Edmund und Emma

[439] [441]Edmund Wallendorf besuchte wie gewöhnlich an jedem schönen Sommerabende seine junge Freundin. Ihre Einsamkeit, ihre Trauer über den Tod einer geliebten Mutter, tausend wichtige und unwichtige Geschäfte, die er für sie zu besorgen hatte, machten ihm diese Besuche sogar zur Pflicht. Sein Verstand verweilte gern auf der Ansicht der Pflicht in diesem Verhältniß, vielleicht um sich mit dem oft ungestümen Treiben der Neigung in seinem Herzen auszusöhnen. Edmund war in dem Alter, wo schöne Naturen zur Harmonie ihrer innern Kräfte gelangt sind, wo man nicht anders zufrieden mit sich selbst werden kann, als wenn unsere Neigungen [441] bildend und nicht zerstörend im ganzen Umfang unsrer Existenz, so wie in unsern Umgebungen wirken. Die Leidenschaft will dann nur im Geleit der Grazien gehen, und wendet sich scheu von ihrem Ziele, wenn sie von ferne das Gefolge der düstern Erinnyen erblickt. Edmunds zartes Gemüth hatte manche Wunden des Gefühls davon getragen. Jedes edle Leben ist immer ein ermattender Kampf. Obgleich über Kurzsinn und Eigennutz erhaben, fühlte doch sein Herz ein Bedürfniß, sich von diesem Kampfe zuweilen auszuruhen, seine Kräfte in der Einsamkeit, im ruhigen Leben mit der Natur, den Wissenschaften und der Kunst wieder zu sammeln und zu erfrischen. Den größten Theil des Jahres brachte er auf einem Landgut zu, in dessen Nähe Frau B**** als Wittwe, mit ihrer einzigen Tochter lebte. Die Mutter war ein braves schlichtes Weib, hellsehend und thätig in dem Kreise des gewöhnlichen Lebens und ihrer Wirthschaft.

Vielleicht hätte die Aengstlichkeit, mit der sie [442] über jeden kleinen Vortheil wachte, und die Engherzigkeit, die von dieser Existenz unzertrennlich ist, Edmund von einem fortgesetzten Umgang mit ihr abgehalten, hätten nicht die schönen Anlagen der Tochter ihn innigst angezogen. Edmund hatte Emma's Ausbildung unter seinen Augen zugesehen, und ihre Vollkommenheiten hatten sich daher nie in seiner Fantaste als ein vollendetes Ganze gezeichnet. Jener magische Zauber des ersten Eindrucks konnte also nie sein Wesen auf einmal bestimmend ergreifen, er hatte sich nicht vom Schaum des Bechers der Liebe berauscht, aber tropfenweise war seine Gluth in Mark und Adern gedrungen. Wie ein reines Gemüth Theil an jedem schönen Werden nimmt, so hatte er eine väterliche Freude über das Mädchen empfunden, aber er bemerkte nicht, wie die Freude unzertrennlich von seinem Daseyn wurde.

Wie das Element, welches uns immerwährend umgiebt, unser Leben uns unbewußt und ungefühlt erhält, so erhielt Emma's Liebenswürdigkeit das zärtere und höhere Leben seines Herzens. [443] Erst in dem Moment des herannahenden Verlustes fühlte er den erstarrenden Krampf der Vernichtung in seiner Brust, gleich dem armen Vogel, dem man die Lebensluft entzieht. Alle Verhältnisse waren günstig, um sich Emma als Gefährtin des Lebens zu vereinigen. Die Mutter legte ihm sogar oft die Möglichkeit einer Erklärung nah, und zog sich mißmuthig über sein Zögern zurück.

Sie fühlte zu sehr, wie viel Emma durch den Umgang eines so vollkommen ausgebildeten Mannes, an Bildung des Betragens, an Kenntnissen, an Talenten gewann, und bemühte sich darum immer das Verhältniß mit ihm zu erhalten, ob sie sich gleich in der Hoffnung zu einer Verbindung für ihre Tochter getäuscht wähnte. Nach Edmunds leiser, beinah kranker Feinheit des Gefühls und der Mutter trockner Art, über diese Gegenstände zu sprechen, hätte nur in einer ganz entschiedenen Situation eine Annäherung unter ihnen entstehen können. Die Lebhaftigkeit, mit welcher Emma sich immer dem Genuß jeder [444] kleinen Freude in der Gegenwart oder den ernsteren Beschäftigungen hingab, verdrängten die Bilder der Zukunft, wenn Edmund in ihrer Nähe war.

Das Zögern ist die Frucht der Erfahrung. Wer das Leben kennt, trägt eine heilige Scheu, das, was noch rein und frisch in der Fantasie blüht, den unsichern getrübten Wellen preis zu geben. Man ist so zufrieden, wenn die heitre Ruhe der Gegenwart durch nichts unterbrochen wird, und hat nach viel erfahrnen Täuschungen keinen Glauben mehr an die luftige Erscheinung des Glücks, die uns ein unerreichbares Wolkenbild dünkt.

So vergieng ein Tag nach dem andern bei Edmunds vorletztem Sommeraufenthalt. Jeden Morgen nahm er sich vor, sein ganzes Herz gegen Emma auszusprechen, jeden Abend gieng er mit einem nichtigen Grund von ihr, warum er es unterlassen hatte. Es war ihm wohl in der magischen Dämmerung seiner Gefühle, und wie es selbst oft den besten Männern geht, erwog er [445] nicht fein genug alle leise Beziehungen der gebundenen Weiber-Existenz. Natur und Sitte, die hier vereint gehen, heißt dieser die Wünsche des Mannes erwarten. Gegen den Herbst sprach die Mutter von einer Reise nach der Stadt; das hätte ihn bestimmen sollen, aber Emma hatte gerade in dieser Zeit einen weichern und höhern Ton des Gefühls gegen ihn angenommen, die Unbefangenheit des heitern kindlichen Mädchens schien sich in die entschiedene besonnene Stimmung der Jungfrau verwandelt zu haben. Sie war weniger zuvorkommend gegen den Freund, aber zarter und leiser entgegenkommend. Edmund hoffte, die volle Blüthe der Leidenschaft sey ihrer Entfaltung nahe, er wünschte nicht nur von ihr aufgenommen, sondern gewählt zu werden, und entschloß sich, ihre Rückkunft aus der Stadt erst abzuwarten, ehe er seine Liebe und seine Wünsche erklärte.

Unter einem Kreise von jungen Männern sollte sein Bild in ihrem Herzen glühen, er wollte die Kraft dieses Herzens, die Treue, mit der es [446] sein Andenken zu bewahren vermöchte, prüfen, gegen die Macht der Gegenwart, der jugendlich erwachenden Sinnlichkeit, ehe er ihm das Glück seines Lebens anvertraute. Er vergaß bei dieser Rechnung, daß ein Mädchen von Emma's Alter mehr mit ihren eigenen Gefühlen, als denen, welche sie eingeflößt hat, beschäftigt ist. Er wußte nicht, daß sie auf die öftern Fragen der Mutter nach seinen Aeußerungen nur mit einem peinlichen Erröthen antworten konnte: Er hat keinen bestimmten Wunsch geäußert, doch fühle ich, daß er mir wohl will.

Der nahe Abschied regte alle stärkern Klänge der Neigung unter ihnen an, aber Edmund fürchtete die Explosion und sendete, nachdem er noch selbst zu kommen versprochen, nur ein Billet in allgemeinen freundschaftlichen Ausdrücken. Emma las das Billet mit nassen Augen, und zum erstenmal regte sich eine Art von schmerzlichem Unmuth gegen ihren Freund, den sie immer als den Leiter und Schutzengel ihrer Jugend verehrt hatte. Sie antwortete ihm kindlich und zart, [447] doch abgemessener als gewöhnlich, und faßte den Entschluß, alle Gedanken an ein näheres Verhältniß mit ihm für immer zu unterdrücken. Sein Bild schützte ihre Brust, gleich der Aegide der Pallas, anfänglich vor jedem andern Eindruck. Alle Männer verloren in der Vergleichung mit ihm. Aber die Gegenwart, die Jugend im Nebel des bunten zerstreuten Weltlebens, foderten endlich ihre Rechte gegen eine starke Empfindung, die aber jezt von Schmerz und Unmuth nur dämmernd im Grunde der Seele lag. Der ganze Cirkel, in melchem Emma lebte, war mit der Ankunft eines jungen Mannes beschäftigt, dessen Liebenswürdigkeit, dessen Geist und Tapferkeit man nicht genug rühmen konnte. Als Krieger hatte er sich schon ausgezeichneten Ruhm erworben, und manches zärtliche Abentheuer erregte die Aufmerksamkeit der Schönen.

