Wilhelm Heinrich Wackenroder
Phantasien über die Kunst
für Freunde der Kunst
Herausgegeben von Ludwig Tieck

[251] Vorrede Tiecks

Ich übergebe teils mit Zutrauen, teils mit Ängstlichkeit diese Blätter dem Publikum. Ein Teil dieser Aufsätze ist ein Vermächtnis meines verstorbenen Freundes W.H. Wackenroder, wovon er die letztern erst kurz vor seiner Krankheit ausgearbeitet und mir mitgeteilt hat, sie sollten eine Fortsetzung des Buchs:Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders sein, darum trifft der Leser hier den Namen Joseph Berglinger, sowie im ganzen den Ton jenes Buches wieder an. Für die Aufsätze über die Musik hatte mein Freund eine besondre Vorliebe, und er wünschte immer recht sehr, mit der ihm eigentümlichen schönen Lebhaftigkeit, sie gedruckt zu sehn. Ich kann erst jetzt seinen Wunsch erfüllen, und der Leser wird mir für die Mitteilung dieser Aufsätze danken, in denen man eine noch kühnere Vorstellungsart und eine ausgearbeitetere Sprache antreffen wird. Sein Stil ist in diesen Aufsätzen gedrungener und kräftiger, in seinen Bildern muß man oft das Seltsame, Kühne und Wahre bewundern, und jeder fühlende Leser wird mit mir die schöne Hoffnung beklagen, die die deutsche Literatur durch seinen frühen Tod verloren hat.

Mit vieler Schüchternheit habe ich die Blätter hinzugefügt, die von meiner Hand sind. Alle diese Vorstellungen sind in Gesprächen mit meinem Freunde entstanden, und wir hatten beschlossen, aus den einzelnen Aufsätzen gewissermaßen ein Ganzes zu bilden; – aber da ich nunmehr bei der Ausarbeitung selbst seinen Rat und seinen Beistand vermißt habe, so hat mir auch der Mut gefehlt, der mich in seiner Gesellschaft beseelt haben würde.

Von Wackenroder ist in der ersten Abteilung die erste und fünfte Nummer geschrieben, unter Berglingers Aufsätzen gehören mir die vier letzten an. Einen unvollendeten Aufsatz meines Freundes über Rubens habe ich zurückgelassen, sowie eine Kantate, mit der er selber unzufrieden war.

[251] – Von jeher war es sein Wunsch, für die Kunst leben zu können, seine schönste Hoffnung war, einst unter den Künstlern genannt zu werden; wenn ihm auch das letztere versagt wird, so wird ihn doch gewiß niemand, der ihn kannte, nur einigen Sinn für seine edle und liebenswürdige Originalität hatte, und der seine innige Liebe für alle

Kunst achtete, jemals vergessen können.

[252]

Erster Abschnitt

1. Schilderung wie die alten deutschen Künstler gelebt haben
I. Schilderung wie die alten deutschen Künstler gelebt haben: wobei zu Exempeln angeführt werden Albrecht Dürer, nebst seinem Vater Albrecht Dürer dem Alten

Es ist eine schöne Sache, einen längst verstorbenen Künstler aus seinen hinterbliebenen Werken sich im Geiste neu zu erschaffen, und aus allen den verschiedenen leuchtenden Strahlen den Brennpunkt zu finden, wohin sie zurückführen, oder vielmehr den himmlischen Stern, von welchem sie ausgingen. Dann haben wir die Weltseele aller seiner Schöpfungen vor uns, – ein Gedicht unserer Einbildungskraft, wovon das wirkliche Leben des Mannes völlig ausgeschieden ist.

Noch fast schöner ist es aber, wenn wir in Gedanken dieses schimmernde Geisterwesen mit Fleisch und Bein bekleiden, – wenn wir ihn uns als einen unsersgleichen, als unsern Freund und Bruder vorstellen können, und wie auch er ein Glied der großen Menschenkette war, an äußerer Beschaffenheit allen seinen geringeren Brüdern ähnlich. Dann ist uns der Gedanke gegenwärtig, wie doch auch diese schönste Menschenseele zuerst aus dem Ei der albernen Kindheit hervorgehen mußte, – wie Vater und Mutter ein Kind zur Welt gebracht, ohne ein Wort von seinem künftigen hohen Geiste zu wissen. Wir denken uns den herrlichen Künstler in allen Szenen des Lebens: wir sehen ihn als Jüngling, wie er den alten Vater verehrt und liebt, – als Mann, wie er mit Bruder, Schwester und Verwandten Freundschaft hält, wie er ein Weib nimmt und selbst Vater wird, – kurz, wie auch er von der Geburt bis zum Tode alle die Schicksale erfährt, welche dem Menschengeschlechte eigen sind.

Besonders rührend, erquickend und lehrreich wird mir nun diese Betrachtung, wenn ein solcher Künstler, obwohl er einen außerordentlichen Geist und seltene Geschicklichkeit besaß, dennoch sein Leben, als ein ganz schlichter und einfältiger Mann, [253] auf diejenige Art durchführte, die in den vorigen Jahrhunderten bei unsern deutschen Vorfahren allgemein üblich war, und die ich hier, weil sie meinem Herzen so inniglich wohlgefällt, mit wenigem schildern will.

In vorigen Zeiten war es nämlich Sitte, das Leben als ein schönes Handwerk oder Gewerbe zu betrachten, zu welchem sich alle Menschen bekennen. Gott ward für den Werkmeister angesehen, die Taufe für den Lehrbrief, unser Wallen auf Erden für die Wanderschaft. Die Religion aber war den Menschen das schöne Erklärungsbuch, wodurch sie das Leben erst recht verstehen, und einsehen lernten, wozu es da sei, und nach welchen Gesetzen und Regeln sie die Arbeit des Lebens am leichtesten, und sichersten vollführen könnten. Ohne Religion schien das Leben ihnen nur ein wildes, wüstes Spiel, – ein Hin- und Herschießen mit Weberspulen, woraus kein Gewebe wird. Die Religion war bei allen großen und geringen Vorfällen beständig ihr Stab und ihre Stütze; sie legte ihnen in jede sonst geringgeachtete Begebenheit einen tiefen Sinn; sie war ihnen eine Wundertinktur, worin sie alle Dinge der Welt auflösen konnten; sie verbreitete ihnen ein mildes, gleichförmiges, harmonisches Licht über alle verworrenen Schicksale ihres Daseins, – ein Geschenk, welches wohl das kostbarste für sterbliche Wesen genannt werden mag. Ihr sanfter Firnis brach, der grellen Farbe wilder Ausgelassenheit die scharfe Spitze ab, – aber er warf auch über die trockne, schwarze Erdfarbe des Unglücks einen glänzenden Schimmer. – – So führten die Menschen die Stunden ihres Lebens langsam und bedächtig, Schritt vor Schritt, und immer im Bewußtsein der guten Gegenwart, fort. Jeder Augenblick war ihnen wert und wichtig; sie trieben die Arbeit des Lebens treu und emsig und hielten sie rein von Fehlern, weil sie es nicht über ihr Gewissen bringen konnten, ein so löbliches und ehrenvolles Gewerbe, das ihnen zugeteilt war, durch ruchlosen Leichtsinn zu schänden. Sie taten das Rechte, nicht um eines Lohns willen, sondern bloß aus dem nie erlöschenden Gefühle der Dankbarkeit gegen denjenigen, welcher allein die Kunst verstanden, die ersten Fäden ihres [254] Daseins an das unhaltbare Nichts anzuzetteln. – Am Ende, da der große Werkmeister sie von der Werkstatt rief, gaben sie, aufgelöst in heilige Gedanken, sich und ihr ganzes Tagewerk, mit fröhlicher Rührung, Ihm in die Hände. Nun wurden die Personalia des Verblichenen als eine kurze Chronik aufgesetzt, oder vor den weinenden Verwandten am Sarge ward eine Leichenrede gehalten, welche ursprünglich die Bedeutung eines Zeugnisses von der treu und redlich vollendeten Lebensarbeit hatte, und der Jugend zum Vorbilde diente. Der unbekannte Gott im Himmel aber wandte das vollendete Tagewerk alsdann zu seinem großen, geheimnisvollen Zwecke an: denn aus allen den Millionen von der Erde abscheidenden Leben baut Er, jenseit jenes blauen Firmaments, eine neue, glänzendere Welt, näher um seinen Thron herum, wo jedes Gute seinen Platz finden wird. – –

So waren die Menschen in vorigen frommen Zeiten beschaffen. Warum muß ich sagen: sie waren? Warum, – wenn ein sterbliches Wesen also fragen darf, – warum hast Du die Welt entarten lassen, allgütiger Himmel?

Wehe den törichten neuen Weisen, welche, aus innerer Armut und Krankheit des Geistes, die Menschenwelt als einen nichtswürdigen Insektenhaufen ansehen, und durch die Betrachtung der Kürze und Vergänglichkeit der tausend wimmelnden Leben auf dieser Erde zu einem trägen, mürrischen Trübsinn oder zu frecher Verzweiflung sich verleiten lassen, worin sie das höchste Ziel zu erschwingen glauben, wenn sie ihr Leben als eine leere Hülse mutwillig zu zerdrücken und zerquetschen streben. Wer so das Leben verachtet, der verachtet alle Tugend und Vollkommenheit, wovon der Mensch Begriff hat, und deren Schaubühne und Übungsplatz allein das Leben ist. – Ein großer Unterschied ist es, ob man sein Gewerbe selbst verachtet, oder ob man bescheiden seine Arbeit gering anschlägt, sein Gewerbe aber liebt, ja bloß zu eigner Freude zu treiben scheint. – Freilich sind wir nur Tropfen im Ozean, freilich tanzen wir alle, ein wimmelnder Reigen, nach kurzem Dasein dem Tode in die Arme: allein unser Geist übersteiget doch die engen Schranken, in ihm wohnen ja die unnennbaren, [255] uns selber unbegreiflichen Kräfte, welche den Himmel und die ganze Erde, welche Zeit und Ewigkeit in den engen Raum zwischen Geburt und Grab zu verpflanzen fähig sind. – Unser Leben ist eine leichte Brücke, von einem dunkeln Lande zum andern hinübergeschlagen: solange wir darauf gehen, sehen wir das ganze himmlische Firmament im Wasser sich spiegeln. –

In jenen Zeiten unsrer deutschen Vorfahren aber, – denn vorzüglich auf den stillen, ernsten Charakter unsrer vaterländischen Nation ist jene Schilderung gegründet, – als die Menschen bei aller Fröhlichkeit doch fromm, ernsthaft und langsam das Turmgebäude des Lebens aus aufeinandergesetzten Stunden und Tagen aufbauten; welche unter den damaligen Menschen können unsrer zurücksehenden Einbildungskraft wohl ein herrlicheres und werteres Bild darbieten, als die Künstler, die also lebten? Denn ihnen mußte ja ihre Kunst, – denn auch diese trieben sie nicht vornehm als Liebhaberei und um der Langenweile willen, (wie jetzt zu geschehen pflegt,) sondern mit emsigem Fleiße, wie ein Handwerk, – sie mußte ihnen, ohne daß sie es selber wußten, ein geheimnisvolles Sinnbild ihres Lebens sein. Ja, beides, ihre Kunst und ihr Leben, war bei ihnen in ein Werk eines Gusses zusammengeschmolzen, und in dieser innigen, stärkenden Vereinigung ging ihr Dasein einen desto festeren und sicherern Gang durch die flüchtige umgebende Welt hindurch. In ruhiger, bescheidener Stille, ohne viel scharfsinniger Worte, malten oder bildeten sie ihre Menschenfiguren, und gaben ihnen treulich dieselbe Natur, die das geheimnisvoll – wunderbare lebendige Original ihnen zeigte: und ebenso bildeten sie ihr Leben ganz folgsam nach den vortrefflichen Himmelslehren der Religion. Sie dachten aber keines weges an spitzfindige Fragen, warum der Menschenkörper gerade so und nicht anders gestaltet sei, oder zu welchem Zwecke sie ihn nachahmten, und ebensowenig konnte es ihnen einfallen, nach dem Grunde zu fragen, warum die Religion da sei oder nach der Bestimmung, wozu sie selber geschaffen wären. Nirgends fanden sie Zweifel und Rätsel: sie verrichteten ihre Handlungen, wie sie ihnen natürlich und notwendig [256] erschienen, und fügten ihre Lebenszeit ganz unbefangen aus lauter richtigen, regelrechten Handlungen zusammen, ebenso wie sie an ihren gemalten Figuren die gehörigen Knochen und Muskeln, woraus der menschliche Körper nun einmal gebaut ist, aneinandersetzten.

Es ist mir eine große Herzensfreude, wenn ich diese treuen Arbeiter, in der Kunst wie im Leben, welche die deutsche Vorzeit, und vor allem jenes fruchtbare sechzehnte Jahrhundert, hervorgebracht hat, mit gesammelten Gedanken betrachte. Um aber ein paar Exempel anzuführen, so will ich meine vorige allgemeine Abschilderung durch etliche ganz einzelne Züge aus der Geschichte meines lieben Albrecht Dürers, und seines Vaters, welcher der Goldschmied Albrecht Dürer der Alte ist, erläutern. Denn wenngleich diese kleinen Züge an sich unbedeutend scheinen möchten, so denke ich doch, daß man, nach dem voraus von mir entworfenen, vielsagenden Gemälde, den richtigen Sinn derselben und ihre wahre Bedeutung besser verstehen wird.

In dem Werke des edlen Joachim von Sandrart, (in welchem derselbe mit lobenswürdigem Eifer gern das ganze Gebiet der Kunst mit beiden Händen umfassen wollte), finden wir in dem Leben Albrecht Dürers einen kleinen Aufsatz von diesem Künstler selbst eingerückt, worin er, ihm selber und seinen Nachkommen zum Angedenken, einige Nachrichten von seinem Leben und von seiner Familie, mit wenigen aber treuen und frommen Worten, aufgezeichnet hat. Es war damals nicht ungewöhnlich, seinem vollbrachten Lebenslaufe durch genaue Aufzeichnungen wieder nachzudenken und ihn zu prüfen; und niemals sonderte man sich in solcher Beschreibung von allen übrigen Menschen ab, vielmehr betrachtete man sich immer nur als ein Mitglied und Mitbruder des großen Menschengeschlechts, indem man sein ganzes Geschlechtsregister durchführte, und sich bescheiden seinen gehörigen Platz auf irgendeinem Nebenzweige des alten ehrwürdigen Stammbaums anwies, nicht aber sich allein zum Hauptstamme der Welt machte. Die lieblich – verschlungene Kette der Verwandtschaft war ein heiliges Band: mehrere Blutsfreunde[257] machten gleichsam ein einziges, geteiltes Leben aus, und ein jeglicher fühlte sich desto reicher an Lebenskraft, in je mehr andern Herzen das gleiche urväterliche Blut schlug: – die ganze Verwandtschaft endlich war der heilige kleine Vorhof zu dem großen Inbegriff der Menschheit. Die alten Vorfahren, die der Himmel zu Werkzeugen bestimmt hatte, der fruchtbaren Nachkommenschaft das Leben, und mittelbar alle Güter des Lebens, (ich meine Tugend und göttliche Gesinnung,) zu schenken, wurden, aus einem schönen, natürlichen Instinkte, nicht anders als mit dankbarer Ehrfurcht genannt. Der Sohn horchte in der Jugend seinem alten Vater wißbegierig zu, wenn dieser von seinen oder seines Vaters Schicksalen erzählte; er nahm alles eifrig in sein Gedächtnis auf, als wären es wichtige Glaubensartikel, denn auch er sollte das Werk des Lebens durchführen, das seine Vorfahren schon so ruhmwürdig vollendet hatten.

Dies sind die Gedanken, welche bei mir aufsteigen, wenn ich des Albrecht Dürers Bericht von seinem Vater und seinen Vorfahren lese, welchen er mit folgenden Eingangsworten anhebt:

»Ich Albrecht Dürer der Jüngere hab zusammengetragen aus meines Vaters Schriften, von wannen er her sei, wie er herkommen und blieben und geendet seliglich: Gott sei ihm und uns gnädig. Amen.«

Alsdann erzählt er: Seines Vaters Vater, genannt Antoni Dürer, sei als Knabe in ein Städtlein in Ungarn gekommen zu einem Goldschmied, und habe allda das Handwerk erlernt. Dann habe er sich verheiratet mit einer Jungfrauen mit Namen Elisabeth, mit dieser habe er vier Kinder geboren, und der erste Sohn, Albrecht Dürer, sei sein lieber Vater gewesen, und sei auch ein Goldschmied worden. Dieser sein lieber Vater habe sich nachher lange Zeit in Niederlanden bei den großen Künstlern aufgehalten, und im Jahre 1455 sei er nach Nürnberg gekommen, gerade an demselben Tage, als Philipp Pirkhaimer auf der Vesten Hochzeit gehalten, und ein großer Tanz unter der großen Linden angestellt gewesen.

[258] Das ganze Wesen seines Vaters spricht Albrecht Dürer gleich anfangs gar kräftig und bündig in zweien Worten aus, wenn er sagt: er sei gewesen ein künstlicher und reiner Mann. Und am Ende fügt er folgende Züge hinzu, die uns ihn ganz lebhaft vor Augen schildern. Es habe sich derselbe mit Weib und Kindern von seiner Hände Arbeit notdürftig ernährt, und sein Leben unter mancherlei Mühe, Anfechtung und Beschwerden hingebracht. Bei allen, die ihn gekannt, habe er ein gut Lob gehabt, denn er sei ein gottesfürchtiger Mann gewesen, geduldig, sanftmütig, ehrbar, und immer voll Dankbarkeit gegen Gott. Übrigens sei er von wenig Worten gewesen, habe allzeit in der Stille und Einsamkeit fortgelebt und sich gar wenig weltlicher Freuden bedient. Sein höchstes Begehren sei dahin gegangen, seine Kinder zur Ehre Gottes aufzuziehen, darum habe er großen Fleiß auf sie gewandt und täglich von der Liebe Gottes zu ihnen gesprochen. Endlich, in der Krankheit, da er seinen Tod vor Augen gesehen, habe er sich willig dreingegeben, habe seinen Kindern befohlen, göttlich zu leben, und sei christlich verschieden, im 1502ten Jahre, vor Mitternacht nach St. Matthäusabend.

Ein solches stilles, abhängiges Leben führen, da man in keiner Stunde vergißt, daß man nichts anders ist als ein Arbeiter Gottes, dies heißt den sichersten Weg zur Glückseligkeit gehn. Wer aber keinen Gott verehrt, das heißt mit andern Worten, wer sich selber zum Gott und Regierer des Weltalls machen will, der befindet sich in einer unglückseligen Verrückung, und genießt nur die traurige, falsche Glückseligkeit eines törichten, wahnsinnigen Bettlers, der sich ein Kaiser in der Krone dünkt. –

Noch finden wir an dem oben gedachten Orte ein von dem alten Dürer hinterlassenes Verzeichnis aller seiner Kinder, an der Zahl achtzehn, welche er eigenhändig, nach Vornamen und nach Tag und Stunde der Geburt, in ein eigen Buch sorgfältig aufgezeichnet hat. Dieser gute Bürger und Goldschmied zu Nürnberg, Dürer der Alte, mag während seines Lebens gewiß oftmals vielfältige gute Gedanken in seinem Kopfe hervorgebracht haben; allein viel davon aufzuschreiben ist ihm wohl nicht eingefallen, [259] ja es möchte ihm dies vielleicht seltsam vorgekommen sein: weit natürlicher war es ihm, über alle Kinder, die der Himmel ihm geschenkt hatte, ein genaues Register zu führen. Von allen diesen achtzehn Kindern aber gedenken wir jetzt, nach ein paar Jahrhunderten, keines als nur des geliebten Albrechts, und alle übrigen sind der Vergessenheit übergeben, wovon freilich der Vater bei der Geburt nichts ahnden konnte, ihn vielmehr, ohne Auszeichnung, mit ähnlichen Worten als die andern, also aufführt:

»Item, nach Christi Geburt 1471 Jahr, in der sechsten Stunde am Sankt Prudentien Tag, an einem Freitag in der Kreuzwochen gebar mir meine Hausfrau Barbara meinen andern Sohn, der ward genannt Albrecht nach mir.«

Nachdem unser Albrecht Dürer der Jüngere dies Register von allen seinen Geschwistern aus seines Vaters Buch eingerückt, so setzt er hinzu: »Nun sind diese meine Geschwister, meines lieben Vaters Kinder, fast alle gestorben, etliche in der Jugend, die andern so sie erwachsen waren; nur wir drei Brüder leben noch, solange Gott will, nämlich ich Albrecht, desgleichen mein Bruder Hans und mein Bruder Andreas.« – Solange Gott will! Ein schöner Wahlspruch! Ein kindliches Gefühl, daß wir Menschen uns von Gott, in den teuren Banden seiner Liebe hängend, solange unter den Blumengerüchen dieser grünen Erde hin – und herwiegen lassen, als es ihm gut dünkt daß uns dienlich sei.

Ihm, unserm werten Albrecht Dürer, hat er ein 57 jähriges Alter dienlich gehalten; dabei hat er ihm aber auch gütig verliehen, in der Kunst ein weit größerer Mann als sein Vater zu werden. Anfangs lernte dieser ihn zum Goldschmiedgewerbe an, und wollte die großväterliche Kunst auf den Enkel verpflanzen. Denn wenn in den vorigen Zeiten Deutschlands die Kunst einmal dem Stamme eines Geschlechts eingeimpft war, so wurden gemeiniglich auch die nachschießenden Zweige veredelt, und das Band der Blutsfreundschaft ward gleichsam vergoldet durch diese erbliche Tugend der Kunst, wovon uns mehrere edle Künstlerfamilien, entsprossen aus den blühenden alten Städten [260] des südlichen Deutschlands, ein Beispiel abgeben. – Der junge Albrecht übte sich also unter seines Vaters Anweisung in der Goldschmiedearbeit und kam, (wie Sandrart erzählt,) so weit, daß er die sieben Fälle des Leidens Christi in getriebener Arbeit verfertigte. Damals war es jedem, ohne sich zu besinnen, das nächste und natürlichste, sich durch heilige Gegenstände zur Kunst einzuweihen, und für die erlangte erste jugendliche Geschicklichkeit dem Himmel durch eine Vorstellung, die ihm wohlgefällig wäre, sich dankbar zu beweisen. – Dürer aber trug innerlich weit größere Lust zur Malerei, und obwohl der Vater ihn gar gern auch zum Sohne seiner Kunst behalten hätte, so gab er doch nach, und, – spricht Albrecht Dürer, – »im Jahre 1486 am St. Andreas Tag versprach mich mein Vater in die Lehrjahr' zu Michael Wolgemut, drei Jahr lang ihm zu dienen; in der Zeit verliehe mir Gott Fleiß, daß ich wohl lernete, aber viel von seinen Knechten leiden mußte; und da ich ausgedient hatte, schickt' mich mein Vater hinweg, und blieb ich vier Jahr außen, bis daß mich mein Vater wieder fordert'.« In diesem einfachen Tone zählt er die Umstände seines Lebens her: ohne sich zur Rechten oder Linken umzusehen, geht er seinen geraden Weg fort, und tut, als wenn alles, was ihm begegnet, so und nicht anders sein müßte.

In seinen Gemälden, Kupferblättern und Holzstichen, welche zum großen Teil geistliche Vorstellungen enthalten, zeigt unser Dürer eine treue, handwerksmäßige Emsigkeit. Das Gemüt, welches ihm das Streben nach dieser in feinen Linien ausgeführten Vollendung, das man so offen und unverstellt in seinen Werken erblickt, einflößte, und welches ihn trieb, den besten und richtigsten Proportionen des menschlichen Körpers sorgfältig nachzuspüren, und sie in einem Buche aufzubewahren, welches nachher in allen Sprachen übersetzt, allen zeichnenden Völkern zum Kanon diente: dies war eben dasselbe Gemüt, welches ihn auch im Leben und Handeln überall das Rechte und Gute so verfolgen hieß. Obgleich aber die Posaune der Fama in den besten Ländern Europas, (nämlich außer dem deutschen Reiche in Italien, Frankreich, Spanien, Holland und England,) weit und[261] breit seinen Namen ausrief und verherrlichte, so daß er sowohl von den berühmtesten Malern damaliger Zeit, als von Kaisern und Königen, der größten Ehren genoß, welches seinem Vater, dem ehrlichen Goldschmied, keinesweges begegnet war; so wich der teure Mann doch in der Art zu leben gar nicht von diesem ab, sondern setzte den Pilgerstab seiner irdischen Wanderschaft ebenso Schritt vor Schritt, still und bedächtig fort, und war ein künstlicher und reiner Mann.

Aus solchen Beispielen wird man ersehen, daß, wo Kunst und Religion sich vereinigen, aus ihren zusammenfließenden Strömen der schönste Lebensstrom sich ergießt.

Sowie aber diese zwei großen göttlichen Wesen, die Religion und die Kunst, die besten Führerinnen des Menschen für sein äußeres, wirkliches Leben sind, so sind auch für das innere, geistige Leben des menschlichen Gemüts ihre Schätze die allerreichhaltigsten und köstlichsten Fundgruben der Gedanken und Gefühle, und es ist mir eine sehr bedeutende und geheimnisvolle Vorstellung, wenn ich sie zweien magischen Hohlspiegeln vergleiche, die mir alle Dinge der Welt sinnbildlich abspiegeln, durch deren Zauberbilder hindurch ich den wahren Geist aller Dinge er kennen und verstehen lerne. –

2. Eine Erzählung, aus einem italienischen Buche übersetzt
II. Eine Erzählung, aus einem italienischen Buche übersetzt

– Ich war auf dem gewohnten Gange nach dem Walde begriffen, und ich freute mich schon im voraus, daß nun das Gemälde der heiligen Familie vollendet sein würde. Es war mir verdrießlich, daß der Maler so lange zögerte, daß er immer noch nicht meinen dringenden Bitten nachgab, zu endigen. Alle Gestalten, die mir begegneten, einzelne Gespräche, die ich unterwegs hörte, nichts ging mich an, denn nichts davon hatte Bezug auf mein Gemälde; die ganze außenliegende Welt war mir jetzt nur ein Anhang, [262] höchstens eine Erklärung zur Kunst, meiner liebsten Beschäftigung. Einige alte arme Leute gingen vorbei, aber es war keiner darunter, der zu einem Joseph getaugt hätte, kein Mädchen hatte Spuren vom Gesicht der Madonna, zwei Alte sahen mich an, als ob sie sich nicht unterständen, ein Almosen zu begehren, aber erst lange nachher fiel es mir ein, daß ich sie mit einer Kleinigkeit hätte fröhlich machen können.

Es war ein heiterer Tag, die Sonne schien in die Dunkelheit sparsam hinein, nur an einzelnen Stellen sah ich die lichte Bläue des Himmels. Ich dachte: Oh, wie beglückt ist dieser Maler, der hier in der Einsamkeit, zwischen schönen Felsen, zwischen hohen Bäumen seinen Genius erwarten darf, dem keine andre der kleinlichen menschlichen Beschäftigungen nahetritt, der nur seiner Kunst lebt, nur für sie Aug' und Seele hat. Er ist der glücklichste unter den Menschen, denn die Entzückungen, die uns nur auf Augenblicke besuchen, sind in seinem kleinen Hause einheimisch, die hohen Götter sitzen neben ihm, geheimnisreiche Ahndung, zärtliche Erinnerung spielen unsichtbar um ihn, Zauberkräfte lenken seine Hand, und unter ihm entsteht die wundervolle Schöpfung, die er schon vorher kennt, befreundet tritt sie aus dem Schatten heraus, der sie unsichtbar zurückhält.

Unter diesen Gedanken hatte ich mich der Wohnung genähert, die abseits im Holze lag. Auf einem freien weitem Platze stand das Haus, hohe Felsen erhoben sich hinter seinem Rücken, von dem Tannen herunterrauschten und krauses Gebüsch sich im Winde oben rührte.

Ich klopfte an die Hütte. Die beiden Kinder des Malers waren zu Hause, er selbst war nach der Stadt gegangen, um einzukaufen. Ich setzte mich nieder, das Gemälde stand auf der Staffelei, aber es war ganz vollendet. Es übertraf meine Erwartung, meine Augen wurden auf den schönen Gestalten festgehalten: die Kinder spielten um mich her, aber ich gab nicht sonderlich acht darauf, sie erzählten mir dann von ihrer kürzlich gestorbenen Mutter, sie wiesen auf die Madonna, ihr sei sie ähnlich gewesen, sie glaubten sie noch vor sich zu sehen. Wie herrlich ist diese Wendung des Kopfs! rief ich [263] aus, wie überdacht, wie neu! Wie wohl ist alles angeordnet! Nichts Überflüssiges, und doch, welche herrliche Fülle! Das Gemälde ward mir immer lieber, ich sah es in Gedanken schon in meinem Zimmer hängen, meine entzückten Freunde davor versammelt. Alle übrigen Bilder, die in der Malerstube umherstanden, waren in meinen Augen gegen dieses unscheinbar, keine Gestalt war so innig beseelt, so durch und durch mit Leben und Geist angefüllt, wie auf der Tafel, die ich schon als die meinige betrachtete. Die Kinder beschauten indessen den fremden Mann, sie verwunderten sich über jede meiner Bewegungen. Ihnen waren die Gemälde, die Farben alltäglich, sie wußten sich daran nichts Sonderliches, aber mein Kleid, mein Hut, diese Gegenstände waren ihnen dafür desto merkwürdiger.

Nun kam der Alte mit einem Korbe voll Eßwaren aus der Stadt, er war böse, daß er die alte Frau aus dem benachbarten Dorfe noch nicht antraf, die für ihn und seine Kinder kochen mußte. Er teilte den Kindern einige Früchte aus, er schnitt ihnen etwas Brot, und sie sprangen damit vor die Tür hinaus, lärmten und verloren sich bald in das Gebüsch.

»Ich freue mich«, fing ich an, »daß Ihr das Bild fertiggemacht habt. Es ist über die Maßen wohl geraten, ich will es noch heute abholen lassen.«

Der alte Mann betrachtete es aufmerksam, er sagte mit einem Seufzer: »Ja, es ist nun fertig, ich weiß nicht, wenn ich wieder ein solches werde malen können; laßt es aber bis morgen stehn, wenn Ihr mir einen Gefallen tun wollt, daß ich es bis dahin noch betrachten kann.«

Ich war zu eifrig, ich wollte es durchaus noch abholen lassen, der Maler mußte sich endlich darin finden. Ich fing nun an, das Geld aufzuzählen, als der Maler plötzlich sagte: »Ich habe es mir seitdem überlegt, ich kann es Euch unmöglich für denselben geringen Preis lassen, für den Ihr das letzte bekommen habt.«

Ich verwunderte mich darüber, ich fragte ihn, warum er bei mir gerade anfangen wolle, seine Sachen teurer zu halten, aber er ließ sich dadurch nicht irremachen. Ich sagte, daß ihm das Gemälde [264] wahrscheinlich stehnbleiben würde, wenn er seinem Eigensinne folgte, da ich es bestellt habe, und es kein andrer nachher kaufen würde, wie es ihm schon mit so manchen gegangen. Er antwortete aber ganz kurz: die Summe sei klein, ich möchte sie verdoppeln, es sei nicht zuviel, übrigens möchte ich ihn nicht weiter quälen.

