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Von feinerem Gefühl getrieben
Vertauschte mit dem Hirtenstand
Apollo den Olymp. Er stieg herab, und fand
Die Menschen, die man ihm bald gar zu gut beschrieben
Bald gar zu schlimm, wie's immer pflegt zu gehn,
Erträglich erst, und endlich gar zum Lieben.
Die Leutchen, mußt er sich gestehn,
Gewännen näher angesehn;
Und setzte man sich nur auf gleichen Fuß mit ihnen,
So wären sie doch ganz was andres, als sie schienen,
Da er aus seinen Wolkenhöhn
Wer weiß wie schief auf sie herunter schielte.
Mit Einem Wort: Apoll, so bald er Mensch sich fühlte,
Entdeckte – was er nie als Göttersohn gewußt –
Es schlage was in seiner linken Brust;
Und unvermerkt, mit lauter Scherz und Spielen,
Lernt Seine Gottheit auch für arme Menschlein fühlen,
Nimmt fröhlich Teil an ihrer Lust,
Entdeckt sogar, auch das sei wahre Lust,
Und von der besten Art, mit andern sich betrüben,
Kurz, schmeckt die Wollust da zu sein
Zum ersten Male ganz und rein,
Und merkt zuletzt – (was ihm bisher geheim geblieben)
Die Kunst von allem dem sei – Lieben.
Was von Thessaliens Volk Apoll
Nicht alles lernte! Tausend Sachen
Wovon euch Göttern nie ein Wörtchen träumen soll:
Den losen Scherz, das wohlgemute Lachen
Gedrückt von keinem Zwanggesetz,
Und ohne Absicht, ohne Schraube,
Das trauliche, gutlaunige Geschwätz
Beim Abendstern in einer Sommerlaube,
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Und, o! den großen Talisman,
Mehr freie Herzen zu gewinnen,
Als Mahmud oder Dschingiskan
Sich Sklaven durch sein Schwert gewann,
Den Zauber, den die Charitinnen
Cytherens Gürtel eingewebt,
Was jeden Mangel deckt und jeden Reiz erhebt,
Gefälligkeit. – Sei einer von uns allen,
Verlange nichts voraus, – wir werden dir gefallen
So wie du uns gefällst! – Die erste Schäferin,
Die, ohne daß sie auf ihn zielte,
In frohem Mut und dumpfem Sinn
Das Herz ihm aus dem Busen spielte,
Ward seine Sittenlehrerin.
»Ein bloßer Hirt – ist's möglich? – vorgezogen
Dem schönsten Gott?« – Das schrie um Rache! – Schon
Ergriff sein Zorn den mächtgen Pythonsbogen;
Zu gutem Glück entfloh der Senn ein sanfter Ton.
Er stutzt, und plötzlich kommt ein Einfall angeflogen,
Der seinen Eifer kühlt und bald zum Mittel wird
Das Ziel, wornach er lüstet, zu erreichen.
Halt! denkt er, bist du hier was anders als ein Hirt?
Was foderst du voraus vor deines gleichen?
Dem Hirten, der gefällt, muß Gott und Halbgott weichen
Der nicht gefällt! Versuch's, gewinne sie!
Das Herz ist frei und Lieb erzwingt sich nie.
Stracks geht er hin und macht aus seinem Bogen
Ein Werkzeug des Gefühls; der Dolmetsch süßer Pein,
Die neue Leier, liegt mit Saiten straff bezogen
In seinem Arm, und schwirret durch den Hain.
Herbei gelockt von ihren süßen Tönen
Versammeln sich um ihn die Hirten und die Schönen,
Ein jedes will des Wunders Zeuge sein.
Bald wirkt der Zauber, Arme schlingen
In Arme sich, den Füßen wachsen Schwingen,
Der ungelehrte Tanz dreht rasch sich um ihn her,
Und wer war glücklicher als er!
[51]
Wie lieben alle nun den Schöpfer ihrer Freuden!
Er ist, wiewohl in Schäfertracht,
Ein Gott für sie! Er hat sie glücklicher gemacht.
Wie freundlich nun ihm jede Hirtin lacht!
Wie drängt man sich, um nah an ihm zu weiden!
Und wenn am warmen Abendglanz
Im Rosenbusch, zu Chloens Füßen –
Indes die Holde manchen süßen
Verstohlnen Blick am halb geflochtnen Kranz
Herunter schlüpfen läßt – wenn dann die sanfte Leier
Der Liebe Schmerzen mit gedämpftem Klang
So zärtlich klagt, stets näher sein Gesang
Ans Herz sich schmiegt, das durch den leichten Schleier
Stets höher schlägt, und nun, wenn sich in vollem Feuer
Der Harmonienstrom ergießt,
In süßem Mitgefühl zerfließt:
O welche Wonne ist's – in diesem Augenblicke
Ein Mensch, und nur ein Mensch zu sein!
Wie wenig ist Genuß in ungeteiltem Glücke!
In ihren Freuden selbst sind Götter stets – allein.
Apoll behielt in seinem Hirtenstande
Vom Gott allein des Wohltuns edle Macht.
Mit jedem Tag erwacht
Das Volk am Peneusstrande
Zu neu geborener Lust.
Ein feineres Gefühl entfaltet sich ganz leise
In jeder Brust,
Man sieht und hört nicht mehr nach alter Weise,
Der Nebel fällt vom Antlitz der Natur,
Und o! wie schön, wie neu ist Wald und Flur!
Man fühlt sich selbst in allen Wesen leben,
Vom Blümchen, das der Erd entspringt,
Zum Vogel, der in hohen Wipfeln singt,
Scheint alles uns vom Seinen was zu geben,
Verwebt uns alles mit ins allgemeine Weben.
Der holde Geist der Eintracht schlingt
Sein goldnes Band um alle, stimmt die Herzen
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Zu sanften Freuden, süßen Schmerzen;
Die lange Weile flieht, und nur zu leicht beschwingt
Entfliehen itzt, man weiß nicht wie, die Stunden,
Die man vordem so drückend lang gefunden.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Wieland, Christoph Martin. Gedichte. Gedichte. Gedichte an Olympia. Zweierlei Götterglück. 2. [Von feinerem Gefühl getrieben]. 2. [Von feinerem Gefühl getrieben]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A633-5