[64] [67]Bergeinsamkeit

Die Ferne

Zur Fernesucht geboren,
Wird nie der Pilgram froh.
Seine Heimat ging verloren,
Er weiß nicht wo.
Ihn rührt ein stummes Mahnen
Von blauer Berge Wand.
Darf er dahinter ahnen
Sein Wunderland?
Im Tale Bauden winken,
Zum Dorfe traut gereiht.
Er aber muß versinken
In Einsamkeit.
Er haust auf Bergesklippen
In dumpfer Schwermut Bann,
Umstarrt von Knieholz-Rippen
Und wüstem Tann.
Verworren träumt im Grunde
Des Mühlenrads Gesumm.
Er lauscht mit zuckendem Munde,
Sein Lied bleibt stumm.
[67]
Er schmachtet, wie im Staube
Ein welkes Blumenhaupt.
Doch ward sein frommer Glaube
Ihm nicht geraubt.
O Pilgram, du mußt lernen
In Demut abseits stahn,
Du darfst den blauen Fernen
Nie täppisch nahn.
Wenn ungestüme Minne
Dich riß zum Götterweib,
Umarmten deine Sinne
Nur Menschenleib.
So bleib dem Wunderlande
In keuscher Andacht hold.
Dann spülst du aus dem Sande
Das ewige Gold.
Es sammelt alle Zähren
Die treue Ewigkeit.
Sie sollen sich verklären
Zum Krongeschmeid.
[68]
O sieh, ein Fenster glühet
Im roten Abendglast!
Das Baudenhaus erblühet
Zum Goldpalast.
Die Felsenschatten dehnen
Sich weit ins Talgefild.
So wird wohl manches Sehnen
Noch spät gestillt.
Erst wenn im großen Dunkel
Versank die wirre Welt,
Erblüht das Trostgefunkel
Am Sternenzelt.
Und birgt sich in der Erden
Ratlos dein Angesicht,
Tief innen soll es werden
Auf einmal Licht.

[69] Wandrers Abendburg

Die Sonne neigt sich abe
Zum blauen Hügelgrabe.
So leb denn wohl, du rotes Liebesfeuer!
Ich stehe ganz allein
Auf ödem Berggestein.
Wohl heime möcht ich gahn
Und weiß doch nicht, wo Herberg han ...
Schon dräun die Wolken schwarz wie Ungeheuer.
Da mahnt die Sonn im Sinken:
Sieh dort die Zinnen winken!
Den irren Wandrer laden sie, zu hausen.
Des Burgherrn Trostlicht wacht
Getreu die ganze Nacht.
Entzünde dran dein Herze
Als eine fromme Klausenkerze!
Ums Fenstergitter laß Unholde sausen!

[70] Wolke

Vom Riesenfelsen,
Wolke, niederzieh!
Schlag dein Gewand
Um mich her und flieh!
Zu rauhen Höhen
Trage mich empor,
Wohin des Menschen
Wort sich nie verlor.
Wie scheut die wunde
Seele diesen Laut!
Wie rollt mein Auge,
Wenn es Menschen schaut!
Doch Fels und Wolke
Sind mein stummer Trost;
Erhabne Lieder
Hör ich sturmumtost.
Beruhigt lieg ich,
Wo der Gießbach rauscht;
Ein Seelenkranker
So dem Freunde lauscht.
[71]
Von grüner Matte
Zeigt das goldne Licht
Des fernen Landes
Lächelnd Angesicht.

