Friederike Helene Unger
Albert und Albertine

[Motto]

[1] Die frühe sich verloren hatten,

Die finden sich im Abendschatten,

Und eilen Hand in Hand zur Ruh.

[1][3]

1. Kapitel

Erstes Kapitel

Vergebens hatte Albertine am Ufer des Baches Gras und Gesträuch durchsucht; nirgend, nirgend war der werthe Ring zu finden. »Er ist verloren,« rief sie schmerzlich. Die Abendsonne röthete ihr Gesicht und ließ eine Thräne der Beängstigung sichtbar werden.

Traurig ließ sie sich am Ufer des Baches nieder, das zarte Händchen auf ein Polster von Moos stützend. Plötzlich fiel, unfern von ihr, ein Schuß im Schilf; sie sprang auf. Eine männliche Stimme rief voll Entsetzen: Herr Jesus! und in dem Augenblick stand ein junger, schöner, stattlicher Jäger vor Albertinen.

[3] Albert hatte an dem Geräusch vernommen, daß sich da, wo er nur Enten vermuthete, etwas viel Besseres in seiner Schußlinie befände. Rasch warf er die Flinte von sich und eilte der Stelle zu.

Über alle Beschreibung überraschte ihn die Gegenwart des reizvollen jungen Mädchens, das er, dem schlichten anspruchlosen Anzuge nach, für ein gewöhnliches Landmädchen gehalten hätte, wenn der edle hohe Anstand der schönen Gestalt und die Fülle von Geist aus dem dunkelblauen Auge, ihn nicht eines andern belehrt hätte.

Im ersten Momente glaubte Albert, ein leichtes Gespräch anknüpfen zu können. Jetzt aber schämte er sich so, daß er sich nur in Alltagsformeln über den Schrecken auszubreiten wußte, den ihr sein Schuß verursacht haben mußte.

»So leicht erschrecke ich nicht,« antwortete Albertine ganz unbefangen; »ich schieße zum Scherz wohl selbst zuweilen ein Gewehr ab.«

Jetzt bückte sie sich, und begann von [4] neuem den Ring zu suchen. Albert bückte sich und suchte emsig mit, ohne zu wissen was? »Was suchen denn Sie?« fragte Albertine lächelnd. Albert sahe ihr ins Auge und lächelte beschämt. Nun erzählte sie, daß sie am frühen Morgen hier mit einer Freundin gewesen sei, Kräuter zu suchen, wobei sie einen Ring verloren habe, welchen sie erst nachher vermißte.

»Der Ring ist von großem Werth?« sagte Albert. »Für mich von unsäglichem,« erwiederte Albertine lebhaft. »Ein Haargeflecht von ganz so schönem glänzend blondem Haar, als das Ihrige ist, umschlingt ihn.« Hier zeigte sie mit kindlicher Unschulds Geberde auf Alberts volle blonde Locken, die seine schöne weiße Stirn umflossen.

Albert erröthete. Gewiß ein Pfand der Liebe, daß sie der Ring so kümmert, dachte er mit einigem Unmuthe. Doch war er zu delicat, irgend eine Bemerkung der Art laut werden zu lassen. Der reine Ausdruck ihres unschuldvollen Gemüthes gebot ihm Ehrfurcht. [5] Daher keine Frage um Stand und Namen. Auch Albertine fragte nicht darnach; ihr war es genug, er war liebenswürdig und bescheiden; auch hatte der reine Tenor seiner biegsamen Stimme, schon leise zu seinem Besten bei ihr gesprochen. Zutraunsvoll legte sie ihren Arm in den seinigen, als sie sich wegbegeben wollte, wobei sie ungezwungen äusserte, ihrem Onkel, der gern Gesellschaft bei sich sähe, würde seine Bekanntschaft sehr angenehm seyn.

Unterweges sprach Albert von den Vorzügen des Landlebens. Albertine drückte sich mit Wärme über Naturgenuß aus; doch gestand sie freimüthig, das fortwährende Landleben habe ihr Langeweile gemacht, deshalb habe sie ihren Bruder verlassen und sich zu ihrem Onkel begeben, der nur die Sommermonate auf seinem Landsitze zubringe.

Alberten gefiel dies offene Geständniß, je seltener es war; weil mehrentheils die entschiedensten Weltfrauen sich für die Stille des Landlebens zu erklären affectiren, [6] die dann freilich ihrer erschlafften Existenz durch Landluft und Badecur neue Spannung, zum Vollgenuß des bunten Weltlebens verschaffen müssen.

Schon schwebte Alberten eine Artigkeit hierüber auf der Zunge, doch hielt er sie zurück, als er Albertinen sich über so mancherlei, so sinnig und gehaltreich auslassen hörte; er würde sich ihr gegen über mit irgend einer Stutzer Galanterie, unbeschreiblich fade erschienen seyn. So wie sich ihm mit jedem ihrer Worte, neue Schönheiten ihrer geistvollen Bildung entwickelten, wurde sie ihm interessanter. Der lange Weg längs der duftenden Wiese und durch das kleine Buchenwäldchen, dünkte ihm gar zu kurz, als sie an Albertinens Wohnort, einem geschmackvollen einladenden Landhause angekommen waren.

[7]

2. Kapitel

Zweites Kapitel

Durch einen Lauben-Gang blühender Akazien, wurde Albert in einen elegant geschmückten Salon eingeführt, wo einige Herrn und Damen um einen Theetisch versammelt saßen. Ganz isolirt thronte ein zierlicher Herr aus der Classe alter Jünglinge, hoch in einem grünattlassenen Armstuhl, die geschwollenen Beine weit über ein elastisches Kissen vor sich hinstreckend. Er war Albertinens Onkel, der reiche, übersatte Banquier Dämmrig.

Als Albertine ihm ihren Begleiter vorstellte, lüftete er ein wenig das seidne Baret vom künstlich nachlässigen Haar und fragte mit grellem nasenden Ton: »wer – wen – hm, hm, – hat man die Ehre?« Albertine blickte verlegen auf Alberten; daran hatte sie warlich noch nicht gedacht. Plötzlich flog es ihr durch die Seele, sie könne wohl etwas thörichtes begangen haben. Befriedigend war ihr also seine Antwort, als er sich Albert von Ulmenhorst [8] nannte. Wie er sagte, war er erst kürzlich von seinen Reisen zurück gekommen und bewohne jetzt sein in der Nachbarschaft gelegenes Gut Ulmengrund.

Die süßen Wörtlein: von und Reisen, durchfuhren den weiblichen Kreis, der bis dahin keine Notiz von dem schönen Jäger genommen hatte, wie ein elektrischer Schlag. Zum hohen Verdrusse eines jungen strupfköpfigen Schöngeistes, der eben ein Manuscript vorlesen wollte, rief die prima Donna der kleinen Witzbühne mit geziertem Tone: »Albertine! wollen Sie uns ihren Fremden nicht auch vorstellen.Mon cher, ich prätendire, sie sollen uns den fremden Herrn nicht vorenthalten.« Dieser mon cher, war der Onkel mit den geschwollenen Beinen.

Albertine stellte ihren Begleiter mit der leichten Grazie und dem unbefangenen Anstand, womit sie alles that, der übrigen Gesellschaft vor. Albert wurde durch den Platz neben der prima Donna der Madame Rosamund ausgezeichnet, welches der junge [9] Schwedenkopf gar ungnädig zu vermerken schien; denn er schnitt greuliche Gesichter und warf das Manuscript recht ungezogen auf den Tisch, auch machte er Alberten nur so eben Platz, als ob es in einem großen Gedränge gewesen wäre, wie dieser vor ihm vorbei zu seinem Sitze ging; dabei erwiederte er dessen höfliche Verneigung gar nicht, und setzte sein Gespräch so laut fort, als ob gar keine Veränderung in der Gesellschaft vorgefallen sei, ausser daß er jetzt auf eine unverständige Weise, in der Geschwindigkeit einige Invectiven gegen den Adel einzumischen affectirte, nachher Alberten in allem widersprach, ohne jedoch das Gespräch unmittelbar an ihn zu richten; denn das wäre ja höflich gewesen.

Als eine von den Damen anmerkte, es sei ein sonderbarer Zufall, welchem die Gesellschaft die Gegenwart des Herrn von Ulmenhorst verdanke, schnitt der Strupfkopf Alberten die Antwort vor dem Mund weg, um zu beweisen, daß es eigentlich gar keinen Zufall gäbe. Nachdem er nun eine [10] gute Zeit lang den Begriff durch ein gar kunstvolles Raisonnement verzerrt und verdüstert hatte, ließ er ab; er hatte nun seine Absichten erreicht, Alberten um das Gespräch zu bringen und die hohe Bewundrung der Damen zu verdienen, die gar nicht begreifen konnten, wo er in aller Welt nur allen Verstand hernähme? Albert an seinem Theile begriff nicht, wie einer zum frohen Geistesgenusse versammelten Gesellschaft, so ein pedantischer Galimatias hingegeben werden dürfe. Dabei aber wurde er inne, daß er sich in einem ästhetischen Theeklub befände, in einer der Witz-Trödel-Buden, wo alte Waare neu aufgestutzt, von Unkundigen angestaunt wird. Er nahm sich vor, ein stiller, aber desto aufmerksamerer Beobachter zu seyn.

Albertine warf es Alberten scherzend vor, daß er sie beinahe erschossen hätte. Auch hier warf sich der Rundkopf mit wieherndem Gelächter dazwischen, indem er bemerkte, dies gäbe einen schönen Stoff zu einem komischen Heldengedichte, indem es ganz [11] neu sei, daß der Ritter seine Dame für eine wilde Ente ansähe. Albertine erröthete; Albert schwieg indignirt, ob dem arroganten Ton, und die Damen begriffen wieder nicht, wo ihr Freund all den Witz hernähme?

»Wollen Sie uns nicht etwas von ihren Reisen mittheilen, mein Herr von Ulmenhorst?« lispelte Frau Rosamund. »Das müßte interessant seyn,« setzte der Tituskopf Wassermann hinzu. Albert antwortete den Damen etwas, wobei ihm der Name Weimar entfiel. Alle Weiber faßten dies rasch auf und alle fragten im Unisono: »also haben sie Göthe gesehen?«

»Er war der Zweck meines dasigen Aufenthalts.«

»Oh! Oh! Göthe!!« wieder im Unisono.

»Bitte, bitte, lieber, lieber Herr von Ulmenhorst, sagen Sie uns doch recht viel, aber recht recht sehr viel, von Papa Göthe,« zwitscherte das liebe alte Kind Elisa, Dämmrigs Schwester. »Wir werden Sie ja näher kennen lernen.«

[12] Schon öffnete Albert freundlich die Lippen, den Frauen zu willfahren, als Wassermann sich wüthig dazwischen stürzte. Ein Ungeweihter sollte nie über Göthe sprechen, sagte er; den er ganz allein nur verstand und begriff. Überdem war er ein Philosoph, der alle Dinge wußte, alles ergründete und sich nie der erbärmlichen Krücke der invaliden Menschheit, der Erfahrung bediente, die ihm ein Greuel war. Nur in dem großen Lazarethe geistiger Krüppel brauchte man diesen traurigen Nothbehelf. Wollten es die guten Götter, sagte er oft, ich wäre taub und blind geboren, meine Begriffe über tausend Erscheinungen wären in und aus mir selber ausgesprochen, richtiger, als sie es durch die gemeine Einwirkung der Sinne geworden sind!

So gestand er zwar jetzt, daß er Göthe in seinem ganzen Leben nie anders, als in sehr unvollkommenen Abbildungen gesehen habe; indeß stehe ihm das Bild des Verehrten so lebendig aus seinen Werken vor der Seele, daß er ihn Zug für Zug abzucontrefayen [13] im Stande sei. Und nun begann der gute Wassermann das Werk; er sprach vom ewigen Schnitte des Gesichts, von Mundwinkeln, von Lippenöffnung, vom Augenaufschlagen, von Nasenflügeln. Sie begreifen es, meine Damen, das ächt gebildete Wesen, das rein menschliche, muß stets von schöner Form umgeben seyn. Aber der rohe Haufen hat keine Ahnung von dem Formellen, will nur immer Stoff und wieder Stoff. Sie verstehen mich, meine Schönen! –

Es erscholl ein zweideutiges: O ja! Albert schüttelte bedenklich den Kopf und betheuerte auf seine Ehre, an dem allen sei keine Sylbe wahr; Göthe's Bild sei durchaus Zug vor Zug verfehlt. Als hier Wassermann rasend schrie, Ulmenhorst müsse sich resigniren und eingestehen, Göthe sei ihm eine zu hohe unbegreifliche Erscheinung, die sich ihrer Überlegenheit über gemeine Menschen Natur bewußt, wie ein Gott da stehe, wurde der zartsinnigen Elise bange; sie durchschnitt den beginnenden Streit mit der [14] Frage, ob Albert den großen Dichter der Iphigenie wohl im Negligee gesehen habe? und von welcher Façon er es trage? Hier bekam Wassermann einen schönen Anlaß, über die kleinliche Neugier der Weiber zu spotten; denn nie ließ er eine Gelegenheit vorbei, etwas Verächtliches über das Geschlecht zu sagen, dem er insgeheim mit Heißhunger nachjagte.

»Göthe« erwiederte Albert, als er endlich zum Worte kommen konnte, »erscheint allen, die ihn begreifen, deren unbefangene Natur in seine schöne Individualität eingreift, im liebenswürdigsten Negligee, und nie erscheint er solchen aufgesteift mit dem ranailleusen ›Minister Air,‹ wie der gute Lavater das irgendwo sehr sonderbar nennt. Diese Seite wendet er nur heterogenen Naturen und unberufenen Erklärern der seinigen mit gerechtem Selbstgefühl zu.«

»Möchte ich mich diesem Edlen entgegen ranken können,« lispelte Elisa! »Möchte ich in der seligen Fluth des Genusses seiner Freundlichkeit untergehen können!« [15] Frau Rosamund belächelte Elisens Schwärmerei und meinte, die Gute werde die Sehnsuchtsklänge ihrer Seele in Klagliedern grünen lassen müssen.

Wassermann schoß während dem grimmige Blicke und schwieg, weil ihm eben nicht etwas recht grobes einfiel.

»Unserm Freunde schwebt ein schöner Einfall auf den Lippen,« sagte Laurette, schneidend boshaft; »heraus damit.«

»Um der Götter willen! Mademoiselle, verschonen Sie mich mit dergleichen Voraussetzungen. Witz, nebst seinen Aborten, den Einfällen, überlassen reelle Producenten gern den Damen und ihren vielfarbigen Rittern.«

»Unser Freund spricht und spielt mit Sonnenstrahlen,« entgegnete Frau Rosamund. Ernst und Scherz, Witz und Laune, hörte sie, wie eine Schaar von Rosen, sich in ihm regen.

»Oh! a propos vom Witz! Wo bleibt Antonie? Immer bleibt sie uns noch die [16] Vorlesung ihres Romans schuldig,« sagte Elise.

»Ihr Bedienter hat jetzt nicht Zeit zum Schreiben; er muß die Farben reiben, Antoniens Jugend aufzufrischen,« sagte Wassermann, im unangenehmsten Tone.

»Wie?« rief Laurette, ihm drohend; »haben Sie die platten Erzeugnisse dieser Schleichhändlerin mit fremden Gedanken, dieser Ideen Diebin, nicht bis in den Himmel erhoben?«

»Habe ich je ihren Wasch und Kochzeddel bewundert? sie sind warlich das Beste, was sie edirt. Ich habe irgendwo ihre Ansprüche beleuchtet, und ich verspreche Ihnen, mes Dames, sie soll uns das Epigramm selbst vorlesen, wodurch ich sie vernichte.«

»O schön! schön!« riefen Antoniens Herzensfreundinnen. »Die Närrin muß endlich auf ihr Nichts reducirt werden. Sie hat keinen Funken producirender Kraft.«

»Kraft!« schrie Wassermann; »was ist Kraft? Am Ende doch nichts anders als [17] eine precäre Anleihe an die Phantasie, oder die Magd derselben. Warum vergeuden sie so viel Geistesaufwand an diese pitoyable Erscheinung.« »Antoniens intellectuelle Tendenzen sind die miserabelste Misere, der schmutzigste Nachdruck des unverständigsten Unverstands,« setzte die superfeine Frau Rosamund mit gespitztem Mäulchen hinzu.

»Schön, herrlich!« rief Wassermann. »Das war eine süperbe Skizze zu einem großen Gedanken.«

»Sollte sich wirklich etwas Schönes über die gemeinste Gemeinheit sagen lassen?« meinte Laurette, eine zweite Nichte des Bankiers, die sich durch ihre Herzlosigkeit, ihren schneidenden absprechenden Ton, ihre Unempfänglichkeit für zartere Weiblichkeit, ihr rasches Aufnehmen jeder Verschrobenheit, den Beinamen, die Philosophin in diesem Zirkel erworben hatte.

So schleppte sich das Gespräch in dem einmal angegebenen Ton über Antonien, die sonst die Seele, das Idol dieser Versammlung zu seyn schien, immer weiter. [18] Albert war nun im Ernste verstummt; ihm graute vor diesem Don Lucifer und der falschen Klike. Aber wohl thats ihm im Innersten, daß Albertine dem allem ganz fremd blieb und sich indeß mit Aufmerksamkeit um ihren Onkel mühete, um den sich sonst Niemand zu bekümmern schien.

Antonie hatte ganz lyrisch, mit Rosen bekränzt, und mit Gesang, den Kreis der Freunde, gleich einer himmlischen Erscheinung, plötzlich durchschweben wollen, sie hatte das freundliche, sie betreffende, Gespräch in einem anstoßenden Cabinett belauscht und stürzte jetzt ziemlich furienartig, heraus. »Ha! Schlangen! ihr hattet mich umwunden; jetzt verletzt euer Gezisch mein Ohr! Unter den Blumen eurer verhaßten Reden schlummern Nattern. Von nun an scheide ich von euch aus; aber empfinden, ja empfinden sollt ihr's. Euer Ruf ist dahin, den übernehme ich; in den Koth mit ihm, und ihr, ihr fahret zur Hölle!«

So stürzte sie heulend und schimpfend zur Thür hinaus, und gab Lauretten, die [19] sich ihr in den Weg stellte, einen so kräftigen Stoß, daß diese taumelnd zurück fiel.

Rosamunde erklärte, sie sei petrificirt. Elise behauptete, sie sei complett in einen Fels verwandelt. Laurette schickte Antonien ein schallendes Gelächter nach, weil ihr eben die Geistesgegenwart zu etwas recht Boshaftem fehlte.

Traurig legte Elise den Lorbeerkranz bei Seite, womit sie eben heut Göthe's neu angelangte, und in dem Versammlungssaal aufgestellte, Büste feierlich hatte krönen wollen; sie zwitscherte leise die dazu aus des Dichters Tasso erwählten Worte, als sie den Kranz, bis auf weitern Bescheid, in den zierlichen Schrein zurücklegte.

»Die war ganz göttlich grob,« rief der Herr mit den geschwollenen Beinen. Ihm hatte der Auftritt unsäglich viel Spaß gemacht. Er nannte ihn ein wünschenswerthes Intermezzo in einem zum sterben trockenen Drama. Auch belachte der gute Herr die Szene sowohl, als seinen schönen Einfall darüber, so unmäßig, daß er darob in [20] einen Stickhusten gerieth, der vor der Hand aller Unterredung ein Ende machte.

Nachher bemerkte Madame Rosamund, die den Einfall mit dem Drama und dem Intermezzo sehr übel empfunden hatte, mon cher werde besser thun, sich auf sein Zimmer zu begeben, als die Unterhaltung so ungeziemend zu unterbrechen. Mon cher, der je und je seinen Witz in platten Ausfällen gegen die Ehe und den Hausstand ergossen hatte, war gut genug erzogen, dem Winke einer gebietenden Maitresse sogleich zu gehorchen. Er rief einen Bedienten, der ihn wegführte, indeß er noch immer betheuerte, dieser Auftritt sei die artigste kleine Falschheit, die drolligste Plaisanterie, die ihm je vorgekommen sei.

Mit allerliebst freundlichem Gesicht folgte Albertine ihrem Onkel und trug ihm Tabatiere und Arzneiglas nach.

»Dem Kinde wird die Zeit unter uns lang,« sagte Wassermann, Albertinen bedeutend nachwinkend, den andern Weibern die Cour zu machen. – Im Herzen hielt [21] er Albertinen weder für ein Kind, noch seiner Bemerkung unwerth. – »Es ist natürlich,« entgegnete Rosamunde. »Wo soll sie's herhaben? Das ist vom Lande und kennt nur seinen Gellert und seinen Haushaltcalender.« »Um Verzeihung, liebes Tantchen,« gellte Laurette dazwischen, die, um sichs recht wohl seyn zu lassen, vor Rosamunden kroch, und sie Tante nennte; – »um Verzeihung, sie hat wirklich auch die schöne Genoveva und den Kaiser Octavian gelesen; ja wahrhaftig das hat sie.« »Lassen sie mir das gute Kind mit Frieden,« sagte Elisa gutmüthig; »es liegt recht viel in ihr und sie betreibt sehr ernste Studien mit ihrer Madame Euler.«

Albert hatte in diesem Augenblick die Tante recht lieb, um des Guten willen, das sie von Albertinen sagte; er hoffte jetzt mehr von ihr zu erfahren, aber das Gespräch wendete sich, als von einem zu gehaltlosen Gegenstand, wieder von ihr ab und auf literarische Erörterungen, die, weil sie alle von einem Schlage waren, unserm Albert [22] so wenig zusagten, daß er sich empfehlen wollte. Das gaben aber die Damen schlechterdings nicht zu, und die Wahrheit zu sagen, ließ er sich auch recht gern erbitten. Albertine war ihm in den flüchtigen Augenblicken seiner Bekanntschaft mit ihr sehr werth geworden. Die Feinheit und Grazie ihres Benehmens war ihm nicht entgangen; er wünschte von ihren Verhältnissen zu diesem seltsamen Geschlechte mehr zu erfahren; sie schien ihm keinem unter allen diesen durch Liebe anzugehören, und die natürlichen Bande ziehen nicht stark genug, entgegenstrebende Naturen einander näher zu bringen.

Die stürmische Szene mit Antonien hatte alle Fäden der Unterhaltung zerrissen; es war nicht möglich, für diesen Abend zu einem erträglichen Ton zu gelangen, und Wassermann raffte hastig und unter mürrischen Äusserungen seine Hefte zusammen. Die Damen waren untröstlich über den Mißton, der die reine Harmonie der Gesellschaft gestört hatte, und hofften in künftiger [23] Session alles wieder in Einklang zu bringen. Und dann waren sie doch auch wieder so hoch erfreut, daß ihr Kranz durch eine so hoch und hehr blühende Blume, an deren Wohlgeruch sie sich künftig noch erquicken würden, erweitert sei; nemlich sie freuten sich, daß Albert ein Genosse würde; doch machten sie es zur Bedingung, daß Albert in den nächsten Sitzungen etwas von seinen geistigen Erzeugnissen vorlesen müsse.

»O ja, thun Sie's ja,« fügte Wassermann hinzu: »vermuthlich haben Sie sich auf Ihren Reisen nach großen Mustern gebildet, und in dem, was der Mensch, der ein Ganzes ist, producirt, spricht er sich ganz aus.« Diese Rede begleitete er mit einer unerträglich hämischen Pantomime und einem Lachen, das nicht beleidigender seyn konnte.

»Ich werde Ihnen etwas vorlesen, wenn die Damen es mir vergönnen wollen; übrigens danken Sie es diesen, wenn ich Ton und Geberde bei ihren Reden ungerügt [24] lasse und diesmal mit dem geziemenden Stillschweigen verachte.«

Elise, die süße Seele, warf sich mit einem »Bitte, Bitte, Herr von Ulmenhorst,« dazwischen, legte ihren Arm in seinen, die andern folgten und sie schlenderten friedlich zum Speisesaal hin.

Herr Dämmrig saß schon an der obern Ecke des Tisches, sein restaurirendes Kraftsüppchen genießend. Albertine war im Gespräch mit einer Dame begriffen, die Albert vorher noch nicht gesehen hatte, deren geist- und gütevoller Ausdruck auf einem nicht mehr ganz jungen Gesicht, in dem alles sprach, was reichlichen Ersatz für verblühte Jugend giebt, ihn aber unbeschreiblich anzog. An der liebevollen Hinneigung zu Albertinen begriff er, daß es die Madame Euler seyn müsse, mit der die junge Schöne sich im Stillen so ernsthaft beschäftigen sollte.

Bei Tische war die Unterhaltung allgemein. Albertinen in ein besonderes Gespräch zu ziehen, gelang Alberten diesen [25] Abend weiter nicht, und so rückte die Stunde des Aufbruchs herbei, ohne daß er erfuhr, ob Albertine ihn genug auszeichne, um sein Wiederkommen zu wünschen. Denn als die Hauptacteurs des literarischen Klubs ihn zur nächsten Session einluden, gab sie durchaus kein Zeichen von Theilnahme; doch dünkte ihm, in ihrem lieblichen Gesicht sei ein holdes zustimmendes Lächeln aufgegangen, als der Onkel ihm treuherzig sogte: »ja kommen Sie, ich bitte, recht bald; da wollen wir den Andern einen Schmauß von unsern Reiseabentheuern auftischen. Ich bin weit gewesen, mein Herr von Ulmenhorst, und habe viel, viel gelebt. Ecce signum,« indem er mit gellendem Gelächter auf sein verfallenes Postament hinwieß.

Albert empfahl sich zögernd, immer noch etwas von Albertinen erwartend; sie war aber merklich stiller geworden, als ihre unholde Cousine Laurette einigemal mit schnöden Reden scharf über sie hingefahren war, und so mußte er endlich wohl gehen.

Unterwegs überdachte er dies artige [26] Abentheuer und that den kleinsten Vorfällen desselben Gewalt an, irgend etwas wohlthuendes für sein Herz heraus zu grübeln. Aber immer war es nichts weiter, als daß Albertine seinen Tiras gestreichelt, und da er jetzt gegangen war, das Fenster geöffnet hatte; ob, ihn noch mit den Augen zu begleiten, oder des Mondhellen Abends zu genießen, war und blieb dem angehenden Verliebten die große, ihm lange unbeantwortete, Frage.

3. Kapitel

Drittes Kapitel

Und Albertine? hatte sie nur in den Mond, nicht nach dem schönen Jäger gesehen? Wir wissen es nicht, und ihrer Freundin, mit der sie sich vor Schlafengehen ganz ruhig unterhielt, hat sie nichts davon vertraut. So gar kein armes Wörtchen sollte sie über eine neue interessante Bekanntschaft zu der Freundin ihres Herzens gesagt haben? Da wäre sie ja die einzige junge Dame auf [27] Erden, die nicht Stunden lang Bemerkungen über so etwas mitzutheilen hätte. Albertine ließ sich aber wirklich nichts weiter verlauten, als daß Ulmenhorst ein sehr rechtlicher junger Mann zu seyn schiene und durch sein Ausseres vortheilhaft für sich einnähme. Das war es alles, guter Albert. Deine reizende neue Bekanntschaft hatte kein Herz und keine Hand mehr zu verschenken, wärest du auch der heilbringende Engel Gabriel gewesen. Hand und Herz gehörten ihrem Louis, dessen Gattin sie schon in ihrem siebenzehnten Jahre geworden war. Der über Deutschland losgelassene Krieg hatte ihn seit zwei Jahren von ihrer Seite gerissen und seit dem die Deutschen Armeen sich Frankreichs Grenzen genähert hatten, waren alle Nachrichten von ihm ausgeblieben; sie schwankte zwischen der grausamen Alternative, ob er gefangen oder bei dem Überfall von Bitsch geblieben sei? Sie konnte das tödtende Schweigen nicht erklären. Da alle Erkundigungen fruchtlos blieben, mußte sie sich beinahe für [28] eine Witwe halten, wogegen ihr Gefühl allmächtig strebte und ihr ganzer jugendlicher Frohsinn nicht Stich hielt.

Bei seinem Ausmarsch hatte er Albertinen, sein Liebstes auf Erden, gebeten, ihrer großen Jugend wegen nicht allein in dem großstädtischen fluthenden Leben zu bleiben, sondern sich zu ihrem Bruder, der ein artiges Gut besaß, auf das Land zu begeben. In diesen Augenblicken höchster Wehmuth hätte Albertine in einen Aufenthalt bei den Kamtschadalen gewilligt; auch erschien es dem jungen zarten Gemüth so idyllenhaft süß, im stillen Hain einsam um den Geliebten zu trauern. An den Winter hatte sie nicht gedacht; auch war es ihr in der ersten bangsten Periode der Trennung, köstliche Nahrung ihres Grams, allein in den weiten Fluren umher zu irren und auf Philomelens Klagetöne zu lauschen. Wie sich in der Welt aber alles abnutzt, so auch durch zu häufige starke Anspannung der finstere Gram des jungen achtzehnjährigen Weibes. Der Hain wurde ihr zu still; [29] die Fluren zu öde und Philomelens ewiges Klaglied zu eintönig. Kurz, sie sehnte sich zu Menschen zurück. So fand sie sich, halb beschämt, daß es so war, nach und nach wieder bei der Gesellschaft ein, die ihr dann auch bald gar zu beschränkt, zu einförmig, doch gar zu still häuslich erschien.

Dem liebenden Bruder entgingen diese Übergänge nicht, so leise sie auch angedeutet wurden. Er bemerkte sie um so mehr ungern, da seine übellaunige Gattin das ihrige dazu beitrug, Albertinen ihre Lage bei ihm zu verleiden.

Überdem hatte Albertine durch den frühen Verlust ihrer Eltern, zeitig die Vorzüge der Unabhängigkeit kennen gelernt; sie war ihrer regsamen Natur, die sich nirgends gehemmt fühlen wollte, Bedürfniß geworden, und jede Beschränkung dünkte ihr ein Leiden zu seyn, dem sie sich nothgedrungen unterwarf. Von ihrer Ehe hatte sie nur erst das Flatterjahr genossen und noch wenig von dem, in der Natur der Sache gegründeten, Übergang des unterwürfigen [30] Liebhabers zum despotisirenden Eheherrn erfahren, in welcher Periode der schöne Jugend-Traum des Lebens seinen poetischen Schwung einbüßt und bei einem höchst prosaischen Erwachen zerflattert. Die schöne jugendliche Schwärmerin war durch die frühe Trennung vom Geliebten, auf ihrer Höhe erhalten worden, und jetzt war sie durch eine frostige Häuslichkeit im Sinken begriffen. Albertinen war die Vorstellung eines so entseelenden Zustandes unerträglich; deshalb hatte sie in ihrem Köpfchen einen neuen Lebensplan ausgebrütet.

Der Verstellung unfähig, erklärte sie ihrem Bruder ganz unverholen, daß die Einförmigkeit des Landlebens und der üble Humor seiner Frau zwei Dinge wären, die, durch ihren Verein, ihr das Leben verbitterten. Sie wünsche zum Onkel in die Stadt zu ziehen.

Ferdinand hatte eine solche Eröffnung längst gefürchtet, und doch fühlte er sich jetzt, wie so ganz unvorbereitet; er sahe die Schwester schweigend und gerührt, fast bis [31] zu Thränen gerührt, an. Süß schmeichelnd schlang sie ihren Arm um ihn. »Siehst du es nicht gern?« fragte sie, ihn freundlich ins Auge blickend. »Mir wird die Zeit gar zu lang und deine Louise ist den lieben langen Tag durch immerfort so knurrig. Dich habe ich herzlich lieb, und nähme dich gern mit.«

»Albertine, so entschieden sehe ich dich, uns zu verlassen!« – Sie sah ihn betroffen und unentschlossen an. Ihr kleiner Lebensplan war entworfen und ihr durch Aussichten und Verhältnisse mancher Art, die sie künstlich genug hinein gewebt hatte, lieb geworden. Bei dieser Malerei bedient sich der feine weibliche Sinn, gewöhnlich der hellsten Rosenfarbe, sich seine Zukunft zu decoriren, die jugendliche Hoffnung leiht ihr glänzendes Grün dazu und ungern giebt die angeregte Phantasie solche Gebilde auf. Und hat nicht selbst das Helldunkel einer ungewissen Zukunft oft mehr Reiz und Interesse, als die gefälligste Gegenwart?

Albertine liebte, wie gesagt, den Bruder aus Herzensfülle. Seine Traurigkeit ging [32] ihr nahe. Ihr Plan war ihr doch aber auch schon gar zu lieb geworden. »Ich möchte bei Dir, aber auch in der Stadt seyn,« wiederholte sie einige Male aus beklemmter Brust.

»Wäre es nur nicht eben bei Onkel Dämmrig, liebe Albertine!« – »O der Onkel ist, bei mancher Schwäche, doch gut und bieder und hat mich recht lieb.« – »Auch die Madame Rosamunde Wintergrün?« »Sieh nur, lieber Ferdinand, an die habe ich freilich auch schon gedacht,« fiel Albertine rasch ein, wobei sie recht weise aus ihren lieben Äugelchen blickte. »Sie ist freilich nicht die Beste und begegnet dem armen Onkel nicht aufs Beste, ist obendrein des Onkels – was man nicht gern sagt, aber dafür ist die Seelengute Tante Elise da – Und die Cousine Laurette. Laurette? Hm, mit der will ich mich schon vertragen. Zankt sie, so scherze ich und bringe ihre Sarkasmen in Liederchen.«

»Möchtest du meiner Louise eine solche Nachgiebigkeit widerfahren lassen. Doch [33] ich will dich nicht in Verlegenheit setzen; dein leichter Sinn mahlt dir jene Lage nur zu reitzend, deren bedenkliche und ernste Seite dir zu zeigen mir Pflicht ist.«

Ernst und bedenklich! Das war es nun eben, wobei unsre junge Freundin gar nicht gern zu verweilen pflegte. »Ich bitte, lieber Ferdinand, erkläre dich; aber – fügte sie leise hinzu – schone ...«

»Louis! und der Respect für dich selbst, kann meiner Albertine beides je gleichgültig werden? Jene Weiber, welchen du dich zugesellen willst, machen von Seiten der Achtung wenig Ansprüche an die Gesellschaft; sie geben und empfangen wenig. Ihre Losung ist, sich zu amüsiren; das erreichen sie ohne großen Aufwand von Kräften; zu den momentanen Unterhaltungen reichen sie mit ein Paar bon mots, einem Paar gut erzählter Neuigkeiten des Tages aus, die sie hundertmal anbringen können. Sie haschen nach allem, was ihrem dunklen Triebe, sich selber zu entfliehen, entspricht. Es ist ihnen alles, zu diesem Ziele zu gelangen, [34] gut genug. Deine jugendliche Unerfahrenheit werden sie mit hochtönenden Worten von gesellschaftlicher Toleranz, Humanität, Selbstständigkeit, Verachtung der öffentlichen Meinung, einwiegen; deine Achtung für Zucht und Sitte werden sie eine pedantische veralterte Ansicht der Welt, blinde Anhänglichkeit an conventionelle Formen nennen; sie werden dir von der reinen Menschheit der Alten vorreden, zu deren jugendlichem Weltzeitalter wir weder zurückkehren können noch dürfen.«

Albertinen ging es, wie es mancher meiner Leserinnen bei Ferdinands Tirade gehen wird; ihr wurde sie zu lang und sie sagte ganz rasch: »ach du siehst auch alles gar zu schwarz, lieber Ferdinand; ich habe noch wenig von der Welt gesehen; aber ich denke sie mir weder wie ein Elysium, noch wie eine Hölle. Ich möchte gern Menschen sehen, möchte meiner Jugend mich freuen, möchte frei wählen können, da meine Lage mir es gewährt.« – »O Albertine, und das alles kannst du bei mir nicht! Ich [35] fühle, du hast Recht; aber Louis, der dich mir übergab, hat sein vielleicht unglückliches Loos, ihn um alle Rechte auf seine Zustimmung zu deinen Planen gebracht? oder meinst du, daß er sie billigen würde?« –

Albertine brach in helle Thränen aus. Sie warf sich ihrem Bruder um den Hals und weinte laut. Sie liebte ihren Louis treu und herzlich; aber er war doch nun. einmal nicht da; Albertine war noch nicht ganz neunzehn Jahr, und man sage was man will, Gegenwart und lange Abwesenheit ist so gänzlich zweierlei, auch für den, der mehr als achtzehn Sommer sahe. – Ferdinand mochte die nemliche Reflexion gemacht haben; er ertrug überdem nicht leicht eine trübe Miene im lieblichen Gesicht der Schwester. »So wollte ich dein zartes Herz nicht brechen. Du hast meine Einwilligung und meinen Seegen, und dann so tröstet mich auch die Nähe deiner redlichen Freundin Euler, die dir alles ersetzen wird, was du in uns aufgiebst.« Im Herzen hoffte [36] Ferdinand, der Drang im jungen Gemüthe sollte sich wohl legen, wenn seine Frau nur erst mit darein spräche.

Louise that's bei Tische, aber ganz nach ihrer bittern Weise, bei der es recht merkbar wurde, daß sie ihre Schwägerin je eher je lieber los zu werden wünsche. Ferdinand sah leicht, daß er einen zwiefachen Kampf gegen geliebte Personen immer von neuem werde beginnen müssen; er resignirte sich also, da er sah, daß Widerstand nur mehr reitzen werde.

Bei dem nächsten Spatziergange flossen die Geschwister in herzlicher Wehmuth über. Die Anstalten der Reise waren, wie man denken kann, emsig betrieben worden, und in wenig Tagen sollte sie vor sich gehen. Ferdinand sprach mit eindringender Innigkeit über Albertinens künftige Lage und Verhältnisse. Seine Ansicht des großstädtischen Lebens, in dem auch er sich wacker umhergetrieben hatte, war freilich grell, aber zum Theil richtig. Die Häuser der Großen und [37] Reichen, nannte er Treibhäuser, worin die Jugend zur Frühreife gezogen wird und meist vor der Reife abwelkt und verschrumpft; ihm waren sie das Grab zärterer Weiblichkeit, die Zerstörer jugendlicher Tugend. Er bat Albertinen, sich nicht so zu einer permanenten öffentlichen Erscheinung herabzuwürdigen, daß sie in ihrem zwanzigsten Jahre nicht etwa schon so ein Alltagsvögelchen sei, auf das jeder, bei jeglichem öffentlichen Anlasse sicher rechne, zu dessen Ansicht man Fremde einladen könne, weil es gewiß nirgends fehle. Im Heiligthum des Hauses wirkt, lebt und liebt das Weib, und wo es zu erscheinen würdigt, muß es Ehrfurcht einflößen. So denk' ich, denkt und fühlt dein Louis, so wünschen wir, daß unsre Albertine fühlen möge.

Albertine verhies alles mit Kuß und Handschlag, noch als sie, in Wehmuth aufgelößt, in den Wagen stieg und Ferdinand ihr nur noch die Worte zuzurufen vermochte: »bleib gesund an Leib und Seele, meine Theure!«

[38] Die Abwechselungen der Reise besänftigten ihren Schmerz, so daß sie in leidlich heiterer Stimmung bei Onkel Dämmrig ankam.

4. Kapitel

Viertes Kapitel

Der Neugier aller, die an Frau Rosamunds Theetisch zu radotiren pflegten, in Ansehung der kleinen Dorf Cousine auf einmal zu gnügen, waren sie zu einer ausserordentlichen Session eingeladen worden, bei welcher Herrn und Damen in ihrem besten geistigen und leiblichen Putz erschienen. In ihrer Einfachheit geschmückter als sie alle, die After-Griechinnen, trat Albertine mit dem Anstand einer Grazie aus dem Zeitalter des Praxiteles in ihren Kreis ein.

Bescheiden erröthend nahm sie ihren Platz unter dieser drolligen ästhetischen Genossenschaft, durch deren hochtönendes Wortgeklingel bei dem ersten Anklange dieses vielbesaiteten verstimmten Instruments, sie [39] sich sogleich auf immer zurück gestoßen fühlte

Herrn und Damen ließen es sich angelegen seyn, Albertinens Sinn für's Große und Schöne durch allerlei verfängliche Fragen und naseweise Zudringlichkeiten zu mustern und zu prüfen. Nebenher ließen sich Herrn und Frauen, jedes in seinem Sinne, auch ganz menschlicher Weise herab, ihre körperliche Bildung, sammt Kleidung emsig, nach gemeiner Weiber Weise, zu mustern. Aber zu ihrem Leidwesen entdeckten sie, besonders an ersterer, durchaus keinen Fehl an ihr.

Tante Elise, die jetzt eben fünf und vierzig Sommer sahe, schloß sich freundlich an das junge Mümchen, fragte um ihre Herzensangelegenheiten, sprach viel von ihrem eigenen Herzen, das zu ihrem eigenen Unglück zu weich und hingebend sei; sie werde nie in der Liebe glücklich seyn. Sie wimmerte, daß der Wurm der Zeit die Lust der Seele stäche; es sei ein Elend, daß die Freude das Menschenherz so mit Schmerz [40] bestreuen könne. Wenn sie so im Ton der Zeit sprach, sah Albertine die Tante mit großen Augen an; besser verstand sie es, wenn die gute Verbildete, mit dem jungen Gemüthe, ihr eignes Jugendleben noch einmal durchempfinden wollte, und ihr aus ihrer Werther-Periode das Schnupftuch zeigte, das, noch ungewaschen, welke Rosen einhüllend, da lag, worein sie Werthers und Lottens Leiden so heiße Thränen geweint hatte. Auch war sie so glücklich, unter ihren heiligsten Besitzthümern einen Zahnstocher aufzubewahren, welchen der Dichter bei einer Gasterei auf der Tafel hatte liegen lassen und den sie mit schwerem Gelde von einem Marquer erstanden hatte. Die gute Elise sprach den Namen Göthe stets mit heiligem Schauer, wie den, einer ersten Liebe, aus. Dies war beinahe der einzige Berührungspunct zwischen ihr und ihrer Nichte, die den großen Dichter innig kannte und verehrte, obschon sie eine sehr verschiedene Ansicht damit verband.

Laurette, die dem Onkel Dämmrig als [41] ein Vermächtniß eines im Handel verunglückten Bruders zugefallen war, fuhr über alles, insbesondere aber über diese Grillen ihrer Tante, die ihrer rauhen Natur gar nicht eingingen, mit der Schneide ihrer bittersten Kritik her. Albertine fand sie ihrer Bemerkung, wie sie sagte, ganz unwerth; indeß ergrimmte sie doch ganz unphilosophisch im Geiste, als ihr Verehrer Wassermann, dem sie auch das Leben gallenbitter machte, Albertine eine ganz artige kleine Erscheinung hieß.