Es verdroß mich, daß der Maler gar keine Rücksicht auf meine Einwendungen nahm, ich verließ ihn stillschweigend, und er blieb nachdenkend auf seinem Sessel vor meinem Bilde sitzen. Ich begriff es nicht, wie ein Mensch, der von der Armut gedrückt sei, so hartnäckig sein könnte, wie er in seinem Starrsinne so weit gehe, daß er von seiner Arbeit keinen Nutzen schöpfe.

Ich strich im Felde umher, um meinen Verdruß über diesen Vorfall zu zerstreuen. Als ich so herumging, stieß ich auf eine Herde Schafe, die friedlich im stillen Tale weidete. Ein alter Schäfer saß auf einem kleinen Hügel, in sich vertieft, und ich bemerkte, daß er sorgsam an einem Stocke schnitzelte. Als ich nähertrat und ihn grüßte, sah er auf, wobei er mir sehr freundlich dankte. Ich fragte ihn nach seiner Arbeit, und er antwortete lächelnd: »Seht, mein Herr, jetzt bin ich mit einem kleinen Kunststücke fertig, woran ich beinahe ein halbes Jahr ununterbrochen geschnitzt habe. Es fügt sich wohl, daß reiche und vornehme Herren sich meine unbedeutenden Sachen gefallen lassen und sie mir abkaufen, um mir mein Leben zu erleichtern, und deshalben bin ich auf solche Erfindungen geraten.«

Ich besah den Stock, als Knopf war ein Delphin ausgearbeitet, mit recht guter Proportion, auf dem ein Mann saß, der auf einer Zither spielte. Ich merkte, daß es den Arion vorstellen solle. Am künstlichsten war es, daß der Fisch unten, wo er sich an den Stock schloß, ganz fein abgesondert war, es war zu bewundern, wie ein Finger die Geduld und Geschicklichkeit zugleich besessen habe, die Figuren und alle Biegungen so genau auszuhöhlen, und doch so frei und dreist dabei zu arbeiten, es rührte mich, daß das mühselige Kunststück nur einen Knopf auf einem gewöhnlichen Stocke bedeuten solle.

[265] Der alte Mann fuhr fort zu erzählen, daß er unvermutet ein Lied von diesem Delphin und Arion angetroffen, das ihm seither immer so im Sinne gelegen, daß er die Geschichte fast wider seinen Willen habe schnitzen müssen. Es ist recht wunderbar und schön, sagte er, wie der Mann auf den unruhigen Wogen sitzt, und ihn der Fisch durch seinen Gesang so liebgewinnt, daß er ihn sogar sicher ans Ufer trägt. Lange habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, auf welche Weise ich wohl das Meer machen könnte, so daß man auch die Not und das Elend des Mannes gewahr würde, aber dergleichen war pur unmöglich, wenn ich auch die See mit Strichen und Schnitzen hätte anmachen wollen, so wäre es doch nachher nicht so künstlich gewesen, wie jetzt der Stock durch den feinen Schwanz des Fisches mit dem obern Bilde verbunden ist.

Er rief einen jungen Burschen, seinen Enkel, der mit dem Hunde spielte, und befahl ihm das alte Lied abzusingen, worauf jener in einer einfachen Weise diese Worte sang:


Arion schifft auf Meereswogen
Nach seiner teuren Heimat zu,
Er wird vom Winde fortgezogen
Die See in stiller, sanfter Ruh'.
Die Schiffer stehn von fern und flüstern,
Der Dichter sieht ins Morgenrot,
Nach seinen goldnen Schätzen lüstern
Beschließen sie des Sängers Tod.
Arion merkt die stille Tücke,
Er bietet ihnen all sein Gold,
Er klagt und seufzt, daß seinem Glücke
Das Schicksal nicht wie vordem hold.
Sie aber haben es beschlossen,
Nur Tod gibt ihnen Sicherheit,
[266]
Hinab ins Meer wird er gestoßen,
Schon sind sie mit dem Schiffe weit.
Er hat die Leier nur gerettet,
Sie schwebt in seiner schönen Hand,
In Meeresfluten hingebettet
Ist Freude von ihm abgewandt.
Doch greift er in die goldnen Saiten,
Daß laut die Wölbung widerklingt,
Statt mit den Wogen wild zu streiten
Er sanft die zarten Töne singt:
Klinge Saitenspiel,
In der Flut
Wächst mein Mut,
Sterb' ich gleich, verfehl' ich nicht mein Ziel.
Unverdrossen
Komm' ich, Tod,
Dein Gebot
Schreckt' mich nicht, mein Leben ward genossen.
Welle hebt
Mich im Schimmer,
Bald den Schwimmer
Sie in tiefer, nasser Flut begräbt.
Es klang das Lied durch alle Tiefen,
Die Wogen wurden sanft bewegt,
In Abgrunds Schlüften, wo sie schliefen,
Die Seegetiere aufgeregt.
Aus allen Tiefen blaue Wunder,
Die hüpfend um den Sänger ziehn,
[267]
Die Meeresfläche weit hinunter
Beschwimmen die Tritonen grün.
Die Wellen tanzen, Fische springen,
Seit Venus aus den Fluten kam,
Man dieses Jauchzen, Wonneklingen
In Meeresvesten nicht vernahm.
Arion sieht mit trunknen Blicken
Lautsingend in das Seegewühl,
Er fährt auf eines Delphins Rücken,
Schlägt lächelnd noch sein Saitenspiel.
Des Fisches Sinn zum Dienst gezwungen,
Er naht sich schon der Felsenbank,
Er landet, hat den Fels errungen
Und singt dem Fährmann seinen Dank.
Am Ufer kniet er, dankt den Göttern,
Daß er entrann dem nassen Tod.
Der Sänger triumphiert in Wettern
Bezwingt ihn nicht Gefahr, nicht Not.

Der Knabe sang das Lied mit einem sehr einfachen Ausdrucke, indem er stets die kunstreiche Arbeit seines Großvaters betrachtete. Ich fragte den Hirten, wieviel er für sein Kunststück verlange, und der geringe Preis, den er forderte, setzte mich in Erstaunen. Ich gab ihm mehr als er wollte, und er war außer sich vor Freuden; aber noch einmal nahm er mir den Stock aus der Hand und betrachtete ihn genau. Er weinte fast, indem er sagte: »Ich habe so lange an dieser Figur geschnitzt, und muß sie nun in fremde Hände geben, es ist vielleicht meine letzte Arbeit, denn ich bin alt, und die Finger fangen mir an zu zittern, ich kann nichts so Künstliches wieder zustandebringen. Solange ich mich darauf geübt habe, sind viele Sachen von mir geschnitten, aber [268] noch nichts habe ich bisher mit diesem Eifer getrieben; es ist mein bestes Werk.«

Er rührte mich, ich nahm Abschied und begab mich auf den Weg zur Stadt. Je näher ich dem Tore kam, je mehr fiel es mir auf, je wunderlicher kam ich mir vor, daß ich mit einem so langen Stabe einherschritt. Ich dachte daran, wie es allen Einwohnern der Stadt, allen meinen Bekannten auffallen müsse, wenn ich mit dem langen Holze durch die Gassen zöge, an dem oben ein großes schweres Bild sich zeigte. Dem ist leicht vorzubeugen, dachte ich bei mir selber, und schon hatte ich meine Faust angelegt, den bunten Knopf herunterzubrechen, um ihn in die Tasche zu stecken, und den übrigen Teil des Stocks dann im Felde fortzuwerfen.

Ich hielt wieder ein. Wieviele mühevolle Stunden, sagte ich, hast du, Alter, darauf verwandt, um den künstlichen Fisch mit dem Stocke zusammenzuhängen, dir wäre es leichter gewesen, ihn für sich zu schneiden, und wie grausam müßte es dir dünken, daß ich jetzt aus falscher Scham die schwerste Aufgabe deines mühseligen Werks durchaus vernichten will.

Ich warf mir meine Barbarei vor, und war mit diesen Gedanken schon ins Tor gekommen, ohne es zu bemerken. Es ängstete mich gar nicht, daß die Leute mich aufmerksam betrachteten, wohlbehalten und unverletzt setzte ich in meinem Zimmer den Stock unter andern Kunstsachen nieder. Die Arbeit nahm sich zwar nun nicht mehr so gut aus, als im freien Felde, aber innigst rührte mich immer noch der unermüdliche Fleiß, diese Liebe, die sich dem leblosen Holze, der undankbaren Materie so viele Tage hindurch angeschlossen hatte.

Indem ich das Werk noch betrachtete, fiel mir der Maler wieder in die Gedanken. Es gereute mich nun recht herzlich, daß ich so unfreundlich von ihm gegangen war. Ihm war die Bildung seiner Hand und seiner Phantasie auch so befreundet, die er nun für eine Nichtswürdigkeit einem Fremden auf immer überlassen sollte. Ich schämte mich, zu ihm zu gehn und meine Reue zu bekennen, [269] aber da standen die Gestalten der armen Kinder vor meinen Augen, ich sah die dürftige Wohnung, den bekümmerten Künstler, der, von der ganzen Welt verlassen, die Bäume und benachbarten Felsen als seine Freunde anredete. Armer Correggio! seufzte ich laut, auch dein Lebenswandel ging verloren, wie magst du dich nach einem Freunde gesehnt haben! Wie einsam ist der Künstler, den man nur wie eine schätzbare Maschine behandelt, die die Kunstwerke hervorgibt, die wir lieben, den Urheber selbst aber vernachlässigen. Es ist ein gemeiner, verdammlicher Eigennutz.

Ich schalt meine Scham, die mich an dem Tage fast zweimal zum Barbaren gemacht hatte; noch vor Sonnenuntergang ging ich nach dem Walde hinaus. Als ich vor dem Hause stand, hörte ich den Alten drinnen musizieren; es war eine wehmütige Melodie, die er spielte, er sang dazu:


Von aller Welt verlassen,
Bist du Madonna nah',
Wenn Mensch und Welt mich hassen
Stehst du mir freundlich da,
So bin ich nicht verlassen
Wenn ich dein Auge sah.

Mein Herz klopfte, ich riß die Tür auf, und fand ihn vor seinem Gemälde sitzen. Ich fiel ihm weinend um den Hals, und er wußte erst nicht, was er aus mir machen sollte. Mein steinernes Herz, rief ich aus, hat sich erweicht, verzeiht mir das Unrecht, das ich Euch heute morgen tat.

Ich gab ihm für sein Bild weit mehr, als er gefordert, als er erwartet hatte, er dankte mir mit wenigen Worten. Ihr seid, fuhr ich fort, mein Wohltäter, nicht ich der Eurige, ich gebe, was Ihr von jedem erhalten könnt, Ihr schenkt mir die kostbarsten, innersten Schätze Eures Herzens.

Der Maler sagte: »Wenn Ihr das Bild abholen laßt, so erlaubt mir nur, daß ich manchmal, wenn es Euch nicht stört, [270] oder Ihr nicht zu Hause seid, in Eure Wohnung kommen darf, um es zu betrachten. Eine unbezwingbare Wehmut nagt an meinem Herzen, alle meine Kräfte erliegen, und dies Bild ist vielleicht das letzte, das meine Hände erschaffen haben. Dazu so trägt die Madonna die Bildung meiner gestorbenen Gattin, des einzigen Wesens, das mich auf Erden jemals wahrhaftig geliebt hat: ich habe lange daran gearbeitet, meine beste Kunst, mein herzlichster Fleiß ist in diesem Gemälde aufbewahrt.«

Ich umarmte ihn wieder: wie herzensarm, wie verlassen, wie gekränkt und einsam schien mir nun derselbe Mann, den ich am Morgen noch glaubte beneiden zu können! – Er wurde von diesem Tage mein Freund, wir ergötzten uns oft, indem wir vor seinem Bilde Hand in Hand saßen.

Aber er hatte recht. Nach einem halben Jahre war er gestorben, er hatte mancherlei angefangen, aber nichts vollendet. Seine übrigen Arbeiten wurden in einer Versteigerung ausgeboten, ich habe vieles an mich gehandelt.

Mitleidige Menschen nahmen die Kinder zu sich; auch ich unterstützte sie. Ein Tagelöhner wohnt mit seiner Familie nun in der Hütte, wo sonst die Kunst einheimisch war, wo sonst freundliche Gesichter von der Leinwand blickten. Oft gehe ich vorüber, und höre einzelne Reden der Einwohner, oft seh' ich auch den alten Hirten noch. – Niemals kann ich an diesen Vorfall ohne heftige Rührung denken.

3. Raffaels Bildnis
III. Raffaels Bildnis

Schon oft habe ich dich angeredet, in Gedanken und laut, du teures Angesicht, alle meine Sorgen, meinen Jammer habe ich dir in schönen abergläubischen Stunden geklagt, und dann schautest du mich an, als wenn du mich kenntest, als wenn du mich besser verständest, als meine Freunde, die mich umgeben.

[271] Innig hat mich schon von meiner Kindheit der Klang deines Namens ergötzt. Was ist es, das meine Seele zu dir Unbekannten, der mir so befreundet ist, hinzieht? Immer red' ich zu dir, wie gegenwärtig, vertraulich bin ich in deiner Nähe, alles, was ich denke, alles, was mir begegnet, erzähl ich dir, wie von einem lieben Herzensfreunde nehme ich am Abend Abschied von dir, und lege mich zur Ruhe.

Kennst du mich? Weißt du von mir? Immer schwank ich, und zittre, dir zu begegnen, und dann bist du wieder nahe an meiner Brust.

Nicht als Künstler bist du mir bloß gegenwärtig, nicht Bewunderung und Liebe allein zieht mich mächtig zu dir hin, eine wunderseltsame unaussprechliche Seligkeit strömt von dir aus, und faßt mich wie mit Wellen ein, daß du es bist, du allein, dein Name, deine Gestalt, die ich mir einbilde, dein hoher Sinn, der dich regierte, das alles, was einzig dich allein vor allen herrlich macht, und was ich immer nicht nennen kann, dies ist, was die glänzenden, unzerreißlichen Ketten um mich windet, was mich wie auf Engelschwingen zwischen Himmel und Erde hält, wo ich dich immer unerreichbar oben sehe und nicht zurück zur Erde kann, und du mit mitleidiger Freundschaft mein Händestrecken, mein inbrünstiges Ringen siehst.

Oft tadle ich mich dann, und wie ein Gewissensvorwurf befällt mich die Ängstlichkeit, daß ich die Kunst und dich, dies eitle menschliche Spielwerk zu himmlisch, zu begeistert anschaue, daß die großen Apostel, die heiligen Märtyrer der Kirche wohl nur ihren Herrn, den Welterlöser mit dieser Anbetung, die das ganze Herz in zitternder, unendlich seliger Freude auflöst, gedacht, und sich nahe gewünscht haben mögen. Denn es ist wahr, wenn ich an andre große Namen denke, an alte Helden, an alte Dichter und Propheten, und du fällst dann plötzlich wie eine glänzende Erscheinung in mein Gedächtnis hinein, so ist alles übrige dunkel und ohne Farbe, ich war oft erfreut und erhabenen Gemüts, aber plötzlich fühl ich dann, daß ich irrte, und daß du meine ganze Seele regierst.

[272] Seh ich dann umher und betrachte die übrigen Menschen und die unlebendige aber freundliche Natur, so muß ich mich über mich selber verwundern. Denn dein Odem vom Himmel herab, o Allgütiger, der die Natur bis in die innersten Tiefen durchdringt, der das liebliche Leben in Kreatur und Baum erregt, der in den Seelen zittert, daß sie verehren und anbeten und sich selber lieben, dieser dein Geist erschüttert mich vor allen übrigen gewaltsamer, ein ewiges Entzücken der Wonne bewegt und zerstört und erhält Baum und Zweig meines Daseins, Liebe zu dir und brüderliche Freundschaft, mein Raffael Sanzius ist das Geräusch aller seiner Blätter.

Ich mag dich jetzt mit Worten nicht nennen, du, den alle Gedanken meinen, zu dem die Geister streben, wenn sie es gleich nicht wissen und merken, du letzter Urquell, großes Meer, Unendlichkeit des Lebens! Aber du verzeihst es mir gewiß, wenn ich mit meiner höchsten Liebe ein inwohnendes Bild meiner Seele umfange, wenn ich vor der allerliebsten Gestalt demütig kniee, wenn ich ihr einen menschlichen Namen gebe, und gern gestehe, daß ich das Entsetzen des Gefühls, mit dem ich dich nur denken kann, fürchte, daß ich das Zermalmen des Entzückens, die Last der Wonne, die mich im Tempel wohl zuweilen faßt und niederdrückt, nur in seltenen, geheimnisreichen Stunden zu suchen wage. Du bist es ja doch, den wir mit allen Entzückungen meinen, und daß ich es kindlich und doch kühnlich sage, so hast du deinen Sohn in die Welt geschickt, um unsre Liebe, unsre Huldigung verkleidet zu empfangen, und es freut dich auch, dich in tausend andern Vorstellungen verehrt zu sehn, und darum erregst du in den Seelen guter Menschen die Bilder wohl selbst, in denen sie dich anbeten.

Darum will ich auch an dir, mein Raffael, immer fester hangen. Ich sehe dein ganzes Leben und Wirken vor mir, meine Stunden sind mir fast nur geschenkt, mich der deinigen zu erinnern. Ich verwundere mich immer von neuem, wie du wohl magst in das gewöhnliche Leben hineingeschaut haben, wie dir alle Ärmlichkeiten, alle wilden Verwirrungen, alles kleinliche [273] Interesse vorgekommen ist. Wie du mitleidig gelächelt hast, und dir an deinen Brüdern doch nichts fremd und nichts verächtlich war.

Wenn ich in trüben Stunden verzagen will und die Welt mir unglückselig dünkt, wenn nichts mich dann aufrichtet, und ich mich aller Freunde erinnere, die ich verlor, wenn meine Seele sich in Bangigkeit zusammenkrümmt, und ich ohne Hoffnung die Arme nach einem Troste ausstrecke: dann rufe ich deinen Namen Raffael aus, wie den eines Schutzgeistes, nach dir schreie ich dann um Hülfe, und milder Sonnenschein verbreitet sich über die dunkle Erde, die Blumen, die süßen Frühlingsverkünder keimen hervor, du schickst ein Heer von Engelsgestalten in mein empörtes Gemüt, und alle Wellen legen sich wieder zur Ruhe nieder.

Mit dem Frieden, der mich beseligt, umfange ich dann zuerst dich selbst. Mit allen Kräften strebe ich zu dir hinan, ich möchte dich mit meinen innigsten Gedanken in meine Sphäre ziehn, ich weine, daß du in der Ferne bleibst. Zuweilen glaub ich und hoffe, du müßtest gewiß sichtbar aus der leeren Luft heraustreten, daß ich dich fassen, festhalten und dir alles sagen könnte. Vielleicht daß du mich in diesen Minuten der Begeisterung umschwebst, und deine Geisterhand mein armes dürstendes Herz berührt. Ich glaube, daß es so ist und so sein muß, daß unsre Liebe die verwandten Geister aus ihrer seligen Ruhe hinunterzieht. So bewahrt mich deine Gegenwart vor dem irdischen Tun und Treiben.

Wie der Abendwind durch die Harfensaiten geht, so daß sie leise und doch vernehmlich klingen, rührend und wehmütig ohne Melodie, so fliegt dein Geist im kühlen Gehölz, am murmelnden Bache oft meiner Seele vorüber, und ich fasse dann nicht, und weiß nicht, welche plötzliche Erquickung wie ein goldener Funke durch meinen Busen geht. Neue Lebenslust strömt, ein reiner frischer Quell durch mein Gemüt, er rieselt fort, und nimmt auf seinen Wogen alle Gestalten der Sorge mit sich, alle trübe Vergangenheit und eine kristallene Zukunft wird der Lethe, der mir den Becher der Vergessenheit ermunternd gibt.

[274] Wunderbar hast du mich durch deine Kunst an dich gerissen, und seitdem lieb ich jedes neue Wort, das ich von dir erfahren kann. Wie groß erscheinen mir die Menschen, die, von der Not ihrer Mitbrüder gerührt, ihre Habe, ihr Besitztum nicht achten, sondern alles gern dahingeben, um die Tränen der Dürftigkeit zu trocknen, um den Hunger, den Durst der Unglückseligen zu stillen! Oh, wie betrübt ist es, in das Elend, in die irdische Not hineinzuschauen, wie vielen jedes andre Glück mangelt, und der Bissen Brot ihr einziges, ihr höchstes Glück ist! So wie sich dort die Hungrigen versammeln, so stehn, du größter Raffael, die edleren Seelen um dich, und flehen dich um milde Gabe an, ihre herzliche Sehnsucht, ihre schönsten Wünsche sollst du erfüllen und befriedigen, sie ahnden, sie möchten es erhaschen, das überirdische Gefühl, die schönsten Augenblicke, die schon dem Himmelsleben angehören. Und du, Unbegreiflicher, stehst nun mit reichem Segen da, und gibst und gießest die goldene Schale aus. Du magst nichts sparen, nichts zurückbehalten, immer größere Wunder tun sich auf, immer lieblicher, immer gedrängter fahren die Engel herunter, und das Schlagen ihrer Flügel weht in feinen, melodischen Kreisen. Unschuldig stehst du in deiner Herrlichkeit, unbefangen, als empfingst, nicht als schenktest du. In allen Richtungen sendest du deine Strahlen aus, die Malerkunst hast du gewürdigt, dich in ihr zu offenbaren, dein unsterbliches Wesen und sie zugleich zu verklären. Alles, wonach du strebst, ist neu und schön und groß, aber du scheinst es nicht zu wissen, du überlässest dich dem Gefühl, du wirkst ohne Stolz das Göttlichste aus, und verwunderst dich nicht über deine Schöpfung. Wo deine gesegnete Hand verweilt, entsteht eine neue Welt, eine unbekannte, geheimnisreiche Schönheit. In dir selber glücklich, öffnest du voll Liebe die Arme, und empfängst jeden, der dich sucht, mit Himmelsspeise, mit Trost und Beruhigung und Wonne.

Wie bin ich zu schwach, dich zu lobpreisen! Wie unglückselig dünken mir diejenigen zu sein, die deine geweihten Hallen nur wie gemalte Wände besuchen, die dich mit den übrigen nennen, dich mit billiger Zunge loben und dich noch lieber meistern möchten!

[275] Darum bleibe auch jegliche Vergleichung von dir Raffael fern. Nur sei es mir vergönnt, deinen großen Bruder Buonarroti zu nennen. Er will nicht trösten und beruhigen, er strebt mit fortgesetzten Schritten nach einem und demselben Ziele, das er erreicht, ihm ist die Kunst sein Höchstes, sein Letztes, und er hat gewiß über dein wunderbares, unergründliches, von oben bewegtes Gemüt gelächelt.

Nur noch einen Mann unterstehe ich mich in deiner Gegenwart auszusprechen, den lieben deutschen Albrecht Dürer. Sein schönes Gemüt trieb ihn oft an, seinen Menschen, die er auf seine Weise liebte, das zu schenken, was du ihnen glorreich verleihst: aber man sieht es seinen Gaben an, daß er selber zu den Bittenden gehörte, die Erdensorgen wohnen verborgen in seinen Bildern, seine trüben Tage, seine Kunstsachen sind wie ein Fest, das ein Unglückseliger anstellt.

Durch alle Zeiten, Raffael, werde gepriesen, und erwecke einst einen würdigen Schüler, der das lauter und deutlicher verkündigen möge, was ich hier mit unbeholfener Zunge habe sagen wollen.

4. Das jüngste Gericht von Michael Angelo
IV. Das jüngste Gericht von Michael Angelo

Schon oft hatte ich mir vorgesetzt, etwas über das erhabene Werk dieses großen Mannes zu sagen, aber immer hat mich der Mut dazu wieder verlassen. Jetzt will ich es wagen, und nicht ohne sonderlichen Antrieb fange ich meine Worte an.

Wenn du, geliebter Leser, Stunden kennst, in denen die Natur wie mit einer freundlichen Glorie umzogen ist, in denen die Bäume wie größere Blumen vor dir stehn, und eine weihende Liebe ihre Mutterarme eng um die Erde schließt, wenn du dich dann erhaben und beseligt fühlst, und alles in einen süßen Klang zerrinnt, ein Widerhall vom Himmel herunter: dann geh in die [276] Hallen, die Raffaels Geist ausgeschmückt hat, dann bist du begeistert, die Worte zu vernehmen, die er dir sagt.

Oft aber verstummt die Poesie, vom Berge herab sieht das Auge den regen, ewigen Gang der Gewässer, ernst steht der Wald und rauscht, hinter ihm entwickelt sich das Gefilde, dahinter das unabsehbare Meer, zur Seite getürmte Felsen, der Himmel voll arbeitender Wolken, ein Heereszug, der auf eilender Wanderung begriffen ist: die Adler fliegen aus den Nestern, der Sturm läßt sich hören, wie ein ferner Donner vom Meer herüber; dann scheint die Welt mit allen Kräften zu ringen, kein Teil im Stillestande und unbeseelt. Aufgerichtet in Majestät steht die Natur vor uns, unser Auge haftet auf keinen Blumen, auf keinem schönen einzelnen Baume, sondern wir sehn die Kräfte der Welt sich mächtig offenbaren, alles wird zu einem großen Bilde, zu einer geheimnisvollen Allegorie, und mit dieser Empfindung tritt dann, geliebter Leser, vor Michael Angelos großes Gericht.

Was hat man nicht getadelt, und was gelobt! Aber bei dir, großer Buonarroti, muß man durchaus alles Vergleichen unterlassen, man muß in deiner Gegenwart die Liebe zu Raffael durchaus vergessen, denn die Erinnerung jener zartmenschlichen und himmlischen Bilder darf in dein großes Gemälde nicht hineinleuchten.

Michael Angelo und Dante sind die Verkündiger, die Verherrlicher der katholischen Religion, wenn du in ihnen Geschichte und Begebenheit suchst, so trittst du mit unbilliger Erwartung an ihre Werke. Dante singt in prophetischen, wunderbar verschlungenen Terzinen seine Dichtung, nirgend ein Stillestand, nirgend wo die Pracht der gewaltigen Verse aufhörte, immer tiefer wirst du in die geheimnisreiche Allegorie hineingeführt, hier findest du keine Nebensachen, keinen Ruheplatz, auf dem der Dichter stille steht, alle Kräfte spannen sich zum großen magischen Eindruck, aller Reiz ist vernachlässigt, die Erhabenheit nimmt dich in Empfang, die Wunder des Christentums, die mystischen Geheimnisse verschlingen dich in ihren unbegreiflichen Zirkeln, und nehmen dich mit sich fort.

[277] Eben solche Beschaffenheit hat es mit dem Gedicht des Buonarroti. Tritt mit dem heiligen Schauer in die Sestina hinein, und die erhabenen prophetischen Terzinen werden dich anreden, dein Geist wird himmelwärts fortgefühlt, kein Stillestand, keine Nebensache, kein Ruhepunkt, auf dem das Auge haften könnte. Die ganze Welt, Vergangenheit und Zukunft sind hier in eine übermenschlich kühne Dichtung zusammengedrängt. Die Erschaffung der Welt mit ihren großen Figuren, Gott Vater, Adam und Eva, Engel, der Verlust des Paradieses, die Prophetenzeit, die furchtbaren Gestalten, der entsetzliche Hesekiel, der unbegreiflich hohe Jesaias, die Sybillen, und nun das zukünftige hohe Gericht, die furchtbare Vertilgung der Erde, die Wiedergebärung der Toten, das Ende der Zeiten.

In den ewigen Bildern spiegelt sich Angelos Größe, seine wilde Grazie, seine furchtbare Schönheit. Alle Gestalten sind größer als die irdischen, alle bezeichnet der kühne Stempel, der sie von allen übrigen Bildern auf immer absondert, aber nirgend liegt so der tiefe allegorische Sinn verborgen, das Geheimnis der Religion, das im jüngsten Gerichte webt. Die Zukunft tut sich auf, alle Bilder, alle Kraft und Anstrengung ist gleichsam zu matt, zu gewöhnlich, Buonarroti ergreift hier das Mächtigste, das Ungeheuerste, sein Gemälde ist der Schluß aller Dichtung, aller religiösen Bilder, das Ende der Zeiten.

Darum ist es klein, mit dem großen Meister über den gewählten Gegenstand zu rechten, ungeziemend, bei diesem Bilde über Handlung zu sprechen, und wenigstens unbillig, wenn nicht ungerecht, die Symmetrie der Gruppen zu tadeln.

Wenn dein Auge alles mit einem Blicke hier überschauen könnte, so wäre es nicht dieser große allmächtige Gegenstand, es könnte dann keine Offenbarung der Zukunft sein, die Symmetrie der Gruppen aber macht die Übersicht nach einiger Zeit möglich, in ihnen liegt zugleich das Geheimnis der Allegorie, darum kann und soll das Bild auch keine Handlung darstellen, die in einem einzigen Augenblicke vorgeht.

[278] In allen Kunstwerken Michael Angelos ist das Streben zur Allegorie, dieses kalte große Ideal, von allem Reiz des Zufälligen und den Nebensachen entblößt, anzutreffen, in diesem großen Werke aber, eine seiner letzten Arbeiten, strebt alles hauptsächlich darnach hin, alles erhält nur durch die Allegorie Bedeutung und Würde. Von allem Irdischen entkleidet, sowohl Figuren als Gegenstand der Bildung, verlieren sich die gewöhnlichen Bedeutungen vom Schicklichen und Unschicklichen gänzlich.

Oben in Wolken sieht man Engel, die mit aller Anstrengung das Kreuz, die Martersäule aufrichten wollen. Man tadle hier nicht, und spreche von Unwahrscheinlichkeit, daß das Kreuz, das ein einziger trug, jetzt der Macht vieler Engel zu schwer ist; denn eben hier hat Angelo einen großen Sinn hineinlegen wollen. Die Sünden des Menschengeschlechts, die Martern des Erlösers geben ihm diese Schwere, es wird immer wieder niedergezogen, bis die Glorie des Allmächtigen vollendet ist, bis alle Seligen heraufgeschwebt, alle Sünder hinuntergestürzt sind, kann die Säule, das heilige Kreuz nicht aufgerichtet werden.

