[185] Helfrich Peter Sturz
Julie
Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

[Motto]

O poggi! o valli! o fiumi! o selve! o campi!

O testimon della mia grave vita

Quante volte m'udiste chiamar morte!

Petrarca.

[185]

Personen

Personen.

    • Herr von Wohlau.

    • Julie, seine Tochter.

    • Frau von Wichmann, eine Wittwe, seine Schwester.

    • Herr von Wohlau, ihr Halbbruder, ein abgedankter Capitain.

    • Belmont.

    • Wernek.

    • Woldemar.

    • Frau Dalton, ehemalige Gouvernantin der Julie.

    • Peter und noch ein Bedienter.

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Julie, Frau von Wichmann.

FRAU VON WICHMANN.

In diesem Hause ist nun alles so traurig, Julie, wenn ich an die Freude denke, die sonst hier herrschte, so geht es mir nahe – und besonders deswegen geht es mir nahe, liebes Kind, weil du wirklich allein Schuld daran bist. Ich habe dich nicht immer so eigensinnig gekannt, Julie, und ich hätte ein wenig mehr Folgsamkeit von dir erwartet, eine mehr nachgebende Liebe gegen deinem Vater –

JULIE.

Ach, liebste Tante! ich habe meine Kräfte versucht, wenn Sie mich gesehen hätten, wie ich in langen schlaflosen Nächten gerungen und gekämpft habe – gewiß, Sie würden mir, Sie könnten mir Ihr Mitleiden nicht versagen – ich kann es nicht zwingen, sagen [187] Sie mir, woher kommt diese Unfähigkeit einem Vater zu gehorchen, den ich verehre? diese Widerstrebung gegen Gründe, die mir gültig vorkommen? Ein flüchtiger Gedanke an Ihn macht alles zu nichte – Ich bin doch kein lasterhaftes Mägdchen nicht – aber Ihn – Ihn kann ich nicht aus dieser Brust vertilgen – Unglücklicher! dein Leiden macht dich mir theuer, den um meinetwegen leidest du – Sie kennen Ihn wohl nicht, haben Sie Ihn niemals gesehen?

FRAU VON WICHMANN.

Nein, ich kenne ihn nicht, armes Kind – aber man hat mir viel gutes von Ihm gesagt – indessen ist der Mann, den man dir bestimmt, doch auch ein würdiger tugendhafter Mann – und o, wie beugst du sein Herz, Julie.

JULIE.

Der Mann ist ein vortrefflicher Mann – aber er ist der Mann, der mich mit seiner Liebe verfolgt, den ich ohne Zittern nicht sehen kann – Glückselige Zeiten meiner ersten Jugend! ihr seyd vorbey. – Ruhe meines Lebens! du bist dahin – Wie hätte ich wohl dieser Liebe widerstehen sollen, liebste Tante? Sie entstand mit unserer Kraft zu empfinden, und mein Vater und das ganze Haus schälten ihn hoch – ist es nicht unser Verwandter? nennte Ihn mein Vater nicht oft [188] seinen Sohn? glaubten Sie nicht alle, daß er mir bestimmt wäre, ehe man das unglückliche Verspreche erfuhr? konnte ich voraus sehen, daß man noch etwas anders als Uebereinstimmung der Gemüther bey meiner Verheirathung fordern würde? O sagen Sie mir, liebste Tante, ist es nicht sehr hart? was wird es mir helfen, wenn ich reich und nicht glücklich bin?

FRAU VON WICHMANN.

Was soll ich dir sagen, meine Tochter? du bist sinnreich deine Leidenschaft zu vertheidigen – und gegen alle Vorstellungen hast du dich gewaffnet: die erste Liebe, Kind, ist meistentheils unvernünftig; glaubst du, daß man ohne Erfahrung, bloß nach der Empfindung der ersten Jugend einen Mann wählen müsse? sehr wenige Mägdchen haben ihre erste Liebhaber geheirathet. Ueberdies so hat dein Vater allerdings Rechte über dich; Er hat seinem einzigen Freunde auf seinem Todtbette versprochen, daß sein Sohn mit dir verbunden werden sollte: wenn dieser Sohn ein verdienstloser Mann geworden wäre, so müßte diese Zusage nichts seyn; aber er ist tugendhaft, Julie, und er ist deiner würdig; er liebt dich zärtlich, und denkt so edel, daß er dem Ansehen deines Vaters nichts schuldig seyn will, schon sechs Monate hat er mit unglaublicher Gedult deinen Kaltsinn ertragen – sey einen Augenblick [189] unpartheyisch, Julie, sage mir, ist der Mann, der so handelt, hassenswürdig? sind die Bewegungsgründe deines Vaters verwerflich, die Bitte eines sterbenden Freundes, was sollte Ihren Eindruck wohl entkräften.

JULIE.

Meine Thränen, liebste Tante! mein Leiden – Mein Vater hätte mich an dem Bette seines Freundes opfern sollen? o das wäre grausam, der alte Woldemar war, wie man sagt, ein verdienstvoller Mann – wie konnte er in der letzten Stunde seines Lebens mich mit dieser schrecklichen Bitte fesseln? was hatte ich ihm zu Leide gethan, daß ich an seinem Grabe verurtheilt, und zum Triumph seines Sohnes aufbewahret werden sollte?

FRAU VON WICHMANN.

Ich muß es dir gestehen, Kind, in allem was du sagst, ist viel ungerechtes, denn deine Haupteinwendung ist doch eigentlich nur, daß du verliebt bist, in einen Menschen verliebt, der gar kein Vermögen, vielleicht ein gutes Herz und wilde Sitten hat, der dich ungroßmüthig in einem wehrlosen Alter überfiel, und dessen Sieg über dich eine Undankbarkeit gegen deinen Vater seinen Wohlthäter war, denn er konnte wohl einsehen, daß die einzige Erbin meines Bruders seine Frau nie werden konnte, diese Seite von der [190] Sache willst du nicht sehen – du hältst die Augen zu – nimm dich in Acht Kind, daß du im finstern dem Abgrunde nicht nahe kommst.

JULIE
weinend.

Auch Sie, liebste Tante – auch Sie stossen mich weg – weit von sich weg ins Elend –? Belmont! du ein Undankbarer –? o ich habe deine Thränen, deine dankbare Thränen gesehen. Weint.

FRAU VON WICHMANN.

Weine nicht Julie – du machst mich weichherzig – weine nicht, mein Kind, ich sollte nicht so weich seyn. Wo ist Belmont? hast du Briefe von ihm? schreibst du Ihm oft?

JULIE.

Ich ihm schreiben? ach in welchem entfernten Lande wird er vielleicht jetzt mit der Verzweifelung ringen? Mein Vater hat mir drehend geboten, ihm nicht eine Sylbe zu schreiben – ich habe in sechs Monaten nichts von ihm gehört – Ach wo wird er seyn – wie wird es ihm gehen – Allmächtiger! Beschützer der Unschuld – der du die Reinigkeit unserer Herzen kennst – breite, o breite deine Hand über den unglücklichen Menschen – ach Tante, ich zittere, wenn ich an die Last seines Unglücks, und an seine Heftigkeit denke.

[191]
FRAU VON WICHMANN.

Ich will mit deinem Vater reden Julie – aber ich sage dir voraus, ich verspreche dir nichts – ich kann dir nicht Recht geben Kind, denn du rührst mich mehr als du mich überzeugest. – Hier kömmt mein Bruder, laß mich allein mit ihm sprechen –


Julie geht ab.
2. Auftritt
Zweyter Auftritt.
Herr von Wohlau, Frau von Wichmann.

HERR VON WOHLAU.

Sieh hier – war das nicht Julie? Wozu entschließt Sie sich, das eigensinnige Mägdchen? Bald bald ist meine Gedult vorbey, das Ding ist toll verliebt, Sie nimmt keine Vorstellungen und keine Vernunft an, man muß Sie zu ihrem Besten zwingen – und das soll geschehen.

FRAU VON WICHMANN.

Uebereile dich nicht Bruder, Sie hat mich sehr gerührt, du stellst dir nicht vor, wie Sie leidet, und ich muß dir gestehen, ich fürchte, diese Leidenschaft ist so tief bey ihr eingewurzelt, daß alle unsere Bemühungen vergebens sind – Ich hielte dafür, es wäre besser, wir plagten Sie nicht länger mit dieser Ehe, denn Sie wird sich doch niemals dazu entschließen, und es wird kein gutes Ende nehmen.

[192]
WOHLAU.
Also wolltest du wohl für Belmont eine Anwerbung thun?
FRAU VON WICHMANN.
Ich dächte Bruder –
WOHLAU.

Und ich dächte Schwester, in deinem Alter wär es ziemlich sonderbar, eine romanhafte Liebe zu vertheidigen: aber das Gewimmer, das weibliche Gewimmer, dem kann kein Weib widerstehen: denkst du, daß ich das Mägdchen nicht auch lieb habe? daß mir ihr Zustand nicht an die Seele geht? verflucht sey die Schlange, die ich in meinem Busen ernährt habe, der Nichtswürdige, er hat mir mein Kind aus meinem Arm weggerissen – er hat mir Ihr Herz geraubt – was war das für ein gutartiges liebes Mägdchen, wer hätte das denken sollen? Will Sie denn durchaus nicht Schwester? Was sagt Sie eigentlich? Warum will Sie nichts?

FRAU VON WICHMANN.

Wann du Sie gehört hättest Bruder, ich bin überzeugt, du hättest eben so wenig widerstanden; Ihr Herz ist voller Ehrerbietung, voller Zärtlichkeit gegen ihren Vater – aber auch voll von Liebe.

WOHLAU.
Zu dem Bösewicht?
[193]
FRAU VON WICHMANN.

Zuweilen entrinnen Ihr Klagen, aber sobald Sie sich nur ein wenig fassen kann, so macht Sie niemand Vorwürfe; Sie fühlt bloß Ihr Unglück, und dieses Leiden geht durch die Seele, indessen scheint ihr Entschluß genommen zu seyn.

WOHLAU.
Nicht zu gehorchen?
FRAU VON WICHMANN.
Woldemar nicht zu nehmen.
WOHLAU.

Und meiner ist bey meiner Ehre auch genommen, ich bitte ihr das zu sagen, Schwester, mein Entschluß ist auch genommen, wenn ich ungerecht wäre, wenn ich Ihr einen unwürdigen Mann aufdringen wollte, aber was kann Sie an ihm tadeln – eine Schande würde es seyn, wenn Ihr Gewinsel mehr als aller Menschen Vernunft gelten sollte; ich möchte, so wahr ich lebe, das Mägdchen gerne glücklich sehen, wenn Sie es nicht wird, so ist bloß ihr Eigensinn schuld. Wenn Sie ihren Vater mit Kummer in die Grube bringen will, Sie mag es thun – Gott wird es Ihr vergeben. – Bloß meine Geduld, meine Weichlichkeit verhärtet das Mägdchen. – Sie mag mich nicht länger reizen – sag ihr das – Sie mag mich nicht länger reizen.

[194]
FRAU VON WICHMANN.
Bruder – nur keine Hitze, keine Gewaltthätigkeiten, darum bitte ich dich.
WOHLAU.

Gewaltthätigkeiten, was nennst du Gewaltthätigkeiten? Krieche ich dem Ding nicht schon ein halbes Jahr nach –? Ihren Willen soll man thun, und wenn es Wahnwitz wäre, rasend möchte man werden. Du hast keine Töchter gehabt, Schwester, keine Töchter, die deine Liebe mit Undank belohnten, und ihre Familie beschimpften; du weißt nicht, wie einem Vater dabey zu Muthe ist. Da hier meinen Bruder will ich fragen, der wird die Sache anders erklären, er kömmt wie gerufen.

3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Der Capitain und die Vorigen.

WOHLAU.

Sage mir, Hauptmann, was fangen wir mit dem eigensinnigen Mägdchen an? da ist nicht mit auszukommen ich habe süßes und saures versucht, ich komme nicht aus der Stelle.

DER CAPITAIN
spöttisch.

Ey nicht doch, Bruder, Sie ist ja so ein gutes gehorsames Kind, Sie hat ja jederzeit deine Wünsche [195] von ferne errathen, Sie hat sich ja immer durch die Vernunft lenken lassen.

WOHLAU.

Das hat Sie auch, aber nunmehro ist das vorbey, es ist als wenn ihr der Junge den Kopf verrückt hätte, und ich weiß keinen Rath mehr.

DER CAPITAIN.

Nimm es mir nicht übel, Bruder – aber mich hohl der Henker, wenn es mir nicht warm um die Ohren wird, wenn ich an das nasenweise Mägdchen, und an deine kindische Aufführung denke –

WOHLAU.
Nun Herr Capitain – etwas gelassener, ich begehre deinen guten Rath, und keine Schimpfreden.
DER CAPITAIN.

Und hilft bey dir ein guter Rath –? ja hier hinterm Ofen, da können wir die Stirne in Falten ziehen, die Zähne zusammenbeißen, und die Arme in die Seite setzen, aber wenn das Ding er scheint – wenn Sie zu winseln anfängt, dann ist die Courage fort, da ists das arme Mägdchen, und das arme Kind, Gott weiß was es alles ist. – Eine Närrin würde Sie seyn, wenn Sie dir gehorchte. Sieh hier Bruder – willst du mir folgen, so sage der Dirne ins Gesicht, daß Sie ein leichtfertiges Stück ist, daß Sie sich an einen Bettler [196] gehängt hat, der sich vielleicht jetzo um den Galgen verdient macht, und wenn Sie nicht pariren will Maulschellen, eingesperrt, bey Wasser und Brod – Ich schwöre dir, in zwey Monathen soll Sie zahm werden: krumm wollte ich Sie schließen lassen, wenn Sie meine Tochter wäre.

FRAU VON WICHMANN.

Dem Himmel sey Dank, daß Sie es nicht ist – und daß du keine Kinder hast, die schöne Zucht die das geben würde.

DER CAPITAIN.

Zucht sagen Sie Madame? Zucht? bey meiner armen Seele – ich habe Kerls gezogen mit Schnurrbärten bis an die Ohren, Kerls die im Feuer stunden, wie die Mauren, und sollte so ein Ding nicht zur Raison bringen? gebt mir Sie her – nur des Wunders wegen, nur auf acht Tage, wie einen Recruten will ich Sie abrichten, unter dem Gewehr soll Sie mir stehen, Rechts und Links soll Sie machen, und wenn ich Ihr einen Corporal zum Manne geben will, wie Ihro Gnaden befehlen, soll Sie sagen.

WOHLAU.