Onkel Dämmrig, das Oberhaupt dieser curiosen Sippschaft, amüsirte sich vortrefflich mit dem verschrobenen Zeuge, wie er diese allerneuste Cultur zu nennen pflegte. Er selbst war auf der Stufe der Bildung, die er in seinen jüngern Jahren erreicht hatte, stehen geblieben, und hielt steif und fest sowohl an dem wirklich Schönen jener Periode, an dem jungen Tage, der zu der Zeit über Deutschland aufgegangen war, als auch an der unglücklichen Mischung deutscher Kunst und gallischen Witzes. Wenn [42] er darüber sprach, sagte er oft, zum großen Skandal seiner Gesellschaft, den Anfang eines alten Kirchenlieds: »Der Tag der ist vergangen, die Nacht ist vor der Thür. Die Sonne ist untergegangen in den Wasserfluthen der neuern Poesie. Kinder! jenes erste war der ächte Wein, dieses ist der Coffent.« »Das verstehen Sie nicht, mon cher,« sagte dann Frau Rosamund, »Sie sollten sich doch endlich resigniren, daß es Dinge giebt, welche Sie nicht begreifen;« und so ließ er sich gewöhnlich bedeuten und lenkte wieder ein.

Onkel Dämmrig war im Ganzen kein schlimmer Mann, und bei weitem besser, als er scheinen wollte; denn es kam ihm vornehm und über alle Maßen galant vor, so, als die wahre verknöcherte Sinnlichkeit, zum Beispiel für andere dazustehen Er war ein Reichgeborener. Als ein solcher hatte er seine Kindheit und Jugend verlebt; als ein solcher war er auf Reisen gegangen, Empfehlungsschreiben nach London, Paris und Wien benutzend; als ein solcher hatte er [43] sich endlich in seiner Vaterstadt niedergelassen, einen Theil seiner besten Jahre durchgeschwärmt, bis ihn die Welt frühe auf ihre große Invalidenliste eintrug.

Jetzt glaubte er eine gewisse Höhe des Lebens erreicht zu haben, von welcher er, erfahrungsreich, mit großer Beruhigung in die verlebten Jahre zurücksehen könnte, denn er hatte ja wirklich nicht alles das Böse gethan, wozu ihn sein Reichthum und großer Wirkungskreis aufzufodern geschienen hatte. Nie hatte er den goldenen Regen bei den Danaen gespart, und waren durch seine Sorglosigkeit die lebendigen Folgen seiner Unordnungen, der Dürftigkeit und Schande Preis gegeben; so gab er ja doch auch viele Thaler an die öffentlichen Armenanstalten, wovon auch sie ihre Spende erhalten konnten; überdem beschenkte er ja seiner Schwester und Brüder Kinder mit allerlei entbehrlichen Kleinigkeiten.

Als ihn die Welt nun allmählig verließ, und die Tage eintraten, von welchen es heiß: »sie gefallen uns nicht!« als Gicht [44] und Podagra den raschen Lauf seiner Füße hemmten, wurde es ihm erinnerlich, daß er in seiner Jugend die Religion als ein Spezifikum in Leiden hatte anpreisen hören; er machte also einige schwache Versuche, sie aus der Rüstkammer seines Gedächtnisses hervorzusuchen. Er nahm eine Bibel zur Hand, freute sich, daß der fromme David beinahe eben so tolle Streiche gemacht hatte, als er selbst; las von der keuschen Susanna und der schönen Königin Esther, und vertiefte sich endlich so in das hohe Lied, daß er sich gar weltlich dabei gesinnt fühlte, und vor der Hand das Bekehrungswerk noch einmal wieder zur Seite legte.

Waren dergleichen Anfälle überstanden, so existirte der 48jährige Greis ganz heiter, in der Erinnerung abgeschiedener Freuden. Besonders hatte er sein eignes Vergnügen, wenn Wassermann den Damen seines Hauses über die Hetären der Griechen demonstrirte, und was das für ein herrliches Leben gewesen sei, als noch nicht die kleinlichen Gesetze eines kleinlichen Anstandes [45] eingeführt waren, die, leider Gottes! auch bei den gebildetsten Frauen nur noch zu viel gälten. Da erinnerte sich dann unser Dämmrig recht lebendig an Phillis und Doris, und Lalage und Chloe, die er in seinem goldnen Frühling recht elegisch bewundert hatte; seine alten Frequenzen machten ihm jetzt noch recht herzliche Freude.

Stärker, als alles andere, mahnte ihn an seine Jugendsünden Madame Rosamund Wintergrün. In einer seiner bußfertigen Perioden hatte sich ihm die Vorstellung häuslicher Freuden und weiblicher Umgebung aufgedrungen Heirathen? Alles, nur das nicht; eine so kalte, langweilige Episode in sein Freudenleben schieben: nein; das ging nicht! Aber eine Herzensfreundin, die es mit der Ehre und dem ganzen weiblichen Plunder von gutem Namen und Wohlstand nicht gar zu genau nimmt, so eine besaß er schon in Rosamund, einer der gewandtesten und leichtfüßigsten Schülerinnen Terpsychorens bei der großen Oper. Auch sie hatte so reinen Moment [46] der Zerknirschung zu überstehen, indem eine ihrer bedeutendsten Freundschaften in der Auflösung war. Zwar verachtete sie, die in Absicht des Ranges sehr verwöhnt war, von ganzem Herzen den bürgerlichen Amanten; doch waren ihre Aussichten in diesen Herbsttagen ihres Lebens zu trübe, als daß sie nicht ein freudiges Ja! gesagt hätte, als er das Anerbieten that, sie zur unumschränkten Besitzerin seines üppigsten Wohlstandes zu machen. Weil sie es aber Ehren halber für ihren guten Namen bedenklich fand, bei ihm zu wohnen, entschloß er sich, ihr seine Schwestern Elise und Laurette als Ehrenretterinnen zur Seite leben zu lassen.

Rosamund war des Herrschens über eine Schaar demüthiger Verehrer allzu gewohnt, als daß sie nicht sogleich versucht haben sollte, sich ihrer weiblichen Umgebung ganz zu bemächtigen. Mit Elisen, diesem süßen, geschmeidigen Wesen, gelang es ihr sehr leicht; schwerer machte Laurette ihr den Sieg. Doch erlag auch diese endlich dem feinen Gifte der Schmeichelei und dem steten [47] Lobpreisen ihrer erhabenen Geistesqualitäten, so daß endlich dieses Kleeblatt so ungleichartiger Naturen, gleichsam in einander verwuchs und ein seltsames Ganzes darstellte, das mit vereintem Treiben, jedoch jedes sein besonderes Interesse der Eitelkeit durchsetzte.

Das Wohlleben und die Eleganz, worin sie einen guten Geschmack zu legen verstanden, zog bald ein leichtes Völkchen um sie zusammen, das so eben gut genug war, sie zu amüsiren, und auch wieder nicht gut genug, sich an dem etwas schwankenden Rufe seiner Gönnerinnen zu stoßen; wie es denn überhaupt zum Amüsements-System der schönen Welt gehört in Absicht der Sittlichkeit alles fünf gerade seyn zu lassen. Die trefflichsten Weiber werden dann nur erst bemerkt und vorgezogen, wenn sie einen notablen dummen Streich gemacht haben.

Diese Cotterie wurde bald ein Cirkel, und zwar anmaßlich ein ästhetischer, weil einige junge, Schöngeisterei treibende Herren [48] hier ihre Schwungkraft übten, ehe sie sich in höhere Regionen wagten.

Wir haben unsre junge Freundin in diesen Kreis eingeführt gesehen, und müssen sie uns nun betroffen und mit gesenktem Blicke da sitzend denken. Ihr reines, ihr frommes Herz, ihr wahrhaft jungfräulicher Sinn, dem hier nichts zusagte, fand gleich bei ihrem Eintritte nur zu viel Anlaß, den raschen, kecken Schritt zu bereuen, den sie gethan hatte Von allen Seiten wurde sie mit Fragen bestürmt, für welche sie keine Antworten hatte; oder sie zu geben, zu bescheiden war. Tante Elise, die überall dem Drange ihrer Göthe's-Existenz nicht widerstehen konnte, fragte ganz zart und liebend, ob die liebe Nieçe diesen Gott unter den Dichtern wohl kenne? »Sie sind seltsam, Tante!« rief Laurette dazwischen, »Ansprüche der Art an unsere Verwandtin zu machen; sie hat auf ihrem Dorfe wohl schwerlich andere Poesie, als aus dem Gesangbuche der lieben Gemeine kennen gelernt. – Diese Menschen – [49] ach Gott! sie dauern mich! – sie müssen sich an die trivialsten Trivialitäten halten! Diese rohen Naturkinder! und was giebt's gemeineres, als die rohe Natur, mit der sie sich ganz umgeben, um in ihrer Plattheit unterzugehen. Manches ließe man in der Natur freilich so hingehen, in so fern nemlich ihre Kenntniß die Grundlage höherer Geisteskultur wird; aber gestehen Sie, Tante! giebt es zum Beispiel etwas Gemeineres, als dieses ewig einförmige Zirkeltreiben der Jahreszeiten! Was ist in diesen gemeiner, als der Winter? Wo ist ein krasserer Begriff, als ein Gewitter? – Sieht man nicht hier schon offenbar, daß die Welt nur ein erster Versuch von einem Etwas ist, das es nicht besser zu machen verstand?«

»Ganz anders wäre sie gerathen, hätten wir sie zusammengeknetet!« rief ein junger Herr, Lauretten persiflirend. – »Freilich!« entgegnete sie ganz feierlich; »denn es ist weder Philosophie, noch Geschmack in dem Dinge.«

[50] »Gott sei mir gnädig!« seufzte Albertine; »Sie rezensiren den Schöpfer!« – Indeß wurde sie bald durch Rosamunden in ihren stillen Betrachtungen gestört, die zu viel Lebensart hatte, um in Gesellschaft zu beleidigen; daher nahm sie den Faden des Gesprächs wieder auf, und fragte Albertinen sehr freundlich, ob sie wohl etwas von dem Dichter, von welchem eben die Rede gewesen sei, gelesen habe? – »Ich weiß nicht, ob ich sagen darf, alles; aber sehr viel las ich von ihm, ehe ich zu meinem Bruder auf's Land ging. Meine liebe Cousine scheint nicht zu wissen, daß ich nur den kleinsten Theil meines Lebens auf dem Dorfe lebte, und daß auch da mein Bruder und viele der Nachbarn schätzbare Bibliotheken besitzen, aus welchen zu schöpfen, mir erlaubt war.«

»Liebes Kind! das Lesen allein thut's nicht!« sagte hier Laurette boshaft. »Verstandest du auch, was du lasest? möchte ich hier, wie Paulus den Kämmerer, fragen.«

Wassermann schlug eine helle Lacht auf [51] und rief: »O pfui! pfui! wie kann Jemand, der Anspruch auf Geschmack macht, aus der Bibel citiren! Pfui, Mademoiselle, wie können Sie uns das thun?« –

»Persiflirend ist's erlaubt,« entgegnete Laurette. – »Ach Gott! ach Gott!« seufzte Albertine. Ihr liebes Herz erlag in Wehmuth.

Tante Elise fühlte fein genug, sich in Albertinens Verlegenheit versetzen zu können. Sie machte sich also an sie, und indem sie das arme Kind vom allgemeinen Gespräch abzog, drang sie in sie, sich zu erklären, welches von Göthe's göttlichen Erzeugnissen sie vorziehe, in welcher seiner herrlichen Schöpfungen sie sich ganz heimisch fühle. – Aus Albertinens Antworten fand sich's bald, daß sie mehr als einheimisch in diesen Schöpfungen war, daß ihr Sinn sie mit Geschmack und Geist durchdringe, ob sie gleich den großen und liebenswürdigen Dichter nie zum Aushängeschilde ihrer Kultur mißbrauchte.

[52]

5. Kapitel

Fünftes Kapitel

Albertinens leichter Sinn und trefliches Herz ließen freilich ihre Mißbilligung nie in Bitterkeit übergehen. War aber die Verstimmung zu unleidlich, so flüchtete sie zu ihrer Freundin Euler. Neben so vielen verzerrten Physiognomien wird es uns wohl thun, die Bekanntschaft dieser angenehmen Frau zu machen.

Henriette war die einzige Tochter einer angesehenen bürgerlichen Familie. Mit ihres Vaters Tode sank sie von ihrem Wohlstande, der sich nur auf ein hohes Gehalt gegründet hatte, so merklich herab, und der ganze Mückenschwarm der Tischfreunde, die der Sonnenschein des Glücks herbeigezogen hatte, verschwand plötzlich Henriettens Mutter überlebte ihren Unfall nicht lange, und die liebenswürdige Waise wurde zu einer alten, abgelebten Verwandtin gegeben, die sich um ihre Pflegebefohlne gar nicht bekümmerte, wenn diese sich ihre elende [53] Kost durch den angestrengtesten Fleiß wohl verdient hatte.

Zur Zeit des Wohlstandes war die im elterlichen Hause schön aufblühende Henriette der Gegenstand mancher flüchtigen Verehrung gewesen. Wenn diese Schmetterlinge aber inne wurden, daß sich ihnen die keusch geschlossene Blüthe nicht üppig hinneigte, so flatterten sie von dannen; denn nie wird eine sittsame Schönheit, welche die laute Bemerkung vermeidet, zur unglücklichen Ehre, die Schönheit des Tages zu werden, gelangen. Sie hatte aber zu wenig Vermögen, als daß ihr heller, gebildeter Verstand und ihre erworbenen Talente ihr einen beständigen Verehrer hätten gewinnen können.

Indem dieses nicht geschah, wurden Henriettens heißeste Wünsche erfüllt. Sie hatte die Liebe ihres schönen Herzens einem Jünglinge zugewendet, der in der That auch so, wie wir ihn gekannt haben, ihre innigste Zuneigung zu verdienen schien. Seine Armuth hatte ihn zu einer Schreiberstelle [54] bei Henriettens Vater herabgewürdigt. Man sagt, körperliche Vorzüge pflegten junge Männer eben so eitel zu machen, wie junge Mädchen. Wenigstens war dies der Fall mit unserm Karl Euler, der seiner Schönheit mit aller Sorgsamkeit einer vollendeten Kokette pflegte. Diese Frivolität entging Henrietten um so mehr, da sie Karln nur immer in dem Verhältnisse eines Untergeordneten sahe, da denn das Mitleiden dieser schönen Seele den Weg zur Liebe bahnte.

Nicht so entging Henriette dem gefährlichen Spiele seiner brennenden, schwarzen Augen, worin er vor seinem Spiegel ein Meister geworden war. Henriette beging den für ihr ganzes Leben entscheidenden Fehler, dieser unwürdigen Koketterie des Jünglings nicht jene kalte Würde entgegen zu setzen, womit sie so glücklich alle Geckerei aus ihrer Nähe verscheucht hatte. Der arme junge Mensch könnte es für Verachtung halten, dachte sie. Aber kein anderer war's, als der Bube Amor, der ihr diese [55] kleine Heuchelei eingab. – Karl spürte jedem Schlage ihres Herzens, jedem ihrer unterdrückten Seufzer nach; und wenn er seine unwiderstehlichen Reize mit in Anschlag brachte, schien ihm Widerstand selbst bei einer Henriette unmöglich. Leider hatte er nur zu richtig geschlossen! Henriette gestand nach einigem jungfräulichen Weigern, daß sie ihn allen Männern vorziehe, und verhieß, was auch sein oder ihr Loos seyn möge, die Seinige zu werden.

Als nach ihrer Eltern Tode sie, so zu sagen, sich selbst überlassen war, würde sie gern den feierlichen Bund geschlossen haben; denn obschon Karl nur vom Abschreiben lebte, wandte sie doch jetzt ihr Talent, die Malerei, zum Broderwerb an; und da sie durch den Meister, dem sie seine Kunst ablernte, viel Bestellungen nach Rußland und Polen hatte und in der Landschafts- und Blumen Malerei immer bedeutendere Fortschritte machte, so glaubte sie einen genügsamen Haushalt versorgen zu können.

So rechnete die 18jährige Henriette. [56] Der 22jährige Karl hingegen so: »Henriette ist die Gutmüthigkeit selbst; sie wird sich nicht weigern, das, was sie zu einer Haushaltung zureichend hält, zu anderm Endzwecke herzugeben. Ich will, ehe ich eine so ernsthafte Verbindung eingehe, meiner Jugend genießen.« Und so genoß der unwürdige Jüngling, und verschwendete auf eine Weise, worüber sein guter Engel weinte, das mühsam erworbene Geld der Geliebten, die es als nöthigen Aufwand bei Bewerbung um irgend eine Stelle angewendet, glaubte, indeß er sie unter dem Vorwande hinhielt, keine Stelle sei ihrer werth.

Es verging ein Jahr nach dem andern unter diesen schwankenden Aussichten auf künftige Versorgung für Henrietten; und immer noch verlor sie den Glauben an Karln nicht so bedeutende Winke sie von vielen Seiten her erhielt. Daß er, ihrer Hand auszuweichen, nicht versorgt seyn wollte, fiel der treusten Seele auf Gottes Erde nicht ein. Und hatte sie irgend eine bekümmernde [57] Nachricht über sein geheimes Verhalten gehört, so glaubte ihr zartes Gemüth ihm für den momentanen Eindruck, den es auf sie gemacht hatte, Ersatz schuldig zu seyn; sie entzog sich irgend ein nothwendiges Bedürfraß (denn andere befriedigte sie nicht), ihm eine Freude durch irgend ein kleines Geschenk zu machen, welches er gewöhnlich kalt annahm und oft noch an demselben Abend, irgend einer Unwürdigen einen freundlichen Blick abzugewinnen, zum Opfer darbrachte.

Karl hatte von Henriettens Fleiß so geschwelgt und seiner Jugend so reichlich genossen, daß er endlich auf die Hefen gekommen war. Er erkrankte und fühlte jetzt mit Schrecken, daß er einer treuen Pflege bedürfe, die er nicht verdiente. Henriette weigerte sich keinen Augenblick ihm zu gewähren, was sie für ihre heiligste Pflicht hielt. Sie betrat die Schwelle des Krankenzimmers mit dem Geistlichen zugleich, der ihre Hand in die brennende Hand des Schwindsüchtig-Kranken legte, und sie für [58] die wenigen Tage seines Lebens mit ihm verband.

Wenige Tage vor seinem Hinscheiden beging er die, wie er es dafür hielt, pflichtmäßige Grausamkeit an der Armen, ihr ein vollständiges Bekenntniß aller seiner Treulosigkeiten gegen sie abzulegen. Sie gab die Zusage ihrer herzlichen Verzeihung unter Strömen von Thränen. Nach einigen Tagen starb er, und ihr Gram war gemäßigter, als er vielleicht ohne dies unglückliche Bekenntniß gewesen seyn würde.

Aber jetzt erst wurde die unerträglichste Bürde des Kummers über ihr Herz hingewälzt. Zu ehrlich, um irgend Einem Unrecht zu thun, übernahm sie das Schuldenregister des Verstorbenen mit Aufopferung ihrer ganzen Haabe zu tilgen. Bei diesem Anlasse sahe sie Briefschaften und Rechnungen durch, die ihr ein schreckliches Licht über die Verirrungen des Verstorbenen gaben. Sie war das Spiel des Mannes gewesen, dem sie so viel hingegeben hatte, und nie hatte er es erfahren, daß sie zwei sehr annehmliche [59] Parthien, nach ihrer Eltern Tode, seinetwegen ausgeschlagen hatte. Aber ihr wahrhaft religiöser Sinn entbrannte nicht über die Vergehen des Einzelnen; doch härmte sie sich über die allgemeine Gebrechlichkeit, der sogar eine Natur, wie die ihres Karls, unterliegen mußte.

Allem zu genügen und allen Recht widerfahren zu lassen, arbeitete sie jetzt strenger, als je. Ihre Arbeiten erhielten durch ihre individuelle Lage einen sehr anziehenden Karakter, der die zarteren Saiten menschlichen Gefühls höchst lieblich berührte. Um diese Zeit wurde Albertine ihre Schülerin und ihre Freundin. Der Unterschied der Jahre hinderte nicht den Einklang dieser gleichartigen Naturen. Die ältere Freundin bewunderte neidlos die sich schön entfaltenden Geistesblüthen der jüngern: und die jüngere erndtete freudig die reiferen Geistesfrüchte der ältern ein.

Dies war das Herz, zu dem Albertine sich flüchtete, wenn das Mißfallen an ihrer Umgebung ihrem Frohsinn gefährlich zu [60] werden drohete. »Ach, Henriette!« seufzte dann Albertine. »Diese Menschen sind erbärmlich verschroben!« fiel ihr Madame Euler in's Wort; »und halten sich obenein für eminente Naturen, die uns armen Menschen Pöbel unbegreiflich sind. – Aber – wir wollen sie schon begreifen, und dann sollen sie uns eine lustige Stunde machen!«

6. Kapitel

Sechstes Kapitel

Die schönen Sommertage waren dahin, und schon erinnerte die frühere Dämmerung und der nebelartige Thau, der sich Abends auf die Fluren senkte, daß der Herbst nahe sei, und die Familie zur Stadt zurück kehren werde.

Albert war indessen um kein Haar breit weiter mit Albertinen gekommen. Sie war sich immer gleich: offen, ehrlich, ohne Kunst; und eben dies war die Ursache, daß es ihm schien, als sei ihr mit Liebe, die gern kleine Schleifwege einschlägt, und in mysteriösen [61] Lauben weilt, gar nicht beizukommen. Ihr Thun und Treiben war so kindlich offen, und doch so klug, daß Albert sich in ihrer Nähe wie durch tiefe Ehrfurcht gebunden fühlte; denn auch er war grad' und bieder; seine Bescheidenheit war wirkliche Bescheidenheit, nicht Linksheit oder Blödigkeit, die jungen Männern ohne Gewandheit und Talent zum geselligen Leben, so oft den Ruf der Bescheidenheit zu Wege bringen.

Albertinens Umgang nicht zu entbehren, hatte er es sich gefallen lassen, ein Mitglied des ridicülen Klubs zu seyn, wobei ihm aber nicht lange gestattet war, eine müßige Rolle zu übernehmen. Ein jeder sollte etwas vorzulesen bringen, und Wassermann bestand mit so stark vorblickendem hämischen Triumph. Albert solle eigne Arbeit produziren, daß dieser sich endlich etwas finster und drohend entschloß, folgendes Mährchen der Gesellschaft zum Besten zu geben:

[62] Prinzessin Gräcula.

Ein Mährchen.


In dem weiten Gebiete der Phantasie lag ein großes, großes Königreich, welches noch kein Reisender entdeckt, kein Geometer ausgemessen und kein Geograph beschrieben hat.

Über dieses herrschte ein König, der im Kleinen sehr groß und im Großen sehr klein war; kurz, ganz so ein moralischer Krüppel, als hätten ihn schon, Jahrtausende hindurch, die Geschichtschreiber unter gehabt. Dieser König hatte eine Gemahlin; und wie es in allen Mährchen der Welt Sitte ist, hatte dieses königliche Paar denn auch keine Kinder. Doch ging der König darin von der alten Sitte ab, daß er sich ganz und gar nichts daraus machte. Unserm Fricando hätte das Mühe gemacht, und die armseligen 24 Stündchen Ruhe, die er sich täglich von seinen Regierungssorgen abstahl, verbittert. Außer vom Gesottenen und Gebratenen, nahm er von wenig Dingen [63] Notiz. Die Natur hatte für ihn nur in so fern Schönheit, als er sie sich wie eine weite, wohl versehene Speisekammer vorstellte. Seine Handbibliothek, woraus sein Hofzwerg ihm vorlas, bestand aus eitlen Verdauungsbüchern, nemlich Vademecums und Parodien, travestirten Trauerspielen und Münchhausiaden. So war unser erzgute Fricando! –

Ganz ein Anderes war's mit seiner Königin, der schönen Sentimentale. Sie nahm von allem, was war und nicht war, Notiz, und lebte und webte in Kunstgenüssen. Mahler, Zeichner und Künstler aller Art wimmelten so chaotisch in ihrem Schlosse, daß sie oft einander den Weg verrannten. Und Musik! ja, Musik tönte aus allen Gemächern; sogar am heimlichen eine Aeolsharfe. Die schöne Sentimentale bekümmerte sich um alles, was in ihrem weiten Reiche vorging; sie ennuyirte sich tödtlich erfuhr sie nicht gleich alles. Dem nun vorzubeugen, war ihr Schloß nach allen Richtungen hin mit Telegraphen umgeben, und [64] ein ganzes Heer Aeronauten stand auf ihren Wink bereit, ihr das Neueste vom Neuen zuzuführen.

Einst erwachte nach einer kurzen, sechsstündigenSieste unser Fricando sehr heiter. Sentimentale, [die unter andern auch eine Alterthumsforscherin war, und das Alte gern so dicht als möglich an das Neue schob,] war eben in der wichtigen Untersuchung vertieft, ob der Knauel, den Ariadne dem Theseus aus dem Labyrinth zu kommen gab, Seide, Baumwolle oder Zwirn gewesen sei? als sie durch ein unmäßiges Gelächter des theuren Gemahls gestört wurde. »Ha, ha, ha, ha!! –« »Nun?« – »Und noch einmal ha, ha, ha, ha! Das sollten Sie lesen, Madame Königin; es ist verteufelt amüsant!« – »Also wohl ein Kochbuch, weil es Euer Majestät so treflich vorkommt.« – »Nicht so anzüglich, wenn ich bitten darf, schöne Frau Königin! Es heißt – lies doch noch einmal den Titel, Zwerg!« – Der kleine Unhold las: »Der Grobian« eine Zeitschrift.

[65] »Sie haben keine Idee, Madame! was die Kerls sich göttlich herunterreißen. Eine Maliçe, ein Ingrimm, ein Hämischseyn – kein Lazaroni hunzt den andern so aus, wie dieses Geschlecht einander thut. Wessen Grobheit mich am meisten amüsirt, der hat für mich den Sieg errungen.« –

Sentimentale warf das Näschen auf. Den König verdroß, daß sie so wenig in seinen Geschmack einging, und er setzte hinzu: »in Ihrer philosophischen Hexensprache steht's freilich nicht. Aber so sind Sie immer. Was mir schmeckt, davorekelt Ihnen; es muß erst alles vergriecht werden, soll's Ihnen mundrecht seyn. Ihr guten Götter und Feen, was soll ich denn noch anfangen, Sie zufrieden zu stellen? Haben wir nicht die besten Köche? Ist unsre Konditorei nicht im besten Stande? Tönt nicht, bis zum übel werden, Musik um uns her? Haben Sie nicht in jeder Minute Gelegenheit, sich zu Tode zu tanzen?« –

Fricando sank nach dieser langen Rede erschöpft in's weiche Polster zurück; so lange [66] er lebte, hatte er noch nicht so lange haranguirt. – Mit großer Würde antwortete die Königin: »Was das alles für einfältige Reden sind! Schicken Sie erst den garstigen Zwerg fort; dann will ich hören, ob sie capabel sind, Raison anzunehmen.«

Fricando expedirte seinen armen kleinen Lector mit einem Fußtritt, wie so mancher treue Diener expedirt wird, der das Unglück hat, häßlich zu seyn und der Gebieterin seines Herrn zu mißfallen.

Jetzt stand Sentimentale auf und schritt mit königlichem Anstande das Zimmer umher, wobei sie schmerzvoll und höchst pathetisch in die merkwürdigen Worte ausbrach: »Ich ennuyire mich! Ich ennuyire mich! Ich ennuyire mich!«

»Potz Wetter, wie können Sie so dumm reden!« erwiederte nun seiner Seits Fricando, mit nicht minder hohem Anstande. »Haben Sie nicht Hoffräulein, so jung, wie sie von der Mutter kommen! Faseln Ihre Kämmerlinge nicht so schnakisch, wie nur irgend welche unterm Monde? Was soll [67] ich thun, das vertrakte Wort nicht mehr zu hören?«

»Machen Sie, daß es anders ist! Doch ein Wort, wie tausend. Ich thue einen Vorschlag, den Sie gewähren müssen. An der Grenze unsers Königreichs, wo der schöne Strom der Freude die Zuckerbergwerke bespült; in der Gegend, wo Euer Majestät eingemachte Pomeranzen und gebrannte Mandeln wachsen, wohnt in einer Grotte der Marzipangebirge der Genius Frivolo. Er ist Priester eines Orakels; das soll er befragen, warum mir, eben mir die Schmach der Kinderlosigkeit wurde? Denn das ist's, das sollen Sie wissen: Kinder will und muß ich haben; und sollte ich, gleich der königlichen Ananas, nur eine Frucht bringen und dann welken, so will ich die Seufzer meines Volks um einen Erben mir nicht länger durch meine Telegraphen zurufen lassen. Jede Zofe, jedes Hoffräulein bekommt richtig seine Erben, und ich allein soll meinen Dienerinnen zurückstehen? Noch kam, so höre ich, kein einsames Weib vom Frivolo [68] einsam zurück. Dahin, dahin, o mein Geliebter, laß uns ziehn!« fügte sie schmeichelnd hinzu.

Fricando schmunzelte und sagte ganz gutmüthig: »Wie heißt der Kerl? Hat er einen guten Mundkoch?«

Sentimentale hatte nun gewonnen. Dreimal durchküßte sie Etagenweise des Königs dreifaches Kinn und erzählte recht redselig alle die schönen Waaren her, die in jenen Gegenden zu haben wären. – »Nun, so reisen wir!« sagte Fricando gähnend. »Wenn's mir weiter keine Mühe macht und der Weg durch kein Hungerland führt, bin ich von der Parthie.«

Schon wollte die Königin ihre Befehle zur Abreise ertheilen, als dem König noch ein Bedenken aufstieß. »Hören Sie doch, Frau Sentimentale! was soll's denn seyn, wenn der Kerl, der Hexenmeister, wie Sie da sagen, Rath schafft? Ein Prinzchen, oder Prinzeßchen?«

»Einen Erben!« antwortete die Königin, halb verdrießlich.

[69] »Nun, nun, machen Sie mir darum nicht gleich so ein Kirieleisons-Gesicht! Obschon ich an meinem Theile gleich gern bliebe, wie ich bin; denn die Vaterschaft, habe ich all mein Tage gehört, macht nur Plage; so dächte ich doch, die Prinzeßchen wären auch ganz schnurrige Dingerchen, besonders wenn so ein Mäuschen gut kochen lernt.«

»Kochen! – Regieren, wollen Sie sagen!« –

»Meinetwegen auch regieren. Ich habe in einer Druckschrift gelesen, daß die Damen gewiß und wahrhaftig oft recht erschrecklich-prächtig regieren können. Da kam auch drin vor von einer Kaiserin von England und einer Kurfürstin von Rußland« –

Sentimentale wendete sich von ihm und machte ihre Reise-Anstalten. Hundert Wagen wurden mit Bayonner Schinken, Böhmischen Fasanen-Pasteten aus Frankreich und Leckereien aller Art beladen, damit der gute Herr auf der weiten Reise keinen Abgang [70] der Kräfte verspüren sollte. Dann wurden wieder andere hundert Wagen mit Ober- und Unter-Zofen, nebst Toilettbedürfnissen aller Art für die Königin befrachtet; denn Frivolo war ein Elegant, und wußte immer um ein Haar um die neusten Moden.

Auf der Reise war unserm Fricando so wohl, wenn er sein Gefolge übersah, daß ihm oft das Wasser in dem Mund zusammenrann. In solchen Augenblicken umarmte er seine Gemahlin, und versicherte, sie sei ihm so schön, wie der niedlichste Ortolan und so köstlich, wie die beste Hollsteinsche Auster.

Frivolo hatte durch seinen Boten über und unter der Erde Nachricht von der Reise des königlichen Paars erhalten. Der schöne Genius war galant; Frivolo fand in Spalten und Klüften Kollationen, von Geistern bereitet, und Sentimentale überall Spiegel, die ihr ihre graziöse Gestalt, schön verklärt, wieder gaben.

Frivolo hätte sich erschöpfen müssen (wenn [71] bei einem Genius so etwas möglich wäre) ob der überschwenglich guten Aufnahme. Sentimentale sonnte sich Tage hindurch unermüdet an dem Glanz seiner schönen Augen, indeß der gute Fricando Tage lang auf den Knien um das Orakel herumrutschte, etwas zu erhalten, das ihm der Gott der Hahnreischaft schon gewährt hatte.

Da die poetische Periode in der Liebe gewöhnlich die ist, welche der des höchsten Überdrusses vorangeht, und Frivolo jetzt begann, Sentimentalen mit Sonnetten, worin sogar ihre Hüneraugen gefeiert wurden, zu überschwemmen, verspürte sie, daß es nun wohl Zeit sei, abzureisen. Frivolo wünschte von Herzen glückliche Reise, und der ehrliche Fricando versicherte treuherzig, es habe ihm lange nicht so gut geschmeckt, er werde dem wackern Mundkoch seinen Fasanen-Orden ertheilen. Und damit hopp, hopp! knarr, knarr! auf und davon.

Jetzt ging's wieder über Berg und Thal, über Thal und Berg, bis sie in einen dunkeln, dunkeln, schaurigen Wald kamen. [72] Da begab sich's, daß der arme König durchaus zu Bette verlangte; er litt an Indigestion. In dem wilden Walde war nun, wie jedermann sich leicht vorstellt, weder an Bette, noch an Sopha (außer denen von Moos, welche die Dichter sehen) gar nicht zu gedenken. Also war alles in großer Bestürzung, denn Seine Majestät gnarrten unablässig: »ich will zu Bette, ich will zu Bette!« Wie groß war aber auch die Freude, als sie ein Licht durch das Dickicht schimmern sahen. Sogleich wurde darauf los gesteuert. Das Lichtlein schien sich bald zu entfernen, bald ganz verschwunden zu seyn. Endlich und endlich, durch Dornen und Hecken, hatten sie's erreicht, als es eben ganz erlosch. Sie befanden sich vor einer kleinen Hütte, worin dem Anscheine nach kaum der königliche Bauch Raum haben würde. Als nun der königliche Ober-Hof-Anpocher die Thüre der Hütte männiglich mit Faust und Fuß bearbeitet hatte, rief eine heisere weibliche Stimme: »Gleich, gleich! Man kann doch so [73] nicht vor den Leuten erscheinen!« – – Drauf ging's von Neuem: klopp, klopp! daß der Wald wiederhallte; und inwendig auf Pantoffeln: klapp, klapp! daß allen Zeit und Weile lang wurde. Nach langem klopp, klopp, und klapp, klapp, erschien endlich an der geöffneten Thüre eine Alte, wie sie noch keines Menschen Auge je gesehen hatte. Aus hundertjährigen Furchen blitzten Augen, wie Brillanten. Strenge und Milde schienen sich ewig um den Alleinbesitz dieser stark ausgesprochenen Züge gestritten zu haben. Und so ridicül ihr imponirender Ton gegen ihren bettelhaften Aufzug abstach, hatte keiner, sogar die Pagen nicht, den Muth, darüber zu lachen.

Sie zog bei dem dürftigen Schimmer einer erlöschenden Lampe König und Königin ziemlich unmanierlich herein; den übrigen warf sie trotzig die Thüre vor der Nase zu. Vergeblich suchte Fricando's Blick in dem engen Raum einen Sopha; nur ein ledernes hartes Ruhebett, das sein Seculum zurückgelegt hatte, war vorhanden. Er [74] strekte seinen gemarterten Leichnam darauf hin, daß die Stützen der alten Hütte krachten.

Jetzt ging's mit der Alten wieder von Neuem los: klipp, klipp, klapp, klapp; darauf Thür' heraus, Thür' herein. Das Feuer war bald zusammengeschürt, unverständliche Worte über den Kessel gemurmelt und ein herzstärkendes Süppchen für den König, ein niedlich Ragout von Kolibris für die Königin stand auf dem wackelnden runden Tischgen vor ihnen.

»Hm! Hm! vom großen Gecken-König, vom eitlen Frivolo, kommt ihr also zu mir, schöne Dame? Wer mich zuerst gesehen hat, sieht ihn nicht; wer mich zuletzt sieht, sieht mich zu spät. Nun, das Orakel war euch günstig, wie ich vernahm. Möge die Reise euch nicht gereuen!«

»Was wißt ihr von mir?« sagte Sentimentale, die sich eines geheimen Schauers vor dem grausenhaften Weibe nicht erwehrte. »Wer bist du, Weib, das mich kennt, das mein Inneres durchblickt? Hexe oder Kobold? Sag', wer bist du?«

[75] »Ich bin die erstgebohrne Tochter der Zeit: die Erfahrung,« antwortete die Alte ganz ruhig. »Sinnlos taumelt die junge Welt an mir vorüber, ihren Sümpfen zu. Die neue Weisheit, die auf den Dächern predigt, verstößt mich; der Stolz will ohne mich daher schreiten. So entwich ich in meine Einöde, bis ein durch meine geheime Anhänger erleuchtetes Geschlecht mich wieder in meine Rechte einsetzen wird.«

»Nun denn, du Eltermutter aller klugen Weiber, du Erstgeborne der Zeit, sage mir, wenn ich nun einen Erben erhalte« – – –

»Frivolo,« entgegnete die Alte, »Frivolo hat« – –

»Bitte, bitte unterthänig!« schmeichelte Sentimentale, ängstlich auf Fricando blickend. Der schnarchte aber schon, daß es im tiefen Walde wiederhallte. »Bitte um meines Kindes Zukunft!«

»Deine Tochter wird wunderschön, wunderklug seyn. Machst du sie aber nicht [76] auch wundergut, so wirst du das Orakel, das zu deinen Wünschen Ja! sprach, in die Tiefen des Orkus wünschen.«

»Wie fang' ich's an,« fragte die Königin verlegen, »daß sie wundergut wird?«

»Sei es selbst!«

»Gut! Aber schreib mir mein Verhalten vor!«

»Laß sie nicht sich in den Irrgarten der Sophisten verirren! Bewahre ihren Fuß vor den Rosengebüschen der Wollust. Hüte, daß die Perle des schäumenden Bechers ihre Lippen nicht berühre Ich komme zu Gevatter; so wie du mich siehst, kann ich mich gar schmuck herausputzen.«

Indeß schrieb die Königin den Spruch der Alten in ihr Souvenir; nur wenn sie diese um nähere Erklärung bat, war sie stumm, wie das Grab. –

Als nun das Königspaar wieder daheim war, erhob sich im Lande ein Thun und Treiben, als sollte eine Welt geschaffen werden. Dabei gab's gar wunderliche Reden, wie es unter eleganten und uneleganten[77] Damen nun so der Brauch ist; einige der Erstern wußten sogar für gewiß, das Orakel habe der Königin einen leibhaften Affen zum Thronerben gewährt.

Fricando freute sich wie ein Kind auf den schönen Gevatterschmauß. Recht Landesväterlich versprach er dem Jean Hagel eine Cocagna, wie noch kein Feenkönig sie gegeben hatte. Über die Crater der Vulcane, welche Sentimentale um des geisterhebenden Anblicks willen mit in ihre Parks gezogen hatte, wurden, Holz zu ersparen, große Suppen-Kessel und Punsch-Bowlen gemacht, daß das Volk sich vollauf labe, indeß Sentimentale die feinern und geistigern Genüsse für den beau monde besorgte, wobei unter andern ein See von Saffran-Essenz war, woraus große Prahm-Spritzen dem Publikum unaufhörlich diesen beliebten Wohlgeruch altrömischer Nasen zuführte; welches freilich die artigen Transparente der ätherischen Chemise-Trägerinnen nicht gnädig vermerkten, und den Antiquar in [78] die Hölle wünschten, welcher den Nasen diesen Schmauß zubereitete.

Unter solchen Zurüstungen kam Zeit und Stunde herbei; die kleine Infantin stellte sich richtig ein. Der erste Schrei, welchen das Wunderkind in die Welt hinein schrie, setzte das Bonnen- und Ammenheer in Exstase. »Haben Sie's gehört! All' ihr Götter! hörten Sie's? Musik kam aus der kleinen Kehle. So wahr ich lebe, eine Kantilene von Mozart!« rief die Hebamme. Alles kam überein, sie habe in Musik geschrieen. Die Nachricht ging von Mund zu Mund; jeder nannte den Komponisten, den er kannte, bis denn in den Vorstädten eine Arie aus der Donau-Nymphe daraus wurde. Die Königin glaubte das Wunder; denn die Schmeichelei hatte es gehört. Doch gab's in der Stadt auch alte Damen, die darnach späheten, ob der neugeborne Affe auch sehr grimmig sey?

Und jetzt ging's an ein Gevatterbitten! Alle Papierfabrikanten im ganzen weiten [79] Reiche brachten kaum so viel Papier zusammen, als der geplagte Papa zu Gevatterbriefen verbrauchte.

Aber was wahr ist, nie hatte noch zuvor die Sonne einen so festlichen Tag, wie diesen, beschienen. Aus hoher Luft, aus tiefen Klüften kam's auf Tauben, Sperbern, Adlern und Kranichen, mit Mäusen, Ratten und Maulwürfen angeritten und angefahren. Silphen, Genien, Gnomen und Feen prunkten in bunten Schaaren und glänzenden Reihen um unsre Königstochter her, der zierliche Frivolo mitten unter ihnen. Keiner fehlte noch, als die Waldmutter, die denn auch in groteskem Aufzuge erschien.

Als nun die Firmelung vor sich gehen sollte, sah der Bonze sich verlegen nach dem Namengeber um. »Poularde soll sie heißen!« rief Fricando, daß es durch die große Versammlung dreimal wiederhallte; darob eine junge Fee so hell aufquickte, daß schier die ganze Ceremonie in's Komische herüber gespielt worden wäre. »O nein, nein, nicht [80] Poularde!« zwitscherte Sentimentale aus ihren ätherischen Bettumhängen heraus. »Gräcula soll sie heißen; so will ich!« Die junge Fee lachte wieder, aber nicht so laut, und Fricando gab sich, wie er gewöhnlich nach einem solchen Spruch zu thun pflegte.

»Nun, so weihe denn dein Kind schon durch den Namen zur Thorheit des Zeitalters ein; meinetwegen!« sprach die alte Waldmutter. »Jetzt opfert eure Gaben, ihr Andern da; du luftiges Gesindel und ihr wampigten Unholde unter der Erde, ihr Gnomen-Pöbel nahet euch, ich muß von dannen!«


»Einmal her und Einmal hin,
Fort, zur schönen Königin!«

Sie naheten Alle und Gräcula wurde mit allem beschenkt, was die Schönheit glänzend machen und den Verstand erweitern kann; doch keine dachte an der Gaben schönste: an ein schönes, weibliches Herz, an ein Gemüth, das die Schönheit einzig schön macht, das den Verstand einzig zur [81] schönen Gabe erhöht. Gräcula wird tanzen, ehe sie gehen kann. Sentimentale wird die süße Schmeichelei zur Wärterin ihres Kindes machen, wird mich verachten, Gräcula wird in bunten mäandrischen Kreisen den Tanz des Lebens frühe beginnen und über ihre eigene Füße fallen. Und jetzt adieu


Dreimal her und dreimal hin,
Fort von dir, du Königin!
Eil' ich meinem Walde zu,
Fürder stört nicht meine Ruh!

So die Waldfrau und polternd und scheltend fuhr sie von dannen.