Er erschien zuerst auf einem Balle. Sein ganzes Benehmen zeigte entschieden, daß unter allen Frauen Emma den stärksten Eindruck auf ihn gemacht. Seine gutmüthige Offenheit gab [448] seiner Gestalt einen unwiderstehlichen Reiz. Der Zauber lebendiger Gefühle spielte in den Zügen, die vom Feuer der Jugend glühten. Eine anspruchlose Bescheidenheit, die sogar oft die Farbe der Furchtsamkeit annahm, öffnete ihm unvermerkt die zartesten Gemüther. Der Taumel der Zerstreuung, die Bewegung des Tanzes, der dem feinsten Gefühl eine veränderte Stimmung giebt, machten Emma eines neuen Eindrucks empfänglicher, obgleich ihr sittlicher Stolz jede Aeußerung desselben zurückhielt.

Sie wurde nur desto anziehender durch diese unbefangene Kälte; ihr Tanz war das leichte Schweben der Grazien, die als beglückende Göttinnen, ihres Ursprungs und ihrer Macht bewußt, keinen Wunsch und kein Bedürfniß nach Beifall verrathen. Im Nausch der Freude und Schönheit sprach Hohenberg von ernsten Verbindungen fürs Leben. Emma's Herz durch vergebliches Hoffen und Wünschen an Edmunds Seite gequält, überließ sich dem erwachenden Gefühl einer freien offnen Neigung, die Mutter ergriff [449] die Aussicht einer glänzenden Verbindung mit eilfertiger Freude und in wenigen Tagen entschied sich Emma's Zukunft. Als einen beleidigten Schatten, der aus der Unterwelt aufsteigt, um ein begangenes Unrecht zu rächen, floh Emma in dieser neuen Stimmung Edmunds Andenken. Ohne daß sie sich einen Grund anzugeben wußte, ergriff sie oft ein leiser Schauer an der Seite ihres neuen Freundes, wenn Edmunds Bild in ihrer Brust sich belebte.

Die ganze Ahnung zärtlicher Gefühle, die in holder Dämmerung vor der Mädchenfantasie schweben, hatte sich bis jetzt nur an Edmunds Bild geheftet, und wie am Morgen beim Erwachen die Bilder des Traums sich noch mit der Wirklichkeit vermischen, so war Emma oft ungewiß, ob die Wallungen ihres Herzens dem Bild des entfernten oder dem gegenwärtigen Freunde zugehörten.

Hohenberg sollte im nächsten Frühjahr nach der Hauptstadt reisen, um seinen Abschied aus [450] dem Kriegsdienst zu nehmen, zu dem rascher jugendlicher Muth ihn ohne Wissen und Billigung seiner Familie geführt hatte. Bei seiner Rückkunft sollte die Verbindung mit Emma vollzogen werden. Mit rascher Eile leitete die Mutter die äußern Verhältnisse zum Ziele, gleichsam als hätte sie eine Ahnung des nahen Todes getrieben. Wenige Tage nach Hohenbergs Abreise wurde Frau B.... von einem Fieber befallen. Die arme Emma, nachdem sie vierzehn Tage und Nächte das Krankenbette der Mutter nicht verlassen und alle Qual der getäuschten Sorgfalt und Hoffnung ausgestanden, mußte sie endlich in ihren Armen verscheiden sehen.

Emma fühlte sich trostlos und allein in der Welt, nichts konnte ihr die immerwährende zarte Liebe und Sorgfalt einer liebenden Mutter ersetzen, jeder Moment erinnerte sie an ihren Verlust. In ihrem tiefen Schmerz dachte sie öfter an den Freund ihrer Jugend, dessen Bild mit allen ernsten und zarten Erinnerungen ihres Lebens verbunden war, als an die schnellen flüchtigen [451] Tage der lebhafteren Neigung, wo im Geräusch lärmender Freuden ihr Herz sich einer neuen Empfindung geöffnet.

In dieser Stimmung schrieb sie Edmund zuerst, seit ihrer Versprechung, denn die Mutter hatte die erste Eröffnung über sich genommen, und ein freundschaftlicher Glückwunsch war als Antwort, erst nach Frau B–s Tod eingelaufen. Ein herzlicher, theilnehmender, väterlicher Brief von Edmund war der erste lindernde Trost für Emma's Schmerz. Hohenbergs Briefe drückten mehr eine heftige sinnliche Sehnsucht nach ihrem Besitz aus, als ein inniges stilles Eingehen in ihre Gefühle, welches in Momenten des Leidens so wohlthätig ist, und uns ein menschliches Wesen wie eine Gottheit verehren läßt. Mit einer Verwandten eilte sie nach ihrem ländlichen Aufenthalt zurück. Edmund folgte ihr nach wenigen Tagen.

Das Beklemmende aller jener seligen Ahnungen, jener leisen Wünsche eines näheren Verhältnisses, welches ihren Umgang in den letzten [452] Zeiten oft peinlich schwankend gemacht hatte, verschwand jetzt bei Emma's entschiedner Lage. Alle Blüthen des Geistes und des Herzens entfalteten sich in schöner Fülle, sie lebten das süße Leben, wo sanfte Neigung sich immerwährend in tausend leisen Beziehungen auszudrücken strebt. Weil ihr der höchste Ausdruck versagt ist, werden alle Kleinigkeiten des Lebens bedeutungsvolle Accente, und weil das höchste Gefühl das ganze Daseyn durchdringt, so gewinnt alles einen himmlischen Glanz. Die Idee des nahen Verlustes wehte oft als ein kalter Sturmwind zwischen sie, Edmunds Herz faßte sie am stärksten, da ihm noch die Möglichkeit vorschwebte, den Umständen eine andere Richtung zu geben. Emma hatte sich in ihrer weichen Stimmung weiblich dem Schicksal hingegeben, sie wollte für sich nach keinem Glücke streben, für Edmunds Glück hätte sie mit Muth die Umstände zu lenken vermocht, aber seine Wünsche lagen still in seiner Brust. Auch hatten sich ihre Verhältnisse zu einem festeren Knoten verschlungen. Hohenberg hatte mit [453] der Erbschaft eines Oheims, auf die er gerechnet hatte, den besten Theil seiner Aussichten verloren, und in dieser Lage war es für Emma unmöglich, ein frei gegebenes Versprechen ohne Veranlassung zurück zu nehmen. Sie verschloß ihre Gefühle im innersten Herzen, und hoffte sie da ewig zu verbergen.

Edmunds Gedanken schweiften, während seiner Wanderung zu Emma, über dieser ganzen Lage und in der Vergangenheit, aus der sie entstanden waren, umher. Er war auf einen freien Platz im Walde gekommen, der zwischen den beiden Gütern lag. Von einer Anhöhe hinab zog sich eine ausgehauene Straße durch den Wald in das liebliche Thal, wo Emma's Wohnung zwischen freundlichen Bauernhäusern und den sie umgebenden Gärten glänzte. Eine alte breitästige Buche hatte oft unter ihrem Schatten die kleine Gesellschaft versammelt, wenn sie sich hier zu einem leichten Mahl zusammen fand, um an Festtagen das Volk der umliegenden Gegend nach der kleinen Kapelle wallfahrten zu sehen, die [454] etwas tiefer im Walde lag, und seit langen Jahren den frommen Volksglauben zu einem Ziel des Trostes und der Hülfe, und der Jugend zur fröhlichen Vereinigung diente. Ueber gewisse Gemüther übt die Magie der Erinnerung an bekannten Plätzen eine wundervolle Macht aus. Was wir gesehen und empfunden, umspinnt uns als ein magisches Gewebe aufs Neue hell und lebendig wie die Gegenwart. Eine solche Reminiscenz faßte jetzt Edmund und unterbrach den Monolog seines besonnenen Verstandes mit dem Zauber reger Gefühle.