Sachte, sachte Herr Bruder, so ist die Sache nicht gemeynt, es ist wahr, das Mägdchen könnte mich aufbringen ein wenig härter mit Ihr zu verfahren, [197] aber da sind doch noch andere Mittel mit deiner Erlaubniß – zumal bey einem Kinde, das keiner Härte gewohnt ist.

DER CAPITAIN.

Und ich will ein Schurke seyn, wenn du mit deinem Hätscheln etwas Kluges aus dem Weibsbilde machst; und was sind denn das für andere Mittel? Ich denke ein ergrimmtes böses Gesichte? das mag fürchterlich genug aussehen, das arme Kind, ich möchte nicht an ihrer Stelle seyn, aber wenn Sie etwa mit Ihren Thränen kommen sollte, Herr Bruder? die ihr zu Gebot stehn, wenn Sie Lust hat – wie denn? so stehn wir da, wie die Tropfen, so verlieren wir den Kopf, so machen wir ein falsches Manoeuvre, – und so sehn wir uns nach der Flucht um: – ja wer sich durch Thränen erweichen ließe, hier muß Eisen seyn, Mann – und kein weibisches weiches Herz – Ordre muß die Dirne pariren – oder ihr Vater versteht den Dienst nicht. Was den Jungen betrift, der soll sich endlich wohl die Lust vergehen lassen, denn ich habe ihm ein Briefgen geschrieben, das ihm das Maul zusammenziehen soll.

WOHLAU.
Wie kommst du dazu ihm einen Brief zu schreiben?
[198]
DER CAPITAIN.

Hatte der Schurke nicht die Frechheit mir eine ganze schriftliche Predigt zu halten, mich zur Sanftmuth gegen die Fräulein Julie zu ermahnen, und was des Zeuges mehr war, ja ich glaube, Gott vergebe mir, er drohete hier und da, aber ich habe ein solches Sendschreiben an ihn erlassen, er wird sich nicht satt dran lesen können.

FRAU VON WICHMANN.

Einen von deinen unmanirlichen Briefen, ich wette – das hättest du nicht thun sollen, Bruder, du wirst den armen Menschen zur Verzweiflung bringen.

WOHLAU.

Was hast du ihm denn geschrieben? wer hat dich darum gebethen? die Wahrheit zu sagen, das hätte sehr gut unterbleiben können.

DER CAPITAIN.

Sie reden Herr Bruder, als wenn Sie es sehr gut verstünden; und ich sage dir, mit deiner Erlaubniß, daß nichts so vernünftiges in der ganzen Sache geschehen ist; und ich bin noch glimpflich genug mit dem Burschen umgegangen, denn ich habe ihm in aller Höflichkeit angedeutet, daß ich ihn ins Zuchthaus stecken lassen will, daß ich ihm Steckbriefe nachschicken will, und daß er in keinem Winkel der Welt sicher seyn soll.

[199]
WOHLAU.
Das war allzu hitzig Bruder, der Mensch könnte zu einer schlimmen Entschließung gebracht werden.
DER CAPITAIN.

Könnte er? wenn er recht toll im Kopfe wird? – und kein Mitleiden mehr erwartet, so könnte er vielleicht auf den einzigen klugen Gedanken gerathen, dem Kalbfell zu folgen und noch ein braver Kerl zu werden. Du siehst Bruder, daß ich es so schlimm nicht mit dem Jungen meyne, unter der Fuchtel wird ihm der Kützel schon vergehn, wenn man es recht mit ihm angreift, so kann noch etwas aus ihm heraus gefuchtelt werden.

FRAU VON WICHMANN.

Bewahre Gott – was das für Anschläge sind – der arme junge Mensch – das ist unerhört grausam von dir Bruder, Er ist unser Vetter!

DER CAPITAIN.

Wenn unsre Base ein liederliches Mensch wäre, wolltest du Sie wohl auf den Händen tragen? Es ist Liebe für einen Taugenichts, wenn man sich mit seiner Zucht abgiebt. Lassen Sie mich nur machen, Frau Schwester, gehangen wäre nicht zu viel vor den Bösewicht, der einem ehrlichen Mann seine Tochter verführt.

[200]
WOHLAU.

Nu nu, hätte der Junge das Unglück nicht in meinem Hause angerichtet, so sollte es ihm nicht übel gegangen seyn, denn er ist sonst ein ehrlicher Kerl. Indessen wir müssen ein Ende aus der Sache machen, willst du nicht meine Tochter rufen, Schwester? ich muß wirklich dem Mägdchen ein paar ernsthafte Worte sagen.

FRAU VON WICHMANN.

Ich beschwöre dich Bruder, dringe nicht tyrannisch in Sie, du weißt, wie eine zärtliche Creatur Sie ist, Sie ist so schon krank und abgehärmt genug. Sie würde es nicht aushalten – wenn wir durch Zeit und Geduld nichts mit Ihr ausrichten, durch Härte und Uebereilung fürchte ich, machen wir Sie immer elender, und erreichen unsere Endzwecke doch nicht.


Geht ab.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Herr von Wohlau und der Capitain.

WOHLAU.
Bruder, ich möchte wohl allein mit dem Mägdchen reden.
DER CAPITAIN.

Und ich möchte das wohl zuhören, denn ich glaube das wird erbaulich und lehrreich seyn, da könnte unser einer verschiedenes bey lernen.

[201]
WOHLAU.

Wenn ich bitten darf Bruder, ich brauche keinen Sekundanten, ich will das mit dem Mägdchen allein ausmachen.

DER CAPITAIN.

Damit ich dich nicht auslache? Nein, ich will hier bleiben, nach der alten Kriegsregel einen versuchten Kerl muß man neben eine Memme stellen, so thun beyde ihre Devoir.

WOHLAU.
Ich will Sie allein sprechen Bruder, Sie ist meine Tochter.
DER CAPITAIN.

Arme – furchtsame Seele! gut, rede mit ihr, bis du heisch wirst, ich will des Todes seyn, wenn Sie einen Pfifferling auf dein Geschwätze giebt. Laß den Jungen auf der Post kommen, bitte Ihn um Gotteswillen, daß er das arme verliebte Ding tröstet – aber – laß mich ihm das Weiße im Auge nicht sehen, daß man ihm das zu wissen thut; die Ehre deiner Familie gehört dir nicht allein zu, es steht nicht in deiner Macht allein die Wohlau's lächerlich zu machen, hier habe ich auch ein Wort mit zu reden – und ich will es reden, daß dir und dem Landstreicher die Ohren davon gällen sollen.

5. Auftritt
[202] Fünfter Auftritt.
Herr von Wohlau allein.

Im Grunde hat er Recht – ich muß dem Mägdchen einmal die Meynung rund aus sagen –

6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Herr von Wohlau und Julie.

WOHLAU.

Wieder geweint – und immer geweint – über den tyrannischen Vater, nicht wahr? der seiner lieben Tochter ihren Kerl nicht geben will, das ist sehr grausam armes Ding, dich zu einer Heirath nöthigen zu wollen, die dir fünf tausend Thaler Einkünfte und einen Mann giebt, der alle Herzen in der Nachbarschaft bricht. Höre gutes Mägdchen, ich habe genug getändelt – meine Gedult ist zu Ende, vier und zwanzig Stunden – und dann – ja – oder es geht bey meiner Ehre nicht gut?

JULIE.
O mein Vater! – sind sie denn mein Vater nicht mehr?
WOHLAU.

Eben weil ich dein Vater bin, Mägdchen, eben darum will ich dein Bestes, und verlange Gehorsam; [203] hast du nur eine vernüftige Entschuldigung, findest du nur etwas an ihm zu tadeln – Rede –

JULIE.

Nichts – mein Vater – nichts – ich bin seiner nicht werth. – Er verdient eine Frau die Ihn lieben kann, nicht mich armselige, ich habe kein Herz für Ihn –

WOHLAU.

Du hast ein närrisches Herz; du hast dein Herz weggeworfen, und ein Bettler hat es aufgenommen. Ist das der Lohn für meine Treue, für meine Liebe? Er – der die letzten Tage meine Lebens bitter macht – Er sollte meine Tochter haben? sterben will ich eher – an meinem Grabe könnt Ihr eure Hochzeit halten, du gottloses eigensinniges Kind du.

JULIE.

Ach mein Vater! Sie beugen mich unter mein Elend – o wie erschrecken Sie mich. – Ich will Ihnen vor den Augen des Allmächtigen schwören, keinen Hochzeittag, so lange dieses elende Leben noch währet – ich will Ihre Magd seyn, an Ihre Füße gefesselt. – O lassen Sie mich Ihre Magd seyn – wenn ich Ihre Tochter nicht seyn soll! Gütiger – großmüthiger Mann – o lassen Sie mich keinen Mann nehmen – den ich unglücklich machen muß O mein [204] Vater – ist denn nichts von Ihrer Liebe gegen Ihre Julie mehr übrig? – ist denn Ihr Herz ganz leer? – bin ich denn ganz von Ihnen losgerissen? ist denn kein Band mehr zwischen Ihnen und ihrem Kinde –?


Umarmt ihn und küßt ihm die Hände.
WOHLAU
er reißt sich los, mit einiger Verwirrung.

Stark will ich seyn. Vor sich. Du bist vor Liebe trunken, meine Tochter – Armes Mägdchen – in diesem Rausch von Leidenschaft will ich dir nichts sagen – aber komme wieder zu dir selber, und denke deiner Aufführung kaltsinnig nach – ich bin nicht grausam gegen dich, wie es gewisse Leute gerne wünschten, aber dein Glück will ich, und das ist meine Pflicht. Es ist mir leid, daß du es von dir wegstoßen willst, aber deiner Schwärmerey, und deiner thörichten Liebe zum Trotz will ich Mittel finden, merke dir das, Julie –

7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Peter und die Vorigen.

PETER.
Herr von Woldemar ist von der Jagd wiedergekommen.
WOHLAU.

Ich werde gleich bey ihm seyn – Hier Mägdchen, die Thränen abgewischt, eine heitere Miene; der Mann [205] härmt sich auch ab, wie ein Schatten, so ansteckend ist das Gewinsel. Fort, du sollst mit mir kommen, und führe dich vernünftig auf, ich sage es dir.


Nimmt sie bey der Hand und geht ab.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
PETER
allein sieht nach der Scene.
Ho ho, wer kömmt denn da? zwey Fremde, wer mag das seyn? was mögen Sie wollen?
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
Belmont, in einer schwarzen Perucke und einem Ueberrock. Werneck und Peter.

WERNECK.
Wenn Sie nur nicht erkannt werden?
BELMONT.

In diesem Aufzug gewiß nicht, ich habe mich sehr verändert. Stille, hier ist ein Bedienter.Zu dem Bedienten. Gehört Er hier in dieses Haus, Freund?

PETER.
Unterthäniger Diener.
BELMONT.
Ob Er bey dem Herrn von Wohlau ist?
PETER.
Ja, zu Ihrem Befehl.
[206]
BELMONT.
Schon lange bey ihm?
PETER.
Ja – schon acht Wochen.
BELMONT.
So – wird es nicht eine Hochzeit in diesem Hause geben?
PETER.
Nun das könnte seyn, und könnte auch nicht seyn.
BELMONT.
Wie so, Freund, nicht seyn, warum könnte es nicht seyn?
PETER.
Ja nun – die Fräulein sieht einer Braut gar nicht ähnlich.
BELMONT.
Wie so? Wie sieht sie denn aus?
PETER.
Als wenn Sie zur Leiche gehen sollte, traurig und bleich, und eine Thräne jagt die andere.
BELMONT.
Warum denn das? mag Sie vielleicht den Mann nicht leiden?
PETER.

Getroffen – und dennoch ist es der artigste Herr von der Welt, der jedermann und auch unser einem [207] seinen Respect giebt, und mit allen Leuten freundlich thut, und ihr Herr Vater will es durchaus haben, aber da hift nichts, Sie will nicht.

BELMONT.
Was mag ihr denn in Kopfe stecken? vielleicht ein älterer Liebhaber?
PETER.

Da liegt es eben, denn wie das Gemurmel im Hause geht, so hat sich die gute Fräulein verplempert, wie man zu sagen pflegt, Sie hat sich in einen jungen Menschen vergafft, dem mein Herr aus Barmherzigkeit das liebe Brod gegeben hatte, und der nun in der Welt herum streift, oder irgend wo in einem Stockhause sitzt, Gott weiß wo; wenn man ihn ertappen könnte, ich möchte den Lohn nicht mit ihm theilen.

BELMONT.
So – Hier guter Freund, auf meine Gesundheit. Giebt ihm Geld.
PETER.
O ich bitte schönstens –
BELMONT.
Hingenommen, und das soll das letzte nicht seyn – aber um einen kleinen Gegendienst will ich bitten.
PETER.
O Sie haben zu befehlen, gnädiger Herr!
[208]
BELMONT.

Er muß mir den Gefallen thun, und von allem Nachricht geben, was diese Hochzeit angeht, alles was vorfällt, Freund, und wenn es noch so gering wäre; ich werde mich noch einige Tage hier im Wirthshause aufhalten; ich möchte doch wohl wissen, was die Sache für ein Ende nähme, und ein tiefes Geheimniß, hört Er – niemand darf darum wissen. Er soll belohnt werden.

PETER.

Sie können sich darauf verlassen, gnädiger Herr, ich werde mir alle Mühe geben. Sie sind allzugnädig.


Verbeugt sich tief und geht ab.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt.
Belmont und Werneck.

BELMONT.

Hier Werneck, hier ist Freundschaft vonnöthen, hier müssen Sie rathen – handeln – alles thun – denn ich kann nichts – ich kenne keinen Weg kein Mittel – es ist dunkel vor mir her.Geht unruhig herum. Sagen Sie mir, was soll ich thun?

WERNECK.

Was ich Ihnen immer sage, Gedult haben, lassen Sie Ihre Freundin handeln, Sie liebt Sie viel zu zärtlich, als daß Sie jemals einwilligen sollte.

[209]
BELMONT.

Sagen Sie das? Sie liebt mich zu zärtlich, sagen Sie, und seit sechs Monat keinen Laut von Ihr, könnte Sie weniger thun, wenn Sie mich haßte.

WERNECK.
Weiß Sie Ihren Aufenthalt auch?
BELMONT.
Ohne Zweifel, wenn ihr mein letzter Brief in die Hände gekommen ist.
WERNECK.
Sie vermuthen wohl ohne meine Erinnerung, daß man sich alle Mühe giebt, ihre Briefe aufzufangen!
BELMONT.

