Heinrich Leopold Wagner
Die Kindermörderin
Ein Trauerspiel

[1454]

Personen

Personen.

    • Martin Humbrecht, ein Metzger.

    • Frau Humbrecht.

    • Evchen Humbrecht, ihre Tochter.

    • Lissel, ihre Magd.

    • Magister Humbrecht.

    • Major Lindsthal.

    • Lieutenant von Gröningseck.

    • Lieutenant von Hasenpoth

    • Wirtin im »Gelben Kreuz«.

    • Marianel, eine Magd darin.

    • Frau Marthan, eine Lohnwäscherin.

    • Fiskal.

    • Zween Fausthämmer.

    • Blutschreiber, Geschworne stumme Personen.

1. Akt

Erster Akt

Ein schlechtes Zimmer im Wirtshaus »Zum Gelben Kreuz«: die Art wie es möblieret sein muß, ist aus dem Akt selbst zu ersehn: auf der Seite eine Türe, die in eine Nebenkammer führt. Lieutenant von Gröningseck führt Frau Humbrecht an der Hand herein. Evchen ihre Tochter geht hinterdrein. Die Frauenzimmer haben Domino, er eine Wildschur an; alle noch ihre Masken vor.

MARIANEL
setzt ein Licht auf den Tisch, im Abgehn.
Sie haben schon befohlen?

[1454] Lieutenant winkt ja, Magd ab.
FRAU HUMBRECHT
die Maske vom Gesicht ziehend.
Herr Hauptmann! Sie stehn mir doch –
VON GRÖNINGSECK
wirft Wildschur, Maske und Hut hin.

Für alles, liebe Frau Humbrecht! für alles! – Ein Mäulchen, Kleine; das ist Ballrecht:Zieht Evchen die Maske auch ab. sei doch nicht so kleinstädtisch; ein Mäulchen! sag ich. Küßt sie; zur Mutter. Noch aber bin ich nicht Hauptmann, und ich laß mich nicht gern mehr schelten, als ich bin.

FRAU HUMBRECHT
verneigt sich.
Wie Sie befehlen; Sie stehn mir doch, Herr Major –
VON GRÖNINGSECK.
Bravo! bravo! immer besser! ha ha ha!
EVCHEN.

Ei, Mutter, stell Sie sich doch nicht so artig; Major ist ja noch mehr als Hauptmann, Sie weiß ja gar nichts. – Der Herr Lieutenant wohnt schon einen ganzen Monat bei uns. –

VON GRÖNINGSECK.
Einen Monat und drei Tage, mein Kind! ich hab jede Minute gezählt.
EVCHEN.
Denk doch! ist Ihnen die Zeit so lang geworden.
VON GRÖNINGSECK.
Noch nicht! aber bald möchte sie mir's werden, wenn du nicht –
EVCHEN.
Du! seit wann so vertraut?
VON GRÖNINGSECK.

Zank nicht, Evchen! zank nicht! Müßt mir heut nichts übelnehmen, Leutchen, ich hab ein Gläschen Likör zuviel.

FRAU HUMBRECHT.
Was ich fragen wollt, Herr Leutenant, Sie stehn mir doch davor, daß wir in einem honetten Haus sind?
VON GRÖNINGSECK.

So soll mich der Teufel lebendig zerreißen, Frau Humbrecht! wenn hier nicht täglich alles, was beau monde heißt, zusammenkommt: – sehn Sie nur an, wie schlecht das Zimmer möbliert ist. –

FRAU HUMBRECHT.
Eben drum!
VON GRÖNINGSECK.

Eben drum! freilich, eben drum! Das macht, die guten Zimmer sind alle schon besetzt. Meint Sie denn pardieu! der Lieutenant von Gröningseck würde sich sonst in einen solchen Stall weisen lassen. Drei Stühl, und ein Tisch, den man nicht anrühren darf!


Er stößt daran, der Tisch fällt um, das Licht mit, geht aus.
FRAU HUMBRECHT.
Herrjemine das Licht! Herr Leutenant, das Licht!
VON GRÖNINGSECK
ihr nachäffend.

Das Licht! das Licht! Hat der [1455] Henker das geholt, so gibt's noch andre. – Wo ist der Leuchter? – Sucht.

EVCHEN.
Hier hab ich ihn schon.
VON GRÖNINGSECK.
Wo? wo?
EVCHEN.
Ei hier! Sie greifen ja dran vorbei – pfui! –
FRAU HUMBRECHT.
Was ist? was gibt's?
VON GRÖNINGSECK.
Gar nichts! Nimmt den Leuchter ab, und geht nach der Türe. Holà, des flambeaux!

Ein altes Weib hält ihm, ohne sich recht sehn zu lassen, ein Licht hin, er steckt seines an.
EVCHEN
sich die Hände am Schnupftuch abwischend.

Ei da hab ich mir die Hände am Inschlitt beschmiert. Wirft dem Lieutenant heimlich einen drohenden Blick zu; er lächelt.

FRAU HUMBRECHT.
Wenn's sonst nichts ist –
VON GRÖNINGSECK
stellt den Tisch wieder auf, das Licht drauf.

Das war ma foi ein Hauptspaß! eben red ich von dem krüpplichten Hund, da stürzt die Kanaille zu Boden – Bald hätten wir das Beste übersehn, le diable m'emporte, c'est charmant; c'est divin! seht doch das Stellagie da an, halb Bett, halb Kanapee; ich glaub gar, es ist ein Feldschragen, den sie aus dem Spital gestohlen haben; ha ha ha! – Was wett ich: Sie haben kein so schönes Brautbett gehabt, Frau Humbrecht? – Zwar nur ein Strohsack – Drückt mit der Hand drauf. aber doch gut gefüllt – elastisch! –

FRAU HUMBRECHT
halb böse.
Ei was, Herr Leutenant! in Gegenwart meiner Tochter –
VON GRÖNINGSECK.

Muß ich Sie küssen – guckst scheel, Evchen? – noch einmal, dem Evchen zum Possen! – so! aller guter Ding sind drei. –Geht auf Evchen los, bietet ihr die Hand, sieht ihr starr in die Augen, sachte zur Tochter. Das war Strafe für dein unzeitiges Pfui! Evchen lacht, schlägt ein.

FRAU HUMBRECHT
während obiger Pantomime.

Er ist zum Fressen der kleine Narr! man muß ihm gut sein, nicht ob man will: wie Quecksilber, bald da, bald dort.

MARIANEL
kommt.
Befehlen Sie, daß man aufträgt?
VON GRÖNINGSECK.
Das versteht sich pardieu! je eher je besser, und je mehr je lieber!
FRAU HUMBRECHT.
Komm, Eve! ich muß den Domino ein wenig ausziehn, es wird mir so warm ums Herz.
EVCHEN.
Mir auch Mutter! Nimmt der Magd die Lampe ab, und geht mit ihrer Mutter ins Nebenzimmer.
[1456]
VON GRÖNINGSECK.

Desto besser! Sachte. für mich. Ruft ihnen nach. Soll ich die Kammermagd vorstellen? ich kann perfekt mit umgehn. –

FRAU HUMBRECHT.
Ei ja! das wär mir schön. Nein, so eine Kammermagd wär uns viel zu vornehm.
EVCHEN.
Wir können's ohne Sie, Herr Blaurock!

Schabt ihm hinterrücks der Mutter ein Rübchen, und schlägt die Tür zu.
VON GRÖNINGSECK.

Wo führt denn dich das Donnerwetter hierher, Marianel? bist nicht mehr im Kaffeehaus dort an der Eck? – das kleine Stübchen war sehr bequem –

MARIANEL.

Gar recht, daß du selbst davon anfängst, du Teufelskind – gar recht! bist mir auch noch 's Christkindel schuldig, gleich gib mir's, oder ich verrat dich. –

VON GRÖNINGSECK.
Ich – dir schuldig? hab ich dir nicht jedesmal deinen kleinen Taler gegeben, wenn –
MARIANEL.

Ja schön allemal bezahlt! wie oft hab ich dir borgen müssen? gelt du weißt es nit du Saufigel, wie Er den Sonntag vor Weihnachten noch des Nachts um zwölf einen Lärm machte, als wollt Er das Haus stürmen, und wie ich Ihn heimlich zur Hintertür herein ließ, und wie ich Ihm Tee kochte, und wie Er mich über und über bespie, und –

VON GRÖNINGSECK.

Und – und – halt 's Maul zum – hier sind sechs Livres, du Schindaas – Aber eins mußt du mir zu Gefallen tun –

MARIANEL.
Alles, alles, mein Kostbarle! sag! red!

Will ihn liebkosen.
VON GRÖNINGSECK
stößt sie von sich.
Das ist heut überflüssig: wenn der Soldat Eierweck hat, frißt er kein Kommißbrot.
MARIANEL.
Denk doch! Kostbarle, bist sehr verschleckt; wirst froh sein und von selbst wiederkommen.
VON GRÖNINGSECK.

Das denk ich auch, Narr! so bös ist's nicht gemeint! – sieh, da ist ein Päckchen, das nimm, und wenn ich um Punsch ruf, so tu das Pulver, das drin ist, ins erste Glas voll, das du auf den Tisch stellst. –

MARIANEL.

Geh du zum lüftigen Teufel mitsamt deinem Pulver, du Tausendsakerment! willst mich die Leut vergiften machen? – meinst, ich hab kein Gewissen, du Höllenhund? –

VON GRÖNINGSECK.

So hör mich doch an, Marianchen! sakerment hör mich, oder – Es ist kein Gift, ein kleiner Schlaftrunk ist's, wenn's doch wissen willst – und hier ist noch ein großer Taler –

[1457]
MARIANEL.
Ja so! das ist was anders – so gib nur her.

Sie greift nach dem Geld, er steckt's wieder ein.
VON GRÖNINGSECK.
Hier ist das Pulver – mach deine Sachen ja klug! wenn ich fortgeh, kriegst du den großen Taler.
MARIANEL.
Warum nicht gleich?
VON GRÖNINGSECK.
Einer Hur ist niemals zu trauen –
MARIANEL
im Fortgehn.

Keinem Schelmen auch nicht, und wenn keine Hurenbuben wären; so gäb's lauter brave Mädels. – Darft's wohl noch schimpfen ihr – erst schnitzt ihr euch euren Herrgott, dann kreuzigt ihr ihn. –

VON GRÖNINGSECK.
Halt 's Maul! und tu, was ich dir sagte.
MARIANEL.
's wird einen Dreck nutzen.

Ab.
VON GRÖNINGSECK.

Das ist meine Sorge! Es müßte toll hergehn, wenn ich die Alte nicht über den Gänsmist führen sollt – Zu Evchen, die zurückkommt, die Mutter hinterdrein. So, ma chère, das ist recht, das ist schön, sehr schön! – le diable m'emporte – siehst so recht appetitlich aus! so dünn und leicht angezogen! – bist auf mein Ehr recht hübsch gewachsen, so schlank! alles so markiert! –

FRAU HUMBRECHT.
Na, Herr Leutenant, wie seh denn ich aus? gelt! zum Spektakel –
VON GRÖNINGSECK
ohne sie anzusehn.
Superb, superb! das Negligé steht Ihnen recht gut.
FRAU HUMBRECHT.
Ja, das sagt er so: Gedanken sind zollfrei, denkt er; – wenn nur ein Spiegel da wäre! –
VON GRÖNINGSECK.

Wie göttlich schön dir das derangierte Haar läßt, mein Liebchen! kann mich nicht satt an dir sehn: – die Zöpfe so flott!


Küßt sie, und führt sie, den Arm um ihren Leib geschlungen, dem Tisch zu, setzen sich nebeneinander.
FRAU HUMBRECHT
sich mittlerweil betrachtend.

Du hast fast recht, Eve, ich hätte den Domino wieder umwerfen sollen – jetzt seh ich's erst, bei der Lampe hab ich's nicht so bemerkt – mein Mantlett ist fast gar zu schmutzig.

EVCHEN.
Hab's Ihr ja gleich gesagt, aber da hat Sie keine Ohren gehabt.
VON GRÖNINGSECK.
Es ist gut, Leutchen! 's ist gut! Frau Humbrecht 's ist gut, sag ich.
FRAU HUMBRECHT.

Na denn! wenn's nur Ihnen gut genug ist – Geht zu ihm, und spielt ihm an der Epaulette. – ich hab eben gedacht, unter der Maske sieht man's ja nicht, ob's rein oder [1458] schmutzig ist, und tust du ein weißes an, dacht ich, so wird's doch auch verkrumpelt.

VON GRÖNINGSECK.

Eine vortreffliche Haushälterin, bei meiner Treu; Läßt Evchens Hand gehen, packt ihre Mutter um den Leib, und stellt sie zwischen seine Beine. très bonne ménagère! – sind Sie denn nicht müde geworden auf dem Ball, mein Weibchen?

FRAU HUMBRECHT.

Ei wer kann denn da müd werden, es gibt immer etwas zu sehn! immer was Neues! ich hätt, glaub ich, noch die ganze Nacht und den ganzen Tag durch ohngegessen und ohngetrunken auf einem Fleck sitzen können.

EVCHEN.
Ich nicht! am Zusehn hätt ich gar keine Freud.
VON GRÖNINGSECK.
Du machst lieber selbst mit, nicht wahr?
EVCHEN
unschuldig.
Ja!
FRAU HUMBRECHT
lacht; sich recht auszulachen bückt sie sich vorwärts an des Lieutenants Brust, das Gesicht von Evchen abgekehrt: Er spielt ihr am Halsband, sie drückt ihm die Hand, und küßt sie.

Das hat sie nicht verstanden: müssen ihr ihre Dummheit nicht übel auslegen. Sich aufrichtend. Sie sind auch gar zu schlimm, daß Sie es nur wissen.

MARIANEL
bringt Essen, hernach Wein und Gläser, setzt es hin, geht ab.
VON GRÖNINGSECK.

Allons fix! Platz genommen meine Lieben! Das Frühstück ist da; – zugegriffen! – Sie setzen sich, er legt vor. Hier Madame –

FRAU HUMBRECHT.

Pfui doch! ich hab's Ihnen ja schon oft gesagt, ich mag nicht Madame heißen; ich bin halt Frau schlechtweg – sorgen Sie aber auch für sich. –

EVCHEN.
Wo denken Sie hin? – was soll ich mit alle dem Essen anfangen?

Will wieder in die Schüssel legen.
FRAU HUMBRECHT.

Laß nur, behalt's! – Kannst ja, was du nicht essen kannst, in die Poschen stecken: – nit wahr? Herr Leutenant! – bezahlt muß es doch werden.

VON GRÖNINGSECK.

Richtig, mein Weibchen!Kneipt ihr in die Backen, und schielt auf Evchen. Ma foi Sie haben Verstand wie ein Engel; gleich wissen Sie sich zu helfen. – Pardieu! der Muskatenwein ist vortrefflich! Stößt an. Unsre Gesundheit! – der künftige Mann, Evchen!

FRAU HUMBRECHT.
O das hat noch Zeit; – sie ist erst achtzehn Jahr alt.
VON GRÖNINGSECK.
Schon drei Jahr verloren!
[1459]
FRAU HUMBRECHT.

Denk doch! und ich war nächst an den vierundzwanzigen, als ich meinen Humbrecht kriegte, und doch lachten mich meine Kameräden all aus, daß ich so jung heiratete.

VON GRÖNINGSECK.
Gotische Zeiten! Gotische Sitten! – Stößt an. Nun die Brautnacht, Frau Humbrecht!
FRAU HUMBRECHT.

Hi hi hi! Sie wollen mir, glaub ich, ein Räuschchen anhängen, nein, nein! da wird nichts draus. – Na denn; meinem lieben Mann zu Ehren; ich geb mir die Ehr –


Will aufstehn.
VON GRÖNINGSECK
hält sie davon ab.

Ohne Komplimenten! wir trinken noch eine Bouteille, und dann setzen wir ein Gläschen Punsch obendrauf.

FRAU HUMBRECHT.

Behüt und bewahre! Das würde mir eine schöne Wirtschaft geben: – nein, nein! wenn's Ihnen gefällig ist, wollen wir jetzt auf brechen –

VON GRÖNINGSECK.

Aufbrechen? jetzt schon? rappelt dir's Weibchen? – Faßt sie um den Hals. Wahrhaftig, da würden wir uns schön affigieren. –Sieht auf die Uhr. Erst halb drei! die ganze Nachbarschaft würde uns auslachen, wenn wir um halb drei schon vom Ball nach Haus kämen. – Lassen Sie sich nur nichts davon träumen, Frau Humbrecht! – Vor einer Stunde kommen Sie mir nicht vom Fleck hier, und dann fahren wir noch erst wieder auf den Ball zurück; – ich hab Kontermarken genommen.

EVCHEN.
O ja Mutter! noch auf den Ball wieder!
FRAU HUMBRECHT.

Na so denn! weil ich dir doch eine Freude hab machen wollen; und weil uns der Herr Leutenant so viel Ehr erzeigt, so will ich's denn nur erlauben – dein närrischer Vater läßt dich ja so nie aus dem Haus.

VON GRÖNINGSECK.

Das heiß ich geredet: wenn man nur selten ans Vergnügen kommt, so muß man's auch recht genießen, zudem ist heute der letzte Ball für dies Jahr: also – frisch Evchen! nicht so geleppert, das Glas muß aus: Evchen leert's. So bist brav! sollst auch ein Mäulchen haben! – Küßt sie. Holà! la maison! Marianel macht die Tür auf. Punsch! Magd wieder ab.

EVCHEN.
Was ist denn der Punsch eigentlich für ein Getränk, Mutter?
FRAU HUMBRECHT.
Ich weiß selbst – es ist halt –
VON GRÖNINGSECK.

Wie Evchen, du weißt nicht, was Punsch ist, [1460] hast noch keinen getrunken? – Ihr Leute lebt ja, wie die Bettelmönche – schon achtzehn Jahr alt, und heut zum erstenmal auf den Ball gewesen, und weiß nicht, was Punsch ist? – Ein Nektar! ein Göttertrank ist's! le diable m'emporte, s'il n'est pas vrai! Wenn ich König von Frankreich wär, so wüßt ich mir dennoch kein delikaters Gesöff zu ersinnen, als Punsch; der ist und bleibt mein Leibtrank, so wahr ich – Ah le voilà! Marianel bringt drei Schoppengläser auf einem Kredenzteller; er nimmt ihr eins nach dem andern ab, beim ersten, das sie ihm hinhält, frägt er sie. Ist das vom Rechten?

MARIANEL
sich tief verneigend.

Ihnen gehorsamst aufzuwarten – Zwickt ihn, ungesehn der andern im Arm, er sieht sie stolz an, und macht eine Bewegung mit der Hand, daß sie fortgehn soll: sie verneigt sich nochmals, und geht mit Mühe das Lachen verbeißend, ab.

FRAU HUMBRECHT
hält das Glas an die Nase.

Ja da kommen Sie mir schön an, beim Blut; da trink ich keinen Tropfen von; – das riecht einem ja, Gott verzeih mir's! so stark in die Nase, daß man vom bloßen Geruch besoffen wird.

VON GRÖNINGSECK.

Grade das Gegenteil, Weibchen! grade das Gegenteil; – ich geb Ihnen meine parole d'officier, oder auch meine parole de maçon, welche Sie wollen, daß ich mich schon mehrmals zwei- auch dreimal in einem Nachmittag besoffen, und jedesmal im Punsch mich wieder nüchtern getrunken habe.

EVCHEN.
Ja Sie: Sie haben den Magen schon ausgepicht, aber ich bin gar nichts Starkes gewohnt.
VON GRÖNINGSECK.

Gut! so will ich kapitulieren: Evchen trinkt, soviel sie will, und ihren Rest nehm ich noch auf mich; die Mama aber leert ihr Glas so ist hübsch die Proportion gehalten. – Allegro! ins Gewehr! –


Er reicht jeder ihr Glas, nimmt seines, stößt an, sie trinken.
EVCHEN
speit aus.
Pfui! das brennt einen ja bis auf die Seele.
FRAU HUMBRECHT.

Du Unart! geht man denn mit Gottes Gab so um? Trinkt wieder fort. – Mir schmeckt's ganz gut – fast wie Rosoli.

VON GRÖNINGSECK.

So ungefähr, ja! – wenn's Ihnen nur schmeckt, Weibchen. – Aber eins, Evchen, mußt du mir, wenn wir wieder auf den Ball fahren, versprechen, daß du mir keinen Teutschen mit jemand anders, als mit mir tanzest; Kontertänz soviel du willst.

[1461]
FRAU HUMBRECHT.
Gelt! sie kann nichts! hat's eben wieder verlernt. –
VON GRÖNINGSECK.

Nicht doch! – sie tanzt nur zu gut, macht ihre Figuren, Wendungen, Stellungen mit zu viel grâce, zu reizend, zu einnehmend – ich kann's ohne heimlich eifersüchtig zu werden, nicht mit ansehn.

FRAU HUMBRECHT.

Ei Sie belieben halt zu vexieren! – sie hat zwar drei Winter hintereinander beim Sauveur Lektion genommen. –

VON GRÖNINGSECK.

Beim Sauveur! – pardieu! da wundert's mich nicht mehr – ich hab auch bei ihm repetiert: – c'est un excellent maître pour former une jeune personne! – sein Wohlsein! Frau Humbrecht und er trinken. – aber, comment diable kamen Sie an den Sauveur? der hat ja immer so viel mit Grafen und Baronen zu tun –

EVCHEN.

Es waren auch drei Baronen und ein reicher Schweizer, die beim Herr Schaffner neben uns logierten, und weil sie noch Frauenzimmer brauchten, so luden sie mich auch ein.

VON GRÖNINGSECK.
Die Kerls hatten, hol mich der Teufel! keinen übeln Geschmack. – Wie lang ist es?
FRAU HUMBRECHT
gähnend.
Schon fünf Jahr, glaub ich –
EVCHEN.
Ja so lang ist's gewiß, wenn's nicht gar sechse sind.
VON GRÖNINGSECK.
Das laß ich gelten: – da warst du zwölf Jahr alt, und stachst doch schon den Barons in die Augen –
EVCHEN.
Ei Mutter! Sie wird doch, hoff ich, nicht einschlafen wollen?
VON GRÖNINGSECK
faßt sie mit der einen Hand um den Hals, und hält ihr mit der andern das Glas an den Mund.
– Das Restchen noch, Frau Humbrecht!
FRAU HUMBRECHT
stößt das Glas von sich.
Kein Tropfen mehr. Er setzt es weg. Ich kann die Augen nicht mehr aufhal – –

Fällt schlafend dem Lieutenant an die Brust.
EVCHEN.