»Die alte Närrin!« sagte Frivolo, süß lächelnd. – »Die alte Närrin!« wiederholte das gefällige Echo der Hofleute; »die alte Närrin!« bis es sich leise verhallend bei der äußersten Schildwacht verlor, die ihr noch, den Gewehrkolben trotzig aufstoßend, den Refrain nachschickte. Im Herzen hielt Sentimentale die Waldmutter gar nicht für so eine Närrin, als sie sich jetzt den Schein davon gab; sie beruhigte sich [82] aber leicht, wie das alle Sentimentalen so in der Art haben, und dachte: ich will den Rousseau studiren und den Campe; zum Noth- und Hülfsbüchlein wird mir auch noch die Frau le Prince de Beaumont zur Hand gehen, da soll's ja wohl werden. Überdem wird uns Großen ja alles so leicht in die Hände gespielt; wir werden ja doch mit so geringem Kraftaufwande vortrefliche Wesen, daß es sich keines so großen Aufhebens darüber verlohnt.

Erzogen werden, hieß bei Sentimentalen, erschrecklich viel fremde Begriffe auffassen lassen. Gräcula's Wiege wurde gleich in den ersten Wochen mit Künstlern und Gelehrten aller Art umgeben; denn sie dachte: je früher, je besser! Dem jungen, thierisch stieren Auge wurden Antiken und Gemmen in Menge vorgehalten, daß der Kunstsinn sich frühe bilden solle. Andere declamirten Gedichte über des Püppchen Wiege hin, so daß, wenn die Elegie schwieg, die Pindarische Ode herrasselte. Wieder Andere disputirten über spitzfindige philosophische [83] Sätze, wobei sich die Kleine immer besonders unruhig gebärdete und mit den Füßchen strampelte, woraus die Herren schlossen, daß sie mit dem Zeitalter fortschreiten wolle.

Sentimentale starb vor Ungeduld nach den ersten Sprachlauten des Wunderkindes. An einem schönen Morgen stürzten einige Dutzend Bonnen und deren Gehülfinnen mit der freudigen Nachricht athemlos herein: die Prinzessin habe Worte gesprochen! »Worte? Ihr Närrinnen, was für Worte?« – »Das ist's eben! Ach, ach, gnä – dig – ste – Kö – ni – gin – frei – lich – ist's – das – eben« – – stotterte die Älteste der Bonnen noch außer Athem hervor. Da kam's heraus; es wären fremde Worte, wie Zauberformeln gewesen. »Ich hab's immer gesagt, es wäre nicht gut, sich mit Hexen und Hexenmeistern abzugeben!« meinte die alte Gouvernante. – »Ich will's selbst hören!« sagte die Königin, und erhob sich würdevoll nach der Kinderstube.

Gräcula gestikulirte mit den Händchen, [84] wie ein Professor, und rief Mütterchen lustig entgegen: »Mama – ich – nicht ich« – und nun folgte ein ganzes schwerfälliges Heer der Wörter, worüber zuletzt an ihrer Wiege gestritten war.

Überwältigt vom Entzücken, sank Sentimentale in eine leichte zwölfstündige Ohnmacht. Als sie die Augen wieder aufschlug, war ihr Erstes, daß sie den Sekretär rief: »O Musje Sekretär, sei er so gut, und mache er einen Aufsatz; aber so recht was man einen Aufsatz nennt, und melde er's aller Welt, in aller Welt Avisen, daß meine Prinzessin schon ein Inbegriff der tiefsten Gelehrsamkeit ist. Aber wie gesagt, so recht was man einen Aufsatz nennen möchte. Aber hört er, Musje Sekretär? Keine Schmeichelei, die verbitte ich mir; die Wahrheit ist Wunders genug!«

Und der gescheute Sekretär stieß so kräftig in die Trompete, daß es bald im Lande, wie im Auslande, zu einem allgemeinen Schreiben und Dichten kam. Die Postpferde erlagen unter der Last der Ballen, die [85] sie nach der Residenz schleppten, und die Kinderstube der kleinen Gräcula mußte erweitert werden, alle die Oden und Dedicationen zu fassen, welche von höchst aufrichtigen Bewunderern der einjährigen Beschützerin der Wissenschaften und Freundin der Wahrheit in unterthänigster Devotion vor höchstdero Wiege gelegt wurden. –

Zu der Zeit aber gab es einen erschrecklich gelehrten Professor, der den Leuten das Cranium betastete und dann auf ein Haar wußte, wozu sie sich in der Welt geschickt haben würden, so daß mancher, der bei funfzig Jahren, zu dem Volke gesprochen hatte, bei Gelegenheit der Betastung erfuhr, daß er, seinen Anlagen nach, ein Schneider hätte werden müssen. Anderen, die beim Herrschen ergraut waren, tastete er ein Kutschertalent heraus, und so mehr. Diesen Wundermann berief Sentimentale an ihren Hof, und befahl, daß er das kleine Köpfchen ihrer Tochter befühlen und beschauen müsse; doch wurde ihm leise bedeutet, es werde hoffentlich alles so seyn, daß [86] Ihro Majestät Frau Sentimentale nur Freude und Wonne nebst lieblichem Wesen die Fülle davon haben werde.

Der Professor aber war ein Mann ohne alle Hofsitte, ging gerade mit der Sprache heraus, und sagte seine Resultate so keck dahin, als wäre weder Pension noch Titel zu verlieren gewesen. – »Gräcula,« so sprach er, »hat viel leere Fächer, worin sie allerlei fremde Waare lassen kann. Mit dem Selbstdenken sieht's so, so aus; aber eine richtige Nachbeterin kann sie werden; denn die Gedächtnißkammer ist so räumig und groß, als zu dem Judicio nur eine kleine Lumpen-Spelunke angewiesen ist. Aber nun noch etwas! sie wird sich den Lichtern der Welt darin gleich stellen, daß sie mit dem Kopfe fühlt und alles durch den Verstand abthut. Wegen Herzensangelegenheiten kann man ganz sicher seyn; denn wo andern Mädchen das Herzchen pickert, liegt ein felsenharter Kieselstein.«

Hier rief die ganze Akademie, die bei dem Experimente hatte zugegen seyn müssen:


[87]
Hoch und gelehrt,
Sie ist es werth,
Daß sie als eine Säule steh
In nostro docto corpore.

Nach diesem wuchs Gräcula ganz gewaltig an Schönheit und Geist, zur Freude der Mutter, mehr als des Vaters, der es sehr übel nahm, wenn das Töchterchen sich den Kopf zerbrach, zu welcher Kathegorie der Wesen Papa wohl gehöre? und ihm endlich wohl gar im Pflanzenreich seinen Platz anwieß.

Im Vertrauen gesagt, riß auch der Mama ins Geheim oft die Geduld über die widerliche Selbstständigkeit des Mädchens aus, und sie verwieß ihr oft die empörenden Raisonnements, womit sie sich schon über alle kindliche Verhältnisse hinaus zu schwatzen verstand. Und wenn sie die Weisheitsmänner, die den Unterricht der Prinzessin über sich hatten, deshalb zur Rede stellte, bekam sie zur Antwort: »es sei zwar wahr, Gräcula habe eine sehr kecke Ansicht der Dinge; es würde doch aber übel gethan [88] seyn, einer solchen Genialität den Spielraum zu beschränken, u. d. m.«

»Was hat die alte Waldnärrin wohl mit ihrem Sibillinischen Wortkram gewollt?« fragte sich Sentimentale zuweilen. Die Rosen mögen blühen, der Becher mag perlenden Schaum aufsprudeln; ein Wesen, das so wie Gräcula allen Erscheinungen der Sinnenwelt Hohn spricht, ist bewahrt genug. Ein Kiesel, wo das Herz seyn soll« – »Aber sie hat Sinne und sehr rasches Blut!« antwortete eine Stimme, die Sentimentale sogleich für die der Waldmutter erkannte, die in dem Augenblicke vor ihr stand. – »Sentimentale,« sprach sie, »deine Tochter ist jetzt funfzehn Jahre. Sie steht am Scheidewege. Laß dich erbitten, mach' mich zu ihrer Gouvernante! An der Hand der Erfahrung kann sie nicht straucheln!« –

»Was soll mir die alte Krücke?« sagte Gräcula, die eben in's Zimmer trat. »Ich hoffe, Madame! Sie trauen es Ihrer Tochter zu, daß sie durch sich selbst etwas seyn könne.« – Die Alte hob ihr elfenbeinernes [89] Stäbchen, und sagte bedeutend: »Gräcula, die Rosen blühen, der Becher lockt, das Blut ist heiß. Du tanzest am Scheidewege; hüte dich, allein zu stehen!« – »Ich falle gewiß nicht, gute Madame!« sagte die Prinzessin hofmäßig. Und die Alte sagte nun zürnend: »Wehe dir und abermal Wehe, wenn du nach diesem mein Antlitz sehen wirst! Schrecklich wird dir's seyn. – Lebt wohl! Gewarnt seyd ihr!« –

Sentimentalens weiches Gemüth konnte sich über diese Erscheinung lange nicht zufrieden geben. Sie fing an, die Tochter zu hüten. – »Sparen Sie die Mühe!« sagte diese. »Ich kann das Gängeln nicht leiden. Auch der Eltern Marionette mag ich nicht seyn. Ein selbstständiges Wesen muß von allem sich berühren lassen, ohne etwas in sich aufzunehmen. Keiner muß seine Individualität um taube Nüsse aufgeben.« So betete sie ihren Lehrern nach.

An einem Abend, wo bei der Königin ein großer literarischer Cirkel sich einfinden sollte, verirrte sich Gräcula in dem Park, [90] über den kathegorischen Imperativ grübelnd und einen Satz, den sie irgendwo gelesen hatte, auswendig lernend, weil er noch diesen Abend als selbst erfunden vorgeführt werden sollte. Sie hatte sich so weit vom Schlosse entfernt, daß sie nicht die sinkende Sonne die goldnen Zinnen röthen und in die kristallnen Dachfenster glänzen sah; zu ihren Füßen vernahm sie ein leises Rauschen und Zischen. Es kam von einer kleinen, bunten, wunderschönen Schlange, die sich in allerlei künstlichen Schlingungen zu ihren Füßen bewegte, vorwärts glitt, wenn sie ging, und still lag, wenn sie stehen blieb. Gräcula verfolgte dies Spiel so lange Zeit, daß die Dämmerung darüber eintrat. Sie wollte zurück; aber wie seltsam wurde sie überrascht, als die kleine Schlange sich so kräftig um ihren Fuß wand, daß sie ihn nicht von der Stelle zu bewegen vermochte, und rings um sie her sich hohe, blühende Rosenhecken zogen, sie dicht einzuschließen. »Das sind gewiß die Wunder des elfenbeinernen Stäbchens der Alten!« sagte die [91] Prinzessin fest und schritt vorwärts; denn die Schlange schoß von ihrem Fuß ab, einer Rosenlaube zu, wohin Gräcula ihr folgte.

»Folge der Verführerin nicht!« erscholl's aus der Luft; sie betrügt dich. Da die Stimme der Erfahrung leicht zu erkennen war, so antwortete die Prinzessin mit edlem Trotze: »Ich gehe und will siegen!« – »Gefahr meiden, ist sicherer, als sie suchen,« entgegnete die Stimme. – »Nur der Krüppel bedarf der Krücke!« sagte die Prinzessin und ging.

Jetzt trat aus einer Laube, geflochten von Rosen und Mirthen, ein Mädchen, von überirdischer Schönheit. Ihre üppigen Locken hielt ein Kranz von Tuberosen und Granaten. Um den vollen Busen und die entblößten Schultern schwebte ein durchsichtiger Schleier. Ihre Miene war lachend und einladend. Freundlich reichte sie der jungen Philosophin die Hand und sprach; »Komm herein zu mir, schöne Königstochter! Laß uns freundlich kosen! Was vergeudest du die goldene Zeit der Jugend, [92] die nie wiederkehrt, mit alten Perückenstöcken und unverständlichem Geschwätz. Träume, wenn du nicht anders kannst; aber träume froh. Willst du Weisheit? Raisonnement? Sieh hier, hier ist, wie es deinem Alter zusteht; es ist meine Lebensphilosophie.« – Ein Buch lag vor dem Mädchen aufgeschlagen, es hieß: das Paradies der Liebe. »Hier lerne leben und genießen!« –

Gräcula trat spröde zurück, und gab dem Mädchen ihre kälteste philosophische Prunkmiene zum Besten. Das Mädchen lachte und sprach: »Das kenne ich. Du wirst mir nicht entgehen. Deine Stunde ist da. Sei ein Mädchen, schöne Königstochter! Begehe nicht den schwersten Raub an dir selbst! Betrüge dich nicht länger um deine Jugend; gieb den austrocknenden Plunder auf!«

»Noch einmal: wer bist du, wildes, ungezähmtes Mädchen? Deine Gegenwart flößt mir unbekannte Schauer ein. Woher kommt das? Wer bist du?«

[93] »Die Mutter und die Zwillingsschwester des Menschengeschlechts. Die große Natur gehört zur Hälfte mir. Ich gebahr alle; mit jedem Mutterkinde säugte ich den mütterlichen Busen. Mäßig genossen, segne ich meine Verehrer, die Unmäßigen lohne ich wie weiland Circe ihre Liebhaber, und überlasse sie meiner jüngern Schwester, die auch meine Tochter ist.«

»Aber – wer bist du? Wer ist diese seltsame Schwester?«

»Ich bin die Wollust; meine Schwester die Üppigkeit.«

»Nun denn, so hebe dich von mir! Sollten meine intellektuellen Kräfte« – –

»Still, Still! Diese Wörter machen mir Kopfweh. Ziere dich nicht, Püppchen! Komm hier und trink' von meinem Wein! Diesen Becher, der sich immer wieder schäumend füllt, schickt dir Frivolo. Er blieb sein Pathengeschenk dir schuldig.«

Ein kleiner, Bacchus gestalteter Genius reichte Gräcula den vollen Becher hin. Sie nippte, nippte wie eine Braut im Beiseyn [94] des Bräutigams. Voluptas trank und reichte ihr den Becher schäkernd wieder hin. Gräcula trank nun auch, wurde aber nur redselig, nicht fröhlich, und die schwerfälligen Sentenzen lößten sich jetzt wie Marmorblöcke vom Felsen aus ihrem Gehirn los. Voluptas lachte, und sagte: »Ist's mir doch, als wohnte ich einem Magisterschmause bei. Rolle mir deine schweren Sentenzen nicht über'n Hals, sie erdrücken mich. Ich will dir ein Liedchen singen. Höre!« Und die Wollust sang ein Lied, wie die Wollust es nur zu singen weiß. Es regte die geheimsten Triebe der Sinnlichkeit auf. Gräcula erröthete, ward aber immer freier und freier; denn in all dem Plunder, womit sie den Kopf vollgepfropft hatte, fand sie kein Granchen Kraft, den Anregungen ihrer Sinnlichkeit zu widerstreben. Der ganze Maximenkram war kalt an dem Kiesel in ihrer Brust vorüber gestreift.

Auf diese erste Zusammenkunft folgten viele andere; und aus keiner kam sie ungeahndet [95] zurück. Ihre Lehrer, welchen diese Veränderung nicht entgehen konnte, griffen zum Theil in ihren Busen, und sagten seufzend: »Gräcula ist worden, wie unser Einer! Die hohe, hehre Philosophie ist ihr ein Spiel des Witzes, eine bloße Verstandesübung, durch welche sie sich zu jeder ihrer Unordnungen beschönigende Motive anzulügen weiß.«

Endlich wurde Voluptas ihrer immer noch pedantischen Schülerin müde, und überließ sie dem Umgange ihrer jüngern Schwester. Nun sprachen beide dem berauschenden Becher fleißig zu, und die Prinzessin sank, aller weiblichen Würde vergessend, sich groß in der Verachtung der guten Meinung anderer achtend, in die Arme des schönen Tänzers Salto.

Des Zwangs, den ihr Stand ihr auferlegte, müde, beschloß sie, mit ihrem Liebhaber in ein fernes Land zu entfliehen. Ja – – aber ihre Ehre! – – Ha! was ist Ehre? Ein leerer Schall, eine eingebildete Existenz in fremder Meinung; eine konventionelle [96] Übereinkunft pedantischer Menschen. Die Hottentotten, die Feuerländer, die Neuseeländer, alle haben ihre eigene Ehre; – welches ist nun die rechte? Wer darf den schwankenden Begriff fixiren? – Vater und Mutter werden sich grämen? Hui! das ist nun wieder so ein Begriff zum Zerlegen. Nur dem großen Haufen imponirt er. Mein Vater: ist's der König? ist's ein Anderer? Was weiß ich! Die Mutter! Je nun, bei allem Respect glaube ich doch schwerlich, daß sie sich eben mein Individuum dachte, als ich wurde. Ich kam, weil sie es nicht hindern konnte; soll ich's ihr danken? Und ist, was wir kindliche Liebe nennen, etwas anders, als die süße Gewohnheit, neben einander zu existiren? Würde ich nicht eben das für jeden, mit dem ich lebte, fühlen? Aber – die Eltern thaten mir Gutes; sie erzogen mich. Gut, gut; das thun sie ihren Hündchen und Hünerchen auch; und meine Erziehung waren sie ihrer Ehre schuldig. Also, was hielte mich zurück? Fort, fort! – Einen Schritt in's weite Leben [97] hineingewagt; ich will meine Selbstheit dokumentiren; und damit auf und davon! Ohne Reue, ohne wehmüthigen Rückblick, ließ sie den armen Fricando und die gute breiweiche Sentimentale in den Armen des süßesten Schlafes zurück.

Als dem armen Fricando beim Erwachen die Trauernachricht wie ein Säftchen beigebracht wurde, entfiel das bonbon der erstarrenden Lippe, und er erseufzte so schwer, daß die lodernde Flamme im Kamin davon erlosch. Sentimentale überließ sich dem lautesten Jammer, worein alles stimmen sollte. Die Theater wurden geschlossen; die Marionetten still an die Wand gelehnt; die Saffran-Essenz-Sprützen versiegten, und damit alles die Farbe der Melancholie trüge, ließ sie ein Edikt ausgehen, daß Jedermann schwarzen Kaffee trinken sollte. Alle Töne der Freude schwiegen, und nur die durch ihre Seufzer bewegte Aeolsharfe gab ihr sympathetisch das Echo ihrer Klagen zurück.

Indeß irrte ohne bestimmten Zweck das [98] flüchtige Paar über Berg und Thal. Gräcula fühlte zum Erstenmal etwas von der Beklommenheit der schönen Vaestula, als sie mit dem rothköpfigen Unhold in einer Tonne steckte. Salto war am Geiste ein vollständiger Pervonte. In einer schauerlichen Monddämmerung kamen sie durch einen dicken Wald, wo sie weder Weg noch Steg fanden. Salto war höchst mürrisch und plagte seine Schöne mit den bittersten Vorwürfen, daß er sich ihretwegen hier unter den wilden Thieren herumtreiben müsse, da er sanft und süß in seinem Eiderdunenbette sich wiegen könnte. Voll innigen Mißmuths befahl Gräcula vor einer Hütte zu halten, die dem Scheine nach irgend einem treuherzigen Köhler gehörte; allein, die Waldmutter trat heraus. Der Mond bedämmerte so eben nur die schauerliche Gestalt, sie kennbar zu machen.

»Gräcula kommt vermuthlich, sich eine Krücke auf ihrem schlüpfrigen Wege zu bestellen. So werde und sei denn, was du durch dich selbst werden konntest: ein thörichter [99] Affe!« – Sie schwang, indem sie sprach, eine Gerte, daß es durch die Luft pfiff; und krik, krik, krak, krak, bei Gräcula, und krik, krik, krak, krak, bei Salto – so wahr ich lebe! er ein Affe, sie eine Meerkatze!

Ihr schöner, bequemer Reisewagen verschwand, und statt dessen hob sie ein plumper hölzerner Kasten in die Luft, wo er von den Wolken ganz gemächlich über Seen und Felsen daher geschaukelt wurde.

»Mon Dieu! was ist das?« rief Salto. – »Oh Dio!« die Prinzessin. Der Kasten war dunkel; sie fühlten, daß etwas mit ihnen vorgegangen war; doch eigentlich was? erriethen sie nicht; nur an Epigrammen über die Alte fehlte es nicht. Endlich fiel ein Strahl der Morgendämmerung durch eine Öffnung des Kastens. »Grand Dieu!« schrie Salto, voll Entsetzen; »ich weiß gar nicht, Madame! wie Sie mir vorkommen? Man sollte beinahe denken – es will so scheinen, als ob« – »Nun, Affe! was ist's?« rief Gräcula wüthend. Das war [100] das rechte Wort. »Ein Affe; aber auf Ehre, ein recht completter, tüchtiger Affe!«

»Ich rase, ich will zur Furie werden; ich will sie, dich, alle, alle zerreißen!« – »Gemach, Madame, gemach! Was soll ich nun erst nicht alles thun! Sie? Sie sind glücklich, weil Sie als eine Philosophin auch hierüber sich beruhigen werden; aber ich pauvre diable, que je suis!« – »Ach, ich habe den Henker von der Philosophie! Wer ist der Narr, der prätendirt, daß sie in's innere Leben eingreife, wenn sie meiner Schönheit nicht Bewunderer verschafft. Nie habe ich mich ihrer anders bedient,« antwortete Gräcula. »Aber mich verlangt, wie das enden wird?«

Sie waren dem Ende ihrer Reise nahe. Der Kasten ließ sich auf ein schönes grünendes Eiland nieder. Salto sprang leicht, wie immer, zuerst aus dem Futteral, und meinte, er fühle sich ganz wenig verwandelt; ihm sei, wie immer. Gräcula trat langgeschwänzt und melancholisch daher. Ein heller Wasserquell zeigte ihr sogleich [101] ihr scheußliches Bild, worüber sie laut aufkreischte. Aber eine Stimme rief: »Verzweifle nicht! Siehe! Beobachte! Lerne! Jeder Grad von Veredlung und Selbsterkenntniß wird dir zugerechnet.«

Traurig und einsam setzte sich unser Ungeheuerchen auf einen Baum, und betrachtete still die langgeschwänzte possierliche Kameradschaft, die sich nach und nach versammelte, und worunter sich Salto schon ganz einheimisch fühlte. Gräcula hing den Kopf und dachte ganz ernstlich nach; das Resultat war der Entschluß, der bewillkommenden Stimme zu folgen, zu lernen und still zu beobachten. Froh bemerkte sie, daß schon dieser Entschluß ihr frommte; denn aus einer scheußlichen Meerkatze wurde sie ein zierliches Äffchen, niedlich geschmeidig und das artigste Dosen-Gesichtchen. Die Stimme rief: »Wohl dir, Babiole! du siehst, ich halte Wort!« –

Vom heißen Hunger getrieben, sah sich Babiole nach Nahrung um. Ein Mandelbaum bot ihr seine Frucht, und zum Dessert [102] reichte ihr die süße Orange ein anderer. In dem Schatten dieser Bäume barg sich Babiole, ahnungsvoll ihr Schicksal erwartend, als aus einem gegenüber stehenden Baume eine männliche Stimme sang:


Wo tanzt sie nun ein Labyrinth? Wo füllt
Ihr Lied den Hain? welch glückliches Gewässer
Wird schöner durch ihr Bild?

»Ha! wieder ein Wunder! Ein altfränkisches unästhetisches Thier, das noch dem Kleist singt!« sprach sie laut. »Welche Silbertöne umsäuseln mein Ohr! Töne noch einmal, süße Harmonie, daß ich dich finde!« sagte die Stimme, die gesungen hatte. Babiole sprang hervor, und ihr entgegen ein schlanker Elegant vom drolligen Geschlechte.

»Warst du ein Mensch? Sprich: habe ich Unglücksgefährten?« – »Seit ich Sie sehe, Schönste Ihres Geschlechts! fühle ich kein Unglück mehr,« sagte der Fremde, wobei er sich graziös seine Sitzschwülen rieb. »Ob ich ein Mensch war, weiß ich so recht eigentlich nicht; denn die Meinungen [103] waren darüber getheilt, und die Pluralität nannte mich immer einen Affen.«

»Wer warst du als Mensch?«

»Ein Elegant, unterthänigst aufzuwarten. Mein Beruf war, mein Gesicht an allen öffentlichen Orten spatzieren zu führen, die Damen zu lorgniren, sie in Gesellschaft zu unterhalten, den Schooßhündchen Bisquit mitzubringen, das Modejournal immer zuerst in die Gesellschaft einzuführen, alle neuen Broschüren aufzustöbern, die Schauspiel Affichen zu präsentiren, beim Thee mit zu lästern und das Stichblatt zu seyn, woran die Damen ihren Witz übten. Ich vertrug auch en galant homme ihre Grobheiten. Sonst erinnere ich mich nicht, etwas gethan zu haben.«

»Solche Dinger sah ich viel am Hofe meiner Eltern. Sei mein Führer; ich bin hier fremd!«

Unser Papillon ließ sich das nicht zweimal sagen, und trat sein Kammerherrngeschäft sogleich an, indem er betheuerte, mit dem Locale vollkommen bekannt zu seyn.

[104] »Wie kamst du aber zu deiner Verwandlung, Herr Ritter?«

»Ich – ich war so ein kleiner loser Vogel, hatte mich ein wenig sarkastisch über eine kleine, niedliche Hexe von Fee amüsirt, und dafür beschenkte sie meine zierlichen Glieder mit diesem braunen Frackjusqu'à revoir

»Gut! So laß uns denn gehen. Zeige mir die Wunder dieses Orts! Ich will alles sehen.«

»Haben meine Gnädigste Dero Flacon zur Hand, wenn bei dem Anblick, der bevorsteht, die Nerven leiden sollten?« –

»Du siehst, man trägt hier a l'antique keine Taschen; wo sollte das Flaçon herkommen? Doch, sei unbekümmert; Nerven kannte ich nie, war immer fest und kalt, wie Erz.«

Jetzt sprangen sie leicht über eine Dornenhecke, die einen großen Raum, einem Kirchhofe ähnlich, einschloß. Vor ihnen lag ein Verhack von umgestürzten Monumenten, an welchen die Namen großer Männer[105] noch lesbar waren. Hohläugige, bleiche Gestalten, die Kinder der Furien, mit dem Neide erzeugt, vertrieben ihre Zeit damit, daß sie diese Denkmäler mit Schlangen geißelten und den giftigen Geifer ihrer Lippen darüber hinsprudelten. Weiter hin waren Hiänen und Schakals in Menge, welche in die Gräber wühlten und dann die Todten zu verschlingen schienen.

»Was treiben jene da?« fragte Babiole.

»Als Menschen machten sie die Geschichte;« sagte Pappillon. »Hier fahren sie fort, große Menschen klein zu machen; diesem den Kopf, jenem das Herz zu nehmen. Manchen haben sie schon so beputzt und beschnippert, daß er aus einem Riesen, der er seinem Zeitalter war, ein wahrhafter Pygmäe geworden ist.«

»C'est tout, comme chez nous!« sagte Babiole. »Laß uns weiter gehen! Der Modergeruch ekelt mich an; laß uns zu jenem Feuer eilen; mich friert.« – »Ah pour ca! daran werden Sie sich nicht erwärmen,[106] meine Gnädigste! Das sind nur Johanniswürmchen, verwandelte Dichter und Schöngeister. Freilich machen sie einen fürchterlichen Spectakel, und immerfort Anstalt, mit ihren Leuchten alle große Dichter der Nation zu verzehren. Aber endlich müssen sie es doch jenem gelben zähnefletschenden Weibe dort überlassen, die sich, glaube ich, Madame Kritik nennt. Aber die hat auch Zähne, die! Die vorigen Jahrhunderte hat sie schon hintergeschlungen; jetzt macht sie sich an's gegenwärtige. Bon appetit! Madame!« rief er ihr zu, faßte Babiole's Händchen, und huy, von Zweig zu Zweig, nach einem schönen Raum von Orange, Mirthen und Granaten beschattet, wo sie eine große, bunte Versammlung antrafen.

Pappillon wußte alles, kannte alles, lästerte, apologisirte nach Laune, hatte überhaupt nur ganz wenig von seiner Natur eingebüßt. Er sprang unter den Haufen, nannte sie alle bei Namen, küßte Händchen, Pfötchen, Krallchen, was es zu küssen [107] gab, und präsentirte seine neue Bekanntschaft.

Babiole ward bald inne, daß hier Freiheit und Gleichheit war; denn keiner nahm Notiz von ihrem Range. Ihr Sauersehen hielt keinen in Respect. Sie stürmten mit Fragen auf sie ein, ob der neue Musenalmanach schon erschienen wäre? welche Philosophie jetzt die neuste Mode sei? ob der vierte Theil der Donau-Nymphe schon gegeben worden? ob die kurzen Taillen und langen Schleppen noch Mode wären? ob Wallenstein noch nicht travestirt sei? u.s.w. Babiole war ganz betäubt, und wußte nicht Antworten zu finden; überdem war sie auch dadurch zerstreut worden, daß sie unter den Fragenden manche ihrer Hofdamen zu erkennen glaubte.

»Hier sind bekannte Stimmen,« sagte sie; »ich bitte, belehren Sie mich, ob ich sie kenne?« – Eine gravitätische Elster nahte sich, und nach vielen unnützen Worten kam's heraus, daß sie die Ehre gehabt habe, der Prinzessin Gräcula erste Kammerfrau [108] zu seyn. Zwei kleine zierliche Papchens erklärten sich als Hofdamen der Prinzessin. Das übrige war ein buntes Gemisch, wie die Feen, die oft die reizenden Sterblichen beneiden, sie sich aus ihren Zirkeln ausgelesen hatten; doch fand Babiole immer mehr, daß sie sichen pays de connoissançe befände, fing an, ihres Elendes zu vergessen und die neue Situation amüsant zu finden. – Suchen die mehrsten Weiber wohl mehr?

Nach vollendetem Fragen schritt man zu der Tagesordnung, das heißt: zum Lästern; denn dieses war ein Klubb, den sie den sympathetischen nannten. Zuerst wurden die abwesenden Mitglieder der Gesellschaft vorgenommen, ihr Äußeres, ihr Inneres; Voraussetzungen galten für Fakta; kurz, es ging ganz so, daß Babiole sich an ihrer Mutter Hof versetzt wähnte. Nachher kam es an den Menschen, den sie eine ernsthafte Bestie nannten; er betriebe, hieß es, seine Spielereien so feierlich. Endlich war auch dieser Quell der Unterhaltung versiegt, [109] und Papillon brachte in Vorschlag, daß sie als ein Spiel des Witzes, jedes die Geschichte seiner Verwandlung erzählen solle. Einige fanden, daß es amüsiren würde, und stimmten ihm bei. Ein artiges Äffchen hub an zu sagen: die seinige sei sehr kurz. Auf dem letzten Ball habe sie, freilich ein wenig stark, in einer Hopps-Anglaise einem hübschen jungen Offizier zu minaudirt, und habe dabei einen Hopps gemacht, der sie in dieser Gestalt, nach diesem Eilande, unter diese Gesellschaft versetzt habe.« – »Die Götter wissen es, wie bösartig diese Feen sind,« nahm eine alte, dicke Mopshündin das Wort. »Eben als ich meinen 60sten Lenz erlebte, dichtete ich ein Lied an meinen Daphnis, und siehe da! während dem Dichten verkürzten sich meine Finger; kurz, wie Sie mich hier sehen, kam ich, die Feder noch in der Hand, in diese noble Kompagnie, die mich mit dem Namen Amourette begrüßte.« – »Ja, ja!« miaute eine fette, rothe Katze; »traue Einer den Feen! Ich habe blos so ein wenig meinen [110] Scherz mit der Schöngeisterei getrieben. Eigentlich wußte und verstand ich blutwenig; aber ich trieb doch einen ganz einträglichen Schleichhandel mit den Urtheilen und Kritiken Anderer. Ich half manche literarische Maliçe in Kours bringen, und ließ mir's oft bei Wind und Wetter, Nacht und Nebel nicht verdrießen, um einen erhaschten boshaften Einfall auszubringen, oder eine Feindschaft anzuzetteln, von Haus zu Haus, bis in die fernsten Vorstädte zu laufen. Von einem solchen Gange wurde ich in dies rothe Pelzchen, das kaum ein Schanzlooperchen zu nennen ist, gehüllt, nebst meinem Gatten, diesem fetten Kater, der hier neben mir schnarcht, auf einem vertrakten Fuhrwerk durch die Luft hierher spedirt.«

So kettete sich Erzählung an Erzählung, Geschwätz an Geschwätz, bis zuletzt die Gesellschaft einstimmig sagte, es sei nun an Babiole, ihre Verwandlungsgeschichte zu erzählen. Babiole wurde nachdenkend und ernst; plötzlich ermannte sie sich, erzählte [111] ihre Begebenheiten, ohne sich im mindesten zu schonen. Dabei gab sie zu erkennen, sie vermuthe mit Grund aus einigen ihr einst unbekannten Regungen, der Kiesel in ihrer Brust sei mit ihrem Menschseyn verschwunden; sie glaube jetzt wirklich ein wahres, fleischernes, warmes, weiches Herz in sich zu verspüren; denn wenn sie ihrer Eltern gedenke, fühle sie immer ein Wallen, wovon ihr Auge naß würde.

Indem erscholl's: »Es lebe Frivolo und die Frivolität! Es lebe der große Frivolo!« Da sprang, hüpfte, kroch, flog, schwirrte alles im bunten Gewirre durch einander. Er erschien mit graziösen Verneigungen, bemerkte in der Geschwindigkeit alle einzelne Schönheiten der anwesenden Damen, das Porte bras dieser, die sanfte Lippenöffnung jener, die Grazie, womit diese ihren langen Schweif, jene die fatalen Sitzschwülen verbarg. Bei dem allen suchte sein Blick durch die Menge noch Etwas. Babiole war es! Er fand sie, drückte sie zärtlich an sein Herz. »Deine Feindin ist schier versöhnt, [112] theure Gräcula! Dein offnes Geständniß in dieser Gesellschaft ist ihr ein wichtiger Schritt zu deiner Veredlung. Noch eine kurze Prüfung, und du hast überwunden. Ich komme nicht allein. Deine königlichen Eltern sind mit mir. Ihr Gram um dich eignete sie bald, meine Unterthanen auf diesem Eilande zu werden.«

Babiole fiel ihren Eltern zu Füßen und umarmte sie mit einer Fülle des Gefühls, wobei an keinen Kiesel mehr zu denken war. Er war an dem sanften Feuer der gesunden Vernunft, das an die Stelle jener Philosopheme getreten war, zerflossen, und das Herz, weil es ihr jetzt oft ziemlich schwer war, aus dem Kopfe an seine rechte Stelle herabgesunken.

Keuchend sagte der arme Fricando, der auch zu einer Umarmung heranwatschelte: »Da sehen wir's nun, Frau Sentimentale, was bei dem leidigen gelehrten Wesen herauskommt! Affen werden wir, leibhafte Affen. Und das wollte ich mir wohl noch gefallen lassen, wären nur die verwünschten [113] Knackmandeln nicht, die einem Unverdaulichkeit zuziehen. Dies Geschlecht versteht sich verteufelt schlecht auf die Küche!«

Das Königspaar war also nicht verwandelt? Ach! der gute Fricando hatte durch Dickleibigkeit in der That nur noch sehr wenig Menschliches an sich, so daß es kaum lohnte, das wenige noch zu verwandeln. – Und Sentimentale? Je nun, ob die Fee den Schwächen der Mutterliebe eine solche Nachsicht angedeihen ließ, oder ob es alte Freundschaft war; genug: sie war bis jetzt noch Sentimentale geblieben! –

Jetzt erschien die Fee Erfahrung, in einem Aufzuge, der aus den Rüstkammern aller Völker zusammengebracht schien. Als Dekan der löblichen Feenschaft, war das Richteramt ihr geworden. Frivolo's Departement war ein ihr untergeordnetes. »Schädlicher Genius!« sprach die Alte, »verschwinde, herrsche hinfort nur über alte Jungfern und Hagestolze. Durch den Beschluß höherer Geister, ist dir der Vorzug ewiger Jugend genommen. Führe dein geschniegeltes [114] Figürchen unter sterblichen Damen zur Schau umher, und werde so ein eitler, verspotteter, alter Jüngling!« –

Wenigen gab sie menschliche Gestalt zurück; die meisten schob sie tiefer in die Thierheit hinein, weil sie, wie fast in jeder Strafanstalt, nicht gebessert, sondern sich verschlimmert hatten. Zu Fricando sprach sie: »Verlaß den Thron, auf dem es sich zu hart und zu unbequem sitzt, und vertausche ihn mit einem weichen Großvaterstuhl, der schon längst in einem reichen Kloster seine Arme nach dir ausbreitet. Schlummere, vegetire dort als Prior, und erwarte da dein seliges Ende bei Gänseleber- und Karpfenzungen-Pasteten. Der beste Mundkoch ist dir zugegeben.« –

»Sentimentale, die liebliche Gestalt eines Täubchens, wird dir nicht zuwider seyn. Nur eine kurze Zeit, und euer aller Schicksal ist gelößt!« –

»Noch einer Prüfung bist du unterworfen, Prinzessin! unter welcher deine Anlagen sich still und groß entwickeln mögen. [115] Ich versetze dich als Marmorgebilde in den Prunksaal des elterlichen Pallastes. Bei menschlicher Sprachfähigkeit, verdamme ich dich zu beharrlichem Schweigen. Höre! Dulde! Schweige! Ein einziger Laut verwandelt dich in kalten Marmor, der du zu seyn scheinst.« –

Ein Donnerschlag beschloß die Szene. Die darauf repräsentirt hatten, grunzten, grinzten, bellten, miauten von dannen, wohin ihnen ihre Natur ihre Bestimmung anwieß.

Gräcula stand nun gebildet in karrarischem Marmor, schön, wie die Venus von Medici, im großen Saale des elterlichen Pallastes. Sentimentale setzte sich wehmüthig-gurrend auf der Tochter kalten Busen. Ach! ihr war er nie wärmer gewesen!

Schaaren von Kennern und Neugierigen drängten sich um die neue, wundervolle Erscheinung, von der Niemand begriff, woher sie gekommen sey. Nur der Hofmarschall gab schlau zu verstehen, er wisse es wohl; denn er habe sie aus dem Herkulanum [116] für 100,000 Zechinen erhatten, die ihm der Tresorier auch ganz treuherzig wieder erstattete.

In den ersten Tagen der Ausstellung übte sich bloß die Kritik der Kenner am Ebenmaaß, und der Streit war, zu entscheiden, ob das schöne Weib wirklich antik oder untergeschoben sey?

An einem schönen Morgen machte eine Erkerbewohnerin des Schlosses, eine uralte Charteke von Hofschranze die Entdeckung: die schöne Marmorfrau sei der verschollnen Prinzessin auf ein Haar ähnlich. Diese Nachricht trieb eine unerhörte Menge Kenner und Kennerinnen zusammen; und jetzt erst begann die große Prüfungsstunde der Weiblichkeit. Aber es hieß: hören, dulden, schweigen! – Die Prinzessin bestand! –

»Wie!« sagte eine Kennerin; »diese vollendete Schönheit wäre die Unholdin Gräcula? – Diese zierlich gerundeten Arme! Jener reichten ja die Hände bis an der Ferse! Und dieser Mund, hold sich öffnend,[117] wie eine zarte Rosenknospe! Der Prinzessin Mund war wie in Afrika geformt. Ihre ganze Natur war Sauerstoff!« –

»Ja!« – sagte eine Matrone – das ist wahr, unausstehlich war sie! Wohl dem Lande, daß sie den faux pas machte!«

»In der Nasenspitze finde ich doch etwas von ihrer Bosheit; von der albernen Anmaaßung, mit der sie, als ein eminentes Wesen, über alles hinwegtrat!«

»Das war nur für die Welt!« sagte ein Stutzer; »unter vier Augen, ich versichre auf Ehre, war sie nichts weniger, als spröde!«

»Sie soll von Zwillingen entbunden seyn!« sagte eine paußbackigte Räthin.

»Allerliebste Buben! ich versichere. Sie sind bei einer Muhme von der Muhme meiner Kammerfrau in Kost!« antwortete das Weib eines Oberpriesters.

»Wer war an Allem Schuld, als die gelehrte Närrin, ihre Mutter, die durchaus ein kleines Wunder haben wollte! Zu der [118] Zeit ihrer Geburt raunte man sich seltsame Dinge zu!« sagte wieder Einer.

Das Täubchen ächzete leise, und schlug die Flügel einigemal, wie wenn sie die Arme zum Himmel ausbreiten wollte, um Sühne des Vergangenen herabzuflehen.

Die Prinzessin litt unsäglich. Sie hörte sich schmähen, schändlich verleumden, ihre wirklichen und angedichteten Fehler aufs Bitterste herrechnen. Die Operation war schmerzlich, aber sie bewirkte eine gründliche Kur. Sie hörte, duldete und schwieg! –

Jetzt nahte sich ihr eine junge Dame, die sie oft ihren ganzen Übermuth hatte fühlen lassen, weil sie diese schlichte, unverkünstelte Natur für Beschränkung hielt. »Was werd' ich nun hören!« sagte sich die Prinzessin. Ihr Herz schlug fast hörbar unter dem Marmor.

»Gewiß, meine Damen!« sagte Eliante, »Sie tadeln die Prinzessin höchst unbillig. Sie war, wo möglich, schöner noch, als dies Marmorgebilde. Sie war meine Freundin nie, so gern ich die ihrige geworden [119] wäre. Denn hinter jener unglücklichen Verbildung, welche die Folge einer schiefen Ansicht ihrer Mutter war, schlummerten hundert schöne Anlagen. Ich, an meinem Theile, habe sie nimmer gehaßt, so tief sie mich auch kränkte.«

»Sie haben recht, Eliante!« sagte ein stattlicher Herr; »die arme Prinzessin wurde zu viel erzogen. Die schwerfälligste Schmeichelei umgab schon ihre Wiege. Sie hat nie durch die Gelehrsamkeit bis zum Menschen durchdringen können.« –

Das Täubchen bewegte immerfort die Flügel und gurrte. Man fand es auffallend, daß das Sinnbild treuer Liebe auf dem kalten Marmor hause.

So vergingen der Prinzessin Tage und Wochen, und die Fee ließ sich immer noch nicht weder sehen, noch hören. Fast erlag sie unter der Last unerhörter Schmähungen. Was die Großen so selten glauben, hörte sie jetzt mit eignen Ohren: daß dem Publiko keine einzige ihrer noch so geheim gehaltenen Handlungen entgehet; daß ihre Schiefheiten [120] scharf bemerkt, das Gute aber nur entstellt und im verjüngten Maaßstabe erwähnt wird.

Der Strom verlief sich endlich; man fand es gar nicht mehr amüsant, in die Ausstellung zu gehen; denn endlich trafen sich immer dieselben Gesichter wieder. Überdem war in der Stadt ein Hundetheater eröffnet, wohin die schöne Welt ihre, ihr so lästige, Zeit zu tödten ging.

Alle Pfeile der Schmähsucht waren nun auf die arme steinerne Dame verschossen, und sie hatte in edler Selbstüberwindung verharrt, keinen Seufzer gespendet, kein Ach! kein Oh! vernehmen lassen. – Die Fee erschien!

