[418] Der Traum des Wolfes.

Der Wolf lag in einer Nacht in seinem Loche, da klang es ihm im linken Ohr. ›Das bedeutet eine hochzeitliche Speise‹ sprach er, ließ morgens alle Brocken liegen, welche er noch übrig hatte und marschirte weg. Da kam er auf eine Wiese, wo zwei Widder weideten; er ging zu ihnen und sprach: ›Einen von euch muß ich fressen.‹ ›Herr wie du willt,‹ sprach de älteste von den Widdern, ›wir können gegen dich nichts ausrichten, aber du bist ein guter Landmesser und könntest vorher die Weide abmessen, wie viel jedem von uns gehört, dann gibt es keine Erbstreitigkeiten.‹ ›Das soll geschehn‹ sprach der Wolf, dem dieß schmeichelte, und er lief die Nase an der Erde rund um die Wiese herum und stellte sich dann in die Mitte. ›Stellt euch auf die beiden Ecken,‹ rief der Wolf, ›du dahin, du dorthin und laufet auf mich zu, dann werdet ihr finden, daß ich recht gemessen habe.‹ Das geschah, die Widder liefen auf ihn zu und stießen ihn so unsanft mit den Hörnern, daß ihm der Appetit nach ihnen verging und er für todt liegen blieb.

Als er wieder zu sich kam, sprach er: ›Die Schmerzen achte ich nicht, ich traue auf mein Ohr,‹ und er ging weiter und kam an eine andere Wiese, da weidete ein Pferd mit einem Füllen. [419] ›Eins von euch muß ich fressen‹ rief er. Das Pferd sprach: ›Herr wie du willt, du bist der Stärkere, aber ich habe mir einen Dorn in den Fuß getreten, frißt du mir mein Füllen, dann habe ich Niemand, der mir den Dorn aus dem Fuße zieht; darum bitte ich dich, thu mir zuvor den Liebesdienst, du bist als ein geschickter Feldscheerer bekannt.‹ ›Das soll geschehn,‹ sprach der Wolf, dem der Mund nach dem jungen Füllenfleisch wässerte, und dem das Lob außerdem wohl that. ›Heb nur den Fuß auf und sage mir, wo der Dorn steckt, ich hole ihn eins zwei drei heraus.‹ Das Pferd hob einen Hinterhuf, der Wolf trat hinzu; als er aber recht genau zuguckte, schlug ihn das Pferd vor den Kopf, daß ihm grün und gelb vor den Augen wurde und er für todt liegen blieb.

Als er wieder zur Besinnung kam, sprach er: ›Die Schmerzen achte ich nicht, ich traue meinem Ohr und muß meine hochzeitliche Speise finden.‹ Er schritt, Anfangs matt, dann immer rüstiger weiter und kam an ein Dorf. Vor dem Dorf stand der Backofen und glühte und vor dem Backofen stand eine alte Geiß mit sieben jungen Geißchen, die meckerten, daß es eine Art hatte. Der Wolf lief auf sie zu und rief: ›Eins von euch muß ich fressen.‹ ›Muß ist ein bitter Kraut,‹ sprach die Geiß, ›aber Herr wie du willt, denn du bist der Stärkere. Nur könntest du uns zuvor noch einen Gefallen thun.‹ ›Was ist das?‹ frug der Wolf. »Wir sangen so eben das Lied ›Eine feste Burg‹ aber die Melodie will nicht recht heraus; da du ein so guter Sänger bist, könntest du sie uns einmal vorsingen, dann magst du sogleich eins von [420] meinen Geißerchen fressen und kannst es dir aussuchen.« Das schmeichelte dem Wolf nicht wenig, denn er hörte sich gar zu gern loben. Er setzte sich auf seine Hinterbeine, fegte mit den Vorderpfoten in der Luft herum als schlüge er den Takt und hub an zu heulen, daß alle Bauern im Dorfe zusammenliefen und ihm das Fell so zergerbten, daß ihm die Lust nach Geißenfleisch ganz und gar verging.

Da schlich er betrübt und hungrig in den Wald, legte sich unter einen Eichbaum und rief: ›Ach was bin ich doch für ein dummer Kerl! Ach Gott, wirf dein scharfes Schwert von deinem elfenbeinernen Thurm und strafe mich um meiner Dummheit willen, daß ich meinem linken Ohr so viel getraut habe!‹ Nun saß auf der Eiche ein Bauer, der mit seinem Beil im Walde gearbeitet hatte und als er den Wolf kommen sah auf den Baum geklettert war. Als der den Wolf also rufen hörte, faßte er das Beil und warf es ihm grade zwischen die Ohren. ›Uh,‹ schrie der Wolf, ›die Stätte ist gar zu heilig, da wird jede Bitte allzubald erhört‹ und er schleppte sich schachmatt und halbtodt zu seiner Höhle. Da fand er kein Bröcklein mehr von seinem Vorrath und er sprach trostlos zu sich selbst: ›Mein Vater war kein Landmesser, drum kann ich auch keiner sein; mein Vater war kein Feldscheerer, drum kann ich auch keiner sein; mein Vater war kein Sänger, drum kann ich auch keiner sein und kann mir mein Brod nicht verdienen.‹ Und darüber quälte er sich so, daß er sich hinlegte und starb.

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TextGrid Repository (2012). Wolf, Johann Wilhelm. Märchen. Deutsche Hausmärchen. Der Traum des Wolfes. Der Traum des Wolfes. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AA2D-4