Gerechter Gott! was soll das denn sein? –Springt ganz erschrocken und besorgt auf, schüttelt ihre Mutter. – Mutter! was fehlt Ihr? – hört Sie? hört Sie nicht? – Guter Himmel! wenn Sie nur nicht krank wird! –

VON GRÖNINGSECK.

Sei ruhig, Evchen! es hat nichts zu bedeuten – in einer Viertelstunde ist sie wieder so wach, als vorher: – Der Punsch hat's getan – sie ist ihn nicht gewohnt.

EVCHEN
schüttelt sie wieder.
Mutter! – Mutter! – sie liegt in Ohnmacht, glaub ich, oder ist gar tot. –
[1462]
VON GRÖNINGSECK.

Ohnmacht! – Tot! – Narrenspossen! – fühl den Puls hier – sie hat ein wenig zu hastig getrunken, das ist alles. – Komm, Evchen! hilf mir sie aufs Bett dort führen, sie wird mir wahrlich zu schwer so. – Evchen und er führen sie ans Bett, und legen sie querüber. – Pardieu! vorher machten wir uns über das Stellagie lustig, und jetzt sind wir froh, daß wir's haben.

EVCHEN
ganz bestürzt.
Noch weiß ich nicht, wie mir geschieht! – hätt ich sie nur zu Haus.
VON GRÖNINGSECK
setzt sich neben die Mutter, zieht Evchen nach sich.

Sei doch kein Kind, ma chère! was ist's denn weiter? – wir kommen noch zeitig genug wieder auf den Ball. Sieht ihr starr unter die Augen. – Bist du mir gut, Evchen?

EVCHEN.
Um Himmels willen sehn Sie mich nicht so an; ich kann's nicht ausstehn.
VON GRÖNINGSECK.
Warum denn nicht, Närrchen?

Küßt ihr mit vieler Hitze die Hand, und sieht ihr bei jedem Kuß wieder starr in die Augen.
EVCHEN.

Darum! – ich will nicht. – Er will sie umarmen und küssen, sie sträubt sich, reißt sich los, und lauft der Kammer zu. Mutter! Mutter, ich bin verloren. –

VON GRÖNINGSECK
ihr nacheilend.

Du sollst mir doch nicht entlaufen! – Schmeißt die Kammertür zu. Inwendig Getös; die alte Wirtin und Marianel kommen, stellen sich aber, als hörten sie nichts: nach und nach wird's stiller.

WIRTIN.
Räum geschwind ab; – sieh, wie das alte Murmeltier dort schläft.
MARIANEL.

Hättet Ihr mir nur meinen Willen gelassen; weiß wohl, wer jetzt schlafen müßt! – da hätt man doch auch was fangen können.

WIRTIN.

Ja fangen! – du und der Teufel fang! Die Offizier sind dir die Rechten. – Da verlor einer vom Corps royal vorm Jahr einen lumpichten Kugelring, hat mir der Racker nit bald 's Fell über die Ohren gezogen! – wollt mir 's Haus über dem Kopf anstecken, wenn ihn nicht die Christine noch im Strohsack wiedergefunden hätt. – Geh du an Galgen mit deinem Fangen! – mir komm nit!. – – Was steckst in Sack da! he! Staubbesenwar'! was steckst ein? willst reden?

MARIANEL.
St; st! eine Tobaksbüchs: – wir teilen – gehört dem Marmottel dort.
WIRTIN.
Gewiß? – wenn sie dem Leutnant ist! –
[1463]
MARIANEL.
Nein doch, sag ich. – Ich weiß es –
WIRTIN.

So mach fort! – marsch! die Bouteillen können noch stehen bleiben. – Wenn er nach der Zech frägt – anderthalb Louisdor –


Ab.
MARIANEL.
Schon gut! und eine halbe für mich, macht zwo.

Räumt vollends ab, und schleicht auf den Zehen hinaus.
EVCHEN
stürzt wieder aus dem Nebenzimmer heraus, auf ihre Mutter hin.

– Mutter! Rabenmutter! schlaf – schlaf ewig! – deine Tochter ist zur Hure gemacht – Fällt schluchzend ihrer Mutter auf die Brust; der Lieutenant geht ein paarmal die Stub auf und ab, endlich stellt er sich vor sie.

VON GRÖNINGSECK.

So wollen Sie denn gar nicht Raison annehmen, Mademoiselle? – wollen sich selbst fürs Teufels Gewalt prostituieren? – alle Welt wissen lassen, was jetzt unter uns ist?

EVCHEN
richtet sich auf, bedeckt aber das Gesicht mit dem Schnupftuch.
– Fort, fort! Henkersknecht! – Teufel in Engelsgestalt! –
VON GRÖNINGSECK.

Sie haben Romanen gelesen, wie's scheint? – Ewig schade wär's ja, wenn Sie nicht selbst eine Heldin geworden wären.


Geht wieder auf und ab.
EVCHEN.

Spott nur, Ehrenschänder, spott nur! – ja ich hab Romanen gelesen, las sie, um euch Ungeheuer kennenzulernen, mich vor euren Ränken hüten zu können – und dennoch! Gott! Gott! – dein Schlaf ist nicht natürlich, Mutter! jetzt merk ich's. –

VON GRÖNINGSECK.
Ums Himmels willen, so komm doch zu dir! – du bist ja nicht die erste –
EVCHEN.
Die du zu Fall gebracht hast? – bin ich's nicht – nicht die erste? o sag mir's noch einmal.
VON GRÖNINGSECK.

Nicht die erste, sag ich, die Frau wurde, eh sie getraut war. – Von dem jetzigen Augenblick an bist du die Meinige; ich schwur's schon in der Kammer, und wiederhol's hier bei allem, was heilig ist; – auf meinen Knieen wiederhol ich's. – In fünf Monaten bin ich majorenn, dann führ ich dich an Altar, erkenne dich öffentlich für die Meine.

EVCHEN.

Darf ich dir trauen, nach dem, was vorgefallen? – Doch ja! ich muß – ich bin so verächtlich als du, verächtlicher noch! – kann's nicht mehr werden, nicht tiefer sinken! – Die Tränen abtrocknend. Gut, mein Herr Lieutenant, ich will Ihnen glauben – Steht auf. Stehn Sie auf, und hören Sie meine Bedingung [1464] an. – – Fünf Monat, sagten Sie? gut! so lang will ich mich zwingen, mir Gewalt antun, daß man meine Schande mir nicht auf der Stirne lesen soll! – aber! – ist es Ihr würklicher Ernst, was Sie geschworen haben? – sind Sie stumm geworden? – Ja! oder nein! –

VON GRÖNINGSECK.
Ja, ja, Evchen! so wahr ich hier stehe! –
EVCHEN
küßt ihn, reißt sich aber, sobald er sie wieder geküßt, gleich los.

Hör weiter! so sei dieser Kuß der Trauring, den wir einander auf die Eh geben. – Aber von nun an, bis der Pfarrer sein Amen! gesagt, von nun an – hören Sie ja wohl, was ich sage – unterstehen Sie sich nicht, mir nur den Finger zu küssen; – sonst halt ich Sie für einen Meineidigen, der mich als eine Gefallene ansieht, der er keine Ehrerbietung mehr schuldig ist, der er mitspielen kann, wie er will: – und sobald ich das merke, so entdeck ich Vater oder Mutter – es gilt gleich, wer? – dem ersten dem besten alles, was vorgegangen, und sollten Sie mich mit Füßen zu Staub treten! – Haben Sie mich verstanden? – warum so versteinert, mein Herr? – wundert Sie's, was ich gesagt habe? – jetzt lassen Sie den Kutscher rufen.

VON GRÖNINGSECK.
Ich bewundre Sie, Evchen! – in diesem hohen Ton –
EVCHEN.

Spricht beleidigte Tugend: – muß so sprechen: – Jetzt hängt es von Ihnen ab zu zeigen, ob Sie wahr geredet haben.

VON GRÖNINGSECK
will auf sie los.
Engelskind! –
EVCHEN
tritt zurück.

Schimpfst du mich, Verräter? – kannst du Engel sagen, ohne an die Gefallne zu denken? gefallen durch dich! –


Lieutenant von Gröningseck ab, der Vorhang fällt.

2. Akt

Zweiter Akt

Wohnstube im Humbrechtischen Haus, bürgerlich möbliert; auf der Seite ein Klavier. – Martin Humbrecht sitzt ganz mürrisch in einer Ecke, den Kopf auf die Hand gestützt; Frau Humbrecht arbeitet.

FRAU HUMBRECHT.

Ich weiß auch gar nicht, wie du mir vorkommst, Mann! – du gönnst deinem Kind die liebe Sonne nicht, die es bescheint, viel weniger ein anders Vergnügen.

HUMBRECHT.
Du hast recht, Frau! – hast immer recht!
FRAU HUMBRECHT.

Ist's nicht wahr, sag? – – sitzt er nicht da, und [1465] macht ein Gesicht, wie eine Kreuzspinne: – wenn wir alle halb Jahr nur einmal zum Haus naus schmecken, so ist gleich Feuer im Dach.

HUMBRECHT.

Hast recht, Frau! hast immer recht! – wenn ich dir aber gutmeinend raten soll, so halt 's Maul – verschwören will ich's jemals wieder aus dem Haus zu gehn, und sollt alles den Krebsgang nehmen!

FRAU HUMBRECHT.

So sag doch warum? du hast keine Ursach über mich zu klagen; ich verschleck dir nichts; ich versauf dir nichts; ich geh nicht neben hinaus. –

HUMBRECHT
lacht ihr unter die Nase.

Oh! du bist ein Muster von einer guten Frau; das ist ja stadtkundig! – ewig schade! daß du nicht katholisch bist; könntst mit der Zeit wohl gar noch kanonisiert werden. – Heilige Frau Humbrecht bitt für uns! ha ha ha!

FRAU HUMBRECHT.
Spott, wie du willst: ich bin und bleib doch, was ich bin.
HUMBRECHT.
Wer leugnet's? du bist und bleibst halt in alle Ewigkeit eine –
FRAU HUMBRECHT.

Was eine? – heraus! wenn du was weißt: heraus! – kannst mir beweisen, daß ich dir das geringste verwahrlose? – hab ich die Augen nicht allerwärts?

HUMBRECHT.

Nur da nicht, wo du sie am allerersten haben solltst. – Deiner Tochter läßt du zuviel Freiheit, wenn ich denn doch alles zehnmal sagen muß.

FRAU HUMBRECHT.

Und du läßt ihr zuwenig – es ist wohl eine große Sache, daß sie einmal auf dem Ball gewesen ist; was ist denn Übels dran? he! – gehn nicht soviel andre honette Leute auch drauf?

HUMBRECHT.

Es gehört sich aber nicht für Bürgersleut – ich bin funfzig Jahr mit Ehren alt geworden, hab keinen Ball gesehn, und leb doch noch.


Magister Humbrecht kommt herein.
FRAU HUMBRECHT.

Er kommt eben recht, Herr Vetter Magister; mein Mädel wird heut keine Klavierstunde nehmen, und da kann Er mir jetzt helfen meinem Mann dort den Kopf zurechtsetzen.

MAGISTER.

Das werden die Frau Bas wohl ohne mich können. – Aber – Sich das weiße Krägelchen zurechtlegend. darf ich fragen, ist die Jungfer Tochter krank?

HUMBRECHT.

Gar nicht, Vetter! gar nicht! sie fängt nur an nach [1466] der neuen Mode zu leben, macht aus Nacht Tag und umgekehrt.

MAGISTER.
Das heißt wohl soviel, als sie schläft noch?
FRAU HUMBRECHT.

Ich will Ihm nur sagen, Herr Vetter Magister. Wir waren gestern nachts auf dem Ball, meine Eve und ich; unser Herr Leutenant hier oben, ließ uns die leibliche Ruh nicht: – die ganze Fasnachten über hat er uns alle Sonntag sehr inständig gebeten, ihm die Ehr anzutun; – gestern kam er wieder und lud uns ein; und da es der letzte Ball war, wie er sagte, auf den man mit Ehren gehn könnte, denn am mardi gras, sagte er, gingen nur Peruckenmacher drauf, so wollt er sich absolut keinen Korb geben lassen, und –

HUMBRECHT.

Und, weil ich just in meinem Beruf ausgeritten war, so machten sie sich's zunutz, und schwänzelten auf den Ball.

FRAU HUMBRECHT.
Ist denn da aber was Übels dran, Herr Vetter Magister?
HUMBRECHT.

Da fragst du den Rechten! was weiß ein Klosterer vom Ball? da versteht er grad soviel davon, als von der Mast. – Hängen will ich mich lassen, wenn er Buch- und Eichmast zu unterscheiden weiß!

FRAU HUMBRECHT.

Je nun! die Herren kommen aber doch überall herum; sie hören doch auch, was mores ist: – sag Er nur ungescheut, Herr Vetter, ist's denn so was Sündlichs ums Ballgehn?

MAGISTER.

Ihnen diese Frage zu beantworten, muß ich unterscheiden, wertste Frau Bas! erstlich das Ballgehn an sich selbst, und zweitens die verschiedene äußere Umstände, die damit verbunden sind, oder verbunden sein können, betrachten. – Was nun den erstern Punkt betrifft, so seh ich am Ballgehn an und für sich eben nichts Sündliches; es ist eine Ergötzung, und nach der neuen Theologie, die aber im Grund auch die älteste und natürlichste ist, ist jede Ergötzung, in einem gewissen Betracht, auch eine Art von Gottesdienst.

HUMBRECHT.

Vetter! Vetter! gebt acht, daß man euch Schwarzkittel nicht all zum Teufel jagt, wenn dieser neue Gottesdienst erst eingeführt wird!

MAGISTER.

Ich sagte ja nur, Ergötzung wäre eine Art von Gottesdienst: dies schließt aber die andern Arten alle noch nicht aus, und folglich sind wir Lehrer auch noch nicht überflüssig. Doch – diesen Beweisgrund, den ich Ihnen bei einer andern [1467] Gelegenheit besser erklären, deutlicher exegesieren will, beiseite gesetzt – will ich mit Ihrer Erlaubnis, Herr Vetter, sokratisch demonstrieren, und nur zwo Fragen an Sie tun; – erstens, glauben Sie denn, daß so viele rechtschaffene Mütter, brave Weiber, die sogar Personen vom Stande sind, teils selbst auf den Ball gehn, teils ihre Töchter darauf führen würden, wenn sie sich ein Gewissen darüber machen müßten?

FRAU HUMBRECHT.
So recht! Herr Vetter Magister; das war's!
HUMBRECHT.

Die mögen meintwegen auch ein Gewissen haben, das größer ist als die Metzger-Au draußen; – Was scheren mich die mitsamt ihrem Stand? – ich hab auch einen Stand, und jeder bleib bei dem seinigen! – Und dann, so hab ich ja noch nicht gesagt, daß das Ballgehn überhaupt nichts taugte; – meine Leut aber sollten nicht drauf gehn, das sagt ich! – Laßt die immerhin drauf herumtänzeln, die drauf gehören, wer wehrt's ihnen? – für die vornehmen Herren und Damen, Junker und Fräuleins, die vor lauter Vornehmigkeit nicht wissen, wo sie mit des lieben Herrgotts seiner Zeit hinsollen, für die mag es ein ganz artigs Vergnügen sein; wer hat was darwider? – aber Handwerksweiber, Bürgerstöchter sollen die Nas davon lassen; die können auf Hochzeiten, Meisterstückschmäusen, und was des Zeugs mehr ist, Schuh genug zerschleifen, brauchen nicht noch ihre Ehr und guten Namen mit aufs Spiel zu setzen. – – Wenn denn vollends ein zuckersüßes Bürschchen in der Uniform, oder ein Barönchen, des sich Gott erbarm! ein Mädchen vom Mittelstand an solche Örter hinführt, so ist zehn gegen eins zu verwetten, daß er sie nicht wieder nach Haus bringt, wie er sie abgeholt hat.

FRAU HUMBRECHT.
Ei Mann! bist du närrisch? – du wirst doch etwa nicht gar glauben, daß unsre Tochter –
HUMBRECHT
ihr nachäffend.

Du wirst doch etwa nicht gar glauben – – über die Fratze! – ich glaub nur, was ich weiß – wenn ich's aber glaubte! – wenn! wenn! – Mit geballten Fäusten. Himmel, wie wollt ich mit euch umspringen! –

MAGISTER.

Nicht doch, Herr Vetter! Sie werden ja, hoff ich, nicht in Harnisch geraten über eine Handlung, die an sich so gleichgültig ist, die vollkommen unter diejenigen gehört, die nach der strengsten Kasuistik weder für gut noch für bös können gehalten werden.

HUMBRECHT.
Gibt's viel solcher Handlungen in Seinem Katechismus?
[1468]
MAGISTER.

Verschiedene! und daß das Ballgehn mit dazu zu rechnen sei, bin ich so sehr überzeugt, daß ich Ihnen – doch unter uns – gestehn will, ich bin selbst einmal drauf gewischt.

HUMBRECHT
mit Hitze aufspringend.

So wird davor alle Jahr zweimal für euer Kloster an den Kirchtüren kollektiert! – Im Fortgehn. Adieu Vetter! und hol mich der Teufel, wenn ich noch einen Sols in die Schüssel werfe. Adieu!


Ab.
FRAU HUMBRECHT.

Das hat Er nun eben nicht gescheut gemacht, Herr Vetter! ich förcht, Er hat es jetzt wieder auf lange Zeit bei meinem Manne verdorben.

MAGISTER.
Soll's wohl sein Ernst sein?
FRAU HUMBRECHT.

Freilich ist er's; er ist noch ganz von der alten Welt; Er kann sich's nicht vorstellen, wie ich mein Kreuz mit ihm hab! – Vor zwei Jahren zu Anfang des Winters hätten wir uns bei einem Haar von Tisch und Bett, Gott verzeih mir's! geschieden, weil ich mein martern Paladin, das er von seiner Großmutter geerbt hatte, gegen ein neumodischers vertauschte! und noch erst vor acht Tagen sollte mein Evchen ein Kind heben, da bestand er mit Leib und Seel darauf, sie müßte die goldne Haube aufsetzen, und doch sieht man sie keinem Menschen mehr aufhaben, als höchstens Gärtners- und Leinweberstöchtern. – – Nein! das hätt Er pfeifen sollen, Herr Vetter Magister! aber nicht sagen.

MAGISTER.

Sobald ich mir keinen Vorwurf mache etwas getan zu haben, so kann ich's auch sagen. Freilich mit Unterschied! meinen Vorgesetzten, zum Beispiel, die um den Mißbrauch zu verhindern, manche Dinge ganz verbieten müssen, das sie nicht tun würden, wenn jener nicht zu befürchten wäre, so etwas auf die Nase zu hängen, verbietet die Klugheit; sonst aber mach ich so wenig ein Geheimnis daraus, daß ich's vielmehr für Pflicht halte, alles zu sehn, alles zu prüfen, um selbst davon urteilen zu können.


Der Lieutenant von Gröningseck kommt hastig herein, lauft auf Trau, Humbrecht los; Magister steht auf.
VON GRÖNINGSECK.

So ganz tête à tête! das ist schön, das will ich dem Herrn Liebsten sagen, Frau Wirtin, wenn Sie mir nicht gleich den Mund stopfen.

FRAU HUMBRECHT.
Hi hi, hi hi hi! das tun Sie, mein Mann weiß es schon, er ist erst fortgegangen.
VON GRÖNINGSECK.

So! Singt. der gute Mann, der brave Mann![1469] – können Sie das Liedchen nicht? – das muß ich Sie lehren. – Den Herrn soll ich schon mehr gesehn haben.

FRAU HUMBRECHT.
Es ist mein Herr Vetter: er instruwiert mein Evchen auf dem Klavier.
VON GRÖNINGSECK
nimmt nachlässig eine Prise Tobak.
So, so! der Herr Vetter Klaviermeister also! –
MAGISTER.

Ihr gehorsamer Diener! Der Lieutenant nimmt den Stuhl des Magisters, und setzt sich hart neben die Frau Humbrechtin: dieser holt sich einen andern Stuhl, und setzt sich auf die andre Seite. – Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Bas!

VON GRÖNINGSECK.

Ohne Komplimenten! – pardieu! ich glaub gar, das war Ihr Stuhl, – verzeihn Sie, Herr Klaviermeister! –

MAGISTER.
Ich bin's nur für Freunde, denen ich einen Gefallen damit erweisen kann, und verbitte mir also –
VON GRÖNINGSECK.
Gar gern! gar gern! – es geschah nicht mit Vorsatz, Herr Abbé! –
FRAU HUMBRECHT.

Ja, wenn Sie wüßten, Herr Leutenant, was ich mit meinem Mann vor eine Hatze gehabt habe! wegen dem gestrigen Ballgehn – o das können Sie sich gar nicht denken!

VON GRÖNINGSECK.
Comment? wegen dem Ballgehn? c'est drôle! – das ist auf meine Ehr toll genug!
FRAU HUMBRECHT.

Und denken Sie nur: da kam der Herr Vetter eben dazu, und da glaubt ich, er sollte mir helfen ihm den Kopf wieder zurechtsetzen, aber da ist er grad noch rappelköpfischer geworden.

VON GRÖNINGSECK.
Das bedaur ich! – es geht aber den Herren Schwarzröcken sehr oft so.
FRAU HUMBRECHT.

Es wär alles gut gewesen, sehn Sie; er hat ihm tüchtig die Wahrheit gesagt; aber da verschnappt er sich in der Hitze, und platzte heraus, er wär selbst schon drauf gewesen, und da wollt mein Mann nichts mehr hören noch wissen. – Sehn Sie, das hat's verdorben – das ganz allein!

VON GRÖNINGSECK.

Ho ho! der Herr Abbé selbst schon auf dem Ball gewesen! – das hätt ich wahrlich nicht hinter Ihnen gesucht: gewiß nicht!

MAGISTER.
Und weswegen nicht, mein Herr?
VON GRÖNINGSECK.
Hm! des Rocks wegen.
MAGISTER.

Wahrhaftig! Dies Vorurteil kleidet Sie, da Sie sich sonst so einen großen Ton zu geben wissen, sehr schlecht: wären Sie tiefer in Frankreich, oder auch an den geistlichen [1470] Höfen Teutschlands gewesen, so würden Sie wissen, daß Prälaten vom ersten Rang ihrem Anspruch, den sie auf alle menschliche erlaubte Vergnügungen zu machen berechtigt sind, keineswegs entsagen. – Würde man bei unsrer Kirch anfangen, ebenso klug zu denken und zu handeln, so würde es weniger übertriebene Zeloten, und eben dadurch auch weniger Religionsspötter geben.

