernd, wie eine Schlange, windest Du Dich zu dem Ziele der Tugend, und fürchtest nicht, einst zu bereuen?« – »Nimmermehr, mein theurer Freund, den ich also nennen darf, vor allen, die uns umstehen!« erwiederte Esther himmlisch lächelnd: »So wie wir getheilt haben die Liebe einer abwechselnd düstern und rosigen Zeit, also müßten wir auch die Reue theilen, und man fühlt diese nicht im Besitze eines reinen, schönen, tugendhaften [358] Wesens, wie Eure Braut; man fühlt sie nicht in dem Bewußtseyn erfüllter Pflicht. Glänzen nicht hier in jedem Auge Thränen der Freude und der Rührung? Zwei Väter, zwei Mütter segnen meinen Entschluß, und aus der schlechten Jüdin, die, hatte sie auch erschlichen durch die Taufe das Bürgerrecht in diesem Hause, dennoch immer darin geblieben wäre eine Fremde, ist geworden auf einmal eine Freundin, ein Geschöpf, das man duldet um ihres Gemüths willen. Ich kann nicht dankbar genug preisen den Herrn, der mir Stärke genug gegeben, auf mich selbst zu wälzen eine Schuld, um Euch, theurer Herr, zu bewegen, den Schritt zu thun, der, uns plötzlich auf ewig trennend, Eure Sinne zurückführen mußte in den Kreis der Euern, Euers Standes, Eurer Pflichten. Ich wollte Euch nicht mehr sehen, und grollte fast mit dem hochgelobten Gott, daß er mich noch einmal in Eure Nähe geführt, weil ich zu stören glaubte, – nicht meiner Seele Frieden, der unerschütterlich besteht, – sondern Euer harmlos Erstlingsglück; allein nun benedeie ich Jehovah und sein Gesetz, da sie mir zum Lohne wieder finden ließen den schmerzlich beweinten Vater!« – Sie warf sich entzückt von neuem an den Hals Ben David's. – »Liebenswerthes Mädchen!« rief Margarethe, und umschlang, das Vorurtheil vergessend, Esther's Nacken; »Wandle stets auf dieser Bahn!« ermahnte, ihre Hand ergreifend, die bewegte Edelfrau; »sieh hier mehr als eine Christin!« sprach Dagobert in seligem Entzücken zu Regina: »sieh hier eine Heilige!« Diether trocknete sich, halb abgewendet, sein nasses Auge, und sagte: »Gott segne Euch, [359] ihr armen, verirrten, verblendeten Menschen, die mir aber Gutes gethan haben, wie Brüder, und Die ich schier lieben muß, wie solche! – Sprecht indessen! Ihr habt mir den Sohn wieder gebracht, die Lust meines Alters, so wie sein älterer Bruder der Stolz desselben ist. Ich bin nicht undankbar! fordert meine Habe! hin geb' ich sie Euch, mit Freuden für dieses Kleinod, das Ruhe und Heiterkeit auf ewige Zeiten unter mein Dach zurückführt. Warum bin ich nicht der Mann, der das römische Reich bewacht und hütet? beneidenswerth sollte euer Loos seyn!« – Ben David lächelte, seine Kinder umschlingend, daß seine vernarbten Züge fast einen angenehmen Anblick gewährten. »Ehrsamer, Herr!« rief er froh bewegt: »bin ich nicht schon geworden ein gekrönter König, voll Ehren und Freude? Wer sieht mich in der Kinder Mitte, und beneidet mich nicht? Behaltet, Herr, eure Gaben, und laßt dafür fallen einen Blick der Gnade auf einen Armen, der bis jetzt im Winkel gestanden ist, wie einer, der nicht zu den Fröhlichen gehört.« – Er führte den armen kleinen Hans, der sich schüchtern hinter einen Sessel gezogen hatte, dem Großvater zu, an dessen Halse noch der Wiedergefundne ruhte. Hans hatte die Augen voll Thränen, Schmerz auf den Lippen, und seine Händchen falteten sich bittend. »Verstoße mich nicht, Vater!