Christus spricht das Urteil, seine sanfte Mutter erschrickt, sie verbirgt sich und schmiegt sich an ihn, der Erlöser ist in heftiger Bewegung, soeben steht er auf, und das entsetzliche Urteil ertönt aus seinem Munde. Die Heiligen neben ihm, männliche und weibliche, sind in ihrer Seligkeit ruhig, sie sind sich ihres Glücks bewußt, aber doch ergreift sie der gewaltige Augenblick; Adam ist unter der Versammlung, einige Apostel erkennt man, die Märtyrer. Unter ihnen sieht man die Engel des Gerichts, die mit aller Macht in die Posaunen stoßen, um die Toten zum ewigen Leben aufzurufen: Schauder und Entsetzen ergreift den Beschauer, die mildeste Erhabenheit ist in ihnen dargestellt, sie dürfen, sie können nicht zierlich sein, Schönheit und Grazie würden dies Gemälde vernichten. Zur Seiten schweben selige Seelen auf, einigen entfällt das Leichentuch, die Sünden halten sie schwer zurück, aber sie streben und ringen mit vollem Andrange nach der Höhe. Die Allegorie regiert alle Figuren des Gemäldes, und alle Gestalten der Seligen sind noch von der schweren, irdischen [279] Sünde belastet. Darum muß eine Gestalt von Heiligen mit Rosenkränzen in die Höhe gezogen werden: das Gebet wirkt, die Sünden sind ihr vergeben. Wer keinen Sinn dafür hat, wie wundersam die Allegorie oft das Gemeine in das Erhabene verwandeln kann, wird diesen Umstand seines Tadels vorzüglich würdig finden. Gegenüber die Verdammten, von bösen Engeln in den Abgrund hinuntergerissen. Entsetzen und kalte Verzweiflung, das Wildeste und Greulichste ist hier mit einer Kraft der Phantasie dargestellt, daß man den großen Sterblichen nicht genug bewundern kann, der diesen Stoff mit der Ruhe beherrschte, und alles zu seinem erhabenen Zwecke hinausführte.

Unten erstehn die Toten. In wunderlichen Stellungen kriechen sie aus der Erde, und sehn das Gericht; viele erschrecken, andre sind noch Gerippe, einige gestaltet, aber noch betäubt. Der alte Fährmann Charon ist unter ihnen, und treibt manche in seinen Kahn, der greuliche Minos vollzieht das Urteil. Man werfe nicht ein, daß hier Mythologie der Griechen mit christlicher Lehre vermischt sei, denn diese Bilder sind echt katholisch, und dürfen die Wirkung des Ganzen nicht stören; Michael Angelo ist es nicht allein, der die ehemaligen Götter der griechischen Nation einführt, manche Gedichte und Traditionen tun es auch, sie treten aber hier als Teufel auf, und der Sinn ist, daß die Gestalten, die die abgöttischen Heiden verehrten, böse, verdammte Geister waren, die sich verstellten, und so lange auf ihren Thronen herrschten, bis Christus ihr Reich zertrümmerte. Nun kommen sie im jüngsten Gerichte wieder, noch kenntlich, aber doch in einer andern furchtbaren, ihrer wahren Gestalt.

So ist mir dieses große Gemälde immer erschienen. Man sage nicht, daß der Maler die Stellungen gewählt, um seine Kenntnis des menschlichen Körpers, seine Gelehrsamkeit in den Muskeln zu zeigen, sondern alles muß drängen und streben, die höchste Kraft auszudrücken, Entsetzen, Furcht, Verzweiflung, Angst und Hoffnung beseelen jedwede Gestalt, jegliches Glied, selbst die Ruhe und das hohe Bewußtsein der Heiligen und Patriarchen ist Anstrengung und Kampf.

[280] Es ist süß, die Herrlichkeit der Religion labend aus den Händen des menschenfreundlichen Sanzius zu empfangen, seine Passion zu sehn, in der die Größe sich so lieblich spiegelt: – aber hier, vor Angelos gewaltigem Mauergemälde bebt Liebe und Hoffnung zurück, das Ende der Zeiten ist da, alle heiligen Geschichten, die frühen Zeiten derselben sind nur Einleitung und Vorbereitung zu diesem Augenblick, nach seiner Verfließung kann die Phantasie nichts ersinnen und erfinden, die sterbende Zeit regt sich mit allen Muskeln im fürchterlichen Kampfe, die Religion spricht das ernste, unwiderrufliche Urteil. –

Ich habe mit diesen Worten den gewaltigen Buonarroti nur gegen einige Unbilligkeiten rechtfertigen wollen, indem man diese hohen Gestalten zu oft wie irgendeine andre Historie beurteilt; wenn ich irrte, so irrte ich doch aus besserm Willen, als diejenigen kältern Menschen tun, die zu gern das Erhabene schmälern, um einen andern Liebling desto ruhiger Recht widerfahren zu lassen; oder wir irrten vielmehr aus gleichen Gründen, aus verzeihlicher Vorliebe, und Gott und die Kunst mag uns verzeihen.

5. Die Peterskirche
V. Die Peterskirche

Erhabenes Wunder der Welt! Mein Geist erhebt sich in heiliger Trunkenheit, wenn ich deine unermeßliche Pracht anstaune! Du erweckest mit deiner stummen Unendlichkeit Gedanken auf Gedanken, und lässest das bewundernde Gemüt nimmer in Ruhe kommen.

Ein ganzes Jahrhundert hat gesammelt an deiner steinernen Größe, und auf zahllosen Menschenleben bist du emporgestiegen zu dieser Höhe! –

In nackten Steinbrüchen ist euer Vaterland, ihr mächtigen Mauern und Säulen! Manche grobe Hand hat dort für kümmerlichen Lohn der trotzigen rohen Natur ihre Marmorfelsen abgezwungen, [281] unbekümmert, was jemals aus dem unförmlichen Klumpen würde; nur sein Eisen, sein Werkzeug war täglich des Arbeiters einziger Gedanke, bis er es einst zum letzten Male in die Hand nahm und starb.

Wie mancher, den nichts anders auf der Welt kümmerte, als diese Steine, einen fest auf den anderen zu schichten für einen geringen Lohn, ist darüber von der Erde gegangen! Wie mancher, dessen Geschäft es war, diese Säulen und Gebälke mit allen kleinen Zierden in freien, reinen Linien auszuhauen, und der innerlich recht stolz sein mochte auf einen schönen Säulenknauf, der sich jetzt in dem unendlichen Ganzen verliert, hat sein Auge geschlossen, und kein Auge der Welt vielleicht hat den Säulenknauf wieder achtsam betrachtet, nach dem letzten Male da er ihn mit Freuden ansah.

Eine ganze Reihe von Meistern der Baukunst sind an der Schöpfung dieses Kolosses vorübergegangen: sie waren es, die durch Zeichnungen und Modelle von kleinem Umfange alle die hundert groben Hände regierten, und alle die unförmlichen Kinder der Felsen zu schönen Gestalten zusammenzauberten, und der eine größeste der Meister war es, der durch ein dürres Zahlengewebe und krumme Linien auf geringem Papier der ungeheuren Kuppel das Gesetz vorschrieb, die Last der Mauern kühn zu besteigen, und sich hoch in Lüften hängend zu erhalten.

Und auch eine ganze Reihe der Statthalter des heiligen Stuhls, welche durch armselige kleine Metallstücke, die sie von ihren toten, stillen Schatzkammern in die Welt streuten, wie durch elektrische Funken aus der schlafenden Kraft der groben Hände, der schlafenden Kunst der Steinarbeiter den schönträumenden Geistern der Architekten, eine vereinigte, sichtbare Wirklichkeit ans Tageslicht zogen, – welche, durch die millionenmal wiederholte elende Einförmigkeit dieser bedeutungslosen Metallstücke, ein so geistreiches Wunderwerk von so unerschöpflicher Schönheit und Erhabenheit für die Welt und die menschliche Würde eintauschten: – auch diese sind längst von ihrem glänzenden Stuhle aufgestanden, und haben ihren heiligen Fuß demütig in [282] eben das dunkle Land gesetzt, wohin die Millionen, die sie als Gottes Statthalter anbeteten, eingegangen sind.

Wie mannigfache menschliche Spuren reden aus allen deinen Steinen hervor! Wie viele Leben sind an deiner Schöpfung zerschellt! Und du stehst, ein unsterblicher Bau, stützest dich auf deinen starken Mauern, und siehst unerschrocken hinaus in lange Jahrhunderte. –

Die tausend einzelnen Steine der Felsen, die unförmlichen Massen, die verstümmelten Gliedern glichen, haben sich zu schlanken Säulen vereinigt, deren erhabene Gestalt das Auge mit liebevollen Blicken umschlingt, oder zur Kuppel, an deren sanften, mächtigen Wölbung der Blick jauchzend hinaufschwebt. Verschwunden sind die unzähligen verstümmelten Glieder: es steht ein Ganzes von Mauern und Säulen da, als wäre es beim Bau der Welt von Riesen aus reichem Tone gebildet, oder aus zerschmelzten Felsen in ungeheuren Formen gegossen. – Und die erstaunenswürdige Wirklichkeit dieses unglaublichen Traums, welche die Einbildungskraft erschreckt, worauf beruht sie, als auf ein paar flüchtigen Worten und Federstrichen jener dreifach bekrönten Häupter?

Doch du prangst in deinem Dasein, und hast nichts mehr an dir von deinem Ursprunge. Menschen erschufen dich, und du bist höherer Natur als das Geschlecht deiner Schöpfer, lässest die sterblichen Scharen langer Jahrhunderte niederknieen unter deinem Dome und umhüllst sie mit der Gottheit, die ewig aus deinen Mauern spricht.

Wohl dem vergänglichen Menschen, daß er Unvergänglichkeit zu schaffen vermag! Wohl dem Schwachen und Unheiligen, daß er erhabene Heiligkeit gebären kann, wovor er selber niederkniet! Unter dem Himmel der frommen Kunst treibt die sterbliche Zeugungskraft eine goldene Frucht, edler als Stamm und Wurzel, hervor; die Wurzel mag vergehen, die goldene Frucht verschließt göttliche Kräfte. – Die Menschen sind nur die Pforten, durch welche seit der Erschaffung der Welt die göttlichen Kräfte zur Erde gelangen, und in der Religion und dauernden Kunst uns sichtbar erscheinen.

[283] Ein herrlich – kühner Gedanke ist es, die Formen der Schönheit, die uns in kleinen vergänglichen Werken gefallen, in gewaltigen Räumen, majestätisch, mit Felsen für die Ewigkeit aufzuführen. Eine sehr edle Kunst, die, alle menschliche Gestalt und Sprache verachtend, denen die sämtlichen übrigen Künste dienstbar sind, allein darauf stolz ist, ein mächtig großes, sinnliches Bild der schönen Regelmäßigkeit, der Festigkeit und Zweckmäßigkeit, dieser Angeltugenden, und allgemeinen Ur – und Musterbilder in der menschlichen Seele, vor unser Auge zu stellen. Ihre Werke sind (gleich der harmonischen Wissenschaft der Weisheit in der Seele des Weisen,) ein fest in sich verbundener schöner Zusammenhang von tragenden und getragenen Massen, von kühn hinanstrebenden Säulen und Wänden, und von schützenden, ruhig schwebenden und herabsehenden Decken und Gewölben. Frei unter Gottes Himmel stehn ihre Werke, und wurzeln unmittelbar in dem Erdenrund, dem Schauplatze aller Dinge; sie lassen sich nicht, wie die Werke der andern Künste, mit Händen regieren, das Geschlecht, das sie hervorbrachte, geht in sie hinein, fühlt sich von ihnen umschlossen, und sie sind die edlen Gefäße, die alle andre Kunst und Wissenschaft, ja die edelste Tätigkeit der Welt, in ihren Räumen bewahren.

Was können sie Größeres bewahren und umschließen, als das Streben des Menschen nach der Gottheit? Oh, da müssen sich ihre Mauern erweitern, und ihre Kuppeln erheben, soweit sie vermögen, um einen mächtigen Raum zu umspannen, um viele, viele Kinder der Erde in einen mütterlichen Schoß zu sammeln, auf daß die einsam umherirrende Andacht von Tausenden, unter dieser Wölbung versammelt und von der ewigen Umarmung dieser heiligen Mauern umfangen, zu einer vereinigten Flamme zusammenbrenne, und die Gottheit ein würdiges Opfer empfange. Zahllose Menschen der Vergangenheit haben diese heiligen Mauern zur Andacht geweiht, und zahllose der Zukunft erwarten sie sehnlich in ihre Arme zu schließen.

Ich höre sie wohl, die vernünftigen Weisen, die spotten und sprechen: »Was soll der Welt die tote, unfruchtbare Pracht? Im [284] engen, ungeschmückten Raume betet der Mensch so fromm, – und viele Dürftige, nebst Witwen und Waisen, hätten wir gespeiset und gekleidet von diesen steinernen Schätzen.« – Ich weiß es wohl, daß man der Kunst und auch der Religion es bitter verarget, wenn sie in reicher, königlicher Pracht sich vor der Welt erheben. Es mögen dies sehr festgegründete Gedanken der menschlichen Vernunft sein, aber doch sind es nicht die Gedanken der schaffenden Vorsicht.

Nach einem durch menschliche Vernunft berechneten Gleichmaße und einer strengen, geistigen Ordnung der Dinge, wollen die Weisen unsre Erde neu erschaffen. Aber was ist die Erde, als ein uns hörbarer Laut aus der verborgenen Harmonie der Sphären? – ein uns sichtbarer flüchtiger Blitz aus den verborgenen dunkeln Wolken des Weltalls? – Und was sind wir? – – Jenes gewaltsame Auf – und Niederwallen der irdischen Dinge, – daß sich das Hohe zum Hohen gesellt, und die Flächen und Tiefen verwahrlost vergehen, – erscheint mir nicht anders als der eigentümliche, geheimnisvolle Pulsschlag, das furchtbare, unverständliche Atemholen des Erdgeschöpfs. Wenn die Erde große und erhabene Dinge zum wirklichen, körperlichen Dasein bringen will, so bleibt ihr Streben immer irdisch, und sie kennt für Größe und Erhabenheit keine würdigere Gefährten, als irdische Schätze. – So hat auch selbst die leblose Natur, recht im irdischen Sinne, die wunderbare Schönheit ihrer Gebirge noch mit dem unterirdischen Überflusse der kostbaren Metalle verschwenderisch belohnt, indes endlose Wüsteneien unter ihrer kargen Hand verschmachten.

Drum schweige, menschlicher Witz, und laßt euch bezaubern, ihr frommen Sinnen, von der erhaben – übermütigen Pracht. – –

Aber ach! selbst dieses Wunder der Welt, wie verschwindet es in der kleinen Unendlichkeit der Dinge dieser Erde! – Es schrumpft zusammen, wenn das Auge sich eine kurze Spanne entfernt, und ist nicht da für alle übrige Welt. Ganze Weltteile haben nie davon gehört, und selbst Tausende, die es sehen, haben an wichtigere Dinge zu denken, und gehen gleichgültig vorüber.

[285]
6. Watteaus Gemälde
VI. Watteaus Gemälde

Oft hör' ich die Bewunderer der großen Meister von diesem Künstler mit einer gewissen Verachtung sprechen, und jedesmal tut es mir weh, weil ich mich an seinen Gemälden oft so innig ergötzt habe. Ich gestehe, daß keine Heiligkeit, keine Größe um diese Gebilde eines fröhlichen Gemüts strahlt, daß keine Begeisterung, kein Streben nach dem Himmel aus dieser gemalten, leichten Tanzmusik spricht. Aber niemals habe ich so hart sein können, mich vor dem Lieblichsten aus unserm gewöhnlichen Leben zu verschließen, das Reizendste der Existenz von tausend und tausend Menschen nicht zu fühlen.

Denn so wie Raffael in der heiligen Geschichte waltet, wie er uns Engel und den Erlöser offenbart und seine himmlischen Entzückungen durch das sanfte Werk seiner Hände verkündet, wie ein Himmelodem und Gesang der Cherubim durch seine Dichtungen weht und klingt, so nahm dieser Künstler, dem Ohr und Geist für Himmelstöne verschlossen war, die gewöhnlichste Menschheit gern und liebevoll in sich auf. Man verzeihe mir, daß ich diese beiden Namen nebeneinander nenne. Soll es unerlaubt sein, die gewöhnlichen Ergötzungen, die heitern Stunden des frischen, sinnlichen Genusses, die zierlichen, leichten Gestalten aufzufassen und verschönert darzustellen? – Mich dünkt, der Geist des Menschen ist wunderbar reich, er umfaßt die Gegenstände, die an beiden Enden ruhn, mit seinen Armen ohne Anstrengung, das Getrennteste liegt immer nicht so fern, als wir im ersten Augenblicke wähnen.

So, geliebter Leser, dringen Klänge irdisch zu dir empor, wenn Tanzmusik deinen Fuß beflügelt, und du unwillkürlich und lächelnd den Tönen innerlich nachgehst, so führen sie dich in ein Land voll flüchtiger Gestalten, das dir ganz naheliegt, dann kommen froh durchlebte Augenblicke in dein Gemüt zurück, dann tritt vor Watteaus Gemälde.

[286] Hier siehst du das trauliche Geschwätz der Liebe, die angenehmen Abenteuer, das Begegnen der glänzenden Augen. Bunte, flatternde Gewänder, tolle und possierliche Masken sind in allgemeiner Fröhlichkeit gesellt, das Seltsamste der Gestalten kühn unter die gewöhnlichen Figuren gemischt. Tänze drehen sich herum, eine angenehme Verwirrung nimmt den Blick gefangen. Dort horchen Liebende auf die Töne der Zither, die ein frischer Jüngling aus dem Instrumente lächelnd schlägt, abseits sitzen Schöne gleichgültig, vorüber wandeln im gleichgültigen Gespräch durch die Gartenschatten zwei schöne Männer: sie sehn nur eben nach den Mädchen hin. So wie im Leben sich Verbindungen leise knüpfen, sich unmerklich Vorfälle entwickeln, so auch hier; man glaubt in andern Blättern diejenigen verschlungen, in Armen verstrickt, wiederzufinden, die hier so gleichgültig nebeneinander vorübergehn.

In andern Geschichten sieht man des Mädchens und des Jünglings Sehnsucht, im dunkeln schönen Gebüsch lauscht die mutwillige Horcherin. Wagen mit geputzten Gestalten kommen, andre gehn zurück. Wirst du auch hier nicht die große magnetische Anziehung des Idealischen gewahr, so mußt du doch diese Bilder ebenso wie das wirkliche Leben achten und dich ihrer ebenso erfreun.

Sonderbar ist es mir immer vorgekommen, daß der Künstler, der diese Gebilde um sich herspringen und tanzen ließ, selber verdrossen und menschenfeindlich war. Er zog sich ganz in seine eigne Farbenwelt zurück, seine Phantasie ward heiter und fröhlich, sowie er den Pinsel ergriff. Ich habe ihm innerlich schon oft für seine Romanzen, für seine Tanzlieder Dank gesagt, für seine allerliebsten Weingesänge; ich habe oft nach Betrachtung seiner Gemälde die Regung des Lebens um mich lieblicher gefühlt. Aber aus größern Ursachen ist es auch wohl gut, wenn wir das Hohe der Kunst innigst fühlen, und mit dem Geiste des Erhabenen geläutert werden, zuweilen wieder durch lustige Geister in die nähere Umgebung rückgerufen zu sein.

[287]
7. Über die Kinderfiguren auf den Raffaelschen Bildern
VII. Über die Kinderfiguren auf den Raffaelschen Bildern

Wie wundervoll und schön ist es, sich oft mit allen Gedanken in der nächsten Gegenwart zu verlieren, und das Treiben des geheimnisvollen Lebens so recht eigentlich zu merken und zu spüren! Wir werden uns dann selbst zurückgegeben, und treffen süße Gefühle und Ahndungen wieder an, die uns vielleicht schon seit der Kindheit verließen.

So geht es uns zu mancher Zeit, wenn wir die unmündige Menschheit betrachten, wenn wir unsern Blick einmal recht eigentlich auf diese verschlossenen Knospen heften, in deren unbefangenem Lächeln, in ihren süßen heitern Augen, die jammervolle Zukunft schläft; die sich so innig genießen, und nichts weiter zu wissen streben. Wenn wir der Kinder holdseliges Angesicht betrachten, so vergessen wir gern und leicht die Verwickelungen der Welt, das Auge vertieft sich in den wunderbaren reinen Zügen, und wie Propheten einer schönen Zukunft, wie zarte Pflanzen, die unerklärlich aus der längst entflohenen goldenen Zeit zurückgekommen sind, stehn die Kinder um uns. Wir wissen uns nicht darin zu finden, daß diese Gestalten mit uns um den Bronn des Lebens sitzen, und noch nichts tun, als sich selber darin beschauen. Wir sehn mit ihnen hinab, und können uns nicht genug darüber verwundern, daß das das Leben sei. So kömmt denn in unsre Seele die Erinnerung der himmelsüßen Unschuld, immer tiefer, ernster und heiterer schauen wir in das spiegelnde Gewässer hinab, und glauben am Ende nichts wahrzunehmen als uns, und über unserm Haupte die lichten Wolken, wie im Begriff, als Glorie herunterzusteigen und uns mit Strahlen zu umflechten.

Wie durch den dichten Wald oft wunderliche Töne laufen, die wir niemals finden, so gibt es feine Seelen von Gedanken, wie ich sie nennen möchte, die niemals in uns wohnhaft werden, die uns nur wie aus der Ferne grüßen und locken, wir wenden Sinn und Geist darnach, und haschen und erringen sie nie, oft gewahren [288] wir sie nur wie ein fortschwebendes Gebilde, wie unstete Erinnerung. Je älter sich der Mensch in seine irdische Hülle hineinlebt, um so mehr gewöhnt er sich an alle Erscheinungen in und außer ihm, er zieht sich immer mehr in das Dunkelste des Erdenlebens zurück, und meint dann, er bewohne die Klarheit; es flimmert und blitzt nur selten mehr in seine Seele von oben hinein, und wenn er auch die wunderseltsamen, heilverkündenden Lichter gewahrt, so hält er sie nur allzugern für Täuschung.

Dieser Ätherschimmer, diese Erinnerungen der Engelswelt leben und regen sich noch hell und frisch im Kindergeiste, der dunkle Schatten der Erdgegenstände ist noch nicht verfinsternd in den Glanz hineingerückt, die irdischen Geschäfte, die hiesigen Leidenschaften und Entwürfe, diese träge Liebe und dieser wilde Haß, alles liegt noch weit zurück, wie eine unkenntliche Verzerrung: und darum stehn die Kindlein wie große Propheten unter uns, die uns in verklärter Sprache predigen, die wir nicht verstehn. Zu oft suchen wir mühsam im Kindesantlitz den künftigen Mann, aber schöner und erfreulicher ist es, im Manne die Spuren seiner Kindheit aufzusuchen, und die Glücklichsten sind die zu nennen, in denen der Stempel sich am wenigsten verwischt hat. Denn sind die Menschen nicht verdorbene, ungeratene Kinder? Sie sind nicht vorwärts, sondern zurückgegangen; das Kind ist die schöne Menschheit selbst.

Diese Kinder, wie ich sie hier beschrieben habe, hast du, o Raffael! uns dargestellt. Du hast es nicht der Mühe wert gehalten, das eigentliche unverständige Kindische nachzuahmen, wie die Geschicklichkeit andrer Maler getan hat, und man hat dich nur zu oft darum getadelt. Ich spreche hier nicht vom Erlöser, von den Engeln, die unsre Anbetung auf seinen Bildern fordern, auch in fröhlichen Aufzügen, auf Instrumenten spielend, im Scherzen hingegeben, finden wir auf seinen Bildern Kinder, die mit ihrer Weisheit, mit ihrem hohen, geheimnisvollen Ernst die umstehenden Greise beschämen, zu denen wir gleichsam hinauf blicken, um Rat zu fragen, wie das irdische Leben zu führen sei. – Sie sind so wahrhaft ernst und erhaben, weil sie den [289] Ernst, die Erhabenheit noch nicht kennen, die wir Erwachsenen nur immer so zu nennen pflegen; weil sie dem Quell des Glanzes noch so nahestehn, der immer dunkler sich entfernt, je mehr das Leben in die Jahre rückt.

Alle Welt braucht den Ausdruck kindisch, und tadelt stets damit. – O Raffael, welchen erhabenen Wink hast du uns gegeben! wie groß sprichst du dies Wort aus und unterweisest uns! Aber sie haben dich so wenig wie den Erlöser gehört, der auch wie du zu uns sagte: »Lasset die Kindlein zu mir kommen, und wehret ihnen nicht, denn ihrer ist das Reich Gottes«; und wieder: »Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht werdet, wie dieser einer, so werdet ihr nicht das Reich Gottes schauen!«

Mit diesen großen Worten will ich am liebsten meine Betrachtung schließen.

8. Ein paar Worte über Billigkeit, Mäßigkeit und Toleranz
VIII. Ein paar Worte über Billigkeit, Mäßigkeit und Toleranz

Viele werden es mir übel deuten und mitleidig lächeln, daß ich immer wieder auf Raffael zurückkomme, und mich in meinen Worten über ihn nicht mehr zu mäßigen trachte. Sie werden mich tadeln, daß ich stets von ihm so ohne alle Einschränkung spreche, nicht eine billige Begeisterung abmesse, und auch den übrigen ihr Recht widerfahren lasse. Ohne daß ich seinen Namen suche, fällt er mir bei, wenn von der Kunst der Malerei die Rede ist; er dient mir zum festen Maßstabe alles Großen und Schönen, zum erläuternden Bilde.

Wer vom Erhabenen gerührt wird, wem sich die Wunder des Schönen aufschließen, dessen ganze Seele wird durch den Enthusiasmus fest hineinverwachsen, und ihm wird es unmöglich sein, sich mit kalten, abgemessenen Lobsprüchen zu begnügen. Können wir denn die Göttlichkeit der Kunst, das Höchste, was die menschliche Seele hervorbringen kann, nach [290] der Elle des Kaufmanns messen, oder nach Goldgewichten abwägen? Die wahre Schöne, die Größe der Kunst ist unergründlich, sie zieht unser Herz, wo wir sie wahrnehmen, magnetisch an sich, wir fühlen bis in die innersten Tiefen unsre ewige Verwandtschaft, es zuckt wie mit Blitzesschlägen durch unsern Geist, wir erkennen das Göttliche, und ringen im schönsten Kampfe darnach, wir streben ein Zeichen von uns zu geben, eine Vergeltung, ein Band, das unzerreißbar die verwandte Erhabenheit an uns ketten soll, und so ergießt sich unsre Sprache in begeisterter Rede, weil wir dermalen noch durch Organe uns kundgeben müssen, und die Kraft der Seele nicht unmittelbar zu den goldenen Ätherbildern emporsteigen kann.

Der Enthusiasmus (von dem falschen, erheuchelten darf ich hier nicht sprechen) ist kein Lobpreisen des fremden Geistes, sondern ein schönes Bekenntnis unsrer eignen Größe, von der echten Kunst sollte nie ohne Enthusiasmus gesprochen werden. Auf ähnliche Weise, wenn wir die Naturkräfte um uns her wirken fühlen, wenn die wohltätige, majestätische Sonne aufgeht, und rings die Geister schaffend durch die tausendfältigen Naturen dringen, und wir vom Berge her, vom Tal herauf das verwandte Leben, die freundlichen Kräfte vernehmen und fühlen, uns im Einklange mit der sichtbaren und unsichtbaren Welt, so sprechen wir gern diese Wonne aus, wir möchten ein Andenken an das hohe Bewußtsein unsrer selbst stiften, und so entsteht das Gebet, der Gedanke an Gott. Wem das glühende Gefühl einmal so weit den Busen dehnt, wer wird da noch seine Worte meistern und zählen, wer denkt daran, in seinem Hymnus auf den Höchsten sich zu mäßigen, und Kreaturen außer jenem ihr Recht widerfahren zu lassen?

Ich komme von meiner Vergleichung, die mir nicht so kühn dünkt, als sie den meisten erscheinen wird, zurück. Gar viele Leute meinen immer, ihr eignes Verdienst, oder ein andres, das sie meist selbst nicht deutlich denken, werde geschmälert, wenn man irgendeins als das Höchste, Vortrefflichste, Vollendetste lobpreist. Als wenn nicht jedes Große und Schöne in einer eignen [291] Welt, in eignen Elementen lebte, sich durch sich selbst ernährt und erhält. Keine feindselige Gewalt kann hier hereinbrechen und zerstören, ewig begründet wie die Welt, auf sich selber ruhend, undurchdringlich, bewegt sich jede Schönheit in ihren eignen Kreisen, und jeder, der es versuchte, nicht wagte zu verfolgen, erscheint so albern und mitleidswürdig, nicht hassenswert, als der es unternimmt, mit schwacher Zunge Gott zu lästern. Es ist kein Wagestück, es ist ein Verkennen seiner selbst.

Aber sie fühlen es, die meisten, wie ihr zu irdischer Busen nicht dafür gebaut ist, die glorreiche Flamme des Enthusiasmus zu beherbergen. Sie erschrecken vor dem Gefühl, wenn sie es nur aus der Ferne auf sich zukommen sehn, denn die Torheiten, die Albernheiten, ihre gemeine Freude ist im Begriff zu entschwinden, alles, was ihnen wert ist, wovor sie eine heilige, ehrende Furcht hegen, will sie verlassen, das Glück der Häuslichkeit, ihr kleiner Stolz auf ihre Vortrefflichkeit. Ein Wasser, das sie nur als Quell dulden, breitet sich in ein großes, glänzendes Meer aus, und will sie und all ihr Wissen verschlingen. Da retten sie sich gern und ihre Armut, und gestehn lieber ihre Dürftigkeit, daß sie zu schwach sind, den Gott zu beherbergen, daß es ihnen leid tue, daß er sich nicht mit der kläglichen Ehre und Genugtuung begnügen wolle, die sie ihren andern Götzen mit Selbstzufriedenheit gern bringen. Darum verlästern sie die Begeisterung, weil sie ihnen Verfolgung dünkt, sie holen die Bilder ihrer Lieblinge, ihrer Künstler, die vor dem Angesichte der hohen Kunst vernichtet werden, und stellen sie als Mauern und Schanzen um sich her. Die Feinde wollen unsern Gottesdienst zerstören! unser Heiligstes uns entreißen! So entsteht ein Geschrei, und alle versammelt der blinde Lärm, denn niemand achtet ihrer, die Kunst fährt mit ihren Lieblingen auf einem Triumphwagen vorüber, und lächelt über die Waffenrüstungen, über die vermeintliche Not, über den eingebildeten Religionskrieg der Ohnmächtigen.