FRAU HUMBRECHT.
Ei, ei! Herr Vetter!
VON GRÖNINGSECK.

Der Teufel, war das eine Predigt! – Ma foi, die erste Hofmeisterstelle, die ich zu vergeben habe, sollen Sie bekommen.

MAGISTER.

Ich zweifle. – Der Vater wenigstens, der mir, wenn ich eine Viertelstunde erst mit ihm gesprochen, dennoch seinen Sohn anvertrauen wollte, ist schwerlich schon geboren.

VON GRÖNINGSECK.
Wieso! bald machen Sie mich aufmerksam.
MAGISTER.
Sie wollen spotten, mein Herr!
VON GRÖNINGSECK.

Parole d'honneur! nein! – ich wiederhol es, Sie haben mich neugierig gemacht Ihre Ursachen anzuhören.

MAGISTER.

Die alle hier gleich anzuführen, ist mir unmöglich. Überhaupt aber würden meine Erziehungsgrundsätze wohl schwerlich heutzutag wo Beifall finden.

FRAU HUMBRECHT.
Ei, Herr Vetter Magister! Er wird doch nicht so altväterisch denken, wie mein Mann?
MAGISTER.
Im Gegenteil! – zu neu, als daß ich nicht darüber sollte verfolgt werden.
VON GRÖNINGSECK.

Ein Pröbchen nur, Herr Magister! nur ein einziges! ich höre so was gar zu gern; ich glaube, man nennt es Paradoxe, nicht wahr?

MAGISTER.

So würd ich zum Exempel in dem kritischen Zeitpunkt, in welchem der Knabe zum Jüngling übergeht, sich selbst zu fühlen, und der phy sischen Ursache seines Daseins nachzuspüren beginnt – ein Zeitpunkt, der der Tugend fast aller junger Leute ein Stein des Anstoßes, eine gefährliche Klippe ist –

FRAU HUMBRECHT
steht auf.
Das ist mir viel zu hoch, meine Herren; ich will einmal meine Tochter herausstöbern. Lauft ab.
MAGISTER.

So würd ich, wollt ich sagen, in diesen Jahren meinen Eleven auf eine Manier behandeln, die der gewöhnlichen grad entgegengesetzt ist. – Statt ihn in seiner Unwissenheit auf gut Glück einem bloßen Ungefähr – das unter zwanzigen[1471] gewiß neunzehn irreführt – zu überlassen; würde ich ihm den ganzen Adel, die ganze Größe seiner Bestimmung begreiflich zu machen bedacht sein. –

VON GRÖNINGSECK.
Das haben schon mehrere vorgeschlagen!
MAGISTER.

Noch mehr! – ihm auf zeitlebens vor allen Vergehungen dieser Art einen schaudernden Ekel beizubringen, würde ich – wie die Spartaner, ihre junge Leute vor dem Laster der Trunkenheit zu warnen, ihnen ein paar trunkne Sklaven zum Gespötte preisgaben – so würde ich meinen Eleven selbst an die zügellosesten und ausgelassensten Örter begleiten: das freche, eigennützige, niederträchtige Betragen solcher feilen Buhldirnen müßte auf sein zartes noch unverdorbenes Herz ganz gewiß einen unauslöschlichen Eindruck machen, den keine Verführung jemals auslöschen könnte.

VON GRÖNINGSECK.
Sie können vielleicht recht haben: – bei alledem aber scheint mir die Kur verdammt scharf.
MAGISTER.

Um so viel sicherer ist sie auch. – Alle andere Präservativmittel kann ein Glas Wein, ein ausschweifender Freund, ein unglücklicher Augenblick über einen Haufen werfen. – Und ganz sicherzugehn, hab ich noch ein andres Rezept im Hinterhalt.

VON GRÖNINGSECK.
Nämlich?
MAGISTER.

Das erste beste Lazarett oder Siechhaus. – Den jungen Herrn, wenn er obige Szene gehörig verdaut, und selbst darüber nachgedacht hat, in diesen Wohnplatz des Jammers geführt, ihm die erbärmlichen scheußlichen Folgen eines einzigen Fehltritts, einer einzigen Ausschweifung dieser Art anschauend vor Augen gestellt: – wen das nicht in Schranken zurückhält, der muß weder Kopf noch Herz haben.

VON GRÖNINGSECK.

Sie werden warm, Herr Magister: und das gefällt mir: – ich haß alles, was Phlegma heißt; – verzeihn Sie, wenn mein erstes Betragen vorhin Ihren Verdiensten nicht angemessen war: – Wir müssen uns mehr sprechen; schlagen Sie ein!


Magister gibt ihm treuherzig die Hand, indem kommen Frau Humbrecht und Evchen.
FRAU HUMBRECHT.
Ei guck doch! – wie artig! schon so bekannt?
VON GRÖNINGSECK.

Jetzt kenn ich Ihren Herr Vetter: vorher nahm mich das Kleid wider ihn ein. – Guten Morgen, Mademoiselle Evchen!

MAGISTER.

Schon ausgeschlafen, Bäschen? Evchen schlägt errötend [1472] die Augen nieder, verneigt sich, und setzt sich hin zu arbeiten. – So rote Augen! haben Sie geweint?

FRAU HUMBRECHT.

Nicht doch! – Er weiß ja wohl, Herr Vetter, wer selten reitet, dem – – sie ist halt das Aufbleiben nicht gewohnt, und das ist alles.

VON GRÖNINGSECK.
Es sollte mir wahrhaftig sehr leid tun, wenn ich – wenn der Ball –
EVCHEN
unterbricht ihn.
Sie sind sehr gütig, Herr Lieutenant.
FRAU HUMBRECHT.

So sei doch nicht so mürrisch! ich weiß gar nicht, wie sie mir heut vorkommt; wenn ich nicht immer um sie gewesen wäre, wenn ich nicht wüßte, daß sie alles Liebs und Guts genossen hat, so sollt ich wunder denken, was ihr vor ein Unglück widerfahren ist.

VON GRÖNINGSECK.

Wenn ich etwas zu Ihrer Beruhigung – Zerstreuung wollt ich sagen! beitragen kann, Mademoiselle! – so soll's mir eine Freude sein.

EVCHEN
mit gezwungenem Lächeln.
Ich will's erwarten, Herr Lieutenant, ob Sie Wort halten?
VON GRÖNINGSECK.
Ganz gewiß! Sieht auf die Uhr. – Pardieu! kaum noch Zeit auf die Parade zu springen!
MAGISTER.
Ich begleite Sie: – für heute scheint mir die Jungfer Bas doch nicht zur Musik gestimmt.
EVCHEN.
Nein, heute nicht! – ich hab Kopfweh.

Lieutenant und Magister ab.
FRAU HUMBRECHT.

Ei Mädel! Mädel! ich bitt dich um Gottes willen, häng mir den Kopf nicht so – wenn dein Vater wiederkommt – du weißt wie er ist – und sieht dich so niedergeschlagen, so geht der Tanz wieder von vornen an.

EVCHEN.
Sie hat gut reden, Mutter! – Mit einem tiefen Seufzer. – wär Sie nicht eingeschlafen! – so –
FRAU HUMBRECHT.
Fort! – was so?
EVCHEN.
So wär Sie vielleicht nicht muntrer als ich, oder ich so munter als Sie.
FRAU HUMBRECHT.

Kindskopf! das bißchen Schlaf wird's ihm wohl tun! – Du sagtest ja selbst, ich hätte nicht lang geschlafen? –

EVCHEN.
Nein, nicht lang: und doch länger als –
FRAU HUMBRECHT.

Bald werd ich wild: – soll ich dir jedes Wort aus dem Hals heraushaspeln? – Ihr nachspottend. nein, nicht lang; und doch länger als – was denn als –

EVCHEN.
Ei nun, als ich! ist's etwa nicht wahr?
[1473]
FRAU HUMBRECHT.

Dachte wunder, was herauskommen würde! – Schau, Evchen! tu's deiner Mutter zu Gefallen, und mach kein finster Gesicht so: dein Vater hat sich so schon merken lassen, daß er glaubt, ich wär mehr meinetwegen als deinetwegen auf den Ball gegangen; findet er dich nun vollends so niedergeschlagen, so muß ich gewiß alles allein fressen. Nicht wahr, Evchen, du tust mir's zulieb? wenn's dir auch nicht drum ist.

EVCHEN.
Ich will tun, was ich kann.
FRAU HUMBRECHT.
Potztausend noch eins! – weißt du nicht, wo meine Tobaksbüchs hingekommen ist?
EVCHEN.
Nein! – die silberne mit vergoldeten Reifen?
FRAU HUMBRECHT.
Die nämliche; – dein Vater gab sie mir noch in unserm Brautstand: – ich nähm nicht weiß was –
EVCHEN.
Den Morgen hatte Sie sie noch in der Hand, das sah ich.
FRAU HUMBRECHT.

Ach Gott! – wenn ich sie verloren hätte! – den Augenblick will ich gehn, und noch einmal alles durchsuchen: find ich sie nicht, so laß ich sie gleich nach dem Essen ausrufen –


Lauft ab.
EVCHEN.

Arme Mutter! jammert um eine Dose! – Wenn dies der größte Verlust wäre! – – Fataler Augenblick! unglücklicher Ball! – Wie tief bin ich gefallen! – Mir selbst zur Last! – Die Zöpf hätt ich mir beim Aufbinden herabreißen mögen, wenn ich mich nicht vor der Magd geschämt hätte. – Dürft ich nur niemanden ansehn, säh mir nur kein Mensch in die Augen! – Wenn die Hoffnung nicht wär – die einige Hoffnung! – er schwur mir's zwei-, dreimal! – Sei ruhig mein Herz! – – Erschrocken. Gott! ich hör meinen Vater; – jedes Wort von ihm wird mir ein Dolchstich sein! – Wie er lärmt! Himmel! sollt er meinen Fehltritt schon entdeckt haben? Kehrt das Gesicht ängstlich von der Türe weg, und verbirgt's mit den Händen.

HUMBRECHT
zu seiner Frau, die mit ihm hereinkommt.

Das Lumpengezeug! der verdammte Nickel! – Den Augenblick soll sie mir aus dem Haus: hast's gehört, Frau? den Augenblick! sag ich. Keinen Bissen kann ich in Ruhe fressen, solang die Gurr noch unter einem Dach mit mir ist: – Wirst's ihr bald ankündigen oder nicht? wenn ich's ihr selbst sagen muß, so steh ich nicht dafür, daß ich sie nicht mit dem Kopf zuerst die Treppen hinunterschmeiß.

EVCHEN.
Gott! das gilt mir!
FRAU HUMBRECHT.

So sag mir doch erst – ich muß ihr doch auch [1474] eine Ursache sagen können – du hast ja doch die ganze Zeit über nichts über sie zu klagen gehabt.

HUMBRECHT.

Ursache? Die soll ich dir sagen? – Schäm dich ins Herz hinein, so eine schlechte Hausmutter zu sein, nicht bessere Ordnung zu halten! – weil sie ein Nickel ist, eine Hure! das ist die Ursache. –

EVCHEN
aufspringend.

Länger halt ich's nicht aus!Ihrem Vater, der sie noch nicht gesehn, plötzlich zu Füßen fallend. Vater! liebster Vater! Vergebung –


Verstummt, und läßt den Kopf zur Erde sinken.
FRAU HUMBRECHT
ihr nach dem Arm greifend.

Ei Mädel! was ist dir? – träumst? – Steh doch auf! – Ich glaube gar, sie meint, du wärst so böse auf sie

HUMBRECHT.

Der Narr – hat sie mich nicht erschreckt! – vor mir da niederzufallen wie ein Sack: – steh auf! steh auf! – Hilft ihr in die Höh. – Die Grimassen kann ich nicht leiden, dies weißt du: – Ich hatte mir zwar freilich vorgenommen, dich tüchtig auszufilzen, aber – es ist grad, als wenn ich kein Quentchen Gall mehr im Leib hätte – der Schrecken hat, glaub ich, alles verwischt. – Nu –! dankst mir nicht einmal für meine Nachsicht? – Diesmal sollst noch so durchschlupfen; – wenn's aber noch einmal geschieht, Blitz und Donner! nur noch einmal, so tret ich dir alle Rippen im Leib entzwei, daß dir der Lusten zum dritten Mal vergehen soll.

EVCHEN.
Ich schwör's Ihm, Vater! hätt ich's noch zu tun, ich tät's gewiß nicht.
HUMBRECHT.

Nicht? tätst's nicht? – so gefällst du mir, Evchen: Das war brav: es reut dich also? – komm her, daß ich dich küsse dafür – Was! du wirst rot, wenn dich dein Vater küßt! – sollst du wohl schon so verdorben – doch, ich vergaß, daß die Mamsell auf dem Ball war; – in Zukunft bleib hübsch zu Haus; der Ball wird doch Ball bleiben, ohne dich –

EVCHEN.
Mamsell!
FRAU HUMBRECHT.
So geh doch auch nicht so gar unbarmherzig mit ihr um – sieh, wie sie zittert –
HUMBRECHT
Evchen bei der Hand fassend.

Fiel dir das Wort auf, meine Tochter? das freut mich! – man muß nie mehr sein wollen, als man ist. – Ja so Frau! das Nötigst hätten wir bald verplaudert: daß du es denn nur weißt, wenn ich's dir doch erst sagen muß – die schöne Jungfer da hinten hat sich von einem Sergeanten eins anmessen lassen, die Mutter weiß drum, [1475] und läßt alles so hingehen: die ganze Nachbarschaft hält sich drüber auf. – Jetzt marsch! und kündig ihnen das Logis auf: du weißt jetzt, warum? – Wollt eher den ganzen Hinterbau zeitlebens leer stehen lassen, Ratten, Mäusen und Nachteulen preisgeben, eh ich solch Lumpengesindel beherbergen wollt. – Meine eigne Tochter litt ich keine Stund mehr im Haus, wenn sie sich so weit verging. – Frau Humbrecht geht ab, er ruft ihr nach. Noch vor Sonnenuntergang sollen sie aufpacken, sonst schmeiß ich alles zum Fenster hinaus, und sie beide, alt und jung hinterdrein! –Gelassen zur Tochter. Du, laß den Tisch zurechtmachen.

EVCHEN.

Seine eigne Tochter! – – in den paar Worten liegt mein ganzes Verdammungsurteil! – Welch ein Schatz ist doch ein gutes Gewissen! – Sich im Abgehn vor die Brust schlagend. – Das verloren – alles verloren! – Ab.

3. Akt

Dritter Akt

Zimmer des Lieutenant von Gröningseck in Humbrechts Haus; daneben ein Kabinett. Lieutenant von Hasenpoth steht vor dem Spiegel, und pfeift. Von Gröningseck sitzt gedankenvoll in einem Lehnstuhl.

VON HASENPOTH
geht vom Spiegel weg.

So schick doch alle die Grillen zum Henker, Gröningseck! Komm, das Wetter ist schön, laß ein Kapriolet holen, wir wollen an Wasserzoll fahren.

VON GRÖNINGSECK.
Fahr allein! ich bin am liebsten zu Haus.
VON HASENPOTH.

Immer und ewig zu Haus! – wie kannst du's nur ausdauren? – Den ganzen Sommer ist er noch vor kein Tor gekommen, wenn er nicht mit der Kompanie gemußt hat. – So möcht ich auch leben, wie ein Kartäuser! wahrhaftig! zehnmal lieber eine Kugel vor den Kopf!

VON GRÖNINGSECK.
Jeder nach seinem Geschmack.
VON HASENPOTH.

Gut! aber das Kopfhängen war doch sonst deine Gewohnheit nicht: – erst seit vier, fünf Monaten, seit dem letzten Karneval – gelt! ich hab acht auf dich gegeben? fingst du dies Kapuzinerleben an. – Und warum? nur das möcht ich wissen – wenn ich nur eine Ursach säh! Bist du verliebt? Hast du das Heimweh?

VON GRÖNINGSECK.
Das Heimweh! rappelt dir's?
VON HASENPOTH.

Eins von beiden! – ist's das nicht, so muß es das [1476] erste sein. – Und dennoch – wenn ich's beim Lichten beseh – ist's auch wieder nicht möglich – ich wüßte nicht, in wen? – In der ganzen lieben langen Zeit, glaub ich, hat er nicht drei Frauenzimmer gesprochen. Alle vier Wochen einmal macht er schandehalben dem Marschall seine Aufwartung, und da steht er, sobald er seinen Kratzfuß gemacht hat, von ferne wie der Nikodemus. – Anderwärts ist er gar nicht hinzubringen. – Wüßt ich nicht ganz gewiß, daß du die Humbrechtin gehabt hast, so dächt ich –

VON GRÖNINGSECK
aufspringend.
Gehabt! ich? – wer sagt das?
VON HASENPOTH.

Sachte, mein lieber Gröningseck! sachte! – Wir sprechen als Freunde und unter uns. – Siehst mich doch nicht etwa für ein Kind an, das sich weismachen läßt, rot wäre grün?

VON GRÖNINGSECK.
Hab ich dich nicht schon mehrmalen des Gegenteils versichert?
VON HASENPOTH
lacht.

Ein schöner Beweis! – Toll genung, daß du mir, der ich doch die ganze Belagerung aus meinem Kabinett dirigiert habe, nicht einmal die Lieb antun, und deine Eroberung gestehn willst! –

VON GRÖNINGSECK.
Ich hab nichts zu gestehen!
VON HASENPOTH.

Dein Eifer zeugt für das Gegenteil; und zudem – rein von der Leber wegzusprechen – wie kannst du mir zumuten, sie für eine Vestalin zu halten? gegen zwei Uhr schlicht ihr euch vom Ball, und nach fünf erst hört ich die Kutsche hier anfahren.

VON GRÖNINGSECK
sehr ernsthaft.
Von was anders: ich bitte!
VON HASENPOTH.

Und das Schlafpülverchen, das ich dir zustellte! – wenn du keinen Gebrauch davon gemacht, warum kann ich's denn bis diese Stunde nicht wieder kriegen?

VON GRÖNINGSECK.

Weil – weil ich's – verlegt – verloren – zum Teufel geschmissen hab. – Kurz, Herr von Hasenpoth, kein Wort mehr, wenn wir Freunde bleiben sollen.

VON HASENPOTH.

Ich glaube, du wärst wohl gar imstand, eine Lanze für sie zu brechen, den Don Quichotte für sie zu spielen?

VON GRÖNINGSECK.
Möglich, mein Herr!
VON HASENPOTH.

Doch mit mir nicht? deinem Landsmann? deinem compagnon de débauche? – – Hör mich an, Herr Bruder! ich hoffe doch nicht, daß du die Narrheit so weit getrieben, und dich würklich in das Mädchen verliebt hast; das [1477] wär ja, soll mich der Teufel zerreißen! wider allen esprit de corps. – Fast sollt ich's denken, das Getreibs, das du die Zeit her mit dem Schwarzkittel, dem Vetter aus dem Haus, hast, bestärkt mich darin. – Ist's aber? gut! so fehlt's dir ja nicht an Mitteln, ihrer bald satt zu werden – du wohnst ja unter einem Dache mit ihr – oder wenn's hier nicht angeht, soll ich dir sonstwo Gelegenheit verschaffen, ich bin sinnreich –

VON GRÖNINGSECK.
Wie der Satan! – das weiß ich.
VON HASENPOTH.

Wenigstens hast du schon Proben davon. Du wärst dein Lebtag nicht auf den Einfall mit dem Pulver geraten.

VON GRÖNINGSECK.

Pulver und Pulver! das verfluchte Pulver! wollt ich hätt es, dich, dies Haus, alles nie gesehn! wollt es wär mir in der Tasche zu Gift geworden, und ich wäre daran krepiert, sobald ich's nur anrührte!

VON HASENPOTH.
Was zum Kuckuck ist das vor eine Sprache! Kommt dich der Reuen an? – folglich hast du doch –
VON GRÖNINGSECK.

Ja, ja! Teufel! ich hab; – hab deinen vermaledeiten Lehren gefolgt, aufs Haar gefolgt! – hab – wenn du's denn doch wissen willst – einen Engel entheiligt, mich mir selbst zum Scheusal gemacht.

VON HASENPOTH.

Possen! Possen! Brüderchen! Kinderpossen! Pfaffengeschwätz! – Du hast deine Absicht erreicht, – nun gut! des sollst du ja froh sein. –

VON GRÖNINGSECK.

Wenn's eins von den Alltagsgeschöpfen wäre, die, wenn wir sie nicht zu unserm Spielwerk brauchten, zu gar nichts nütze sind, ja! – Aber das ist sie nicht; du hättest sie sehn, hören sollen; in dem Augenblick, dem kritischen Augenblick, der unmittelbar auf den Genuß folgt, in dem uns die größte Schönheit anekelt – da hättst du sie sehn sollen: – wie groß in ihrer Schwäche! – wie ganz Tugend, auch nachdem ich sie mit dem Laster bekannt gemacht hatte! – und ich, wie klein! wie – oh! ich mag gar nicht zurückdenken –

VON HASENPOTH.
Können dich Grimassen so weichherzig machen? – Du armer Tropf! –
VON GRÖNINGSECK.

Grimassen? – meinst, ich kann Grimassen nicht von Wahrheit unterscheiden? – Bei den übertünchten Totengräbern, den geschminkten, gefirnißten Puppen, die einen hier, wo man nur hinsieht, anstinken, da such Grimassen – aber nicht bei der simpeln Natur. –

VON HASENPOTH.

Simpel oder nicht simpel! – ein Weibsbild ist [1478] halt ein Weibsbild! und die unerfahrenste gibt uns immer, was den Punkt anbetrifft, noch aufzuraten. – Ich hab wenig Frauenzimmer angetroffen, die nicht sehnlichst wünschten, bestürmt zu werden, und noch die erste zu sehn, die nicht nach der Niederlage ein paar Krokodilstränen geweint hätte. – Das ist schon in der Art so!

VON GRÖNINGSECK
mit verbißner Wut.

Ausbund aller Libertins! – Dank's meinem bösen Gewissen, daß ich dir so geduldig zuhöre – das macht mich zur Memme, zum Poltron – und doch steh ich nicht dafür, daß ich's noch lang bleib: – bin ich nicht mehr ruhig genug aus Überlegung herzhaft zu sein, so kann mich die Wut tollkühn machen – verstehn Sie mich? –

VON HASENPOTH.

Besser wenigstens, als du mich – dafür steh ich! – ich sprach ja nur von den Frauenzimmern, die ich

VON GRÖNINGSECK.

Ha! von den leichten, deren funfzig auf der subtilsten Gewissenswaage kaum ein Lot aufwiegen! – Sie müssen aber wissen, Herr Lieutenant –

VON HASENPOTH.
Sprechen wir ernsthaft, so kann das Sie wegbleiben: – es klingt mir so sonderbar. –
VON GRÖNINGSECK.