Sophia 1, deine Klugheit macht dich fortan dieses Namens, womit ich dich beehre, werth. – Sophia, du hast nun in kurzer Frist ein Leben voll Erfahrung gewonnen. – Gehe hervor, und benutze sie redlich!«

[121] Ein Donner endete die Metamorphose. Sophia ging wie ein stralender Stern hinter einer Wolke, aus ihrer Marmorhülle hervor. Die Duegnen und Zofen quikten vor Schreck, und die Hofdamen lagen reihenweise in Ohnmacht, wobei keine an Attitüde oder Faltenwurf gedacht hatte; denn es kamen wirklich ganz curiose Stellungen zum Vorschein. Die Höflinge waren, sich mechanisch verbeugend, erstarrt mit krummen Rücken stehen geblieben und erwarteten ihr Urtheil.

Sophia war nun ihre Königin, und sagte, statt zu strafen, allen Huld und Gnade zu; nur die Schmeichelei lag unter dem strengsten Bannfluche. Die Lehre, die sie bekommen hatte, wirkte bis auf's Mark bei ihr.

Eliante wurde ihre theuerste Freundin, und der stattliche Herr, der mit Elianten gesprochen hatte, ihr Rathgeber und Führer. Doch blieb die Waldmutter immer die erste Instanz.

Lange noch blieb Sentimentale eine [122] Taube, weil sie sich selbst unter dieser zarten Gestalt gefiel und die ewigen Liebkosungen ihr wohl thaten. Nur nach und nach bequemte sie sich wieder zur menschlichen Gestalt; doch behielt sie am längsten die Flügel. Ihr zu Ehren, trugen nun alle Damen Chemisen à la Sentimentale, von welchen sie sich bis auf den heutigen Tag noch nicht ganz haben befreien können; sie bedienen sich ihrer, wie man sagt, zum rastlosen Umherflattern. Das soll aber auch das Einzige seyn, was sie von der Tauben-Natur sich angeeignet haben.

Die Waldmutter freute sich nun ihres Werkes, und brachte viel Zeit an diesem Hofe zu, wo sie das Amt eines geheimen Archivarius verwaltete. »Du mußt dich vermählen!« sagte sie einst zu Sophien. – »Ich habe gewählt, Mutter! Er ist es werth!« – Bescheiden erröthend reichte Sophia dem Sohne ihres alten Freundes und Rathgebers, einem Edlen des Landes, die Hand; und so machte sie an der Hand der Erfahrung, der Weisheit und Freundschaft, [123] ihre Staaten zu den glücklichsten, welche je die Sonne beschien. –

7. Kapitel

Siebentes Kapitel

Wir haben diese Kleinigkeit, die Albert der Kritik des Klubbs zum Besten gab, in einer unabgebrochenen Folge hergesetzt; Er selbst las sie in drei Abenden.

Onkel Dämmrig amüsirte es trefflich; er rieb oft während des Lesens die Hände und rief: »Köstlich! Deliziös! Da habt ihr's!« – Die Damen hingegen sahen oft betroffen und etwas einfältig aus. Aber Wassermann warf sich mit Wuth darüber her und kunstrichterte ohne Schonung. Weil nun dieser Kleinigkeit gar kein Werth beigelegt wird, wiederholen wir hier nicht Wassermanns Kritik, da sie ohnehin ihren Richtern, sammt den Wassermännern und Vadiussen nicht entgehen wird. Vadius, der Allgefällige, wußte freilich nicht so recht, nach welchem Winde er den Mantel drehen [124] müsse; indeß ließ Albert sie machen, und antwortete bloß der Tante Elisa, als sie ihn freundlich fragte: »Aber, mein Herr von Ulmenhorst, es scheint in der That, als wären Sie der weiblichen höhern Kultur sehr abhold?« – »Der unzweckmäßigen und verschrobenen von ganzem Herzen; denn nie geschah der ächten Bildung so viel Abbruch, als durch diese. Überhaupt gebe ich für die ganze weibliche Verstandesbildung keine Priese Tabak, wenn sie ein Spiel der Eitelkeit ist und nicht Karakterbildung wird.« –

Laurette maulte. Albertine sah unbefangen drein, und bemerkte es auch nicht, daß Albert ihr bei seiner letzten Äußerung einen wohlgefälligen Blick zugeschickt hatte.

Albertine war eines häuslichen Geschäfts wegen abgerufen worden; die Unterredung hatte indeß eine andere Richtung genommen. Es war viel wahres und halb wahres über den schönen Trieb der Menschheit, die Freundschaft, gesagt worden. Albert bewies aus seinen eignen Erfahrungen das [125] Daseyn dieses schönsten Zuges und Beweises menschlichen Tugendsinnes, und sprach über seine früheren Verhältnisse zu einem Freunde, den er leider nun in dem Kriege verloren habe. »Lindenhain,« sagte er, »war das Muster junger Männer.« – Albertine trat eben bei diesen Worten wieder herein; sie hörte den Namen, schlich leise näher und lauschte. – »Durch seltsames Zusammentreffen von Umständen wurden wir getrennt, hörten lange nichts von einander; doch – wenn ich nach meinem Herzen sprechen soll, ohne uns deshalb einander minder werth geworden zu seyn. Ich reisete aus, ihn aufzusuchen, und wenn auch nur als Volontair an seiner Seite zu fechten, als mir schon die unglückliche Nachricht entgegen kam, er sei bei Bitsch geblieben.« – Albertine sank mit einem dumpfen Schrei hinter Albert ohnmächtig zur Erde. Sie hatte so eben aus seinem Munde die Bestätigung vernommen: ihr Louis, der von Lindenhain hieß, sei nicht mehr! –

Albert war bestürzt, obschon er nicht [126] ahnete, daß er den Zufall veranlaßt habe. Der höchste theilnehmende Schmerz ergriff ihn aber, als Laurette ihm mit der größten Ruhe sagte: »Sie werden sich schlecht bei meiner Cousine empfohlen haben, Herr von Ulmenhorst! Der Lindenhain, dessen Tod Sie bestätigen, ist ihr Gemahl!« –

Von diesen Worten wurde Albert wie von einem Schlage getroffen. Er blieb mit starren, auf Lauretten gerichteten Augen wie angewurzelt stehen, sprach keine Silbe, stürzte dann den Frauenzimmern nach, die Albertinen in ihr Zimmer brachten, kehrte an der Schwelle plötzlich um, schlug sich vor die Stirn, und eilte ohne Hut durch eine unwegsame Straße, in der Dunkelheit eines Herbstabends, nach seinem Gute zurück, wo er erst lange nach Mitternacht verstört ankam und sich in den Kleidern auf's Bette warf.

Seinem vertrautesten Freunde hat er nachher gestanden, daß selbst in dem Moment der höchsten Überraschung und Bestürzung, die Hoffnung einen Strahl in sein [127] Herz geworfen und ihm Albertinens Besitz tief im Hintergrunde seiner Ahnung hingezaubert habe, ob er gleich das Auge davon, als von einer Versündigung an seinem verunglückten Freunde, schnell weggezogen habe.

Tante Elisa hatte sich indessen mit der gutmüthigsten Theilnahme die Pflege ihrer Nichte angelegen seyn lassen, um welche Madame Rosamunde sich nur Wohlstandes halber, Laurette aber gar nicht bekümmerte, obschon diese jetzt ganz treffliche Sachen über Humanität, Freundschaft und Verwandtenliebe zu sagen wußte, welchen aber ihr Wassermann nur halbes Ohr lieh; denn sein kaltes Gemüth war eben damit beschäftiget, die Zinsen von Albertinens Kapital sammt den Vortheilen zu berechnen, die der Besitz einer so hübschen Frau einem Manne wohl verschaffen könne. Onkel Dämmrigs Mitleiden ging gewöhnlich in Verdruß und üble Laune über, weil er immer in seiner Art von Frohleben gestört zu werden besorgte.

[128] Albertine verfiel in ein hitziges Nervenfieber, in dessen guten Intervallen sie zu ihrem Bruder gebracht zu werden verlangte, indeß man es für rathsamer fand, sie, der bessern Hülfe wegen, in die Stadt zu bringen, wohin ihr die ganze Familie bald folgte, weil das abfallende Laub und die bereiften Morgenfluren den nahen Winter verkündeten.

Auch Albert verließ sein Gut, das ihm, ohne Albertinens Nähe, ein Exil zu seyn dünkte. So emsig er auch jeden Tag mehrere Male Nachrichten von ihr sich geben ließ, zögerte doch seine Delikatesse, sich ihr, auch da es schon schicklich gewesen wäre, vorzustellen. Er kannte die Zärtlichkeit ihres Gemüths, das aber dennoch, sich selber gelassen, jeder Einwirkung der Vernunft und einer gesetzten Fassung empfänglich war.

Wassermann, den alle zarteren Verhältnisse des Lebens leere Form und leidige Konvenienz dünkten, dachte jetzt auch: Nun, was ist's denn? Der erste Besitzer ist todt. Warum sollte ich seinen Nachlaß nicht sobald [129] als möglich erstehen? Mit diesem Vorsatze im Herzen, begann er Lauretten, der er fast erlaubt hatte, ihn nach ihrer Weise zu lieben, schnöde und äußerst grob zu begegnen. Er widersprach ihr, ehe er noch ihre Meinung recht wußte, glaubte, um recht verständlich zu seyn, ihr oft im Beiseyn eines Dritten ihre Neigung zu ihm vorrücken zu müssen, und äußerte mit höchster Unzartheit, daß er sie nicht erwiedern wolle.

In eben diesem Grade unfein waren seine Zuneigungs-Äußerungen gegen Albertinen, die ihm, wie er glaubte, nicht entgehen könne. Oft polterte er mit schweren, schmutzigen Stiefeln durch ihr Vorzimmer bis zu ihrem Bette hin, störte ihren seltnen heilsamen Schlummer, um ihr den Vorzug seiner Theilnahme angedeihen zu lassen; und nie verließ er sie, ohne sie auf die Ehre aufmerksam gemacht zu haben, welche er ihr durch seine Aufmerksamkeit zu erweisen glaubte.

Dieser, Albertinen so unwillkommnen [130] und von ihr unaufgeforderten Liebe wegen, entstand ein Mißverhältniß im Ganzen, das Albertinen in seinen Folgen sehr bedeutend wurde, und das sie bald ausgetrieben haben würde, hätte Tante Elisens fortdauernde Liebe und der vertraute Umgang mit ihrer Euler, ihm nicht das Gleichgewicht gehalten.

8. Kapitel

Achtes Kapitel

Jetzt, da Albertine wieder außer Gefahr war und kleine Gesellschaften in ihrem eignen Zimmer anzunehmen anfing, wagte auch Albert einst um Zulassung bei denselben zu bitten. Albertine gewährte es ihm mit sichtbarer Bewegung; und als er erschien, brach ihr Schmerz zum Erstenmale in einen Strom von Thränen aus. Denn bis dahin hatte sie, zum Schrecken ihrer Freundinnen, in ein dumpfes, thränenloses Schweigen hingebrütet, ohne der Ursache ihres Grams im mindesten zu erwähnen.

[131] Die Wehmuth überwältigte sie so, daß sie, ihr Gesicht in ein Tuch verbergend, das Zimmer wankend verließ. Albert blieb betroffen zurück, und war schon im Begriffe, sich ebenfalls zurückzuziehen, als Madame Euler erschien und ihn in Albertinens Namen zu ihr zu kommen einlud.

Albertine wollte ihn etwas fragen; es erstarb ihr aber auf der bebenden Lippe, und so gut Albert es errieth, so wagte er doch nicht, es zu beantworten. Sie weinte so schmerzlich, daß Albert, dessen männliches Herz leicht in anderer Gefühle einging, nichts zu sagen vermochte, als: »hassen Sie mich nicht, daß ich der Trauerbote war!« – »Wie sollte ich den hassen, der ihm werth war!« erwiederte Albertine. »Sie haben also die schreckliche Gewißheit?« setzte sie mit zitternder Stimme hinzu. – »Leider sah ich den werthen Namen in der Todtenliste des Regimentes nach dem unglücklichen Überfall! Seine theuren Überreste – setzte er leiser hinzu – sind Preußischer Seits nicht gefunden, weil [132] die gräßliche Verwirrung und die Dunkelheit der Nacht jede Art von gewöhnlicher Procedur unthunlich machte.« – Albertinens Brust hob sich konvulsivisch bei dieser lebhaften Vorstellung ihres Verlustes, und sie winkte Alberten mit der Hand, sich zu entfernen. Nach einer langen Zeit erschien sie, auf ihre Freundin gestützt, bei der Gesellschaft. Wassermann, der Albertinen auf gewisse Weise schon als sein Besitzthum ansah, fuhr Alberten sehr ungeziemend an, daß er es gewagt habe, den eingewiegten Schmerz zu wecken; und Albertinen legte er mit seiner eigenthümlichen Disgrazie die Hand auf ihren schönen Arm, wobei er ihr mit seinem harten, herz-und klanglosen Tone sagte: »Hin, ist hin, und todt, ist todt! spare die vergebne Noth!« – Albertine antwortete sanft: »Ich bitte, mein Herr, lassen Sie mir meinen Gram, und bedenken Sie, daß wir mit einander nichts gemein haben. Unsere Naturen sind sich durchaus fremd!«

Wassermann zog ergrimmt die Hand zurück, [133] mit der er ihr, seinem Gefühle nach, schon zu viel Ehre erzeigt hatte, und sein Zorn schwoll um so mehr, da Laurette in ein hämisches Gelächter ausbrach, welchem sie, um doch auch Albertinen eins abzugeben, hinzusetzte: »Es leben die Prüden!« –

Albert war, wie überall die Liebe in feinen Gemüthern leise und still waltet, schüchtern, sich dem Gegenstande derselben zu nähern, und richtete beinahe immer das Gespräch an Tante Elise, Laurette, oder lieber noch an Madame Euler. Das hielten nun die beiden Ersten für nichts anders, als entstehende Liebe zu ihnen. An einem schönen Morgen fanden sie sich bei Albertinen ein, und Tante Elise erklärte nach manchem Räuspern und viel mädchenhafter Ziererei, die als Frühlingsblüthe reizend, als Herbstspätling aber widrig ist, sie wisse sich bei dieser neuen Liebe des guten Alberts nicht zu verhalten, da sie, nach der Untreue ihres letzten Geliebten, dem falschen Gott ganz zu entsagen, öffentlich gelobt [134] habe. Indeß sei der Albert so lieb, so zärtlich, so schön, 2 »wie ein blühender Mond. Der süße Ton des lieblichen Mundes, wenn er Worte voll Sehnsuchtsklänge aushauchte, drehete sich in ihm wie Räder in den Flüssen, und sie leugne nicht, dann wende sich ihre Sehnsucht um die Schaufeln.« –

»Nie hätte ich mir eine solche auffallende Selbsttäuschung, bei so langer Erfahrung, als möglich gedacht!« äußerte Laurette schneidend. – »Tante,« sagte sie: »ich fürchte sehr, auch diesen werden Sie auf die lange Liste ihrer Ungetreuen setzen müssen. Sagt Ihnen denn Ihr guter Verstand nicht, wen er nur meinen kann?« – »Nun, und wen denn?« fragte Tante, ziemlich beleidiget. »Erklären Sie sich, Mademoiselle!« – Laurette erhob sich und machte Tanten in der Nähe eines Spiegels, der ihr ihre ganze Gestalt zeigte, einen [135] tiefen, spöttischen Knicks. »Ich denke, es hängt nur von mir ab, wie bald Sie erfahren sollen, wer von uns Beiden Gebieterin in Ulmenwalde wird!« – Tante wußte in der Geschwindigkeit nichts Besseres zu sagen, als: »So, so!« und Albertine sagte freundlich: »welcher das gute Loos auch falle, werde ich mich herzlich freuen!«

»Ja!« sagte wieder die liebe, alberne Elise, die durch Albertinens Freundlichkeit entwaffnet wurde; »und wenn ich mir wieder das Göttliche denke, was dem Menschen werden könnte im Genuß freier Liebe, die kein Gesetz über sich anerkennen dürfte, als das allgemeine unverletzlicher Schönheit, die mit der Liebe Eins ist! Möchte man nicht an einer Menschheit verzweifeln, die sich selbst so drückende Fesseln schmiedete?« – »Liebe Tante!« fragte Albertine, die eben Laurettens beißenden Spott fürchtete, »kam diese Tirade nun wohl aus Ihrem eigenen sanften Sinn und Ihrem strengen sittlichen Gefühle?«

[136] Elise gestand, daß sie den Gedanken, weil er sie auf den ersten Anklang frappirte, einem jungen, ziem lich excentrischen Dichter gestohlen hätte.

»Meine liebe gute Tante muß nicht stehlen; sie ist reich genug an eigenem Vermögen!« antwortete Albertine schmeichelnd; und so wurden durch die Liebenswürdigkeit des einen Gemüths, die beiden andern wieder freundlicher gestimmt.

9. Kapitel

Neuntes Kapitel

Wenn der Schmerz beginnt, sich häufiger mit seinem Gegenstande zu beschäftigen, wenn er wagt, ihn in's Auge zu fassen und ihn so zu sagen von allen Seiten berührt und sich von ihm berühren läßt, so vertheilt er sich bald in kleinere Ableitungen, und die Masse wird vermindert. Albertine beschäftigte sich, seit sie bestimmter von ihrem Verluste wußte, ganz mit demselben. [137] Sie stellte sich jede mögliche Art der Todesquaal, die Greuel jener Nacht, alles, was sie über diese grausenhafte Scene gehört hatte, vor, bis sie mit der Vorstellung vertraut wurde, daß der Schmerz seinen bittersten Stachel abstumpfte. Bald kam sie nicht mehr ungerufen vor ihre Seele, und es wurde schon Vorsatz, sich in jenen Seelenzustand von Zeit zu Zeit zu versetzen. Ihn einigermaßen fest zu halten und bleibend zu machen, entwarf sie eine Zeichnung zu einem Gemälde, wobei sie freilich immer noch herzlich weinte; aber doch idealisirte die Phantasie schon mehr, als tiefer, schneidender Schmerz es zu gestatten pflegt. Und warum sollte es auch nicht so seyn? Warum sollte die kaum neunzehnjährige Albertine an dieser wohlthätigen Einrichtung der Natur nicht auch Theil nehmen? – Wehe dem armen Menschengeschlechte, müßte es ein Leben hindurch Leid um die Gestorbenen tragen! –

Albertine vergaß nicht, aber sie verschmerzte endlich, was zu ändern nicht in [138] menschlicher Macht stand. Onkel Dämmrig, der seiner eignen Behaglichkeit wegen keinen Traurigen um sich leiden mochte, bestand darauf, sie müsse sich zerstreuen. Sie erschien also wieder in dem Kreis der Hausfreunde, und besuchte auch zuweilen wieder öffentliche Orter. So wenig die sittsame Schönheit der höchst reizenden Albertine sonst war bemerkt worden, weil sie es nicht seyn wollte, so viel Aufsehen machte jetzt die interessante junge Wittwe, weil sie mit einem Hause in Verbindung stand, das viel Tischfreuden und Genuß mancher Art spendete. Wer auf Ton Anspruch machte, stand Albertinen im Schauspiele lorgnirend gegenüber, stieß mit dem Ellenbogen um sich und rannte im Gedränge alles übern Haufen, beim Ausgange auf sie zu warten, um dann an der table d'hôte von ihr, wie von einer Bekanntschaft, zu sprechen. –

Anfänglich bemerkte Albertine von dem Allen nichts, aber die wohlerfahrne Madame Rosamund faßte desto sicherer alle die Vortheile auf, die in solchen Fällen dem [139] abnehmenden Lichte einer Frau, die schon zu lange schön gewesen ist, durch die Allianz mit dem zunehmenden Lichte einer aufblühenden Schönheit, zu Theil werden. Unter dem Vorwand, Albertinen zu zerstreuen, führte sie die gute, unbefangene Seele überall ein; und so gelang es ihr, sich nach und nach ein Gefolge von jungen Herren zu bilden, wobei sie ihren Zweck, sich zu amüsiren und noch eine Art von Aufsehen zu machen, vollkommen erreichte.

Wir müßten der Wahrheit zu nahe treten, wenn wir behaupteten, Albertine habe sich sogleich in dieser ungewohnten Art zu seyn, gefallen. An stille, ernste Unterhaltung gewöhnt, fand sie dies Umherwandern unsäglich fade, und froh eilte sie zu dem gehaltreichen Umgang ihrer Euler und Alberts, der sich ihr auf's Bescheidenste näherte, zurück.

»Gefällt Ihnen denn Keiner von allen den jungen Männern, die sich, wie Sie es doch wohl bemerken müssen, an Sie drängen?« fragte einst Rosamunde. – »Nein, [140] kein Einziger! – Die Ernsthaften haben einen unleidlichen Anstrich von Pedanterie, und treiben das literarische Wesen ordentlich fabrikenmäßig; und die andern, deren Munterkeit mich allenfalls noch unterhält, sind so flach, laufen so ohne Unterschied jedem Weibe nach, daß es mich vielmehr beleidigt, von ihnen bemerkt zu werden, weil ich ihre Aufmerksamkeit mit dem elendesten Weiber-Pöbel theile!« – »Mit dieser Delicatesse wird Albertine ziemlich allein bleiben. Im geselligen Leben muß man tolerant seyn oder sich in eine Karthause verschließen.« – »Keines von beiden, Madame! Ich denke, ich hoffe, es giebt einen Mittelweg.« – »Albertine, ich kenne die Welt; ich habe in ihr und mit ihr gelebt, ich habe immer gefunden, daß, um froh zu leben, man es nicht zu genau nehmen müsse. Jedes Blümchen, das an unserm Wege aufsprießt, muß man pflücken.« – »Jedes? theure Madame! Auch die giftigen?« – »Aus diesen bereitet man Arzeneien. Aber ich sehe, daß Sie meine gute Absicht, [141] Sie in ein froheres, genußreicheres Leben einzuführen, wenig erkennen werden. Ich werde Sie wieder Ihrer Euler und dem steifen Landjunker Ulmenhorst lassen müssen!« – Albertinen that dieser Stich auf ihre Freunde unsäglich wehe; doch wollte ihre Gutmüthigkeit auch Rosamunden beweisen, sie sei nicht unerkenntlich. Sie ging aber hierin viel zu weit, indem sie sagte: »Ich bin Ihre, Madame! machen Sie mit mir, was Sie wollen! Sie sollen mich nicht undankbar finden!« – Indem gedachte sie ihres Bruders. Der Muth sank ihr und die Unterredung endete damit, daß Rosamunde ihre Zusage für diesen Abend zu einer Gesellschaft erhielt, die über alle Beschreibung glänzend seyn sollte. –

[142]

10. Kapitel

Zehntes Kapitel

»Das ist ein süperber Anzug, Albertine, werden Sie den anlegen?« fragte die einfache Euler, die freilich ihre Toilette sehr beschränken mußte. »Es ist mein Anzug für diesen Abend. Der Onkel und die Rosamunde bestanden auf dieser Eleganz,« antwortete Albertine, etwas verlegen. – »Ach, es ist immer ein gutes Zeichen, wenn junge Wittwen so angelegentlich ihre Toilette besorgen,« erwiederte Madame Euler. – »O, nicht diese Sprache, meine Henriette! Bin ich denn nicht mehr Ihre Albertine?« indem sie sich an Henriettens Busen warf. – »Ach, Albertine! wenn der Strudel Sie fassen sollte! Wenn dieses herzige, innige Wesen in jene kalte Herzlosigkeit der Welt sich verlöre! Wenn Lindenhains Wittwe einen solchen Mißgriff thäte!« – »Nein, Henriette, das ist zu viel! Noch hat kein unwürdiger Gedanke sein theures Bild in mir entweiht!« – Albertine setzte [143] sich wehmüthig an ihre Arbeit und retouchirte einiges an dem, seinem Andenken gewidmeten, Gemälde. Sie vertiefte sich so, daß sie erinnert werden mußte, sich zu der Abendfete zu schmücken.

Die Gesellschaft, in die Rosamunde sie einführte, war in der That glänzend. Das heißt, sie war äußerlich im höchsten Grade elegant. Albertine erkannte Männer vom ersten Range; zwar einigermaßen travestirt, doch hielt sie das in ihrer Unerfahrenheit für gewohnte Sitte. Indeß schienen wieder die Damen nicht jener höhern Klasse anzugehören. Obwohl sehr geschmückt, hörte sie in manchem aufgehaschten Fragmente eines Gespräches so gewöhnliche Ausdrücke, als ob sie vielmehr den ganz untersten Klassen entronnen wären. Sie waren theils Rosamundens ehemalige Gefährtinnen, theils die Hausfreundinnen jener travestirten großen Herren, die sich's einmal mit ihrem Unterstabe wohl seyn ließen. Rosamunde durchkreuzte den großen Saal in allen Richtungen, küßte und kosete mit der alten [144] Kameradschaft, und sprach zu jedem mit großem Gepränge, Albertinens Namen von Lindenhain aus; wogegen die junge, schöne Wittwe manch artiges Kompliment eintauschte.

Albertine war nie verlegen; aber die Ahndung, in was für einer Gesellschaft sie sich befände, und ein unwillkührlicher Gedanke an ihren Bruder, gaben ihrem Betragen eine liebenswürdige Zurückhaltung, die allerdings unter diesen Weibern eine ganz fremde Erscheinung war. Sie verließen den Saal, und gingen in ein Nebenzimmer, wo Hazardspiele gespielt wurden. Rosamunde war eine leidenschaftliche Spielerin; sie trat an einen Pharaotisch, und überließ Albertinen der Unterhaltung eines jungen Herrn von Stande, der bei einer schönen, interessanten Figur, alle Künste der Verführung im höchsten Grade, besonders die gefährliche Schmiegsamkeit besaß, sich in jeden fremden Karakter leicht einzufügen. Albertine befand sich bei seiner leichten, anmuthigen Unterhaltung sehr [145] wohl; er hatte Länder und Menschen gesehen und von beiden das Interessanteste aufgefaßt, welches wie ein sanft rinnender Bach von seinen Lippen floß. Albertine wurde nicht müde, ihm zuzuhören, und – was sollen wir's leugnen! – ihn zu sehen, so daß Mitternacht vorbei war, als sie den Abend kaum begonnen zu haben meinte.

»Ich bitte; nur auf ein Wort!« rief Rosamunde Albertinen zu und trat verstört zu ihr. »Ich habe heut' entschiedenes Unglück; haben Sie eine Börse bei sich?« – Albertine gab ihr acht Louisd'or; und die Spielerin eilte damit zu den raubgierigen Geiern zurück, die in sehr kurzer Frist die acht Louisd'or in ihren Händen hatten. Rosamunde rief Albertinen noch einmal auf die Seite. Der Baron Weißensee, eben der, der Albertinen so angenehm unterhalten hatte, bemerkte schnell die Verlegenheit der Dame und präsentirte ihr mit der feinsten Art seine volle Börse. Rosamunde wollte Umstände machen; er bat aber, so viel davon anzunehmen, als sie eben brauche, bekümmerte [146] sich auch nicht darum, wie viel sie nahm. Auch dieses liberale und galante Benehmen verfehlte seine Wirkung bei unserer jungen Freundin nicht. Mit diesem Gelde spielte Rosamunde sehr glücklich, und in einigen Stunden lag ein hoher Klumpen Gold vor ihr. Sie verließ endlich den Spieltisch um drei Uhr Morgens, und Albertine bemerkte, daß sie dem Baron nur zehn Goldstücke zurück gab, da sie genau gesehen hatte, daß sie sich deren zwanzig zugezählt hatte. Albertinen gab sie, ungeachtet sie so sehr viel gewonnen hatte, keinen Schilling zurück, worüber diese sehr betroffen war, denn es war beinahe ihre ganze kleine Baarschaft, die sie ihr hingegeben hatte.

Der Baron Weißensee führte die Damen zu ihrem Wagen, und erhielt leicht die Erlaubniß, ihnen in ihrem Hause aufwarten zu dürfen, die er denn so gut benutzte, daß er nicht nur der tägliche Besuch war, sondern bald zu den nähern Hausfreunden gerechnet[147] wurde; wogegen Albertine wenigstens nichts einwendete.

Als Albertine in ihrer Wohnung ankam, sah sie bei Elisen noch Licht, und hörte, als sie vor ihrer Thüre vorüber mußte, laut sprechen. Aus Besorgniß, es könne der Tante etwas zugestoßen seyn, trat sie zu ihr hinein, und wurde durch den nymphenhaften Aufzug unsrer alten Jungfer seltsam überrascht, die mit einem Blumenkranz auf dem fliegenden Haare, in einem ganz romantischen Kostüme umherwanderte, ein Gedicht, was sie so eben gemacht hatte, sich laut vor zu deklamiren. Die Gegenwart der Nichte schien sie zwar anfangs verlegen zu machen, besonders da diese ihr Erstaunen nicht recht zu verbergen wußte; aber bald gewann die Dichterwuth wieder die Oberhand und sie machte Albertinen zur Vertrauten ihrer so schüchternen Muse.

Elise hatte von Kindesbeinen an so viel Verse gelesen und auswendig gelernt, daß ihr endlich kleine Mondscheinliederchen ganz artig gelangen, worin sie es denn freilich [148] an Maienblüthenregen, Monddämmerung und Rosenknöspchen nicht fehlen ließ. Albertine wurde an den blonden wallenden Locken bald inne, wem dies Gedicht gesungen sei.

»Sie würden den jungen Mann unsäglich eitel machen, liebe Tante, wenn er je etwas davon erführe!« – »Ei, mein liebes Kind! er weiß alles. Unter Liebenden muß nichts geheim bleiben. Sehen Sie da – indem sie an ihren Schreibetisch trat – die Früchte meiner durchwachten Nächte!« Sie zeigte ein starkes Heft Gedichte vor, die Albert alle schon nach und nach erhalten hatte. Albertine wußte jetzt selbst nicht mehr, was sie denken sollte, und fragte ganz bescheiden: »und was hat er hierauf geantwortet?« – »Ja, wenn ich sagen soll, eigentlich nichts; nur gedankt hat der bescheidene Jüngling für die Mittheilung, und mein Talent gepriesen.« – Albertine schwieg, hielt es jedoch für Pflicht, der Tante in der Folge den Wahn schonend zu benehmen; als sie die Gute so überselig [149] sah, konnte sie es nicht über ihr Herz bringen, ihr wehe zu thun. Sie ging jetzt zur Ruhe, und rieth der Tante Sappho, ein Gleiches zu thun.

11. Kapitel

Eilftes Kapitel

Sobald es bei Albertinen Tag wurde, welches heut eben nicht früh geschah, kam Madame Euler, zu erfahren, wie es mit der glänzenden Gesellschaft abgelaufen sei? »Nun, Albertine, war der Abend, die Nacht, die sie durchwachten, all der Anstrengung, des Aufwandes werth?« Albertine gab ehrlich von allem Bescheid, auch von der angenehmen neuen Bekanntschaft mit dem Baron Weißensee. »Sie waren, fürcht' ich, in keiner gar zu ehrenvollen Versammlung, und dieser Name Weißensee bringt mir einen dieses Namens in's Gedächtniß, der nach den Briefen, die ich in Eulers Nachlaß fand, zu den ausgelassensten Wüstlingen [150] gehört, welche diese große Stadt aufzuweisen hat.« – »Nun, das kann dieser nicht seyn; er ist der feinste, liebenswürdigste Mensch, den ich noch je sahe.« Jetzt ließ sich Albertine ganz enthusiastisch zu seinem Lobe aus, wozu Henriette, schalkhaft lächelnd, immer: »daß dich!« sagte, und endlich: »Nun, wenn er so ist, kann er freilich der aus den Briefen nicht seyn. Wir werden ja sehen!«

Indem wurde Ulmenhorst gemeldet. Albertine machte, Gott weiß, warum? ein sauersüßes Gesichtchen, als wär's ihr eben nicht ganz recht. Wir wollen indeß nicht glauben, daß ihr Selbstgefühl ihr einen Vorwurf gemacht habe, als der Vertraute ihres Grams um den beweinten Gatten vor ihr erscheinen sollte.

Albert kam mit einem Auftrag, der ihn einigermaßen verlegen machte. Er hatte bei seinem Bankier eine Summe von zweihundert Louisd'or für Albertine von Lindenhain, die über Lyon für sie ohne Brief oder weitern Bescheid angekommen war, [151] angetroffen. Sie war von der Municipalität einem großen Hause in Paris übermacht und durch dieses hierher gekommen. Das Päckchen war von Lindenhains Hand überschrieben und mit seinem Wappen gesiegelt. So emsig übrigens Albertine in dem Umschlage nach irgend einer weitern Bezeichnung suchte, fand sich nichts vor, das von Lindenhains Leben gezeigt hätte, und so nahm sie es unter tausend Thränen als das Vermächtniß des Sterbenden und gewiß in der Gefangenschaft Gestorbenen an.

Henriette suchte geschickt das Gespräch abzuleiten, Albertinens Zartheit zu schonen, und machte dagegen ihren gestrigen Abend zum Gegenstand der Unterredung. Albert beobachtete ein beharrliches Stillschweigen, und hielt beides, Tadel und Beifall, zurück. »Kennen Sie einen Baron Weißensee?« fuhr sie fort, mit einem leichten Seitenblick auf Albertinen, die merklich erröthete. »Ich kenne ihn!« antwortete Albert einsilbig. – »Unsre Freundin findet [152] ihn scharmant,« setzte Henriette scherzend hinzu; »ist er's?« – Albert verdüsterte sich merklich, um so mehr, als er Albertinens bedeutende Verlegenheit bemerkte. Darauf antwortete er kalt: »Wenn Frau von Lindenhain ihn mit ihrem Beifall beehrt, kann es der, den ich kenne, der ein unbekannter Avanturier ist, nicht seyn!« Albert brach hiermit das Gespräch ab und empfahl sich ziemlich ernsthaft.

»Der Ulmenhorst ist ein ausgemacht wackerer junger Mann,« sagte Henriette. »Ich weiß wohl, was ich wünsche.« – »Nun, und was denn?« – »Daß Albertine seinen Werth fühlen und ihn mit ihrer Hand lohnen möchte!« – »Wie? Er liebt ja Tante Elisen!« – »Tante Elisen? Gott erbarme sich! Ich weiß es besser. Nichte Albertinen liebt er.« – »Er hat mir doch nie etwas davon gesagt.« – »Männer seiner Art sagen nichts; sie haben eine eigene Sprache; sie hat freilich keine Worte, ist aber doch höchst verständlich und ausdrucksvoll!« –

[153] In diesem Augenblick, als Albertine eben antworten wollte und auf eine unangenehme Art verlegen zu seyn schien, kam Rosamundens Zofe und ladete Albertinen zu ihrer Dame ein, indem der Herr von gestern Abend seine Aufwartung mache. »Es ist ein allerliebster junger Herr!« flüsterte das Ding im Herausgehen Albertinen zu.

Henriette bemerkte mit wirklicher Bekümmerniß den Eindruck, den diese Botschaft auf ihre Freundin machte; und als diese nicht zu wissen schien, wie sie geschwind ihre Toilette ordnen sollte, ohne Anlaß zu den kleinen Neckereien der vertrauten Freundschaft zu geben, trat Henriette gutmüthig hinzu, reichte ihr eine feine Spitzenhaube und legte mit einem sanften Kuß einen Schawl um ihre Schultern, reichte ihr dann die Hand, und sagte: »Adieu, auf Wiedersehen!« – »Nicht doch, Henriette! Sie müssen ihn kennen lernen.« – So schlenderten sie beide, Hand in Hand, in das Visitenzimmer.

»Sie sehen, ich bin nicht neidisch, liebe [154] Lindenhain!« rief ihr Rosamunde entgegen, und schien dabei sich etwas damit zu wissen, daß sie der Schönheit und Jugend huldigte. – »Ei, Madame Euler! wie kommt man denn einmal zu der Ehre, Sie ihrer Einsamkeit zu entlocken? Herr Baron, eine berühmte Künstlerin!« – Die Dame wollte aus Eitelkeit ihrer ganzen Umgebung eine vollwichtige Bedeutung geben. Madame Euler lehnte das berühmt bescheiden ab; aber durch den Ausruf: Künstlerin! gewann das Gespräch eine interessante Wendung, wobei der Baron sehr einsichts- und geschmackvoll über die Kunst sprach. Henriette schien sehr zufrieden mit ihm zu seyn, und sagte nachher Albertinen: »ist er, was er scheint, so ist Ihre kleine Partheilichkeit vollkommen gerechtfertigt. Indeß fürchte ich mich vor der erstaunlichen Regsamkeit seiner Muskeln. Bemerken Sie doch das ewige Spiel derselben, das seiner Bildung nicht fünf Minuten nach einander denselben Ausdruck läßt. Im Ganzen ist er mir auch zu glatt, zu hell polirt, [155] als daß er nicht harter Natur seyn sollte.«

Albertine schwieg, fand aber im Herzen an dem Urtheile ihrer Freundin viel auszusetzen; seine Aufmerksamkeit schmeichelte ihrer kleinen Eitelkeit sehr, da er, nachdem er die Welt so durchkreuzt und gesehen hatte, sie dennoch auszeichnete. Sie verglich ihn, beinahe ohne es zu wollen, mit Alberten, den sie ein wenig dem Hintergrunde zuschob, so wie beinahe ohne ihr Zuthun, unter ihrem Krayon des Barons Gestalt auf den Vordergrund hervorging, als sie eine Idee ausführen wollte, worin er eigentlich gar nicht eingriff.

12. Kapitel

Zwölftes Kapitel

Bei dem Abendtisch fand sich der ganze Cirkel der Hausfreunde ein, wozu nun auch der Baron Weißensee gehörte. Wassermann war toll und böse über diesen neuen [156] Aristokraten, wie er ohne Umstände jeden Adlichen nannte, der ihm um so mehr zuwider war, weil er einen neuen gefährlichen Rival bei Albertinen in ihm ahnete. Auch war seine Grobheit gegen den Baron ganz unbegränzt, und wo dieser nur den Mund aufthat, war er bereit, ihm auf's beleidigendste zu widersprechen. Traf es sich nun zum Unglück, daß Albert mit dem Baron einerlei Meinung war, so schrie Wassermann über den Esprit de Corps dieser Kaste, über Despotisirung der Meinungen u.s.w. Bei dieser Wendung des Gespräches war Niemanden wohl, und alle waren froh, als es zu Tische ging.

Vorher nahm noch Albert einen Augenblick wahr, Albertinen leise zu sagen: der Baron Weißensee sei der nemliche, von dem er wisse, und sei aller Wahrscheinlichkeit nach ein Avanturier, ein entlassener Schauspieler, und gehöre jetzt zu einer Spielerklicke. Es sei ihm heilige Pflicht der Freundschaft, ihr dieses zu sagen. Albertine dankte ihm etwas kalt und nicht ganz mit der [157] Unbefangenheit, mit der sie sonst alles that. Albert zog sich bescheiden zurück.

Über Tische wurde unter Mancherlei, auch die Weltbürgerschaft ein Gegenstand des Gesprächs. Wassermann erklärte sich wüthend dafür, und meinte, in Fällen, wo es auf's Wohl der Menschheit ankäme, könne man seinen Kreis nicht weit genug ziehen. Albert behauptete, dies sei Bequemlichkeitstrieb, weil der Anforderungen für die Ferne wenige wären. In der Nähe und in engen Kreisen zu wirken, sei sicherer, als seinen Wohlthätigkeitstrieb nach Amerika oder sonst in die Ferne zu schicken. Die nähern Ansprüche der Verwandtschaft, nach diesen die der Mitbürgerschaft zu erfüllen, sei verdienstlicher, und fände dann ein großer, vielumfassender Geist einen ferneren Wirkungskreis in seiner Sphäre zu ziehen möglich, so wäre dies freilich etwas Großes, könne aber nie allgemeine Tugend werden. »Wie?« schrie Wassermann; »Sie wollten nicht mit Leib und Gut für die armen, bedrängten Neger wirken? – Mit [158] meinem Leben möcht' ich's!« – »Ich vor der Hand nicht!« sagte Albert ruhig; »noch habe ich zu viel Pflichten gegen meine Gutsunterthanen und gegen viele andre meiner Mitbürger auszuüben.« – Wassermann überschrie ihn und trieb es so arg, daß man hätte meinen sollen, er werde noch diese Nacht unter Seegel gehen, die Schwarzen zu befreien.

Indem erscholl's im Hause: »Feuer! Feuer!« – Die Thüren des Speisesaales wurden aufgerissen, und die Domestiken stürzten todtenbleich mit der Nachricht herein: es brenne im Hinterhause; der Stall stehe in lichten Flammen.

Alle sprangen von ihren Sitzen auf und eilten heraus. Nur der einzige Wassermann blieb ruhig sitzen, trank sein Glas Champagner aus, stürzte sich noch eines ein, trank in der Geschwindigkeit einige vollstehende Gläser aus, packte von den Dessert-Tellern die Macaronen und süßen Orangen ein, suchte seinen Hut, nahm noch ganz ruhig ein Buch zu sich, welches er liegen [159] sah, las eine Recension mit allem Bedacht, und verschwand, ohne sich nach dem schauerlichen Auftritt in dem befreundeten Hause umzusehen, ganz gelassen, wahrscheinlich, um von den – Negern zu träumen.

Jetzt war ein Jeder nach seinem Karakter geschäftig. Albert war sogleich hingeeilt, die Pferde aus dem brennenden Stall zu ziehen. Albertine war durch den erstickenden Rauch in die Kutscherwohnung gedrungen, riß die schlafenden Kinder aus den Betten, und den Käfigt mit dem kleinen Zeisig vom Nagel, alles Lebende zu retten. Albert, der die Pferde seinen Bedienten übergeben hatte, war ihr nachgeeilt; sie winkte ihm mit der Hand, nach einer Stiege, die nach oben führte, hin. Albert flog herauf, obgleich die Flammen schon über ihm zusammenschlugen, und brachte bald glücklich eine arme, alte, kranke Frau auf seinen starken Armen getragen. Viele der Herren schleppten Wasser; der Baron aber stand von ferne und bot Geld über Geld, wer retten hülfe. Dämmrig [160] trippelte oben in seinem Reviere umher und gab zweckwidrige Befehle, die zum Glück Niemand befolgte. Elise sank aus einer Ohnmacht in die andere und declamirte zwischen durch das Lied vom braven Manne von Bürger in den Lärmen hinein. Laurette schimpfte auf den mechanten Pöbel, der einen solchen Aufstand im Hause angerichtet habe, und der nicht werth sey, daß er gerettet werde. Frau Rosamunde war an ihrem Theile sehr zweckmäßig für sich thätig, denn sie packte mit ihrer Kammerjungfer alles von Kostbarkeiten, was sie nur ansichtig wurde, zusammen, um, im Fall das Feuer weiter um sich griffe, damit abziehen zu können.

