[104] XXII.
Die Dioskuren.

Hymne.


Ledas Söhnen, gezeugt vom Aegiserschütt'rer, ein Preislied,
Kastor und Polydeukes, des Faustkampfs schrecklichen Kämpen,
Welcher mit Riemen des Stieres die Arm' bis zur Mitte umwunden.
Nochmals Preis, und Preis zum dritten den mannlichen Kindern,
Welche des Thestios' Tochter geboren, lakonische Brüder,
Retter der Menschen noch, wenn auf der Schneide des Messers sie wandeln,
Und wildbäumender Rosse im blutigen Waffengetümmel,
Wie auch der Schiff', die, Trotz absinkenden Sternen des Himmels
Und aufsteigenden bietend, in tobende Stürme gerieten:
Sie, jetzt jenen am Steuer erhebend die mächtige Welle,
Jetzt vom Schnabel aus, jetzt, woher nun jeden der Zorn treibt,
Warfen die Flut in den Raum und haben die Wände zersplittert
Beide zugleich; schon hängt mit dem Segel das sämtliche Tauwerk
Wirr zerrissen herunter und dick strömt Regen vom Himmel,
Während die Nacht herschleicht und breithin klatschet die Salzflut,
Von dem Orkane gepeitscht und nimmer ermüdendem Hagel.
Dennoch empor aus dem Abgrund zieht ihr Retter die Schiffe
Samt der Bemannung, die schon dem Tode sich glaubte verfallen,
Und rasch senkt sich der Sturm in Ruh', und leuchtende Stille
Liegt auf der See, und die Wolken verlaufen sich dahin und dorthin;
Vorbrach strahlend die Bärin und zwischen den Eseln die dunkle
Krippe, verkündend, daß allhin lächle der Himmel der Meerfahrt.
[105] O ihr beide, o Helfer der Sterblichen, freundlich Verbund'ne,
Mächtig zu Roß, auf der Laute, im Wettkampf, und im Gesange!
Soll ich mit Kastor das Lied, soll's mit Polydeukes beginnen?
Beide verherrlichend will ich besingen zuerst Polydeukes.

Argo, entgangen den Felsen, den stets an einander getrieb'nen,
Und des beschneieten Pontos' verderben-umlagerter Mündung,
Kam zum Bebrykervolke, an Bord den Götter-Entsproßten.
Da auf der einzigen Leiter von beiden Umwandungen nieder
Stieg aus dem Schiff des Jason geschart von Männern ein Haufe,
Und am tiefen Gestad' windsichere Ufer betretend,
Breiteten Lager sie aus und rieben die Flamm' aus dem Holze.
Kastor, der Reisige, und Polydeukes, der Braune, doch gingen
Einsam beide dahin, abirrend von ihren Genossen
Und im Gebirg' sich beschauend die allhin wuchernde Waldung.
Unter geglättetem Fels dort fanden von frischem Gewässer
Einen lebendigen Quell sie voll, und unten vom Grunde
Schimmerten wie von Kristalle die Kieselchen oder von Silber
Tiefauf; aber daneben erhoben sich mächtige Kiefern,
Pappeln, Platanen, Cypressen mit hochauf grünendem Haupte,
Duftige Blumen, die Bienen, die fleißigen, ladend zur Arbeit,
All was sproßt auf der Wiese zur Zeit des entschwindenden Frühlings.
Dort hielt Mittagsitz unbändiger Stärke ein Mann jetzt,
Gräßlich zu schauen, die Ohren zerquetscht von schmetterndem Faustschlag.
Hochauf wölbten empor sich die riesige Brust und des Rückens
Breitung aus eisernem Fleische, dem hammergetrieb'nen Koloß gleich;
Unter dem Schultergelenk vorstanden in massigen Armen
Muskeln wie Kieselgeröll', das wälzend der wintergeschwellte
Strom des Gebirges geglättet in seinen gewaltigen Wirbeln.
Über den Rücken herab dann hing und den Nacken, verbunden
Vorn mit den Zipfeln der Klauen, ein Fell ihm nieder des Löwen.
An ihn wandt' sich zuerst Polydeukes, der Sieger im Faustkampf.

Polydeukes.
Heil dir, wer du auch seist! Wer sind die Bewohner des Lands hier?
[106] Amykos.
Heil? wenn Männer ich seh', die nimmer gesehen ich jemals?
Polydeukes.
Fürchte dich nicht; nicht Frevler, noch Frevlerentstammte gewahrst du.