Bis in Emma's vierzehntes Jahr hatte ihr Edmund mit dem holden Ausdruck einer väterlichen Theilnahme begegnet, in der vertraulichen Unbefangenheit des täglichen Zusammenlebens, faßte er ihre Hände zwischen die seinen, und drückte oft beim Kommen und Gehen einen Kuß auf die zarten Wangen. Zum erstenmal fühlte er hier unter dieser Buche, als Emma und ihre Mutter an einem heitern Frühlingstag sich mit ihm zusammen fanden, daß das blühende Mädchen ihre [455] Hand zitternd aus der seinen zog, und daß ihre Wange mit einem feurigen Erröthen sich seinem Kusse darbot. Heilig war ihm diese Blüthe des ersten jungfräulichen Gefühls, er sah sie seitdem nicht mehr als Kind an, vom vertraulichen Wesen gieng er zum feinsten Benehmen des guten Tons über, und genoß mehr durch die kleinen Entbehrungen, die er sich auflegte, als durch die süßeste Vertraulichkeit selbst. Jedes Zurückhalten seines liebevollen Herzens erinnerte ihn, daß Emma die ganze Gewalt seiner Gefühle jetzt zu erwiedern vermöchte, und daß diese dunkle Ahnung ihr die zitternde Entfernung eingab.

Er lehnte am Fuß der Buche, sein schönes Auge war gesenkt, und als die Schatten der Vergangenheit vor seinem Innern vorübergezogen waren, faßte ihn tiefe Wehmuth. Sie hätte Dein werden können! rief er aus. Warum ließ dein unglückliches Schweigen ihrem Herzen die Zeit einen andern Gegenstand aufzunehmen? Sie wird weg von hier ziehen, wird einem andern Manne angehören, mein Andenken wird ihr nicht [456] mehr seyn als jeder andere freundliche Traum der Kindheit. Ach, und wird sie glücklich seyn? In der edeln Sorge um den Gegenstand seiner Liebe, vergaß er die eignen Schmerzen über seinen Verlust. Schon stand er am Gatterthor, das zum geräumigen Hofe führte, dessen Mitte ein schöner Rasenzirkel schmückte, schon sah er Emma's weißes Gewand zwischen den Akazienzweigen im Golde des Abends glänzen. Ich will ihr Freund bleiben, sagte er zu sich selbst, ja das will ich, ihr Schicksal soll meine immerwährende Sorge seyn. Ein Weib hat viel, wenn sie einen treuen, uneigennützigen Freund hat. Jetzt verweilte er noch einen Moment im dunkeln Schatten der Linden, beim Eingang des Thores, um eine Thräne aus seinem Auge zu wischen. Heiter lächelnd im reinen Licht der Güte und des Segens trat er nun, wie die strahlende Abendsonne, die einen schönen Morgen verkündigt, leuchtend in Anmuth und Liebe vor seine Freundin.

Emma empfieng ihn mit ihrem holden Lächeln, offen ruhte ihr Blick auf Edmunds edeln [457] Zügen, aber ein Wölkchen des Schmerzes umzog ihre reine Stirn. Sie steckte einen Brief ihres abwesenden Freundes ein, der vor ihr auf dem Arbeitstisch lag. Sie schien Edmunds weiche Stimmung zu fühlen, überhaupt sprach sie nie mit Lebhaftigkeit noch im bestimmten Sinn über ihr Verhältniß, und mußte sich immer Gewalt anthun, auch nur im Allgemeinen darüber zu sprechen.

Edmund selbst fragte: Sie haben Briefe von Hohenberg?

Ja, erwiederte sie mit gesenktem Blick, er hofft in wenigen Wochen hier seyn zu können.

»Um Sie diesem Aufenthalt für immer zu entführen?«

Nein, nein, rief Emma mit Wehmuth, nie soll dieser Ort, wo alles, was ich liebte, meiner Erinnerung so gegenwärtig ist, wo tausend holde Träume meiner Jugend mich umschweben, mir fremd werden. Mein Herz wird immer seine Heimath hier suchen. Sie schien beinah über die Heftigkeit, mit der sie gesprochen hatte, zu erschrecken [458] und fuhr leiser fort: Auch Hohenberg wird ihn gewiß als einen freundlichen Ruheplatz nach dem mühevollen Welt- und Kriegsleben ansehen. Das reifere Alter wird uns wieder mit dem theuersten Jugendfreunde verbinden.

»Das ist wenigstens ein schöner Traum, den Sie dem einsam Zurückgebliebenen zum Troste lassen.«

Ach! den ich selbst so nöthig brauche, sagte Emma leise, indem sie ihre hervordringenden Thränen zurückzuhalten suchte. Ein Paar Tropfen rollten über die glühenden Wangen herab, aber ihr offner Blick sah fest ins Auge des Freundes. Sie fuhr fort: Wie oft wünschte ich, daß dieser Zwischenraum schon durchlebt wäre! Nur bunte verworrene Bilder schweben vor meiner Fantasie, ich kann mich nicht in die Welt wünschen, die ich nicht kenne. Mein Herz ist so übervoll von den Bildern meines vergangenen Lebens, daß mir ist als wenn nichts Neues mehr Raum finden könnte. – Edmunds Busen schlug hoch, doch hielt er sich. Sie konnte ja einen [459] Andern wählen, sagte er in sich selbst. Sein Auge ruhte mit liebendem Tiefsinn auf Emma's holden Zügen.

Auch sie faßte sich, und fragte nach ein Paar Pflanzen, die er ohne es zu wissen, auf dem Wege gepflückt hatte. Zitternd legte er ihr die Pflanzen vor, und sprach darüber aus beklemmter Brust. Emma zwang sich zur Aufmerksamkeit, aber sie hörte nur seine Stimme, und eine hohe Röthe flammte über ihre Wangen, als seine Hand von ohngefähr die ihrige berührte. Ein Geräusch am Gatterthor war Beiden willkommen, da es der schmerzlich gespannten, obwohl süßen Lage ein Ende machte.

Eine fremde Gestalt zeigte sich. Emma und Edmund näherten sich dem Thore. Ein Paar große schwarze Augen, die sich hülfeflehend zu ihnen aufschlugen, mit wildem, leidenschaftlichen Ausdruck die Wirkung ihrer Bitte ausspäheten, rührten sie Beide, und übten eine geheimnißvolle Anziehungskraft über sie aus. Eine zerrissene Kleidung, an der man noch Spuren ehmaliger [460] Pracht und eine fremde Form erkannte, umhüllte eine feine zierlich gebaute Mädchengestalt, sie schlang ihre abgezehrten Arme um das Gatterwerk und öffnete die eine Hand bittend um eine Gabe. Als Emma ihr eine Silbermünze reichte, faßte sie sie heftig, kehrte die Augen gen Himmel und rief in spanischer Sprache einen Dank an die heilige Jungfrau aus. Als sie die Arme vom Gatter losgewunden, wankte sie einige Schritte und fiel ohnmächtig hin an Boden.

Edmund eilte mit Emma dem Mädchen zu Hülfe, und da er sie aufhob, um sie auf Emma's Bitee ins Haus zu bringen, erblickte er ein diamantnes Kreutz, welches während dem Tragen aus ihrem Busen fiel, es war mit einem schwarzen Band an ihrem Halse befestigt. Der Besitz solch einer Kostbarkeit, bei allen übrigen Zeichen eines hülflosen Zustands dünkte Beiden sehr sonderbar.

Durch Emma's hülfreiches Bemühen erholte sich die Kranke bald, als ihre Augen sich wieder aufschlugen, sah sie mit wilden zerstörten Blicken [461] um sich her, mit einer glühenden Röthe bemerkte sie das Kreuz und verbarg es in ihrem Halstuch.