O trösten Sie mich nicht mit Vermuthung, mit Möglichkeiten, erinnern Sie sich, daß Julie zum Gehorsam, zur Sklaverey gewöhnt ist, daß ihr Oncle ein wilder Bösewicht ist, der ihren Vater verhärtet, und jeder Empfindung der Menschlichkeit in sein Herz zurück treibt! o ich zittere, wenn ich dran denke, wenn Sie gehorcht, Freund, wenn Sie gehorcht, ha so – bin ich im Abgrunde des Elends.

WERNECK.

Mein Gott! wie trübe Sie alles sehen, haben Sie nicht eben von ihrem Widerstand gehört? trauen Sie ihr nach so langen Kämpfen keine Standhaftigkeit zu?

[210]
BELMONT.

Kämpfe sind es, Werneck, das ist wahr, gegen einen Vater den Sie liebt, gegen einen Oncle den Sie fürchtet, zum Vortheile eines Liebhabers, der nach ihrer Meynung weit von Ihr ist, den Sie nicht sieht, dessen Stimme Sie nicht hört, der todt seyn kann; wenn man meine Briefe auffängt, womit sollte sich diese Liebe wohl nähren? wie kann sie immer stark genug seyn, sich gegen Drohungen, gegen da noch weit mehr mächtige Bitten Ihres Vaters zu behaupten? Nein Werneck, schmeicheln Sie mir nicht mit einer betrügerischen Hoffnung, gewöhnen Sie mich lieber nach und nach auf die Donnerwolke zu sehen, die über meinem Haupt hängt, die mich zerschmettern wird. Aber was das für ein Mann seyn muß – dieser Woldemar – verabscheuen Sie ihn nicht?

WERNECK.

Weil Er Ihre Julie eben so liebenswürdig findet als Sie – weil Er eine Verbindung vollziehen will, die schon so lange unter den Vätern geschlossen ist? verachten? ich kann das nicht sagen, Belmont, man sagt, daß er ein verdienstvoller Mann ist –

BELMONT.

Sind Sie mein Freund? nennen Sie den einen verdienstvollen Mann, der sich mit dem Ansehen eines [211] Vaters waffnet, um die Unschuld zu unterdrücken – der Ihre Thränen sieht, Ihre Seufzer hört, und da steht, wie ein Fels, nichts fühlt, so wenig wie ein Henker bey der Marter eines Heiligen, dessen unzärtliche Seele den Gedanken erträgt, ein Mägdchen an sich fesseln zu lassen – die voll von der Liebe zu einem andern ist! der durch die lange Reihe ihres künftigen Elends, durch die Auftritte einer jämmerlichen Ehe hindurch sehen kann, und nicht durch sein ganzes Gebeine zittert! den kalten Bösewicht nennen Sie – ein Unmensch ist er – ich muß ihn sprechen.

WERNECK.

Belmont – Sie werden gewiß mit dieser Hitze noch alles verderben – was das für Ausbrüche sind – wenn Sie noch länger meinen Rath erwarten – so müssen Sie gelassener seyn.

BELMONT.

Gebieten Sie dem Sturmwind zu säuseln – und der Flamme zu säumen; mir gebieten Sie Gelassenheit? o Werneck – Sie sind kalt – Sie kennen die Leidenschaft nicht –

WERNECK.

Und ich sage Ihnen, liebster Belmont, alle Umstände, die Sie bisher wissen, sind nicht nachtheilig – ein Mägdchen, das so lange Muth gehabt hat, ist [212] auszuhalten fähig. Sie sollten wenigstens Ihrer Gedult nachahmen – Kommen Sie Freund – man wird Sie entdecken.

BELMONT.
Lassen Sie mich – Sie muß wissen, daß ich hier bin.
WERNECK.

Damit Sie alles verdoppeln, Drohungen und Bitten, damit man die Gewalt zu Hülfe ruft, damit Sie das Unglück der Julie entscheiden, fort Belmont, eine nähere Entwickelung müssen Sie abwarten. Seyn Sie ein Mann.

BELMONT.
Führen Sie mich hin, wohin Sie wollen.

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Julie und Dalton.

JULIE
sitzend.

Hast du denn auch keinen Trost für mich, liebste Dalton? keinen treuen mütterlichen Rath? der mich so oft aufgerichtet hat in den Zeiten meiner Jugend, wenn eine trübe Wolke sich aufzog. O diese Zeiten, Dalton das waren glückliche Zeiten. Erinnerst du dich noch, wie ich und Wilhelm hier um dich her sassen, und dir zuhörten? Wie wir mit in einander geschlungenen Händen hier vor dir saßen? Wie Wilhelm zerstreuet über sein Buch weg auf mich hinsah, und wie du auf ihn schmältest – o nur eine Minute aus dieser Zeit, Dalton – Nun, o mein Gott! nun ist alles leer um mich – es ist mir, als wenn ich in einer Wüste lebte – ich fürchte mich um mich zu sehen – nirgends, nirgends in keinem Winkel des Hauses ist Wilhelm, auch nicht im Blumengarten Dalton, wo ich so oft hinter ihm her schlich, und ihn belauschte, wenn Rosen für mich pflückte, wie stolz [214] sah ich alsdann aus, wenn ich von seiner Hand bekränzt zu dir hineintrat! Nun, wenn ich in den Blumengarten komme – so sehe ich die Rosen nicht mehr, aber ich sehe die Thränen meines Vaters, Dalton, ich sehe deine Thränen, alles, was ich ansehe, weint, und das alles meinetwegen – O was muß ich für ein böses Mägdchen seyn! daß mein Vater über mich weinen muß – o du bester Vater – o wenn ich – o wenn ich dir doch gehorchen könnte.

DALTON
indem sie sich die Augen trocknet.

Gewiß Fräulein, ich werde mir noch die Augen aus dem Kopfe weinen – freylich sind Sie immer ein gutes Kind gewesen. O Ihr Vater, er ist wahrhaftig zu hart, gewiß und wahr, seinem einzigen Kinde einen Mann aufzudringen. – Nun es ist nicht zu läugnen, Fräulein – wie ich oft gesagt habe, Woldemar ist ein recht guter Mann – bescheiden und vernünftig und reich – und ein recht schöner Mann von Ansehen – der, wie es scheint, ein gutes Herz hat, und Sie von ganzer Seele liebet.

JULIE.
Das kann alles wahr seyn, Dalton – aber Wilhelm!
[215]
DALTON.

Wilhelm – ach ja freylich mein guter Wilhelm – er war mein Augapfel, wie Sie wissen – armes Fräulein – ich kann Ihnen so unrecht nicht geben – aber Ihr Vater ist sehr erzürnet – und ich fürchte – es ist alles vergebens.

JULIE.

Gewiß, es ist alles vergebens – kannst du es glauben, Dalton – Mein wilder Oncle sagt mir ins Gesichte von Bettlern – Ihm wirft man sein Unglück vor, Ihm wirft man es vor, daß man ihn ins Elend gejagt hat – Ihm, der es fühlt, ist das nicht unerhört grausam?

DALTON.

Gott verzeih es dem wilden Menschen – wenn das der gute brave Wilhelm wüßte, das würde ihm so nicht hingehen. Aber werden Sie ruhig, Fräulein – wer weiß wie sich das alles noch ändert – Härmen Sie sich doch ab, daß es einem durch Mark und Beine geht.

JULIE.

Du bist es allein, Dalton, der in diesem Hause mein Elend nahe geht, o wenn ich dich nicht hätte, aber gelassen zu seyn, meine Beste, das steht nicht in unserer Macht – o wenn ich gehorchen könnte, Dalton, [216] o wenn ich ihn vergessen könnte, so wär ich ein glückliches Mägdchen.

DALTON.

Haben Sie es ernsthaft versucht, Fräulein? Sie wissen, wie gut ich es mit ihnen meyne, aber gewiß und wahr, er scheint Ihnen nicht beschieden zu seyn.

JULIE.

Ich verfahre in meinem Herzen so hart mit ihm, als mein Vater, ich halte mir alle seine Fehler vor, seinen Leichtsinn, seine Wildheit, ich verberge mir seine schlimme Seite gewiß nicht; wer weiß, sage ich mir, ob ihn nicht böse Gesellschaft verdirbt – ob ihn nicht das Elend niederträchtig macht – wer weiß, ob ihn nicht eine andere Liebe fesselt, und das ist alles möglich, Dalton; aber mein Herz empöret sich dagegen, und mein Jammer nimmt zu. Heute will ich nicht an ihn denken, das war oft mein Vorsatz, wenn ich mich lange gequält hatte, und wenn der Abend heran kam – so hatte ich an sonst nichts gedacht, oft will ich mich durch Lesen zerstreuen, und ich finde kein Buch, das mich nicht endlich auf ihn lenkt. Ja, kannst du es glauben? so gar in der Andacht des Gebets stöhrt er mich, sein Bild schwebt vor mir, auch wenn ich meine Augen nach dem Himmel richte, und nur dann bete ich brünstig, wenn ich vor ihm bete. Kein Schlaf [217] erquickt mich mehr, ich werfe mich unruhig herum, und seufze nach dem Tage – Das geringste Geräusch erschrecket mich, und wenn nach langer Angst die Natur ermüdet, wenn ich kraftlos einschlummere, so quälen mich fürchterliche Träume, Phantasien vom Tode, von Mord – O Dalton! mein Leben ist ein Kette von Jammer –! O warum bin ich nicht in einer Hütte geboren, zur Arbeit, zum Leiden gewöhnt, so hätte ich keine so empfindliche Seele, so plagte man mich nicht mit dem Stolz der Geburt, so wählte mein Herz, und ich wäre glücklich.

DALTON.

Sie können es noch werden – Liebstes Kind, Sie können es noch werden, wenn Sie nur nicht so muthlos wären – Arme Julie, Ihr Vater ist verführet, verblendet, durch den gottlosen Capitain – Er muß Ihnen seine Liebe wiedergeben, und glauben Sie mir, er wird es thun.

JULIE.

Dalton, ich habe einen Gedanken – du weißt, daß ich bisher immer Woldemar gemieden habe, daß ich vor ihm geflohen bin; die Verfolgung, die ich ausstehe, und die er veranlaßt, hatte mich gegen Ihn aufgebracht – Wie wär es Dalton, wenn ich Ihm mein ganzes Herz ohne Bitterkeit zeigte? Wenn ich [218] ihm sagte, daß mein Glück und mein Unglück in seiner Hand steht? daß er mir meinen Vater, und o Dalton, was könnte er mir alles wiedergeben; ich wollte wohl vor ihm knien, wenn er sich bewegen lassen wollte. –

DALTON.
Versuchen Sie das, Fräulein – Gott erweiche sein Herz, er müßte ein Unmensch seyn.
JULIE.

Wenn ich mich nur fassen kann, Dalton. Alles dieses hat mich so mürbe gemacht, und ich muß vielleicht lange und nachdrücklich mit ihm reden. Geh hin Dalton, und rufe mir Woldemarn.


Dalton geht ab.
2. Auftritt
Zweyter Auftritt.
Herr von Wohlau, der die letzten Worte gehört hat und Julie.

WOHLAU.

So bist du ein gutes liebes Mägdchen. Ja, ja Kind, laß Ihn rufen, du sollst Ihn haben, du mußt Ihn haben, und du wirst es mir danken. Bist du noch böse auf mich, Julie, bist du noch böse? der tolle Capitain hat mir den Kopf so warm gemacht, sey nicht böse, Kind. O was du mir für eine Freude machen [219] wirst? Dein Hochzeittag, das wird mein anderer Hochzeittag seyn. Nimmt sie bey der Hand. Willst du denn nicht ein wenig heiter werden, Kind? lächle wenigstens, ich habe dich so lange nicht Lächlen sehen, und diese Grübchen habe ich so lange nicht gesehen.

JULIE
küßt ihm die Hand.

Gütigster Vater! – o wenn ich Sie vergnügt machen könnte! mein Leiden sollte mir nichts seyn – ich habe viel ausgestanden – ich lasse Woldemar rufen, und an dieser Unterredung hängt mein Schicksal, da Sie mich lieben, mein bester Vater, so erlaube ich nur Hoffnungen.

WOHLAU.

Ich dich noch lieben? Mägdchen, du liegst mir am Herzen, wann habe ich ausgesehen, als wenn ich dich nicht liebte? Diese Heirath will ich bloß aus Liebe zu dir, ich will dir mein bestes Gut mitgeben, das ich keinen Fürsten abtreten würde. Aber du bist ein wunderliches Mägdchen, der junge Spitzbube hatte mich aus deinem Herzen heraus gejagt, nun ich wieder darinnen bin, so laß ihn kommen, wir wollen sehen. Ich liebe dich bey meiner Treue so gut als Er, und ich habe dich ein gutes Theil länger geliebt als Er? Es klopft Julie, ich will mich davon machen, sey ein gutes vernünftiges Mägdchen, hörst du? –

3. Auftritt
[220] Dritter Auftritt.
JULIE.
O! daß ich diese Zärtlichkeit meines Vaters so schlecht erkennen muß!
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Julie und Woldemar.

WOLDEMAR.

Sie haben befohlen, Fräulein – aber Sie weinen – o ich verstehe diese Thränen – über mich weinen Sie. – Meine Zärtlichkeit, meine Gedult, meine Ehrerbietung gegen Ihre alte Liebe, alles dieses macht nichts als traurige Eindrücke bey Ihnen, ich kommen Ihnen immer hassenswürdiger vor; der Verfolger, denken Sie – Ich gestehe es Ihnen, ich bin nicht großmüthig genug, die schönste Hofnung meines Lebens kaltsinnig aufzugeben. Ich habe mir geschmeichelt, ich läugne es nicht, daß meine Aufführung Sie zu einiger Gütigkeit bewegen würde – wenn ich mich auch bescheiden mit Ihrem Freunde vergleiche, wenn ich auch alle Vortheile des Glücks aus der Rechnung weglasse, so dünkt mich doch Julie, und ich bin stolz darauf, er soll es mir in der Liebe zur Tugend und zu Ihnen nicht zuvor thun. Ich könnte die Wünsche Ihres Vaters anführen –

[221]
JULIE.