Amykos.
Furcht ist fern mir; ich brauch' von dir dies erst nicht zu lernen.
Polydeukes.
Unwirsch bist du, auf alles des Ingrimms oder des Hohns voll.
Amykos.
Wie du mich siehst, so bin ich: nicht tret' ich ein in das Deine.
Polydeukes.
Thät'st du's, so würdest nach Haus mit gastlicher Gabe du kehren.
Amykos.
Laß solch gastlichen Brauch: von mir ist keiner bereit dir.
Polydeukes.
Seltsamer! doch wohl zu trinken von diesem Gewässer vergönnst du?
Amykos.
Wirst es erfahren, wann Durst dir dörret die offenen Lippen.
Polydeukes.
Sag', ob Silber vielleicht, ob anderer Lohn dich uns zuneig'?
Amykos.
Einzeln dem einzelnen Mann dich stellend erhebe die Hände.
Polydeukes.
Faustkampf? oder auch Stoß mit Füßen, den Blick in die Höhe?
[107] Amykos.
Fäustlings halte du her, und spar' nicht, was du von Kunst hast.
Polydeukes.
Und wer ist es, mit dem ich Händ' soll mengen und Riemen?
Amykos.
Siehst ihn nah'; kein Schwächling genannt soll werden dein Kämpfer.
Polydeukes.
Ist auch ein Preis zur Hand, um welchen wir streiten im Wettkampf?
Amykos.
Dein sei ich und du mein, wenn ich im Kampf dich besiege.
Polydeukes.
Scharlachkammigen Vögeln im Brauch sind solche Gefechte.
Amykos.
Sei'n wir darum den Vögeln vergleichbar, seien wir's Löwen,
Nicht um anderen Preis wird von uns gestritten, als diesen.
Amykos sprach's, und blies in den Bauch der gewundenen Muschel,
Und rasch kamen zu Hauf' im Schatten der hohen Platanen,
Stets umdröhnt von dem Bläser die Bebyker, wallenden Haares.
So auch rief, wegeilend, zur Anschau alle Heroen
Von dem Magnesierschiffe der schlachtdurchdringende Kastor.
Jene, sobald sie gewappnet die Hände mit Binden von Stierhaut
Und um die Arme gewickelt die lang ausziehenden Riemen,
Traten hervor in die Mitt', Mord atmend, gegen einander;
Viel dann wurde von beiden der Müh' im Streben verwendet,
Wer in den Rücken bekäme das Licht der blendenden Sonne;
Doch du besiegtest an List den Gewaltigen, o Polydeukes,
Und ganz wurde von Strahlen getroffen des Amykos Antlitz.
Drob im Herzen ergrimmt schritt dieser nach vornen und zielte
Mit zwei Händen zugleich, doch traf an das unterste Kinn ihn
[108] Tyndaros' Sohn im Nahen, und wütender ward er noch drüber.
Wild nun mengt' er den Kampf, und wuchtvoll drückt' er auf jenen,
Gegen die Erde gewendet; die Bebryker schrieen, es riefen
Mut zu andererseits die Heroen dem Held Polydeukes,
Fürchtend, ihn möcht' etwa mit seinem Gewichte bewält'gen
Auf dem beengeten Raume der Mann von Tityos' Gliedern.
Aber der Sprößling des Zeus, jetzt hierhin sich wendend, jetzt dorthin,
Schlug im Wechsel mit beiden zerfleischenden Händen und wehrte
Von sich den stürmenden Sohn des Poseidon, so riesig sein Wuchs war.
Der stand trunken von Schlägen und spuckte das purpurne Blut aus,
Und aufjauchzeten alle zusamt im Kreise die Fürsten,
Als sie die gräßlichen Beulen an Mund und Wangen erschauten,
Und im geschwollnen Gesichte die eng umklammerten Augen.
Ihn nun wirrte der Herrscher, zu Finten erhebend die Hände
Allhin; als er jedoch ihn ratlos gänzlich bemerkte,
Schmetterte über der Nas' er zwischen die Brauen die Faust ihm,
Schälend hinein bis zum Knochen die Stirnhaut, daß der Getroff'ne
Rücklings in grünende Blätter der Läng' nach niedergestreckt ward.
Aber als wieder er stand, ging nochmals grimmiger Kampf an,
Und sie zerrissen einander mit hart einhauenden Riemen;
Doch auf die Brust nur brachte dem andern die Fäust', nicht zum Nacken
Reichte der Bebrykerfürst, indes ihm mit schändenden Streichen
Malmte das ganze Gesicht Polydeukes, unzwingbar an Stärke.