O Gott! rief sie aus, muß ich deine Erde wiedersehen, schon wars mir als flög' ich auf zu deinem Himmel! doch hast du mir einen rettenden Engel gesendet. – Sie faßte Emma's Hand und bedeckte sie mit Küssen und Thränen. Gierig als etwas lang Entbehrtes aß sie einige Erfrischungen, die ihr Emma darreichte, lächelnd fühlte sie die feine Decke, mit der sie umhüllt war, mit sinnvoller Neugierde besah sie alle Gegenstände, die sie umgaben. Edmund redete sie in spanischer Sprache sanft an und sprach ihr Muth zu. Ein Schimmer der Freude glänzte über die ermattenden hingewelkten Züge, als sie die bekannten Töne ihrer Muttersprache vernommen. Thränen flossen über ihre Wangen – Wo bin ich – wo bin ich? rief sie entzückt aus. Seyd ihr Engel oder fühlende Menschen, die an dem unaussprechlichen Elend eines armen Geschöpfs Antheil nehmen? Seit drei Monden drang kein Laut menschlicher Theilnahme an mein [462] Ohr. Edmund fragte zart, welcher sonderbare Zufall sie in diese entfernte Gegend führe? Sie warf einen schneidenden schmerzlichen Blick auf ihn und sagte – mein Herz! –

Mit verschloßnen Augen sank sie auf das Kissen zurück, und nachdem sie einige Minuten so da gelegen, richtete sie sich auf, legte ihre zerrissenen Kleider verschämt zurecht, so gut sichs thun ließ und sagte: »Ich habe ein Gelübde gethan, für euer Heil in der nächsten Kapelle zu beten. Entlaßt mich jetzt, ich muß eilen, ich habe einen weiten Weg, einen sehr weiten, denn ich weiß sein Ziel nicht.« Edmund stellte ihr vor, daß sie noch zu ermattet sey, um diesen Abend weiter zu gehen, daß Emma sie gern noch bei sich behalten würde. – Es kann nicht seyn, sagte sie sanft das Haupt schüttelnd, nein, es kann nicht seyn, nur auf dem Wege kann ich die Ruhe finden. Ich bleibe länger als ich sollte in dieser Gegend, einige Meilen von hier wurde mir in einem Wirthshause das wenige Geld, welches ich noch besaß, geraubt, untröstlich [463] machte ich mich auf den Weg, zum erstenmal mußte ich um Nahrung betteln, am Abend fand ich eine kleine Kapelle dort tiefer im Walde. Vor der heiligen Jungfrau warf ich mich nieder und schüttete alle Noth und alle Qual vor ihr im Gebet aus. Auf einmal umglänzte sie ein goldner Schein und ihr Haupt senkte sich huldvoll gegen mich. Im Vertrauen auf die versprochene Hülfe irrte ich einige Tage in der Gegend umher, und suchte Abends meine Heimath bei dem heiligen Bilde. Stumm war die ganze übrige Welt für mich, und die wenigen Zeichen, mit denen ich meine nothwendigsten Bedürfnisse ausdrücken konnte, waren der einzige Verkehr, welchen ich mit den Lebendigen hatte. Aber der Himmel hat sich meiner erbarmt, da ich auf Erden allein war; die versprochene Hülfe habe ich bei Euch gefunden, ich kann mich von Eurer Gabe wieder einige Tage ernähren – und nun lebt wohl, ich gehe für Euch zu beten.

Emma hielt ihre Hände und bat Edmund herzlich, sie zum Bleiben zu bewegen.

[464] Gutes Mädchen, sagte Edmund, da dich ein Wink des Himmels nach deinem Sinn hieher führte, so vertrau uns auch ganz. Es liegt etwas Geheimnißvolles in deinem Schicksal. Erwarte von unsrer Menschlichkeit alle Hülfe, aber dein Gemüth scheint zu leiden, traue uns auch ein Herz zu. Welche Verhältnisse trieben dich aus deinem Vaterland? Er faßte das Kreuz, welches aus ihrem Gewande hervorglänzte und fuhr fort: Weißt du auch, daß du in dieser Kostbarkeit mehr als dreifach die Mittel besitzest, bequem, wie es deine zarte Bildung zu fodern scheint, wieder zu den Deinigen zu reisen? – Nie, nie, rief sie heftig aus, will ich dorthin, nie mein Geburtsland wieder sehen, nie dieß Kreutz von mir lassen, das letzte Geschenk meiner Mutter! Meine theure, arme, unglückliche Mutter, verzeih deinem Kinde, deinem armen elenden Kinde!

Ihre Brust erhob sich krampfhaft und mit einem lauten Schrei der Angst fiel sie besinnungslos in Krämpfe. Als sie wieder zu sich [465] kam, rief sie aus: Sagte ichs euch nicht, laßt mich fort! Ich fühle, euer Antheil erweckt nur meinen Gram. Stumm und wortlos ist er leichter zu tragen – Ich soll ohne Liebe leben, da ich die Liebe beleidigt habe. Ach! sie hatte mich aber zuerst beleidigt – Lebt wohl und gedenkt der armen Raffaela. Als sie aufzustehen versuchte, fühlte sie selbst ihre Ohnmacht und sank ermattet zurück. Du siehst, daß du etwas Unmögliches versuchst, sprach Edmund. – Halte dich diese Nacht ruhig – Sie küßte Emma's Hände, versuchte ihr Haupt gegen Edmund zu beugen und gehorchte mit stillem Weinen.

Edmund und Emma überließen die Kranke einer Wärterin, und verlebten den Abend in sanfter Rührung und Planen zur Hülfe für sie. Die glückliche Uebereinstimmung der Gemüther zur hülfreichen Thätigkeit, erzeugt immer eine zufriedne ruhige Stimmung, aber liebende Herzen fühlen ihr Glück nie zärter, als wenn sie sich in einem guten und wahren Gefühle begegnen. Es dünkt ihnen, ihre Vereinigung sey an das [466] ewige Bestehen der Natur selbst geknüpft und gesegnet wie sie in ewig neusprossenden Blüthen.

Edmund kam jetzt jeden Abend, und theilte sich mit Emma in die Sorgen für den armen Fremdling. Raffaela war in ein Fieber gefallen; so oft sie im Paroxismus das Gefühl ihres erschöpften Zustandes verlor, war sie nicht zurückzuhalten, sie wollte aufstehen und ihre Reise fortsetzen. Mit Gewalt mußten sie ihre Wärterinnen mehr als einmal zurückbringen. In ihren ruhigen Stunden weinte sie Thränen des Dankes über Emma und Edmund. Ihre Fantasien waren herzzerreißend; Sehnsucht nach einem Geliebten und nach einer Mutter waren größtentheils der Inhalt ihrer Reden. Ungeheuer in unermeßlichen Wäldern, reißende Ströme, die sie durchschwimmen sollte, lagen vor ihrer Einbildung und zeigten die Spuren, die die lange Hülflosigkeit auf der einsamen Reise ihrem Gemüth eingedrückt hatte. Edmunds Stimme übte eine Zaubermacht über sie aus und brachte sie sogleich zur Ruhe.

[467] Nie war Edmund Emma'n liebenswürdiger erschienen als in seinem anhaltenden sanften Bemühen um die Unglückliche. Nie hatte sie ihn in solcher Vertraulichkeit und Innigkeit, die sie selbst so lang und heiß gewünscht, gegen ein anderes weibliches Wesen gesehen. Wenn er Raffaela von einem Zimmer ins andre trug, wenn er die Hand an ihre glühende Stirn legte, wenn sie diese Hand im Feuer des Dankes in die ihrige faßte, dann flog eine Wärme über Emma's Wangen durch ihren Busen, von einer sonderbaren Beklemmung begleitet, die sie sich nicht zu erklären vermochte. Sie wünschte leise an der Stelle des Mädchens zu seyn, und ihr reiner Sinn wallte erschrocken über den Wunsch in der Gluth der Wangen auf.