Erst, als alles vorüber war, und die Gesellschaft sich gegen Morgen zu einem Frühstück zusammen fand, bemerkte Albertine, daß sie den einen Arm sehr beschädigt habe. Albert, ohne ein Wort zu sagen, verschwand, und kam nach einer Viertelstunde mit einer Brandsalbe zurück, die sogleich mit Erfolg angewendet wurde; indeß [161] der Baron diese Zeit mit fruchtlosem Bedauern und hundert kleinen Artigkeiten vertändelt hatte, die, wir müssen es leider zur Steuer der Wahrheit sagen, Albertinen so wohl thaten, als kaum nachher das erprobte Mittel, das der redliche Albert herbeigeschafft hatte.

»Und wo hat denn unser Kosmopolit Ende genommen?« fragte Onkel Dämmrig. – Ein jeder sagte seine Vermuthungen und übte seinen Witz; nur Laurette, die ihren Mann um so besser kannte, als sie sich ihm in seinen ökonomischen Angelegenheiten zur Vertrauten aufgedrängt hatte, behauptete, er habe seine weißseidnen Strümpfe und die Prunkweste nicht Preis geben wollen; und so verhielt sich's wirklich. Denn als er Mittags vom Onkel Dämmrig geneckt wurde, stieß er's in der Ärgerniß heraus, daß dieses Mal in der That die neuen Strümpfe und die schöne Weste den edlen Kosmopoliten unthätig erhalten hatten. Albertinen machte er ernste Vorwürfe, daß sie sich um nichts und wieder nichts in Ungelegenheit [162] gestürzt hätte. – »Um nichts und wieder nichts? Ich habe zwei liebe Kleinen gerettet, und das, wie Sie sehen, um einen sehr geringen Preis!« – »Wer weiß auch noch, ob es ein Glück für die Welt und selbst für die Kinder ist, daß sie am Leben erhalten sind? Der ungebildete Mensch steht nur eine Stufe über dem Thier; und es ist nicht recht, wenn der nützlichere, der gebildete sich für das Untergeordnete wagt; sich der Welt zu erhalten, ist die höhere Pflicht!« – »Abscheulich!« sagte Albertine, und wendete sich indignirt von ihm. – »Und die lieben Neger?« fragte Onkel Dämmrig, der nicht leicht eine Neckerei fahren ließ. »Wassermann, Wassermann, mich dünkt, ihr System ist lahm und hinkt auch!« – Unser Magister that, was er immer that, wenn er sich in die Enge getrieben fühlte: er wurde grob. »Gewisse Leute,« schrie er, »sollten sich doch endlich resigniren, und gestehen, daß sie vieles nicht begreifen und in das Wesen höherer Naturen nicht einzugehen vermögen!«[163] – Übrigens hatte der Weltbürger sich mit keiner Sylbe nach dem traurigen Vorfall erkundigt, wie das doch wohl ein ganz Fremder gethan haben würde.

13. Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Wenn in den längeren Abenden Madame Rosamunde mit Albertinen und Lauretten, die sie scherzweise ihre Hofdamen nannte, außer dem Hause ihr Wesen hatte, pflegte Onkel Dämmrig zuweilen mit Schwester Elisen im Brette irgend eines der kinderleichten Spiele, die den Kopf nicht angreifen, zu spielen. Sie machte jetzt, bei ihrer belle passion für Albert, die Zerstreute, so daß der Bruder das Spielen satt hatte, und eine Unterredung anfing, von der wir jetzt Folgendes erfahren haben.

»Ich denke immer, ehe wir's uns versehen, führt der Ulmenhorst uns Nichte Albertinen davon!« – »Wie so?« – »Weil [164] er rasend in sie geschossen ist.« – »Meinst du? Ich könnte dir die Sache ganz anders erklären.« – »Wie das, Schwester?« – »Ulmenhorst hat sein Herz einer ganz Andern zugewendet.« – »Das wäre! Also nicht Albertinen?« – »Nein! Davon bin ich überzeugt.« – »Ich sage dir aber, ich verstehe mich auf solche Affairen; er ist sterblich in sie verliebt.« – »Possen! Das ist ein bloßer, sinnreicher Schleier, den er einer weit ernstlichern Leidenschaft leihet.« – »Nun, so möchte ich doch wissen, in wen er hier, außer diesem allerliebsten Weibchen, verliebt seyn könnte!« – »Du möchtest es gern wissen?« – »Freilich!« – »In mich!« – »In dich?« – »In Niemand anders.« – »Potz, über die alte Närrin!« – »Herr Bruder!« – – Elise war allemal, wenn sie Herr, oder bei Frauenzimmern ein Ehrenwort hinzusetzte, auf dem höchsten Grad ihrer Empfindlichkeit, und weiter verstieg sich die gute arme Tante in den Regionen des Zornes auch nie. Also: »Herr Bruder! was soll der beleidigende [165] Ausruf? Man ist doch noch nicht veraltert, und manche Jugend würde auf dieses Auge (sie ließ es lieblich schmachten) und diesen Teint eitel seyn. Und Doormann, Emmerich, Rothfelß und Feldhain möchten doch wohl den Beweis liefern, daß andere Leute nicht so geringe von der Macht dieser Reize denken, als der gütige Herr Bruder.« – »Diese Leute wären in dich verliebt?« – »Ja; ganz unsterblich.« – »Und haben es dir gesagt?« – »So verwegen war keiner; aber die Liebe hat eine stumme Sprache.« – »Sie lassen sich aber von keinem Auge im Hause sehen?« – »Dank sei es ihrer diskreten Leidenschaft!« – »Und der Rothfelß vollends macht sich über dich lustig, wo er nur weiß und kann.« – »Ha! Wer kennt nicht die Rasereien der Eifersucht?« – »Emmerich und Feldhain haben Weiber genommen.« – »Ach! der Depit fehlgeschlagener Hoffnung.« – »Schwester! du bist rein toll.« – »Herr Bruder! Sie sind sehr unartig!« – Elise packte ihr Arbeitskörbchen zusammen, begab sich [166] unmuthig auf ihr Zimmer, und seit diesem Abend blieben die Parthieen im Damenbrette auf lange Zeit ausgesetzt.

Mit dem Tod im Herzen, wie sie sagte, wartete sie auf Albertinens Zuhausekunft, und wie sie den leisen Fußtritt dieser Lieben über sich hörte, ging sie, ihr Herzeleid zu klagen. Aber wie vernichtet wurde sie, als Albertine ihr wehmüthig antwortete: »Ach, der Onkel wird wohl mehr denn zu recht haben; lesen Sie diesen Brief, liebe Tante!« Elise vermochte es kaum; doch faßte sie mit zitternder Hand das Blatt und las mit von Thränen verdunkeltem Blicke:


»An Albertine von Lindenhain!

Seit dem glücklichen Augenblick, der mich in Ihre Nähe brachte, liebenswürdigste Freundin! habe ich Sie keinen Augenblick aus meinem Herzen gelassen. Ich wußte nicht, daß Sie meinem Freunde gehörten; unter der einfachen Benennung Albertine, wodurch Ihre Gesellschaft [167] Sie bezeichnete, ahnete ich nicht die Gattin eines Mannes von Stande. Ich schwieg, weil ich Ihre Achtung verdienen, Ihre Zuneigung gewinnen wollte, ehe ich ein Geständniß wagte, das ich jetzt mit der schweren Besorgniß, Ihnen zu mißfallen, ablege. Verehrteste Freundin! es hat mir oft, besonders in den letzten Zeiten geschienen, als bemerkten Sie meine innige Verehrung, meine so herzliche Zuneigung wenigstens nicht so wohlgefällig, als das Glück meines Lebens es heischt; und deshalb bitte ich jetzt um Ihre theure Hand, um Ihre Liebe, mit einem Grade von Schüchternheit, die kein redlicher Mann je fühlen sollte! – Albertine, verwirft mich Ihr Herz als unwürdig, der Nachfolger des Liebenswürdigsten der Männer zu seyn, so geben Sie mir es wenigstens nicht in harten Worten zu erkennen, und verweisen mich dann nicht aus dem Kreise Ihrer Freunde.

Meine äußern Glücksumstände sind nicht unwerth, Ihnen angeboten zu werden; [168] und ich darf es Ihrem schönen Herzen, wenn es das Glück des meinen will, vorschlagen, über Ihr künftiges ansehnliches Vermögen, zu Gunsten irgend einer von Ihnen geliebten Person, zu disponiren. Das meinige ist durch die Erbschaft einer Tante zu einer mir beinahe lästigen Stärke angewachsen. –

Albertine, Sie kennen mich; ich werde nicht den Tod suchen, verwerfen Sie mich: Aber durch Ihr ›Nein!‹ scheitert jeder frohe Lebens-Plan, verdüstert sich meine ganze Zukunft. Denn Sie sind die Erste, die ich liebe, und ich fühle, daß dieses Herz nie einer Andern gehören kann. Ewig

Ihr

Albert von Ulmenhorst.«


Als die arme Elise vor lauter Wehmuth dazu kommen konnte, fragte sie mit gebrochener Stimme: »Und haben Sie schon einen Entschluß gefaßt, Nichte?« – Albertine sagte, sie sei, ihrem Gefühle nach, erst so kurze Zeit Wittwe, daß sie, selbst Wohlstandes[169] wegen, noch an keine zweite Ehe denken könne; überdem sei sie ja noch so jung und denke ihre Unabhängigkeit noch angenehm zu genießen. »Ach!« seufzte Elise tief; »er liebt Sie darum um nichts desto weniger, der Falsche! O Gott! ich habe ihn so treu, so einzig geliebt. Ich habe ihm mit der ganzen Kraft meines Gemüthes gehuldigt. Albertine, Sie sind meine bitterste Feindin, Sie rauben ihn mir!« – »Liebe Tante, ich bin unschuldig, bin, weiß es Gott, ganz unschuldig; denn ich suche seine Liebe nicht!« – Elise ging schmerzlich weinend von ihr.

Am andern Morgen fuhr Elise, nachdem sie viel geräumt und gewirthschaftet hatte, mit ihrer Kammerjungfer aus. Mittags wurde sie vergebens erwartet; so den Abend, und da sie die Nacht ausblieb, suchte man in ihrem Zimmer nach, ob sie vielleicht eine Weisung hinterlassen habe, wo sie hingekommen sei? – Auf ihrem Arbeitstische lag folgender offner Zettel:


[170] »Ihr alle habt mir das Herz gebrochen. Mein unfreundlicher Bruder und meine gute, schuldlose Nichte am meisten. Ich kann hinfort nicht mehr unter euch wallen. Ich gehe hin, wo mir nur wohl seyn kann. Keiner trage Sorge um die verstoßene Elise; denn sie wird selig, selig, überselig seyn. Künftig mehr!

Elise Dämmrig.«


Keiner entzifferte diesen räthselhaften Brief, außer Albert, der zu diskret war, der zärtlichen Elegie, die er zum Abschiede erhalten hatte, zu erwähnen. Die Familie war höchst bestürzt. Frau Rosamunde hatte wirklich eine und eine halbe Ohnmacht zu Stande gebracht; Albertine, die sich alle Schuld beilegte, war untröstlich; und wenn der Onkel Dämmrig unter Thränen, die er hinter einem läppischen Lachen zu verbergen glaubte, ausrief: »Wo nur in aller Welt, ma soeur! oder auch, welches bei ihm gleichgeltende Ausdrücke waren, die alte Närrin, Ende genommen haben muß?« [171] sagte Laurette immer mit angenommener Traurigkeit: »Wer weiß, in welchem Wasser die liegt! Mein Trost ist, daß sie den neunten Tag dann doch wieder zum Vorschein kommt, wie man sagt.« – Indeß musterte sie in der Stille den Nachlaß der armen Tante, worunter sie manches fand, was ihrer Habsucht schmeichelte.

Erst nach vierzehn Tagen, als sie alle Vermuthungen erschöpft hatten, erhielten sie folgendes Schreiben.


»Der Jammer hatte mein Herz gebrochen; denn Er füllte meine ganze Seele. Ihr hattet mich getödtet. Jetzt bin ich zum seligen Leben hervorgesproßt. Ich bin in dem Himmel, in der Nähe der Götter, die meine Seele anbetete. Ja, Albertine, du Einzige, die du mich begreifst: ich sahe ihn! ich sprach ihn! Denke dir diese Seeligkeit des Himmels: ich sprach ihn! Ewigkeiten möcht' ich so ihn sehen; Ewigkeiten da wie angewurzelt stehen! Wie ich mich ihm entgegenrankte, dem hehren Dichter der Iphigenia! Wie da alles andere vor [172] meiner Seele schwand!!! – Jetzt, Albertine, du geliebte Verwandtin meiner Seele, genieße des Vorzuges, von dem Goldlockigen geliebt zu werden, unbeneidet; noch einmal, ich bin in dem Himmel, inmeinem Weimar. Lebt wohl!

Elise Dämmrig.«


Jetzt ward allen wieder wohl, als sie nur wußten, wo die gute Schwärmerin hingekommen war, obschon die arme Albertine in die Erde sinken zu müssen glaubte, als der Onkel den Brief ohne alle Schonung in aller Gegenwart laut vorlas, wobei er lachte, daß er hätte ersticken mögen, und von Zeit zu Zeit Albertinen und Alberten mit dem undelikaten Ausruf: »Ha! Ha! da kommt's heraus!« ansah. Durch dieses Ereigniß wurde Albertine bewogen, früher, als sie es wohl sonst gethan hätte, Alberten ein Körbchen zu flechten, das so zart, so fein, so mit Blumen umwunden war, wie es der feine weibliche Takt nur immer ersinnen konnte. Ihr Herz, ihr jetzt leider eingenommenes Herz wollte den Liebhaber [173] entfernen und sich den Freund erhalten; ein Plan, der achtungswerthen Weibern sehr sicher zu gelingen pflegt und auch hier gelang.

14. Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Albert hatte sich mehr Stärke zugetraut, als er wirklich besaß. Albertinens Antwort versenkte ihn in stillen Gram, der endlich in ein gefährliches Fieber überging. In den Paroxismen rief er Albertinen und den Tod, ihn zu retten aus dem Abgrund, worein er versinke. Die redliche Euler hielt sich verpflichtet, da es ihm in seiner blos verdungenen Hausgenossenschaft durchaus an einer zarten, pflegenden Hand fehlte, sich über die Regeln eines ängstlichen Wohlstandes hinauszusetzen und sich in sein Haus zu begeben. Durch sie erhielt Albertine alle Stunden Nachricht von seinem Befinden; denn bei allem, was wir an Albertinen mißbilligen könnten, hatte sie immer noch [174] nicht den Sinn für einen Freund, wie Albert ihr war, eingebüßt, wenn gleich ein flüchtiger Übergang von Frivolität sie jetzt einigermaßen gefangen hielt.

Ein Ereigniß, das nicht zu den glücklichen gehörte, veränderte, während Alberts Krankheit, gänzlich das Innere des Dämmrigschen Hauses. Der Herr Prinzipal hatte. nach einer vieljährigen Gewohnheit, sein ganzes Handelsgeschäft seinen Buchhaltern überlassen, wovon einige an Aufwand es ihm beinahe gleich thaten; weil sie aber der Rosamunde ungeheure Zahlungen leisteten, sich ihrer kräftigsten Protection zu erfreuen hatten. Jetzt brach, was man einen vollständigen Bankerutt nennen möchte, über das Haus ein, ohne daß der sorglose Herr Dämmrig die fernste Ahnung einer solchen Katastrophe gehabt hätte. Nachdem die ersten unmäßigen Regungen seines unmännlichen Schmerzes vorüber waren, ließ er seine Hausgenossen zusammenkommen, und erklärte ihnen, was geschehen war und nun fürder geschehen müsse, nemlich eine [175] totale Reform der eingeführten Lebensweise. Rosamunde sagte, nachdem sie in der Geschwindigkeit verschiedene Ohnmachten abgethan hatte, sie werde nun nicht mit ihm Misere schmelzen, nachdem sie ihm ihre schönste Jugend aufgeopfert habe, welche sie doch, im Vorbeigehen gesagt, baare zwei und vierzig Jahre mit aller Anstrengung einer tapfern Koulissenheldin genossen hatte; und was das Misere schmelzen betrifft, hatte sie auch diesem mit großer Klugheit vorgebeugt, indem sie sich ein beträchtliches Kapital, ohne die kostbaren Juwelen, welche sie besaß, von ihm gerichtlich hatte schenken lassen. Indeß erklärte sie doch großmüthiglich, sie wolle vor der Hand im Hause bleiben, so lange, als man es ihnen selbst noch gestatten werde – setzte sie trocken hinzu.

»Elise hat das Beste erwählt; sie hat sich vor dem Sturm gerettet,« sagte Dämmrig gerührt; »aber ihr, meine Nichten, wie wird es euch armen Kindern ergehen? Du, meine Philosophin, wirst in deiner Vernunft[176] Gründe gegen das Ungemach finden.« – »Seyn Sie unbekümmert, Onkel! Noch nie darbte der Verstand; es wäre traurig, wenn die höhere Ausbildung zu nichts weiter führte. Ich bin nicht gemacht, um verlassen zu werden; die ersten Häuser stehen mir offen und die besten Köpfe finden sich durch meinen Umgang geehrt,« sagte sie stolz und entfernte sich, die Thränen verbergend, welche die Aussicht in eine beschränktere Lage ihrem verzärtelten Sinne entlockte.

»Und du, Albertine, meine Gute, wirst du den armen Onkel nun verlassen wollen?« – »Nein, mein theurer, guter Onkel. Ich genoß Ihre Großmuth, und theile von nun an jedes Schicksal mit Ihnen. Nimmer, nimmer verlasse ich den Pflegebedürftigen, und was die Vorsehung mir zugetheilt hat, theile ich ehrlich mit Ihnen.« – »Daß sich der Himmel erbarme, armes Albertinchen!« indem er die Hände verzweifelnd zusammen schlug; »du weißt nicht alles, du Arme! du bist mit zu Grunde gerichtet. [177] Dein Vormund gab mir dein Kapital zu Acht Procent, und – ach, ich bin ein unglücklicher Mensch! Aber, Albertine, nenne mich einen Schurken, wenn ich nicht den letzten Bissen mit dir theile!«

Albertine war wirklich etwas betäubt; indeß, nachdem sie die Hände gefaltet und andächtig in die Wolken geblickt hatte, warf sie sich ihrem Onkel mit treu er Herzensergießung an die Brust, und bat, er möchte nur für sich sorgen; sie traue auf die Güte Gottes, der sie nicht verlassen werde. Sie wolle ihren theuren Verwandten nun und immer nicht verlassen.

In einem Briefe meldete sie ihrer Euler, was sich zugetragen und was sie beschlossen hatte. Henriette gab ihr, ohne Vorwurf, zu verstehen, wie gut es gewesen wäre, wenn sie Alberten angenommen hätte; jetzt verbiete es freilich ihre Ehre, ihn anzunehmen. Sie bot ihr auf jeden Fall ihr Haus an, billigte aber doch sehr das Zartgefühl, womit sie sich ihrem Onkel geweiht hatte.

Die Reformen im Dämmrigschen Hause [178] gingen so schnell von statten, daß die Tischfreunde nicht einmal Zeit hatten, sich nach und nach mit Anstand zurück zu ziehen, sondern urplötzlich abbrachen, und, so zu sagen, mit dem Pariser Koch zugleich abzogen. Noch einmal trank Wassermann einen einsamen, einfachen Thee mit der Familie, wobei ihn Laurette nach ihrer Weise in der Stille fragte: wann er denn nun um Albertinen anhalten werde? jetzt sei er doch eines Mitbewerbers los; welches er blos mit einem: »Ich habe warlich keine Eil!« beantwortete. Deutlicher erklärte er sich in einem Lachen, welches nur seinem Gesichte gehörte, und auch von Laurettens eignem Lachen beantwortet wurde.

Auffallend verschieden war das Benehmen der bei den Hausfreunde Ulmenhorst und Weißensee. Jener, dessen erster Ausgang nach seiner Genesung zu dem befreundeten Hause gerichtet wurde, begegnete Albertinen jetzt mit einer delikaten Zurückhaltung, die er mehr auf ihren Verlust, als seine Verwerfung bezog, und in die ihr eignes [179] zartes Gemüth leichter einging, als in die zunehmende Galanterie und lebhaftere Annäherung des Barons, worin die kleine Weiblichkeit des guten Kindes erhöhete Leidenschaft sahe und nichts von der Undelikatesse ahnete, die ihre verschlimmerte Lage zu benutzen strebte.

Das eitle Gemüth Rosamundens ertrug nicht lange die erfolgte Stille des Hauses, worin Frivolität und frivoler Genuß die stete Losung gewesen war. Der literarische Klub brachte, außer Verspottung und Ridicules, wenig ein; sie ließ ihn eingehen und etablirte eine förmliche Pharaobank in ihrem Zimmer, wobei Albertine, ohne es in ihrer Unschuld zu ahnen, die Lockung war. Außer einigen Spielern von Profession waren verschiedene alternde Damen aus der alten Kameradschaft, ein abgesetzter Hofmarschall, ein getaufter Jude, zwei oder drei junge Edelleute und der Baron Weißensee die tägliche Genossenschaft. Die erste Zeit ging Albertine [180] blos ab und zu, ihren Onkel mit allerlei kleinen Bedürfnissen, deren er unendliche hatte, zu versorgen; denn nie rührte Laurette auch nur eine Hand, ihm einen Trunk Wasser zu reichen. Nach und nach weilte Albertine längere Zeiten als Zuschauerin, weigerte sich aber immer noch standhaft, Theilnehmerin zu werden, bis endlich einmal der Baron, der, ganz unleidenschaftlich, sich blos dem geselligen Zeitvertreibe zu leihen schien, und Rosamunde es von ihr erhielten, daß sie mit pointirte. Sie gewann, pointirte noch einmal und gewann wieder. Aufgemuntert durch diesen Erfolg, war sie jetzt fast jeden Abend von der Parthie, bei der Laurette anfing eine wichtige Rolle zu spielen, indem sie mit unausgesetztem Glücke spielte. Auch die arme Albertine wurde immer tiefer verwickelt, und das um so leichter, da der Baron ihr nicht von der Seite wich, immer zwischendurch auf das Spiel und dessen Unmoralität loszog, es indeß billigte, wenn Albertine, so wie er [181] selbst that, auch diese Lebenserfahrung erwarb, um dann das Ganze wie ein schmutziges Gewand abstreifen zu können.

O, der unwürdigen Ränke, durch welche die unschuldigste und reinste ihres Geschlechts in's Garn gelockt werden sollte! Die Spieler-Flitterwochen gingen für Albertinen bald vorüber. Der bisherige Gewinn samt den zweihundert Louisd'or, die Albert ihr eingehändigt hatte, gehörten im kurzen der Räuberbande am grünen Tische, und die unglückliche Albertine gerieth in Verlegenheiten, wovon wir bald Bericht erstatten wollen.

15. Kapitel

Funfzehntes Kapitel

Wassermann hatte, mit der ihm beiwohnenden Rohheit des Gemüths, dem Hause, worin er so manche frohe Stunde verlebt hatte, entsagt, sobald der gewohnte Wohlstand daraus gewichen war. Albertine, die liebenswürdige Albertine ohne Vermögen, [182] war ihm nur ein gewöhnlicher Gegenstand seiner ungeordneten Sinnlichkeit, dem aber nachzustellen zu mühsam war. Indeß hatte er. doch einmal den Vorsatz gefaßt, durch eine Heirath reich zu werden, welches ihm die bequemste Art schien; denn sich in die Mühle des Staats einspannen zu lassen, wodurch er das Leben des Geschäftsmannes bezeichnete, dazu erschien er sich zu eminent. Er schaute unter den Töchtern des Landes umher, und siehe, es fand sich keine, die würdig gewesen wäre, die Frau des Magister Wassermann zu werden.

Indeß erschien ihm, während des phantasiereichen Zustandes zwischen Schlaf und Wachen, wo der unglücklich Liebende die Geliebte ätherisch umarmt, der Dichter den Stoff zu Sonnetten und der Philosoph oft zu seinen Systemen auffaßt, Antonie, die junge Wittwe, mit reinen 30,000 Thalern. Er rieb den Schlaf aus den Augen, über rechnete seine unermeßlichen Verdienste, seinen gelehrten Ruf, was dieser ihm noch in der Folge einbringen werde, wie die Potenzen [183] sich drängen würden, ihn an sich zu ziehen, und er beschloß, Antonien zu sich zu erheben.

Ein feindseliger Genius, der seinen Spaß mit unserm Magister zu haben schien, wollte, daß an eben diesem Morgen, in eben demselben Zustand zwischen Schlaf und Wachen, Wassermann Antonien in den gehässigsten Farben erschien. Immer noch hatte die an ihrer empfindlichsten Stelle tief gekränkte Antonie Rache in ihrem Herzen gekocht. An den Weibern nahm sie sie überall, wo nur Dampf aus einer Theemaschine aufbrodelte; auch war es ihr wirklich gelungen, Rosamundens Gesellschaft lächerlich zu machen, sie in einem öffentlichen Blatte als eine solche bezeichnen zu lassen, und derselben einige frisch angekommene Schöngeister zu entführen, so daß der schöne Kranz zerstiebte. Aber für Wassermann bereitete sie eine empfindlichere und vollständigere Rache.

Als sie ihren literarischen Anhang stark genug hielt, veranstaltete sie durch denselben [184] eine äußerst harte und beißende Recension eines der Wassermannschen Werke, worauf er, wie sie wußte, den höchsten Werth setzte, weil er, wie er sagte, sich ganz darin ausgesprochen hatte; und als das schöne Werk der Finsterniß an den Tag gefördert war, schickte sie es, von einem hämischen Briefe begleitet, an den unglücklichen Magister ab. Dies geschah an eben dem Vormittage, an dem er ihr die Ehre seiner Bewerbung angedeihen zu lassen beschlossen hatte. Als sein Knabe mit Gruß und Brief von Madame Spürhauß hereinkam, riß er ihm den Brief aus der Hand und rief triumphirend: »Ha! sie kommt mir zuvor! Sie kommt mir zuvor! Ich dacht's; sie kann mich nicht vergessen! Ich war meiner zu gewiß. Und bin ich denn nicht Wassermann?«

Wer schildert den Schreck, die Wuth des Magisters, als er den Brief und die bezeichnete Stelle, die ihn betraf, gelesen hatte! – Der rasende Roland müßte ein bloßer Stümper in tollen Geberden gegen unsern[185] Wassermann gewesen seyn. Er zertrümmerte die wenigen Habseligkeiten, die er besaß, und trieb es so toll, daß sein Knabe in der Angst zum Arzte lief, der ihn im hef tigsten Fieber fand, welches sich in einigen Tagen als ein hitziges Gallenfieber zeigte. Im Dämmrigschen Hause erfuhr man seinen Zustand, und Albertine war sogleich bereit, ihm auf die zarteste und schonendste Weise alle Arten von Erleichterung zukommen zu lassen, welches auch der edle Albert that, ohne daß der Kranke je erfuhr, von woher ihm so reichlicher Beistand gekommen war.

16. Kapitel

Sechszehntes Kapitel

Albertine war indessen durch die niedrigen Künste ihrer Gesellschafter gänzlich umstrickt, welches selbst durch die edle Unbefangenheit ihres Gemüths gefördert wurde. Ihre liebende Seele widerstand nicht den Schmeicheleien derer, von welchen sie nur [186] kalte Zurücksetzung gewohnt war. Henriette hatte oft vor, sie diesem Zustande gewaltsam zu entreißen und an ihren Bruder zu schreiben. Dieser war aber, einer Angelegenheit wegen, außer Landes, und Albert widerrieth immer jede heftige Maaßregel, weil er vielleicht zu sehr auf die Rückkehr eines tugendhaften Gemüthes rechnete, ohne daran zu denken, daß es einem weiblichen und dazu verirrten Gemüth an Energie zur Rückkehr gebricht. In der That wurde sie durch Verlegenheiten, die er nicht wissen konnte, am meisten aber durch eine geheime Zuneigung zu dem Verführer zu sehr erschwert.

Albertine gerieth durch anhaltenden Verlust in Geldverlegenheiten, wobei sie das wieder gewinnen als die einzige Ressourçe ansah; da diese aber immerabgeredetermaßen fehlschlug, beging sie die erste Unbesonnenheit, sich ihrer Kammerjungfer zum Verkauf einiger Pretiosen zu bedienen. Da der Verkauf so über Erwarten gut von Statten ging, fuhr sie damit fort, bis sie [187] in der That nichts mehr zu verkaufen hatte, und in wirkliche Schuldennoth gerieth.

Tief in sich versenkt, saß sie da, grämte sich und gedachte wehmüthig der Zeit ihrer Reinheit, als sie noch mit offnem Auge jedem Blicke begegnen durfte. Jetzt war sie der Willkühr einer verächtlichen Rotte überlassen; ihrem Onkel, dem sie sich aufgeopfert zu haben glaubte, nützte sie eigentlich zu nichts. Ihre edleren Freunde hatte sie diese letzte Zeit her vernachlässiget, und nie hätte sie es gewagt, sich ihrer Henriette, von der sie so manche freundliche Warnung bekommen hatte, zu entdecken, als diese ungerufen in's Zimmer trat. Albertine stürzte ihr mit heißen Thränen in die Arme! –

»Liebste Albertine, Sie sind nicht glücklich!« – »O nein, nein, ihre Albertine ist tief, tief gesunken. Sie kann nicht mehr glücklich seyn!« – »Armes Kind! Was ist Ihnen begegnet? Sprechen Sie!« – Albertine vermochte es nicht; Thränen erstickten ihre Stimme. Sie gab Henrietten [188] einen Zettel, der eine grobe Mahnung um zweihundert Thaler, mit Androhung des Arrestes, enthielt. Albertine verbarg ihr Gesicht in die Sophakissen, indeß die Freundin las.

Henriette sprach keine Sylbe, wischte die Thränen ab, und entfernte sich. – »Henriette! Henriette!« rief Albertine ihr mit schwacher Stimme nach; »wenn auch du mich verlässest! Ach, ich hab' es verdient; wohl hab' ich's verdient, wenn die Vortreffliche mit Abscheu von mir weicht!« – Indem kam Henriette mit beruhigender Freundlichkeit zurück. »Endlich ist mir's vergönnt,« sagte sie, »die Schuld der Freundschaft abzutragen! – Hier, meine Albertine; diese Summe, die eben zureicht, Sie zufrieden zu stellen, ersparte ich, ich darf sagen, von meinem Überflusse. Denn ich entbehrte nichts; ich darbte mir nichts ab. Nun? Was wird's? Warum dies Zögern?« – – »O ewig, ewig müßten diese Augen beschämt am Boden haften, unterfinge ich mich, in den Früchten des redlichsten Fleißes, [189] der edelsten Genügsamkeit zu schwelgen! Nein, Henriette,« sagte Albertine mit trocknem, brennendem Auge und einer heftigen, krampfhaften Bewegung; »nein, Henriette! ehe verwese diese Hand im Gefängnisse, ehe sie sich zu diesem Altarraub ausstreckt. O, meine Freundin,« setzte sie wehmüthig hinzu, »weiß ich's denn nicht, wie Sie arbeiten? wie Sie sich die erlaubtesten Genüsse versagen? wie edel Sie entbehren? Und ich Unwürdige sollte – –! Aber nie, nie vergesse ich dieses Augenblicks, in dem ich mich von Ihnen verstoßen wähnte!« – –

Als Henriette sah, daß die wärmste Beredsamkeit der Freundschaft nicht zureichte, Albertinens Festigkeit über diesen Punkt zu besiegen, ließ sie ab, und sagte bekümmert: »Nun dann, weil Sie durchaus das Herz betrüben wollen, aus dem ich Ihnen dieses mir Entbehrliche anbot, so werden Sie sich doch nicht weigern, dieses zurück zu nehmen?« Und hier breitete die Gute alle Kleinodien über den Tisch hin, die Albertine nach und nach verkauft hatte. »Ich [190] war die Käuferin. Verzeihen Sie der sorgsamen Freundschaft die kleine List, deren sie sich, um zu ihrem Zwecke zu kommen, bediente.«

»Das ist zu viel, Henriette!« rief Albertine mit einem Erstaunen, in welches sich einiger Unwille zu mischen schien; »das ist zu viel! Das kommt nicht von Ihnen allein! So für mich zu wirken, vermögen Sie nicht allein, Henriette! Die Hand eines Dritten ist hier im Spiele, und ich kann, ich darf, was so reichlich bezahlt wurde, nie zurücknehmen. O, in welchen Abgrund von Schande und Verwirrung sehe ich mich verloren! O, mein Leichtsinn! Mein Leichtsinn!« – »Wie kann meine Freundinn einem solchen Opfer einen so unermeßlichen Werth beilegen! Weiß ich's denn nicht aus vielfacher Erfahrung, daß mir in ähnlichem Falle eben das von ihr widerfahren würde? Bin ich nicht längst daran gewöhnt, nur das Nothwendige zu haben? ich gab aber das Entbehrliche!« – »Ach, Henriette, jedes Wort durchbohrt [191] mich!« – Hier schwieg sie. Ein Thränenstrom hemmte ihre Rede. Indeß legte Henriette, ohne sich abhalten zu lassen, die Juwelen in Albertinens Toilette, umarmte ihre Freundin ernst und schweigend, nahete sich der Thüre, kehrte noch einmal wieder, drückte sie gerührt an ihr Herz und entfernte sich dann schnell.

17. Kapitel

Siebenzehntes Kapitel

»Albertine! Albertine! Sehen und hören Sie denn nicht?« rief Rosamunde Albertinen zu, die ihren Eintritt aus einem Seiten-Kabinet gar nicht bemerkt hatte und immer noch mit nachstrebenden Händen die Augen starr auf die Thüre heftete, aus der Henriette verschwand. »Albertine, Sie sind in einer seltsamen Bewegung! Was ist Ihnen?« – »Wie, Madame, Sie wissen nicht, daß ich verhaftet werden soll, wenn ich zweihundert Thaler nicht bezahle, die ich durch das heillose Spiel, wozu Sie mich [192] verleiteten, schuldig geworden bin?« – »Undankbare! ich habe es erwartet. Daß Sie kindisch wagten, ist das meine Schuld? Aber ich verzeihe Ihrem Unmuthe diesen Ausfall; erzählen Sie mir doch; es wird ja so schlimm nicht seyn? Sie haben ja Juwelen; es werden sich ja Freunde finden, bei welchen Sie sie verpfänden oder verkaufen können. Lassen Sie einmal sehen!« – Sie hatte nemlich die ganze Scene zwischen Henrietten und Albertinen belauscht. Albertine holte vertrauensvoll ihren Schatz. Rosamunde wog, taxirte, besah, tadelte alles. Die Perlen waren nicht rund, die Uhr nicht modern, die Diamanten nicht von reinem Wasser, die Ketten nur Kronengold; »indeß zweihundert Thaler kommen zur Noth heraus. Ich gebe sie Ihnen. Nota bene, damit ist dann zugleich die kleine Schuld von ehemals quittirt. Sie quittiren es mir!« (Der Leser wird sich erinnern, daß Rosamunde acht Louisd'or von Albertinen borgte.) Albertine ging alles ein; der Handel kam ihr vortrefflich und [193] Rosamunde höchst großmüthig vor. »Nun müssen Sie mir aber,« sprach diese, »auch einen Gefallen thun. Ich habe keine Parthie zur Maskerade für diesen Abend, und möchte für mein Leben gern hin. Laurette ist enrhumirt; Sie müssen mit; ich nehme keinen refus an!« – »Wie, Madame! mit diesem zermalmten Herzen? mit diesem wunden Gefühl meiner Strafwürdigkeit?« – »O Himmel, wie Sie einen ennuyiren können! Die Sache ist ja vorbei; und damit gut. Geben Sie doch einmal diese veralterte Sentimentalität auf; sie steht einem zwanzigjährigen Gesicht, wie einem Jünglinge die Alongen-Perüke des Ältervaters. Albertine, seyn Sie dieses eine Mal nur gefällig. Der Baron führt mich und der alte Hofmarschall Sie; daran könnte die prüdeste Duegna nichts auszusetzen haben. Jetzt kann ich mich nicht darüber erklären; aber gewiß spreche ich dort ohne Zwang einen gewissen Großen, der unsern guten Onkel aus seinen Verdrüßlichkeiten ziehen kann.« – »Jetzt, Madame, legen Sie [194] mir als Verbindlichkeit auf, was ich als Gefälligkeit ungern eingegangen wäre; denn in der That, mein Gemüth ist sonderbar erschüttert und sehr ernst gestimmt.« – »Eh, tant mieux, ma chere! so verjubeln Sie die Grillen! Nun genug; sie gehen; in einer Stunde schicke ich Ihnen das Maskenkleid.Addio, cara!« – Sie hüpfte wie ein junges Mädchen davon und ließ Albertinen ganz betäubt zurück.

Nach einer Stunde kamen wirklich ein zierliches Maskenkleid und zweihundert Thaler in Sechsern. Albertine packte ihre Juwelen zusammen und schrieb die Quittung, die den heillosesten Betrug der Habsucht bestätigte.

Jetzt wollte sie diese Scheidemünze in Gold umsetzen lassen, denn die Schuld war in Gold zu bezahlen, als ihre Kammerjungfer mit einem Billet von dem bösen Schuldner erschien, der ihr für gute Bezahlung dankte, die er durch einen Herrn erhalten hatte, und wogegen er ihr ihren Schuldschein zurück schickte. Lisette fragte [195] den Burschen aus; und nach dessen Beschreibung war der Herr kein anderer, als der Baron Weißensee gewesen; wie denn Lisette jetzt gestand, er habe durch sie selbst heute früh, da er ihrer Dame habe aufwarten wollen, ihre Verlegenheit erfahren, als er darauf bestanden hatte, die Ursache der Thränen, welche diese treue Dienerin vergoß, zu erfahren. Albertinens Delikatesse sträubte sich zwar gegen die Vorstellung, daß sie einem jungen Mann eine Geldverbindlichkeit habe; indeß, ganz in der Tiefe ihres Herzens wußte sie ihm für eine so warme Theilnahme Dank, und überdem stand es ja jetzt in ihrer Gewalt, die Schuld sogleich zu tilgen.

[196]

18. Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Wir haben unsern alten Bekannten, Wassermann, in dem Paroxismus eines Gallenfiebers verlassen. Auch in diesem Zustand verließ ihn sein Genius nicht, und der Arzt, welchen sein Knabe geholt hatte, wußte gar nicht, mit was für einer Gattung Menschen er es zu thun hätte. Wenn der Kranke immer durch Wir sprach, glaubte er, es sei ein Verrückter, der sich für irgend eine große Potenz halte, bis endlich einmal der fürchterliche Spruch: ohe jam satis, sich aus dem Ideenwirrwarr hervorthat. Jetzt wurde es ihm klar, wer der Kranke sei, und er ging ihm nun tüchtig mit Brechmitteln zu Leibe, die Galle von ihm zu schaffen. Doch blieb, so stark die Mittel anschlugen, immer noch hinreichend zur künftigen Konsumtion übrig. Als der Kranke außer Gefahr, aber noch zu matt zum Schreiben war, dictirte er seinem Arzte einen Brief an Antonien, den dieser, pour la rarité du fait, wirklich[197] niederschrieb; er war das Urbild des beleidigten Autorstolzes und der plattesten Grobheit. Ferner wendete er seine wieder erlangten Geisteskräfte sogleich zu einer Antikritik an, dergleichen die literarische Markthelfersprache ebenfalls noch nicht aufzuweisen hatte.

Als er sich so Luft gemacht, fühlte er sich um ein Großes erleichtert, und die volle Genesung ging nun schnell von statten. Der Arzt war, als er ihn bezahlen wollte, schon von unbekannter Hand sehr reichlich belohnt worden. Das kümmerte nun den Magister weiter nicht, und er gab sich keinen Augenblick die Mühe, seinen unbekannten Wohlthäter auszuforschen. Die Sache war geschehen; nun gut! Dankbarkeit gehörte nach ihm zu den Schwächlichkeiten invalider Gemüther; der Geber schafft sich selbst Vergnügen, indem er giebt; er findet sich in dem Gefühle, daß er verpflichten kann, edel und groß: soll man ihm das danken? – Wir, die wir eine andere Ansicht dafür haben, sind neugieriger gewesen, [198] und haben erfahren, daß der edle Ulmenhorst eine so reichliche Spende gemacht hatte.

Nachdem er völlig genesen war, wachte seine ganze Wuth wieder in ihm auf, und es schien ihm unmöglich, ferner unter diesem literarischen Sodomsgeschlecht zu haufen. Er schied von dannen, und würde keinem Menschen die Ehre erzeigt haben, Kunde von sich zu geben, hätte er nicht gehofft, aus den Trümmern des Dämmrigschen Wohlstandes könne sich noch für ihn ein Reisegeräthe und manches zu seinem Gebrauche vorfinden lassen; welches denn auch geschah. Der ehrliche Dämmrig gab lachend, weil der Anblick des gelben Gerippes, worein Wassermann verwandelt war, ihn unendlich amüsirte, alles, was er an Reisebedürfnissen hatte, und fand das Schlottern seiner weiten Kleider auf dem dürren Leibe des Magisters höchst belustigend. Als man ihn fragte, wohin er ginge? antwortete er: »nach dem einzigen Ort, wo es eigentlich nur Menschen giebt, wo man sie [199] nicht, wie hier, mit Leuchten suchen muß.« Das hieß, er ging dahin, wo Elise ihren Himmel gefunden hatte.

Mit dieser gab er sich denn auch zusammen; denn sie hatte ein artiges, unabhängiges Vermögen und war der gute Wille selbst. Jetzt schmähete und lästerte er, trotz der gallenreichsten alten Jungfer. In der Dämmrigschen Familie erwartete man mit jedem Posttag die Nachricht ihrer ehelichen Verbindung.

19. Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Albertine trieb sich ohne allen frohen Genuß unter den wogenden Masken umher. Ihr Herz hob sich in den langsamen Pulsen innerer Trauer, unter dem bunten Gewande der Freude; in ihr Auge traten unwillkürliche Thränen, als der Klang der Saiten in ihr Ohr drang. Der Anblick des Barons weckte ihre ganze Empfindlichkeit [200] über das Vergangene, und sie glaubte, nicht ohne Affectation einen Punct unberührt lassen zu können, der ihr zwischen verschiedenen Geschlechtern eine nicht anständige Vertraulichkeit schien. Ihre Verwirrung ließ den Baron nur ahnen, was sie sagen wollte; er lehnte mit Feinheit und Grazie den Dank ab, (der ihm freilich auch nicht gebührte; denn Albert war der, der die Schuld in möglichster Eil und Verschwiegenheit getilgt hatte;) indeß wußte Weißensee sich schnell zu orientiren, und ließ es sich aus gewissen Ursachen gern gefallen, für Albertinens Beschützer gehalten zu werden, ohne daß es ihm einen Heller kostete.