Die Wünsche meines Vaters – o sie liegen schwer auf meiner Seele – Allein, wenn Sie wirklich der Mann sind, der edel denkt – den das lange Leiden eines armen Mädchens rührt – der die Wünsche meines Vaters nicht gewaltthätig anwenden will – Wenn Sie der Mann sind, Woldemar, so hören Sie mich einen Augenblick. – Der junge Mensch, von dem Sie reden, hat ein rechtschaffnes Herz, ein Herz, das weit über seinem Glück ist – wer wird auch elend genug seyn, ihm seine Armuth vorzuwerfen? Ehe ich Sie kannte – ehe man mir sagte, daß ich unter das Vermächniß Ihres Vaters gehörte, da liebten wir uns schon. – In dem Frühling unsers Lebens liebten wir uns, und mit einer Liebe die rein war, wie unsere Unschuld! Ach, wie hat sich dieses alles geändert – wie ruhig, wie sanft giengen unsere Tage vorüber! – Aber Sie, Woldemar – Sie sind in dieses Haus gekommen – und eine lange Reihe von Elend kam hinter Ihnen her. – Meinem Vater mißfiel unsere Zärtlichkeit nicht eher, als bis er Ihre nahe Ankunft vernahm, und der gütigste Vater wurde auf einmal hart und unerbittlich, da waren wir nicht mehr seine Kinder, die Freude seines Alters, da war ich nicht mehr seine einzige Julie, in deren Zügen er meine [222] Mutter wieder fand, da war Belmont nicht mehr ein Sohn, den ihm der Himmel wiedergegeben hatte, ach ein Bösewicht sollte er seyn, ein Undankbarer, ein Bettler. O Belmont! was hast du nicht meinetwegen erduldet! Aus diesem Hause ward er weggejagt, ehe Sie es betraten – Man sagt, daß er Freunde gefunden hat. – Aber ach, seine Julie – die wird hier von Ihrem Vater, von Ihren Verwandten gemartert – von einem Mann mit seiner Liebe gemartert –

WOLDEMAR.

Julie, seyn Sie gerecht, denken Sie auch an das Leiden dieses Mannes, was für ein Opfer verlangen Sie von mir? Sollte ich meine Ansprüche zum Vortheil eines Menschen aufgeben, den ich nicht kenne. – Dürfte ich wenigstens nicht hoffen, daß meine Beständigkeit und ein näherer Umgang mir Ihr Herz geneigt machen würde? Was sollte mich bewegen zu glauben, daß eine Liebe der ersten Jugend, die noch nicht Leidenschaft seyn konnte, immer fortdauren würde? Und Ihr Vater, Julie – mir werden Sie doch seine Strenge nicht Schuld geben? Ueberlegen Sie meinen Zustand mit Gelassenheit, Julie. Ich erschrack anfangs über eine Verbindung, bey welcher man uns beyde nicht zu Rathe gezogen hatte, aber ich hatte Sie kaum gesehen, kaum hatte ich Ihr vortreffliches Herz [223] entdeckt, als ich das Andenken meines Vaters mit Freudenthränen segnete. – O Sie wissen es, Julie, daß ich Sie zärtlich liebe, Ihr Kaltsinn – Ihr Haß hat diese Liebe nicht entkräftet. – Verzeihen Sie mir, verzeihen sie es der Macht der Liebe, die Sie zu meinem Unglück so sehr kennen, wenn ich nicht stärker bin, als Sie selbst. – Nein Julie, ich kann mich nicht zu der Verläugnung erheben – der Sieg ist zu groß – ich würde mein Leben nicht ertragen, wenn nicht noch ein Strahl von Hoffnung –

JULIE.

Keine Hoffnungen – Ich betheure Ihnen vor Gott, Woldemar, ich kann Ihnen keine Hoffnungen geben. – Ja – wenn Sie grausam genug sind – wenn mein Vater unerbittlich ist – wenn ich seine Zufriedenheit nicht anders als mit meinem Elend erkaufen kann – so kann man mich hinschleppen zu dem Altar, wenn Sie das Ihr Glück nennen – sich mit dem armseligen Ueberrest eines abgehärmten Mägdchens zu verbinden. – Großmüthiger Mann – sprechen Sie mein Urtheil aus, sagen Sie es meinem Vater, ich hoffe mich auf diesen schrecklichen Tag vorzubereiten – wie ein Todestag schwebt er vor mir. – O Woldemar, wenn ich Sie erbitten könnte! Wenn Sie Thränen rühren! wenn Ihr Herz nicht hart ist! – [224] Wenn Sie diese zerrüttete Familie wieder aufrichten wollten! – Wenn es wahr ist, daß Sie mich lieben! O stürzen Sie mich nicht in diesen Abgrund des Verderbens. – Ich zittere vor Ihnen Woldemar. – Sie würden mir wie ein Engel vorkommen – Sie können das Leben eines armen Mägdchens retten – wenigstens ihren Tod aufschieben, denn dieses Elend – es kann nicht lange mehr währen. – Fällt vor Ihm auf die Knie und weint. O Woldemar! – erbarmen Sie sich –

WOLDEMAR
indem er sie schnell aufhebt.
Theureste – das ist nicht auszuhalten – Sie nicht zu lieben soll Großmuth seyn? –

Geht unruhig herum.
JULIE.

Ja Großmuth ist es, himmlische Großmuth. – Vortreflicher Mann – Mein Freund – Freund meiner Seele, o verfolgen Sie mich nicht mehr – Darf ich Ihre Freundschaft nicht hoffen? Woldemar! darf ich nicht hoffen?

WOLDEMAR.

Ich verdiene die Ihrige nicht – hier empört sich die Leidenschaft – mächtig empört sie sich. Aber fürchten Sie nichts, wenn hier jemand unglücklich seyn muß. – [225] Ha Julie – Sie fordern zu viel – so groß ist meine Seele nicht.

JULIE.
Tugendhafter, würdiger Mann – Mein Elend oder mein Glück hängt an Ihrem Entschluß.

Geht ab.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
WOLDEMAR
allein.

Ich will mit Ihrem Vater reden – ich will es ihm sagen, was? – daß ich Sie nicht mehr liebe? mein Herz empört sich gegen die Lüge – und der Flüchtling – den Ihr Vater verachtet, verfolgt, verabscheuet – der es vielleicht verdient – den ich nicht kenne – O Julie! was forderst du von mir? und wird das alles Ihr Schicksal mildern? Kann ich Ihren Vater, Ihren Oncle besänftigen? O Julie! was wird es dir helfen, wenn ich mit dir elend bin? – O wenn du dich entschließen könntest! – Ich wollte deinem Herzen das Geständniß abzwingen, daß auch ich deiner werth bin – Geht unruhig herum. Von ihren Jugend an liebten Sie sich – Der Tag unserer Vermählung, wie ein Todestag schwebt er vor Ihr – Und Sie sagte das mit der Miene des Todes! – Ich sollte deine Tage verkürzen? Ich sollte aus deiner unschuldigen [226] Seele den letzten Keim der Freude vertilgen? – Ich sollte dich in meinen Armen verblichen sehen? – Ihr Vater kommt – ich zittere –

6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Woldemar und Herr von Wohlau.

WOHLAU.

Nun Woldemar – ist nun die kleine Rebellin gebändigt? ich wünsche Ihnen Glück dazu, und mir auch. Wie sich das Mägdchen ziert und gebärdet, und das kann sich doch nur auf eine Weise endigen. – Aber was ist das? – ein finsteres Gesicht? Haben Sie sich mit Ihr gezankt?

WOLDEMAR.
Sie haben eine vortreffliche Tochter.
WOHLAU.

Die hab ich auch, bey meiner Ehre, und Sie sollen eine vortreffliche Frau kriegen, oder ich verstehe es nicht.

WOLDEMAR.
Nicht ich.
WOHLAU.
Was? – wie kommen Sie mir vor? – wollen Sie das Mägdchen nicht?
WOLDEMAR.
Nein – ich kann es nicht wollen.
[227]
WOHLAU.
Ich begreife Sie nicht – Sie wollen mich also beschimpfen?
WOLDEMAR.
Da sey Gott vor!
WOHLAU.
Und was kömmt Ihnen denn an? Warum wollen Sie das Mägdchen nicht?
WOLDEMAR.

Ich müßte ungerührt das Elend der Julie wollen – Nie war eine Leidenschaft heftiger; aber ein Bösewicht müßte ich seyn – wenn ich sie nicht wie eine Begierde zum Laster unterdrückte – O wenn Sie Sie gesehen hätten, mit der Angst in Ihrer Miene – wie das unschuldige Herz sich hob – wie die Seufzer sich drängten! Ihr Entsetzen vor der Zukunft; wie Sie mich, mich um Errettung bat – O Sie würden wie ich alles, alles weggegeben haben – Ich habe Sie unaussprechlich geliebt, und noch und ewig ist kein anderer Gegenstand, als Sie, in meiner Seele. Aber Ihr Mann zu seyn – verflucht sey der Gedanke.

WOHLAU.

So haben Sie es also auch erfahren, was das Mägdchen mit ihrem Gewimmer vermag – Ich kann [228] es begreifen, denn wenn Sie weint, so bin ich auch weg. Aber Thränen, Woldemar, sind keine Vernunftschlüsse. Diesen Landläufer soll Sie bey Gott nicht haben.

WOLDEMAR.
Und ich darf Sie – ich will Sie nicht haben.
WOHLAU.

Sie sind ein furchtsamer Mann, Woldemar; wenigstens ein Versuch muß noch gewagt werden. Sie muß die Vortheile dieser Heirath noch einsehen. Nur Geduld, wir wollen Ihr nun ein wenig Ruhe lassen, oder auch mit der Zeit ein wenig mehr Schärfe gebrauchen, alles nachdem sie sich anläßt. Sieh, hier kommt mein Bruder.

WOLDEMAR.

Der Todfeind Ihrer Tochter – hören Sie Ihn nicht. Ich beschwöre Sie, haben Sie Mitleiden mit Ihrem Kinde; ich betheure Ihnen vor Gott, Sie kann niemals die meinige werden. –


Geht ab.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Der Capitain und Herr von Wohlau.

DER CAPITAIN.

Nun, was macht die Dirne, Bruder? Ist Woldemar bey Ihr gewesen? Hat Er ihr den Kopf zurechte gesetzt?

[229]
WOHLAU.

Der Henker werde klug aus der Sache. Nun will Er Sie nicht haben, Sie hat ihm was vorgeweint, und da geht er nun hin, der arme Tropf, und weiß sich nicht zu helfen, und will Sie nicht unglücklich machen, wie Er sagt. – Ich werde noch toll im Kopf bey alle dem Zeuge, wenn es nur ein Ende nähme, es möchte dann gehen wie es wollte.

DER CAPITAIN.

Heyda, ein feines Stück Arbeit, bey meiner armen Seele – was zum Henker, ist so wenig Kerls an dem Woldemar? Was hast du aber Lust zu thun Bruder?

WOHLAU.

Das ist eben die Frage, was ist da zu thun? wenn Sie beyde nicht wollen, so wird das wohl aus seyn – Ich denke zwar Woldemar würde sich zu der Heirath nicht lange bitten lassen, aber das Mägdchen ist unbeweglich, wie es scheint, ich glaube nicht, daß wir etwas mit ihr ausrichten.

DER CAPITAIN.

Narrenspossen – also müssen wir wohl hingehen und die Mamsell um Vergebung bitten, des Zumuthens wegen; ferner so lassen wir den Jungen aus der Fremde kommen, und staffiren Ihn aus, wie einen [230] Baron, und ersuchen Ihn gehorsamst, ob er uns nicht die Ehre erweisen – O Wetter! das ist verteufelt. Höre Bruder – wenn du Lust hast, dein Geschlecht zu beschimpfen, so schwöre ich dir, Schlägt auf den Degen. hier ist Rath dafür, an die Wand will ich den Kerl spießen, wenn er sich auf zehen Meilen in der Runde sehen läßt. Und dieser Woldemar, ein braver Kerl soll er seyn – und ein Mägdchen jagt Ihn ins Horn, weil Sie winselt und lamentirt und verrückt im Kopfe ist? – Mich laß mit Ihr reden, was gilts Sie soll Mores lernen – Diese Vestung will nicht capituliren? – gut, so muß sie ausgehungert werden, oder mit Sturm erobert – und dann keine Gnade, und wenn das Ding auf allen Vieren kröche. Ihr Leute, die ihr hinterm Ofen grau werdet, seyd keines Entschlusses fähig, der einem Mann von Ehre ansteht.

WOHLAU.

Sachte, sachte, Herr Bruder! Sie sind nicht in Feindes Land, wie Sie wissen, nur in Garnison, auf einen freundschaftlichen Fuß, und bekommen Ihre Fourage umsonst; also das Sturmlaufen wollten wir uns wohl verbeten haben.

DER CAPITAIN.

Poh – raisonire was du willst – verächtliches Geschwätze; ich sage dir, daß du in deinem Hause [231] verrathen bist. Deine Tochter rebellirt; die alte Dalton und alles conspirirt gegen dich, hier muß ein Coup gemacht werden, beym Kopf muß man Sie nehmen – Das Zeug verdiente –

WOHLAU.
Mit deiner Erlaubniß, Bruder – man kann mit einer Familie nicht umgehen, wie mit einer Compagnie.
DER CAPITAIN.

Und warum nicht? wenn nur der Chef etwas taugte, und wenn die Exercierzeit nicht versäumt worden wäre. Hättest du das Ding in der Jugend auf das Commando passen gelehret, so würdest du jetzt den Verdruß nicht von Ihr haben. Noch eins, und dann verlier ich kein Wort mehr. Die Dirne hat noch gar keine Schärfe geschmeckt, einmal wenigstens muß Sie es versuchen; wag es auf mein Wort, und gieb mir die Schuld, wenn Sie nicht zum Kreuze kriegt. Denkst du, daß diese Frauensleute vom Weinen sterben? so wenig als wie andere vom Fluchen. Ihr Gewimmer ist weiter nichts als ein höherer Accent ihrer Sprache, das ist ihnen natürlich, und der Teufel hol, alles Natürliche bekommt dem Menschen wohl. Eine verdammte Kriegslist ist es, wenn Sie merken, daß man in der Attaque avancirt, so setzen Sie das Land unter[232] Wasser, und so stehen wir diesseits und gaffen in die Luft und machen ein albernes Gesichte. – Ich sage es dir noch einmal, laß mich mit Ihr reden, und nenne mich einen elenden Kerl, wenn ich es nicht in einer Viertelstunde so weit bringe, daß Sie sich auf Gnade und Ungnade ergiebt.

WOHLAU.

Ich fürchte deine Wildheit, Capitain, du bist zu ungestüm, Bruder, ich wünschte Sie durch Gründe, und nicht durch Härte, zu bewegen. Es ist freylich ein verzognes Kind, ich bin ein allzugütiger Vater gegen Sie gewesen, aber Sie ist mein einziges Kind, Bruder.