Auch Edmunds Herz, vom zarten Gefühl des Mitleidens und dem Anschaun einer tiefen Leidenschaft bewegt, fühlte das heiße Verlangen nach Emma's Liebe und dem Zauber ihrer Gegenwart mit zerstörender Gewalt. Jeden Abend faßte ihn beim nach Hause reiten ein stärkerer [468] Schauer, wenn er sich sagen mußte: Wieder ein Tag ihrer Gegenwart ist entflohen – und näher rückt der Abschied, und was wird mein Leben füllen ohne sie?

Die Behandlung eines geschickten Arztes hatte Raffaelas Zustand etwas erleichtert, im Gefühl ihrer erschöpften Kräfte waren die Flügel der Fantasie gelähmt, und das Leben schien mit dem Schmerz der schönen Hülle zu entfliehen. Der Arzt hatte gegen Emma geäußert, was sie selbst und Edmund schon ahneten, daß ein tiefes Leiden der Seele der Zerstörung ihrer Natur zum Grunde liege, daß diese unaufhaltsam ihrer Auflösung entgegen eile, wenn man nicht ein Mittel fände, dieses ermattete Herz mit Hoffnung neu zu beleben.

Wie schade ists, sagte Edmund, als ihm Emma diesen Bericht des Arztes mittheilte, daß die Schwierigkeit der Sprache Raffaela hindern wird, ihr Herz gegen Sie aufzuschließen. Sie würden ihr Vertrauen leichter gewinnen als ich, doch muß ichs versuchen, damit wir erfahren, [469] was für sie zu thun ist. Ich zweifle nicht an der Ursache des Schmerzes, der dieses arme Herz gebrochen hat. Es ist von Liebe und Sehnsucht zerrissen, wahrscheinlich für einen unwürdigen oder vielmehr unglücklichen Gegenstand, denn wer könnte anders als gezwungen durch die herbste Noth, solch ein liebes Herz verlassen, und die ganze zarte Natur der Gewalt innerer Stürme preis geben?

Armes Geschöpf, sagte Emma mit nassen Augen, wir wollen alles anwenden, sie zu heilen –

Zu heilen? fiel Edmund ein, das ist schwer, zu trösten, das vermögen wir vielleicht.

Glaubten Sie nicht selbst, daß nur ein unwürdiger Gegenstand solch ein liebendes Herz kränken könnte? Muß es nicht von der Sehnsucht nach diesem genesen, wenn es ihn als einen solchen erkennt?

Lächelnd sagte Edmund, ich sehe, daß meine holde Freundin, glücklich in der ersten Wahl ihres Herzens, die Gewalt jenes Gefühls noch [470] nicht kennen lernte, das einen magischen Schleier vor unserm Auge webt. O das, was unser Herz mit heißem Verlangen umfaßt, erhebt der Verstand in ein schöneres Licht –

Könnten Sie mir wünschen, diesen künstlichen Zustand kennen zu lernen? erwiederte Emma. Die Natur scheint mir an Gegenständen, die an unser Herz dringen, so reich. Der Odem der Liebe war immer um mich lebendig, mein ganzes Wesen bildete sich in diesem Elemente aus, und das Verhältniß mit Hohenberg scheint mir nur eine neue Blüthe des Lebens und des Glücks, neben der alles andere, nicht minder schön und harmonisch, in seinem wahren Standpunkte bleiben muß. Ach ich weiß nicht, fuhr sie mit holder Unschuld auf Edmund blickend fort, sollte die Neigung für ihn eine der schönen edeln Gestalten, die meine Jugend begleiteten, verdrängen, ich würde sie hassen ... Als wie, wenn Sie mir weniger theuer werden könnten ... Sie kannten wohl auch jenes Gefühl nicht aus Erfahrung, bester Freund? – Das war beinah [471] zu viel für Edmund. Sein Herz schlug hoch, seine Stimme bebte, doch vermochte er sich zu fassen und Emma'n ruhig zu sagen: »Meine frühste Jugend war mancherlei Stürmen preis gegeben, in meinem reifern Alter hoffe ich so glücklich zu seyn, nie zerstörend durch meine Empfindungsart zu wirken. Seyn Sie glücklich, theures Mädchen, seyn Sie glücklich, so werde ich es auch seyn.«

Mein theurer Freund, rief Emma, indem sie Edmunds Hand faßte, und vergebens nach Worten suchte. Ihr Busen war beklemmt, bis zur süßen schmerzlichen Ohnmacht. Die Gegenstände schwankten und dämmerten vor ihren Augen. – Edmund saß mit abgewandtem Gesicht, er vermochte nicht sie anzusehen, ohne sie an seinen Busen zu schließen – nicht, sie einen Moment an seiner Brust zu fühlen, ohne sie ewig da zu halten. Der Augenblick des herzlichen Verständnisses war nahe, die süße Bewegung, mit der zarte Gemüther die tiefsten Gefühle ihres Busens sich selbst aussprechen, hatte Beide ergriffen.

[472] Emma's Mädchen kam ins Zimmer, und brachte mit fröhlicher Eile einen Brief von Hohenberg.

Nie hatte ein schmerzlicheres Gefühl Emma verwundet; es war als wenn ihr inneres Leben sich auflöste, ihr zartes Herz vermochte es nicht, einen Schatten der Schuld über seinen Empfindungskreis zu erblicken. Gewisse Gemüther sind nur zu ganz reinen und schönen Verhältnissen geboren, selbst im Moment der gewaltigsten Leidenschaft vermögen sie keine Blüthe des Genusses zu pflücken, wenn sie ihnen nicht auf dem Boden der Wahrheit und des Rechten sprosset. Solche finden das Glück selten, aber die Ruhe und alle leiseren Harmonien des Lebens begleiten sie. Die arme Emma warf sich Untreue und Betrug vor, da sie die einzige stärkste Liebe ihres Herzens endlich lebhaft erkannte und würdigte, welche ihre verworrenen Mädchengefühle und die sonderbare Spannung ihres Freundes so lange ihr selbst verborgen hatten. Ihre Hand verließ rasch Edmunds Hand, sein Blick suchte schmerzlich [473] den ihren, die liebliche Dämmerung der hervorbrechenden Empfindung verwandelte sich in den grellen Tag der Wirklichkeit.

Edmund legte sich Emma's beklemmten Zustand fasch aus. Die Liebe rückt zarte Gemüther in eine erhöhtere Sphäre, und wenn sie aus dieser ins gemeine Leben blicken, so sehen sie nur Schatten und Täuschungen. – Er wähnte mit unglaublicher Zartheit und Bescheidenheit, Emma fühle seine Liebe für sie, und nur sein Schmerz über ihren Verlust bewege sie so tief. Er suchte sich zu sammeln, sprach von einem Geschäft, welches er in ihrem Garten zu besorgen hätte, und verließ sie mit einem festen Blick und einer heitern Miene, wie er wähnte; aber Emma, längst gewohnt in seinen Zügen zu lesen, bemerkte die schmerzlichste Anspannung in seinem Benehmen.

Kaum hatte sie Hohenbergs Brief gelesen, als ihr Mädchen kam und berichtete, Raffaela habe ihren und Edmunds Namen genannt, mit Zeichen, daß sie sie zu sprechen wünsche. Sie [474] habe vorher an ihrem alten Gewande eine Falte aufgetrennt und eine Brieftasche herausgezogen, sie mit Küssen bedeckt und lange stumm auf ihre Brust gedrückt: Sodann habe sie einige Papiere herausgenommen, die sie unter heftigem Weinen gelesen. Emma eilte, Edmund aufzusuchen, und Beide giengen zur Kranken.

Raffaela erhob sich mit edelm Anstand vom Sopha, als sie hereintraten, zum erstenmal hatte sie eines der feinen Gewänder angelegt, welche ihr Emma gegeben. Beide erstaunten vor der edeln zierlichen Gestalt des Mädchens und dem Adel und der Grazie ihres Benehmens.

