[354] [391]Nero Claudius Cäsar.

26. Proben von Übermut, Wollust, Schwelgerei, Habsucht und Grausamkeit gab er anfangs zwar nur sehr vereinzelt und verborgen und als Erzeugnisse jugendlichen Leichtsinns, doch von der Art, daß selbst damals schon niemand darüber im Zweifel sein konnte, daß diese Laster seinem Naturell, nicht seiner Jugend angehörten. So pflegte er gleich nach Eintritt der Dämmerung rasch einen Schifferhut oder eine Kutschermütze aufzusetzen und die Schenken zu besuchen oder unter allerlei Mutwillen in den Gassen umherzuschweifen, wobei es indes nicht ohne bösartige Streiche abging, indem es sein stehendes Vergnügen war, die von einer Tischgesellschaft Heimkehrenden zu prügeln und, wenn sie sich wehrten, zu verwunden und in die Kloaken zu werfen, desgleichen kleine Kaufläden zu erbrechen und auszurauben, wozu er in seinem Hause eine Quintana eingerichtet hatte, wo die gemachte Beute an den Meistbietenden verkauft und der Erlös verteilt und vertan wurde. Zuweilen freilich setzte er bei solchen Raufhändeln Augen und Leben aufs Spiel, wie er denn einmal von einem Ritter alten Geschlechts, dessen Ehefrau er unzüchtig [391] zu betasten sich erfrecht hatte, fast zu Tode geprügelt worden ist. Deshalb wagte er sich späterhin um diese Tageszeit niemals mehr ins Publikum, ohne daß ihm Militärtribunen insgeheim und von ferne folgten. Auch bei Tage ließ er sich wohl heimlich in einer verschlossenen Sänfte ins Theater tragen, wo er von seinem Platze auf dem oberen Stocke des Prosceniums aus den wilden Streitigkeiten der Pantomimen als Tonangeber und Zuschauer beiwohnte und, wenn es zum Handgemenge kam und der Streit mit Steinen und Bankbeinen ausgefochten wurde, selbst dergleichen in großer Anzahl unter das Volk schleuderte, wobei er sogar einmal den Prätor schwer am Kopfe verwundete.

27. Allmählich aber, als seine lasterhaften Neigungen sich steigerten, ging er von solchen heimlichen Bubenstreichen, ohne sich weiter um Verheimlichung zu kümmern, ganz offen zu größeren über. Seine Tafelstunden verlängerte er von Mittag bis Mitternacht, wobei er inzwischen oft durch warme und im Sommer durch geeiste Bäder sich zu erfrischen suchte. Er speiste zuweilen auch im Freien, in einem zu diesem Zwecke mit Schranken umgebenen Schiffsbassin oder auf dem Marsfelde oder im Zirkus Maximus, wobei ihm die Freudenmädchen und Tänzerinnen von ganz Rom aufwarteten. Sooft er nach Ostia den Tiberfluß hinabfuhr oder am Golf von Bajä vorbeisegelte, wurden jedesmal an bestimmten Stellen des Ufers Schenken hergerichtet, wohlausgestattete Lusthäuser, wo selbst vornehme Frauen die Wirtinnen machten [392] und bald hier, bald dort ihn zu landen einluden. Oft sagte er sich selbst zu Tisch bei seinen Freunden an, wobei denn einmal einem derselben die Mitellita auf viermalhunderttausend Sesterzien, einem anderen die Rosenessenz noch weit höher zu stehen kam.

