Jules Verne
Abenteuer von drei Russen und drei Engländern in Südafrika

1. Capitel

[5] Erstes Capitel.
An den Afern des Orangeflusses.

Am 27. Februar 1854 unterhielten sich zwei Männer, am Fuße einer mächtigen Trauerweide gelagert, und betrachteten dabei mit gespannter Aufmerksamkeit das Wasser des Orangeflusses. Dieser Fluß, der »Große Fluß« der Holländer, der Gariep der Hottentotten, kann sich mit den drei großen Pulsadern Afrikas, dem Nil, dem Niger und dem Zambese, messen. Wie diese schwillt er mit der Fluth an, hat seine Stromschnellen und Katarakte. Einige Reisende, deren Namen am einen Theile seines Laufes gekannt sind, Thompson, Alexander, Burchell, haben sowohl die Klarheit seiner Gewässer als die Schönheit seiner Ufer gerühmt.

An diesem Ort, wo sich der Orange dem Yorkgebirge nähert, bietet er den Blicken ein erhabenes Schauspiel dar.

Unübersteigliche Felsen, imposante Massen von Gestein und im Laufe der Zeit versteinerter Baumstämme, tiefe Höhlen, undurchdringliche Wälder, welche die Axt des Ansiedlers noch nicht gelichtet; all' dies zusammen, im Hintergrunde durch die Gariepinsberge eingerahmt, bildet eine Landschaft von unvergleichlicher Pracht. Dort stürzt sich das Wasser des Flusses, der eingeengt in ein zu schmales Bett, plötzlich den Boden unter sich verliert, aus einer Höhe von vierhundert Fuß herab. Oberhalb des Falles sieht man nur flüssige, dumpf brudelnde Wasserflächen, aus denen hier und da Felsspitzen, umkränzt von grünen Zweigen, hervorragen. Unterhalb bietet sich dem Blick nur ein düsterer Strudel wirbelnder Wassermassen, über welchem eine dichte Wolke feuchten Dampfes schwebt, die in allen sieben Farben des Prismas schimmert.

[5] Aus dem Abgrunde erhebt sich ein betäubendes Tosen, das hin und wieder noch durch den Widerhall aus dem Thale verstärkt wird.

Von den beiden Männern, welche ohne Zweifel durch die Wechselfälle einer Forschungsreise in diesen Theil Süd-Afrikas geführt worden waren, lieh der Eine den Naturschönheiten vor seinen Blicken nur geringe Aufmerksamkeit. Dieser gleichgiltige Reisende war ein Buschmannjäger, ein schöner Typus dieser kräftigen Race mit lebhaften Augen und raschen Bewegungen, deren Nomadenleben in den Wäldern verfließt. Der Name Buschmann wird den nomadischen Stämmen beigelegt, welche das Land im Nordosten der Capcolonie durchstreifen. Nicht eine der Buschmannfamilien ist ansässig; sie bringen ihr Leben damit zu, daß sie in diesen Gegenden zwischen dem Orangefluß und den westlichen Gebirgen umherziehen, die Pachthöfe plündern und die Ernten der herrschsüchtigen Colonisten zerstören, von welchen sie bis in die unfruchtbaren Landstrecken des Innern, wo es mehr Steine als Pflanzen giebt, zurückgedrängt worden sind.

Dieser Buschmann, ungefähr vierzig Jahre alt, war ein hochgewachsener Mann, augenscheinlich von großer Muskelkraft.

Selbst in Ruhe zeigte seine Körperhaltung noch Thätigkeit. Die Raschheit, Leichtigkeit und Freiheit seiner Bewegungen kündigten ein energisches Individuum an, eine Person aus derselben Form gegossen, wie der berühmte Lederstrumpf, der Held der canadischen Prairien, aber vielleicht mit weniger Ruhe begabt als der Lieblingsjäger Cooper's. Dies sah man an der wechselnden durch beschleunigte Herzensthätigkeit belebten Färbung seines Gesichts.

Der Buschmann war kein Wilder mehr, wie seine Vorfahren, die alten Saquas. Von einem englischen Vater und einer hottentottischen Mutter entsprossen, hatte dieser Mestize durch seinen Verkehr mit den Fremden mehr gewonnen als verloren, und sprach geläufig seines Vaters Sprache. Seine Kleidung, halb hottentottisch, halb europäisch, bestand aus einem rothen Flanellhemd, Jacke und Beinkleid von Antilopenfell, und Gamaschen aus der Haut einer wilden Katze. Am Halse hing ihm ein Säckchen, worin ein Messer, eine Pfeife und Tabak sich befanden. Eine Art Mütze von Schafpelz war seine Kopfbedeckung, und ein starker Riemen von Wildleder umschloß seine Hüfte. Am nackten Vorderarme trug er Elfenbeinringe, die mit besonderer Geschicklichkeit geschnitzt waren, und von seinen Schultern flatterte ein »Kroß«,[6] ein mit Tuch ausgeschlagenes Tigerfell als Mantel, der bis zum Knie reichte. Ein inländischer Racehund schlief neben ihm. Dieser Buschmann rauchte mit hastigen Zügen aus einer beinernen Pfeife mit unverkennbaren Zeichen einer ungeduldigen Natur.

»Nun, Mokum, beruhigen Sie sich, sagte sein Gefährte, Sie sind wirklich der ungeduldigste Mensch, – wenn Sie nicht jagen. Aber begreifen Sie doch, mein guter Kamerad, daß wir an der Sache nichts ändern können. Die, auf welche wir warten, werden früher oder später, heute oder morgen ankommen!«

Der Begleiter des Buschmanns war ein junger Mann von fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, dessen Aeußeres sehr von dem Jäger abstach. Seine ruhige Natur gab sich in allen seinen Handlungen kund. Ueber seine Nationalität würde Niemand im Zweifel gewesen sein. Er war Engländer. Sein viel zu »bürgerlicher« Anzug gab zu erkennen, daß er an Wohnungswechsel nicht sehr gewöhnt war. Er sah aus wie ein Beamter, der sich in wilde Gegenden verirrt hatte, und man schaute unwillkürlich danach, ob er nicht eine Feder hinter'm Ohre trage, wie die Cassirer, Commis, Rechnungsführer und andere Glieder des großen Geschlechtes der Bureaukraten.

In der That war dieser junge Mann kein Reisender, sondern ein ausgezeichneter Gelehrter, William Emery, ein Astronom vom Observatorium des Cap, jenem so nützlichen Institut, welches der Wissenschaft seit langer Zeit wesentliche Dienste leistet.

Dieser Gelehrte, der sich in dieser öden Gegend Süd-Afrikas vielleicht ein wenig fremd fühlte, konnte nur schwer die natürliche Ungeduld seines Gefährten zurückhalten.

»Herr Emery, antwortete ihm der Jäger in gutem Englisch, seit acht Tagen sind wir nun an dem zur Zusammenkunft bestimmten Ort beim Orange, nahe dem Morgheda-Katarakt. Aber acht Tage an derselben Stelle zu verweilen, ist seit langer Zeit in meiner Familie nicht vorgekommen! Sie vergessen, daß wir Nomaden sind und uns die Füße brennen, wenn wir so Rast halten müssen!

– Lieber Freund Mokum, erwiderte der Astronom, die, auf welche wir warten, kommen aus England, und wir können ihnen gern acht Tage Verspätung nachsehen. Man muß der Länge der Ueberfahrt, den Verzögerungen, welche ihr Dampfschiff beim Stromauffahren im Orange erleiden kann, mit [7] einem Wort all' den Schwierigkeiten, von denen ein derartiges Unternehmen begleitet ist, Rechnung tragen. Man hat uns aufgegeben, Alles zu einer Erforschungsreise in Süd-Afrika vorzubereiten, und dann an den Wasserfällen von Morgheda meinen Collegen, den Oberst Everest vom Observatorium in Cambridge, zu erwarten. Hier sind die Morgheda-Fälle, wir befinden uns am angegebenen Ort, wo wir zu warten haben. Was wollen Sie noch mehr, mein wackerer Buschmann?«

Der Jäger wollte ohne Zweifel noch mehr, denn seine Hand drehte fieberhaft am Schloß seines Gewehres, einem vorzüglichen Manton, eine sehr sicher treffende Waffe für Spitzkugeln, womit man eine wilde Katze oder Antilope in einer Entfernung von acht- bis neunhundert Yards erlegen kann.

Man sieht, der Buschmann hatte auf den Köcher mit vergifteten Pfeilen seiner Landsleute zu Gunsten der europäischen Waffen verzichtet.

»Haben Sie sich auch nicht getäuscht, Herr Emery? begann Mokum wieder. Hat man auch wirklich an den Morgheda-Fällen und zu Ende des Monats Januar die Zusammenkunft bestimmt?

– Ja, mein Freund, erwiderte ruhig William Emery, und hier ist der Brief des Herrn Airy, Directors der Sternwarte in Greenwich, der Ihnen beweisen wird, daß ich mich nicht geirrt habe.«

Der Buschmann nahm den ihm dargereichten Brief, drehte und wendete ihn, wie ein mit den Geheimnissen der Schreibkunst wenig vertrauter Mensch. Dann gab er ihn an William Emery zurück und sprach:

»Wiederholen Sie mir doch, was Ihnen dies Stück geschwärzten Papiers erzählt.«

Der junge Gelehrte, dessen Geduld alle Proben bestand, berichtete ihm auf's Neue, was er gewiß schon zwanzig Mal seinem Freunde, dem Buschmann, erzählt hatte. In den letzten Tagen des verflossenen Jahres hatte William Emery einen Brief empfangen, welcher ihn von der bevorstehenden Ankunft des Oberst Everest und einer internationalen wissenschaftlichen Commission zur Erforschung Süd-Afrikas benachrichtigte. Welches waren die Pläne dieser Commission? Zu welchem Zweck begab sie sich bis an's äußerste Ende des afrikanischen Festlandes? Emery konnte es nicht sagen, da des Herrn Airy Brief über diesen Punkt nichts enthielt. Den erhaltenen Instructionen gemäß hatte er sich beeilt, in Lattaku, einer der südlichsten Stationen im Hottentottenlande, Wagen, Lebensmittel, mit einem Wort Alles, was zur Verproviantirung einer buschmännischen Karawane nöthig war, anzuschaffen und vorzubereiten. Dann, da er dem Rufe nach den eingeborenen Jäger Mokum kannte, welcher Anderson auf seinen Jagdzügen durch West-Afrika und den kühnen David Livingstone auf seiner ersten Forschungsreise an den Ngamisee und zu den Wasserfällen des Zambese begleitet hatte, bot er diesem die Führung dieser Karawane an.


Mokum und sein Begleiter betrachten den Orangefluß. (S. 10.)

Hierauf kam man überein, daß der Buschmann, welcher die Gegend genau [8] [10]kannte, William Emery an die Ufer des Orange, zu den Morgheda-Fallen führen solle, wo sich die wissenschaftliche Commission anschließen wollte. Diese hatte auf der Fregatte Augusta von der englischen Marine in der Mündung des Orange an der Westküste Afrikas auf der Höhe des Cap Voltas sich einfinden und den Fluß hinauf bis zu den Katarakten fahren sollen. William Emery und Mokum waren zu Wagen dahin gekommen. Diesen Wagen hatten sie unten im Thal zurückgelassen; er sollte die Fremden und ihr Gepäck nach Lattaku bringen, wenn sie es nicht vorzogen, sich auf dem Orange und seinen Nebenflüssen dahin zu begeben, nachdem sie einige Meilen weit die Katarakte des Morgheda umgangen.

Als der Brief zu Ende gelesen war und sich dies Mal dem Geist des Buschmanns fest eingeprägt hatte, trat dieser bis zu dem Rande des Abgrundes heran, in welchen sich der schäumende Fluß tosend hinabstürzte. Der Astronom folgte ihm. Hier konnte man von einem vorspringenden Punkt aus den Lauf des Orange unterhalb des Kataraktes mehrere Meilen weit überschauen.

Einige Minuten lang betrachteten Mokum und sein Gefährte aufmerksam die Oberfläche dieser Gewässer, welche ungefähr eine Viertelmeile weiter unten ihre ursprüngliche Ruhe wieder gewannen. Kein Gegenstand, Kahn oder Pirogue störte seinen Lauf. Es war jetzt drei Uhr. Der Monat Januar entspricht dem Monat Juli der nördlichen Gegenden, und die fast senkrecht stehende Sonne auf dem neunundzwanzigsten Breitegrad erzeugte eine Hitze bis zu einhundertundfünfzig Grad Fahrenheit im Schatten. Ohne einen leichten Westwind, der dieselbe ein wenig mäßigte, würde diese Temperatur für jeden Andern als einen Buschmann unerträglich gewesen sein. Doch litt auch der junge Gelehrte, dessen ganzes Temperament kühl und dessen Körper nur Haut und Knochen war, nicht zu sehr darunter. Außerdem schützte ihn das dichte Laubwerk der den Abgrund überschattenden Bäume vor der unmittelbaren Wirkung der Sonnenstrahlen. Nicht ein Vogel belebte zu diesen heißen Tagesstunden die Einsamkeit. Nicht ein Thier verließ das kühlende Obdach der Gebüsche und wagte sich in's Freie hinaus. Man würde an diesem öden Ort selbst dann kein Geräusch gehört haben, wenn der Katarakt nicht die Luft mit seinem Tosen erfüllt hätte. Nachdem sie so zehn Minuten zugeschaut hatten, wandte sich Mokum ungeduldig den Boden stampfend zu [10] William Emery. Seine Augen, mit ihrer so weit reichenden Sehkraft, hatten Nichts entdeckt.

»Und wenn Ihre Leute nun nicht kommen? fragte er den jungen Mann.

– Sie werden kommen, mein wackerer Jäger, erwiderte William Emery. Das sind Leute von Wort, und sie werden pünktlich sein, wie Astronomen. Zudem, was haben Sie ihnen vorzuwerfen? Der Brief kündigt ihre Ankunft für Ende Januar an; wir sind am siebenundzwanzigsten dieses Monates, und diese Herren haben also das Recht, erst in drei oder vier Tagen bei den Morgheda-Fällen einzutreffen.

– Und wenn sie nach Verlauf dieser vier Tage nicht kommen? fragte der Buschmann.

– Nun, Meister Jäger, so ist dies oder nie eine Gelegenheit, Geduld zu üben, und wir werden sie bis zu dem Augenblick erwarten, wo es mir wohl bewiesen ist, daß sie nicht mehr kommen werden!

– Bei unserm Gott Kö! rief der Buschmann mit schallender Stimme aus, Sie sind der Mann darnach zu warten, bis daß der Gariep sein tobendes Wasser nicht mehr in diesen Abgrund stürzt!

– Nein, Jäger, nein, antwortete William Emery mit ruhigem Ton, wie immer. Die Vernunft muß in all' unsern Handlungen vorherrschen; nun, und was sagt uns die Vernunft? Daß, wenn der Oberst Everest und seine Begleiter, ermattet von einer mühseligen Reise, des Nöthigsten vielleicht entbehrend, verloren in diesen öden Gegenden, uns nicht am Ort der Zusammenkunft fänden, wir in jeder Hinsicht tadelnswerth wären. Wenn ein Unglück geschähe, so würde die Verantwortlichkeit dafür mit Recht auf uns zurückfallen. Wir müssen also so lange auf unserm Posten bleiben, als die Pflicht gebietet. Außerdem fehlt es uns ja an Nichts. Unser Wagen erwartet uns drunten im Thal und gewährt uns Schutz für die Nacht. Lebensmittel sind im Ueberfluß vorhanden, die Natur ist an diesem Ort prachtvoll und bewundernswerth. Für mich ist es ein ganz neues Glück, einige Tage in diesen herrlichen Wäldern, an dem Ufer dieses unvergleichlichen Flusses zu verbringen! Was Sie betrifft, Mokum, was können Sie mehr wünschen? Wild in der Luft und auf der Erde ist im Ueberfluß da, und Ihr Gewehr liefert uns unveränderlich unsern täglichen Wildbraten. Jagen Sie, tapferer Jäger, tödten Sie die Zeit, indem Sie Damhirsche oder Büffel schießen. Gehen Sie, wackerer Buschmann, ich werde indessen nach den Säumigen ausschauen, [11] und so werden wenigstens Ihre Füße nicht der Gefahr ausgesetzt sein, anzuwurzeln.«

Der Jäger begriff, daß es gut sei, dem Rath des Astronomen zu folgen. Er entschloß sich daher, die Gebüsche und Waldschläge umher auf einige Stunden zu durchstreifen. Löwen, Hyänen oder Leoparden waren nicht dazu da, um einen Nimrod, wie er, der an afrikanische Wälder gewöhnt war, zu ängstigen. Er pfiff seinem Hunde Top, eine Art »Cynhiène« aus der Wüste Kalaharien, Abkömmling jener Race, von welcher die Balabas ehemals die Windhunde zogen. Das kluge Thier, welches ebenso ungeduldig als sein Herr zu sein schien, sprang munter auf und bezeugte durch Freudengebell seine Zustimmung zu den Absichten des Buschmanns. Bald war der Jäger und der Hund im Dickicht eines Waldes verschwunden, dessen dichte Massen den Hintergrund des Kataraktes umschlossen.

William Emery, allein geblieben, lagerte sich am Fuß der Weide und begann in Erwartung des Schlafs, welchen die hohe Temperatur hervorrufen mußte, über seine gegenwärtige Lage nachzudenken. Hier war er, fern von bewohnten Gegenden, am noch wenig bekannten Orangefluß. Er erwartete Europäer, Landsleute, welche ihr Vaterland verließen, um sich den Schicksalsfällen einer entfernten Expedition auszusetzen. Aber welchen Zweck hatte diese Expedition? Welches wissenschaftliche Räthsel wollte sie in den Wüsten Süd-Afrikas lösen? Welche Beobachtung wollte sie am dreißigsten Grad südlicher Breite anstellen? Darüber gerade sprach sich der Brief des ehrenwerthen Herrn Airy, Directors der Sternwarte zu Greenwich, nicht aus. Von ihm, Emery, verlangte man Beistand, als von einem Gelehrten, der mit dem Klima der südlichen Breitegrade vertraut war, und da es sich augenscheinlich um wissenschaftliche Arbeiten handelte, so war seine Hilfe den Collegen ans den Vereinigten Königreichen sicher.

Während der junge Astronom all' diese Dinge überlegte und sich tausend Fragen vorlegte, die er nicht beantworten konnte, wurden ihm die Augenlider schwer, und er fiel in tiefen Schlaf. Als er aufwachte, hatte sich die Sonne schon hinter den westlichen Hügeln versteckt, welche ihre malerischen Umrisie am flammenden Himmel abzeichneten. Die Kundgebungen seines Magens zeigten William Emery an, daß die Stunde der Abendmahlzeit nahe. Es war in der That sechs Uhr Abends, und der Augenblick gekommen, den Wagen unten im Thal wieder aufzusuchen.

[12] Gerade im selben Augenblick vernahm man einen Schuß in einem Schlag baumartigen zwölf bis fünfzehn Fuß hohen Haidekrautes, der sich rechts am Abhang der Hügel hinzog. Fast unmittelbar darauf erschienen der Buschmann und Top am Saume des Waldes. Mokum schleppte als Beute ein soeben erlegtes Thier mit nach sich.

»Kommen Sie, kommen Sie, Meister Lieferant! rief ihm William Emery zu; was bringen Sie uns zum Abendbrod?

– Einen Springbock, Herr William«, antwortete der Jäger, und warf ein Thier mit lyraartig gewundenen Hörnern auf den Boden.

Es war eine Art Antilope, mehr unter dem Namen Springbock gekannt, welche häufig in allen Regionen Süd-Afrikas vorkommt. Dieser Bock war ein wunderschönes Thier, mit zimmtfarbigem Rücken, dessen Kreuz ganz mit dichten, glänzend weißen Seidenhaaren bedeckt war, und mit kastanienbraun geflecktem Bauche. Sein äußerst schmackhaftes Fleisch wurde zur Abendmahlzeit bestimmt.

Der Jäger und der Astronom schleppten das Thier vermittelst eines quer über ihre Schultern gelegten Stockes fort, verließen die Höhen am Katarakt, und erreichten eine halbe Stunde später ihr Lager in einer schmalen Thalenge, wo sie der von zwei Führern aus der Buschmänner-Race bewachte Wagen erwartete.

2. Capitel

Zweites Capitel.
Officielle Vorstellung.

Während der Tage des 28., 29. und 30. Januar verließen Mokum und William Emery nicht den zur Zusammenkunft bestimmten Ort. Indeß der Buschmann, von seiner Jagdneigung hingerissen, in der ganzen bewaldeten Gegend um den Katarakt herum das Hoch- und Rothwild verfolgte, überwachte der junge Astronom den Lauf des Flusses. Der Anblick dieser erhabenen und wilden Natur entzückte ihn und erfüllte seine Seele mit neuen Empfindungen. [13] Der Zahlenmensch, der Gelehrte, welcher beständig in seine Bücher vertieft, Tag und Nacht an sein Fernrohr gefesselt, den Lauf der Sterne im Meridian verfolgte, oder die Verdeckungen der Gestirne berechnete, erquickte sich an diesem neuen Dasein in freier Luft, in den fast undurchdringlichen Wäldern, welche den Abhang der Hügel bedeckten, auf den einsamen Bergspitzen, welche der Sprühregen des Morgheda mit feuchtem Staub besprengte. Es war für ihn ein Genuß, die Poesie dieser weiten dem Menschen fast noch unbekannten Einöde zu erfassen und damit seinen von mathematischen Berechnungen ermüdeten Geist zu erfrischen. So vertrieb er sich die Langeweile des Wartens und stärkte Körper und Geist. Das Neue seiner Lage erklärte also seine unerschöpfliche Geduld, welche der Buschmann nicht theilen konnte. So gab es von Seiten des Jägers immer dieselben Klagen; von Seiten des Gelehrten dieselben ruhigen Antworten, die den reizbaren Mokum keineswegs beruhigten.

Der 31. Januar kam heran, der letzte in dem Briefe des ehrenwerthen Herrn Airy bestimmte Tag. Wenn die angekündigten Gelehrten an diesem Tage nicht erschienen, so war William Emery gezwungen, irgend einen Entschluß zu fassen, was ihn sehr in Verlegenheit setzte. Die Verzögerung konnte sich unendlich in die Länge ziehen, und wie konnte er so in's Unbestimmte warten?

»Herr William, sagte der Jäger zu ihm, warum sollten wir nicht den Fremden entgegengehen? Wir können uns nicht auf dem Wege verfehlen, denn es giebt nur einen Weg, den Flußweg, und wenn sie ihn herauskommen, wie Ihr Stückchen Papier sagt, müssen wir ihnen unvermeidlich begegnen.

– Sie haben da eine vortreffliche Idee, Mokum, erwiderte der Astronom. Wir wollen unterhalb des Falles ein Erkennungszeichen aufstecken, und es steht uns dann frei, über den südlichen Bergabhang nach dem Lager zurückzukehren. Doch sagen Sie mir, Buschmann, Sie kennen zum größten Theil den Lauf des Orangeflusses?

– Ja, mein Herr, antwortete der Jäger, ich bin ihn zwei Mal vom Cap Voltas bis zu seinem Zusammenfluß mit dem Hart an den Grenzen der Republik Transvaal hinausgefahren.

– Und er ist überall, mit Ausnahme an den Morgheda-Fällen, schiffbar?

– Wie Sie sagen, mein Herr, versetzte der Buschmann. Ich muß jedoch hinzufügen, daß zu Ende der trockenen Jahreszeit der Orange bis zu fünf [14] oder sechs Meilen von seiner Mündung fast ganz ohne Wasser ist. Dort bilden sich dann Sandbänke, an welchen sich die hohle See von Westen her mit Heftigkeit bricht.

– Das schadet Nichts, antwortete der Astronom, da in dem Augenblick, wo unsere Europäer ihn erreicht haben müssen, die Mündung zugänglich gewesen. Es giebt also keinen Grund, der ihre Verzögerung veranlassen konnte, und demzufolge werden sie kommen.«

Der Buschmann erwiderte Nichts. Er warf seinen Carabiner über die Schulter, pfiff Top und ging seinem Gefährten auf dem schmalen Fußpfade voran, welcher vierhundert Fuß tiefer unterhalb des Kataraktes wieder zu dem Fluß führte.

Es war jetzt neun Uhr früh. Die beiden Kundschafter, – man konnte ihnen wirklich diesen Namen geben, – gingen dem linken Ufer des Flusses entlang hinab. Der Weg war nicht so leicht zu passiren, wie ein Damm oder eine zum Schiffeziehen bestimmte Straße. Das abschüssige mit Gesträuch bewachsene Ufer des Flusses, war ganz mit einem Laubdach wohlriechender Pflanzen überdeckt. Guirlanden von »Cynanchum filiforme«, wuchsen von einem Baum zum anderen und bildeten ein grünes Netz vor den Füßen der Reisenden. Daher blieb das Messer des Buschmanns nicht unthätig. Mitleidslos schnitt er diese unbequemen Guirlanden ab. William Emery schlürfte mit vollen Zügen die durchdringenden Gerüche des Waldes ein, der besonders von balsamischen Kampherdüften zahlloser Diosmeen durchdrungen war. Glücklicher Weise ward es durch einige lichte Stellen und von Waldung entblößte Uferwände möglich, schneller westwärts zu gelangen.

Um elf Uhr Morgens hatten sie ungefähr vier Meilen zurückgelegt. Der Wind wehte von Westen her, also nach dem Katarakt zu, dessen Tosen man in dieser Entfernung nicht mehr hören konnte, im entgegengesetzten Fall hätte man das abwärts dringende Geräusch deutlich vernehmen können.

William Emery und der Jäger hielten an dieser Stelle an, und überschauten von da den Lauf des Flusses, der sich zwei bis drei Meilen weit in gerader Linie hielt. Das Flußbett war hier zu beiden Seiten von zweihundert Fuß hohen Kreide-Ufern eng umschlossen und überragt.

»Wir wollen an diesem Platz warten, sagte der Astronom, und uns ausruhen. Ich habe nicht Ihre Jägerbeine, Meister Mokum, und ich gehe gewöhnlich mehr am gestirnten Himmel spazieren, als auf den Straßen der [15] Erde.


Dort unten entsteht es! (S. 17.)

Wir wollen uns deshalb ausruhen. Von diesem Punkt hier können wir den Fluß auf zwei bis drei Meilen übersehen, und sobald das Dampfboot bei der letzten Biegung zum Vorschein kommt, können wir es unfehlbar bemerken.«


Die beiden Astronomen begrüßen sich. (S. 20.)

Der junge Astronom setzte sich am Fuße einer mächtigen Euphorbie nieder, deren Gipfel sich bis zur Höhe von vierzig Fuß erhob. Von hier schweifte sein Blick weit über den Fluß. Der Jäger, wenig an Sitzen gewöhnt, ging [16] fortwährend am Uferdamm hin und her, während Top Schaaren wilder Vögel aufscheuchte, welche sein Herr gar nicht beachtete.

Der Buschmann und sein Gefährte waren erst eine halbe Stunde an diesem Ort, als William Emery sah, wie Mokum, der etwa hundert Schritt unterhalb stand, eine besondere Aufmerksamkeit zu erkennen gab. Hatte wohl der Buschmann das so ungeduldig erwartete Boot bemerkt?

Der Astronom wandte sich, stand auf von seinem Moossitze und ging [17] nach dem Uferrande, wo sich der Jäger befand. In einigen Augenblicken hatte er ihn erreicht.

»Sehen Sie etwas, Mokum? fragte er den Buschmann.

– Nichts, ich sehe Nichts, Herr William, antwortete der Jäger, aber da mein Ohr mit dem Geräusch in der Natur stets vertraut ist, scheint es mir, als lasse sich ein ungewöhnliches Summen am untern Lauf des Flusses vernehmen.«

Hierauf empfahl er seinem Gefährten Stille an, legte sich mit dem Ohr auf die Erde und lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit.

Nach einigen Minuten erhob er sich wieder und sprach kopfschüttelnd:

»Ich werde mich getäuscht haben. Das Geräusch, welches ich zu hören glaubte, ist nichts weiter als das Pfeifen des Seewinds durch das Laub, oder das Murmeln des Wassers über die Steine im Fluß. Und dennoch ...«

Der Jäger lauschte abermals aufmerksam, aber hörte nichts.

»Mokum, sagte darauf William Emery, wenn das Geräusch, welches Sie zu hören glaubten, von der Maschine eines Dampfbootes herrührt, werden Sie es besser hören, wenn Sie sich auf den Fluß niederbeugen. Das Wasser pflanzt den Ton deutlicher fort als die Luft.

– Sie haben Recht, Herr William, erwiderte der Jäger, und mehr als einmal habe ich so den Uebergang eines Flußpferdes über das Wasser erlauscht.«

Der Buschmann stieg das sehr steile Ufer hinunter, indem er sich an den Schlingpflanzen und Grasbüscheln festhielt.

Unten angekommen ging er bis an's Knie in den Fluß hinein, beugte sich nieder und legte sein Ohr auf das Wasser.

»Ja! rief er nach einigen Augenblicken aus, ja, ich hatte mich nicht getäuscht. Dort unten, einige Meilen abwärts, ist ein Geräusch, wie wenn das Wasser heftig gepeitscht wird. Es ist ein einförmiges und ununterbrochenes Geklapper, das im Wasser hervorgebracht wird.

– Ein Geräusch von Schaufelrädern? fragte der Astronom.

– Wahrscheinlich, Herr Emery. Dann sind die, welche wir erwarten, nicht mehr fern.«

William Emery, der die Feinheit der Sinne, womit der Jäger begabt war, kannte, bezweifelte die Aeußerung seines Gefährten nicht. Dieser stieg [18] das Ufer wieder hinauf, und beide entschlossen sich, an dieser Stelle zu warten, von wo aus sie leicht den Lauf des Orange übersehen konnten.

Eine halbe Stunde verging, welche William Emery trotz seiner ruhigen Natur unendlich lang wurde. Ost glaubte er die unbestimmten Umrisse eines Schiffes auf dem Wasser dahingleiten zu sehen! Doch sein Gesicht täuschte ihn immer. Endlich machte ihm ein Ausruf des Buschmanns das Herz schlagen.

»Eine Rauchsäule!« rief Mokum aus.

William Emery, in die vom Jäger angegebene Richtung schauend, bemerkte nicht ohne Mühe einen leichten Rauchwirbel an der Biegung des Flusses. Man konnte nicht mehr zweifeln. Das Boot kam schnell vorwärts. Bald konnte William Emery den Rauchfang unterscheiden, aus dem ein Strudel schwarzen Rauches, vermischt mit weißen Dampfwirbeln, emporstieg. Das Schiff befand sich noch ungefähr sieben Meilen von den Morgheda-Fällen.

Es war jetzt Mittag. Da der Platz für eine Landung nicht geeignet war, entschloß sich der Astronom, nach dem Katarakt zurückzugehen. Er theilte seine Absicht dem Jäger mit, dessen Antwort darin bestand, daß er den von ihm schon eingeschlagenen Rückweg an dem linken Ufer des Stromes fortsetzte. William Emery folgte ihm, und als er sich zum letzten Mal an einer Biegung des Flusses umwendete, bemerkte er die britische Flagge am Hintertheil des Schiffes.

Die Rückkehr an die Wasserfälle geschah rasch und in einer Stunde hielten der Buschmann und der Jäger eine Viertel-Meile unterhalb des Kataraktes an. Dort bildete der Fluß einen kleinen, halbrunden Einschnitt, in welchem das Dampfboot leicht anlegen konnte, da das Wasser an dem fast senkrechten Ufer tief war.

Das Schiff konnte nicht mehr fern sein, und hatte sicher einen Vorsprung vor den beiden Fußgängern gewonnen, so schleunig sie auch gegangen waren. Man konnte es noch nicht wahrnehmen, denn die Beschaffenheit der von hohen überhängenden Bäumen beschatteten Ufer gestattete nicht eine weite Aussicht. Doch hörte man, wenn auch nicht das Pusten des Dampfes, so doch das schrille Pfeifen der Maschine, welches laut das fortdauernde Tosen des Kataraktes übertönte.

Dies Pfeifen hörte nicht auf. Die Mannschaft suchte so ihre Anwesenheit der Umgebung des Morgheda bemerklich zu machen. Der Jäger antwortete [19] darauf mit Abschießen seines Carabiners, dessen Knall im Echo des Ufers laut wiederhallte.

Endlich kam das Boot zum Vorschein. William Emery und sein Gefährte wurden von den Passagieren ebenfalls gesehen.

Auf ein Zeichen des Astronomen machte die Barke eine Wendung und legte sanft am Ufer an. Ein Schiffsseil wurde ausgeworfen, welches der Buschmann ergriff und um einen abgebrochenen Baumstamm schlang. Gleich darauf sprang ein hochgewachsener Mann leicht an's Ufer und ging auf den Astronomen zu, während seine Gefährten ebenfalls an's Land stiegen. Auch William Emery ging diesem Manne entgegen und sagte:

»Oberst Everest?

– Herr William Emery?« erwiderte der Oberst.

Der Astronom und sein College vom Observatorium zu Cambridge begrüßten sich und reichten einander die Hand.

»Meine Herren, sprach darauf Oberst Everest, erlauben Sie mir, Ihnen den ehrenwerthen Herrn William Emery von Observatorium in Cap Town vorzustellen, der die Güte gehabt hat, uns bis an den Morgheda-Fall entgegenzukommen.«

Vier Passagiere des Schiffes, welche neben dem Obersten standen, grüßten der Reihe nach den jungen Astronomen, der ihre Begrüßung erwiderte. Darauf stellte sie der Oberst officiell vor, indem er mit echt englischem Phlegma sagte:

»Herr Emery, Sir John Murray aus Devonshire, Ihr Landsmann; Herr Mathieu Strux, von der Sternwarte in Pulkowa; Herr Nicolaus Palander, von der Sternwarte in Helsingfors, und Herr Michael Zorn, von der Sternwarte in Kiew, drei russische Gelehrte, welche die Regierung des Czaren bei unserer internationalen Commission vertreten.«

[20]

3. Capitel

Drittes Capitel.
Der Transport des Schiffes.

Nachdem die Vorstellung vorüber, stellte sich William Emery den Ankommenden zur Verfügung. In seiner Eigenschaft als einfacher Astronom am Observatorium des Cap, war er dem Range nach dem Obersten Everest untergeordnet, der als Abgeordneter der englischen Regierung mit Mathieu Strux die Präsidentschaft über die wissenschaftliche Expedition theilte. Er kannte ihn außerdem als einen ausgezeichneten Gelehrten, welcher durch Reductionen von Nebelsternen, sowie Berechnungen über Gestirnfinsternisse berühmt geworden war. Dieser Astronom, fünfzig Jahre alt, ein kalter, methodischer Mann, führte ein mathematisch nach Stunden berechnetes Dasein. Für ihn gab es nichts Unvorhergesehenes. Seine Genauigkeit in allen Dingen war nicht geringer, als die der Sterne beim Eintritt in den Meridian. Man konnte sagen, alle Handlungen seines Lebens waren nach der Uhr geregelt. Dies wußte William Emery und hatte daher auch nie daran gezweifelt, daß die wissenschaftliche Commission am bestimmten Tage eintreffen werde.

Indessen wartete der junge Mann darauf, daß der Oberst sich in Betreff des Auftrags, welchen er in Süd-Afrika zu erfüllen komme, sich ausspräche. Da jedoch der Oberst darüber schwieg, glaubte Emery ihn nicht weiter ausfragen zu dürfen. Es war wahrscheinlich, daß im Geist des Obersten die Stunde, in welcher er sprechen sollte, noch nicht geschlagen hatte.

William Emery kannte ebenfalls dem Rufe nach Sir John Murray, einen reichen Gelehrten, Nacheiferer von James Roß und Lord Elgin, welcher ohne amtliche Stellung England mit seinen astronomischen Arbeiten beehrte. Die Wissenschaft mußte ihm für sehr beträchtliche Geldopfer dankbar sein. Er hatte zwanzigtausend Pfund auf die Errichtung eines Riesen-Reflectors verwendet, eines Rivalen des Teleskopen von Parson Town, durch welchen die Elemente einer gewissen Anzahl Doppelsterne bestimmt worden waren. Es war ein Mann von höchstens vierzig Jahren mit vornehmer Haltung und leidenschaftslosen Mienen, welche seinen Charakter nicht erkennen ließen.

[21] Die drei Russen, die Herren Strux, Palander und Zorn waren William Emery dem Namen nach nicht fremd, doch kannte er sie nicht persönlich. Nicolaus Palander und Michael Zorn bezeugten gegen Mathieu Strux eine gewisse Ehrerbietung, welche schon seiner Stellung nach, auch ohne jedes andere Verdienst, ihm gebührte.

William Emery machte nur die einzige Bemerkung, daß sich die englischen und russischen Gelehrten in gleicher Anzahl befanden, drei Engländer und drei Russen. Die Mannschaft des Schiffes, »Königin und Czar« genannt, bestand aus zehn Mann, von denen fünf Engländer und fünf Russen waren.

»Herr Emery, sagte der Oberst Everest, sobald die Vorstellung vorüber war, wir kennen uns jetzt, als hätten wir zusammen die Ueberfahrt von London bis zum Cap Voltas gemacht. Ich hege außerdem eine besondere Achtung gegen Sie, die Ihnen für die Arbeiten gebührt, welche Sie mit Recht berühmt gemacht haben. Auf mein Verlangen hat die englische Regierung Sie ausersehen, um an den Operationen, welche wir in Süd-Afrika ausführen wollen, Theil zu nehmen.«

William Emery verneigte sich dankend und dachte, er werde jetzt endlich die Beweggründe erfahren, welche diese wissenschaftliche Commission in die südliche Hemisphäre führte. Doch der Oberst Everest sprach sich darüber nicht aus.

»Herr Emery, fuhr der Oberst fort, ich möchte fragen, ob Ihre Vorbereitungen beendigt sind.

– Ganz und gar, Herr Oberst, erwiderte der Astronom. Dem Auftrag zufolge, welchen mir der Brief des ehrenwerthen Herrn Airy gab, habe ich die Capstadt seit einem Monat verlassen und mich auf die Station Lattaku begeben. Dort habe ich alle nöthigen Erfordernisse zu einer Forschungsreise im Innern Afrikas zusammengebracht, Lebensmittel, Wagen, Pferde und Buschmänner. In Lattaku erwartet Sie ein Gefolge von hundert bewaffneten Männern, geführt von einem geschickten und berühmten Jäger, dem Buschmann Mokum, den ich Ihnen vorzustellen mir erlaube.

– Der Buschmann Mokum, rief der Oberst Everest mit kaltem Ton, der Buschmann Mokum! Ja, sein Name ist mir vollkommen bekannt.

– Es ist der Name eines geschickten und kühnen Afrikaners, fügte Sir John Murray hinzu, indem er sich zu dem Jäger wandte, welchen diese Europäer mit ihrem vornehmen Benehmen nicht aus der Fassung brachten.

[22] – Der Jäger Mokum, sagte William Emery, indem er seinen Gefährten vorstellte.

– Ihr Name ist in dem Vereinigten Königreich wohl bekannt, Buschmann, antwortete der Oberst Everest. Sie sind ein Freund Anderson's und Führer des berühmten David Livingstone gewesen, der mich mit seiner Freundschaft beehrt. England dankt Ihnen durch meinen Mund, und ich gebe Herrn Emery meine Zufriedenheit zu erkennen, daß er Sie zum Anführer unserer Karawane erwählt hat. Ein Jäger wie Sie muß Liebhaber von schönen Waffen sein. Wir haben ein ziemlich vollständiges Arsenal und ich bitte Sie, sich daraus ein Gewehr auszuwählen, welches Ihnen ge fällt. Wir wissen, daß es in guten Händen sein wird.«

Ein Lächeln der Befriedigung spielte auf den Lippen des Buschmanns. Die Anerkennung seiner Dienste in England machte allerdings Eindruck auf ihn, doch sicherlich weniger als die angebotene Gabe des Oberst Everest. Er bedankte sich daher in gewählten Ausdrücken und hielt sich abseits, während die Unterhaltung zwischen William Emery und den Europäern fortgesetzt wurde.

Der junge Mann vervollständigte seinen Bericht über die von ihm organisirte Expedition, und der Oberst schien dadurch sehr befriedigt. Es handelte sich nur darum, so schnell als möglich die Stadt Lattaku zu erreichen, denn die Abreise der Karawane sollte in den ersten Tagen des März, nach Beendigung der Regenzeit, stattfinden.

»Wollen Sie gefälligst bestimmen, Herr Oberst, auf welche Weise Sie die Stadt erreichen wollen.

– Auf dem Orangefluß und einem seiner Nebenflüsse, dem Korana, der bei Lattaku vorüberfließt.

– Gut, erwiderte der Astronom, aber so vortrefflich und so schnellfahrend Ihr Schiff auch sein mag, so könnte es doch den Morgheda-Fall nicht hinausfahren!

– Wir wollen den Katarakt umgehen, Herr Emery, und dadurch, daß wir das Schiff einige Meilen weit transportiren, wird es uns möglich, unsere Fahrt ober halb des Flusses wieder aufzunehmen. Wenn ich mich nicht täusche, so sind die Strömungen von dort bis Lattaku für ein Boot, das nicht beträchtlich tief geht, schiffbar.


Hier, unser Jäger Mokum. (S. 26.)

– Ohne Zweifel, Herr Oberst, erwiderte der Astronom, aber dies Dampfboot hat solch' Gewicht, daß ...

– Herr Emery, antwortete der Oberst Everest, dies [23] Fahrzeug ist ein Meisterstück aus den Werkstätten von Leard & Comp. in Liverpool. Es läßt sich Stück für Stück auseinander nehmen und äußerst leicht wieder zusammensetzen, eine Arbeit, wozu es nur eines Schraubenziehers und einiger Zapfen bedarf. Sie haben einen Wagen an den Morgheda-Fall mitgebracht?


Die Theile des Dampfers am Flußufer. (S. 26.)

[24]

– Ja wohl, Herr Oberst, versetzte William Emery. Unsere Lagerstätte ist kaum eine Meile von hier.

– Nun wohl, so werde ich den Buschmann bitten, den Wagen bis an den Ort, wo wir aussteigen, fahren zu lassen. Man wird die Schiffstheile und die Maschine, die sich ebenfalls auseinander nehmen läßt, darauf laden, und wir werden aufwärts an den Ort fahren, wo der Orange wieder schiffbar wird.«

[25] Die Befehle des Oberst Everest wurden ausgeführt. Der Buschmann verschwand bald in dem Gehölz, nachdem er versprochen, in einer Stunde zurück zu sein. Während seiner Abwesenheit wurde das Dampfboot schnell ausgeladen. Zudem war die Ladung nicht bedeutend: Kästen mit physikalischen Instrumenten, eine ansehnliche Sammlung von Flinten aus der Fabrik von Purdey Moore in Edinburgh, einige Tonnen Branntwein, Tonnen getrockneten Fleisches, Pulverkasten, Felleisen vom kleinsten Umfange, Zeltleinwand mit allem Zubehör, das aus einem Reisebazar hervorgegangen zu sein schien, ein sorgfältig zusammengelegter Kahn von Gutta-Percha, der nicht mehr Platz einnahm als eine gut zusammengerollte Decke, einige Lagergeräthschaften u.s.w.; endlich eine Art Mitrailleuse in Fächerform, ein noch wenig vervollkommnetes Geschütz, welches aber Feinde, wer sie auch sein mochten, von der Annäherung an das Fahrzeug zurückscheuchen mußte.

Alle diese Gegenstände wurden auf dem Uferrande niedergelegt. Die Maschine von acht Pferdekraft zu fünfundsiebenzig Meterkilogramm bestand aus drei Theilen, dem Dampfkessel und seinen Röhren, der mechanischen Einrichtung, welche man vermittels des Schraubenziehers vom Kessel losmachte, und der Schraube. Indem diese Theile der Reihe nach herausgenommen wurden, ward das Innere des Fahrzeuges frei. Die Schaluppe bestand, außer dem Raum für die Maschine und den Vorrathskammern, aus einem für die Mannschaft bestimmten Vorderraum und aus einer Kajüte im Hintertheil für den Oberst Everest und seine Begleiter.

In einem Augenblick waren die Scheidewände verschwunden, die Koffer und Lagerstätten entfernt, und das Fahrzeug war nur noch ein Rumpf.

Dieser fünfunddreißig Fuß lange Rumpf bestand aus drei Theilen, gleich dem Dampfboot Mâ-Robert, dessen sich Doctor Livingstone bei seiner ersten Reise nach Zambese bediente. Er war aus galvanisirtem Stahl gefertigt, der zugleich leicht und dauerhaft ist. Die Stahlplatten waren durch Zapfen auf Rahmen von gleichem Metall befestigt, wodurch das feste Zusammenhalten und die Wasserdichtigkeit des Bootes gesichert wurde.

William Emery war wahrhaft erstaunt über die Einfachheit der Arbeit und die Schnelligkeit, womit sie vor sich ging. Der Wagen war vor kaum einer Stunde in Begleitung des Jägers und seiner zwei Büschmänner angekommen, als das Schiff schon zum Verladen fertig war.

Dieser Wagen, ein sehr einfaches Gefährt, ruhte auf vier großen Rädern, [26] welche, je zwei zusammen, zwanzig Fuß von einander entfernt waren. Diese schwere Maschine mit knarrenden Achsen wurde von sechs Büffelochsen gezogen, die, je zwei zusammengespannt, mit einem langen Treibstachel gespornt wurden. Es bedurfte auch solcher Mittel, die schwere Last von der Stelle zu bringen, die sonst mehr als ein Mal im Sumpf stecken geblieben wäre.

Die Mannschaft der Schaluppe befleißigte sich, den Wagen in der Weise zu beladen, daß er überall das Gleichgewicht behielt. Bei der sprichwörtlichen Gewandtheit der Seeleute war das nur ein Spiel für sie. Für die Reisenden selbst war ein Weg von vier Meilen zu Fuß nur ein Spaziergang.

Um drei Uhr Nachmittags war die Verladung ganz beendet, und der Oberst Everest gab das Zeichen zum Aufbruch. Er ging mit seinen Begleitern, von William Emery geführt, voraus. Der Buschmann, die Schiffsmannschaft und die Wagenführer folgten langsameren Schrittes.

Der Marsch war keineswegs ermüdend. Der Weg über die Abhänge, welche zum oberen Lauf des Orange führten, war zwar ein Umweg, aber leichter zu passiren, ein Umstand, der dem schwer beladenen Wagen sehr zu Statten kam.

Die Mitglieder der Commission stiegen leicht den Rücken des Hügels hinan. Ihre Unterhaltung hielt sich im Allgemeinen; vom Zweck ihrer Reise war durchaus nicht die Rede. Die Europäer bewunderten die großartigen Ansichten, die vor ihren Augen abwechselten. Diese großartige Natur, in ihrer Wildheit so schön, entzückte sie, wie sie den jungen Astronom entzückt hatte. Ihre Reise hatte sie noch nicht gegen die Naturschönheiten der afrikanischen Zone unempfindlich gemacht. Sie bewunderten jedoch mit jener Zurückhaltung, welche den Engländern eigenthümlich ist. Dem Katarakt schenkten sie einige Beifallsbezeigungen guten Styls.

Uebrigens glaubte William Emery für seine Gäste den Cicerone Süd-Afrikas machen zu müssen. Er war hier zu Hause, und wie mancher allzu enthusiastische Bürger verschonte er sie mit keinem Detail seines afrikanischen Parkes.

Ungefähr um vierundeinhalb Uhr hatte man die Morgheda-Fälle umgangen. Auf dem Plateau angekommen, sahen die Europäer den oberen Lauf des Flusses sich vor ihren Blicken bis in's Entfernteste hinziehen.

Sie lagerten sich nun am Uferrande, um die An kunft des Wagens zu erwarten. Das Gefährt erschien um fünf Uhr auf dem Gipfel des Hügels, nach glücklich vollbrachter Fahrt. Der Oberst ließ sogleich zum Abladen [27] schreiten und kündigte ihre Weiterreise für den folgenden Morgen bei Tagesanbruch an. Die ganze Nacht verging unter verschiedenen Arbeiten. Der Rumpf des Schiffes wurde in weniger als einer Stunde wieder eingerichtet, die Schraubenmaschine an ihrem Platz befestigt, die Scheidewände zwischen den Kajüten eingezogen, die Vorrathsräume wieder hergestellt, das verschiedene Gepäck ordentlich eingeräumt; alle diese in größter Schnelligkeit vollzogenen Arbeiten zeugten zu Gunsten der »Königin und Czar«. Diese Engländer und Russen waren auserwählte Leute, geschulte und geschickte Männer, auf welche man sich gänzlich verlassen konnte.

Am folgenden Tage, dem 1. Februar, war das Fahrzeug bei Tagesanbruch zur Aufnahme der Passagiere bereit. Schon entströmte wirbelnder schwarzer Rauch der Feueresse und der Maschinist ließ, um die Zugkraft zu vermehren, zwischen diesem Rauch weiße Dampfwolken aufsteigen.

Die Hochdruck-Maschine ohne Condensator ließ ihren Dampf bei jedem Kolbenstoß entgleiten, gemäß dem bei den Locomotiven angewandten System. Der Kessel, welcher mit sinnreich angebrachten Siederöhren versehen war und der Heizung eine große Fläche bot, brauchte nur eine halbe Stunde, um eine hinreichende Quantität Dampf zu liefern. Man hatte sich gut mit Ebenholz und Guajac versorgt, welches in der Umgegend reichlich wuchs, und mit diesen kostbaren Holzarten heizte man stark ein. Um sechs Uhr Morgens gab der Oberst Everest das Zeichen zur Abfahrt. Passagiere und Seeleute schifften sich auf der »Königin und Czar« ein. Der mit dem Lauf des Flusses vertraute Jäger folgte ihnen an Bord, und den beiden Buschmännern blieb die Sorge, den Wagen nach Lattaku zurückzubringen.

Im Augenblick, als das Schiff den Anker lichtete, sagte der Oberst Everest zu dem Astronomen:

»Apropos, Herr Emery, wissen Sie, weshalb wir hierher gekommen sind?

– Nicht im Geringsten, Herr Oberst.

– Der Grund ist sehr einfach, Herr Emery, wir wollen einen Meridianbogen in Süd-Afrika ausmessen.«

[28]

4. Capitel

Viertes Capitel.
Einige Worte in Betreff des Meter.

Zu allen Zeiten, kann man sagen, haben die Menschen ein allgemeines, unveränderliches Maß im Sinne gehabt, dessen Berechnung in aller Strenge von der Natur selbst gegeben wäre. Es kam dabei darauf an, daß für dieses Maß eine Genauigkeit ausgemittelt würde, welche von den größten Weltveränderungen, selbst einer Ueberflutung der Erde, unberührt bliebe. Es ist ausgemacht, daß man schon im Alterthum darauf sann, aber es fehlten Instrumente und Methode, um die Ausführung nur annähernd in's Werk setzen zu können.

Das beste Mittel, ein ganz unveränderliches Maß zu bekommen, bestand in der That darin, daß man es mit der Erdkugel, deren Umfangslinie als unveränderlich angesehen werden kann, in Beziehung setzte, und folglich von dieser Umfangslinie, oder auch nur einem Theile derselben, ein Maß mathematisch aufgenommen wurde.

Die Versuche der Alten, dieses Maß festzustellen, waren folgende: Aristoteles sah das Stadium als den hunderttausendsten Theil der Linie vom Pol bis zum Aequator an. Eratosthenes, zur Zeit der Ptolemäer, berechnete annähernd richtig das Maß eines Grades dem Nil entlang, von Syene bis Alexandria. Aber Posidonius und Ptolemäus, so wie ihre Nachfolger, waren nicht im Stande, ihre geodätischen Arbeiten mit hinlänglicher Genauigkeit vorzunehmen.

Erst Picard hat in Frankreich den Anfang gemacht, die Methoden für die Gradmessung zu regeln, und setzte, als er 1669 die Länge des Bogens von Paris bis Amiens am Himmel und auf der Erde bestimmte, das Maß eines Grades zu 57,060 Toisen fest.

Dom. Cassini und Lahire setzten von 1683 bis 1718 diese Messung weiter fort bis Dünkirchen und Collioure. Von Fr. Cassini und Lahire wurde derselbe 1739 von Dünkirchen bis Perpignan verglichen und bestätigt, und von Mechain bis Barcelona fortgesetzt.

Die Meridianmessung Frankreichs wurde erst 1807 von Arago und Biot [29] wieder aufgenommen und bis zu den Balearen fortgesetzt. Die gemessene Linie erstreckte sich nun vom fünfundvierzigsten Grad an, welcher vom Pol und Aequator gleich weit entfernt ist, auf beiden Seiten gleichmäßig, so daß man unter diesen Umständen zur Bestimmung eines Viertheils des Meridians, die Abplattung der Erde nicht in Anschlag zu bringen brauchte. Diese Messung ergab 57,025 Toisen als durchschnittliches Maß für einen Grad in Frankreich.

Bisher befaßten sich, wie man sieht, besonders französische Gelehrte mit dieser sorgfältigen Feststellung. Auch faßte die constituirende Versammlung im Jahre 1790 auf Talleyrand's Vorschlag einen Beschluß, worin der Akademie der Wissenschaften Auftrag ertheilt wurde, ein unveränderliches Muster für alle Maße und Gewichte zu ermitteln. Der von den berühmtesten Namen französischer Gelehrter unterzeichnete Bericht schlug als Längenmaß den zehnmillionsten Theil des Meridianviertheils vor, und als Gewichtmaß für alle Körper die Schwere des destillirten Wassers; zugleich wurde das Decimalsystem angenommen, um alle Maße mit einander in Verhältniß zu setzen.

Später wurden Gradmessungen an verschiedenen Stellen der Erde vorgenommen; denn da der Erdball nicht ein Sphäroid, sondern ein Ellipsoid ist, so mußte sich aus vielfältigen Messungen das Maß seiner Abplattung nächst den Polen ergeben.

Im Jahre 1736 wurde von fünf französischen Gelehrten in Verbindung mit dem Schweden Celsius ein nördlicher Bogen in Lappland gemessen, und es ergaben sich für den Grad 57,419 Toisen.

1745 fanden drei Franzosen in Verbindung mit zwei Spaniern als Gradmaß für Peru 56,737 Toisen. 1752 ermittelte Laplace 57,037 Toisen für einen Meridian beim Vorgebirge der guten Hoffnung. 1754 fanden die Italiener 56,973 Toisen für den Bogen zwischen Rom und Rimini. 1762 und 1763 wurde von Beccaria der piemontesische Grad zu 57,168 Toisen bestimmt. 1768 fand man in Nordamerika an der Grenze von Maryland und Pennsylvanien 56,888 Toisen für den amerikanischen Grad.

Seitdem wurden im neunzehnten Jahrhundert eine Menge anderer Bogen gemessen, in Bengalen, Piemont, Finnland, Kurland, Hannover, Ostpreußen, Dänemark u.s.w.; aber die Engländer und Russen betheiligten sich weniger lebhaft wie die anderen Nationen mit diesen so genauen Bestimmungen; nur [30] 1784 war der Generalmajor Roy bemüht, die französischen Maße mit den englischen in Verhältniß zu setzen.

Aus der Vergleichung aller dieser Messungen konnte man schon abnehmen, daß das durchschnittliche Maß eines Grades auf 57,000 Toisen zu veranschlagen sei, welches fünfundzwanzig alten französischen Lieues 1 gleich kam; und durch Multiplication dieser Ziffer mit den dreihundertsechzig Graden des Meridians ergaben sich für die Umfangslinie der Erde 9000 Lieues.

Aber die an verschiedenen Stellen gemachten Aufnahmen stimmten nicht durchaus mit einander überein. Demungeachtet stützte man auf dieses durchschnittlich angenommene Maß von 57,000 Toisen für einen Grad das Metermaß, nämlich als den zehnmillionsten Theil des Viertheils vom Erdmeridian, im Betrag von 0,513074, welches drei Fuß elf Linien und zweihundertsechsundneunzig Tausendtheil einer Linie ausmacht.

In Wirklichkeit ist diese Ziffer etwas zu niedrig. Neuere Berechnungen, welche die Abplattung der Erde an den Polen 2 mit in Anschlag bringen, ergeben nicht mehr 10,000,000 Meter als Maß für das Viertheil des Meridians, sondern 10,000,856 Meter. Diese Differenz von 856 Meter ist bei einer solchen Länge sehr unerheblich; dennoch muß man, mathematisch ausgedrückt, sagen, der Meter, so wie er jetzt angenommen ist, repräsentirt nicht genau den zehnmillionsten Theil des Viertheils vom Erdmeridian. Der Irrthum beträgt etwa zwei Zehnmilliontheile einer Linie.

Der also bestimmte Meter wurde jedoch nicht von allen civilisirten Nationen angenommen. Belgien, Spanien, Piemont, Griechenland, Holland, die vormaligen spanischen Colonien, die Republiken Ecuador, Neu-Granada, Costa-Rica u.s.w. schlossen sich unverzüglich an; aber trotz der unverkennbaren Vorzüge des metrischen Systems vor allen übrigen Systemen hat sich England bis auf den heutigen Tag es anzunehmen geweigert.

Wären nicht die politischen Mißverhältnisse zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts eingetreten, so wäre dieses System vielleicht von den Bewohnern des Vereinigten Königreichs angenommen worden. Als am 8. Mai 1790 [31] die constituirende Versammlung ihren Beschluß faßte, wurden die englischen Gelehrten der Königlichen Gesellschaft eingeladen, sich den französischen Gelehrten anzuschließen. In Hinsicht des Metermaßes sollte man entscheiden, ob es auf die Länge des einfachen Pendels zu gründen sei, welcher genau Schwingungen von einer Secunde macht, oder ob man als Einheit für die Längenmaße einen Abschnitt eines der großen Kreise um die Erde annehmen solle. Aber die Ereignisse traten hindernd dazwischen.

Erst im Jahre 1854 hat sich England, welches längst die Vortheile des metrischen Systems erkannte und zudem sah, wie sich Gesellschaften von Gelehrten und Kaufleuten bildeten, um diese Reform weiter zu verbreiten, – zur Annahme desselben entschlossen.

Aber die englische Regierung wollte diese Entschließung bis zu dem Zeitpunkt geheim halten, wo neue geodätische Arbeiten, welche sie vornehmen ließ, es möglich machen würden, den Erdgrad mit strengerer Genauigkeit zu bestimmen. Doch glaubte die englische Regierung sich in dieser Hinsicht mit der russischen Regierung, welche ebenfalls zur Annahme des metrischen Systems geneigt war, sich verständigen zu müssen.

Es wurde also eine aus drei englischen und drei russischen Astronomen bestehende Commission aus der Mitte der ausgezeichnetsten wissenschaftlichen Gesellschaften gewählt. Es waren dies, wie wir sahen, für England der Oberst Everest, Sir John Murray und William Emery; für Rußland die Herren Math. Strux, Nicol. Palander und Michael Zorn.

Diese zu London versammelte internationale Commission beschloß, daß vor allen Dingen ein Meridianbogen auf der südlichen Hemisphäre gemessen werden solle; sodann solle ein anderer Bogen des Meridians auf der nördlichen aufgenommen werden, und durch die Verbindung dieser beiden Messungen hoffte man eine strenge Bestimmung zu bekommen, welche allen Anforderungen des Programms entspräche.

Nun kam es zur Frage, an welcher Stelle der englischen Besitzungen auf der südlichen Hemisphäre die Messung stattfinden solle, der Cap-Colonie, Australien, Neu-Seeland. Da diese beiden Letztern bei den Antipoden Europas liegen, so würde dadurch für die wissenschaftliche Commission eine weite Reise erforderlich. Zudem konnten die Maoris und Australier, welche mit den eingewanderten Fremden in beständigem Kriege lagen, die projectirte Operation sehr erschweren. Die Cap-Colonie dagegen bot wesentliche Vortheile:

[32] 1) Sie lag mit einigen Theilen des russischen Reiches unter dem nämlichen Meridian, und man konnte, nachdem ein Bogen dieses Meridians in Südafrika gemessen worden, die Messung eines zweiten Bogen desselben Meridians auf dem Gebiete des Czaren in aller Stille vornehmen.


Oberst Everest. (S. 32.)

2) Die verhältnißmäßig kurze Reise zu den englischen Besitzungen in Südafrika.

3) Es bot sich da für die englischen und russischen Gelehrten eine treffliche [33] Gelegenheit, die Arbeiten des französischen Astronomen Lacaille zu controliren, indem sie die ihrigen an derselben Stelle vornahmen, so daß sich herausstellen mußte, ob die Angabe von 57,030 Toisen als Maß eines Meridian-Grades am Cap der guten Hoffnung richtig sei.