Sie überreichte Emma die Brieftasche und sagte zu Edmund: Lesen Sie mit dem gütigen Fräulein diese Papiere, und lernen Sie das Geschöpf ganz kennen, dessen Leben Sie so großmüthig erhalten wollten. Nach meinem Tode, – ich fühle es mit unnennbarer Freude, bald bin ich am Ziele meiner Leiden! – Nach meinem Tode schicken Sie diese Papiere unter der überschriebenen [475] Addresse an meine Mutter ab. Vonseinen Briefen, welche vielleicht die Schwachheit, die mich umbringt, entschuldigen könnten, soll mich nichts trennen, so lang ich athme, kein fremdes Auge soll die geliebten Züge erblicken, die mein Leben, mein Schicksal, den tiefsten Schmerz, aber auch mein heiligstes Glück enthalten. Wenn das Leben aus meiner Brust entflohen ist, dann nehmen Sie die Blätter von meinem Herzen, und nur Ihre freundschaftliche edle Hand bilde die geliebten Züge nach. Die Urschrift selbst liege während des Todtenschlummers an dem erkalteten Herzen, aber die Abschrift senden Sie meiner guten Mutter zu, damit sie ihrem Kinde vergeben lerne. Ach ich war des Trostes der menschlichen Theilnahme entwöhnt, aber jetzt, da ich ihn wieder empfunden habe, weiß ich auch, Sie lassen mich nicht in der Verzweiflung dahin scheiden und erfüllen meine Bitte. Edmund und Emma trösteten sie auf das zärtlichste, und versprachen ihr feierlich, alles nach ihrem Willen einzurichten; sie verließen sie beruhigt, und Edmund [476] übersezte für Emma die Geschichte des unglücklichen Mädchens.

In der Ueberschrift des Briefes, fand er den Namen einer ihm wohlbekannten angesehenen Familie in einer spanischen Seestadt. Folgendes war sein Innhalt: »Meine theure Mutter, wenn diese Züge vor deinen Augen stehen, genießt das Herz deines armen Kindes schon der süßen Ruhe im Grabe. Auf Erden giebt es keine mehr für mich, als an seinem Herzen, und werde ich dahin gelangen? Ach wenn er sieht, wie ich um seinetwillen alles verlassen habe, wie ich schwaches furchtsames Mädchen allen Gefahren und aller Noth Trotz biete – wenn er fühlt, daß ich den herbsten Schmerz ertrage, den, mir deine Thränen zu denken, o meine beste Mutter – muß ihn das nicht rühren? und er hatte kein hartes Herz. Ich entschuldige mich nicht, doch weiß ich, daß du mir jetzt verzeihen würdest, wenn du meinen Zustand kenntest, aber gewiß wirst du auf meinem Grabe weinen. Gehorche ich nicht selbst einer überirdischen Macht des Himmels [477] oder der Hölle? Weiß ich selbst, was mich treibt? Aber ich muß folgen, der Boden brannte unter meinen Sohlen und die Wände unsers Hauses drohten über meinem Haupte einzustürzen. Geisterstimmen riefen mir aus der blauen Ferne, wenn ich Abends auf unserm Altane saß, und aus allen Winkeln unseres Hauses rief er mir zu: Flieh, Unglückliche! Kaum war ich aus dem Kloster zurückgekehrt, entsinnest du dich des ersten Tages, als Carlos zuerst bei uns eingeführt wurde – wie ich ihn in dem kleinen Garten durch die Pforte des Hofes eingehen sah, wie mich seine hohe Gestalt sogleich rührte, wie die edle Art, mit der er sich meinem Vater näherte – und als der offne Himmel seines Auges in die kleine Laube, in der ich mich verbergen wollte, schien, als ein Blitz des lebendigsten Gefühls mein Herz traf – die Bangigkeit und das Glück, welches mein Leben da auflöste und neu beflügelte, könnte ichs dir ganz aussprechen, so würdest du fühlen, daß ich fortan nicht mehr mir selbst angehörte. Der Abend vergieng in sanfter Heiterkeit, in Musik [478] und Gesang. Welch andre Luft umgab mich, welcher lichtere Himmel wölbte sich über mir! Die Erde prangte in neuen Farben und die Blumen hatten einen stärkern Duft, die ganze Natur glänzte und glühte in Liebe. Ich sah ihn seitdem im Wachen oder träumend, immerwährend vor mir – Mein Herz bebte bei jedem Klopfen an die Pforte, weil ich nur ihn erwartete – Du und der Vater waren entzückt über sein mildes edles Wesen. Wie rührte mich sein Lob! Ich hätte zu euren Füßen sinken mögen, dankvoll die wiederhallende Stimme meines Busens zu vernehmen.«

»Unsre Blicke hatten gesprochen, ein sanfter Händedruck, den ich zitternd erwiederte, hatte meine Liebe verrathen – Wir fanden uns einmal einsam – wie sollte ich dir in Worte fassen, was noch immer mein ganzes Wesen durchglüht – Meine ganze Zukunft knüpfte sich an die seligen Momente, ich hielt mich für seine Verlobte. Du hast den gränzenlosen Schmerz gefühlt, arme Mutter, der mein Herz bei seiner Abreise zerriß[479] – meine erbleichenden Wangen, mein erloschenes Auge quälte dich schlaflose Nächte hindurch – Seine Briefe hielten mich – nach wenigen Monden hatte er versprochen, mich von euch zur Frau zu begehren –«

»Ich erwartete ihn, als ein Brief ankam, der mich ins tiefste Elend stürzte. Eine erstarrende Todtenkälte wehte aus den sonst so geliebten Zügen; eine schmerzliche Verworrenheit hatte die reinste Offenherzigkeit verdrängt. Er fürchtete mich unglücklich zu machen durch seine Verhältnisse, er entsagte mir! Du kannst diesen Schmerz nicht erfahren haben, Mutter, sprich nicht darüber aus. Alle meine Briefe blieben ohne Antwort, mein Leben war nur ein banger Fiebertraum, hundertmal hoffte ich, der Tod würde mich erlösen und mein Wesen müßte in wilder Sehnsucht zerreißen. Ich mußte zu ihm eilen, ihn sprechen, ihm mein Herz zeigen und den Tod von seinen Händen empfangen, wenn er aufgehört, mich zu lieben. Ach ich mußte dich verlassen, Mutter – Glaube nicht, daß es leichtsinnig, [480] daß es ohne den tiefsten Schmerz geschah. Da du mir den Aufenthalt im Kloster gestattet, hoffte ich, meine Entfernung sollte dir durch die Hülfe der guten alten Anna verborgen bleiben, bis zum Ende, oder zur glücklichen Auflösung meines Schicksals. – Als ich den letzten Abend an deinem Busen weinte, da trennte ich mich vom reinen Glück und Leben, das nur der Unschuld gehört, die keine Thränen fließen macht. Wenn ich angstvoll in den dunkeln unbekannten Wäldern irrte, dann wähnte ich oft im Sausen des Windes deine Stimme zu hören.«

»In einer Schäferhütte schreib ich dieses, am Fuß der Pyrenäen. Die fremde Sprache verschließt meinen Kummer und meinen Schmerz, ich dünke mir nur noch ein Schatten zu seyn. Täglich messe ich auf der kleinen Landkarte den Weg, den ich zurückgelegt, und die Entfernung des einzigen Ortes, wo ich wieder Leben finden kann, wo Er ist, scheint mir zu wachsen, da meine Kräfte abnehmen. Meine Hoffnung verliert sich im Endlosen, und oft ists mir, als [481] könnte ich sein Auschaun nicht ertragen. – Man wird diese Blätter finden, wenn ich todt bin, und irgend ein menschlichgesinntes Wesen wird sie dir übersenden.«


In den letzten Tagen geschrieben.