28. Außer dem unzüchtigen Verkehr mit freien Knaben und mit verheirateten Frauen verübte er Gewalt gegen die Vestalin Rubria. Die Freigelassene Acte hätte er beinahe in aller Form geheiratet und bereits Männer konsularischen Ranges angestiftet, welche ihre erdichtete Abstammung von königlichem Blute beschwören sollten. Den jungen Sporus, den er entmannen ließ und auf alle Weise zu einem Individuum weiblichen Geschlechts umzugestalten suchte, ließ er mit rotem Schleier und Mitgift nach feierlicher Vollziehung der Heiratszeremonien unter großem Gepränge in seinen Palast führen und wie seine Gemahlin behandeln. Es existiert darüber noch heute ein nicht ungeschickter Einfall eines Witzlings: »es wäre ein Glück für die Menschheit gewesen, wenn Domitius der Vater eine solche Gemahlin gehabt hätte!« Diesen Sporus kleidete er in die Tracht der Kaiserinnen, ließ ihn in einer Sänfte tragen und führte ihn auf den Festversammlungen und Messen von Griechenland und darauf auch zu Rom am Bilderfeste unter häufigen zärtlichen Küssen als Begleiter mit sich umher. Und dies ist um so glaublicher, als niemand daran gezweifelt [393] hat, daß er selbst nach dem geschlechtlichen Umgang seiner Mutter lüstern gewesen und nur durch die Feinde der letzteren, die da fürchteten, daß das maßlos heftige und herrschsüchtige Weib infolge solchen Verhältnisses einen übermächtigen Einfluß gewinnen möchte, davon abgeschreckt worden sei. Jedenfalls ist es Tatsache, daß er eine Buhlerin, von der es hieß, daß sie der Agrippina überaus ähnlich sehe, unter seine Beischläferinnen aufnahm. Auch behauptet man, daß in früherer Zeit, sooft er mit seiner Mutter sich in ein und derselben Sänfte tragen ließ, die Spuren seines unzüchtigen Verkehrs mit derselben sich durch die Flecken seiner Kleider verraten hätten.

29. Seinen eigenen Leib gab er in dem Maße preis, daß er, nachdem fast kein Teil desselben unbefleckt geblieben war, eine Art Spiel ausdachte, in welchem er in das Fell eines wilden Tieres genäht aus dem Behälter herausgelassen wurde und in diesem Aufzuge sich auf die Schamteile der an den Pfahl gebundenen Männer und Frauen losstürzte und, nachdem er seine wüste Lust gebüßt, sich endlich von Doryphorus, einem Freigelassenen, erlegen ließ, den er sogar ebenso seinerseits zum Manne nahm, wie er den Sporus zur Frau genommen hatte, wobei er auch die Töne und Aufschreie der Gewalt leidenden Jungfrauen nachahmte. Von manchen Leuten habe ich erfahren, daß er der vollkommenen Überzeugung gewesen sei, kein Mensch sei keusch und irgendwie unbefleckten Leibes, die meisten verstellten sich nur und wüßten ihre Laster schlau zu verheimlichen, weshalb er denn auch denen, die ihre Unkeuschheit offen zur Schau trugen, alle übrigen Vergehen nachgesehen habe.