Sei's! – aber merk dir's, Hasenpoth! – zum letztenmal du, wenn du meine Erwartung täuschest. – Einem vernünftigen Frauenzimmer kann, und soll zwar wenig daran gelegen sein, ob du und deinesgleichen so oder anders von ihr denken; euer Lob ist Brandmark und in eurem Tadel ruht innre Selbstgröße – – aber mir liegt daran, daß du das Mädchen, dessen Namen du vorhin über deine ungewaschne Lippen gehen ließest – kein Wort! hör mich erst an – daß du es nicht länger verkennst: wiß also –

VON HASENPOTH.
Es kommt wer!
VON GRÖNINGSECK
sich umsehend.

Der Magister! ich kenn ihn am Gang. – Daß du dich ja nichts verlauten lässest! – noch weiß er, kein Mensch was darum. –

MAGISTER
kommt herein.

Bravo! Herr Magister, das ist brav! Sie gehn mich doch nicht vorbei, wenn Sie Ihre Verwandten besuchen.

MAGISTER.

Gewiß nicht, das wissen Sie schon. Wenn ich Sie ein paar Tag nicht gesehn habe, so mein ich, es fehlt mir was.

VON GRÖNINGSECK
drückt ihm die Hand.
Ich lieb Sie darum. Wie steht's unten?
MAGISTER.
Das fragen Sie mich, und wohnen im Haus?
VON HASENPOTH.

Das war recht! – Sich nach seinen eignen Hausleuten [1479] bei Fremden zu erkundigen, das geht in Paris oder London schon an – aber hier! – Wenn der Herr Lieutenant keine Nachteule so wäre, und nicht alle Lebensart so beiseit setzte, so guckte er selbst nach – und –

VON GRÖNINGSECK.

Und – wenn ich nun meine Ursachen habe? – Ja, Magister! Sie frag ich, weil Sie als Vetter schon eher einen vertrauten Zutritt haben. – So gut mein Hauswirt im Grund auch sein mag, so taugen wir doch nicht füreinander: – Er hat seine besondre Grillen, das wissen Sie selbst; und ich bin auch hitzig vor der Stirn: – das möchte in die Länge nicht guttun.

MAGISTER.
So warten Sie die Zeit ab, da er nicht zu Haus ist; – meine Basen –
VON GRÖNINGSECK.

Sind mir wert und lieb, Herr Magister! Evchen besonders, aber eben deswegen mag ich's ihnen nicht zum Tort tun: – ich kann seit dem Karneval etwa vier-, fünfmal drunten gewesen sein, zum Unglück war er ein paarmal nicht da – puh! gab das ein Feuer!

MAGISTER
lacht.

Ganz gewiß kann er's Ihnen noch nicht verzeihen, daß Sie ihm seine Damen auf den Ball verführt haben. So wie er mir –

VON GRÖNINGSECK.
Haben Sie Ihr Bäschen gesehen?
MAGISTER.

Schon vierzehn ganzer Tage nicht, glaub ich. Beständig sitzt sie in ihrem Zimmer, die Melancholie frißt sie noch auf; ich kann gar nicht klug aus ihr werden; Bitten und Beten, alles ist bei ihr umsonst! das macht ihren Vater eben noch unduldsamer! –

VON GRÖNINGSECK.
Gerechter Gott! – ich! – ich! –
MAGISTER.
Nehm Anteil daran, wollen Sie sagen? – ich bin's von Ihrem gefühlvollen Herzen überzeugt.
VON GRÖNINGSECK.

Das war's, Herr Magister! ja! – Sie nahmen mir's aus dem Mund weg: – Gefühlvoll! ja! das ist mein Herz – so voll! –

VON HASENPOTH
der die Zeit über gepfiffen, zum von Gröningseck von der Seite.
Daß du dich gleich selbst verschnappen wirst. – Zum Magister. Hat sie den Anfall schon lang?
MAGISTER.

So genau läßt sich die Zeit nicht bestimmen; – er kam nach Graden, wird aber leider täglich ärger. Youngs Nachtgedanken in der französischen Übersetzung, sind jetzt ihr Lieblingsbuch.

VON HASENPOTH.

Da sei ihr Gott gnädig! – Wenn ich ein einiges [1480] Blatt drin lesen müßte, so wär ich kapable den Engländer zu machen, und mich an mein Knieband zu hängen.

VON GRÖNINGSECK
spöttisch.

Du! – aber, lieber Magister! so viel Schönes auch Young für eine heitre, ruhige, mit sich und allem, was rund um sie her atmet, zufriedne Seele haben mag, so wenig – das fühlen Sie besser als ich – schickt sich doch diese Lektür für ein mißvergnügtes, abgespanntes, erschlafftes Herz, ohne welches keine Melancholie statthaben kann: sollten Sie denn nicht als Freund –

MAGISTER.

Es ihr wegnehmen? – Ich tat's schon, weil ich hierin grad, wie Sie, denke: sie winselte uns aber so lange die Ohren voll, wollte vor Gram und Langerweile den Geist aufgeben – kurz, ich war froh, und legte es wieder hin.

VON GRÖNINGSECK.

Gott! Gott! – ist denn kein Weg! – sie daurt mich von Grund der Seelen, das gute Kind! – wie, wenn? – ja! was wird's nutzen? – auf die Zeit kommt das meiste an. – Doch – es wär zu probieren! – wenigstens ist's eine Höflichkeit, die ihr nicht mißfallen kann, wenn sie auch weiter nichts hilft. – – Sobald Sie sie wieder allein sehn, Magister, wollen Sie? – so sagen Sie ihr von meinetwegen, ich nähm sehr viel Anteil an ihrem Wohlsein, hätte mich sehr darnach erkundigt – bei Ihnen erkundigt, und wünschte sie je eher je lieber wieder heiter und munter zu wissen: – auf mich dürfte sie – Stockt. nun ja, es sieht freilich einem leeren Kompliment gleich; es geht aber wahrlich von Herzen – auf mich dürfte sie, wenn ich jetzt oder mit der Zeit etwas zu ihren Diensten – ja Diensten! tun könnte, vollkommen zählen: sagen Sie ihr das, wollen Sie, lieber Magister? Wort für Wort! lieber was mehr, als was weniger.

MAGISTER.
Sehr gern, Herr Lieutenant! – ich dank Ihnen für den Anteil: aber bald sollten Sie mich –
VON HASENPOTH.

Auf sonderbare Gedanken bringen? – nicht doch, Herr Magister! Sie täten ihm Unrecht: sein Herz ist kälter als Eis, und doch so weichherzig, wenn er jemand leiden sieht, oder nur von ihm hört, daß ich noch diese Stunde nicht weiß, wie er sich konnte einkommen lassen, Soldat zu werden. – Ist vollends von einem Frauenzimmer die Rede –

VON GRÖNINGSECK.

Potz Geck und kein End! – Vergessen Sie's ja nicht, Magister! es ist doch Höflichkeits wegen, wenn's auch sonst nichts –

MAJOR LINDSTHAL
kommt herein.
Urlaub! Urlaub! Herr von [1481] Gröningseck! – Ihr Urlaub ist eingeloffen, hier bring ich ihn.
VON HASENPOTH.
Urlaub! hast du um Urlaub angehalten?
MAGISTER.
Sie wollen uns also verlassen?
VON GRÖNINGSECK.
Doppelt willkommen, Herr Major! Zum Magister. Nur auf kurze Zeit will ich nach Haus reisen.
VON HASENPOTH.
Wenn hast du denn drum geschrieben? zum Teufel! – Urlaub! und ich weiß kein Wort von.
VON GRÖNINGSECK.
Ein großes Verbrechen, wahrhaftig! Bei der Generalrevue bat ich den Inspektor selbst drum.
MAJOR.

Und ich schrieb auch noch an den Minister, und kann ohne mir was zu schmeichlen sagen, daß ich den Congé wohl unterschrieben würklich in der Tasche hab. Preuve de cela! hier ist er! –


Gibt ihn dem von Gröningseck.
VON GRÖNINGSECK.
Dank Ihnen für den Freundschaftsdienst –
MAJOR.

Wenn's ein Freundschaftsdienst ist, wie ich wünsche, und wenn Sie's dafür annehmen, so braucht's keines Dankens; – man dankt für ein Almosen.

VON GRÖNINGSECK.
Ihre doppelte Güte beschämt –
MAJOR.

Paperla, paperla, pap; wieder ein andres dummes Wort, das ich mein Lebtag nicht leiden konnt: beschämen! – Ein hundsfüttischer Laffe, dem man ins Gesicht sagt, daß er ein Hundsfutt ist, der wird beschämt, kein ehrlicher Mann.

MAGISTER
heimlich zum von Hasenpoth.
Ein sonderbarer Mann! seine Laune gefällt mir.
VON HASENPOTH.
Der beste und der tollste Kopf im ganzen Regiment; wie Sie wollen.
MAJOR.

Gewöhnen Sie sich dergleichen abgeschmackte Wörter ab, meine Herren! noch wird Sie's wenig Müh kosten – ist aber ein falscher Handgriff einmal erst eingewurzelt, so hat man des Henkers Arbeit ihn wieder aus den Knochen zu bringen. – Apropos! heut hab ich einen Hauptspaß erlebt; – in der Auberge, wo ich speise: ich nähm, hol mich der Teufel! nicht viel Geld, daß ich ihn nicht selbst mit angesehn hätte; – vielleicht wissen Sie schon drum, meine Herren? – Von Gröningseck und von Hasenpoth sehn einander an, und schütteln die Köpfe. – Nicht? das wundert mich: so was lauft doch sonst wie ein Lauffeuer von Mund zu Mund: – Desto besser! so erfahren Sie doch die lautre reine Wahrheit, denn ich hab den ganzen Spuk selbst mit angesehn, und soll mich der Teufel lebendig zerreißen, eh ich ein Wort dazusetz oder davontu. – – Gestern [1482] nachmittags, wie ich auf dem Spiegel mein Gläschen Likör trank, um die Verdauung zu befördern, sah ich am Fenster, das in den Hof geht, zween Offizier, den einen von Lionnois, den andern von Anhalt eine Partie Piquet miteinander spielen; – es ging haarscharf! das kann ich Ihnen versichern; zu drei Livres die Partie und alle honneurs bezahlt; ich setzte mich, da es mein Leibspiel ist, hinter den letztern, der schon grimmig im Verlust war, und sah dem Ding ein Weilchen so zu; – mein Lebtag hab ich nicht mit so viel Unglück spielen sehn, allen Augenblick war er gesechzigt, oder geneunzigt, das war vor Gott Gnade! – seine Tälerchen flogen, sapperment! daß es nur eine Lust war. – Indem kommt der Lieutenant Wallroth von Salis, stellt sich hinter den andern gegen mir über, sieht so ein drei, vier Spiel mit an, wird einmal rot, einmal blaß im Gesicht; ich dacht, er wär moitié mit meinem Mann, und der Verlust ärgerte ihn! – auf einmal, Gott weiß, wie er das Ding sogleich weghatte! auf einmal tat er eine so furiose Attacke auf den Geldhaufen, der vor ihm lag, schob alles groß und klein dem von Anhalt zu, und sagte: »Härr, dies Geld ischt Oier! 's goht hie nit bieder zu; Ihr syd der Dup vom Spiel: drymol hinterenonder hot sich der Härr do di Ass in Talon gemischt: han's selbst mit angsehn« – Noch hat er nicht ausgeredt, hören Sie nur! hören Sie nur, so gab ihm der von Lionnois eine so derbe Maulschelle, daß der ganze Saal davon erscholl. Sie wollten zugleich nach den Degen greifen, aber daran wurden sie vom Osterried und seinen Markörs verhindert. – Wir standen alle wie vom Donner gerührt da. – Der Chevalier de fortune skisierte sich endlich, ohne daß wir's gewahr wurden, und ein Weilchen drauf ging der ehrliche Schwyzer auch fort. – Glückliche retour! dacht ich so bei mir selbst, da wird gewiß einer auf den Arsch gesetzt. – Aber pardieu, nein! Wallroth ging zum Kommendanten, zeigte den ganzen Verlauf an, und so mußte der andre noch in der nämlichen Stunde ins Pontcouvert wandern. – Kassiert und mit Schand und Spott vom Regiment gejagt, ist's wenigste, was ihm widerfahren wird.

VON GRÖNINGSECK.
Die Kanaille verdient's auch! – und Wallroth –
MAJOR.
Wird bongré malgré auch quittieren müssen.
MAGISTER.
Wieso, Herr Major? hat er nicht als ein braver Mann gehandelt?
MAJOR.

Brav und nicht brav? das verstehn Sie nicht. Als ein recht braver Kerl hätt er nicht zum Kommendanten laufen; [1483] sondern seinem Mann das Weiße im Aug selbst weisen sollen. – Damit ich's nun aussage; heut mittag kam Wallroth, wie wir schon unsrer dreizehn oder vierzehn am Tisch saßen, wie gewöhnlich auch in die Auberge; sowie er ins Zimmer trat, kehrt ihm sein Nachbar den Teller um: Er, als ob er's nicht verstünde, setzt sich hin, und stellt ihn wieder zurecht. – Nun stand, grad als wenn sie sich alle das Wort gegeben hätten, einer nach dem andern auf, und ging zum Tempel hinaus: endlich packt ich mich auch fort, und – da hätten Sie die Fratze sehn sollen, die er machte; gemalt möcht ich sie haben! – Da könnte man sehn, wie dumm es läßt, wenn man beschämt ist. –

VON GRÖNINGSECK.
Der arme Teufel dauert mich.
MAJOR.

Mich auch, aber! – sehn Sie nun ein, mein Herr, warum er wird quittieren müssen? vorher hätt er's nur mit einem zu tun gehabt, jetzt hat er ihrer vierzehn auf dem Hals, muß sich, wenn er bleiben will, mit allen herumpauken. –

VON HASENPOTH.
Natürlich! denn sie haben ihn alle beleidigt.
MAGISTER.
Aber – die Duelle sind ja verboten?
MAJOR.
Verboten? – Pah! das Verbot gilt uns nicht! – gilt keinem Kriegsmann!
MAGISTER.

Sie erlauben, Herr Major! sind Sie nicht auch Bürger des Staats, Untertanen des Königs, so gut wie andre? und schwören nicht unsre Könige bei der Krönung keinem Duellanten, ohne Ausnahm Pardon zu geben?

MAJOR.

Das mag alles sein, Herr Magister! mag ganz wahr sein! – ich hab auch das gute Zutraun zu jedem rechtschaffnen Offizier, daß er sich nicht in der Absicht schlagen wird, den König wider den Kopf zu stoßen, oder seine Befehle zu übertreten: – will man sich aber nicht von jedem Holunken auf der Nase tanzen lassen, will man sich nicht in Gesellschaften, bei Tisch und im Dienst täglichen Beschimpfungen aussetzen, wie wir das Exempel heut an Wallroth haben, so –

MAGISTER.
Muß man gesetzbrüchig werden?
VON GRÖNINGSECK.

Nicht anders, mein lieber Magister! das wundert Sie? es ging mir einst wie Ihnen. – Wir andren Epaulettes haben, sobald wir mit Recht oder Unrecht beleidigt werden, nur zwei Wege: entweder müssen wir unser Leben, oder unsre Ehre in die Schanz schlagen.

MAGISTER.

Das ist ja aber ein Widerspruch. Wie? um nicht für ehrlos gehalten zu werden, muß sich ein rechtschaffner Mann [1484] der Gefahr aussetzen, seinen Kopf auf dem Schafott dem Scharfrichter hinzustrecken – unerhört!

MAJOR.

Gar nicht unerhört! gar nicht; lieber das Leben als die Ehre verloren. – Das Schafott macht nicht unehrlich, sondern das Verbrechen, und ein Verbrechen, wozu man gezwungen wird, ist kein Verbrechen mehr. – Wenn ich in Wallroths Haut stäke, so schlüg ich mich, eh ich das auf mir sitzenließ, lieber mit der ganzen Garnison herum; mit einem nach dem andern versteht sich. – Und wenn er heut noch Satisfaktion von mir fordert, so soll er sie heut noch haben, wenn tausend Schafott und tausend Galgen daneben stünden. – – Wenn Sie, Herr Magister, alle Widersprüche heben, alles Krumm grad machen können, so tun Sie's! – ich will Sie loben drum. A l'honneur, meine Herren! – Eh Sie reisen, Gröningseck, seh ich Sie doch noch?

VON GRÖNINGSECK.
Wie billig.
MAJOR
im Fortgehn.
Ohne Abschied also! Ab. Gröningseck begleitet ihn bis an die Türe.
MAGISTER.
Der Herr Major spricht –
VON HASENPOTH.

Wie es einem Soldaten zukommt, und Sie wie ein Mann von Ihrem Stand sprechen muß: beide können in ihrer Art recht haben.

VON GRÖNINGSECK
kommt zurück.

Ja, mein lieber Magister! so ist's! – Sie wissen nicht, wie sauer es unsereinem oft wird ein ehrlicher Mann zu bleiben! wie vorsichtig, bedächtig wir jeden Schritt abmessen müssen! – Aber – Im schmeichlenden Ton. Sie haben doch über dem gelehrten Streit meinen Auftrag nicht vergessen?

MAGISTER.

Gewiß nicht! – Ihnen allen Zweifel desfalls zu benehmen, will ich gehn, und sogleich Gelegenheit suchen, mein Bäschen zu sprechen.

VON GRÖNINGSECK.

Tun Sie's; Sie verbinden mich unendlich. Zudem glaub ich ein Recht zu haben, diese Gefälligkeit von Ihnen fordern zu können; ich fühl, daß ich das nämliche für Sie tun würde.


Drückt dem Magister, der abgeht, die Hand.
VON HASENPOTH.

Tausendsakerment! Gröningseck! hast du dich nicht ein paarmal so dumm angestellt, daß man dein ganzes Geheimnis dir in den Augen lesen konnte. Wäre der Magister nur einen Grad mißtrauischer –

VON GRÖNINGSECK.
O dafür scheint er mir zu gutherzig!
VON HASENPOTH.
Und den Auftrag, den du ihm da gegeben!
[1485]
VON GRÖNINGSECK.

Hab ich sehr zweideutig eingerichtet: – mit vieler Müh, ich gesteh es. – Richtet er ihn aber so aus, wie ich ihn ihm gab, so kann er doch seine gute Würkung haben. Evchen wird jedes Wort verstehn, und vielleicht beruhigt sie das, wenigstens zum Teil. Da ich keinen sichren Weg weiß, ihr einen Brief zuzubringen –

VON HASENPOTH.
Du hast ihr also noch nie geschrieben?
VON GRÖNINGSECK.

Nein! – da ich sie, seitdem ich im Haus bin, noch nicht einen Augenblick ohne Zeugen gesprochen habe, so mußt ich's auf diese Art angreifen.

VON HASENPOTH.

So sag mir denn nur, was du eigentlich mit ihr vorhast? Soviel ich mutmaße, hat ihre Melancholie physische Ursachen zum Grund.

VON GRÖNINGSECK.

Das hat sie, ja! – sie ist schwanger. – Ich hab schon zu viel gestanden, um dieses leugnen zu können. – Überdies taugt eine halbe confidence ihr Lebtag nichts. – Aber eben, weil sie es ist, von mir – fühlst du, was das heißt? – von mir es ist, so könntest du, dächt ich, ebenso gewiß auch mutmaßen, was ich mit ihr vorhab; was ich tun werde, tun muß. Ich werd sie heiraten.

VON HASENPOTH.
Du?
VON GRÖNINGSECK.
Ich! – Das ist wohl der geringste Ersatz, den ich ihr geben kann.
VON HASENPOTH.
Der Lieutenant von Gröningseck die Humbrechtin! – Unmöglich!
VON GRÖNINGSECK.
Warum? wenn ich's wissen darf! warum? wieso unmöglich?
VON HASENPOTH.
Fürs erste als Lieutenant –
VON GRÖNINGSECK.

Ich kann ja quittieren, wo steckt hernach die Unmöglichkeit? – Sie als Frau zu erhalten, das soll mir nicht schwer werden: ich hab vieles verschleudert, aber auch noch manches gerettet. – Den Rest meines Vermögens selbst zu übernehmen, dies ist die Absicht, in welcher ich um Urlaub anhielt; ich bin jetzt majorenn, und kann jeden Augenblick eintreten. – Sobald dies in Ordnung ist, komm ich wieder zurück, und bitt mir Evchen vom Alten aus. Wenn ich den blauen Rock auszieh, ist sie die Meine, das weiß ich.

VON HASENPOTH.
Du willst also allem entsagen? –
VON GRÖNINGSECK.

Allem, allem! – eh ich die Höllenpein mit mir herumschleppen wollt! – Aber noch eins! – merk dir's, Lieutenant, merk dir's! sag ich. – Nimmt ihn bei der Hand. Du bist [1486] der einzige, dem ich mein Herz geöffnet habe; noch ist kein Wort von alle dem, was du gehört hast, über meine Lippen gekommen. – Deine Anschläge haben mich in diesen Abgrund gestürzt – dies ist kein Vorwurf, den ich dir mache, du verkanntest den Engel, ich auch! und doch hätt ich ihn besser kennen sollen, ich! ich allein! du nicht! – jetzt mußt du mir auch behülflich sein, mich wieder herauszuwinden. – Ich glaube deiner Tugend nicht zu viel zuzutraun: – wär's aber! betrög ich mich in meiner Meinung! kommt nur ein Gedanke, nur ein Schatten von dem, was ich hier in dein Herz legte, vor der Zeit ans Tageslicht! – Hasenpoth! – Läßt ihm die Hand gehn, und bebt zurück. – so fährst du oder ich dem Teufel in Rachen. – Jetzt laß mich! – ich muß mich verschnaufen, und Anstalt zur Reise machen. – Wir sprechen uns noch.


Ab ins Kabinett.
VON HASENPOTH.

Wenn du mit all deinen überspannten Begriffen von Tugend sie zur Frau kriegst, so soll mich der Teufel vierundzwanzigmal auf und ab durch die ganze Armee seiner dienstbaren Geister, Spießruten laufen lassen! – Nein, Herr von Gröningseck! ich muß erst Nachlese halten. – Im Abgehn. Die Karten will ich schon darnach mischen, – besser als der Dummkopf auf dem »Spiegel«! – wart nur! Ganz ab.

4. Akt

Vierter Akt

Evchens Schlafzimmer; rechter Hand der Bühne ist die Tür, gegenüber sind Fenster, die auf die Straße gehn. Frau Humbrecht macht eben, wie der Vorhang aufgezogen wird, das Fenster zu; Evchen liest.