»Mutter ich sterbe, eh ich ihn gefunden, meine Kräfte sind erschöpft, das Leben verlöscht, aber ich sterbe in seinem Vaterlande, ich sterbe bei guten Menschen, bei Engeln, zu denen mich die heilige Jungfrau sendete. Segne du meine Asche! – Ich büße meine Schuld gegen dich und meinen geliebten Vater. Ach ich fand die Ruhe nicht, die ich fern von euch suchte, und ihr verlort den Trost eures Alters. – Betet für die Seele Eures Kindes! Betet, daß er mir dort wieder gegeben werde.«

Emma hatte Edmund mit tiefer Rührung zugehört, und er selbst las mit zitternder Stimme. Im Ausdrucke dieser mächtigen Leidenschaft schien gleichsam ihr verborgenes eigenes Gefühl ein Organ zu finden, da es für sich selbst keine Sprache zu bilden wußte. Der Autheil an dem [482] guten Geschöpf lenkte das Gespräch auf die natürlichste Art von ihren eignen Verhältnissen ab.

Edmund wollte suchen, den Namen des so heiß geliebten Mannes zu erfahren, um ihm dann den Zustand zu berichten, in welchen ein so liebenswürdiges Geschöpf durch seine Schuld versetzt war. Er wird wieder zu ihr zurückkehren, sagte Edmund.

Ach könnte es sie glücklich machen, erwiederte Emma mit weichem Ton. Kann sich ein zartes Herz zwischen Mitleid und Liebe täuschen? Kann das eine die andere ersetzen?

Der Mißverstand war einmal zwischen den zarten Gemüthern zu sehr eingerissen, immer tiefer griff er um sich, und selbst das, was ihn aufheben konnte, diente nur ihn zu vermehren.

Emma glaubte ihre Situation gegen Edmund auszusprechen, Edmund wähnte, ihre Worte enthielten eine sanfte Weisung, seine eignen Gefühle zu unterdrücken.

So verließen sich Beide diesen Abend, so lebten sie in den nächsten Tagen; vereint in sanfter [483] menschenliebender Thätigkeit, und dennoch verfolgt von dem schmerzlichsten Gefühl, es seyen die letzten Tage ihres Zusammenseyns, wo nicht auf immer, doch für lange Zeiträume. Sie fühlten in jedem Moment das Bedürfniß eines ewigen Zusammenbleibens und die eherne Hand des Schicksals, die sie nach ihrem Wahn auseinander riß.

Emma konnte sich nur über die allgemeinsten Dinge gegen Raffaela ausdrücken, aus Unkenntniß der Sprache, aber Emma's liebendes Herz zeigte sich in ihren Blicken, in jeder Bewegung ihrer schönen Gestalt, und Raffaela's Dank und Anhänglichkeit nahm beinah die Farbe der Anbetung gegen ein höheres Wesen an. Edmund war viel um sie, um nach dem übereingekommenen Plan tiefer in ihr Geheimniß zu dringen. Ihr physischer Zustand schien erleichtert, nachdem sie ihre Verhältnisse berichtigt und die Hoffnung des Lebens aufgegeben hatte. Sie sah sich als einen Schatten an, der nichts mehr aus dem Leben aufnehmen kann, und der dämmernd, aber leicht und unverwundbar, über dem frischen blühenden [484] Glück der Jugend, aber auch über allen ihren zerreißenden Schmerzen schwebte. Sie machte keine Versuche mehr zu entfliehen, und schien den Ort, an dem ihre Seele das Leben zu verlassen hoffte, als eine Heimath anzusehen.

Mit heißer Sehnsucht verlangte sie nach der Waldkapelle, von wo ihr der Trost ausgegangen war, wie sie sagte: Edmund ergriff die Gelegenheit zu einem ununterbrochenen Gespräch, und brachte sie an einem schönen Abende zu dem ersehnten Gnadenbilde.

Sichtbar erheitert und gestärkt kehrte sie aus der Kapelle zurück, ihr Auge glänzte, und mit sanfter Stimme sagte sie: ich habe dieselbe Erscheinung wieder gesehen, wie den Abend ehe ich zu Emma's Hause gieng. – Bald, bald wird mein Geist frei und fessellos dem Geliebten nachschweben! sagte sie still, und ihr sehnendes großes schwarzes Auge trug seinen Blick schon durch den blauen Himmelsraum. – Edmund zweifelte nicht, daß die magische Beleuchtung der Abendsonne, die ihr lichtes Gold durch die Fenster der [485] Kapelle goß, und das Bewegen der Zweige einer hohen Linde, die oft im Abendwind sich vor das Fenster neigten, das ganze Wunder hervorgebracht, aber sanft hielt er die tröstenden Vorstellungen fest vor ihrer Seele und sagte: Warum, gute Raffaela, verschmähen Sie alle Aussicht, noch auf dieser Welt glücklich zu werden, warum nennen Sie mir den Namen ihres Geliebten nicht, warum erlauben Sie mir nicht, ihm von Ihrem Zustande Nachricht zu geben? Glauben Sie, Liebe, der Beste von uns gehört oft den Umständen und dem äußern Drang des Lebens zu sehr an, um immer seine Gefühle zu solcher Heiligkeit zu sammeln, wie ein fein fühlendes Weib es vermag – aber der wahr und rein Fühlende zittert für die um ihn vergossenen Thränen, und ein tiefes und wahres Gefühl übt immer seine Macht über ein gutes hochschlagendes Herz wieder aus, wenn es uns alte Zaubergesänge des Glücks im öden Taumel des Lebens wiederholt.

Mit gesenktem Blick hatte Raffaela auf Edmunds[486] freundliches Zusprechen gehört, sie erröthete, sie schien zu zweifeln – Aber fest richtete sie jetzt ihr Auge auf ihn, mit der ganzen Gewalt ihres rührenden Schmerzes sagte sie: Nein, nie will ich diesen Namen aussprechen! Sie sollen ihn nur auf dem Portefeuille lesen, welches er nach meinem Tod empfangen soll – Edmund suchte sie zu zerstreuen. Emma war ihnen entgegengegangen, und hatte sie verfehlt, sie war noch nicht zurückgekommen. Edmund führte Raffaela durch die leeren Zimmer des Wohnhauses, die ihr noch unbekannt waren. Hier werden Sie wohnen, gute Raffaela, sagte Edmund, wenn unsre Freundin fern seyn wird, wenn sie ihrem Bräutigam in entfernte Gegenden gefolgt ist. – Es kann vielleicht bald geschehen, sagte er mit dem eignen schmerzlichen Lächeln, in dem wir uns genöthigt fühlen, gleichsam gegen unser ganzes Wesen, das was uns am schmerzlichsten ist, dennoch auszusprechen. Emma ist verlobt? rief Raffaela heftig. O so sey aller Segen des Himmels mit dem holden Engel! Gern will ich jedes Unglück [487] ertragen in den noch wenigen Tagen meines Lebens, wenn nur das ihre heiter und glänzend ist. – Verwundert sah sie nunmehr Edmund ins Auge, als hätte sie ihn in andern Beziehungen gegen Emma gedacht, aber mit holder Bescheidenheit unterdrückte sie die Frage, die vor ihrem Gemüthe zu schweben schien.

Gleichsam als wollte Edmund sich ein schmerzliches Angewöhnen an Emma's künftige Verhältnisse diesen Abend auflegen, führte er das Mädchen in ein kleines Kabinet, wo Hohenbergs Bild in Lebensgröße hieng. Hier ist das Bild des Mannes, der unsre Freundin besitzen wird, sagte er, indem er den seidnen Vorhang des Gemäldes hinweg zog.

Raffaela blickte nach dem Bild, und ihr Auge blieb wie erstarrt darauf geheftet, glühende Röthe wechselte mit Todesblässe auf ihren Wangen – Das ist Karlos Bild, meines Geliebten Bild! rief sie mit erstickter Stimme, und sank in schrecklichen Zuckungen zu Boden. Edmund faßte sie in seine Arme und trug sie in ihr Zimmer, sie [488] sprach nicht, nur der schmerzliche Schrei der zerreißenden Angst entfloh ihrer Brust. Man wendete alle erleichternde Mittel an, und bald verfiel sie in einen tiefen Schlaf.