Deshalb wurde beschlossen, die geodätische Operation solle am Cap vorgenommen werden, und die beiden Regierungen bestätigten diesen Beschluß der Commission. Es wurde ein ansehnlicher Credit dafür eröffnet, alle für eine Triangulation erforderlichen Instrumente in zwei Exemplaren angeschafft, und der Astronom William Emery beauftragt, die Vorbereitungen für eine Forschungsreise in's Innere Südafrikas zu treffen. Die der königlichen Marine angehörige Fregatte Augusta erhielt den Befehl, die Mitglieder der Commission mit ihrem Gefolge an die Mündung des Orangeflusses zu transportiren.

Hinzufügen muß man noch, daß der wissenschaftlichen Frage eine Frage der nationalen Eigenliebe zur Seite ging, welche die zu der gemeinsamen Arbeit vereinigten Gelehrten spornte. Es handelte sich in der That darum, die Franzosen in ihren Berechnungen zu überbieten, die Arbeiten ihrer berühmtesten Astronomen an Genauigkeit zu übertreffen, und dies inmitten eines wilden und fast unbekannten Landes. Daher waren auch die Glieder der anglo-russischen Commission zu jedem Opfer entschlossen, selbst ihr Leben daran zu setzen, um ein der Wissenschaft förderliches und zugleich für ihr Vaterland ruhmvolles Resultat zu erzielen.

Aus diesem Grunde also fand sich der Astronom William Emery zu Ende Januar 1854 bei den Wasserfällen von Morgheda, am Ufer des Orangeflusses ein.

Fußnoten

1 Eine alte französische Lieue = 0,6 geographische Meile.

2 Sie beträgt nicht 1/334, wie man früher annahm, sondern 1/299,5.

5. Capitel

Fünftes Capitel.
Ein Hottentottendorf.

Die Reise auf dem obern Lauf des Flusses ging schnell von Statten. Das Wetter war unterdessen regnerisch geworden; doch hatten die Reisenden, [34] welche bequem in der Kajüte untergebracht waren, keineswegs von den in dieser Jahreszeit so häufigen Regengüssen zu leiden. Die »Königin und der Czar« flog schnell dahin. Sie traf weder auf Stromschnellen noch seichten Grund, und die Gegenströmung war nicht stark genug, um ihren Lauf zu hemmen.

Die Ufer des Orange boten immer noch den gleichen entzückenden Anblick. Balsamisch duftende Wälder folgten einander, in deren grünen Gipfeln eine ganze Welt von Vögeln hauste. Hier und dort befanden sich Baumgruppen aus der Familie der Proteaceen (Silbersichten), besonders aus dem »Wagenboom« jenem röthlich marmorirten Holz, welches mit seinen tiefblauen Blättern und blaßgelben Blüthen einen sonderbaren Eindruck hervorbringt; ferner jener »Zwartebast«, ein Baum mit schwarzer Rinde, und »Barrees« mit dem dunkeln, starren Laubwerk. Einige Schläge zogen sich meilenweit am Flußufer hin, das hier überall von Trauerweiden überschattet war. Hin und wieder zeigten sich plötzlich weite öde Landstrecken, welche mit unzähligen Coloquinten und jenen honigtragenden Silberbäumen bedeckt waren, aus denen ganze Schwärme von den kleinen Singvögeln aufflatterten, welche die Colonisten am Cap »Honigfresser« nennen.

Die Vogelwelt zeigte mannigfaltige Musterexemplare. Der Buschmann machte Sir John Murray, der ein großer Vogel- und Wildpretliebhaber war, darauf aufmerksam. Es hatte sich dadurch eine Art Vertrautheit zwischen dem englischen Jäger und Mokum entsponnen, dem sein vornehmer Gefährte, um das Versprechen des Oberst Everest zu erfüllen, eine vorzügliche weittragende Büchse vom System Pauly zum Geschenk gemacht hatte. Die Freude des Buschmanns, als er sich im Besitz dieser kostbaren Waffe sah, brauch' ich nicht zu schildern.

Die beiden Jäger verstanden einander gut. Trotzdem Sir John Murray ein ausgezeichneter Gelehrter war, galt er doch für einen der trefflichsten Fuchsjäger des alten Kaledoniens. Er hörte voller Interesse und Lust den Erzählungen des Buschmanns zu. Seine Augen flammten, wenn ihm der Jäger im Gehölz irgend einen wilden Wiederkäuer zeigte, bald eine Truppe von fünfzehn bis zwanzig Giraffen, bald sechs Fuß hohe Büffelochsen mit schneckenförmig gewundenen schwarzen Hörnern auf dem Kopfe; weiterhin scheue Gnu mit Pferdeschwänzen, Rudel von Caamas, einer Art großer Hirsche mit blitzenden Augen, deren Hörner ein drohendes Dreizack bildeten [35] überall in dem Dickicht der Wälder, wie auf den nackten Ebenen jene zahllosen Antilopenarten, die sich in Süd-Afrika massenhaft finden, der Bastard der Gemse, der Gemsbock, die Gazelle, der Waldbock, der Springbock u.s.w. War dies nicht genug, um die Leidenschaft eines Jägers zu reizen, und konnten die Fuchsjagden auf den Hochebenen Schottlands sich mit den Jagdzügen eines Cummins, Anderson oder Baldwin vergleichen?

Offen gesagt, machte der Anblick dieser prachtvollen Wildpretexemplare keinen so lebhaften Eindruck auf die Begleiter Sir John Murray's. William Emery beobachtete seine Collegen voller Aufmerksamkeit und suchte sie unter ihrer kalten Außenseite zu ergründen.

Der Oberst Everest und Mathieu Strux, beide fast von gleichem Alter, waren gleich zurückhaltend, zugeknöpft und förmlich. Sie sprachen mit abgemessener Langsamkeit, und jeden Morgen hätte man sagen können, sie seien früher bis zum Abend zuvor nie mit einander zusammen gewesen. Man durfte nicht hoffen, daß sich je eine Art Vertrautheit zwischen diesen beiden wichtigen Personen entwickeln könne. Es steht fest, daß zwei nebeneinander befindliche Eisschollen endlich mit einander in Zusammenhang kommen, aber niemals zwei Gelehrte, wenn sie beide eine hohe Stellung in der Wissenschaft einnehmen.

Nicolaus Palander, fünfundfünfzig Jahre alt, war einer jener Männer, die niemals jung waren und niemals alt werden. Der Astronom von Helsingfors, beständig in seine Berechnungen versenkt, konnte wohl eine bewunderungswürdig organisirte Maschine sein, doch blieb er nur Maschine, eine Art Rechentafel oder Universalrechner. Als Rechner der englisch-russischen Commission war dieser Gelehrte nur eins jener »Wunder«, welche aus dem Kopf mit fünf Ziffern als Factoren multipliciren.

Michael Zorn war seinem Alter, seinem enthusiastischen Temperament und seiner guten Laune nach William Emery ähnlich. Seine liebenswürdigen Eigenschaften verhinderten ihn nicht, ein verdienstvoller Astronom zu sein, der bereits eine frühzeitige Berühmtheit besaß. Die Entdeckungen, welche von ihm und unter seiner Leitung am Observatorium in Kiew in Betreff des Nebelsternes Andromeda gemacht wurden, hatten in der gelehrten Welt Aufsehen erregt. Zu seinen unbestrittenen Verdiensten gesellte sich eine große Bescheidenheit, die bei jeder Gelegenheit zum Vorschein kam.

William Emery und Michael Zorn mußten Freunde werden. Dieselbe [36] Geschmacksrichtung, die gleichen Bestrebungen vereinigten sie. Ost plauderten sie zu sammen, während der Oberst Everest und Mathieu Strux sich gegenseitig kalt beobachteten. Palander zog in Gedanken Kubikwurzeln aus, ohne die entzückenden Aussichten auf das Ufer wahrzunehmen, und Sir John Murray und der Buschmann machten Pläne für zukünftige Jagdopfer.

Bei dieser Fahrt auf dem Orangestrom ereignete sich kein Zwischenfall. Manchmal schienen steile Abhänge, Granitfelsen, welche das sich schlängelnde Flußbett einengten, jeden Ausgang zu versperren. Ost auch machten bewaldete Inseln den einzuschlagenden Weg unsicher. Aber der Buschmann schwankte niemals, und »Königin und Czar« wählte die günstigste Straße oder durchschiffte ohne Aufenthalt den steilen Felsenkreis. Der Steuermann hatte nicht ein einziges Mal zu bereuen, den Anweisungen Mokum's gefolgt zu sein.

Nach vier Tagen hatte das Dampfboot die zweihundertundvierzig Meilen zwischen dem Morgheda-Katarakt und dem Korana zurückgelegt, einem der Nebenflüsse, welcher grade bis zur Stadt Lattaku fließt, dem Zielpunkt der Expedition des Oberst Everest.

Der Strom bildet dreißig (franz.) Meilen oberhalb der Wasserfälle einen Bogen, und von seiner allgemein westöstlichen Richtung ein wenig abweichend, schneidet er südöstlich den scharfen Winkel ab, der im Norden das Festland der Cap-Colonie begrenzt. Von diesem Punkte zieht er sich nach Nordosten hin und verliert sich dreihundert Meilen weiter in den Waldregionen der Republik Transvaal.

Am 5. Februar in den ersten Morgenstunden und im strömenden Regen erreichte die »Königin und Czar« die Station Klaarwater, ein Hottentottendorf, bei welchem sich der Korana in den Orange ergießt. Der Oberst Everest, der keinen Augenblick verlieren wollte, fuhr schnell an den wenigen Buschmann-Hütten, aus denen das Dorf besteht, vorüber, und das Schiff begann mit Hilfe seiner Schraube den neuen Nebenfluß hinauszufahren.

Die reißende Strömung rührte, wie die Passagiere bemerkten, von einer sonderbaren Eigenthümlichkeit dieses Gewässers her. Der an seiner Quelle sehr voll strömende Korana wird beim Abwärtsfließen unter'm Einfluß der Sonnenstrahlen schwächer. Doch war er in dieser Jahreszeit durch Regengüsse und einen andern Nebenfluß angeschwollen, tief und reißend. Daher fuhr die Schaluppe mit verstärktem Dampf und legte stromaufwärts drei Meilen in der Stunde zurück.

[37] Während der Fahrt meldete der Buschmann die Anwesenheit einer großen Anzahl Flußpferde. Diese Dickhäuter, von den Holländern am Cap »Seekühe« genannt, dicke, schwerfällige Thiere, acht bis zehn Fuß lang, waren wenig zu Feindseligkeiten geneigt. Das Schnauben des Dampfbootes und das Pochen der Schraube erschreckte sie. Das Fahrzeug erschien ihnen wie irgend ein neues Ungeheuer, dem sie mißtrauen mußten, und in der That konnten auch die Waffen an Bord ihnen die Annäherung schwierig machen. Sir John Murray hätte gern seine Explosionskugeln an diesen Fleischmassen versucht; doch versicherte ihm der Buschmann, es gebe in den nördlichen Gewässern noch genug Flußpferde, und Sir John Murray entschloß sich, eine günstigere Gelegenheit abzuwarten.

Die hundertundfünfzig Meilen von der Mündung des Korana bis zur Station Lattaku wurden in fünfzig Stunden zurückgelegt. Am 7. Februar um drei Uhr Nachmittags war das Ziel der Fahrt erreicht.

Als das Dampfboot an dem steilen Uferrand, welcher als Quai diente, vor Anker gegangen war, fand sich ein fünfzig Jahre alter Mann von ernstem, doch gutmüthigem Gesichtsausdruck an Bord ein und reichte William Emery die Hand. Der Astronom stellte den Neuangekommenen seinen Reisegefährten mit den Worten vor: »Der hochwürdige Thomas Dale, von der Londoner Missionsgesellschaft, Director der Station Lattaku.« Die Europäer begrüßten den hochwürdigen Herrn, der sie willkommen hieß und sich ihnen zur Verfügung stellte.

Die Stadt Lattaku, oder vielmehr das Dorf dieses Namens, ist die entfernteste Missionsstation nördlich vom Cap. Sie besteht aus Alt- und Neu-Lattaku.

Die Altstadt, augenblicklich fast ganz verlassen, zählte noch im Anfang des Jahrhunderts zwölftausend Einwohner, welche seitdem nach Nordosten ausgewandert sind. Diese ganz verfallene Stadt ist durch das nicht weit davon, in einer ehemals mit Akazien bedeckten Ebene erbaute Neu-Lattaku ersetzt worden.

Dies Neu-Lattaku, wohin sich die Europäer unter der Anführung des hochwürdigen Herrn begaben, bestand aus ungefähr vierzig Häusergruppen mit etwa fünf- bis sechstausend Einwohnern, welche dem großen Stamme der Bechuanas angehören. In dieser Stadt hielt sich der Doctor Livingstone im Jahre 1840 drei Monate lang auf, ehe er seine erste Reise nach dem[38] Zambesi unternahm, welche den berühmten Reisenden durch ganz Süd-Afrika, von der Loanda-Bai am Longo bis zu dem Hafen Kilimane auf der Küste Mozambique führte.

Bei seiner Ankunft in Neu-Lattaku übergab der Oberst Everest dem Missions-Director einen Brief des Doctors Livingstone, welcher die anglorussische Expedition seinen Freunden in Süd-Afrika empfahl. Thomas Dale las diesen Brief mit großem Vergnügen, dann gab er ihn dem Obersten zurück, indem er sagte, derselbe könne ihm auf seiner Forschungsreise von Nutzen sein, weil der Name Livingstone in diesem ganzen Theile Afrikas gekannt und geehrt sei.

Die Mitglieder der Commission wurden im Missionshause untergebracht, einem großen, auf einem Hügel errichteten Gebäude, das von einer undurchdringlichen Hecke wie von einer Festungsmauer umgeben war. Die Europäer konnten sich hier auf bequemere Art einrichten, als wenn sie bei den Bechuanas gewohnt hätten. Nicht als seien diese Wohnungen nicht reinlich und ordentlich; im Gegentheil, ihr Boden, aus ganz glatter Thonerde, war völlig staublos; ihr Dach, mit Langstroh gedeckt, ist für den Regen undurchdringlich; aber im Ganzen sind diese Häuser doch nur Hütten, in welche man durch ein kaum zugängliches kreisrundes Loch hineinkommt. In diesen Hütten lebt man in Gemeinschaft mit Allen, und das unmittelbare Beisammensein mit den Bechuanas kann schwerlich für angenehm gelten.

Das in Lattaku wohnende Stammes-Oberhaupt, ein gewisser Mulibahan, glaubte sich den Europäern vorstellen zu müssen. Mulibahan, ein ziemlich schöner Mann, der von den Negern weder die dicken Lippen noch die platte Nase hatte, zeigte ein rundes Gesicht, das nicht wie bei den Hottentotten nach unten zu schmäler wurde. Er war mit einem aus Häuten künstlich zusammengenähten Mantel und einem in der Landessprache »pukoje« genannten Schurzfell bekleidet. Auf dem Kopfe trug er eine Lederkappe und seine Fußbekleidung bildeten rindslederne Sandalen. Sein Vorderarm war mit Elfenbeinringen geziert, und in den Ohren schaukelte eine vier Zoll lange Kupferplatte, eine Art Ohrgehänge, das zugleich ein Amulet ist. Auf seiner Mütze schwankte ein Antilopenschwanz, und sein Jagdstock war mit einem Busch kleiner schwarzer Straußfedern gekränzt.


Ein recht hübscher Mann. (S. 39.)

Die natürliche Hautfarbe dieses Häuptlings der Bechuanas ließ sich unter der dicken Lage Ocker, welche [39] ihn vom Kopf bis zu den Füßen bedeckte, nicht erkennen. Einige unvertilgbar eingeätzte Zeichen am Schenkel zeigten die Zahl der von Mulibahan getödteten Feinde an.


Abschied der Europäer von den Missionären. (S. 42.)

Dieser Häuptling, der mindestens ebenso ernst als Mathieu Strux war, näherte sich den Europäern und faßte sie der Reihe nach bei der Nase. Die Russen ließen es sich ernsthaft gefallen, die Engländer mit etwas Widerstreben. Doch war dies, der afrikanischen Sitte nach, eine feierliche Verpflichtung, den Europäern gegenüber die Pflichten der Gastfreundschaft zu erfüllen.

[40] Nach vollbrachter Ceremonie zog sich Mulibahan zurück, ohne ein einziges Wort gesprochen zu haben.

»Und jetzt, sagte der Oberst Everest, da wir naturalisirte Bechuanas geworden, wollen wir uns ohne einen Tag, ohne eine Stunde selbst zu verlieren, mit unseren Operationen beschäftigen.«

Man verlor keine Zeit noch Stunde, und dennoch – so große Sorgfalt und so viele Einzelheiten erfordert die Organisation einer derartigen Unternehmung[41] – war die Commission erst in den ersten Tagen des März zum Aufbruch bereit. Dies war übrigens der vom Oberst Everest bestimmte Zeitpunkt. Zu dieser Jahreszeit hörten die Regengüsse auf, und das in dem Erdboden enthaltene Wasser mußte den in der Wüste Reisenden eine kostbare Hilfsquelle werden.

Die Abreise war also auf den 2. März festgesetzt, und war die ganze Karawane unter der Führung Mokum's an diesem Tage bereit.

Die Europäer nahmen von den Missionären in Lattaku Abschied, und verließen um sieben Uhr Vormittags das Dorf.

»Wohin gehen wir, Herr Oberst? fragte William Emery, in dem Augenblick, als die Karawane beim letzten Hause der Stadt vorübergekommen.

– Gerade aus, Herr Emery, antwortete der Oberst, bis zu dem Augenblicke, wo wir eine Oase gefunden haben werden, die zum Lagern passend erscheint.«

Um acht Uhr hatte die Karawane die abgeflachten und mit Zwerggesträuch bedeckten Hügel, von denen Lattaku umgeben ist, passirt. Unmittelbar daneben lag die Wüste mit ihren Gefahren, Beschwerden und Wechselfällen vor ihnen.

6. Capitel

Sechstes Capitel.
Man lernt sich näher kennen.

Die vom Buschmann commandirte Begleitung bestand aus hundert Mann. Alle waren eingeborene Buschmänner, arbeitsame, nicht leicht erregbare, wenig streitsüchtige Männer, fähig, die größten körperlichen Strapazen zu ertragen. Früher, vor der Ankunft der Missionäre, trachteten diese Buschmänner, lügnerisch und ungastfreundlich, nur nach Raub und Mord, und benutzten gewöhnlich den Schlaf ihrer Feinde, um sie niederzumetzeln. Die Missionäre haben theilweise diese barbarischen Sitten gemildert; doch sind die Eingeborenen stets mehr oder weniger darauf versessen, die Farmer zu plündern und Vieh zu rauben.

[42] Zehn Wagen, ähnlich dem Gefährt, welches der Buschmann nach dem Morgheda-Fall gebracht hatte, bildeten das Fortschassungsgeräth der Expedition. Zwei der Wagen, die eine Art ambulanter Häuser waren, boten den Europäern eine gewisse Bequemlichkeit und sollten ihnen zu Lagerstätten dienen.

Für den Oberst Everest und seine Gefährten folgte also eine hölzerne Wohnung, aus trockenen Brettern verfertigt, mit wasserdichter Leinwandplane überdeckt und mit verschiedenen Schlafeinrichtungen sowie Toilettenbedürfnissen versehen. An den Lagerplätzen ersparte man dadurch die Zeit, ein Zelt zu errichten, da das Zelt bereits fertig war.

Einer ihrer Wagen war also für den Oberst Everest und seine zwei Landsleute, Sir John Murray und William Emery, bestimmt. Der andere diente den drei Russen, Mathieu Strux, Nicolaus Palander und Michael Zorn als Wohnung. Von zwei anderen, nach dem gleichen Muster eingerichteten Wagen gehörte der eine den fünf Engländern, der andere den fünf Russen, aus welchen die Mannschaft der »Königin und Czar« bestand.

Es versteht sich von selbst, daß auch der Rumpf und die Maschine des Dampfbootes, in Stücken auseinander genommen und auf einem Wagen verladen, den Reisenden durch die afrikanische Wüste folgte. Es giebt im Innern des Landes zahlreiche Seen, und man konnte auf dem Wege, den die wissenschaftliche Expedition einschlug, auf solche treffen, wo ihnen dann die Schaluppe große Dienste leisten mußte. Auf den andern Wagen befanden sich die Instrumente, Lebensmittel, das Gepäck der Reisenden, ihre Waffen, die Munition, die zur beabsichtigten Vermessung nöthigen Geräthe, endlich alle für die hundert Mann Bedeckung nöthigen Gegenstände. Die Lebensmittel der Buschmänner bestanden hauptsächlich aus »biltong«, Antilopen-, Büffel- oder Elephantenfleisch, das, in lange Streifen geschnitten und an der Sonne oder auf langsamem Feuer getrocknet, sich dergestalt Monate lang aufbewahren läßt. Diese Zubereitungsweise erspart den Gebrauch des Salzes und wird in allen den Gegenden angewendet, in denen es an diesem nützlichen Mineral mangelt. Was das Brod anbetraf, so rechneten die Buschmänner darauf, es durch verschiedene Früchte oder Wurzeln zu ersetzen, wie Erdnußkerne, Zwiebeln gewisser Arten von Mesembryanthemum, einheimische Feige, Kastanie oder das Mark einer Abart von Zamic, welche den bezeichnenden Namen »Kaffernbrod« trägt. Diese dem Pflanzenreiche entnommenen Nahrungsmittel sollten [43] unterwegs ergänzt werden. In Betreff der Fleischnahrung konnten die Jäger der Truppe, welche mit merkwürdiger Geschicklichkeit ihre Bogen aus Aloëholz und eine Art langer Lanzen zu gebrauchen verstanden, die Wälder und Ebenen durchstreifen, um die Karawane damit zu versorgen. Die Bespannung dieser Wagen bestand aus je sechs am Cap gezogenen Ochsen, mit langen Füßen, hohen Schultern und großen Hörnern.

Also fortgezogen hatten diese schwerfälligen, groben Muster einer unentwickelten Wagenbaukunst weder Berg-Abhänge noch Sümpfe zu scheuen, und bewegten sich sicher, wenn auch nicht schnell auf ihren massiven Rädern.

Die Pferde, welche zum Dienst der Reisenden be stimmt waren, stammten von der schwarzen oder grauen kleinen spanischen Race ab, welche aus Süd-Amerika an's Cap verpflanzt worden ist; sanfte und muthige Thiere, die sehr geschätzt werden. Unter der Truppe Vierfüßler zählte man auch ein halbes Dutzend gezähmter Esel, Cuagga's genannt, mit schlanken Füßen und runden Formen, deren Geschrei dem Hundegebell gleicht. Dieser Cuagga's wollte man sich bei getheilten Expeditionen bedienen, welche die geodätischen Operationen nöthig machen würden, um die Instrumente und Geräthschaften dahin zu tragen, wohin die schwerfälligen Wagen nicht fahren konnten. Ausnahmsweise ritt der Buschmann mit merkwürdigem Anstand und großer Geschicklichkeit ein prachtvolles Thier, welches die Bewunderung Sir John Murray's erregte. Es war ein Zebra, dessen braungestreifte Haarfarbe von unvergleichlicher Schönheit war. Es maß vier Fuß bis zur Sattelhöhe und sieben Fuß vom Maul bis zum Schwanz. Mißtrauisch und böswillig von Natur, würde es keinen andern Reiter als Mokum geduldet haben, der es zu seinem Gebrauch abgerichtet hatte.

Einige der halbwilden Hunde, die manchmal mit dem unpassenden Namen »Jagdhyänen« bezeichnet werden, liefen neben der Karawane her. Sie erinnerten durch ihre Gestalt und ihre langen Ohren an die europäische Bracke.

So war die Karawane beschaffen, welche in die Wüsten Afrikas zog. Die Ochsen bewegten sich langsam vorwärts, gespornt durch den »Jambox«, womit ihre Führer sie in die Seiten stachen. Es war ein merkwürdiger Anblick, wie diese Truppe sich in Marschordnung längs den Hügeln hinbewegte.

Wohin wandte sich die Expedition, nachdem sie Lattaku verlassen?

»Gerade aus«, hatte der Oberst Everest gesagt.

[44] In der That konnten der Oberst und Mathieu Strux in diesem Augenblick keine bestimmte Richtung verfolgen. Was sie suchten, ehe sie ihre trigonometrischen Operationen beginnen konnten, war eine weite, regelmäßig niveliirte Ebene, um darauf die Basis des ersten der Dreiecke zu errichten, deren Netz die südliche Region Afrikas in einer Ausdehnung von mehreren Graden bedecken sollte.

Der Oberst Everest erklärte dem Buschmann, um was es sich handle. Mit der Sicherheit eines Gelehrten, dem die wissenschaftliche Sprache vertraut ist, sprach der Oberst zu dem Jäger von Dreiecken, anliegenden Winkeln, Basen, Meridianmessungen, Entfernungen vom Scheitelpunkt u.s.w.

Der Buschmann ließ ihn einige Augenblicke sprechen; dann unterbrach er ihn in ungeduldiger Aufregung und sagte:

»Herr Oberst, ich verstehe nichts von Ihren Dreiecken, Winkeln, Basen und Meridianen. Ich verstehe nicht einmal, was Sie hier in der afrikanischen Wüste machen wollen. Das geht Sie indeß allein an. Was wollen Sie also von mir? Eine schöne, weite, gerade regelmäßige Ebene? Nun wohl, man wird sie Ihnen suchen.«

Und auf Befehl Mokum's wendete sich die Karawane, welche bereits über die Hügel bei Lattaku hinausgekommen war, wieder abwärts südöstlich. Bei dieser Richtung kamen sie wieder etwas südlicher vom Dorf, das heißt nach jener vom Korana bewässerten Ebene. Der Buschmann hoffte auf dem Gebiet dieses Nebenflusses eine den Absichten des Obersten günstige Ebene zu finden.

Von diesem Tage an nahm der Jäger die Haltung an, als stehe er an der Spitze der Karawane. Sir John Murray, der gut beritten war, wich ihm nicht von der Seite, und von Zeit zu Zeit gab er seinen Collegen durch einen Schuß die Nachricht, daß Sir John Bekanntschaft mit dem afrikanischen Wild mache.

Der Oberst, ganz in Gedanken versenkt, ließ sich von seinem Pferde leiten und dachte an die Zukunft einer in diesen wilden Gegenden so schwer zu leitenden Unternehmung. Mathieu Strux, der in Gemäßheit des Bodens bald zu Pferde, bald zu Wagen war, öffnete nicht oft die Lippen. Nicolaus Palander war ein möglichst schlechter Reiter, ging am häufigsten zu Fuß oder hielt sich gänzlich in seinem Wagen, wo er sich in die tiefsten Abstractionen der höheren Mathematik versenkte.

[45] William Emery und Michael Zorn befanden sich zwar während der Nacht in verschiedenen Wagen, waren aber am Tage während des Marsches der Karawane bei einander.

Diese zwei jungen Leute wurden täglich mehr durch eine engere Freundschaft verbunden, welche die Ereignisse der Reise noch fester schmieden sollte. Von einem Lagerort zum andern ritten sie plaudernd und discutirend zusammen. Ost entfernten sie sich von der Expedition, indem sie seitwärts oder einige Meilen vorausritten, sobald die Ebene sich weit vor ihren Blicken erstreckte. Dort waren sie frei und wie verloren inmitten dieser wilden Natur. Wie plauderten sie von Allem, mit Ausnahme von der Wissenschaft! Wie vergaßen sie die Calculationen und Rechenexempel, die Beobachtungen! Es waren keine Astronomen, keine Beobachter des gestirnten Firmamentes mehr, sondern zwei dem Schulstaub entflohene Jünglinge, welche sich glücklich fühlten, die dichten Wälder, die endlosen Ebenen durchstreifen, die würzig duftende freie Luft einathmen zu können. Sie lachten, ja sie lachten wie einfache Sterbliche, und nicht wie so ernsthafte Leute, die gewöhnt sind, mit Kometen und andern Himmelskörpern zu verkehren. Wenn sie auch niemals über die Wissenschaft lachten, so lächelten sie doch zuweilen, wenn sie an die erhabenen Gelehrten dachten, welche nicht dieser Welt angehören. Dies Alles übrigens ganz arglos. Es waren zwei vortreffliche Naturen, mittheilsam, liebenswürdig, hingebend, in auffallendem Contrast mit ihren Chefs, die wie der Oberst Everest und Mathieu Strux vielmehr steif geworden, als selbst steif waren.

Und gerade diese beiden Gelehrten machten sie oft zum Gegenstand ihrer Bemerkungen. William Emery lernte sie erst durch seinen Freund Michael Zorn kennen.

»Ja, sagte an diesem Tage Michael Zorn, ich habe sie auf unserer Ueberfahrt an Bord der Augusta beobachtet, und leider muß ich gestehen, daß diese Männer auf einander eifersüchtig sind. Wenn der Oberst Everest der Vorstand unserer Unternehmung zu sein scheint, mein lieber William, so ist es Mathieu Strux nicht weniger. Die russische Regierung hat klar seine Stellung bezeichnet. Unsere beiden Chefs sind gleich herrschsüchtig, einer wie der andere, und ich wiederhole Ihnen, zwischen ihnen herrscht die Eifersucht der Gelehrten, die schlimmste Art der Eifersucht.

– Und die am wenigsten dazu berechtigt ist, erwiderte William Emery, denn Alles bleibt auf dem Felde der Entdeckungen, und jeder von uns zieht [46] Nutzen aus den Bemühungen Aller. Wenn Ihre Bemerkungen richtig sind, und ich habe Grund dies anzunehmen, mein lieber Zorn, ist dies ein ärgerlicher Umstand für unsere Expedition. Es muß wirklich ein vollkommenes Einverständniß herrschen, wenn ein so mißliches Unternehmen gelingen soll.

– Ohne Zweifel, antwortete Michael Zorn, und ich fürchte sehr, dieses Einverständniß besteht nicht. Beurtheilen Sie ein wenig unsere Verwirrung, wenn jede Einzelheit der Ausführung, die Wahl der Basis, die Berechnungsmethode, die Bestimmung der Stationen, die Prüfung der Zahlen jedesmal eine neue Discussion herbeiführt! Entweder täusche ich mich sehr oder ich sehe Chicanen voraus, wenn es sich darum handeln wird, unsere doppelten Register zu vergleichen und Beobachtungen einzutragen, die uns in Stand gesetzt haben, bis auf vier Hunderttausendtheile eine Toise 1 abzuschätzen.

– Sie erschrecken mich, lieber Zorn, erwiderte William Emery. Es wäre wirklich peinlich, wenn man sich so weit gewagt hätte, um aus mangelnder Eintracht in einem solchen Unternehmen zu scheitern. Gott gebe, daß sich Ihre Befürchtungen nicht als wahr ausweisen.

– Ich wünsche es, William, antwortete der junge russische Astronom; doch ich wiederhole Ihnen, während der Ueberfahrt habe ich gewissen Streitigkeiten über wissenschaftliche Methoden beigewohnt, welche einen unsäglichen Eigensinn bei dem Oberst Everest und seinem Nebenbuhler beweisen. Im Grunde merkte ich, daß eine erbärmliche Eifersucht dabei im Spiele ist.

– Aber diese beiden Herren gehen einander nicht von der Seite, bemerkte William Emery. Man sieht sie beständig beisammen, sie sind unzertrennlich, unzertrennlicher sogar als wir es sind.

– Ja, antwortete Michael Zorn, sie gehen einander nicht von der Seite, so lange der Tag dauert, aber sie wechseln nicht zehn Worte mit einander. Sie überwachen sich, sie spähen sich aus. Wenn nicht einer dahin gelangt, den andern auszustechen, werden wir unter wahrhaft beklagenswerthen Umständen operiren.

– Demzufolge, fragte William etwas zögernd, welchen von diesen zwei Gelehrten würden Sie wünschen ...?

– Lieber William, erwiderte Michael Zorn mit großer Offenheit, ich [47] würde den mir als Chef gefallen lassen, der sich als solcher zu benehmen weiß. In dieser wissenschaftlichen Frage habe ich kein Vorurtheil, keine nationale Befangenheit. Der Oberst Everest und Mathieu Strux sind zwei hervorragende Männer, die beide ihren Werth haben. England und Rußland müssen gleichen Vortheil aus ihren Arbeiten ziehen. Es kommt also wenig darauf an, ob diese Arbeiten von einem Engländer oder einem Russen geleitet werden. Sind Sie nicht meiner Ansicht?


Frei von jedem Zwange. (S. 46.)

[48] – Ganz und gar, mein lieber Zorn, antwortete William Emery. Lassen wir uns also nicht durch thörichte Vorurtheile befangen machen, und wenden wir beide nach Maßgabe unserer Mittel unsere Kräfte dem gemeinsamen Wohle zu. Vielleicht wird es uns möglich sein, die Schläge, welche sich die beiden Gegner ein ander versetzen könnten, zu pariren. Außerdem ist da Ihr Landsmann, Nicolaus Palander ...


»Hier ist die gewünschte Ebene, Herr Oberst.« (S. 51.)

– Der! versetzte lachend Michael Zorn, der wird Nichts sehen, Nichts [49] hören, Nichts verstehen. Er würde für Theodorus rechnen, vorausgesetzt, daß er nur zu rechnen brauche. Er ist weder Russe, noch Engländer, noch Preuße, noch Chinese! Er lebt nicht einmal in der Welt unter dem Mond; er ist Nicolaus Palander, Alles in Allem.

– Ich habe von meinem Landsmann, Sir John Murray, nicht dasselbe zu sagen, erwiderte William Emery. Seiner Ehren ist ein durchaus englischer Charakter, doch auch ein entschlossener Jäger, und er wird leichter bei Verfolgung einer Giraffe oder eines Elephanten sich benehmen, als bei einer Streitfrage über wissenschaftliche Methoden. Wir wollen also nur auf uns selbst zählen, mein lieber Zorn, um die unaufhörliche Berührung unserer Chefs mit einander abzuschwächen. Ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß, was auch geschehen möge, wir immer redlich und offen verbündet sein wollen.

– Stets, was auch geschehen mag«, erwiderte Michael Zorn, und reichte seinem Freunde die Hand.

Indessen setzte die Karawane unter Führung des Buschmanns ihren Weg in südwestlicher Richtung fort. Am 4. März gegen Mittag erreichte sie die Basis jener langen, bewaldeten Hügelkette, welcher sie von Lattaku an gefolgt war. Der Jäger hatte sich nicht getäuscht; er hatte die Expedition zur Ebene geführt. Doch konnte diese Ebene, die noch wellenförmig war, nicht zu den ersten Vermessungsarbeiten dienen. Deshalb setzte man auch die Reise ununterbrochen fort. Mokum stellte sich wieder an die Spitze der Reiter und Wagen, während Sir John Murray, William Emery und Michael Zorn etwas voraus ritten.

Gegen Abend erreichte die Truppe eine der Stationen, welche nomadisirenden Besitzern gehören, jenen sogenannten »Boërs«, die sich nur einige Monate an reichen Weideplätzen aufhalten und dann weiter ziehen.

Der Oberst Everest und seine Gefährten wurden gastfreundlich von dem Colonisten aufgenommen, der, ein Holländer und Haupt einer zahlreichen Familie, keine Entschädigung für seine geleisteten Dienste annehmen wollte. Dieser Gutsbesitzer war einer von den muthigen, arbeitsamen und mäßigen Männern, deren schwaches Capital, vortheilhaft zur Zucht von Ochsen, Kühen und Ziegen verwandt, sich bald in Reichthum verwandelt. Wenn die Weideplätze abgegrast, sucht der Gutsherr wie ein Patriach der Vorzeit eine neue [50] Quelle, fette Wiesen, und richtet seinen Wohnort unter günstigeren Verhältnissen anderswo von Neuem auf.

Dieser Gutsherr bezeichnete dem Obersten sehr erwünscht eine weite Ebene, die fünfzehn Meilen von da entfernt war, ein weites, flaches Terrain, das für geodätische Aufnahmen ganz geeignet sein mußte.

Am folgenden Tage, den 5. März, brach die Karawane bei Tagesanbruch auf. Man zog den ganzen Vormittag weiter, ohne daß ein Zwischenfall die Einförmigkeit der Reise unterbrach, hätte nicht Sir John Murray auf 1200 Meter ein merkwürdiges Thier erlegt, ein Thier mit einem Ochsenmaul, langem weißen Schwanze und spitzen Hörnern auf dem Kopfe. Es war ein Gnu, ein wilder Ochse, der beim Niederstürzen ein dumpfes Gestöhn von sich gab.

Der Buschmann war erstaunt, wie er das Thier, in solcher Entfernung so sicher getroffen, todt zu Boden stürzen sah. Dieses ungefähr fünf Fuß große Thier fügte der gewöhnlichen Mahlzeit eine erhebliche Quantität ausgezeichneten Fleisches zu, so daß die Gnu jetzt den Jägern der Karawane besonders anempfohlen wurden.

Gegen Mittag erreichte man den von dem Gutsherrn bezeichneten Platz. Es war ein nach Norden zu unbegränzter Wiesengrund, dessen Boden keine Art Erhöhung aufwies. Man konnte sich keine für Ausmessung einer Basis günstigere Landstrecke denken. Deshalb kam der Buschmann, nachdem er den Platz genau untersucht, zum Oberst Everest und sagte:

»Hier die gewünschte Ebene, Herr Oberst.«

Fußnoten

1 Der zweihundertste Theil eines Millimeters.

7. Capitel

Siebentes Capitel.
Eine Triangelbasis.

Die geodätische Operation, welche die Commission vorzunehmen beabsichtigte, bestand in einer Triangulation zum Zwecke der Messung eines Meridianbogens. Nun würde die Ausmessung eines oder mehrerer Grade direct, vermittelst [51] metallener Lineale oder Richtscheite, die man eins ums andere legt, in Hinsicht auf mathematische Genauigkeit eine gänzlich unausführbare. Zudem würde auf keinem Punkte der Erde irgend ein Terrain auf eine Strecke von mehreren hundert Meilen hinreichend eben sein, um zur Ausführung einer so mißlichen Operation dienlich sein zu können. Glücklicherweise kann man auf strengere Art zu Werke gehen, indem man das ganze Terrain, welches die Meridianlinie durchschneiden soll, in eine gewisse Anzahl »Luftdreiecke« theilt, deren Bestimmung verhältnißmäßig nur wenig schwer ist. Diese Dreiecke erhält man, indem man mittels genauer Instrumente, wie des Theodolits oder der Winkelmeßscheibe, auf künstliche oder natürliche Signale, wie Glockenthürme, Reverberen, Signalstangen visirt. Bei jedem Signal endigt ein Dreieck, dessen Winkel durch die obengenannten Instrumente mit mathematischer Genauigkeit bestimmt werden. In der That kann irgend ein Gegenstand – ein Glockenthurm am Tage, eine Reverbere des Nachts – mit vollkommener Genauigkeit von einem Manne mit scharfem, geübtem Blick aufgenommen werden, der vermittelst eines Fernglases, dessen Feld in ein Fadennetz getheilt ist, nach demselben visirt. So erhält man Dreiecke, deren Seiten oft mehrere Tausend Meilen lang sind. Auf diese Weise hat Arago die Küste von Valencia in Spanien bis an die Baleareninseln durch ein ungeheures Dreieck vereinigt, dessen eine Seite 82,550 Toisen lang ist.

Nun kennt man nach einem geometrischen Grundsatze ein Dreieck vollständig, wenn man eine Seite und zwei Winkel desselben kennt, denn man kann dann sofort auf die Größe des dritten Winkels und die Länge der beiden andern Seiten schließen. Wenn man also zur Basis eines neuen Dreiecks eine Seite eines schon gebildeten Dreiecks nimmt, indem man die zusammenstoßenden Winkel an dieser Basis mißt, kann man auf diese Weise neue Dreiecke bilden, welche aufeinanderfolgend bis zur Grenze des zu messenden Bogens geführt werden.

Durch diese Methode erhält man so die Längen aller geraden Linien, die im Netz der Dreiecke inbegriffen sind; und durch eine Reihe trigonometrischer Berechnungen kann man leicht die Größe des Meridianbogens bestimmen, welcher das Netz zwischen den beiden Endpunkten durchschneidet. Es ist soeben gesagt worden, daß ein Dreieck ganz erkannt ist, wenn man eine der Seiten und zwei seiner Winkel kennt. Nun kann man die Winkel genau vermittelst der Winkelmeßscheibe oder des Theodolits erhalten; doch muß man [52] die erste Seite, die Basis des ganzen Systems, zuerst »direct auf dem Boden messen«, und zwar mit außerordentlicher Genauigkeit; und dies ist die mißlichste Arbeit der ganzen Dreieckmessung.

Als Delambre und Méchain den Meridian Frankreichs von Dünkirchen bis Barcelona maßen, nahmen sie als Basis ihrer Triangulation eine Linie in gerader Richtung auf dem Wege von Melun nach Lieusaint im Departement Seine und Marne. Diese Basis hatte 12,150 Meter, und man brauchte zu ihrer Messung nicht weniger als fünfundvierzig Tage. Welche Mittel diese Gelehrten anwendeten, um eine mathematische Genauigkeit zu erhalten, wird die Operation der Herren Everest und Mathieu Strux lehren, welche in derselben Weise verfuhren, wie jene zwei französischen Astronomen. Man wird sehen, bis zu welchem Höhepunkt die Genauigkeit gehen sollte.

Am 5. März begannen die ersten geodätischen Arbeiten, zum großen Erstaunen der Buschmänner, welche nichts davon verstanden. Die Erde mit sechs Fuß langen, eins an das andere gelegten Linealen zu messen, kam dem Jäger wie ein Gelehrtenspaß vor. Jeden falls hatte er seine Schuldigkeit gethan. Man hatte von ihm eine völlig ebene Fläche verlangt, und er hatte sie geliefert.

Die Stelle war in der That für die directe Messung einer Basis ausgewählt. Die mit kurzem, trockenem Rasen bedeckte Ebene erstreckte sich vollständig wagerecht, bis an die äußersten Grenzen des Horizonts. Sicherlich war man bei der Messung auf der Straße nach Melun nicht so begünstigt gewesen. In ihrem Rücken zog sich eine wellenförmige Hügelkette hin, welche die äußerste Südgrenze der Wüste Kalahari bildete. Im Norden ein unbegrenzter Raum. Nach Osten zu verlief die Abdachung des Plateaus von Lattaku in sanftem Falle.

Westwärts wurde die Ebene noch niedriger, sumpfig und mit stagnirendem Wasser getränkt, woraus die Nebenflüßchen des Korana ihr Wasser zogen.

»Ich denke, Herr Oberst, sagte Mathieu Strux, nachdem er diese Grasfläche in Augenschein genommen, wir können, sobald wir unsere Basis gelegt haben, hier auch den Endpunkt des Meridians festsetzen.

– Ich muß Ihrer Ansicht beistimmen, Herr Strux, antwortete der Oberst [53] Everest, sobald wir die Länge dieses Punktes genau gefunden haben. Man muß bei Uebertragung desselben auf die Karte erst untersuchen, ob nicht dieser Meridianbogen, wenn er weiter verfolgt wird, auf unübersteigliche Hindernisse stößt, welche die geodätische Operation aufhalten könnten.

– Ich glaub' es nicht, antwortete der russische Astronom.

– Wir werden es ja sehen, erwiderte der englische Astronom. Wir wollen für's Erste die Basis an dieser Stelle messen, weil sie sich für die Operation eignet, und dann werden wir entscheiden, ob es gut sein wird, sie durch eine Reihe von Hilfsdreiecken mit dem Dreiecknetz, welches der Meridianbogen durchschneiden soll, zu verbinden.«

Nachdem man darüber einig geworden, beschloß man, ohne Verzug die Messung der Basis vorzunehmen.

Die Ausführung mußte lange währen, da die Mitglieder der Commission mit strengster Genauigkeit zu Werke gehen wollten. Es handelte sich darum, die in Frankreich auf der Basis von Melun gemachten geodätischen Messungen an Genauigkeit zu übertreffen, Messungen, die indeß so vollkommen waren, daß eine neue, späterhin bei Perpignan am Südende der Triangulation gemessene Basis, die zur Bewährung der bei allen Dreiecken erforderlichen Berechnungen dienen sollte, auf einer Entfernung von 330,000 Toisen nur eine Differenz von 11 Zoll zwischen der directen Messung und der nur berechneten nachwies.

Es wurde also Befehl zum Aufschlagen des Lagers gegeben und eine Art Buschmannsdorf, ein Kraal, auf der Ebene improvisirt. Die Wagen wurden wie wirkliche Häuser aufgestellt, und das Dorf in ein englisches und ein russisches Viertel getheilt, über welchen die Nationalfarben flaggten. In der Mitte befand sich ein gemeinsamer Platz. Jenseits der kreisrunden Wagenlinie weideten die Pferde und Büffel unter Aufsicht ihrer Hüter, und während der Nacht ließ man sie in die von den Wagen gebildete Umzäunung hinein, um sie vor der Raubgier wilder Thiere zu schützen, welche im Innern Süd-Afrikas überall vorhanden sind. Mokum übernahm es, Jagden zur Verproviantirung des Dorfes anzustellen; und Sir John Murray, dessen Gegenwart bei der Messung nicht unumgänglich nöthig war, beschäftigte sich speciell mit der Beschaffung der Lebensmittel. Es kam in der That darauf an, die getrockneten Fleischvorräthe aufzuheben und der Karawane täglich frisches Wildpret zu liefern. Dank der Geschicklichkeit Mokum's, seiner beständigen[54] Thätigkeit und der Gewandtheit seiner Gefährten, fehlte es nie an Wildpret. Die Ebenen und Hügel wurden im Umkreis mehrerer Meilen durchstreift, und hallten jederzeit von den Schüssen der Europäer wieder.

Am 6. März begannen die geodätischen Operationen. Die beiden jüngsten Gelehrten der Commission wurden mit den Vorarbeiten betraut.

»Vorwärts, lieber Kamerad, sagte Michael Zorn freudig zu William Emery, und der Gott der Genauigkeit stehe uns bei.«

Die erste Verrichtung bestand darin, auf dem flachsten und ebensten Theil des Terrains in gerader Richtung eine Linie abzustecken. Die Beschaffenheit des Bodens gab die Richtung von Südosten nach Nordwesten an.

Die Geradlinigkeit wurde vermittelst Pfählen und Flaggenstangen, die in kurzer Entfernung von einander aufgesteckt wurden, erreicht. Michael Zorn, dessen Fernrohr mit einem Netz versehen war, untersuchte die Stellung der Pfähle und erkannte sie als genau an, wenn der senkrechte Netzfaden alle ihre im Brennpunkt geworfenen Bilder in zwei gleiche Hälften theilte.

Diese gerade Linie wurde so ungefähr fünf Meilen weit fortgeführt, die muthmaßliche Länge, welche die Astronomen ihrer Basis zu geben dachten.

Jeder Pfahl war an seiner Spitze mit einem Nivellirinstrument versehen worden, welches die Legung der metallenen Lineale erleichtern sollte. Diese Arbeit erforderte einige Tage, um gut zu Ende geführt zu werden. Die beiden jungen Leute führten sie mit gewissenhaftester Genauigkeit aus.

Es handelte sich nun darum, die zur Messung der Basis des ersten Dreiecks bestimmten Lineale an ein ander zu legen, eine Verrichtung, welche sehr einfach scheinen kann, aber im Gegentheil unendliche Vorsicht erfordert, und von welcher zum großen Theil der Erfolg einer Dreieckmessung abhängt.

Folgendes waren die zur Legung der gedachten Lineale getroffenen Anordnungen, deren Beschreibung selber weiter unten erfolgt.

Am Morgen des 10. März wurden längs der geraden Linie, die man schon abgesteckt hatte, hölzerne Sockel aufgestellt. Diese Sockel, zwölf an Zahl, ruhten mit ihrem unteren Theil auf drei, einige Zoll langen, eisernen Schrauben, welche sie am Rutschen hinderten und in einer unbeweglichen Lage fest hielten.

Auf diese Sockel vertheilte man kleine, gut angepaßte Stückchen Holz, welche den Richtscheiten als Unterlage und zu einer Art Fassung dienen sollten. Diese Fassung gab ihnen die Richtung, ohne ihre Ausdehnung zu [55] hindern, welche je nach der Temperatur veränderlich sein und bei der Operation in Anschlag gebracht werden mußte.

Als die zwölf Sockel befestigt und mit Holzstückchen belegt waren, besorgten der Oberst Everest und Mathieu Strux die schwierige Legung der Richtscheite, eine Verrichtung, woran die beiden jungen Leute Theil nahmen. Nicolaus Palander dagegen war mit dem Bleistift in der Hand bereit, die Ziffern, welche man ihm mittheilen würde, in ein doppeltes Register einzutragen.

Die angewandten Richtscheite waren sechs an Zahl; sie hatten eine im Voraus mit absoluter Genauigkeit bestimmte Länge. Man hatte sie mit dem alten französischen Toisenmaß, welches bei geodätischen Messungen allgemein angenommen ist, verglichen.

Diese Richtscheite waren also zwei Toisen lang, sechs Linien breit und eine Linie dick. Das zu ihrer Fabrikation angewendete Metall war Platina, ein in der Luft unter gewöhnlichen Umständen unveränderliches, weder in der Kälte, noch in der Wärme oxydirbares Metall. Doch mußten diese Platina-Richtscheite, unter Einwirkung der veränderlichen Temperatur einer Ausdehnung oder Zusammenziehung unterliegen, welche zu berücksichtigen war. Man hatte deshalb ausgedacht, jedes derselben mit einem eigenen Thermometer zu versehen, einem Metall-Thermometer, das sich auf die den Metallen eigenthümliche Eigenschaft, unter dem Einfluß der Wärme eine Veränderung zu erleiden, gründete. Deshalb wurde jedes der Richtscheite mit einem andern kupfernen, das ein wenig kürzer war, bedeckt. Ein am Ende des kupfernen Richtscheites angebrachter Nonius zeigte genau die relative Verlängerung des gedachten Richtscheites an, wodurch man in Stand gesetzt wurde, die absolute Ausdehnung des Platina in Abzug zu bringen. Außerdem waren die Veränderungen des Nonius derart berechnet, daß man jede noch so kleine Ausdehnung des Platina-Lineals in Anschlag bringen konnte. Man begreift also, mit welcher Genauigkeit man zu verfahren im Stande war. Dieser Nonius war zudem mit einem Mikroskop versehen, womit man ein Viertheil des hunderttausendsten Theils der Toise zu bestimmen fähig war.


Feststellung der Grundlinie. (S. 57.)

Die Richtscheite wurden also auf die Holzstücke gelegt, eins am Ende des andern, doch ohne sich zu berühren, denn man mußte auch den leichtesten Zusammenstoß, der durch eine unmittelbare Berührung erfolgen konnte, vermeiden. Der Oberst Everest und Mathieu Strux legten auf der geraden [56] Linie der Basis selbst das erste Richtscheit auf das Holzstück. Einhundert Toisen ungefähr davon entfernt, hatte man oberhalb des ersten Pfahls einen Zielpunkt gesteckt, und da die Richtscheite mit zwei senkrechten, unmittelbar auf der Achse eingelassenen eisernen Spitzen versehen waren, konnte man sie leicht in der gewünschten Richtung legen.

In der That untersuchten William Emery und Michael Zorn, die sich hinterwärts auf den Boden gelegt hatten, ob die beiden Eisenspitzen genau [57] auf die Mitte des Zielpunktes trafen. Dadurch war man der genauen Richtung des Richtscheites versichert.

»Jetzt, sagte der Oberst Everest, müssen wir genau den Ausgangspunkt unserer Operation bestimmen, indem wir das Senkblei dicht an das Ende des ersten Richtscheites halten. Kein Berg wird auf dieses Bleiloth eine merkbare Wirkung 1 ausüben, so daß es das Ende der Basis genau auf dem Boden angeben wird.

– Ja, antwortete Mathieu Strux, unter der Bedingung jedoch, daß wir die halbe Stärke der Schnur beim Berührungspunkt in Anschlag bringen.

– So meine ich es auch«, erwiderte der Oberst Everest.

Nachdem der Ausgangspunkt genau bestimmt war, setzte man die Arbeit fort. Doch genügte es nicht, das Richtscheit genau auf die gerade gerichtete Linie der Basis zu legen, man mußte noch seine Neigung in Beziehung auf den Horizont in Rechnung bringen.

»Ich denke, sagte der Oberst Everest, wir maßen uns nicht an, dieses Richtscheit in eine vollkommen horizontale Lage zu bringen?

– Nein, antwortete Mathieu Strux, es genügt, den Winkel, welchen jedes Richtscheit mit dem Horizont bilden wird, mit einem Nivellirinstrument aufzunehmen, und dadurch können wir die gemessene Länge auf die wirkliche Länge zurückführen.«

Da die beiden Gelehrten einig waren, schritt man zur Aufnahme vermittelst eines zu diesem Zweck eigens construirten Nivellirinstruments, welches aus einem Diopterlineal bestand, das sich um ein, an der Spitze eines hölzernen Winkelmaßes angebrachtes Charnier bewegte. Ein Nonius zeigte die Neigung an durch das Zusammenfallen seiner Abtheilungen von fünf zu fünf Minuten mit denen eines feststehenden Richtscheites, das über einen Bogen von zehn Graden gelegt war.

Das Nivellirinstrument wurde auf dem Richtscheit angebracht und das Resultat untersucht. In dem Augenblick, wo Nicolaus Palander dasselbe, nachdem es durch die beiden Gelehrten geprüft worden, in sein Register eintragen wollte, verlangte Mathieu Strux, daß das Instrument von einem [58] Ende zum andern umgekehrt werde, damit man den Unterschied der beiden Bogen herauslesen könne. Dieser Unterschied betrug damals das Doppelte der gesuchten Neigung, und man fand so die Probe der Arbeit. Von jetzt ab befolgte man bei allen derartigen Verrichtungen den Rath des russischen Astronomen.

In diesem Augenblick wurden zwei wichtige Punkte beobachtet: die Richtung des Richtscheites im Verhältniß zur Basis, und der Winkel, welchen es in Beziehung auf den Horizont bildete.

Die Zahlen, welche diese Beobachtung ergab, wurden in zwei verschiedene Register eingetragen und am Rande von den Mitgliedern der englisch-russischen Commission unterzeichnet.

Es blieben noch zwei nicht weniger wichtige Beobachtungen zu machen übrig, um die auf das erste Richtscheit bezügliche Arbeit zu beenden: erstens seine thermometrische Veränderung, dann die genaue Abschätzung der von ihm gemessenen Länge.

Die thermometrische Veränderung ergab sich leicht durch die Vergleichung mit dem Unterschied der Länge zwischen dem Platina- und dem Kupfer-Richtscheit. Das Mikroskop, das nacheinander von Mathieu Strux und dem Oberst Everest beobachtet wurde, ergab die absolute Ziffer der Veränderung des Platina-Richtscheites, und dieselbe wurde in das doppelte Register eingetragen, so daß sie später auf die Temperatur von sechzehn hunderttheiligen Graden zurückgeführt werden konnte. Als Nicolaus Palander die erhaltenen Zahlen eingetragen, wurden sie sofort von Allen mit einander verglichen.

Es handelte sich nun darum, die wirklich gemessene Länge zu notiren. Um diese zu erhalten, war es nöthig, das zweite Richtscheit nach dem ersten, in einem kleinen Zwischenraum davon, auf das Holzstück zu legen.

Dies geschah wie beim ersten, nachdem man genau festgestellt hatte, ob die vier Eisenspitzen mit der Mitte des Zielpunktes genau in gleiche Linie fielen.

Es blieb nun nur noch übrig, den zwischen den beiden Richtscheiten gelassenen Zwischenraum auszumessen. Am äußersten Ende, und in dem von dem Kupfer-Richtscheit nicht bedeckten Theil des ersten, befand sich ein kleines Platinazüngelchen, welches sich leicht an zwei Seitenwänden rieb. Der Oberst Everest stieß dieses Züngelchen so weit vor, daß es das zweite Richtscheit berührte.

[59] Da besagtes Zünglein in Zehntausendstel einer Toise getheilt war, und ein mit seinem Mikroskop versehener Nonius, der auf einer der Seitenwände an gebracht worden, Hunderttausendstel angab, so konnte man mit mathematischer Gewißheit den absichtlich gelassenen Zwischenraum der beiden Richtscheite veranschlagen. Die Zahl wurde alsbald in das doppelte Register eingetragen und verglichen.

Auf den Rath Michael Zorn's gebrauchte man noch eine Vorsicht, um eine noch strengere Abschätzung zu erhalten. Das Kupfer-Richtscheit bedeckte das Platina-Richtscheit. Es konnte doch vorkommen, daß das geschützte Platina sich langsamer unter den Sonnenstrahlen erwärmte, als das Kupfer. Um diesem Unterschied in der thermometrischen Veränderung vorzubeugen, bedeckte man die Richtscheite mit einem einige Zoll hohen, kleinen Dache derart, daß die verschiedenen Beobachtungen dadurch nicht gestört wurden. Nur wenn Morgens oder Abends die Sonnenstrahlen schräg unter das Dach bis auf die Richtscheite drangen, hing man an der Sonnenseite eine Leinwand vor, um die Strahlen abzuhalten.

Dies waren die Operationen, welche mit so viel Geduld und Pünktlichkeit während eines Monates ausgeführt wurden.

Als die vier Richtscheite der Reihe nach gelegt und vom vierfachen Standpunkt der Direction, Inclination, Dilatation und effectiven Länge für richtig erkannt worden, begann man die Arbeit auf's Neue, indem man mit derselben Regelmäßigkeit die Sockel, die Gestelle und das erste Richtscheit an das vierte übertrug. Diese Manoeuvres erforderten viel Zeit, trotz der Geschicklichkeit der Operateure. Sie maßen nicht mehr als zweihundertzwanzig bis zweihundertdreißig Klafter täglich und manchmal, wenn das Wetter ungünstig oder der Wind zu heftig war und die Unbeweglichkeit der Apparate stören konnte, stellte man die Operation ein.

Jeden Tag, wann der Abend kam, ungefähr drei Viertel-Stunden, ehe der Mangel an Licht das Lesen des Nonius unmöglich machte, gaben die Gelehrten ihre Arbeit auf und gebrauchten folgende Vorsichtsmaßregeln, um sie am folgenden Morgen wieder zu beginnen. Das Richtscheit Numero 1 wurde auf provisorische Manier aufgestellt, und auf dem Erdboden der Endpunkt desselben markirt.

An diesem Punkt machte man ein Loch, in welches man einen Pfahl steckte, auf dem eine Bleiplatte befestigt war. Man brachte darauf das [60] Richtscheit Numero 1 wieder in seine bestimmte Lage, nachdem man die Neigung, die thermometrische Veränderung und die Richtung beobachtet hatte; man notirte die vermessene Verlängerung durch das Richtscheit Numero 4; dann vermittelst einer bleiernen Tangente, die am äußersten Ende des Richtscheites Numero 1 befestigt war, machte man ein Zeichen auf der Platte am Pfahl. Auf diesem Punkt wurden zwei sich durchschneidende rechte Winkel, der eine auf den Seiten der Basis, der andere lothrecht, sorgfältig gezogen. Darauf, nachdem die Bleiplatte mit einem Holzdeckel zugedeckt worden, stopfte man das Loch wieder zu und grub den Pfahl bis zum nächsten Tage ein. Am folgenden Morgen wurde die Platte aufgedeckt, und das erste Richtscheit in dieselbe Lage gebracht wie am vorhergehenden Tage, vermittelst der Bleiwage, dessen Spitze genau auf den von den zwei Linien gezogenen Punkt treffen mußte.

Dies war die Reihenfolge der Operationen, welche während 38 Tagen auf dieser so günstig nivellirten Ebene ausgeführt wurden. Alle Zahlen wurden doppelt eingeschrieben, beglaubigt, verglichen und von allen Mitgliedern der Commission unterzeichnet.

Zwischen dem Oberst Everest und seinem russischen Collegen fanden wenig Discussionen statt. Einige im Nonius gelesene Ziffern, welche die Vierhunderttausendstel Toisen angaben, verursachten zuweilen einen Austausch herber Worte. Da jedoch die Majorität angerufen wurde, deren Meinung Gesetz war, mußten sie sich derselben fügen.