FRAU HUMBRECHT.
Noch seh und hör ich nichts von ihm.
EVCHEN.

Heut wird er schwerlich mehr kommen, Mutter! geh Sie lieber ins Bett! Die Tore sind ja schon längst zu.

FRAU HUMBRECHT.
Wer weiß, kommt er nicht zum Judentor herein? es hat ja noch nicht eilf geschlagen.
EVCHEN
seufzend.
Daran dacht ich nicht.
FRAU HUMBRECHT.

Schon wieder ein Seufzer! – hast du mir nicht soeben versprochen, das ewige Geächz und Gekrächz zu unterlassen? bist mir ein rechter Mann von Parole!

EVCHEN.
O wenn ich ein Mann wäre!
FRAU HUMBRECHT.
Was wär's?
[1487]
EVCHEN.
Noch heute macht ich mich auf den Weg nach Amerika, und half für die Freiheit streiten.
FRAU HUMBRECHT.

Und ließest Vater und Mutter allein hier sitzen? Pfui, Evchen! aber ich weiß schon, wo es steckt, du liebst uns halt nicht mehr.

EVCHEN.
Wie kann Sie das denken, Mutter!
FRAU HUMBRECHT.
Wie? – weil du kein Zutrauen mehr zu deinen Eltern hast; wo das nicht ist, ist auch keine Liebe.
EVCHEN
gerührt.
Mutter!
FRAU HUMBRECHT.

Nicht anders: es tut mir leid, daß ich dir's sagen muß; – sonst, wenn dir nur ein Finger weh tat, kamst du zu mir geloffen es mir zu klagen; – jetzt, verzeih dir's der liebe Gott, geht dir allemal eine Gänshaut aus, wenn du eins von uns beiden erblickst.

EVCHEN.

Gewiß nicht! – Sie tut mir das größte Unrecht von der Welt, Mutter! wenn Sie das sagt: ich lieb Sie noch immer ebenso stark – aber –

FRAU HUMBRECHT.
Nun? –
EVCHEN
schüchtern.
Aber – es gibt Sachen, die man niemand entdecken kann.
FRAU HUMBRECHT.
Warum nicht?
EVCHEN.
Weil sie noch nicht reif sind; weil man sie sich selbst nicht so gestehn mag oder kann.
FRAU HUMBRECHT.

Lauter Rätsel! – wenn dein Vater wieder so eine Antwort hörte, fuchswild würd er darüber. – Du weißt, er kann das Hinter- dem-Berg-Halten nicht ausstehn! ich auch nicht. Gestern, eh er zu Pferd stieg, glaubt ich, er wollte rasend werden, da er dich so recht vertraut auf sei nen Schoß setzte, dir die besten Wort gab, dich herzte und drückte –

EVCHEN.
Und auf einmal von sich stieß, daß ich bis ans Bett dort taumelte –
FRAU HUMBRECHT.

Da war dein Starrkopf schuld dran; und doch tat's ihm gleich wieder leid; das konnt ich ihm an den Augen ansehn. – Noch an der Trepp aber hat er sich heilig vermessen, wenn er zurückkäm, und du den Kopf noch so hingst, und ihm die Ursache nicht gestehn würdest, so wollt er dich nicht mehr für sein Kind erkennen. »Länger«, sagte er, »will ich mich nicht von ihren Kaprissen, wie ein Kalb am Seil, herumzerren lassen.«

EVCHEN.

So wahr Gott lebt! Mutter! es ist keine Kaprisse; wollt es wär! – Soll ich aber die Wahrheit gestehn, Mutter, so hat [1488] der Ungestüm, mit dem Sie mir die Ursache meines Kummers, die ich mir selbst noch nicht gestehn mag, bald in den Augen lesen, bald mit Drohen, bald mit Liebkosen herauspressen wollten, sehr viel dazu beigetragen, meine Melancholie oder Kopfhängerei, wie Sie's nennt, zu vermehren. Es ist von Ihrer Seit gut gemeint, das weiß ich, das fühl ich, und leide doppelt drunter, weil ich Ihnen jetzt wenigstens keinen Dank für diese Zärtlichkeit geben kann. – Probier Sie's einmal, Mutter! laß Sie mich ein Weilchen in meiner Träumerei so hinschlendern, tu Sie, als bemerkte Sie's gar nicht, überlaß Sie mich mir selbst, bered Sie den Vater es auch zu tun; nur auf ein Weilchen! vielleicht hebt sich alles – es muß sich heben, und dann bin ich ganz wieder Ihre Tochter, oder –

FRAU HUMBRECHT.
Oder? –
EVCHEN.
Ein Kind des Tods.
FRAU HUMBRECHT.
Wieder ein neuer Stich ins Herz! – O Evchen! Evchen! Du wirst uns noch ins Grab bringen. –
EVCHEN.

Nicht doch, Mutter! nicht doch! euch nicht! mich eher, wenn ihr mir nicht Ruh laßt. Probiert's nur, wie ich gesagt habe, ich bitt euch darum: es wird noch alles gut werden. – Fällt ihr um den Hals. Hier an Ihrem Hals hängend beschwör ich Sie, versperrt eurer Tochter den einigen Weg nicht, auf dem sie sich noch retten kann.

FRAU HUMBRECHT
wickelt sich los.
Dein Vater! – ich hör ihn.
EVCHEN.
Sie verspricht mir doch –
FRAU HUMBRECHT
nimmt ein Licht vom Tisch, ihm entgegenzugehn.
Was kann ich halt machen! ich muß wohl.
HUMBRECHT
kommt gestiefelt und gespornt.
Was zum Henker sitzt du denn da oben, Frau! und läßt das Haus drunten leer stehn?
FRAU HUMBRECHT.
Den Augenblick ging ich herauf zu sehn, was sie macht.
HUMBRECHT.

Allerliebst! wenn die Mutter der Tochter entgegengehn muß: hat sie nicht ebenso nah zu dir? – Wie das wieder dasteht, als wenn ihm Gott nicht gnädig war! – Dem Vater nicht einmal guten Abend zu sagen!

EVCHEN
schüchtern.
Guten Abend, Vater!
HUMBRECHT
spottend im nämlichen Ton.
Guten Abend, meine Jungfer Tochter!
FRAU HUMBRECHT.
Du fährst sie aber auch immer so an; – kein Wunder, wenn sie sich vor dir fürchtet.
[1489]
HUMBRECHT.

Fürchtet! vor mir! – Tausend Element! bin ich nicht ihr Vater! he, Evchen, bin ich's nicht? soll ich etwa, wenn ich mit meinem Kind rede, jedes Wort auf die Goldwaage legen? – Das ging mir, hol mich der Kuckuck, noch ab!

FRAU HUMBRECHT.
Närrchen! wer sagt denn das? – nur dein Ton –
HUMBRECHT.

Mein Ton, mein Ton! ist freilich keiner von den zuckersüßen, mit Butter geschmierten, in dem unsre glattzüngichte Herren ihre Komplimenten herkrähen; – meine Tochter, dächt ich aber, hätt in siebzehn, achtzehn Jahren, ihn schon gewohnen können! – Ich bin doch auch, bei meiner Seelen Seligkeit, kein Menschenfresser nicht! – Komm her, Evchen, komm! – bist ein guts Mädchen gewesen, hast deiner Mutter gebeichtet? gelt! du hast?

EVCHEN
verwirrt.
Liebster Vater!
FRAU HUMBRECHT.
Ja ja! sie hat; laß sie nur zufrieden jetzt, sollst alles hören.
HUMBRECHT.

Das ist brav! Das ist recht! – Küßt sie. jetzt bist du mir wieder doppelt lieb. – War's denn aber auch der Müh wert, den Kopf so zu hängen?

FRAU HUMBRECHT.
Du wirst's schon hören, sag ich.
HUMBRECHT.

Fast sollt ich bös werden, daß du mir die Gunst nicht angetan hast; gestern erst, meint ich, ich müßt dir's heraushexen. – Da war aber mein Ton wohl schuld dran. – Wirst also wieder hübsch munter sein, Evchen?

EVCHEN.
Soviel mir möglich.
HUMBRECHT.
Wieder in Gesellschaften, in die Kirch gehn? nicht immer in deinem Stall sitzen? –
FRAU HUMBRECHT.

Puh! was Fragen! das wird sich schon finden: eins nach dem andern. – Jetzt ist's Zeit schlafen zu gehn, es schlägt gleich zwölf. – Komm Alter! Zieht ihn am Ärmel fort. Gut Nacht, Evchen!

HUMBRECHT.

Busoir, Busoir! – heut will ich dir einen Stiefel wegschnarchen, Frau! – Macht sich los, kehrt um, und nimmt Evchen bei der Hand. verzeih dir der liebe Gott alle die schlaflosen Nächte, die du uns eine Zeit her gemacht hast. – Schau! ich weiß, er hat alle meine Seufzer, alle Tränen deiner Mutter gezählt; mög er dir keine aufrechnen, mein Kind! – keine! – sonst müßten sie aufs neu fließen. – Evchen fällt ihm weinend um den Hals, und küßt ihn. Jetzt schlaf wohl!


Ab.
EVCHEN
ihm nachsehend.

Armer Mann! guter, unglücklicher Vater![1490]Tief seufzend. ich fürcht, ich fürcht, die schlaflosesten Nächte hast du noch zu erwarten! – Sein Zorn ist mir fürchterlich, aber, Gott weiß es, seine Liebe noch mehr! – – Setzt sich hin, und liest eine Zeitlang. – Umsonst! es tut's nicht – ich les und lese, und wenn ich das Blatt umschlag, weiß ich kein Wort mehr von allem, was drauf steht. – Legt das Buch hin, geht sehr bewegt ein paarmal auf und ab. – Gröningseck! Gröningseck! was hast du nicht zu verantworten! –

VON GRÖNINGSECK
der mittlerweil ganz angezogen doch ohne Hut und Degen, zur Tür hereinschlich, stellt sein Licht auf den Tisch, und stürzt ihr plötzlich zu Füßen.
Das weiß ich, Liebste, Teuerste! will's verantworten, will alles gutmachen. –
EVCHEN
bebt zurück.
Wie! Sie erkühnen sich – um Mitternacht – was wollen Sie? was ist Ihre Absicht?
VON GRÖNINGSECK.
Die reinste, tugendhafteste, die je ein Mann gehabt hat. Ihnen Ihre Ruhe wiederzugeben –
EVCHEN.

Können Sie das? können Sie geschehne Sachen ungeschehn machen? – oder wollen Sie sich zum Gott lügen, und mich noch einmal täuschen?

VON GRÖNINGSECK.

Das nicht, Evchen! wahrhaftig nicht! – Das letzte mag ich nicht, das erste kann ich nicht – und doch wollt ich, ich könnt's! mit meinem Blut wollt ich ihn wiederkaufen, den unglücklichen Augenblick, da ich im Taumel –

EVCHEN.

Er ist mir tief genug in die Seele gebrennt, Sie brauchen mich nicht noch selbst daran zu erinnern; – oder – sind Sie Satans genug, Verführer und Kläger zugleich zu sein? –

VON GRÖNINGSECK
springt auf.
Ums Himmels willen, für welch ein scheußliches Ungeheuer halten Sie mich! Ich kam hierher –
EVCHEN.

Zu einer Zeit, in einer Stunde, in der Sie nicht gekommen wären, wenn Sie nur die geringste Hochachtung noch für mich hätten.

VON GRÖNINGSECK.

Verzeihn Sie! Evchen! ich schwör Ihnen das Gegenteil: da ich Ihre Delikatesse kenne und billige, so stand ich lang an, eh ich mich zu diesem unzeitigen Besuch entschließen konnte: es mußte aber gewagt sein! – ich war Ihnen und mir es schuldig, Sie nochmals allein zu sprechen, eh ich nach Haus reise.

EVCHEN.
Sie verreisen?
VON GRÖNINGSECK.
So bald als möglich, um noch zu rechter Zeit wiederkommen, und Ihnen meine Hand anbieten zu können.
[1491]
EVCHEN.
Ist das Ihr Ernst, Gröningseck? spricht Ihr Herz so? mich deucht, Sie schwuren mir's schon ehmals.
VON GRÖNINGSECK.

Und wiederhol's hier aufs feierlichste. – Ihrer beleidigten Tugend alle mir mögliche Genugtuung zu geben, war, sobald ich fand, daß Sie das nicht waren, für das ich Sie in meinem Leichtsinn versehn hatte, meine erste Empfindung, und wird auch da noch, wenn alle andren Empfindungen mit Blut und Atem stocken, meine letzte sein. – Möchte Sie dieses Versprechen doch in etwas beruhigen! Ich hab nur ein Wort – Aber du, Evchen – hast mir nicht Wort gehalten.

EVCHEN.
Wieso!
VON GRÖNINGSECK.
Versprachst du mir nicht, dir Gewalt anzutun – dir nichts merken zu lassen! –
EVCHEN.
Es ist wahr, ich versprach, mir alle Mühe desfalls zu geben; tat's auch, und –
VON GRÖNINGSECK.

Und doch kam ich niemals ins Zimmer, daß du nicht bis in die Augen rot geworden wärst! – War's Zorn, Verachtung, Abscheu?

EVCHEN.

Das war's nicht, Gröningseck! ich liebte Sie, so wie ich Sie kennenlernte, jetzt kann ich's Ihnen sagen – sonst hätten Sie mich nicht so schwach gefunden – und kann Sie auch noch nicht hassen, wenn ich auch nie die Hoffnung hätte, die Ihrige zu werden: – aber den Gewissenswurm, der mir am Herzen nagt, zu ersticken, hab ich noch nicht gelernt! – wenn ich's könnte, würde ich doppelt vor mir erröten.

VON GRÖNINGSECK.
Göttliches Mädchen!

Ergreift ihre Hand, und führt sie dem Mund zu.
EVCHEN
zieht sie schnell zurück.
Ich dachte, Sie hätten nur ein Wort! – ist's Vergessenheit? –
VON GRÖNINGSECK.

Vergessenheit! Ergießung der Seelen! wie du's nennen willst – Kurz, ich kann nicht, ich muß den Schwur meiner ewigen Treue mit einem Handkuß versiegeln.


Will ihre Hand mit Gewalt küssen, sie stößt ihn von sich.
EVCHEN.

Nein, Herr Lieutenant! – Sollten Sie es auch für Ziererei halten: ein Handkuß ist nichts, das weiß ich, und dennoch kann er zu allem führen. – Wenn Sie in Kleinigkeiten nicht Wort halten, wie soll ich Ihnen in wichtigern Angelegenheiten trauen! Ich will Ihnen wenigstens einen Meineid ersparen. – Wer einmal in Feuersnot gewesen, und das zweitemal nicht vorsichtig ist, verdient es, daß er darin umkommt. – Bis wann denken Sie wieder hier zu sein?

[1492]
VON GRÖNINGSECK.
Zwei Monat werden mit der Reise wohl draufgehn.
EVCHEN.

Zwei Monat! – Da wird mir das Herz noch manchmal klopfen: – aber, das muß nun sein, folglich muß ich mir's auch gefallen lassen. – Ich heiß Sie nicht eilen, wenn Sie Ihr Herz das nicht selbst heißt – so bin ich ohnehin verloren. –

VON GRÖNINGSECK.
Das tut's gewiß.
EVCHEN.

Jetzt, Gröningseck! ja! das glaub ich Ihnen, trau's Ihrer Rechtschaffenheit zu. Wer kann mir aber für die Zukunft stehn? – niemand; Sie selbst nicht! – Keins von uns hat im Buche der Vorsehung sein Schicksal gelesen; – eine innre Stimme, die ich aber immer zu betäuben suche, sagt mir, das meinige wäre mit Blut geschrieben.

VON GRÖNINGSECK.
Evchen! wie kommen Sie da dran?
EVCHEN.

Wie? auf die leichteste, simpelste Art von der Welt. – Den Fall gesetzt, Sie hielten Ihr Wort nicht –

VON GRÖNINGSECK.
Der Fall ist aber un möglich! –
EVCHEN.

Das kann nur die Zeit lehren: – ich setz indessen – hören Sie nur! – Sie hielten Ihr Wort nicht, überließen mich meinem Schicksal, dem ganzen Gewicht der Schande, die mich erwartet, dem Zorn meiner Anverwandten, der Wut meines Vaters, glaubst du, daß ich dies alles abwarten würde? abwarten könnte? – gewiß nicht! – Die grauenvollste Wildnis würd ich aufsuchen, von allem, was menschliches Ansehn hat, entfernt, mich im dicksten Gesträuch vor mir selbst verbergen, nur den Regen des Himmels trinken, um mein Gesicht, mein geschändetes Ich nicht im Bach spiegeln zu dürfen; und wenn dann der Himmel ein Wunderwerk täte, mich und das unglückliche Geschöpf, das Waise ist, noch eh es einen Vater hat, beim Leben zu erhalten, so wollt ich, sobald es zu stammlen anfing, ihm statt Vater und Mutter, die gräßlichen Worte, Hure und Meineid, so lang ins Ohr schrein, bis es sie deutlich nachspräche, und dann in einem Anfall von Raserei durch sein Schimpfen mich bewöge, seinem und meinem Elend ein Ende zu machen. – Wär das nicht blutig? Gröningseck! –

VON GRÖNINGSECK.

Nur zu sehr – die Haar stehn mir – ich bin Soldat – war sehr jung schon im Feld mit; hab manche schreckliche Szene mit angesehn – aber so was –

EVCHEN.
Kannst nur du veranlassen, und ich ausführen!
VON GRÖNINGSECK.

Da bewahr Sie Gott vor! – mir schaudert schon beim Gedanken! – Ums Himmels willen, Evchen! entsagen [1493] Sie doch allen diesen melancholischen Träumereien, schlagen Sie sich dieselben ganz aus dem Sinn – verlassen Sie sich auf mich, auf mein gegebenes Ehrenwort, auf meinen Überrest von Gefühl und Tugend; wenn's auch nur ein Fünkchen wär; so haben Sie es doch wieder angefacht.

EVCHEN.
Gut, Gröningseck! so sei's denn! – ich versprech's Ihnen.
VON GRÖNINGSECK.
Versprechen Sie mir aber auch ruhig und gelassen die Zeit zu erwarten?
EVCHEN
nachdenkend.
Ich möchte nicht gern mehr versprechen, als ich halten kann.
VON GRÖNINGSECK.
Du kannst es, Liebchen! sobald du mir zutraust, daß ich ein ehrlicher Mann bin.
EVCHEN.

Will ich mich nicht selbst verraten, und meine Eltern auf die wahre Spur bringen, so werd ich wohl müssen. – Sie glauben nicht, wie nah sie mir's schon gelegt, wie sehr sie mir zugesetzt haben! – mehr als einmal zitterte mir das fatale Geheimnis auf den Lippen, nur die Furcht –

VON GRÖNINGSECK.

Behalten Sie's ja bei sich; ich beschwöre Sie darum; ich zittre, wenn ich mir Ihren Vater denke; – wenden Sie alles an, bieten Sie Ihre ganze Munterkeit auf, ja keinen Verdacht zu erwecken. – Es mutmaßt doch wohl niemand –

EVCHEN.

Dem Magister trau ich am allerwenigsten! seine Luchsaugen haben mich schon mehr als einmal außer Fassung gebracht. – Der Auftrag, den Sie ihm gestern gaben, ging ihm gewaltig im Kopf herum; ich sah's ihm an, und stellte mich, als wäre mir gar nichts daran gelegen.

VON GRÖNINGSECK.
Sollte er wohl niederträchtig genug sein, Ihnen schaden zu wollen?
EVCHEN.

Das nicht, Gröningseck! – bös meint er's nicht mit mir, vielleicht nur zu gut. Soviel ich merke, hat er heimlich Absichten auf mich; meine Mutter mag mit drunter stecken. – Die Herren sind's gewohnt, sich als Kandidaten schon ihr Mädchen zu wählen; kriegen sie hernach in zehn, funfzehn Jahren eine Dorfpfarrei, so dörfen sie nicht lang nach einer Frau suchen.

VON GRÖNINGSECK.
Bis dorthin können wir ihm vielleicht selbst mit einer Tochter bedient sein.
EVCHEN.

Sorgen Sie nur, daß sie sich ihrer Mutter nicht schämen darf. – Jetzt gehn Sie; die Nachbarn sind's nicht gewohnt, so lange Licht bei mir zu sehn. –

[1494]
VON GRÖNINGSECK.
Bekümmert sich Evchen auch um die? –
EVCHEN.

Wenn's da Aufs Herz deutend. nicht richtig ist – wenn das uns Vorwürfe macht, so fürchtet man sich vor seinem eignen Schatten. – Jetzt gehn Sie, sag ich; – morgen können Sie mich noch bei meiner Mutter sehn. Sie nehmen doch Abschied bei ihr?

VON GRÖNINGSECK.
Sehn! aber nicht sprechen!
EVCHEN.
Ich werde jeden Blick verstehn. – Sie gehn der Türe zu. Zwei Monat, sagten Sie?
VON GRÖNINGSECK.

Zwei Monat aufs längste! das schwör ich Ihnen nochmals, im Angesicht des Monds und aller der Sterne, die dort am Firmament glänzen: mein letzter Blick, wenn ich morgen in Wagen steig, soll's Ihnen noch einmal schwören. – Nur ruhig, mein Liebchen!


Drückt Evchen die Hand, und geht ab. Evchen öffnet halb die Türe, steckt den Kopf hinaus, und ruft mit gedämpfter Stimme.
EVCHEN.

Gröningseck! noch eins! Er kommt zurück, sie küßt ihn mit den Worten. Den kann ich Ihnen morgen nicht auf die Reis geben! Und riegelt die Tür schnell hinter ihm zu.


Der Vorhang fällt.

5. Akt

Fünfter Akt

Das Zimmer vom zweiten Akt; Morgendämmerung. Evchen steht vor dem Spiegel, und setzt ein bonnet rond auf. Lissel, ihre Magd, kommt herein.

LISSEL.

Ei, Herrjemer! wo will Sie denn schon so früh hin, Jungfer? in dem Nebel, er stinkt nach lauter Schwefel.

EVCHEN.

Das tut nichts, um Michaelstag herum kann's nicht wohl anders sein. – Ich will nur geschwind wohin springen. – Lissel! o lauf doch, und hol mir deinen baumwollnen Mantel – geschwind – lauf!

LISSEL.
Was will Sie denn mit dem?
EVCHEN.

Was, was? anziehn! du kriegst ihn gleich wieder – sieh, da hast du derweilen meinen taftenen – heb dir ihn auf, bis ich wiederkomm. – So geh doch, ich muß fort, eh unsre Leute aufstehn.