Fleisch schmolz ab mit dem Schweiß, und rasch aus dem wuchtigen Manne
Ward ein schmächtiger; aber dem anderen blieben die Glieder
Mitten im Streit stets voll, und schöner erblühte sein Antlitz.
Doch wie brachte den Fresser zu Boden der Sprößling Kronions?
Sag's, o Göttin, du weißt's, und ich, dein Verkünder den andern,
Spreche, was du mir gebeutst und wie dir's im Herzen genehm ist.
Jener, gedenkend nunmehr, was Gewaltiges so zu vollbringen,
Faßte gar schnell mit der Linken dem Held Polydeukes die Linke,
Schräg aus dem Anlauf beugend, und rasch mit der anderen zuckend
Schwang er nun rechts von der Weiche hervor breitknochig den Faustschlag
Und fast hätt' er zum Schaden getroffen den König Amykläs,
Doch der taucht' mit dem Haupt schnell drunter hinweg und mit schwerer
Hand vom linken der Schläf' traf ihn er bis nieder zur Schulter,
[109] Daß schnell dunkeles Blut vorschoß aus gähnender Schläfe,
Und mit der anderen schlug er den Mund, es erklirrte die Zahnreih',
Und stets grimmigern Schlages verwüstet' er jenem das Antlitz,
Bis er die Wangen ihm niedergedroschen, und lang hin im Staube
Lag in den Sinnen verwirret der Mann, und nun, von dem Streite
Lassend, die Hände erhob, denn nah' ganz war er dem Tode.
Aber du thatest an ihm, ob auch sein Sieger, nicht Unbill,
Kämpfer der Faust, Polydeukes; den Eid nur schwor er, den heil'gen,
Rufend herzu aus dem Meere den mächtigen Vater Poseidon,
Nimmer hinfort vorsätzlich an Fremdlingen Frevel zu üben. –
So mein Lied, dir, o Herrscher! Nun aber besing' ich dich, Kastor,
Tyndaros' Sohn, Roßtummler, den Speer umschwingend im Erzkleid.

Mit sich entführten die beiden Erzeugten des Zeus dem Leukippos
Beide der Töchter als Raub, und auch zwei Brüder verfolgten
Sie in stürmendem Laufe, des Aphareus' Söhn' und des andern
Künftige Eidam', Lynkeus und mit ihm der tapfere Idas,
Und nachdem sie genaht des gestorbenen Aphareus' Grabe,
Alle da stürzten sie wild von den Wagen ab gegen einander,
Schwer mit Lanzen gerüstet und hochaufbauchenden Schilden,
Und aus dem Helme hervor rief Lynkeus mächtigen Halles:
»Weshalb lüstet euch Kampfs, Unselige? Was an den Bräuten
Anderer übt ihr Gewalt? was nackt in der Hand euch die Schwerter?
Uns hat Leukippos verlobt um reiche Geschenke die Töchter
Lange zuvor, uns war durch Eid die Vermählung versprochen.
Ihr habt, wider das Recht zu anderer Betten euch drängend
Und zu Ochsen und Mäulern und sonstiger Habe der Fremden,
Ab uns gewendet den Mann und mit Gaben erstohlen die Heirat.
Oftmals hab' ich fürwahr euch beiden gerad' in das Antlitz
Selbst mich stellend gesagt, obwohl viel Wort' ich nicht führe:
Nicht so, Freunde, geziemt's sich für Häuptlinge unter den Männern
Werbung zu thun um Bräute, für welche bereit schon die Gatten.
Groß ist Sparta, groß das roßdurchtummelte Elis,
Und der Achaier Gebiet und Arkadia, nährend die Herden,
Argos, Messene auch und des Sisyphos ganzes Gestade,
Wo, von den Eltern ernährt, viel Tausende leben der Jungfrau'n,
[110] Weder des Wuchses ermangelnd, noch auch des verständigen Sinnes.
Leicht von diesen bekommt wen immer ihr möget zur Gattin:
Wackeren Schwäher zu sein wär' vielen ja immer erwünschet,
Und euch raget das Haupt aus allen Heroen, und so auch
Eueren Vätern und ganz dem Geschlechte der Mutter hinaufwärts.
Laßt denn geschehen, o Freunde, daß diese Vermählung für uns sich
Wohl vollende, für euch was andres ersinnen wir alle.