DER CAPITAIN.
Und das einzige Kind kann gehorchen oder nicht, wie Sie Lust hat?
WOHLAU.
Julie war immer ein gutes folgsames Mägdchen.
DER CAPITAIN.

Weil ihr Herr Vater immer ein guter nachgebender Tropf war. Ist Sie jemals außer jetzo auf die Probe gestellt worden? Kurz und gut entschließe dich – willst du mit Schande die Approchen verlassen – oder willst du denn ein Kerl seyn? Ha! Sie kömmt – weg – du wirst bleich um die Nase – weg – bey die Arriergarde – bey die Bagage –


Will ihn wegstoßen.
8. Auftritt
[233] Achter Auftritt.
Julie und die Vorigen.

JULIE
mit aufgehobenen Händen läuft zu ihrem Vater und will ihn umarmen.
Mein theurester Vater – haben Sie mit Woldemarn gesprochen?
WOHLAU
stößt sie weg.

Weg – eigensinnige, halsstarrige Tochter – weg – hier, mein Bruder wird dir meinen Befehl sagen, – und meinen Fluch, wenn du nicht gehorchst –

JULIE.
Fordern Sie mein Leben. Mein Vater –
WOHLAU.

Gehorsam fordere ich, daß du mir nicht vor die Augen kommst, nicht aus deiner Stube – du sollst deinen Vater nicht wieder sehen, bis du seine Tochter wieder bist.


Geht ab.
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
Julie und der Capitain.

JULIE
läuft ihrem Vater nach.
Mein Vater – mein Vater – um Gottes willen!
[234]
DER CAPITAIN
nimmt sie bey dem Arm und führt sie zurück.

Heyda – meine schöne Widerspänstige, erlauben Sie gütigst – der Teufel hol – hätten Sie mir nicht bald einen Marsch abgewonnen? Ich muß das Defilee hier besetzen.


Stellt sich vor die Thür.
JULIE.

Lassen Sie mich zu meinem Vater, zu meinem Vater, in meine Stube, in mein Gefängniß. Sie sind ein grausamer Mann.

DER CAPITAIN.

Nicht doch, Fräulein Julie, ich habe Ihnen die schönsten Sachen von der Welt zu sagen. Wissen Sie wohl, daß Ihr allerliebster Belmont bald hier seyn wird?

JULIE
weint und ringt die Hände.
DER CAPITAIN.

Fassen Sie sich, armes Kind, ich spaße nicht, bey meiner armen Seele! ich habe ihm die besten Windhunde im Königreiche nachgeschickt, und wenn sie ihn aufspüren, so werden Sie ihn sehen, auf dem Triumph karren, und wie ein römischer Bürgermeister, mit Häschern umgeben – Ha ha ha, Sie können ihm dann von Ihrem Fenster herunter ein Mäulgen zuwerfen. Ha ha ha.

[235]
JULIE.
Ha! wer errettet mich? Ich frage Sie – bin ich in Ihre Hände gegeben?
DER CAPITAIN.

Sapperment – mit dem zornigen feurigen Blick – in meine Hände oder in meine Fäuste, wie Sie wollen, mein Kind – denn ich werde so leise nicht zugreifen, wie der Herr Papa und der Tropf Woldemar, der vor Ihr in die Knie sinkt, wie ein lahmer Hund – Ich will es versuchen, ob ich die gebieterische Schöne nicht bändigen kann, der Befehl Ihres Vaters und Ihrer ganzen Familie ist – Zugehört! – Dreht ihr das Gesicht herum. und wenden Sie das hartnäckige Köpfgen nicht weg. Mit stärkerer Stimme. Verkehrtes – eigensinniges, liebetolles Mägdchen – du sollst, du mußt Woldemarn nehmen, du sollst an den Landläufer nicht denken – und wenn du nicht gehorchst, Fräulein – so mache heute noch deinen Bündel zurechte, mache dich gefaßt, auf die Straße gestoßen zu werden, du kannst ihn alsdann aufsuchen, liederliche Dirne, du hast eine kleine zierliche Stimme; wenn der Junge die Sackpfeife lernt, so könnt ihr vielleicht vor den Hausthüren euer Brod verdienen.

JULIE.
Sollen Sie mir das von meinen Vater sagen? – Sie sind mein Oncle nicht – Sie sind –
[236]
DER CAPITAIN
hebt die Hand drohend gegen sie auf.
Was bin ich – du trotziges Ding?
JULIE.

Schlagen Sie mich – jagen Sie mich fort aus diesem Hause – wenn das mein Vater befiehlt. – O mein Oncle! ich flehe vor Ihnen, bitten Sie für mich, erbarmen Sie sich – ich will nicht heirathen – niemals, niemals – Was wird es Ihnen helfen? – Woldemar will mich nicht – Er hat es geschworen, und ich will eher sterben. – Kräfte – Kräfte dieses alles zu ertragen.

DER CAPITAIN.

Warum fahren Sie nicht noch ein wenig fort? Bey meiner armen Seele das Gewinsel läßt dir so übel nicht, und das Magdalenengesichte kleidet dich viel besser als die Kerlsmiene, die du einen Augenblick zuvor hattest. – Es ist nur Schade, daß die Comödiantenstreiche bey mir alle nichts helfen – Komm – heule dich ein wenig aus meine Tochter – der Eigensinn muß Luft haben, in der Hauptsache bleibt es dabey – fort! –


Nimmt sie beym Arm.
JULIE.
Wo führen Sie mich hin? –
[237]
DER CAPITAIN.

In deine Stube, Herzgen – Wir wollen den Vogel ein wenig in den Bauer sperren, bis er das rechte Lied pfeiffen lernet, fort –


Schleppt sie fort.

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
BELMONT
kömmt tiefsinnig herein.

Allein mit Ihm verschlossen – mit Ihm allein – vor dem Sie bebte – schreckliches Geheimniß – vielmehr kein Geheimniß – nur allzuoffenbar – Sie ist für mich verlohren –

2. Auftritt
Zweyter Auftritt.
Werneck und Belmont.

WERNECK.

Was machen Sie schon wieder hier? Sie wollen gewiß noch entdeckt werden. Fort – in diesem Hause ist alles in der größten Gährung – Der tolle Capitain ist hier –

BELMONT.

Er – Ich verachte Ihn – und wenn Er den Muth hätte, der ihm fehlt. Gefahr des Lebens ist[238] Hoffnung bey meinem Zustande. Freund, da ist kein Trost mehr – ich suche in tief in meiner Seele – habe ich es Ihnen gesagt? Ich verhehle es vor mir selber – die Meineidige – Sie hat sich eine halbe Stunde lang mit ihm in Ihr Zimmer verschlossen. O Donner des Himmels und du säumtest – an dem Ort, wo die Eidschwüre geschahen.

WERNECK.

Diese ganze schreckliche Nachricht beruht, ich wette, auf dem Geschwätze des Dieners – und wenn Sie auch mit Ihm verschlossen war, wer nöthigt Sie das Aergste zu fürchten?

BELMONT.

Ach, Sie flohe vor ihm, wie eine schüchterne Taube – Blaß wurde Sie, wenn Sie Ihn von ferne sahe. – Woher diese schleunige Aenderung! wenn es nicht Meineid – weibischer Unbestand – Verrätherey ist – O Sie kennen die Arbeit, die Beklemmung dieses Herzens nicht – Theureste – verführte treulose Julie! mit welchem Entsetzen wirst du aus diesem Traum erwachen! vor dir wird mein Schatten fürchterlich hergehen – Du kannst nicht mehr beten: nein, nicht mehr zu dem Gott, bey dem du geschworen hast.

WERNECK.

Wie geschäfftig Sie sind, sich zu quälen! – Wer hat es denn gehört, daß Sie Ihm gütiger begegnet? – [239] Sie war allein mit Ihm, sagen Sie – vielleicht hat Sie Ihm freymüthig den Zustand Ihres Herzens entdeckt, vielleicht hat Sie diesen Schritt, der Ihr schwer ankommen mußte, bloß zu Ihrem Besten gethan. Wie wäre es, wenn Sie an Julie schrieben von dem dem letzten Ort unsers Aufenthalts her? damit Sie uns in der Nähe vermuthete – und alle Kräfte anstrengete?

BELMONT.

Ich habe mehr gethan, ich habe Ihr Bildniß, das ich abgöttisch verehrte, wie Sie wissen, in Ihr Zimmer legen lassen, und zwey Worte dabey geschrieben, wenn Sie nicht ganz verhärtet ist, so muß Sie bey diesem Anblick zurücke beben – so muß Ihr die Stunde, da Sie mir es gab, gegenwärtig seyn, die heilige unvergeßliche Stunde! O Werneck! ich bin zweyfach elend, ich habe die Entzückungen einer glücklichen Liebe geschmeckt, ich war auf dem Gipfel erhöht, von welchem ich die Großen der Erden weit unter mir sah, nun bin ich gestürzt, ich winde mich unten im Staube. Da als Werneck mein Freund noch nicht war, als Armuth und Mangel mich quälten, o da war ich glücklicher: wenn ich am Abend vom Hunger entkräftet mich auf mein Lager hinwarf und keinen Schimmer der Hoffnung für Morgen entdeckte, dann erhob ein Gedanke [240] an Sie meine Seele zur Freude, eine dunkele Erwartung einer bessern Zukunft, eine kühne Hoffnung noch der Ihrige zu werden. Dann war ich nicht mehr elend, Ihre Liebe gab mir alles. Aber nun Freund, nun – nun ist Ihre Liebe, nun ist alles dahin! –

WERNECK.

Was Sie sagen, würde mich rühren, Belmont, wenn Ihre Furcht gegründet wäre; aber Sie schaffen sich selbst ein Gespenst, das Sie schreckt, und Sie verschließen Ihren Verstand gegen alles, was Sie trösten könnte: diese letzte Unternehmung mit dem Portrait war sehr übereilt. Warum haben Sie nicht lieber geschrieben? Wird es Ihr nicht vorkommen, als wenn Sie brechen wollten? Wenn Sie nun unschuldig wäre? O Freund! Sie fordern meinen Rath alsdann, wenn Sie dem Ihrigen schon gefolgt haben.

BELMONT.

Sie erschrecken mich, Werneck, warum habe ich den unglücklichen Einfall gehabt? ist das nicht zu ändern? sagen Sie mir, Sie sollen meine Unterwerfung sehen.

WERNECK.

Gut, liebster Belmont, nur hier wollen wir uns nicht aufhalten. Kommen Sie – kommen Sie, [241] ehe man uns überrascht, wir wollen die Sache mit einander ernsthaft und kalt überlegen.


Gehen ab, und indem sie abgehen, kommt Peter.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
PETER
allein.

Meine Kunden, bey meiner Treue, was das für Herren seyn müssen? eine Nachricht nicht eines Schillings werth bezahlen Sie mit Golde. Die letzte schien dem einen Herrn sehr zu mißfallen; was dahinten verborgen seyn mag? Aber was geht das mich an, wenn ich nur bezahlt werde.

4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Frau von Wichmann und Peter.

FRAU VON WICHMANN.
Bittet die Dalton, Peter, ein wenig zu mir zu kommen.

Wie er fortgehen will, kommt Dalton.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Frau von Wichmann und Frau Dalton.

FRAU VON WICHMANN.

Hier kömmt Sie – Was macht unsere Julie, Dalton? Ich höre, man hat grausam in das arme Mägdchen gestürmt; daß es Ihnen Gott vergebe, Sie werden es niemals verantworten können.

[242]
DALTON
weint.

Ich kann es nicht mehr ansehen, gnädige Frau, die letzte unmenschliche Aufführung Ihres Oncles, und das harte Betragen Ihres Vaters haben das arme Kind ganz außer Ihrer Fassung gebracht. Ihr Oncle muß ganz tyrannisch mit Ihr umgegangen seyn. Sie hat es mir nur abgebrochen erzählt – mit so vielen Seufzern und so vielen Thränen. O gnädige Frau, das ist ein Jammer anzusehen! Ich bin eine Gefangene – ich soll, ich muß – oder auf die Straße mit der liederlichen Dirne – So ruft Sie und ringt die Hände – Sagte das Ihr Oncle? fragte ich; Ha, wo ist er, rief Sie, wo ist er? verbirg mich allerliebste Dalton, verbirg mich. – Das arme gemarterte Kind!


Weint.
FRAU VON WICHMANN.
Ey mein Gott! das ist unerhört – der ruchlose Mensch! Darum kann mein Bruder nicht wissen.
DALTON.

Ach das wäre zu wünschen, gnädige Frau, aber wie Sie sagt, so sind das alles Ihres Vaters Befehle – Ach Dalton, rief Sie, mein Vater hat mich Ihm – Sie fuhr auf bey dem Worte! Er hat mich Ihm in die Hände gegeben – Er läßt mich wie eine [243] Missethäterinn verschließen – ich soll ins Elend – ins niedrigste, verächtlichste Elend, dazu hat mein Vater sein einziges Kind verurtheilt – und hier legte Sie Ihren Kopf an meine Brust, und ich wurde naß und warm von Ihren Thränen – Ist es vor Gott erlaubt, daß man mit dem armen Kinde so gewaltthätig umgeht?

FRAU VON WICHMANN.

Das ist entsetzlich – ich kann es nicht begreifen, was wollen Sie jetzo das arme Mägdchen noch quälen, da Woldemar sich von Ihr losgesagt hat – Ich muß mit Ihrem Vater reden, der wilde Capitain ist an allem Schuld, tröste Sie, das gute Kind, Dalton, und verspreche Sie Ihr meinen Beystand und meine Liebe, wenn Sie auch gar keinen Vater mehr haben sollte.

DALTON.
Stille, – hören Sie? Sie kommt, ich höre Sie leise herschleichen.
FRAU VON WICHMANN.

Tröste Sie Sie, Dalton; ich kann Sie jetzo nicht sehen, Sie würde mich zu sehr rühren, und ich eile Ihr zu helfen.


Geht ab.
6. Auftritt
[244] Sechster Auftritt.
Dalton und Julie.

JULIE
mit einem Portrait in der Hand.

Ach Dalton – sachte – ist niemand da – niemand der mich sehen kann, Sieht sich in allen Ecken sorgfältig und furchtsam um. ich bin eine Gefangene, wenn man mich außer meinem Gefängniß erwischte, so würde man grausam mit mir umgehen.

DALTON.
Es ist niemand da, liebstes Fräulein.
JULIE.
Ach sieh hier, Dalton, sieh, so habe ich ausgesehen – es wird mir ganz übel.