Andre sind, die sich überaus weise dünken, weil sie an sich selbst blutarme Erfahrungen gemacht haben. Sie führen ein Leben, wie einen Traum, es fängt an, es endet ohne Ursache und [292] hat keinen Mittelpunkt. Sie werden hin- und hergetrieben, bald von Laune, bald von kleinlicher Leidenschaft regiert. Sie hören von der Größe, von den Heroen, von der Poesie, und meinen, alles sei dieselbe Torheit, die sie treiben, nur daß sie dergleichen Schwachheit noch an sich selber nicht erlebt haben. Es fügt sich wohl, daß eine Liebhaberei an Gemälden, an Dichtern, den ersten besten, die sich finden, sie berührt: sie kommen in leidenschaftliche Hitze, sie zanken, streiten, und meinen sie bewundern, sie tauschen diese Torheit ohne Bedauern gegen eine andre, die ihnen die Welle auf dem Lebensstrome entgegenbringt. Unter ewigen unsteten Abwechslungen führen sie ihr Dasein, jeder erscheint ihnen ein Tor, der sich ein edles, festes Ziel setzen will, dem er trotz Wind und Wogen mutig entgegenrudert. Sie lächeln der Begeisterung, und sind versichert und schwören, daß diese Aufwallung noch heute und spätestens morgen vorübergehn werde, daß man heute dieses hitzig lobe, und morgen das, was man in dieser Stunde verachte. Diese rechnen uns immer ihr Ungefühl für Billigkeit und Mäßigkeit an: sie meinen die Welt und alles darin von gar vielen Seiten zu betrachten, wenn sie sich mit blinden Augen dem spielenden Zufalle überlassen, und bald hier, bald dort in einer leeren Gegenwart mit allen ihren Wünschen ankern.

Was soll ich aber von jenen sagen, die mir immer am verdrießlichsten gefallen sind und die meiste Langeweile erregt haben? – Die als Knaben mit unnützer Hitze und wilder Eitelkeit über Kunst und Wissen fielen und alles wie Blumen pflückten und rissen, um sich damit zu putzen; die als Jünglinge noch Knaben blieben, und sich bald mutlos dem Eigennutze, der Sorge für ihre dürftige Wohlfahrt überließen, die sie ihr Schicksal, ihr Verhängnis nannten? – Immer tiefer in das Leben hineingelebt, fällt es wie Mauern hinter jedem ihrer Schritte, den sie zurückgelegt haben; sie sehn auch nur vorwärts, ihrem Gewinne, ihren Titeln, ihrer Ehrerbietung entgegen, die ihnen andre bezeigen, immer enger wird ihr Weg zu beiden Seiten, immer mehr schrumpft ihr Herz zusammen, und das, woran sie leiden, ist ihr Stolz, ihre [293] Krankheit ist ihr Glück, die sie Erfahrung und Weisheit nennen. Sie billigen mit einschränkendem Bedauern die Begeisterung, weil sie sie für das Jünglingsfeuer halten, an dem sie sich als Kinder auch verbrannten, um sich nachher desto mehr davor zu hüten: sie behandeln den Enthusiasten gern wie einen jüngern unmündigen Bruder, und sagen ihm, wie mit den Jahren alles, alles schwindet, und wie er dann das eigentliche Leben, die eigentliche Wahrheit kennenlernt. So unterweist der Schmetterling den Adler, und will, daß er sich doch auch einmal, wie er getan, einspinnen soll, und dem Fluge und der tändelnden Jugend ein Ende machen.

So wahr ist es, daß viele in der Unerfahrenheit der Jugend noch am besten sind, daß die Klugheit der Jahre sie erst mit dem dichtesten Nebel überhängt, und daß sie dann den Glanz der Sonne leugnen.

Wie aber lobst du, Unmündiger, deine schwachen Götter, wenn du alle preisest? Nenne das Wort Toleranz nicht, denn du verstehst es nicht: Du verfolgst, entwürdigst das Höchste, um nur das Unbedeutende, Flache und Schlechte dulden zu können, du verdammst den Heiland und bittest für den Schächer.

Tolerant und duldend ist der, der die Kunst mit wahrem Enthusiasmus liebt, er will, daß alles nach seinem Maße in seinem Kreise ein eignes Leben führe, sogar das Alberne und Abgeschmackte, nur will er nicht, daß man das Gemeine an seine Götter reihe; ertragen will er alles, lieben und anbeten aber nur das Höchste.

9. Die Farben
IX. Die Farben

Sooft ich in die wunderbare Welt hineinblicke, und mir vorstelle, ich schaute sie zum erstenmale an, so verwundre ich mich jedesmal über die unendliche Mannigfaltigkeit der Formen, über die verschiedenartigen Gebärden, die jedes andre Wesen unter den [294] übrigen macht. Wie alles Lebendige und Leblose, Kreatur, Fels, Baum, Gesträuch, sich mannigfaltig bewegt und rührt, wie es in andrer Organisation dasteht und das wirkende Leben in ihm Zweige und Blätter hervortreibt, oder in Gliedern, in Flossen, in Flügeln auseinanderstrebt. Die Pflanzenwelt und das Steinreich hängt mit Seel und Leib unmittelbar mit der alles erzeugenden Erde zusammen. Die Menschen und das Tiergeschlecht machen einen für sich bestehenden Staat, sie erzeugen sich in ununterbrochener Folge durch sich selbst, sie rufen nur die übrige Natur in ihrer Existenz zur Hülfe.

Aber noch seltsamer fällt es mir auf, wenn ich die unterschiedlichen Farben betrachte, wodurch alle Gegenstände noch mehr getrennt, und denn gleichsam wieder verwandt und befreundet werden. Ein unbegreiflich geistiges Wesen zieht sich als freundliche Zugabe über alle sichtbaren Gegenstände, es ist nicht die Sache selbst und doch unzertrennlich. Wie wunderschön und bunt steht nun der grüne Wald mit seinen Bäumen, mit seinen heimlichen Blumen, mit seinen lebendigen Kreaturen und gefärbten Vögeln da! Der Sonnenschein irrt und funkelt hinein, leuchtet und betrachtet sich gefällig auf jedem Blatte, auf jedem Grashalm. Dabei kein stummes, einsames Schweigen: der ermunternde Wind zieht durch die Baumwipfel und rührt alle Blätter als ebenso viele Zungen an, der Baum schüttelt sich vor Freude, und wie in einer Harfe regen sich und rauschen unsichtbare Finger. Die jubelnden Vögelein werden zu Gesängen angefrischt, tausend Klänge und Stimmen irren und verwirren sich durcheinander und eifern mit Gesangesheftigkeit; das Wild verschweigt nicht seine Lust, aus den Wolken hernieder die Lerchen, dazu die Bächlein, die wie stille Seufzer des Entzückens auf der niedern Erde fortrollen, – welcher Geist, welche Freundschaft rührt die unsichtbaren, verborgenen Springfedern an, daß alles sich mit unermeßlicher Mannigfaltigkeit zu Gesang und Klang ergießt?

Wie soll ich aber den Glanz des Abend-, des Morgenrotes beschreiben! Wie den rätselhaften Mondschimmer und die widerspiegelnden [295] Gluten in Bach und Strom! Um Schmetterlinge, um Blumen spinnt sich der rote, blanke Glanz und bleibt fest, die Traube, die Kirsche werden vom weichen Abendrot befühlt und bespiegelt, und in dem grünen Laube hängen grell die roten Früchte. Beim Steigen, beim Sinken der Sonne, beim Schimmer des Mondes ist die Natur in einer raschen, unwillkürlichen Entzückung, in der sie noch freigebiger ist, noch weniger spart, und wie ein Pfau in stolzer Pracht allen Schmuck mit inniger Freude rauschend auseinanderschlägt. Unter den Tönen der Natur kann ich nichts als das Schmettern und Flöten der Nachtigall damit vergleichen, die einem Echo gegenüber singt.

So spreitet die ganze Natur dem Sonnenglanze Netze entgegen, um die funkelnden Schimmer festzuhalten und aufzufangen. So erscheint mir die Tulpe als vergängliche Mosaik von flimmernden Abendstrahlen, die Früchte saugen den Schein in sich, und bewahren ihn fröhlich auf, solange die Zeit es ihnen gönnt: wie die Bienen den Honig suchen, so wiegen sich Schmetterlinge in den lauen Lüften, und stehlen von der Sonne manchen Kuß, bis sie mit Himmelblau, mit Purpurrot und goldenen Streifen erglänzen. So spielt die Natur mit sich selbst in ewig reger, bewegter Klarheit. Wenn Wolken über die Sonne ziehn, dann entfliehn alle flammenden Lichter, der Glanz in Bäumen und Blumen erlischt, die Farben stehn matter: Schatten und Schwärze vertilgen und dämpfen das Jauchzen, die triumphierende Freude der brennenden Welt.

Aber dennoch regiert gleichsam in den untersten, geheimsten Tiefen der Erde eine andre, unsichtbare Sonne. Wie ein furchtbarer Pluto waltet und belebt sie in ihrem grausen Orkus. Da erglänzen die Kristalle, sie läßt seltne Strahlen an die Gold- und Silbererze anflimmern, mit sparsamem Schimmer schmückt sie ihr unergründliches, unzugängliches Reich aus. Die abgelegenen Brunnen rieseln unterirdisch eine Totenmelodie. Der Mensch holt aus den Schlüften die Edelsteine heraus, und macht ihnen aus ihrem Sarge Platz, daß die oberirdische Sonne sie bescheinen kann, dann funkeln und glänzen sie mit tausend Strahlen, und[296] nehmen oft sein törichtes Herz gefangen. Die Gold-und Silbererze werden ausgeschmolzen und poliert, und nachgeahmte Sonnen rund daraus geprägt; oft fühlt er sich nach diesen mit allen Sinnen hingezogen, vergißt das Morgen- und Abendrot, die Natur, den grünenden Wald, der Vögelein Gesang und sie mit ihrem verführenden Klang, ihrer Sirenenstimme sind ihm Gesang und Sonnenpracht, er stellt sie mit ihrem Funkelschein zu seinen Götzen auf, und leblose Metallstücke behandeln ihn wie ihren gedungenen Sklaven.

Die Musik hat das Schönste der Naturtöne gesammelt und veredelt, sie hat sich Instrumente gebaut, aus Metall und Holz, und der Mensch kann nun willkürlich eine Schar von singenden Geistern erregen, sooft er will; die Kunst beherrscht das große, wunderbare Gebiet. Die wollüstige Phantasie hofft, einst einen noch höhern überirdischen Gesang der Sphären anzutreffen, gegen den alle hiesige Kunst roh und unbeholfen ist.

Die Malerei hat aus Pflanzen, aus Tieren und Steinen die Farben an sich selbst erbeutet, und ahmt nun und verschönert Gestalt und Färbung der wirklichen Natur. Die Künstler haben große und wunderbare Werke erschaffen; allein der Maler kann auch wie der Musiker hoffen, vielleicht einst die großen, erhabenen Urbilder zu seinen Bildungen anzutreffen, die sich körperlos in den schönsten Formen bewegen.

Farbe ist freundliche Zugabe zu den Formen in der Natur, die Töne sind wieder Begleitung der spielenden Farbe. Die Mannigfaltigkeit in Blumen und Gesträuchen ist eine willkürliche Musik im schönen Wechsel, in lieber Wiederholung: die Gesänge der Vögel, der Klang der Gewässer, das Geschrei der Tiere ist gleichsam wieder ein Baum- und Blumengarten: die lieblichste Freundschaft und Liebe schlingt sich in glänzenden Fesseln um alle Gestalten, Farben und Töne unzertrennlich. Eins zieht das andre magnetisch und unwiderstehlich an sich.

Die menschliche Kunst trennt Skulptur, Malerei und Musik, jede besteht für sich, und wandelt ihren Weg. Aber immer ist es mir vorgekommen, als wenn die Musik für sich in einer abgeschlossenen [297] Welt leben könnte, nicht aber so die Malerei: zu jeder schönen Darstellung mit Farben gibt es gewiß ein verbrüdertes Tonstück, das mit dem Gemälde gemeinschaftlich nur eine Seele hat. Wenn dann die Melodie erklingt, so zucken gewiß noch neue Lebensstrahlen in dem Bilde auf, eine gewaltigere Kunst spricht uns aus der Leinwand an, und Ton und Linie und Farbe dringen ineinander, und vermischen sich mit inbrünstiger Freundschaft in eins. Dann hätten wir wohl die Kunst als Gegenstück zur Natur, als höchst verschönerte Natur, von unserer reinsten und höchsten Empfindung eingefaßt, vor uns. Darum geschieht es wohl, daß in Kirchen zuweilen selbst unbedeutende Bilder so wundersam in uns hineinsprechen, und wie mit einer lebendigen Seele zu uns hinatmen, verwandte Töne verscheuchen den toten Stillstand, und erregen in allen Linien und Farbenpunkten ein Gewimmel von Leben. Die Skulptur will nur die Formen ausdrücken, sie verschmäht Farbe und Sprache, sie ist zu idealisch, um etwas mehr zu wollen, als sie selber ist. Die Musik ist der letzte Geisterhauch, das feinste Element, aus dem die verborgensten Seelenträume, wie aus einem unsichtbaren Bache ihre Nahrung ziehn; sie spielt um den Menschen, will nichts und alles, sie ist ein Organ, feiner als die Sprache, vielleicht zarter als seine Gedanken, der Geist kann sie nicht mehr als Mittel, als Organ brauchen, sondern sie ist Sache selbst, darum lebt sie und schwingt sich in ihren eignen Zauberkreisen. Die Malerei aber steht zu unschuldig und fast verlassen in der Mitte. Sie geht darauf aus, uns als Form zu täuschen, sie will das Geräusch, das Gespräch der belebten Welt nachahmen, sie strebt, lebendig sich zu rühren, alle Kraft ist angeregt, aber doch ist sie unmächtig und ruft die Musik um Hülfe, um ihr ein großes Leben, Bewegung und Kraft zu leihen. Darum ist es so schwer, ja fast unmöglich, ein Gemälde zu beschreiben, die Worte bleiben tot, und erklären selbst in der Gegenwart nichts: sobald die Beschreibung echt poetisch ist, so erklärt sie oft, und ruft ein neues Entzücken, ein fröhliches Verständnis aus dem Bilde hervor, weil sie wie Musik wirkt, und durch Bilder und glänzende Gestalten und Worte die verwandte Musik der Töne ersetzt.

[298] Wer leugnet es, daß sie auch an sich große Zwecke erfüllt? Sogar eine einzelne Blume in der Natur, ein einzelnes abgerissenes Blumenblatt kann uns entzücken. Es ist nicht sonderbar, daß wir an der bloßen Farbe ein Wohlgefallen äußern. In den abgesonderten Farben sprechen die verschiedenen Naturgeister, wie die Himmelsgeister in den verschiedenen Tönen der Instrumente. Wir können nicht aussprechen, wie uns jede Farbe bewegt und rührt, denn die Farben selber sprechen in zarterer Mundart zu uns: Es ist der Weltgeist, der sich daran freut, sich auf tausend Wegen zu verstehn zu geben und doch zugleich zu verbergen; die abgesonderten Farben sind seine einzelnen Laute, wir horchen aufmerksam darauf hin, wir merken wohl, daß wir etwas vernehmen, doch können wir keinem andern, uns selber nicht Kunde davon bringen; aber eine geheime magische Freude durchströmt uns, wir glauben uns selbst zu erkennen, und uns einer alten, unendlich seligen Geisterfreundschaft zu erinnern.

10. Die Ewigkeit der Kunst
X. Die Ewigkeit der Kunst

Es geschieht nicht selten, daß Leute unsern Enthusiasmus dadurch zu hemmen suchen, daß sie uns die Nichtigkeit und Vergänglichkeit aller menschlichen Dinge vor die Augen stellen. Vielen Gemütern ist es eigen, daß ihre Phantasie schon unwillkürlich die Bilder von Tod und Ewigkeit erweckt, um der etwanigen Begeisterung ein bestimmtes Ziel zu setzen. Auf diese Geschicklichkeit setzen sie einen hohen Wert, und meinen, daß nur das sogenannte Unvergängliche und Unsterbliche ihrer Anbetung würdig sei.

Wenn wir die Zahl der Gestirne betrachten und erwägen, den Lauf der Zeit, die schon über so manche Vergangenheit hinübergeschritten ist, wenn wir uns dann in die bodenlose Tiefe der Ewigkeit verlieren, so erzittert der Mensch oft in sich selber, und sagt zu sich: Wie kannst du den Preis dieser kleinen Gegenwart [299] so hoch anschlagen, da sie sich wie ein unbemerkter Punkt in dem unermeßlichen Ozean verläuft? Was kann deine innige Verehrung verdienen, da du nicht sicher bist, ob nicht blinde Vergessenheit alle deine Götter einmal verschlingt?

Wenn nun vor dem Bilde eines Helden, eines großen Künstlers unsre Seele in wollüstigen Schauern zittert, wenn wir gleichsam die ganze Welt und alle ihre Menschen in diesen einen Moment, in diese eine Anbetung zusammenpressen möchten, und wie das innerste Rad eines Uhrwerks allen übrigen Seelen denselben Schwung mitteilen wollten: so lächelt ein andrer oft wehmütig und mit stiller Größe über unsern lautschallenden Hymnus, und zeigt auf die tiefen Abgründe der Vergangenheit, auf die unbekannte ewige Zukunft, wir scheuen ihn wie törichte Kinder, und er möchte uns gar zu gern wieder das Gefühl der allgemeinen Unbedeutenheit mitteilen.

Gern möchtest du uns dadurch alles Große und Edle alltäglich machen, durch den schwarzen Schatten des Todes strebst du allen Glanz zu verlöschen. Du bildest dir ein, die bloße Vorstellung der Vernichtung, das blinde Ungeheuer Zeit dürften über unsere höchste und reinste Liebe triumphieren, unbekannten Götzenbildern müsse alles sich neigen, und desto furchtbarer sei die Gewalt, je rätselhafter und unverständlicher sie sei.

Wenn wir in reicher, frischer Lebensgegenwart unbefangene Blicke auf die Welt und in unser Inneres werfen, wenn wir den hohen Gang der edelsten Geister wahrnehmen und alle ihre Taten, Gesinnungen und Kunst ganz nahe an unsern Herzen fühlen, dann erscheinen uns die Phantome trüb und leer, die sonst unsre Phantasie gar zu leicht mit Entsetzen und Ehrfurcht erfüllen, wir empfinden es lebendigst, wie unsre Liebe ewig sei, wie kein Tod sie beschatten könne, kein Bild der Ewigkeit sie unbedeutend machen dürfe.

Wir haben uns an die Vorstellung gewöhnt, Ewigkeit nur unter dem Bilde der zukünftigen Zeit zu denken, so mit schwindelndem Blick in die ungemeßne Länge künftiger Jahre hinabzuschauen, und uns den wiederkehrenden Kreislauf von [300] Begebenheiten und Ereignissen dazuzudenken. Eine lange Reihe unkenntlicher Gestalten zwingt uns eine blinde Ehrfurcht ab, wir entsetzen uns vor einem trüben Bilde unsrer eignen Phantasie, wir fürchten uns vor uns selber. Ist es denn die majestätische Unvergänglichkeit, die auf uns zukömmt? Wir vergessen, daß die Gegenwart ebensogut ewig zu nennen sei, daß die Ewigkeit sich in den Umfang einer Handlung, eines Kunstwerks zurückziehn könne, nicht deswegen, weil sie unvergänglich daure, sondern weil jene groß, weil dieses vollendet ist. Statt nach außen geht hier die Ewigkeit gleichsam nach innen, in einem Fruchtkorn sieht man nicht die Entwicklung der Felder und Saaten, sondern in Saat und Pracht des Gefildes das ehemalige Korn.

Alles, was vollendet, das heißt, was Kunst ist, ist ewig und unvergänglich, wenn es auch die blinde Hand der Zeit wieder auslöscht, die Dauer ist zufällig, Zugabe; ein vollendetes Kunstwerk trägt die Ewigkeit in sich selbst, die Zeit ist ein zu grober Stoff, als daß es aus ihr Nahrung und Leben ziehn könne.

Wenn daher auch Geschlechter, Erden und Welten vergehn, so leben doch die Seelen aller großen Taten, aller Dichtungen, aller Kunstwerke. – In der Vollendung der Kunst sehen wir am reinsten und schönsten das geträumte Bild eines Paradieses, einer unvermischten Seligkeit. Gemälde verbleichen, Gedichte verklingen; – aber Verse und Farben waren es auch nicht, die ihnen ihr Dasein schufen. In sich selbst trägt die Gegenwart der Kunst ihre Ewigkeit, und bedarf der Zukunft nicht, denn Ewigkeit bezeichnet nur Vollendung.

Darum ist es ein unkünstlerischer Geist, der die trüben Schatten des Todes und der Vergänglichkeit auf alle glänzende Lebensstellen wirft. Tod und Bild der zukünftigen Ewigkeit sind der wahren Kunst entgegengesetzt, sie heben sie auf und zerstören sie, denn sie schieben dem Geistigsten, in sich Fertigsten einen groben Stoff als notwendige Bedingung unter, da die Kunst in sich keine Bedingungen kennt, und ihr Ganzes keine Teile hat.

Dergleichen Art, den Tod jedem Leben beizumischen, ist überhaupt manierierte Poesie, es sind Striche und Linien, die innerhalb [301] des Rahmens groß und keck scheinen mögen, die aber, neben einem andern wahrhaft großen Gemälde gesehn, verschwinden, und nur eine gewisse, bestimmte Geschicklichkeit des Meisters verraten.

Lasset uns darum unser Leben in ein Kunstwerk verwandeln, und wir dürfen kühnlich behaupten, daß wir dann schon irdisch unsterblich sind.

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Zweiter Abschnitt

Anhang einiger musikalischer Aufsätze von Joseph Berglinger
Vorerinnerung

Mein geliebter Joseph Berglinger, dessen rührendes Leben man in den Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders gelesen hat, hat verschiedene Phantasien über die Kunst der Musik, vorzüglich während der Zeit seiner Lehrjahre in der bischöflichen Residenz, zu Papier gebracht, wovon ich einiges meinem Buche hier anhängen will. – Seine Gesinnungen von der Kunst stimmten mit den meinigen gar wunderbar zusammen, und durch öftere gegenseitige Ergießungen unsers Herzens befreundeten unsre Gefühle sich immer inniger miteinander. In diesen seinen kleinen Aufsätzen übrigens, welche die Blüten einzelner schöner Stunden sind, wird man mit Freuden diejenige melodische Harmonie finden, welche wir leider, wenn wir den ganzen Inbegriff seines wirklichen Lebens übersehen, mit so bitterer Betrübnis vermissen.

[303]
1. Ein wunderbares morgenländisches Märchen
I. Ein wunderbares morgenländisches Märchen von einem nackten Heiligen

Das Morgenland ist die Heimat alles Wunderbaren, in dem Altertume und der Kindheit der dortigen Meinungen findet man auch höchst seltsame Winke und Rätsel, die immer noch dem Verstande, der sich für klüger hält, aufgegeben werden. So wohnen dort in den Einöden oft seltsame Wesen, die wir wahnsinnig nennen, die aber dort als übernatürliche Wesen verehrt werden. Der orientalische Geist betrachtet diese nackten Heiligen als die wunderlichen Behältnisse eines höhern Genius, der aus dem Reiche des Firmaments sich in eine menschliche Gestalt verirrt hat, und sich nun nicht nach Menschenweise zu gebärden weiß. Auch sind ja alle Dinge in der Welt so oder anders, nachdem wir sie so oder anders betrachten; der Verstand des Menschen ist eine Wundertinktur, durch deren Berührung alles, was existiert, nach unserm Gefallen verwandelt wird.

So wohnte einer dieser nackten Heiligen in einer abgelegenen Felsenhöhle, der ein kleiner Fluß vorüberströmte. Niemand konnte sagen, wie er dorthin gekommen, seit einigen Jahren war er dort bemerkt, eine Karawane hatte ihn zuerst entdeckt, und seitdem geschahen häufige Wallfahrten nach seiner einsamen Wohnung.

Dieses wunderliche Geschöpf hatte in seinem Aufenthalte Tag und Nacht keine Ruhe, ihm dünkte immer, er höre unaufhörlich in seinen Ohren das Rad der Zeit seinen sausenden Umschwung nehmen. Er konnte vor dem Getöse nichts tun, nichts vornehmen, die gewaltige Angst, die ihn in immerwährender Arbeit anstrengte, verhinderte ihn, irgend etwas zu sehn und zu hören, als wie sich mit Brausen, mit gewaltigem Sturmwindssausen das fürchterliche Rad drehte und wieder drehte, das bis an die Sterne und hinüber reichte. Wie ein Wasserfall von tausend und aber tausend brüllenden Strömen, die vom Himmel herunterstürzten, sich ewig, ewig ohne augenblicklichen Stillstand, ohne die Ruhe [304] einer Sekunde ergossen, so tönte es in seine Ohren, und alle seine Sinne waren mächtig nur darauf hingewandt, seine arbeitende Angst war immer mehr und mehr in den Strudel der wilden Verwirrung ergriffen und hineingerissen, immer ungeheurer verwilderten die einförmigen Töne durcheinander: er konnte nun nicht ruhn, sondern man sah ihn Tag und Nacht in der angestrengtesten, heftigsten Bewegung, wie eines Menschen, der bemüht ist, ein ungeheures Rad umzudrehen. Aus seinen abgebrochenen, wilden Reden erfuhr man, daß er sich von dem Rade fortgezogen fühle, daß er dem tobenden, pfeilschnellen Umschwunge mit der ganzen Anstrengung seines Körpers zu Hülfe kommen wolle, damit die Zeit ja nicht in die Gefahr komme, nur einen Augenblick stillzustehn. Wenn man ihn fragte, was er tue, so schrie er wie in einem Krampf die Worte heraus: Ihr Unglückseligen! Hört ihr denn nicht das rauschende Rad der Zeit? Und dann drehte und arbeitete er wieder noch heftiger, daß sein Schweiß auf die Erde floß, und mit verzerrten Gebärden legte er die Hand auf sein pochendes Herz, als wolle er fühlen, ob das große Räderwerk in seinem ewigen Gange sei. Er wütete, wenn er sah, daß die Wanderer, die zu ihm wallfahrteten, ganz ruhig standen, und ihm zusahen, oder hin und wieder gingen und miteinander sprachen. Er zitterte vor Heftigkeit, und zeigte ihnen den unaufhaltsamen Umschwung des ewigen Rades, das einförmige, taktmäßige Fortsausen der Zeit; er knirschte mit den Zähnen, daß sie von dem Getriebe, in dem auch sie verwickelt und fortgezogen würden, nichts fühlten und bemerkten; er schleuderte sie von sich, wenn sie ihm in der Raserei zu nahe kamen. Wollten sie sich nicht in Gefahr setzen, so mußten sie seine angestrengte Bewegung lebhaft nachahmen. Aber noch viel wilder und gefährlicher wurde seine Raserei, wenn es sich zutrug, daß in seiner Nähe irgendeine körperliche Arbeit vorgenommen wurde, wenn ein Mensch, der ihn nicht kannte, etwa bei seiner Höhle Kräuter sammelte oder Holz fällte. Dann pflegte er wild aufzulachen, daß unter dem gräßlichen Fortrollen der Zeit noch jemand an diese kleinlichen irdischen Beschäftigungen denken [305] konnte; wie ein Tigertier war er dann mit einem einzigen Sprunge aus seiner Höhle, und wenn er den Unglücklichen erhaschen konnte, schlug er ihn mit einem einzigen Schlage tot zu Boden. Schnell sprang er dann in seine Höhle zurück, und drehte noch heftiger als zuvor das Rad der Zeit; er wütete aber noch lange fort, und sprach in abgebrochenen Reden, wie es den Menschen möglich sei, noch etwas anders zu treiben, ein taktloses Geschäft vorzunehmen. Er war nicht imstande, seinen Arm nach irgendeinem Gegenstande auszustrecken, oder etwas mit der Hand zu ergreifen; er konnte keinen Schritt mit den Füßen tun, wie andre Menschen. Eine zitternde Angst flog durch alle seine Nerven, wenn er nur ein einzigmal versuchen wollte, den schwindlichten Wirbel zu unterbrechen. Nur manchmal in schönen Nächten, wenn der Mond auf einmal vor die Öffnung seiner finstern Höhle trat, hielt er plötzlich inne, sank auf den Boden, warf sich umher und winselte vor Verzweiflung; auch weinte er bitterlich wie ein Kind, daß das Sausen des mächtigen Zeitrades ihm nicht Ruhe lasse, irgend etwas auf Erden zu tun, zu handeln, zu wirken und zu schaffen. Dann fühlte er eine verzehrende Sehnsucht nach unbekannten schönen Dingen; er bemühte sich, sich aufzurichten und Hände und Füße in eine sanfte und ruhige Bewegung zu bringen, aber vergeblich! Er suchte etwas Bestimmtes, Unbekanntes, was er ergreifen und woran er sich hängen wollte; er wollte sich außerhalb oder in sich vor sich selber retten, aber vergeblich! Sein Weinen und seine Verzweiflung stieg aufs höchste, mit lautem Brüllen sprang er von der Erde auf und drehte wieder an dem gewaltig-sausenden Rade der Zeit. Das währte mehrere Jahre fort, Tag und Nacht.

Einst aber war eine wunderschöne, mondhelle Sommernacht, und der Heilige lag wieder weinend und händeringend auf dem Boden seiner Höhle. Die Nacht war entzückend: an dem dunkelblauen Firmamente blinkten die Sterne wie goldene Zierden an einem weit übergebreiteten, beschirmenden Schilde, und der Mond strahlte von den hellen Wangen seines Antlitzes ein sanftes Licht, worin die grüne Erde sich badete. Die Bäume [306] hingen in dem zauberhaften Schein wie wallende Wolken auf ihren Stämmen, und die Wohnungen der Menschen waren in dunkle Felsengestalten und dämmernde Geisterpaläste verwandelt. Die Menschen, nicht mehr vom Sonnenglanze geblendet, wohnten mit ihren Blicken am Firmamente, und ihre Seelen spiegelten sich schön in dem himmlischen Scheine der Mondnacht.