– Also sagte ich oft, doch weg in die Welle des Meeres
Trug es der hauchende Wind, und Gunst nicht wurde den Worten;
Seid ihr Störrischen doch unbeugsam; aber auch jetzt noch
Wär' uns zu hören die Zeit; wir sind ja vom Vater her Vettern.
Doch wenn Krieg ihr begehret im Herzen, und sollen im Blut wir,
Bringend gemeinsamen Streit zum Ausbruch, waschen die Lanzen,
So mag Idas und hier sein tapfrer Genoß, Polydeukes,
Fern sich haltend vom Strauße, die Händ' in Ruhe bewahren:
Wir nur, Kastor und ich, wir kämpfen den Kampf der Entscheidung,
Weil wir die Jüngeren sind; nachlassen den Eltern nicht wollen
Allzuviel wir des Kummers: genug ein Toter aus einem
Haus; ihr anderen möget erfreuen die sämtlichen Freunde,
Bräutigam' ihr statt Toter, und heim euch führen die Mädchen.
Gut ist's mit kleinerem Übel die große Befehdung zu tilgen.«
Sprach's, und nichtig nicht sollte ein Gott das Gesprochene machen:
Denn von den Schultern zur Erd' ablegten die Waffen die beiden,
Die an Geburt vorgingen, und vortrat Lynkeus zur Mitte,
Schwingend den mächtigen Speer am äußersten Rande des Schildes;
Und so schüttelte Kastor die oberste Spitze der Lanze,
Wallend nickten den beiden hernieder die Haare vom Helmbusch.
Eifrig erst mit den Lanzen das Absehn gegen einander
Nahmen sie, ob sie entblößet den Leib wo irgend erblickten;
Doch an den Spitzen zerbrachen, bevor sie noch einen beschädigt,
Beiden die Speer', in die Schilde, die riesig gedehnten, geheftet,
Und entreißend der Scheide das Schwert nun, schafften am Mord sie
Gegen einander von neuem, und rastlos währte der Kampf fort.
Oft in den wölbigen Schild und den roßschweifrauschenden Helm traf
Kastor; eben so oft traf Lynkeus mit spähendem Auge
Jenem den Schild und streift' an den purpurnen Busch mit der Spitze;
[111] Oben doch hieb ihm die Hand, als gegen das linke der Kniee
Kastors die schneidende Klinge sie schwang, der ab, mit dem linken
Fuß rasch weichend, und nun, wegwerfend das Schwert, zu des Vaters
Grabmal floh der Getroff'ne, woran der gewaltige Idas
Lehnend den Streit anschaute der stammesverbündeten Männer.
Aber es stieß nachstürzend des Tyndaros' Sohn ihm das breite
Schwert durch Weichen und Nabel, und drinnen zerwühlte das Eisen
Alsbald alles Geweid'; hinsank vernickend zur Erde
Lynkeus, und schwer von den Wimpern herab lief rasch ihm der Schlummer.
Auch nicht den andern der Söhn', auch ihn nicht am Herde des Vaters
Schauete Laokoosa vollendend die liebe Vermählung;
Denn, losrüttelnd die Säul', die hoch aus des Aphareus Grabe
Vorstand, wollte in Hast der messenische Idas danieder
Schmettern den Mörder des Freunds, den ein Schoß nach ihm geboren;
Doch dem wehrte Kronion und warf aus der Hand ihm des Marmors
Künstlich Gebild' und verbrannt' ihn selbst mit der Lohe des Donners.
So ist nimmer es leicht, mit des Tyndaros' Söhnen zu kämpfen;
Selbst sind Gewaltige sie und stammen von einem Gewalt'gen.
Heil euch, Ledas Gebor'ne! o sendet auf unsere Lieder
Edelen Ruhm stets! wert ja waren die Sänger von jeher
Helena, Tyndaros' Söhnen und allen den andern Heroen,
Die einst Ilion stürzten, Verbündete des Menelaos.
Euch, o Herrscher, ersann Nachruhm der Sänger von Chios,
Feiernd des Priamos Stadt und die Schiffe Achaias im Liede,
Und um Troja die Kämpf', und den Turm in ihnen, Achilleus.
Euch denn bring' auch ich hier Spiele der tönenden Musen,
Wie sie selbst sie verleihen und wie mein Haus sie gewähret:
Denn der Gesang ist den Göttern willkommenstes aller Geschenke.

N.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Theokrit. Lyrik. Idyllen. 22. Die Dioskuren. 22. Die Dioskuren. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-4FA0-B