Unter dem Gedränge bemerkte Albertine eine Kosaken-Maske, von der sie nicht nur immer verfolgt, sondern auch scharf beobachtet schien. Sie redete ihn einige Male an, seiner los zu werden; aber er antwortete nicht, schüttelte den Kopf und legte seufzend die Hände auf seine Brust, welches ihrem Begleiter, dem Hofmarschall, Anlaß zu manchem schaalen Scherze gab, an welchem [201] unsre Freundin wenig Geschmack fand. Endlich drängte sich der Kosak noch einmal an sie, und sagte mit verstellter, doch leiser Stimme: »Weile nicht zu spät hier, schöne Maske! Ein Sturm bricht über dich ein!« – Albertine wurde empfindlich, sehnte sich hinweg, und machte sich auf, ihre Gesellschaft zu suchen.

Indessen gingen in Albertinens Wohnung wunderliche Dinge vor, die wir, der Ordnung gemäß, berichten wollen.

Albertine hatte nicht sobald das Haus verlassen, als sich ihr Zöfchen, Lisette, an ihre Arbeit begab, die zu einem Geschenk für den charmanten Monsieur George, des Barons Kammerdiener, bestimmt war. Schauerlich heulte der Wind durch die Kamine der großen, jetzt leeren Gemächer. Unserm Lisettchen wurde es gar unheimlich um's Herz; sie fing an Riegel zu zuschieben und Schlösser zu verwahren, setzte sich wieder an's Tischchen, und lauschte gar ängstlich nach der Thüre hin, als plötzlich ein Gepolter entstand und eine kräftige Hand [202] anklopfte. »Wer ist da?« wimmerte Lisettchen. – »Gut Freund!« antwortete die Stimme von außen. – »Ich mache Niemand auf, der sich nicht nennt.« – »Lisette muß mir aufmachen, auch wenn ich mich nicht zu nennen für gut finde.« – »Herr Jemine! wie wissen Sie denn meinen Namen?« – »Weil ich gut Freund bin.« – »Herr Je! ich muß doch einmal sehen!« – Lisette machte auf; da war sie aber eben so klug. Denn den Herrn im Reisekleide, der sich ziemlich keck und herrisch betrug, kannte sie gar nicht. Daß er aber unklug sei, nahm sie für ausgemacht an; denn er sah zwar sehr schön, aber verwildert aus, sprach nicht, näherte sich Albertinens Bette, streckte die Hand bedeutend darnach hin, küßte die Decke, riß einen ihrer Handschuhe vom Tisch und küßte ihn ungestüm, trat an die Staffelei, betrachtete das Gemälde, worauf der Gemahl sterbend abgebildet war, und weinte laut. Lisette hatte sich vor dem großen wilden Mann hinter die Stühle geflüchtet und antwortete ganz schüchtern, als [203] er, nicht mit donnernder, sondern sehr affectvoller Sprache fragte: »ihre Dame ist also – hab' ich denn recht verstanden? – auf dem Ball?« – »Auf dem Ball!« wiederholte er einige Male und immer weicher. »O Gott! wie feierlich versprach sie's mir! und hier, hier in diesem verfluchten Treibjagen nach Lust!« – In diesem Affect entfiel dem Fremden ein Handschuh, und Lisette sah mit Entsetzen, daß er in dem Handschuh keine Hand hatte, und schrie wie Zeter Mordio: »Herr Jesu! Sie sind doch nicht unser seliger gnädiger Herr?« – – »Selig wahrhaftig nicht in diesem Augenblick! Schweige sie!« – »Ach nein; ich will lieber den alten Herrn wecken; mir graut's mit dem Herrn allein.« – »Nicht von der Stelle! sag' ich ihr. Wer ich auch sei; ich muß ihre Dame sprechen. Ich bringe ihr Nachrichten, die ihr wichtig seyn müssen.« – – Indeß hatte sich Lisette den wilden Mann etwas besser besehen, und fand sein Antlitz sehr menschlich, ja sogar schön; und vollends, wenn er sprach, und [204] die schönen Augen so auf einen richtete; und dann seine Gestalt, die schlank und doch kräftig, und sein Anstand, der so herrisch und doch auch wieder so milde, so ungezwungen edel war! – Genug, Lisetten verging das Grausen so gut, daß sie gar redselig wurde und dem Fremden viel von ihrer Herrschaft erzählte, die wohl die schönste Dame in der Stadt sei, der es aber auch nicht an Verehrern fehle. Den Baron Ulmenhorst habe sie abgewiesen; nun aber werde sie sich ehestens mit einem prächtigen jungen Herrn vermählen, der so reich, als großmüthig sei. Er habe heut' noch ein Stückchen gemacht, darum die Damen ihm gewiß gut seyn müssen. Ihre Dame sei zwar eine recht gute Wirthin; aber die Gelder wollten doch nicht immer zureichen, und da habe der allerliebste Baron ihr aus der Noth geholfen, und so charmant, daß sie nicht einmal davon gewußt hätte. – »Schlange, du lügst!« rief der Fremde entrüstet. »Du lästerst einen Engel! Sprichst du noch eine Sylbe, du bist des Todes!« – [205] »Herr Je! man weiß doch auch gar nicht, wie man mit dem Herrn daran ist!« – Jetzt hielt sie ihn wieder für rein toll; und da sie viel von Albertinens Bruder gehört hatte, hielt sie den Herrn dafür, verließ das Gemach, nachdem sie frische Lichter hingestellt hatte, und den Fremden an Albertinens Bette sitzend, in tiefe Betrachtungen versenkt.

20. Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Albertine fand die Parthie, an der Hand des Hofmarschalls, der immer witzig seyn wollte, diesen Abend so langweilig, daß sie ihre Gesellschaft aufsuchte, die denn auch sogleich willig war, das Haus zu verlassen, weil es durch aus ennuyant sei, sie auch den großen Herrn nicht angetroffen habe. Schon waren sie dem Ausgange nahe, als Rosa munde sich plötzlich wendete. »Da ist er!« rief sie. »Ich muß zurück; dazu muß ich [206] Sie haben, Herr Hofmarschall! Herr Baron, Sie führen indeß die Frau von Lindenhain nach Hause; und Sie, Albertine, sind so gut, mich in meinem Zimmer mit dem Thee zu erwarten!«

Albertine fand nichts Bedenkliches darin, dem Baron ihren Arm zu geben. Indem aber diese Auswechselung geschah, streifte der Kosake dicht an ihr vorüber und machte eine mißbilligende Bewegung mit der Hand, die Weißensee nicht bemerkte. Dem Kosaken warf sein Diener einen braunen Mantel um, gab ihm Pistolen, die er am Gürtel befestigte, und nun bestieg derselbe, wie es Albertinen vorkam, indem sie in die Kutsche stieg, ein Pferd, worauf er schnell von dannen eilte.

Als sie sich mit dem Baron allein im Wagen befand, nahm er plötzlich ein Betragen an, wie sie es bei ihm noch nie gesehen hatte. Vertraut umschlang er ihren zarten Leib, und sprach von Leidenschaft und Liebe, indem er ihr einen Kuß zu rauben strebte. Angstvoll entwand sie [207] sich ihm und versuchte den Kutschenschlag zu öffnen; da bemerkte sie, daß sie in einer ihr unbekannten Gegend der Stadt sei, und eben über eine Brücke fuhr, die zu einer entlegenen Vorstadt führte. »Wo sind wir? Wo bringen Sie mich hin, Baron? Hier ist's nicht richtig!« – »Es ist alles ganz richtig, meine Geliebte! Ich führe Sie in's Paradies der Liebe ein. Sie streben vergebens, sich los zu machen. Der Kutscher hat seine Anweisungen.« – Albertine benahm sich hier mit der ganzen Würde der Tugend; sie tobte, sie schmähte nicht; sie schwieg, mit dem vollen Gewichte der Verachtung; ihr Herz war gebrochen, doch sagte sie ganz ruhig: »Ich hielt Sie für einen ehrlichen Mann, der keines Bubenstückes fähig sei; ich stehe unter dem Schutz der Gesetze und fürchte Sie nicht; so verlassen ich in diesem schrecklichen Moment scheine, ahne ich die unausbleibliche Erlösung!« – »Die Liebe begeht keine Bubenstücke und kennt keine Gesetze. Sie sind mein!« – Der Wagen hielt vor einem [208] kleinen, einsamen Häuschen. Ein altes Weib erschien auf ein Zeichen, mit einem Lichte an der Thüre. Albertine weigerte sich, auszusteigen; der Baron wollte sie mit starkem Arme fassen, als er selbst von einem stärkeren gefaßt wurde.

»Was hast du vor, Nichtswürdiger?« rief eine Stimme. Albertine erkannte an dem Scheine des Lichtes den Kosaken, und in diesem ihren Erretter Albert. – »Wer bist du, daß du es wagst, mich auf meinem Wege zu verfolgen?« – »Der Freund dieser Dame, die du jetzt in dieser Höle des Verderbens vernichten willst.« – »O, daß ich keinen Degen habe!« – »Sei ruhig; ich schlage mich nicht mit Nichtswürdigen; aber die Gesetze sollen dich schlagen, da du so vieler Unthaten überwiesen bist. Diese bricht dir und deiner Rotte den Hals!« –

Albertine hörte bebend diesem seltsamen Gespräche zu, das sich damit endigte, daß die im Hinterhalt lauernden Polizeidiener hervortraten und den überführten Verbrecher in ihre Obhut nahmen.

[209] Jetzt gab Albert sein Pferd seinem Diener, und stieg zu Albertinen in den Wagen. – »Verzeihen Sie mir, meine arme, auf den Tod erschreckte Freundin! Ich konnte Ihnen diese Scene nicht ersparen; denn ohne diese Überführung seiner Nichtswürdigkeit, konnt' ich mich seiner nicht bemächtigen. Keiner weiß, wer Sie sind. Ihre Ehre ist ungefährdet. Erst heute erfuhr ich mit Gewißheit seinen wahren Stand; und ich habe Anstalten getroffen, daß er morgen schon über die Grenze gebracht wird.«

Albertine war starr und stumm vor Schreck und Beschämung. Sie weinte still. Die letzte Periode ihres Lebens stand schwarz vor ihr, und schnitt scharf die vorigen goldenen Tage ihrer reinen Unbefangenheit von der Gegenwart ab. – »Ich darf's Ihnen, Edelster der Freunde, nicht verhehlen, daß ich diesem Elenden unglücklicherweise Geldverbindlichkeiten habe.« – Albert erschrak, wurde aber sehr beruhigt, als sie ihm erklärt wurden; da er denn bekennen mußte, daß er der Unbekannte, der ihre Schuld getilgt [210] habe, gewesen sei, indem er Madame Eulers Aufträge ausgerichtet habe. Albertine rief mit gefalteten, empor gehobenen Händen: »O, ihr einzigen, einzigen, edelsten Freunde! verdien' ich euch?« –

Albert ließ bei Madame Euler halten, aus Delicatesse, daß Albertine sich erst am Herzen dieser auserlesenen Freundin erholen möchte, ehe sie in ihrem Hause erschiene. Henriette stand da mit offnen Armen, ihre Albertine aufzunehmen; aber Albertine lag, ehe sie es hindern konnte, stumm weinend zu ihren Füßen. – »Wollen Sie Ihre Albertine, Ihre arme, verirrte Albertine wieder annehmen?« – »Jetzt haben Sie es versucht, meine einzige Liebe, wie sich's schutzlos leben läßt. Albertine, meine immer gute Albertine, begeben Sie sich unter den Schutz eines Mannes, dieses Mannes. Albert, möcht' ich sagen dürfen, dieses Kleinod sei dein!« – Albert lag zu Albertinens Füßen; sein Blick sprach, flehete; Albertine reichte ihm die Hand, und verhieß ihm ihre Liebe. Henriette sprach [211] gerührt den Segen zu diesem schönen Bunde, durch den alle glücklich werden sollten.

Unter diesen Ereignissen war die Nacht beinahe vergangen. Albertine wünschte in ihre Wohnung zurück zu kehren, und Henriette, die sich in dieser einzigen Situation nicht von ihr trennen konnte, wünschte sie zu begleiten. Sie kamen alle drei bei Albertinen an.

Die Begierde, mit der seltsamen Neuigkeit heraus zu platzen, hatte Lisetten dieses Mal wundersam munter erhalten. »Ach Herr Je!« begann sie; »hier ist recht was kurioses passirt!« – Albertine, die irgend eine Beziehung auf ihre eigne Geschichte ahnete, stieß das Mädchen leise zurück, und wollte in ihr Schlafzimmer. – »Aber so warten Sie doch, gnädige Frau! Da ist ja Einer drin, der nicht recht klug ist. Er ist, Gott verzeih' mir's! ganz gewiß Euer Gnaden gnädiger Herr Bruder, so wie ich mir den vorstelle.«

Albertine vernahm nicht sobald das Wort Bruder, als sie rasch in's Zimmer flog, und [212] der Gestalt, die sie bei den trübe brennenden Kerzen leicht für die ihres Bruders halten konnte, in die Arme. Albert und Henriette waren ihr auf dem Fuße gefolgt, die schöne Scene des Wiedersehens mit zu feiern.

Lindenhain vermochte nicht zu sprechen; die Freude tödtete die Worte. Langsam rollte die männliche Thräne die Wange herab. Endlich kam ein: »O, meine Albertine!« in gebrochenen, bebenden Accenten hervor. Albertine vernahm den Laut der Stimme, richtete den Blick auf das Antlitz des vermeinten Bruders, riß sich mit einem Schrei des Entsetzens aus seinen Armen und stürzte an Henriettens Busen. »Es ist Louis, Louis!« ächzete sie matt und bebend. »Mein Strafgericht beginnt!« – – Louis – er war es wirklich – blieb den zu Albertinens Umarmung ausgebreiteten Armen schweigend mit auf sie gerichtetem Blicke stehen. – Endlich sagte er langsam und dumpf: »was ist mit dieser, daß sie sich des Wiederkehrenden nicht freut? Weiß sie [213] es denn schon, daß ich ein Krüppel bin? Freilich ist die Hand, die ich zum Unterpfand der Treue gab, verloren. Aber sie, sie gab freiwillig die Hand, die noch mein ist!«

Er sprach mit sich selbst. Albert und Henriette blieben stumm. Albertinens Brust hob sich krampfhaft; sie wagte keinen Blick auf den für sie Erstandenen. »Sind Sie es, Baron Weißensee, der mir dieses himmlische Herz stahl?« – »Lindenhain, was darf den Mann so fassungslos machen, daß er seine ältesten, besten Freunde nicht erkennt? Daß er seines Ulmenhorsts vergißt?« – – »Ulmenhorst! O Gott! Ja, er ist's, er ist's!« als er ihn beleuchtet hatte. »Aber verzeihe, wenn dieser Anblick, diese schrecklichen Vermuthungen mich für diesen Moment ganz hinnehmen. O Albertine! jeder Vorwurf löst sich ja in Liebe auf. Komm! Sei wieder mein!« – Albertine blickte einen Augenblick nach ihm hin, und verbarg schnell wieder das Angesicht an der Freundin Busen. »O, der strafende [214] Blick! Dieses verruchte Kleid!« (ihr Maskenkleid) lispelte sie Henrietten zu.

»Albertine, bin ich dir denn nun schrecklich? Hat eine neue Liebe dich so ganz hingenommen? Siehe, Albertine, betteln muß ich um deine Liebe, betteln um mein Eigenthum. Ein armer, verstümmelter Mensch darf nicht fordern. Siehe hier, wie sie deinen Ludwig zugerichtet haben!« – der rechte Arm war bis an den Ellenbogen abgenommen – »und hier diese zerfleischte Brust! Mag dies ein junges, rasches Weib von mir abwenden; aber so die erste Freude verbittern; o, o, das ist sehr hart!« –

Albertinens Zartgefühl malte ihr ihre Vergehen mit schwärzeren Farben, als sie es verdiente. Wir wissen, daß sie in Alberten nur den edlen Mann, den treuen Freund achtete; und wissen es gewiß, daß nur ein Wohlgefallen an der Unterhaltung des Weißensee und eine Auszeichnung desselben vor den andern Männern, die sie sah, alles war, was sie sich vorzuwerfen[215] hatte. Und sie hat es feierlich betheuert, daß sie keinen Mann auf Erden dem lebenden Lindenhain je vorgezogen haben würde; wie sie sein Andenken auch heilig in der Tiefe ihrer Brust ehrte und werth hielt.

Als Albertine Lindenhains Wunden sah, als sie vernahm, wie er sich einen Krüppel nannte, hielt sich ihr Herz nicht länger. Der Verdacht, sie verlasse ihn deshalb, war ihr unerträglich. Ehe er die Worte noch ganz vollendet hatte, lag sie in seinen Armen. Ihr Herz ergoß sich nun in vollen, segnenden Strömen; in der vollständigen Erweichung, in der sie war, würde sie sich aller Arten von Vergehen, allenfalls auch Verbrechen, wie unsere Kirchenagenden uns so treuherzig zu thun zwingen, schuldig bekannt haben, hätte die vorsichtigere Henriette nicht den Strom gehemmt, indem sie, die alte Freundin, sich auch von Lindenhain bemerken ließ.

Jetzt, da die ersten tumultuarischen Bewegungen der von beiden Theilen gereizten [216] Empfindsamkeit sich legten und der Gang des Gesprächs ruhiger daher floß, wurde auch Lindenhain aufgefordert, von seinem Benehmen Rechenschaft zu geben; und Ulmenhorst warf es ihm vor, daß alles, was er vielleicht mißbilligen zu müssen glauben könne, nur durch sein störriges Schweigen, wodurch er die Nachricht von seinem Tode bestätigt habe, veranlaßt sei. Lindenhain gab ihm Recht, und sagte: »Nur diese Liebe hier hat ein Recht, mich zur Rechenschaft zu ziehen. Sie wird viel zu verzeihen haben; aber kein Wort davon heute. Morgen erscheint meine Rechtfertigung.«

Alle waren einstimmig dafür, daß man diese erste Zusammenkunft durch den Schlaf abbrechen müsse, sich zu einer zweiten stärkend zu bereiten. Besonders war die arme Albertine auf so mancherlei Weise angegriffen und erschüttert worden, daß wir ihr die Ruhe nach so erschöpfenden Auftritten gern gönnen. Henriette blieb im Wohnzimmer auf dem Sopha, und Albert versprach, sich gleich früh Morgens wieder einzustellen.

[217]

21. Kapitel

Ein und zwanzigstes Kapitel

Niemand war mehr erstaunt über das, was sich in seinem Hause in der Nacht zugetragen und er so ganz verschlafen hatte, als Onkel Dämmrig; obschon er das, was ihn eigentlich anging, erst noch erfahren sollte und wir selbst es noch nicht wissen. Über den schnurrigen Spaß mit dem todten Mann, der am Ende, wie's heraus kam, nicht todt war, wollte er sich immer zu Tode lachen. »Ja, ja!« wiederholte er beim Frühstück hundertmal, »ja, ja, Neveu, die luftigen Kerle, Ulmenhorst und Weißensee, hätten Ihnen Ihr Albertinchen bald weggekapert; aber sie hat sich gehalten, wie der leibhafte Paswan Oglu, hahaha! Nun hört, Kinder, das giebt nun auf Ehre eine recht scharmante Ehe en quatre, mit der Henriette oder Euler, wie sie da heißt. Ei, ei, daß Tante Elise das nicht erlebte!« So ging das in einem fort! Denn der arme Onkel war politisch; er [218] wollte nicht gern das Gespräch über gewisse andere Dinge aufkommen lassen, deren Erwähnung er mehr, als den Tod scheute; als da waren: sein ehrlicher Bankerutt, Albertinens verlornes Vermögen und was der odiösen Dinge mehr waren. Er hätte sich aber getrost alles Kopfbrechen hierüber ersparen können, denn Lindenhain war bereits auf's Zureichendste durch Albertinens Schwägerin, die gute Luise, unterrichtet, die es ihm, in ihrer beliebten schwarzen Kunst gearbeitet, mit den kleinsten Umständen mitgetheilt hatte, wovon er sich aber aus Schonung nichts merken ließ.

Es stand indeß da oben geschrieben, daß Onkels guter Humor getrübt werden sollte. So wie der Trost, kommt auch oft die Unlust aus Winkeln her, wo man sie nicht vermuthet. Ein unholder Polizeibeamter war der Freudenstörer. Madame Rosamunde sollte wegen eines ihrer artigen launigen Einfälle arretirt werden; sie und ihre Gesellschaft hatten sich den kleinen Spaß gemacht, einen jungen Ausländer von [219] der verführerischen Last einer reichen Erbschaft zu befreien, indem sie ihn, wie es in der Kunstsprache heißt, ausgeschält hatten. Weißensee hatte, in der Hoffnung sich durchzustehlen, seine edle Beschützerin verrathen, mit der er nun die Reise in's Ausland angetreten hatte. Die kluge Rosamunde war nicht wieder über Dämmrigs Schwelle gekommen, sondern war vom Balle gleich der nächsten Gränzstadt zugeeilt. Ihre Zofe hatte für diesen Fall längst ihre Anweisungen. Auf den verabredeten Wink hatte sie sich eilig mit den Kostbarkeiten ihrer Gebieterin auf den Weg gemacht; in der Geschwindigkeit verfehlte sie aber des rechten, woran freilich Monsieur George, Weißensee's Kammerdiener, Schuld seyn mochte, der, als ein Fremder, die rechten Wege nicht alle in dem Kopf haben konnte. Die Herrschaft ging durch Sachsen nach Frankfurt am Main zur Messe, und die Dienerschaft kam auf dem allernächsten Wege in Hamburg wohlbehalten an, wo Minette lange untröstlich weinte; denn Monsieur [220] George war mit Wechseln und Juwelen gleich in den ersten Tagen verschwunden.

In Laurettens Natur lag etwas, wodurch sie sich unwiderstehlich angereizt fühlte, Hiobsposten zu überbringen; auch diese brachte sie dem Onkel ohne alle Schonung, im dürren Tone eines Gerichtsdieners, der sein Amt thut. Der arme Mann entfärbte sich, sank zurück, und als er in sein Zimmer geschafft war, fand sich's, daß er vom Schlage gerührt war. Doch hielt der Arzt den Zufall für diesen Augenblick nicht tödtlich.

Indeß Albertine mit der herzlichsten Gutmüthigkeit um ihren Verwandten bemüht war, und sich kaum abmüßigte, zuweilen ihr niedliches Amorköpfchen in die Thüre herein zu stecken, ihrem Louis zu zuwinken oder ihm einen Kuß zu zuwerfen, war Laurette ihrer Seits bemüht, die Freuden des Wiedersehens zwischen den beiden zu verbittern. Sie gab Lindenhain mancherlei Winke über Albertinens Aufführung und ihre Verhältnisse zu den Männern ihrer [221] Bekanntschaft; aber nie gab es eine untreuere Übersetzung, nie ein boshafteres Unterschlagen des Textes, als in dieser höllischen Erzählung, der Lindenhain ganz ruhig zuhörte.

Als sie geendigt war, entgegnete er sehr kalt: »Ihr Gemälde hat viel Schatten, Cousine! Indeß habe ich es von Ihrer Hand so erwartet. Mein Weib, meine engelgute Albertine, hat gleich in den ersten Stunden unserer Wiedervereinigung ihre ganze Beichte mit der Offenheit, die keine Zweifel gestattet, bei mir abgelegt, und ich habe sie mit der vollsten Zustimmung meiner Vernunft absolvirt. Gebe Gott, daß sie meiner Beichte eben das könne angedeihen lassen!«

»Die ist klug gewesen, wahrhaftig!« tief Laurette, indem ein gallichtes Roth ihre dickhäutige Wange überzog. »Die Dummen haben doch immer eine eigene Schlauheit, ihr Interesse wahrzunehmen!«

Albertine hatte in der That aus dem edelsten Antriebe ihres ehrlichen Gemüths [222] ihrem Manne jegliches ihrer Verhältnisse erzählt, so ohne alle Selbstschonung, als es bei Menschen möglich ist. Mit der größten Naivetät schilderte sie ihre aufgeregte Eitelkeit, und den flüchtigen Reiz, den Weißensee dadurch für sie gehabt hatte; sie gestand, daß sie Ulmenhorst allen Männern vorgezogen haben würde, hätte das gütige Schicksal ihr nicht den Gatten wieder zugeführt. – »Aber« – setzte sie strafend hinzu – »warum mußte ich eine Wittwe heißen? Warum gab mein Louis zu, daß ich mich selbst dafür halten mußte?«

Lindenhain lauschte mit brennender Wange und thränentrübem Auge der banglichen Erzählung, bei der er oft unwillkürlich seine Stirne rieb. »Ach, Albertine!« rief er endlich, als sie schon einige Zeit schwieg, »Albertine, du bist ein Engel! In diesem Hause der Üppigkeit und des Wohllebens hast du die Feuerprobe bestanden. Wohl dir und wohl mir, daß der edle Albert der Mann war! Ach, Albertine, möchte ich dir nicht strafbarer erscheinen, möchten meine [223] Bekenntnisse das Engelsherz nicht von mir wenden! Dir war ich ein Todter; mir lebte meine Albertine; lebte mir in allen ihren Reizen, in der Ausübung theuer verheißner Treue.« –

»Was hast du mir zu beichten? Ich fürchte mich, zu hören,« sagte Albertine, ihm unruhig in's Auge schauend. »Du wirfst einen Pfeil in meine Seele, der meine Freuden tödtet.«

»Du sollst alles hören; ihr alle, der ganze Kreis der Freunde sollt hören; ihr sollt zu Gericht über mich sitzen, und ich will ehrlich seyn, wie du es gewesen bist!« –

[224]

22. Kapitel

Zwei und zwanzigstes Kapitel

Viele Tage waren verstrichen, wo die Familie einzig mit der Krankheit des alten Herrn beschäftigt war, der sich nach gerade wieder erholte, die Bübin Rosamunde, wie er sie nun selbst nannte, bei allen Teufeln wünschte, sich seiner Befreiung von dem unleidlichen Joche freute, und den Kreis seiner Freunde, die er nun erst recht unterscheiden lernte, um sein Bette versammelt zu sehen wünschte.

Daß dieses letztere geschah, veranstaltete Lindenhain selbst; denn ihm verlangte nach gerade, sich der Bürde seines Herzens zu entledigen, da die Entwickelung so nahe vor der Thüre seyn mußte, von der auch wir noch nichts ahnen. Er hatte Ulmenhorst, Madame Euler, Laurette, die nicht übergangen werden durfte, vor des Onkels Bette beschieden, der bald selbst Anlaß gab, das Gespräch einzuleiten, indem er sagte, der Herr Neveu sei doch nun schon so lange [225] hier, und man hätte noch nichts von seinen Schicksalen und Kriegesthaten erfahren, und wie er von den Todten auferstanden sei? – »Es war hohe Zeit, Herr, daß Sie sich wieder einfanden, sonst hätte es mit der jungen Wittwe leicht eine Hochzeit geben können!« Dies sagte er, lose auf Albert blickend, der dadurch, daß ihn Lindenhain ungestüm an seine Brust drückte, aus einer Verlegenheit kam, um in eine andere überzugehen; denn ganz verstand er Lindenhains Umarmung nicht, da er von Albertinens Geständnisse nichts wußte.

»Ja« – fuhr der Onkel fort – »erzählen Sie doch vom Kriege; ich höre für mein Leben gern davon. Ich war schon ein großer Bengel, als Mama, selige, immer noch dafür hielt, ich werde wohl dem Kalbfelle folgen. Erstlich: weil ich so eine Art von einem kleinen Taugenichts war; und dann: weil ich als ein beinahe großer Mensch noch immer mit bleiernen Soldaten spielte, mir Festungen von Marzipan baute und sie dann mit stürmender Hand einnahm. [226] Ich gedenke immer noch eines tausend Spaßes« – Albertine fiel schlau genug ein, als sie den Onkel Anstalt machen hörte, eine schon hundertmal erzählte Kinderei wieder aufzuwärmen. »Lieber Onkel, der Arzt befiehlt, Sie sollen sich durchaus schonen!« Denn Albertinens Herz klopfte hoch vor ängstlicher Erwartung, was Louis zu erzählen habe, und darum mochte sie den Alten, den sie sonst mit der größten Gefälligkeit radotiren ließ, diesmal nicht anhören.

»Meine Kriegsthaten« – begann Lindenhain – »wenn der Diensteifer der Subalternen je diesen Namen verdient, haben hiermit, (auf seinen abgenommenen Arm deutend,) ihr Ende erreicht. Aber leicht wurde es mir nicht, dieses Ehrenzeichen zu verdienen. Der merkwürdige Tag, an welchem ich zum einhändigen Bettler wurde, verdient eine Schilderung, die ich meinem beschränkten Talent nicht zutrauen darf.«

Laurette faßte das Wort Bettler auf, und brachte auf ihre Weise zur Erörterung, [227] was so lange zu erwähnen, von allen Seiten vermieden wurde; nemlich den Verlust von Albertinens Vermögen. »Wußten Sie das damals schon?« fragte sie schneidend. – »Nein,« sagte Lindenhain, halb scherzend, »es gab da keine Lauretten. Wenn diese Vorstellung aber irgend einem guten Gemüthe kränkend ist, dann kann ich die tröstende Nachricht geben, daß das Schicksal mir und meiner Albertine mehr als zehnfachen Ersatz in der Erbschaft meiner alten Tante, der Gräfin Bodenheim, deren Universalerbe ich bin, gegeben hat.«

Alle stürmten nun glückwünschend auf ihn ein. Ulmenhorst sagte herzlich und anspruchslos: »Auch ohne diese Erbschaft warest du noch reich; du hattest Albertinen und deinen Albert, der für euch alle reich genug ist.« – Laurette konnte nicht aufhören, Albertinens unerhörtes Glück zu preisen; und ganz leise, doch so, daß Albertine es deutlich vernehmen mußte, setzte sie noch den Gellertschen Spruch hinzu: »Für Gürgen [228] ist mir gar nicht bange, der kommt gewiß durch seine Dummheit fort.«

Jetzt ersuchten alle, Lindenhain möchte ihnen die Art seiner Gefangennehmung erzählen. Und Lindenhain begann:

»Sie werden sich erinnern, daß unsre vortrefflichen Truppen, und mit ihnen das Regiment, zu welchem ich gehörte, sich durch Mühseligkeiten vielfacher Art und die äußersten Anstrengungen um ruhige Winterquartiere wohl verdient gemacht hatten. Indeß war eine schwere Winterkampagne vorauszusehen. Die rauhe Witterung, gegen welche uns weder Zelte noch Hütten mehr Schutz gaben, und die ernstlicheren Anstalten der Feinde zum Angriff, machten die Lage unserer Armee immer bedenklicher, und unsern Wunsch, uns durch irgend etwas Entscheidendes herauszureißen, immer heißer. Nie hatten bejahrte Krieger mehr guten Willen und mehr wahren Heldensinn gesehen, als da ein Detaschement von 1600 Mann aus verschiedenen Bataillons ausgehoben [229] wurde und Befehl erhielt, sich bei Nusweiler zu versammeln.«

»Friedrichs und des edlen Braunschweigers Geist ruhete auf der auserlesenen Schaar, die von ihrer Bestimmung nichts wußte, so wie auf den Zurückbleibenden, die sich laut darüber beklagten, daß sie ihre tapfern Kameraden den Weg zur Ehre allein antreten sähen.«

»Ohne an's Sentimentale zu streifen, darf ich sagen, daß die ganze Scene sich ganz zum Romantisch-Schauerlichen eignete. Voll des entschlossensten Heldenmuthes, der sich nicht in rohe, wilde Flüche, sondern in ruhigen Vorsatz, das Äußerste zu thun, ausließ, schritt mit kühnen, wiederhallenden Tritten die edle Schaar vorwärts. Das soldatisch-freundliche Lebewohl des Bruders oder Vetters, das ihnen die Zurückbleibenden nachriefen, hatte ihren Muth mehr angefeuert, als erweicht. Es sollte ein schwerer Kampf mit dem eisernen Schicksale beginnen. Jeder ahnete es; keiner wußte bestimmt, was ihrer harrte. Es war eine [230] feierliche Nacht, in der der Todes-Engel eine reiche Erndte hielt. Sie war herbstischkalt. Leichte Wolken streiften über dem aufgeklärten Himmel, und machten, daß der Mond den Kriegeszug nur dämmernd beleuchtete, und die weiße Binde, die jeder der Unsrigen am Arme trug, sichtbar werden ließ.«

»In feierlicher, furchtbarer Stille näherten sich unsere Detaschements der Bergfestung Bitsch, umgingen sie, und kamen auf der Straßburger Straße, eben um Mitternacht, bei dem bedeckten Gange an. Unbesorgt pfiff sich die Schildwache an den ersten Pallisaden ihr: ça ira, und schien nicht an die Möglichkeit eines feindlichen Besuchs zu denken. Man hörte unten ihr gewöhnliches: sentinelle, prennez garde à Vous! und beides diente zur Richtschnur.«

»In schauerlichem Schweigen kletterte nun die Kolonne den Berg hinan. Die Schildwache gewahrte den Feind erst, als er nur noch zwanzig Schritte von ihr entfernt war, und rief zweimal ihr: qui vit? [231] worauf sie die Antwort: republique francaise! erhielt. Als sie ihren Irrthum einsah, warf sie das Gewehr hin und lief davon. Wir überstiegen die Pallisaden und eilten dem bedeckten Gange zu.«

»Jetzt wurde in der Stadt Lärmen, nachdem zwei Posten Feuer gegeben hatten. Ein schrecklicher Tumult verbreitete sich; allenthalben erscholl: aux armes! aux armes! de ce coté, citoyens! içi Camerades

»So glücklich der erste Angriff geschehen war, so viel unübersteigliche Hindernisse setzten sich ihm jetzt entgegen. Wir fanden eine wüthende Gegenwehr. Handgranaten, Steine, Balken, Kugeln und gehacktes Eisen unterhielten einen unaufhörlichen mörderischen Regen auf die andringenden Preußen.«

»Ewig unvergeßlich in Preußens Annalen wird die Unerschrockenheit bleiben, womit die vortrefflichen Truppen dem Tode, der in so vielerlei Gestalt unter ihnen wüthete, trotzten! Der Hinterste drängte den Vordersten; ›vorwärts, vorwärts!‹ war [232] der ununterbrochene Ruf der Tapfern. Während dieses mörderischen Gefechtes, wo die Gefahr der Vertheidigung in gar keinem Vergleiche mit der des Angriffs stand, waren zwei Thore gesprengt worden. In dem engen Gange konnten nur drei Mann in Fronte stehen. Waren diese getödtet oder blessirt, so eilten von hinten andere herbei, ihren Platz zu ersetzen! Der Sterbende ward unter die Füße getreten und seines Ächzens durfte nicht geachtet werden, wenn gleich der Freund oder Bruder darin erkannt wurde. Die Blessirten, die noch gehen konnten, drängten sich an den Wänden bis hinten hin zurück, wo sie fortgeschafft wurden.«

»In der Dunkelheit und dem Tumulte waren Äxte, Brecheisen und alle erforderlichen Instrumente verloren gegangen; die sie führten, waren getödtet oder verwundet, die Dunkelheit ließ nichts erkennen; ein wildes Durcheinanderrufen machte die Scene gräßlich. Am dritten Thore standen wir nun, und alle Anstrengung, es zu sprengen, [233] war vergebens. Vergebens floß das Blut der unerschrockenen Preußen. Nach vierstündigem Kampfe, der die Kräfte der menschlichen Natur zu übersteigen schien, folgte freilich Ermattung; aber kein Schatten von Muthlosigkeit entweihete den unbefleckten Heldeneifer der nun schon sehr zusammen geschmolzenen hochherzigen Preußen, davon jeder mit dem Blute seines Kameraden oder von eigenem bespritzt war.«

»Mein Herz blutete, daß so edle, so unerhörte Anstrengung nicht mit Erfolg gekrönt wurde! Des Augenblickes, wo ich aufhörte, thätig mitzuwirken, bin ich mir nicht deutlich bewußt; denn indem mein Arm zerschmettert wurde, traf mich ein Steinwurf am Kopfe. Ich sank und wurde wahrscheinlich mit den Füßen der vorwärts Drängenden bis in eine Vertiefung der Mauer des Ganges gestoßen und unter einen Haufen Todter geschoben.«

»Hatten Sie kein eau de Cologne bei sich, Herr Neveu?« fragte Onkel Dämmrig, ganz naiv. »Nein!« sagte Lindenhain [234] kurzweg. – »Das ist Schade; in dergleichen Fällen ist es höchst bewährt. Stoße oder quetsche ich mich; gleich eau de Cologne zur Hand, und geheilt bin ich.« –

»Unter freiem Himmel, auf einem rüttelnden Wagen voll schwer Verwundeter, kam ich wieder zur schmerzlichsten Besinnung. Albertine, als ich sank, dacht' ich dein; als ich jetzt wieder auflebte, warst du, Liebe, mein erster Gedanke. (Albertine legte hier ihr Haupt auf seine Schulter und schluchzte hörbar.) Ich war ein Gefangener, mein Körper verstümmelt, undBitsch war nicht genommen! Für den Erfolg war mein Leben mir nicht zu theuer; aber nun – o Gott!« –

»Beschwert von einem schwer Verwundeten, der im Sterben lag, mußte ich in der unbequemsten Stellung liegen. Der Wagen eilte unaufhaltsam vorwärts; meine Schmerzen überwältigten mich; in Bouquenon wurde ich, als ein dem Tode Geweihter, bei Seite gelegt; ein Mitgefangener, leicht blessirter Landsmann bemerkte [235] mein leises Athmen und sorgte dafür, daß ich untergebracht wurde.«

»Dieses geschah nun glücklicherweise in dem Hause eines geschickten Wundarztes, der selbst, Krankheits wegen, die Französische Armee auf einige Zeit hatte verlassen müssen. Er untersuchte meine Wunden. Der Arm bis an den Ellenbogen war ohne Rettung verloren. Unerschüttert hörte ich diese Nachricht, die mich dienstunfähig machte, nicht; denn selbst in der Dumpfheit des Sinnes, hatte ich Plane und Dispositionen gedacht, wie Preußen an dem Feinde Rache nehmen und ich mitwirken könne. Als er die Quetschung an meinem Kopf untersucht hatte, machte er Anstalt zu trepaniren, und erklärte, ohne diese Operation sei ich verloren, ob ihm meine Rettung durch sie ebenfalls auch ungewiß sei.«

»O, mein Vater, so lassen Sie ihn ohne den Schmerz sterben; ich will ihn pflegen; ich will ihn retten; überlassen Sie ihn mir, mein Vater, er soll genesen!«« rief mit Wärme eine weibliche Stimme, und meinem [236] Lager näherte sich ein schönes, junges Frauenzimmer. Sie legte ihre Hand an meine kranke Stirn, und bemühte sich, mir durch leises Streichen wohl zu thun.«

Hier hob Albertine den Kopf von Lindenhains Schulter, und blickte ernsthaft und verlegen vor sich hin. Onkel Dämmrig machte ein loses Gesicht und murmelte ein bedenkliches: »ha, ha!«

Lindenhain fuhr fort: »»Adelaide! was soll das?«« sagte der Vater. »»Wie kommst du, kleiner Naseweiß, zu dieser Vorschnelligkeit?«« – »»Aber, mein Vater, Sie versprechen ja seine Besserung nicht; wozu den Greuel einer solchen Operation? Unter den nemlichen Bedingungen will ich ihm wohl thun. Sie wollen ihn todt plagen. Nein, nein! Er ist mein!««

Der Vater gab lächelnd nach. Er war jetzt selbst abgeneigt, sich mit meinem Arm zu schaffen zu machen, bis alle Anzeigen eine schnelle Operation nothwendig machten. Ein hitziges Fieber war die Folge davon, wobei meine Kopfwunde sich sehr übel befand. [237] Das schöne Mädchen hielt indeß Wort; sie verließ ihren Kranken nicht. Und nie hätte ich der französischen Lebhaftigkeit so viel Ausdauer zugetraut, als dieses treffliche Mädchen hier bewieß. Sie bestand jede Probe. Nächte hindurch ließ sie mein krankes Haupt an ihrer Brust ruhen, ohne sich in den beschwerlichsten Stellungen auch nur zu rühren. Ihre sanfte Hand kühlte meine brennende Schläfe; sie verband mit der herzlichsten Sorgsamkeit meine Kopfwunde, die sich unter ihrer Aufsicht sehr gut anließ, wie der Vater wohlgefällig bemerkte. Ich weiß, Albertine, du kannst nicht böse werden, daß ich diesem guten Mädchen von Herzen dankbar war, und aufrichtiges Wohlwollen für sie empfand.«

»O nein, ich bin es ja auch nicht!« sagte Albertine etwas kalt. Doch schwankte ihr Ton. Laurette lachte ihr unverwandt in's Gesicht. Der Onkel schnitt Gesichter nach seiner Weise, die spaßhaft seyn sollten.

»Als mein Zustand erträglicher wurde, brachte Adelaide ihre Harfe in mein Zimmer. [238] Sie durchschwebte die Saiten so leise und lieblich, daß die Melodie ätherisch dahin lispelte, wie von einer Aeolsharfe. Ihr Gesang war rein und kunstlos.«

»Sobald ich aufrecht sitzen konnte, verlangte ich Schreibmaterialien, um dir, meine Albertine, Nachricht von deinem armen Invaliden zu geben. Adelaide brachte sie mir, mit einem so trüben Gesichtchen, als ich bei ihr noch nicht gesehen hatte. Hier, meine Albertine, wird deine ganze Großmuth aufgefordert werden; ich schrieb, ich schrieb oft, und meine Briefe sind nicht zu dir gekommen. Das Geheimniß wird sich enthüllen.«

Albertine antwortete wenig und unverständlich. Sie machte sich mit dem Thee, den eben der Bediente gebracht hatte, zu schaffen. Es war sichtbar, daß sie litte.

»So wie meine Genesung fortrückte« – fuhr Lindenhain fort – »vermied Adelaide ganz unaffectirt, allein in meinem Zimmer zu bleiben. Eine ältliche Gouvernante, die mit ihr dem Hauswesen vorstand, [239] war immer zugegen. Adelaide las uns vor, oder spielte und sang, oder beschäftigte sich mit irgend einer Handarbeit. Sie war immer gleich freundlich und sorgsam; doch hatte sie offenbar etwas auf dem Herzen, das bei ihrer sonstigen Offenheit sie drückte. Einst, als sie mir den Thee reichte, blieb sie wie zerstreut in meiner Nähe stehen und spielte mit einem Stückchen Papier, welches sie absichtslos in den Fingern zu rollen schien. Als sie mich verließ, sank das Papier aus ihrer Hand auf meinen Tisch und sie entfernte sich, merklich erröthend. Es war beschrieben. Meine Neugier wurde rege. Ich las. Es enthielt folgende Worte: ›Ich habe von einem Ihrer Landsleute gehört, daß Sie verheirathet sind. Ist das wahr? Adelaide.‹«

(Albertine, die bis jetzt wieder emsig strickte, stand auf, dem Onkel etwas zu reichen, so daß sie der Gesellschaft den Rücken zuwandte.)