LISSEL.
Wohin denn? – hat Sie etwa was Bestelltes? –
EVCHEN.

Freilich! – halt mich nur nicht auf, geh!Lissel ab. Wohin? – das weiß ich selbst nicht – so weit mich die Füße tragen.[1495] – – Gröningseck! Gröningseck! es soll dir schwer werden wider den Stachel zu lecken! – Den Brief mir zu schreiben! ich hab ihn doch bei mir? Sucht in der Tasche, und zieht ihn heraus. Ja! – Guckt ihn noch einmal durch. – Mir den Hasenpoth vorzuschlagen, mich zur Allerweltshure machen zu wollen! – Die Spöttereien über den Ort, wo wir uns näher kennenlernten, versteh ich nicht einmal; mag sie nicht verstehn! – Steckt ihn wieder ein. Das aber alles zusammengenommen – oh! das kann einem schon Füße machen – Erblickt die Porträte ihrer Eltern. Ha! ihr Lieben! seid ihr auch da? – hier auf den Knieen dank ich euren Bildern für alles Liebs und Guts, das ihr mir erwiesen. Weinend. Ich lohn's euch schlecht – nur flucht, flucht mir nicht.–

LISSEL
kommt zurück, Evchen springt auf.
Ich hör den Herrn schon im Zimmer herumschlappen.
EVCHEN.

Geschwind denn! um Gotts willen geschwind! wirf ihn mir um; so kennt man mich doch nicht so leicht; – Den Capuchon hinauf! – Im Fortgehn dreht sie sich noch einmal um. Den Mantel, Lissel! heb dir auf, bis ich wiederkomm! hörst du's? – Unter der Tür. Gib ihn ja nicht her, bis ich wiederkomm.


Ab.
LISSEL
räumt das Zimmer auf.

Bis! Bis! – Unser lieber Herrgott weiß, was mit der Jungfer umgeht! – ganz richtig ist's nicht; so ängstlich hab ich sie noch nie tun sehn. – Wenn ihr was Leids geschehn wär! – so eine gute, verständige Jungfer! sie tät mir in der Seele leid. – Will mit dem Mantel abgehn, indem kommt der Magister hastig herein.

MAGISTER.
Ist mein Vetter schon ausgegangen, Jungferchen?
LISSEL.
Ausgangen? ja guten Morgen! er ist kaum aufgestanden.
MAGISTER.

Desto besser! so verfehl ich ihn nicht, sag Sie ihm, ich hätte notwendig mit ihm zu reden; er möchte gleich herkommen.

LISSEL.
Schon recht, Herr Magister!

Ab.
MAGISTER.

Ich gäb noch was drum, wenn ich wieder zum Haus drauß wäre – ich wage viel – indessen, ein größeres Unglück zu verhüten; – wenn's ist, wie ich zu mutmaßen berechtigt bin, so ist's besser, ich bring's meinem Vetter nach und nach bei, als daß er's von Fremden erfährt, oder wohl gar selbst entdeckt. – Er würde seiner ersten Wut keinen Einhalt zu tun wissen. –

HUMBRECHT
im Nachtkamisölchen, Schlafmütz, und niedergetretnen [1496] Schuhen.
Guten Morgen, Vetter! wo Henkers kommt Er schon so früh her?
MAGISTER.
Von Haus! ich ging lieber etwas früher, um Sie nicht zu verfehlen.
HUMBRECHT.
Er muß also doch was Großes auf dem Herzen haben.
MAGISTER.
Ich wünschte, es wäre nicht so – Sie sind ein Mann? –
HUMBRECHT.
Meiner Frau wenigstens hab ich's bewiesen.
MAGISTER.
Ohne zu spaßen, wenn ich bitten darf – Sie sind ein Mann, der Verstand hat –
HUMBRECHT.

Meinen gesunden schlichten Menschenverstand, so viel man in die Haushaltung braucht, den hab ich – ja!

MAGISTER.

Gut! so nehmen Sie ihn zusammen, Herr Vetter! und hören, was ich Ihnen zu sagen habe. – Es geht mir sehr nahe – vielleicht bin ich auch irre, aber es ist doch Pflicht –

HUMBRECHT.
Nur nicht so viel Gepreambulums, Herr Magister! – Pack Er gleich recht an.
MAGISTER.

Erst geben Sie mir aber Ihr Wort als ein ehrlicher Mann, daß Sie mich geduldig ganz aushören, und eh ich fertig bin, mir nicht von der Stelle gehn wollen.

HUMBRECHT.

Was zum Henker soll denn das vor eine Predigt geben! – meintwegen, Er soll's haben, da ist die Hand drauf. –

MAGISTER.
Jetzt zur Sache. Sind Sie gestern in der Klauskirche gewesen, Herr Vetter?
HUMBRECHT.
Nein, ich nicht! aber meine Leute; das leid ich nicht anders.
MAGISTER.
Es war Katechismuspredigt.
HUMBRECHT.
Das kann sein.
MAGISTER.
Die Reihe traf's grad, daß die zehn Gebot in der Amtspredigt zum Text genommen wurden. –
HUMBRECHT.
Nu, was weiter? – noch seh ich weder kux noch gax.
MAGISTER.
Geduld nur! – Der Herr Pfarrer hielt sich diesmal vorzüglich beim siebenten Gebot auf –
HUMBRECHT.

Beim siebenten? – wart Er, wie heißt es doch? – du sollst – du sollst – du sollst nicht unkeusch sein – nicht?

MAGISTER.

Ganz recht! – Nach der Predigt, wissen Sie, werden alle Quartal die Verordnungen von der Kanzel gelesen, die unsre Könige wegen den Duellen, dem Hausdiebstahl und dem Kindermord gemacht haben.

[1497]
HUMBRECHT.
Das wußt ich, da ich kaum noch den Hosenknopf aufmachen konnt, was soll's aber –
MAGISTER.
Gleich werden Sie's hören. – Ferner wissen Sie –
HUMBRECHT.
Ich weiß! ich weiß! daß ich bald toll werde, und Ihn allein stehn lasse, wenn Er nicht fortmacht.
MAGISTER.

Sie haben mir versprochen, nicht eher vom Fleck zu gehn – Sie müssen also Wort halten. – Sie wissen, wollt ich sagen, daß die Weiberstühle grade der Orgel gegenüberstehn, wenigstens zum Teil –

HUMBRECHT.

Ja! – und daß ihr andre junge Herrchen euch während dem Gottesdienst bald blind nach den armen Mädels schielt, das weiß ich auch! hab mich auch manch schönes Mal schon drüber geärgert. – Ich sollt einmal auf vierundzwanzig Stund nur Pfarrer sein, ich ließ euch samt euren Guckgläsern durch den Steckelmann zum Tempel hinausjagen!

MAGISTER.
Wenn Sie mich nicht hören wollen, Herr Vetter!
HUMBRECHT.
Ja doch! ich hör ja!
MAGISTER.
Ich stand also auf der Orgel, und konnt mein Bäschen grad ins Gesicht fassen.
HUMBRECHT.
Mein Evchen?
MAGISTER.

Ja! – von ungefähr sah ich ihr in der Predigt, grade bei der Stelle, von der ich schon vorhin sagte, etwas steif in die Augen. Da wurde sie feuerrot, gleich drauf wieder bleich, wie ein Tuch, schlug die Augen nieder, blieb die ganze Predigt durch so unbeweglich sitzen, und fiel endlich, da die Ordonnanz von den Kindermörderinnen verlesen wurde, gar in Ohnmacht.

HUMBRECHT.

Nun, und da führte man sie zur Kirch hinaus an die frische Luft, und da erholte sie sich wieder, und jetzt ist sie wieder so gesund als vorher –

MAGISTER.
Es ist aber – es tut mir leid, daß ich es sagen muß – es ist aber doch bedenklich –
HUMBRECHT.

Bedenklich! – ich seh gar nichts Bedenkliches: wenn ein junges unschuldiges Ding sich so viel von Unkeuschheit, Hurerei und Unzucht in die Ohren poltern hört, wenn noch obendrauf ein paar abgeschmackte Maulaffen es starr in die Augen darüber anplarren, so seh ich gar nichts Bedenklichs dabei, wenn ihm der Kopf schwindlicht wird, wenn's bald rot bald blaß vor Ärger wird –

MAGISTER.
Aber die Ohnmacht! – grad an der Stelle –
HUMBRECHT
zieht ehrerbietig seine Schlafmütze ab.

Nimm Er [1498] mir's nicht übel, Vetter! man sieht wohl, daß Er gstudiert ist. Ihr wohlweise Herrn wollt immer mehr sehn als ander Leut; 's geht euch aber, wie allen Triefaugen – wenn sie gegen die Sonne stehn, sehn sie alles doppelt, und nichts recht. – Was Tausendelement noch einmal! kann man etwa die Ohnmachten bestellen, wenn sie kommen sollen?

FRAU HUMBRECHT
kommt geloffen.
Du schreist ja, Mann, daß die Leut vor der Tür stehnbleiben.
HUMBRECHT.

Es wird einem auch darnach gekocht! – Da kommt mir der Siebenkünstler da in aller Früh schon her; und brummelt mir von Rotwerden, von Ohnmachten, die unser Evchen gestern gehabt hat, die Ohren voll; und will, was weiß ich? draus schließen.

FRAU HUMBRECHT
rümpft die Nase, und zuckt die Achseln.

Da schließt sich wohl was! – Es war ihr nicht wohl, sonst wüßt ich nicht, was man draus schließen könnt.

MAGISTER.

Eigentlich kam ich hieher, um mit dem Herrn Vetter allein zu sprechen: – doch, weil Sie da sind, Frau Bas – ich weiß, Sie sind's überzeugt, daß ich Ihrer Jungfer Tochter gut bin – Sie machten mir selbst einst Hoffnung – Stotternd. aber – kurz, weil der Herr Vetter meinem Bemerkungsgeist nichts zutrauen will – so will – so muß ich – Zieht eine Brieftasche heraus, und sucht etwas.

FRAU HUMBRECHT.
Du lieber Gott! was sollen denn das für Bemerkungen sein? – Martin!
HUMBRECHT.

Weiß ich's? – Wenn's mir recht ist, so hält er uns für Kalbsköpf, die keine Augen haben, und unser Evchen – wenigstens für eine Hure.

MAGISTER
betroffen.
Herr Vetter!
FRAU HUMBRECHT.

Was? mein Evchen? – Herr Magister! weiß Er auch, was Er da sagt? – he! – da kommt Er mir recht; – ich setz mein Leben zum Pfand, meine Tochter ist ehrlich – das sagt ihr kein braver Mann nach, und wenn Er's wär, Herr Magister! – Vetter mag ich Ihn gar nicht mehr heißen. – Setzt die Händ in die Seiten. Ist das der Dank für alles Liebs und Guts, was wir – was mein Mann Ihm erzeigt hat; hat Ihm schon in der Klaß die Singstunde bezahlt – wie Er ins Kloster kam, das Kommod geschenkt, mit dem Er sich noch jetzt so patzig macht, he! – Ist das der Dank, daß Ihm mein Evchen für das bissel Klavier, das Er's gelehrt hat, den Magisterring an den Finger gesteckt hat! – wenn wir nit gewesen wären, [1499] hätt Er ja mitsamt Seinen Stipendien doch nit können prumovieren! wie lang waren sie schon verfressen? he! –

HUMBRECHT
hält ihr das Maul zu.
Frau! Frau! Du machst ja sechsmal mehr Lärm als ich!
FRAU HUMBRECHT
reißt sich los.
Hab ich nicht Ursach? – wer meinem Evchen was an der Ehr abschneiden will, der greift mir ins Aug.
MAGISTER.
Frau Bas! Um Gotts willen – Ich empfehl mich.

Will fort.
HUMBRECHT.
War denn das alles, was Er mir sagen wollt.
MAGISTER.
Nein – aber Auf die Frau deutend. solang sie da ist, bin ich stumm.
HUMBRECHT.
Liebe! geh ein bißchen hinein. Komm! Kriegt sie beim Arm. nur ein bißchen.
FRAU HUMBRECHT.

Keine zehn Pferd bringen mich fort! – Nicht von der Stelle! – ich will mit anhören, was er meinem Evchen nachsagen kann.

MAGISTER.

Ich will ihm nichts nachsagen, Frau Bas! ich schwör's Ihnen. Sie wissen ja, daß ich ihr von jeher gut war – und eben deswegen glaubt ich verpflichtet zu sein, Ihnen von einem und dem andern, das Sie noch nicht wissen, vielleicht nicht wissen können, Nachricht zu geben. – Noch glaub ich es selbst nicht; – ich bin's aber Ihnen schuldig, für eben die Gütigkeiten, die Sie mir den Augenblick mit so viel Bitterkeit vorwarfen, bin's ich Ihnen schuldig zu sagen, und Ihre Pflicht ist es, nichts ununtersucht zu lassen. Sehn Sie, dies Briefchen wurde mir gestern abends zugeschickt. – Lesen Sie selbst; ich würde gar keine Notiz davon genommen haben, wär nicht des Morgens in der Kirche schon der andre Vorfall geschehn.


Gibt Humbrechten ein Briefchen, den Umschlag behält er, und steckt ihn endlich in die Tasche.
HUMBRECHT.
Die Pfote mag der Teufel lesen, ist's doch als hätten's die Hühner zusammengekratzt!

Gibt's zurück.
MAGISTER.

Geben Sie her: ich will's Ihnen Wort für Wort vorlesen; sehn Sie aber ja mit hinein, daß Sie mich nicht hernach wieder beschuldigen –

FRAU HUMBRECHT
stampft mit dem Fuß.
Nun, so les Er, les Er nur!
MAGISTER
liest, und deutet Silbe für Silbe mit dem Finger, Martin Humbrecht und seine Frau sehn auf beiden Seiten hinein.

»Mein Herr!

Sie heißen Humbrecht, und mögen leicht mehr Verstand [1500] haben, als alle in Ihrer Familie, die diesen Namen führen. Fragen Sie doch Evchen Humbrecht, Ihre Base, ob sie dumm genug ist zu glauben, daß ich sie würklich heiraten wollte. Wenn sie zurückdenken, und sich des Orts erinnern will, wo wir unsre Bekanntschaft gemacht, so kann sie mir's nicht zumuten. Wenn ihr Vater die hundert Taler nicht hergeben will, um ihr Kind ins Findlinghaus zu tun, so will ich allenfalls davor Rat schaffen. Es liegt Ihnen selbst daran dieses zu wissen.

von Gröningseck.


N.S. Es bedarf keiner Antwort, sie trifft mich doch nicht ...«

Magister guckt sie wechselsweis, das Papier in der Hand haltend, an.
HUMBRECHT.
Gröningseck! so hieß ja der Offizier, der bei uns logiert hat!
MAGISTER.
Eben der! der Evchen auf den Ball –
FRAU HUMBRECHT
reißt dem Magister den Brief aus der Hand.

Ja, der hieß so! – wie aber der heißt, der den infamen Pasquill hier geschmiert hat, daß weiß ich nicht: Reißt ihn, weil sie spricht, in tausend Stücken, und tritt mit Füßen darauf. – wenn ich's wüßte, so kratzt ich ihm die Augen aus.

HUMBRECHT.

Frau! weißt du was? ruf das Mädel einmal her; – jetzt ärgert's mich, das wir ihr den Wisch nicht selbst können zu lesen geben – Will die Stücken aufraffen. Du bist verflucht fix, Frau!

FRAU HUMBRECHT.

Zu lesen! wofür? daß sie ihren Tod dran holt, sonst wüßt ich nicht warum? Ist's nicht 'ne Schand und Spott, daß so ein alter Esel, wie du bist, auf so Kindergeschwätz gehn kann? – Ja! wenn ich nicht beständig um sie gewesen war! – aber so!

HUMBRECHT
gebieterisch.

Gehst du, sag ich, oder ich geh. Frau Humbrecht bohrt dem Magister einen Esel, und geht ab. – Vetter! – Ihn an der Schulter packend. unter uns! – vor meiner Frau wollt ich mich's so nicht merken lassen – aber – wenn's wahr ist, wie Er mir's da vorgelesen hat, so kommt mir das Mensch nicht mehr ganz zur Stub hinaus – die Rippen im Leib tret ich ihr entzwei, und ihrem Bastert dazu!

MAGISTER
gesetzt.

Herr Vetter! wenn Sie nur einen Funken von Religion haben, so fassen Sie sich. Ich kam nicht hieher, um Augenzeuge eines Verbrechens zu sein. – Zudem ist's ja noch nicht ausgemacht. – War Gröningseck mein Freund, wie er sich stellte, so ist der Ton seines Briefs mir ein Rätsel. – Mit [1501] den andern Umständen aber zusammengenommen, verdient die Sache schon Untersuchung. – Doch! wie gesagt, daß Sie sich ja nicht vergreifen! sonst – vielleicht ist auch –

FAUSTHAMMER
kommt.
Ischt Er der Master Humbrecht, der Metzjer?
HUMBRECHT.
Ich mein's.
FAUSTHAMMER.
Do schickt mi der Härr Fischkol mit der Duse här, Er soll ämol sehn, ob Er sie kennt?
HUMBRECHT.
Dich kenn ich zum wenigsten – bist du nicht der Hans Adam, der Bettelvogt daneben im Bocksgässel?
FAUSTHAMMER.
Gar rächt! – wir werden abber Fusthämmer, nit Bettelvögt titliert.
HUMBRECHT.

Hol der Teufel die Titel! – ich frag dich, ob du der nämliche bist, der vergangnes Frühjahr, ein armes Kind von fünf Jahren, vor Bäcker Michels Tür unter der großen Gewerbslaub zu Tod geprügelt hat.

FAUSTHAMMER.
Ei! worum hätt die Krott au gebettelt! – 's ischt mer halt äi Streich mißlungen –
HUMBRECHT.

Wart Racker! ich will dich bekrotten! – wenn du ein Vieh bist, so geh in Wald zu den andern wilden Tieren; Kriegt ein spanisch Rohr, und prügelt ihn tüchtig durch. Jetzt geh, Kanaille! ich hab dir's lang nachgetragen; bist mir auf einmal in die Kluppen gekommen.

FAUSTHAMMER
der während dem Prügeln die Dose fallen ließ, im Abgehn.
– Schunn guht schunn guht, Er soll's nit umsunst geton han! Reibt sich den Buckel.
HUMBRECHT.

Nicht umsonst? – hast du doch das Kind umsonst totgeschlagen, und hat kein Hahn darnach gekräht, du Schindersknecht – Wart, ich will dir den Buckel noch besser reiben, wenn's nicht genug ist –

FAUSTHAMMER
lauft fort.
Schunn guht! – schunn guht! – wärd's ze melden wissä. Ab.
HUMBRECHT
wirft das Rohr in eine Ecke.

Der kam mir eben recht! – Der Himmelsakerment! – Ein Kind von fünf Jahren mit seinem spanischen Hengst so lange zu prügeln, bis es die schwere Not kriegt, und krepiert! – und warum? – weil es ein Stück Brot bettelt, das es doch auch nicht stehlen darf – Dich soll das heilige Donnerwetter! – hätt ich dem Hund nur besser gegeben!

MAGISTER.
Aber bedenken Sie auch, Herr Vetter, daß Ihnen das Ding kann übel ausgelegt werden?
[1502]
HUMBRECHT.

Nu! laßt mich's auch ein paar hundert Gulden kosten, die will ich gern geben! hab ich doch an dem Racker mein Mütchen gekühlt. –

MAGISTER.
Und die Obrigkeit mit in ihm beleidigt. –
HUMBRECHT.

Obrigkeit! Obrigkeit! – ich hab allen möglichen Respekt für meine Obrigkeit – aber den Viehkerls wenigstens sollte sie nicht so viel Gewalt geben; – haben nicht ihrer zween noch erst vor kurzem einen armen Handwerksburschen, der im nämlichen Fall war, aufs erbärmlichste mißhandelt, ihm mit Füßen das Gemäch entzweigetreten, daß er drei Stund drauf den Geist aufgab? – Und das soll Ordnung sein? – he! –

MAGISTER.
Die werden ihren Lohn schon kriegen! – Herr Vetter! Herr Vetter! nehmen Sie sich in acht.
HUMBRECHT.
Ei was! ich sag, was wahr ist, und da fürcht ich den Teufel nicht.
FRAU HUMBRECHT
kommt geloffen, rauft sich die Haare.
Martin! Martin! – ach, du lieber Gott! Evchen ist nirgends zu finden.
HUMBRECHT.

Was, nicht zu finden? o nun glaub ich alles! – hast du recht nachgesehn – in ihrem Zimmer – in der Küch? –

FRAU HUMBRECHT.

Alles! alles durchsucht; in der Metzig sogar bin ich gewesen, hab keinen Odem mehr – Gerechter Gott, was soll das sein.

MAGISTER.
Hat sie denn niemand gesehn? war sie gestern –
FRAU HUMBRECHT.
Ach! ich saß ja noch ganz spät bei ihr –
MAGISTER.
Und den Morgen? –
FRAU HUMBRECHT.

Dacht ich, sie schlief noch, wie sonst. – Da ist sie in aller Früh, wie ich von der Magd höre, ganz kunsterniert zum Haus hinausgegangen. – Wenn sie sich nur nicht ins Wasser gestürzt hat! – sie war ein paar Wochen her wieder so melancholisch –

HUMBRECHT.

Der Teufel soll die Melancholie holen, die Hand und Füß hat! – Ich bin vor den Kopf geschlagen, wie ein Ochs – Schick den Augenblick bei allen Bekannten herum, ob sie nicht da ist, ich will selbst hinten hinaus zu deiner Schwester springen – Sie will abgehn, er lauft ihr vor, und sagt. bleib nur, ich will's der Magd selbst sagen. Im Augenblick bin ich wieder da, Vetter!Ab.

FRAU HUMBRECHT
stolpert im Rückweg über die Dose, guckt darnach, hebt sie auf.
Gott! meine Tobaksbüchse, die ich ausrufen ließ, wie kommt die hieher?
[1503]
MAGISTER.

Ein Fausthammer brachte sie, von Polizei wegen; Ihr Mann, der, wie er sagte, schon längst einen Groll auf ihn hatte, prügelte ihn, da ließ er sie vor Schrecken fallen, und lief fort.

FRAU HUMBRECHT.

So kommt denn alles zusammen! Steckt sie ein. Wer hätte so was gedacht, Herr Vetter! Magister zuckt die Achseln. – Aber noch kann ich's nicht glauben, und kann's nicht glauben. Sie war immer so duß, so fromm wie ein Lamm! Er weiß selbst, wieviel hundertmal haben wir nicht gesagt, sie müßte Frau Pfarrerin werden. – Sie ist mir ja nicht aus den Augen gekommen, sie hat den verfluchten Leutenant, Gott sei mir gnädig! ja niemals, ohne mich gesprochen.