Zwei Liebende, die sich ganz den Wundern der nächtlichen Einsamkeit ergeben wollten, fuhren in dieser Nacht auf einem leichten Nachen den Fluß herauf, der der Felsenhöhle des Heiligen vorüberströmte. Der durchdringende Mondstrahl hatte den Liebenden die innersten, dunkelsten Tiefen ihrer Seele erhellt und aufgelöst, ihre leisesten Gefühle zerflossen und wogten vereinigt in uferlosen Strömen daher. Aus dem Nachen wallte eine ätherische Musik in den Raum des Himmels empor, süße Hörner, und ich weiß nicht welche andre zauberische Instrumente, zogen eine schwimmende Welt von Tönen hervor, und in den auf- und niederwallenden Tönen vernahm man folgenden Gesang:


Süße Ahndungsschauer gleiten
Über Fluß und Flur dahin,
Mondesstrahlen hold bereiten
Lager liebetrunknem Sinn.
Ach, wie ziehn, wie flüstern die Wogen,
Spiegelt in Wellen der Himmelsbogen.
Liebe in dem Firmamente
Unter uns in blanker Flut,
Zündet Sternglanz, keiner brennte
Gäbe Liebe nicht den Mut:
Uns, vom Himmelsodem gefächelt,
Himmel und Wasser und Erde lächelt.
Mondschein liegt auf allen Blumen,
Alle Palmen schlummern schon,
[307]
In der Waldung Heiligtumen
Waltet, klingt der Liebe Ton:
Schlafend verkündigen alle Töne,
Palmen und Blumen der Liebe Schöne.

Mit dem ersten Tone der Musik und des Gesanges war dem nackten Heiligen das sausende Rad der Zeit verschwunden. Es waren die ersten Töne, die in diese Einöde fielen; die unbekannte Sehnsucht war gestillt, der Zauber gelöst, der verirrte Genius aus seiner irdischen Hülle befreit. Die Gestalt des Heiligen war verschwunden, eine engelschöne Geisterbildung, aus leichtem Dufte gewebt, schwebte aus der Höhle, streckte die schlanken Arme sehnsuchtsvoll zum Himmel empor, und hob sich nach den Tönen der Musik in tanzender Bewegung von dem Boden in die Höhe. Immer höher und höher in die Lüfte schwebte die helle Luftgestalt, von den sanftschwellenden Tönen der Hörner und des Gesanges emporgehoben; – mit himmlischer Fröhlichkeit tanzte die Gestalt hier und dort, hin und wieder auf den weißen Gewölken, die im Luftraume schwammen, immer höher schwang er sich mit tanzenden Füßen in den Himmel hinauf, und flog endlich in geschlängelten Windungen zwischen den Sternen umher; da klangen alle Sterne, und dröhnten einen hellstrahlenden himmlischen Ton durch die Lüfte, bis der Genius sich in das unendliche Firmament verlor.

Reisende Karawanen sahen erstaunend die nächtliche Wundererscheinung, und die Liebenden wähnten, den Genius der Liebe und der Musik zu erblicken.

2. Die Wunder der Tonkunst
II. Die Wunder der Tonkunst

Wenn ich es so recht innig genieße, wie der leeren Stille sich auf einmal, aus freier Willkür, ein schöner Zug von Tönen entwindet, und als ein Opferrauch emporsteigt, sich in Lüften wiegt, und [308] wieder still zur Erde herabsinkt; – da entsprießen und drängen sich so viele neue schöne Bilder in meinem Herzen, daß ich vor Wonne mich nicht zu lassen weiß. – Bald kommt Musik mir vor, wie ein Vogel Phönix, der sich leicht und kühn zu eigener Freude erhebt, zu eignem Behagen stolzierend hinaufschwebt, und Götter und Menschen durch seinen Flügelschwung erfreut. – Bald dünkt es mich, Musik sei wie ein Kind, das tot im Grabe lag, – ein rötlicher Sonnenstrahl vom Himmel entnimmt ihm die Seele sanft, und es genießt, in himmlischen Äther versetzt, goldne Tropfen der Ewigkeit, und umarmt die Urbilder der allerschönsten menschlichen Träume. – Und bald, – welche herrliche Fülle der Bilder! – bald ist die Tonkunst mir ganz ein Bild unsers Lebens: – eine rührend-kurze Freude, die aus dem Nichts entsteht und ins Nichts vergeht, – die anhebt und versinkt, man weiß nicht warum: – eine kleine fröhliche grüne Insel, mit Sonnenschein, mit Sang und Klang, – die auf dem dunkeln, unergründlichen Ozean schwimmt. –

Fragt den Tonmeister, warum er so herzlich fröhlich sei auf seinem Saitenspiel. »Ist nicht,« wird er antworten, »das ganze Leben ein schöner Traum? eine liebliche Seifenblase? Mein Tonstück desgleichen.« –

Wahrlich, es ist ein unschuldiges, rührendes Vergnügen, an Tönen, an reinen Tönen sich zu freuen! Eine kindliche Freude! – Wenn andre sich mit unruhiger Geschäftigkeit betäuben, und von verwirrten Gedanken, wie von einem Heer fremder Nachtvögel und böser Insekten, umschwirrt, endlich ohnmächtig zu Boden fallen; – oh, so tauch' ich mein Haupt in dem heiligen, kühlenden Quell der Töne unter, und die heilende Göttin flößt mir die Unschuld der Kindheit wieder ein, daß ich die Welt mit frischen Augen erblicke, und in allgemeine, freudige Versöhnung zerfließe. – Wenn andre über selbsterfundene Grillen zanken, oder ein verzweiflungsvolles Spiel des Witzes spielen, oder in der Einsamkeit mißgestaltete Ideen brüten, die, wie die geharnischten Männer der Fabel, verzweiflungsvoll sich selber verzehren; – oh, so schließ' ich mein Auge zu vor all dem Kriege der Welt, – und[309] ziehe mich still in das Land der Musik, als in das Land des Glaubens, zurück, wo alle unsre Zweifel und unsre Leiden sich in ein tönendes Meer verlieren, – wo wir alles Gekrächze der Menschen vergessen, wo kein Wort- und Sprachengeschnatter, kein Gewirr von Buchstaben und monströser Hieroglyphenschrift uns schwindlig macht, sondern alle Angst unsers Herzens durch leise Berührung auf einmal geheilt wird. – Und wie? Werden hier Fragen uns beantwortet? Werden Geheimnisse uns offenbart? – Ach nein! Aber statt aller Antwort und Offenbarung werden uns luftige, schöne Wolkengestalten gezeigt, deren Anblick uns beruhigt, wir wissen nicht wie; – mit kühner Sicherheit wandeln wir durch das unbekannte Land hindurch, – wir begrüßen und umarmen fremde Geisterwesen, die wir nicht kennen, als Freunde, und alle die Unbegreiflichkeiten, die unser Gemüt bestürmen, und die die Krankheit des Menschengeschlechtes sind, verschwinden vor unsern Sinnen, und unser Geist wird gesund durch das Anschaun von Wundern, die noch weit unbegreiflicher und erhabener sind. Dann ist dem Menschen, als möcht' er sagen: »Das ists, was ich meine! Nun hab' ichs gefunden! Nun bin ich heiter und froh!« – Laß sie spotten und höhnen, die andern, die wie auf rasselnden Wagen durchs Leben dahinfahren, und in der Seele des Menschen das Land der heiligen Ruhe nicht kennen. Laß sie sich rühmen ihres Schwindels, und trotzen, als ob sie die Welt mit ihren Zügeln lenkten. Es kommen Zeiten, da sie darben werden.

Wohl dem, der, wann der irdische Boden untreu unter seinen Füßen wankt, mit heitern Sinnen auf luftige Töne sich retten kann, und nachgebend, mit ihnen bald sanft sich wiegt, bald mutig dahertanzt, und mit solchem lieblichen Spiele seine Leiden vergißt!

Wohl dem, der, (müde des Gewerbes, Gedanken feiner und feiner zu spalten, welches die Seele verkleinert,) sich den sanften und mächtigen Zügen der Sehnsucht ergibt, welche den Geist ausdehnen und zu einem schönen Glauben erheben. Nur ein solcher ist der Weg zur allgemeinen, umfassenden Liebe, und nur [310] durch solche Liebe gelangen wir in die Nähe göttlicher Seligkeit. – –

Dies ist das herrlichste und das wunderbarste Bild, so ich mir von der Tonkunst entwerfen kann, – obwohl es die meisten für eitle Schwärmerei halten werden. –

Aber aus was für einem magischen Präparat steigt nun der Duft dieser glänzenden Geistererscheinung empor? – Ich sehe zu, – und finde nichts, als ein elendes Gewebe von Zahlenproportionen, handgreiflich dargestellt auf gebohrtem Holz, auf Gestellen von Darmsaiten und Messingdraht. – Das ist fast noch wunderbarer, und ich möchte glauben, daß die unsichtbare Harfe Gottes zu unsern Tönen mitklingt, und dem menschlichen Zahlengewebe die himmlische Kraft verleiht. –

Und wie gelangte denn der Mensch zu dem wunderbaren Gedanken, Holz und Erz tönen zu lassen? Wie kam er zu der köstlichen Erfindung dieser über alles seltsamen Kunst? – Das ist ebenfalls wiederum so merkwürdig und sonderlich, daß ich die Geschichte, wie ich sie mir denke, kürzlich hersetzen will.

Der Mensch ist ursprünglich ein gar unschuldiges Wesen. Wenn wir noch in der Wiege liegen, wird unser kleines Gemüt von hundert unsichtbaren kleinen Geistern genährt und erzogen und in allen artigen Künsten geübt. So lernen wir durchs Lächeln, nach und nach, fröhlich sein, durchs Weinen lernen wir traurig sein, durchs Angaffen mit großen Augen lernen wir, was erhaben ist, anbeten. Aber so wie wir in der Kindheit mit dem Spielzeuge nicht recht umzugehen wissen, so wissen wir auch mit den Dingen des Herzens noch nicht recht zu spielen, und verwechseln und verwirren in dieser Schule der Empfindungen noch alles durcheinander.

Wenn wir aber zu den Jahren gekommen sind, so verstehen wir die Empfindungen, sei es nun Fröhlichkeit, oder Betrübnis, oder jede andre, gar geschickt anzubringen, wo sie hingehören; und da führen wir sie manchmal recht schön, zu unsrer eigenen Befriedigung, aus. Ja, obwohl diese Dinge eigentlich nur eine gelegentliche Zutat zu den Begebenheiten unsers gewöhnlichen [311] Lebens sind, so finden wir doch soviel Lust daran, daß wir die sogenannten Empfindungen gern von dem verwirrten Wust und Geflecht des irdischen Wesens, worin sie verwickelt sind, ablösen, und sie uns zum schönen Angedenken besonders ausführen, und auf eigene Weise aufbewahren. Es scheinen uns diese Gefühle, die in unserm Herzen aufsteigen, manchmal so herrlich und groß, daß wir sie wie Reliquien in kostbare Monstranzen einschließen, freudig davor niederknieen, und im Taumel nicht wissen, ob wir unser eignes menschliches Herz, oder ob wir den Schöpfer, von dem alles Große und Herrliche herabkommt, verehren.

Zu dieser Aufbewahrung der Gefühle sind nun verschiedene schöne Erfindungen gemacht worden, und so sind alle schönen Künste entstanden. Die Musik aber halte ich für die wunderbarste dieser Erfindungen, weil sie menschliche Gefühle auf eine übermenschliche Art schildert, weil sie uns alle Bewegungen unsers Gemüts unkörperlich, in goldne Wolken luftiger Harmonien eingekleidet, über unserm Haupte zeigt, – weil sie eine Sprache redet, die wir im ordentlichen Leben nicht kennen, die wir gelernt haben, wir wissen nicht wo? und wie? und die man allein für die Sprache der Engel halten möchte.

Sie ist die einzige Kunst, welche die mannigfaltigsten und widersprechendsten Bewegungen unsers Gemüts auf dieselben schönen Harmonien zurückführt, die mit Freud und Leid, mit Verzweiflung und Verehrung in gleichen harmonischen Tönen spielt. Daher ist sie es auch, die uns die echte Heiterkeit der Seele einflößt, welche das schönste Kleinod ist, das der Mensch erlangen kann; – jene Heiterkeit mein' ich, da alles in der Welt uns natürlich, wahr und gut erscheint, da wir im wildesten Gewühle der Menschen einen schönen Zusammenhang finden, da wir mit reinem Herzen alle Wesen uns verwandt und nahe fühlen, und, gleich den Kindern, die Welt wie durch die Dämmerung eines lieblichen Traumes erblicken. – –

Wenn ich in meiner Einfalt unter freiem Himmel vor Gott glückselig bin, – indes die goldnen Strahlen der Sonne das hohe [312] blaue Zelt über mir ausspannen, und die grüne Erde rings um mich lacht, – da ists am rechten Ort, daß ich mich auf den Boden werfe, und in vollen Freuden dem Himmel lautjauchzend für alle Herrlichkeit danke. Was aber tut alsdann der sogenannte Künstler unter den Menschen? Er hat mir zugesehen, geht, innerlich erwärmt, stillschweigend daheim, läßt sein sympathetisches Entzücken auf leblosem Saitenspiel weit herrlicher daherrauschen, und bewahrt es auf, in einer Sprache, die kein Mensch je geredet hat, deren Heimat niemand kennt, und die jeden bis in die innersten Nerven ergreift. –

Wenn mir ein Bruder gestorben ist, und ich bei solcher Begebenheit des Lebens eine tiefe Traurigkeit gehörig anbringe, weinend im engen Winkel sitze, und alle Sterne frage, wer je betrübter gewesen als ich, – dann, – indes hinter meinem Rücken schon die spottende Zukunft steht, und über den schnell vergänglichen Schmerz des Menschen lacht, – dann steht der Tonmeister vor mir, und wird von all dem jammervollen Händeringen so bewegt, daß er den schönen Schmerz daheim auf seinen Tönen nachgebärdet, und mit Lust und Liebe die menschliche Betrübnis verschönert und ausschmückt, und so ein Werk hervorbringt, das aller Welt zur tiefsten Rührung gereicht. – Ich aber, wenn ich längst das angstvolle Händeringen um meinen toten Bruder verlernt habe, und dann einmal das Werk seiner Betrübnis höre, – dann freu' ich mich kindlich über mein eignes, so glorreich verherrlichtes Herz, und nähre und bereichere mein Gemüt an der wunderbaren Schöpfung. –

Wenn aber die Engel des Himmels auf dieses ganze liebliche Spielwerk herabsehen, das wir die Kunst nennen, – so müssen sie wehmütig lächeln über das Kindergeschlecht auf der Erde, und lächeln über die unschuldige Erzwungenheit in dieser Kunst der Töne, wodurch das sterbliche Wesen sich zu ihnen erheben will. –

[313]
3. Von den verschiedenen Gattungen in jeder Kunst
III. Von den verschiedenen Gattungen in jeder Kunst, und insbesondere von verschiedenen Arten der Kirchenmusik

Es kommt mir allemal seltsam vor, wenn Leute, welche die Kunst zu lieben vorgeben, in der Poesie, der Musik, oder in irgendeiner andern Kunst, sich beständig nur an Werke von einer Gattung, einer Farbe halten, und ihr Auge von allen andern Arten wegwenden. Hat gleich die Natur diejenigen, welche selbst Künstler sind, mehrenteils so eingerichtet, daß sie sich nur in einem Felde ihrer Kunst ganz wie zu Hause fühlen, und nur auf diesem ihrem vaterländischen Boden Kraft und Mut genug haben, selber zu säen und zu pflanzen; so kann ich doch nicht begreifen, wie eine wahre Liebe der Kunst nicht alle ihre Gärten durchwandern, und an allen Quellen sich freuen sollte. Es wird ja doch niemand mit halber Seele geboren! – Aber freilich, – wiewohl ich es kaum über das Herz bringen kann, die allgütige Natur so zu schmähen, – es scheinen viele der heutigen Menschen mit so sparsamen Funken der Liebe begabt zu sein, daß sie dieselbe nur auf Werke von einer Art aufwenden können. Ja, sie sind stolz in ihrer Armut; aus trägem Dünkel verachten sie es, den Geist auch in der Betrachtung anderer Schönheiten zu üben; sie machen sich ein desto größeres Verdienst aus der engen Beschränkung auf gewisse Lieblingswerke, und glauben diese desto edler und reiner zu lieben, je mehr andre Werke sie verachten.

So ist es sehr häufig, daß einige bloß an fröhlichen und komischen, andre bloß an ernsthaften und tragischen Sachen Gefallen zu finden sich bestreben. Wenn ich aber das Gewebe der Welt unbefangen betrachte, so sehe ich, daß das Schicksal seinen Weberspul nur so hin oder so hin zu werfen braucht, um in denselben Menschenseelen im Augenblick ein Lustspiel oder Trauerspiel hervorzubringen. Daher scheint es mir natürlich, daß ich auch in der Welt der Kunst mich und mein ganzes Wesen ihrem waltenden Schicksale willig hingebe. Ich löse mich los von [314] allen Banden, segle mit flatternden Wimpeln auf dem offenen Meere des Gefühls, und steige gern, wo immer der himmlische Hauch von oben mich heranwehet, ans Land. –

Wenn jemand die Frage aufwerfen wollte: ob es schöner sei, in der kleinen Winterstube, beim Licht, in einem herrlichen Kreise von Freunden zu sitzen, – oder schöner, einsam auf hohen Bergen die Sonne über köstliche Fluren scheinen zu sehen: – was sollte man antworten? Wer in seiner Brust ein Herz verwahrt, dem am wohlsten ist, wenn es sich heiß erwärmen, und je höher je lieber pochen und schlagen kann, der wird jede schöne Gegenwart mit Entzücken an sich reißen, um sein liebes Herz in diesem Zittern der Seligkeit zu üben.

Hierin sind mir die glücklichen Männer, welche vom Himmel zur Stola und zur Priesterweihe auserwählt sind, ein treffliches Vorbild. Ein solcher Mann, dem das, worauf die andern Menschen nicht Zeit genug verwenden können, (weil der Schöpfer das Wesen der Welt allzu reichhaltig eingerichtet hat), zum schönen Geschäfte gemacht ist, nämlich seine Augen unverwandt auf den Schöpfer zu richten, – so daß die kleineren Bäche des Danks und der Andacht aus allen umgebenden Wesen in ihn als in einen Strom sich vereinigen, der unaufhörlich ins Meer der Ewigkeit ausströmt: – ein solcher Mann findet überall im Leben schöne Anlässe, seinen Gott zu verehren und ihm zu danken; er schlägt allerorten Altäre auf, und seinen verklärten Augen leuchtet das wundervolle Bildnis des Schöpfers aus allen verworrenen Zügen in den Dingen dieser Welt hervor. – Und so, dünkt mich, – denn die Herrlichkeit der Kunst hat mich zu einem kühnen Gleichnisbilde verleitet, – so sollte auch derjenige beschaffen sein, welcher mit aufrichtigem Herzen vor der Kunst niederknieen, und ihr die Huldigung einer ewigen und unbegrenzten Liebe darbringen wollte. – –

In der herrlichen Kunst, die der Himmel bei meiner Geburt wohltätig für mich ausgesucht hat, (wofür ich ihm, solang ich lebe, dankbar bin), ist es mir seit jeher so gegangen, daß diejenige Art der Musik, die ich gerade höre, mir jedesmal die erste und [315] vortrefflichste zu sein scheint, und mich alle übrigen Arten vergessen macht. Wie ich denn überhaupt glaube, daß das der echte Genuß, und zugleich der echte Prüfstein der Vortrefflichkeit eines Kunstwerks sei, wenn man über dies eine alle andern Werke vergißt, und gar nicht daran denkt, es mit einem andern vergleichen zu wollen. Daher kommt es, daß ich die verschiedensten Arten in der Tonkunst, als zum Beispiel die Kirchenmusik und die Musik zum Tanze, mit gleicher Liebe genieße. Doch kann ich nicht leugnen, daß die hervorbringende Kraft meiner Seele sich mehr nach der ersteren hinneigt und auf dieselbe sich einschränkt. Mit ihr beschäftigte ich mich am meisten, und von ihr will ich daher jetzt ausschließlich mit einigen Worten meine Meinung sagen.

Nach dem Gegenstande zu urteilen, ist die geistliche Musik freilich die edelste und höchste, so wie auch in den Künsten der Malerei und Poesie der heilige, gottgeweihete Bezirk dem Menschen in dieser Hinsicht der ehrwürdigste sein muß. Es ist rührend zu sehen, wie diese drei Künste die Himmelsburg von ganz verschiedenen Seiten bestürmen, und mit kühnem Wetteifer untereinander kämpfen, dem Throne Gottes am nächsten zu kommen. Ich glaube aber wohl, daß die vernunftreiche Muse der Dichtkunst, und vorzüglich die stille und ernste Muse der Malerei, ihre dritte Schwester für die allerdreisteste und verwegenste im Lobe Gottes achten mögen, weil sie in einer fremden, unübersetzbaren Sprache, mit lautem Schalle, mit heftiger Bewegung, und mit harmonischer Vereinigung einer ganzen Schar lebendiger Wesen, von den Dingen des Himmels zu sprechen wagt.

Allein auch diese heilige Muse redet von den Dingen des Himmels nicht beständig auf einerlei Art, sondern hat vielmehr ihre Freude daran, Gott auf ganz verschiedene Weise zu loben, – und ich finde, daß jegliche Art, wenn man deren wahre Bedeutung recht verstehet, ein Balsam für das menschliche Herz ist.

Bald geht sie in muntern, fröhlichen Tönen daher, läßt sich von einfachen und heiteren, oder auch von zierlichen und künstlichen [316] Harmonien in allerlei liebliche, wohlklingende Irrgänge leiten, und lobt Gott nicht anders, als Kinder tun, welche vor ihrem guten Vater an seinem Geburtstage eine Rede oder einen dramatischen Aktus halten, da sich denn jener wohl gefallen lässet, wenn sie ihm ihren Dank mit kindlicher, unbefangener Munterkeit beweisen, und im Danken zugleich eine kleine Probe ihrer Geschicklichkeiten und erlangten Künste ablegen. Oder man kann auch sagen, daß diese Art der Kirchenmusik den Charakter derjenigen Menschen ausdrückt, welche sich gern mit vielen muntern und artig gesetzten Worten über die Größe Gottes auslassen mögen, welche sich verwundern und herzlichlächelnd sich darüber freuen, daß Er um so vieles größer ist als sie selber. Sie kennen keine andre Erhebung der Seele als eine fröhliche und zierliche; sie wissen in ihrer Unschuld für Ihn keine andere und bessere Sprache des Lobes und der Verehrung, als die sie gegen einen edlen menschlichen Wohltäter gebrauchen, und sie sind nicht verlegen, von den kleinsten Freuden und Genüssen des Lebens mit leichter Fertigkeit zu dem Gedanken an den Vater des Weltalls überzugehen. – Diese Art der Kirchenmusik pflegt die häufigste und beliebteste zu sein, und sie scheint wirklich das Gemüt des größten Teils der Menschen vorzustellen.

Eine andre, erhabene Art ist nur wenigen auserwählten Geistern eigen. Sie sehen ihre Kunst nicht, (wie die meisten tun,) als ein bloßes Problem an, aus den vorhandenen Tönen mancherlei verschiedene, wohlgefällige Tongebäude nach Regeln zusammenzusetzen, und nicht dies Gebäude ist ihr höchster Zweck; – sie gebrauchen vielmehr große Massen von Tönen als wunderbare Farben, um damit dem Ohre das Große, das Erhabene und Göttliche zu malen. – Sie achten es unwürdig, den Ruhm des Schöpfers auf den kleinen flatternden Schmetterlingsflügeln kindlicher Fröhlichkeit zu tragen, sondern schlagen die Luft mit breiten, mächtigen Adlersschwingen. – Sie ordnen und pflanzen nicht die Töne wie Blumen in kleine regelmäßige Beete, worin wir zunächst die geschickte Hand des Gärtners bewundern; sondern sie schaffen große Höhen und Täler mit [317] heiligen Palmwäldern, die unsre Gedanken zunächst zu Gott erheben. – – Diese Musik schreitet in starken, langsamen, stolzen Tönen einher, und versetzt dadurch unsre Seele in die erweiterte Spannung, welche von erhabenen Gedanken in uns erzeugt wird, und solche wieder erzeugt. Oder sie rollt auch feuriger und prachtvoller unter den Stimmen des vollen Chors, wie ein majestätischer Donner im Gebirge, umher. – Diese Musik ist jenen Geistern ähnlich, welche von dem allmächtigen Gedanken an Gott so ganz über alle Maße erfüllt sind, daß sie die Schwäche des sterblichen Geschlechtes darüber ganz vergessen, und dreist genug sind, mit lauter, stolzer Trompetenstimme die Größe des Höchsten der Erde zu verkündigen. Im freien Taumel des Entzückens glauben sie das Wesen und die Herrlichkeit Gottes bis ins Innerste begriffen zu haben; sie lehren ihn allen Völkern kennen, und loben ihn dadurch, daß sie mit aller Macht zu ihm hinaufstreben, und sich anstrengen, ihm ähnlich zu werden. –

Aber es gibt noch einige stille, demütige, allzeit büßende Seelen, denen es unheilig scheint, zu Gott in der Melodie irdischer Fröhlichkeit zu reden, denen es frech und verwegen vorkommt, seine ganze Erhabenheit kühn in ihr menschliches Wesen aufzunehmen: – auch ist jene Fröhlichkeit ihnen unverständlich, und zu dieser dreisten Erhebung mangelt ihnen der Mut. Diese liegen mit stets gefalteten Händen und gesenktem Blick betend auf den Knien und loben Gott bloß dadurch, daß sie mit der beständigen Vorstellung ihrer Schwäche und Entfernung von Ihm, und mit der wehmütigen Sehnsucht nach den Gütern der reinen Engel, ihren Geist erfüllen und nähren. – Diesen gehört jene alte, choralmäßige Kirchenmusik an, die wie ein ewiges »Misere mei Domine!« klingt, und deren langsame, tiefe Töne gleich sündenbeladenen Pilgrimen in tiefen Tälern dahinschleichen. – Ihre bußfertige Muse ruht lange auf denselben Akkorden; sie getraut sich nur langsam die benachbarten zu ergreifen; aber jeder neue Wechsel der Akkorde, auch der allereinfachste, wälzt in diesem schweren, gewichtigen Fortgange unser ganzes Gemüt um, und die leise-vordringende Gewalt [318] der Töne durchzittert uns mit bangen Schauern, und erschöpft den letzten Atem unsers gespannten Herzens. Manchmal treten bittere, herzzerknirschende Akkorde dazwischen, wobei unsre Seele ganz zusammenschrumpft vor Gott; aber dann lösen kristallhelle, durchsichtige Klänge die Bande unsers Herzens wieder auf, und trösten und erheitern unser Inneres. Zuletzt endlich wird der Gang des Gesanges noch langsamer als zuvor, und von einem tiefen Grundton, wie von dem gerührten Gewissen festgehalten, windet sich die innige Demut in mannigfach-verschlungenen Beugungen herum, und kann sich von der schönen Bußübung nicht trennen, – bis sie endlich ihre ganze aufgelöste Seele in einem langen, leise-verhallenden Seufzer aushaucht. – –

4. Fragment aus einem Briefe Joseph Berglingers
IV. Fragment aus einem Briefe
Joseph Berglingers

– Neulich, lieber Pater, am Festtag, hab' ich einen köstlichen Abend genossen. Es war ein warmer Sommerabend, und ich ging aus den alten Toren der Stadt hinaus, als eine muntere Musik aus der Ferne mit ihren lockenden Tönen mich an sich spielte. Ich ging ihr durch die Gassen der Vorstadt nach, und ward am Ende in einen großen öffentlichen Garten geführt, der mit Hecken, Alleen und bedeckten Gängen, mit Rasenplätzen, Wasserbecken, kleinen Springbrunnen und Taxuspyramiden dazwischen, gar reichlich ausgeziert, und mit einer Menge buntgeschmückter Leute belebt war. In der Mitte, auf einer grünen Erhöhung, lag ein offenstehender Gartensaal, als der Mittelpunkt des Gewimmels. Ich ging auf dem Platze vor dem Saale, wo es am vollsten war, auf und nieder, und mein Herz ward hier von den fröhlichsten und heitersten Empfindungen besucht.

Auf grünem Rasen saßen die Spieler, und zogen aus ihren Blasinstrumenten die muntersten, lustigsten Frühlingstöne hervor, so frisch, wie das junge Laub, das sich aus den Zweigen der Bäume [319] hervordrängt. Sie füllten die ganze Luft mit den lieblichen Düften ihres Klanges an, und alle Blutstropfen jauchzten in meinen Adern. Wahrlich, sooft ich Tanzmusik höre, fällt es mir in den Sinn, daß diese Art der Musik offenbar die bedeutendste und bestimmteste Sprache führt, und daß sie notwendig die eigentlichste, die älteste und ursprüngliche Musik sein muß.

Neben mir, in den breiten Gängen, spazierten nun alle verschiedenen Stände und Alter der Menschen einher. Da war der Kaufmann von seinem Rechentische, der Handwerksmann von seiner Werkstatt hergekommen; und etliche vornehme junge Herren in glänzenden Kleidern strichen leichtsinnig zwischen den langsameren Spaziergängern durch. Manchmal kam eine zahlreiche Familie mit Kindern jeder Größe, die die ganze Breite des Ganges einnahm; und dann wieder ein siebenzigjähriges Ehepaar, das lächelnd zusah, wie die Schar der Kinder auf dem grünen Grase in trunkenem Mutwillen ihr junges Leben versuchte, oder wie die erwachsenere Jugend sich mit lebhaften Tänzen erhitzte. Ein jeder von allen hatte seine eigne Sorge in seiner Kammer daheimgelassen; keine Sorge mochte der andern gleich sein, – hier aber stimmten alle zur Harmonie des Vergnügens zusammen. Und wenn auch freilich nicht jedem von der Musik und all dem bunten Wesen wirklich im Innern so erfreulich zumute sein mochte als mir, – so war für mich doch diese ganze lebendige Welt in einen Lichtschimmer der Freude aufgelöst, – die Oboen- und Hörnertöne schienen mir wie glänzende Strahlen um alle Gesichter zu spielen, und es dünkte mich, als säh' ich alle Leute bekränzt oder in einer Glorie gehen. – Mein Geist, verklärt durch die Musik, drang durch alle die verschiedenen Physiognomien bis in jedes Herz hinein, und die wimmelnde Welt um mich her kam mir wie ein Schauspiel vor, das ich selber gemacht, oder wie ein Kupferstich, den ich selber gezeichnet: so gut glaubte ich zu sehen, was jede Figur ausdrücke und bedeute, und wie jede das sei, was sie sein sollte.

Diese angenehmen Träume unterhielten mich eine ganze Zeitlang fort, – bis sich die Szene veränderte.