Eine einzige Frage führte zwischen den beiden Rivalen Antworten herbei, welche die Vermittelung Sir John Murray's nöthig machten. Es war die Frage, welche Länge man der Basis des ersten Dreiecks geben solle. Es stand fest, daß, je länger die Basis wäre, desto leichter der Winkel, welcher die Spitze des ersten Dreiecks bildet, zu messen sein würde, da er größer war. Der Oberst Everest schlug eine 6000 Toisen lange Basis vor, welche fast gleich groß war, als die auf dem Wege von Melun direct gemessene. Mathieu Strux wollte dies Maß auf 10,000 ausdehnen, da das Terrain sich dazu eignete.

In dieser Frage zeigte sich der Oberst Everest unbeugsam. Mathieu Strux schien ebenfalls entschlossen, nicht nachzugeben. Nachdem mehr oder weniger plausible Beweisgründe beigebracht waren, mischten sich persönliche Bezüglichkeiten ein, und es drohte in einem Augenblick die Nationalitätsfrage dabei [61] in's Spiel zu kommen. Es standen sich nicht mehr zwei Gelehrte, sondern ein Engländer und ein Russe gegenüber. Glücklicherweise wurde diese Debatte in Folge schlechten Wetters, das mehrere Tage dauerte, vertagt; die Gemüther beruhigten sich und es wurde durch Stimmenmehrheit entschieden, daß die Basis definitiv auf 8000 Toisen ungefähr festgesetzt werden solle, was die Differenz zur Hälfte theilte.

Kurz, die Operation ging gut und mit größter Genauigkeit von Statten. Was die mathematische Strenge betraf, sollte dieselbe später controlirt werden, indem man eine neue Basis am nördlichsten Ende des Meridians ausmaß.

In Summa ergab diese direct gemessene Basis als Resultat 8037 und 75 Hundertstel Toisen; und auf sie wollte man die Reihenfolge der Dreiecke stützen, deren Netz Süd-Afrika auf einer Strecke von mehreren Graden bedecken sollte.

Fußnoten

1 Die Nähe eines Berges kann wirklich durch seine Anziehungskraft eine Abweichung in der Richtung der Schnur veranlassen. So hat eben die Nähe der Alpen eine ziemlich erhebliche Differenz zwischen der gemessenen und der beobachteten Länge des Bogens zwischen Andrate und Mondovi verursacht.

8. Capitel

Achtes Capitel.
Der vierundzwanzigste Meridian.

Die Messung der Basis hatte eine Arbeit von achtunddreißig Tagen erfordert. Am 6. März begonnen, war sie erst am 13. April beendet. Ohne einen Augenblick zu verlieren, entschlossen sich die Chefs der Expedition sofort, die Reihenfolge der Dreiecke in Angriff zu nehmen.

Zuerst mußte man den südlichen Breitepunkt aufnehmen, bei welchem der zu messende Meridianbogen beginnen sollte.

Das Gleiche mußte am nördlichen Endpunkt des Bogens geschehen, und der Breiteunterschied mußte die Anzahl der Grade des ausgemessenen Bogens ergeben.

Vom 14. April ab wurden die genauesten Beobachtungen zum Zweck der Breitebestimmung des Ortes angestellt. Schon hatten William Emery und Michael Zorn in den vorhergehenden Nächten, als die Basismessung eingestellt [62] gewesen, vermittelst einer Winkelmeßscheibe von Fortin zahlreiche Sternhöhen festgestellt. Diese jungen Leute hatten mit solcher Genauigkeit beobachtet, daß die äußerste Grenze der Abweichung nicht mehr als zwei Sechzigstel einer Secunde betrug, welche Abweichung wahrscheinlich durch die wechselnde Lichtstrahlenbrechung veranlaßt wurde, welche die veränderliche Gestalt der Luftschichten hervorbringt.

Von diesen so peinlich genau wiederholten Beobachtungen kann man hinreichend annähernd die Breite des südlichen Endpunktes des Bogens ableiten.

Diese Breite betrug in Decimalgraden 27,951.789.

Nachdem man also die Breite erhalten, berechnete man die Länge, und der Punkt wurde auf eine vorzügliche Karte von Süd-Afrika, die man auf einer großen Leiter aufgestellt hatte, übertragen. Diese Karte gab alle kürzlich auf diesem Theil des afrikanischen Festlandes gemachten geographischen Entdeckungen an, die Straßen der Reisenden oder Naturforscher, wie Livingstone, Anderson, Magyar, Baldwin, Vaillant, Burchell, Lichtenstein. Es handelte sich darum, auf dieser Karte den Meridian auszuwählen, von welchem man einen Bogen zwischen zwei, durch eine hinreichende Anzahl von Graden getrennten Stationen messen wollte. Man begreift in der That, daß je länger der gemessene Bogen ist, desto mehr der Einfluß möglicher Irrungen bei Feststellung der Breiten verringert wird. Derjenige, welcher sich von Dünkirchen bis Formentera erstreckt, umfaßte beinahe zehn Grad des Pariser Meridians, nämlich genau 9°56'.

Nun mußte bei der englisch-russischen Triangulation, die man vorzunehmen im Begriff stand, in der Wahl eines Meridians mit äußerster Behutsamkeit zu Werke gegangen werden. Man durfte sich nicht an natürlichen Hindernissen, wie unübersteigliche Berge, weite Wasserflächen, die den Fortschritt der Beobachtungen aufgehalten hätten, stoßen. Glücklicherweise schien dieser Theil Süd-Afrikas sich wunderbar für ein derartiges Unternehmen zu eignen.


Die jungen Leute hatten so gut gemessen ... (S. 63.)

Die Erhebungen des Bodens waren nur mäßig; über die wenig zahlreichen fließenden Gewässer war leicht hinaus zu kommen. Man konnte auf Gefahren, nicht aber auf Hindernisse stoßen.

Allerdings befindet sich auf diesem Theile Süd-Afrikas die Wüste Kalahari, eine weite Landstrecke, die vom Orangefluß bis an den Ngami-See, [63] zwischen dem zwanzigsten und neunundzwanzigsten Grad südlicher Breite, reicht. Ihre Ausdehnung in die Länge reicht vom Atlantischen Meer im Westen bis zu dem fünfundzwanzigsten Meridian östlich von Greenwich. Auf diesem Meridian reiste im Jahre 1849 der Doctor Livingstone der Ostgrenze der Wüste entlang, als er bis zu dem Ngami-See und den Wasserfällen des Zambesi vordrang. Was die Wüste selbst anbetrifft, verdient sie genau genommen diesen Namen nicht. Es sind nicht solche Ebenen, wie die der [64] Sahara, wie man zu glauben versucht wäre, Sandstrecken, aller Vegetation beraubt, welche man ihrer Unfruchtbarkeit wegen fast nicht durchreisen kann. In der Kalahari finden sich eine große Menge Producte aus der Pflanzenwelt, ihr Boden ist mit Gras im Ueberfluß bedeckt; sie besitzt dichtes Buschwerk und Wälder mit hohen Bäumen; zahlreiches Thierleben, Wildpret und reißende Thiere; sie wird von ansässigen oder umherziehenden Stämmen von Buschmännern und Bakalaharis bewohnt.


Die erste Winkelmessung. (S. 67.)

Aber den größten Theil des Jahres hindurch mangelt es an Wasser; die zahlreichen Flußbette, welche sie durchziehen, [65] sind dann ausgetrocknet, und die Trockenheit des Bodens ist das wirkliche Hinderniß der Erforschung dieses Theiles von Afrika. Doch war damals die Jahreszeit der Regengüsse kaum vorüber, und man konnte noch auf bedeutende Ueberreste stagnirenden Wassers rechnen, welches sich in Sümpfen, Teichen oder Bächen angesammelt hatte.

Dies war die Auskunft, welche der Jäger Mokum ertheilte. Er kannte die Kalahari, weil er sie oftmals durchzogen hatte, sei es als Jäger auf eigene Rechnung, sei es als Führer einer geographischen Expedition. Der Oberst Everest und Mathieu Strux waren über den Punkt einig, daß diese weite Landstrecke alle zu einer guten Triangulation günstigen Bedingungen darbiete.

Es blieb nur noch übrig, den Meridian auszuwählen, auf welchem man einen Bogen von mehreren Graden ausmessen sollte. Konnte dieser Meridian an einem der äußersten Enden der Basis genommen werden, so würde dadurch vermieden, diese Basis mit einem andern Punkt der Kalahari durch eine Reihe von Hilfsdreiecken zu verbinden. 1

[66] Dieser Umstand wurde sorgfältig geprüft, und nachdem man darüber berathen, erkannte man, daß das Südende der Basis als Ausgangspunkt dienen könne. Dieser Meridian war der vierundzwanzigste östlich von Greenwich: er zog auf einer Strecke von wenigstens sieben Graden hin, vom zwanzigsten bis zum siebenundzwanzigsten, ohne auf natürliche Hindernisse zu stoßen, wenigstens gab die Karte keine solche an. Nur im Norden durchschnitt er den Ngami-See in seinem östlichen Theil, doch war dies kein unüberwindliches Hinderniß, und Arago hatte viel größere Schwierigkeiten zu bestehen, als er seine geodätischen Arbeiten von der Küste Spaniens auf die Baleareninseln ausdehnte.

Es wurde also entschieden, daß der zu messende Bogen auf dem vierundzwanzigsten Meridian genommen werden solle, der bei seiner Fortsetzung in Europa es leicht machen würde, einen nördlichen Bogen sogar auf dem russischen Gebiet zu messen.

Die Operationen begannen sogleich und die Astronomen beschäftigten sich damit, die Station auszuwählen, wo die Spitze des ersten Dreiecks auslaufen sollte, welche als Basis die direct gemessene Basis erhalten sollte.

Die erste Station wurde rechts von der Mittagslinie gewählt. Es war ein einzelner, ungefähr zehn Meilen entfernt auf einer Erhöhung des Bodens stehender Baum. Er war vollkommen sichtbar, sowohl von dem südöstlichen als vom nordwestlichen Ende der Basis, auf welchen beiden Punkten der Oberst Everest zwei Flaggenstangen aufstellen ließ. Sein schlanker Gipfel machte es möglich, ihn mit größter Genauigkeit aufzunehmen.

Die Astronomen schritten zuerst zur Messung des Winkels, welchen dieser Baum mit dem Südostende der Basis bildete.

Dies geschah vermittelst einer Borda'schen Winkelmeßscheibe, welche für geodätische Beobachtungen geeignet ist. Die beiden Gläser des Instrumentes wurden so gestellt, daß ihre optischen Achsen genau in die Ebene der Scheibe [67] fielen; das eine visirte auf das Nordwestende der Basis, das andere auf den im Nordosten gewählten Baum. Ihre Entfernung von einander gab also die Winkel-Distanz der beiden Stationen an. Ich brauche nicht hinzuzufügen, daß dies bewundernswerthe, mit größter Vollkommenheit construirte Instrument den Beobachter in den Stand setzte, die Irrthümer bei der Beobachtung nach Belieben zu verringern. In der That bekommen bei der Repetitionsmethode diese Irrungen durch häufige Wiederholungen die Bestimmung, sich gegenseitig zu zerstören und aufzuheben. Was die Nonius, die Nivellirinstrumente, die Wasserwagen, welche das regelrechte Legen des Apparates zu sichern bestimmt waren, anbetraf, so ließen sie nichts zu wünschen übrig.

Die englisch-russische Commission besaß vier Winkelmeßscheiben. Zwei sollten zu den geodätischen Beobachtungen dienen, wie das Aufnehmen der Winkel, welche gemessen werden sollten. Die zwei andern, deren Scheiben sich in senkrechter Richtung befanden, machten es möglich, vermittelst künstlicher Horizonte Entfernungen vom Zenith zu erhalten, und demnach sogar in einer einzigen Nacht die Breite einer Station annähernd, bis auf einen kleinen Secundenbruch zu berechnen. Man mußte allerdings bei dieser großen Triangulation nicht allein den Werth der Winkel, welchen die geodätischen Dreiecke bildeten, erhalten, sondern auch von Zeit zu Zeit die Meridianhöhe der Sterne messen, welche gleich der Polhöhe jeder Station ist.

Die Arbeit wurde im Laufe des 14. April begonnen. Der Oberst Everest, Michael Zorn und Nicolaus Palander rechneten den Winkel aus, welchen das Südostende der Basis mit dem Baum bildete, während Mathieu Strux, William Emery und Sir John Murray sich an das Nordwestende begaben und den Winkel maßen, welchen dieser Endpunkt mit demselben Baum bildete.

Während dessen wurde das Lager aufgehoben, die Ochsen angespannt, und die Karawane zog unter Führung des Buschmanns nach der ersten Station, welche als Halteplatz dienen sollte. Zwei Kaamas und ihre Führer, welche zum Transport der Instrumente verwendet wurden, begleiteten die Beobachter.

Das Wetter war ziemlich klar und zur Operation geeignet. Es war außerdem beschlossen worden, daß, wenn die Atmosphäre die Aufnahme erschweren sollte, die Beobachtungen während der Nacht vermittelst Reverberen [68] oder elektrischer Lampen, mit welchen die Commission versehen war, ausgeführt werden sollten.

Während des ersten Tages, nachdem die beiden Winkel gemessen worden waren, trug man das Resultat der Messungen nach sorgfältiger Vergleichung in das doppelte Register ein. Als der Abend herankam, versammelten sich alle Astronomen mit der Karawane um den Baum, der als Zielpunkt gedient hatte.

Dies war ein ungeheurer Baobab, dessen Umfang mehr als achtzig Fuß betrug. Seine syenitsarbige Rinde gab ihm ein eigenthümliches Aussehen. Unter dem unendlich großen Blätterdach dieses Riesenbaumes, welches mit einer Menge Eichkätzchen bevölkert war, die seine eiförmigen Früchte voll weißen Markes naschten, konnte die ganze Karawane Platz finden, und die Mahlzeit der Europäer wurde vom Schiffskoch zubereitet, dem es nicht an Wildpret mangelte. Die Jäger der Truppe hatten die Umgegend abgejagt und eine Anzahl Antilopen geschossen. Bald erfüllte der angenehme Bratenduft die Atmosphäre und reizte den Appetit der Astronomen, der keiner besondern Anregung bedurfte.

Nach dieser stärkenden Mahlzeit zogen sich die Astronomen in ihre Wagen zurück, während Mokum Schildwachen am Rande der Lagerstätte aufstellte.

Große Feuer wurden die ganze Nacht hindurch mit den abgestorbenen Aesten des Baobab unterhalten, um die reißenden Thiere, welche der Duft des blutigen Fleisches herbeizog, in gehöriger Entfernung zu halten.

Nach zweistündigem Schlummer standen jedoch William Emery und Michael Zorn wieder auf. Ihre Aufgabe als Beobachter war noch nicht beendet. Sie wollten die Breite dieser Station durch Beobachtung der Sternhöhe berechnen. Beide stellten sich, ungeachtet der Anstrengungen des Tages, an die Gläser ihrer Instrumente, und während das Lachen der Hyänen und das Brüllen der Löwen in der dunkeln Ebene widerhallte, stellten sie auf's Genaueste die Veränderung des Zeniths fest, welche derselbe während des Uebergangs von der ersten zur zweiten Station erlitten hatte.

[69]

Fußnoten

1 Um den Lesern, welche nicht hinlänglich mit der Geometrie vertraut sind, die geodätische Operation, welche man Triangulation nennt, leichter verständlich zu machen, fügen wir hier eine Figur bei, mit deren Hilfe die merkwürdige Arbeit leicht zu begreifen ist.

AB bezeichnet den Bogen, dessen Länge gemessen werden soll. Man mißt zuerst mit größter Sorgfalt eine Basis AC, welche vom Ende A des Meridians nach einer ersten Station, C, führt. Hierauf wählt man auf beiden Seiten des Meridians andere Stationen D, E, F, G, H, I, K ..., von deren jeder man die benachbarten sehen kann, und man mißt mit dem Theodolit die Winkel jedes der Dreiecke ACD, CDE, EDF etc. Durch diese erste Operation ist man im Stande, diese verschiedenen Dreiecke zu erkennen; denn im ersten kennt man AC und die Winkel, und die Seite CD läßt sich berechnen; im zweiten kennt man CD und die Winkel, und man kann die Seite DE berechnen; im dritten kennt man DE und die Winkel, und man kann die Seite EF berechnen, und so weiter die andern. Sodann bestimmt man bei A die Richtung des Meridians durch das gewöhnliche Verfahren, und mißt den Winkel MAC, welchen diese Richtung mit der Basis AC macht. Man kennt also im Dreieck ACM die Seite AC und die anliegenden Winkel, und so kann man das erste Stück des Meridians AM berechnen. Man berechnet zugleich den Winkel M und die Seite CM: man kennt also im Dreieck MDN die Seite DM = CD–CM und die anstoßenden Winkel, und man kann das zweite Stück des Meridians MN berechnen, sowie den Winkel N und die Seite DN. Man kennt also im Dreieck NEP die Seite EN = DE–DN und die anliegenden Winkel, und man kann das dritte StückNP des Meridians berechnen, und so weiter. Man begreift, daß man auf diese Weise Stück für Stück den ganzen Bogen AB bestimmen kann.

9. Capitel

Neuntes Capitel.
Ein Kraal.

Am folgenden Tage, dem 25. April, wurden die geodätischen Arbeiten ohne Unterbrechung fortgesetzt. Der Winkel, welchen die Station des Baobab mit den beiden Endpunkten der durch die Fahnenstangen angezeigten Basis machte, wurde genau gemessen. Durch diese neue Aufnahme gelangte man zur Controle des ersten Dreiecks.

Hierauf wurden zwei andere Stationen, rechts und links von dem Meridian, gewählt 1, die eine durch einen sehr bemerkbaren Hügel sechs Meilen weiter in der Ebene gebildet, die andere in einer Entfernung von etwa sieben Meilen vermittelst einer Signalstange abgesteckt.

Die Dreieck-Messung wurde so ohne Hinderniß einen Monat hindurch fortgesetzt. Am 15. Mai waren die Beobachter einen Grad nach Norden vorwärts gekommen, nachdem sie sieben Dreiecke geodätisch construirt hatten.

Der Oberst Everest und Mathieu Strux waren während dieser ersten Reihe von Operationen wenig mit einander in Berührung gekommen. Wir haben gesehen, daß bei der Vertheilung der Arbeit und selbst in Hinsicht der Controle der Messungen die beiden Gelehrten verschiedener Ansicht waren. Sie arbeiteten täglich an mehreren Meilen von einander entfernten Stationen, und diese Entfernung enthielt eine Sicherung gegen jeden Streit der Eifersucht. Wenn der Abend kam, ging jeder in's Lager zurück und begab sich in seine besondere Wohnung. Zwar entstanden zu wiederholten Malen Streitfragen über die Wahl der Stationen, welche gemeinschaftlich getroffen werden mußte; doch führten sie kein ernstliches Zerwürfniß herbei. Michael Zorn und sein Freund Emery durften demnach hoffen, daß, Dank der Absonderung der beiden Rivalen, die geodätischen Operationen ohne bedauernswerthe Zwischenfälle fortgesetzt werden würden.

Am 15. Mai, nachdem, wie gesagt, die Beobachter vom Südpunkt des Meridians aus einen Grad vorwärts gekommen waren, befanden sie sich auf [70] der Breite von Lattaku. Das afrikanische Dorf lag fünfunddreißig Meilen östlich von ihrer Station.

Ein großer Kraal war neuerdings an diesem Ort entstanden. Es war ein sehr gelegener Haltepunkt, und auf Vorschlag Sir John Murray's beschloß man, daß die Expedition dort einige Tage ausruhen solle. Michael Zorn und William Emery sollten die Zeit benutzen, um Sonnenhöhen aufzunehmen. Während dieses Haltes sollte sich Nicolaus Palander damit beschäftigen, Reductionen in den Messungen für die Niveaudifferenzen der Zielpunkte zu machen, so, daß man alle diese Messungen auf das Niveau des Meeres zurückführen könne. Sir John Murray wollte sich von seinen wissenschaftlichen Anstrengungen erholen, und durch Büchsenschüsse die Fauna dieser Gegend studiren.

Die Eingeborenen Süd-Afrikas nennen »Kraal« eine Art wandernden Dorfes, das von einem Weideplatz zum andern weiter verlegt wird. Es ist ein umschlossener Raum, der aus ungefähr dreißig Wohnungen besteht und von mehreren hundert Einwohnern bevölkert wird.

Der Kraal, zu welchem die englisch-russische Commission gekommen war, bildete eine ansehnliche Menge von Hütten, welche an den Ufern eines Zuflusses des Korana kreisförmig gruppirt waren. Diese Hütten waren aus Matten auf Holzpfählen errichtet, dichten, undurchdringlichen Binsenmatten. Sie sahen aus wie niedrige Bienenkörbe, deren Eingang ein Fell so enge verschloß, daß, wer hinein oder heraus wollte, auf den Knieen zu kriechen genöthigt war. Durch diese einzige Oeffnung drangen dichte Wolken beißenden Rauches vom Heerde heraus, welcher die Wohnbarkeit dieser Hütten für jeden Andern, der nicht Buschmann oder Hottentotte war, sehr zweifelhaft machen mußte.

Bei der Ankunft der Karawane gerieth die ganze Bevölkerung in Bewegung. Die zur Bewachung an jeder Hütte angebundenen Hunde bellten wüthend. Die kriegerischen Männer des Dorfes, mit Wurfspießen, Messern und Keulen bewaffnet und durch ihr Lederschild geschützt, stellten sich vorne auf. Ihre Zahl, die sich auf zweihundert schätzen ließ, zeigte die Bedeutung des Kraals, der nicht weniger als sechzig bis achtzig Wohnstätten zählen mochte.


Unter'm Schutze der Flammen. (S. 69).

Diese Hütten waren zum Schutz gegen reißende Thiere von einer Palissadenhecke umgeben, die mit fünf bis sechs Fuß hohen stachlichten Aloën besetzt war.

[71] Indeß verschwand die kriegerische Stimmung schnell, sobald der Jäger Mokum dem Häuptling des Kraals einige Worte gesagt hatte. Die Karawane erhielt die Erlaubniß, neben den Palissaden, dicht am Ufer des Baches ihr Lager aufzuschlagen.


Im Akazienwalde. (S. 75.)

Die Buschmänner dachten gar nicht daran, derselben ihren Antheil an den Weideplätzen streitig zu machen, welche sich zu beiden Seiten mehrere Meilen weit erstreckten. Die Pferde, Ochsen und andern Vierfüßler der Expedition konnten sich dort reichlich ernähren, ohne dem Dorfe den geringsten Nachtheil zuzufügen. Alsbald wurde das Lager unter Anleitung [72] und Befehl des Buschmanns nach hergebrachter Weise errichtet. Die Wagen gruppirten sich im Kreise herum, und Jedermann lag seinen eigenen Beschäftigungen ob.

Sir John Murray ließ darauf seine Gefährten bei ihren Berechnungen und wissenschaftlichen Beobachtungen und zog, ohne einen Augenblick zu verlieren, in Begleitung Mokum's aus. Der englische Jäger ritt sein gewöhnliches Pferd, und Mokum sein zahmes Zebra. Drei Hunde umsprangen sie. [73] Sir John Murray und Mokum trugen jeder einen Jagdcarabiner mit. Explosionskugeln, was ihre Absicht anzeigte, das Hochwild der Gegend anzugreifen.

Die beiden Jäger nahmen ihre Richtung nordöstlich, einer waldigen, einige Meilen vom Kraal entfernten Gegend zu. Sie ritten plaudernd nebeneinander her.

»Ich hoffe, Meister Mokum, sagte Sir John Murray, daß Sie hier Ihr Versprechen, welches Sie mir an den Morgheda-Fällen gaben, halten und mich in die wildreichste Gegend der Welt führen werden. Doch wissen Sie wohl, daß ich nicht nach Süd-Afrika gekommen bin, um Hafen zu schießen oder Füchse zu hetzen. Das haben wir in unseren schottischen Hochlanden. Ehe eine Stunde vergeht, will ich erlegt ...

– Ehe eine Stunde vergangen! antwortete der Buschmann. Ew. Gnaden erlauben mir, Ihnen zu sagen, daß dies ein wenig schnell gehen heißt, und daß es vor allen Dingen der Geduld bedarf. Ich selbst bin nur auf der Jagd geduldig, und unter diesen Verhältnissen mache ich die Ungeduld meines ganzen übrigen Lebens wieder gut. Wissen Sie denn nicht, Sir John, daß die Jagd auf Hochwild eine förmliche Wissenschaft ist, daß man sorgfältig das Land und die Gewohnheiten der Thiere kennen, ihre Wege ausstudiren, sie stundenlang umgehen muß, um sich ihnen unter dem Winde zu nähern? Wissen Sie, daß man sich weder einen Schrei zur unrechten Zeit, noch einen geräuschvollen falschen Schritt, noch einen unvorsichtigen Blick erlauben darf? Ich bin ganze Tage einem Büffel oder Gemsbock auf der Lauer gewesen, und wenn ich nach sechsunddreißig Stunden der List und Geduld das Thier erlegt hatte, hielt ich meine Zeit nicht für verloren.

– Sehr gut, mein Freund, erwiderte Sir John Murray, ich werde soviel Geduld, als Sie verlangen, zeigen, doch vergessen Sie nicht, daß wir uns hier nur drei oder vier Tage aufhalten, und daß wir weder eine Stunde noch eine Minute verlieren dürfen.

– Das ist zu berücksichtigen, antwortete der Buschmann in so ruhigem Tone, daß William Emery seinen Reisegefährten vom Orangefluß nicht wiedererkannt hätte. Wir werden tödten, was uns in den Weg kommt, ohne lange zu wählen. Antilope oder Hirsch, Gnu oder Gazelle, Alles wird für so eilige Jäger gut sein!

– Antilope oder Gazelle! rief Sir John Murray aus, ich verlange nicht [74] einmal so viel für meinen ersten Schuß auf afrikanischem Boden. Aber was hoffen Sie denn, mir bieten zu können, Buschmann?«

Der Jäger sah seinen Gefährten mit befremdlicher Miene an und antwortete dann in ironischem Tone:

»In dem Augenblicke, wo Ew. Herrlichkeit sich zufrieden erklärt, habe ich nichts weiter zu sagen. Ich glaubte, daß Sie mich wenigstens zu einem Paar Rhinoceros oder Elephanten verpflichtet hielten! ...

– Jäger, antwortete Sir John Murray, ich werde hingehen, wohin Sie mich führen. Ich werde tödten, was Sie mir sagen. Also, vorwärts! und verlieren wir keine Zeit mehr mit unnützen Worten.«

Die Pferde wurden in Galop gesetzt, und die beiden Reiter näherten sich schnell dem Walde.

Die Ebene, durch welche sie ritten, erhob sich in sanftem Aufsteigen nordöstlich. Sie war hier und da mit unzähligen reich blühenden Gebüschen bedeckt, aus welchen ein klebriges, durchsichtiges und wohlriechendes Harz floß, woraus die Colonisten einen Wunderbalsam bereiten. In malerischen Gruppen standen »nwanas«, eine Art Sykomoren-Feigenbäume, deren Stamm, bis zur Höhe von dreißig bis vierzig Fuß nackt, einen großen Blätterschirm trägt. In diesem dichten Laubwerk kreischte eine unzählige Menge Papageien, die sehr emsig die säuerlichen Früchte des Baumes verspeisten. Weiterhin standen Mimosen mit gelben Trauben, »Silberbäume«, die ihr dichtes, seidenartiges Laub schüttelten, Aloes mit langen, grellrothen Stacheln, welche man für dem Grunde des Meeres entrissene baumartige Korallen hätte halten können. Der Erdboden, mit reizenden, bläulich schimmernden Amaryllis besäet, war dem schnellen Lauf der Pferde günstig. In weniger als einer Stunde, nachdem sie den Kraal verlassen, kamen Sir John Murray und Mokum am Saume des Waldes an. Es war ein Hochwald von Akazien, der einen Raum von mehreren Quadratmeilen einnahm. Diese unzähligen regellos gepflanzten Bäume schlangen ihr Gezweig in einander und ließen die Sonnenstrahlen nicht auf den von Dornen und langem Gras bedeckten Boden dringen. Das Zebra Mokum's und das Pferd Sir John Murray's zögerten nicht, sich unter diese dichte Wölbung zu wagen, und brachen sich durch die unregelmäßig stehenden Baumstämme einen Weg. Hier und dort zeigten sich mitten im Waldschlag einige große Lichtungen, und die Jäger hielten hier an, um das angrenzende dichte Gebüsch zu beobachten. Man muß gestehen, daß dieser [75] erste Tag Seiner Herrlichkeit nicht günstig war. Vergebens durchstreifte er und sein Gefährte einen großen Theil des Waldes. Kein Probestück der afrikanischen Fauna ließ sich aufstören, um sie zu empfangen, und Sir John dachte mehr als ein Mal an seine schottischen Ebenen, auf welchen ein Flintenschuß nicht auf sich warten ließ. Vielleicht hatte die Nachbarschaft des Kraals dazu beigetragen, das mißtrauische Wild zu verscheuchen. Mokum indeß zeigte weder Ueberraschung noch Aerger. Für ihn war dies keine Jagd, sondern ein schneller Ritt durch den Wald.

Gegen sieben Uhr Abends mußte man an die Rückkehr in's Lager denken. Sir John Murray war sehr ärgerlich, ohne es gestehen zu wollen: ein ausgedienter Jäger unverrichteter Sache zurückkehren! Niemals! Er nahm sich deshalb vor, auf das erste, beste Thier zu schießen, Vogel oder Vierfüßler, Roth- oder Hochwild, welches in Schußweite kommen würde.

Das Schicksal schien ihn zu begünstigen. Die beiden Jäger waren nur noch drei Meilen vom Kraal entfernt, als ein Hase afrikanischer Race hundertundfünfzig Schritt vor Sir John in einem Busch aufsprang. Sir John sandte ungesäumt dem unschädlichen Thiere eine Kugel nach.

Der Buschmann schrie vor Unwillen laut auf. Eine Kugel für einen einfachen Hafen, den man mit Schrot hätte schießen können. Doch der englische Jäger hielt auf sein Nagethier und ritt im Galop nach der Stelle, wo das Thier hätte stürzen müssen.

Vergeblicher Ritt! Von dem Hafen keine Spur, ein wenig Blut, doch kein Haar auf dem Boden. Sir John durchsuchte die Büsche und das dichte Gras. Die Hunde durchschnupperten vergeblich das Gesträuch.

»Ich habe ihn doch getroffen! rief Sir John Murray aus.

– Nur zu sehr getroffen! erwiderte ruhig der Buschmann. Wenn man einen Hafen mit einer Explosionskugel schießt, wäre es zu verwundern, wenn man noch ein kleines Theil von ihm fände.«

Und in der That war der Hase in unfaßbare Stückchen zerstoben! Se. Herrlichkeit stieg höchst ärgerlich wieder zu Pferd und erreichte, ohne ein Wort weiter zu reden, das Lager.

Am folgenden Morgen erwartete der Jäger, daß Sir John Murray ihm neue Jagdvorschläge machen würde. Doch vermied der in seiner Eigenliebe stark angegriffene Engländer eine Begegnung mit Mokum. Er schien jeden Jagdgedanken aufgegeben zu haben, und beschäftigte sich damit, Instrumente [76] nachzusehen und Beobachtungen zu machen. Dann zur Erholung besuchte er den Kraal der Buschmänner und sah zu, wie die Männer sich im Bogenschießen übten oder auf der »Gorah« spielten, ein Instrument, welches aus einem mit einer Sehne bespannten Bogen besteht, welchem der Künstler Töne entlockt, indem er durch eine Straußfeder haucht. Während dessen beschäftigten sich die Frauen mit den Hausarbeiten und rauchten dabei den »Matokuané«, d.h. die ungesunde Hanfpflanze, ein Vergnügen, das bei der größten Zahl der Eingeborenen verbreitet ist. In Folge der Beobachtung einzelner Reisender vermehrt das Einathmen des Hanfrauches die physische Kraft auf Kosten der moralischen Energie. Und wirklich schienen mehrere dieser Buschmänner wie blödsinnig durch die Trunkenheit des Matokuané.

Am folgenden Morgen, dem 17. Mai, bei Tagesanbruch wurde Sir John Murray durch die einfache, in sein Ohr geflüsterte Phrase geweckt:

»Ich glaube, Ew. Herrlichkeit, daß wir heute glücklicher sein werden. Doch lassen Sie uns nicht mehr Hafen mit Berghaubitzen schießen!«

Sir John Murray ließ sich durch diese ironische Mahnung nicht irre machen und erklärte sich zum Aufbruch bereit. Die beiden Jäger entfernten sich einige Meilen links vom Lager, ehe noch ihre Gefährten munter waren.

Sir John trug diesmal eine einfache Flinte, eine wunderbar schöne Waffe von F. Goldwin, und für eine einfache Hirsch- oder Antilopen-Jagd besser geeignet als der schreckliche Carabiner. Man konnte allerdings in der Ebene auf Dickhäuter und Raubthiere treffen, doch hatte Sir John zwar noch die »Explosion« des Hafen auf dem Herzen und er hätte es vorgezogen, lieber auf einen Löwen mit Schrot zu schießen, als nochmals solchen in den Annalen des Sport nie dagewesenen Schuß zu thun.

Wie Mokum vorausgesagt, das Glück war an diesem Tage den beiden Jägern günstig. Sie erlegten ein paar Harrisböcke, eine Art schwarzer Antilopen, die selten und schwer zu tödten sind. Es waren wunderschöne, vier Fuß hohe Thiere, mit auseinander stehenden, säbelförmigen Hörnern, dünnem, an den Seiten zusammengedrücktem Maul, schwarzem Huf, dichtem, weichem Haar und kleinen, spitzen Ohren. Ihr schneeweißer Bauch und Kopf stachen von der schwarzen Haarfarbe des Rückens mit wallender Mähne auffallend ab. Ein Jäger konnte stolz auf solchen Schuß sein, denn der Harrisbock ist auch eine der bewundernswerthesten Species der südlichen Thierwelt.

[77] Was aber dem englischen Jäger das Herz pochen machte, waren gewisse Spuren, welche ihm der Jäger am Saume eines dichten Gehölzes, nicht weit von einem großen, tiefen Sumpfe zeigte, der von riesigen Euphorbien umgeben, und dessen Oberfläche ganz mit himmelblauen Wasserlilien besäet war.

»Herr, sagte Mokum, wenn Sie morgen in den ersten Tagesstunden hier auf diese Stelle auf den Anstand kommen wollen, würde ich Ihnen rathen, diesmal nicht den Carabiner zu vergessen.

– Was veranlaßt Sie zu dieser Aeußerung, Mokum, fragte Sir John Murray.

– Diese frische Fährte, welche Sie auf der feuchten Erde sehen.

– Wie? Diese breiten Fußspuren rühren von Thieren her? Dann müssen ja die Füße, welche sie machten, mehr als ein halbes Klafter im Umfang haben!

– Das beweist ganz einfach, antwortete der Buschmann, daß das Thier, welches dergleichen Spuren hinterläßt, wenigstens neun Fuß bis zur Höhe der Schulter mißt.

– Ein Elephant! rief Sir John aus.

– Ja, Ew. Herrlichkeit, und wenn ich mich nicht täusche, ein völlig ausgewachsener männlicher junger Elephant.

– Auf morgen also, Buschmann.

– Auf morgen, Ew. Herrlichkeit.«

Die beiden Jäger kehrten in's Lager zurück, die beiden Harrisböcke auf das Pferd Sir John Murray's geladen.

Diese schönen, so selten gefangenen Thiere riefen die Bewunderung der ganzen Karawane hervor. Alle beglückwünschten Sir John, mit Ausnahme vielleicht von Mathieu Strux, der, was Thiere anbetraf, kaum etwas anderes kannte, als den großen Bären, den Drachen, Centaurus, Pegasus und andere Gestirne der himmlischen Thierwelt. Am nächsten Morgen um vier Uhr erwarteten die beiden Jagdgefährten unbeweglich auf ihren Pferden, die Hunde zur Seite, inmitten eines dichten Gehölzes die Ankunft der Truppe Dickhäuter.

An neuen Spuren hatten sie erkannt, daß die Elephanten in ganzen Rudeln kamen, um aus dem Sumpf zu trinken. Beide waren mit gezogenen Carabinern und Explosionskugeln bewaffnet. Sie standen seit ungefähr einer halben Stunde unbeweglich und schweigsam auf dem Anstand, als sie fünfzig Schritt vom Sumpf eine dunkle Masse sich bewegen sahen.

[78] Sir John hatte seine Waffe ergriffen, aber der Buschmann hielt seine Hand zurück und bedeutete ihn mit einem Wink, seine Geduld zu mäßigen.

Bald erschienen große Schatten, und man hörte wie das Dickicht unter einem unwiderstehlichen Druck sich öffnete; das Holz krachte, das auf dem Boden zertretene Gezweig rasselte und lautes Schnaufen drang durch die Zweige. Es war die Elephantentruppe. Ein halbes Dutzend dieser riesigen Thiere, fast ebenso groß wie ihre indischen Gattungsverwandten, näherte sich langsam dem Sumpfe.

Das anbrechende Tageslicht setzte Sir John in Stand, diese gewaltigen Thiere zu bewundern. Einer von ihnen, ein Männchen von ungeheurer Größe, zog besonders seine Aufmerksamkeit auf sich. Seine breite, gewölbte Stirn dehnte sich zwischen großen Ohren aus, die bis zur Brust hinabhingen. Seine kolossalen Dimensionen erschienen in der Dämmerung noch größer.

Er streckte seinen Rüssel aus dem Dickicht empor und schlug mit seinen krummen Hauern gegen die Baumstämme, welche unter seinen Schlägen ächzten. Vielleicht ahnte das Thier eine nahe Gefahr.

Inzwischen sagte der Jäger dem Sir John Murray leise in's Ohr:

»Gefällt Ihnen dieser?«

Sir John bejahte es mit einem Wink.

»Gut, fügte Mokum hinzu, wir werden ihn von den übrigen trennen.«

In diesem Augenblick kamen die Elephanten am Rande des Sumpfes an. Ihre schwammigen Füße traten tief in den schlammigen Grund. Sie zogen das Wasser mit ihrem Rüssel ein und dies Wasser ließ, indem es in ihre breite Kehle sich ergoß, ein lautes Glucken hören. Das große Männchen, das ernstlich unruhig war, schaute um sich und athmete schnaufend die Luft ein, um jede verdächtige Ausströmung zu wittern.

Plötzlich ließ der Buschmann einen auffallenden Schrei hören. Seine drei Hunde sprangen sofort mit heftigem Bellen aus dem Gebüsch heraus und stürzten sich auf die Truppe Elephanten; zugleich sprang Mokum, der seinem Begleiter nur das einzige: »Bleiben Sie« zurief, mit seinem Zebra über das Gebüsch hinaus, um dem großen Elephanten den Rückzug abzuschneiden.


Von der Erde aufgelesen. (S. 82.)

Dies prächtige Thier suchte übrigens nicht einmal ihm durch die Flucht zu entkommen. Sir John, mit dem Finger auf dem Drücker seines Gewehrs, beobachtete ihn.

[79] Der Elephant schlug mit dem Rüssel gegen die Baumstämme und bewegte wüthend den Schwanz, ließ nicht mehr Unruhe, sondern Zorn erkennen.


Aussägen der Elephantenzähne. (S. 83.)

Bis dahin hatte er nur den Feind gewittert, in diesem Augenblick aber erblickte er ihn und stürzte sich auf ihn los.

Sir John Murray stand jetzt sechzig Schritt von dem Thiere. Er wartete, bis es auf vierzig Schritt näher gekommen, und dann ihm in die Seite zielend, gab er Feuer. Doch änderte eine Bewegung des Pferdes die [80] Richtung des Schusses, und die Kugel drang nur in das weiche Fleisch ein, ohne auf ein Hinderniß zu stoßen, welches genügt hätte, die Kugel platzen zu lassen.

Der Elephant rannte wüthend schneller, doch nicht sowohl im Galop, als in außerordentlich schnellem Gang. Doch hätte dieser schon ein Pferd überholen können.

Das Pferd Sir John's bäumte sich und warf sich aus dem Gebüsch, [81] ohne daß sein Herr es zurückhalten konnte. Der Elephant verfolgte es, spitzte die Ohren und stieß aus seinem Rüssel einen trompetenartigen Ton aus. Der Jäger, von seinem Pferde fortgerissen, klammerte sich mit kräftigen Beinen fest, während er eine Patrone in seinen Flintenlauf gleiten zu lassen suchte. Indessen gewann der Elephant einen Vorsprung, und bald waren Beide auf der Ebene außerhalb des Waldes.

Sir John spornte sein wild gewordenes Pferd blutig. Zwei der nebenher bellenden Hunde flohen athemlos. Der Elephant war nicht mehr zwei Längen hinter ihm; Sir John fühlte schon seinen schnaufenden Athem und hörte das Pfeifen des Rüssels, der in die Lüfte fuhr. In jedem Augenblick erwartete er von diesem lebendigen Lasso aus dem Sattel gehoben zu werden.

Plötzlich brach das Pferd mit den Hinterfüßen zusammen. Der Rüssel hatte es in's Kreuz getroffen. Das Thier wieherte vor Schmerz und machte einen Seitensprung. Dieser Satz rettete Sir John vor einem sichern Tode. Der von seiner eigenen Schnelligkeit fortgerissene Elephant flog darüber hinaus und sein Rüssel ergriff beim Hinstreifen am Boden einen der Hunde, welchen er in der Luft mit unbeschreiblicher Heftigkeit schüttelte.

Es blieb Sir John keine andere Rettung, als in den Wald zurückzureiten. Der Instinct seines Pferdes trug ihn dorthin, und bald setzte er mit staunenswerthem Schwung über den Saum des Gehölzes.

Der ihm überlegene Elephant hatte sich zu seiner Verfolgung in Bewegung gesetzt, schleuderte den unglücklichen Hund wider den Stamm einer Sykomore, so daß er ihm den Kopf zerschmetterte; dann stürzte er in den Wald hinein.

Das Pferd jagte in ein dichtes mit dornigen Lianen durchschlungenes Gebüsch und blieb stehen. Sir John, obgleich zersetzt und blutend, verlor nicht einen Moment seine Kaltblütigkeit; er drehte sich um, legte vorsichtig seinen Carabiner an und zielte durch das Lianennetz auf den Elephanten. Die Kugel traf auf einen Knochen, so daß sie explodirte. Das Thier schwankte und fast im selben Augenblick traf ihn ein vom Waldesrand her abgefeuerter zweiter Schuß in die linke Seite. Er fiel auf die Knie neben einem kleinen, halb im Gras versteckten Teiche. Dort fing er an, seine Wunden mit dem Wasser, welches er in den Rüssel einsog, mit kläglichem Geschrei zu waschen.

In diesem Moment erschien der Buschmann.

[82] »Er ist unser! er ist unser!« rief er aus.

Und wirklich war das ungeheure Thier tödtlich getroffen. Es jammerte kläglich, sein Athem ging pfeifend; sein Schwanz bewegte sich nur noch schwach, und sein Rüssel, die Blutlache, die sich um ihn gebildet hatte, aufsaugend, goß einen rothen Regen über das benachbarte Dickicht. Dann verließen es die Kräfte und es stürzte nieder, um sich nicht wieder zu erheben.

In diesem Augenblick trat Sir John Murray aus dem Dornengesirüpp hervor. Er war halbnackt, denn von seinen Jagdkleidern waren nur noch Fetzen übrig.

»Ein prachtvolles Thier, Buschmann, rief er aus, indem er den Cadaver des Elephanten untersuchte, ein prachtvolles Thier, aber ein wenig zu schwer für die Jagdtasche eines Jägers!

– Wohl, Ew. Herrlichkeit, erwiderte Mokum, wir wollen ihn auf dem Platze zerlegen und nur die ausgesuchtesten Stücke mit fortnehmen. Sehen Sie nur, mit welch' prächtigen Hauern ihn die Natur versehen hat! Sie wiegen wenigstens fünfundzwanzig Pfund jeder, und das Pfund Elfenbein zu fünf Shilling gerechnet, giebt schon eine hübsche Summe.«

Mit diesen Worten schritt der Jäger sofort zum Zerlegen des Thieres. Er hieb mit seinem Beil die Hauer ab, und begnügte sich damit, die Füße und den Rüssel loszutrennen, welches die besten Stücke sind, die er den Mitgliedern der Commission vorsetzen wollte.

Diese Operation erforderte einige Zeit, und er kam mit seinem Begleiter erst zu Mittag in's Lager zurück.

Dort ließ der Buschmann die Füße des riesigen Thieres nach afrikanischer Weise kochen, indem er sie in ein vermittelst weißglühender Kohlen gleich einem Backofen geheiztes Loch eingrub.

Es versteht sich, daß das Gericht sogar von dem gleichgiltigen Palander nach seinem richtigen Werthe geschätzt, und daß Sir John Murray von der ganzen gelehrten Truppe dafür beglückwünscht wurde.

[83]

Fußnoten

1 Siehe die Punkte F und E auf der Figur Seite 66.

10. Capitel

Zehntes Capitel.
Die Stromschnelle.

Während ihres Aufenthaltes am Kraal der Buschmänner waren sich der Oberst Everest und Mathieu Strux völlig fremd geblieben. Die Beobachtungen über die Breitegrade waren ohne ihre Hilfe gemacht worden. Da sie keine Ursache hatten, sich für den wissenschaftlichen Zweck zu sehen, sahen sie sich gar nicht. Am Abend vor dem Aufbruch hatte der Oberst Everest einfach seine Karte mit »p.p.c.« dem russischen Astronomen übersandt, und hatte von Mathieu Strux eine Karte mit derselben Formel erhalten.

Am 19. Mai hob die ganze Karawane das Lager auf und schlug den Weg nach Norden ein. Die an der Basis des achten Dreiecks anliegenden Winkel, dessen Spitze ein links von dem Meridian sechs Meilen entfernt richtig gewählter Absteckpfahl bildete, waren gemessen worden. Es handelte sich also nur noch darum, diese neue Station zu erreichen, um die geodätischen Operationen wieder vorzunehmen.

Vom 19. bis 29. Mai wurde die Gegend mit der Mittagslinie durch zwei neue Dreiecke verbunden. Man hatte alle Vorsichtsmaßregeln ergriffen, um mit mathematischer Genauigkeit zu verfahren. Die Operation ging nach Wunsch, und bis hierher waren die Schwierigkeiten nicht groß gewesen. Das Wetter war den Tagesbeobachtungen günstig und der Boden enthielt kein unübersteigliches Hinderniß. Vielleicht war er sogar durch seine Flachheit nicht ganz geeignet zur Ausmessung der Winkel. Er war wie eine grüne Wüste, von Bächen durchschnitten, welche zwischen Reihen von »Karreehout« flossen, eine Baumart, welche dem Laube nach der Weide ähnlich ist, und deren Zweige die Buschmänner zur Fertigung ihrer Bogen verwenden. Dies Terrain, bedeckt mit losgerissenen Felsblöcken, vermischt mit Thon, Sand und Eisensteinen, zeigte sich an einzelnen Stellen äußerst dürr. Es verschwand da jede Spur von Feuchtigkeit und es gediehen nur noch einige der fleischigen Pflanzenarten, die der größten Dürre widerstehen. Meilenweit bot diese Region keine Bodenerhöhung dar, die man als natürliche Station hätte wählen können. Man mußte also Signalpfähle oder zehn bis zwölf Meter hohe Fahnenstangen, die als Zielpunkt dienen konnten, aufpflanzen. Dies verursachte [84] einen beträchtlichen Zeitverlust, der die Vermessungsarbeit verzögerte. Hatte man die Beobachtung gemacht, so mußte die Stange ausgehoben und einige Meilen weiter gebracht werden, um dort wieder die Spitze eines neuen Dreieckes zu bilden. Doch machte sich die Sache im Ganzen ohne Schwierigkeit. Die Mannschaft der »Königin und Czar«, auf diese Art Arbeit eingeübt, entledigte sich leicht ihrer Aufgabe. Diese wohl instruirten Leute arbeiteten schnell und man hätte sie nur ihrer Gewandtheit halber loben müssen, wenn nicht nationale Eigenliebe oft Unfrieden unter sie gesäet hätte.

Und wirklich brachte die unverzeihliche Eifersucht, welche ihre Anführer, den Oberst Everest und Mathieu Strux, entzweite, zuweilen auch die Seeleute gegen einander in Aufregung. Michael Zorn und William Emery wandten all' ihre Weisheit und Klugheit an, um diese ärgerlichen Zwistigkeiten zu bekämpfen; doch gelang es ihnen nicht immer. Solche Streitigkeiten konnten bei den halbrohen Leuten in beklagenswerthe Thätlichkeiten ausarten. Der Oberst und der russische Gelehrte vermittelten dann wohl, doch machten sie die Dinge noch schlimmer, da jeder entschieden die Partei seiner Landsleute nahm, selbst dann, wenn diese Unrecht hatte. Von den Untergeordneten stieg die Zwietracht bis zu den Oberen, und »wuchs im Verhältniß der Masse«, wie Michael Zorn sagte. Zwei Monate nach der Abreise von Lattaku hatten nur noch die beiden jungen Leute das zum Erfolg des Unternehmens so nothwendige gute Einvernehmen bewahrt. Selbst Sir John Murray und Nicolaus Palander, so sehr sie, der eine von seinen Berechnungen, der andere von seinen Jagdabenteuern in Anspruch genommen waren, singen an, bei diesen Uneinigkeiten sich zu betheiligen. Kurz, eines Tages war der Streit so heftig, daß Mathieu Strux zum Oberst Everest sagen zu können glaubte:

»Nehmen Sie, mein Herr, einen weniger hohen Ton an zu Astronomen, welche dem Observatorium von Pulkowa angehören, dessen weitreichendes Fernrohr die Möglichkeit gewährt zu erkennen, daß die Uranusscheibe vollkommen kreisrund ist!«

Worauf der Oberst Everest erwiderte, daß man das Recht habe, noch einen viel höheren Ton anzuschlagen, wenn man die Ehre habe, dem Observatorium von Cambridge anzugehören, dessen weitreichendes Fernrohr es möglich gemacht habe, die Andromeda unter die unregelmäßigen Nebelsterne zu rechnen!

Dann trieb Mathieu Strux die Persönlichkeit so weit, daß er sagte, das [85] Fernrohr von Pulkowa mit seinem vierzehn Zoll großen Objectiv mache die Sterne dreizehnter Größe sichtbar, und der Oberst Everest antwortete nachdrücklich, daß das Objectiv des Fernrohres zu Cambridge vierzehn Zoll wie das seinige messe, und daß in der Nacht des 31. Januar 1862 es endlich den geheimnißvollen Trabanten entdeckt habe, welcher die Störungen im Lauf des Sirius verursacht.

Wenn Gelehrte dahin kommen, sich dergleichen persönliche Dinge zu sagen, begreift man wohl, daß keine Annäherung mehr möglich ist. Es stand also zu befürchten, daß die Zukunft der Vermessung bald durch diese unheilbare Eifersucht auf's Spiel gesetzt werden würde.

Glücklicherweise hatten die Streitigkeiten bisher wenigstens nur wissenschaftliche Gegenstände berührt. Manchmal hatte man sich über die mit der Winkelmeßscheibe oder mit dem Theodoliten aufgenommenen Messungen gestritten, doch hatte diese Debatte, weit entfernt zu schaden, nur desto größere Genauigkeit bei der Arbeit zur Folge. Die Wahl der Station hatte bisher noch keine Gelegenheit zur Uneinigkeit gegeben.

Am 30. Mai änderte sich das bis dahin klare und demzufolge den Beobachtungen günstige Wetter plötzlich. In jeder anderen Region hätte man sicher einen von Regengüssen begleiteten Sturm vorhersagen können. Der Himmel bedeckte sich mit drohenden Wolken, einzelne Blitze ohne Donner zuckten einen Augenblick durch die Dunstmassen. Doch trat eine Luftverdichtung in den oberen Schichten nicht ein, und der sehr trockene Erdboden empfing nicht einen Wassertropfen. Nur blieb der Himmel einige Tage umwölkt. Dieser unzeitige Nebel konnte die Operation nur hemmen. Die Zielpunkte waren auf eine Meile Entfernung nicht mehr sichtbar.

Da indessen die anglo-russische Commission keine Zeit verlieren wollte, entschloß man sich, leuchtende Signale zu errichten, um auch des Nachts operiren zu können. Nur mußte man auf Rath des Buschmanns im Interesse der Beobachtungen einige Vorsicht gebrauchen, da in der Nacht die reißenden Thiere durch den Schein der elektrischen Lampen angelockt, sich truppweise um die Stationen sammelten. Die Beobachter hörten dann das Kreischen des Schakals und das heisere Lachen der Hyäne, welches an das eigenthümliche Lachen betrunkener Neger erinnert.

Während der ersten nächtlichen Beobachtungen inmitten einer drohenden Umgebung erschrecklicher Thiere, da mitunter ein fürchterliches Brüllen die[86] Nähe eines Löwen verkündete, waren die Astronomen doch ein wenig bei ihrer Arbeit gestört. Die Messungen wurden, wenn auch nicht weniger genau, doch weniger schnell ausgeführt. Diese auf sie gerichteten flammenden, durch die dichte Finsterniß leuchtenden Augen waren doch den Gelehrten ein wenig unbequem. Unter solchen Umständen Distanzen vom Zenith der Reverberen und ihre Winkel-Distanzen aufzunehmen, erforderte eine außerordentliche Kaltblütigkeit und eine unerschütterliche Selbstbeherrschung. Doch fehlte es den Mitgliedern der Commission nicht an diesen Eigenschaften.

Nach einigen Tagen hatten sie ihre ganze Geistesgegenwart wiedergewonnen und arbeiteten mitten unter den reißenden Thieren ebenso ordentlich, als wenn sie in ihren Observatorien gewesen wären. Man stellte außerdem bei jeder Station einige mit Flinten bewaffnete Jäger auf, und eine Anzahl zu dreister Hyänen fielen unter den europäischen Kugeln. Ich brauche nicht anzuführen, daß Sir John Murray diese Art Vermessung »wundervoll« fand. Während sein Auge an das Glas des Fernrohrs geheftet war, hielt seine Hand seinen Coldring, und mehr als einmal that er zwischen zwei Zenith-Beobachtungen einen Schuß.

Die geodätischen Arbeiten wurden also durch die unfreundliche Witterung nicht unterbrochen. Ihre Genauigkeit litt in keiner Weise darunter, und die Meridianmessung schritt regelmäßig ununterbrochen nach Norden zu vor.

Kein erzählenswerther Vorfall ereignete sich bei den geodätischen Arbeiten vom 30. Mai bis 17. Juni. Neue Dreiecke wurden vermittelst künstlicher Stationen errichtet, und vor Ende des Monats, wenn nicht irgend ein Hinderniß der Natur den Fortschritt der Arbeiten aufhielt, konnten der Oberst Everest und Mathieu Strux darauf rechnen, mit der Messung eines neuen Grades vom vierundzwanzigsten Meridian fertig zu sein.

Am 17. Juni schnitt ein ziemlich breites Wasser, ein Nebenfluß des Orange, den Weg ab. Die Mitglieder der wissenschaftlichen Commission waren nicht verlegen, persönlich über denselben zu setzen, da sie ein Kautschukboot besaßen, das eben dazu bei Flüssen oder mittelgroßen Seen bestimmt war. Doch konnten die Wagen und das Material der Karawane nicht auf diese Weise passiren. Man mußte entweder aufwärts oder abwärts eine Furth im Strome suchen.


Die Seeleute setzen das Boot in Stand. (S. 90)

Es wurde also ungeachtet der Meinung von Mathieu Strux beschlossen, daß die Europäer, mit ihren Instrumenten versehen, über den Fluß setzten, [87] während die Karawane unter Mokum's Führung einige Meilen unterhalb durch eine Furth gehen solle, welche der Jäger zu kennen behauptete.

Der Nebenfluß des Orange hatte an dieser Stelle eine Breite von einer halben Meile.


Murray, der kaltblütige Schütz. (S. 92.)

Sein reißender Lauf, hier und dort durch Felsspitzen und im Schlamme festsitzende Baumstämme unter brochen, hatte für ein schwaches Fahrzeug doch eine gewisse Gefahr. Mathieu Strux äußerte in dieser Hinsicht auch einige Bemerkungen. Da er jedoch nicht vor einer Gefahr, [88] welcher seine Begleiter trotzten, zurückweichen wollte, unterwarf er sich der allgemeinen Meinung.

Nicolaus Palander nur sollte die übrige Expedition auf ihrem Umwege nach dem untern Lauf des Flusses begleiten. Nicht, daß der würdige Rechenmeister die geringste Furcht gehabt hätte! Er war viel zu sehr vertieft, um irgend eine Gefahr zu argwöhnen. Doch war seine Gegenwart bei den folgenden Operationen nicht unumgänglich nöthig, und er konnte ohne Nachtheil[89] seine Gefährten ein oder zwei Tage verlassen. Außerdem konnte das sehr kleine Boot nur eine beschränkte Anzahl Passagiere aufnehmen.

Es war also besser, nur einmal über die Stromschnelle zu setzen, und die Personen nebst Instrumenten und einigen Lebensmitteln mit einem Male an das andere Ufer zu bringen. Man brauchte erfahrene Bootsleute zur Führung des Kautschukbootes, deshalb trat Nicolaus Palander seinen Platz einem der Engländer von der »Königin und Czar« ab, welcher unter diesen Umständen nützlicher war, als der ehrenwerthe Astronom von Helsingfors.

Nachdem man ein Rendezvous nördlich von der Stromschnelle verabredet hatte, begann die Karawane unter Leitung des Jägers das linke Ufer hinab zu gehen. Bald waren die letzten Wagen in der Ferne verschwunden, und der Oberst Everest, Mathieu Strux, Emery, Zorn, Sir John Murray, zwei Matrosen und ein Buschmann, der sehr erfahren in der Flußschifffahrt war, blieben am Ufer des Nosub zurück.

So nannten die Eingeborenen dieses Wasser, welches in diesem Augenblick durch Bäche, die sich in der letzten Regenzeit gebildet hatten, stark angeschwollen war.

»Ein hübscher Strom, sagte Michael Zorn zu seinem Freunde William, während die Bootsleute das zum Ueberfahren bestimmte Fahrzeug herrichteten.

– Sehr hübsch, doch schwer zu passiren, antwortete Emery. Diese Stromschnellen sind Gewässer, die nur kurze Zeit zu leben haben, und die ihr Leben genießen! In einigen Wochen, mit der trockenen Jahreszeit, wird vielleicht nicht so viel davon übrig sein, um einer Karawane in seinem Bette den Durst zu stillen, und jetzt ist es ein reißender Strom, der fast nicht zu passiren ist. So rasch er fließt, so bald wird er versiegen. So, mein lieber Freund, ist das Naturgesetz im physischen und moralischen Leben. Wir haben aber jetzt keine Zeit zu verlieren. Das Boot ist bereit, und ich bin neugierig zu sehen, wie es sich auf der Stromschnelle benehmen wird.«

In wenig Minuten hatte man das Kautschukfahrzeug auseinander genommen, an sein inneres Gerüste befestigt und in's Wasser gelassen. Es erwartete die Reisenden unter einem in rothem Granitkern sanft absteigenden Uferabhang. An dieser Stelle, nach einer durch eine vorspringende Spitze erzeugten Wirbelbewegung, war das ruhige, sanft murmelnde Wasser mi Schlingpflanzen und Schilf umgeben.

[90] Die Einschiffung ging also leicht von Statten. Die Instrumente wurden im Boden des Kahnes auf ein Mooslager gelegt, damit sie keinen Stoß erlitten. Die Passagiere setzten sich so, daß sie die Bewegungen der beiden rudernden Matrosen nicht hinderten. Der Buschmann nahm hinten am Steuer seinen Platz.

Dieser Eingeborene war der »Forloper« der Karawane, d.h. der Mann, welcher den »Zug eröffnet.« Der Jäger hatte dies einem geschickten Manne anvertraut, der eine große Kenntniß der afrikanischen Stromschnellen besaß. Er verstand einige Worte Englisch, und empfahl den Reisenden während der Fahrt über den Nosub tiefes Stillschweigen an. Die Ankerkette wurde losgelassen und die Ruder hatten das Boot bald aus dem Wirbelwasser heraus gestoßen. Es begann den Einfluß der Strömung zu empfinden, welche hundert Ellen weiter zu einer Stromschnelle ward.

Die den beiden Matrosen vom Forloper gegebenen Befehle wurden pünktlich ausgeführt. Bald mußten sie die Ruder einziehen, um nicht auf einen halb unter dem Wasser versteckten Baumklotz zu stoßen, bald im Gegentheil kräftig einen durch eine Gegenströmung gebildeten Wasserwirbel überwinden. Dann, wenn die Strömung zu stark wurde, ließ man das leichte Boot im Wasserstrich dahingleiten.

