[308] [312]An die deutsche Rathsversammlung in Wien

1814.


In Habsburgs Kaiserhallen Versammelte,
Gott grüß' Euch, deutsche Männer! Geheftet starrt
Des Vaterlandes Aug' auf Euch, ihr
Waltenden Hüter des Seyns und Werdens.
Wann dröhnten jemal so auf des Rathes Tisch
Verhängnißschwanger, furchtbar umsäuselt – ach
Vernehmt der Warnungsschauer Flüstern! –
Rollend Entscheidung, die Schicksalswürfel?
Der Väter Ahnherrn, wenn sie bei'm Festgelag'
Im Eichenschatten ruhten, des Uhres Horn
Umherging; wie sich schimmernd heben
Stern und Gestirn an der blauen Wölbung,
[312]
Empor so strahlten ihnen aus Heldensinn
Gedanken auf Gedanken, es rastete
Jedoch der Arm, bis erst bei kaltem
Ernste sich senkte die Prüfungswage.
Uns unsre Sieg' entflammten zu Nektarrausch,
Und Babels Einzug! huben die Fittige
Des trunknen Geistes – Ha! und stürzten
Nicht, nun gelös't von der schnöden Fessel,
In unsre Feierbecher beim Lebehoch
Des deutschen Rheines, Vater Johannesberg
Mit seinem Rebenwald, und ihr in
Goldenen Strömungen, Hochheims Hügel? –
Fein nüchtern, Muse! Nahe mit frommen Sinn
Dem ernsten Kreise, deines Berufes, o
Des hohen kundig! Heil'ge Zauber
Weih'n dir die Lippe zu Göttersprüchen.
Geleitest du nicht Bitten und Sühnungen,
Gelübd' und Dankesopfer und Tempelsang
Gen Himmel? Flammt nur deiner Schwester,
Dir, Uranide, nicht auch der Sternkranz?
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Heut' athme Segenswünsche die sanfte Brust,
In Wünschen lisple leise das Saitenspiel,
Und Segen fleh', in ihm der Inbrunst
Perle, der Blick, den nicht hemmt die Wolke:
Ach, daß herab Sie schwebe, die Spenderinn
Des wahren Rathes, daß sie zum Heiligthum
Die Halle widme, zu Asträa's
Priestern Teutonia's Häupter weihe,
Allvaters Erstgeborne, die Wächterinn
Des Urgesetzes, Sie die Erleuchterinn,
Die hohe Weisheit, daß sie zünd' in
Ihnen des Lichts und des Rechtes Flamme!
Dann waltet Eintracht, schirmt in der Bundeshand
Die festumschlungnen, ewigverbrüderten
Geschosse, nur dem Feind verletzbar,
Wenn sich gesondert die Pfeile lösen.
O dann erstehet, blühend in Lenzeskraft,
Verjüngt das alte, heilige deutsche Reich,
Und unterm Adler-Schild erstarrt das
Frevelgezüchte Gewalt und Willkür!

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TextGrid Repository (2012). Stolberg, Christian Graf zu. Gedichte. Gedichte. An die deutsche Rathsversammlung in Wien. An die deutsche Rathsversammlung in Wien. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-1A01-D