[320] Die helle Wärme des Tages ergoß sich allmählich in die dunkle Kühlung der Nacht, die bunten Scharen zogen heim, der Garten ward dunkel, einsam und still, – zuweilen schwebte ein zärtliches Lied vom Waldhorn wie ein seliger Geist in dem milden Schimmer des Mondes daher, – und die ganze, zuvor so lebendige Natur war in ein leises Fieber melancholischer Wehmut aufgelöst. Das Schauspiel der Welt war für diesen Tag zu Ende, – meine Schauspieler nach Hause gegangen, – der Knäuel des Gewühls für heute gelöst. Denn Gott hatte die lichte, mit Sonne geschmückte Hälfte seines großen Mantels von der Erde hinweggezogen, und mit der andern schwarzen Hälfte, worin Mond und Sterne gestickt sind, das Gehäuse der Welt umhängt, – und nun schliefen alle seine Geschöpfe in Frieden. Freude, Schmerz, Arbeit und Streit, alles hatte nun Waffenstillstand, um morgen von neuem wieder loszubrechen: – und so immer fort, bis in die fernsten Nebel der Zeiten, wo wir kein Ende absehen. – Ach! dieser unaufhörliche, eintönige Wechsel der Tausende von Tagen und Nächten, – daß das ganze Leben des Menschen, und das ganze Leben des gesamten Weltkörpers nichts ist, als so ein unaufhörliches, seltsames Brettspiel solcher weißen und schwarzen Felder, wobei am Ende keiner gewinnt als der leidige Tod, – das könnte einem in manchen Stunden den Kopf verrücken. – Aber man muß durch den Wust von Trümmern, worauf unser Leben zerbröckelt wird, mit mutigem Arm hindurchgreifen, und sich an der Kunst, der Großen, Beständigen, die über alles hinweg bis in die Ewigkeit hinausreicht, mächtiglich festhalten, – die uns vom Himmel herab die leuchtende Hand bietet, daß wir über dem wüsten Abgrunde in kühner Stellung schweben, zwischen Himmel und Erde! – – –

[321]
5. Das eigentümliche innere Wesen der Tonkunst
V. Das eigentümliche innere Wesen der Tonkunst, und die Seelenlehre der heutigen Instrumentalmusik

Der Schall oder Ton war ursprünglich ein grober Stoff, in welchem die wilden Nationen ihre unförmlichsten Affekten auszudrücken strebten, indem sie, wenn ihr Inneres erschüttert war, auch die umgebenden Lüfte mit Geschrei und Trommelschlag erschütterten, gleichsam um die äußere Welt mit ihrer inneren Gemütsempörung ins Gleichgewicht zu setzen. Nachdem aber die unaufhaltsam-wirkende Natur die ursprünglich in eins verwachsenen Kräfte der menschlichen Seele, durch viele Säkula hindurch, in ein ausgebreitetes Gewebe von immer feineren Zweigen auseinandergetrieben hat; so ist, in den neueren Jahrhunderten, auch aus Tönen ein kunstreiches System aufgebaut, und also auch in diesem Stoff, so wie in den Künsten der Formen und Farben, ein sinnliches Abbild und Zeugnis, von der schönen Verfeinerung und harmonischen Vervollkommnung des heutigen menschlichen Geistes, niedergelegt worden. Der einfarbige Lichtstrahl des Schalls ist in ein buntes, funkelndes Kunstfeuer zersplittert, worin alle Farben des Regenbogens flimmern; dies konnte aber nicht anders geschehen, als daß zuvor mehrere weise Männer in die Orakelhöhlen der verborgensten Wissenschaft hinunterstiegen, wo die allzeugende Natur selbst ihnen die Urgesetze des Tons enthüllte. Aus diesen geheimnisreichen Grüften brachten sie die neue Lehre, in tiefsinnigen Zahlen geschrieben, ans Tageslicht, und setzten hiernach eine feste, weisheitvolle Ordnung von vielfachen einzelnen Tönen zusammen, welche die reiche Quelle ist, aus der die Meister die mannigfaltigsten Tonarten schöpfen.

Die sinnliche Kraft, welche der Ton von seinem Ursprunge her in sich führt, hat sich durch dieses gelehrte System eine verfeinerte Mannigfaltigkeit erworben.

[322] Das Dunkle und Unbeschreibliche aber, welches in der Wirkung des Tons verborgen liegt, und welches bei keiner andern Kunst zu finden ist, hat durch das System eine wunderbare Bedeutsamkeit gewonnen. Es hat sich zwischen den einzelnen mathematischen Tonverhältnissen und den einzelnen Fibern des menschlichen Herzens eine unerklärliche Sympathie offenbart, wodurch die Tonkunst ein reichhaltiges und bildsames Maschinenwerk zur Abschilderung menschlicher Empfindungen geworden ist.

So hat sich das eigentümliche Wesen der heutigen Musik, welche, in ihrer jetzigen Vollendung, die jüngste unter allen Künsten ist, gebildet. Keine andre vermag diese Eigenschaften der Tiefsinnigkeit, der sinnlichen Kraft, und der dunkeln, phantastischen Bedeutsamkeit, auf eine so rätselhafte Weise zu verschmelzen. Diese merkwürdige, enge Vereinigung so widerstrebend-scheinender Eigenschaften macht den ganzen Stolz ihrer Vorzüglichkeit aus; wiewohl ebendieselbe auch viele seltsame Verwirrungen in der Ausübung und im Genusse dieser Kunst, und viel törichten Streit unter Gemütern, welche sich niemals verstehen können, hervorgebracht hat.

Die wissenschaftlichen Tiefsinnigkeiten der Musik haben manche jener spekulierenden Geister herangelockt, welche in allem ihren Tun streng und scharf sind, und das Schöne nicht aus offener, reiner Liebe, um sein selbst willen, aufsuchen, sondern es nur des Zufalls halber schätzen, daß besondre, seltene Kräfte daran aufzureiben waren. Anstatt das Schöne auf allen Wegen, wo es sich freundlich uns entgegenbietet, wie einen Freund willkommen zu heißen, betrachten sie ihre Kunst vielmehr als einen schlimmen Feind, suchen ihn im gefährlichsten Hinterhalt zu bekämpfen, und triumphieren dann über ihre eigne Kraft. Durch diese gelehrten Männer ist das innere Maschinenwerk der Musik, gleich einem künstlichen Weberstuhle für gewirkte Zeuge, zu einer erstaunenswürdigen Vollkommenheit gebracht worden; ihre einzelnen Kunststücke aber sind oftmals nicht anders als in der Malerei vortreffliche anatomische Studien und schwere akademische Stellungen zu betrachten.

[323] Traurig anzusehn ist es, wenn dies fruchtbare Talent sich in ein unbeholfenes und empfindungsarmes Gemüt verirrt hat. In einer fremden Brust schmachtet alsdann das phantastische Gefühl, das unberedt in Tönen ist, nach der Vereinigung, – indes die Schöpfung, die alles erschöpfen will, mit solchen schmerzlichen Naturspielen nicht ungern wehmütige Versuche anzustellen scheint.

Demnach hat keine andre Kunst einen Grundstoff, der schon an sich mit so himmlischem Geiste geschwängert wäre als die Musik. Ihr klingender Stoff kommt mit seinem geordneten Reichtume von Akkorden den bildenden Händen entgegen, und spricht schon schöne Empfindungen aus, wenn wir ihn auch nur auf eine leichte, einfache Weise berühren. Daher kommt es, daß manche Tonstücke, deren Töne von ihren Meistern wie Zahlen zu einer Rechnung, oder wie die Stifte zu einem musivischen Gemälde, bloß regelrecht, aber sinnreich und in glücklicher Stunde, zusammengesetzt wurden, – wenn sie auf Instrumenten ausgeübt werden, eine herrliche, empfindungsvolle Poesie reden, obwohl der Meister wenig daran gedacht haben mag, daß in seiner gelehrten Arbeit, der in dem Reiche der Töne verzauberte Genius, für eingeweihte Sinne, so herrlich seine Flügel schlagen würde.

Dagegen fahren manche, nicht ungelehrte, aber unter unglücklichem Stern geborne, und innerlich harte und unbewegliche Geister täppisch in die Töne hinein, zerren sie aus ihren eigentümlichen Sitzen, so daß man in ihren Werken nur ein schmerzliches Klaggeschrei des gemarterten Genius vernimmt.

Wenn aber die gute Natur die getrennten Kunstseelen in eine Hülle vereinigt, wenn das Gefühl des Hörenden noch glühender im Herzen des tiefgelehrten Kunstmeisters brannte, und er die tiefsinnige Wissenschaft in diesen Flammen schmelzt; dann geht ein unnennbar-köstliches Werk hervor, worin Gefühl und Wissenschaft so fest und unzertrennlich ineinander hangen, wie in einem Schmelzgemälde Stein und Farben verkörpert sind. – – [324] Von denjenigen, welche die Musik und alle Künste nur als Anstalten betrachten, ihren nüchternen und groben Organen die notdürftig sinnliche Nahrung zu verschaffen, – da doch die Sinnlichkeit nur als die kräftigste, eindringlichste und menschlichste Sprache anzusehn ist, worin das Erhabene, Edle und Schöne zu uns reden kann, – von diesen unfruchtbaren Seelen ist nicht zu reden. Sie sollten, wenn sie es vermöchten, die tiefgegründete, unwandelbare Heiligkeit, die dieser Kunst vor allen andern eigen ist, verehren, daß in ihren Werken das feste Orakelgesetz des Systems, der ursprüngliche Glanz des Dreiklangs, auch durch die verworfensten Hände nicht vertilgt und befleckt werden kann, – und daß sie gar nicht vermag das Verworfene, Niedrige und Unedle des menschlichen Gemüts auszudrücken, sondern an sich nicht mehr als rohe und grelle Melodien geben kann, denen die sich anhängenden irdischen Gedanken erst das Niedrige leihen müssen.

Wenn nun die Vernünftler fragen: wo denn eigentlich der Mittelpunkt dieser Kunst zu entdecken sei, wo ihr eigentlicher Sinn und ihre Seele verborgen liege, die alle ihre verschiedenartigen Erscheinungen zusammenhalte? – so kann ich es ihnen nicht erklären oder beweisen. Wer das, was sich nur von innen heraus fühlen läßt, mit der Wünschelrute des untersuchenden Verstandes entdecken will, der wird ewig nur Gedanken über das Gefühl, und nicht das Gefühl selber, entdecken. Eine ewige feindselige Kluft ist zwischen dem fühlenden Herzen und den Untersuchungen des Forschens befestigt, und jenes ist ein selbständiges verschlossenes göttliches Wesen, das von der Vernunft nicht aufgeschlossen und gelöst werden kann. – Wie jedes einzelne Kunstwerk nur durch dasselbe Gefühl, von dem es hervorgebracht ward, erfaßt und innerlich ergriffen werden kann, so kann auch das Gefühl überhaupt nur vom Gefühl erfaßt und ergriffen werden: – gerade so, wie, nach der Lehre der Maler, jede einzelne Farbe nur vom gleichgefärbten Lichte beleuchtet ihr wahres Wesen zu erkennen gibt. – Wer die schönsten und göttlichsten Dinge im Reiche des Geistes mit seinem Warum? und dem ewigen Forschen [325] nach Zweck und Ursache untergräbt, der kümmert sich eigentlich nicht um die Schönheit und Göttlichkeit der Dinge selbst, sondern um die Begriffe, als die Grenzen und Hülsen der Dinge, womit er seine Algebra anstellt. – Wen aber, – dreist zu reden, – von Kindheit an, der Zug seines Herzens durch das Meer der Gedanken, pfeilgrade wie einen kühnen Schwimmer, auf das Zauberschloß der Kunst allmächtig hinreißt, der schlägt die Gedanken wie störende Wellen mutig von seiner Brust, und dringt hinein in das innerste Heiligtum, und ist sich mächtig bewußt der Geheimnisse, die auf ihn einstürmen. – Und so erkühn' ich mich denn, aus meinem Innersten den wahren Sinn der Tonkunst auszusprechen, und sage:

Wenn alle die inneren Schwingungen unsrer Herzensfibern, – die zitternden der Freude, die stürmenden des Entzückens, die hochklopfenden Pulse verzehrender Anbetung, – wenn alle die Sprache der Worte, als das Grab der innern Herzenswut, mit einem Ausruf zersprengen: – dann gehen sie unter fremdem Himmel, in den Schwingungen holdseliger Harfensaiten, wie in einem jenseitigen Leben in verklärter Schönheit hervor, und feiern als Engelgestalten ihre Auferstehung. –

Hundert und hundert Tonwerke reden Fröhlichkeit und Lust, aber in jedem singt ein andrer Genius, und einer jeden der Melodien zittern andre Fibern unsres Herzens entgegen. – Was wollen sie, die zaghaften und zweifelnden Vernünftler, die jedes der hundert und hundert Tonstücke in Worten erklärt verlangen, und sich nicht darin finden können, daß nicht jedes eine nennbare Bedeutung hat, wie ein Gemälde? Streben sie die reichere Sprache nach der ärmern abzumessen, und in Worte aufzulösen, was Worte verachtet? Oder haben sie nie ohne Worte empfunden? Haben sie ihr hohles Herz nur mit Beschreibungen von Gefühlen ausgefüllt? Haben sie niemals im Innern wahrgenommen das stumme Singen, den vermummten Tanz der unsichtbaren Geister? Oder glauben sie nicht an die Märchen? –

Ein fließender Strom soll mir zum Bilde dienen. Keine menschliche Kunst vermag das Fließen eines mannigfaltigen [326] Stroms, nach allen den tausend einzelnen, glatten und bergichten, stürzenden und schäumenden Wellen, mit Worten fürs Auge hinzuzeichnen, – die Sprache kann die Veränderungen nur dürftig zählen und nennen, nicht die aneinanderhängenden Verwandlungen der Tropfen uns sichtbar vorbilden. Und ebenso ist es mit dem geheimnisvollen Strome in den Tiefen des menschlichen Gemütes beschaffen. Die Sprache zählt und nennt und beschreibt seine Verwandlungen, in fremdem Stoff; – die Tonkunst strömt ihn uns selber vor. Sie greift beherzt in die geheimnisvolle Harfe, schlägt in der dunkeln Welt bestimmte, dunkle Wunderzeichen in bestimmter Folge an, – und die Saiten unsres Herzens erklingen, und wir verstehen ihren Klang.

In dem Spiegel der Töne lernt das menschliche Herz sich selber kennen; sie sind es, wodurch wir das Gefühl fühlen lernen; sie geben vielen in verborgenen Winkeln des Gemüts träumenden Geistern, lebendes Bewußtsein, und bereichern mit ganz neuen zauberischen Geistern des Gefühls unser Inneres.

Und alle die tönenden Affekten werden von dem trocknen wissenschaftlichen Zahlensystem, wie von den seltsamen wunderkräftigen Beschwörungsformeln eines alten furchtbaren Zauberers, regiert und gelenkt. Ja, das System bringt, auf merkwürdige Weise, manche wunderbar neue Wendungen und Verwandlungen der Empfindungen hervor, wobei das Gemüt über sein eignes Wesen erstaunt, – so wie etwa die Sprache der Worte manchmal von den Ausdrücken und Zeichen der Gedanken neue Gedanken zurückstrahlt, und die Tänze der Vernunft in ihren Wendungen lenkt und beherrscht. –

Keine Kunst schildert die Empfindungen auf eine so künstliche, kühne, so dichterische, und ebendarum für kalte Gemüter so erzwungene Weise. Das Verdichten der im wirklichen Leben verloren herumirrenden Gefühle in mannigfaltige feste Massen, ist das Wesen aller Dichtung; sie trennt das Vereinte, vereint fest das Getrennte, und in den engeren, schärferen Grenzen schlagen höhere, empörtere Wellen. Und wo sind die Grenzen und Sprünge schärfer, wo schlagen die Wellen höher als in der Tonkunst?

[327] Aber in diesen Wellen strömt recht eigentlich nur das reine, formlose Wesen, der Gang und die Farbe, und auch vornehmlich der tausendfältige Übergang der Empfindungen; die idealische, engelreine Kunst weiß in ihrer Unschuld weder den Ursprung, noch das Ziel ihrer Regungen, kennt nicht den Zusammenhang ihrer Gefühle mit der wirklichen Welt.

Und dennoch empört sie bei aller ihrer Unschuld, durch den mächtigen Zauber ihrer sinnlichen Kraft, alle die wunderbaren, wimmelnden Heerscharen der Phantasie, die die Töne mit magischen Bildern bevölkern, und die formlosen Regungen in bestimmte Gestalten menschlicher Affekten verwandeln, welche wie gaukelnde Bilder eines magischen Blendwerks unsern Sinnen vorüberziehn.

Da sehen wir die hüpfende, tanzende, kurzatmende Fröhlichkeit, die jeden kleinen Tropfen ihres Daseins zu einer geschlossenen Freude ausbildet.

Die sanfte, felsenfeste Zufriedenheit, die ihr ganzes Dasein aus einer harmonischen, beschränkten Ansicht der Welt herausspinnt, auf alle Lagen des Lebens ihre frommen Überzeugungen anwendet, nie die Bewegung ändert, alles Rauhe glättet, und bei allen Übergängen die Farbe vertreibt.

Die männliche, jauchzende Freude, die bald das ganze Labyrinth der Töne in mannigfacher Richtung durchläuft, wie das pulsierende Blut warm und rasch die Adern durchströmt, – bald mit edlem Stolz, mit Schwung und Schnellkraft sich wie im Triumph in die Höhen erhebt.

Das süße, sehnsüchtige Schmachten der Liebe, das ewig wechselnde Anschwillen und Hinschwinden der Sehnsucht, da die Seele aus dem zärtlichen Schleichen durch benachbarte Töne sich auf einmal mit sanfter Kühnheit in die Höhe schwingt und wieder sinkt, – aus einem unbefriedigten Streben sich mit wollüstigem Unmut in ein andres windet, gern auf sanft-schmerzlichen Akkorden ausruht, ewig nach Auflösung strebt, und am Ende nur mit Tränen sich auflöst.

[328] Der tiefe Schmerz, der bald sich wie in Ketten daherschleppt, bald abgebrochene Seufzer ächzt, bald sich in langen Klagen ergießt, alle Arten des Schmerzes durchirrt, sein eigenes Leiden liebend ausbildet, und in den trüben Wolken nur selten schwache Schimmer der Hoffnung erblickt.

Die mutwillige, entbundene fröhliche Laune, die wie ein Strudel ist, der alle ernsthaften Empfindungen scheitern macht, und im fröhlichen Wirbel mit ihren Bruchstücken spielt, – oder wie ein grotesker Dämon, der alle menschliche Erhabenheit und allen menschlichen Schmerz durch possenhafte Nachäffung verspottet, und gaukelnd sich selber nachäfft, – oder wie ein unstet schwebender luftiger Geist, der alle Pflanzen aus ihrem festen irdischen Boden reißt und in die unendlichen Lüfte streut, und den ganzen Erdball verflüchtigen möchte.

Aber wer kann sie alle zählen und nennen, die luftigen Phantasien, die die Töne wie wechselnde Schatten durch unsre Einbildung jagen?

Und doch kann ichs nicht lassen, noch den letzten höchsten Triumph der Instrumente zu preisen: ich meine jene göttlichen großen Symphoniestücke, (von inspirierten Geistern hervorgebracht,) worin nicht eine einzelne Empfindung gezeichnet, sondern eine ganze Welt, ein ganzes Drama menschlichen Affekten ausgeströmt ist. Ich will in allgemeinen Worten erzählen, was vor meinen Sinnen schwebt.

Mit leichter, spielender Freude steigt die tönende Seele aus ihrer Orakelhöhle hervor, – gleich der Unschuld der Kindheit, die einen lüsternen Vortanz des Lebens übt, die, ohne es zu wissen, über alle Welt hinwegscherzt, und nur auf ihre eigene innerliche Heiterkeit zurücklächelt. – Aber bald gewinnen die Bilder um sie her festern Bestand, sie versucht ihre Kraft an stärkeres Gefühl, sie wagt sich plötzlich mitten in die schäumenden Fluten zu stürzen, schmiegt sich durch alle Höhen und Tiefen, und rollt alle Gefühle mit mutigen Entzücken hinauf und hinab. – Doch wehe! sie dringt verwegen in wildere Labyrinthe, sie sucht mit kühn-erzwungener Frechheit die Schrecken des Trübsinns, die [329] bittern Qualen des Schmerzes auf, um den Durst ihrer Lebenskraft zu sättigen, und mit einem Trompetenstoße brechen alle furchtbaren Schrecken der Welt, alle die Kriegsscharen des Unglücks von allen Seiten mächtig wie ein Wolkenbruch herein, und wälzen sich in verzerrten Gestalten fürchterlich, schauerlich wie ein lebendig gewordenes Gebirge übereinander. Mitten in den Wirbeln der Verzweiflung will die Seele sich mutig erheben, und sich stolze Seligkeit ertrotzen, – und wird immer überwältigt von den fürchterlichen Heeren. – Auf einmal zerbricht die tollkühne Kraft, die Schreckengestalten sind furchtbar verschwunden, – die frühe, ferne Unschuld tritt in schmerzlicher Erinnerung, wie ein verschleiertes Kind, wehmütig hüpfend hervor, und ruft vergebens zurück, – die Phantasie wälzt mancherlei Bilder, zerstückt wie im Fiebertraum, durcheinander, – und mit ein paar leisen Seufzern zerspringt die ganze lauttönende lebenvolle Welt, gleich einer glänzenden Lufterscheinung, ins unsichtbare Nichts.

Dann, wenn ich in finsterer Stille noch lange horchend dasitze, dann ist mir, als hätt' ich ein Traumgesicht gehabt von allen mannigfaltigen menschlichen Affekten, wie sie, gestaltlos, zu eigner Lust, einen seltsamen, ja fast wahnsinnigen pantomimischen Tanz zusammen feiern, wie sie mit einer furchtbaren Willkür, gleich den unbekannten, rätselhaften Zaubergöttinnen des Schicksals, frech und frevelhaft durcheinandertanzen.

Jene wahnsinnige Willkür, womit in der Seele des Menschen Freude und Schmerz, Natur und Erzwungenheit, Unschuld und Wildheit, Scherz und Schauder sich befreundet und oft plötzlich die Hände bieten: – welche Kunst führt auf ihrer Bühne jene Seelenmysterien mit so dunkler, geheimnisreicher, ergreifender Bedeutsamkeit auf? –

Ja, jeden Augenblick schwankt unser Herz bei denselben Tönen, ob die tönende Seele kühn alle Eitelkeiten der Welt verachtet, und mit edlem Stolz zum Himmel hinaufstrebt, – oder ob sie alle Himmel und Götter verachtet, und mit frechem Streben nur einer einzigen irdischen Seligkeit entgegendringt. Und ebendiese frevelhafte Unschuld, diese furchtbare, orakelmäßig-zweideutige [330] Dunkelheit, macht die Tonkunst recht eigentlich zu einer Gottheit für menschliche Herzen. – –

Aber was streb' ich Törichter, die Worte zu Tönen zu zerschmelzen? Es ist immer nicht, wie ichs fühle. Kommt ihr Töne, ziehet daher und errettet mich aus diesem schmerzlichen irdischen Streben nach Worten, wickelt mich ein mit euren tausendfachen Strahlen in eure glänzende Wolken, und hebt mich hinauf in die alte Umarmung des alliebenden Himmels!

6. Ein Brief Joseph Berglingers
VI. Ein Brief Joseph Berglingers

Ach! mein innigst geliebter, mein ehrwürdiger Pater! Ich schreibe Euch diesmal mit einem hochbetrübten Gemüt, und in der Angst einer zweifelvollen Stunde, wie sie mich, wie Ihr wohl wißt, schon öfter angefallen hat, und jetzt nicht von mir lassen will. Mein Herz ist von einem schmerzhaften Krampfe zusammengezogen, meine Phantasien zittern zerrüttet durcheinander, und alle meine Gefühle zerrinnen in Tränen. Meine lüsternen Kunstfreuden sind tief im Keime vergiftet; ich gehe mit siecher Seele umher, und von Zeit zu Zeit ergießt sich das Gift durch meine Adern.

Was bin ich? Was soll ich, was tu' ich auf der Welt? Was für ein böser Genius hat mich so von allen Menschen weit weg verschlagen, daß ich nicht weiß, wofür ich mich halten soll? daß meinem Auge ganz der Maßstab fehlt, für die Welt, für das Leben und das menschliche Gemüt? daß ich nur immer auf dem Meere meiner inneren Zweifel mich herumwälze, und bald auf hoher Welle hoch über die andern Menschen hinausgehoben werde, bald tief in den tiefsten Abgrund hinuntergestürzt? –

Aus dem festesten Grunde meiner Seele preßt sich der Ausruf hervor: Es ist ein so göttlich Streben des Menschen, zu schaffen, was von keinem gemeinen Zweck und Nutzen verschlungen wird, – was, unabhängig von der Welt, in eignem Glanze ewig[331] prangt, – was von keinem Rade des großen Räderwerks getrieben wird, und keines wieder treibt. Keine Flamme des menschlichen Busens steigt höher und gerader zum Himmel auf, als die Kunst! Kein Wesen verdichtet so die Geistes- und Herzenskraft des Menschen in sich selber, und macht ihn so zum selbständigen menschlichen Gott! Aber ach! wenn ich auf dieser verwegenen Höhe stehe und mein böser Geist mich mit übermütigem Stolz auf mein Kunstgefühl und mit frecher Erhebung über andre Menschen heimsucht, – dann, dann öffnen sich auf einmal, rings um mich her, auf allen Seiten, so gefährliche, schlüpfrige Abgründe, – alle die heiligen, hohen Bilder springen ab von meiner Kunst, und flüchten sich in die Welt der andern, bessern Menschen zurück, – und ich liege hingestreckt, verstoßen, und komme mir im Dienste meiner Göttin, – ich weiß nicht wie, – wie ein törichter, eitler Götzendiener vor.

Die Kunst ist eine verführerische, verbotene Frucht; wer einmal ihren innersten, süßesten Saft geschmeckt hat, der ist unwiederbringlich verloren für die tätige, lebendige Welt. Immer enger kriecht er in seinen selbsteignen Genuß hinein, und seine Hand verliert ganz die Kraft, sich einem Nebenmenschen wirkend entgegenzustrecken. – Die Kunst ist ein täuschender, trüglicher Aberglaube; wir meinen in ihr die letzte, innerste Menschheit selbst vor uns zu haben, und doch schiebt sie uns immer nur ein schönes Werk des Menschen unter, worin alle die eigensüchtigen, sich selber genügenden Gedanken und Empfindungen abgesetzt sind, die in der tätigen Welt unfruchtbar und unwirksam bleiben. Und ich Blöder achte dies Werk höher, als den Menschen selber, den Gott gemacht hat.

Es ist entsetzlich, wenn ichs bedenke! Das ganze Leben hindurch sitz' ich nun da, ein lüsterner Einsiedler, und sauge täglich nur innerlich an schönen Harmonien, und strebe den letzten Leckerbissen der Schönheit und Süßigkeit herauszukosten. – Und wenn ich nun die Botschaften höre: wie unermüdet sich dicht um mich her die Geschichte der Menschenwelt mit tausend wichtigen, großen Dingen lebendig fortwälzt, – wie da ein rastloses [332] Wirken der Menschen gegeneinander arbeitet, und jeder kleinen Tat in dem gedrängten Gewühl, die Folgen, gut und böse, wie große Gespenster nachtreten, – ach! und dann, das Erschütterndste, – wie die erfindungsreichen Heerscharen des Elends dicht um mich herum, Tausende mit tausend verschiedenen Qualen in Krankheit, in Kummer und Not, zerpeinigen, wie, auch außer den entsetzlichen Kriegen der Völker, der blutige Krieg des Unglücks überall auf dem ganzen Erdenrund wütet, und jeder Sekundenschlag ein scharfes Schwert ist, das hier und dort blindlings Wunden haut und nicht müde wird, daß tausend Wesen erbarmungswürdig um Hülfe schreien! – – Und mitten in diesem Getümmel bleib' ich ruhig sitzen, wie ein Kind auf seinem Kinderstuhle, und blase Tonstücke wie Seifenblasen in die Luft: – obwohl mein Leben ebenso ernsthaft mit dem Tode schließt.

Ach! diese unbarmherzigen Gefühle schleifen mein Gemüt durch eine verzweiflungsvolle Angst, und ich vergehe vor bitterer Scham vor mir selbst. Ich fühl', ich fühl' es bitterlich, daß ich nicht verstehe, nicht vermag, ein wohltätiges, Gott gefälliges Leben zu führen, – daß Menschen, die sehr unedel von der Kunst denken, und ihre besten Werke verachtend mit Füßen treten, unendlich mehr Gutes wirken, und gottgefälliger leben als ich!

In solcher Angst begreif' ich es, wie jenen frommen asketischen Märtyrern zumute war, die, von dem Anblicke der unsäglichen Leiden der Welt zerknirscht, wie verzweifelnde Kinder, ihren Körper lebenslang den ausgesuchtesten Kasteiungen und Pönitenzen preisgaben, um nur mit dem fürchterlichen Übermaße der leidenden Welt ins Gleichgewicht zu kommen.

Und wenn mir nun der Anblick des Jammers in den Weg tritt, und Hülfe fordert, wenn leidende Menschen, Väter, Mütter und Kinder, dicht vor mir stehen, die zusammen weinen und die Hände ringen, und heftiglich schreien vor Schmerz, – das sind freilich keine lüsternen schönen Akkorde, das ist nicht der schöne, wollüstige Schmerz der Musik, das sind herzzerreißende Töne, und das verweichlichte Künstlergemüt gerät in Angst, weiß nicht zu antworten, schämt sich zu fliehn, und hat zu retten [333] keine Kraft. Er quält sich mit Mitleid, – er betrachtet unwillkürlich die ganze Gruppe als ein lebendig gewordenes Werk seiner Phantasie, und kanns nicht lassen, wenn er sich auch in demselben Momente vor sich selber schämt, aus dem elenden Jammer irgend etwas Schönes und kunstartigen Stoff herauszuzwingen.