Der Eingeborene wich so mit dem Steuer in der Hand, unbeweglichem Kopf, festen Auges den Gefahren der Ueberfahrt aus. Die Europäer beobachteten unruhig diese neue Lage. Sie fühlten sich mit unwiderstehlicher Macht von dieser tobenden Strömung mit fortgerissen. Der Oberst Everest und Mathieu Strux sahen sich einander an, ohne den Mund zu öffnen. Sir John Murray, mit seiner unzertrennlichen Büchse zwischen den Beinen, prüfte die zahlreichen Vögel, welche über der Wasserfläche streiften.

Die beiden jungen Astronomen bewunderten ohne Rückhalt und ohne Nebengedanken die Ufer, welche schon mit fabelhafter Geschwindigkeit vor ihnen zu fliehen schienen.

Bald hatte das schwache Fahrzeug die wirkliche Stromschnelle erreicht, die man schräg durchschneiden mußte, um an dem entgegengesetzten Ufer in ruhigeres Fahrwasser zu gelangen. Die Matrosen drückten auf ein Wort des Buschmanns stärker auf ihre Ruder, doch ungeachtet ihrer Anstrengungen nahm der Kahn, unwiderstehlich mit fortgerissen, eine dem Ufer parallele Richtung an und glitt abwärts. Das Steuer vermochte nichts mehr über [91] ihn, und selbst die Ruder konnten ihn nicht mehr auf den richtigen Weg bringen. Die Lage wurde sehr gefährlich, denn der Stoß an einen Felsen oder Baumstamm mußte unfehlbar das Boot umwerfen.

Die Passagiere fühlten die Gefahr, aber keiner sprach ein Wort.

Der Forloper stand halb aufgerichtet. Er beobachtete die Richtung, welche das Fahrzeug nahm, dessen Schnelligkeit er auf einem Wasser nicht hemmen konnte, welches durch seine eigene rasende Geschwindigkeit den Gebrauch des Steuers zunichte machte. Zweihundert Ellen vom Boot ragte eine Art kleiner Insel, eine gefährliche Anhäufung von Steinen und Bäumen aus dem Flußbett empor. Ihr auszuweichen war unmöglich und in einigen Augenblicken drohte das Boot sie zu erreichen und unzweifelhaft daran zu zerschellen.

In der That fand auch alsbald ein Stoß statt, doch weniger heftig, als man vermuthet hatte. Das Boot neigte sich und Wasser drang ein, doch konnten sich die Reisenden an ihrem Platz erhalten. Sie schauten vor sich ... der schwarze Felsblock, an den sie gestoßen, verließ seine Stelle und bewegte sich in dem tosenden Wasser.

Dieser Fels war ein ungeheuerlicher Hippopotamus, welchen die Strömung bis zur Insel mit fortgerissen hatte, und der es nicht wagte, gegen die Stromschnelle anzukämpfen, um ein oder das andere Ufer zu erreichen. Als er sich von dem Fahrzeug getroffen fühlte, erhob er den Kopf, und ihn horizontal schüttelnd, schaute er mit seinen kleinen dummen Augen um sich.

Der ungeheure Dickhäuter, 10 Fuß lang, mit harter, brauner und haarloser Haut, zeigte in seinem offenen Rachen außerordentlich entwickelte obere Vorder-und Augenzähne. Fast augenblicklich stürzte er auf das Boot, welches er wüthend und beißend mit seinen Zähnen zu zerreißen drohte.

Doch Sir John Murray war da, und seine Kaltblütigkeit hatte ihn nicht verlassen. Er legte ruhig seine Flinte an und seine Kugel traf das Thier dicht am Ohr. Das Flußpferd ließ nicht los und schüttelte das Boot wie der Hund einen Hasen. Die Büchse, sofort wieder geladen, traf das Thier abermals am Kopf. Der Schuß war tödtlich, denn die ganze Fleischmasse sank sofort nieder, nachdem sie in einer letzten Todesanstrengung das Boot von dem Inselchen abwärts gestoßen hatte.

Ehe die Reisenden noch zu sich gekommen, hatte das Fahrzeug, sich wie ein Kreisel drehend, die schräge Richtung der Stromschnelle eingeschlagen. [92] Ein Bogen, den der Fluß plötzlich machte, schnitt einige hundert Ellen unterhalb die Strömung des Nosub ab. Der Kahn trieb in zwanzig Secunden dort hin, wo ihn ein heftiger Stoß zum Halten brachte, und die Fahrenden sprangen gesund und munter auf den Uferdamm, nachdem sie einen Weg von zwei Meilen abwärts von ihrem Einschiffungsort gemacht hatten.

11. Capitel

Elftes Capitel.
Nicolaus Palander wiedergefunden.

Die geodätischen Arbeiten wurden wieder aufgenommen. Zwei Stationen, die man nächst der letzten Station diesseits des Flusses nach einander abgesteckt hatte, dienten zur Bildung eines neuen Dreiecks. Diese Operation geschah ohne Schwierigkeit, doch mußten die Astronomen vor den Schlangen, welche in dieser Gegend gefährlich sind, auf ihrer Hut sein. Es waren dies sehr giftige, zehn bis zwölf Fuß lange »Mambas«, deren Biß tödtlich ist.

Vier Tage nach der Fahrt über den Nosub, am 21. Juni, befand man sich mitten in einer waldigen Gegend. Aber das Gehölz, womit dasselbe bedeckt war, und das aus mittelgroßen Bäumen bestand, hinderte die Messungsarbeit nicht. An allen Punkten des Horizontes zeigten sich deutliche Bodenerhöhungen, mehrere Meilen von einander entfernt, welche zur Errichtung von Fahnenstangen und Reverberen geeignet waren; diese Gegend, eine tiefe Niederung unter dem allgemeinen Niveau, war dadurch feucht und fruchtbar. William Emery erkannte dort Tausende der hottentottischen Feigenbäume, deren säuerliche Früchte von den Buschmännern sehr geliebt werden. Die weit zwischen den Gehölzen hinziehenden Ebenen verbreiteten einen lieblichen Wohlgeruch, der von einer zahllosen Menge Zwiebelgewächsen herrührte, die den Zeitlosen ziemlich ähnlich sind. Eine gelbe, zwei und drei Zoll lange Frucht überragte diese Wurzeln und durchduftete die Luft balsamisch. Es war der »Kukumakranti« Süd-Afrikas, welchen die kleinen Eingeborenen sehr lecker finden. In dieser Region, in welcher die benachbarten Gewässer unmerklich [93] abwärts flossen, erschienen auch die Koloquintenfelder wieder, eingefaßt von jenen zahllosen Münzepflanzen, deren Verpflanzung nach England so vollständigen Erfolg gehabt hat.

Obgleich fruchtbar und großer Agriculturentwickelung günstig, schien diese besonders tropische Region wenig von Nomadenstämmen besucht. Man sah keine Spur von Eingeborenen. Kein Kraal, nicht einmal ein Lagerfeuer. Dennoch fehlte es nicht an Wasser und an manchen Stellen hatten sich Bäche, Sümpfe, ziemlich bedeutende Seen und zwei oder drei reißende Flüsse gebildet, die in die verschiedenen Nebenströme des Orange flossen.

An diesem Tage beschlossen die Gelehrten, hier Halt zu machen, um die Karawane zu erwarten. Die vom Jäger bestimmte Frist war demnächst abgelaufen, und wenn sich derselbe nicht in seiner Rechnung geirrt hatte, mußte er heut' noch ankommen, nachdem er die Furth unterhalb des Nosub passirt. Indeß verfloß der Tag, und kein Buschmann erschien. War die Expedition auf ein Hinderniß gestoßen, welches sie am Wiedereintreffen hinderte? Sir John Murray glaubte, daß, da der Nosub in dieser Zeit, wo es noch viel Wasserzufluß giebt, keine genügende Furth darbiete, der Jäger südlicher gegangen sei, um eine zum Uebersetzen geeignete Stelle zu suchen. Dieser Grund war in der That anzunehmen, da die Regengüsse in der letzten Jahreszeit sehr häufig gewesen waren und ungewöhnlich viel Wasser zugeführt hatten.

Die Astronomen warteten. Aber als der 22. Juni ebenfalls vorüber war, ohne daß einer von Mokum's Leuten erschienen, zeigte sich der Oberst Everest sehr unruhig. Er konnte seinen Weg nicht nach Norden fortsetzen, wenn ihm das Material der Expedition fehlte. Wenn sich nun diese Verzögerung in die Länge zog, so konnte das den Erfolg der Operationen gefährden.

Mathieu Strux bemerkte bei dieser Gelegenheit, es sei seine Meinung gewesen, die Karawane zu begleiten, nachdem man die letzte Station diesseits des Flusses mit den beiden jenseitigen geodätisch verbunden hatte; hätte man seinen Rath befolgt, so wäre die Expedition jetzt nicht in Verlegenheit gerathen; wenn das Schicksal der Triangulation durch diese Verzögerung auf's Spiel gesetzt würde, so falle die Verantwortlichkeit dafür auf die zurück, welche geglaubt hatten ... u.s.w.! In jedem Falle hätten die Russen ...

Der Oberst Everest protestirte, wie man sich denken kann, gegen diese Beschuldigungen seines Collegen, indem er daran erinnerte, daß man den Beschluß gemeinschaftlich gefaßt habe. Sir John Murray indeß vermittelte [94] und verlangte, daß diese Discussion, als vollständig überflüssig, sofort geschlossen würde, was geschehen sei, sei geschehen, und alle Klagen auf der Welt könnten nichts an der Lage der Dinge ändern. Man bestimmte nur noch, daß, wenn am nächsten Morgen die Buschmann-Karawane sich noch nicht bei den Europäern wieder eingefunden hätte, Michael Zorn und William Emery, die sich dazu erboten, sie unter der Führung des Forlopers in südwestlicher Richtung aufsuchen sollten. Während ihrer Abwesenheit sollten der Oberst Everest und seine Gefährten am Lagerplatz bleiben und ihre Rückkehr abwarten, um eine Entscheidung zu treffen.

Nachdem man hierüber einig geworden, hielten sich die beiden Rivalen während des übrigen Tages von einander entfernt. Sir John Murray verbrachte die Zeit damit, das benachbarte Gehölz zu durchstreifen. Doch kam ihm kein Wild vor. Was das Geflügel betrifft, so war er in Hinsicht auf die Eßbarkeit desselben nicht sehr glücklich. Dagegen hatte der Naturforscher, der oft in einem Jäger steckt, Grund zur Zufriedenheit. Zwei merkwürdige Species fielen unter sei nen Schüssen. Er brachte ein schönes Berghaselhuhn mit, dreizehn Zoll lang, kurzbeinig, mit dunkelgrauem Rücken, rothen Füßen und Schnabel, dessen zierliche Schwungfedern in's Braune spielten; ein schönes Exemplar der Familie der Tetraoniden, deren Typus das Rebhuhn ist. Der andere Vogel, welchen Sir John durch einen besonders geschickten Schuß erlegt hatte, gehörte den Raubthieren an. Es war eine besonders in Süd-Afrika einheimische Art Falken, mit rother Kehle und weißem Schwanz, und von besonderer Formenschönheit. Der Forloper nahm die zwei Vögel geschickt aus, so daß ihre Haut unbeschädigt aufgehoben werden konnte.

Die ersten Tagesstunden des 23. Juni waren schon verflossen, und die Karawane hatte noch kein Zeichen von sich gegeben. Die beiden jungen Leute waren im Begriff, sich auf den Weg zu machen, als entferntes Gebell einen Aufschub veranlaßte. Bald kam der Jäger Mokum in größter Eile auf seinem Zebra herbeigeritten, an der Ecke eines Aloëgehölzes links vom Lager.

Der Buschmann war der Karawane vorausgeritten und näherte sich schnell den Europäern.

»Kommen Sie doch, braver Jäger, rief Sir John Murray freudig aus. Wirklich verzweifelten wir an Ihrer Wiederkehr. Wissen Sie, ich würde mich nie haben trösten können, Sie nicht wiederzusehen! Es scheint, als ob das Wild mich flieht, wenn Sie mir nicht zur Seite sind. Kommen Sie [95] doch, damit wir Ihre Rückkehr durch ein gutes Glas unseres schottischen Whisky feiern!«

Auf diese wohlwollenden und freundschaftlichen Worte Sir John's antwortete Mokum nicht. Er betrachtete jeden der Europäer, zählte sie einen nach dem andern, und eine lebhafte Angst malte sich in seinen Zügen.

Der Oberst Everest bemerkte es sofort, trat zu dem Jäger, der soeben abgestiegen war, und fragte:

»Wen suchen Sie, Mokum?

– Herrn Palander, erwiderte der Buschmann.

– Ist er denn nicht bei Ihnen? fragte der Oberst Everest wiederholt.

– Er ist nicht mehr bei uns! antwortete Mokum; ich hoffte ihn an Ihrem Lagerplatze wiederzufinden! Er hat sich verirrt!«

Bei den letzten Worten des Buschmanns kam Mathieu Strux eilig heran.

»Nicolaus Palander verloren! rief er aus. Ein Gelehrter, den man Ihrer Sorge anvertraut hatte, ein Astronom, für den Sie verantwortlich waren und den Sie nicht zurückbringen! Wissen Sie denn, Jäger, daß Sie für seine Person stehen müssen, und daß es nicht genügt zu sagen: Herr Nicolaus Palander ist verloren!«

Diese Worte des russischen Astronomen beleidigten die Ohren des Jägers, der, da er sich nicht auf der Jagd befand, keinen Grund hatte, geduldig zu sein.

»He, he! Herr Astrolog aller Reussen, erwiderte er mit gereizter Stimme, wollen Sie nicht gefälligst Ihre Worte ein wenig mäßigen? Bin ich beauftragt, Ihren Gefährten zu hüten, der sich selbst nicht zu hüten weiß! Sie halten sich an mich, und Sie haben Unrecht damit, hören Sie? Wenn sich Herr Palander verloren hat, so ist das seine Schuld! Zwanzig Mal habe ich ihn angetroffen, wie er, in seine Ziffern vertieft, sich von unserer Karawane entfernt hatte, und zwanzig Mal habe ich ihn wieder zurückgebracht. Vorgestern aber, bei Anbruch der Nacht, ist er verschwunden, und ungeachtet meiner Nachforschungen habe ich ihn nicht wiederfinden können. Seien Sie geschickter, wenn Sie können, und da Sie so gut ein Fernrohr zu handhaben verstehen, legen Sie Ihr Auge daran und versuchen Sie Ihren Collegen zu entdecken!«

Der Buschmann würde ohne Zweifel in diesem Tone fortgefahren haben, zum großen Zorne des Mathieu Strux, der mit offenem Munde nicht ein [96] Wort anbringen konnte, wenn nicht Sir John Murray den jähzornigen Jäger beruhigt hätte. Zum Glück für den russischen Gelehrten wurde der Streit zwischen ihm und dem Buschmann hier abgebrochen. Doch warf sich Mathieu Strux dafür mit einer unbegründeten Beschuldigung auf den Oberst Everest, der sich dessen nicht versah.


Ein vertiefter Mathematiker. (S. 102.)

»Auf jeden Fall, sagte der Astronom von Pulkowa in trockenem Tone, beabsichtige ich nicht meinen unglücklichen Collegen in dieser Wüste zurückzulassen. [97] Was mich betrifft, werde ich alles Mögliche aufbieten, ihn wiederzufinden. Wenn Sir John Murray oder Herr William Emery verschwunden wären, würde der Oberst Everest vermuthlich nicht zögern, die geodätischen Arbeiten einzustellen, um seinen Landsleuten zu Hilfe zu kommen. Nun sehe ich nicht ein, warum man für einen russischen Gelehrten weniger thun solle, als für einen englischen!«

Der also aufgeforderte Oberst Everest konnte seine gewöhnliche Ruhe nicht länger beibehalten.

»Herr Mathieu Strux, rief er mit gekreuzten Armen und festem Blick auf seinen Gegner aus, ist es Ihr entschiedener Wille, mich ohne Grund zu beleidigen? Was halten Sie von uns Engländern? Haben wir Ihnen das Recht gegeben, an unsern Gefühlen in einer Humanitätsfrage zu zweifeln? Was läßt Sie voraussetzen, daß wir diesem unverständigen Rechner nicht zur Hilfe kommen wollen ...

– Mein Herr ... rief der Russe bei dieser Bezeichnung Nicolaus Palander's.

– Ja, unverständig, wiederholte der Oberst, indem er jede Silbe betonte, und um auf Sie zurückzuschleudern, was Sie soeben leichtsinnig aussprachen, will ich noch hinzufügen, daß, im Falle unsere Operationen durch dieses Ereigniß mißlängen, die Verantwortlichkeit dafür auf die Russen und nicht auf die Engländer fallen würde.

– Herr Oberst, schrie Mathieu Strux, dessen Augen Blitze schleuderten, Ihre Worte ...

– Meine Worte sind wohl erwogen, mein Herr, und da dies gesagt wurde, versteht es sich von selbst, daß bis zum Augenblick, in dem Ihr College wiedergefunden, jede Arbeit eingestellt wird. Sind Sie zum Aufbruch bereit?

– Ich war dazu bereit, ehe Sie nur ein Wort gesprochen«, antwortete Mathieu Strux grollend.

Hierauf gingen beide Gegner an ihren Wagen, denn die Karawane war soeben angekommen.

Sir John Murray, der den Oberst begleitete, konnte sich nicht enthalten, zu sagen:

»Es ist noch ein Glück, daß dieser unverständige Mensch nicht auch noch das doppelte Register der Messungen mitgenommen hat.

[98] – Das dachte ich auch«, erwiderte einfach der Oberst.

Die beiden Engländer befragten nun den Jäger Mokum. Dieser erzählte ihnen, Nicolaus Palander sei seit zwei Tagen verschwunden; man habe ihn zum letzten Mal zwölf Meilen weit vom Lagerplatz gesehen; er, Mokum, habe sofort nach seinem Verschwinden Nachforschungen angestellt, wodurch seine Ankunft verzögert wurde; da er ihn nicht gefunden, habe er sehen wollen, ob dieser »Rechenmeister« nicht vielleicht zufällig bei seinen Gefährten am Nosub sich eingefunden habe. Da dem nun nicht so sei, schlage er vor, die Nachsuchungen nordöstlich fortzusetzen, in dem waldigen Theil des Landes habe man keine Stunde zu verlieren, wenn man den Herrn Palander noch lebend antreffen wolle.

Man mußte sich in der That beeilen. Seit zwei Tagen irrte der russische Gelehrte auf's Geradewohl in einer Gegend umher, wo reißende Thiere so häufig streiften. Er war nicht der Mann, sich aus einer schwierigen Lage zu ziehen, da er immer nur in einer Zahlenwelt, nie in einer wirklichen gelebt hatte. Wo jeder Andere irgend eine Nahrung gefunden hätte, würde der arme Mann unvermeidlich Hungers sterben. Man mußte ihm unbedingt so schnell als möglich zur Hilfe eilen. Um ein Uhr verließen der Oberst Everest, Mathieu Strux, Sir John Murray und die beiden jungen Astronomen das Lager, vom Jäger geführt. Alle ritten rasche Pferde, sogar der russische Gelehrte hielt sich in komischer Weise krampfhaft an seinem Thiere fest und verwünschte innerlich den unglückseligen Palander, der ihm solche Frohnarbeit verursachte. Seine Begleiter, ernste und anständige Leute, wollten die erheiternden Stellungen, welche der Astronom von Pulkowa auf seinem Pferde annahm, das sehr lebhaft und empfindlich gegen den Zügel war, nicht bemerken.

Ehe er das Lager verließ, hatte Mokum den Foreloper gebeten, ihm seinen Hund zu leihen, ein schönes, kluges Thier und geschickter, vom Buschmann gut dressirter Spürhund. Dieses Thier, nachdem es einen Nicolaus Palander gehörigen Hut beschnüffelt hatte, sprang nach Nordosten zu, während sein Herr ihn durch ein besonderes Pfeifen antrieb. Die kleine Truppe folgte alsbald dem Hunde und verschwand am Saum eines dichten Gehölzes. Während des ganzen Tages folgten der Oberst und seine Begleiter dem hin-und herlaufenden Thiere, welches so scharfsinnig war, daß es vollkommen verstand, was man von ihm verlangte. Doch fehlten noch die Spuren des [99] verirrten Gelehrten, und keine Fährte konnte mit Sicherheit verfolgt werden. Der Hund schnupperte auf dem Boden herum, lief vorwärts, kam aber bald wieder zurück, ohne auf eine sichere Spur gestoßen zu sein. Ihrerseits versäumten die Gelehrten kein Mittel, ihre Gegenwart in dieser öden Gegend bemerkbar zu machen. Sie riefen, sie feuerten Flintenschüsse ab, wodurch sie hofften, von Nicolaus Palander gehört zu werden, so zerstreut und in sich versunken er auch sein mochte. So hatte man die Umgegend des Lagers in einem Umkreise von fünf Meilen durchstreift, als der Abend herankam und man die Nachforschungen einstellen mußte, um sie bei Tagesanbruch wieder aufzunehmen.

Während der Nacht suchten die Europäer ein Unterkommen unter einer Baumgruppe vor einem Holzfeuer, welches der Buschmann sorgsam unterhielt. Man hörte das Geheul wilder Thiere, deren Anwesenheit nicht geeignet war, sie über den Aufenthalt Nicolaus Palander's zu beruhigen. Konnte man noch hoffen, diesen Unglücklichen, erschöpft, verhungert, durch die Nachtkälte erstarrt, den Angriffen der in diesem Theil Afrikas so zahlreichen Hyänen ausgesetzt, zu retten! Dies beschäftigte sie Alle. Die Collegen des Unglücklichen verbrachten so lange Stunden Pläne bildend und Mittel suchend, um bis zu ihm zu gelangen. Die Engländer zeigten bei dieser Gelegenheit eine Hingebung, von der selbst Mathieu Strux gerührt werden mußte, er mochte wollen oder nicht. Todt oder lebend, beschloß man, müsse der russische Gelehrte wiedergefunden werden, und sollten auch die trigonometrischen Arbeiten in's Unendliche vertagt werden.

Endlich erschien der Tag, nach einer unendlich langen Nacht. Die Pferde wurden schnell aufgezäumt, und die Nachsuchungen in einem weiteren Umkreise wieder fortgesetzt. Der Hund lief voraus, und die kleine Truppe folgte seinen Spuren.

Nach Nordosten vordringend, kamen der Oberst Everest und seine Begleiter durch eine sehr feuchte Gegend.

Die strömenden Wasser, obgleich nicht bedeutend, vermehrten sich. Man konnte sie leicht durchwaten, mußte sich aber vor Krokodilen in Acht nehmen, von denen Sir John Murray hier die ersten Proben sah. Es waren große Reptilien, von denen einige wohl fünfundzwanzig bis dreißig Fuß maßen, fürchterlich gefräßige Thiere, denen man auf den Seen oder Flüssen schwer entfliehen konnte. Der Buschmann, der sich nicht damit aufhalten wollte, [100] gegen diese Saurier zu kämpfen, machte Umwege und hielt Sir John, der immer bereit war, ihnen eine Kugel zuzuschicken, zurück. Wenn sich eins dieser Ungethüme zwischen dem hohen Grase zeigte, rissen die Pferde im Galop aus und entzogen sich leicht der Verfolgung. Inmitten großer aus übervollen Bächen gebildeten Teiche sah man sie, zu Dutzenden mit dem Kopf über dem Wasser ragend, irgend eine Beute nach Art der Hunde verschlingen und mit ihren fürchterlichen Rachen in kleine Bissen zermalmen.

Die kleine Truppe setzte indeß, ohne große Hoffnung, ihre Nachsuchungen fort, bald in dichtem, schwer zu durchdringendem Gehölz, bald auf der Ebene mitten in einem unentwirrbaren Netz von Gewässern, untersuchte den Boden, die unbedeutendsten Spuren beachtend; hier einen in Mannshöhe abgebrochenen Zweig, dort ein Büschel kürzlich niedergetretenen Grases, weiterhin ein anderes halb verwischtes Zeichen, dessen Ursprung schon unkenntlich geworden. Nichts vermochte die Suchenden auf die Spur des unglücklichen Palander zu bringen.

In diesem Augenblick hatten sie sich ungefähr zehn Meilen nördlich vom Lagerplatze vorgewagt und wollten sich auf den Rath des Jägers südwestlich wenden, als der Hund plötzliche Zeichen von Unruhe gab. Er bellte und wedelte heftig mit dem Schweif; er entfernte sich einige Schritte mit der Nase auf dem Boden, die trockenen Gräser auf dem Fußpfade beschnüffelnd. Dann kam er auf dieselbe Stelle zurück, als ob eine besondere Ausströmung ihn fessele.

»Herr Oberst, rief der Buschmann aus, unser Hund spürt etwas! Ach, das kluge Thier! Es ist auf die Fährte des Wildes, – verzeihen Sie, des Gelehrten, dem wir nachjagen, gestoßen. Lassen wir ihn gewähren, lassen wir ihn!

– Ja, wiederholte Sir John Murray, er ist auf der Spur. Hören Sie nur dies Kläffen! Man möchte sagen, er spricht mit sich selbst, er sucht sich eine Meinung zu bilden. Ich gäbe fünfzig Pfund für ein solches Thier, wenn es uns an den Ort brächte, wo sich Nicolaus Palander aufhält.«

Mathieu Strux nahm die Art, wie man von seinem Landsmann sprach, nicht übel, das wichtigste war vor Allem, ihn aufzufinden. Jeder hielt sich bereit, der Spur des Hundes zu folgen, sobald dieser seines Weges sicher sei.

Dies dauerte nicht lange, und nach lautem Gebell sprang das Thier mit [101] einem Satz über ein Gebüsch und verschwand im Walde. Die Pferde konnten ihm nicht durch diese undurchdringliche Waldung folgen. Der Oberst Everest und seine Begleiter waren demnach genöthigt, das Gehölz zu umreiten und sich durch das Gebell des Hundes leiten zu lassen. Eine sichere Hoffnung belebte sie jetzt. Es war nicht zu bezweifeln, daß das Thier dem verirrten Gelehrten auf der Spur war, und verlor es diese nicht, so mußte es gerade auf sein Ziel loskommen. Eine Frage nur mußte man stellen: lebte Nicolaus Palander noch oder war er todt?

Es war elf Uhr Morgens. Ungefähr zwanzig Minuten lang ließ sich das Gebell, welches die Suchenden leitete, nicht mehr hören. War es die Entfernung oder war der Hund vom Wege abgekommen? Der Buschmann und Sir John, die voraus ritten, wurden sehr unruhig. Sie wußten nicht, nach welcher Richtung sie ihre Gefährten führen sollten, als das Bellen von Neuem ungefähr eine halbe Meile südwestlich, aber außerhalb des Waldes ertönte. Alsbald spornte man die Pferde nach dieser Seite zu an.

In einigen Sätzen hatte die Truppe eine sehr sumpfige Stelle im Boden erreicht. Man hörte den Hund deutlich, konnte ihn aber nicht sehen. Zwölf bis fünfzehn Fuß hohes Schilf bedeckte das Terrain. Die Reiter mußten absteigen, und nachdem sie ihre Pferde an einen Baum gebunden, glitten sie durch das Schilfrohr, immer dem Gebell des Hundes folgend. Bald hatten sie dies dichte und zum Vorwärtskommen sehr ungeeignete Netzwerk hinter sich. Ein weiter mit Wasser und Wasserpflanzen bedeckter Raum bot sich ihren Blicken dar. An der niedrigsten Stelle des Bodens erstreckt sich ein breiter und eine halbe Meile langer, kleiner See mit bräunlichem Wasser.

Der Hund stand an den schlammigen Ufern des Sees und bellte wüthend.

»Da ist er, da ist er!« rief der Buschmann. In der That, am Ende einer Art Halbinsel, auf einem Baumstamm ungefähr dreihundert Schritt entfernt, saß Nicolaus Palander unbeweglich, einen Bleistift in der Hand, ein Notizbuch auf seinen Knieen, ohne Zweifel im Rechnen vertieft.

Seine Collegen konnten einen Schrei nicht zurückhalten. Der russische Gelehrte wurde höchstens zwanzig Schritte weit von einer Bande Krokodile belauert, die den Kopf aus dem Wasser streckten. Er ahnte nicht einmal ihre Gegenwart, und diese gefräßigen Thiere, die sich langsam näherten, konnten ihn im nächsten Moment herabreißen.

[102] »Eilen wir! sagte der Jäger leise, ich weiß nicht, worauf diese Krokodile warten, um sich auf ihn zu werfen!

– Sie warten vielleicht, bis er einen haut-goût bekommen!« konnte sich Sir John nicht enthalten zu antworten, womit er auf die von den Eingeborenen allgemein bemerkte Thatsache anspielte, daß diese Reptilien niemals frisches Fleisch fressen.

Der Buschmann und Sir John empfahlen ihren Begleitern an, sie auf dieser Stelle zu erwarten, und umgingen den See, um die schmale Landzunge zu erreichen; auf welcher sie zu Nicolaus Palander gelangen konnten.

Sie hatten noch nicht zweihundert Schritt gemacht, als die Krokodile, das Wasser verlassend, auf den Boden krochen und gerade auf ihre Beute losgingen. Der Gelehrte sah Nichts; er wandte seine Augen nicht von seinem Notizbuch weg, seine Hand schrieb fortwährend Zahlen.

»Augenmaß, kaltes Blut, oder er ist verloren!« murmelte der Jäger Sir John in's Ohr.

Beide knieten darauf nieder, legten auf die Reptilien, welche ihm am nächsten gekommen waren, an und gaben Feuer. Ein doppelter Knall ertönte, und zwei der Ungeheuer stürzten rücklings mit zerschmettertem Rückgrat in's Wasser. Die übrigen verschwanden im Augenblick unter der Oberfläche des Sees. Beim Knallen der Gewehre hob Nicolaus Palander endlich den Kopf, erkannte seine Collegen, lief auf sie zu und schrie, sein Notizbuch schwenkend:

»Ich hab's gefunden! ich hab's gefunden!

– Und was haben Sie gefunden, Herr Palander? fragte ihn Sir John.

– Einen Decimalfehler in der hundertdritten Logarithmentabelle von James Wolston!«

In der That hatte der würdige Mann diesen Fehler gefunden! Einen Logarithmenfehler! Er hatte Anspruch auf die vom Verleger James Wolston versprochene Prämie von hundert Pfund! Und seit vier Tagen, da er in diesen Einöden umherirrte, hatte der berühmte Astronom von Helsingfors seine Zeit damit zugebracht!


Mit ruhigem Blick und sicherer Hand. (S. 103.)
[103]

12. Capitel

Zwölftes Capitel.
Eine Station im Sinne Sir John's.

Endlich hatte man also den russischen Rechner wiedergefunden. Als man ihn fragte, wie er in diesen vier Tagen gelebt habe, konnte er es nicht sagen.


Mokum vor der Löwenwohnung. (S. 114.)

Hatte er Bewußtsein von den Gefahren, in welchen er sich befand? Das [104] war nicht wahrscheinlich. Als man ihm den Vorfall mit den Krokodilen erzählte, wollte er es nicht glauben und hielt die Sache für einen Scherz. Hatte er Hunger? Nicht im Mindesten. Er hatte sich von Ziffern genährt und so gut, daß er diesen Fehler in seiner Logarithmentabelle entdeckte.

In Gegenwart seiner Collegen wollte Mathieu Strux aus nationaler Eigenliebe seinem Landsmann keinen Vorwurf machen; doch hat man Grund zu glauben, daß der russische Astronom unter vier Augen einen derben Verweis [105] von seinem Chef erhielt, nebst der Aufforderung, sich künftig nicht mehr von seinen logarithmischen Studien fortreißen zu lassen.

Die Operationen wurden sofort wieder aufgenommen, und einige Tage lang ging Alles nach Wunsch. Ein klares und reines Wetter begünstigte die Beobachtungen, sowohl bei der Winkelmessung der Stationen als bei den Zenithaldistanzen. Es wurden neue Dreiecke dem Netz hinzugefügt und ihre Winkel durch vervielfachte Beobachtung genau bestimmt.

Am 28. Juni hatten die Astronomen geodätisch die Basis ihres fünfzehnten Dreiecks erhalten. Ihrer Schätzung nach mußte dieses Dreieck ein Stück des Meridians zwischen dem zweiten und dritten Grad umfassen. Um dasselbe völlig zu kennen, blieben noch die beiden anstoßenden Winkel zu messen, indem man auf eine an seiner Spitze gelegene Station visirte.

Dort bot sich indeß eine physische Schwierigkeit dar. Das Land, so weit man sehen konnte, war mit Gehölz bedeckt, und eignete sich nicht zur Errichtung von Signalen. Sein ziemlich starker Abfall von Süd nach Nord machte, wenn auch nicht die Aufstellung, so doch die Sichtbarkeit von Signalstangen schwierig. Ein einziger Punkt konnte zur Aufstellung einer Reverbere dienen, doch ziemlich entfernt. Es war die Spitze eines 1200 bis 1300 Fuß hohen Berges, der ungefähr dreißig Meilen weit nordwestlich emporragte. Unter diesen Umständen würden also die Seiten des fünfzehnten Dreiecks über 20,000 Toisen lang werden, eine Länge, die zuweilen bei trigonometrischen Vermessungen vierfach vorkommt; aber die Mitglieder der englisch-russischen Commission hatten sie noch nicht erreicht. Nach reiflicher Ueberlegung entschieden die Astronomen sich für die Aufstellung einer elektrischen Reverbere auf dieser Berghöhe, und entschlossen sich, Halt zu machen, bis das Signal errichtet sei. Der Oberst Everest, William Emery und Michael Zorn, begleitet von drei Matrosen und zwei durch den Foreloper angeführten Buschmännern wurden nach der neuen Station abgeschickt, um den Leuchtspiegel, der für eine Nachtoperation dienen sollte, aufzustellen. Die Entfernung war zu groß in der That, um eine Beobachtung bei Tage mit hinreichender Sicherheit wagen zu können.

Die kleine Truppe brach am Morgen des 28. Juni auf, versehen mit Instrumenten, Apparaten und Lebensmitteln, welche Maulesel trugen. Der Oberst Everest rechnete darauf, erst am nächsten Morgen am Fuß des Berges anzukommen, und im Fall die Besteigung irgend welche Schwierigkeiten machte, [106] konnte die Reverbere frühestens in der Nacht vom 29. zum 30. aufgestellt werden. Die im Lager zurückgebliebenen Beobachter durften also vor sechsunddreißig Stunden wenigstens nicht den Lichtpunkt ihres fünfzehnten Dreiecks suchen.

Während der Abwesenheit des Obersten Everest überließen sich Mathieu Strux und Nicolaus Palander ihren gewöhnlichen Beschäftigungen. Sir John Murray und der Buschmann durchstreiften die Umgegend des Lagers und erlegten einige dem Antilopengeschlecht angehörige Thiere, deren es so verschiedene in den südafrikanischen Gegenden giebt. Sir John fügte sogar seiner Jagdbeute eine Giraffe hinzu, ein schönes Thier, das in den nördlichen Gegenden selten, aber auf den südlichen Ebenen ziemlich allgemein ist. Die Giraffenjagd wird von den Kennern als ein schöner »sport« betrachtet. Sir John und der Buschmann trafen auf eine Heerde von zwanzig Stück, die sehr scheu waren und denen sie auf nicht mehr als fünfhundert Ellen nahe kommen konnten. Indessen trennte sich ein Weibchen von der Truppe und die beiden Jäger waren entschlossen, das Thier zu erlegen. Es entfloh in kurzem Trab, so daß man es leicht einholen konnte; als aber die Pferde Sir John's und des Buschmanns sich beträchtlich genähert hatten, bog die Giraffe den Schwanz ein und floh mit außerordentlicher Schnelligkeit. Man mußte sie mehr als zwei Meilen weit verfolgen, bis endlich eine Kugel Sir John's sie in die Schulter traf und zu Boden streckte. Es war ein prachtvolles Muster jener Gattung, von der die Römer sagten: »Pferd am Hals, Ochse an Beinen und Füßen, Kameel am Kopf«, und deren röthliches Haar weißgefleckt ist. Dieser merkwürdige Wiederkäuer maß nicht weniger als elf Fuß vom Huf bis an die Spitze seiner kleinen mit Haut und Haaren bedeckten Hörner.

Während der folgenden Nacht nahmen die beiden russischen Astronomen einige Sternhöhen auf, die ihnen dazu dienten, den Breitegrad ihres Lagers zu bestimmen.

Der 29. Juni verlief ohne Zwischenfall. Man erwartete die folgende Nacht mit einer gewissen Ungeduld, um die Spitze des fünfzehnten Dreiecks festzustellen Die Nacht kam, eine Nacht ohne Mond, ohne Sterne, aber sehr trocken und von keinem Nebel getrübt, eine demnach für die Aufstellung eines entfernten Lichtpunktes sehr günstige Nacht.

Alle Vorbereitungen waren getroffen worden, und das Augenglas der [107] Winkelmaßscheibe, das während des Tages auf den Gipfel des Berges gerichtet gewesen, mußte schnell die elektrische Reverbere visiren, im Fall die Entfernung sie dem bloßen Auge unsichtbar gemacht hätte.

Die ganze Nacht vom 29. zum 30. Juni hindurch lösten sich Mathieu Strux, Nicolaus Palander und Sir John Murray vor dem Instrument ab ... Doch blieb der Berggipfel unbemerkbar und kein Licht brannte auf der höchsten Spitze.

Die Beobachter schlossen daraus, daß die Besteigung auf ernsthafte Schwierigkeiten gestoßen sei, und daß der Oberst Everest den Bergkegel vor Tagesende nicht habe erreichen können. Sie verlegten also ihre Beobachtung auf die folgende Nacht, indem sie nicht daran zweifelten, daß der Lichtapparat während des Tages aufgestellt werden würde.

Aber wie groß war ihre Ueberraschung, als am 30. Juni gegen zwei Uhr Nachmittags der Oberst Everest und seine Begleiter, deren Rückkunft nicht geahnt wurde, im Lager wieder erschienen.

Sir John ging schnell seinen Collegen entgegen.

»Sie, Herr Oberst, rief er.

– Ich selbst, Sir John.

– Der Berg ist also unbesteigbar?

– Im Gegentheil, sehr gut besteigbar, antwortete der Oberst, doch wohl bewacht, versichere ich Sie. Deshalb kommen wir zurück, um Verstärkung zu holen.

– Was! Eingeborene?

– Ja, Eingeborene, und zwar vierfüßige mit schwarzer Mähne, die eins unserer Pferde verschlungen haben!«

In wenig Worten erzählte der Oberst seinen Collegen ihre Reise, die bis zum Fuß des Berges ganz gut von Statten gegangen war. Dieser Berg war, wie man dann erkannte, nur von der Südostseite aus zugänglich. Nun hatte aber gerade an dem einzigen Engpaß, der zu dieser Bergseite führte, eine Heerde Löwen ihren »Kraal«, wie es der Foreloper nannte, aufgeschlagen. Vergeblich hatte der Oberst Everest versucht, diese furchtbaren Thiere von da hinweg zu bringen; doch ungenügend bewaffnet, mußte er den Rückzug antreten, nachdem er ein Pferd verloren, welchem ein prachtvoller Löwe mit seinen Tatzen die Rippen zerbrochen hatte. Eine Erzählung der Art konnte Sir John und den Buschmann nur entflammen. Dieser »Löwenberg« [108] war eine zu erobernde Station, eine Station, deren man außerdem unbedingt zu den geodätischen Arbeiten bedurfte. Die Gelegenheit, sich mit den furchtbarsten Creaturen der Katzenrace zu messen, war zu schön, um sie nicht zu benutzen, und die Expedition wurde augenblicklich organisirt.

Alle europäischen Gelehrten, ohne den friedfertigen Palander auszunehmen, wollten Theil daran nehmen; doch war es nöthig, daß einige im Lager zur Messung der an die Basis des neuen Dreiecks anstoßenden Winkel zurückblieben. Der Oberst Everest, welcher begriff, daß seine Gegenwart zur Controle der Operation nöthig war, beschloß mit den beiden russischen Astronomen zurück zu bleiben. Auf der andern Seite war kein Grund, Sir John zurückzuhalten. Das Detachement, bestimmt, den Zugang zum Berge zu erzwingen, bestand also aus Sir John, William Emery und Michael Zorn, deren Bitten ihre Chefs hatten nachgeben müssen; dann aus dem Buschmann, den nichts vermocht hätte, seinen Platz Jemand abzutreten, und endlich aus drei Eingeborenen, deren Muth und Kaltblütigkeit Mokum kannte. Nachdem sie ihren Collegen die Hand gedrückt, verließen die drei Europäer gegen vier Uhr Nachmittags den Lagerplatz und vertieften sich in das Gehölz, in der Richtung des Berges. Sie spornten ihre Pferde, und um neun Uhr Abends hatten sie dreißig Meilen zurückgelegt.

Zwei Meilen vor dem Berge sprangen sie vom Pferde und machten sich ein Nachtlager zurecht. Kein Feuer wurde angezündet, denn Mokum wollte nicht die Aufmerksamkeit der Thiere auf sich ziehen, welche er bei Tage bekämpfen wollte, noch einen nächtlichen Angriff hervorrufen.

Während der ganzen Nacht hörte man fast unaufhörliches Gebrüll. Erst in der Dunkelheit verlassen diese schrecklichen Fleischfresser ihre Höhle und gehen auf Nahrung aus. Keiner der Jäger schlief nur eine Stunde, und der Buschmann benutzte diese Schlaflosigkeit, um ihnen einige Rathschläge zu ertheilen, welche seine Erfahrung werthvoll machte.

»Meine Herren, sagte er mit vollkommen ruhigem Tone, wenn sich der Oberst Everest nicht getäuscht hat, werden wir morgen mit einer Bande schwarzmähniger Löwen zu thun haben. Diese Thiere gehören der wildesten und gefährlichsten Race an. Wir müssen deshalb auf unserer Hut sein. Ich empfehle Ihnen an, dem ersten Sprung dieser Thiere, welche einen Satz von sechzehn bis zwanzig Schritte machen können, auszuweichen. Ist ihr erster Anlauf mißglückt, so kommt es selten vor, daß sie einen zweiten machen. Ich [109] spreche aus Erfahrung. Da sie bei Tagesanbruch in ihre Höhle zurückkehren, werden wir sie dort angreifen. Sie werden sich aber vertheidigen und gut vertheidigen. Ich sage Ihnen, des Morgens sind die Löwen, da sie gut gesättigt, weniger wild und vielleicht auch weniger tapfer; das ist eine Frage des Magens. Es ist auch eine Ortsfrage, denn sie sind scheuer in Regionen, wo die Menschen sie unaufhörlich reizen. Doch hier, in diesem wilden Lande, werden sie die größte Wildheit haben. Ich empfehle Ihnen ebenfalls, meine Herren, ehe Sie schießen, gut die Distanz abzuschätzen. Lassen Sie das Thier sich nähern, zielen Sie auf die Schulter und feuern Sie sicher ab. Dann wollen wir auch die Pferde zurücklassen, da sie in der Gegenwart des Löwen scheu werden und die Sicherheit des Reiters gefährden. Zu Fuß wollen wir kämpfen, und ich hoffe, die Kaltblütigkeit wird Sie nicht in Stich lassen.«

Die Begleiter des Buschmanns hatten schweigend dem Rathe des Jägers zugehört. Mokum war wieder der geduldige Mann der Jagd geworden. Er wußte, daß die Sache ernst werden würde. Wenn in der That der Löwe sich gewöhnlich nicht auf den Menschen wirst, der ihn nicht reizt, so erreicht doch seine Wuth den höchsten Grad, sobald er sich angegriffen sieht. Dann ist er ein furchtbares Thier, dem die Natur die Geschmeidigkeit zum Springen, die Kraft zum Zertrümmern, den Zorn, der ihn schrecklich macht, verliehen hat. Deshalb befahl der Buschmann den Europäern, und besonders Sir John, Kaltblütigkeit an, denn dieser ließ sich zuweilen von seiner Kühnheit hinreißen.

»Schießen Sie einen Löwen, wie Sie ein Rebhuhn schießen würden, ohne mehr Aufregung. Darin liegt Alles!«

Darin liegt wirklich Alles! Aber wer kann dafür einstehen, sein kaltes Blut in Gegenwart eines Löwen zu bewahren, wenn man nicht durch die Gewohnheit gestählt ist?

Um vier Uhr Morgens verließen die Jäger den Halteplatz, nachdem sie ihre Pferde in einem dichten Gehölz fest angebunden hatten. Es war noch nicht Tag, einige röthliche Streiflichter schimmerten durch den Nebel im Osten. Es herrschte noch tiefe Dunkelheit.

Der Buschmann rieth seinen Gefährten, ihre Waffen zu untersuchen. Er selbst und Sir John Murray, jeder mit einem Hinterlader bewaffnet, brauchten nur die Kupferpatrone in den Flintenlauf gleiten zu lassen, und zu probiren, [110] ob der Hahn gut ging. Michael Zorn und William Emery, die gezogene Büchsen trugen, erneuten das Zündpulver, welches durch die Feuchtigkeit der Luft gelitten haben konnte. Was die drei Eingeborenen betraf, so waren sie mit Bogen aus Aloëholz versehen, die sie mit großer Geschicklichkeit handhabten. Wirklich war schon mehr als ein Löwe durch ihre Pfeile gefallen.

Die sechs Jäger, eine dichte Masse bildend, wandten sich dem Hohlwege zu, dessen Eingang die beiden jungen Gelehrten schon am vergangenen Abend erkannt hatten. Sie sprachen kein Wort und schritten zwischen den Stämmen des Hochwaldes hindurch, wie die Rothhäute unter dem Strauchwerk ihrer Wälder. Bald war die kleine Truppe an der engen Schlucht angekommen, die den Anfang des Hohlweges bildete. Hier begann ein schmaler Gang zwischen zwei Granitmauern, welcher zum Abhang der steilen Granitwand führte. In diesem Gange in der Mitte etwa befand sich an einer durch Einsturz erweiterten Stelle die von der Löwentruppe bewohnte Höhle.

Der Buschmann ergriff nun folgende Maßregeln: Sir John Murray, einer der Eingeborenen und er sollten sich allein am oberen Rande des Hohlweges hinschleichen. Sie hofften so bis an die Höhle zu kommen, und die fürchterlichen Bewohner herauszutreiben, so daß sie bis an das untere Ende des Hohlweges gejagt würden. Dort sollten sich die beiden jungen Europäer nebst den beiden Buschmännern auf den Anstand stellen und die Fliehenden mit Bogen- und Flintenschüssen empfangen.

Der Ort eignete sich vorzüglich zu diesem Manoeuvre. Eine mächtige Sykomore stand dort, welche das benachbarte Gehölz überragte. Ihr vielfaches Gezweig bot einen sichern Posten dar, welchen die Löwen nicht erreichen konnten. Man weiß, daß diese Thiere nicht wie die ihnen geschlechtsverwandten Katzen die Fähigkeit besitzen, auf die Bäume zu klettern. Auf eine gewisse Höhe postirte Jäger konnten ihrem Sprunge ausweichen und unter günstigen Umständen auf sie schießen.

Das gefährliche Werk sollte also von Mokum, Sir John und einem der Eingeborenen ausgeführt werden. Auf eine Bemerkung William Emery's erwiderte der Jäger, es gehe nicht anders an, und bestand darauf, daß keine Aenderung in seiner Anordnung getroffen würde. Die jungen Leute fügten sich seinen Gründen.


Bewaffnete Haussuchung. (S. 114.)

Der Tag graute. Der Gipfel des Berges erglänzte wie eine Fackel unter dem Reflex der Sonnenstrahlen. Nachdem der Buschmann zugesehen, wie sich [111] seine vier Begleiter auf den Zweigen der Sykomore zurechtgesetzt, gab er das Zeichen zum Fortgang. Sir John, der eine Buschmann und er stiegen bald den geschlängelten Fußpfad der rechten Wand des Hohlweges entlang.


Sir John sank in die Kniee. (S. 116.)

Die drei kühnen Jäger kamen auf diese Weise ungefähr fünfzig Schritte vorwärts, wobei sie manchmal anhielten und den engen, vor ihnen liegenden Gang beobachteten. Der Buschmann zweifelte nicht, daß die Löwen, nach [112] ihrem nächtlichen Ausflug in ihr Obdach zurückgekehrt seien, entweder um ihre Beute zu verschlingen oder der Ruhe zu genießen. Vielleicht konnte man sie schlafend überraschen, und schnell mit ihnen fertig werden. Eine Viertelstunde nachdem sie in den Eingang des Engpasses gedrungen, kamen Mokum und seine zwei Begleiter vor der Höhle an, wo Michael Zorn es ihnen angegeben hatte. Dort kauerten sie auf dem Boden und untersuchten das Lager der Thiere.

[113] Es war eine ziemlich geräumige Höhlung, deren Tiefe man nicht schätzen konnte. Ueberreste von Thieren, Haufen von Knochen versperrten den Zugang. Man konnte sich nicht täuschen, es war der von dem Oberst Everest bezeichnete Zufluchtsort der Löwen.

In diesem Augenblicke jedoch schien, der Meinung des Jägers entgegen, die Höhle verlassen. Mokum kroch, die Flinte im Arme, auf den Knieen bis an den Eingang heran. Ein einziger Blick zeigte, daß sie leer sei. Dieser Umstand, auf den man nicht gerechnet, ließ ihn augenblicklich seinen Plan ändern. Seine von ihm herbeigerufenen Begleiter waren sofort bei ihm.

»Sir John, sagte der Jäger, unser Wild ist nicht in seinen Schlupfwinkel zurückgekehrt, aber es wird nicht lange mehr dauern, bis es kommt. Ich denke, wir thun gut, uns an seiner Stelle hier einzuquartieren. Es ist besser, belagert zu werden, als solche Patrone zu belagern, besonders wenn man eine Hilfsarmee an den Thoren des Platzes hat. Was halten Euer Gnaden davon?

– Ich denke wie Sie, Buschmann, antwortete Sir John Murray. Ich stehe unter Ihrem Befehl und gehorche Ihnen.«

Mokum, Sir John und der Eingeborene drangen in die Höhle ein. Dies war eine tiefe Grotte, besäet mit Knochen und blutigem Fleisch.

Nachdem man sich überzeugt, daß sie vollständig leer war, beeilten sich die Jäger, den Eingang vermittelst großer Steine zu verbarrikadiren, welche sie nicht ohne Mühe hinrollten und übereinander thürmten. Die Zwischenräume der Steine wurden mit trockenen Zweigen und Strauchwerk verstopft, mit welchem die Schlucht angefüllt war.

Diese Arbeit erforderte nur wenige Minuten, da der Eingang zur Grotte verhältnißmäßig schmal war. Dann postirten sich die Jäger hinter ihrer mit Schießscharten versehenen Barrikade und warteten.

Sie hatten nicht lange zu warten. Gegen ein Viertel auf Sechs erschienen ein Löwe und zwei Löwinnen hundert Schritte von der Höhle. Es waren sehr große Thiere. Der Löwe, seine schwarze Mähne schüttelnd und den Boden mit seinem Schweif fegend, trug zwischen den Zähnen eine ganze Antilope, welche er schüttelte, wie die Katze eine Maus. Dies schwere Wildpret hatte für seinen mächtigen Rachen kein Gewicht, und sein Kopf, so schwer die Last war, welche er trug, bewegte sich mit vollkommener Leichtigkeit. Die beiden Löwinnen, mit gelber Haut, begleiteten ihn springend.

[114] Sir John – Sr. Gnaden gestand es später – fühlte doch ein heftiges Herzklopfen. Sein Auge öffnete sich weit, seine Stirn zog sich in Falten, und er empfand eine Art krampfhafter Furcht, in welcher sich Erstaunen und Angst mischten; doch dauerte dies nicht lange, und er wurde schnell wieder Herr über sich. Was seine zwei Begleiter betraf, so waren sie so ruhig wie gewöhnlich.

Indessen hatten der Löwe und die zwei Löwinnen die Gefahr gewittert. Beim Anblick ihrer versperrten Höhle blieben sie stehen. Sie waren keine sechzig Schritt davon entfernt. Das Männchen stieß ein heiseres Gebrüll aus und gefolgt von den zwei Weibchen warf es sich in ein Gebüsch rechts, ein wenig unterhalb des Ortes, wo die Jäger zuerst angehalten. Man sah die furchtbaren Thiere genau durch die Zweige, ihre gelben Leiber, ihre gespitzten Ohren und ihre glänzenden Augen.

»Die Rebhühner sind da, murmelte Sir John dem Buschmann in's Ohr; jedem das Seine.

– Nein, antwortete Mokum mit leiser Stimme, das Nest ist noch nicht vollständig beisammen, und das Schießen würde die andern erschrecken.

– Buschmann, bist Du Deines Pfeiles in dieser Entfernung sicher?

– Ja, Mokum, antwortete der Eingeborene.

– Nun dann, dem Männchen in die linke Seite, und triff ihn in's Herz!«

Der Buschmann spannte seinen Bogen und zielte aufmerksam durch das Strauchwerk. Der Pfeil flog schwirrend ab. Man vernahm ein Gebrüll; der Löwe machte einen Satz und fiel dreißig Schritte von der Höhle zu Boden. Dort blieb er bewegungslos liegen, und man konnte seine spitzen Zähne zwischen seinen bluthrothen Lefzen bemerken.

»Gut, Buschmann«, sagte der Jäger.

In diesem Augenblicke verließen die beiden Löwinnen das Dickicht und stürzten sich auf den Körper des Löwen. Auf ihr fürchterliches Brüllen erschienen zwei andere Löwen, von denen einer ein alter männlicher mit gelben Tatzen war, gefolgt von einer dritten Löwin, um die Ecke des Hohlweges. In erschrecklicher Wuth sträubten sich ihre schwarzen Mähnen riesenhaft. Sie sprangen auf mit unglaublich durchdringendem Gebrüll.

»Zu den Carabinern jetzt, rief der Buschmann, und schießen wir sie im Laufen, da sie sich nicht setzen wollen!«

[115] Zwei Schüsse knallten; der eine Löwe, durch die Explosionskugel des Buschmanns in die Hüfte getroffen, fiel todt nieder. Der andere, dem Sir John eine Tatze zerschmetterte, stürzte sich auf die Barrikade. Die wüthenden Löwinnen folgten ihm.

Die erschrecklichen Thiere trachteten den Eingang zur Höhle zu erzwingen, und es wäre ihnen auch gelungen, wenn eine Kugel sie nicht aufgehalten hätte.

Der Buschmann, Sir John und der Eingeborene hatten sich in's Innere der Höhle zurückgezogen. Die Büchsen waren schnell wieder geladen, ein oder zwei glückliche Schüsse, und die wilden Bestien lagen vielleicht todt auf dem Boden, als ein unvorhergesehener Umstand die drei Jäger in eine fürchterliche Lage versetzte.

Dichter Rauch erfüllte plötzlich die Höhle. Einer der Ladepfropfen, der in das trockene Gesträuch gefallen war, hatte dies in Flammen gesetzt. Bald umhüllte ein Flammenstrom, vom Wind angefacht, Menschen und Thiere. Die Löwen wichen zurück. Die Jäger konnten nicht länger in dieser Behausung bleiben, ohne sich in wenig Minuten dem Ersticken auszusetzen.

Es war eine gräßliche Lage; man durfte nicht zögern.

»Hinaus, hinaus!« schrie der Buschmann, der am Ersticken war.

Sofort warf man mit den Flintenkolben das Strauchwerk bei Seite, stieß die Steine fort und die drei halberstickten Jäger stürzten sich mitten durch den Rauchwirbel in's Freie.

Der Eingeborene und Sir John hatten kaum Zeit gehabt, zur Besinnung zu kommen, als beide zu Boden geworfen wurden, der Afrikaner durch einen Stoß mit dem Kopfe, der Engländer durch einen Schlag mit dem Schweife der noch kräftigen Löwin. Der Eingeborene, gerade vor die Brust getroffen, blieb bewegungslos liegen. Sir John hielt sein Bein für zerschmettert, und fiel auf die Kniee. Aber als eben das Thier auf ihn loskam, ward es von einer Kugel des Buschmanns getroffen, die auf einem Knochen in seinem Körper explodirte.

In diesem Augenblick erschienen Michael Zorn, William Emery und die beiden Buschmänner an der Biegung des Engpasses, um zur rechten Zeit Theil am Kampfe zu nehmen. Zwei Löwen und ein Weibchen waren den tödtlichen Angriffen der Kugeln und Pfeile erlegen. Doch waren noch die überlebenden, die zwei andern Weibchen und das Männchen, dem ein Schuß Sir John's die Tatze zerschmettert hatte, zu fürchten. Indessen thaten in [116] diesem Augenblick die von sicherer Hand gehandhabten gezogenen Büchsen ihren Dienst. Eine zweite Löwin fiel, von zwei Kugeln im Kopf und in der Seite getroffen. Der verwundete Löwe und das dritte Weibchen machten darauf einen erstaunlichen Satz über die Köpfe der jungen Leute fort und verschwanden um die Biegung des Hohlweges, zum letzten Mal noch von zwei Kugeln und zwei Pfeilen begrüßt.

Sir John jubelte mit triumphirendem Hurrah, die Löwen waren besiegt. Vier Cadaver lagen auf dem Boden.

Jetzt bemühte man sich um Sir John, und mit Hilfe seiner Freunde konnte er aufstehen; glücklicherweise war sein Bein nicht gebrochen. Der Eingeborene, den ein Stoß mit dem Kopfe niedergeworfen hatte, kam nach einigen Minuten wieder zu sich, da ihn nur die Heftigkeit des Stoßes betäubt hatte ...

Eine Stunde später hatte die kleine Truppe das Gehölz wieder erreicht, wo die Pferde angebunden waren.

»Nun, sagte Mokum jetzt zu Sir John, ist Ew. Gnaden mit den afrikanischen Rebhühnern zufrieden?

– Entzückt, erwiderte Sir John, sein gequetschtes Bein reibend, entzückt. Aber was haben sie für einen Schweif, wackerer Buschmann, was für einen gewaltigen Schweif!«

13. Capitel

Dreizehntes Capitel.
Mit Hilfe des Feuers.

Währenddessen warteten der Oberst Everest und seine Collegen mit sehr natürlicher Ungeduld auf das Resultat des am Fuße des Berges bestandenen Kampfes.

Wenn die Jäger Erfolg hatten, so sollte sich in der Nacht der Lichtspiegel zeigen.

Man begreift die Ungeduld, mit welcher die Gelehrten den Tag verbrachten. [117] Ihre Instrumente waren bereit; man hatte sie auf den Berggipfel gerichtet, so daß man im Feld des Fernrohres auch den kleinsten Schimmer wahrgenommen hätte. Sollte sich dieser Schimmer aber zeigen?

Der Oberst Everest und Mathieu Strux genossen keinen Augenblick der Ruhe. Nur Nicolaus Palander, wie immer vertieft, vergaß in seinen Rechnungen, daß eine Gefahr seine Collegen bedrohe. Man werfe ihm nicht originellen Egoismus vor! – Man konnte von ihm sagen, wie vom Mathematiker Bouvaret: »Er wird erst aufhören zu rechnen, wenn er aufhören wird zu leben.« Und vielleicht wird Nicolaus Palander zu leben aufhören, weil er aufhören wird zu rechnen!

Man muß indeß sagen, daß die beiden englischen und russischen Gelehrten wenigstens ebensoviel an die Ausführung ihrer Operationen, als an die Gefahren, die ihre Freunde liefen, dachten. Sie würden selbst diesen Gefahren getrotzt haben, eingedenk, daß sie der kämpfenden Wissenschaft angehörten. Doch beschäftigte sie das Resultat. Ein physisches Hinderniß konnte, wenn es nicht zu überwinden war, entschieden ihre Arbeiten aufhalten, oder wenigstens sie verzögern. Die Angst der beiden Astronomen während dieses endlosen Tages ist leicht zu begreifen. Endlich kam die Nacht. Der Oberst Everest und Mathieu Strux sollten jeder eine halbe Stunde lang beobachten, und stellten sich abwechselnd vor das Glas des Fernrohres. Mitten in der Finsterniß sprachen sie kein Wort, und lösten sich mit chronometrischer Pünktlichkeit ab. Jeder war ungeduldig gespannt, zuerst das Signal zu bemerken.

Die Stunden verflossen. Mitternacht war vorüber, und Nichts war auf dem finstern Bergkegel erschienen. Endlich, um drei Viertel drei Uhr Morgens, erhob sich der Oberst Everest kalt und sagte einfach nur:

»Das Signal!«

Das Glück hatte ihn zum großen Aerger seines russischen Collegen begünstigt, der selbst die Erscheinung der Reverberen bestätigen sollte. Doch bezwang sich Mathieu Strux und sprach kein Wort.