[72] Der Sagenstein

Aus Bergen schleicht der Abendhauch, ein Raunen
Im wüsten Hain.
Das Tannenvolk umringt mit scheuem Staunen
Den Sagenstein.
Hier stund ein Schloß; sein Glitzern machte trunken
Wie Abendstrahl.
Verwunschen wards. Und wo die Pracht versunken,
Bezeugt dies Mal.
Verdüstert hockt der Stein/ wie seinen Sorgen
Ein Bettler grollt.
Verkappter Fürst! Im Grunde dir geborgen
Ruht Perl und Gold.
Kein Gräber drang noch durch die Felsenrinde
Zum güldnen Schacht.
Ein Glimmen winkt nur dem Johanniskinde
In Zaubernacht.
Sein Träumeraug erschaut in Höhlenwildnis
Den Perlenschrein,
Auch marmorweiß ein Königinnen-Bildnis
Im Dom von Stein./
[73]
Ich kenne sie, die heilgen Heimlichkeiten
Der Innenschau.
Verwunschen sank auch mir ins Grab der Zeiten
Mein Königsbau.
Doch was dereinst an Seligkeit erblühte,
Ist nimmer tot;
Es bleibt mein Schatz, versunken im Gemüte,
Der magisch loht.
Ich selber bin das Schloß mit güldner Tiefe,
Der Sagenstein.
Und ob ich ganz der Oberwelt entschliefe,
Der Traum ist mein.
Die Königin ward diesen heißen Sinnen
Hinweggebannt.
Verklärt zum Engel weiht sie nun mein Minnen
Dem Geisterland.
Als Dom von Tropfgestein soll mich umflechten
Die Innenwelt.
Braut meiner Jugend, throne mir zur Rechten
Im Höhlenzelt!

[74] Die Sonne kommt

Willkommen, Ritter Morgen!
Vor deinem güldnen Haupt
Entfliehn die Wölfe Sorgen,
Die mir den Schlaf geraubt.
Der Fels vor meiner Klause
Starrt feierlich mich an.
Die Wipfel mit Gebrause
Wiegt unter mir der Tann.
Steingraue Wolkenwogen
Verhüllen noch das Tal.
Darob der Himmelsbogen
Matt leuchtender Opal.
Und aus dem Dunstmeer ragen
Die Riesenberge steil.
Ihr Stirnenglanz will sagen:
Ganz oben thront das Heil!
Nun blüht von Purpursonne
Das Nebelmeer wie Klee;
Und auch mein Gram ward Wonne,
Weil ich darüber steh.
Als Lerche schwebt mein Schauen
Hoch ob dem Erdennest
Durch selig freie Auen ...
O Himmel, halt mich fest!

[75] Aufstieg

Über Felsen, windumflattert,
Klimm ich hoch hinan zum Freien.
Droben will ich mich entladen
Dieser Qual, im Sturme baden,
Neugeboren meine Seele weihen.
Berg, vor deinem Riesenantlitz
Kann ja Kleinmut nicht bestehen.
Sturm, im Brausen deiner Kraft,
Die den Forst zusammenrafft,
Muß mein Seufzer wie ein Staub verwehen.

[76] Innere Heimat

Droben kreist ein Königsaar.
Auf zu ihm ins Blau der Lüfte,
Über Tann und Höhlengrüfte!
Himmlische Ferne
Lockt und lächelt mir wolkenlos klar.
Bist du droben, Heimatland?
Sturm und Woge rauscht hienieden,
Und ein Pilgram seufzt um Frieden,
Weil er die Heimat
Immer nur ahnt und nirgends fand.
Nur im Traume wird sie mein.
Bette, Fels, dies müde Haupt,
Das enttäuscht noch immer glaubt.
Kehre nun, Seele,
Zu den Gefilden tief innen ein!
Werde Hauch und Melodie!
Wie des Mondes Duft auf Auen
Laß dein Schmachten niedertauen!
Bräutliche Blumen
Wecken im Kusse des Schauens Magie.
[77]
Schau in alle Kreatur!
Lausche! Und mit frommen Tönen
Rühre dich das Allversöhnen!
Suchender Jünger,
Folge des Lichtes heiliger Spur/
Bis das Heiligtum enthüllt,
Wo aus Zährenflut sich Wonnen
Läutern und aus Sündern Sonnen.
Wölbungen blauen;
Liebende Sehnsucht wird endlos erfüllt.
Droben kreist ein Königsaar
Über Tann und Höhlengrüfte ...
Und es lächeln mild die Lüfte:
»Träumender Pilgram,
Dein ist die Heimat! Du träumest wahr!«

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TextGrid Repository (2012). Wille, Bruno. Bergeinsamkeit. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A887-8