Das ist das tödliche Gift, was im unschuldigen Keime des Kunstgefühls innerlich verborgen liegt. – Das ists, daß die Kunst die menschlichen Gefühle, die fest auf der Seele gewachsen sind, verwegen aus den heiligsten Tiefen dem mütterlichen Boden entreißt, und mit den entrissenen, künstlich zugerichteten Gefühlen frevelhaften Handel und Gewerbe treibt, und die ursprüngliche Natur des Menschen frevelhaft verscherzt. Das ists, daß der Künstler ein Schauspieler wird, der jedes Leben als Rolle betrachtet, der seine Bühne für die echte Muster- und Normalwelt, für den dichten Kern der Welt, und das gemeine wirkliche Leben nur für eine elende, zusammengeflickte Nachahmung, für die schlechte umschließende Schale an sieht. –

Was hilfts aber, wenn ich mitten in diesen entsetzlichen Zweifeln an der Kunst und an mir selber krank liege, – und es erhebt sich eine herrliche Musik, – ha! da flüchten alle diese Gedanken in Tumulte davon, da hebt das lüsterne Ziehen der Sehnsucht sein altes Spiel wieder an; da ruft und ruft es unwiderstehlich zurück, und die ganze kindische Seligkeit tut sich von neuem vor meinen Augen auf. Ich erschrecke, wenn ich bedenke, zu welchen tollen Gedanken mich die frevelhaften Töne hinschleudern können, mit ihren lockenden Sirenenstimmen, und mit ihrem tobenden Rauschen und Trompetenklang. –

Ich komme ewig mit mir selber nicht auf festes Land. Meine Gedanken überwälzen und überkugeln sich unaufhörlich, und ich schwindle, wenn ich Anfang und Ende und bestimmte Ruhe erstreben will. Schon manchesmal hat mein Herz diesen Krampf gehabt, und er hat sich willkürlich, wie er kam, wieder gelöst, und es war am Ende nichts als eine Ausweichung meiner Seele in eine schmerzliche Molltonart, die am gehörigen Orte stand.

[334] So spott' ich über mich selbst, – und auch dies Spotten ist nur elendes Spielwerk.

Ein Unglück ists, daß der Mensch, der in Kunstgefühl ganz zerschmolzen ist, die Vernunft und Weltweisheit, die dem Menschen so festen Frieden geben soll, so tief verachtet, und sich sogar nicht hineinfinden kann. Der Weltweise betrachtet seine Seele wie ein systematisches Buch, und findet Anfang und Ende, und Wahrheit und Unwahrheit getrennt in bestimmten Worten. Der Künstler betrachtet sie wie ein Gemälde oder Tonstück, kennt keine feste Überzeugung, und findet alles schön, was an gehörigem Orte steht.

Es ist, als wenn die Schöpfung alle Menschen, so wie die vierfüßigen Tiere oder Vögel, in bestimmte Geschlechter und Klassen der geistigen Naturgeschichte gefangenhielte; jeder sieht alles aus seinem Kerker, und keiner kann aus seinem Geschlechte heraus. –

Und so wird meine Seele wohl lebenslang der schwebenden Äolsharfe gleichen, in deren Saiten ein fremder, unbekannter Hauch weht, und wechselnde Lüfte nach Gefallen herumwühlen.

7. Unmusikalische Toleranz
VII. Unmusikalische Toleranz

Wenn man die Erde, mit ihren mannigfaltigen Menschen und Begebenheiten, als einen großen Schauplatz betrachtet, auf dem so Kummer als Glück, Trübsal und Freude, das Erhabenste wie das Gemeinste, wie notwendige Bedingungen eines zusammengesetzten Schauspiels, wie einzelne Personen nach und nach auftreten, wieder verschwinden und von neuem erscheinen: so erschrecken wir oft vor dem ewigen Zusammenhange, indem wir nicht wissen, welcher Teil uns noch zufallen dürfte, wie viele Tränen und Torheiten, wieviel verscherztes Glück und welche unerwartete Leiden in unsrer Rolle abzuspielen sind. Oft befängt uns dann eine taube Gleichgültigkeit, und im Wirrwarr aller [335] disharmonierenden Töne verloren, deren Ordnung wir nicht fassen und finden können, wünschen wir zu vergehn, wir zittern vor der Zukunft, und unerquicklich ist die Vergangenheit; der liebliche Strom, der sonst so leicht und frisch alles in Lebensregung und Bewegung setzt, steht ruhend still, und Bäume, Felsen und Wolken schauen schwarz herab, und spiegeln sich in dunkler Einsamkeit verworren und verdüstert ab.

Dann kommen alle Leiden wieder, und klopfen mit ungestümer Gewalt an unser verzagtes Herz; alles, was uns nur jemals ängstigte, erscheint in vergrößerter Gestalt in dieser trüben Dämmerung, wir stehn verloren und vergessen weit zurück, und Freundschaft, Liebe, Hoffnung, ziehen auf einer fernen Bahn vor uns vorüber. In diesen trüben Stunden werden wir von der Nichtigkeit des Glücks, von der Vergänglichkeit alles dessen, was wir unser nennen, so innigst beängstigt, so von der Zeit und der wüsten, furchtbaren Vernichtung von allen Seiten bedrängt und um und um gequält, daß wir mit schmerzhafter Verzweiflung ausrufen: Was ist die Welt und dieses Leben? Unsre Freuden sind nur größere Schmerzen, denn sie vergehn wie jede Trauer, was wir heute unser nennen und so gern für unsre Seele halten, ist morgen vergessen oder verachtet; worauf wir heute hoffen, steht morgen in einer schalen Unbedeutenheit als Gegenwart vor uns, und wird kaum bemerkt! Wozu also der Tränen, wozu der begeisterten Wonnelieder? Die kalte, stille Hand der Zeit sänftigt alles, sie ebnet alle Wellen, sie streicht die Rechnung durch, und hebt den Unterschied zwischen Glück und Übel; so haben wirs erfahren, und wir können wissen, daß es immer so sein wird, darum wollen wir bei allen Vorfällen ruhig bleiben, denn wozu die Tränen, das Entzücken, von denen ich vorher weiß, daß sie nur eine Minute dauern können?

So fügt sichs leicht, daß wir im Leben schon das Leben entgeistern, und gefühllos den Strom der Zeit hinunterfahren, den empfindungslosen Gegenständen ähnlich, die die Ufer umgeben; und damit glauben wir dann schon recht viel gewonnen zu haben, wir halten uns darin für besser, wie viele andre Menschen, [336] die leicht und frisch ihr Schicksal tragen, sich nur selten der Vergangenheit erinnern und keine Zukunft fürchten.

Dergleichen Gemütsart, die von vielen für erhaben ausgegeben wird, ist auf keine Weise zu billigen. Sie erlahmt alle unsre Kräfte, sie macht uns zu lebendigen Leichnamen.

Aus dieser Verworrenheit erlöst uns, wie mit einem allmächtigen Zauberstabe, die Kunst. Sie führt uns in ein Land, in dem die Lichtstrahlen allenthalben die lieblichste Ordnung verbreiten, diese spielenden Strahlen ergreifen auch unser Herz, und beleben es mit neuer Kraft, wir fühlen uns und unsern Wert in neuer Lebendigkeit, alle die versiegten Brunnen des Trostes und der Freude ergießen sich wieder und rauschen erquickend über unsern Lebenslauf dahin, und die Gegenwart verwandelt sich in eine einzige große Blume, aus deren Kelch uns himmlischer Duft entgegensteigt. Denn das arme dürstende Herz wird durch nichts in dieser Welt so gesättigt als mit dem Genusse der Kunst, der feinsten Art, sich selber zu fühlen und zu verstehn. Im klarsten und wohlgefälligsten Bilde steht dann die Menschheit vor sich selber, sie erkennt sich, aber mit Lächeln und Freude, sie glaubt etwas Fremdes zu umarmen und an sich zu schließen, und bemerkt und fühlt sich selber.

Dann lieben wir das Leben wieder, und dulden mit großer Gelassenheit alle seine Schwächen. Unser reiches Herz bedauert und bemitleidet die Armen, die uns umgeben, aber kein dürrer, harter Haß verfolgt sie mehr.

Welche Worte aber soll ich fassen und ergreifen, um die Kraft kundzumachen, die die himmlische Musik mit ihren vollen Tönen, mit ihren liebreizenden Anklängen über unser Herz erzeigt? Sie tritt unmittelbar mit ihrer Engelsgegenwart in die Seele, und haucht himmlischen Odem aus. Oh, wie stürzen, wie fließen im Augenblick alle Erinnerungen aller Seligkeiten in den einen Moment zurück, wie breiten sich dem Gaste alle edlen Gefühle, alle großen Gesinnungen entgegen! Wie schnell, gleich zauberhaften Samenkörnern, schlagen die Töne in uns Wurzeln, und nun treibts und drängts mit unsichtbaren Feuerkräften, und [337] im Augenblick rauscht ein Hain mit tausend wunderbaren Blumen, mit unbegreiflich seltsamen Farben empor, unsre Kindheit und eine noch frühere Vergangenheit spielen und scherzen auf den Blättern und in den Wipfeln. Da werden die Blumen erregt und schreiten durcheinander, Farbe funkelt an Farbe, Glanz erglänzt auf Glanz, und all das Licht, der Funkelschein, der Strahlenregen lockt neuen Glanz und neue Strahlen hervor. In den innersten Tiefen in Wollust aufgelöst, in ein Etwas zerronnen und verwandelt, für das wir keine Worte und keine Gedanken haben, das selbst in sich ein Alles, ein höchst beseligendes Gefühl ist, oh, wer vermöchte da noch auf die Dürftigkeiten des Lebens einen Rückblick zu werfen, wer schiede nicht gern und folgte dem Strome, der uns mit sanfter, unwiderstehlicher Gewalt jenseits, jenseits hinüberführt?

Was ist es denn, das mehr als die Gesetze, als die Vernunft und alle Philosophie, so mächtiglich in uns hineinredet? Wie ist die Kraft zu beschreiben, die wie aus vielen Strahlen eines Brennspiegels alle Kraft wie auf einen Punkt vereinigt, und so das Wunderbarste möglich macht? Aller Kampf der streitenden Kräfte, alle widerwärtigen Leidenschaften, sie sind besiegt und zur Ruhe geführt, ein tobendes Meer, mit allem Sturmwinde, das kein gebietender Poseidon herrschend schweigt, das der leierkundige Musengott Phöbus mit dem sanften Anglanz seiner Musenkunst bis auf den tiefsten Grund hinab, in unbegreifliche Beruhigung singt.

Die Musik erregt mächtig in unsrer Brust die Liebe zu den Menschen und zur Welt, sie versöhnt uns mit unsern Feinden, wir dulden auch die schlimmsten gern, und unser jauchzendes Herz hört nur den Triumphgesang seiner eignen Vergötterung, und unter dem Triumphe nicht die Klagen, das Schelten, den Neid, die jämmerliche Sprache so mancher erdgebornen Kreaturen.

Hier ist der Punkt, auf dem der größte und edelste Mensch, möcht' ich doch beinahe sagen, aus zu großem Edelmute fehlt, und so fällt, daß er sich durch lange Zeiten mit der Erinnerung daran innerlichst kränken kann. Hier ist es, wo es mir deutlich [338] wird, wie die eigentliche Größe auch muß klein und schwach sein können, wie der höchste Edelmut zu allen seinen übrigen Aufopferungen auch noch die hinzufügen muß, sich selbst verleugnen zu können.

Denn in diesen schönen Minuten, in denen wir nur eine Welt von Glanz wahrnehmen, in denen unser Herz so gern die größten Beleidigungen vergibt, ja in denen es mit lächelnder Wehmut und Hingebung das schwerste Schicksal aufnehmen würde, in diesen Augenblicken, wenn die Stimme des gemeinen Lebens in unsre Entzückungen hineinspricht, wenn wir die kleine Bedürftigkeit wahrnehmen, wenn dann Menschen, die unsre Wollust nicht teilen, und nicht wissen, daß sie uns in dieser Stunde beherrscht, auf uns zutreten, so übermeistert uns oft eine plötzliche Ungeduld, ein jäher Zorn durchschneidet alle Wellen des musikalischen Meeres, wir sind heftiger und unbilliger, als wenn uns nur im gewöhnlichen Laufe der Dinge, im gemeinen Leben diese Gestalten beunruhigt hätten, und durch keine Kunst unser Herz erhoben wäre. Wir sinken leider in diesen Momenten unter die gemeinsten Wesen hinab, eben weil wir uns zu erhaben fühlten; oft demütigt uns nachher die Erinnerung, und viele ergeben sich darum ungern dem Rausche, weil sie sich vor sich selber schämen.

Andre verlangen, daß man alle Vorfälle des Lebens, alle schönen und zarten, widrigen und zerreißenden Gefühle in einen Kranz von Blumen und Unkraut flechten soll, von diesem die giftige Spitze abbrechen, und von jenen die glänzendsten Blätter ausreißen. Sie meinen, im Herzen immerwährend die lieblichen Schwingungen aufzubewahren, und immer vom inwendigen musikalischen Genius geschützt zu werden. So wollen sie ihr ganzes Leben in einen tönenden, leise fortfließenden Gesang verwandeln. Diese leben in einer ewigen Obhut über sich selber, sie bewahren ihr Herz vor jeder Aufwallung des Schmerzes als der Entzückung, sie lassen niemals, wie Geisterbeschwörer, die Geister der Leidenschaft in den Kreis hineintreten, den sie um sich gezogen haben. Dabei aber verlieren sie die wahre Lebenskraft, [339] ihr Herz zerarbeitet sich in einer ewigen Zerknirschung, sie sind am Ende der großen Eindrücke gänzlich unfähig. Sie brächten sich gern die Ansicht der Ewigkeit des Himmels, der Vergänglichkeit aller irdischen Güter klar vor den Sinnen, um desto gemächlicher auf ihrer Bahn fortzuschreiten: der Hymnus, den sie anstimmten, sinkt in immer langsamere Töne hinunter, und wird ein schmachtender, furchtsam schwebender Choralgesang. Eine andre, weit verderblichere und kleinlichere Leidenschaft setzt sich in dem verstimmten Herzen fest, die gemeine Freude, alles mit diesen Waffen überwinden zu können, und sich über die übrigen Menschen erheben zu dürfen. Sie sättigen sich an diesem Eigennütze, und statt zur höhern Menschenliebe geführt zu werden, wie sie anfangs wähnten, verachten sie die Menschen nur um so eigensinniger.

Es ist nicht zu ändern, daß die Welt sich nicht widersprechen sollte, so wie es auch alle Gefühle in uns tun: du vermagst nie ein übereinstimmendes Konzert aus den disharmonierenden Tönen zu bilden. Groß und edel ist der Mensch, wenn er den Widerspruch in jedem Augenblicke fühlt, und doch durch ihn in keinem Augenblicke beleidigt wird: wenn er gern und willig alles in seinem Busen aufnimmt, und sich doch seiner Kräfte nicht überhebt, dann wird er sich und die Eintracht in seinem Busen niemals verletzen; er wird es gern dulden, daß die äußere musikalische Welt mit allen ihren verworrenen Tönen in seine harmonische Fülle hineinschreie, ihm wird immer das Gefühl gegenwärtig bleiben, daß es notwendig so sein müsse, und darum auch so gewißlich gut sei.

Aber wozu nützt es, daß ich diese Gedanken niederschreibe, die mich gerade jetzt beherrschen? Werden diejenigen, die dies lesen, darum milder werden? Ja, werden sich diese Vorstellungen nicht auch bei mir wieder verlöschen, und ich bei nächster Gelegenheit dagegen sündigen?

Wahrscheinlich, – ja, ich möchte wohl sagen: gewiß!

Das ist aber das Betrübte bei allem, was wir vornehmen und tun.

[340] Doch, auch das ist notwendig, und darum will ich mich gern zufrieden und zur Ruhe geben.

Stelle dich zufrieden, bedrängte Seele. Irgendeinmal müssen auf irgendeine Art alle Widersprüche gelöst werden: – und dann wirst Du wahrscheinlich finden, daß es gar keine Widersprüche gab.

8. Die Töne
VIII. Die Töne

Es geschieht oft, daß die Menschen über Alltäglichkeit ihres Lebenslaufs klagen, daß sie jeden Zeitvertreib erhaschen, um die drückende Zeit zu verkürzen. Alle fühlen einen Hang nach dem Wunderbaren in ihrem Busen, und fast alle klagen, daß so gar nichts Wunderbares vor ihren Augen geschehe: daher die unersättliche Neugier, die wilde, ungezähmte Begier, etwas Unerhörtes zu hören, etwas Niegesehenes zu sehn. Eigentlich gleicht jeder Mensch mehr oder weniger dem Bilde des Tantalus in der Unterwelt. Wie treibt es, wie spornt es ihn an, – und wie erhält er so gar nichts! – Über diese unselige Leidenschaft spottet daher auch der Prediger Salomo mit seinem erhabenen Gemüte:

»Das Auge siehet sich nimmer satt, und das Ohr höret sich nimmer satt. Was ist's, das geschehen ist? Eben das hernach geschehen wird. Was ist's, das man getan hat? Eben das man hernach wieder tun wird. Und geschieht nichts Neues unter der Sonnen. Geschieht auch etwas, davon man sagen möchte: Siehe, das ist neu? dann ist es vor auch geschehen, in vorigen Zeiten, die vor uns gewesen sind.« –

So wandelt sie, im ewig gleichen Kreise
Die Zeit nach ihrer alten Weise,
Auf ihrem Wege taub und blind,
Das unbefangne Menschenkind
Erwartet stets vom nächsten Augenblick
[341]
Ein unverhofftes seltsam neues Glück.
Die Sonne geht und kehret wieder,
Kömmt Mond und sinkt die Nacht hernieder,
Die Stunden die Wochen abwärts leiten,
Die Wochen bringen die Jahreszeiten.
Von außen nichts sich je erneut,
In dir trägst du die wechselnde Zeit,
In dir nur Glück und Begebenheit.

Diese Betrachtungen habe ich schon oft angestellt, wenn ich die Menschen ansah, wie sie sich abarbeiteten, und immer des Ziels verfehlten, weil sie es zu sehr außer sich suchten. Wie wenigen ist es verliehen, die Wunder zu verstehn und zu fühlen, die sich wirklich und wahrhaftig ereignen und immer wieder erneuern! So gehört unstreitig die Musik, die Kunst der Töne, die Wirkung, die in uns durch sie erregt wird, zu den erstaunenswürdigsten Sachen, ja, ich möchte fast sagen, sie sei das Allerunbegreiflichste, das Wunderbar-Seltsamste, das geheimnisvollste Rätsel, das sich in unsichtbaren Kreisen, und doch mit funkelndem Glanz, allgegenwärtig und nicht zu sagen wie? um uns her bewegt, uns und unser Gemüt, unsre schönsten Empfindungen, unser süßestes Glück wie ein herrlicher Rahmen einfaßt und schmückt. Wie man sich den Weltgeist in der ganzen Natur allgegenwärtig denken kann, jeden Gegenstand als Zeugen und Bürgen seiner Freundesnähe, so ist Musik wie Bürge, Seelenton einer Sprache, die die Himmelsgeister reden, die die Allmacht unbegreiflich in Erz und Holz und Saiten hineingelegt hat, daß wir hier den verborgenen Funken des Klanges suchen und herausschlagen. Die Kunstmeister offenbaren und verkündigen ihren Geist nun auf die geheimnisvollste Weise auf diesen Instrumenten, ohne daß sie es wissen redet die klingende, beseelte Instrumentenwelt die alte Sprache, die unser Geist auch ehemals verstand und künftig sich wieder darin einlernen wird, und nun horcht unsre ganze innigste Seele, mit allen Erinnerungen, mit allen Lebenskräften darauf hin, sie weiß recht gut, was es ist, das [342] dort in holdseligster Anmut ihr entgegenkömmt, aber irdisch und körperlich befangen, sucht sie mit Gedanken und Worten, mit diesen gröberen Organen, diese feineren, reineren Gedanken aufzubewahren und festzuhalten, und auf diese Weise kann es ihr freilich nicht gelingen.


Siehst du nicht in Tönen Funken glimmen?
Ja, es sind die süßen Engelstimmen,
In Form, Gestalt, wohin dein Auge sah,
In Farbenglanz ist dir der Ew'ge nah,
Doch wie ein Rätsel steht er vor dir da.
Er ist so nah' und wieder weit zurück,
Du siehst, ergreifst, dann flieht er deinem Blick,
Dem körperschweren Blick kann's nicht gelingen
Sich an den Unsichtbaren hinzudrängen.
Entfernter noch, um mehr gesucht zu sein,
Verbarg er in die Töne sich hinein;
Doch freut es ihn, sich freier dort zu regen,
Bestimmt're Lieb' kömmt dir von dort entgegen.
Das war ich ehmals, ach! ich fühl' es tief,
Eh' noch mein Geist in diesem Körper schlief. –

Wie wunderbar, wenn man sich vorstellt, man höre Musik zum ersten Male! – Aber niemand hört sie mit diesem Gefühl, sie ist auch nur zum schnöden Zeitvertreibe herabgewürdigt: die Menschen haben sich an dies Wunderwerk gewöhnt, und darum fällt es keinem ein, zu erstaunen.

Aber was kann erstaunenswürdiger sein, als daß durch des Menschen Kunst und Bemühung sich plötzlich in der Stille unsichtbare Geister erzeugen, die mit Wonne und Seligkeit unser Herz bestürmen und es erobern? Daß wenn wir gern unsern Blick vor der dürren Gegenwart verschließen, die uns manchmal wie die Mauern eines Gefängnisses drängt und beengt, – sich dann ein neues Land, eine paradiesische Gegend über unsern Häuptern ausspannt, mit Blumen und herrlichen Bäumen und [343] goldenen Springbrunnen? – Wie im stürmenden Ozean eine selige Insel; wie eine Abendröte, die sich plötzlich zum dichten körperlichen Wesen zusammenzieht, uns auf ihren Wolken aufnimmt, uns aus der Nacht hier unten erlöst und uns mit den hellsten Strahlen umzingelt, und wir nun auf dem azurnen Boden wandeln und einheimisch sind, unsre Häuser im roten Glanze finden, unsere Freunde in den lichten Wolken, alles, was uns so lieb und teuer war, in sichtbarlicher Gestalt uns entgegenlächelnd.

Das scheint mir eben das Große aller Kunst, absonderlich aber der Musik, zu sein, daß all ihr Beginnen so kindlich und kindisch ist, ihr Streben dem äußern Verstande fast töricht, so daß sie sich schämt, es mit Worten auszudrücken, – und daß in dieser Verschämtheit, in diesem Kinderspiel, das Höchste atmet und den Stoff regiert, was wir nur fühlen oder ahnden können.

Denn wer möchte von den ernsthaften Leuten nicht darüber lächeln, wenn es ihm begegnete, daß er als etwas noch nie Gesehenes, den Mechanikus darüber beträfe, wie er die mancherlei musikalischen Instrumente zusammensetzt: – was würde der Taube zu den Handgriffen meinen, durch die der Tonkünstler sein Werk sprechen läßt, und ihm auf so einfache und doch geheime Weise die innere Zunge löst? – Und was könnte endlich der große Kunstmeister antworten, wenn es einem Gefühllosen beifiele, ihn in seiner Treuherzigkeit zu fragen, was er denn mit seinem tiefen Studium, mit seiner Begeisterung ausrichten wolle?


Keiner, der nicht zu dem myst'schen Fest gelassen,
Kann den Sinn der dunkeln Kunst erfassen,
Keinem sprechen diese Geistertöne,
Keiner sieht den Glanz der schönsten Schöne,
Dem im innern Herzen nicht das Siegel brennt,
Welches ihn als Eingeweihten nennt,
Woran ihn der Tonkunst Geist erkennt.

Denn es ist zum Lächeln, zum Beweinen wehmütig, und zur Anbetung erhaben, – daß unser Herz sich aus seiner irdischen [344] Sphäre hebt, daß alle unsre Gedanken in ein feineres, edleres Element geraten, daß aller Kummer, alle Freude wie ein Schatten schwindet, – und Jammer und Glück, Entzücken und Tränen, alles in eins verwandelt und durch gegenseitigen Abglanz verschönt wird, so daß man in den Momenten dieses Genusses nichts mehr zu sagen weiß, nicht mehr trennt und sondert, wie unser Geist sonst immer nur zu gern tut, sondern wie von einem Meerstrudel immer tiefer und tiefer hinuntergeführt, immer mehr der obern Welt entrückt wird. Und was ist es, das uns so glücklich macht? – Ein Zusammenklingen von Holz und Metall! –

Aber freilich haben jener ernste Mann, der Taube und der Gefühllose nicht so ganz unrecht, wenn wir sehn, wie sich die meisten Leute dabei benehmen, wenn sie das Werk eines großen Tonmeisters zu genießen und zu beurteilen meinen.

In der lebenden Natur begleitet Schall und Geräusch unaufhörlich Farbe und Form. Die bildende und zeichnende Kunst entlehnt immer von dort ihre Bildungen, wenn sie sie auch noch so sehr verschönt: ja, Abend- und Morgenrot, so wie Mondschein, spielen in Farben und Wolken, die kein Maler mit seinen Farben erreichen oder nachahmen kann; der Glanz, der in der Natur brennt, das Licht, mit dem die grüne Erde sich schmückt, ist der Malerkunst unzugänglich. Wie anders verhält es sich mit der Musik! Die schönsten Töne, die die Natur hervorbringt, ihren Vogelgesang, ihr Wasserrauschen, ihr Bergwiderhall und Waldbrausen, ja der majestätische Donner selbst, alle diese Klänge sind nur unverständlich und rauh, sprechen gleichsam nur im Schlafe, nur einzelne Laute, wenn wir sie gegen die Töne der Instrumente messen. Ja diese Töne, die die Kunst auf wunderbare Weise entdeckt hat, und sie auf den verschiedensten Wegen sucht, sind von einer durchaus verschiedenen Natur, sie ahmen nicht nach, sie verschönern nicht, sondern sie sind eine abgesonderte Welt für sich selbst.

Sie sind gleichsam ein neues Licht, eine neue Sonne, eine neue Erde, die im Licht auf unserer Erde entstanden ist. Jenseit der ersten Musik liegt eine rohe, unfreundliche Natur, auch im [345] schönsten Lande, unter dem günstigsten Klima. Natur und Menschen sind wild: es fehlt das Element, das alles zur Freundlichkeit bezähmt. Ohne Musik ist die Erde wie ein wüstes, noch nicht fertiges Haus, in dem die Einwohner mangeln.

Darum fängt die früheste griechische und biblische Geschichte, ja die Geschichte einer jeden Nation, mit der Musik an. Die Musik ist Dichtkunst, der Dichter erfindet die Geschichte. Es ist dem menschlichen Geiste nicht möglich, vorher sich etwas Reizendes, Schönes, Lebensfülle vorzubilden. Diese Gedanken führen mich darauf, hier einige Worte über die Töne an sich selber auszusprechen.

Jeder einzelne Ton eines besondern Instrumentes ist wie die Nuance einer Farbe, und so wie jede Farbe eine Hauptfarbe hat, so hat auch jedes Instrument einen einzigen, ganz eigentümlichen Ton, der es am meisten und besten ausdrückt. Es war eine unglückliche Idee, ein Farbenklavier zu bauen, und zu glauben, daß das kindische Spielwerk nur irgendeine angenehme Wirkung hervorbringen könne, gleich den mannigfaltigen Tönen eines Instrumentes. Es konnte nichts weiter erfolgen, als wenn auf mehreren Blas-oder Saiteninstrumenten hintereinander dieselben Töne angegeben würden; denn der Ton ist der Farbe, die Melodie und der Gang des komponierten Stückes der Zeichnung und Zusammensetzung zu vergleichen. Die Musiktöne gleichen oft einem feinen flüssigen Elemente, einem klaren, spiegelhellen Bache, wo das Auge sogar oft in den schimmernden Tönen wahrzunehmen glaubt, wie sich reizende, ätherische und erhabene Gestalten eben zusammenfügen wollen, wie sie sich von unten auf emporarbeiten, und klarer und immer klarer in den fließenden Tönen werden. Aber die Musik hat eben daran ihre rechte Freude, daß sie nichts zur wahren Wirklichkeit gelangen läßt, denn mit einem hellen Klange zerspringt dann alles wieder, und neue Schöpfungen sind in der Zubereitung.

Oh, wie soll ich dich genug preisen, du himmlische Kunst! Ich fühle, daß hier Worte noch weniger wie bei allen übrigen Werken der Kunst genügen, ich möchte alle Bilderpracht, allen Stolz und [346] kühnen Schwung der Sprache zusammenfassen, um recht vom Herzen loszusprechen, was mein innerstes Gefühl mir sagt.

Wie glücklich ist der Mensch, daß, wenn er nicht weiß, wohin er entfliehen, wo er sich retten soll, ein einziger Ton, ein Klang sich ihm mit tausend Engelsarmen entgegenstreckt, ihn aufnimmt und in die Höhe trägt! Wenn wir von Freunden, von unsern Lieben entfernt sind, und durch den einsamen Wald in träger Unzufriedenheit dahinirren, dann erschallt aus der Ferne ein Horn, und schlägt nur wenige Akkorde an, und wir fühlen, wie auf den Tönen die fremde Sehnsucht uns auch nachgeeilt ist, wie alle die Seelen wieder zugegen sind, die wir vermißten und betrauerten. Die Töne sagen uns von ihnen, wir fühlen es innigst, wie auch sie uns vermissen, und wie es keine Trennung gibt.


Weht ein Ton vom Feld herüber,
Grüß' ich immer einen Freund,
Spricht zu mir: was weinst du Lieber?
Sieh, wie Sonn' die Liebe scheint:
Herz am Herzen stets vereint
Gehn die bösen Stunden über.
Liebe denkt in süßen Tönen,
Denn Gedanken stehn zu fern,
Nur in Tönen mag sie gern
Alles was sie will verschönen.
Drum ist ewig uns zugegen
Wenn Musik mit Klängen spricht
Ihr die Sprache nicht gebricht
Holde Lieb' auf allen Wegen,
Liebe kann sich nicht bewegen,
Leihet sie den Odem nicht.

Ja, ich möchte noch mehr behaupten. Der Mensch ist gewöhnlich so stolz darauf, daß es ihm vergönnt ist, in Worte ein System zu fassen und auszuspinnen, daß er in der gewöhnlichen Sprache die [347] Gedanken niederlegen kann, die ihm als die feinsten und kühnsten erscheinen. Aber was ist sein höchstes Bestreben? Sein höchster Triumph ist das, sich und seine selbstgeschaffenen Gedankenheere immer wieder von neuem zu besiegen, und als ein Wesen dazustehn, das sich durch keine äußere Gewalt, ja durch sich selbst keine Fesseln anlegen läßt. Denn der größere Mensch fühlt es zu gut, wie auch seine innersten Gedanken immer nur noch ein Organ sind, wie seine Vernunft und ihre Schlüsse immer noch unabhängig sind von dem Wesen, das er selbst ist, und dem er in seinem hiesigen Leben nie ganz nahekommen wird.

Ist es nun nicht gleichgültig, ob er in Instrumentestönen oder in sogenannten Gedanken denkt? – Er kann in beiden nur hantieren und spielen, und die Musik als dunklere und feinere Sprache wird ihm gewiß oft mehr als jene genügen.