Die Aufnahme wurde nun mit ängstlicher Vorsicht genommen und nach wiederholten Beobachtungen ergab der gemessene Winkel 73°58' 42'' 413. Man sieht, daß man dieses Maß bis zum Tausendstel einer Secunde erhalten hatte, d.h. mit absoluter Genauigkeit.

Am folgenden Morgen, den 2. Juli, wurde das Lager bei Tagesgrauen [118] abgebrochen. Der Oberst Everest wollte so bald als möglich bei seinen Begleitern sein, da es ihn drängte zu wissen, ob die Eroberung des Berges nicht zu theuer erkauft worden sei. Die Wagen machten sich unter Leitung des Forelopers auf den Weg, und zu Mittag waren alle Mitglieder der wissenschaftlichen Commission wieder beisammen; es fehlte Niemand. Die verschiedenen Vorfälle beim Kampf gegen die Löwen wurden erzählt und die Sieger warm beglückwünscht.

Im Verlauf des Morgens maßen Sir John Murray, Michael Zorn und William Emery von der Höhe des Berges die Winkel-Distanz einer neuen, einige Meilen westlich vom Meridian gelegenen Station. Die Operationen konnten also ohne Verzug fortgesetzt werden. Die Astronomen nahmen auch die Zenithalhöhe einiger Sterne auf, und berechneten die Breite des Bergkegels, woraus Nicolaus Palander schloß, daß ein zweites Stück des Meridianbogens von der Größe eines Grades durch die letzten trigonometrischen Messungen erlangt worden war. Es waren demnach in Summa zwei Grade von der Basis an, zu einer Reihe von fünfzehn Dreiecken abgeleitet.

Die Arbeiten wurden augenblicklich fortgesetzt und unter befriedigenden Verhältnissen erledigt; man konnte hoffen, daß kein physisches Hinderniß sich ihrer gänzlichen Vollendung entgegenstellen werde. Während fünf Wochen zeigte sich der Himmel den Beobachtungen günstig. Die etwas ungleiche Gegend eignete sich zur Errichtung von Lichtspiegeln. Unter Leitung des Buschmanns wurden die Lagerplätze regelrecht eingerichtet. An Lebensmitteln fehlte es niemals, da die Jäger der Karawane, Sir John an der Spitze, dieselbe unaufhörlich mit Fleisch versorgten. Der ehrenwerthe Engländer konnte nicht mehr die verschiedenen Antilopen oder Büffel zählen, die unter seinen Kugeln fielen. Alles ging auf's Beste, auch der allgemeine Gesundheitszustand war befriedigend. Das Wasser war in den Erdspalten noch nicht selten geworden. Endlich die Zwistigkeiten zwischen dem Oberst Everest und Mathieu Strux schienen zur großen Freude ihrer Gefährten sich zu legen. Einer wetteiferte mit dem andern, und man konnte schon den bestimmten Erfolg voraussehen, als ein locales Hinderniß die Beobachtungen eine Weile hemmte, und die nationale Eifersucht auf's Neue anfachte.

Es war am 11. August. Seit dem vorigen Tage zog die Karawane durch eine waldige Landstrecke, worauf Forste und Schläge sich meilenweit [119] aneinander reihten.


Aber sie haben einen gewaltigen Schweif. (S. 117.)

An diesem Morgen hielten die Wagen vor einem unendlichen Hochwalde, der sich weit über den Horizont hinaus erstreckte. Es giebt nichts Imposanteres, als diese grünen Massen, welche gleichsam einen hundert Fuß über dem Erdboden aufgehängten Vorhang bildeten. Keine Schilderung könnte von den schönen Bäumen eines afrikanischen Waldes ein richtiges Bild geben.


John Murray erholt sich von den Strapazen der Jagd. (S. 126.)

Da trifft man im bunten Gemisch der verschiedensten Wohlgerüche, den »Gunda«, den »Mosokoso«, den »Mukomdu«, ein treffliches Schiffsbauholz, [120] die dickstämmigen Ebenholzbäume vom schönsten Schwarz, die »Bauhinia« mit den Eisenfasern, »Buschneras« mit orangegelben Blüthen, prachtvolle »Roodeblatts« mit weißlichem Stamm und carmoisinrothem Laube, Tausende von »Guajacs«, die zum Theil fünfzehn Fuß im Umfang maßen. Aus diesem tiefen Dickicht vernahm man ein großartiges Brausen, gleich dem Tosen der Brandung an felsiger Küste. Es war der Wind, welcher durch das mächtige Gezweig strich.

[121] Auf eine Frage des Oberst Everest an den Jäger erwiderte dieser:

»Es ist der Ravuma-Wald!

– Wie breit ist er von Ost nach West?

– Fünfundvierzig Meilen.

– Und seine Tiefe von Süd nach Nord?

– Zehn Meilen ungefähr.

– Und wie werden wir durch diese dichte Baummasse kommen?

– Wir werden gar nicht durchkommen, antwortete der Jäger. Es bleibt uns nur übrig, den Wald entweder östlich oder westlich zu umgehen.«

Die Leiter der Expedition befanden sich, als sie diese so bestimmten Antworten des Buschmanns vernahmen, in großer Verlegenheit. Man konnte offenbar auf dem in diesem Walde vollständig flachen Terrain keinen Zielpunkt aufstellen. Ihn zu umgehen, d.h. sich zwanzig bis fünfundzwanzig Meilen auf der einen oder andern Seite des Meridians zu entfernen, hieß die Arbeiten der Triangulation auffallend vermehren, da man zu der trigonometrischen Reihe vielleicht weitere zehn Hilfsdreiecke hinzuzufügen hatte. Es entstand also eine wirkliche Schwierigkeit, ein natürliches Hinderniß. Die Frage war wichtig und schwer zu entscheiden. Sobald das Lager im Schatten prächtiger Baumgruppen eine halbe Meile vom Saum des Waldes aufgeschlagen war, wurden die Astronomen zu einer Berathung versammelt, um einen Beschluß zu fassen. Die Frage, durch den unendlich dichten Baumstrich zu trianguliren, wurde sofort beseitigt, da es augenscheinlich war, daß man unter solchen Verhältnissen nicht operiren konnte. Es blieb also der Vorschlag, das Hinderniß rechts oder links zu umgehen, da. Die Entfernung war auf beiden Seiten ziemlich die gleiche, weil der Meridian den Wald mitten durchschnitt.

Die Mitglieder der anglo-russischen Commission beschlossen also, daß man diese unübersteigliche Schranke umgehen müsse; ob östlich oder westlich, darauf kam wenig an. Nun geschah es aber gerade, daß über diese nichtige Frage der Oberst Everest und Mathieu Strux heftig in Streit geriethen. Die beiden Nebenbuhler, die sich eine Zeit lang zurückgehalten, geriethen wieder in ihre frühere Feindseligkeit. Vergeblich suchten die Collegen zu vermitteln. Die beiden Chefs wollten nichts davon hören. Der Engländer bestand auf rechts, da sich diese Richtung der von David Livingstone eingeschlagenen Route näherte, als er seine erste Reise nach den Wasserfällen des Zambesi machte; [122] und dies war auch ein vernünftiger Grund, denn diese bekanntere und besuchtere Gegend gewährte gewisse Vortheile. Der Russe dagegen stimmte für links, augenscheinlich nur um der Meinung des Obersten zu widersprechen. Der Streit ging ziemlich weit und drohte einen Bruch unter den Mitgliedern der Commission herbeizuführen.

Da Michael Zorn, William Emery, Sir John Murray und Nicolaus Palander Nichts thun konnten, so verließen sie die Conferenz und überließen die beiden Chefs ihrem Streit.

Der Tag verging, ohne irgend eine Annäherung der beiden entgegengesetzten Meinungen herbeigeführt zu haben.

Am folgenden Tage, dem 12. August, schlug Sir John, voraussehend, daß die beiden Eigensinnigen sich noch nicht vereinigen würden, dem Buschmann vor, die Umgegend zu durchstreifen. Während dieser Zeit würden die beiden Astronomen sich vielleicht verständigen. Auf jeden Fall war ein Stück frisches Wildpret nicht zu verachten.

Mokum, stets bereit, pfiff seinem Hunde Top, und die beiden Jäger wagten sich bis einige Meilen weit vom Lagerplatz, halb plaudernd, halb spähend, durch das Dickicht bis an den Saum des Hochwaldes.

Ganz natürlich drehte sich die Unterhaltung über den Vorfall, der die Fortsetzung der geodätischen Arbeiten hemmte.

»Ich denke, sagte der Buschmann, daß wir jetzt einige Zeit am Rand des Waldes von Ravuma campiren werden. Unsere beiden Chefs sind nicht nahe daran, einer dem andern nachzugeben. Ew. Gnaden erlauben mir diesen Vergleich, aber der eine zieht rechts und der andere links, wie Ochsen, die sich nicht verstehen, und auf diese Weise kann die Maschine nicht vorwärts gehen.

– Es ist ein ärgerlicher Umstand, antwortete Sir John Murray, und ich fürchte sehr, daß dieser Eigensinn eine vollständige Trennung herbeiführen wird. Wäre es nicht um das wissenschaftliche Interesse, so würde mich diese Astronomen-Rivalität ziemlich gleichgiltig lassen, mein braver Mokum. Die wildreichen Gegenden Afrikas besitzen Zerstreuung genug für mich, und bis zu dem Augenblick, wo sich die beiden Rivalen wieder vereinigt haben, werde ich das Land mit der Büchse in der Hand durchstreifen.

– Denken Ew. Gnaden aber, daß sie sich diesmal über diesen Punkt verständigen werden? Ich für meinen Theil erwarte es nicht, und, wie ich schon sagte, kann unser Halt sich in's Unbestimmte verlängern.

[123] – Ich fürchte es, Mokum, antwortete Sir John. Unsere beiden Chefs streiten über eine leider unbedeutende Frage, die man wissenschaftlich nicht lösen kann. Sie haben Beide Recht und Beide Unrecht. Der Oberst Everest hat auf das Bestimmteste erklärt, daß er nicht nachgeben werde. Mathieu Strux hat geschworen, daß er den Anmaßungen des Oberst Widerstand leisten werde, und diese zwei Gelehrten, die sich ohne Zweifel einem wissenschaftlichen Argument gefügt haben würden, werden niemals in irgend einer bloßen Frage der Eigenliebe Nachgiebigkeit zeigen. Es ist wirklich im Interesse unserer Arbeiten zu bedauern, daß dieser Wald von unserm Meridian durchschnitten wird.

– Zum Teufel mit den Wäldern, versetzte der Buschmann, wenn es sich um solche Operationen handelt! Aber was haben auch diese Gelehrten dabei im Sinn, daß sie die Länge oder Breite der Erde ausmessen? Werden sie etwas davon haben, daß sie die Erde so auf Fuß und Zoll ausrechnen? Ich meines Theils, Ew. Gnaden, will lieber Nichts von diesen Dingen wissen! Ich will lieber den Erdball, den ich bewohne, für unendlich, unermeßlich halten, und ich meine, man setzt ihn herab, wenn man ihn so genau ausmißt. Nein, Sir John, ich könnte hundert Jahre leben, und würde den Nutzen Ihrer Operationen nicht einsehen.«

Sir John konnte sich des Lachens nicht enthalten. Er hatte diesen Gegenstand schon oft mit dem Jäger besprochen, und dies unwissende Naturkind, dieser freie Wanderer durch Wälder und Ebenen, dieser unerschrockene Treiber des Hochwildes konnte augenscheinlich das wissenschaftliche Interesse, welches mit einer Triangulation verbunden, nicht verstehen. Zuweilen hatte ihm Sir John zugesetzt, doch antwortete ihm der Buschmann mit Gründen voll wahrer Naturphilosophie, die er mit einer Art natürlicher Beredtsamkeit vorbrachte, deren ganzen Reiz jener als halber Gelehrter und halber Jäger zu würdigen verstand. So plaudernd, verfolgten Sir John und Mokum das kleine Wild der Ebenen, Berghasen, eine neue Art Nagethiere, die von Ogilly erkannt wurden, einige grellschreiende Regenvögel und Schaaren Rebhühner mit braunem, gelbem und schwarzem Gefieder. Doch konnte man sagen, Sir John trug allein die Kosten dieser Jagd; der Buschmann schoß wenig; er schien sich über die Feindschaft der beiden Astronomen Gedanken zu machen, welche nothwendig den Erfolg der Expedition gefährden mußte. So mannigfach das Wildpret auch war, er beachtete es wenig.

[124] In der That arbeitete ein vorläufig noch unklarer Gedanke in dem Geist des Buschmanns, und nahm nach und nach eine bestimmtere Form in seinem Kopfe an. Sir John hörte, wie er mit sich selbst sprach, sich fragte, sich antwortete. Er sah ihn, wie er gleichgiltig gegen alles Wild, das in die Nähe kam, unbeweglich und in sich versenkt war, wie Nicolaus Palander beim Forschen nach einem Logarithmenfehler gewesen war. Doch respectirte Sir John diese Stimmung und wollte seinen Begleiter nicht einem so ernsten Nachdenken entreißen.

Zwei oder drei Mal des Tages näherte sich Mokum Sir John und sagte:

»So glauben Ew. Gnaden also, daß der Oberst Everest und Mathieu Strux sich nicht verständigen werden?«

Auf diese Frage antwortete Sir John unveränderlich, eine Verständigung scheine ihm schwierig, und es sei ein Bruch zwischen den Engländern und Russen zu befürchten.

Ein letztes Mal, gegen Abend, einige Meilen vom Lager, stellte Mokum dieselbe Frage und erhielt dieselbe Antwort. Dann fügte er hinzu:

»Nun wohl, Ew. Gnaden mögen sich beruhigen, ich habe ein Mittel gefunden, den beiden Gelehrten zu gleicher Zeit ihr Recht werden zu lassen!

– Wirklich, mein wackerer Jäger? antwortete Sir John, etwas überrascht.

– Ja! ich wiederhole es, Sir John; vor morgen noch wird der Oberst Everest und Herr Strux keinen Grund zum Streit mehr haben, wenn der Wind günstig ist.

– Was wollen Sie damit sagen, Mokum?

– Ich weiß, was ich meine, Sir John.

– Nun gut, thun Sie so, Mokum, Sie würden sich um das gelehrte Europa verdient machen.

– Das ist viel Ehre für mich, Sir John«, antwortete der Buschmann, und ohne Zweifel seinen Plan überlegend, fügte er kein Wort mehr hinzu.

Sir John achtete diese Schweigsamkeit und verlangte keine Erklärung vom Buschmann. Aber wirklich konnte er nicht errathen, durch welches Mittel sein Begleiter die beiden Eigensinnigen vereinen zu können meinte, welche auf so lächerliche Weise den Erfolg des Unternehmens auf's Spiel setzten.

Die Jäger kehrten in's Lager gegen fünf Uhr Abends zurück. Man war [125] in der Sache keinen Schritt vorwärts gekommen und das Verhältniß zwischen dem Russen und Engländer war nur noch feindlicher geworden. Die wiederholte Vermittlung Michael Zorn's und William Emery's hatte kein Resultat gehabt. Persönliche Aufforderungen, bedauerliche gegenseitige Beschuldigungen hatten jetzt jede Annäherung unmöglich gemacht. Es stand sogar zu befürchten, daß der auf solche Höhe getriebene Streit bis zu einer Herausforderung gehen würde. Die Zukunft des Unternehmens war also schon bis auf einen gewissen Punkt in Gefahr, sofern nicht jeder der beiden Gelehrten für sich allein die Messung fortsetzte. Die in diesem Fall unvermeidliche Trennung ging besonders den beiden jungen Männern zu Herzen, die so an einander gewöhnt und durch gegenseitige Sympathie eng mit einander verbunden waren.

Sir John begriff, was in ihnen vorging, errieth bald den Grund ihrer Traurigkeit. Vielleicht hätte er sie durch die Worte des Buschmanns beruhigen können, aber so viel Vertrauen er auch zu diesem letzteren hatte, wollte er seinen jungen Freunden doch keine vergebliche Freude bereiten und entschloß sich bis zum nächsten Tage darauf zu warten, wie Mokum sein Versprechen erfüllen werde.

Dieser änderte während des Abends nichts an seinen gewöhnlichen Beschäftigungen. Er stellte die Wache für das Lager wie immer auf Er überwachte die Wagen und ergriff alle für die Sicherheit der Karawane nothwendigen Maßregeln.

Sir John mußte glauben, der Jäger habe sein Versprechen vergessen. Ehe er zur Ruhe ging, wollte er wenigstens den Oberst Everest in Betreff des russischen Astronomen ausforschen. Der Oberst zeigte sich jedoch unerschütterlich, so ganz in seinem Recht, mit dem Beifügen, daß, im Fall Mathieu Strux nicht nachgeben wolle, die Engländer und Russen sich trennen müßten, da »es Dinge gebe, welche man nicht einmal von Seiten eines Collegen sich gefallen lassen könne.«

Hierauf ging Sir John Murray, sehr beunruhigt, schlafen, und da er von der Jagd sehr ermüdet war, schlief er auch bald ein. Gegen elf Uhr Nachts wachte er plötzlich auf. Eine ungewöhnliche Bewegung hatte die Eingeborenen ergriffen. Sie liefen im Lager hin und her.

Sir John sprang sofort auf und fand schon seine Gefährten alle auf den Beinen.

[126] Der Wald stand in Flammen! Was für ein Schauspiel! In dieser finstern Nacht, am schwarzen Himmelsgrunde, schien sich der Flammenvorhang bis in den Zenith empor zu ziehen! In einem Augenblick hatte sich das Feuer mehrere Meilen weit entwickelt.

Sir John Murray sah Mokum an, der unbeweglich neben ihm stand. Doch Mokum beantwortete diesen Blick nicht. Sir John hatte begriffen – das Feuer sollte den Gelehrten einen Weg durch diesen Jahrhunderte alten Wald bahnen. Ein kräftiger Südwind begünstigte des Buschmanns Plan. Die wie aus einem Ventilator herausströmende Luft sachte das Feuer an und sättigte die sprühende Gluth mit Sauerstoff. Sie sachte die Flammen an, riß Feuerbrände, flammende Zweige, weißglühende Kohlen mit sich fort und verbreitete sie weiter in die dicksten Schläge, welche alsbald zu neuen Feuerstätten wurden. Der Schauplatz des Feuers vergrößerte und erweiterte sich immer mehr. Eine auf's Höchste gestiegene Hitze drang bis an's Lager. Das dürre unter dem dunkeln Laubwerk angesammelte Holz knisterte. Mitten im Flammenmeer erglänzten einzelne hellere Streifen, welche von den harzigen Bäumen herrührten, die wie Fackeln flammten. Das war ein wirkliches Knallen gleich Büchsenschüssen, ein Knistern und Prasseln, je nach der Natur der Baumgattung; das Holz von alten Eisenbaumstämmen platzte wie Bomben, und über all' diesem der Widerschein dieses Riesenfeuers am Himmel. Die blutrothen Wolken schienen Feuer gefangen zu haben, als ob sich die Feuersbrunst bis zur Höhe des Firmaments erstreckt hätte. Funkengarben sprühten am schwarzen Himmelsgewölbe mitten durch dichte Rauchmassen. Dann vernahm man auf allen Seiten Heulen, Gelächter, Brüllen von Thieren. Schatten huschten vorüber, erschreckte Heerden, die nach allen Seiten hin flohen, große dunkle Gespenster, deren fürchterliches Brüllen sie in der Bande der Flüchtlinge verrieth. Ein entsetzlicher Schrecken trieb diese Hyänen, Büffel, Löwen, Elephanten bis an die äußersten Grenzen des finstern Horizontes.

Die Feuersbrunst dauerte die ganze Nacht, den folgenden Tag und auch noch die nächste Nacht. Und als der Morgen des 14. August erschien, war der Wald mehrere Meilen weit vom Feuer verzehrt, und zugänglich. Dem Meridian war Bahn gemacht, und für dies Mal die Zukunft der Triangulation durch die kühne That des Jägers Mokum gerettet.


Das Thierreich auf der Flucht. (S. 127.)
[127]

14. Capitel

Vierzehntes Capitel.
Eine Kriegserklärung.

Die Arbeit wurde am selben Tage wieder aufgenommen. Jeder Vorwand zum Streit war verschwunden.


Auseinandersetzung zwischen Everest und Strux. (S. 134.)

Der Oberst Everest und Mathieu Strux [128] versöhnten sich zwar nicht, doch nahmen sie zusammen die geodätischen Operationen wieder auf.

Auf der linken Seite dieser großen Oeffnung, die der Brand geschaffen, erhob sich ein sichtbarer Hügel, in einer Entfernung von ungefähr fünf Meilen. Sein Gipfel konnte zum Zielpunkt genommen werden und als Spitze des neuen Dreiecks dienen. Der Winkel, welchen er mit der letzten Station bildete, wurde ausgemessen, und am folgenden Tage bewegte sich die ganze Karawane durch den eingeäscherten Wald.

[129] Es war ein mit Kohle gepflasterter Weg. Der Boden war noch glühend; Holzklötze rauchten hier und dort und ein heißdampfender Brodem stieg auf. An vielen Stellen lagen verkohlte Cadaver von Thieren, die, auf der Flucht überrascht, der Wuth des Feuers nicht mehr hatten entrinnen können. Schwarzer Rauch, welcher hier und da aufwirbelte, zeigte, daß noch einzelne theilweise Feuerstätten vorhanden waren. Man konnte sogar glauben, das Feuer sei noch nicht erloschen, und durch den Wind, der sich bald wieder stärker erheben konnte, werde der Wald vollends zerstört werden.

Deshalb beeilte die wissenschaftliche Commission ihren Weg vorwärts. Die Karawane war, wenn sie in einen Feuerkreis gerieth, verloren. Sie suchte rasch über den Schauplatz des Feuers hinweg zu kommen, dessen letzte Seitenwände noch brannten. Mokum trieb daher die Wagenführer an, und gegen Mitte des Tages wurde das Lager am Fuße des mit der Winkelmeßscheibe schon aufgenommenen Hügels errichtet.

Die Felsmasse, aus welcher diese Bodenerhöhung bestand, schien dort durch Menschenhand errichtet zu sein. Es war wie ein Dolmen, ein Haufen Druidensteine, welcher an diesem Ort einen Archäologen sehr in Ueberraschung versetzt hätte. Ein ungeheurer kegelförmiger Sandstein überragte das Ganze als Spitze dieses Monuments aus der Urzeit, welches ein afrikanischer Altar sein mußte. Die beiden jungen Astronomen und Sir John Murray wollten dieses seltsame Bauwerk beschauen und stiegen an einem Abhang des Hügels bis zum obern Plateau hinaus. Der Buschmann begleitete sie.

Die Besucher waren nur noch zwanzig Schritt vom Dolmen, als ein bis dahin hinter einem der Steine am Fuß desselben versteckter Mann einen Augenblick sich zeigte; dann rollte er den Hügel, so zu sagen über sich selbst, hinab und entzog sich den Blicken in einem von Feuer verschonten Dickicht.

Der Buschmann sah den Mann nur einen Augenblick, aber dieser genügte ihn zu erkennen. »Ein Makololo!« rief er aus, und eilte dem Flüchtling auf der Ferse nach.

Sir John, instinctmäßig mit fortgerissen, folgte sei nem Freund, dem Jäger, und Beide durchstreiften das Holz, ohne den Eingeborenen zu Gesicht zu bekommen. Dieser hatte den Wald erreicht, dessen versteckteste Pfade er kannte, und der geschickteste Späher hätte ihn nicht einholen können. Sobald der Oberst Everest von diesem Vorfall Kenntniß erhielt, ließ er den Buschmann kommen und befragte ihn hierüber.

[130] Wer war dieser Eingeborene? Was that er hier? Warum hatte er den Flüchtling verfolgt?

»Es ist ein Makololo, Herr Oberst, antwortete Mokum, ein Eingeborener von den Stämmen aus dem Norden, welche häufig die Nebenflüsse des Zambesi besuchen. Es ist ein Feind, nicht allein von uns Buschmännern, sondern auch ein von allen Reisenden, die sich in's Innere Süd-Afrikas wagen, gefürchteter Räuber. Dieser Mensch spähte uns aus, und wir werden es vielleicht noch bedauern, daß wir seiner nicht habhaft werden konnten.

– Aber Buschmann, erwiderte der Oberst, was haben wir von einer Bande solcher Diebe zu befürchten? Sind wir nicht in hinreichender Anzahl, ihnen zu widerstehen?

– In diesem Augenblick, ja, antwortete der Erstere, doch begegnet man diesen Raubstämmen häufiger im Norden, und dort entgeht man ihnen schwer. Wenn dieser Makololo ein Spion ist, was ich nicht bezweifle, wird er nicht ermangeln, uns einige hundert Räuber in den Weg zu bringen, und dann, Herr Oberst, gebe ich keinen Heller für all' Ihre Triangel!«

Der Oberst war über diese Begegnung sehr betroffen. Er kannte den Buschmann als einen Mann, der die Gefahr nicht übertrieb, und wußte, daß man seinen Bemerkungen Glauben schenken konnte. Die Absichten des Eingeborenen konnten nur verdächtige sein; sein plötzliches Erscheinen, seine schnelle Flucht bewiesen, daß man ihn beim Spüren ertappt hatte. Es schien somit höchst wahrscheinlich, daß die Anwesenheit der englisch-russischen Commission den Nordstämmen sofort bekannt wurde. Es gab auf alle Fälle kein Mittel dagegen. Man beschloß nur den Marsch der Karawane mit größter Aufmerksamkeit zu beobachten, und die Vermessungsarbeiten wurden fortgesetzt.

Am 17. August hatte man einen dritten Grad des Meridians erhalten. Gute Breitebeobachtungen bestimmten genau den erreichten Punkt. Die Astronomen hatten nun drei Grade des Bogens gemessen, welche die Bildung von zweiundzwanzig Triangel vom Ende der südlichen Basis an, nöthig gemacht hatten. Die Untersuchung auf der Karte zeigte an, daß das Dorf Kolobeng nur ungefähr hundert Meilen nordöstlich vom Meridian lag. Die Astronomen beriethen miteinander und beschlossen, einige Tage in diesem Dorf auszuruhen, in welchem sie ohne Zweifel Nachrichten aus Europa erhalten würden. Seit sechs Monaten hatten sie die Ufer des Orange verlassen, und in den Einöden Süd-Afrikas verloren, waren sie ohne Verkehr mit der [131] civilisirten Welt. Zu Kolobeng, einem ziemlich bedeutenden Dorfe und einer Hauptmissionsstation, konnten sie vielleicht das mit Europa zerrissene Band wieder anknüpfen. Hier sollte sich auch die Karawane von den Strapazen erholen und die Verproviantirung erneuern.

Der unerschütterliche Stein, welcher als Zielpunkt bei der letzten Beobachtung gedient hatte, wurde als Haltepunkt des ersten Theils der geodätischen Arbeit angenommen. An diesem feststehenden Signal sollten die nachfolgenden Beobachtungen auf's Neue beginnen, und seine Breite wurde deshalb genau festgesetzt. Der Oberst Everest, nachdem er sich dieses Merkzeichens versichert, gab das Zeichen zum Aufbruch, und die ganze Karawane nahm die Richtung nach Kolobeng.

Am 22. August kamen die Europäer ohne allen Zwischenvorfall in diesem Dorfe an. Kolobeng besteht nur aus einem Haufen von Hütten der Eingeborenen und dem Missionshause. Es wird auch auf manchen Karten Litubaruba genannt, und hieß früher Lepelole. Dort wohnte der Doctor David Livingstone mehrere Monate im Jahre 1843, und machte sich mit den Sitten der Bechuanas vertraut, welche in diesem Theile Süd-Afrikas unter dem Namen Bakuins noch specieller bekannt sind.

Von den Missionären wurden die Mitglieder der wissenschaftlichen Commission sehr gastfreundlich empfangen und sie stellten ihnen alle Hilfsquellen des Landes zur Verfügung. Man konnte noch Livingstone's Haus sehen, so wie es beim Besuch des Jägers Baldving war, das heißt, zerstört und ausgeplündert, denn die Boërs haben es bei ihrem Ueberfall 1852 nicht geschont.

Die Astronomen erkundigten sich, nachdem sie untergebracht waren, sofort nach Neuigkeiten aus Europa. Der Pater, welcher an der Spitze der Mission stand, konnte ihre Neugier jedoch nicht befriedigen, da seit sechs Monaten keine Botschaft an die Mission gekommen war. Doch erwartete man in einigen Tagen einen Eingeborenen, Ueberbringer von Journalen und Depeschen, dessen Ankunft an den Ufern des Zambesi seit einiger Zeit angekündigt war. Der Meinung des Paters nach konnte sich die Ankunft dieses Couriers keine Woche mehr verzögern. Gerade so lange Zeit wollten die Astronomen der Ruhe widmen, und sie brachten diese Woche im vollständigsten »far niente« zu, während Nicolaus Palander sie benutzte, um alle seine Berechnungen durchzusehen.

[132] Mathieu Strux verkehrte wenig mit seinen englischen Collegen und hielt sich scheu abseits. William Emery und Michael Zorn wandten ihre Zeit nützlich zu Spaziergängen in der Umgebung von Kolobeng an. Die schönste Freundschaft verband diese Beiden mit einander, und sie waren überzeugt, daß dieses auf gegenseitige Herzens- und Geistessympathie gegründete Freundschaftsband durch kein Ereigniß jemals zerrissen werden könne.

Am 30. August kam der so ungeduldig erwartete Bote an. Es war ein Eingeborener aus Kilimane, einer Stadt an der Mündung des Zambesi. Ein Kauffahrteischiff von der Insel Mauritius, welche mit Gummi und Elfenbein Handel treibt, hatte an dieser Stelle der Ostküste in den ersten Tagen des Juli angelegt und die Depeschen den Missionären von Kolobeng überbracht. Diese Depeschen waren mehr als zwei Monate alt, da der Eingeborene fast vier Wochen gebraucht hatte, den Zambesi hinauszufahren.

An diesem Tage ereignete sich ein Vorfall, der mit seinen Einzelheiten erzählt werden muß, denn seine Folgen gefährdeten ernstlich den Erfolg des wissenschaftlichen Unternehmens.

Der Vorstand der Mission übergab gleich nach der Ankunft des Boten dem Oberst Everest ein Packet europäischer Zeitungen. Die Mehrzahl der Journale waren »Times«, »Daily News« und »Journal des Débats«. Die Neuigkeiten, welche sie enthielten, hatten, wie man sehen wird, unter Umständen eine ganz besondere Wichtigkeit.

Die Mitglieder der Commission waren im Hauptsaal des Missionshauses versammelt. Der Oberst nahm aus dem Packet Zeitungen eine Nummer der »Daily News« vom 13. Mai 1854, um sie seinen Collegen vorzulesen.

Kaum hatte er jedoch den Titel des ersten Artikels gelesen, als seine Physiognomie sich plötzlich veränderte, seine Stirn sich faltete und das Blatt in seiner Hand zitterte. Nach einigen Augenblicken hatte er sich jedoch gesammelt und seine natürliche Ruhe wieder gefunden.

Sir John Murray erhob sich jetzt und wandte sich an den Oberst:

»Was bringt denn dies Journal?

– Ernste Nachrichten, meine Herren, antwortete Ersterer, ernste Nachrichten, die ich Ihnen mittheilen will!«

Seine Collegen konnten seine Haltung nicht mißverstehen und erwarteten ungeduldig, daß er sich ausspräche.

[133] Der Oberst stand auf und trat zum großen Erstaunen Aller zu Mathieu Strux heran, und sagte zu ihm:.

»Ehe ich die in dieser Zeitung enthaltenen Nachrichten mittheile, mein Herr, wünsche ich eine Bemerkung zu Ihnen zu machen.

– Ich bin bereit, sie zu hören«, erwiderte der Russe.

Mit ernstem Tone sagte darauf der Erstere:

»Bisher, Herr Strux, haben uns mehr persönliche als wissenschaftliche Interessen getrennt und unsere Mitarbeiterschaft an einem Werke von gemeinsamem Interesse schwierig gemacht. Ich glaube, dieser Zustand der Dinge ist einzig dem Umstande zuzuschreiben, daß man uns Beide an die Spitze der Expedition gestellt hat. Dies verursachte zwischen uns ein beständiges Entgegenwirken, und ich meine, daß jedes Unternehmen, welcher Art es auch sei, nur einen einzigen Chef haben darf. Ist dies nicht auch Ihre Ansicht?«

Mathieu Strux neigte zum Zeichen der Zustimmung den Kopf.

»Herr Strux, nahm der Oberst wieder das Wort, in Folge veränderter Umstände wird sich diese peinliche Situation ändern. Doch erlauben Sie mir, Ihnen vorher zu sagen, mein Herr, daß ich für Sie eine große Achtung hege, die Achtung, welche Ihre Stellung in der gelehrten Welt verdient. Ich bitte Sie also zu glauben, daß ich Alles, was zwischen uns vorgefallen, herzlich bedauere.«

Dies sprach der Oberst mit großer Würde, sogar mit seltsamem Stolz. Man empfand keine Demüthigung in diesen so nobel ausgesprochenen Entschuldigungen.

Weder Mathieu Strux noch seine Collegen wußten, wo der Oberst damit hinauswollte, und konnten den Beweggrund, der ihn so zu handeln trieb, nicht errathen. Vielleicht war der russische Astronom, der nicht dieselben Gründe wie sein College hatte, sich so auszudrücken, weniger geneigt, seine persönlichen Empfindungen zu vergessen. Doch überwand er diese Abneigung und antwortete:

»Herr Oberst, ich denke wie Sie, daß unsere Rivalität, nach deren Ursprung ich einst nicht fragen will, in keinem Falle dem wissenschaftlichen Werke, mit welchem wir beauftragt sind, schaden darf. Ich empfinde gleichfalls für Sie die Achtung, welche Ihre Talente verdienen, und so viel als von mir abhängt, werde ich in unsern Beziehungen künftig meine Persönlichkeit[134] bei Seite stellen. Doch sprachen Sie von einem Wechsel, den Umstände in unserer gegenseitigen Lage hervorbringen würden. Ich begreife nicht ...

– Sie werden bald begreifen, Herr Strux, antwortete der Oberst mit einem Tone, der einen Anflug von Traurigkeit hatte. Geben Sie mir jedoch zuvor Ihre Hand.

– Hier«, sagte Mathieu Strux nicht ohne leichte Zögerung.

Sie reichten einander die Hand, ohne ein Wort hinzuzufügen.

»Endlich sind Sie also Freunde! rief Sir John Murray aus.

– Nein, Sir John, antwortete der Oberst, indem er die Hand des Russen losließ, wir sind von jetzt ab Feinde, durch einen Abgrund getrennt! Feinde, die sich sogar nicht mehr auf dem Boden der Wissenschaft begegnen dürfen!«

Dann wandte er sich an seine Collegen und setzte hinzu:

»Meine Herren, der Krieg zwischen England und Rußland ist erklärt. Hier sind englische, russische und französische Zeitungen, welche die Erklärung bringen!«

In der That hatte in diesem Augenblicke der Krieg von 1854 begonnen. Die Engländer, mit den Franzosen und Türken verbunden, kämpften vor Sebastopol. Die orientalische Frage wurde mit Kanonenschüssen im Schwarzen Meere verhandelt.

Die letzten Worte des Oberst Everest wirkten wie ein Blitzstrahl. Der Eindruck war bei diesen Engländern und Russen, die in seltenem Grade Nationalitätsgefühl besitzen, ein heftiger. Sie standen rasch auf. Die bloßen Worte: »Der Krieg ist erklärt«, hatten genügt. Es waren nicht mehr Gefährten, Collegen, Gelehrte, zur Erfüllung eines wissenschaftlichen Werkes vereint, es waren Feinde, die sich schon mit Blicken maßen, so viel Einfluß haben diese Zweikämpfe zwischen Nation und Nation auf das Herz der Menschen. Eine unwillkürliche Bewegung trennte die Europäer von einander, sogar Nicolaus Palander unterlag dem allgemeinen Einflusse. Nur Michael Zorn und William Emery sahen einander vielleicht mit mehr Traurigkeit als Feindseligkeit an, und bedauerten, sich nicht einen letzten Händedruck vor der Mittheilung des Oberst gegeben zu haben.


Zwei befreundete Landesfeinde. (S. 137.)

Kein Wort wurde gesprochen. Nachdem man einen Gruß ausgetauscht, zogen sich Alle zurück.

Diese neue Situation, diese Trennung der beiden Parteien, mußte die [135] Fortsetzung der Arbeiten schwierig machen, aber unterbrachen sie nicht. Jeder wollte im Interesse seines Landes weiter operiren. Dabei mußten jetzt die Messungen auf zwei verschiedene Meridiane übertragen werden. In einer Unterredung der beiden Chefs wurden die Details festgestellt. Das Loos entschied, daß die Russen auf dem schon laufenden Meridian zu arbeiten fortfahren sollten. Die Engländer sollten sechzig oder achtzig Meilen östlich einen neuen Bogen beginnen, den sie mit dem ersten durch eine Reihe [136] Hilfsdreiecke verbinden würden; dann sollten sie die Vermessung bis zum zwanzigsten Breitegrade fortsetzen.

Alle diese Fragen wurden zwischen den beiden Gelehrten gelöst, ohne etwas Auffallendes herbeizuführen. Die persönliche Rivalität verschwand vor der nationalen. Mathieu Strux und der Oberst wechselten kein unfreundliches Wort und hielten sich in den Grenzen äußerster Höflichkeit.

Die Karawane sollte ebenfalls in zwei Trupps getheilt werden und sollte jeder Trupp sein Material behalten. Doch bestimmte das Loos den Russen den Besitz des Dampfbootes, das man in der That nicht theilen konnte.

Der den Engländern und besonders Sir John sehr anhängliche Buschmann ging mit der englischen Karawane. Der Foreloper, ein ebenfalls sehr verständiger Mann, wurde an die Spitze der russischen Karawane gestellt. Jede Partei behielt ihre Instrumente, sowie eins der doppelten Register, in welche die Ziffernresultate der Operationen bisher eingetragen worden waren.

Am 31. August trennten sich die Mitglieder der ehemaligen internationalen Commission. Die Engländer gingen voran, um ihren neuen Meridian an der letzten Station anzuknüpfen. Sie verließen Kolobeng um acht Uhr Morgens, nachdem sie den Missionsbrüdern für die ihnen erwiesene Gastfreundschaft gedankt hatten.

Wenn einige Augenblicke vor der Abreise der Engländer einer der Missionäre in das Zimmer Michael Zorn's getreten wäre, würde er gesehen haben, wie William Emery die Hand seines ehemaligen Freundes gedrückt, jetzt durch den Willen ihrer Majestäten, der Königin und des Czaren, sein Feind!

15. Capitel

Fünfzehntes Capitel.
Ein neuer Grad.

Die Trennung war vollzogen. Die Astronomen mußten jetzt bei den geodätischen Arbeiten angestrengter thätig sein, doch durfte die Operation [137] selbst nicht darunter leiden. Dieselbe Genauigkeit, dieselbe Strenge mußten auf die Vermessung des neuen Meridians verwandt, die Untersuchungen mit gleicher Sorgfalt gemacht werden. Nur konnten die drei englischen Gelehrten, sich in die Aufgabe theilend, weniger schnell und mehr ermüdend, vorwärts gehen. Was die Russen ihrerseits vollbringen wollten, gedachten sie gleichfalls auf dem neuen Meridian-Bogen zu thun. Die nationale Eigenliebe mußte ihnen im Nothfall bei dieser langen, mißlichen Aufgabe zu Hilfe kommen. Drei mußten die Arbeit von sechs verrichten, deshalb war jeder Gedanke und jede Minute für das Unternehmen nöthig. William Emery war so gezwungen, sich weniger seinen Träumereien, und Sir John Murray weniger seinen Studien des südafrikanischen Wildes zu überlassen.

Man stellte sofort ein neues Programm, das jedem der drei Astronomen seinen Antheil der Arbeit zuwies, fest. Sir John und der Oberst nahmen die zenithalen und geodätischen Beobachtungen auf sich. William Emery ersetzte Nicolaus Palander in der Function des Rechnens. Natürlich entschied man die Wahl der Stationen, die Aufstellung der Zielpunkte gemeinsam, und eine Uneinigkeit stand unter diesen drei Gelehrten nicht zu befürchten.

Der brave Mokum blieb wie vorher der Jäger und Führer der Karawane. Die sechs englischen Matrosen, aus denen die Mannschaft der »Königin und Czar« bestand, waren natürlich ihrem Chef gefolgt, und während das Dampfboot den Russen geblieben war, bildete das zur Fahrt auf einfachen Landgewässern hinreichende Kautschukboot einen Theil des englischen Materials. Die Wagen hatte man der Natur der Verproviantirungen zufolge getheilt, und so war also für die Lebensmittel und selbst für die Bequemlichkeit der beiden Karawanen gesorgt. Die unter dem Befehl des Buschmanns stehenden Eingeborenen hatten sich ebenfalls in zwei gleiche Hälften getheilt, wobei diese durch ihre Haltung ihr Mißfallen bei der Trennung bezeigten. Vielleicht hatten sie vom Standpunkt der allgemeinen Sicherheit aus Recht. Die Buschmänner sahen sich aus ihren bekannten Regionen fortgerissen, fort von den Weideplätzen und Gewässern, die sie gewöhnlich besuchten, in eine nördliche Gegend, worin zahlreiche umherziehende, den Süd-Afrikanern unglücklicherweise feindliche Stämme umherzogen, und deshalb paßte es ihnen wenig, ihre Kräfte zu zersplittern. Doch hatten sie endlich mit Hilfe des Buschmanns und des Forelopers in die Zutheilung an die zwei Karawanen gewilligt, die überdem, – und das war der Grund, der sie dazu geneigter stimmte – [138] in nicht zu weiter Entfernung von einander in derselben Region operiren sollten.

Als die Truppe des Oberst Everest am 31. August Kolobeng verließ, wandte sie sich nach dem Dolmen, der als Zielpunkt bei den letzten Beobachtungen gedient hatte. Sie kam also in den niedergebrannten Wald und an den Hügel zurück. Am 2. September nahm man die Operationen wieder auf und ein großer Triangel, dessen Spitze sich auf der linken Seite an eine, auf einer Bodenerhöhung errichtete Signalstange anlehnte, gestattete den Beobachtern, sich sofort zehn bis zwölf Meilen westlich vom alten Meridian zu begeben.

Sechs Tage später, am 8. September, war die Reihe der Hilfsdreiecke vollendet, und der Oberst Everest wählte in Uebereinstimmung mit seinen Collegen und nach Besichtigung der Karten, seinen neuen Meridianbogen, welchen fernere Messungen bis zum zwanzigsten Grad südlicher Breite fortführen sollten. Dieser Meridian lag einen Grad westlich vom ersteren; es war der dreiundzwanzigste, östlich vom Meridian von Greenwich aus gezählt. So operirten die Engländer nur sechzig Meilen entfernt von den Russen, doch genügte diese Entfernung, um das Kreuzen ihrer Triangel zu verhindern. Unter solchen Umständen war es unwahrscheinlich, daß die beiden Parteien bei ihren trigonometrischen Messungen auf einander trafen, und demzufolge ebenso unwahrscheinlich, daß die Wahl eines Zielpunktes der Grund zu einem Streit oder bedauernswerthen Conflict wurde.

Das Land, welches die Engländer während des Monats September durchzogen, war fruchtbar und uneben, doch wenig bevölkert. Es begünstigte den Zug der Karawane; und da der Himmel sehr klar, wolken-und nebellos war, konnte man leicht Beobachtungen machen. Wenig größere Wälder, Buschwerk in weiter Ausdehnung, große Ebenen, die hier und da Bodenanschwellungen zeigten, welche sich zur Aufstellung von Zielpunkten eigneten, unter reger Thätigkeit der Instrumente bei Tag und Nacht. Außerdem war es eine bewundernswürdige, an allen Naturproducten ergiebige Gegend. Die meisten Blumen zogen durch ihren starken Geruch Schwärme von Käfern an, und insbesondere eine Art Bienen, die sich wenig von den europäischen unterschied, erzeugten in Fels- oder Baumspalten einen weißen, sehr flüssigen und köstlich schmeckenden Honig. Einige große Thiere wagten sich zuweilen Nachts in die Nähe des Lagers. Es waren Giraffen, verschiedene Antilopenarten, einige[139] reißende, wilde Hyänen oder Rhinoceros, auch Elephanten. Doch wollte sich Sir John nicht mehr zerstreuen lassen. Seine Hand führte jetzt das Fernglas des Astronomen und nicht mehr die Büchse des Jägers.

Unter solchen Verhältnissen versahen Mokum und einige Eingeborene das Amt der Lieferanten, doch kann man denken, wie bei ihrem Schießen Seiner Gnaden das Herz klopfte. Unter des Buschmanns Schüssen fielen zwei oder drei große Büffel der Prärien, die Bokolokolos der Betjuanas, die vom Maul bis zum Schwanz vier Meter und vom Huf bis zur Schulter zwei Meter messen. Ihre schwarze Haut hat einen bläulichen Schimmer. Es waren mächtige Thiere mit kurzen, kräftigen Gliedern, kleinem Kopf, wilden Augen, die Stirn mit starken, schwarzen Hörnern geschmückt. Ein trefflicher Zuwachs von frischem Wildpret, welches Abwechslungen in die gewöhnliche Mahlzeit der Karawane brachte. Die Eingeborenen bereiteten das Fleisch derart zu, daß man es, gleich dem Pemmican der Indianer des Nordens, unendlich lange aufheben konnte. Die Europäer verfolgten diese kulinarische Operation mit Interesse, nachdem sie Anfangs einigen Widerwillen dagegen empfunden. Das Büffelfleisch wurde, nachdem es in dünne Streifen geschnitten und an der Sonne getrocknet worden, in eine gegerbte Haut gewickelt und dann mit Dreschflegeln bearbeitet, wodurch das Fleisch in eine pulverisirte Masse verwandelt wurde. Dieser in Ledersäcke fest verpackte Staub wurde darauf mit kochendem vom Thiere selbst gewonnenem Fett befeuchtet. Diesem, wie man zugeben muß, etwas talgigen Fett, fügten die afrikanischen Köche seines Mark und einige Strauchbeeren hinzu, deren Zuckerstoff sich, wie es schien, mit dem Faserstoff des Fleisches verbinden sollte. Dann wurde das Ganze gemischt, gestampft, geschlagen, bis es sich zu einem Kuchen geformt hatte, dessen Härte in erkaltetem Zustande dem Steine gleichkam. Die Zubereitung war beendigt, und Mokum bat die Herren, dies Gemisch zu kosten. Diese gaben den Bitten des Jägers nach, der auf seinen Pemmican wie auf ein Nationalgericht hielt. Die ersten Bissen kamen den Engländern widerlich vor; doch bald fanden sie Geschmack an diesem afrikanischen Pudding und wurden dann große Liebhaber desselben. Es war wirklich eine sehr stärkende Nahrung, und für eine in einem fremden, unbekannten Lande umherziehende Karawane, der die frischen Lebensmittel fehlen konnten, sehr geeignet; eine nahrhafte, leicht transportirbare, unveränderliche Masse, die in einem kleinen Umfange eine große Menge nahrhafter Stoffe enthielt. Dank dem Jäger [140] bekamen sie bald einen Vorrath von Pemmican, welcher mehrere hundert Pfund betrug, wodurch das Bedürfniß für die Zukunft gesichert wurde. So vergingen die Tage, und die Nächte wurden zu Beobachtungen verwendet. William Emery gedachte stets seines Freundes Michael Zorn und beklagte das Schicksal, das in einem Augenblick die Bande engster Freundschaft zerriß. Ja, Michael Zorn fehlte ihm, und sein Herz, stets von den Eindrücken, welche diese erhabene und wilde Natur hervorbrachte, erfüllt, wußte nicht, wohin sich ergießen. Dann versenkte er sich in seine Rechnungen und flüchtete sich in seine Zahlen mit der zähen Ausdauer eines Palander, und so verflossen die Stunden. Der Oberst Everest war derselbe Mann mit dem kalten Temperamente, der nur für trigonometrische Operationen Leidenschaft hatte. Sir John bedauerte offen seine ehemalige halbe Freiheit, doch hütete er sich wohl, darüber zu klagen.

Dennoch gestattete das Glück Seiner Gnaden sich von Zeit zu Zeit zu erholen. Hatte er auch nicht mehr die Zeit, das Gehölz zu durchstreifen und das Hochwild zu jagen, so nahmen sich doch bei gewissen Gelegenheiten die Thiere die Mühe, zu ihm zu kommen und seine Beobachtungen zu unterbrechen. In diesem Fall war der Jäger und der Gelehrte nur eins in ihm. Sir John befand sich im Zustand gesetzlicher Vertheidigung, und in einem solchen Falle hatte er ein ernsthaftes Zusammentreffen mit einem alten Rhinoceros aus der Umgegend. Es war am 12. September, und das Abenteuer kam ihm ziemlich theuer zu stehen, wie man sehen wird.

Seit einiger Zeit schon strich das Thier um die Karawane herum. Es war ein ungeheurer »Chucuroo«, wie die Buschmänner diesen Dickhäuter nennen. Er maß vierzehn Fuß in der Länge und sechs in der Höhe und an seiner schwarzen Hautfarbe, die weniger runzlich war als die seiner asiatischen Brüder, hatte der Buschmann erkannt, daß es ein gefährliches Thier war. Die schwarzen Arten sind in der That behender und feindseliger als die weißen, und sie greifen ohne Herausforderung Thiere wie Menschen an.

An diesem Tage ging Sir John Murray in Begleitung Mokum's sechs Meilen von der Station, um eine Anhöhe in Augenschein zu nehmen, auf welche der Oberst einen Pfahl zum Zielpunkt errichten wollte. Eine Ahnung trieb ihn, seine Spitzkugel-Büchse mitzunehmen, und nicht sein einfaches Jagdgewehr. Obgleich sich das Rhinoceros seit zwei Tagen nicht gezeigt hatte, wollte Sir John doch nicht unbewaffnet ein unbekanntes Land durchstreifen.

[141] Mokum und seine Kameraden hatten erfolglos Jagd auf den Dickhäuter gemacht, und es war möglich, daß das Thier seine Pläne noch nicht aufgegeben hatte.

Sir John bereute es nicht, als kluger Mann gehandelt zu haben. Er war mit seinem Begleiter bis zur angegebenen Höhe ohne Unfall gekommen und hatte dieselbe bis zur steilsten Spitze erklommen, als am Fuß des Hügels, am Saume eines niedrigen und nicht sehr dichten Gehölzes der »Chucuroo« plötzlich erschien. Niemals hatte ihn Sir John so in der Nähe gesehen. Es war wirklich ein ungeheures Thier. Seine kleinen Augen funkelten, seine geraden, nach hinten zu ein wenig gebogenen Hörner, eins vor dem andern stehend, von ziemlich gleicher Länge, vielleicht zwei Fuß groß und fest in der Knochenmasse der Nasenlöcher verwachsen, bildeten eine schreckliche Waffe.

Der Buschmann bemerkte das Thier zuerst, wie es eine halbe Meile entfernt unter einem Mastixgebüsch lag.

»Sir John, sagte er sofort, das Glück begünstigt Euer Gnaden! Da ist der Chucuroo!

– Das Rhinoceros! rief Sir John aus, dessen Augen sich plötzlich belebten.

– Ja, Sir John, antwortete der Jäger. Es ist, wie Sie sehen, ein prachtvolles Thier, das, wie es scheint, sehr geneigt ist, uns den Rückzug abzuschneiden. Warum dieser Chucuroo sich so an unsere Fersen heftet, begreife ich nicht, denn es ist nur ein einfacher Pflanzenfresser; aber er ist nun einmal da, dort in dem Gebüsch, und wir müssen ihn herausbringen.

– Kann er bis zu uns herauf? fragte Sir John.

– Nein, Euer Gnaden, antwortete der Buschmann. Der Abhang ist zu steil für seine kurzen, untersetzten Gliedmaßen. Auch wird er warten!

– Nun wohl, so mag er warten, sagte Ersterer, und wenn wir unsere Station untersucht haben, werden wir diesen unbequemen Nachbar ausquartieren.«

Sir John Murray und Mokum nahmen ihre einen Augenblick unterbrochene Untersuchung wieder auf. Sie beobachteten mit größter Sorgfalt die obere Lage des Hügels und wählten den Platz zur Aufstellung der Signalstange aus. Andere ziemlich bedeutende Anhöhen im Nordwesten mußten die Errichtung neuer Dreiecke außerordentlich begünstigen.

Als die Arbeit beendet war, sagte Sir John zum Buschmann:

[142] »Wenn es Ihnen jetzt beliebt, Mokum.

– Ich stehe Euer Gnaden zu Befehl.

– Wartet das Rhinoceros immer noch?

– Immer noch.

– So wollen wir herabsteigen, und so gewaltig dies Thier auch sein mag, so wird eine Kugel aus meiner Büchse schon mit ihm fertig werden.

Eine Kugel! rief der Buschmann aus, Euer Gnaden wissen nicht, was ein Chucuroo ist. Diese Thiere haben ein zähes Leben, und niemals hat man ein Rhinoceros durch eine, noch so geschickt abgeschossene Kugel fallen sehen.

– Bah! machte Sir John, weil man keine Spitzkugeln gebrauchte!

– Spitze oder runde, antwortete Ersterer, die erste Kugel wird ein solches Thier nicht niederstrecken.

– Nun gut, mein tapferer Mokum, versetzte Sir John, mit dem Selbstgefühl eines Jägers; ich werde Ihnen zeigen, was unsere europäischen Waffen vermögen, weil Sie daran zweifeln!«

Und bei diesen Worten lud Sir John seine Büchse, bereit Feuer zu geben, sobald die Entfernung ihm passend erschiene.

»Ein Wort, Euer Gnaden! sagte der Buschmann, ein wenig ärgerlich, und hielt seinen Gefährten durch einen Wink zurück. Würden Euer Gnaden wohl eine Wette mit mir eingehen?

– Warum nicht, wackerer Jäger?

– Ich bin nicht reich, sagte Mokum, doch würde ich gern ein Pfund gegen die erste Kugel Euer Gnaden wagen.

– Abgemacht, versetzte Sir John sofort. Ein Pfund für Sie, wenn dies Rhinoceros nicht unter meiner ersten Kugel fällt!

– Gilt's die Wette? sagte der Buschmann.

– Es gilt.«

Die beiden Jäger stiegen den steilen Abhang des Hügels hinab und hatten bald fünfhundert Schritt vom Chucuroo Posto gefaßt, der unbeweglich liegen blieb. Er bot sich also Sir John's Augen unter den günstigsten Verhältnissen dar, der ihn nach Belieben auf's Korn nehmen konnte. Der Engländer glaubte selbst so leichtes Spiel zu haben, daß er in dem Augenblick, wo er zu schießen im Begriff war, dem Buschmann Zeit geben wollte, seine Wette zurückzunehmen, deshalb sagte er:


Ein Rhinoceros in Sicht. (S. 142.)

»Es bleibt noch dabei?

– Es bleibt dabei!« antwortete ruhig Mokum.

Das Rhinoceros blieb unbeweglich wie eine [143] Schießscheibe. Sir John blieb die Wahl der Stelle, wo er ihn treffen wollte, um einen sofortigen Tod herbeizuführen. Er entschloß sich, ihn in's Maul zu schießen, und da sein Jägerselbstgefühl ihn anfeuerte, zielte er mit größter Genauigkeit, welche der Unfehlbarkeit seiner Waffe zu Hilfe kommen sollte.


Die Karawane in herrlicher Gegend. (S. 148.)

Der Schuß knallte. Doch traf die Kugel statt des [144] Fleisches auf das Horn des Rhinoceros und zerschmetterte die Spitze desselben. Das Thier schien nicht ein Mal den Schlag bemerkt zu haben.

»Dieser Schuß zählt nicht, sagte der Buschmann, Euer Gnaden hat das Fleisch nicht berührt.

– Doch, doch, erwiderte Sir John, ein wenig bestürzt. Der Schuß zählt, Buschmann, ich habe ein Pfund verloren; doch wette ich noch einmal doppelt oder quitt!

[145] – Wie Sie wollen, Sir John, doch werden Sie verlieren!

– Das wollen wir bald sehen!«

Die Büchse wurde sorgfältig wieder geladen, und Sir John zielte dem Chucuroo in die obere Hüfte und feuerte seinen zweiten Schuß. Doch traf die Kugel die Stelle in der Haut, wo dieselbe aus übereinander liegenden Hornschichten besteht, und fiel deshalb ungeachtet der Kraft ihres Anpralls zur Erde. Das Rhinoceros rührte sich und rückte einige Schritte fort.

»Zwei Pfund, sagte Mokum.

– Halten Sie diese? fragte Sir John.

– Gern.«

Diesmal nahm Sir John, der nun zornig zu werden begann, all' seine Kaltblütigkeit zusammen und zielte auf die Stirn des Thieres; die Kugel schlug auf die gezielte Stelle, sprang aber wieder zurück, als hätte sie eine Metallplatte getroffen.

»Vier Pfund, sagte ruhig der Buschmann.

– Und noch vier!« schrie Sir John außer sich.

Dies Mal drang die Kugel in die Hüfte des Rhinoceros, welches einen fürchterlichen Satz machte; doch statt todt niederzustürzen, warf es sich mit unbeschreiblicher Wuth in das Gebüsch und zerstörte dasselbe.

»Ich glaube, es bewegt sich noch etwas, Sir John«, sagte einfach der Jäger. Dieser kannte sich vor Aerger nicht mehr. Seine Kaltblütigkeit hatte ihn gänzlich verlassen. Die acht Pfund, welche er dem Buschmann schuldete, setzte er auf eine fünfte Kugel. Er verlor abermals, verdoppelte, verdoppelte immer wieder den Einsatz, bis endlich beim neunten Schuß der lebenszähe Dickhäuter, in's Herz getroffen, fiel, um sich nicht wieder zu erheben.

Jetzt stieß Sr. Gnaden ein Hurrah aus! Seine Wette, seine Enttäuschung, Alles hatte er vergessen und erinnerte sich nur an Eins, er hatte ein Rhinoceros getödtet. Aber, wie er später zu seinen Collegen vom Jagdclub in London sagte: »Es war ein theures Thier!«

Und wirklich hatte es ihm nicht weniger als sechsunddreißig Pfund gekostet, eine beträchtliche Summe, die der Buschmann mit gewohnter Ruhe eincassirte.

[146]

16. Capitel

Sechzehntes Capitel.
Verschiedene Vorfälle.

Zu Ende des Monats September waren die Astronomen einen Grad nördlich weiter gekommen. Der schon durch zweiunddreißig Dreiecke gemessene Theil des Meridians erstreckte sich nun auf vier Grade, und das war die Hälfte der Aufgabe. Die drei Gelehrten arbeiteten mit außerordentlichem Eifer, doch da ihrer nur noch drei waren, empfanden sie oft solche Müdigkeit, daß sie ihre Arbeit für einige Tage einstellen mußten. Die Hitze war sehr groß und wahrhaft erdrückend.

Der Monat October in der südlichen Hemisphäre ist dem Monat April der nördlichen gleich, und unter dem vierundzwanzigsten südlichen Breitegrade herrscht die hohe Temperatur der algierischen Regionen. In den Nachmittagsstunden konnte man keine Arbeit vornehmen, und die trigonometrischen Operationen erlitten dadurch eine Verzögerung, die hauptsächlich den Buschmann beunruhigte und zwar aus folgendem Grunde:

Weiter nördlich, hundert Meilen von der letzt errichteten Station, durchschnitt dieser Meridian eine Gegend von eigenthümlicher Beschaffenheit, ein »Karrou« in der Sprache der Eingeborenen, ähnlich der am Fuß der Roggeveld-Berge in der Capcolonie. In der feuchten Jahreszeit bietet diese Gegend überall Zeichen größter Fruchtbarkeit; nach einigen Regentagen ist der Boden mit dichtem Grün bedeckt; überall sprießen Blumen; in kurzer Zeit schießen Pflanzen hervor. Weideplätze bedecken sich vor unseren Augen mit dichtem Gras; es bilden sich reißende Bäche; Antilopenheerden steigen von den Höhen herab und ergreifen von diesen improvisirten Prairien Besitz. Doch diese merkwürdige Triebkraft der Natur dauert nur kurze Zeit. Kaum ein Monat, höchstens sechs Wochen sind verflossen, und die ganze Feuchtigkeit der Erde, durch die Sonnenstrahlen aufgesogen, ist in der Luft verdunstet. Der Boden verhärtet sich und erstickt die neuen Keime; die Vegetation verschwindet in wenig Tagen; die Thiere fliehen die unbewohnbar gewordene Landschaft, und eine Wüste breitet sich da aus, wo kaum erst ein fruchtbares und reiches Land sich entwickelte.