Lehnt sich an sie.
DALTON
rückt einen Stuhl herbey.
Setzen Sie sich, gutes Kind – reden Sie nicht zu viel, wenn es Ihnen nicht wohl ist.

Weint.
JULIE
setzt sich.

Ja, ich muß viel reden, Dalton – ich habe recht viel mit Dir zu reden – Du kennst also dieses Bild nicht mehr? – Es ist mein Bild, ich hatte es ihm selbst gegeben.

DALTON.
An Belmont? und er hat es nicht mehr?
[245]
JULIE.
Ach er will es nicht mehr – er hat es mir zurück geschickt –
DALTON.
Heute? wie, Fräulein? durch wen? mit einem Briefe?
JULIE.

In meiner Stube fand ich es, und keinen Brief, Dalton – auf dem Einschlag war geschrieben: Ich bin nahe bey Ihnen gewesen.

DALTON.
Ich begreife das nicht; Er ist also in der Nähe, warum keinen Brief? nur zwey Worte!
JULIE.

Merkst du es nicht? seine Liebe hört auf, er ist es müde; Sie wird Woldemar nehmen müssen, denkt er – auch Er – Er – ach seine Liebe belohnte mein Leiden – ich hätte Marter für Ihn erduldet, auch er reißt sich los von mir, von seiner Julie, nicht von seiner Julie. Ach! ich gehöre niemand mehr zu, hast du so eine Verlassene schon gesehen, Dalton? mit Ihrem Elend allein gelassen.

DALTON.

Nicht doch, liebste Julie, wie scharfsinnig Sie sind, einem jeden Vorfall die schlimmste Erklärung zu geben. Er sollte Sie nicht mehr lieben, glauben Sie [246] das nicht, ich dächte gerade das Gegentheil, wenn er in der Nähe ist, so muß Ihm Ihr Widerstand nicht unbekannt seyn. Wenn Er nun aus Ungeduld hergekommen wäre? Wenn er Sie durch das Portrait zu mehrerer Standhaftigkeit ermuntern wollte?

JULIE.

Denkst du das, Dalton? O du gießest Balsam in meine Wunden! Aber ich zittere, wenn Er hier ist, du kennst seine Heftigkeit, die Grausamkeit des – o wie soll ich Ihn nennen, ich habe meinem Vater geschworen, ohne seinen Willen nicht zu heirathen, was würden das für neue Auftritte des Unglücks werden?

DALTON.
Soll ich mich bemühen, ob ich Ihn ausfragen kann? ich könnte –
JULIE.

Nein, nein um Gotteswillen, die Folgen sind entsetzlich. Man würde mir seine Ankunft Schuld geben. Ihm bürdet mein Vater die Zerrüttung seines Hauses auf; man würde vor mich neue Qualen ausdenken – O Dalton, meine Angst ist unaussprechlich. Rette mich, rette mich, ich habe einen Anschlag – Du liebst mich doch, Dalton? – ach ja, du allein liebst mich, denn ich bin ja deine Tochter nicht.


Weint.
[247]
DALTON.
Ihr Vater liebt Sie auch, Julie –
JULIE.

Vielleicht nach meinem Tode – wenn ich bey der Asche meiner Mutter ruhe, dann wird ihm vielleicht eine Thräne entrinnen. Du siehst, Dalton, wie ich alles in diesem Hause verwüstet habe; ich könnte meinem Vater den Wunsch noch abdringen, daß ich nicht geboren seyn möchte – Stille, hier kommt Woldemar, du sollst alles erfahren – er gehört mit zu dem Geheimniß.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Woldemar, Julie und Dalton.

WOLDEMAR.

Ich höre mit Schrecken, daß man Ihnen noch immer übel begegnet, Julie. Ich begreife das nicht; wie kann man einen Vorwand zu dieser Grausamkeit finden? wenigstens bin ich es nicht mehr, Theureste, der Ihre Thränen auf sein Gewissen sammlet – o wenn ich Ihnen doch nie eine ausgepreßt hätte.

JULIE.

Sie sind ein großmüthiger Mann – Es hat mich alles verlassen – keine Hülfe, so weit der Gedanke reicht, aber Sie können mich retten, Woldemar.

WOLDEMAR.
Mit meinem Leben –
[248]
JULIE.
Versprechen Sie mir –
WOLDEMAR.
Reden Sie Julie – ich weiß daß die Vernunft Ihre Handlungen leitet –
JULIE.
Ich will aus diesem Hause weg.
WOLDEMAR.
Was? – Sie setzen mich in Erstaunen.
JULIE.
Und Sie sollen mich begleiten.
WOLDEMAR.
Ich –?
JULIE.

Sie – ach Sie wollen nicht, ich sehe es Ihnen an – Sie wollen nicht – Sie haben Recht, Woldemar – Warum sollten Sie an dem Schicksal eines Mägdchens Theil nehmen, das alles mit Ihrem Unglück verdirbt?

WOLDEMAR.
Ich will, Julie – ich will – reden Sie –
JULIE.
Verrathen Sie mich wenigstens nicht – liebster Woldemar, o verrathen Sie mich nicht –
WOLDEMAR.
Ich Sie verrathen? Aber ich begreife Sie nicht, [249] Julie – warum wollen Sie fort? wo wollen Sie hin?
JULIE.

Wissen Sie die Strenge nicht, mit der mir mein Vater begegnet? Wissen Sie denn nicht, daß ich eingesperret bin, wie eine Uebelthäterin – daß mein Oncle mein Kerkermeister, mein Peiniger ist, daß er mit mir umgegangen ist, als wenn ich den Tod verdient hätte – o ich muß weg von Ihnen, Woldemar – und dann ist noch ein Beweggrund – ich muß fort – oder ich bin verlohren.

DALTON.
Allerliebste Fräulein! –
JULIE.
Stille Dalton, du sollst auch mit – du mußt mich auch begleiten.
DALTON.
Aber wohin? ums Himmelswillen!
JULIE.

Wohin –? Ja wohin Dalton? – daran habe ich nicht gedacht – das weiß ich nicht – wo soll ich hin? – giebt es nicht noch Menschen, Dalton, die das Elend ihrer Nebenmenschen rührt? die sich über ein ganz verlassenes, mitten in das Unglück hineingeschleudertes Mägdchen erbarmen? Das sagt man, ist Tugend, giebt es so keine Tugend nicht? – Haben [250] Sie keine Verwandte, Woldemar? Sie haben keinen Vater mehr –

WOLDEMAR.
Aber eine Mutter, Julie.
JULIE.

Ach ja, bey Ihrer Mutter. O ist Sie eine gute Mutter? Ach wenn meine Mutter noch lebte! oder wenn ich an Ihrer Seite schlief, so dürfte ich niemand zur Last fallen! Ihre Mutter – nein Woldemar, das Mägdchen, das meinen Sohn verwirft, wird Sie sagen – die Närrin – Nein Woldemar, das geht nicht an.

WOLDEMAR.

Fassen Sie Muth, Julie, Sie kennen diese Mutter nicht, wenn Sie es wüßte, wie ich Sie mit meiner Liebe verfolgt habe. Sie würde Ihre Thränen mit den meinigen mischen, um es Ihnen abzubitten – kommen Sie Julie, Sie wird stolz auf ihre neue Tochter seyn.

JULIE.

Wie schön ist das, Dalton, hörst du das? Ich bin kein Wayse mehr, und ich habe nun auch einen Bruder – Aber bald, liebster Woldemar, denn jeder künftige Augenblick hängt über mir, wie ein Gewitter.

[251]
WOLDEMAR.

Wenn es geschehen soll, so muß es heute und zwar in dieser Stunde gestehen. Sie sind ausgegangen, und wir sind allein. Ich gehe um Anstalten zu machen, wir haben nur eine Stunde Zeit, Julie.


Geht ab.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
Julie und Dalton.

JULIE.

Gehn Sie – gehn Sie – o möcht es uns doch gelingen! Seufzet tief. Ha nun Dalton – nun ist mir leicht – als wenn ich mich tief in der Nacht im Walde verirrt hätte, und von ferne ein Licht entdeckte. Wer hätte das denken sollen, daß meine Empfindung Freude seyn würde – da ich meinen Vater verlasse? Siehst du, Dalton, in dieser Liebe muß doch etwas abscheuliches seyn – ach wenn ich nur bleiben könnte – aber die Angst, die Angst, ist wie ein Gespenst hinter mir her – Glaubst du, Dalton, daß es meinem Vater nahe gehen wird?

DALTON.
Sein Herz wird ihm brechen, liebstes Kind.
JULIE.

Du irrest dich, arme Dalton – seine Augen waren trocken, wie er mich verurtheilte – da war nicht [252] eine Thräne – und der kalte Zorn in seiner Miene. O Dalton, ich habe sein Angesicht mühsam durchsucht, da war keine Spur der alten Zärtlichkeit mehr. Er sah auf mich herab, wie ein Richter, o ich kenne jeden seiner gütigen Züge – Nein, ich habe keine Wahl. – Dalton zwey Kleider für mich, die, worinn ich meine Mutter betrauerte – hörst du? mache alles zurecht – ich habe noch Briefe zu schreiben, einen an meinen Vater, einen an meine Tante und noch einen. Was zauderst du, Dalton – fort – kannst du jetzo noch weinen? Lächelnd. Sieh, ich weine nicht.


Geht ab.

4. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
HERR VON WOHLAU.

Ach! ich armer, ich unglücklicher Mann! mein einziges Kind! meine Tochter – Meine arme verlohrne Tochter!

2. Auftritt
Zweyter Auftritt.
Ein Bedienter und Herr von Wohlau.

WOHLAU.
Hier Kerl weißt du nichts um Ihre Flucht? Kerl rede – ich will dich foltern lassen.
[253]
DER BEDIENTE.

Um Gottes willen Herr, was sollte ich davon wissen? alles im Hause ist der Fräulein nach – Sie kann nicht weit weg seyn, denn ich habe Sie vor einer Stunde noch am Fenster gesehen.

WOHLAU.

Du lügst Kerl, es ist über eine Stunde, daß man ihr nacheilt – Fort – fort – das Pferd gesattelt – den Wagen angespannt – alles soll fort – auf alle Straßen, ich will ihr auch nach, bis ans Ende der Welt. Der Bediente geht ab. Ha armes Kind! – gottloses Kind – deinen alten Vater – o wenn ich nicht so hart gewesen wäre!

3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Der Capitain und Herr von Wohlau.

WOHLAU.

Ha Unmensch – du bist Schuld daran – meine einzige Tochter ist fort – schaffe Sie mir wieder, du bist Schuld daran, mit deiner vermaledeyeten unmenschlichen Härte – schaffe Sie mir wieder –

DER CAPITAIN.

Du bist bey meiner armen Seele reine toll, willst du mir deine schlechten Anstalten Schuld geben? habe ich nicht den Arestanten ins Gefängniß geliefert? soll ich auch den Posten an der Thüre versehen? Warum [254] hast du die Execution aufgeschoben? warum hielte man nicht auf der Stelle Standrecht, und führte Sie gleich mit Wache vor den Altar? – so würde Sie nun nicht der Familie zur Schande in der Welt herumlaufen. Das sind die Folgen der Gelindigkeit, wie ich alles das vorher gesagt habe. Solche Mädchens müssen wie die Hünerhunde parforce dressiret werden, sonst stehen sie nur wenn sie aufgeräumt sind, und sobald man ihnen laut zuspricht, so laufen sie zum Teufel.

WOHLAU.

Gott verzeih es dir, du Tyrann, o wie verfolgt mich das Unglück, seit dem ich dich unter meinem Dach beherberge. O hättest du nie einen Fuß in dieses Haus gesetzt!

DER CAPITAIN.
In dieses Tollhaus? wo die Tochter und der Vater an der Hirnwuth laboriren?
WOHLAU.

Ha – Capitain so unverschämt bist du, in meinem Unglück, das dein Werk ist, spottest du noch meiner? Du bist mein Bruder nicht mehr, du verdienst es nicht zu seyn – in einer Stunde will ich das Ungeheuer in meinem Hause nicht mehr sehen.

DER CAPITAIN.
Was Teufel – so hitzig – Narre, so böß war es nicht gemeint.
[255]
WOHLAU.

Du sollst fort aus meinem Hause – Ich schwöre dir es zu, oder die Obrigkeit soll mich von dem Wütrich befreyen. Ich habe dich mitleidig aufgenommen, da dein Vermögen und deine Ehre hindurch war, da man dich vom Regiment gejagt hatte, das ist der Dank – Ich werfe dich wieder zurück, wo ich dich nahm. Wenn du zum Abscheu aller Menschen als ein Bettler herumgehst, so widerfährt dir, was du meinem Kinde gedrohet hast – Fort aus meinen Augen du Bösewicht.

DER CAPITAIN.
Gut – ich gehe – aber zittere –
WOHLAU.
Nur hin! nur hin – in die Hölle – er ist der Zerstöhrer meines Hauses – alles Unglück kömmt von ihm.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Frau von Wichmann und Herr von Wohlau.

WOHLAU.

Ach Schwester, die Strafen des Himmels, womit habe ich das Kreuz verdient? mein einziges Kind verläßt mich – an dem Rande meines Grabes –

FRAU VON WICHMANN.
Fasse dich Bruder, ich hoffe Sie ist da.
[256]
WOHLAU.
Da – wo ist Sie? wo ist Sie? Julie? Julie.

Läuft nach der Scene.
FRAU VON WICHMANN.
Nicht so eilig Bruder; noch ist Sie nicht da, aber Sie wird gleich hier seyn, Woldemar kommt voran.
WOHLAU.

Ey – der Räuber? Hier, Heinrich! – meine Pistolen – meinen Degen – ich will sein Blut heute noch sehen – Er hat meine Tochter geraubt –

FRAU VON WICHMANN.

Ich schwöre dir zu, Bruder, Er ist unschuldig, der großmüthigste Mann, ich weiß alles, Sie hat Ihn dazu aufgefordert. Hier kömmt er –

5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Woldemar und die Vorigen.

WOHLAU.

O Woldemar – geben Sie mir mein Kind wieder. Warum haben Sie mir meine Tochter genommen? wie wollen Sie das vertheidigen? Wo ist Sie, Woldemar? warum kommen Sie allein?

WOLDEMAR.

Vergeben müssen Sie Ihr, Sie wird den Augenblick hier seyn, Sie hat diesen Schritt nicht ohne Thränen gethan, aber Sie waren zu hart – zu aufgebracht. [257] Sie hatten Ihr eigenes Herz verläugnet, und Ihr Oncle ist Ihr wie ein Henker begegnet.

