[69] XI.
Der Kyklop.

Gegen die Liebe, mein Nikias, ist kein anderes Mittel,
Weder in Salbe, noch Tropfen, so däucht es mir, außer der Musen
Kunst. Ihr Balsam, so mild und lieblich, erzeuget sich mitten
Unter dem Menschengeschlecht, obwohl nicht Jeder ihn findet.
Doch du kennst ihn, mein' ich genau: wie sollt' es der Arzt nicht,
Und ein Mann, vor vielen geliebt von den neun Pieriden.

Also schuf der Kyklop sich Linderung, unseres Landes
Alter Genoß, Polyphemos, der glühete für Galateia,
Als kaum jugendlich Haar ihm keimt' um Lippen und Schläfe,
Rosen vertändelt' er nicht, und Aepfel und Locken: er stürmte
Hitzig auf's Ziel g'radaus und Alles vergaß er darüber.
Oftmals kehrten die Schafe von selbst in die Hürden am Abend
Heim aus der grünenden Au; doch er, Galateia besingend,
Schmachtete dort in Jammer am Felsengestade voll Seemos,
Frühe vom Morgenroth, und krankt' an der Wunde, die Kypris
Ihm, die erhabene, gab mit dem Pfeil, tief innen im Herzen.
Aber er fand, was ihm frommte; denn hoch auf der Jähe des Felsens
Saß er, den Blick zum Meere gewandt, und hub den Gesang an:

O Galateia, du weiße, den Liebenden so zu verschmähn!
Weiß wie geronnene Milch und zart von Gestalt wie ein Lämmchen,
Wie ein Kalb muthwillig, und frisch wie die schwellende Traube!
Immer nur kommst du so her, wenn der süße Schlaf mich umfänget,
[70] Und gleich eilst du hinweg, wenn der süße Schlaf mich entlässet.
Ja du entfliehst wie ein Schaf, das eben den graulichen Wolf sah.
– Damals liebt' ich bereits dich, Mägdlein, als du mit meiner
Mutter das erstemal kamst, Hiakinthosblumen zu pflücken
In dem Gebirg, ich war es ja, welcher die Wege dir nachwies.
Seitdem möcht' ich dich immer nur anschau'n, immer! es läßt mir
Keine Ruh'; doch du, bei'm Zeus, nichts achtest du, gar nichts!
Ich weiß schon, holdseliges Kind, warum du mich fliehest:
Weil mir über die Stirn durchweg sich die borstige Braue
Streckt, ein mächtiger Bogen von einem Ohr zu dem andern,
Drunter das einzige Aug', und die breite Nas' auf der Lefze.
Aber auch so, wie ich bin, ich weide dir Schafe bei Tausend,
Und die fetteste Milch mir zum Leibtrunk melk' ich von ihnen.
Käs' auch mangelt mir nie, im Sommer nicht oder zur Herbstzeit,
Noch im härtesten Frost, schwervoll sind die Körbe beständig.
Auch die Syringe versteh' ich, wie keiner umher der Kyklopen,
Wenn ich, o Honigapfel, dich sing' und daneben mich selber,
Oft noch spät in der Nacht. Auch elf Hirschkälbchen dir füttr' ich
Auf, mit Bändern am Hals, und dazu vier Junge der Bärin.
Ei, so komm' doch zu mir! du sollst nicht schlechter es finden.
Laß du das blauliche Meer wie es will aufschäumen zum Ufer;
Lieblicher soll dir die Nacht bei mir in der Höhle vergehen.
Lorbeerbäume sind dort und schlank gestreckte Cypressen,
Dunkeler Epheu ist dort, und ein gar süßtraubiger Weinstock;
Kalt dort rinnet ein Bach, den mir der bewaldete Aetna
Aus hellschimmerndem Schnee zum Göttergetränke herabgießt.
O wer wählte dafür sich das Meer und die Wellen zur Wohnung?
Aber wofern ich selber zu haarig dir dünke von Anseh'n,
Hier ist eichenes Holz und reichlich Gluth in der Asche:
Schau, gern duld' ich's, und wenn du die Seele sogar mir versengtest,
Oder mein einziges Auge, das Liebste mir, was ich besitze!
– Weh, o hätte die Mutter mich doch mit Kiemen geboren!
Zu dir taucht' ich hinab, und deckte mit Küssen die Hand dir,
Wenn du den Mund nicht gäbst. Bald silberne Lilien brächt' ich,
Bald zartblumigen Mohn, mit purpurnem Blatte zum Klatschen.
(Aber es blüh'n ja im Sommer die einen, die andern im Winter,
[71] D'rum nicht alle zugleich dir könnt' ich sie bringen die Blumen.)
Aber nun lern' ich, – gewiß, o Kind, ich lerne noch schwimmen!
Wenn seefahrend einmal mit dem Schiff anlandet ein Fremdling;
Daß ich seh', was es Süßes euch ist, in der Tiefe zu wohnen.
– Komm' heraus, Galateia! und bist du heraus, so vergiß auch,
So wie ich, der am Strand hier sitzt, nach Hause zu kehren.
Weide die Heerde zusammen mit mir, und melke die Schafe,
Gieße das bittere Lab in die Milch, und presse die Käse.
– Meine Mutter allein ist Schuld, und ich schelte sie billig;
Niemals sprach sie dir noch ein freundliches Wörtchen von mir vor,
Und doch sah sie von Tage zu Tag mich weniger werden,
Aber nun sag' ich, mir klopf' und mir zuck' es im Haupt und in beiden
Füßen, damit sie sich gräme, dieweil ich selber voll Gram bin.
– O Kyklop, Kyklop! wo schwärmete dir der Verstand hin?
Wenn du giengest und flöchtest dir Körb' und brächtest den Lämmern
Abgeschnittenes Laub, wahrhaftig, da thätest du klüger.
Melke das stehende Schaf! was willst du dem flüchtigen nachgehn?
Du kannst mehr Galateien, vielleicht noch schönere, finden.
Laden mich doch oft Mädchen genug zu nächtlichen Spielen.
Geh' ich einmal mit ihnen, das ist ein Jubeln und Kichern.
Traun, ich gelte schon auch in unserem Lande noch etwas.

Also linderte sich damals Pholyphemos die Liebe
Durch den Gesang, und schaffte sich Ruh', die mit Gold nicht erkauft wird.

M.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Theokrit. Lyrik. Idyllen. 11. Der Kyklop. 11. Der Kyklop. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-4F9F-2