Dies war der Karrou, welchen die kleine Truppe des Obersten durchziehen [147] mußte, ehe sie die wirkliche Wüste erreichte, welche an die Ufer des Ngamisees grenzt. Man begreift, wie sehr es dem Buschmann darum zu thun war, in dieser phänomenalen Gegend anzulangen, ehe die außerordentliche Trockenheit die belebenden Quellen hatte versiegen lassen. Er theilte dem Obersten Everest seine Bemerkungen mit; dieser begriff sie auch vollständig und versprach, soviel als möglich die Arbeit zu beschleunigen. Doch durfte diese Eile der Genauigkeit der Arbeiten nicht schaden; denn es ist nicht immer leicht oder thunlich, die Winkelmessungen zu jeder Stunde vorzunehmen. Man kann nur unter gewissen Witterungsverhältnissen gut beobachten, deshalb gingen die Operationen auch nicht merklich schneller, ungeachtet der drängenden Mahnungen Mokum's, und dieser sah wohl, daß, wenn man im Karrou ankäme, die fruchtbare Jahreszeit unter dem Einfluß der Sonne wahrscheinlich bereits verschwunden sein würde.

Ehe die Fortschritte der Triangulation die Astronomen bis zur Grenze des Karrou brachten, konnten diese sich an der prachtvollen Natur, die sich ihren Blicken darbot, entzücken. Niemals hatte der Zufall die Expedition in eine so schöne Gegend geführt. Ungeachtet der hohen Temperatur waren die Bäche beständig frisch. Tausendköpfige Heerden hätten auf diesen Weideplätzen unerschöpfliche Nahrung gefunden. Einige grüne Wälder bedeckten hier und da diese weite Strecke, welche wie ein englischer Park angelegt zu sein schien. Es fehlten nur die Gasflammen.

Der Oberst Everest zeigte sich diesen Naturschönheiten gegenüber wenig empfänglich, hingegen empfanden Sir John Murray und besonders William Emery lebhaft ein poetisches Gefühl, welches diese inmitten der afrikanischen Wüsten verlorene Gegend hervorrief. Wie sehr vermißte da der junge Gelehrte seinen armen Michael Zorn, und die sympathische Vertrautheit, mit der sie gewöhnlich verkehrt hatten! Wie er, hätte dieser lebhaft denselben Einfluß empfunden, und hätten sie zwischen ihren Beobachtungen ihr Herz ausgeschüttet! Die Karawane durchzog so dies prachtvolle Land. Zahlreiche Vögelschaaren belebten durch ihren Gesang und Flug die Wiesengründe und Wälder. Die Jäger der Truppe erlegten zu verschiedenen Malen Paare von »Korans«, eine in den südafrikanischen Ebenen einheimische besondere Art Trappe, sowie »Dikkops«, ein delicates Wildpret, dessen Fleisch sehr geschätzt wird. Anderes Geflügel erregte noch die Aufmerksamkeit der Jäger, doch nicht vom Gesichtspunkte der Eßbarkeit aus. An den Ufern der Bäche oder auf der Oberfläche [148] der Flüsse, über welche sie mit ihren schnellen Schwingen streiften, verfolgten einige große Vögel die gefräßigen Krähen, die ihnen ihre Eier aus den Nestern im Sande zu entwenden suchten. Blaue Kraniche mit weißem Halse, rothe Flamingos, die durch die lichten Schläge spazierten, Reiher, Brachvögel, Schnepfen »Kalas«, die oft auf dem Rücken der Büffel saßen, Regenvögel, Ibisse, Hunderte in Reihen marschirender Pelikane, brachten überall Leben in diese Regionen, in denen nur der Mensch fehlte. Aber von all' den Exemplaren der gefiederten Welt waren am merkwürdigsten die sinnreichen »Webervögel«, deren grünliche, aus Binsen oder Grashalmen geflochtenen Nester an den Zweigen der Trauerweiden wie große Birnen hängen. William Emery, der sie für ein unbekanntes Naturerzeugniß hielt, nahm eins oder zwei herab, doch wie erstaunte er, als er diese vermeintlichen Früchte wie Sperlinge zwitschern hörte. Wäre es nicht zu entschuldigen gewesen, wenn man wie frühere Afrika-Reisende geglaubt hätte, gewisse Bäume dieser Gegend trügen Früchte, aus denen lebende Vögel entstünden!

Dieser Karrou bot wirklich einen entzückenden Anblick. Er enthielt alle dem Thierleben günstigen Bedingungen. Die Gnu mit den spitzen Hufen, die Kaamas, welche nach Harris nur aus Dreiecken zu bestehen scheinen, die Elennthiere, Gemsen, Gazellen fand man in reicher Menge. Welche Mannigfaltigkeit an Wildpret, welche Büchsenschüsse für ein geschätztes Mitglied des Jagdclubs! Es war wirklich eine zu starke Versuchung für Sir John Murray, und nachdem er zwei Ruhetage vom Oberst Everest erbeten, wandte er sie dazu an, sich merklich zu ermüden. Doch welchen Erfolg hatte er auch im Verein mit seinem Freunde Buschmann, während William Emery ihnen als Dilettant folgte. Wie viel glückliche Schüsse hatte er in sein Jagdbuch einzutragen! Wie viel Jagdtrophäen in sein Schloß in den Hochlanden mitzunehmen! Und wie vergaß er in diesen zwei Ruhetagen die geodätischen Operationen, die Triangulation, die Meridianmessung! Wer hätte geglaubt, daß diese in der Handhabung des Gewehres so geschickte Hand die seinen Gläser eines Theodoliten zu behandeln verstünde! Oder daß dieses, im Zielen auf eine schnell springende Antilope so sichere Auge sich in Sternbetrachtungen geübt habe. Wirklich war Sir John während dieser zwei Freudentage ganz allein nur Jäger, und der Astronom verschwand so vollständig, daß zu befürchten stand, er werde nicht wieder zum Vorschein kommen!

Unter andern Jagderlebnissen Sir John's muß eins mitgetheilt werden, [149] welches ein unerwartetes Resultat hatte und den Buschmann um die Zukunft der wissenschaftlichen Expedition besorgt machte. Dieser Vorfall konnte nur die Unruhe bestätigen, welche der scharfsinnige Jäger schon früher empfunden und dem Obersten Everest mitgetheilt hatte.

Es war am 15. October. Seit zwei Tagen hatte sich Sir John ganz dem ihn beherrschenden Naturzug hingeben. Eine Heerde von ungefähr zwanzig Wiederkäuern war vielleicht zwei Meilen von der rechten Seite der Karawane bemerkt worden. Mokum erkannte sie als jene schöne Antilopenart, die unter dem Namen Oryx bekannt ist und deren schwerer Fang jedem afrikanischen Jäger Ruhm und Ehre verleiht.

Sofort theilte der Buschmann Sir John die sich darbietende Gelegenheit mit, und forderte ihn lebhaft auf, dieselbe zu benutzen. Er sagte ihm zugleich, wie schwer es halte, diese Oryx zu erlegen, da ihre Schnelligkeit die des schnellsten Pferdes überträfe, wie denn auch der berühmte Cumming, als er im Lande der Namaken gejagt, auf den besten Rennern während seines ganzen Jägerlebens nur vier dieser wunderbaren Antilopen eingeholt habe.

Es bedurfte kaum so viel, um den ehrenwerthen Engländer anzuspornen, der sich bereit erklärte, die Oryx zu verfolgen. Er wählte sein bestes Pferd, seine beste Büchse, seine besten Hunde, und, in seiner Ungeduld dem Buschmann vorauseilend, wandte er sich dem Saume eines an eine weite Ebene stoßenden Gehölzes zu, in dessen Nähe die Anwesenheit der Wiederkäuer gemeldet worden war.

Nach einer Stunde hielten die Pferde an. Mokum zeigte, hinter einer Sykomorengruppe versteckt, seinem Begleiter die weidende Heerde, die sich einige hundert Schritt von ihnen unter dem Winde befand. Diese mißtrauischen Thiere hatten sie indeß noch nicht bemerkt und grasten friedlich auf den Weideplätzen. Eins von ihnen schien sich jedoch etwas abseits zu halten, worauf der Buschmann Sir John aufmerksam machte.

»Das ist eine Schildwache, sagte er. Dieses Thier, ohne Zweifel ein durchtriebener Schelm, wacht für das allgemeine Wohl. Bei der geringsten Gefahr wird es eine Art Gewieher hören lassen, und die Truppe, von ihm geführt, mit aller Schnelligkeit ihrer Beine den Platz verlassen. Man muß also nur in weiter Distanz auf dasselbe schießen und mit dem ersten Schuß es niederstrecken.«

Sir John begnügte sich mit einem bejahenden Winke zu antworten und [150] stellte sich so, daß er die Heerde betrachten konnte. Die Oryx grasten ruhig fort. Ihr Wächter, dem ein Windhauch vielleicht irgend eine verdächtige Ausströmung zugeführt hatte, hob öfter seine gehörnte Stirn empor und zeigte einige Beunruhigung. Doch war er zu weit von den Jägern, als daß diese ihn sicher hätten treffen können. Die Bande im Lauf einzuholen, auf dieser weiten Ebene, die ihnen günstige Bahn bot, daran war nicht zu denken. Vielleicht kam die Heerde dem Gehölz näher, und in diesem Fall konnten Sir John und der Buschmann eines der Thiere besser auf's Korn nehmen.

Der Zufall schien die Jäger zu begünstigen. Nach und nach näherten sich die Thiere, geführt von dem alten Männchen, dem Gehölz. Wahrscheinlich hielten sie sich auf der offenen Ebene nicht für sicher, und wollten unter dem dichten Gezweig des Wäldchens Schutz suchen. Sobald ihre Absicht nicht mehr zu verkennen war, forderte der Buschmann seinen Begleiter zum Absteigen auf. Die Pferde wurden an den Stamm einer Sykomore gebunden und ihre Köpfe in eine Decke gewickelt, eine Vorsicht, die zugleich ihr Stillschweigen und ihre Unbeweglichkeit sicherte. Darauf schlichen Mokum und Sir John, gefolgt von den Hunden, zwischen den Gebüschen längs dem Saum des Waldes bis an eine, von den letzten Bäumen gebildete Art Spitze, die nicht mehr dreihundert Schritt von der Heerde entfernt war.

Dort kauerten sich die Jäger, wie auf dem Anstand, nieder und warteten mit geladener Büchse. Von ihrem Platze aus konnten sie die Oryx beobachten und diese schön geformten Thiere bewundern. Die Männchen unterschieden sich wenig von den Weibchen, und durch eine seltene Naturlaune waren die Weibchen sogar stärker mit Waffen versehen als die Männchen, trugen nach hinten zugekrümmte und zierlich gezackte Hörner. Es giebt kein hübscheres Thier als diese Antilope, von denen der Oryx eine Spielart ist; keins bietet so sein vertheilte buntscheckige Hautflecken dar; an der Kehle flattert ein Büschel Haare, ein Kamm steht gerade empor und sein dichter Schweif reicht bis zur Erde. Indeß blieb die Heerde, die aus zwanzig Stück bestand, nachdem sie sich dem Walde genähert hatte, stehen. Augenscheinlich drängte der Wächter sie, die Ebene zu verlassen. Er ging in das hohe Gras und versuchte, die Thiere in eine dichte Masse zusammenzutreiben, wie der Schäferhund die ihm anvertrauten Schafe. Doch schienen die munteren Thiere keine Luft zu haben, diese fette Weide schon zu verlassen. Sie widerstanden [151] ihm, entsprangen und singen einige Schritte weiter wieder zu grasen an.


Ein Jagdweg mit Hindernissen. (S. 151.)

Dies Verfahren überraschte den Buschmann höchlich. Er machte Sir John darauf aufmerksam, doch ohne ihm eine Erklärung darüber geben zu können. Der Jäger begriff die Hartnäckigkeit des alten Männchens nicht, und weshalb er die Antilopenheerde durchaus in das Dickicht zurückbringen wollte.


Eine Makololo-Verkleidung. (S. 155.)

So zog sich die Situation in die Länge, ohne sich zu ändern. Sir John drehte ungeduldig am Schloß sei [152] ner Büchse. Bald wollte er schießen, bald vorwärts gehen. Mokum konnte ihn nur schwer zurückhalten.

Eine Stunde verging, und es war nicht voraus zu sehen, wie viele noch vergehen würden, als einer der Hunde, der wahrscheinlich eben so ungeduldig wie Sir John war, ein fürchterliches Gebell ausstieß und sich in die Ebene stürzte.

[153] Der Buschmann, wüthend darüber, hätte gern dem verwünschten Thiere eine Bleiladung nachgesandt! Doch schon floh die Heerde mit reißender Schnelligkeit davon, und jetzt begriff Sir John, daß kein Pferd sie hätte einholen können. In wenig Augenblicken bildeten die Oryx nur noch schwarze, im hohen Grase aufspringende Punkte.

Doch hatte zur großen Ueberraschung des Buschmanns der Wächter der Antilopentruppe derselben nicht das Zeichen zur Flucht gegeben. Den Gewohnheiten dieser Wiederkäuer entgegen, war dieser sonderbare Wächter auf derselben Stelle stehen geblieben, ohne daran zu denken, den seiner Hut anvertrauten Thieren zu folgen. Seit ihrer Flucht versuchte er sogar, sich im Grase zu verbergen, vielleicht in der Absicht, das Gehölz zu gewinnen.

»Das ist sonderbar, sagte der Buschmann. Was hat denn dieser alte Oryx vor? Ist er verwundet oder vom Alter geschwächt?

– Wir werden es bald wissen!« antwortete Sir John, und stürzte sich auf das Thier, bereit Feuer zu geben.

Das Thier hatte sich bei der Annäherung des Jägers mehr und mehr in's Gras geduckt. Man sah nur noch seine vier Fuß hohen Hörner, dessen gezackte Spitzen über die grüne Oberfläche der Ebene heraussahen. Er suchte sogar nicht mehr zu entfliehen, sondern sich zu verstecken. Sir John konnte sich also leicht dem sonderbaren Thiere nähern. Als er nur noch hundert Schritt entfernt war, zielte er sorgfältig und gab Feuer. Der Schuß knallte, und jedenfalls hatte die Kugel den Oryx am Kopf getroffen, denn seine bis dahin in die Höhe gerichteten Hörner lagen jetzt im Grase.

Sir John und Mokum liefen so rasch sie konnten auf das Thier zu. Der Buschmann hielt sein Jagdmesser in der Hand bereit, dem Thier in den Leib zu stoßen, im Fall es auf den ersten Schuß nicht getödtet worden wäre.

Diese Vorsicht war unnöthig: der Oryx war todt und zwar so todt, daß, als Sir John ihn an den Hörnern zog, er nur eine leere schlaffe Haut, der das Knochengerippe gänzlich fehlte, in der Hand hielt!

»Beim heiligen Patrick! Das kann nur mir passiren!« rief er in so komischem Tone aus, daß jeder Andere, den Buschmann ausgenommen, darüber gelacht hätte. Mokum aber lachte nicht. Er biß die Lippen, runzelte die Augenbrauen, und seine blinzenden Augen verriethen eine ernstliche Unruhe. Mit [154] gekreuzten Armen, den Kopf schnell rechts und links wendend, schaute er um sich.

Plötzlich traf sein Blick auf einen Gegenstand: es war ein kleiner, mit rothen Arabesken verzierter Ledersack, der auf dem Boden lag. Er nahm ihn auf und untersuchte ihn genau.

»Was ist das? fragte Sir John.

– Das ist der Sack eines Makololo, erwiderte Mokum.

– Und wie kommt der hierher?

– Weil der Besitzer desselben ihn auf seiner eiligen Flucht hat fallen lassen.

– Und dieser Makololo?

– Nehmen es Ew. Gnaden nicht für ungut, antwortete der Buschmann, indem er zornig die Hände ballte, dieser Makololo steckte in der Oryxhaut und auf ihn haben Sie geschossen!«

Sir John hatte noch nicht Zeit gehabt, seine Ueberraschung auszudrücken, als Mokum, der fünfhundert Schritte von ihnen eine gewisse Bewegung im Grase bemerkt hatte, nach dieser Richtung feuerte. Darauf liefen beide athemlos an den verdächtigen Ort.

Aber der Platz war leer. Man sah an dem niedergetretenen Grase, daß ein lebendes Wesen dort gewesen sei. Der Makololo war verschwunden und man mußte auf eine Verfolgung durch den unendlichen Wiesengrund, welcher sich bis an den äußersten Horizont er streckte, verzichten.

Die beiden Jäger kehrten deshalb zurück, in der That auf's Höchste beunruhigt über einen Unfall, der Besorgniß erregend war. Die Gegenwart eines Makololo auf dem Dolmen des niedergebrannten Waldes, die bei Oryxjägern sehr gebräuchliche Verkleidung, in die er sich soeben verhüllt hatte, zeigte von wahrhaft ausdauernder Absicht, die Truppe des Oberst Everest durch diese öden Gegenden zu verfolgen. Nicht ohne Grund spähte ein dem Räuberstamm der Makololos angehörender Indianer die Europäer und ihre Begleitung aus. Und je mehr diese weiter nach Norden zogen, je größer wurde die Gefahr, von diesen Wüstenräubern angegriffen zu werden.

Sir John und Mokum kamen in's Lager zurück, und Seine Gnaden, [155] sehr verdrießlich, konnte nicht umhin zu seinem Freunde William Emery zu sagen:

»Wirklich, lieber William, ich habe kein Glück! Der erste Oryx, den ich erlegte, war schon todt, ehe ich ihn noch traf!«

17. Capitel

Siebenzehntes Capitel.
Wie man über Nacht ein Land zur Wüste macht.

Nach dieser Oryxjagd hatte der Buschmann eine lange Unterredung mit dem Oberst Everest. Nach Mokum's auf beweisenden Thatsachen ruhender Meinung wurde die kleine Truppe verfolgt, ausgespäht und folglich bedroht. Hatten die Makololos sie noch nicht angegriffen, so lag der Grund darin, daß es ihnen paßte, sie mehr nach Norden zu ziehen, in die eigentliche von ihren Räuberhorden durchstreifte Gegend.

Sollte man nun, Angesichts der Gefahr, umkehren? Sollte man die Fortsetzung der bisher so bedeutend fortgeschrittenen Arbeit unterbrechen? Was die Natur nicht vermocht hatte, sollte dies den afrikanischen Wilden gelingen? Sollten diese die englischen Gelehrten an der Erfüllung ihrer wissenschaftlichen Aufgabe verhindern. Das war eine ernsthafte Frage und es kam viel darauf an, sie zu lösen. Der Oberst Everest bat den Buschmann, ihm Alles zu erzählen, was er von den Makololos wisse, und hierauf theilte ihm derselbe das Wesentlichste mit.

Die Makololos gehören dem großen Stamm der Bechuanas an, und sind die letzten, die man in der Richtung nach dem Aequator antrifft. Der Dr. David Livingstone wurde im Jahre 1850 auf seiner ersten Reise an den Zambesi in Sesheke, der gewöhnlichen Residenz Sebituané's, damaligen Oberhaupts der Makololos, aufgenommen. Dieser Eingeborene war ein gefürchteter Krieger, der im Jahre 1824 die Grenzen des Cap-Landes bedrohte. Sebituané, ein Mann von großer Einsicht, erlangte allmälig einen beherrschenden Einfluß auf die im Innern Afrikas zerstreuten Stämme, und es [156] gelang ihm, sie zu einer festen und herrschenden Gruppe zu vereinigen. Im Jahre 1853, also im vergangenen Jahre, starb er in den Armen Livingstone's, und sein Sohn Sékélétu folgte ihm.

Sékélétu zeigte anfangs gegen die den Zambesi besuchenden Europäer eine ziemlich lebhafte Neigung. Der Dr. Livingstone hatte sich persönlich nicht zu beklagen. Doch änderte sich nach der Abreise des berühmten Reisenden das Benehmen des afrikanischen Königs auffallend. Nicht allein die Reisenden, sondern auch die benachbarten Eingeborenen wurden hauptsächlich von Sékélétu und den Kriegern seines Stammes feindselig behandelt. Bald folgten Räubereien in immer weiterem Umfange. Die Makololos durchstreiften das zwischen dem Ngamisee und dem oberen Lauf des Zambesi gelegene Land.

Es war höchst bedenklich für eine auf wenige Mann geschmolzene Karawane, sich in diese Gegend zu wagen, zumal wenn dieselbe angekündigt, erwartet und wahrscheinlich im Voraus einem sichern Untergange bestimmt war.

Dies war im Ganzen der Inhalt der Warnung des Buschmanns. Er fügte hinzu, er glaube ihm die Wahrheit vollständig sagen zu müssen. Doch werde er seinerseits den Befehlen des Obersten nachkommen und nicht zurückweichen, wenn man entschlossen sei, vorwärts zu gehen.

Der Oberst berathschlagte mit seinen beiden Collegen, und es wurde festgesetzt, daß man ungeachtet dessen mit den Arbeiten fortfahren wolle. Beinahe fünf Achtel des Bogens waren schon gemessen, und was auch geschehen mochte, die Engländer seien es sich und ihrem Lande schuldig, die Operation nicht aufzugeben.

Nachdem dieser Beschluß gefaßt war, setzte man die trigonometrische Arbeit ununterbrochen fort. Am 27. October durchschnitt die wissenschaftliche Commission senkrecht den Wendekreis des Steinbocks, und am 3. November, nachdem sie ihren einundvierzigsten Triangel vollendet, constatirte sie durch Zenithal-Beobachtungen, daß die Messung des Meridians abermals um einen Grad fortgeschritten war. Während eines Monates wurde die Messung eifrig fortgesetzt, ohne dabei auf ein natürliches Hinderniß zu stoßen. In diesem schönen, so günstig gelegenen Lande, das nur von Bächen, die man durchwaten konnte, und nicht von bedeutenden Gießbächen durchzogen ist, operirten die Astronomen schnell und gut. Mokum, stets achtsam auf der Lauer, untersuchte sorgfältig die Spitze und die Seiten der Karawane, und gestattete den Jägern nicht, sich davon zu entfernen. Indeß schien keine augenblickliche [157] Gefahr die Truppe zu bedrohen, und es war leicht möglich, daß die Befürchtungen des Buschmanns sich nicht erfüllten. Wenigstens zeigte sich während des Novembers keine plündernde Bande, und man fand keine Spur mehr von dem Eingeborenen, welcher der Expedition von dem Dolmen im verbrannten Walde an so hartnäckig gefolgt war. Dennoch bemerkte der Jäger, obwohl die Gefahr für den Augenblick fern zu sein schien, wiederholt Zeichen der Besorgniß unter den seinem Befehl anvertrauten Buschmännern. Man hatte die beiden Vorfälle am Dolmen und auf der Oryxjagd nicht geheim halten können. Sie versahen sich eines unvermeidlichen Zusammenstoßes mit den Makololos. Nun sind aber die Makololos und Boschjesmen zwei Stämme von unbarmherziger Feindseligkeit gegen einander. Die Besiegten hatten vom Sieger keine Gnade zu hoffen, und ihre kleine Anzahl, die seit der Kriegserklärung um die Hälfte vermindert war, mußte gerade diese Eingeborenen erschrecken. Sie sahen sich schon mehr als dreihundert Meilen von den Ufern des Orange entfernt, und es handelte sich darum, sie wenigstens noch zweihundert Meilen weiter nach Norden zu ziehen. Diese Aussicht machte sie bedenklich. Mokum hatte ihnen zwar, als er sie zu dieser Expedition aufforderte, die Länge und Schwierigkeiten der Reise nicht verschwiegen, und sicherlich waren sie Männer, welche den, von einer solchen Expedition unzertrennlichen Mühseligkeiten zu trotzen verstanden. Sobald sich aber zu den Mühseligkeiten die Gefahren des Zusammenstoßes mit einem blutdürstigen Feinde gesellten, änderte dieser Umstand ihre Gesinnung. Deshalb gab es jetzt Klagen, Murren und bösen Willen. Mokum stellte sich zwar, als sehe oder höre er diese nicht, aber es vermehrte dies doch seine Unruhe über die Zukunft der wissenschaftlichen Commission. Ein Ereigniß im Laufe des 2. December erregte noch mehr die übeln Gesinnungen dieser abergläubischen Buschmänner und rief gewissermaßen eine Art Widersetzlichkeit gegen ihre Anführer hervor.

Seit dem vorigen Abend war das bis dahin so schöne Wetter düster geworden. Unter dem Einfluß einer tropischen Hitze zeigte die Atmosphäre, mit Dünsten gesättigt, eine starke elektrische Spannung. Man konnte ein baldiges Gewitter voraussagen, und in diesem Klima entwickeln sich die Gewitter fast immer mit unvergleichlicher Heftigkeit.

In der That bedeckte sich der Himmel am Morgen des 2. December mit düsteren Wolken, in welchen sich ein Wetterbeobachter nicht getäuscht haben würde. Es war Gewölk wie Ballen Baumwolle übereinander gehäuft, welche [158] hier dunkelgrau, dort gelblich gefärbt waren. Die Sonne schien matt, die Luft war ruhig, die Hitze erstickend.

Das seit dem vorhergehenden Abend von den Instrumenten angezeigte Heruntergehen des Barometers hielt damals inne. Kein Blatt an den Bäumen bewegte sich in dieser dumpfen, drückenden Atmosphäre. Die Astronomen hatten den Himmel beobachtet, glaubten aber nicht ihre Arbeiten unterbrechen zu sollen.

In diesem Augenblick befand sich William Emery, von zwei Matrosen, vier Eingeborenen und einem Wagen begleitet, zwei Meilen östlich vom Meridian, um eine Signalstange, die zur Spitze eines Dreiecks bestimmt war, aufzustellen. Er beschäftigte sich damit, dieselbe auf einem Hügel zu errichten, als eine schnelle Verdichtung der Dünste unter dem Einfluß einer kalten Luftströmung die Entwicklung einer bedeutenden Elektricität veranlaßte. Fast augenblicklich fiel ein starker Hagel nieder. Diese Hagelkörner waren leuchtend, eine ziemlich selten beobachtete Naturerscheinung, und es war, als ob es glühende Metalltropfen regnete. Wo sie auf den Boden trafen, sprangen Funken empor, und Lichtblitze sprühten aus allen Metalltheilen des Wagens, der zum Transport des Materials diente. Bald erreichten diese Hagelkörner einen größern Umfang. Es war ein ordentlicher Steinregen, dem man sich ohne Gefahr nicht aussetzen konnte. Man wird über die Kraft dieses Naturwunders nicht mehr staunen, wenn man hört, daß der Doctor Livingstone bei einer gleichen Gelegenheit in Kolobeng gesehen hat, wie die Fensterscheiben im Missionshause zertrümmert und Pferde, große Antilopen durch solche Hagelkörner getödtet wurden.

Ohne einen Moment zu verlieren, verließ William Emery seine Arbeit und rief seine Leute zusammen, um in dem Wagen ein weniger gefährlicheres Unterkommen zu finden, als unter einem Baum während eines Gewitters. Kaum hatte er indeß den Hügel verlassen, als ein blendender Blitzstrahl, von einem Donnerschlag begleitet, die Atmosphäre entzündete.

William Emery wurde wie todt zu Boden geworfen. Die beiden einen Augenblick geblendeten Matrosen stürzten zu ihm hin. Glücklicherweise war der junge Astronom vom Blitz verschont geblieben. Durch eine jener fast unerklärlichen Thatsachen, die sich bei manchen Blitzschlägen ereignen, war das Fluidum, so zu sagen, um ihn herum geglitten, ihn in ein elektrisches Tuch hüllend; sein Weg war aber genügend bezeichnet, denn er hatte die [159] Eisenspitzen eines Zirkels, welchen William Emery in der Hand hielt, geschmolzen.

Der junge Mann, von den Matrosen aufgehoben, kam bald wieder zu sich. Doch war er weder das einzige, noch das am härtesten getroffene Opfer des Schlages gewesen.


William Emery stürzte zusammen. (S. 159.)

Neben dem auf dem Hügel errichteten Pfahl lagen zwei der Eingeborenen, zwanzig Schritte von einander, leblos auf dem Boden. Der eine, dessen Lebenssystem durch die Wirkung des Blitzes gänzlich [160] zerstört worden war, zeigte unter seinen unberührt gebliebenen Kleidern einen kohlschwarzen Körper. Der andere, durch das atmosphärische Meteor am Schädel getroffen, war augenblicklich getödtet worden!


Eine eigenthümliche Wolke. (S. 163.)

So waren diese drei Männer – die beiden Eingeborenen und William Emery – zu gleicher Zeit von einem einzigen dreizackigen Blitzstrahl getroffen worden. Eine seltene, doch zuweilen wahrgenommene Naturerscheinung der Dreitheilung eines Blitzes, dessen Winkelabweichung oft beträchtlich ist.

[161] Die Buschmänner, welche anfangs durch den Tod ihrer Kameraden vor Schrecken gelähmt waren, ergriffen bald die Flucht, ungeachtet des Geschreis der Matrosen, und auf die Gefahr vom Blitz erschlagen zu werden, indem sie durch ihr schnelles Laufen die Luft hinter sich verdünnten. Aber sie hörten nicht darauf und liefen, so hastig sie konnten, in's Lager zurück.

Die beiden Matrosen trugen William Emery in den Wagen, legten die Körper der Eingeborenen hinein und suchten ebenfalls Schutz in demselben, da sie von den Hagelkörnern, die wie ein Steinregen herniederfielen, schon voll Quetschungen waren. Drei Viertelstunden lang grollte das Gewitter mit äußerster Heftigkeit; dann fing es an nachzulassen. Der Hagel hörte auf und der Wagen konnte in's Lager zurückfahren. Die Nachricht vom Tode der beiden Eingeborenen war ihm vorausgeeilt. Sie machte einen beklagenswerthen Eindruck auf das Gemüth der Buschmänner, die auf die trigonometrischen Operationen, von denen sie Nichts zu begreifen vermochten, mit abergläubischem Schrecken sahen. Sie berathschlagten in's Geheim mit einander, und einige von ihnen, die mehr herabgestimmt waren als die übrigen, erklärten, sie würden nicht weiter mitgehen. Es war der Anfang einer Meuterei, welche bedenkliche Ausdehnung zu gewinnen drohte. Es bedurfte des ganzen Einflusses, welchen der Buschmann bei ihnen genoß, um diesem Aufstand Einhalt zu thun. Der Oberst Everest mußte vermitteln, und den armen Leuten eine Lohnerhöhung versprechen, um sie in seinem Dienste zu behalten.

Das Einverständniß kam nicht ohne Mühe zu Stande. Man widerstand, und die Zukunft der Expedition stand ernstlich auf dem Spiele. Was sollte wohl aus den Mitgliedern der Commission mitten in dieser Wüste werden, entfernt von jedem Dorf, ohne Begleitung zu ihrem Schutz, ohne Führer für ihre Wagen. Endlich wurden alle Schwierigkeiten überwunden, und nach Beerdigung der beiden Eingeborenen hob man das Lager auf, und die kleine Truppe zog dem Hügel zu, auf welchem zwei der Ihrigen den Tod gefunden.

William Emery hatte mehrere Tage hindurch an dem erhaltenen Schlage zu leiden. Seine linke Hand, in welcher er den Zirkel gehalten hatte, blieb eine Zeitlang wie gelähmt; endlich aber verschwand diese Unbequemlichkeit, und er konnte seine Arbeit wieder aufnehmen.

Während der folgenden achtzehn Tage, bis zum 20. December, trat kein [162] auffallender Zwischenfall ein, der den Zug der Karawane gehemmt hätte. Die Makololos zeigten sich nicht, und Mokum, so mißtrauisch er war, fing an sich zu beruhigen. Man war nur noch fünfzig Meilen von der Wüste entfernt, und dieser Karrou blieb, was er bis dahin gewesen, eine prachtvolle Gegend, deren Pflanzenleben, getränkt durch die reichlichen Gewässer seines Bodens, nicht seines Gleichen auf dem Erdball fand. Man konnte also darauf rechnen, daß es bis zur Wüste hin in dieser fruchtbaren und wildreichen Region weder den Menschen noch den Saumthieren, die bis an die Brust in der fetten Weide gingen, an Nahrung fehlen werde. Man rechnete jedoch ohne die Heuschrecken, deren Erscheinen in Süd-Afrika eine immer drohende Heimsuchung für die Anstalten des Landbaues ist.

Am Abend des 20. Decembers, ungefähr eine Stunde vor Sonnenuntergang, war das Lager aufgeschlagen. Die drei Engländer und der Buschmann saßen am Fuße eines Baumes, ruhten von der Tagesanstrengung aus und plauderten von ihren Zukunftsplänen. Der Nordwind, der sich etwas erhob, erfrischte ein wenig die Atmosphäre.

Die Astronomen waren übereingekommen, in dieser Nacht Sternhöhen aufzunehmen, um genau den Breitegrad des Ortes zu berechnen. Keine Wolke bedeckte den Himmel; es war beinahe Neumond; die Gestirne mußten glänzend sein und demzufolge konnte es nicht fehlen, daß man die Zenithalbeobachtungen unter den günstigsten Verhältnissen machen würde.

Deshalb waren Sir John und der Oberst sehr betroffen, als gegen acht Uhr William Emery aufstand, und nach Norden zeigend, sagte:

»Der Horizont bedeckt sich, und ich fürchte, die Nacht wird uns nicht so günstig sein, als wir hofften.

– Wirklich, antwortete Sir John, diese große Wolke erhebt sich merklich und mit dem frischen Winde wird sie bald den Himmel umzogen haben.

– Ist denn ein neues Unwetter im Anzug? fragte der Oberst.

– Wir sind in der Region zwischen den Tropen, erwiderte William Emery, und deshalb steht es zu befürchten! Ich glaube, unsere Beobachtungen sind für diese Nacht zu gewagt.

– Was halten Sie davon, Mokum«, fragte der Oberst den Buschmann.

Der Buschmann schaute aufmerksam nach Norden. Die Wolke zeichnete sich in einer sehr langen Curve so genau ab, als ob sie mit dem Zirkel gezogen sei. Der Kreisausschnitt, den sie am Horizont beschrieb, betrug einen [163] Umfang von drei bis vier Meilen. Diese wie Rauch schwärzliche Wolke hatte ein sonderbares Aussehen, worüber der Buschmann stutzte. Zuweilen beleuchtete die untergehende Sonne sie mit röthlichen Reflexen, die sie widerstrahlte wie eine feste Masse und nicht wie eine Anhäufung von Dünsten.

»Eine sonderbare Wolke«, sagte Mokum, ohne sich jedoch näher zu erklären.

Einige Augenblicke später benachrichtigte einer der Buschmänner den Jäger, daß die Pferde, Ochsen und anderen Thiere Zeichen von Unruhe gäben. Sie liefen über die Weideplätze und weigerten sich in die Einzäunung des Lagers zurückzukehren.

»Nun, so laßt sie die Nacht draußen bleiben! antwortete Mokum.

– Aber die reißenden Thiere?

– O, die wilden Thiere werden bald zu sehr beschäftigt sein, um auf sie achten zu können.«

Der Eingeborene zog sich zurück. Der Oberst Everest wollte vom Buschmann die Erklärung dieser sonderbaren Antwort. Doch schien dieser, indem er sich einige Schritte entfernte, gänzlich in die Betrachtung dieses Phänomen vertieft, dessen Natur er augenscheinlich errieth.

Die Wolke näherte sich mit reißender Schnelligkeit. Man konnte bemerken, wie niedrig sie war, und sicherlich war sie höchstens einige hundert Schritt über dem Boden. In das Pfeifen des kälter gewordenen Windes mischte sich ein starkes Rauschen, das aus der Wolke selbst zu kommen schien!

In diesem Augenblick erschien oberhalb der Wolke am blassen Himmelsgrund ein Schwarm schwarzer Punkte. Diese bewegten sich von unten nach oben zu, indem sie in die dunkle Masse tauchten und sofort sich wieder daraus entfernten. Man konnte sie nach Tausenden zählen.

»Ei, was sind das für schwarze Punkte? fragte Sir John Murray.

– Das sind Vögel, antwortete der Buschmann. Geier, Adler, Falken, Weiher. Sie kommen von fern und folgen dieser Wolke, welche sie erst wieder verlassen, wenn sich dieselbe aufgelöst hat oder zerstört worden ist.

– Doch diese Wolke?

– Das ist keine Wolke, erwiderte Mokum, indem er die Hand nach der schwarzen Masse, die bereits ein Viertel des Himmels einnahm, ausstreckte, das ist ein lebendiges Gewölk, eine Heuschreckenwolke!«

Der Jäger täuschte sich nicht; die Europäer sollten einen der schrecklichen, [164] leider nur zu häufigen Einfälle jener Thiere erleben, die oft in einer einzigen Nacht das fruchtbarste Land in eine wüste, dürre Gegend verwandeln. Diese Wanderheuschrecken, Geschlecht der Säbelthiere, die »grylli devastatorii« von dem Naturforscher genannt, waren milliardenweise im Anzuge. Es giebt Reisende, die ein Uferland in einer Länge von fünfzig Meilen bis zu vier Fuß hoch mit diesen Insecten bedeckt gesehen haben.

»Ja, begann der Buschmann wieder, diese lebendigen Wolken sind für die Felder eine fürchterliche Geißel, und Gott gebe, daß sie uns nicht allzu viel Schaden zufügen!

– Doch haben wir hier keine besäeten Felder, noch Weideplätze, die uns gehören. Was haben wir von diesen Insecten zu befürchten?

– Nichts, wenn sie nur über uns fortziehen, Alles, wenn sie sich auf dem Lande niederlassen, das wir zu passiren haben. Alsdann bleibt kein Blatt mehr auf den Bäumen, kein Grashalm auf den Wiesen, und Sie vergessen, Herr Oberst, wenn auch für unsere Nahrung gesorgt ist, so doch nicht für die unserer Pferde, Ochsen, Maulthiere. Was sollte wohl aus ihnen auf diesen verheerten Weideplätzen werden?«

Die Gefährten des Buschmanns beobachteten eine Weile schweigend die belebte Masse, welche zusehends wuchs. Das Rauschen verdoppelte sich, übertönt von dem Geschrei der Adler und Falken, die, sich auf den unerschöpflichen Schwarm stürzend, die Insecten zu Tausenden verschlangen.

»Glauben Sie, daß sie sich hier niederlassen werden? fragte William Emery Mokum.

– Ich fürchte es, antwortete der Jäger. Der Nordwind treibt sie gerade hierher. Jetzt verschwindet auch die Sonne, und die kühle Abendluft ermattet die Flügel der Heuschrecken. Sie werden sich auf den Bäumen, den Büschen, den Wiesen niederlassen, und dann..«

Der Buschmann hatte noch nicht ausgeredet, als sich seine Voraussagung schon erfüllte. Im Nu ließ sich die ungeheure Wolkenmasse auf die Erde nieder. Man sah nur noch eine wimmelnde, dunkle Masse rings um das Lager, bis an die Grenzen des Horizontes. Selbst der Lagerplatz wurde buchstäblich überschwemmt. Die Wagen, Zelte, Alles verschwand unter diesem lebendigen Hügel. Die Menge der Heuschrecken maß einen Fuß hoch. Die Engländer, die bis zur Hälfte des Beines in dieser dichten Heuschreckenschicht [165] wateten, zertraten sie bei jedem Schritt zu Hunderten. Doch was machte dies bei der Menge aus?

Es fehlte indessen nicht an Veranlassungen zur Vernichtung dieser Insecten. Die Vögel stürzten sich mit heißerem Geschrei auf sie und verschlangen sie gierig. Von unten vertilgten Schlangen diesen Leckerbissen in ungeheuern Massen. Die Pferde, Ochsen, Maulthiere, Hunde, sättigten sich mit unsäglichem Behagen an ihnen. Das Wild der Ebene, die reißenden Thiere, wie Löwen, Hyänen, Elephanten, Rhinoceros, ließen scheffelweis diese Insecten ihren Schlund hinabgleiten. Ja sogar die Buschmänner, welche große Liebhaber dieser »Luftkrabben« sind, verspeisten sie wie himmlisches Manna! Ihre große Menge indeß spottete jeder Art Vernichtung, sogar ihrer eigenen Gefräßigkeit, denn sie verzehren sich unter einander.

Auf dringende Einladung des Buschmanns kosteten die Engländer von dieser Nahrung, welche vom Himmel fiel. Man ließ einige Tausend Heuschrecken, mit Salz, Pfeffer und Essig gewürzt, kochen, wobei man Sorge trug, die jüngsten auszuwählen, die grün und nicht gelblich, deshalb weniger zäh als die alten sind, von welchen manche vier Zoll messen. Die jungen Thiere, so stark wie ein Federkiel, fünfzehn bis zwanzig Linien lang, werden, wenn sie ihre Eier noch nicht abgelegt haben, von Liebhabern wirklich als ein köstliches Gericht angesehen. Nachdem sie eine halbe Stunde gekocht, setzte der Buschmann den Engländern ein appetitliches Gericht Heuschrecken vor. Man fand diese, gleich den Seekrabben vom Kopf, Füßen und Flügeln befreiten Insecten sehr saftig, und Sir John, der allein einige Hundert aß, empfahl den Leuten an, ungeheure Vorräthe davon zu sammeln. Man brauchte sich ja nur danach zu bücken!

Als die Nacht kam, suchte Jeder sein gewöhnliches Lager auf. Aber auch die Wagen waren dem feindlichen Einfall nicht entgangen. Es war unmöglich hinein zu kommen, ohne auf unzählige dieser Insecten zu treten. Unter solchen Verhältnissen war das Schlafen nicht sehr angenehm, und da der Himmel klar war und die Sterne am Firmament glänzten, verbrachten die Astronomen die Nacht damit, Sternhöhen aufzunehmen. Das war jedenfalls besser, als sich bis an den Hals in ein Heuschreckenbett zu stecken. Wie hätten die Europäer auch einen Augenblick Ruhe finden können, während die Ebene und die Wälder vom Geheul der reißenden Thiere widerhallten, die zu dem Festmahl der Heuschrecken herbeieilten.

[166] Am folgenden Morgen ging die Sonne am völlig klaren Horizont auf, und begann ihren Tageslauf an einem glänzenden Himmel, der einen heißen Tag versprach. Ihre Strahlen hatten bald die Temperatur erhöht, und man vernahm ein dumpfes Schwirren aus dem Schwarm der Heuschrecken, die sich anschickten, weiter zu fliegen und ihre Zerstörung anderswohin zu tragen. Gegen acht Uhr Morgens war es, als ob sich ein ungeheurer Schleier entrolle, den Himmel verhülle und das Sonnenlicht verdunkle. Die ganze Gegend wurde düster, und man hätte glauben können, es werde wieder Nacht. Dann setzte sich die enorme Wolke, vom frischen Winde getrieben, in Bewegung. Zwei Stunden lang zog sie mit betäubendem Geschwirr über das in Dunkelheit versetzte Lager hin und verschwand endlich jenseits des westlichen Horizontes.

Doch als es wieder helle ward, konnte man sehen, wie sich die Voraussagungen des Buschmanns vollständig erfüllt hatten. Kein Blatt mehr an den Bäumen, kein Grashalm auf den Wiesen. Alles war verheert; der Erdboden sah gelb und fahl aus. Die entblätterten Aeste boten den Augen nur noch ein schauerliches Schattenbild dar. Es war der Winter auf den Sommer blitzschnell gefolgt! Es war die Wüste, und nicht mehr die Gegend voll üppigen Wachsthums. Bei diesen verheerenden Heuschrecken konnte man das orientalische Sprichwort anwenden, welches den räuberischen Sinn der Osmanlis bezeugt: Wo der Türke über ein Land gezogen, da wächst kein Gras mehr! Wo Heuschrecken auf ein Land niedergefallen sind, da wächst kein Gras mehr!

18. Capitel

Achtzehntes Capitel.
Die Wüste.

Das Land vor den Schritten der Reisenden war wirklich zur Wüste geworden, und als am 25. December der Oberst Everest mit seinen Begleitern, nachdem sie einen neuen Meridiangrad gemessen und ihren achtundvierzigsten Triangel vollendet hatten, an der Nordgrenze des Karrou ankam, fanden sie zwischen[167] der Gegend, welche sie verließen, und dem neuen dürren und versengten Lande, das sie durchziehen wollten, keinen Unterschied mehr.

Die zum Dienst der Karawane verwendeten Thiere hatten durch den Weidemangel sehr zu leiden. Auch an Wasser fehlte es, da die letzten Regentropfen in den Sümpfen versiegt waren. Der aus Sand und Thon gemischte Erdboden war für die Vegetation sehr ungeeignet. Die Gewässer aus der Regenzeit, welche durch Sandschichten sickerten, verschwanden fast augenblicklich auf diesem Boden, der mit Sandstein reichlich bedeckt, nicht das kleinste Wassertheilchen festhalten kann.

Durch solche unfruchtbare Gegenden ist Doctor Livingstone mehr als ein Mal auf seinen an Gefahren reichen Forschungsreisen gezogen. Nicht allein die Erde, sondern auch die Luft war so trocken, daß eiserne Gegenstände in der freien Luft nicht rosteten. Der Erzählung des gelehrten Doctors zufolge waren die Blätter der Bäume verschrumpft und welk; die der Mimosen blieben bei Tage, wie sonst bei Nacht, geschlossen; Käfer, die auf den Boden fielen, starben nach wenig Secunden; endlich zeigte ein Thermometer, dessen Kugel man drei Zoll tief in die Erde steckte, zu Mittag hundertvierunddreißig Grad Fahrenheit! ( = 56° hundertth.)

So wie der berühmte Reisende manche Gegenden Süd-Afrikas antraf, ebenso zeigte sich dieser Theil des zwischen der Grenze des Karrou und dem Ngamisee gelegenen Festlandes den Blicken der englischen Astronomen. Ihre Beschwerden waren groß, ihre Leiden außerordentlich, vornehmlich war's Wassermangel. Diese Entbehrung drückte noch empfindlicher die Thiere, da das spärliche, dürre, staubige Gras kaum hinreichende Nahrung gewährte. Diese weite Landstrecke war nicht allein durch Unfruchtbarkeit eine Wüste, sondern auch deshalb, weil sich kein lebendes Wesen hineinwagte. Die Vögel waren über den Zambesi entflohen, um dort Bäume und Blumen wieder zu finden. Die reißenden Thiere wagten sich auch nicht in diese Ebene, die ihnen keine Nahrungsquelle bot. Kaum sahen die Jäger der Karawane während der ersten vierzehn Tage des Januar zwei oder drei Paar Antilopen, die mehrere Monate das Trinken entbehren können; es waren solche Oryx, wie die, welche dem Sir John Murray ein so lebhaftes Herzeleid bereitet hatten; besonders Kaamas, mit sanften Augen und aschgrauen mit ockerfarbigen Flecken gesprengtem Fell, unschuldige Thiere, die ihres Fleisches halber sehr [168] geschätzt sind, und welche, wie es scheint, die dürren Gegenden den fruchtbarsten Weideplätzen vorziehen.


Gefallene Saumthiere. (S. 170.)

Indeß wurden durch die Wanderung unter dieser Sonnengluth, in einer Atmosphäre, die nicht ein Dunstatom enthielt, bei Verfolgung der geodätischen Arbeiten bei Tage und bei Nacht von keinem Lufthauch gekühlt, die Astronomen sichtlich erschöpft. Ihr Wasservorrath in den erwärmten Tonnen nahm ab. Schon hatten sie das Wasser auf tägliche Rationen beschränkt und litten [169] sehr unter dieser Verminderung. Doch war ihr Eifer und ihr Muth so groß, daß sie den Beschwerden und Entbehrungen zum Trotz kein Detail ihrer unendlichen und peinlichen Arbeit vernachlässigten. Am 25. Januar war das siebente Stück des Meridians, einen neuen Grad enthaltend, vermittelst neun neuer Dreiecke ausgerechnet worden, was die Totalsumme der bis dahin construirten Triangel auf siebenundfünfzig brachte.

Man hatte nur noch einen Theil der Wüste zu passiren, und nach der Meinung des Buschmanns mußten sie die Ufer des Ngamisees vor Ende Januar erreichen. Der Oberst und seine Gefährten konnten bis dahin noch für sich selbst aushalten. Aber die Leute der Karawane, die Buschmänner, welche nicht von solchem Eifer beseelt waren, bezahlte Leute, deren Interesse Nichts mit dem wissenschaftlichen der Expedition gemein hatte, Eingeborene, die noch dazu wenig geneigt waren, vorwärts zu gehen, – diese litten sehr durch die Beschwerden des Weges. Der Wassermangel drückte sie sehr empfindlich. Schon hatte man einige durch Hunger und Durst ermattete Saumthiere zurücklassen müssen, und es stand zu befürchten, daß ihre Anzahl von Tag zu Tag geringer würde. Das Murren, die Klagen wurden mit den Anstrengungen immer größer, Mokum's Rolle ward immer schwieriger und sein Einfluß geringer.

Es wurde bald klar, daß der Wassermangel ein unübersteigliches Hinderniß werden würde, daß man den Weg nach Norden werde aufgeben und sich wieder rückwärts wenden müsse, sei es auch rechts vom Meridian, auf die Gefahr hin, mit der russischen Expedition zusammenzutreffen, um Dörfer zu erreichen, die der Beschreibung David Livingstone's nach in einer weniger unfruchtbaren Gegend liegen.

Am 15. Februar machte der Buschmann den Oberst Everest mit den wachsenden Schwierigkeiten bekannt, gegen welche er vergeblich kämpfte. Die Wagenführer verweigerten ihm schon den Gehorsam. Jeden Morgen beim Aufbruch des Lagers fanden Scenen der Insubordination statt, an welchen sich die meisten Eingeborenen betheiligten. Man muß zugeben, daß diese von der Hitze niedergedrückten, von Durst verzehrten Unglücklichen Mitleid erregten. Zudem wollten die Ochsen und Pferde, durch das kurze, trockene Gras ungenügend genährt, nicht getränkt, nicht mehr fort.

Der Oberst Everest erkannte genau die Lage. Doch hart gegen sich selbst, war er es auch gegen die Andern. Er wollte in keiner Weise die Arbeit des [170] trigonometrischen Netzes unterbrechen, und erklärte, daß er, und sollte er auch ganz allein bleiben, vorwärts gehen werde. Uebrigens waren seine beiden Collegen mit ihm einstimmig und bereit ihm zu folgen, so weit er gehen wollte.

Durch wiederholte Bemühungen gelang es dem Buschmann, die Eingeborenen zu bewegen, daß sie noch eine kurze Zeit lang mit fort gingen. Seiner Schätzung nach konnte der Ngamisee nur noch fünf oder sechs Tagemärsche fern sein. Dort würden die Pferde und Ochsen frische Weiden und schattige Wälder wiederfinden. Dort würden die Menschen ein ganzes Süßwassermeer zu ihrer Erquickung haben. Mokum machte den ersten Buschmännern gegenüber all' diese Betrachtungen geltend. Er bewies ihnen, daß, um sich auf's Neue zu verproviantiren, es am kürzesten sei, nach Norden zu gehen. Wirklich, wieder nach Westen umzukehren, hieß auf's Geradewohl sich dem Zufall preisgeben; hinter ihnen lag das verödete Karrou, dessen strömende Wasser alle versiegt sein mußten. Endlich ergaben sich die Eingeborenen in all' diese Gründe und Vorstellungen, und die fast ganz erschöpfte Karawane setzte ihren Weg nach dem Ngami wieder fort.

Glücklicherweise gingen die geodätischen Operationen durch Pfähle oder Fahnenstangen leicht von Statten. Um Zeit zu gewinnen, arbeiteten die Astronomen Tag und Nacht. Durch den Schein elektrischer Lampen geleitet, erhielten sie sehr klar gezeichnete Winkel, welche die gewissenhafteste Bestimmtheit befriedigten.

Die Arbeiten wurden also im Zusammenhang und methodisch fortgesetzt, und das Netz vergrößerte sich nach und nach.

Am 16. Januar glaubte die Karawane einen Augenblick, daß das Wasser, mit welchem die Natur hier so geizte, ihnen endlich im Ueberfluß wieder zu Theil werden sollte.

Ein kleiner, ein bis zwei Meilen breiter See wurde am Horizont wahrgenommen.

Man begreift, wie diese Nachricht aufgenommen ward. Die ganze Karawane eilte nach jener Richtung, einem weiten Wasserspiegel zu, in dem sich die Sonnenstrahlen wiederspiegelten.

Der See wurde gegen fünf Uhr Abends erreicht. Einige Pferde zerrissen ihre Zügel, entschlüpften den Händen ihrer Führer und stürzten im Galop [171] auf dieses lang ersehnte Wasser zu. Sie witterten, fühlten es und bald sah man sie bis an der Brust darin.

Doch fast augenblicklich kehrten die Thiere wieder an's Ufer zurück. Sie hatten sich nicht an diesem Ge wässer erquicken können, und als die Buschmänner herankamen, fanden sie sich vor einem so stark mit Salz versetzten Wasser, daß sie sich nicht daran erfrischen konnten. Die Enttäuschung, ja man kann sagen die Verzweiflung, war groß. Mokum glaubte, daß er darauf verzichten müsse, die Eingeborenen noch über den Salzsee hinaus mit fort zu bringen. Zum Glück für die Zukunft der Karawane befand sich dieselbe näher am Ngami und den Nebenflüssen des Zambesi, als an jedem andern Punkt dieser Gegend, wo man sich trinkbares Wasser hätte verschaffen können. Das Wohl Aller hing also von dem Marsche vorwärts ab. Wenn die geodätischen Arbeiten sie nicht aufhielten, konnte die Expedition in vier Tagen die Ufer des Ngami erreicht haben. Man brach wieder auf. Die Bodenbeschaffenheit benutzend, konnte der Oberst Everest Dreiecke von größeren Verhältnissen errichten, welche die Aufstellung von Zielpunkten weniger häufig nöthig machten. Da man besonders in ganz klaren Nächten operirte, sah man die Feuersignale zum Erstaunen klar, und sie konnten, sei's mit dem Theodoliten oder der Winkelmeßscheibe, auf's Genaueste aufgenommen werden. Damit war zugleich Zeit und Mühe gespart. Doch, offen gesagt, sowohl für die von wissenschaftlichem Eifer beseelten, muthigen Gelehrten, als für die in diesem schrecklichen Klima von brennendem Durst verzehrten Eingeborenen, und für die im Dienst der Karawane verwendeten Thiere war es hohe Zeit, den Ngami zu erreichen. Keiner hätte noch vierzehn Tage unter solchen Verhältnissen aushalten können.

Am 21. Januar begann der flache, ebene Boden sich merklich zu verändern; er wurde holperig und uneben. Gegen zehn Uhr Morgens wurde ein kleiner fünf- bis sechshundert Fuß hoher Berg, nordwestlich, ungefähr fünfzehn Meilen entfernt, gemeldet. Es war der Scorzefberg. Der Buschmann betrachtete aufmerksam die örtliche Lage, und nach ziemlich langem Erwägen sagte er, die Hand nach Norden ausstreckend:

»Dort ist der Ngamisee!

– Der Ngami, der Ngami!« schrieen die Eingeborenen und begleiteten ihr Geschrei mit rauschender Beifallsbezeigung. Die Buschmänner wollten voraneilen und die fünfzehn Meilen, die sie noch vom See trennten, im Laufe [172] zurücklegen. Doch gelang es dem Jäger, sie zurückzuhalten, indem er ihnen bemerklich machte, daß es wichtig sei, in diesem von den Makololos unsicher gemachten Lande sich nicht zu theilen.

Indeß beschloß der Oberst Everest, um die Ankunft der kleinen Truppe am Ngami zu beschleunigen, die Station, die er jetzt einnahm, mit dem Scorzef durch einen einzigen Triangel direct zu vereinigen. Der Gipfel des Berges, durch einen sehr spitzen Kegel gebildet, konnte sehr genau visirt werden und eignete sich also zu einer guten Beobachtung. Man brauchte deshalb nicht bis zur Nacht zu warten, noch eine Abtheilung Matrosen und Eingeborene zur Aufstellung einer Reverbere auf dem Gipfel des Scorzef abzuschicken.

Die Instrumente wurden gerichtet und der die Spitze des letzten südlichen Triangels bildende Winkel wurde zur größeren Sicherheit auf dieser Station nochmals gemessen.

Mokum, der sehr ungeduldig war, die Ufer des Ngami zu erreichen, hatte nur ein provisorisches Lager errichtet. Er hoffte noch vor Anbruch der Nacht an dem ersehnten Gewässer anzukommen; dennoch versäumte er keine seiner gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln und ließ die Umgegend durch einige Reiter durchstreifen. Links und rechts gab es Gehölze, die es klug war, zu durchsuchen. Man hatte indeß seit jener Oryxjagd keine Spur mehr von den Makololos gesehen, und es schien, als hätten diese das Ausspüren der Karawane aufgegeben. Dessenungeachtet war der Buschmann mißtrauisch auf der Hut, um auf Alles gefaßt zu sein.

Während so der Jäger wachte, beschäftigten sich die Astronomen damit, ihr neues Dreieck zu vollenden. Nach den von William Emery gemachten Aufnahmen würde dieser Triangel sie ziemlich nahe dem zwanzigsten Breitegrad bringen, an welchem der Endpunkt des Bogens, den sie in diesem Theile Afrikas zu messen beabsichtigten, ablaufen sollte. Noch einige Operationen jenseit des Ngami, und sehr wahrscheinlich würde man damit das achte Stück des Meridians erhalten. Dann, nachdem man eine Prüfung der Berechnung vermittelst einer neuen, direct auf dem Boden gemessenen Basis vorgenommen, würde das große Werk vollendet sein. Man begreift also, von welchem Eifer diese kühnen Männer beseelt waren, als sie sich dem Ziele so nahe sahen. Und wie hatten währenddessen die Russen ihrerseits operirt? Seit den sechs Monaten der Trennung der Mitglieder der internationalen Commission, wo [173] waren wohl in diesem Augenblick Mathieu Strux, Nicolaus Palander, Michael Zorn? Hatten sie ebenso harte Mühseligkeiten als ihre englischen Collegen erdulden müssen? Hatten sie auch unter dem Wassermangel, der drückenden Hitze des Klimas gelitten? Waren die Gegenden, welche sie denen von Livingstone beschriebenen nahe brachten, weniger dürr?

Vielleicht, denn es gab von Kolobeng an Dörfer und Flecken wie Schokuané, Schoschong und andere, nicht weit rechts vom Meridian, in denen sich die russische Karawane wieder versorgen konnte. Doch stand nicht zu befürchten, daß in dieser weniger öden, und daher von Räuberbanden unaufhörlich belästigten Gegend, die kleine Truppe von Mathieu Strux sehr den Gefahren ausgesetzt gewesen? Mußte man nicht aus dem Umstand, daß die Makololos die Verfolgung der englischen Expedition aufgaben, schließen, daß sie sich der russischen auf die Spur geworfen hatten?

Der immer in Gedanken vertiefte Oberst Everest dachte oder wollte nicht an diese Dinge denken, aber Sir John Murray und William Emery unterhielten sich häufig über das Schicksal ihrer ehemaligen Collegen. Sollte es ihnen beschieden sein, sich einander wiederzusehen? Sollten die Russen bei ihrem Unternehmen Glück haben? Würde dasselbe mathematische Resultat, das heißt, der Werth des Längegrades in diesem Theile Afrikas bei beiden Expeditionen, die gleichzeitig, doch getrennt, die Errichtung des trigonometrischen Netzes verfolgt hatten, übereinstimmend sein? Dann gedachte William Emery an seinen Gefährten, dessen Abwesenheit ihm so schmerzlich war, und er wußte wohl, daß auch Michael Zorn ihn niemals vergessen würde.

Indessen hatte die Messung der Winkeldistanzen begonnen. Um den an der Station anliegenden Winkel zu erlangen, handelte es sich darum, zwei Zielpunkte zu haben, von denen einer durch den kegelförmigen Gipfel des Scorzef gebildet wurde. Zum andern, links vom Meridian, wählte man einen spitzen nur vier Meilen entfernten Hügel. Seine Richtung ergab sich durch eins der Gläser der Winkelmeßscheibe.