WOHLAU.
Der verdammte Capitain –
WOLDEMAR.

Sie kennen Ihre zärtliche Seele; der Kaltsinn, der Zorn Ihres Vaters unterdrückte Sie, und Sie zitterte vor neuen Qualen. Ihr Zustand drohete Gefahr; es würde Ihr Leben verbittert haben, wenn Ihr früher Tod –

WOHLAU.
Gott stehe mir bey – ich wäre mit Ihr gestorben.
WOLDEMAR.

Sie wollte bey meiner Mutter die Wiederkehr Ihrer alten Liebe abwarten, Sie wollte sich noch vor Ihnen zudringen, mußte sich aber vor der Wuth Ihres Oncles verbergen. – Ich schwöre in Ihrem Namen, Sie wird keinem Mann jemals Ihre Hand gegen den Willen Ihres Vaters geben. Sie ist ganz Unterwürfigkeit, ganz Gehorsam.

WOHLAU.

Ein recht gutes Mägdchen, so wahr ich lebe. Aber der Junge ist nichts für Sie, Er kann es nicht seyn.

WOLDEMAR.

Erlauben Sie mir, nach reifer Ueberlegung muß ich Ihnen mit der Aufrichtigkeit eines Freundes sagen, [258] diese Liebe ist in dem Herzen Ihrer Tochter so mächtig, daß Sie Ihr Leben hindurch elend seyn würde, wenn Sie fortführen strenge zu seyn. Es ist zu spät eine Leidenschaft zu dämpfen, die so viel Zeit, so viel Gründe gehabt hat, sich in Ihrer Seele zu befestigen. Bedenken Sie, mein Herr – Sie hat die Probe der Verfolgung ausgestanden, wie der Glaube eines Märtyrers, und keine Gewalt ist fähig, Sie jemals zu entkräften. Ich flehe vor Ihnen, wenn Ihnen die Ruhe Ihres Hauses, das Leben Ihres Kindes, ein glückliches Alter theuer ist, so vereinigen Sie zwey Leute, die keine Macht der Erde trennen kann. Ich kenne Belmont nicht, man sagt mir, daß er heftig und zuweilen ausschweifend ist, das sind eher Eigenschaften als Fehler der Jugend, und da sein Herz gut ist, so müssen Ihn Ihre Wohlthaten bewegen, in jede Handlung seines Lebens Ihrem Winke zu folgen, und einen Vater zu verehren, der ihn aus dem Staube zu dem Gipfel seiner Wünsche erhebt.

WOHLAU.

Er ist aber ein Bettler, der Bursche, er hat nicht einen Schilling, und meine Gutheit hat er schön belohnt, wie Sie wissen. Hat er nicht mir und meiner Tochter beynahe das Leben gekostet?

[259]
WOLDEMAR.

Dafür hat er gebüßt. Haben Ste ihn nicht mit Schande von sich weggestossen, und muß er nicht alle Marter des Mangels, einer trostlosen Liebe und der Verzweiflung erduldet haben, und was seine Armuth betrift –

FRAU VON WICHMANN.

Seine Armuth, liebster Bruder, soll nicht länger die Vereinigung so vieler Wünsche hindern. Ich will Ihn aussteuern, du sollst deine Tochter meinem Sohne geben, ich hoffe Bruder, du wirst Sie ihm nicht abschlagen? Gott segne diese Verbindung, ich freue mich, meine Julie wieder glücklich zu sehen.

WOHLAU.
Das ist etwas, Schwester. Deine Gütigkeit rührt mich, und ich will die Sache überlegen.
WOLDEMAR.

Wollen Sie überlegen, ob Sie Ihre Tochter zu der glücklichsten Frau in der Welt machen wollen? Ich beschwöre Sie –

FRAU VON WICHMANN.

Ich bitte dich, Bruder, entschliesse dich jetzo zu dem einzigen Mittel, deine und meine Ruhe, die Ruhe des armen Kindes wieder herzustellen, damit nicht ein neuer Zufall unsere Freude vereitelt, laß deine Schwester, die dich zärtlich liebt keine, Fehlbitte thun.

[260]
WOLDEMAR.
Ihre vortrefliche, großmüthige Schwester, Ihren treuesten Freund –
WOHLAU.

Wohlan – er hat mir zwar manchen sauren Tag gekostet, aber es sey drum, das Mägdchen muß ich wieder einmal freudig sehen, Er soll Sie haben.

6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Peter kömmt gelaufen, und die Vorigen.

PETER.
Die Fräulein ist da – Sie steigt eben vom Wagen.
WOHLAU.
Ha – ich muß es ihr selbst ankündigen.

Geht mit Petern ab.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Frau von Wichmann und Woldemar.

FRAU VON WICHMANN.

O welchen Dank sind wir Ihnen nicht schuldig – Sie haben diese trostlose Familie wieder aufgerichtet. Wenn wir nur jetzo Belmont bald ausgefragt hätten! wir müssen behutsam verfahren, denn wer weiß, zu welchen Entschließungen ihn sein Elend schon gebracht hat; wenn er aus Armuth ein niedriges Gewerbe ergriffen hätte, das müssen wir vor meinem Bruder verbergen.

[261]
WOLDEMAR.

Ich hoffe das nicht, denn man hat mir gesagt, daß er von einem Freunde geliebt würde, der sein Glück mit ihm teilte. Man will ihn in der Nähe gesehen haben, ich habe das vor wenig Augenblicken gehört, ich werde mir Mühe geben, ob wir ihn nicht antreffen können.

FRAU VON WICHMANN.

O bemühen sie sich ohne Zeitverlust, er kann uns seine Nothwendigkeit melden. Er soll in keinem schlechten Aufzug in das Haus seines Schwiegervaters kommen. Warnen Sie ihn zugleich vor der Rache des tollen Capitains.

WOLDEMAR.
O fürchten Sie nichts von Ihm, die Boshaften sind feige. Er wird vor Belmont zittern – Ha Sie kommt.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
Herr von Wohlau, Julie und die Vorigen.

WOHLAU
hat sie unterm Arm.

Heyda hier hab ich Sie – hier hab ich Sie – Hier Schwester ist das Mägdchen – Sie weiß alles. Ha wie Sie roth wird, das widerspänstige Mägdchen, feuerroth – so – weg wollst du laufen – davon laufen von deinem Vater, du kleine Rebellin, warte, [262] warte, das soll dir nicht mehr gelingen, du kleine Schlange du.

JULIE
küßt ihrer Tante die Hand.
Gütigste Tante, zweyte Mutter, wie kann ich Ihre Großmuth erkennen?
FRAU VON WICHMANN.

Nichts, liebes Kind, ich wollte wohl noch mehr für dich thun, ich bin durch deine Zufriedenheit belohnt.

WOHLAU.

Und das alles einen Landstreicher zu gefallen, hätte ich bald gesagt – mich soll wundern wie er angezogen kömmt. Aber es sey drum, sey nur lustig, Mägdchen, heyda guter Dinge, du sollst ihn haben, lustig, du sollst deinen Kerl haben – fort – fort, Woldemar, lassen Sie uns schreiben, schicken, zubereiten, sonst wird mir das Ding noch einmal entwischen, Hier kommt Peter. je ehe je besser, und wenn die Hochzeit in zwey Tagen seyn könnte. Nimmt sie unter den Arm. Sieh hier, nun reiße dich los, wenn du kannst, nun lauf weg – wenn du kannst –


Gehen ab.
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
PETER
allein.

In zwey Tagen Hochzeit halten? das ist bey meiner Ehre sonderbar, nun, da ihn der Vater umzubringen [263] drohete? so soll er Sie in zwey Tagen heirathen? was das für ein wunderlicher Mann ist – Sieh hier der fremde Herr, diese Nachricht kommt vortreflich gelegen.

10. Auftritt
Zehnter Auftritt.
Belmont und Peter.

BELMONT
kommt wüthend auf ihn zu und faßt ihn an der Kehle.
Ist Sie wieder da –? rede Kerl –
PETER.
Ha – was ist dazu thun, was wollen Sie mit mir?
BELMONT.
Rede, rede – ob Sie wieder da ist?
PETER.
Wer? – mit Erlaubniß?
BELMONT
greift an den Degen.
Julie – Kerl.
PETER.
Eben angekommen – Gott steh mir bey.
BELMONT.
Gut – und wie hat man den Räuber, den Ehrenschänder empfangen?
PETER.
Wie einen Freund vom Hause.
BELMONT.
Du rasest, Kerl, sag die Wahrheit – hier ist Strafe und hier ist Gold.
[264]
PETER.

Wie ich Ihnen sage – nach dem ersten Gelärme zu urtheilen, so hätte man denken sollen, daß es Woldemar das Leben kosten würde. Gott weiß, was er dem Herrn vorgeschwatzt hat. – Genug, ich habe den Herrn von Wohlau noch nie freundlicher gesehen, als in diesem Augenblick, – je eher je besser, und wenn die Hochzeit in zwey Tagen seyn könnte, – das war sein letztes Wort.

BELMONT.

Bothschaft des Todes! – Hast du recht gehört? hier ist Geld, nimm hin alles, du hast nicht recht gehört.

PETER.
Mir ist kein Wort entfallen.
BELMONT
geht herum und schlägt die Augen gen Himmel.
Hier – wo ist der – wo ist Woldemar?
PETER.
Ich glaube, daß er mit der Gesellschaft in den Garten gegangen ist. –
BELMONT.

Thut mir einen Dienst noch – sagt an Woldemar, hört mich recht – sagt ihm, daß ihn ein Fremder zu sprechen verlange – über Sachen von der größten Wichtigkeit – habt ihr es verstanden?

PETER.
Sobald ich ihn nur auffinden kann.
11. Auftritt
[265] Eilfter Auftritt.
BELMONT
allein.

Die Hölle verschlinge dich, Bösewicht! du entführst, du raubst – und du wirst belohnt – wo ist Licht in diesem Abrunde? – Ha – der Unmensch, er konnte die Frucht einer langsamen Verfolgung nicht abwarten – Gewalt nach der List – Laster mit Lastern gehäuft! – Geht unruhig herum. und Ihr Vater – will er diese Wuth der schändlichsten Liebe mit seinem Kinde belohnen? Julie – bist du verlohren? ist der Stolz deiner Seele dahin – oder sind sie fühllos bey deinen Thränen? Labyrinth des Elends – wo sind ich hindurch? Geht wieder herum. Rache – Rache – tief aus der Seele ruft Sie – was ist die Welt mir? was sind Gesetze – ich kann nichts verlieren. – Was ist Tugend? verflucht sey die Tugend – ohne sie hätte ich auch geraubt, auch entführt, und Julie wäre mein – Dein Blut, Unmensch dein Blut – ich lächze nach deinem Blut. Mit welcher Wollust will ich dich hier im Staube sterben sehen – Aber wer sagt es mir, ob ich glücklich seyn werde? – Glücklich – Unsinn – glücklich? vor mich ist auch der Zufall nicht mehr – alle Jammer der Erden treffen mich gewiß – Furchtbarer Gott – ich hebe meine Augen nicht zu dir auf? – nicht diese Hände, die [266] Blut fordern? – Licht in dieser Nacht – damit ich sehe, was ich thun soll! Oder wenn dein Wink Welten zertrümmert, warum wird es so lange mit mir? Geht wieder herum. In zwey Tagen Ihr Hochzeittag – Martern des Gewissens! ihr seyd nichts gegen den Gedanken. – Ha du bebst – weibisches Herz – Ich zittere – Laster zu strafen – ich das Werkzeug der Rache des Himmels – ich zittere – Muth – zum Morde gehört Muth – Ha hier ist er – die stille Stirne dieses Teufels –

12. Auftritt
Zwölfter Auftritt.
Woldemar und Belmont.

BELMONT
läuft hitzig auf ihn zu.

Ich bin ein Edelmann – Woldemar – und du bist ein Nichtswürdiger, der Elendeste unter den Menschen gezogen.

WOLDEMAR
springt zurück.
Halt, seyd ihr kein Mörder?
BELMONT.
Ich kann es werden – vertheidige dich –
WOLDEMAR.
Wer Sie auch sind – Sie müssen reden – wer sind Sie?
BELMONT.
Dein Todfeind, Bösewicht – der sich mit dir in der Hölle nicht aussöhnt – zieh –
[267]
WOLDEMAR
geht noch mehr zurück.
Halt – ich kenne Sie nicht – Unglücklicher, habe ich Sie beleidigt?
BELMONT.
Du hast mir alles geraubt – vielleicht den Himmel. – Schänder der Unschuld – Räuber der Julie.
WOLDEMAR.
Ha, sind Sie Belmont? – Junger Mensch – fassen Sie sich – ich gebe meine Rechte auf.
BELMONT.

Feiger, Betrüger, du zitterst vor der Strafe – es soll dir nicht gelingen. Schlägt nach ihm. Nichtswürdiger –

WOLDEMAR.
Ha – das ist zu viel – Elender – du bist Julie nicht werth – komm –

Sie gehen ab.

5. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Julie und Dalton.

JULIE.

Diese Stürme, Dalton – dieser schnelle Uebergang vom Jammer zur Freude hat mich erschüttert – ich bin ganz kraftlos, Setzt sich. wie mein Vater [268] mir es sagte – o das war eine noch nie gefühlte Empfindung – in dem Herzen entstund sie – und floß durch alle Nerven wie Feuer – Nun sind alle die Qualen, mein Gefängniß, meine Angst, meine Flucht, der Zorn meines Vaters, alles ist ein Traum – und vor mir hin – O eine Aussicht der Freude! das ist mehr, als ich verdienet habe – Wo wirst du jetzo seyn in diesem Augenblick, du Liebling meiner Seele, denn so darf ich dich nennen, vielleicht vom Kummer verzehrt – durch Thränen, durch schlaflose Nächte entkräftet – o wenn es dir eine Ahndung sagen könnte! wie glücklich du bist – wie glücklich deine Julie seyn wird!

DALTON.

Wir werden ihn finden, liebstes Kind – man giebt sich alle Mühe – Er muß nicht weit von hier seyn, nur jetzo seyn Sie ruhig. Ihr Gemüth hat zuviel gelitten, es ist nicht gut, wenn Sie sich zu sehr mit Ihm beschäftigen –

JULIE.