»Adelaide kam diesen Tag erst zur Abendsuppe mit ihrem Vater und der Gouvernante [240] in's Zimmer. Sie war verlegen, und wich meiner Nähe wie meinem Gespräch aus. Ich hatte sehr bald Anlaß Adelaidens Frage zu beantworten, indem der Vater von dem Glücke sprach, das er an der Seite seiner verstorbenen Gattin genossen hatte. Da nannte ich dich, meine Albertine, und ein Strom des reinsten Gefühls deines Werthes, meine Liebe, ergoß sich von meinen Lippen.«

(Albertine umarmte hier Lindenhain; doch schien es mehr Ehrenhalber, als aus dem Herzen zu seyn. Laurette fragte gespannt: »Nun? Und Ihre Adelaide?«)

»Adelaide schien von der Wärme meiner Schilderung ergriffen. Sie lächelte und wechselte die Farbe; bei den rührenden Situationen flossen ihre schönen Augen über. Sie wünschte sich deine Freundschaft, meine Albertine!«

(»Hm! Ich möchte sie wohl kennen!« sagte Albertine nachlässig.)

»Sie ist deiner Freundschaft werth, Albertine! Sie erhielt dir deinen Gatten; [241] ihre Pflege und Aufsicht hat alles gethan.«

»Meinen Gatten erhielt sie mir; aber auch sein Herz?« Es mußte heraus. Albertine hielt sich nicht länger. Sie brach in Thränen aus, die sie gern verborgen und dem Hohne der Cousine nicht ausgesetzt hätte. Alle waren verlegen, und Lindenhain sagte schmerzlich: »ich darf nicht fortfahren, Albertine, wenn schon dies dich so erschüttert. Was ich noch zu sagen habe, setzt mich dann in die äußerste Verlegenheit!«

(»Sieh nicht auf mich; ich bin ein albernes Ding. Es wird sich geben. Zeige mir deine Achtung durch Wahrhaftigkeit!«)

»Nach diesem Gespräche fand ich Adelaidens Benehmen offner, herzlicher, zutraulicher, und fast möcht' ich's schwesterlich nennen. Sie sprach viel von meinem Vaterlande, von meiner Albertine, von dem Kummer unserer Trennung. Sie beschäftigte sich oft so unbefangen um mich her, als ob ich gar nicht zugegen gewesen wäre. Doch sahe ich sie im Ganzen seltener, da [242] ich schon im Stande war, selbst wieder für meine Unterhaltung zu sorgen. Ich vermißte ihre Gesellschaft; denn die unschuldsvolle, sich selbst unbewußte Seele des Mädchens war mir sehr werth geworden.«

»Es war mir gar nicht gleichgültig, als wir von unsern Wunden hergestellte Gefangene tiefer in Frankreich hinein geschafft wurden. So sehr sonst meine Wünsche mich in's südliche Frankreich versetzt hatten, so ungern ging ich jetzt dahin ab. Dem commissair ordonateur stellte ich vor, daß meine Dienstunfähigkeit mich nicht länger zum Kriegsgefangenen qualifizire; er gab mir aber den vielleicht schmeichelhaft seyn sollenden Bescheid: der Arm mache nicht allein den Feind gefährlich; der Kopf wär's. Er wußte wohl nicht, daß die Unsrigen erst zur öffentlichen Wirksamkeit gelangen, wenn sie schon wieder ergrauen.«

»Auf einem ziemlich anständigen Fuhrwerke traten wir unsere Reise nach der Gegend von Toulouse an.«

»Und Ihr Abschied von Adelaiden?« [243] unterbrach ihn hier der Onkel. »Ich bin ganz verliebt in das allerliebste Mädchen.«

»War herzlich und meiner Seits von Dankbarkeit überfließend. Wie hätte ich anders gekonnt?« – fuhr Lindenhain fort. »Noch aus Bouquenon schrieb ich einen langen, umständlichen Brief an dich, meine Albertine, dem ich die kleine Summe beifügte, die mir, wie durch ein Wunder, erhalten war. Da ich in die Todtenlisten des Regiments eingetragen war, so darf ich mich nicht wundern, wenn Ihr, meine Theuren, weiter keine Schritte thatet, etwas von mir zu erfahren.«

»Adelaide hatte sich viele Tage emsig mit meiner Reiseanstalt beschäftigt. Wie hatte das edle Mädchen für Alles gesorgt! Was die sorgsamste Aufmerksamkeit auf alle kleine Bedürfnisse nur ersinnen kann, fand ich hier bei einander. In einer kleinen bonbonniere fand ich zwanzig Louisd'or und diesen Ring von ihrem Haar, mit dem Zettelchen: pour la charmante Albertine! – Hier, meine Albertine, ist er; trag' [244] ihn diesem würdigen Mädchen zum Andenken!«

Alle machten jetzt große Augen, als Lindenhain den Ring hervorzog und ihn der sich halb weigernden Albertine an das Fingerchen schob. »Das ist ein stark Stück, das!« sagte Onkel, die Hände reibend. Albertine, auf die aller Augen theils boshaft neugierig, theils mitleidig theilnehmend gerichtet waren, sprang auf, umarmte ihren Gatten weinend, und sagte unter Schluchzen: »Dein edles Zutrauen, mein Louis, reißt mich hin; du erhebst mich über mich selbst! Wie ehrst du mich! Vergieb den Kampf in meinem Innern! Ich habe gesiegt; ja, ich hoffe, ich habe gesiegt!«

Kein Auge blieb trocken. Selbst Lauretten entwischte ein unwillkürliches: »recht brav!« Doch wollte Ulmenhorst das Wort Drama nachtönen gehört haben.

»Trage diesen Ring zum Zeichen dieser Stunde, meine gute, edle Albertine! Mein Glaube an dich hat mich nicht getäuscht. – [245] Doch, ich eile zum Schluß meiner Erzählung!«

»Mein neuer Aufenthalt war an sich viel reizender und gab meinen Beobachtungen reichen Stoff. Doch fehlte mir ein verwandtes Herz; wenn ich es mit einem Worte sagen soll, eine Deutsche Natur, nach der ich mich nun schon mit aller Kraft sehnte. Der geringste unserer Landsleute interessirte mich deshalb innigst; ich habe Denkarten unter ihnen getroffen, die den gebildetsten Ständen Ehre machen würden; auch bemerkte ich mit Vergnügen, daß ihre Gradheit, ihre ehrliche Treuherzigkeit, ihr Fleiß von den Landesbewohnern auszeichnend bemerkt wurden.

Einst kam ich von einem Spaziergange zu Hause; da hieß es: ein junger, schöner Knabe habe nach mir gefragt; er sei, um meiner zu warten, in die nahe Kirche eingetreten. Wer konnte hier nach mir fragen! Nach einer halben Stunde erschien wirklich ein sauber gekleideter Knabe in Bediententracht, in dem ich, beim ersten [246] Anklang seiner Sprache, Adelaiden erkannte.«

»Nun, nun, den Braten merkt' ich!« sprach der Onkel. Alle andere schwiegen betroffen.

»Um Gotteswillen!« rief das Mädchen, »denken Sie nicht unrecht von mir! Stoßen Sie mich nicht aus! Ich bin eine Waise, bin emigrirt, und würde hülflos ohne ihren Schutz umher irren müssen!« – Ich stand versteinert, und auf Ehre kann ich bezeugen, daß ich nichts weniger, als erfreut war. Sie bemerkte es, und erzählte mir schnell, daß bald nach meiner Abreise ihr armer Vater angeklagt, in's Gefängniß geschleppt und schnell guillotinirt worden sei, weil er durch seine Theilnahme an den Preußen verdächtig geworden wär. Ihr habe ein ähnliches Schicksal gedroht; sie habe sich daher diese Kleidung zu verschaffen gewußt und sei mit einer Dame hierher gekommen. Jetzt wolle sie mein Bedienter seyn; sie habe von einer Auswechselung der Gefangenen gehört; sie müsse nun doch [247] fort und wolle bei mir und Albertinen leben.«

»Sie ist dir ganz nahe, Albertine! Wirst du sie, willst du sie aufnehmen? Dein Bruder, der Treffliche, der mich aufzusuchen reisete, führt sie dir zu!«

»Erstehen wir das große Himmelbette des Grafen von Gleichen,« sagte der Onkel lachend. »Das giebt eben so eine Geschichte. Auf meine Ehre!«

Albertinens Gemüth hatte sich aber nun einmal einen Schwung gegeben; sie blieb sich gleich und sagte edelmüthig: sie solle ihr willkommen seyn! Doch schien ihr der Ausweg nicht mißfällig, als ihre kluge Freundin Euler sagte: daß die Vorsehung wohl vielleicht ihrer Einsamkeit eine Gefährtin in Adelaiden bestimmt habe. – Alle, auch Lindenhain, stimmte diesem Gedanken von Herzen bei, außer Laurette, die sich höhnisch lächelnd auf die Lippen biß.

Jede Erwartung führt etwas Bängliches mit sich. Es ist Albertinen nicht zu verdenken, wenn sie diese Nacht wenig schlief und [248] sich ihrer nur zu geschäftigen Phantasie überließ. Doch konnte sie weder in ihres Gatten, noch in des wackern französischen Mädchens Betragen etwas Sträfliches ergrübeln; und da sie denn nichts eingebüßt zu haben hoffte, erschien sie sich in ihrer eigenen Größe um so wohlgefälliger.

Ganz frühe schon weckte sie ihren Louis, ihm das Geheimniß der ausgebliebenen Briefe abzufragen; denn sie hatte einen dunklen Argwohn gefaßt, Adelaide könne sie unterschlagen haben. Ungern gestand ihr Louis, ihre eigene Schwägerin, ihres Bruders Frau, habe das Falsum begangen, sie los zu werden und sie mit ihrem Bruder zu entzweien. Sie hatte gehofft, Albertine werde als eine unabhängige Wittwe recht viel dumme Streiche machen und in Noth und Verwirrung gerathen. Die Briefe waren jederzeit unter der brüderlichen Addresse gekommen; da hatte Frau Louise stets schlau gewußt, sie auf die Seite zu bringen, indem sie das Briefgeschäft in der nächsten Stadt durch ihre Boten besorgen [249] ließ; und was vermag nicht ein listiges Weib, das seines Gatten unumschränktes Vertrauen usurpirt! eines Gatten, dessen Seele, rein von Betrug, am wenigsten die Schlange ahnet, die er an seinem Herzen erwärmt.

23. Kapitel

Drei und zwanzigstes Kapitel

Die durchwachte und durchphantasierte Nacht gab unserer Freundin ein etwas kränkliches Ansehen, welches ihren Gatten um so mehr in Verlegenheit setzte, da der guten Albertine wahrscheinlich heute ein kampfvoller Tag, Adelaidens Ankunft, bevorstand. Albertine gestand, daß ihr Herz, sie wisse nicht bestimmt, weshalb, heute unruhiger, als noch sonst je klopfe. »Ist sie sehr schön?« fragte sie beim Frühstück, nachdem sie eine Zeit lang in Gedanken gesessen hatte. – »Mehr, als schön; sie ist hübsch!« sagte Lindenhain. »Die Schönheit, in so fern sie auf Regeln beruht, ist oft kalt. [250] Hübsche Weiber gefallen immer. Du, meine Albertine, bist schön nach allen Erfordernissen der Kunst, und zugleich auch hübsch, durch den Geist, der so annehmlich aus jedem deiner von ihm belebten Züge spricht.« – Albertine seufzte, ohne zu antworten, lächelte ihm du bout des Levres zu, und sprang bei jedem schwer daher rollenden Wagen ans Fester. Louis bemerkte diese innere Unruhe der Geliebten nicht ohne Bekümmerniß.

Was oft in Fällen der Art begegnet, geschah auch hier. Albertine hatte nach ängstlichem Lauschen und Harren und immer gespannter Aufmerksamkeit nach außen hin, den rechten Augenblick doch versäumt. Die Thüre ihres Zimmers ging rasch und weit auf; und plötzlich herein traten der Bruder und seine schöne Begleiterin; und dahin war Albertinens Fassung!

Die Wahrheit zu sagen, war in diesem seltsam entscheidenden Momente selbst Lindenhains festes männliches Herz nicht ganz in seinem Gleichgewichte. Wäre Albertine [251] nicht so ganz mit sich selbst beschäftigt gewesen, würde ihr das Schwankende und Ungewisse in ihres Gatten Benehmen nicht entgangen seyn; die ganze Scene bekam dadurch einen Anstrich von Steifheit und Zwang, welcher der Unbefangensten unter allen, Adelaiden, schmerzlich auffiel; ihre schönen Augen füllten sich mit Thränen; sie reichte ihrem Freunde die Hand und sagte mit unwiderstehlichem Ausdruck: »O mein Gott! ich bin hier nicht willkommen! Albertine nimmt mich nicht auf!«

Albertinens vortreffliches Herz fühlte sich schnell in die Lage des verlassenen Mädchens hinein, deren Thränen bis in ihr weiches Gemüth lebendig eindrangen. Mit unverkennbarer Gutmüthigkeit drückte sie Adelaiden an ihre Brust und hieß sie von Herzen willkommen. »Die freudige Überraschung macht Ihren Freund stumm!« sagte sie, und zog Lindenhain zur Umarmung herbei. Er hatte sich indeß gefaßt, umarmte Adelaiden mit brüderlicher Herzlichkeit, und segnete sein Geschick, daß diese wirklich erste [252] Umarmung des schönen Mädchens in Gegenwart und auf Geheiß seiner Gattin geschah.

Adelaide war keine der gemeinen Französischen Schönheiten, die dem sinnlichen Mann durch dreisten Blick und ein impertinentes Näschen gefallen. Sie hatte bei sehr sprechenden schönen Augen regelmäßige Züge, eine schöne Farbe, schöne Zähne, eine gefallende Mittelgestalt, die, wenn nicht engelschön, doch höchst elegant und graziös war. Albertine hatte das alles im ersten Augenblick weg, und kam sich bei der Vergleichung, die sie in der Geschwindigkeit anstellte, ganz bescheidentlich wie gar nichts, wie ein kleines Landputchen vor. Adelaide fühlte den untersuchenden Blick Albertinens mit einiger Verlegenheit, und ihn von sich abzuwenden, reichte sie ihr die Hand, und fragte: »Sie weisen mich also nicht von sich, schöne Frau? Sie wollen meine Beschützerin seyn?«

Lindenhain hatte, weiß Gott, warum, gar keinen Muth, sich in das Gespräch [253] mit einzulassen; er saß zerstreut da, und als Albertine mit der Antwort zu zögern schien, trat eilig der Bruder dazwischen, und gab in seiner Schwester Seele die bindendsten Zusicherungen, welchen Albertine gleich, ohne Zwang und unbedingt zustimmte.

Aber keiner fand die neue Hausgenossin so sehr nach seinem Geschmack, als Onkel Dämmrig. Er suchte in der Eile den ganzen Vorrath seines veralterten Französischen zusammen, sich in den galantesten Floskeln du bon vieux tems mit ihr zu unterhalten, wobei er die Nasentöne recht nationell zu accentuiren, nicht vergaß. Es war eine Freude zu sehen, wie jung er wurde, wie er die Ohren spitzte und sich zusammen nahm.

Adelaide war die Höflichkeit und Gefälligkeit selbst; sie lieh sich allem und allen. Nur in Lauretten schien ihr sonst so biegsamer Sinn nicht eingehen zu können. Laurette gab ihr zweideutige Seitenblicke und an Seitenhieben ließ sie es auch nicht fehlen.[254] Durch sie wurde die Konversation genirt, weil sie durchaus ihr fehlerhaftes Französisch unter dem Vorwand nicht wollte hören lassen, daß sie, eine Deutsche, es lächerlich finde, mitten in Deutschland Französisch zu sprechen; es sei höflicher, wenn die fremd angekommenen sich bequemten. Adelaide that's mit leichter Art, und lachte dann selbst über ihr gebrochnes Deutsch.

Laurette beschwerte sich über die Unzulänglichkeit des weiblichen Umgangs für gebildete Geister. »Die Weiber im Allgemeinen« – sprach sie – »haben eine so erbärmliche kleine Ansicht der Welt, werden so breit über Dinge, die der Gebildetere liegen oder ganz fallen läßt, sind entweder zu gespannt, oder vegetiren in der traurigsten Schlaffheit; wie soll man mit ihnen auskommen?«

Adelaide nahm die Parthie ihres Geschlechts, und behauptete, es sei demselben nicht zu verargen, wenn seine Ansicht der Welt und ihrer Verhältnisse nicht die Kraft und Eindringlichkeit des männlichen Blicks[255] habe. »Bedenken Sie doch, Mademoiselle, in welchem Licht uns die Welt erscheinen muß, da unser Geist nur zu den infiniment petits gebildet wird, und wie jedes rechtliche Weib, das seinem Gatten oder seiner Familie nützlich werden will, sich zu den unedelsten Details des Hauswesens verstehen muß. Wer so sehen muß, der wird doch gewiß zuletzt ein moralischer Myops.«

Laurette hatte, wie alle dickhäutige und erdfahle Weiber thun, jedes feinere Kolorit im Verdachte des Schminkens; sie ließ es sich auf unfeine Art merken, daß sie die Fremde für geschminkt hielt. Adelaide antwortete ganz unbeleidigt: »Und warum nicht, Mademoiselle? Hätte die Natur mir von der Seite einen Mangel gelassen, würde ich ihm ohne Bedenken nachhelfen, weil ich es für Weibespflicht halte, meine Erscheinung so hübsch als möglich seyn zu lassen, und weil ich das Rothauflegen, in so fern es der Gesundheit unschädlich gemacht wird, für nicht sträflicher halte, als jedes andere Mittel, wodurch wir den Sinnen [256] schmeicheln wollen. Erlaubte ich mir aber je eine moralische Schminke, wollte ich mehr scheinen, als seyn; ich würde meinen Beschützern nie wieder in die gütigen Augen blicken können. Legen Sie äußerlich immer ein wenig auf, Mademoiselle; es würde Ihnen recht gut kleiden.«

Unter dergleichen und andern noch erheiterndern Gesprächen wurde Onkel ganz begeistert, und fing wirklich schon an, der Gesellschaft in entferntere Zimmer nachzuschurren. Adelaide und Ferdinand von Rehthal, Albertinens Bruder, hatten allen neues, rascheres Leben mitgetheilt; nur Albert allein schien nicht ganz zwangfrei. Unbeobachtet war er still und düster, und in seiner Seele schien etwas zu arbeiten, das die Zeit erst daraus loswinden sollte.

[257]

24. Kapitel

Vier und zwanzigstes Kapitel

Lindenhain machte zuerst die Bemerkung, daß es Zeit werde, an einen bestimmten Lebensplan zu denken, und er schlug Albertinen vor: sie wollten mit dem kleinen Kreis der Freunde gemeinschaftlich darüber zu Rathe gehen. »Aber – wie ist's mir denn? Albert hat sich ja in einigen Tagen nicht sehen lassen; er wird doch nicht krank seyn?« Die Weiber begreifen mit ihrem richtigen Takte sehr schnell. Albertine fühlte, daß etwas vor sei, wobei sie einbüßen würden. Sie redete Lindenhain zu, Albert um sein Ausbleiben zu befragen.


»Wo steckst du Albert? Stelle dich ein; du sollst der Konferenz beiwohnen, die wir halten wollen, unsern gemeinschaftlichen Lebensplan zu entwerfen; denn daß unser Bleiben nicht hier ist und seyn kann, weißt du. Wir wollen fort, Dich aber, der Du uns unentbehrlich bist, nicht zurücklassen. Siehe zu, wie Du das einrichtest. [258] Es hoffet auf Dich und harret Dein

der Deine

Lindenhain«


An Lindenhain!


»O, daß Du so gut bist, daß Albertine so gut ist, daß ihr alle so vortrefflich seid! und ich doch einen Lebensplan entwerfen muß, der mich weit aus Eurem Kreise rückt!

Höre mich an, Lindenhain, zürne mir nicht, und gieb mir Freundesrath! Durch Henrietten weiß ich, daß Albertine Dir alle Folgen Deines vermeinten Todes mitgetheilt hat. Ich lernte sie kennen und hielt sie für ein Mädchen der Familie, bei der sie lebte. Mein Loos war mit dem ersten Worte, das sie sprach, geworfen. Sie wird Dir's gesagt haben, daß mein Betragen ihr die Geheimnisse meines Herzens auch nicht von fern ahnen ließ. Es war nachher, als ich in ihr Deine Wittwe erkannte, nicht strafbar, sie [259] zu lieben. Strafbar aber wäre es, die Gattin meines Freundes zu lieben; und würd' ich, müßt' ich das nicht, wenn ich mit jedem Tage neue Blüthen dieses trefflichen Geistes, dieser herrlichen Natur sich vor mir entwickeln sähe. Lindenhain, ich war berechtigt zu hoffen; sie war die Meine, erschienst Du nicht. Fühlst Du die Glut, zu der diese Hoffnung meine Liebe anfachte? Freilich habe ich sie tief in mein innerstes Herz zurückgedrängt; aber wird sie in jeder Minute sich nicht vordrängen wollen? Soll ich den Kampf in jeder Minute neu beginnen müssen? Werde ich in jedem Augenblick, indeß so viel Liebenswürdigkeit vor mir her waltet, die Kraft haben, meine Gefühle mit Erfolg zu bekämpfen? Ich kenne mich selbst nicht genug; ich weiß nicht, was noch aus mir werden kann, darum laß mich Euch fliehen, wenigstens auf einige Jahre, weil ich Eurer Achtung noch werth bin, während es noch in meiner Gewalt steht; im kurzen würde es [260] vielleicht nicht mehr. Wer aufhören könnte, Albertinen zu lieben, hat nie die Liebe gekannt. Gehab Dich wohl!

Dein

Albert.«


»An Albert!«


»Sei nicht wunderlich, du Guter! Ich weiß alles; und eben, weil ich alles weiß, mußt Du, sollst Du bleiben. Ich kenne Dich und kenne Albertinen; und eben weil ich Euch Beide kenne, sollst Du und mußt Du bleiben, und mit uns leben, wie immer. Ich sage Dir, so wenig das den Verliebten eingeht; durch täglichen Gebrauch stumpft sich der Stachel ab, den die Abwesenheit und die, über die Verliebten waltende, Phantasie bis zum Unleidlichen schärft. Ich sage Dir, bleib bei uns! Du bist keines schlechten Streiches fähig und Albertine eben so wenig. Die feine Grenzlinie, welche ihr feiner Sinn zwischen dem Gatten und dem Freunde zieht, wird Dir einleuchten und [261] Dich streng in Deinen Gränzen beschränken. Albertinens unverhaltene Äußerung ihrer herzlichen Zuneigung zu Deinem Freunde, wird Dir keinen Augenblick der Verirrung gestatten. Wenn Albertinens lieblicher Reiz Dich entzückt, wirst Du daneben auch ihre kleinen Fehler bemerken; sie ist ein lieber Engel, der bestimmt ist, meinem Leben Glanz zu geben und Klarheit; aber sie ist auch ein Weib. Dessen wird Dich der tägliche Umgang belehren. Albert, so wie ich Euch kenne, wäre es Neid, erbärmliche Mißgunst, wenn ich das schöne, freundliche Verhältniß, darin ihr ohne mich standet, zerreißen sollte. Lerne Dich selbst kennen und schätzen; Du bist nicht der, der in der Flucht seine Sicherheit suchen müßte. Denke Dir meinen Freund so, wie ich ihn mir denke. Unzerreißbar sei der Bund der Freundschaft mit Deinem

Lindenhain.«


Albert gab sich nur nach langem Kampfe. Er wollte immer nicht zugeben, daß die [262] Abwesenheit der Liebe günstiger, als das Beieinanderleben sei. Madame Euler sagte, als sie gefragt wurde, lächelnd: so viel sie davon erfahren, glaubte sie, der Hauptmann habe Recht. –

Jetzt machten die Freunde ernstliche Anstalt, über einen haltbaren Lebensplan übereinzukommen; und bald kam Folgendes zu Stande.

Ulmenhorst bezog sein Gut; Lindenhain kaufte eins in der Nachbarschaft, und erstand zugleich den Landsitz, welchen der Onkel in seinem Wohlstande besessen hatte, worauf er ihn auch wieder einsetzte. Madame Euler, an die Adelaide sich unzertrennlich gekettet hatte, wohnte mit derselben in einem sehr eleganten Pavillon auf Lindenhains Gute; und Rehthal, der sich von seiner Frau schied, die er wegen des schlechten Streiches mit den untergeschlagenen Briefen, nicht wieder an seiner Seite leiden konnte, so viel Albertine die Strafbare auch entschuldigte und für sie bat, verkaufte sein Gut und wohnte bei Ulmenhorst. Da [263] war denn immer Einer in und durch den Andern glücklich, und nur Laurette säete zuweilen Unkraut unter den Weizen.

Onkel Dämmrig fand den Plan so deliziös, lebte wieder von Neuem auf, und verjüngte sich ganz so an dem reinen Feuer aus Adelaidens Augen, daß er oft in der Freude seines aufgewärmten Herzens sein altes: »Damötas war schon lange Zeit« mit heiserer Stimme anstimmte, und sich freute, wenn er es den Damen nach dreierlei Kompositionen, mit altväterischen Manieren verbrämt, vorsingen konnte.

Musik, Mahlerei, worin auch nun Albertine anfing vortrefflich zu werden, ernste Wissenschaft, leichter Scherz, kleine dramatische Übungen, landwirthschaftliches Treiben gaben dem, ohne den Umgang der Musen so einförmig häuslichen Landleben Mannichfaltigkeit und reichen Genuß. Eintracht pflanzte über all die Friedenspalmen hin, und selbst Laurettens Geist schien unter der Milde dieses Himmels von seiner Schärfe zu verlieren, obschon dem ungeachtet[264] Onkel sie oft seinen Pfahl im Fleisch und den Klotz an seinen Beinen nannte, und von Herzen wünschte, daß ein von Gott und allen Weibern Verlassener sich doch erbarmen und sie ihm abnehmen möchte. Ob irgend eine Hoffnung dazu für ihn und die arme Hartsinnige grünte, werden wir im folgenden Kapitel erfahren.

25. Kapitel

Fünf und zwanzigstes Kapitel

»Sagen Sie mir doch, Ulmenhorst, was ist's, daß Sie jetzt so häufig verstimmt scheinen, und oft mitten im frohen Gespräch sich einer eigensinnigen Laune überlassen, die uns Ihre Unterhaltung verkümmert?« fragte Henriette. Albert erröthete, legte seine Hand sanft auf ihre Schulter. »Morgen sollen Sie's erfahren, wenn Sie mir helfen wollen?« – »Wenn ich kann, gern!« Und das Gespräch war abgebrochen.

[265] Henriette hatte ganz andere Besorgnisse, und fühlte sich erleichterten Herzens, als sie folgendes Billet gelesen hatte.


»Leiser berührt die weibliche Hand wunde Herzen; leihen Sie mir die Ihrige, meine Freundin, eines zurückzudrängen, das sich unaufgefordert zu mir hinneigt. Nie gab ich Lauretten Anlaß, mich für Ihren Liebhaber zu halten; nie fühlte ich für diese niedrigste aller Weiber; das wäre sie mir, auch ohne die Nähe ihrer englischen Cousine! Und dennoch macht sie Anstalt, mich mit stürmender Hand zu erobern. Ich verschweige, wie weit sie, aller weiblichen Delikatesse trotzend, sich vergaß. Das macht mich bei ihrem Eintritte still, weil ich mich in ihrer Seele schäme. Ihrer Zartheit, meine Freundin, traue ich es zu, daß Sie den verirrten Sinn sanft zurückführen werden. Zu hart wär's mit männlicher, mit meiner Hand. Überdem hat sie sich, meiner leisen Zurechtweisungen nicht achtend, mir nur frecher entgegen geworfen. Ungern würde [266] ich Sie indessen dem Spotte des Onkels und der Verachtung Anderer ausgesetzt sehen. Sie ist ein Weib, Albertinens Verwandte und muß geschont werden. Nach meinem Gefühle darf ein Mann die Fehler nicht strafen, die er veranlaßt. Leben Sie wohl! Von Ihnen hofft seine Befreiung

Ihr

Albert von Ulmenhorst.«


Henriettens Verlegenheit war groß, nicht geringer Albertinens, als sie folgenden Brief von der verschollenen Tante Elise erhielt.


»Bitte, bitte, sei nicht böse, Nichte Albertinchen, wenn ich unter den Wellen seligen Genusses, die über mir zusammen schlugen, eurer zu vergessen schien. Athemlos, in Wonne gelößt, schwebt mein Geist dem Deinen wieder entgegen und fleht um Einklangsseligkeit. Du Einzige gewährst sie mir.

Den Bruder grüße mit dem Kuß der Liebe. Nichte Lauretten sage – ach Gott! die [267] Arme! wie wird ihr Herz in dem Ocean der Kränkung sich nach einem errettenden Felsen sehnen! Die Arme!!! Sage ihr, weil es doch einmal gesagt werden muß, es ginge unmöglich an, daß Doctor (nicht mehr Magister) Doctor Wassermann sie heirathen könne, wie sie gern will, weil er mich schon geheirathet hat. Die Musen schlossen den ewigen Bund. Ach, was ist die Liebe für ein süßes Ding! – Die Welt nennt mich alt. Alt? Was ist das nun? Die Hülle, das Kleid wird alt; der Geist blüht in ewig schöner, jugendlicher Form. Wer nicht alt werden will, wird es nicht. Ich gestehe freilich, daß mein Wassermann nicht ganz das Ideal meiner Vorstellungen ist. Sein ernster Sinn verschmäht die leichten Blüthen des meinigen; oft windet er mir einen Kranz von Wermuth, wo ich Rosen brechen möchte; öfterer führt er mich unter Lauben von Cypressen, und lehnt meine Leier an die Thränen-Weiden der herben Vorwürfe; mehr nennt er mich eine [268] unerschaffene Ceder auf Libanon, denn eine Rose im einsamen Thale; aber dennoch verehre ich den Theuren grenzenlos. Ich beuge mich vor seinem stärkern Geist, und neige mich, wie das zarte Schilf im Sturme.

Begeistert durch die Nähe des Empyräum, streben unsre Geister hinanwärts, hinanwärts!!! Mein Bertram arbeitet, im Vertrauen sei's gesagt, an einem großen epischen Trauerspiel, von wie vielen Akten, das wissen die Götter! Den Stoff giebt die christliche Mythe, das Weltgericht. Sie begreifen, Nichte, wie reich! wie wenig er dem Übelstande der Lokalität ausgesetzt ist. Von Adam bis auf den Säugling dieser letzten Stunden, paßt alles hinein. Den Chorus geben die zur Rechten, und die zur Linken stehenden, den diese letztern als Böcke natürlich nur mäkkern. Sie werden tüchtig herunter gemacht vom Richter, und das giebt die Entwickelung. Denn sehen Sie, Nichtchen, sonst erführe man ja gar nicht, warum [269] die ganze Scene veranstaltet ist. Die Schäfchen zur Rechten tanzen ein Schlußballet zu dem Chorus und somit gut!

Sagen Sie es aber Niemand; es soll überraschen, will Bertram. Auch Eurer Elise Geist producirt und ersetzt die leibliche Descendenz. Nichtchen, ich, ich schwärme einen Roman, wie meine reiche Phantasie ihn mir hinzaubert. Wir waren bis jetzt in dem Wahn, meine Liebe, das Wesen des Romans wäre Natur und treues Sittengemälde. O ganz und gar nicht! Richardson und der erzgemeine Fielding sollten jetzt einmal aufstehen und lernen. Ihren abgeschmackten Dictionen sieht man's gleich beim ersten Blick an, daß ihre Verfasser Engländer sind, in England schrieben und von Engländern gelesen seyn wollten. Das ist nun eben unrecht. Es muß alles rein idealisch, rein poetisch seyn. Lieber muß man Schränke und Kommoden redend einführen, ehe man's den Personen anmerkt, wer sie sind, und was sie wollen? Und dann, so muß [270] auch die Moral nicht so Fuderweise darin aufgestapelt liegen. Dadurch entsteht dann die reine Menschheit. Ich sage dir, Nichtchen, die wenigen Figuren, die ich zu meinem Roman brauche, sollen, so zu sagen, wie die Figuren im Puppenspiel, zwischen Himmel und Erde schweben, an einem unsichtbaren Drath, und ihrem Thun und Lassen soll keiner abmerken, ob sie in jene oder diese Region gehören. Da vermeide ich dann die gemeine Natürlichkeit und weiche dem platten konventionellen Leben aus.

Lebe wohl! Tröste Laurettchen! Sage ihr, sie soll sich an dem Duft meines Glücks erlaben, und schreiben, schreiben; es füllt Küche und Keller. Lebe wohl! Die Deinige, im Rosenduft der Freude

Elise Wassermann.«


Albertinens Bestürzung über diesen Brief und ihre Verlegenheit in Ansehung ihrer Cousine, entging Lindenhain nicht. Seine Neugier wurde dadurch erregt und sie konnte [271] ihm die Mittheilung nicht versagen. – »Mißverstanden, Tante! abermals mißverstanden!« rief er. »O, ihr ehrwürdigen, erhabenen Geister, wie werdet ihr verstanden und von Kleinmeistern und Pfuschern gehudelt! Bittet für uns!«

Laurettens unglückliche Konstellation wollte einmal ihre Demüthigung. Ein dritter Brief an sie selbst kam an.


»Mademoiselle!


Dero Anfrage nach Lessing, siehe Minna von Barnhelm, ob ich keine Frau Vadius brauche? ist so ächt komisch, so wahrhaftig naiv, daß wir, meine verlobte Frau Braut, Madame Antonie Spürhauß und ich, sie nicht genug haben bewundern und belachen können. Nein, meine Geschätzte! ich brauche keine Frau Vadius, sintemal mich der Himmel schon mit einer versorgt hat, die so jung, als schön, so reich, als klug ist. Der wegwerfende Stolz, mit dem Sie sonst dem armen Secretär Vadius begegneten, wird[272] Ihnen nicht weiter zugerechnet, so wenig, wie dercoup de desespoir, womit die alternde Jungfer Brandbriefe ausschickt. Meine Antonie ist in dem Fall, einer Kammerjungfer zu bedürfen; fühlten Sie sich geschickt zu dieser Stelle, so soll sie Ihnen unverhalten seyn. Das Vergangene sei vergessen. Mit dem gutmüthigsten Ernst bietet Ihnen zu Ihrem redlichen Unterkommen die Hand

Ihr

Cyprian Vadius.«


Laurette war braun vor Ärger; sie kochte Wuth, und drohte eine fürchterliche Explosion, die denn auch bald erfolgte, und sich über die häuslichen friedlichen Fluren verderbend ergoß. Wie alle gemeine Gemüther, fand sie in allem außer sich die Schuld, nur in sich selbst ahnete sie sie nicht. Sie war nicht klug genug, die derbe Weisung in sich selbst zu verarbeiten; so sehr die Freundinnen es zurück zu treiben sich bemühten, ward sie nicht ruhig, bis [273] alle Hausgenossen, selbst die geringste Dienstmagd, mit in ihren Unmuth stimmten und den Verbrecher mit entehrenden Namen nannten.

Wie sollten die Freundinnen es wagen, ihr von den beiden andern Briefen Kunde zu geben?

»Schwester Lieschen hat also den Wassermann wirklich geheirathet?« sagte Onkel über Tische. – »Ja!« sagte Albertine verlegen. – »Daß sich Gott erbarme!« rief Laurette keck. »Da muß die gute Tante recht heirathslustig gewesen seyn! Man lege ihre Jahre mir noch zweimal zu, ich möchte den pedantischen Narren nicht. An ihm liegt es nicht, daß ich Tanten nicht zuvorgekommen bin!« – Dämmrig rückte auf dem Stuhl hier hin, dort hin, räusperte sich und fing an: »Nichte, es will doch verlauten« – Albertine erschrak, gab Adelaiden einen Wink, und dieser liebe Schalk brachte dem Onkel seinen alten Spruch: ce, que nous aimons! zu, in den er sogleich einstimmte. Die Stimmung wurde nun [274] heiterer, das Gewitter verzog sich, und Laurette war für dieses mal losgelassen.

26. Kapitel

Sechs und zwanzigstes Kapitel

»Was für mich denn nirgend vorhanden ist, sollen die Andern auch nicht haben!« sprach Laurette, und Satanas lächelte in seiner Hölle, und der freundliche Horizont über den Häuptern der Lieben, mit deren Schicksal wir uns beschäftigen, schien sich schon ob dem unglückschwangern Vorsatz zu schwärzen.

Laurette hielt Wort. Überall zurückgewiesen, wo sie unterzukommen suchte, im Gefühl ihrer Verächtlichkeit, warf sie, wo sie nur Brennstoff ahnete, die Funken des Argwohns und der Zwietracht, die in ihrem Busen einen Heerd hatten, bedächtig hinein, und bließ und schürte, bis alles in lichten Flammen stand.

Im ganzen Kreise nannte man die Familie Lindenhain und Ulmenhorst die Glücklichen [275] oder auch die Guten, und jedem schien's Gewinn, in ihre Mitte eingelassen zu werden. Lange hießen sie noch so für jeden nicht Vertrauten, als längst schon die Stützen jedes häuslichen Glücks, Liebe und Zutrauen, zu wanken anfingen. Schmerzvoll ist die Erwähnung einer wiederholt bestätigten Erfahrung, daß es unter dem Monde nichts Beständiges giebt.

Als der Krieg Albertinen von ihrem Gatten schied, hatte sie, wie wir schon wissen, nur das rosenfarbene schöne erste Jahr der Ehe mit ihm durchlebt. Beide hatten sich nur im schönsten Lichte, im lachendsten Kolorit gesehen, dessen Interesse durch die schwankende Aussicht einer bevorstehenden Trennung durch den Krieg immer neu belebt wurde. Sie kannten im Grunde einander sehr wenig, und nur in dem Lichte, worin Liebende sich sehen, das heißt: im allerromantischsten. Lindenhain hatte in dem Hause gewohnt, worin Albertine mit ihrer kränklichen Mutter, der Frau von Rehthal, Dämmrigs jüngster Schwester, [276] sehr eingezogen lebte. Kaum, daß sie den Aufenthalt des schönen Jünglings, den sie nur im Vorbeigehen durch die Jalousien gesehen hatte, in ihrer Nähe ahnte. Er hingegen hatte die umgebende Gegend genau rekognoscirt, und nicht sobald erfahren, daß eine leibhafte Liebesgöttin hier neben dem trübseligen Memento mori einer kranken Mutter throne, so ließ er sich bei den Damen melden.

Er wurde sehr goutirt; und um irgend ein Band anzuknüpfen, schlug der junge Officier einen Kommerztractat vor, der eine Auswechselung geistiger Waare betraf, da beide Theile Besitzer guter Bibliotheken waren, und überdem Lindenhain alles Neuste, woran die Damen ziemlich arm waren, herbeizuschaffen versprach. Der junge Nachbar frachtete, in Ermangelung der Domestiken, sein Waarenschifflein immer selbst in den Hafen und genoß seines Lohnes in dem schönen Erröthen der süßen Albertine, die dem schönen Büchermann die Zufuhr immer selbst abnahm.

[277] Um diese Zeit nahm eben Albertine Stunden in der Zeichen- und Malerkunst bei ihrer Henriette. Da traf es sich immer ganz besonders, daß Lindenhain eben aus irgend einem Kollegium kam, wenn Albertinens Stunde aus war; und da sie in einem Hause wohnten, so war nichts natürlicher, als daß sie des Weges zusammen gingen. Albertine sagte das unverholen ihrer Mutter, und die Mutter, die keine Prüde war, lächelte und sagte: »Der Lindenhain wäre mir schon eben recht; daß er auch ein Officier ist!« – »Und warum keinen Officier, Mutter? Giebt es, außer diesem, einen Stand, in welchem der natürliche Karakter und eine bestimmte Denkungsart am meisten beibehalten werden kann? Kann der Soldat nicht so frei, so gerade, so kühn verbleiben, als die Natur den Mann gemacht hat?«

»Wo haben Sie diese Philosophie her, mein Fräulein?« sagte die freundliche Mutter. »Hast du so ernstlich über den Nachbar nachgedacht? Ich leugne dir nicht, daß [278] der Stand in meinen Augen große Vorzüge hat; aber sieh nur, wie viel Wittwen macht nicht der böse Krieg! Wie viel Wittwen von lebenden Männern! Denn das, was du sagest, giebt dem ›Ein anderes Städtchen, ein anderes Mädchen‹ seine volle Kraft.« – »Ach, Mutterchen, der Nachbar vereint in sich die Vorzüge seines Standes mit der Kultur der friedlicheren Klasse.« – »Nun, Albertine, wenn er käme, es wäre mir nicht zuwider; aber ein Unglück, daß diese edle Klasse nur erst Brod bekommt, wenn sie es nicht mehr beißen kann!« – Albertine sagte lustig: »Mag's!« und hüpfte, froh, so viel schon bei der Mutter gewonnen zu haben, an ihre Arbeit.

Und es geschah, wie sie gewünscht hatten. Nach einem kurzen Urlaub, wo Lindenhain die Erbschaft seines Vaters übernommen hatte, erschien er mit einer offnen, ungekünstelten Bewerbung um die schöne Nachbarin, und erhielt, ohne Ziererei und Bitte um Bedenkzeit, ein herzliches Ja!

Die verwelkliche Rosenkette umschlang [279] Beide; sie taumelten in ihrem süßen Duft dahin. Die gute Mutter starb bald nachher, und ihr ansehnliches Vermögen, das, wie wir wissen, leider! bei ihrem Bruder stand, machte Albertinen auch von dieser Seite zu einer sehr guten Parthie.

Nach einem im seligsten Genusse verlebten Jahre, bekam das Regiment Ordre zum Aufbruch. Das junge Paar war untröstlich. Albertine zog, wie wir wissen, zu ihrem Bruder und ihr Gatte in den Krieg, der, wir können es nicht leugnen, bei weitem mehr sein Element war, als die Mirthenlauben von Paphos. Als seine Albertine, wie es ihm schien, in Sicherheit war, zog er mit hoch aufklopfendem Herzen und den hell lodernden Flammen der Kriegslust, seinen Fahnen nach.

[280]

27. Kapitel

Sieben und zwanzigstes Kapitel

Man sage, was man will, der Krieg, zu Wasser oder zu Lande, verwildert die Naturen, giebt dem Hange zum unstäten Leben Nahrung, erhält in steter Spannung und befriedigt nur durch große, entscheidende Katastrophen; nur das Große und Riesenmäßige genügt den Mitwirkenden. Daß Lindenhain, der von der Natur so ganz zum Soldaten geeignet war, sich eine Zeit lang in der ländlichen Stille, in friedlicher Thätigkeit, in zweier lieblichen Weiber Mitte gefiel, war mehr der Neuheit und Seltenheit wegen, als daß es seinem innern Geschmack zugesagt hätte. Bald wurde es ihm zu enge; er schnappte nach Luft; ihm war nur wohl, wenn er des Tages ein paar Pferde müde geritten hatte; und endlich war's auch Albertinen wohl, so herzlich sie ihn liebte, wenn sich das liebe Ungethüm vom Hause entfernte.