Wie schon gesagt, war der Scorzef verhältnißmäßig weit entfernt. Doch hatten die Astronomen keine Wahl, da dieser isolirt stehende Berg der einzige Culminationspunkt der Gegend war. Es gab wirklich weder nördlich noch westlich, noch jenseits des Ngamisees, den man noch nicht bemerken konnte, irgend eine andere Anhöhe. Nun nöthigte die Entfernung des Scorzef die [174] Beobachter, sich ziemlich weit rechts vom Meridian zu begeben, doch begriffen sie nach reiflicher Ueberlegung, daß sie nicht anders verfahren konnten. Der allein stehende Berg wurde also mit größter Sorgfalt vermittelst des zweiten Glases der Winkelmeßscheibe visirt, und die Abweichung der beiden Gläser ergab die Winkeldistanz des Scorzef von dem Hügel, und demzufolge das Maaß des an der Station selbst gebildeten Winkels. Um noch genauere Annäherung zu haben, wiederholte der Oberst zwanzigmal dies Verfahren, wobei er die Stellung seiner Gläser veränderte; auf diese Weise theilte er die möglichen Irrthümer der Lesart durch zwanzig, und erhielt eine Winkelmessung von absoluter Genauigkeit.

Trotz der Ungeduld der Eingeborenen wurden diese Operationen von dem unempfindlichen Oberst Everest mit derselben Sorgfalt wie in seinem Observatorium zu Cambridge gemacht. Der ganze 21. Februar verstrich auf diese Art, und erst zu Ende des Tages, gegen halb sechs, als das Ablesen der Maßstäbe schwierig wurde, beendete der Oberst seine Beobachtungen.

»Jetzt bin ich Ihnen zu Verfügung, Mokum, sagte er darauf zum Buschmann.

– Das ist wirklich nicht zu früh, Herr Oberst, antwortete Mokum, und ich bedaure, daß Sie Ihre Arbeit nicht vor der Nacht fertig bringen konnten, denn wir würden versucht haben, unser Lager an die Ufer des Sees zu verlegen!

– Aber was hindert uns, aufzubrechen? fragte der Oberst. Fünfzehn Meilen, wenn auch in dunkler Nacht zu machen, können uns nicht zurückhalten. Der Weg ist ein gerader, durch die Ebene selbst, und wir brauchen nicht zu befürchten, uns zu verirren.

– Ja! ... wirklich ... erwiderte der Buschmann, der mit sich zu Rathe zu gehen schien; vielleicht können wir dies Wagniß vornehmen, obgleich ich vorgezogen hätte, bei hellem Tage durch die dem Ngamisee benachbarten Landstrecken zu gehen. Unsere Leute verlangen sehnlichst, die Süßwasser des Sees zu erreichen. Wir wollen also aufbrechen, Herr Oberst ...

– Wann Sie wollen Mokum!« antwortete der Oberst.

Dieser Entschluß wurde von Allen gebilligt, die Ochsen vor die Wagen gespannt, die Reiter bestiegen ihre Pferde, die Instrumente wurden in den Wagen gebracht, und um sieben Uhr Abends, nachdem der Buschmann das [175] Zeichen zum Aufbruch gegeben, marschirte die Karawane, vom Durst gespornt, gerade auf den Ngamisee zu.


Der Ngami! Der Ngami! (S. 172.)

Getrieben von einem gewissen Instinct als Kundschafter der Gegend, hatte der Buschmann die drei Europäer gebeten, ihre Waffen zu sich zu nehmen und sich mit Munition zu versehen. Er selbst trug die Büchse, die ihm Sir John zum Geschenk gemacht, und in seiner Kugeltasche fehlte es nicht an Patronen.


Kampf mit Wüstenräubern. (S. 180.)

Man brach auf. Die Nacht war finster und ein dichter Wolkenschleier verhüllte die Sterne. Doch war die Atmosphäre in der dem Erdboden nächsten Schicht frei von Nebel. Der mit außerordentlicher Sehkraft begabte Mokum spürte auf den Seiten und vorwärts.

Einige Worte, die er zu Sir John sprach, bewiesen, [176] daß der Buschmann die Gegend nicht für ganz sicher halte. Daher hielt Sir John auch seinerseits sich auf jedes Ereigniß gefaßt.

[177] Die Karawane zog so drei Stunden in nördlicher Richtung vorwärts, doch bei ihrer Erschöpfung und Müdigkeit ging sie nicht schnell. Man machte nicht mehr als drei Meilen die Stunde, und gegen zehn Uhr Abends war die kleine Truppe noch sechs Meilen vom Ngamisee entfernt. Die Thiere keuchten und konnten in dieser erstickenden Nacht kaum athmen, in einer so trockenen Atmosphäre, daß das empfindlichste Hygrometer keine Spur von Feuchtigkeit gezeigt hätte.

Ungeachtet der dringendsten Mahnungen des Buschmanns bildete die Karawane bald nicht mehr einen festen Kern. Die Männer und die Thiere zogen sich in einer langen Reihe hin. Einige Ochsen waren schon entkräftet auf dem Wege gestürzt. Abgestiegene Reiter schleppten sich mühsam fort, und die kleinste Anzahl Eingeborener hätte sie leicht entführen können. Mokum voll Besorgniß, sparte weder Worte noch Winke, ging von einem zum andern, und versuchte die Truppe auf's Neue zusammenzubringen, aber es gelang ihm nicht, und ehe er es noch bemerkt, war schon eine gewisse Anzahl seiner Männer abhanden gekommen.

Um elf Uhr Abends waren die Wagen, die sich an der Spitze befanden, nur noch drei Meilen vom Scorzef. Trotz der Dunkelheit sah man den Berg sehr deutlich, und er ragte im Dunkel wie eine ungeheure Pyramide empor. Die Nacht vermehrte noch seine wirklichen Dimensionen, verdoppelte scheinbar seine Größe.

Wenn sich Mokum nicht getäuscht hatte, so mußte der Ngamisee hinter dem Scorzef liegen. Es handelte sich also darum, den Berg so zu umgehen, daß man auf kürzestem Wege an die weite Süßwasserfläche gelangte.

Der Buschmann stellte sich an die Spitze der Karawane in Gesellschaft der drei Europäer und war im Begriff, sich links hin zu wenden, als deutliche, obwohl entfernte Schüsse ihn zum Halt bestimmten.

Die Engländer hatten ebenfalls ihre Pferde angehalten und lauschten mit leicht begreiflicher Angst.

In einem Lande, wo die Eingeborenen sich nur der Lanzen und Pfeile bedienen, mußte das Knallen von Feuerwaffen sie ängstlich überraschen.

»Was ist das? fragte der Oberst.

– Schüsse! antwortete Sir John.

– Schüsse! rief der Oberst aus, und in welcher Richtung?«

Diese Frage war an den Buschmann gerichtet, welcher erwiderte:

[178] »Diese Flintenschüsse sind vom Gipfel des Scorzef aus gefeuert worden. Sehen Sie, wie das Dunkel sich oben lichtet! Man schlägt sich dort. Das sind ohne Zweifel Makololos, die einen Trupp Europäer angreifen.

– Europäer, sagte William Emery.

– Ja, Herr William, erwiderte Mokum. Dieses starke Knallen kann nur von europäischen Waffen herrühren, und ich möchte hinzusetzen, von gezogenen Gewehren.

– Diese Europäer wären also? ...«

Doch unterbrach ihn der Oberst und rief:

»Meine Herren, wer diese Europäer auch seien, man muß ihnen zu Hilfe kommen.

– Ja! Ja! Auf! Vorwärts!« wiederholte William Emery, dessen Herz sich schmerzlich zusammenzog.

Ehe sie sich nach dem Berg zuwandten, wollte der Buschmann zum letzten Mal seine kleine Truppe sammeln, welche eine Räuberbande unversehens umzingeln konnte. Als der Jäger aber rückwärts kam, war die Karawane zerstreut, die Pferde abgespannt, die Wagen verlassen und einige auf der Ebene umherstreifende Schatten verschwanden schon südwärts.

»Die Feiglinge! rief Mokum aus. Durst, Müdigkeit, Alles vergessen sie, um zu fliehen!« Darauf kehrte er zu den Engländern und ihren tapfern Matrosen zurück, und rief:

»Vorwärts wir Andern!«

Die Europäer und der Jäger eilten unverzüglich nach Norden zu, und benahmen so ihren Pferden den Rest von Kraft und Schnelligkeit.

Zwanzig Minuten später hörte man deutlich das Kriegsgeschrei der Makololos.

Wie groß ihre Zahl war, konnte man noch nicht schätzen. Diese eingeborenen Räuber stürmten augenscheinlich den Scorzef, dessen Gipfel im Feuer strahlte. Man sah von Zeit zu Zeit Menschengruppen an den Seiten auftauchen.

Bald waren der Oberst Everest und seine Begleiter den Belagerern auf der Ferse. Sie saßen nun ab von ihren erschöpften Pferden und mit furchtbar schallendem Hurrah, welches die Belagerten hören mußten, feuerten sie die ersten Schüsse auf die Masse der Eingeborenen. Als die Makololos das Knallen dieser schnellschießenden Waffen hörten, glaubten sie sich von einer [179] zahlreichen Truppe angegriffen. Dieser plötzliche Ueberfall überraschte sie, und sie zogen sich zurück, ehe sie noch Gebrauch von ihren Pfeilen und Wurfgeschossen gemacht.

Ohne einen Augenblick zu verlieren, warfen sich der Oberst Everest, Sir John, William Emery, der Buschmann und die Seeleute, unaufhörlich ladend und abfeuernd, mitten in die Räuberbande. Schon bedeckten ungefähr fünfzehn Leichen den Boden.

Die Makololos trennten sich, und die Europäer drangen in die Oeffnung ein, streckten die ihnen nächsten Eingeborenen zu Boden und zogen sich dann rückwärts den Bergabhang hinaus.

In zehn Minuten hatten sie den im Dunkel verborgenen Gipfel erreicht, denn die Belagerten hatten ihr Feuer eingestellt, aus Furcht, Diejenigen zu treffen, die ihnen so unerwartet zu Hilfe kamen.

Und diese Belagerten waren die Russen! Sie waren alle da, Mathieu Strux, Nicolaus Palander, Michael Zorn, ihre fünf Matrosen.

Von den Eingeborenen, die ehemals ihre Karawane gebildet, war nur noch der Foreloper übrig. Diese elenden Buschmänner hatten sie ebenfalls im Moment der Gefahr verlassen.

In dem Augenblick, als der Oberst erschien, sprang Mathieu Strux von einer kleinen Mauer herunter, die den Gipfel des Scorzef krönte.

»Sie, meine Herren Engländer! rief der Astronom von Pulkowa aus.

– Wir selbst, meine Herren Russen, antwortete der Oberst mit ernster Stimme. Hier aber giebt es weder Russen noch Engländer, sondern nur Europäer, die zu ihrer Vertheidigung geeinigt sind.«

19. Capitel

Neunzehntes Capitel.
Trianguliren oder Sterben.

Mit einem Hurrah wurden die Worte des Oberst Everest aufgenommen. Den Makololos und einer gemeinsamen Gefahr gegenüber mußten sich die [180] Engländer und Russen, uneingedenk des internationalen Kampfes, zur gemeinsamen Vertheidigung verbünden. Die augenblickliche Lage beherrschte Alles, und im Angesicht des Feindes war in der That die anglo-russische Commission, und zwar stärker und inniger als jemals wiederhergestellt. William Emery und Michael Zorn waren einander in die Arme gesunken. Die andern Europäer hatten mit einem Händedrucke ihre erneute Allianz besiegelt.

Ihren Durst zu löschen war die erste Sorge der Engländer. Im Lager der Russen fehlte es auch nicht an Wasser, das aus dem See geschöpft war. Dann plauderten die Europäer unter dem Schutze einer Kasematte, welche einen Theil einer den Gipfel des Scorzef krönenden, verlassenen Schanze bildete, über Alles, was seit ihrer Trennung in Kolobeng vorgegangen war. Die Matrosen überwachten unterdessen die Makololos, welche ihnen jetzt einige Ruhe ließen.

Warum befanden sich nun die Russen überhaupt auf dem Gipfel dieses Berges, der sich so weit links von ihrem Meridian befand. Aus demselben Grunde, der die Engländer so weit zur Rechten desselben geführt hatte. Der Scorzef nämlich, der so ziemlich in der Mitte des Weges zwischen den beiden Bogen lag, war der einzige Höhepunkt dieser Gegend, der zur Errichtung einer Beobachtungsstation an den Ufern des Ngamisee geeignet erschien. Es war demnach ganz natürlich, daß sich die beiden rivalisirenden Expeditionen, die auf dieser Ebene beschäftigt waren, auf dem einzigen Berge begegneten, der für ihre Zwecke tauglich erschien. In der That berührten der russische und der englische Meridian den See an zwei sehr entfernten Punkten, so daß für die Beobachter daraus die Nothwendigkeit entsprang, das südliche und das nördliche Ufer des Ngamisees geodätisch zu verbinden.

Mathieu Strux berichtete dann verschiedenes Einzelne über die von ihm ausgeführten Arbeiten. Die Dreieckvermessung war von Kolobeng aus ohne Zwischenfall von statten gegangen. Dieser erste Meridian, welchen das Loos den Russen zugetheilt hatte, lief durch ein fruchtbares, wellenförmiges Land, das sehr leicht mit einem trigonometrischen Netze überzogen werden konnte. Ebenso wie die englischen, hatten auch die russischen Astronomen von der übermäßigen Hitze dieser Klimate, aber nicht an Wassermangel, gelitten. In der Gegend waren viele Bäche, welche eine wohlthätige Feuchtigkeit unterhielten. Pferde und Rinder befanden sich sonach gleichsam auf einer ungeheuern Weide und liefen durch grünende Wiesen, die hier und da von [181] Wäldern oder Buschwerk unterbrochen waren. Die wilden Thiere hatte man durch während der Nacht unterhaltene Feuer in gemessener Entfernung von den Lagerplätzen zu halten vermocht. Die Eingeborenen betreffend, so gehörten diese zu den in Flecken und Dörfern seßhaften Stämmen, bei welchen der Doctor David Livingstone fast stets eine gastfreundliche Aufnahme gefunden hatte.

Während dieser Reise hatten die Buschmänner demnach keinerlei Ursache, sich zu beklagen. Am 20. Februar erreichten die Russen den Scorzef und hatten sich dort schon seit sechsunddreißig Stunden eingerichtet, als die Makololos, drei- bis vierhundert Köpfe stark, auf der Ebene davor erschienen. Sofort überließen die erschreckten Buschmänner die Russen ihrem Schicksal und liefen davon. Zunächst plünderten die Makololos die am Fuße des Berges aufgefahrenen Wagen; glücklicherweise waren alle Instrumente vorher nach der Schanze hinaufgeschafft worden. Auch das kleine Dampfboot war bis jetzt unverletzt, da die Russen Zeit gehabt hatten, es vor dem Erscheinen der räuberischen Horden zusammenzusetzen und in einem kleinen Nothhafen des Ngamisees zu bergen. Auf dieser Seite fiel der Berg fast senkrecht zu dem rechten Ufer des Sees ab und war von da aus nicht wohl zu ersteigen. Nach Süden zu bot der Scorzef freilich gangbare Abhänge, und bei dem von den Makololos versuchten Angriffe wären sie ohne die von der Vorsehung vermittelte Dazwischenkunft der Engländer wohl bis zu jener kleinen Schanze hinausgekommen.

Obiges bildete im Auszuge den Bericht des Mathieu Strux. Der Oberst Everest theilte nun seinerseits die Ereignisse mit, welche ihnen auf dem Wege nach Norden begegneten, die Leiden und Anstrengungen der Expedition, die Empörung der Buschmänner, und die Schwierigkeiten und Hindernisse alle, die man zu bewältigen hatte. Alles in Allem waren die Russen seit der Abreise von Kolobeng entschieden mehr begünstigt gewesen, als die Engländer.

Die Nacht vom 21. zum 22. Februar verlief ohne Zwischenfall. Der Buschmann und die Seeleute hatten am Fuße der Schanzenmauern Wache gehalten. Die Makololos erneuerten ihre Angriffe nicht, doch zeigten einige Feuer am Fuße des Berges, daß die Räuber noch an derselben Stelle bivouaquirten und ihre Absichten keineswegs aufgegeben hatten.

Mit Tagesanbruch, am 22. Februar, verließen die Europäer die Kasematte, [182] um die umgebende Ebene in's Auge zu fassen. Die ersten Frührothstrahlen erhellten fast mit einem Schlage das ganze ungeheure Territorium bis zum Horizont. Nach Süden hin er streckte sich ein Wüstenland mit gelblichem Boden, verbrannten Pflanzen und dürrem Aussehen. Um den Fuß des Berges war ein Lager aufgeschlagen, in dessen Mitte wohl vier- bis fünfhundert Eingeborene in buntem Gewimmel hin- und herliefen. Ihre Feuer brannten noch und einige Stücke Wildpret rösteten über glühenden Kohlen. Es lag auf der Hand, daß die Makololos den Platz nicht räumen wollten, bevor nicht Alles, was die Karawane Kostbares besaß, das Material, die Wagen, Pferde und Rinder, sowie die Vorräthe, in ihre Hände gefallen; mit diesem Ziele noch nicht zufrieden, strebten sie offenbar, die Europäer zu tödten und in den Besitz der Waffen zu gelangen, von denen der Oberst nebst den Seinen einen so furchtbaren Gebrauch gemacht hatte.

Nachdem die russischen und englischen Gelehrten das Lager der Eingeborenen betrachtet hatten, unterhielten sie sich lange mit dem Buschmann. Ein bestimmter Entschluß mußte ja gefaßt werden. Dieser Entschluß aber mußte vom Zusammenwirken verschiedener Umstände abhängen, und vor allem galt es, die Lage des Scorzef ganz genau festzustellen.

Von diesem Berge wußten die Gelehrten schon, daß er nach Süden die ungeheuren Ebenen bis zu dem Karrou hin beherrschte. Nach Osten und Westen hin setzte sich die Wüste in ihrer geringsten Breite fort. Weiter nach Westen erreichte der Blick die schwachen Schattenrisse der Hügel, die das fruchtbare Land der Makololos umgrenzen, wo Maketo, eine der Hauptstädte, etwa hundert Meilen im Nordwesten des Ngamisees gelegen ist.

Gegen Norden indessen beherrschte der Scorzef einen weitaus verschiedenen Landstrich. Welcher Contrast gegen die dürren Steppen des Südens. Wasserreichthum, Bäume, Weiden und all' jene üppige Bodenbedeckung, welche eine andauernde Feuchtigkeit zu unterhalten vermag. Mindestens auf eine Entfernung von hundert Meilen breitete der Ngamisee von Osten nach Westen sein liebliches Gewässer, das sich unter den Strahlen der auftauchenden Sonne zu beleben schien. Die größte Breite hatte der See entsprechend den Längengraden der Erde; von Norden nach Süden dagegen mochte er höchstens dreißig bis vierzig Meilen messen. Darüber hinaus fiel die Gegend sanft ab und bot einen wechselnden Anblick mit ihren Wäldern, Weideflächen und strömenden Wassern, Nebenflüssen des Lyamble oder Zambesi; ganz im Norden [183] endlich, aber mindestens in einer Entfernung von achtzig Meilen, war die Landschaft von einer pittoresken Bergkette abgeschlossen. Das schöne Land! Wie eine Oase war es mitten in die Wüste hineingeworfen! Sein wunderbar bewässerter, von einem ganzen Netze fließender Adern übersponnener Boden athmete Leben.


Auf steilem Wege zum See hinab. (S. 185.)

Es war der Zambesi, jener große Fluß, der mit seinen Nebenarmen diese verschwenderische Vegetation ernährte. Er stellte die riesige Pulsader dar, die für das östliche Afrika dasselbe ist, was die Donau für Europa, der Amazonenstrom für Süd-Amerika.

[184] So war das Panorama, das sich vor den Augen der Europäer ausbreitete.


Nachtfahrt über den Ngami. (S. 190.)

Der Scorzef selbst erhob sich dicht am Ufer des Sees und fiel, wie Mathieu Strux gesagt hatte, nach Norden senkrecht zu den Fluthen des Ngami ab. Aber es giebt keine so steilen Abhänge, welche Seeleute nicht erklimmen oder herabklettern könnten, und so waren diese auch durch eine enge Schlucht, die sich von Abhang zu Abhang hinzog, bis zum Spiegel des Sees und zwar an derselben Stelle herabgekommen, wo das Dampfschiffchen [185] geborgen lag. Die Versorgung mit Wasser erschien also gesichert, und die kleine Besatzung konnte sich, so lange die anderen Vorräthe reichten, wohl hinter den Mauern der verlassenen Verschanzung halten.

Wozu diente aber überhaupt diese Schanze in der Wüste und auf dem Gipfel dieses Berges? Man fragte Mokum, der diese Gegend schon, als er David Livingstone's Führer gewesen, besucht hatte. Er war in der Lage, darüber Auskunft zu geben.

Diese Umgebungen des Ngamisees waren früher häufig von Elfenbein- und Ebenholzhändlern besucht worden. Das Elfenbein lieferten die Elephanten und Rhinocerosse, aber das Ebenholz war Menschenfleisch, lebendes Fleisch, womit die Vermittler der Sclaverei Handel treiben. Das ganze Zambesiland ist noch vergiftet von jenen fremden Schurken, welche die Ausfuhr der Schwarzen betreiben. Die Kriege, Streifzüge und Plünderungen im Innern liefern immer eine große Menge Gefangene, welche als Sclaven verkauft werden. Dieses Ufer des Ngami bildete nun eine Handelsstraße für die aus dem Westen Kommenden und der Scorzef war ehedem der Mittelpunkt der Karawanenlager. Dort ruhten sie gewöhnlich, bis sie den Zambesi bis zu seiner Mündung hinabzogen. Die Sclavenhändler hatten nun diesen Punkt befestigt, um sich und ihre Sclaven gegen Plünderung durch Räuber zu schützen, denn es war nicht selten, daß die eingeborenen Gefangenen durch ihre Verkäufer selbst wieder geraubt wurden, um noch einmal verkauft zu werden.

Das war der Ursprung jener Befestigung, die jetzt zur Ruine wurde. Der Zug der Karawanen war ein anderer geworden. Der Ngami empfing sie nicht mehr an seinen Ufern, der Scorzef hatte sie nicht mehr zu vertheidigen und die Mauern, die ihn bekrönten, zerbröckelten Stein für Stein. Von der Schanze war nur noch ein in Form eines Sectors abgeschnittenes Stück Wall da, dessen Bogen nach Süden und dessen Sehne nach Norden zu lag. In der Mitte dieses Walles erhob sich eine kleine, mit Kasematten versehene Redoute, die von Schießscharten durchlöchert war und von einem engen, hölzernen Wachtthurme überragt wurde, dessen durch die weite Entfernung noch verkleinertes Profil den Fernröhren des Oberst Everest als Zielpunkt gedient hatte. Dennoch bot diese Schanze, soweit sie auch schon zerfallen war, den Europäern einen sicheren Zufluchtsort. Hinter diesen Mauern von dickem Sandstein und bewaffnet mit Schnellfeuergewehren, wie sie es waren, [186] konnten sie sich, so lange die Nahrungsmittel und die Munition ausreichten, wohl gegen ein ganzes Heer Makololos halten und vielleicht ihre geodätischen Arbeiten vollenden.

Schießbedarf hatten der Oberst und seine Leute aber im Ueberfluß, denn die Kiste, welche denselben enthielt, war auf den Wagen gebracht worden, auf dem das Dampfboot verpackt gewesen war, und dieses Wagens hatten sich die Eingeborenen, wie oben erwähnt, nicht bemächtigt.

Bezüglich der Lebensmittel stand es freilich anders. Hierin lag die Schwierigkeit, denn die Proviantwagen waren der Plünderung nicht entgangen. Nicht für zwei Tage befanden sich in der kleinen Schanze Nahrungsmittel für die jetzt dort vereinigten achtzehn Personen, nämlich die drei englischen und die drei russischen Astronomen, die zehn Seeleute von der »Königin und Czar«, den Buschmann und den Foreloper.

Eine sorgsame Aufnahme des Oberst Everest und Mathieu Strux hatte dieses Ergebniß geliefert.

Nach dieser Inventur und nach eingenommenem – und zwar sehr kurzem – Morgenimbiß zogen sich die Astronomen und der Buschmann in die Kasematten zurück, während die Seeleute rund um die Schanzenmauern eifrig Wache hielten.

Jene sprachen eingehend über den erschwerenden Umstand des Mangels an Nahrungsmitteln und fanden kein Mittel, dieser gewissen, fast unmittelbar drohenden Noth entgegenzutreten, als sich der Jäger folgendermaßen ausließ:

»Sie beschäftigen sich, meine Herren, im Voraus mit dem Mangel an Proviant, und wahrlich, ich begreife nicht, warum Sie das beunruhigt. Sie sagen, daß wir kaum für zwei Tage Lebensmittel haben – aber wer nöthigt uns, zwei Tage in dieser Verschanzung auszuhalten? Können wir sie nicht morgen, selbst heute schon verlassen? Wer hindert uns daran? Die Makololos? Diese kommen doch, soviel ich weiß, nicht auf die Gewässer des Ngami, und ich verpflichte mich, Sie mit dem Dampfboote binnen wenigen Stunden auf die Westseite des Sees überzuführen!«

Bei diesem Vorschlage sahen die Gelehrten sich gegenseitig und den Buschmann an. Es schien wirklich, als sei dieser so nahe liegende Gedanke ihnen gar nicht in den Sinn gekommen.

Er war ihnen in der That auch nicht gekommen! Er konnte diesen Kühnen [187] auch gar nicht kommen, ihnen, die sich bei dieser merkwürdigen Expedition bis zum Ende nur als Helden der Wissenschaft bewähren sollten.

Sir John Murray nahm zuerst das Wort und erwiderte dem Buschmann:

»Aber, mein braver Mokum, wir haben unsere Arbeit hier noch nicht vollendet.

– Welche Arbeit?

– Die Messung des Meridians.

– Glauben Sie denn, daß die Makololos sich um Ihren Meridian kümmern? entgegnete der Jäger.

– Sie nicht, das ist wohl möglich, antwortete Sir John Murray, aber wir Anderen, wir kümmern uns darum und werden dieses Unternehmen nicht unvollendet lassen. Ist das nicht auch Ihre Ansicht, meine werthen Herren Collegen?

– Es ist ganz die unserige, erwiderte der Oberst Everest, der, indem er im Namen Aller sprach, der Dollmetsch der Gefühle war, die Jeder theilte. Wir werden die Messung des Meridians nicht aufgeben! So lange noch Einer von uns lebt, und dieser Eine noch das Auge an das Ocular eines Fernrohres zu bringen vermag, wird die Triangulation ihren Fortgang haben! Wenn es Noth thut, werden wir mit dem Gewehre in der einen und dem Instrumente in der andern Hand beobachten, aber wir werden bis zum letzten Athemzuge ausharren!

– Ein Hurrah für England! Und Hurrah für Rußland!« riefen die entschlossenen Gelehrten, welche das Interesse an der Wissenschaft jeder möglichen Gefahr voranstellten.

Der Buschmann sah seine Genossen einen Augenblick an und antwortete nicht. Er hatte sie verstanden.

Das war also abgemacht. Die geodätischen Operationen sollten trotz Allem fortgesetzt werden. Sollten aber die örtlichen Schwierigkeiten, das Hinderniß des Ngamisees, die Wahl einer passenden Station sie nicht unausführbar machen?

Diese Frage wurde Mathieu Strux vorgelegt. Der russische Astronom mußte sie, da er schon zwei Tage auf dem Gipfel des Scorzef zugebracht hatte, beantworten können.

»Meine Herren, sagte dieser, die Arbeit wird schwierig und sehr genau sein; sie wird Geduld und Hingebung erfordern, ist aber nicht unausführbar. [188] Um was handelt es sich? – Den Scorzef mit einer im Norden des Sees gelegenen Station geodätisch zu verbinden. – Existirt ein solcher Punkt? Ja, er existirt, und ich hatte am Horizont schon eine Bergspitze ausgewählt, die unsern Fernröhren als Richtungspunkt dienen könnte. Sie erhebt sich im Nordosten des Sees, so daß diese Seite des Dreiecks den Ngami in schiefer Richtung schneiden würde.

– Nun, meinte der Oberst Everest, wenn ein Zielpunkt vorhanden ist, worin liegt dann noch eine Schwierigkeit?

– In der weiten Entfernung des Scorzef von dieser Bergspitze.

– Und wieviel beträgt diese? fragte der Oberst Everest.

– Mindestens hundertundzwanzig Meilen.

– Unser Teleskop wird dazu ausreichen.

– Aber am Gipfel dieses Pics wird eine Leuchte angebracht werden müssen.

– So werden wir sie anbringen.

– Man muß diese aber erst hinschaffen.

– Das wird geschehen.

– Und während dieser Zeit sich gegen die Makololos vertheidigen! fügte der Buschmann hinzu.

– Wir werden uns vertheidigen.

– Meine Herren, sagte der Buschmann, ich bin zu Ihren Befehlen, und was Sie mir auftragen, werd' ich ausführen! ...«

Mit diesen Worten des treuergebenen Jägers schloß diese Unterhaltung, von der das Schicksal der wissenschaftlichen Arbeiten abhing. In ein und demselben Gedanken waren die Gelehrten vereinigt, und entschlossen sich im Nothfalle zu opfern, traten sie aus der Kasematte, um das Land im Norden zu betrachten.

Mathieu Strux bezeichnete den Pic, welchen er ausgewählt hatte. Es war der Pic Volquiria, eine Art Kegel, welcher der großen Entfernung wegen kaum sichtbar war. Er erhob sich zu bedeutender Höhe, und trotz der Entfernung konnte wohl ein elektrisches Licht in den Gesichtsfeldern der Fernröhre, die mit stark vergrößernden Oculargläsern versehen waren, wahrgenommen werden. Aber der Apparat dazu mußte mehr als hundert Meilen vom Scorzef weggeschafft, und auf dem Gipfel des Berges angebracht werden. Hierin lag die beträchtliche, aber nicht unüberwindliche Schwierigkeit. Der [189] Winkel, den der Scorzef einerseits mit dem Volquiria, andererseits mit der vorhergehenden Station bildete, mußte voraussichtlich die Messung des Meridians vollenden, denn der Pic mußte sehr nahe dem zwanzigsten Breitegrade liegen. Es erklärt sich daraus die Wichtigkeit dieser Operation und die Begierde, mit welcher die Astronomen deren Schwierigkeiten zu überwinden suchten.

Vor Allem mußte demnach zur Aufstellung des Blendlichtes geschritten werden. Dazu waren hundert Meilen in unbekanntem Lande zurückzulegen. Michael Zorn und William Emery boten sich an und wurden angenommen. Der Foreloper meldete sich zu ihrer Begleitung, und sie rüsteten sich sogleich zum Aufbruche.

Sollten sie sich des Dampfbootes bedienen? Nein. – Sie wollten, daß dasselbe zur Verfügung ihrer Collegen bleibe, welche genöthigt sein konnten, sich nach Vollendung der Beobachtung schleunig zu entfernen. Um über den Ngami zu setzen, genügte ja eine Art leichten und doch widerstandsfähigen Bootes aus Birkenrinde, wie es die Eingeborenen in einigen Stunden herstellen. Mokum und der Foreloper stiegen also zu dem steilen Ufer des Sees hinab, wo einige Zwergbirken wuchsen, und hatten bald ihre Arbeit vollendet.

Um acht Uhr Abends war das Canot mit den Instrumenten, dem elektrischen Apparate, einigen Nahrungsmitteln, Waffen und Munition beladen. Man kam überein, daß die Astronomen sich am südlichen Ufer des Ngami, an einem kleinen Hafen, den der Buschmann und der Foreloper beide kannten, wieder treffen sollten. Sobald übrigens der Lichtreflex vom Volquiria aus bemerkt und gemessen worden wäre, wollte der Oberst Everest ein ebensolches auf dem Gipfel des Scorzef anzünden, damit Michael Zorn und William Emery auch ihrerseits die Position zu bestimmen vermöchten.

Nachdem sie von ihren Collegen Abschied genommen, verließen Michael Zorn und William Emery die kleine Schanze und kletterten zum Canot hinab. Der Foreloper, ein russischer und ein englischer Seemann waren ihnen schon vorangegangen.

Es war tief dunkel. Die Schiffsleine wurde gelöst und schweigend glitt das zerbrechliche Fahrzeug von den Rudern getrieben über die dunkeln Fluthen des Ngami.

[190]

20. Capitel

Zwanzigstes Capitel.
Acht Tage auf dem Gipfel des Scorzef.

Nicht ohne eine gewisse Bangigkeit sahen die Astronomen ihre beiden jungen Collegen sich entfernen. Denn welche Mühen, welche Gefahren harrten möglicher Weise dieser jungen muthigen Leute mitten in einem Lande, das ihnen unbekannt war und das sie auf eine Strecke von hundert Meilen zu durchreisen vorhatten! Indessen gelang es dem Buschmann, ihre Freunde zu beruhigen, indem er ihnen zunächst für die Geschicklichkeit und den Muth des Foreloper garantirte. Ferner war es ja möglich, daß die Makololos, da sie um den Scorzef zu sehr in Anspruch genommen waren, im Norden des Ngami nicht daran dachten, ihre Feindseligkeiten zu treiben. Wenn er Alles zusammennahm, fand Mokum – und sein Instinct täuschte ihn nicht – daß der Oberst Everest sammt seinen Gefährten in dem kleinen Fort noch mehr gefährdet seien, als die beiden jungen Astronomen auf ihrer Reise in den Norden. Während der nächsten Nacht hielten die Bootsleute und der Buschmann abwechselnd Wache. In der That, die große Dunkelheit mußte den feindlichen Absichten der Eingeborenen günstig sein. Jedoch diese »Reptilien«, so nannte sie der Jäger, wagten sich noch nicht an die Abhänge des Scorzef. Möglicherweise aber erwarteten sie auch Verstärkungen, um dann den Berg von allen Seiten herauf in Angriff zu nehmen und durch ihre Zahl die Widerstandsmittel der Belagerten in ihrer Wirkung aufzuheben. Der Jäger hatte sich denn wirklich in seinen Vermuthungen nicht getäuscht. Es war nicht sobald Tag geworden, als der Oberst Everest einen beträchtlichen Zuwachs in der Zahl der Makololos constatiren konnte. Ihr Lager, welches geschickt vertheilt war, schloß den ganzen Fuß des Scorzef ein und machte jede Flucht über die Ebene unmöglich. Glücklicherweise waren aber, und sie konnten es auch nicht gut sein, die Fluthen des Ngami nicht bewacht, sodaß, wenn wirklich der Fall eintreten sollte, – man konnte ja nicht vorhersehen, welche Umstände eintreten möchten – immer noch ein Rückzug über den See möglich war.

Aber von Fliehen war gar nicht die Rede. Die Europäer hielten einen [191] der Wissenschaft dienenden Posten besetzt, einen Ehrenposten, welchen sie nicht aufzugeben dachten. Und in dieser Hinsicht stimmten sie auch vollständig in ihren Ansichten überein. Es existirte keine Spur mehr von dem gewöhnlichen Zwist, welcher den Obersten Everest und Mathieu Strux zuvor geschieden hatte. Ebenso wenig war irgend von dem Kriege die Rede, welcher eben zwischen England und Rußland ausgebrochen war. Es verlautete gar keine Anspielung darauf.


Auf scharfer Wacht. (S. 191.)

Beide Gelehrten verfolgten dasselbe Ziel; beide wollten [192] sie das für beide Nationen gleich nützliche Resultat gewinnen und ihre wissenschaftlichen Arbeiten vor Allen auch zu Ende führen.

So lange, bis das Feuerzeichen auf dem Gipfel des Volquiria erschien, beschäftigten sich die beiden Astronomen damit, die Ausmessung des vorigen Dreiecks zu vollenden.


Die Wirkung europäischer Waffen. (S. 196.)

Es vollzog sich aber diese Operation, die darin bestand, daß man mit dem doppelten Spiegel auf die beiden letzten Stationspunkte der englischen Marschroute visirte, ohne alle Schwierigkeiten, und das [193] Resultat derselben wurde von Nicolaus Palander verzeichnet. Nachdem diese Ausmessung vollendet, kam man überein, in den folgenden Nächten zahlreiche Beobachtungen von Sternen vorzunehmen, um so mit der äußersten Genauigkeit die geographische Breite des Scorzef zu finden.

Eine wichtige Frage mußte ebenfalls vor jeder andern entschieden werden, und Mokum wurde, wie sich von selbst verstand, herbeigerufen, um seine Meinung über diesen Umstand abzugeben. Zu welcher Zeit mindestens konnten Michael Zorn und William Emery die Gebirgskette, welche im Norden des Ngami zog, und deren höchste Gipfel dem letzten Dreieck in dem Netze als Stützpunkt dienen sollte, erreichen.

Der Buschmann konnte die dazu nöthige Zeit nicht minder als auf fünf Tage schätzen. Und in der That betrug ja die Entfernung vom Scorzef mehr als hundert Meilen. Wenn man berücksichtigte, daß die kleine Truppe des Forelopers zu Fuße und die Gegend häufig von Bächen durchschnitten war, so waren fünf Tage eine sehr kurze Zeit.

Man nahm also ein. Maximum von sechs Tagen an und richtete darnach die Eintheilung der Nahrung.

Der Lebensmittelvorrath war aber sehr beschränkt, denn man hatte ja auch der kleinen Truppe des Forelopers eine Portion mitgeben müssen, wenigstens für so lange, bis man erwarten konnte, daß sie sich durch die Jagd verproviantiren werde. Was nun die in die Verschanzung übergebrachten, und um diese Portion verkürzten Lebensmittel anlangte, so konnte davon höchstens noch während zweier Tage ein Jeder seine gewohnte Portion haben. Es waren nämlich nur noch wenige Pfund Zwieback, conservirtes Fleisch und Pemmican. Im Einverständniß mit seinen Collegen bestimmte der Oberst Everest also, daß die Ration für jeden Tag auf ein Drittel herabgesetzt werden sollte. So konnte man bis zum sechsten Tage warten, bis das Licht, nach dem dann unausgesetzt ausgeschaut wurde, am Horizonte erscheinen würde. Sämmtliche vier Europäer, ihre acht Matrosen und der Buschmann, dreizehn Menschen zusammen, hatten gewiß unter dieser ungenügenden Ernährung zu leiden, indessen sie waren schon über dergleichen Leiden erhaben.

»Uebrigens ist es ja nicht verboten auf die Jagd zu gehen!« sagte Sir John Murray zum Buschmann.

Der aber schüttelte seinen Kopf mit zweifelnder Miene, es schien ihm [194] schwer möglich, daß auf diesem isolirten Berge das Wildpret anders als höchst sparsam vorkommen sollte.

Das war indessen kein Grund für ihn, sein Gewehr ruhen zu lassen, und nachdem diese Bestimmungen getroffen worden, verließ er, während seine Collegen damit beschäftigt waren, die in dem doppelten Register Nicolaus Palander's verzeichneten Maße zu reduciren, in Begleitung von Mokum die Mauern des kleinen Forts, um einmal eine gründliche Recognoscirung auf dem Berge Scorzef vorzunehmen.

Die Makololos lagerten ruhig am Fuße des Gebirges und schienen es mit einem Angriffe gar nicht eilig zu haben. Möglicherweise lag es auch in ihrer Absicht, die Belagerten auszuhungern.

Die Untersuchung des Berges Scorzef war rasch beendigt. Der Platz, auf dem sich das kleine Fort erhob, maß nicht einmal zweihundertundfünfzig Fuß in seiner größten Ausdehnung. Der Boden, untermischt mit Kieselsteinen, stand ziemlich dicht mit Gras bewachsen, und war hier und da mit niedrigem Gebüsch bedeckt, das zum Theil aus Schwertlilien bestand. Rothes Haidekraut, Proteen mit Silberblättern, Ericeen in langen Schnüren bildeten die Flora des Berges. Auch an seinem Abhange standen dornige Sträucher, ungefähr in der Höhe von zehn Fuß, mit weißen traubenständigen Blüthen, die dem Jasmin ähnlich rochen. Ihre Namen wußte der Buschmann nicht, aber sie müssen der Species Ardunia bispinosa angehören, welche die Hottentotten Num'num nennen. Was die Fauna anbelangte, so hatte selbst jetzt nach einer einstündigen Recognoscirung Sir John noch keine Spur davon wahrgenommen, als eben eine Anzahl kleiner Vögel, mit dunkelblauen Schwungfedern und rothen Schnäbeln, aus dem Gebüsch aufflog; aber man hatte nicht sobald mit dem Gewehr auf sie angelegt, als auch schon die ganze geflügelte Gesellschaft auf Nimmerwiederkehr verschwunden war. Man durfte also durchaus nicht auf eine Jagdbeute zählen, mit der man hätte die Garnison verproviantiren können.

»Immer doch wird man in dem Wasser des Sees Fische fangen können, meinte Sir John, indem er nach dem nördlichen Abhang des Scorzef blickte und die großartige Ausdehnung des Ngami betrachtete.

– Fische fangen ohne Netze und Angel, entgegnete der Buschmann, das will so viel heißen als Vögel im Flug fangen.

– Aber wir wollen deshalb den Muth nicht sinken lassen. Ew. Gnaden [195] weiß, daß der Zufall uns bisher so oft schon günstig war, und so denke ich, wird er es auch weiter sein.

– Ja, der Zufall! wiederholte Sir John Murray, wenn Gott ihn dazu bestimmt, so wird aus ihm der treueste Fürsorger des Menschen, den ich kenne. Kein Agent ist zuverlässiger und erfinderischer. Er hat uns in die Nähe unserer Freunde, der Russen, gebracht, hat sie gerade dahin geführt, wo wir selbst hinkommen wollten, und er wird uns, die einen wie die andern, ganz gemüthlich an das Ziel führen, das wir erreichen wollen!

– Und wird uns auch mit Nahrung versorgen? ... fragte der Buschmann.

– Ganz gewiß wird er das, lieber Mokum, antwortete Sir John, und damit thut er blos seine Schuldigkeit!«

Die Worte Sr. Gnaden waren gewiß beruhigend. Doch sagte sich der Buschmann, der Zufall sei eine Art Diener, der von seinem Herrn ein wenig geschmeichelt sein wolle, und er versprach sich für den Fall der Noth viel von ihm.

Der 25. Februar brachte keinerlei Veränderung in die Situation der Belagerer und Belagerten. Die Makololos hielten ihre Lagerlinie fest. Ihre Kuh- und Schafheerden weideten auf den dem Scorzef nächstliegenden Wiesen, welche Dank der Feuchtigkeit des Bodens ein gutes Weideland abgaben.

Die geplünderten Wagen waren mit in's Lager genommen worden. In demselben versahen einige Frauen und Kinder, die sich zu dem Nomadenstamm gesellt hatten, die gewöhnlichsten Arbeiten.

Von Zeit zu Zeit zeigte sich einer der Häuptlinge, der an dem Reichthum seines Pelzwerkes kenntlich war, an dem Abhange des Berges und sah nach, ob er nicht gangbare Wege auffinden könne, die am sichersten auf den Gipfel führen möchten. Eine Kugel aus dem gezogenen Gewehr ließ ihn jedesmal wieder in die Ebene zurückgehen. Auf den Schuß aber antworteten die Makololos dann mit ihrem Kriegsgeschrei, sie sandten auch wohl einige ungefährliche Pfeile ab, schwangen schließlich ihre Spieße, und Alles war wieder ruhig wie zuvor.

Am 26. Februar indessen versuchten die Eingeborenen doch einen etwas ernsteren Angriff und erstiegen ungefähr fünfzig an der Zahl den Berg von drei Seiten zugleich. Die ganze Besatzung begab sich in Folge dessen aus [196] dem Fort heraus und stellte sich am Fuße der Umwallung auf. Sehr bald dann richteten die so schnell geladenen und abgeschossenen Gewehre der Europäer einige Verheerung in den Reihen der Makololos an. Fünf oder sechs der Gesellen wurden getödtet und dann gab die übrige Bande die Sache auf. Immerhin jedoch, und trotz ihres schnellen Schießens konnten die Eingeschlossenen durch die Zahl der Feinde übermannt werden. Wenn mehrere Hundert dieser Makololos zu gleicher Zeit stürmend den Weg hinan drangen, so war es schwierig, ihnen auf allen Seiten Abwehr zu bieten.

Sir John Murray kam deshalb auf den Gedanken, die Vorderseite des kleinen Forts durch Aufstellen einer Mitrailleuse, welche die vornehmste Waffe der Dampfschaluppe bildete, zu schützen. Es war dies ein ganz ausgezeichnetes Vertheidigungsmittel! Die Hauptschwierigkeit bestand darin, dieses schwere Geschütz über die steil abfallenden Felswände, die sehr schwer zu ersteigen waren, herauszuschaffen. Indessen die Mannschaft der »Königin und Czar« zeigte sich so geschickt, so behend, ja man kann sagen, so wagehalsig, daß die fragliche Mitrailleuse noch im Laufe des 26. in eine Schießscharte der Umfassungsmauern eingestellt werden konnte. Und da konnten die fünfundzwanzig Läufe, deren Schüsse fächerartig auseinander gingen, mit ihrem Feuer die ganze Front des Forts decken. Die Eingeborenen sollten schon bald mit dieser Mordwaffe Bekanntschaft machen, welche die civilisirten Nationen erst später in ihr Kriegsmaterial aufnahmen.

Solange die gezwungene Unthätigkeit auf dem Gipfel des Scorzef dauerte, hatten die Astronomen jede Nacht Sternhöhen gemessen; und zwar gestatteten ihnen der überaus klare Himmel, wie die sehr trockene Luft, ausgezeichnete Beobachtungen zu machen. Sie erhielten für die geographische Breite des Scorzef 19°37'18''265, also einen Werth, der bis auf das Tausendstel einer Secunde, d.h. ungefähr auf einen Meter richtig war. Eine größere Genauigkeit konnte Niemand erzielen. Uebrigens bestärkte sie dies Resultat in dem Glauben, daß sie sich höchstens einen halben Grad weit von dem nördlichen Punkte ihres Meridians ab befanden, und daß folglich das Dreieck, dessen Spitze sie auf dem Pic Volquiria zu gewinnen suchten, das trigonometrische Netz schließen werde.

In der Nacht vom 26. auf den 27. Februar erneuerten sich die Angriffe der Makololos nicht. Der 27. Februar wurde der kleinen Garnison unendlich lang.

[197] Wenn die Umstände den Foreloper, der jetzt seit fünf Tagen fort war, begünstigt hatten, so war es möglich, daß er und seine Begleiter schon heute auf dem Volquiria anlangten. Und deshalb mußte in der folgenden Nacht der Horizont mit der äußersten Sorgfalt untersucht werden, denn das Lichtzeichen konnte nunmehr erscheinen. Der Oberst Everest und Mathieu Strux hatten bereits das Instrument derart auf die Spitze des Berges gerichtet, daß dieselbe von dem Gesichtsfelde umschlossen wurde. Diese Vorsicht vereinfachte die Untersuchungen wesentlich; denn da man kein Merkzeichen besaß, konnten dieselben während einer dunkeln Nacht sehr schwierig werden. Wenn also jetzt das Licht auf dem Gipfel des Volquiria erschien, mußte man es auch bald sehen und dann den Winkel bestimmen können.

An diesem Tage durchstreifte Sir John abermals die Gebüsche und das hohe Gras vergebens. Es war ihm nicht möglich, irgend ein eßbares Thier oder sonst etwas derart darin aufzustöbern. Selbst die Vögel, denen ihre Zufluchtsstätte gestört war, hatten sich im Dickicht des Flusses einen sicheren Schutz gesucht. Der ehrenwerthe Jäger ärgerte sich nicht wenig, denn er wollte ja nicht zum Vergnügen schießen. Gesegnet mit einem kräftigen Appetit, dem eine Drittelration nicht genügen konnte, mußte er offenbar Hunger leiden. Seine Collegen überwanden die Enthaltsamkeit leichter, sei es, daß ihr Magen weniger herrschsüchtig war, sei es, daß sie nach dem Beispiele Nicolaus Palander's das traditionelle Roastbeef durch Ausrechnung einer oder zweier Gleichungen des zweiten Grades zu ersetzen im Stande waren.

Die Matrosen und der Buschmann litten ebenso vom Hunger wie der ehrenwerthe Sir John. Aber selbst die letzte kleine Menge der Lebensmittel nahte jetzt ihrem Ende.

Noch ein Tag, und Alles war aufgezehrt, und falls die Expedition des Forelopers in ihrem Marsche aufgehalten war, so stand der Besatzung des Forts unfehlbar der Hungertod bevor.

Während der ganzen Nacht vom 27. auf den 28. Februar wurden Beobachtungen angestellt. Die Dunkelheit, Reinheit und Stille der Luft kamen den Astronomen in ganz besonderer Weise zu Statten. Aber der Horizont blieb in tiefen Schatten versenkt. Nicht ein Schein – auch gar nichts wollte sich in dem Objectiv des Fernrohres zeigen.

Doch war das Minimum, auf das man, wenn man selbst eine Verzögerung der Expedition des Michael Zorn und William Emery annahm, rechnete, [198] so gut wie erreicht. Ihre Collegen konnten also nichts anderes thun als mit Geduld abwarten.

Am Tage des 28. Februar verzehrte die kleine Garnison des Scorzef ihr letztes Stück Fleisch und Zwieback. Aber die Hoffnung ließen diese muthigen Gelehrten trotzdem nicht sinken, und wenn sie auch Gras essen mußten, so waren sie entschlossen, nicht eher den Platz zu räumen, als sie ihre Arbeit zu Ende geführt hatten.

Auch die Nacht vom 28. Februar auf den 1. März brachte noch kein anderes Resultat. Ein oder zwei Mal glaubten allerdings die Beobachter einen Lichtschein wahrzunehmen. Doch wie man sich dann überzeugte, war dieser Schein nichts als ein in der Nebelatmosphäre des Horizontes aufblitzender Stern.

Am 1. März aß man wirklich Nichts. Aber wahrscheinlich hatte man sich bereits während dieser Tage an eine sehr ungenügende Nahrung gewöhnt, und der Oberst Everest und seine Genossen ertrugen alles leichter, weil sie nicht glaubten, daß die Nahrung völlig ausgehen werde; doch es war so, und wenn die Vorsehung ihnen nicht jetzt zu Hilfe kam, so standen ihnen für den folgenden Tag grausame Qualen bevor.

Der folgende Tag kam, aber die Vorsehung enthob sie noch immer nicht ihrer Zweifel; kein Stück Wild irgend einer Art kam Sir John Murray vor den Lauf, und doch brachte es die Garnison dahin, mit so Wenigem auszuhalten.

Da machten sich denn Sir John und Mokum, so sehr sie vom Hunger gequält wurden, mit verstörtem Blicke daran, den Gipfel des Scorzef wieder zu durchstreifen. Ein gräßlicher Hunger marterte ihre Eingeweide.

»Hätten wir doch die Magen von Wiederkäuern, dachte der arme Sir John, was könnten wir uns an diesem Futter zu Gute thun! Und nicht ein Stück Wild, nicht ein Vogel!«

Bei diesen Worten wandte er seine Blicke nach dem großen See, der sich zu ihren Füßen ausbreitete. Die Matrosen der »Königin und Czar« hatten allerdings versucht, einige Fische zu fangen, doch vergebens. Die Wasservögel aber, die über der Oberfläche dieser ruhigen Fluthen schwebten, ließen Niemanden an sich herankommen.

Sir John jedoch und sein Genosse, die so ermüdet waren, daß sie kaum noch fort konnten, lagerten sich auf das Gras, am Fuße eines fünf bis sechs [199] Fuß hohen Erdhügels. Ein schwerer Schlaf oder vielmehr ein Zustand der Erstarrung befiel sie alsbald. Unwillkürlich schlossen sie ihre Augenlider und fielen dann nach und nach in einen Zustand der Betäubung.

Die Leere, welche sie in sich fühlten, nahm ihnen jede Spur von Kraft. Die Betäubung aber ließ sie für den Augenblick die Schmerzen nicht fühlen, die sie so gepeinigt und so weit gebracht.


Ueberfallen von Ameisen. (S. 201.)

Wie lange dieser Zustand andauerte, würden weder der Buschmann noch [200] Sir John im Stande gewesen sein zu sagen; aber nach Verlauf von einer Stunde wachte Sir John in Folge fortwährenden sehr unangenehmen Stechens auf. Er wandte sich um und versuchte wieder einzuschlafen; doch die Stiche dauerten fort, so daß er endlich ungeduldig die Augen öffnete.

Legionen von weißen Ameisen liefen über seine Kleider hin, und sein Gesicht und seine Hände waren ganz davon bedeckt. So wie er diesen Ueberfall der Insecten bemerkte, sprang er auf, wie von einer Feder emporgeschnellt.

Diese rasche Bewegung weckte auch den Buschmann, der ihm zur Seite gelegen. Mokum war gleichfalls vollständig mit diesen weißen Ameisen bedeckt; aber zur größten Ueberraschung Sir John's nahm er statt die Insecten fortzujagen eine Hand voll nach der andern, führte sie zu seinem Munde und verzehrte sie gierig.

»O pfui! Mokum! rief Sir John, den diese Gefräßigkeit anekelte.

– Essen Sie, essen Sie! Machen Sie es wie ich, antwortete der Buschmann, ohne dabei seinen Mundvoll zu verlieren. Schmecken Sie nur, das ist der Reis der Buschmänner! ...«

Mokum bezeichnete wirklich die Insecten mit dem ihnen von den Eingeborenen gegebenen Namen. Die Buschmänner genießen gern diese Ameisen, deren es zwei Arten giebt, eine weiße und eine schwarze. Die weiße ist nach ihnen vorzüglicher. Der einzige Uebelstand bei diesem Insect, wenn man es vom Standpunkt der Ernährungsfähigkeit betrachtet, besteht darin, daß man zu beträchtliche Mengen davon verzehren muß. Deshalb vermengen auch die Afrikaner diese Ameisen gewöhnlich mit dem Gummi der Mimose, um so eine substantiellere Nahrung zu erhalten. Aber die Mimose wuchs nicht auf der Höhe des Scorzef, und Mokum mußte sich deshalb begnügen, seinen Reis »im Naturzustande« zu verzehren.

Sir John, trotz seines Widerwillens doch, – da sein Hunger durch den Anblick des sich sättigenden Buschmannes nur zunahm – entschloß sich seinem Beispiele zu folgen. Die Ameisen kamen zu Milliarden aus ihrem großen Haufen, der übrigens nichts anderes war, als jener Erdhügel, an dem sich die beiden Schläfer hingelegt hätten. Sir John nahm also mehrere Hände davon auf und brachte sie an seine Lippen. In der That, es ging an! Er fand sogar, daß sie einen scharfen, aber sehr angenehmen Geschmack hatten, und merkte nach und nach, daß sich seine Leibschmerzen legten.

[201] Indessen erinnerte sich Mokum seiner Unglücksgenossen, lief nach dem Fort und brachte die ganze Garnison von dort mit. Während die Matrosen keine Schwierigkeit machten und sich sofort auf diese einzige Nahrung stürzten, zauderte der Oberst, Mathieu Strux und Palander eine kleine Weile. Doch wirkte das gute Beispiel Sir John Murray's entscheidend für sie, und halbtodt schon vor Schwäche beschwichtigten die armen Gelehrten wenigstens ihren Hunger, indem sie zahllose Mengen dieser weißen Ameisen zu sich nahmen.

Doch ein unerwarteter Zufall sollte dem Oberst Everest und seinen Gefährten eine solidere Nahrung zuwenden. Mokum kam nämlich auf den Gedanken, um einen gewissen Vorrath von diesen Insecten mitzunehmen, eine Seite des enormen Ameisenhaufens zu demoliren. Es war, wie gesagt, ein conischer Hügel nebst noch einigen kleineren kugelförmigen Spitzen, welche rings um seine Basis standen. Der Jäger, welcher seine Axt bei sich führte, hatte bereits mehrere Schläge auf den Bau geführt, als er durch ein eigenthümliches Geräusch aufmerksam wurde. Man konnte es für ein Brummen halten, das aus dem Innern des Ameisenhaufens kam. Der Buschmann unterbrach seine Zerstörungsarbeit und horchte auf. Seine Begleiter aber sahen ihn an, ohne nur ein Wort zu sprechen. Als wieder einige Schläge mit der Axt gegeben waren, ließ sich ein deutlicheres Brummen vernehmen.

Der Buschmann rieb sich vergnügt die Hände, ohne jedoch ein Wort zu sprechen. Nur seine Augen erglänzten lüstern.

Von Neuem bearbeitete er jetzt den kleinen Hügel, so daß er ungefähr ein fußbreites Loch anbrachte. Die Ameisen flohen nach allen Seiten hin, aber der Jäger bekümmerte sich nicht darum, sondern überließ den Matrosen die Sorge sie einzusacken.

Jetzt erschien an der Mündung des Loches ein seltsames Thier. Es war ein Vierfüßler, mit einem langen Rüssel, kleinem Munde, ausdehnbarer Zunge, aufrechtstehenden Ohren, kurzen Beinen und einem langen und spitz zulaufenden Schwanz; sein Leib war mit röthlich gefärbtem Seidenhaar bedeckt und an seinen Füßen saßen ungeheure Krallen, die ihm unter Umständen als Waffen dienten.

Ein einziger tüchtiger Schlag, den Mokum auf die Schnauze des sonderbaren Thieres führte, genügte, um es zu tödten.

»Hier liegt unser Braten, meine Herren, sagte der Buschmann. Wir haben zwar warten müssen, aber das thut Nichts. Jetzt schnell ein Feuer, [202] dann einen Ladestock, den wir als Bratspieß benutzen, und wir haben alsbald eine Mahlzeit, wie wir noch niemals eine genossen haben.«

Der Buschmann machte nicht gerade viele Worte: er hatte aber unterdessen das Thier rasch abgezogen. Es war ein Ameisenfresser, welchen die Holländer auch unter dem Namen Erdschwein kennen. Das Thier kommt sehr häufig im südlichen Afrika vor und ist der größte Feind der Ameisenhaufen. Der Ameisenbär bringt Legionen dieser Insecten um, und wenn er nicht in ihre engen Gänge eindringen kann, so fängt er sie, indem er seine außerordentlich dehnbare und klebrige Zunge hineingleiten läßt, die dann, wenn er sie wieder herauszieht, von den Ameisen wie mit Butter bestrichen ist.

Der Braten war bald fertig. Er hätte vielleicht noch einige Male am Bratspieß gewendet werden können, aber die Ausgehungerten waren zu ungeduldig! Es wurde ziemlich die Hälfte des Thieres verzehrt, und sein Fleisch, das fest und gesund war, für ausgezeichnet erklärt, obwohl man fand, daß es einen Beigeschmack von Ameisensäure hatte.

Was war das für ein Mahl und wie gab es den wackeren Europäern mit neuer Kraft auch den Muth und die Hoffnung zurück!

Und es war in der That nöthig, daß ihnen die Hoffnung wieder im Herzen erweckt wurde, denn auch in der folgenden Nacht zeigte sich noch kein Lichtschein auf dem düstern Gipfel des Volquiria.

21. Capitel

Einundzwanzigstes Capitel.
Es werde Licht.

Seit neun Tagen war der Foreloper mit der kleinen Gesellschaft abgereist. Welche Zufälle hatten ihren Weg verzögert? Hatten Menschen oder Thiere ihnen unüberwindliche Hindernisse bereitet? Warum dieser Verzug? Sollte man annehmen, daß Michael Zorn und William Emery im Vordringen vollständig aufgehalten wären? Konnte man nicht glauben, daß sie unwiderruflich verloren seien?

[203] Man begreift die Furcht und Angst, das Schwanken zwischen Hoffnung und Verzweiflung, dem die in der Schanze des Scorzef eingeschlossenen Astronomen unterlagen. Seit nenn Tagen schon waren ihre Collegen, ihre Freunde abgereist! In sechs, höchstens sieben Tagen hätten sie an ihrem Ziele anlangen müssen. Es waren ja thätige, muthige Männer, welche der Heldenmuth der Wissenschaft spornte. Von ihrem Erscheinen auf dem Gipfel des Pic Volquiria hing der Erfolg des großen Unternehmens ab. Sie wußten es selbst und würden gewiß Nichts zum Gelingen vernachlässigt haben. Ihnen konnte die Verzögerung sicher nicht Schuld gegeben werden. Wenn also nach neun Tagen noch das Signallicht auf dem Gipfel des Volquiria nicht aufblitzte, so mußten sie todt oder von nomadisirenden Stämmen gefangen sein.