[394] [400]34. Seine Mutter, die ihn dadurch beschäftigte, daß sie seine Reden und Taten mit einer ihm unangenehmen Schärfe kontrollierte und kritisierte, begnügte er sich anfangs beim Publikum verhaßt zu machen, indem er aussprengen ließ: er sei willens, abzudanken und von Rom fort nach Rhodus zu gehen. Später beraubte er sie aller äußeren Ehren und alles Einflusses, nahm ihr die römische und germanische Ehrenwache und entzog ihr sogar die Wohnung im Palatium. Auch machte er sich kein Gewissen daraus, sie auf alle Weise zu quälen. War sie in Rom, so hetzte er ihr Prozesse auf den Hals; zog sie sich aufs Land zurück, um [400] ruhig zu leben, so stiftete er Individuen an, die, zu Lande und zu Wasser bei ihrem Landsitze vorbeifahrend, sie durch Schimpfreden und schlechte Witze beleidigen mußten. Allein erschreckt durch ihre Drohungen und Heftigkeit, beschloß er, sie zu verderben. Nachdem er dreimal es mit Gift versucht und bemerkt hatte, daß sie mit Gegengiften versehen sei, ließ er in ihrem Schlafgemache die Decke so einrichten, daß dieselbe über die Schlafende mittels einer Maschinerie einstürzen mußte. Als dieser Plan durch die Mitwisser nicht geheim genug gehalten worden war, geriet er auf den Gedanken, ein leicht auseinandergehendes Schiff herstellen zu lassen, mittels dessen sie entweder durch Schiffbruch oder durch den Einsturz der Kajüte ums Leben kommen sollte. Er lud sie also unter dem heuchlerischen Scheine einer Aussöhnung mit ihr durch einen höchst liebenswürdigen Brief ein, nach Bajä zu kommen, um dort das fünftägige Minervafest mitsammen zu feiern, und indem er dem Trierarchen den Befehl erteilte, die liburnische Jacht, auf der sie gekommen war, wie durch Zufall seeuntüchtig zu machen, verlängerte er das Festmahl bis in die Nacht hinein. Als sie dann nach Bauli zurückzukehren begehrte, bot er ihr statt des schadhaft gewordenen Fahrzeuges jenes künstlich hergerichtete an, gab ihr sehr heiter das Geleit bis zu demselben und küßte ihr beim Abschied sogar den Busen, brachte aber den Rest der Nacht in großer Angst wachend hin, den Ausgang seines Anschlages erwartend. Als er aber erfuhr, daß alles anders gekommen und daß sie sich durch Schwimmen gerettet habe, gab er plötzlich, da er sich weiter nicht zu helfen wußte, den Befehl, ihren Freigelassenen Lucius Agerinus, der ihm voll Freude die Botschaft brachte, daß sie gesund und unverletzt sei, nachdem er heimlich dicht [401] neben denselben einen Dolch hingeworfen hatte, als einen gegen ihn ausgesendeten Meuchelmörder festzunehmen und zu binden, seine Mutter aber zu töten, und zwar dies so einzurichten, daß es den Anschein habe, als ob sie sich der Bestrafung für ihr entdecktes Verbrechen durch freiwilligen Tod entzogen habe. Noch Grauenvolleres wird hinzugefügt, und zwar von namhaften Schriftstellern: daß er herbeigeeilt sei, um den Leichnam der Ermordeten zu beschauen, daß er ihre Glieder betastet, einige derselben getadelt, andere gelobt und zuletzt, als ihn Durst ankam, getrunken habe. Dennoch konnte er das Bewußtsein dieses Verbrechens, obschon Soldaten, Senat und Volk ihm durch ihre Glückwünsche Mut zu machen suchten, weder jetzt noch jemals ertragen, und oft bekannte er, daß er durch die Erscheinung seiner Mutter und durch die Furien mit ihren Geißeln und brennenden Fackeln fort und fort verfolgt werde. Ja, er versuchte sogar, durch ein von Magiern verunstaltetes Opfer ihren abgeschiedenen Geist beschwörend zu versöhnen. Auf seiner Reise durch Griechenland wagte er den eleusinischen Mysterien, von deren Weihe durch den Ruf des Herolds alle Schuldbeladenen und Verbrecher ferngehalten werden, nicht beizuwohnen. Auf den Mord der Mutter ließ er die Hinrichtung seiner Tante folgen. Als er nämlich derselben, die an Verstopfung litt, einen Krankenbesuch machte, und die bereits hochbejahrte Frau, wie das alte Leute wohl zu tun pflegen, indem sie seinen Milchbart durch die Finger gleiten ließ, liebkosend sagte: Wenn ich den empfangen haben werde, will ich gern sterben!, versetzte er, gegen die Umstehenden gewendet, ironisch: Da will ich ihn gleich ablegen! und gab den Ärzten Befehl, »der Kranken reichlichere Öffnung zu schaffen«. Und noch war sie nicht gestorben, als er sich schon in Besitz ihres Vermögens setzte und ihr Testament unterschlug, damit nichts davon abgehe.