Wenn die Ankerstricke brechen,
Denen du zu sehr vertraust,
Oft dein Glück auf ihnen baust,
Zornig nun die Wogen sprechen, –
O so laß das Schiff den Wogen,
Mast und Segel untergehn,
Laß die Winde zornig wehn,
Bleibe dir nur selbst gewogen,
Von den Tönen fortgezogen,
Wirst du schönre Lande sehn:
Sprache hat dich nur betrogen,
Der Gedanke dich belogen,
Bleibe hier am Ufer stehn. –
9. Symphonien
IX. Symphonien

Ich höre nur zu oft von Leuten, die sich für Kunstfreunde halten, mit vielem Eifer von der Simplizität, von einem edlen, einfachen Stile sprechen, die zugleich, um ihrer Lehre treu zu bleiben, alles [348] verfolgen, was sie für bunt, grell oder grotesk halten. Ich halte dafür, daß alles nebeneinander bestehn könne und müsse, und daß nichts eine so engherzige Verleugnung der Kunst und Hoheit ist, als wenn man zu früh scharfe Linien und Grenzen zwischen den Gebieten der Kunst zieht. Diese Verehrer teilen ein Land, das ihnen nicht gehört, ja in welchem die meisten nicht einmal die Landessprache verstehn.

So meinen einige, die Alten zu lieben, wenn sie alles, was von den Neuern herrührt, verfolgen; andre wollen nur die Italiener loben, und alle Kunst und allen Sinn dafür den übrigen Völkern absprechen. Ich will damit nicht alle Unterschiede aufgehoben wissen, nur sollte jeder, der darüber sprechen will, auch eine so reiche und mannigfach reizbare Seele besitzen, daß er wenigstens alles auf eine gewisse Weise verstände und sich nahe fühlte, um dann zu sondern und zu trennen.

Wie es in der Religion ist, so ist es auch in allen hohen und übermenschlichen Dingen, ja man könnte sagen, daß alles Große und Höchstvortreffliche Religion sein müsse. Das Göttliche ist so beschaffen, daß der Mensch es erst glauben muß, ehe er es verstehn kann; fängt er aber mit dem Verstehn, das heißt, mit dem Beurteilen an, so verwickelt er sich nur in Labyrinthe, in denen er törichterweise sein Herumirren für die wahre Art hält, weise zu sein. Das Höchste und Edelste ist auch so eingerichtet, daß das gewöhnliche Verstehn, worauf sich die meisten soviel wissen, als etwas ganz Überflüssiges anzusehn ist, denn indem du es ganz und innigst fühlst, und in dir selber aufbewahrst, spürst du keinen Mangel, empfindest du das Bedürfnis gar nicht, es mit den übrigen Dingen zu vergleichen, und es in seine gehörige Klasse zu versetzen.

Aber ihr meint, alles sei nur da, um euer Urteil daran zu schärfen, und seid eitel genug, zu glauben, es gebe nichts Höheres oder nur anderes, als die Kunst oder handwerksmäßige Übung des Urteilens. Ihr fühlt das Bedürfnis nicht, das Streben des reinen und poetischen Geistes, aus dem Streit der irrenden Gedanken in ein stilles, heiteres, ruhiges Land erlöst zu werden.

[349] Ich habe mich immer nach dieser Erlösung gesehnt und darum ziehe ich gern in das stille Land des Glaubens, in das eigentliche Gebiet der Kunst. Die Art, wie man hier versteht, ist gänzlich von jener verschieden: die schönste Zufriedenheit entspringt und beruhigt uns hier ohne Urteil und Vernunftschluß, nicht durch eine Reihe mühsam zusammengehängter Beobachtungen und Bemerkungen gelangen wir dazu, sondern es geschieht auf eine Weise, die der Uneingeweihte, der Kunstlose niemals begreifen wird.

Es geschieht hier, daß man Gedanken ohne jenen mühsamen Umweg der Worte denkt, hier ist Gefühl, Phantasie und Kraft des Denkens eins: der harmonische Einklang überrascht uns zauberhaft, die Seele ist im Kunstwerke einheimisch, das Kunstwerk lebt und regiert sich in unserm Innern, wir sind mit allem einverstanden, eine gleiche Melodie spielt unser Geist mit des Künstlers Seele, und es dünkt uns auf keine Weise nötig, zu beweisen und weitläuftige Reden darüber zu führen.

Dieser innige Glaube kann auch der Überzeugung entbehren, denn das, was wir im Leben so nennen, ist vielmehr als ein schwächerer Glaube, oder als ein notdürftiger Ersatz des Glaubens anzusehn. Überzeugung ist die prosaische Demonstration; Glaube der Genuß, das Verstehn eines erhabenen Kunstwerks: dieses kann nie demonstriert, jene nie auf Kunstweise empfangen werden.

Darum muß man sich erst unter den großen Geistern, die in der Kunst gewaltet haben, demütigen, ehe man sie ganz empfinden und dann beurteilen will.

Aus Mangel dieser Demut geschieht es oft, daß das Vortreffliche verworfen wird, weil die Menschen oft ohne Not überzeugt sind, weil sie wissen, wie weit sich die Grenzen der Kunst erstrecken. Weil sich die Werke der unkünstlerischen Künstler demonstrieren lassen, so geschieht es aus mißverstandener Gutmütigkeit und gutem Willen, daß viele, ja die meisten, sie gern für Kunstwerke ansehn; vollends da sie nun hier ihrer Urteilskraft vollen Spielraum geben können, was bleibt ihnen nun noch zu wünschen übrig?

[350] Ich habe diese Gedanken, die mir immer gegenwärtig sind, hier ausgedrückt, weil es nicht selten ist, daß auch in der Musik, die doch die dunkelste von allen Künsten ist, dergleichen Vorurteile oder Unurteile gefällt werden. Denn die Tonkunst ist gewiß das letzte Geheimnis des Glaubens, die Mystik, die durchaus geoffenbarte Religion. Mir ist es oft, als wäre sie immer noch im Entstehn, und als dürften sich ihre Meister mit keinen andern messen. Doch bin ich nie willens gewesen, diese meine Meinung andern Gemütern aufzudrängen. Aber es wird vielleicht nicht undienlich sein, über einzelne Teile oder Werke dieser Kunst etwas Dreistes oder Anstößiges zu behaupten, weil nur auf diesen Wegen von jeher etwas geschehen ist.

Wenn unser Auge im vollen Sommer einen blühenden Rosenbusch erblickt, so können wir darüber eine unnennbare Freude empfinden. Die roten Kinder, die sich von allen Seiten herausdrängen, und Knospen und entfaltete Blumen durcheinander, die von allen Seiten aus den Zweigen in die freie warme Luft hinausstreben, die der Sonnenschein küßt: – wer vergißt in dieser vollen Blumenherrlichkeit nicht die einzelne Lilie, das verborgene Veilchen? –

So blüht in jeder Kunst eine volle, üppige Pracht, in der alle Lebensfülle, alle einzelnen Empfindungen sich vereinigen und nach allen Seiten streben und drängen, und ein vereinigtes Leben mit bunten Farben, mit verschiedenen Klängen darstellen. Nichts scheint mir in der Musik so diese Stelle auszufüllen, als die großen, aus mannigfachen Elementen zusammengesetzten Symphonien.

Die Musik, so wie wir sie besitzen, ist offenbar die jüngste von allen Künsten; sie hat noch die wenigsten Erfahrungen an sich gemacht, sie hat noch keine wirklich klassische Periode erlebt. Die großen Meister haben einzelne Teile des Gebietes angebaut, aber keiner hat das Ganze umfaßt, auch nicht zu einerlei Zeit haben mehrere Künstler ein vollendetes Ganzes in ihren Werken dargestellt. Vorzüglich scheint mir die Vokal- und Instrumentalmusik noch nicht genug gesondert, und jede auf [351] ihrem eigenen Boden zu wandeln, man betrachtet sie noch zu sehr als ein verbundenes Wesen, und daher kömmt es auch, daß die Musik selbst oft nur als Ergänzung der Poesie betrachtet wird.

Die reine Vokalmusik sollte wohl ohne alle Begleitung der Instrumente sich in ihrer eignen Kraft bewegen, in ihrem eigentümlichen Elemente atmen: so wie die Instrumentalmusik ihren eignen Weg geht, und sich um keinen Text, um keine untergelegte Poesie kümmert, für sich selbst dichtet, und sich selber poetisch kommentiert. Beide Arten können rein und abgesondert für sich bestehn.

Wenn sie aber bereinigt sind, wenn Gesang, wie ein Schiff auf Wogen, von den Instrumenten getragen und gehoben wird, so muß der Tonkünstler schon in seinem Gebiete sehr mächtig sein, er muß mit fester Kraft in seinem Reiche herrschen, wenn es ihm nicht begegnen soll, daß er entweder aus hergebrachter Gewohnheit, oder selber unwillkürlich eine von diesen Künsten der andern unterordnet. In den theatralischen Produkten tritt dieser Fall nur zu häufig ein: bald werden wir gewahr, wie alle Mannigfaltigkeit der Instrumente nur dazu dient, einen Gedanken des Dichters auszuführen, und den Sänger zu begleiten: bald aber Poesie und Gesang unterdrückt wird, und der Komponist sich nur daran freut, auf seinen Instrumenten sich in wunderbaren Wendungen hören zu lassen.

Ich wende mich aber von der übrigen Kunst weg, und will hier nur ausdrücklich von der Instrumentalmusik sprechen.

Man kann das menschliche Organ der Sprache und des Tons auch als ein Instrument betrachten, in welchem die Töne des Schmerzes, der Freude, des Entzückens und aller Leidenschaften nur einzelne Anklänge sind, die Haupt- und Grundtöne, auf denen alles, was dies Instrument hervorbringen kann, beruht. Strenge genommen, sind diese Töne nur abgerissene Ausrufungen, oder fortgehende Klänge der strömenden Klage, der mäßigen Freude. Glaubt man, daß alle menschliche Musik nur Leidenschaften andeuten und ausdrücken soll, so freut man sich, [352] je deutlicher und bestimmter man diese Töne auf den leblosen Instrumenten wiederfindet. Viele Künstler haben ihre ganze Lebenszeit darauf verwandt, diese Deklamation zu erhöhen und zu verschönern, den Ausdruck immer tiefer und gewaltsamer emporzuheben, und man hat sie oft als die einzig wahren und großen Tonkünstler gerühmt und verehrt.

Aus dieser Gattung der Musik haben sich auch verschiedene Regeln entwickelt, die jeder unbedingt annimmt, der gern für geschmackvoll angesehn sein will. Man dringt darauf, alle Ausmalungen, alle Verzierungen, alles, was dem edlen, einfachen Vortrage entgegensteht, aus dieser echten Musik zu verbannen.

Ich will dergleichen hier nicht tadeln, und die eigentliche Vokalmusik muß vielleicht ganz auf den Analogien des menschlichen Ausdrucks beruhen: sie drückt dann die Menschheit, mit allen ihren Wünschen und Leidenschaften, idealisch aus, sie ist, mit einem Worte, Musik, weil der edle Mensch selber schon in sich alles musikalisch empfindet.

Diese Kunst scheint mir aber bei allem diesem immer nur eine bedingte Kunst zu sein; sie ist und bleibt erhöhte Deklamation und Rede, jede menschliche Sprache, jeder Ausdruck der Empfindung sollte Musik in einem mindern Grade sein.

In der Instrumentalmusik aber ist die Kunst unabhängig und frei, sie schreibt sich nur selbst ihre Gesetze vor, sie phantasiert spielend und ohne Zweck, und doch erfüllt und erreicht sie den höchsten, sie folgt ganz ihren dunkeln Trieben, und drückt das Tiefste, das Wunderbarste mit ihren Tändeleien aus. Die vollen Chöre, die vielstimmigen Sachen, die mit aller Kunst durcheinandergearbeitet sind, sind der Triumph der Vokalmusik; der höchste Sieg, der schönste Preis der Instrumente sind die Symphonien.

Die einzelnen Sonaten, die künstlichen Trios und Quartetts sind gleichsam die Schulübungen zu dieser Vollendung der Kunst. Der Komponist hat hier ein unendliches Feld, seine Gewalt, seinen Tiefsinn zu zeigen; hier kann er die hohe poetische [353] Sprache reden, die das Wunderbarste in uns enthüllt, und alle Tiefen aufdeckt, hier kann er die größten, die groteskesten Bilder erwecken und ihre verschlossene Grotte öffnen, Freude und Schmerz, Wonne und Wehmut gehn hier nebeneinander, dazwischen die seltsamsten Ahndungen, Glanz und Funkeln zwischen den Gruppen, und alles jagt und verfolgt sich und kehrt zurück, und die horchende Seele jauchzt in dieser vollen Herrlichkeit.

Diese Symphonien können ein so buntes, mannigfaltiges, verworrenes und schön entwickeltes Drama darstellen, wie es uns der Dichter nimmermehr geben kann; denn sie enthüllen in rätselhafter Sprache das Rätselhafteste, sie hängen von keinen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit ab, sie brauchen sich an keine Geschichte und an keine Charakter zu schließen, sie bleiben in ihrer reinpoetischen Welt. Dadurch vermeiden sie alle Mittel, uns hinzureißen, uns zu entzücken, die Sache ist vom Anfange bis zu Ende ihr Gegenstand: der Zweck selbst ist in jedem Momente gegenwärtig, und beginnt und endigt das Kunstwerk.

Und dennoch schwimmen in den Tönen oft so individuell-anschauliche Bilder, so daß uns diese Kunst, möcht' ich sagen, durch Auge und Ohr zu gleicher Zeit gefangennimmt. Oft siehst du Sirenen auf dem holden Meeresspiegel schwimmen, die mit den süßesten Tönen zu dir hinsingen; dann wandelst du wieder durch einen schönen, sonnglänzenden Wald, durch dunkle Grotten, die mit abenteuerlichen Bildern ausgeschmückt sind; unterirdische Gewässer klingen in dein Ohr, seltsame Lichter gehn an dir vorüber.

Ich erinnere mich noch keines solchen Genusses, als den mir die Musik neulich auf einer Reise gewährte. Ich ging in das Schauspiel, und Macbeth sollte gegeben werden. Ein berühmter Tonkünstler hatte zu diesem herrlichen Trauerspiele eine eigne Symphonie gedichtet, die mich so entzückte und berauschte, daß ich die großen Eindrücke aus meinem Gemüte immer noch nicht entfernen kann. Ich kann nicht beschreiben, wie wunderbar allegorisch dieses große Tonstück mir schien, und doch voll [354] höchst individueller Bilder, wie denn die wahre, höchste Allegorie wohl wieder eben durch sich selbst die kalte Allgemeinheit verliert, die wir nur bei den Dichtern antreffen, die ihrer Kunst nicht gewachsen sind. Ich sah in der Musik die trübe nebelichte Heide, in der sich im Dämmerlichte verworrene Hexenzirkel durcheinanderschlingen und die Wolken immer dichter und giftiger zur Erde herniederziehn. Entsetzliche Stimmen rufen und drohn durch die Einsamkeit, und wie Gespenster zittert es durch all die Verworrenheit hindurch, eine lachende, gräßliche Schadenfreude zeigt sich in der Ferne. – Die Gestalten gewinnen bestimmtere Umrisse, furchtbare Bildungen schreiten bedeutungsvoll über die Heide herüber, der Nebel trennt sich. Nun sieht das Auge einen entsetzlichen Unhold, der in seiner schwarzen Höhle liegt, mit starken Ketten festgebunden; er strebt mit aller Gewalt, mit der Anstrengung aller Kräfte sich loszureißen, aber immer wird er noch zurückgehalten: um ihn her beginnt der magische Tanz aller Gespenster, aller Larven. Wie eine weinende Wehmut steht es zitternd in der Ferne, und wünscht, daß die Ketten den Gräßlichen zurückhielten, daß sie nicht brechen möchten. Aber lauter und furchtbar lauter wird das Getümmel, und mit einem erschreckenden Aufschrei, mit der innersten Wut bricht das Ungeheuer los, und stürzt mit wildem Sprunge in die Larven hinein, Jammergeschrei und Frohlocken durcheinander. Der Sieg ist entschieden, die Hölle triumphiert. Die Verwirrung verwirrt sich nun erst am gräßlichsten durcheinander, alles flieht geängstigt und kehrt zurück: der Triumphgesang der Verdammlichen beschließt das Kunstwerk.

Viele Szenen des Stücks waren mir nach dieser großen Erscheinung trüb und leer, denn das Schrecklichste und Schauderhafteste war schon vorher größer und poetischer verkündigt. Ich dachte immer nur an die Musik zurück, das Schauspiel drückte meinen Geist und störte meine Erinnerungen, denn mit dem Schlusse dieser Symphonie war es für mich völlig geschlossen. Ich weiß keinen Meister und kein Tonstück, das diese Wirkung auf [355] mich hervorgebracht hätte, in dem ich so das rastlose, immer wütigere Treiben aller Seelenkräfte wahrgenommen hätte, diesen fürchterlichen, schwindelerregenden Umschwung aller musikalischen Pulse. Das Schauspiel hätte mit diesem großen Kunstwerke schließen sollen, und man könnte nichts Höheres in der Phantasie ersinnen und wünschen; dann war diese Symphonie die poetischere Wiederholung des Stücks, die kühnste Darstellung eines verlornen, bejammernswürdigen Menschenlebens, das von allen Unholden bestürmt und besiegt wird.

Es scheint mir überhaupt eine Herabwürdigung der Symphoniestücke zu sein, daß man sie als Einleitungen zu Opern oder Schauspielen gebraucht, und der Name Ouvertüre daher auch als gleichbedeutend angenommen ist. Man sollte fast glauben, daß jene unbedeutendern Komponisten darin eigentlich am richtigsten gefühlt hätten, daß sie ihre Ouvertüre nur aus den verschiedenen Melodien bestehen lassen, die sie in der Oper selbst wieder vorbringen und hier nur lose verknüpfen. Denn bei andern geschieht es nur gar zu oft, daß wir die höchste Poesie im voraus genießen.

Zu den gewöhnlichen Schauspielen sollte man nie besondere Symphonien schreiben, denn wenn sie nur einigermaßen passen sollen, so wird die Tonkunst dadurch von einer fremden Kunst abhängig gemacht. Wozu überhaupt Musik hier? Auf dem alten englischen Theater hörte man nur einige Trompetenstöße vorher, – man sollte dies wieder einführen, oder wenigstens die Musik ebenso unbedeutend sein lassen, als es die meisten unserer Schauspiele sind.

Schöner wäre es wohl, wenn unsere großen Schauspiele oder Opern mit einer kühnen Symphonie geschlossen würden. Hier könnte der Künstler denn alles zusammenfassen, seine ganze Kraft und Kunst aufwenden. Dies hat auch unser größter Dichter empfunden; wie schön, kühn und groß braucht er die Musik als Erklärung, als Vollendung des Ganzen in seinem Egmont! Schon beginnt sie in feinen, langsamen, klagenden Tönen, indem die Lampe erlischt: sie wird mutiger, geistiger und [356] wunderbarer bei der Geistererscheinung und dem Traume, – das Stück schließt, ein Marsch, der sich schon ankündigte, fällt ein, der Vorhang fällt, und eine Siegssymphonie beschließt das erhabene Schauspiel. – Diese Siegssymphonie wäre für den wahren Tonkünstler eine große Aufgabe; hier könnte er das Schauspiel kühn wiederholen, die Zukunft darstellen, und den Dichter auf die würdigste Art begleiten.


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Beschluß der Aufsätze Joseph Berglingers

Der Traum
Eine Allegorie
Durch dunkle Schatten lenkt' ich meine Schritte,
Es ging mein treuer Freund zur Seite mir,
Er hörte meine ängstlich inn'ge Bitte
Und weilte nur zu meinem Besten hier.
Da standen wir in einer Felstals Mitte,
Von dräunden Klippen eingeschlossen schier:
Mit bangem Herzen hielt ich ihn umschlossen,
Mein Haupt verbarg ich, meine Augen flossen.
Wir zitterten dem scharfen nächt'gen Winde,
Verloren in der dunkeln Einsamkeit,
Die schwarzen Wolken jagten sich geschwinde,
Die Eule laut vom Felsen niederschreit,
Nacht eng' um uns, wie eine dunkle Binde,
Ein Wassersturz, der tobend schäumt und dräut:
Ach! seufzt' ich, will kein Sternchen niederblicken,
Mit schwachem Flimmerschein uns zu beglücken?
[357]
Wie strebten wir mit Blicken durch die Schatten,
Ein Sternchen, nur ein Lichtlein zu erspähn!
Wir standen sinnend, wie zu diesen Matten
Der Gang in tiefer dunkler Nacht geschehn,
Doch, wenn wir plötzlich die Erinnrung hatten,
Entflog sie wieder in des Sturmes Wehn;
Wir waren ganz uns selber hingegeben
Und neben uns gedieh kein ander Leben.
Ach! da begann ein zärtlich Wechselstreiten,
Denn jeder will dem andern tröstlich sein,
Die Liebe soll in diesen Dunkelheiten
Entzünden einen fröhlich-süßen Schein,
Er rief: ich will, mein trauter Freund, dich leiten,
Geh kummerfrei mit mir das Bündnis ein,
Mag uns das Dunkel dunkler noch umfließen,
Es glänzt, wenn wir uns brüderlich umschließen.
Da kämpften wir, mit Blicken uns zu finden,
Zu schenken uns der Augen holden Gruß,
Und Aug' an Auge liebend festzubinden,
Die Freundschaft soll ertöten den Verdruß,
Doch, nimmer will das Dunkel sich entzünden,
Wir trösten uns durch einen Wechselkuß,
Und jeder, von dem andern festgehalten,
Ergibt sich gern den feindlichen Gewalten.
Doch ist es wohl ein Blendnis unsrer Sinnen?
Ein Sternchen liegt zu unsern Füßen da,
Wir können noch den Glauben nicht gewinnen,
So deutlich ihn auch schon das Auge sah.
Wir sehen kleine blaue Strahlen rinnen,
Die Gräser, die dem schwachen Schimmer nah
Erleuchten nun mit ihrer zarten Grüne,
Daß wunderhell das kleine Plätzchen schiene.
[358]
Und wie wir noch das Wunder nicht begreifen,
Erschimmert heller der verlorne Stern,
Wir sahen deutlich buntgefärbte Streifen,
Und hafteten auf diesem Anblick gern:
Doch kleine Punkte hin und wieder schweifen,
Und zittern eilig hier und fern und fern,
Und aus dem rätselhaften Wunderglanze
Erzeugt sich plötzlich eine schöne Pflanze.
Zwar schien sie herrlich nur in unsern Blicken,
Sie schwankt und glänzt wie wenn die Distel blüht,
Kein ander Auge würde sich entzücken,
Da uns die unbekannte Sehnsucht zieht;
Wir wollen schon die hohe Blume pflücken,
An unser Herz zu heften sie bemüht.
Sie tröstet unbegreiflich uns im Leiden,
Sie ist der Inhalt aller unsrer Freuden.
Und keiner von uns denkt darauf, zu fragen,
Was für ein Glück in dieser Blume ruht,
Vergessen sind schon alle vor'gen Klagen,
Wir fühlen neuen, kühnen Lebensmut.
Für mich will er nun alles Unheil tragen,
Ich gönne ihm das schönste Lebensgut.
Wir beugen uns, da klingt es aus der Ferne
Entzückend schön, wie ein Gesang der Sterne.
Ein neues Staunen hält den Sinn gefangen,
Indem die Melodie nun lauter klingt,
Im Busen zittert mächtiges Verlangen,
Das wie zum Horchen so zur Freude zwingt.
Die Töne sich so wundersamlich schwangen,
Und jeder Klang uns Freundesgrüße bringt,
Und zärtlich wird von allen uns geheißen
Daß wir die Pflanze nicht dem Fels entreißen.
[359]
Mit Scheu und Liebe stehn wir vor der Blume,
Des Busens Wonne regt sich sanft und mild,
Wir fühlen uns so wie im Heiligtume,
Die vor'ge Liebe dünkt uns rauh und wild.
Wir schätzen es zu unserm schönsten Ruhme,
Zu lieben, nicht zu rauben jenes Bild:
Verehrung zieht uns auf die Kniee nieder,
Die erste Liebe kehrt verschönert wieder.
Jetzt war für uns die Einsamkeit voll Leben,
Wir sehnten uns nur zu der Blume hin,
Ein freudenvolles, geisterreiches Weben
Durchläuterte den innerlichsten Sinn;
Wir fühlten schon ein unerklärbar Streben,
Nur nach dem Edelsten und Schönsten hin,
Die Wonne wollte fast das Herz bezwingen,
Wir hörten Staud' und Baum und Fels erklingen.
Wie wenn uns zarte Geister Antwort riefen,
So tönt die Stimme hold und wundersam,
Aus allen dunkeln unterird'schen Tiefen
Uns Liebesdrang und Gruß entgegenkam,
Die Geister, die noch tot in Felsen schliefen,
Erstehn, sich jeder Lebensregung nahm:
Wir waren rund vom zärtlichsten Verlangen,
Von Liebesgegenwart ganz eng umfangen.
Wie kann die Blume solchen Zauber hegen?
Sprach ich, indem ich mich zuerst besann.
Mag sie die Brust so kräftiglich erregen,
Daß ich die Welt und mich vergessen kann?
Es klopft das Herz mit neugewalt'gen Schlägen,
Der Geist dringt zum Unendlichen hinan,
Wohl mir, mein Freund, daß ich mit dir genieße,
Mit dir zugleich das schönste Glück begrüße!
[360]
Doch jener war in Wonne neu geboren,
Er lächelte mit lichtem Freundesblick;
Doch Wort und Rede war für ihn verloren,
Sein hochverklärtes Antlitz sprach sein Glück,
Nur für das Seligste schien er erkoren,
Und fand zur alten Welt nicht mehr zurück,
Er schien in weit entfernte schöne Auen
Mit hoher Trunkenheit hineinzuschauen.
Und wie ich mich an meinem Freund erfreue,
Sein Glück mich mehr als selbst mein eignes rührt,
Erleuchtet über uns die schönste Bläue,
Die Wolken teilen sich, ein Windstoß führt
Sie abwärts, heller scheint des Himmels Freie,
Das holde Licht mit Tagesglanz regiert,
Die Blume schießt empor, die Blätter klingen,
Und Strahl und Funken aus dem Kelche springen.
Bald steht sie da und gleicht dem höchsten Baume
Die Blüten, jedes Blatt entfaltet sich,
Und aus dem innren Haus, dem grünen Raume
Erstehen Engelsbilder seltsamlich,
Wir stehn und schaun dem süßen Wundertraume,
Ich frage ihn, sein Blick befraget mich,
Die Kinder haben Bogen in den Händen,
Die sie mit ziel'ndem Pfeile nach uns wenden.
Die Sehne wird mit leichter Kraft gezogen,
Der schöne Pfeil enteilet durch die Luft,
Befiedert kömmt er zu uns hingeflogen,
Er rauscht hinweg, verfliegt in ferner Kluft.
Aufs neue schon gespannt der Silberbogen,
Herüber weht ein süß-ätherscher Duft;
Wir stehen zweifelnd, und es ruft der Schöne:
Entsetzt euch nicht, die Pfeile sind nur Töne!
[361]
Wir horchten nun wie sie herüberdrangen,
Wie jeder glänzend uns vorüberfuhr,
Wie dann die Luft, der Wald, das Feld erklangen,
Mit holder Stimme red'te die Natur:
Da glühen rosenrot des Freundes Wangen,
Er spricht entzückt und tut entzückt den Schwur:
Mich ziehen fort die süß-melod'schen Wellen,
Ich will den Pfeilen mich entgegenstellen!
Da beut die Brust sich trunken allen Tönen,
Er strebt und ringt, zu künden sein Gefühl,
Er blickt mit heiterm Lächeln nach den Schönen,
Sie freun sich mehr und mehr an ihrem Spiel,
Sie wollen gern den Freund mit sich versöhnen,
Und machen ihn nur emsiger zum Ziel,
Ein jeder will den andern übereilen,
Den Liebling ganz von seinem Gram zu heilen.
Da sind sie noch im vollen muntern Streiten,
Als sich ein neuer Wunderanblick zeigt,
Vom Wipfel seh' ich Bilder niederschreiten,
Ein Geisterheer dem hohen Baum entsteigt,
Der edlen Menge, wie sie abwärts gleiten,
Sich rauschend Stamm und Ast und Wipfel neigt,
Sie kommen her, ich fühl' mein Herze brennen,
Und irr' ich? alle glaub' ich jetzt zu kennen.
Und hinter ihnen wie sie weiter gehen,
Durch Himmel, Luft und auf der Erde hin,
Glaub' ich ein weißes helles Licht zu sehen,
Der Wiese Blumen glänzen schöner drin.
Die Bäume nun wie größre Blumen stehen,
Und jeglich Wesen pranget im Gewinn,
Ist alles rund mit Poesie umgossen,
Von Lieb' und Wohllaut jedes Blatt umflossen.
[362]
Sie sind's, die hochberühmten Wundergeister,
Der Greis Homer der vorderste der Schar,
Ihm folgen Raffael, und jener Meister,
Der immer Wonne meiner Seele war,
Der kühne Brite, sieh', er wandelt dreister
Vor allen her, ihm weicht die ganze Schar, –
Sie breiteten ein schönes Licht, mit Wonne
Erscheint es weit und dunkelt selbst die Sonne.
Nun war Entzücken rund umher entsprossen,
Wir wohnen unter ihm wie unterm Zelt,
Vom Zauberschein ist alles weit umflossen,
Von süßen Tönen klingt die weite Welt,
Wohin wir gehn sind Blumen aufgeschossen,
Mit tausend Farben prangt das grüne Feld.
Es singt die Schar: Dies Glück müßt ihr uns danken,
Doch nie muß eure Liebe für uns wanken! –
Ich wachte nun aus meinem holden Schlummer,
Und um mich war der Glanz, das süße Licht:
Doch ach! o unerträglich herber Kummer,
Den vielgeliebten Freund, ihn fand ich nicht,
Ich suchte wieder den entflohnen Schlummer,
Das liebe wundervolle Traumgesicht,
Die Künstler waren noch mit Freundschaft nahe,
Doch ach! daß ihn mein Auge nicht mehr sahe!
Und soll ich nun noch gern im Leben weilen,
So bleibe du, den ich noch eh' gekannt,
Mit dem so Lust als tiefen Schmerz zu teilen
Das Schicksal schon als Knaben mich verband;
O bleib, und laß uns Hand in Hand durcheilen
Der vielgeliebten Kunst geweihtes Land,
Ich würde ohne dich den Mut verlieren,
So Kunst als Leben weiter fortzuführen.
[363]

Notizen
Aus dem Nachlaß herausgegeben von Ludwig Tieck. Erstdruck: Hamburg (Perthes) 1799.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Wackenroder, Wilhelm Heinrich. Phantasien über die Kunst für Freunde der Kunst. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-897C-B