MAGISTER.
Er spricht aber doch in seinem Brief von einer Zusammenkunft –
FRAU HUMBRECHT.
Die hat er aber nicht mit ihr gehabt, und kann sie nicht gehabt haben, so wenig, als mit mir –
HUMBRECHT
kommt wieder.
's ist alles aus! sie ist auch da nicht.
FRAU HUMBRECHT.
Barmherziger Gott! ich bin des Todes noch.
HUMBRECHT.
Jetzt können wir nur dem Vetter zu Fuß fallen, und ihm unsre Beschimpfungen abbitten.
MAGISTER.

Darauf war ich vorher gefaßt; ich ließ sie zu einem Ohr hinein, zum andern herausgehn;Sieht auf die Uhr. Jetzt muß ich fort; sobald es meine Geschäfte erlauben, bin ich wieder hier. – Nur keine Exzesse, so kann noch alles gut werden. – Aufs Wiedersehn! Ab.

HUMBRECHT
wirft sich auf einen Stuhl.

Das heißt mir ein Morgen! Seine Frau ringt die Hände und weint. Der kann einem das Herz schon abstoßen! – Gottlob, daß ich mir keine Vorwürfe machen darf; ich hab euch oft genug von Tugend und Ordnung vorgepredigt! – Hab dir oft den Kablanzen gelesen, Frau! wenn du ihr zuviel Freiheit ließest; – jetzt hast du's!

FRAU HUMBRECHT
im flehentlichen Ton.

Um's Himmels willen, Martin, lieber Martin! nur jetzt keine Vorwürfe, wenn ich nicht auf der Stelle vergehn soll – ich hab das Meinige getan – so gut wie du immer!

HUMBRECHT.
Dann wohl dir! das ist ein großer Trost, und doch keiner für ein Vaterherz!

Schlägt sich wider die Stirne, indem geht die Tür auf, der Fiskal kömmt herein, zween Fausthämmer mit, über dem Geräusch springt Humbrecht auf.
HUMBRECHT.
Wer sind Sie, mein Herr? was wollen Sie hier? wen suchen Sie?
[1504]
FISKAL.

Sachte, mein Freund! Er wird mich doch nicht etwa auch durchprügeln wollen, wie den ehrlichen Mann da?

HUMBRECHT.
Der, ein ehrlicher Mann? ein Lumpenhund, ein Schindersknecht mag er sein, aber kein –
FRAU HUMBRECHT.
Still Martin! der Herr Fiskal! –
FAUSTHAMMER.
Do hören Sie's sälbst, Härr Fischkol! do höre Sie's, und dort leit der Stock noch.
FISKAL.
Still nur! Euer Schmerzengeld soll Euch schon werden.
HUMBRECHT.
Sie sind also der Herr Fiskal?
FISKAL.
Der bin ich; – ich schickte vorher –
HUMBRECHT.

O mein Herr Fiskal! Sie verzeihen – Sie können's einem rechtschaffenen Bürgersmann nicht übelnehmen, wenn er die Ehr hat, Sie nicht zu kennen; es ist, dächt ich, immer ein gutes Zeichen, wenn man mit der hochlöblichen Polizei nit viel zu schaffen hat –

FISKAL.
Keine Komplimenten, mein Freund! es steht Euch gar nicht –
HUMBRECHT.

Ich heiß Martin Humbrecht, Metzger und Burger allhier, und für mein Geld, das ich der Stadt abgeben muß, heißt mich Ihre Gnaden, der Herr Ammeister selbst Er.

FISKAL.

Ich versteh schon, Herr Humbrecht; Er, Sie, mir gilt's gleich – Ich schickte vorher den Mann zu Ihnen – er ist ein Diener der Polizei, wenn Sie es noch nicht wissen, und wer ihn beleidigt, der greift das ganze Amt an, doch davon sollen Sie schon sonstwo Red und Antwort geben. – Jetzt kam ich nur im Vorbeigehn zu hören, ob Sie eine gewisse Dose, die Ihnen der Mann vorzeigte, für die Ihrige agnoszieren? –

HUMBRECHT.
Ich weiß kein Wort von Dosen; – hat Er mir eine Dose gewiesen? – da muß ich blind gewesen sein.
FAUSTHAMMER.
Jo! vor Zorn; min Buckel hat's empfunden.
FRAU HUMBRECHT.
Ja, Martin, da ist sie: – sie lag da auf der Erde.

Will sie ihm hingeben.
HUMBRECHT.
Die? das ist ja die deine: – wie käm denn die hochlöbliche Polizei dazu?
FRAU HUMBRECHT.
Ich verlor sie –
FISKAL.
Unter diesem Schein ließen Sie sie wenigstens ausrufen.
FRAU HUMBRECHT.
Und der Mann da hat sie vermutlich gefunden? – das versprochene Trinkgeld –

Sucht in der Tasche.
FISKAL.

Nein, er nicht, Frau Humbrecht! ich eher; das Trinkgeld sparen Sie also. Nun wär ich zwar freilich nicht schuldig zu [1505] sagen, wie ich sie ans Tageslicht gebracht; damit Sie mich aber nicht etwa für einen Hexenmeister halten, will ich Ihnen gestehn, wie's zuging. – Mein Amt bringt's mit sich, daß ich Augen und Ohren allerwärts haben muß, da hört ich nun auch eben diese Dose ausrufen; ich notierte mir, wie ich mehr tue, die Kennzeichen, und da wir vor einigen Tagen bei einem schlechten Weibsbild, das sich über den Rhein machen wollte, unter andern Sachen auch die Dose fanden, so schickte ich nach dem Ausschreier, und nahm seine Aussage, wem sie zugehört, ad protocollum; noch war nötig, daß Sie sie agnoszierten, das ist nun geschehn, und jetzt bitt ich mir sie wieder zurück aus. –

FRAU HUMBRECHT.
Wieso! ist sie nicht mein?
FISKAL.

Gewesen, ja! Jetzt aber gehört sie zum corpus delicti, und muß bis zum Endspruch in den Händen der Gerechtigkeit deponiert bleiben. Wollen Sie denn die Unkosten pro rata bezahlen, so können Sie sie wieder kriegen. – Frau Humbrecht gibt sie ihm wieder. Indessen kann ich Ihnen im Vertrauen sagen, Sie haben sie nicht verloren, sie ist Ihnen gestohlen worden. – Das Mensch hat schon alles bekennt. –

HUMBRECHT.
Gestohlen! wo? – von wem?
FISKAL.
In einem gewissen Haus, wo die Madam vermutlich nicht gern wollen gewesen sein.
HUMBRECHT.
Wieder was Neues! – Frau, willst du reden – sag! wo kam sie dir weg?
FRAU HUMBRECHT.

Und wenn ich gerädert sollt werden, so kann ich nichts anders sagen, als daß ich sie auf dem Ball muß verloren haben.

FISKAL.

Gehn Sie lieber mit der Sprach heraus, Frau Humbrecht, der Herr Liebste erfährt es doch. – Im »Gelben Kreuz« – wissen Sie –

HUMBRECHT.
Was in dem Bordell –
FISKAL.
Pfui! da wird Ihre Frau doch nicht frühstücken.
FRAU HUMBRECHT
betroffen.

Frühstücken! ja wir haben gefrühstückt; – wo, weiß ich nicht; – Der Leutenant versicherte mir aber, wir wären in einem honetten Haus. –

FISKAL.
Und gab Ihnen, in aller Honetteté, einen Schlaftrunk.
HUMBRECHT
beißt die Zähne übereinander.

Der Herr Beelzebub und seine lebendige Großmutter! – Bestie! den Hals dreh ich dir um – Will auf sie los, Fiskal tritt dazwischen. Jetzt gehn mir auf einmal die Augen auf: hat's mir doch immer vom [1506] Teufel geträumt! – der verfluchte Ball! – Bestie, vermaledeite Bestie! hast deine Tochter zur Hure gemacht! –

FRAU HUMBRECHT
schluchzend.
Ich! der allmächtige Gott weiß, daß ich so unschuldig bin, als das Kind in Mutterleib. –
LISSEL
kommt hastig herein.

Ich kann sie nirgends – – Da sie den Fiskal erblickt, wird sie ganz bestürzt; will wieder zurück, auf einmal lauft sie hervor, und fällt vor dem Herrn Humbrecht auf die Kniee, weinend. Ach, meine guldne herzallerliebste Herrschaft! ich bitt Sie um Gotts willen, – ich will ja gern alles gestehn, alles sagen – nur lassen Sie mich nit ins Raspelhüs führen –

HUMBRECHT
tritt nach ihr.
Geh an Galgen!
LISSEL.
Ach du lieber Himmel! bedenken Sie doch, so ein junges Blut, wie ich bin –
HUMBRECHT.
Was willst du? hat dich deine Mutter ins Hurenhaus geführt?
LISSEL.
Ach nein! so gottsvergessen ist sie nicht.
HUMBRECHT.
Hörst's, Frau Humbrechtin! hörst's! – Ein schöns Liedchen! – will dir's noch oft vorsingen.
FRAU HUMBRECHT
schlägt die Hand über dem Kopf zusammen, will reden, verstummt, und geht ab.
FISKAL
der seither mit den Fausthämmern heimlich gesprochen, zu Lissel.

Entweder sagt jetzt gleich alles, was Ihr von der Sache wißt, oder die Männer hier bringen Euch an einen Ort, wo man schon Mittel finden wird, Euch schwätzen zu machen.

LISSEL.

Ach, mein allergnädigster liebreicher Herr Fiskal! ich weiß nichts, gar nichts: als daß sie heut in aller Früh sich die Zöpf aufmachte, ein Bunne rung aufsetzte und fortging; und da gab sie mir ihren Mantel, ihren taftenen und sagt', ich sollt ihn mir aufheben, bis sie wiederkäm, das sagt' sie mir dreimal mit den nämlichen Worten, und da mußt ich ihr meinen baumwollenen geben; da ging sie fort, und da kehrt' sie sich unter der Tür noch einmal um, und sagte, »Lissel! bis ich wiederkomm.« Ich will des Todes sein, wenn's nit wahr ist! – Jetzt haben Sie Barmherzigkeit mit mir, mein allerliebster Herr Fiskal! sonst weiß ich nichts mehr, als daß ich den Mantel in meine Küst gelegt habe, wie sie mich's geheißen hat; Gott muß mein Zeuge sein, daß ich ihn nit gestohlen habe; – wenn Sie mich foltern, so weiß ich jetzt kein stumpicht Wörtchen mehr.

[1507]
FISKAL.
Wer ist denn die Sie?
LISSEL.
Wer? – ei unsre Jungfer! die Jungfer Ev!
HUMBRECHT.

Du Jungfer und der Teufel! – Die Hure, Herr Fiskal, hat Lunden gerochen, und ist heut morgen davongeloffen. – Bewegt. Wenn sie der Teufel nur nicht reitet, daß sie sich gar – Das gäb eine schöne Himmelfahrt!

FISKAL.

Dem muß man zuvorkommen! – Männer, ihr wißt eure Schuldigkeit! Fausthämmer wollen abgehn. Halt! noch eins, wie sieht Ihr baumwollner Mantel aus?

LISSEL.
Brauner Boden, rot und grün gestrieft, mit gelben Blumen.
FISKAL.
Jetzt.

Fausthämmer im Abgehn.

1. FAUSTHAMMER. Gottlob! do gitt's doch widder a paar sechs schilli Bießlä ze verdienä!

2. FAUSTHAMMER. Vergiß jetz widder d'Kunsign, häscht's ghört!

1. FAUSTHAMMER. Dreck uf dien Nas. I waiß gewiß nimmi? – a Bunne rung, unn a Mantel mit brunem Bodä, unn – unn – o 's ist mer z'inn i seh sie schunn.


Ab.
FISKAL
mittlerweil zu Humbrecht.

Herr Humbrecht! Sie sind ein hitziger wilder Kopf! hüten Sie sich, und machen Sie keine halsbrechende Arbeit: – soviel zur Warnung! Im Abgehn. – Euch junge Magd rat ich ja ehrlich zu bleiben; zur armen Sünderin seid Ihr von Haus aus verdorben. Ab, Lissel mit.


Humbrecht fällt wie betäubt auf einen Stuhl, die Händ auf den Tisch, den Kopf drauf. – Der Vorhang fällt.

6. Akt

Sechster Akt

Zimmer der Frau Marthan, im Hintergrund ein armseliges Bett ohne Vorhänge. Frau Marthan biegelt, und legt Stück vor Stück, wie sie's fertig bringt, in einen Korb zusammen. Evchen sitzt am Bette, hat ihr Kind auf dem Arm, es schreit.

EVCHEN.

Armes, armes Kind! – nein, länger ertrag ich's nicht. – Legt's aufs Bett. O liebe Frau Marthan! – ich bitt Sie um Gotts willen, nur ein einziges halbes Weißbrot, nur ein Viertel! schaff Sie mir, und ein paar Löffel Milch, daß ich dem unschuldigen Tröpfchen ein bissel Brei koche.

FRAU MARTHAN.

Woher nehmen und nicht stehlen? wenn Sie mich auf den Kopf stellt, so fällt kein Heller heraus – Sie weiß ja [1508] selbst, daß ich heut meine letzten Pfennige zusammengescharrt hab, um das Laibchen Kommißbrot zu kaufen.

EVCHEN.
Heiland der Welt! – so soll's denn verschmachten!
FRAU MARTHAN.
Gib Sie ihm zu trinken.
EVCHEN.

Wenn ich was hätte! – es ist alles vertrocknet, kein Tropfen herauszupressen! mein Kummer hat alles aufgezehrt. – Geht vom Bett weg. Kann den Jammer nicht ansehn, sonst werd ich noch rasend.

FRAU MARTHAN.
Behüt und bewahre! da käm Sie ja ins Tollhaus! – weiß Sie was, Jungfer –
EVCHEN.
Spricht Sie mit mir, Frau Marthan?
FRAU MARTHAN.

Mit wem sonst? – Soll ich Sie etwa nit Jungfer heißen? Kurios! – gehn so viele Vornehme und Geringe in der Stadt herum, die schon drei, vier so Puppelchen in der Kost haben, täten einem die Augen auskratzen, oder gar einen Jurienprozeß an Hals hängen, wenn man sie nit hinten und vornen Jungfern hieß! – Ich glaub aber, Gott verzeih mir's, Sie ist gar nit wie ander Leut. – Was geschehn ist, ist geschehn, da hilft kein Greinen und kein Jammern! und ein Kind, so denk ich, ist doch immer besser als ein Kalb: – kann Sie nicht gleich wieder einen Platz als Stubenmädchen bekommen, so will ich Sie als Säugamm rekummedieren –

EVCHEN.
Hätt ich Milch für den Wurm!
FRAU MARTHAN.

Wie ist's möglich? wo soll sie herkommen? seit den fünf Wochen, daß Sie bei mir ist, hat Sie, Gott verzeih mir's! glaub ich, ein Ohm Wasser zu den Augen herausgeweint; und darnach, wenn man nichts ißt und trinkt – ich will doch wärli nit hoffen, daß es Ihr etwa nit gut genug ist? – wer 's Geringe nit will, ist 's Gute nit wert: – gelt! den Teller voll Fleischsuppe, den ich Ihr vorgestern abends hinstellte, weil ich gestern im Taglohn wäschen mußt, warum hat Sie ihn nicht gewärmt und gegessen? Gott weiß, ich hab ihn an meinem eignen Maul erspart! – sie war so kräftig, es hätt sich ein Prinz daran erlaben können! ein ganz Pfund vom besten Kuhfleisch und zwei Kalbsfüß! – aber nein, da ließ Sie sie verderben, heut mußt ich sie der Katz hinstellen. – Ist das nit sündlich? heißt das nit an seinem eignen Leib zum Mörder werden, und kann Sie das verantworten?


Geht hinaus einen heißen Stahl zu holen.
EVCHEN.

Ha! verantworten, das ist die Sache! – wäre das nicht, nicht die Furcht ewig, ewig – schon längst wär meines Gebeins [1509] nicht mehr. Frau Marthan kommt wieder. Sie soll vollkommen recht haben, Frau Marthan! ganz recht; aber denk Sie sich an meinen Platz, betracht Sie das arme Würmchen hier; von Gott und der Welt verlassen –

FRAU MARTHAN.

Das sag Sie nicht, ja nicht! Sie versündigt sich wieder. – Gott hat noch niemand verlassen, er wird an Ihr und an Ihrem Kind nicht anfangen; und ich will ja gern alles tun, was ich tun kann; – wie gesagt, sobald die Frau Funfzehnerin ins Kindbett kommt, will ich Sie als Säugamm hinbringen. – Ich gelt was bei ihr, das kann ich wohl sagen.


Das Kind schreit wieder.
EVCHEN
läuft ans Bett.
Gottes Barmherzigkeit, es schreit sich vor Hunger noch zu Tode. Nimmt's auf den Arm, und wiegt's.
FRAU MARTHAN.

So! das ist recht! such Sie's ein wenig zu geschweigen; sobald ich mit der Wäsch fertig bin, will ich sie wegtragen; vielleicht krieg ich ein paar Schilling. – Aber alles, was Sie tut, huck Sie mir nit immer so über sich selber; der Bös, Gott b'hüt uns, könnt gar leicht sein Spiel haben: nimm Sie ein Gebetbuch und les Sie hübsch drin, Sie sagt ja, Sie könnt's; dort auf dem Tresurchen steht der Himmels- und Höllenweg; 's ist gar schön, sag ich Ihr! mein Mann selig hat ihn in seiner letzten Krankheit fast auswendig gelernt. – Bei wem hat Sie denn zuletzt gedient, eh Ihr das Unglück begegnet ist? – Ich sag immer, es ist aber doch nicht recht von den Herrschaften, die einen armen Dienstboten, wenn er in den Umständen ist, so mir nix dir nix zum Haus hinauswerfen, wir sind alle sündliche Menschen; wie bald kann nit ein Unglück geschehn, und dann hat's der Herr oder die Frau doch auch auf'm Gewissen. – Bei wem war S', hört Sie nicht? –

EVCHEN.
Bei wem? Verwirrt. beim – beim – Sie kennt ihn doch nicht.
FRAU MARTHAN.
Wer weiß? sag Sie's nur; – über mein Zung soll's nit kommen.
EVCHEN.
Beim – beim Metzger Humbrecht.
FRAU MARTHAN.

Bei dem! was! beim Metzger Humbrecht? – ei! was Sie mir nit sagt da – so muß Sie denn auch seine Tochter kennen, gelt?

EVCHEN.
Zu gut nur, leider!
FRAU MARTHAN.

Ja wohl leider! – man soll zwar niemand richten, aber – es muß doch kein guter Blutstropfen in ihr gewesen sein, sonst hätt sie das nit getan! – gestern auf der Britsch ist [1510] ein langes und ein breites davon erzählt worden. – Wenn ein Weibsbild sich so weit verleiten läßt, daß sie gar in Burdels geht –

EVCHEN.
Was sagt Sie? Gott! Sie wär in ein Bordell gegangen?
FRAU MARTHAN.

Ja, ja! – Ihr wird sie's freilich nit auf die Nas gebunden haben – mit einem Uffezier ist sie 'neingangen, und die Mutter mit, das ist noch die schönste Zier; die ganze Stadt ist voll davon, man hat mir auch das Haus genennt, hab's aber wieder vergessen; – und da hat sie und der Uffezier der Mutter etwas zu trinken gegeben, daß sie einschlief. Warum sie's getan haben, ist leicht zu denken. – Und da soll ihr der Mußie die Eh versprochen haben; – wie aber die Herren sind, ein ander Städtel, ein ander Mädel! – jetzt blast er ihr was, und da hat sie sich ins Wasser gestürzt – gestern früh hat man sie in der Wanzenau gefunden.

EVCHEN.
Ersäuft! ha! wenn's doch wahr wäre!
FRAU MARTHAN.
's ist leider! nur zu wahr; – wie ich Ihr sage; ich wollt, es war nicht!
EVCHEN.
Warum? so wär sie doch der Qual nun los.
FRAU MARTHAN.

Sie redt, glaub ich, auch, und – weiß nit was? Es hat sich wohl – der Qual los! ja prosit d'Mahlzitt! – Und nur vom Schimpf zu reden, wenn sie sie heut oder morgen hereinbringen – ich geh ihr doch auch zu Gefallen, 's soll ein bildschön Mädel sein – wer weiß! wer weiß! ob sie unsre gnädige Obrigkeit nit, den andern zum Exempel, gar durch die Stadt schleifen laßt; wie den Muttermörder, der sich vor ein Jahrer zwei oder drei im Turn selbst erhenkt hat, auch.

EVCHEN.
Muttermörder! gibt's Muttermörder?
FRAU MARTHAN.

Ob's ihrer gibt? wie das gefragt ist! – Weiß Sie denn nit mehr, der Kerl, wie hieß er doch? der seiner Mutter die Gurgel wollt abschneiden –

EVCHEN.

Ja, ja! ich besinn mich; – seine Mutter war eine Hure, er ein Bastert, im Bordell gezeugt, das warf ihm einer im Trunk vor, da gab er seiner Mutter den Lohn, der ihr gebührte; – ich erinner mich's gar wohl.

FRAU MARTHAN.
Beileibe nicht! – Sie ist ganz irr dran – er wollte Geld von ihr haben.
EVCHEN.

Recht! recht! – er hatte Hunger und Durst; wollte sich einen Milchweck kaufen und ein Glas Bier dazu, die Mutter konnt's ihm nicht geben, da wollt er ihr das Geld aus den Rippen schneiden – und das ward ihm versalzen!

[1511]
FRAU MARTHAN.