Das waren die entmuthigenden Gedanken und betrübenden Vermuthungen, die im Geiste des Oberst Everest und seiner Collegen aufstiegen. Mit welcher Ungeduld warteten sie, bis die Sonne unter dem Horizont verschwunden war, um ihre nächtlichen Beobachtungen wieder zu beginnen! Welche Sorgfalt verwendeten sie darauf! All' ihre Hoffnung hing an diesem Ocular, das den fernen Lichtschein erhaschen sollte. Ihr ganzes Dasein concentrirte sich in dem engen Gesichtsfelde eines Fernrohrs! Während dieses Tages, es war der 3. März, litten sie, während sie über die Abhänge des Scorzef schweiften und, beherrscht von einem einzigen Gedanken, kaum ein Wort wechselten, mehr, als sie je zuvor gelitten hatten. Weder die übermäßige Hitze der Wüste, noch die Anstrengungen eines Tagesmarsches unter den Strahlen einer tropischen Sonne, noch auch die Qualen des Durstes hatten sie so sehr niedergeschlagen!

An diesem Tage wurden auch die letzten Stücke des Ameisenfressers verzehrt und die Besatzung der Schanze war auf die unzureichende, von dem Ameisenhaufen gelieferte Nahrung angewiesen.

Es kam die Nacht, eine mondlose, stille, tiefe Nacht, so geeignet zu Beobachtungen ... aber kein Licht erglänzte auf dem Gipfel des Volquiria. Mit staunenswerther Geduld beobachteten der Oberst Everest und Mathieu Strux den Horizont bis zum anbrechenden Morgen. Nichts, gar Nichts wurde sichtbar, und bald machten die Sonnenstrahlen jeder Beobachtung ein Ende.

Von Seiten der Eingeborenen war Nichts zu fürchten. Die Makololos schienen entschlossen, die Belagerten durch Hunger zu bezwingen, womit sie [204] ohne Zweifel auch ihr Ziel erreichen mußten. Von Neuem peinigte der Hunger an diesem Tage, dem 4. März, die Gefangenen auf dem Scorzef und die unglücklichen Europäer vermochten ihre Todesqual nur dadurch zu lindern, daß sie die Wurzelknollen der Schwertlilien kauten, welche an den Seiten des Berges da und dort zwischen den Felsen wuchsen.

Gefangen! – Doch nein – Der Oberst Everest und seine Genossen waren es nicht! Das Dampfboot, welches noch immer in dem kleinen Nothhafen ankerte, konnte sie, sobald sie es wollten, über die Gewässer des Ngami nach einer fruchtbaren Gegend bringen, in der es weder an Wild, noch an Früchten oder Hülsenfrüchten fehlte. Oefter hatte man schon über die Frage verhandelt, ob es nicht zweckmäßig erscheine, den Buschmann nach dem nördlichen Ufer des Sees überzusetzen, um dort für die Besatzung zu jagen. Aber abgesehen davon, daß die Eingeborenen dieses Manoeuvre hätten bemerken können, setzte man die Schaluppe, und damit das Wohlsein Aller auf's Spiel, für den Fall, daß andere Stämme von Makololos am nördlichen Theile des Ngami umherschweiften. Jener Vorschlag wurde demnach verworfen. Fliehen oder ausharren mußten sie immer Alle zusammen. Was das Verlassen des Scorzef vor Vollendung der geodätischen Arbeiten betraf, so kam das gar nicht in Frage. So lange nicht jede Aussicht auf Erfolg erschöpft war, mußte man ausdauern. Es war eine Geduldsprobe! Doch, man wollte geduldig sein.

»Als Arago, Biot und Rodriguez, sagte der Oberst Everest zu seinen um ihn versammelten Begleitern, sich vorgenommen hatten, den Meridian von Dünkirchen bis zur Insel Iviça zu verlängern, befanden sie sich fast in derselben Lage, wie wir. Es handelte sich darum, die Insel mit der spanischen Küste durch ein Dreieck zu verbinden, dessen Seiten über hundertundzwanzig Meilen maßen. Der Astronom Rodriguez richtete sich auf einem Pic der Insel ein, auf dem er Lampen brennend erhielt, während die französischen Gelehrten, mehr als hundert Meilen von da unter einem Zelte mitten in der Wüste las Palmas lebten. Sechzig Nächte lang spähten Arago und Biot nach dem Lichtsignale, dessen Richtung sie vermessen wollten. Entmuthigt wollten sie schon auf die Beobachtung verzichten, da, in der einundsechzigsten Nacht, erschien im Gesichtsfelde ihrer Rohre ein Lichtschein, den nur seine vollkommene Unbeweglichkeit von einem Stern sechster Größe unterscheiden ließ. Einundsechzig Nächte voll Erwartung! Nun, meine Herren, was zwei [205] französische Astronomen in hohem wissenschaftlichen Interesse ausgeführt haben, sollten das englische und russische Astronomen nicht auch können?«

Ein bestätigendes Hurrah aller Gelehrten war die Antwort, obwohl sie dem Oberst Everest wohl hätten entgegenhalten können, daß weder Biot noch Arago in ihrer lange behaupteten Station in der Wüste las Palmas den Qualen des Hungers ausgesetzt gewesen waren.

Während dieses Tages machte sich unter den am Fuße des Scorzef gelagerten Makololos eine eigenthümliche Bewegung bemerkbar. Das fortwährende Hin- und Herlaufen beunruhigte den Buschmann. Wollten die Eingeborenen mit Einbruch der Nacht einen neuen Sturmangriff versuchen, oder bereiteten sie sich nur vor, das Lager aufzuheben? Nach aufmerksamer Beobachtung glaubte Mokum in diesen Bewegungen feindselige Absichten zu erkennen. Die Makololos richteten ihre Waffen zu. Jedenfalls verließen die Frauen und Kinder, welche zu ihnen gestoßen waren, das Lager, und verfügten sich unter Leitung einiger Führer nach einer östlicheren Gegend, wobei sie sich den Ufern des Ngami näherten. Es erschien demnach möglich, daß die Belagerer, bevor sie sich definitiv in der Richtung ihrer Hauptstadt, Maketo, zurückzogen, noch ein letztes Mal versuchen wollten, die kleine Veste wegzunehmen.

Der Buschmann machte den Europäern von seinen Beobachtungen Mittheilung. Man beschloß, die Nacht über noch sorgfältiger Wache zu halten und alle Waffen in Stand zu setzen. Die Anzahl der Belagerer konnte wohl beträchtlich sein. Nichts hinderte sie, sich auf die Seiten des Scorzef zu Hunderten zu stürzen. Der an mehreren Stellen zerstörte Gürtel der Schanze gestattete bequem einer Gruppe Eingeborener einzudringen. Es schien also dem Oberst Everest gerathen, für den Fall, daß die Belagerten sich zurückziehen und ihre geodätische Station eine Zeit lang aufgeben müßten, einige Anordnungen zu treffen. Die Dampfschaluppe mußte auf das erste Signal segelfertig sein. Einer der Matrosen – der Maschinist von der »Königin und Czar« – erhielt den Befehl, den Dampfkessel zu feuern und gespannten Dampf zu halten, für den Fall, daß eine Flucht nothwendig würde. Er mußte aber bis nach Sonnenuntergang warten, um den Eingeborenen die Anwesenheit einer Dampfschaluppe auf dem Ngami nicht zu verrathen.

Das Abendessen bestand aus weißen Ameisen und Gladioluswurzeln. Freilich, eine traurige Nahrung für Leute, die sich vielleicht schlagen sollten. [206] Doch, sie waren entschlossen, über jede Schwäche erhaben, und erwarteten ohne Furcht die entscheidende Stunde.

Am sechs Uhr Abends, zur Zeit, da es mit der den Tropenländern eigenthümlichen Schnelligkeit Nacht wird, stieg der Maschinist die Abhänge des Scorzef hinab, und heizte den Kessel der Schaluppe. Es bedarf keiner Erwähnung, daß der Oberst die Flucht nur als das äußerste Auskunftsmittel betrachtete, wenn man sich nicht in der Schanze zu halten vermöchte. Es ging ihm hart an, das Observatorium, vorzüglich in der Nacht, zu verlassen, denn jeden Augenblick konnte ja das Signal von Michael Zorn und William Emery auf dem Gipfel des Volquiria leuchten.

Die andern Seeleute wurden am Fuße der Mauern vertheilt, mit dem Befehl, den Zugang zu den Breschen um jeden Preis zu vertheidigen. Die Waffen waren bereit. Die Mitrailleuse, geladen und mit einer großen Zahl Cartouchen versehen, streckte ihre furchtbaren Rohre durch die Schießscharte.

Man wartete mehrere Stunden. Der Oberst Everest und der russische Astronom, die in dem engen Wartthurme abwechselnd Wache hielten, beobachteten unausgesetzt den Gipfel des Pics, den das Gesichtsfeld ihres Fernrohres umrahmte. Doch der Horizont blieb dunkel, während die prächtigsten Sternbilder des südlichen Firmamentes am Zenith erglänzten. Kein Hauch bewegte die Atmosphäre. Das tiefe Schweigen der Natur war überwältigend.

Indessen horchte der Buschmann, der sich auf einem Felsenvorsprunge befand, auf das Geräusch, welches man von der Ebene her vernahm. Nach und nach wurde dieses deutlicher. Mokum hatte sich in seinen Vermuthungen nicht getäuscht; die Makololos rüsteten sich zu einem äußersten Angriff auf den Scorzef.

Bis zehn Uhr rührten sich die Belagerer nicht. Ihre Feuer waren gelöscht. Das Lager und die Ebene verschmolzen in gleicher Dunkelheit. Plötzlich bemerkte der Buschmann Schattengestalten, die sich die Seiten des Berges herausschlichen. Die Belagerer waren nur noch hundert Schritte von der oberen Fläche entfernt, welche die Schanze bekrönte.

»Achtung! Achtung!« rief der Buschmann.

Sofort war die kleine Garnison außerhalb der Südfront und begann ein wohlgenährtes Feuer gegen die Angreifer. Die Makololos antworteten durch ihr Kriegsgeschrei und stürmten trotz des unausgesetzten Gewehrfeuers immer weiter hinan. Bei dem Aufblitzen der Schüsse gewahrte man einen großen [207] Haufen Eingeborener, die sich in solcher Menge zeigten, daß jeder Widerstand unmöglich schien. Doch richteten die Kugeln, von welchen wohl keine ihr Ziel verfehlte, in dieser Masse ein fürchterliches Blutbad an. Haufenweise fielen die Makololos, welche Einer über den Andern bis zum Fuße des Berges hinabrollten.


Oberst Everest und der Astronom erwarten das ferne Signal. (S. 207.)

In den kurzen Pausen zwischen den Schüssen hörten die Belagerten ihr Geschrei, das dem des Rothwildes glich. Aber nichts vermochte sie aufzuhalten. Immer höher drangen sie in dichten, geschlossenen [208] Massen; keinen einzigen Pfeil schossen sie ab – dazu nahmen sie sich nicht Zeit – aber sie wollten offenbar um jeden Preis den Gipfel des Scorzef erreichen.


Der Scorzef vom Dampfer aus. (S. 214.)

Der Oberst Everest stand an der Spitze Aller im Feuer; seine Begleiter, die ebenso gut bewaffnet waren, wie er, unterstützten ihn muthig, auch Palander nicht ausgenommen, der wahrscheinlich zum ersten Male ein Gewehr handhabte. Sir John, der bald auf diesem Felsstücke, bald auf einem andern [209] war, hier knieend, dort liegend, that wahrhaft Wunder, und seine Büchse verbrannte ihn, in Folge der Schnelligkeit des Feuerns, fast die Hände. Der Buschmann war bei diesem blutigen Kampfe wieder zum geduldigen Jäger geworden, der kühn und seiner sicher war, wie man das an ihm kannte.

Dennoch vermochte der bewundernswerthe Muth, die Sicherheit ihres Schießens, die Präcision ihrer Waffen zuletzt Nichts gegen den Strom, der sich gegen sie heranwälzte. Wenn Einer der Eingeborenen fiel, traten zwanzig Andere an seine Stelle, und das war zu viel für die zwölf Europäer! Nach halbstündigem Kampfe sah der Oberst Everest, daß er umgangen zu werden befürchten müsse.

Wirklich drangen nicht nur auf dem südlichen Abhange des Scorzef, sondern auch an seinen Seiten die Angreifer immer weiter vor. Die Leichen der Einen dienten den Andern als Treppenstufen. Einige benutzten die Todten als Schilde und stiegen so gedeckt aufwärts. Alles das bot bei dem kurzen und fahlen Scheine des Gewehrfeuers einen schrecklichen und düstern Anblick. Man fühlte, daß von solchen Feinden keine Schonung zu erwarten war. Das war ein Anfall wilder Thiere, dieser Sturm der blutgierigen Räuber, ja ein schlimmerer, als der der wildesten Thiere des afrikanischen Südens. Jene ersetzten vollkommen die Tiger, die diesem Erdtheile fehlen.

Um halb elf Uhr gelangten die ersten Eingeborenen auf das Plateau des Scorzef. Die Belagerten konnten, wenn sie von ihren Feuerwaffen keinen Gebrauch machen konnten, nicht Mann gegen Mann kämpfen. Es wurde also nothwendig, hinter dem Walle Schutz zu suchen. Glücklicherweise war die kleine Truppe noch unversehrt, da die Makololos weder von ihren Bogen, noch von ihren Spießen Gebrauch gemacht hatten.

»Zurückziehen!« rief der Oberst mit einer Stimme, die selbst durch das Getöse des Kampfes hörbar war.

Nach Abgabe einer letzten Salve zogen sich die Belagerten, ihrem Chef folgend, hinter die Mauern der Schanze zurück.

Ein furchtbares Geschrei begrüßte diesen Rückzug. Sogleich erschienen die Eingeborenen vor der mittleren Bresche, um sie zu ersteigen.

Aber plötzlich vernahm man ein fürchterliches Knallen, ein ungeheures zerschmetterndes Krachen, wie bei einer elektrischen Entladung mit vielfachen Schüssen. Es war die Mitrailleuse, die, von Sir John bedient, zu sprechen [210] anfing. Ihre fünfundzwanzig fächerförmig gestellten Läufe bestrichen mit den Bleigeschossen einen Bogen von hundert Fuß auf dem Plateau, das die Eingeborenen anfüllten. Die Kugeln, welche dem Geschütz durch einen automatischen Mechanismus unausgesetzt zugeführt wurden, fielen wie Hagel unter die Angreifer. In einem Augenblicke war der Platz wie rein gekehrt. Auf die Entladungen der fürchterlichen Maschine antwortete erst ein Geheul, das rasch wieder verstummte, und dann eine Wolke von Pfeilen, die den Belagerten aber weder Schaden that, noch thun konnte.

»Der kleine Schelm benimmt sich gut, sagte kaltblütig der Buschmann, indem er Sir John näher trat. Wenn Sie müde sind, ein solches Lied zu spielen ...«

Doch die Mitrailleuse schwieg schon. Die Makololos, welche einen Schutz gegen diesen Kartätschenhagel suchten, waren verschwunden. Sie hatten sich auf den Seiten der Schanze aufgestellt und ließen den Raum vor derselben, der nur mit ihren Todten bedeckt war, frei.

Was begannen nun der Oberst Everest und Mathieu Strux in dieser Zeit der Frist? Sie hatten ihren Posten im Wartthurme wieder eingenommen und dort spähten sie, das Auge an dem Fernglase des Repetitionskreises, durch die Finsterniß nach der Spitze des Volquiria. Weder Geschrei noch Gefahren vermochten sie zu rühren. Mit ruhigem Herzen, klarem Blicke und bewunderungswürdig kaltem Blute wechselten sie vor dem Ocular ab; sie schauten hinaus und beobachteten mit solcher Genauigkeit, als befänden sie sich unter der Kuppel einer Sternwarte; und als sie nach kurzer Ruhe aus dem Geschrei der Makololos hörten, daß der Kampf wieder begonnen habe, blieben die beiden Gelehrten abwechselnd als Wache bei ihrem kostbaren Instrumente.

Wirklich begann das Gefecht von Neuem. Die Mitrailleuse erreichte nicht mehr die Eingeborenen alle, die sich vor jeder Bresche drängten und ihr Mordgeschrei ausstießen. So dauerte vor den Fuß für Fuß vertheidigten offenen Stellen der Kampf noch eine halbe Stunde fort. Die Belagerten, denen ihre Feuerwaffen Schutz gewährten, hatten durch die Spitzen der Spieße nur einige Rißwunden erhalten. Die Erbitterung verminderte sich auf keiner Seite, und es stieg nur die Wuth bei diesem Ringen Mann gegen Mann.

Da, gegen halb zwölf Uhr, während des dichtesten Handgemenges und [211] mitten unter dem Krachen der Gewehre, trat Mathieu Strux zu dem Oberst Everest mit strahlendem und zugleich bestürztem Blicke. Ein Pfeil hatte seinen Hut durchbohrt und schwankte noch über seinem Haupte.

»Das Lichtsignal! Das Lichtsignal! rief er laut.

– Was! erwiderte der Oberst Everest, der sein Gewehr vollends lud.

– Ja, ja! Das Signal!

– Sie haben es gesehen?

– Ja!«

Zum letzten Male feuerte der Oberst seine Büchse ab, rief triumphirend ein Hurrah, und verfügte sich, von seinem unerschrockenen Collegen begleitet, nach der Warte.

Dort kniete der Oberst bei dem Fernrohre nieder und spähte mit unterdrücktem Herzklopfen. O, wie drängte sich in diesem Augenblicke sein ganzes Leben in diesen Blick! Ja, das Licht war da, es blinkte zwischen dem Fadennetz des Instrumentes! Ja, es leuchtete von dem Gipfel des Volquiria! Das letzte Dreieck hatte endlich seinen Endpunkt gefunden!

Ein merkwürdiger Anblick wäre es gewesen, diese beiden Gelehrten mitten unter dem Tumulte des Kampfes arbeiten zu sehen. Die Eingeborenen hatten durch ihre Ueberzahl den Wall genommen. Sir John und der Buschmann vertheidigten das Terrain Schritt für Schritt. Auf die Kugeln antworteten die Pfeile der Makololos, den Keulenschlägen die der Axt. Und unterdessen beobachteten, über ihren Apparat gebeugt, der Oberst Everest und Mathieu Strux ohne Unterlaß. Sie vervielfältigten die Angaben des Repetitionskreises, um die Fehler beim Ablesen zu verbessern, und der stets gleichmüthige Nicolaus Palander trug in sein Register ihre Beobachtungen ein. Mehr als einmal flog ihnen ein Pfeil über den Kopf hin und zersplitterte an der inneren Wand des Thurmes. Sie sahen immer nur nach dem Signal auf dem Volquiria, controlirten mit der Loupe die Angaben des Nonius und verbesserten so gegenseitig ihre erhaltenen Resultate.

»Noch eine Beobachtung wollen wir anstellen«, sagte Mathieu Strux, der das Fernrohr über den Theilkreis gleiten ließ.

Da schlug ein von der Hand eines Eingeborenen geschleuderter großer Stein Palander das Register aus der Hand und zertrümmerte den Repetitionskreis, indem er ihn zu Boden warf.

[212] Doch, die Beobachtungen waren ja beendet. Die Richtung des Signallichtes war bis auf ein Tausendtheil einer Secunde genau berechnet!

Jetzt galt es zu fliehen und das Ergebniß dieser ruhmreichen und schönen Arbeiten zu retten. Die Eingeborenen drangen schon in die Kasematte ein und konnten jeden Augenblick in dem Thurme erscheinen. Der Oberst Everest und seine beiden Collegen nahmen ihre Waffen wieder, Palander raffte sein kostbares Register zusammen, und so flohen sie durch eine Bresche. Ihre Gefährten waren da zur Hand; Einige leicht verwundet, aber doch bereit, den Rückzug zu decken. Als sie schon im Begriff waren, die nördlichen Abhänge des Scorzef hinabzuklettern, rief Mathieu Strux:

»Aber unser Gegensignal!«

In der That mußte man ja auf das Lichtsignal der beiden jungen Astronomen durch ein eben solches antworten. Es war zur Vollendung der geodätischen Arbeit nothwendig, daß William Emery und Michael Zorn ihrerseits den Gipfel des Scorzef sahen, und unzweifelhaft warteten sie auf der Bergspitze, die sie eingenommen hatten, ungeduldig auf dessen Aufblitzen.

»Noch eine Anstrengung!« rief der Oberst Everest.

Während nun seine Gefährten mit übermenschlicher Anstrengung die Reihen der Makololos zurückdrängten, trat er in den Wartthurm ein.

Dieser Thurm war aus Zimmerwerk von sehr trockenem Holze zusammengefügt. Ein Funken mußte ihn in Brand setzen können. Der Oberst zündete ihn mittels einer Lunte an. Sogleich prasselte es in dem Holze; der Oberst stürzte hinaus und holte die Seinen wieder ein.

Wenige Minuten später klommen die Europäer unter einem Regen von Pfeilen und von der Höhe des Scorzef nachgeschleuderten Körpern die Abhänge hinab, indem sie die Mitrailleuse vor sich hergleiten ließen, da sie diese nicht im Stiche lassen wollten. Nachdem sie die Eingeborenen noch einmal durch eine mörderische Salve etwas zurückgewiesen hatten, erreichten sie glücklich die Schaluppe.

Der Maschinist hatte nach den Befehlen seines Chefs Dampf bereit gehalten. Die Leine wurde gelöst, die Schraube setzte sich in Bewegung, und schnell glitt die »Königin und Czar« in das dunkle Gewässer des Sees hinaus.

Bald war die Schaluppe soweit entfernt, daß die Passagiere den Gipfel [213] des Scorzef wieder sehen konnten. Der Wartthurm, der ganz in Flammen stand, erglänzte wie ein Leuchtthurm, und sein blendendes Licht mußte bequem bis zum Gipfel des Volquiria sichtbar sein.

Ein lautes Hurrah der Engländer und der Russen begrüßte die riesige Flammengarbe, deren Glanz in weitem Umkreise die Dunkelheit der Nacht verdrängte.

William Emery und Michael Zorn konnten sich nicht beklagen. Sie hatten einen Stern leuchten lassen, man antwortete ihnen durch eine Sonne!

22. Capitel

Zweiundzwanzigstes Capitel.
Nicolaus Palander geht verloren.

Mit Tagesanbruch landete die Schaluppe an dem nördlichen Ufer des Sees. Dort war keine Spur von Eingeborenen. Der Oberst Everest und seine Begleiter, die sich schußbereit gemacht hatten, entluden ihre Gewehre wieder, und die »Königin und Czar« legte sich in eine kleine, zwischen Felsenwänden ausgehöhlte Bucht.

Der Buschmann, Sir John Murray und einer der Seeleute durchstreiften die Umgebung. Die Gegend war verlassen; es fand sich keine Spur der Makololos, aber zum Glück für die hungernde Gesellschaft fehlte es nicht an Wild. Im hohen Grase der Weidestätten und verdeckt von Buschwerk zeigten sich Heerden von Antilopen. Dazu waren die Ufer des Ngami von einer großen Anzahl Wasservögel, aus der Familie der Enten, bevölkert. Mit reicher Beute kamen die Jäger zurück. Der Oberst Everest konnte sich wieder sammt seinen Gefährten an dem schmackhaften Wildpret sättigen, das ihnen ferner nicht wieder fehlen würde.

Vom Morgen des 5. März an wurde nun das Lager an der Küste des Ngami und am Ufer eines kleinen Flusses unter dem Schutze hoher Weidenbäume auf geschlagen. Der mit dem Foreloper verabredete Ort des Zusammentreffens war eben dieses nördliche Seeufer, das hier zu einer kleinen Bai [214] ausgeweitet war. Dort wollten der Oberst Everest und Mathieu Strux ihre Collegen erwarten, und es war anzunehmen, daß Letztere den Weg rückwärts unter besseren Bedingungen und schneller zurücklegen würden. Es traten also einige Tage gezwungener Ruhe ein, über die sich nach so vielen Anstrengungen Niemand beklagte. Nicolaus Palander machte sie sich zu Nutze, um die Ergebnisse der letzten Triangulationen zu berechnen. Mokum und Sir John ergötzten sich an der Jagd in dieser wildreichen, wohlbewässerten und fruchtbaren Gegend, die der ehrenwerthe Engländer gern für die britische Regierung angekauft hätte.

Drei Tage nachher, am 8. März, kündigten Flintenschüsse die Ankunft der Truppe des Foreloper an. William Emery, Michael Zorn, die beiden Seeleute und der Buschmann kamen in voller Gesundheit zurück. Sie brachten auch ihren Theodoliten unversehrt wieder, der nun der einzige war, welcher der anglo-russischen Commission noch zur Verfügung stand.

Mit unbeschreiblicher Freude wurden die beiden jungen Gelehrten aufgenommen; man sparte die Glückwünsche nicht. Mit wenigen Worten berichteten sie ihre Reise. Der Hinweg war sehr schwer gewesen. In den ausgedehnten Wäldern, die vor der bergigen Region lagen, hatten sie sich zwei Tage lang verirrt; da sie kein genaues Merkzeichen hatten und nur nach den unsicheren Angaben des Compaß vorwärts drangen, hätten sie ohne den Scharfsinn ihres Führers den Volquiria wohl nie erreicht. Immer und nach allen Seiten hatte sich die Intelligenz und Ergebenheit des Forelopers erwiesen. Die Besteigung des Pic war sehr mühsam gewesen. Daher waren die Verzögerungen gekommen, von denen die jungen Leute nicht weniger ungeduldig zu leiden hatten, als ihre Collegen auf dem Scorzef. Endlich hatten sie den Gipfel des Volquiria zu erreichen vermocht. Der elektrische Leuchtapparat wurde während des Tages am 2. März in Stand gesetzt, und während der Nacht vom 4. zum 5. erglänzte sein durch eine große Reverbere verstärktes Licht zum ersten Male auf der Spitze des Pic. Die Beobachter auf dem Scorzef hatten es also wohl in dem Augenblicke, wo es aufblitzte, wahrgenommen.

Ihrerseits hatten Michael Zorn und William Emery das intensive Licht leicht bemerkt, das auf dem Gipfel des Scorzef in Folge des Wartthurmbrandes leuchtete. Sie hatten mittels des Theodoliten seine Richtung bestimmt, und so die Messung des Dreiecks beendet, dessen Spitze sich auf den Pic Volquiria stützte.

[215] »Und die geographische Breite dieses Pics? fragte der Oberst Everest William Emery, haben Sie diese aufgenommen?


Fahrt durch ein reiches Jagdgebiet. (S. 214.)

– Ganz genau, Oberst, erwiderte der junge Astronom, durch ganz sichere Sternbeobachtungen.

– Nun, und der Pic liegt? ...

– Unter 19°37'35,337'', also um nahezu genau dreihundertsiebenunddreißig Tausendtheil einer Secunde, antwortete William Emery.


[216]
Der geplünderte Gelehrte. (S. 221.)

– Nun, meine Herren, sagte der Oberst, so ist unsere Aufgabe gewissermaßen gelöst. Wir haben mittels dreiundsechzig Dreiecken einen Bogen von mehr als acht Graden gemessen, und wenn die Ergebnisse unserer Arbeiten berechnet sein werden, kennen wir genau die Größe eines Breitegrades und folglich auch die des Meters auf diesem Theile der Erdkugel.

– Hurrah! Hurrah! riefen die in derselben Empfindung vereinigten Engländer und Russen.

[217] – Jetzt, setzte der Oberst Everest hinzu, haben wir nur, indem wir dem Laufe des Zambesi abwärts folgen, den Indischen Ocean zu erreichen. Ist das nicht auch Ihre Meinung, Herr Strux?

– Ja wohl, Oberst, antwortete der Astronom von Pulkowa, aber ich bin der Ansicht, daß unsere Arbeiten noch einer mathematischen Controle bedürfen. Ich schlage also vor, das trigonometrische Netz nach Osten hin zu verlängern, bis wir eine für die directe Messung geeignete neue Basis gewinnen. Die Uebereinstimmung, welche die einmal berechnete, das andere Mal gemessene Länge dieser Basis zeigen wird, dürfte uns allein den Grad der Genauigkeit unserer Operationen bestimmen lassen.«

Mathieu Strux' Vorschlag ward ohne Widerrede angenommen. Diese Controle der ganzen Reihe der trigonometrischen Arbeiten von der ersten Basis ab war unbedingt erforderlich. Man kam demnach überein, nach Osten hin eine Reihe von Hilfsdreiecken zu construiren, bis man im Stande sein werde, eine Seite eines solchen Dreiecks mit dem Platinamaße direct zu vermessen. Die Dampfschaluppe, welche einen der Zuflüsse des Zambesi hinabfuhr, sollte die Astronomen unterhalb der berühmten Fälle dieses Stromes, der Victoria-Fälle, erwarten.

Nachdem Alles in dieser Weise geordnet war, brach die kleine Truppe unter Führung des Buschmanns am 6. März mit Sonnenaufgang auf, während vier von den Seeleuten sich auf der »Königin und Czar« einschifften. In der Richtung nach Westen waren Stationen unter den schon gemessenen Dreiecken ausgewählt worden, und man durfte hoffen, daß das Hilfsnetz in diesem an Visirpunkten sehr reichen Landstriche leicht zu entwerfen sein werde. Der Buschmann hatte sich sehr geschickt eines Quagga, einer Art wilden Pferdes mit braun und weißer Mähne und röthlichem, zebraartig gestreiftem Rücken, bemächtigt, und benutzte es als Lastthier, welches das Gepäck der Karawane, den Theodoliten, die Richtscheite und die zur Basismessung bestimmten Böcke, die zum Glück mit der Schaluppe gerettet worden waren, tragen mußte.

Die Reise ging schnell von Statten und die Arbeiten vermochten die Beobachter nur wenig aufzuhalten. Für die Hilfsdreiecke von mäßiger Ausdehnung fanden sich in diesem hügeligen Lande leicht die nöthigen Hauptpunkte. Die Witterung blieb günstig, so daß man seine Zuflucht nicht zu nächtlichen Arbeiten zu nehmen brauchte. Fast immer konnten sich die Reisenden [218] unter dem hohen Baumwuchs schützen, der aus dem Boden emporstieg. Dazu hielt sich die Temperatur in mäßigen Graden, und unter dem Einflusse der Feuchtigkeit, den fließende und stehende Gewässer in der Luft unterhielten, erhoben sich einige Dämpfe, welche die Strahlen der Sonne milderten.

Daneben lieferte die Jagd alle Bedürfnisse der kleinen Karawane, und von Eingeborenen war keine Rede. Wahrscheinlich hausten die räuberischen Horden mehr im Süden des Ngami.

Die Verhältnisse zwischen Mathieu Strux und dem Oberst Everest riefen keine weiteren Erörterungen hervor. Die persönlichen Eifersüchteleien schienen vergessen zu sein. Gewiß bestand kein eigentlich inniges Einvernehmen zwischen den beiden Gelehrten, aber der Sachlage nach konnte man nicht mehr von ihnen verlangen.

Während einundzwanzig Tagen, vom 6. bis 27. März, trug sich kein nennenswerthes Ereigniß zu. Man suchte vor allen Dingen eine geeignete Stelle zur Messung einer Basis, aber diese bot die Landschaft nicht. Zu diesem Zwecke war ein mehrere Meilen langes, ebenes und horizontales Stück Land nöthig, aber die Unebenheiten des Bodens, welche der Auswahl der Visirpunkte so günstig waren, hinderten gleichzeitig die directe Messung der Basis. Man ging immer nach Nordosten zu, und folgte manchmal dem rechten Ufer des Chobe, eines der Hauptzuflüsse des oberen Zambesi, um so Maketo, den Hauptflecken der Makololos, sicher zu vermeiden.

Ohne Zweifel konnte man also annehmen, daß die Rückkehr unter günstigen Bedingungen stattfinden, und die Natur den Astronomen keine weiteren materiellen Schwierigkeiten und Hindernisse in den Weg legen werde, daß also die Zeit der Prüfungen vorbei sei. Der Oberst Everest und seine Begleiter durchzogen jetzt eine verhältnißmäßig bekannte Gegend und wollten nicht zaudern, die Flecken und Dörfer am Zambesi zu erreichen, welche Doctor Livingstone kurz vorher besucht hatte. Sie glaubten also nicht ohne Grund, daß der schwierigste Theil ihrer Arbeit überwunden sei. Sie täuschten sich damit wohl auch nicht, und doch hätte ein Zufall, dessen Folgen von höchster Wichtigkeit werden konnten, beinahe den Erfolg der ganzen Expedition auf's Spiel gesetzt.

Nicolaus Palander war der Held oder vielmehr das Opfer dieses Abenteuers.

[219] Wir wissen, daß der unverzagte, aber unbedachtsame Rechner, der ganz in seine Zahlen vertieft wurde, nicht selten weit von seinen Begleitern abkam. In ebenem Lande hatte diese Gewohnheit keine besondere Gefahr, denn man kam bald auf die Fährte des Abwesenden. In holzreicher Gegend konnte dieses Umherschweifen Palander's aber von bedenklichsten Folgen sein. Mathieu Strux und der Buschmann machten ihm auch in dieser Hinsicht tausendmal Vorstellungen. Nicolaus Palander versprach, sich danach zu richten, war aber über dieses Uebermaß von Vorsicht höchlichst erstaunt. Der würdige Mann merkte seine Zerstreuung selbst nicht.

Da fiel es an jenem Tage, dem 27. März, Mathieu Strux und dem Buschmann auf, daß sie Nicolaus Palander seit mehreren Stunden nicht gesehen hatten. Die kleine Truppe durchzog mehrere Holzungen, die mit vielen niedrigen und dichten Bäumen besetzt waren, und so den Ausblick ungemein behinderten. Dort war es besonders nöthig, geschlossen beisammen zu bleiben, denn es war sehr schwer, die Spuren einer im Walde verirrten Person wieder aufzufinden. Nicolaus Palander aber, der Nichts sah und Nichts vorhersah, war, den Bleistift in der einen, seine Register in der andern Hand, erst an der linken Seite der Gesellschaft gegangen, bald aber vollständig verschwunden.

Man denke sich die Unruhe des Mathieu Strux und seiner Begleiter, als sie um vier Uhr Nachmittags Nicolaus Palander noch nicht wieder bei sich sahen. In ihnen war die Erinnerung an die Krokodile noch lebhaft und unter Allen war wohl der zerstreute Rechner der Einzige, dem sie entschwunden war!

In der kleinen Gesellschaft herrschte also eine große Angst, und gleichzeitig war sie verhindert, weiter zu ziehen, bevor Nicolaus Palander wieder aufgefunden war.

Man rief laut. Vergeblich. Der Buschmann und die Seeleute zerstreuten sich auf einen Umkreis einer Viertelmeile, schlugen auf die Büsche, trieben den Wald ab, durchforschten die hohen Gräser, feuerten die Gewehre ab – Nichts war von Erfolg. Nicolaus Palander erschien nicht.

Die Unruhe Aller stieg auf's Höchste, und bei Mathieu Strux gesellte sich zu dieser Unruhe noch eine tiefgehende Erbitterung gegen den unglücklichen Collegen. Es war nun das zweite Mal, daß ein solcher Fall durch Nicolaus Palander's Verschulden vorkam, und wirklich, wenn der Oberst [220] Everest sich dafür hätte an ihn halten wollen, so hätte er, Mathieu Strux, Nichts zu erwidern vermocht.

Unter diesen Umständen war demnach nur der eine Entschluß zu fassen, sich in dem Gehölz zu lagern, und die genauesten Nachforschungen anzustellen, um den Rechner wiederzufinden.

Der Oberst und seine Begleiter waren eben im Begriff, an einer ziemlich großen Lichtung Halt zu machen, als ein Schrei – ein Schrei, der gar nicht von einem Menschen herzurühren schien – einige Hundert Schritt weit zur Linken im Gehölz hörbar wurde. Gleich darauf wurde Nicolaus Palander sichtbar.

Er lief, so schnell ihn die Beine tragen wollten. Er war im bloßen Kopfe, mit fast zu Berge stehendem Haar, und hatte seine meisten Kleider eingebüßt, von denen noch einige Fetzen seine Lenden bedeckten.

Der Unglückliche kam bei seinen Gefährten an, die ihn mit Fragen bestürmten. Aber mit weit aufgerissenem Auge, erweiterten Pupillen, eingefallenen Nasenflügeln, welche die unvollkommene, stoßweise Respiration hinderten, war der Arme gar nicht im Stande zu sprechen. Er wollte antworten, brachte aber kein Wort heraus.

Was war geschehen? Woher kam diese Bestürzung, dieser Schreck, deren zweifellose Anzeichen Nicolaus Palander in so hohem Grade zeigte? Niemand wußte, was davon zu halten war.

Endlich konnte Palander fast unvernehmlich die Worte vorbringen:

»Die Register! Die Register!«

Bei diesen Worten schauderten die Astronomen, einer wie der andere, zusammen. Man denke! Die beiden Register, worin das Resultat aller trigonometrischen Arbeiten eingetragen war, wovon der Rechner nie sich trennte, selbst im Schlaf nicht! Diese fehlten, Nicolaus Palander hatte sie nicht mehr! Was war aus ihnen geworden? Mußte man Alles von Neuem vornehmen?

Während die Anderen voll Schrecken sich schweigend ansahen, ließ Mathieu Strux seinem Zorn den Lauf! Wie mißhandelte, schimpfte er den Armen!

Auf Alles hatte Nicolaus Palander als Antwort nur ein Kopfschütteln.

»Aber hat man sie denn entwendet! fragte endlich der Oberst Everest.

– Einerlei! rief Mathieu Strux außer sich. Warum ist der Tropf, nach all' unsern Ermahnungen, nicht bei uns geblieben?

[221] – Ja, erwiderte Sir John, aber man muß doch wissen, wo sie hingekommen sind. Hat man sie Ihnen geraubt, Herr Palander?«

Derselbe bejahte mit einem Zeichen.

»Und wer hat sie geraubt? Waren's Makololos?«

Nicolaus Palander verneinte.

»Europäer, Weiße? fragte Sir John weiter.

– Nein, erwiderte Nicolaus Palander mit beklommener Stimme.

– Aber wer denn? rief Mathieu Strux mit geballter Faust.

– Nein, keine Eingeborenen, keine Weißen, – es waren Paviane.«

Wahrhaftig, wär' es nicht eine so ernste Sache gewesen, sie hätten bei dieser Aeußerung alle aufgelacht! Affen hatten Nicolaus Palander beraubt!

Der Buschmann erzählte seinen Gefährten, so etwas komme oft vor. So viel er wisse, seien Reisende schon manchmal von »Chacmas«, die zu den Pavianen gehören und in zahlreichen Schaaren beisammen leben, geplündert worden.

Inzwischen gab der Buschmann seinen Rath. Er allein war kaltblütig, die Europäer ohne Ausnahme voll Bestürzung.

»Meine Herren, sagte der Buschmann, die Augenblicke sind kostbar; wir dürfen keinen einzigen verlieren. Verfolgen wir unverzüglich die Räuber! Da die Register nichts zum Fressen sind, so werden wir wohl, wenn wir die Thäter finden, auch die Register wieder bekommen!«

Ein Hoffnungsstrahl, den man nicht durfte erlöschen lassen. Nicolaus Palander kam bei diesem Vorschlag wieder zu vollem Bewußtsein. Er bekleidete sich rasch mit geliehenen Matrosenkleidern und war schnell bereit, seine Genossen zum Schauplatz der That zu führen.

Noch denselben Abend änderte man nach Angabe des Rechners die Richtung des Wegs.

Weder diese Nacht, noch am folgenden Tag ergab sich ein Resultat. An manchen Stellen erkannte der Buschmann und der Foreloper frische Spuren von Affen. Nicolaus Palander sagte aus, er habe mit einem Dutzend derselben zu thun gehabt. Man schritt also mit äußerster Vorsicht voran und hielt sich stets verdeckt, denn die Paviane sind gescheit und von scharfen Sinnen, lassen sich Niemand nahe kommen. Der Buschmann rechnete nur durch Ueberrumpelung auf Erfolg.

Am folgenden Tag gegen acht Uhr früh gewahrte ein russischer Matrose, [222] der vorausgegangen war, einen solchen Räuber, und begab sich vorsichtig zurück zu den Andern.

Der Buschmann ließ Halt machen, und die Europäer lauschten seiner Anweisung. Er bat sie, an dieser Stelle zu bleiben, nahm nur Sir John und den Foreloper mit, und wendete sich, stets von Bäumen oder Gebüsch verdeckt, nach der von dem Matrosen angegebenen Richtung.

Nicht lange, so gewahrte man den gemeldeten Affen und zugleich ein Dutzend anderer, die zwischen den Zweigen sprangen. Der Buschmann duckte sich mit seinen Begleitern hinter einen Stamm und beobachtete achtsam.

Es war, wie Mokum gesagt hatte, ein Trupp Chacmas, den Leib mit grünlichen Haaren, Ohren und Gesicht schwarz, mit langem Schwanz, der stets in Bewegung den Boden kehrte; starke Thiere mit kräftigen Muskeln, wohl versehenen Kinnladen, scharfen Krallen, selbst dem Gewild furchtbar. Diese Chacmas sind arge Plünderer der Getreide- und Maisfelder, ein wahrer Schrecken der Boërs, deren Wohnungen sie oft verwüsten. Diese hier waren in vollem Spiel, kläffend und bellend, wie große Hunde.

Aber befand sich der Räuber der Register daruter? Darüber galt's Gewißheit zu haben. Kein Zweifel mehr, als der Foreloper auf einen derselben wies, der mit Fetzen von Nicolaus Palander's Kleidern behängt war.

Den mußte man um jeden Preis haben und dafür mit größter Umsicht verfahren. Eine falsche Bewegung, und die ganze Truppe zerstob durch den Wald, ohne daß man sie einholen konnte.

»Bleiben Sie hier, sagte Mokum zum Foreloper. Se. Gnaden und ich, wir wollen zu unsern Kameraden und mit ihnen Maßregeln ergreifen, um sie abzuschneiden. Aber vor allen Dingen, verlieren Sie dieselben nicht aus den Augen!«

Der Foreloper blieb an dem angewiesenen Posten, und der Buschmann mit Sir John kehrten zu dem Obersten zurück.

Die Affen umzingeln war in der That das einzige Mittel, um des Thäters habhaft zu werden. Die Europäer theilten sich in zwei Trupps. Die einen suchten den Foreloper auf und stellten sich in seiner Nähe in einem Halbkreise auf; die andern wandten sich links, um sie zu umgehen und sich auf die Bande der Affen zu werfen.

Man ging, wie der Buschmann anbefohlen, nur mit äußerster Vorsicht [223] voran. Alle Gewehre geladen, war ausgemacht, daß alle auf den mit den Kleiderfetzen behängten Affen zielten.

Nicolaus Palander, der seinen Eifer kaum mäßigen konnte, hielt sich an Mokum's Seite, der ihn überwachte, daß er nichts Verkehrtes thue. Es galt ihm auch wirklich um Leben oder Sterben.

Nachdem man eine halbe Stunde im Halbkreise gegangen und häufig Halt gemacht, hielt der Buschmann für zeitig, sich zusammen zu ziehen. Seine Genossen, je zwanzig Schritte von einander, gingen stille vor; kein Wort, kein Knistern der Zweige vernahm man.

Plötzlich machte der Jäger Halt; seine Kameraden ebenfalls, den Finger auf gespanntem Hahn.

Die Chacmas waren in Sicht. Sie hatten etwas gemerkt, waren auf ihrer Hut. Ein ausnehmend großes Thier – eben der Räuber – ließ unzweideutige Zeichen von Unruhe erkennen. Nicolaus Palander erkannte den Wegelagerer wieder, nur sah man nichts von den Registern, die er nicht bei sich zu haben schien. Er schien voll Angst seinen Kameraden Zeichen zu geben.

Die Jäger rückten immer näher, Jeder erkannte den Räuber und konnte schon mit Sicherheit zielen. Da ging unversehens dem Nicolaus Palander das Gewehr los.

»Verdammt!« rief Sir John, und schoß ebenfalls ab. Im Moment fielen noch zehn andere Schüsse. Drei Affen fielen todt auf den Boden herab, die andern setzten wie geflügelte Schaaren, mit einem ungeheuern Sprung über den Kopf des Buschmanns und seiner Kameraden.

Nur ein einziger Chacma blieb an seinem Platze: es war der Räuber. Anstatt zu fliehen, schwang er sich auf den Stamm einer Sycomore, kletterte behend hinauf und verschwand in dem Gezweig.

»Dort hat er die Register versteckt!« rief der Buschmann, und er irrte nicht.


Palander aus den Krallen eines Chacma gerettet. (S. 226.)

Indessen war zu befürchten, das Thier möge von einem Baum zu einem anderen flüchtend entkommen. Aber Mokum zielte mit Kaltblütigkeit und gab Feuer. Der Affe, am Bein getroffen, purzelte von Zweig zu Zweig herab. In einer Hand hielt er die Register, welche er aus dem Gezweig hervor geholt hatte. Bei diesem Anblick sprang Nicolaus Palander wie eine Gemse vor, stürzte über den Affen her, und nun begann ein Ringen.

[224] Welch' ein Kampf! Zorniges Heulen Palander's klang mit dem Bellen des Affen zusammen! Man konnte sie nicht mehr von einander unterscheiden, nicht auf das Thier zielen, ohne den Astronomen zu treffen.

»Schießt nur auf die Beiden!« schrie Mathieu Strux, und wahrhaftig, der Russe wäre im Stande gewesen es zu thun, wäre sein Gewehr geladen gewesen.

Nicolaus Palander, bald oben, bald unten, suchte seinen Gegner zu [225] erwürgen, der ihm mit seinen Krallen die Schultern blutig kratzte. Endlich ersah sich der Buschmann einen Moment und schlug mit einem Beil dem Thier auf den Kopf, daß es augenblicklich erlag.

Nicolaus Palander ward wie ohnmächtig von seinen Genossen aufgehoben. Er drückte die wieder eroberten Register mit der Hand wider seine Brust. Des Affen Leichnam ward in's Lager getragen, und zum Abendessen verspeisten die Gäste den Räuber mit ebenso viel Appetit als Rachbegier, denn er lieferte ein treffliches Fleisch.

23. Capitel

Dreiundzwanzigstes Capitel.
Die Wasserfälle des Zambesi.

Die Wunden Nicolaus Palander's waren nicht erheblich. Der Buschmann, welcher darin erfahren war, rieb dem würdigen Manne die Schultern mit einigen Kräutern, und der Astronom von Helsingfors konnte wieder die Reise fortsetzen. Die durch seinen Sieg gehobene Stimmung sank bald, und er ward wieder der zerstreute Gelehrte, welcher nur in der Welt der Zahlen lebte. Man hatte ihm eins der Register gelassen, aber aus Vorsicht mußte er das andere, worin das Duplicat aller Berechnungen enthalten war, an William Emery abgeben, – wozu er sich übrigens in Gutem verstand.

Die Arbeiten wurden fortgesetzt und die Triangulation ging rasch und gut von Statten. Es handelte sich nur noch darum, eine zur Errichtung einer Basis geeignete Ebene zu finden.

Am 1. April mußten die Europäer über ungeheure Sumpfstrecken setzen, wodurch sie etwas gehemmt wurden. An diese feuchten Ebenen schlossen sich zahlreiche Teiche, deren Wasser einen pestilenzialischen Geruch verbreiteten. Der Oberst Everest und seine Genossen beeilten sich, indem sie ihren Triangeln eine größere Ausdehnung gaben, aus dieser ungesunden Gegend herauszukommen.

Die Stimmung der kleinen Truppe war vortrefflich und es herrschte der [226] beste Geist. Michael Zorn und William Emery waren sehr erfreut, daß zwischen den beiden Chefs vollständige Eintracht herrschte. Dieselben schienen vergessen zu haben, daß ein internationaler Zwist sie hatte trennen können.

»Lieber William, sagte eines Tages Michael Zorn zu seinem jungen Freunde, ich hoffe, daß bei unserer Zurückkunft in Europa zwischen England und Rußland Friede geschlossen ist, daß wir demnach dort Freunde bleiben dürfen, wie wir's hier in Afrika sind.

– Das hoff' auch ich, lieber Michael, erwiderte William Emery. Die Kriege können heut zu Tage nicht von langer Dauer sein. Eine oder zwei Schlachten, und die Verträge werden unterzeichnet. Dieser leidige Krieg dauert schon ein Jahr, und ich denke, wie Sie, der Friede wird bei unserer Rückkunft geschlossen sein.

– Aber es ist nicht Ihre Absicht, William, an's Cap zurück zu kehren? fragte Michael Zorn. Das Observatorium ruft Sie nicht dringend zurück, und ich hoffe Ihnen mein Observatorium zu Kiew zeigen zu können!

– Ja, Freund, erwiderte William Emery, ja, ich werde Sie nach Europa begleiten, und ich werde nicht nach Afrika zurückkehren, ohne ein wenig durch Rußland gereist zu sein. Aber Sie werden mich einmal in Capstadt besuchen, nicht wahr? Sie werden da sehen, wie reich das Firmament ist, und welche Lust es ist, nicht nur mit vollen Händen, sondern mit vollen Blicken draus zu schöpfen! Wenn es Ihnen beliebt, wollen wir den Stern Θ des Centauren mit einander auflösen. Ich verspreche Ihnen, ohne Sie nicht anzufangen.

– Ist das ernstlich gemeint, William?

– Im vollen Ernst, Michael. Ich hebe Ihnen Θ auf, und dagegen, fügte William Emery bei, komme ich nach Kiew, um einen Ihrer Nebelsterne zu berechnen!«

Die wackeren Leute! Sieht's nicht aus, als gehöre der Himmel ihnen an! Und wirklich, wem sollte er gehören, wenn nicht den scharfsinnigen Gelehrten, welche ihn bis auf seine Tiefen ausgemessen haben!

»Aber vor allen Dingen, fuhr Michael Zorn fort, muß dieser Krieg zu Ende sein.

– Er wird's sein, Michael. Schlachten mit Kanonendonner dauern nicht so lange, als ein Streiten über die Sterne! Rußland und England sind rascher ausgesöhnt, als der Oberst Everest und Mathieu Strux.

[227] – Sie glauben also nicht an die Aufrichtigkeit ihrer Versöhnung, fragte Michael Zorn, nachdem sie miteinander so viele Prüfungen zu bestehen gehabt?

– Verlassen will ich mich nicht darauf, erwiderte William Emery. Denken Sie doch, Eifersucht der Gelehrten, und berühmter Gelehrten!

– Da wollen wir lieber nicht so berühmt sein, lieber William, erwiderte Michael Zorn, und stets gute Freunde bleiben!«

Elf Tage waren vorüber seit dem Abenteuer mit den Affen, als die kleine Truppe nicht weit von den Wasserfällen des Zambesi auf eine Ebene kam, welche sich einige Meilen weit erstreckte. Das Terrain war höchst geeignet zur directen Messung einer Basis. Am Rande erhob sich ein Dorf, das nur einige Hütten umfaßte. Seine Bewohner, – einige Dutzend Eingeborene höchstens – ungefährliche Leute, nahmen die Europäer gut auf. Das war ein Glück für die Truppe des Obersten; denn ohne Wagen, Zelte, fast ohne Lagergeräthschaften, wäre es schwer gewesen, sich hinreichend einzurichten. Nun konnte die Messung der Basis einen Monat lang dauern, und diesen Monat konnte man nicht im Freien, lediglich unter dem Schutz der Baumgezweige, zubringen.

Die wissenschaftliche Commission richtete sich also in den Hütten ein, welche zuvor zum Gebrauch der neuen Bewohner eingerichtet werden mußten. Die Gelehrten waren übrigens Leute, die sich mit Wenigem zu begnügen verstanden. – Ein einziger Gedanke belebte sie damals: die Prüfung ihrer früheren Operationen, welche durch directe Messung dieser neuen Basis vorgenommen werden sollte, d.h. der letzten Seite ihres letzten Dreiecks. In der That, der Berechnung nach hatte diese Seite eine mathematisch bestimmte Länge, und je näher das directe Maß dem berechneten kam, desto mehr mußte die Bestimmung des Meridians als richtig angesehen werden.

Die Astronomen schritten unverzüglich zur directen Messung. Die Unterlagen und die Platinarichtscheite wurden auf dem völlig ebenen Boden nach einander gelegt, und zwar mit all' den kleinlichsten Vorsichtsmaßregeln, welche man bei der Messung der ersten Basis angewendet hatte. Man zog alle atmosphärischen Bedingungen, die Veränderlichkeiten des Thermometers, die wagerechte Lage der Apparate u.s.w. in Berechnung, kurz es wurde nichts bei der Operation versäumt, die Gelehrten lebten nur in diesem einzigen Gedanken.

[228] Die am 10. April begonnene Arbeit ward erst am 15. Mai fertig. Es waren fünf Wochen für die mißliche Aufgabe erforderlich. Nicolaus Palander und William Emery berechneten die Ergebnisse unverzüglich.

Wahrlich, es schlug diesen Astronomen das Herz gewaltig, als das Resultat gesprochen wurde. Welcher Lohn für ihre Mühen und Prüfungen, wenn die abgeschlossene Probe ihrer Arbeiten es möglich machte, sie als unanfechtbar der Nachwelt zu überliefern!

Als von den Rechnern die gewonnenen Längenmaße auf Bögen im Verhältniß zum durchschnittlichen Niveau des Meeres und zur Temperatur von einundsechzig Grad Fahrenheit (16°11' hunderttheilig) reducirt worden waren, überreichten Nicolaus Palander und William Emery ihren Collegen die folgenden Ziffern:


Neue gemessene Basis5075',25

Mit der nämlichen Basis abzüglich der ersten

Basis und des ganzen trigonometrischen

Netzes5075,11

Differenz der Berechnung und Beobachtung0',14


Nur vierzehn Hunderttheile einer Toise, d.h. keine zehn Zoll, und die beiden Basen waren sechshundert Meilen von einander entfernt!

Als die Messung des Meridians von Frankreich zwischen Dünkirchen und Perpignan vorgenommen wurde, betrug die Differenz zwischen der Basis von Melun und der von Perpignan elf Zoll. Die von der englisch-russischen Commission gewonnene Uebereinstimmung ist also noch auffallender, und macht diese unter den schwierigsten Umständen mitten in der afrikanischen Wüste unter Gefahren und Beschwerden aller Art zu Stande gebrachte Arbeit zur vollkommensten der bis auf den heutigen Tag vorgenommenen geodätischen Operationen.

Dreifaches Hurrah begrüßte dieses bewundernswerthe Resultat, welches in den Annalen der Wissenschaft ohne Gleichen war!

Und jetzt, welche Geltung hatte ein Meridiangrad bei diesem Theil des Erd-Sphäroids. Nach den Reductionen Nicolaus Palander's gerade 57,037 Toisen. Das war, fast um eine Toise, die im Jahre 1752 von Lacaille beim Cap der Guten Hoffnung gefundene Ziffer. Nach Verlauf eines Jahrhunderts waren der französische Astronom und die Mitglieder der englisch-russischen Commission so nahe mit einander in Uebereinstimmung gekommen.

[229] Was die Geltung des Meters betrifft, so mußte man, um sie zu ermitteln, die Resultate der Operationen abwarten, welche später auf der nördlichen Hemisphäre vorgenommen werden sollten. Es sollte derselbe den zehnmillionsten Theil des Erdmeridianviertheils betragen. Nach den früheren Berechnungen machte dieses Viertheil, die Abplattung der Erde im Anschlag von 1/499,15 berücksichtigt, zehn Millionen achthundertsechsundfünfzig Meter aus, was die Länge des Meters genau zu 0',513074 ergab, oder drei Fuß elf Linien und zweihundertsechsundneunzig Tausendstel einer Linie. War diese Ziffer die richtige? Das mußte aus den späteren Arbeiten der anglo-russischen Commission sich ergeben.


Die geodätischen Operationen waren also vollständig zu Ende geführt. Die Astronomen waren mit ihrer Aufgabe fertig. Es blieb ihnen nur noch übrig, die Mündung des Zambesi zu erreichen, in entgegengesetzter Richtung von der Linie, welche der Doctor Livingstone bei seiner zweiten Reise von 1858 bis 1864 verfolgt hatte.

Am 25. Mai, nach einer ziemlich beschwerlichen Reise, mitten in einem von reißenden Bächen durchschnittenen Lande kamen sie an den Wasserfällen an, welche in der Geographie unter dem Namen Victoria-Fälle bekannt sind.

Diese staunenswerthen Katarakte, von den Eingeborenen »Tosende Dunstwirbel« genannt, sind eine Meile breit, stürzen von einer Höhe herab, welche das Doppelte des Niagarafalles beträgt, und sind mit einem dreifachen Regenbogen geziert. Durch die tiefe Spalte des Basaltsteines entstand ein Getöse, das einem zwanzigfachen Donner zu vergleichen war.

Abwärts vom Katarakt, wo die Oberfläche des Flusses wieder ruhig ist, wartete bereits die Dampfschaluppe, welche auf einem Nebenfluß des Zambesi bereits vor vierzehn Tagen angekommen war.

Alle stiegen hier ein, mit Ausnahme des Buschmanns und des Forelopers. Mokum war mehr als ein ergebener Führer, er war ein Freund, welchen die Engländer, und besonders Sir John auf dem afrikanischen Continent zurückließen. Sir John hatte demselben angeboten, ihn nach Europa mitzunehmen, und so lange, als es ihm belieben würde, als Gast zu bewirthen; aber Mokum hatte bereits andere Verbindlichkeiten zu erfüllen. Er mußte [230] David Livingstone bei seiner zweiten Reise, welche der kühne Reisende demnächst an den Zambesi vornehmen wollte, begleiten, und Mokum wollte ihm Wort halten.

Der Jäger blieb also zurück, wohl belohnt, und, was er noch höher anschlug, nach herzlicher Umarmung von Seiten der Europäer, die ihm so sehr verpflichtet waren. Die Schaluppe stieß vom Ufer ab, um in der Mitte des Stromes zu fahren.

Diese Hinabfahrt auf der raschen Schaluppe zwischen zahllosen Flecken längs seiner Ufer geschah ohne Beschwerden oder Unfall.

Die Eingeborenen staunten mit abergläubischer Bewunderung über das rauchende Boot, das durch unsichtbare Kraft auf den Wassern des Zambesi trieb, und sie störten nicht im Mindesten die Fahrt.

Am 15. Juni, nach sechsmonatlicher Abwesenheit kamen der Oberst Everest und seine Gefährten zu Kilimane an, einer der bedeutendsten Städte an der Hauptmündung des Flusses.

Vor allen Dingen fragten sie den englischen Consul um Nachricht über den Krieg.

Der Krieg war noch nicht zu Ende, und Sebastopol hielt sich fortwährend gegen die englisch-französischen Armeen.

Diese Kunde war sehr niederschlagend, da man jetzt im Interesse der Wissenschaft so hübsch einig geworden war.

Ein österreichisches Handelsfahrzeug, Novara, war im Begriff, nach Suez abzufahren. Die Mitglieder der Commission beschlossen, auf demselben sich einzuschiffen.

Am 18. Juni, im Begriff unter Segel zu gehen, versammelte der Oberst seine Collegen, und sprach zu ihnen in ruhigem Ton folgendermaßen:

»Meine Herren, seit beinahe achtzehn Monaten leben wir zusammen und haben viel auszustehen gehabt; doch haben wir ein Werk vollbracht, womit das gelehrte Europa zufrieden sein wird. Gewiß hat sich daraus eine unerschütterliche Freundschaft unter uns entwickelt.«

Mathieu Strux verbeugte sich leicht, ohne zu antworten.

»Doch, fuhr der Oberst fort, dauert der Krieg zwischen Rußland und England leider noch fort. Bis daß Sebastopol in unsern Händen ist ...

– Das wird nie der Fall sein! sagte Mathieu Strux ...

[231] – Das wird die Zukunft lehren, erwiderte kalt der Oberst. Jedenfalls, und bis zum Ende dieses Krieges, denke ich, daß wir uns wieder als Feinde ansehen müssen ...


Dem Buschmann ein Lebewohl. (S. 231.)

– Das wollte ich schon vorschlagen«, erwiderte der Astronom von Pulkowa.

Die Lage war klar gezeichnet, und unter diesen Umständen schifften sich die Mitglieder der Commission auf der Novara ein.

[232] Nach einigen Tagen langten sie zu Suez an, und bei der Trennung sagte William Emery mit einem Händedruck zu Michael Zorn:


Beim Erblicken eines Dampfers. (S. 231.)
»Allezeit Freunde, Michael?
– Ja, lieber William, allezeit und trotz Allem!«

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TextGrid Repository (2012). Verne, Jules. Romane. Abenteuer von drei Russen und drei Engländern in Südafrika. Abenteuer von drei Russen und drei Engländern in Südafrika. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-7525-1