« seufzte er: »und Du, mein gutes Mütterlein! was hab' ich Dir gethan, daß Du mich nicht mehr ansiehst, um des fremden Buben willen, der mir ein bös Gesichte macht?« – Fast beschämt bogen sich Diether und Margarethe schmeichelnd zu der gekränkten Unschuld hernieder; [360] als aber Dagobert, dessen Blicken nichts entging, des echten Bruders grollendes auf Hans gerichtetes Auge ersah, da trat er in die Mitte, Reginen an der Hand, und sagte: »Was ich einst gelobte, will ich jetzo halten, so Gott mir hilft, und mein redliches Weiblein einstimmt. Dieses Kind eines unglücklichen Bundes, einer Schwester, die uns haßte und hassen wird bis zu Ende, .. es entgelte nicht die trübe Stunde seiner Geburt. Mein Sohn sey Hans, und – willst Du, meine Hausfrau – der erste Sprößling unsrer jungen Ehe!« – Die liebliche Regina beugte sich, von Mutterahnung überrascht, zu dem Knaben nieder, und weihte ihn durch ihren reinen Liebeskuß zu ihrem Sohne. – Lobend und glückwünschend drängten sich die Ältern um das Paar; Esther zog aber rasch und stürmisch Vater und Bruder in das Seitengemach. – »Ich kann, ich darf dies Schauspiel nicht wieder sehen!« sprach sie mit bewegtem Herzen: »Ich fühle dann, daß ich nur bin ein schwaches Wesen von Staub. In Eurer Mitte laßt mich seyn beruhigt und fröhlich in meiner Pflicht, und laßt uns entweichen aus Frankfurt, wo ich nimmer athmen kann!« – »Wir gehen, wohin mich ruft eines wackern Fürsten Gnadenstimme, gen Innsbruck!« versetzte froh der Vater, die Hände dankbar gen Himmel hebend: »Ich bin wieder geworden ein schuldloser Mann, und von mir wird weichen Bann und Makel; ich halte wieder bei mir den verlornen Sohn, der in Buße und Noth wiedergefunden hat Israel. Ich rühme mich einer Tochter, die erkannt hat, daß die Leidenschaft demüthiger seyn muß, als [361] die Liebe zu dem Herr, und der Lehre, in der wir geboren! Freude also in Israel und in den Zelten der Gerechten! Du, Ascher, wirst meinen Stamm fortpflanzen auf die spätsten Zeiten, wie es thaten die Voreltern, auf denen der Friede sey, und Du, mein Kind Esther, wirst den Lohn Deiner Tugend an der Hand eines rechtschaffenen Mannes aus Israel finden!« – »Nimmer, mein Vater;« erwiederte rasch, aber ernst und fest entschlossen Esther: »Nicht dem Manne aus Edom, nicht dem Sohne Jakobs gehöre jemals Dein Kind. Ich will Dich pflegen, bis Dein Angesicht bleich wird, und dann erlöschen, einsam und ruhig, das schwör' ich bei Gott! Schilt mich nicht. Nur einmal blüht im Lenz der Baum, die Blume. Die Liebesblüthe meines Frühlings ist dahin, kehrt niemals wieder. Die Erinnerung labe mich fortan, und des Wiedersehns Hoffnung. Freudig sehe ich zurück auf meinen Pfad, freudig und zuversichtlich in die Ferne. Dem hochgelobten Herrn bin ich treu geblieben, und ihn, den Freund, finde ich wieder – glaubt mir's – unter den Palmen des ewigen Zions; seiner würdig ist geblieben meine Seele, und sie wird mit der reinsten Wonne ihn und die Gattin umschlingen unterm Klang der goldnen Harfen der Gerechten, – unter der Engel Hallelujah!«


Ende. [362]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Spindler, Carl. Roman. Der Jude. Der Jude. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-140B-5