Ist Sie närrisch? – bald förcht ich mich allein bei Ihr zu bleiben. – Ich will's Ihr besser sagen, wie's zuging. Er war von Jugend auf ein böser Bub, vertat seiner Mutter viel Geld, sie war eine kreuzbrave Frau, ich hab ihr zehn Jahr wäschen helfen, bis mich die Anne Mey ausbiß, wie das zuging, das will ich Ihr ein andermal erzählen, es ging um einen lumpichten mußlinenen Halsstrich an, der mir beim Ausschwenken davonschwamm – da ging er nun unter die Kaiserlichen, und von da, denk ein Seelenmensch! – gar unter die Preußen; disertierte aber auch da, und kam wieder heim. – Da triblierte er nun seine Mutter so lang, bis sie ihm endlich von Obrigkeits wegen das Haus verbieten ließ, denn er hat sie mehr als einmal wie einen Hund durchgeprügelt: – Damit war denn alles gut ein paar Wochen lang, da kam er einmal 's morgens früh wieder, und gab die besten Worte, versprach recht ordentlich zu sein, und kurz, er bat wieder um gut Wetter. – Sein Mutter, die sich nichts Bös träumen ließ, fing an die bittern Tränen zu weinen, und greift in Sack und gibt ihm einen ganzen kleinen Taler – »'s ist viel Geld schon, ich verdien in vier Tagen manchmal so viel nit« – Drauf schickt er – weiß nit mehr, was er für einen Pretext nahm, die Magd fort; und, kaum daß er allein war, fällt er mit einem Schermesser über sein Mutter her, und will ihr den Hals abschneiden; – die wehrte sich denn um ihr Leben, wie Sie leicht denken kann, so gut als möglich, schrie, was sie schreien konnt, und bekam zwei Schnitt in die Hand, und einen – aber nit gefährlich – in die Gurgel. – Drüber liefen die Hausleut hinzu, und zeigten denn, wie nit mehr als billig ist, die schöne Geschichte halt an. – Und sieht Sie, was ihm noch am meisten den Hals gebrochen hat, war, daß er das Schermesser, damit es nit zurückschnappen sollt, hinten am Stiel mit Bindfaden zusammengebunden hatte. – Wie er denn nun trapiert war, und alles eingestanden hatte, und wie's schon drauf und dran war, daß ihm sein Urteil sollt gesprochen und sein Recht angetan werden, so ließ er sich zwei Tag vorher noch gar vom Satan, Gott sei bei uns! blenden, und tat sich im Turn mit eigner Hand ein Leids an. – Da ging's ihm dann, wie ich gesagt habe. – Sein Vetter, der Ratsherr, ein grundreicher Mann dort in der langen Straß, hätt tausend Taler darum gegeben, wenn er's dahin hätt bringen können, daß er in der Still wär begraben worden. So mußt er aber den Spektakel selbst mit ansehn, [1512] wie er vor dem Haus durch den Schinder vorbeigeschleift wurde. Der Kopf plozte hinten auf den Steinen auf, daß man's nit mit ansehn konnte. – Es war greulich, wie ich Ihr sage. – Aber so Leuten geschicht's ganz recht, warum beten sie nicht? – –Mit vielbedeutender Miene. Ich förcht, ich förcht, es möcht Ihrer Mamsell, bei der Sie war, auch nicht besser gehn. Sie ist so gut eine Muttermörderin, als –

EVCHEN
die während obiger Erzählung, wie sinnlos auf dem Bette saß, und nur ihr Kind anstarrte, auffahrend.
Muttermörderin! – ich eine Muttermörderin?
FRAU MARTHAN.
Sie! wer sagt denn von Ihr? von Ihrer gewesenen Jungfer, von's Humbrecht seiner Tochter red ich.
EVCHEN.
Nun, ist denn die es?
FRAU MARTHAN.

Sie ist's, und ist's nicht. – Freilich die Gurgel selbst hat sie ihr nicht abgeschnitten, aber – das Messer nah genug doch dran gesetzt. – Hätt sie sich in der Ordnung aufgeführt, so wär ihre Mutter nicht vor lauter Schagrin gestorben –

EVCHEN.
Meine Mutter! gestorben! – und ich schuld dran.

Sinkt in die Kniee, und fällt zur Erden, Frau Marthan lauft ihr zu Hülf.
FRAU MARTHAN.

Barmherziger Gott! was soll das denn sein? das Mensch macht mir angst und bang. – Setzt sie wieder aufs Bett. – Wer sagt denn von Ihr, oder von Ihrer Mutter? – bald hätt ich Lust Sie in Spital tragen zu lassen, eh Sie mir noch einmal so einen Schrecken einjagt. Bin, Gott weiß es! ganz vergellstert! – Wie oft soll ich's Ihr noch sagen, daß ich von Humbrechts Mädel red und nit von Ihr? – Deren ihr Mutter ist gestern begraben worden, nit Ihre, die kenn ich ja nit, weiß ja noch nit einmal, wo Sie her ist. – Der Vater, der Metzger, hat hundert Taler versprochen, wer ihm Nachricht von seiner Tochter bringt. Ein schönes Geld! das kriegen die Schiffischen jetzt, die sie gefunden haben. –

EVCHEN
stutzt, denkt eine Weile bei sich selbst nach.

Wollt Sie dies Geld wohl verdienen, Frau Marthan? – könnt's Ihr wohl was helfen? – hundert Taler! er ist auch sehr geizig, warum nicht fünf –, sechshundert! – da könnt ich doch etwas zu Ihrem Glück beitragen, Frau Marthan! – geizig, sagt ich! hab's auch Ursache, fürwahr! bin ich doch keine –

FRAU MARTHAN.
Schon wieder ich!
EVCHEN.

Ja, ja! IchIch! ich bin die Muttermörderin, die [1513] keinen guten Blutstropfen in sich hat, die sich im Bordell herumwälzte, die von einem Ehrenschänder sich hintergehn ließ, die hier ein säugendes Kind hat, das kaum geboren schon vater – und mutterlos ist – denn wenn ich Mutter wär, müßt ich's auch nähren können, das kann ich nicht. – Ich bin's, die, die – kurz, ich bin des Humbrechts eigne Tochter; die, wie Sie sagte, sich ersäuft soll haben: – Sie sieht, es ist eine Lüge, wollt das andre wär auch eine; 's ist aber leider! nur zu wahr. – Was mich freut, ist, daß ich jetzt ein Mittel weiß, Euch die viele Müh, die ich Euch gemacht habe, wenigstens zum Teil zu vergelten. – Geh Sie sogleich zu meinem Vater, Frau Marthan, sag Sie nur, ich, die Eve schickte Sie, er sollte Ihr die hundert Taler auszahlen. – Es wird ihm wenig Freud machen – aber – geh Sie, Frau Marthan, geh Sie gleich –

FRAU MARTHAN.

Ach, du lieber Herrgott! nein! das hab ich wärli nit um Sie verdient, – so gut und so unglücklich – verzeih Sie mir ja alles, was ich da sagte – ganz gewiß ist Sie verführt worden – sonst wär Sie nie –

EVCHEN.

Das bin ich, bin verführt, übertölpelt worden, da ich mir's am wenigsten dachte. Sie hat's ja selbst erzählt; das Ersäufen ausgenommen, ist alles wahr, alles! nur muß ich Ihr noch sagen, daß ich nicht wußte, daß wir in einem so schönen Haus waren, noch weniger hab ich am Schlaftrunk Anteil gehabt. – Diese zwei Umstände, die ich von Ihr erfahren, zeigen mir die ganze schwarze Seele des Niederträchtigen, der mich so tief herabsetzte. – Noch blieb mir immer wenigstens ein Schatten von Hoffnung übrig, nun ist auch der verschwunden, und mit ihm alles – nun kann ich nichts mehr, als –


Stockt, sieht mitleidsvoll ihr Kind an.
FRAU MARTHAN.

O Sie kann noch glücklicher wieder werden, vielleicht kommt er doch wieder, wo Sie sich's gar nicht vermutet.

EVCHEN.

Wieder! – Er sollte wiederkommen! Frau Marthan, sieht Sie's, ich bin nur ein Weibsbild, aber – wenn er wiederkommt, mir wieder unter die Augen tritt, so stoß ich ihm mit der einen Hand diesen Brief hier, sieht Sie – Zieht ihn aus der Tasche. unter die Nase, und mit der andern bohr ich ihm ein Brotmesser ins Herz. – Er hat's um mich verdient! – vorher hab ich ihn Auf den Brief deutend, und ihn wieder einsteckend. nicht ganz verstanden; Sie hat mir erst die Augen geöffnet. – Jetzt geh Sie, Frau Marthan! geh Sie! ich bitt Sie darum.

FRAU MARTHAN.

Hundert Taler wär mir freilich ein schönes Kapetal; [1514] hab mein Lebtag nit so viel beisammen gehabt, aber ich tät mich Sünd förchten, Sie jetzt allein zu lassen.

EVCHEN.

Warum, Liebe? – Seh ich vielleicht etwas erhitzt, etwas aufgebracht aus? – Das tut es mir zuzeiten, wenn ich an den Treulosen denk; 's ist aber gleich wieder vorbei, nur ein Übergang – jetzt bin ich schon ganz gelassen wieder – nur ein bißchen schwach – geh Sie, sag Sie meinem Vater, ich lebte noch, morgen sollt er mehr von mir hören: – wenn er Ihr Geld gibt, bring Sie was fürs Kind mit, es kann kaum mehr schrein, so matt ist's; – geh Sie, geh Sie! jeder Augenblick ist mir jetzt teuer. –

FRAU MARTHAN.

Na denn, dem armen Kind zu Gefallen will ich geschwind hinten herum springen; in weniger als nichts bin ich wieder zurück, und bring ihm ein Stück Zuckerdorsch mit.

EVCHEN.
Das tu Sie, Frau Marthan! komm Sie ja bald wieder, sonst möcht's zu spät sein.
FRAU MARTHAN
im Abgehn.
Zu spät? –
EVCHEN.

Es wird ja schon dunkel – Frau Marthan vollends ab. – mir vor den Augen! war mir schon lang. – Fast war mir bang, ich brächte sie mir nicht vom Hals. – Ja! was wollt ich doch? – warum schickt ich sie aus. – Mein armes bißchen Verstand hat, glaub ich, vollends den Herzstoß bekommen! – Das Kind schreit wieder. Singst du? singst? singst unsern Schwanengesang? – sing, Gröningseckchen! sing! – Gröningseck! so hieß ja dein Vater;Nimmt's vom Bett wieder auf, und liebkost's. – Ein böser Vater! der dir und mir nichts sein will, gar nichts! und mir's doch so oft schwur, uns alles zu sein! – ha! im Bordell sogar es schwur! – Zum Kind. Schreist? schreist immer? laß mich schrein, ich bin die Hure, die Muttermörderin; du bist noch nichts! – ein kleiner Bastert, sonst gar nichts; – Mit verbißner Wut. – sollst auch nie werden, was ich bin, nie ausstehn, was ich ausstehn muß – Nimmt eine Stecknadel, und drückt sie dem Kind in Schlaf, das Kind schreit ärger; es gleichsam zu überschrein, singt sie erst sehr laut, hernach immer schwächer.


Eia Pupeia!
Schlaf Kindlein! schlaf wohl!
Schlaf ewig wohl!
Ha ha ha, ha ha!

Wiegt's auf dem Arm.

Dein Vater war ein Bösewicht,
[1515] Hat deine Mutter zur Hure gemacht;
Eia Pupeia!
Schlaf Kindlein! schlaf wohl!
Schlaf ewig wohl!
Ha ha ha, ha ha!

Schläfst du, mein Liebchen, schläfst? – wie sanft! bald beneid ich dich, Bastert, so schlafen Engel nur! – Was mein Liedchen nicht konnte! – säng mich doch auch jemand in Schlaf so! – Ha! ein Blutstropfen! den muß ich wegküssen, – noch einer! – auch den! Küßt das Kind an dem verwundeten Schlaf. – Was ist das? – süß! sehr süß! aber hintennach bitter – ha, jetzt merk ich's – Blut meines eignen Kinds! – und das trink ich? – Wirft 's Kind aufs Bett. Da schlaf, Gröningseck! schlaf! schlaf ewig! – bald werd ich auch schlafen – schwerlich so sanft als du einschlafen, aber wenn's einmal geschehn ist, ist's gleichviel. – Man hört jemand. Gott! wer kommt? Sie deckt das Kind zu, setzt sich daneben, und fällt, da sie ihren Vater kommen sieht, mit dem Gesicht aufs Kopfküssen.

HUMBRECHT.

Wo? wo ist sie, mein Evchen? – meine Tochter, meine einige Tochter? Erblickt sie auf dem Bett. Ha! bist du da, Hure, bist da? – Hier Alte! dein Geld! Wirft einen Sack hin, FRAU MARTHAN hebt ihn auf, und tut ihn beiseite. – Hängst den Kopf wieder? hast's nicht Ursach, Evchen, 's ist dir alles verziehn, alles! – Schüttelt sie. Komm! sag ich, komm! wir wollen Nachball halten – – ja, da möcht man sich ja kreuzigen und segnen über so ein Aas: wenn der Vater zankt, so lauft's davon; gibt er gute Wort, so ist's taub. –Schüttelt sie noch heftiger. Willst reden? oder ich schlag dir das Hirn ein! –

FRAU MARTHAN
reißt ihn zurück.

Tut Er doch, als wenn Er einen Ochsen vor sich hätt! – Kein Wunder, wenn sie die Gichter bekäm. – Kann Er nicht ordentlich reden?

HUMBRECHT.

Hast recht, Alte! vollkommen recht! wart! wie mach ich's? Knieet nieder vor seiner Tochter. Liebs, guts Evchen! hab doch Mitleiden mit deinem gedemütigten Vater! verstoß ihn nicht ganz; nimm ihn zu Gnaden wieder auf! – sieh, auf den Knieen liegt er vor dir und bittet dich. – Hast deine Mutter vor der Zeit ins Grab gebracht, sei so gut, ich beschwör dich darum, und gib auch mir den letzten Stoß, mir, deinem Vater –

EVCHEN
die sich auf die letzt langsam aufrichtete, erblickt neben [1516] ihr das Kind, deutet drauf, und fällt mit dem Gesicht wieder aufs Bett.
Da! da ist er!
FRAU MARTHAN
bringt eine angesteckte Lampe, stellt sie auf den Tisch, geht ans Bett, und deckt das Kind auf, ebenso geschwind aber wieder halb zu.

Du lieber Herrgott! was seh ich! das muß ich gleich gehn anzeigen, sonst bin ich verloren. – In der Seele dauert sie mich – aber Lauft ab.

HUMBRECHT
springt auf.

Da! was ist da? ein Kind! ha! wie's lächelt! – dein Kind, Evchen? soll auch meins sein! Mein Basten, ganz allein mein, wer sagt, daß er dein ist, liebs Evchen! dem will ich das Genick herumdrehn.

MAGISTER
kommt.

Bald hätt ich das Haus nicht gefunden. So, Herr Vetter! das ist brav! ich seh, Sie haben meinem Rat gefolgt, und Ihrer Tochter verziehen.

HUMBRECHT.

Das hätt ich auch ohn Ihn getan, Vetter! – ein Vater bleibt immer Vater, und ist's da oft am meisten, wo er's am wenigsten scheint.

MAGISTER.

Jetzt ist es mir doppelt lieb, Sie so disponiert zu finden; Sie sollen gleich erfahren, warum? Nur muß ich mein Bäschen bitten, auch zuzuhören; es geht sie am meisten an.

EVCHEN.
Mich? – auf dieser Welt geht mich nichts mehr an, Herr Magister! ich schwör's.
HUMBRECHT.

Für nichts, für nichts geschworen, meine Tochter! – schau! ich schwur auch dir Arm und Bein entzweizuschlagen; und jetzt bin ich, Schwur hin, Schwur her! doch froh, daß ich's nicht getan habe.

MAGISTER.

So denk ich auch; ein Umstand kann viel ändern. – Hören Sie nur! – Sie lieben den Gröningseck, Bäschen?

EVCHEN.
Ja, wie ich den Satan liebe! hab mich vor beiden gehütet, und von beiden schon anführen lassen.
MAGISTER.
Sie liebten ihn doch ehmals; sonst wären Sie nicht –
EVCHEN.
Ja, da wußt ich aber nicht, daß er mich zur Hure, zur Muttermörderin – zur –
MAGISTER.
Das alles war weder sein Vorsatz, noch weniger seine Schuld –
EVCHEN.
So! – Sind Sie auf einmal sein Advokat! Wie lang wohl noch? – Hier Aufs Kind deutend. liegt meiner.
MAGISTER.

Ich bin sein Advokat nicht allein; ich mein, ich mein in Ihrem eignen Herzen wird sich noch einer vorfinden. Kurz zu sein, Gröningseck liebt Sie noch ebenso zärtlich, als je; eine tödliche Krankheit hielt ihn ab, auf die bestimmte Zeit einzutreffen [1517] zutreffen – von dem Brief, den ich Ihnen vorgelesen, Herr Vetter! weiß er kein Wort; ich wies ihm den Umschlag, da fand sich's, daß es des Lieutenant Hasenpoths Hand und Siegel ist. Er zeigte mir andre Briefe von dem nämlichen, die voller Unwahrheiten von Evchen waren. Da er selbst Unrat merkte, machte er sich kaum halb wiederhergestellt auf den Weg. Vor einer Stunde stieg er im »Raben« ab, und ließ mich zu sich rufen; – wir sahn Sie in größter Eile vorbeilaufen, mutmaßten die Ursache, und gingen Ihnen von weitem nach. – Wollen Sie ihn selbst sprechen? –

HUMBRECHT.

Wenn er sie heiraten, ihr die Ehre wiedergeben will, ja! sonst soll er mir, wenn ihm Nas und Ohren lieb sind, nicht vors Gesicht kom men.

MAGISTER.
Das will er.
EVCHEN.
Und wenn er zehnmal will, so wollt ich doch lieber den Scharfrichter sehn.
MAGISTER.
Er ist aber unschuldig! kann's Ihnen beweisen.
EVCHEN.

Desto schlimmer! so fällt die Schuld alle auf mich. Steht auf vom Bett. Der Brief hier! Wirft ihn in die Stube. – Der Teufel hat ihn geschrieben – meine eigne Herzensunruh, die Furcht vor Ihm, mein Vater, der Gedanken, meine Mutter gemordet zu haben, – dies, und o was alles noch mehr! brachte mich in Verzweiflung – ich wollte mir aus der Welt helfen, und hatte nicht Entschlossenheit genug selbst Hand an mich zu legen; jetzt mag's der – Henker tun! – Mein Kind ist tot, tot durch mich –

MAGISTER.

Gott! ist's möglich? – Das Kind betrachtend. Wahrhaftig! – Gerechter Gott! wie tief kann dein Mensch herabstürzen, wenn er einmal den ersten Fehltritt getan hat! Humbrecht steht mit geschlungnen Ärmen, guckt Evchen, dann das Kind starr an; Evchen scheint weder zu sehn, noch zu hören; von Gröningseck stürzt noch im Reisehabit plötzlich herein.

EVCHEN.
Gott! das fehlte mir noch!
VON GRÖNINGSECK.
Wie bestürzt alle! wie blaß! – was ist zu tun hier? – was gibt's?
HUMBRECHT.

Ein bissel Arbeit für den Stoffel, sonst nichts! – Gott! ich mein, der Münsterturn läg mir auf dem Herzen, so schwer fiel mir das auf. – Jetzt kann ich nur auch Rattenpulver nehmen! – Hier! Den Lieutenant zum Kind führend. hier! wenn Sie ein Vaterherz haben, meins ist geborsten. – Adieu! [1518] am Armensünderhäusel seh ich dich wieder, Eve! sag dir das letztemal adieu!

VON GRÖNINGSECK.
Wie! Evchen, sanftes Evchen! Sie hätten mit eigner Hand Ihr Kind – mein Kind – nicht möglich! –
EVCHEN.

Nur zu möglich, mein Herr! – aber eh Sie mir weitre Vorwürfe machen, lesen Sie den Brief dort – und dann sollen Sie sprechen.

VON GRÖNINGSECK
hebt ihn auf.

Auch wieder die Hand von Hasenpoth! Sieht nach der Unterschrift. in meinem Namen! – Guckt ihn über. Das andre kann ich mir denken. Wart! Kanaille! mit deinem Blut sollst du es abbüßen, noch eh eine Stunde vergeht. Will ab, stößt unter der Tür auf den Fiskal.


Fausthämmer bleiben an der Tür.
FISKAL.

Nicht von der Stelle, mein Herr! eh der Procès verbal aufgesetzt und unterschrieben ist. – Zu den Fausthämmern. Hat einer von euch Portechaise und Wache bestellt?


Ein Fausthammer ab.
VON GRÖNINGSECK
stellt sich wieder zum Magister.

Der niederträchtige, feige Verräter! – Glauben Sie jetzt bald, Magister, daß es Fälle gibt, wo Selbstrache zur Pflicht wird? – Magister zuckt die Schultern. Wo ist der Staat, in dem solche Ungeheuer, solche Hasenpoths, die unter der Larve der Freundschaft ganze Familien unglücklich machen, nach Verdienst bestraft werden? – Ha! wie will ich mir wohltun! mit welcher Herzenswonne will ich mich in seinem Blut herumwälzen! –

MAGISTER.

Es wäre menschlicher, glaub ich wenn Sie darauf bedacht wären, diese arme Betrogne vom Schafott zu retten, als Verbrechen mit Verbrechen zu häufen.

FISKAL.

Ja, da rettet sich was! – Das Gesetz, welches die Kindermörderinnen zum Schwert verdammt, ist deutlich, und hat seit vielen Jahren keine Exzeption gelitten; ist nun das Faktum, wie es der Anschein gibt, auch klar, so können Sie die Müh sparen.

VON GRÖNINGSECK.

Und Ihnen nebst Ihrer ganzen kriminalischen Unfühlbarkeit zum Trotz, mein Herr! will ich mich heut noch auf den Weg nach Versailles machen, bei der gesetzgebenden Macht selbst Gnade für sie auszuwürken, oder –

EVCHEN.

Gnade für mich! Gröningseck! wo denken Sie hin? – soll ich zehntausend Tode sterben! – lieber heut als morgen.

FISKAL.
Nur halb so hitzig, Herr Lieutenant! freilich! es kommt [1519] vieles auf die Umstände an! –

Blutschreiber und Geschworne kommen.
EVCHEN.
Sagt ich nicht, Gröningseck! mein Schicksal wäre mit Blut geschrieben? –
VON GRÖNINGSECK.

Es wär's nicht, wenn du mir getraut, deiner Melancholie dich weniger überlassen, etwas mehr an die Tugend geglaubt hättest – oder ich etwas weniger.

MAGISTER
sieht beide wechselsweis mitleidig an.
Sich vor mir so zu verbergen! –
HUMBRECHT
reißt sich die Westenknöpf alle auf.

Die ganze Welt wird mir zu enge! – Tief Atem holend. Puuh; – Klopft dem Lieutnant auf die Schulter. Wenn Sie Geld brauchen, mein Herr! Reisegeld! Sie verstehn mich doch? – tausend, zwei –, dreitausend Gulden auch liegen parat zu Haus! – und zehntausend gäb ich drum, wenn der Ball mit allen seinen Folgen beim Teufel wär! –


Ende.

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TextGrid Repository (2012). Wagner, Heinrich Leopold. Dramen. Die Kindermörderin. Die Kindermörderin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8987-2