Nicht mit Ihm? Ich finde sonst keinen Gedanken in mir. – Nein Dalton, diese Freude ist Leben, ich fühle, daß ich wie aus einer Betäubung erwache, und mein Angesicht glüht. – Sieht nach dem Spiegel. Aber ach – diese Augen, Dalton, das sind nicht [269] mehr die Augen seiner Julie – wie verweint und aufgeschwollen sie sind – Ach – Er wird sich vor mir entsetzen – findest du nicht Dalton, daß ich fürchterlich aussehe?

DALTON.

Glauben Sie das nicht, liebstes Fräulein, Sie sehen nunmehro recht wohl aus – und Ihre Augen sagen Sie – das sind gewiß recht schöne Augen, und diese Mattigkeit – o Sie werden sehen, wenige vergnügte Tage werden Sie wieder herstellen – denn Sie sind jung, Fräulein – nun ist aller Gram vorbey, die Freude wird Sie schon wieder aufrichten.

JULIE.

Glaubst du nicht, daß die Ehe auch ihren Gram hat? – aber daran will ich nicht denken – das Denken wird mir ohnedies jetzo sauer. – Wenn Er mich noch so liebt, wie ehemals, wie ich ihn liebe, o Dalton! dann wirst du noch einmal die Zeiten wieder sehen, die dir so wohl gefielen, dann wirst du sehen, wie deine Julie an den Augen Ihres Wilhelms hängt, seine Wünsche in seiner Miene sucht, an seiner Brust die Welt vergißt und keine Königinn beneidet. O Dalton! Ihm zu gefallen, ist das Geschäfte meines Lebens. – Dann werde ich sie lange wünschen, die Tage, nach deren Ende ich so oft geseufzt habe, jede Minute wird [270] mir theuer seyn, du weißt es, wie ungeduldig ich sonst war, wenn sie so schnell vorüber flohn. – Aber wenn Belmont meiner müde würde – o Dalton – dann lieber mein altes Elend – lieber den Tod.

DALTON.

Wie Sie das fürchten können, liebstes Fräulein, ja, wenn er das rechtschaffene Herz nicht hätte, wenn Sie nicht ein so gutes Kind wären, wenn er Ihnen nicht seine ganze Wohlfahrt zu verdanken hätte.

JULIE.

O welche Wollust ist es, den Mann glücklich zu machen, den man liebt, Ihn vergnügt zu sehen, und sich sagen zu können, das ist dein Werk. – Nun Dalton, nun danke ich es der Vorsehung mit Entzücken, daß ich reich bin – o wenn ich Fürstenthümer hätte, um sie zu seinen Füssen zu legen – Aber stille, stille – klingt das nicht stolz? ist das nicht, als wenn ich Ihn hervorgezogen, als wenn ich Ihn erhoben hätte? Nein – mich die arme Julie hat er durch seine Liebe erhoben, hierauf bin ich stolz, alle Reichthümer der Welt sind unter dieser Grösse.

DALTON.

Gott segne Sie beyde, theurestes, liebstes Kind – Gott segne Sie Weint. O Wilhelm! du wirst das Beyspiel eines glücklichen Mannes werden.

[271]
JULIE.

Du bist eine Schmeichlerin, Dalton – du solltest mir nicht so schmeicheln, sey nicht zu gütig gegen mich, ich bitte dich, ich habe deine Ermahnungen und deine Strenge noch nöthig, erinnere mich, wenn mein einbildisches Herz aufwallt, wenn es sich in seinem Glücke groß dünkt, ich könnte hochmüthig werden.

DALTON.

Ihr demüthiges, unschuldiges Herz, Kind, glauben Sie mir, das kann nicht stolz werden. – Stille – was ist das? was ist das für ein Lerm? –

2. Auftritt
Zweyter Auftritt.
Ein Bedienter und die Vorigen.
Der Bediente kömmt eilig gelaufen.

Da ist ein Unglück – ein Dieb – Herr von Woldemar hat sich mit einem Fremden geschlagen – wo sind ich den Herrn?


Geht eiligst ab.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Dalton und Julie.

JULIE
fährt auf.
Ha! – Gott steh mir bey, ich bin des Todes – der Fremde – um Gottes willen, wer ist der Fremde?

Hält sich an den Stuhl und zittert.
4. Auftritt
[272] Vierter Auftritt.
Peter und die Vorigen.

JULIE.
Wer ist der Fremde? – der Fremde? –
PETER.

Gott kennet ihn – ein Räuber vermuthlich – er ist schlecht gekleidet, mit einer schwarzen Perucke und sieht häßlich aus. Er ist verwundet, sie tragen ihn in die Gartenstube. Wenn ich nur den Herrn finden könnte!

DALTON.
Sehen Sie, wie unmäßig Sie sich über nicht erschrecken. Sieht dieses Ihrem Belmont ähnlich? –
JULIE.

O – das war ein entsetzlicher Stoß – Aber Dalton – Dalton hier drückt Todesangst – ich muß ihn sehen – ich muß ihn sehen –

DALTON.

Liebste, theureste Julie – wo wollen Sie hin? bey Ihrer Entkräftung wollen Sie einen Menschen sterben sehen?

JULIE.

Sterben sehn – o eine schreckliche Ahndung – wer kann Woldemars Feind seyn? ich muß ihn sehen – fort – fort –

[273]
DALTON.
Gott erbarme sich unser.

Geht ab.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Herr von Wohlau und Peter.

WOHLAU.

Ist nach Hülfe geschickt? Wer ist denn der Verwundete? Wie giengen denn diese Händel an? bist du dabey gewesen, Peter?

PETER.

O ich kam dazu, wie es leider vorbey war. Er ist verwundet, mitten in der Brust, und fiel gleich ohnmächtig nieder –

WOHLAU.
Was machte Woldemar dabey?
PETER.

Er fiel neben ihm nieder, er versuchte die Wunde zu verbinden, schlug sich auf die Brust, sprang auf, und that wie ein Mensch, der verzweifelt. – Nein, ich werde es nicht überleben, rief er aus.

WOHLAU.
Wo ist Woldemar?
PETER.
Er lief nach dem Wasser und ließ sich übersetzen. –
6. Auftritt
[274] Sechster Auftritt.
Frau von Wichmann und die Vorigen.

FRAU VON WICHMANN.

Sage mir Bruder – was geht denn vor in diesem Hause? ein Mann in dem Garten verwundet, den sie unten in die Stube tragen? das ist ja entsetzlich! – und Woldemar – ich bebe durch mein ganzes Gebeine – Wer ist denn der Verwundete? hast du ihn gesehen?

WOHLAU.

O Schwester, mir ist der Kopf so toll, daß ich dir nichts sagen kann. Da hier, frage Petern, ich will sehen, ob noch Hülfe übrig ist.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Frau von Wichmann und Peter.

FRAU VON WICHMANN.

Das ist unerhört traurig! Kennt ihr en Fremden nicht – habt ihr ihn niemals hier in der Nähe gesehen?

PETER.
O seyn Sie meine Beschützerin gnädige Frau!
FRAU VON WICHMANN.
Was? – kennet ihr ihn?
PETER.
Gott ist mein Zeuge! nein.
FRAU VON WICHMANN.
Habt ihr ihn nie gesehen?
[275]
PETER.
Leider.
FRAU VON WICHMANN.
Nun, Peter?
PETER.
O Himmel! wer hätte sich das Unglück vorstellen können?
FRAU VON WICHMANN.

Heraus mit der Sprache, Peter, sagt mir alles, was euch von dem Menschen bekannt ist; so etwas muß nicht verschwiegen bleiben.

PETER.

Ich will alles sagen, aber ich bitte Sie mit Thränen, machen Sie mich nicht unglücklich! ich halte den Fremden für einen alten Feind des Woldemars.

FRAU VON WICHMANN.
Und –
PETER.
Und für einen Nebenbuhler.
FRAU VON WICHMANN.
Was –? ihr erschreckt mich zum Sterben – woher wißt ihr, daß er sein Nebenbuhler ist?
PETER.

Gott ist es bekannt – ich habe nichts damit zu thun – er ist hier oft im Hause im Vorzimmer gewesen – und hat sich nach allem so genau erkundigt – nach der Fräulein, nach ihrer Hochzeit und allem –

[276]
FRAU VON WICHMANN.
Auch nach Woldemar.
PETER.

Auch nach ihm – und er schien aufgebracht zu seyn, wenn er ihn nannte – O wer hätte das voraus sehen können! – keine Schätze hätten mich bewegen sollen, Woldemar zu rufen.

FRAU VON WICHMANN.
Das habt ihr gethan? Elender! – und sagt nichts davon?
PETER.
Ach! ich bitte um Gnade – ich konnte ja nicht wissen –
FRAU VON WICHMANN.
O mein Gott! –

Hebt die Hände auf und geht vorwärts.
PETER
läuft weg.
Hier muß ich davon.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
FRAU VON WICHMANN
allein.

O – was für ein unabsehbares Elend ist das – wenn meine schreckliche Vermuthung wahr ist – O so muß ich denn in dieses Haus zu einer Zeit kommen, wo aller Zorn des Himmel auf meine arme Familie herabstürmt – Wie wird das arme gekränkte Kind das alles ertragen? – Verborgener Rathschluß – ich verehre dich mit Entsetzen!

9. Auftritt
[277] Neunter Auftritt.
Dalton und Frau von Wichmann.

DALTON.
Ein abscheuliches Unglück – ich kann es nicht erzählen – dieser Tag ist der letzte dieses Hauses.
FRAU VON WICHMANN.
Dalton – ist es –
DALTON.
Belmont –
FRAU VON WICHMANN.
Ach – lebt meine arme Julie noch?
DALTON.

Sie lebt – noch lebt Sie, aber bis an mein Grab wird mich dieser Anblick begleiten. Sie trat blaß – halbtodt in die Stube, auf dem Bette vor ihr – ach da lag er ausgestreckt, und das Blut floß bis zu Ihren Füßen. Ihre Augen stunden offen – Sie versuchte zu schreyen – und mit einem fürchterlichen Ton fiel Sie auf ihn hin – Ich wollte Sie wegreißen: Grausame! schrie Sie – laß mich sterben, hier auf seinem Herzen will ich sterben – Belmont – Belmont noch einen Laut – deine Julie – Er fuhr mit einer Art von Zückung in die Höh, als wenn er Sie umarmen wollte; aber seine Arme fielen zurück. Die eine Hand brachte er mit Mühe auf die blutige Brust, und dein – [278] dein – war alles, was er mit einer dumpfen Stimme tief heraus seufzete – o und in seinem Gesicht, – da war der nahe Tod. Ich versuchte es, Sie von ihm loszureissen – Ihr Vater, rief ich – haben Sie Mitleiden mit ihm – er kam eben in die Stube, Mein Vater! schrie Sie – und fiel auf ihre Knie – o nehmen Sie es wieder, das elende Leben, das Sie mir gegeben haben – o diesen Segen noch – und so sprang Sie auf mit einer Wildheit im Gesichte, die uns alle zittern machte. Ach – ich kann nicht mehr – Ich sollte Sie rufen – wollen Sie nicht zu dem armen Kinde gehen? Das ist ein abscheulicher Jammer – Meine Kinder – die ich so unschuldig, so blühend gekannt habe! Mein unglücklicher, verjagter Wilhelm – ermordet – ermordet bringen sie dich wieder, und meine einzige Julie – O Sie wird es nicht überleben.

FRAU VON WICHMANN.
Dalton – was ist da zu thun? – ich muß das Mägdchen retten, wenn es möglich ist – Ach, Sie kommt.
10. Auftritt
[279] Zehnter Auftritt.
Julie, von ihrem Vater geführt, und die Vorigen.

WOHLAU.

Julie – mein einziges Kind – mein einziger noch übriger Trost – o ermanne dich – fasse dich – der Allmächtige lebt noch – dein Vater lebt noch.

JULIE.

Ach – bald ist alles gut. Sieht Dalton, ihre Tante und ihrem Vater wechselsweise erschrocken an. Wer sind Sie denn? – warum diese Schrecken – wo führen Sie mich hin? soll ich sterben?

DALTON.
Nein, leben sollen Sie, Julie – zu unserm Trost – sollen Sie leben – o theurestes, theurestes Kind!
JULIE.

Dalton – mit mir ist etwas großes vorgegangen. Hast du den Bräutigam nicht gesehen, ein munterer Jüngling mit braunen lockigten Haaren, und seine Wangen blühen? Wird Blut an ihrer Hand gewahr. Ha – hier ist Blut – Blut – Blut – ist um mich her – Ha wer hilft mir aus diesem Blute? helft – helft!


Wird ohnmächtig, und Dalton setzt sie auf einen Stuhl.
[280]
WOHLAU.

Ist das aufzuhalten? – Mein Kind – meine Julie – Sieh deinen Vater – deinen Vater – deine zitternde Knie will ich umfassen.


Fällt vor ihr nieder.
DALTON.
Hören Sie Ihren Vater – ihre Dalton nicht? – Julie! allerliebstes Kind.
JULIE.

Ach Barmherzigkeit – ist er tod! ist kein Hauch mehr in ihm? Laß mich fühlen, laß mich fühlen, ob sein Herz nicht mehr schlägt. Ha – ist kein Tod mehr übrig Mörder? ist kein Tod mehr übrig?

WOHLAU.
Julie, ich beschwöre dich, du wirst deinen Vater umbringen.
JULIE.

Wollen Sie auch sterben? – mein Vater, soll ich Sie auch in Ihrem Blute sehn? – Der Fluch des Lebens ruhet allein auf mir! – ich allein soll übrig bleiben? – auf den Gräbern meiner Freunde? – Hält etwas inne. Steiget herauf – Entschlafene, Geliebte – – Theurer – Ermordeter – steige herauf – Mein Vater – wo bist du? Julie – Julie ruft – Hier liegt Sie am Grabe und flehet zu sterben – [281] o öffnet, öffnet das stille Gewölbe – Hält etwas inne und steht heftig auf. Ha dort steigt er empor – dort schwebt er hinauf – o wie glänzt er! – ha mein Bräutigam! – nimm deine Julie mit – nimm Sie mit dahinauf, dahinauf –


Fällt ohnmächtig zurück.
DALTON
wirft sich neben ihr auf die Knie und nimmt ihre Hand die sie weinend küßt.
FRAU VON WICHMANN
kommt auch herbey.
Ach Bruder! Ihr Verstand, Ihr schöner Verstand ist hin.
WOHLAU.

Ach! – sterben – sterben wird Sie – Hebt die Hände gen Himmel und weint. Gnade, Gnade – warum soll ich den Trost meines Alters, meine Freude – mein Kind überleben?

[282]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Sturz, Helfrich Peter. Drama. Julie. Julie. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-3956-6