[402] 35. Frauen nahm er, außer der Octavia, später noch zwei, die Poppäa Sabina, deren Vater ein Mann von quästorischem Range und die zuvor an einen römischen Ritter verheiratet gewesen war, und darauf die Statilia Messallina, Urenkelin des Taurus, der das Konsulat zweimal bekleidet und einen Triumph gefeiert hatte. Um zu ihrem Besitze zu gelangen, ließ er ihren Gemahl, den Konsul Atticus Vestinus, noch während seines Konsulates ermorden. Der Octavia ward er bald überdrüssig und gab seinen Vertrauten, die ihn deshalb tadelten, zur Antwort: sie müsse mit dem Frauenrange zufrieden sein. Nachdem er mehrmals versucht hatte, sie zu erdrosseln, schied er sich von ihr unter dem Vorwande der Unfruchtbarkeit; als aber das Volk sich mit dieser Scheidung unzufrieden bezeigte, ja es an Schimpfreden nicht fehlen ließ, verbannte er sie sogar. Zuletzt ermorderte er sie unter dem Vorwande ehelicher Untreue, ein Vorwand, der so falsch und schamlos war, daß er zuletzt, als bei der peinlichen Untersuchung alle Befragten ihre Unschuld bezeugten, seinen gewesenen Hofmeister Anicetus dazu anstiftete, als Angeber aufzutreten und zu bekennen, er habe sich durch List den Genuß ihres Leibes verschafft. Die Poppäa, die er zwölf Tage nach der Scheidung von der Octavia geheiratet hatte, liebte er leidenschaftlich; und doch tötete er auch sie durch einen Fußtritt, weil sie ihn, krank und guter Hoffnung, wie sie war, als [403] er einmal sehr spät vom Wettfahren heimkehrte, heftig ausgescholten hatte. Von ihr hatte er eine Tochter, Claudia Augusta, die er aber früh wieder verlor.

Man kann sagen, daß es keine Art von Blutsverwandtschaft gibt, gegen die er nicht mit seiner Henkerhand einen Schlag geführt hat. Die Antonia, des Claudius Tochter, die nach dem Tode der Poppäa seine Hand ausschlug, brachte er unter dem Vorwande, daß sie auf Umtriebe sinne, ums Leben. Ebenso brachte er alle um, welche mit ihm durch Blutsverwandtschaft oder Verschwägerung verbunden waren, darunter den jungen Aulus Plautius, den er vor der Hinrichtung noch erst durch unzüchtige Gewalt besudelte und dann mit den Worten zum Tode schickte: »Jetzt mag meine Mutter hingehen und meine Nachfolger liebkosen!«, wobei er jedem, der es hören wollte, sagte, derselbe sei seiner Mutter begünstigter Lieb haber gewesen, die demselben Hoffnung auf die Regierung gemacht habe. Seinen Stiefsohn Rufius Crispinus, den Sohn der Poppäa, einen noch unreifen Knaben, ließ er durch dessen eigenen Sklaven, weil es hieß, derselbe spiele in seinen Knabenspielen Generalissimus und Kaiser, im Meere ersäufen, während er mit Fischen beschäftigt war. Den Tuscus, seiner Amme Sohn, verbannte er, weil derselbe als Statthalter von Ägypten sich in den Bädern gebadet, welche man für die erwartete Ankunft des Kaisers herrichtete. Den Seneca, seinen Lehrer, zwang er, sich selbst das Leben zu nehmen, obschon er ihm auf seine wiederholten Urlaubsgesuche und sein Erbieten, dem Kaiser sein Vermögen abzutreten, hoch und heilig zugeschworen hatte: »seine Besorgnis sei grundlos, er wolle lieber sterben, als ihm etwas zuleide tun«. Dem Burrus, dem Befehlshaber seiner Garde, schickte er anstatt des Mittels [404] gegen Halsweh, das er ihm versprochen hatte, Gift. Seine reichen, bereits bejahrten Freigelassenen, die ihm einst zur Adoption, dann zum Throne verholfen und ihn auf demselben beraten hatten, räumte er heimlich durch Gift, das er ihnen teils in Speisen, teils in Getränken beibrachte, aus dem Wege.

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TextGrid Repository (2012). Suetonius Tranquillus, Gaius. Biographien. Die zwölf Caesaren. Nero Claudius Cäsar. Nero Claudius Cäsar. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-398A-1