[281] Angefeuert durch das Beispiel der Freundinnen, ergab sich Albertine jetzt mehr, als je, den Künsten; es freute dann Lindenhain wohl, wenn unter ihrem Pinsel etwas Meisterhaftes entstand, aber er schalt doch auch, wenn etwas Wirthschaftliches versäumt oder aufgeschoben war. Er bedachte nicht, daß es in der Natur der Dinge liegt, und daß es unbillig ist, vom Weibe zu fordern, was der seltne Mann nur vermag: allem zu genügen. Würde sich weibliches Talent im Wettstreite mit dem männlichen nicht ungehemmter entwickeln, müßte sich das Weib nicht zugleich hundert zeitversplitternden Arbeiten hingeben? Und die Hand auf's Herz, ihr Künstlerinnen, und schriftstellerischen Weiber, wenn ihr den Pinsel aus der Hand legt, wenn euch eben ein Reim oder lebhaftes Bild auf der Zunge schwebt, gehet ihr dann mit eben so lebhaftem Interesse in die Küche oder an den Wäschschrank, als ihr euch an euren Schreibetisch oder an die Staffelei setzet? Ich sage nein! und der Mann, der es von euch fordert, daß die [282] Geistesunterhaltung untergeordnet bleiben soll, ist ein unbilliger. Wer wird, wenn er Nectar haben kann, noch gern sauren Landwein trinken! Aber das Weib, das im Gefühl ihrer Pflicht und Würde, eines thut und das andere nicht läßt, ist das beste.

Albertine hatte nie in einem größern Kreise gewirkt; sie mußte sich erst hineinstudiren. Die Erfahrung macht die Wirthin, und jene wird oft mit Schaden erst erlangt. Dadurch wurde sie unmuthig; es wurde ihr schwer, mancher Kleinigkeit, die es in ihren Beziehungen freilich nicht ist, Interesse abzugewinnen, und Lindenhains Vorwürfe verleideten ihr das Ganze. Das versäuerte die Masse um so mehr, da Laurette gewöhnlich bei den Vorwürfen, die Albertine oft, indelicat genug, im Beiseyn mehrerer erhielt, laut lachte oder bejahend einstimmte.

Bei der kränkelnden Mutter hatte Albertine eigentlich sehr wenig gelebt, und ihre Phantasie hatte sich durch Lesen und in sich selbst eine Welt gebildet, die nur [283] wenig Ähnlichkeit mit der wirklichen hatte. So hatte sie Freundschaft, Liebe und Ehe kennen lernen, und so war sie untröstlich, daß besonders die Ehe ihrem Ideale, aus Dichtern und Romanen geschöpft, so wenig entsprach.

Lindenhain war, wir haben es schon selbst gestanden, durch den Krieg in etwas verwildert; doch schrieb Albertine diesem mehr auf die Rechnung, als darauf gehörte, und auf die des zum Ehemann gewordenen Liebhabers zu wenig. Der Genuß des zur Gewohnheit gewordenen Guten, kam auch nicht in Anschlag. Es kam Mislaut in die schöne Harmonie des Ganzen. Albertine härmte sich im Stillen. Adelaidens liebenswürdige Munterkeit wehrte dem Unwesen eine lange Zeit; aber endlich wurde auch sie mit angesteckt. Sie warf Lindenhain bald scherzhaft, bald ernstlich seine ehemännische Laune vor. Sie sagte zuweilen drollig: »Capitaine, Capitaine! Ich habe Ihre Kopfwunde schlecht geheilt; Sie phantasiren noch.« Da kam es denn zu [284] Erörterungen, zu Mittheilungen von allen Theilen, und es konnte Albertinen nicht angenehm seyn, daß eben Adelaide das Depot der beiderseitigen Beschwerden wurde. Als Schiedsrichterin war sie viel zu schön und zu jung.

Für Lauretten waren diese Verhältnisse wahrer Genuß. Sie lebte wie von neuem auf, und wußte bald Albertinen auf Lindenhains Vertrauen zu Adelaiden, bald Lindenhain auf Albertinens erheiterte Laune, wenn Albert zugegen war, geschickt aufmerksam zu machen. Lindenhain war nicht eifersüchtig; aber der oft Betrogene war mißtrauisch; auch mißtrauisch gegen seine Albertine, gegen Albert, gegen den besten Menschen; und dies war ein Zug in seinem Karakter, den Albertine noch nicht kannte, den er nie Anlaß gehabt hatte, gegen sie zu entwickeln, und den er selbst nicht kannte, als er Alberts Entfernung hintertrieb. Maß sich Lindenhain mit Albert, so fiel ihm sein fehlender Arm schmerzlich auf's Herz. Maß sich Albertine mit [285] Adelaiden, so sahe sie in sich die gewohnte Ehefrau, bei der alles Pflicht und Schuldigkeit, wie bei jener alles freier Antrieb und Edelsinn war. Noch waren aller Herzen rein; aber – was sollte in der Folge daraus werden?

Was daraus werden mußte. Ein verstimmtes Instrument, das nur noch Mißlaute von sich gab. Henriette, die es lange nicht hatte bemerken wollen, mischte sich endlich, von Albertinen aufgefordert, darein. Sie redete Lindenhain an's Herz, der ihr eine kecke Antwort gab, und unter andern sagte: »er wisse sich zu bescheiden; ein Krüppel könne freilich nicht viel Ansprüche machen; er fände es endlich nicht unnatürlich, wenn ein schönes, junges Weib einen bildschönen Mann, dessen Gattin sie ohnehin hätte werden wollen, vorzöge.«

»Lindenhain, nehmen Sie mir es nicht übel, jetzt sind Sie gemein. Eifersucht würde ich der Liebe verzeihen; aber Mißtrauen in die edelsten Menschen – pfui! schämen Sie sich! Und wer dürfte es Albertinen[286] verdenken, wenn sie des ewig vorwerfenden, zurechtweisenden Umganges, der die Arme zur Marionette herabsetzt, überdrüßig, sich in der Gegenwart eines sanfteren, heitern, geistreichen Freundes erheitert fühlte? Wenn dies in ihrem Betragen nicht sichtbar würde, müßte sie eine Heuchlerin seyn?«

Lindenhain schwieg, schien in sich zu gehen, und versprach, sich zu bessern. Bald flüsterte Satan Laurette ihm zu: sie hat dich verklagt; das war unrecht. Und es blieb, wie es war. Oft, wenn er Albertinen mit gesenktem Kopfe, wie ein dahinwelkendes Maienblümchen sahe, und überdachte, mit wie edlem Zutrauen sie sein Verhältniß zu Adelaiden aufgenommen hatte, ward er innig erweicht, drückte sie ungestüm an sein Herz und gelobte sich, den reinen Engel ganz glücklich zu machen.

Bald aber gewannen wieder die Miseren des häuslichen Lebens, so wie sein Hauptlaster, die böse Laune, die Oberhand, die durch das immerwährende schmerzliche Entbehren seines Armes geschärft wurde. [287] Die arme Albertine wurde für alles, was im Hause mißlang, auch für Zufälligkeiten, verantwortlich gemacht, und Onkel Dämmrig, dem die Dissonanzen schmerzlich im Herzen wiederhallten, weil er Albertinen sehr liebte, sagte oft halb scherzend, halb traurig: »Heut kriegt die arme Albertine gewiß wieder Schelte; der Barometer steht auf Regen.«

Albertine hatte drei kleine Narben am Kinn, deren Daseyn sie und die Ihrigen bei jeder Pocken-Epidemie beruhigten; sie glaubten, daß sie sie in früher Kindheit gehabt habe. Die Pocken wütheten im Dorfe, und Albertine ging unbesorgt in allen Hütten umher, ihre Hülfe zu vertheilen. Sie erkrankte ob der Mühwaltung, wie man glaubte; aber sie hatte sich Blattern und zwar von der giftigsten Art geholt. Schrecken und Jammer überfiel die Ihrigen; keiner wich von ihrem Lager; selbst der kränkliche Onkel trippelte an ihr Bett hin und bejammerte das entstellte Engelsbild. Lindenhains Feuerseele schlug jetzt, [288] durch die Gefahr der Leidenden angefacht, in helle Flammen auf. Nie glaubte er sie inniger geliebt, nie ihre sanfte Duldsamkeit mehr bewundert zu haben. In der Hitze der Trübsal gelobte er mehr zu halten, als er seiner Natur nach vermochte. Albertine reichte ihm freundlich die Hand, und gab vor, sich an einem Blick auf eine glücklichere Zukunft zu laben, an den sie längst nicht mehr glaubte.

Aber wer begreift, wer schildert Adelaidens Edelmuth! Die schmerzliche Lage der jungen Frau, wenn sie nun aller Schönheit beraubt, entstellt von diesem Lager aufstände, entging ihrem schnellen, richtigen Blicke nicht. Sie sollte schön, und ihre beschützende, großmüthige Freundin eines so einnehmenden Vorzugs beraubt seyn? Lindenhain sollte einen Vorwand gegen die arme Albertine haben? Das ertrug das edle Mädchen nicht; sie wollte mit ihr zugleich häßlich werden, wollte keinen Vorzug an sich dulden, wollte auch die Blattern haben, die sie noch nicht gehabt zu haben glaubte. [289] Sie lehnte ihr Gesicht an Albertinens, aß von ihrem Bissen, trank aus ihrem Becher, und was auch eingewendet werden mochte, schlief an ihrer Seite. Nie gab es eine Wärterin, wie diese; nie wurde ein Kranker gepflegt, wie Albertine.

Aber das Gift theilte sich ihr nicht mit. Sie bekam einen unschädlichen Ausschlag, und das war alles. Ihre erhaltene Schönheit und die Verehrung und Liebe Aller waren der gerechte Lohn ihres Edelsinns und ihrer unerhörten Aufopferung.

28. Kapitel

Acht und zwanzigstes Kapitel

Albertinens Leben war zwar gerettet; aber – wer faßt den Jammer! – sie blieb des Lichtes ihrer Augen, ihrer wunderschönen blauen Augen beraubt! – Der unwiederbringliche Verlust ihrer Schönheit wurde gegen dieses schwere Unglück kaum bemerkt. In dem Frühling ihrer Tage, in dem Rosengarten [290] ihres Lebens, umgab das schreckliche Dunkel der Blindheit den Sinn, durch den uns der Anblick der Wunder in Gottes schöner Natur einen Strahl dauernder Freude und höherer Andacht in die Seele sendet. So lange noch ein Schimmer von Hoffnung war, ergab sie sich still den Fügungen der Ärzte. Als nun aber die immer wiederholten neuen Versuche alle täuschten, überließ sie sich einem stillen Gram, der um so rührender war, da sie ihn in sich verschloß und er ihren zarten Körperbau sichtlich angriff.

An dem bebenden Ton ihrer Lieben vernahm sie die zurückgehaltene Wehmuth derselben. Lindenhains Schmerz äußerte sich, wie seine Natur es wollte, mit Ungestüm und meist im Style des Vorwurfes. »Wärst du nicht in jene unglücklichen Hütten gegangen, das Unglück wäre nicht geschehen! Was gingen dich jene Kinder an?« – Das drückte dann die arme Albertine ganz darnieder; sie suchte seine Hand, bedeckte sie demüthig mit Küssen, und bat ihm ihr Unglück [291] ab. Ernst und besonnen schlug sie ihm die Scheidung vor, da sie den Zweck des Hausstandes nicht mehr erfüllen könne, und nun im Dunkeln wandeln müsse; »weil ich meinen Lieben nur Leiden, statt der gehofften Freuden geben kann!« setzte sie schmerzlich hinzu. »Ach, mein Theurer, nur ein stilles Winkelchen räume mir ein; die Zeit wird auch mir den Frieden geben, der so unverkennbar das Erbtheil aller des Lichts Beraubten ist! Du bist zu jung und lebenslustig, als daß es recht seyn könne, dein Dasein an das einer armen Unglücklichen zu ketten, und ihre Last mit zu schleppen.«

Dergleichen Auftritte, die nur zu oft in der ersten Zeit vorkamen, überwältigten dann des Mannes Herz; seine Thränen flossen, und mit von Schmerz aufgelöstem Herzen stürzte er hinaus ins Freie, ritt zwecklos umher, und kehrte düster und schweigend dann erst zurück, wenn seinem Pferde die Kräfte, ihn weiter zu tragen, entgingen.

Wenn er dann Albertinens Klagetöne [292] am Fortepiano vernahm, indem sie ein Lied, das sie selbst über ihren Zustand gedichtet und componirt hatte, mit dem himmelsüßen Ausdruck inniger Schwermuth sang, oder wenn er sie, beim raschen Eintritte in's Zimmer, mit zum Himmel gebreiteten Armen betend fand, so regte sich der wüthendste Schmerz von neuem. Er drückte sie an seine hochklopfende Brust, und doch schauderte seine sinnliche Natur bei der Annäherung des armen kleinen Ungeheuers zusammen. In seiner Brust war das Mitleiden kein milder Trieb; es war Leidenschaft, ungestüme, zerstörende Leidenschaft, die seine Kraft zermalmte und sich in sich selbst aufrieb.

Rührender noch war der Anblick, wenn die Unglückliche sich bestrebte, ihrem Hauswesen, wie in gesunden Tagen, vorzustehen, und ehe der Mechanismus der Gewohnheit ihren Bewegungen zu Hülfe kam, tappend umher irrte, und oft ganz entgegengesetzte Richtungen nahm. Als einst bei einem solchen Anlasse Lindenhain selbst in Laurettens Augen Thränen sah, stürzte er auf sie zu, [293] und umarmte sie heftig. Laurette aber schämte sich ihrer Rührung, und behauptete, es sei ihr nur Staub in's Auge geflogen.

Albertine gewöhnte sich allmählich an ihre Lage, und trug mit frommer Resignation, was nicht mehr zu ändern war. Überdem hatte sie die glückliche Gemüthsanlage, an allen ihren Lebenszuständen sich die beste Seite aufzusuchen und sie sich anzueignen. Sie litt jetzt nur noch in ihren Freunden, in ihrem Gatten. Sie entwarf sich einen neuen, ihrem Zustande angemessenen Lebensplan. Adelaide hatte ihr Unterricht auf der Harfe gegeben; ihr glückliches Talent hatte dieses ihr Lieblingsinstrument sich bald zu eigen ge macht. Sie wechselte mit Musik und Handarbeiten, die sie zur Bewunderung fertig machte. Henriette oder Adelaide lasen ihr vor, oder sie überließ sich ihren eigenen Betrachtungen; auch gewann sie bald die Fertigkeit, leserlich zu schreiben, und nie war ihre Phantasie reger [294] und blühender gewesen, als da ihr die äußern Eindrücke versagt waren.

An schönen Tagen saß sie in den Lauben ihres Gartens und übersah mit den Augen ihres Geistes die ihr bekannte schöne Gegend. Sie hatte in guten Tagen einen Schatz von Ideen und Kenntnissen gesammelt, mit dem sie nun in ihren Leidenstagen wucherte und diese versüßte.

Wie ihr Freund Albert an ihr Theil nehmen mußte, sagt uns die vergangene Zeit. Schon war er im Begriff gewesen, die Gegend zu verlassen, weil er aus einigen Winken, die Henriette ihm, ohne es beinahe zu wollen, gab, geschlossen hatte, Lindenhain habe sich selbst nicht genug gekannt, als er seinen Vorsatz, Albertinen nicht mehr zu sehen, ihm ausredete. Als aber das Unglück über seine Freunde ausbrach, wich jede andere Rücksicht; denn nun war alles anders, und jetzt war es ihm Pflicht, der Leidenden alles zu werden, was er ihr, seiner redlichen Überzeugung nach, seyn durfte.

[295] Wenn sie so im traulichen Zirkel um sie saßen und er auf ihre Rede lauschte; wenn ihr heiterer Sinn und ihr heißes Gefühl für alles Edle und Große wie ein himmlischer Trost in seiner Seele aufging: dann bemerkte er nicht, daß ihre Gestalt verändert war; dann war sie ihm schön, wie in den ersten Wonnetagen seiner Bekanntschaft mit ihr; dann sah er nicht die tiefgenarbte Wange, den verzogenen Mund, den dicken rothen Kreis um das ehemals so schöne Auge, aus dem ihm der ganze Himmel gelacht hatte.

Ganz anders wirkte der nemliche Anblick auf Lindenhain. Nie warf er den Blick auf Albertinen, daß er nicht zusammen schauderte; sich ihr zu nähern, kostete ihm Überwindung; nur was von schönen Lippen kam, fand er geistreich. Die Schärfe des Schmerzes stumpfte sich freilich mit der Zeit ab, ging aber in Verdruß und Abneigung gegen den Aufenthalt in seinem Hause über. Die Eifersucht stachelte ihn jetzt nicht mehr, und es war ihm eben recht, wenn [296] Albert und der ganze Zirkel um Albertinen versammelt war, weil er sie dann unterhalten wußte und seine Gegenwart um so entbehrlicher war. Er wurde ein Jäger; und zwar so leidenschaftlich, wie er alles in sich aufnahm. Oft kam er erst heim, wenn die Andern den Abendtisch schon verlassen hatten, oder er blieb auch Nächte aus, worauf dann die sanfte Albertine nichts weiter, als seufzend sagte: »Ach, ich kann es ihm ja nicht verdenken!« –

Adelaidens zarter, herrlicher Sinn glänzte in seinem strahlendsten Lichte. Ihre Lage war delikat und ihr Verhältniß zur Familie forderte eine feine Behandlung. In ihrem offnen, unbefangenen Betragen gegen Lindenhain veränderte sie nichts; es blieb sich gleich. Gleichwohl hatte sie ihn unsäglich geliebt und war zu einiger Erwiederung berechtigt. Jetzt hatte sie der Hülfe bedürftigen Albertine alles zugewendet, was ihr schönes Herz zu geben hatte; und mehr noch, als kalte Principien, gab ihr ihre schöne Natur ein, was sie dieser, [297] da Finsterniß ihr Auge deckte, jetzt seyn mußte.

Nur ungern verstattete man dem Onkel Zutritt zu Albertinen; er weinte laut, wie ein Kind, und drückte sich so klagend über ihren Zustand aus, daß ihr Gemüth aus seinem Gleichgewicht kam, und wenn sie ihn zu trösten bemüht war, oft laut in seinen Schmerz einstimmte.

29. Kapitel

Neun und zwanzigstes Kapitel

Die trübe Scene ein wenig zu erheitern, wollen wir einen Vorfall berichten, der alle in Verwunderung, einige in Freude, andere in Verdruß versetzte.

An einem schönen Morgen kam ein ärmliches Fuhrwerk, von lebensmüden Pferden gezogen, vor das Schloß. Aus Decken und Mänteln wickelte sich eine weibliche Gestalt heraus, die verschleiert, wie sie war, von Niemand sogleich erkannt wurde. Gerührt [298] warf sie sich Albertinen in die Arme, die sogleich am holden Lispeln, an dem warmen poetischen Ausruf, Tante Elisen erkannte. Die Gute weinte Albertinens Unglück die heißesten Thränen, und dann ging ihre Bewunderung wieder bis zur Anbetung, als sie Albertinens himmlische Resignation sahe. Durch Henrietten erfuhr sie Adelaidens Geschichte, und auch diese umfaßte sie mit einer hohen Begeisterung, die der Vergötterung nahe kam.

Ihre eigne Geschichte machte alle traurig; nur ein Gesicht verzog sich zum Hohn. Wer in dem Kreis der Guten das seyn konnte, errathen wir nur zu leicht.

»Waren Sie denn nicht mit ihm verheirathet, liebe Tante?« fragte Albertine. – »Was man so recht eigentlich verheirathet nennen möchte,« antwortete Elise, »waren wir nie. Wie möchte die Liebe dies erdrückende Joch tragen! – Kein Priester sprach den Seegen, kein Ringewechseln bestätigte den Bund der Liebe. Lasen Sie nie das Paradies der Liebe, mon Neveu[299] fragte sie Lindenhain. – »O ja doch, ja!« antwortete dieser lachend, »ich fange an zu merken.« –

»Nun« – fuhr Elise fort – »muß die Liebe, wie sie im Menschen das Höchste und Lieblichste, die schönste Blüthe des Lebens ist, so auch das Freieste unter der Sonne seyn. Keine Liebe gedeiht im Treibhause der Ehe. Warum trüge der Gott der Liebe Flügel, als zum Flattern?


›Daß er sich im Flattern übe,
Darum, darum trägt er sie!‹

Wer mag ihn festhalten? Und wie wohlthätig ist die Trennung, wo er nicht mehr weilt!«

Nach einigem Weigern und mit sehr milderndem Ausdrucke kam es heraus, daß die gute, gar zu majorenne Elise über ihr Vermögen zu Gunsten ihres flatterhaften Amors Wassermann disponirt habe. Seine Sinnlichkeit, das Streben nach heimlichen Genüssen, und eine affectirte Geringschätzung jeder ökonomischen Rücksicht bei großer Geldgier, hatte ihn in Verlegenheiten [300] gesetzt, aus welchen er sich durch Elisens Gutmüthigkeit zu ziehen hoffte, als Antonie ihn abwies. Elise gab, bis es an die letzte Obligation und ihre ziemlich kostbaren Juwelen kam; mit diesen im Koffer, hatte er sich von ihr entfernt, sie wußte nicht, ob zur großen Nation hin, oder nach dem andern Freihafen für Leute seiner Art, nach Amerika; sie wußte nicht, wo er nun eigentlich die helle Leuchte seines Geistes werde aufgehen lassen. So viel wußte sie, daß sie arm, verachtet und ausgelacht zu den ihrigen zurück geflüchtet sei, aber reich beladen mit den Erzeugnissen Wassermannischen Geistes, womit sie nun einen Buchhändler zu beglücken und sich ein reichliches Auskommen zu verschaffen gedachte.

Dämmrig accompagnirte ihre Erzählung mit einem leisen Gemurmel zwischen Gesang und Rede, welches ihr höchst anstößig war. »Und sein Drama von Schafen und Böcken?« fragte Dämmrig. – »Erscheint!« – »Und dein übermenschlicher Roman, worin nichts natürlich zugeht, wo eine [301] Komode die prima Donna ist?« – »Erscheint!« – »Spotte nur, spotte! Einen Schrank, einen Klotz kann man immer noch vernünftiger, als einen alten Ritter, worein ihr so verliebt seid, redend einführen. Im weiten Reiche der Phantasie, in ihren Schöpfungen ist alles Leben. Das heilige Dichterfeuer belebt Steine und versetzt, wie der Glaube, Berge.«

30. Kapitel

Dreißigstes Kapitel

Lindenhains Vermögenszustand reichte für den Aufwand eines noch so vergrößerten Familienzirkels zu; und großmüthig, wie er war, kümmerte es ihn wenig, ob das Kapital durch zurückgelegte Zinsen vergrößert wurde. Elise war überdem allen von Herzen willkommen; sie war eine so gute Art von einer Närrin, daß so leicht kein Spott über sie laut wurde. Albertine hatte nun eine neue liebevolle Seele mehr um [302] sich, die das Vorleseramt ausschließend übernahm. Sie fühlte, was sie vortrug, und ihr angenehmes Organ fügte sich in alle Modulationen des Ausdrucks leicht ein.

So gestaltete sich eine Form der Geselligkeit für den liebenden Kreis, der immer mehr an Festigkeit gewann. Obgleich für jeden besondere Wohnungen bestimmt waren, schloß sich doch der Kreis immer um Albertinen, der in ihrer Dunkelheit jeder gern die hülfreiche Hand reichen wollte. Henriette hatte sich eine Zeit her auf die Porträtmalerei, worin sie sehr glücklich war, gelegt; aber auf die Länge verdroß es sie, ein glückliches Talent blos im Dienst der Eitelkeit zu verwenden, und die Vorwürfe derer, die ihres Lebens Frühling in verschönter Gestalt hingezaubert haben wollten, wenn der Herbstwind schon über die kahlen Scheitel wehte, wurden ihr zum Ekel. Sie gab also das Porträtmalen wieder auf; und da sie überdem schon ein hübsches Kapital erworben hatte, so schränkte sie sich blos auf einzelne größere Sachen ein, die [303] sie den Kabinetten der Freunde zum Andenken bestimmte.

Albertine wurde ihres Zustandes immer gewohnter und vergaß beinahe des bessern. Lindenhains Launen sahe sie als natürliche Folge ihrer Lage an, und ertrug sie still, ohne Widerrede. Denn selten sprach er mit ihr, daß er nicht, ohne es selbst zu wollen, ihr etwas Unangenehmes sagte. Er verfiel oft in einen wirklichen Sergeanten-Ton, der beim Befehlen zugleich drohend den Stock aufhebt. Dann seufzte sie still und dachte: er liebt mich nicht mehr! Wer weiß, wie entsetzlich ich auch aussehe! Sie waren es insgesammt nun schon gewohnt, daß er in ihrer Mitte fehlte; und Albertine war froh, wenn sie nur, wenn auch spät, seine Stimme wieder hörte.

An einem düstern December-Abend saßen sie um ein schönes, freundliches Kaminfeuer versammelt. Draußen stürmte es mit Schnee und Regen. Schon einigemal war Albertine vergebens der Thüre zugeeilt, was sie in ihrer Trübsal doch nie unterließ, weil [304] der anschlagende Haushund die Ankunft seines Herrn zu melden schien. Zweimal hatte sie sich mit einem banglichen: »Nein, er ist es noch nicht!« wieder zu ihrem Sitz begeben, als der Jäger verstört in's Zimmer trat und Albert etwas zuflüsterte, worauf dieser erschrocken aufstand und eilig das Zimmer verließ.

Blinde hören sehr scharf. »Was ist's mit dem Grauschimmel? Mein Mann pflegt ihn zu reiten!« und schon irrte sie zur Thüre hinaus. Unter den Domestiken war ein confuses Durcheinanderlaufen, und so erfuhr sie, der Grauschimmel sei allein zu Hause gekommen; Sattel und Zeug sei naß und in Unordnung. Albert hatte ihn schnell wieder bestiegen, und war schon fort; alle männliche Domestiken waren ihm mit Fackeln und Leuchten gefolgt. In dem Forst bei dem Förster fanden sie ihn nicht. Sie streiften in allen Richtungen durch die Gegend; aber nirgend fanden sie eine Spur.

Welche schreckliche Nacht Albertine zubrachte, wäre vermessen beschreiben zu wollen.

[305] Mit kräftiger Stimme rief Albert durch den Wald den Namen des Freundes; es blieb todtenstill, nur der Widerhall antwortete. Gegen Morgen kam er in eine entferntere, wenig gangbare Gegend; es war ein See, mit einem Kranz von Hügeln umgeben. Auch hier rief er den Namen; da schlug Perdrix, Lindenhains Lieblingshund, an, und kam von dem See her auf ihn zugestürzt. Eine fürchterliche Ahndung, was geschehen seyn könne, flog Albert durch die Seele. Er folgte der Weisung des treuen Hundes, und – o des Jammers! – Lindenhain lag todt in dem See! – Vom jähesten Abhang des Hügels herunter war er vom stolpernden Pferde gestürzt; der entsetzliche Sturm hatte ihm den weiten Mantel so unglücklich um den Kopf gewickelt, daß er, der arme Einhändige, sich nicht hatte befreien können. Tief mit dem Kopf war er in's Moor gesunken, und so war der vollblütige Mann schnell am Schlage gestorben.

[306] Hier ruhe die Feder, die schon zu viel Leiden schilderte. Dem Jammer Raum zu lassen, bleibe eine Lücke in dieser Geschichte, die das Trauerjahr in sich faßt, das Albertinen ein wirkliches ernstliches Trauerjahr wurde.

31. Kapitel

Ein und dreißigstes Kapitel

Albertine hatte den langen, trüben Winter hindurch einem verzehrenden Nervenfieber fast unterlegen. Was Liebe, was Freundschaft vermag, gewährten ihr die seltenen Freundinnen. Das zarte Gemüth der Leidenden untergrub seinen Frieden durch unverdiente Vorwürfe, es habe nicht genug geliebt und dadurch den Gatten von sich entfernt, dessen Bild jetzt in unumwölkter Klarheit in Albertinens Seele lebte. Alle seine kleinen Unarten und üblen Gewohnheiten waren ihr mit in die Gruft gesenkt; [307] seine Tugenden nur, seine Großmuth, sein männlicher Sinn, seine frühere Liebe, sein Feuereifer für's Edle und Schöne, der gebildete Geist, die warme Vaterlandsliebe, standen in edler Schöne hoch emporstrebend um das Grab, das seine Fehler deckte. »Mein Unglück, meine darauf entstandene düstre Stimmung entfernten ihn, und darum – o Gott! darum – war sein Ende so unglücklich; darum ging er in der Kraft der Jahre zu Grunde. O, ich habe nicht genug geliebt! O, daß ich mit ihm stürbe!« rief sie oft verzweifelnd aus.

»Selten, meine Albertine, verdienen wir den Vorwurf, daß wir zu wenig lieben,« sagte Adelaide tröstend. »Ach, wir lieben viel zu viel, kommen den Männern mit viel zu viel ermüdender Liebe entgegen. Mit viel zu viel Liebe tragen wir ihre Unarten. O, wären sie unsrer nicht so bis zum Übermaß gewiß, die Geschlechtsverhältnisse würden selbst noch in der Ehe zarter und pikanter seyn. Die Launen einer Ungetreuen, die Bizarrerien einer Maitresse [308] fesseln das grillenhafte Wesen des Mannes stärker, als die ausharrendste Liebe der Gattin. Nein, Albertine, ihre Freunde, ihr innigstes Bewußtseyn geben Ihnen das Zeugniß, daß Sie nicht zu wenig liebten. Auch wäre es schrecklich, wenn unserm Menschen-Elende noch die Verantwortlichkeit für alle zufälligen Folgen unsrer Worte und Handlungen aufgebürdet würde.«

Der Frühling kam in aller seiner Glorie herbei. Albertine saß in ihrer Laube am Rosengeländer und wagte zum Erstenmale wieder ihre Seele auf den Schwingen schwermüthiger Harmonie zu erheben. Sie hielt es beinahe für Versündigung an dem Verstorbenen, sich erheitern zu wollen; nur Klagetöne hauchten ihre Lippen in die Harfe oder das Klavier.

Albert war ihr Führer, ihr Begleiter. Die Liebe, die er gewaltsam in sich zurückgedrängt hatte, erhob sich jetzt, ungebunden von Pflicht, allgewaltig wieder in seiner Seele; die reinste, die geistigste. Doch hielt [309] er schonend der Traurenden auch die leiseste Äußerung zurück.

Einst kam er frühe zur ungewöhnlichen Stunde. »Albertine, meine Freundin!« rief er in den Vorsaal, worin sie eben war, hinein; »ich bin sehr glücklich gewesen. An dem Ufer des Baches, wo mein Glück mich zuerst zu Ihnen führte, warf ich mich ermüdet an eben der Stelle hin, eine kleine Blumenpflanzung, die ich dort anlegte, zu besehen. Mein alter Tiras, der mich an dem glücklichsten Tage meines Lebens auch begleitete, grub sich neben mir ein Lager in das Moos. Da sahe ich, da fand ich – rathen Sie einmal, was?« – »Trüffeln oder Pilze!« sagte Albertine heiter. – »Nein, meine Theure, den Ring, der dazumal der Gegenstand ihres Spatzierganges war. Albertine, er ist in jedem Bezuge ein theures, theures Andenken!« – Albertine streckte die Hand hastig darnach aus. »Ach, ich kann ihn nicht sehen!« sagte sie schmerzlich; »ich werde fühlen, ob er es ist?« – »Albertine, dieser Augenblick sei mir der [310] feierlichste und heiligste meines Lebens! Mir sind Sie noch ganz so schön, als Sie es mir in den ersten Blüthetagen meiner Bekanntschaft waren; aber noch unendlich liebenswürdiger erscheinen Sie mir durch die Schönheiten Ihres Gemüths, das ich in jener Zeit nur ahnete. Albertine, Sie bedürfen eines Führers, eines Beschützers in den mancherlei Verhältnissen Ihrer Lage. Und – darf ich mahnen an jene Zeit, als Sie Wittwe zu seyn wähnten, was Sie dem Überglücklichen zudachten? Albertine, ich liefere den Ring nicht aus, er werde denn ein Verlobungsring!«

Albertine schwieg betroffen; häufige Thränen drangen aus den geschlossenen Augen. Sie kannte Alberts feste, ruhige Besonnenheit; es war gewiß nicht der Enthusiasmus des Mitleidens, der ihn bestimmte; aber dem theuren Andenken des im Grabe Ruhenden thut es Abbruch, sagte ihr Zartgefühl. Albert fühlte sich in das Herz, dessen innerste Regungen er kannte, hinein, und begegnete fein und schonend den Einwürfen, [311] die sie nicht sagte. Henriettens Dazwischenkunft entschied für Alberten. Albertine war in Liebe und Dankbarkeit aufgelöst, als der schöne Bund der Vernunft und Liebe an dem Altare ihrer eigenen Kirche, umgeben von ihren Lieben, rührend und feierlich geschlossen wurde.

32. Kapitel

Zwei und dreißigstes Kapitel

Der Tag sollte im stillen Kreise der Freundschaft zugebracht werden. Henriette und Adelaide feierten ihn durch Gesang, den die eine gedichtet, die andere componirt hatte. Albertine setzte sich an's Fortepiano und überraschte alle durch einen Gesang, der aller Herzen in Thränen auflöste. Er war Todtenfeier und Brautweihe, im rührendsten Verein. Sie hatte ihn in der Stille der Nacht vor ihrem Vermählungstage gedichtet, und ihr glückliches Talent hatte schnell die rechten Töne dazu gefunden.

[312] Der Tag sollte aber noch in mehrerer Rücksicht mit Ereignissen bezeichnet werden. Die stille Feier wurde durch die Ankunft zweier Fremden unterbrochen, die sich als der Baron und die Baronin Rothensee melden ließen. Sie sollten nicht angenommen werden, waren aber schon in Vorsaal eingetreten. Albert ging ihnen entgegen, und führte bald, zum Schrecken aller, wen anders, als die Frau Rosamund und den Baron Weißensee herein. –

Mit edler Unverschämtheit näherte sie sich ihrem beleidigten alten Freunde, der kein Wort zu sagen wußte und das Haupt tief auf die Brust herabsenkte, als sei er der Beleidiger. »Sie haben es mir wahrscheinlich gedankt, daß ich Sie von einer lästigen Hausgenossin befreite. Mein Gemahl, der Baron, ist im Stande, Ihnen jeden, mir zu Gunsten gemachten Aufwand zu ersetzen. Aber – ich sehe Sie alle versammelt; nur Ihre Albertine fehlt!« – »Hier, hier!« sagte Dämmrig, aus seiner Verlegenheit hervortretend und Albertinen [313] bei der Hand fassend. »Gott im Himmel!« Rosamund wäre beinah einmal im Ernste ohnmächtig geworden; sie drückte die Arme heiß weinend an ihr Herz. Albertine erkannte des Barons Stimme, faßte seine beinahe vor Schrecken erstarrte Hand und sagte sanft: »Sehen Sie mich doch jetzt recht an, Herr Baron! Dies einzige sei meine Rache!« – Der Baron trat erbleichend zurück und schob fast mechanisch den Hut vor die Augen. Albert war zu glücklich, um einen verjährten Streit aufzufrischen, und zu gastfrei, jemand unter seinem Dache zu beleidigen; um so weniger, da die Fremden sagten, sie gingen in einer Stunde weiter, und Petersburg sei das Ziel ihrer Reise, wo sie sich mit ihrem Vermögen niederzulassen gedächten. Die Wahrheit war, daß sich das Hochfreiherrliche Paar auf der dortigen Bühne engagirt hatte.

»Mademoiselle sind noch unversagt?« fragte Rosamunde, sich an Lauretten wendend. Ergrimmt erwiederte diese, zu Aller [314] Erstaunen: »Es ist heute mein Verlobungstag, und hier ist mein Verlobter!« indem sie den Herrn Pastor Ehrich, der die Trauung verrichtet hatte, bis mitten in's Zimmer zog. Der zögernde, hocherröthende Mann stammelte unvernehmlich ein Kompliment an seinen Gutsherrn, das eine Bewerbung um die Cousine vorstellen sollte, der aber der Braut in dieser desperaten Situation kräftig nachhalf. – Die Hand der Dame wurde dem nothgedrungenen Bräutigam unverweigerlich zugestanden, und der Onkel, dem die gute Laune zurückgekommen war, sang in seinem gewöhnlichen heisern Falsett:


»So werd' ich armer Erdenkloß
Mit Ehren meine Nichte los!«

Laurette nahm die Glückwünsche an; der Bräutigam, der nicht wußte, wie ihm geschehen war, erwiederte sie mit stillen Bücklingen und niedergeschlagenem Auge, und wenn ein Laut aus seinem Munde kam, war er so weinerlich, daß jeder, der die [315] Dame kannte, sich den Zusammenhang der Sache lebhaft dachte.

Damit wir nicht nöthig haben, die schon zu häufig vorkommende Laurette wieder einzuführen, sei sie hiermit abgefertigt. Sie freiete und ließ sich freien; war ihrem Manne, der ihre Keckheit ganz treuherzig für Verstand hielt, eine wahre Megäre; ihren Stieftöchtern – denn der Mann war Wittwer – alles, was Wahrheit und Dichtung je von Stiefmüttern gesagt hat, und ihrem Gesinde ein Schrecken. Die Geburt eines Kindes kostete ihr das Leben. Sie starb unbedauert und über ihre Gruft weht der Wind in Nesseln und Dornen, die keine Freundeshand davon hinwegpflückt. –

[316]

33. Kapitel

Drei und dreißigstes Kapitel

Fried' und Freude wohnte mit den Edeln. Keiner gewahrte, daß die, von der alles Glück ausging, selbst des schönsten beraubt war. Alberts unablässiges Streben war, einen Kreis von immer jungen Freuden um seine Theure zu ziehen, so daß sie, ihres Unglücks vergessend, ganz in seiner Liebe lebte, die nicht vulkanischer Natur, sondern ein ewiges ruhiges Feuer, wie jenes, das allen Dingen Leben und Gedeihen giebt, war. Ihren Nachbarn, auch den fernern, sich mitzutheilen, stifteten sie einige Feste, die sie Volksfeste nannten, woran alles, auch der Hüttenbewohner, auf der Güterbesitzer Kosten Theil nahm. Z.B. wenn der erste Schnee fiel, wenn das erste Gewitter war, wenn die Bäume blühten; die Heut, die Kornerndte: dann war den Sonntag Tanz, und Bier und Braten im Herrschaftshause [317] für die Gemeine, und Thee und Musik für die Herrschaft. Den Thee nannten sie die Wasser-Feten, der aber freilich mit allem verbrämt wurde, was der Wohlstand zuläßt.

Als sie eines Tages im traulichen Zirkel versammelt saßen, forderte Albert den Onkel und die Tante auf, ihm etwas aus den Kinderjahren seiner lieben Albertine zu erzählen. Beide begannen zugleich und jeder bestritt die Erzählung des andern und berichtigte sie nach seiner Weise, bis Elise ihrem Bruder mit komischem Zorn ein an ihrem Busen abgewelktes Blümchen an den Kopf warf (denn auch im Zorne war sie zart) und sie die Erzählung allein über sich zu nehmen verlangte. »Albertine« – sagte sie – »war uns allen ein kleiner, vom Himmel gesandter Engel; aber schon als Knöspchen war sie einst dem Welken nahe; eine ruchlose Amme, die – ganz ungesund war – – die arme Albertine mußte mit [318] dem unseligen Geschöpfe zugleich mediciniren, und dann ohne die natürliche Nahrung der Kinder aufgezogen werden« –

Albert sprang mit ungewöhnlichem Feuer von seinem Sitze, umarmte plötzlich die Tante mit dem Ausruf: »Vortrefflichste Tante! ist das wahr? Wissen Sie das gewiß?« Elise erschrak zum Erblassen und betheuerte die Wahtheit ihrer Erzählung, die dann auch Dämmrig bestätigte. Nun verlangte sie den Grund zu Alberts Freude zu erfahren. »Wie!« rief er, wie außer sich; »dann ist ja noch Hoffnung, freudige Hoffnung für meine Geliebte. Ein Mädchen meiner Familie befand sich im nemlichen Fall und wurde im drei und zwanzigsten Jahre von ihrer Blindheit hergestellt. Fort, fort zum Arzte, der dies Wunder bewirkte!«

Albertine hoffte nicht, aber sie ergab sich allem, was der sorgsame, liebevolle Gatte beschloß. – Sie reisten zum Arzt; er sah, [319] untersuchte und verzweifelte nicht. Die Schuldlose, die Reinste unterwarf sich einer Behandlung, wie das sich selbst bestrafende Laster sie erfährt, und in vierzehn Wochen – o, des schönen Lohnes ihrer frommen Resignation! – sahe sie den ersten Lichtschimmer wieder. Still betend, begrüßte sie das ihr wieder auflebende Licht. Laut jubelnd trat Albert vor sie, als sie zuerst wieder sein Antlitz dämmernd erblickte. In einem halben Jahre kam sie sehend aus zwei recht schönen gestärkten Augen zurück. Ihr Dank, ihre Freude, als sie an den Busen der Freundinnen sank, grenzte an Verzückung; sie erlag beinahe der Stärke ihres Gefühls. Zögernd aber und bänglich nahte sie sich dem Spiegel, den scheuen Blick kaum auf ihre Gestalt wagend.

Albert gab es nicht zu, daß sie irgend etwas über ihre so sehr veränderte Bildung sagte; er küßte allen Harm von der Lippe hinweg. Nur Freude, und wieder Freude, und überall Freude, sollte die Losung seyn!

[320] Der Arzt wurde fast königlich belohnt. Henriette wurde bald nachher die glückliche Gattin von Albertinens Bruder, der von der seinigen, ihrer Unredlichkeit wegen, sich hatte scheiden lassen, und blieb so im Kreise der Guten, ein theures Mitglied desselben.

Adelaide fand sich durchaus so im schönen Gefühle ihrer Tugenden glücklich, daß sie in ihrer Lage nichts zu verändern wünschte. Das schöne, jugendliche Mädchen schlug jede Verbindung aus; sie gestand jetzt, daß ihre erste und einzige Liebe mit Lindenhain begraben sei! Albertinens Kinder zu bilden, die lieblich wie junge Sprößlinge an den Wasserbächen emporblühten, war ihr ernstes und liebstes Geschäft. Albertine pries sich oft selig, daß sie durch kein Vorurtheil die schöne Emigrantin von sich entfernt hatte; selig, daß sie durch Trübsal, die ihr, als sie da war, nicht Freude zu seyn dünkte, zu den schönsten Freuden des Lebens eingegangen war. – [321] Und endlich sagen wir: Selig sind, die, wie diese, reines Herzens sind; denn auch sie werden den Kelch reiner Freuden schmecken! –

Fußnoten

1 Die Weisheit.

2 Sind Ausdrücke, die irgendwo ein Dichter brauchte.

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TextGrid Repository (2012). Unger, Friederike Helene. Romane. Albert und Albertine. Albert und Albertine. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-7248-9