Edmund hatte sie für einen Augenblick den Mädchen überlassen, um sich von dem schmerzlichen Anblick und der innern Erschütterung zu erholen. Er wußte, daß Hohenberg in Garnison an der spanischen Gränze gestanden, das Gemälde galt für sprechend ähnlich, er konnte nicht glauben, daß sich Raffaela täuschte. Er lief einige Gänge des Gartens durch, in der sonderbarsten Bewegung, ihm war als sey ein düstrer Schleier von seiner Zukunft hinweggenommen. – Alle Gegenstände, die ihn umgaben, schmiegten sich als lang bekannte freundliche Bilder aufs Neue an seine Seele, jeder Platz des kleinen Gartens verwahrte die Erinnerung einer Scene mit Emma, einen lieben Traum, einen heißen Wunsch seines Busens. – Er hatte diese Erscheinungen verbannt, hold und lieblich drangen sie jetzt aus der Dämmerung hervor, und [489] das quellende Leben des Frühlings lockte auch ihn in jene unendliche Weite von Hoffnung und Glück, mit denen das neue wiedergebährende Leben der Natur unsre Brust entzündet.

Die Fülle dieser geheimnißvollen Klänge des Schicksals übermannte ihn, und sein Wesen tönte die Harmonie bewußtlos wieder. Er ist ihrer nicht werth, sagte er sich endlich deutlich, sie ist frei – aber wird sie ihn betrauren, wird dieser Verlust ihr Herz zerreißen – wird sie je mehr als Trost, Ruhe, an meinem Busen finden? Hat sie nicht das erste Glück ihrer Jugend verloren? Vertrauen und Hoffnung verloren?

Er fand Emma, bei der Rückkehr ins Haus, die leise aus Raffaela's Zimmer schlich. Sie schläft noch, sagte sie sanft, aber sie hat wieder viel gelitten. Armes Geschöpf, wir meynten ihr ja wohl zu thun! sagte sie mit himmlischer Milde, indem ihr großes klares Auge auf Edmund ruhte, gleichsam um die Bestätigung ihrer reinen wohlwollenden Empfindungen in seinem Gemüthe zu lesen. – Er konnte sein Herz beinah nicht [490] halten, sie erschien ihm wieder als der Engel seines Lebens, aber eine Wolke des Schmerzes schwebte zwischen ihnen. Er schützte Geschäfte vor, um sie zu verlassen.

Früher als gewöhnlich gieng er am andern Morgen nach Emma's Hause. Er fand den Reisewagen der zurückgekommenen Verwandtin im Hofe stehen. Dieser Rückkunft wurde immer mit klopfendem Herzen als ein Zeichen von Emma's baldiger Verbindung erwähnt, bang verwirrt eilte er die Treppe hinauf. Raffaela ist besser, rief ihm Emma sogleich entgegen, sie schien sogar heiter aus einem tiefen und langen Schlaf erwacht zu seyn, aber sonderbar rührte sie mein Anblick diesen Morgen. – Sie bebte, als ich zu ihr hineintrat, mit einem heftigen Schrei verbarg sie ihr Angesicht in der einen Hand, und wies mich mit der andern hinweg – ich fragte sie was ihr fehle, ob ich sie beleidigt. – Nein, o Gott nein! rief sie heftig mit gen Himmel gewendeten Augen. Dann nannte sie meinen Namen mit Zärtlichkeit, küßte meine Hände mit [491] tausend Thränen, und drückte sie wiederholt an ihren Busen. Sie äußerte sodann den lebhaftesten Wunsch nach Ihrer Gegenwart, gehen Sie doch sogleich zu ihr, bester Freund!

Edmund gieng. Mit zitternder Ungeduld empfieng ihn Raffaela, mit glühenden Wangen sagte sie: Tragen Sie mein Geheimniß noch in Ihrem Herzen verborgen? Ja, sagte Edmund. O das hoffte ich wohl! rief sie aus. Ewigen Dank dir heilige Jungfrau! Ein vom Himmel gesendeter Traum lehrte mich in dieser Nacht, was ich zu thun habe, und ich erwachte mit entschloßner Heiterkeit, alle Wolken sind aus meinem Gemüth verschwunden.

Ich gieng in dieser Nacht mit Emma auf einer blühenden Wiese, wir weinten Beide, ein Engel schwebte aus einer Wolke zu uns herab und reichte jeder eine Myrthenkrone, die Wolke senkte sich nun zwischen uns nieder, wir konnten uns noch erkennen und lächelten gegen einander, indem wir uns die Kränze zeigten – aber die Wolke wurde immer dichter, und verhüllte mir [492] endlich Emma's Gestalt ganz – mich trug die Wolke aufwärts, mir wars, als flög' ich durch einen weiten Raum, als ich mit einem kleinen Schrecken im Herabstürzen erwachte. Hell stand es vor mir, daß mit den bräutlichen Myrthen für Emma mir zugleich der Todtenkranz gereicht würde, und das Schicksal des edeln Mädchens steht als etwas heiliges vor mir, das ich nicht entweihen müsse.

Nein, das unglückliche Geheimniß soll meinen Lippen nicht entschweben, bald wird das Schweigen des Todes sie für ewig schießen! Sollte ich das Glück des edeln Mädchens stören, die mir als ein hülfreicher Engel erschien, soll ich den Mann, für dessen Glück ich immer mein Leben tausendmal hingeben würde, vor ihren Augen als einen Untreuen entlarven – soll ich seinen Haß mit ins Grab nehmen, statt Thränen des Dankes und der Liebe? – Ich läugne es nicht, mein erstes Gefühl war der Wunsch, daß meine brennenden Thränen auf sein Herz zurückfallen sollten. Ich konnte es nicht tragen, ihn an ein [493] andres Weib gefesselt zu sehen. Die himmlische Erscheinung hat mein Herz gereinigt. – Nur die Unterwelt gehört den Göttinnen der Rache, von Oben kommt der Friede! Ich gehöre bald ganz dem Himmel an – Sie sind der einzige, der mein Geheimniß kennt, vor dem es mein gepreßtes Herz im erstarrenden Krampf aussprach; o erleichtern Sie meine Sorge durch einen Schwur, daß Sie es nie, nie entdecken wollen. – Was fordern Sie von mir? rief Edmund heftig, bang in sich selbst verschlossen saß er in tiefes Schweigen versunken.

Was sein feines und reizbares Gefühl über sein eignes Glück entschieden hätte, welcher Opfer er vielleicht fähig gewesen – läßt sich hier schwer entscheiden. Aber ein hohes Gefühl des Unrechts lebte in seiner starken Brust, und sein Herz war fest, wenn es um die Wahrheit, um den Schutz der Schwachen gegen Unterdrückung galt. Die Zartheit des Gefühls, die ihn sonst so gewaltig beherrschte, um ihn sogar zu Täuschungen zu führen, mußte schweigen vor den ernsteren Beziehungen. [494] Sein hellsehender Verstand wußte Zartheit mit Kraft in seiner Handlungsweise zu verbinden. Flehend hatte Raffaela ihre Blicke auf ihn gerichtet, ihre Arme schlangen sich bittend an den seinen auf, während er mit seinem Innern zu Rathe gieng.

In klarer Entschlossenheit glänzte seine Stirn aus den Wolken, und sein Blick leuchtete in himmlischer Milde wie der Abendstern aus dem reinen Blau, da er das Beßre nun gefunden hatte. Mein gutes Mädchen, sagte er, liebend Raffaela's Hände fassend, was ich Ihnen versprechen kann, ist, daß Emma nicht durch mich unterrichtet werden soll.

Das war alles, was sie am meisten fürchtete, sie war beruhigt, und in der reinsten Ergebung aufgelöst, die ihr bestes Glück geopfert, schienen ihre physischen Kräfte sich in einem neuen Gleichgewicht zu stärken.

Billig hatte Edmund erwogen, daß Emma unterrichtet werden mußte, daß er aber zuvor Hohenbergs Gründe auch anzuhören habe. Sein [495] Gefühl hatte über ihn entschieden, aber er wollte nur den ruhigen Ausspruch der Vernunft vernehmen und folgen, um so mehr, da sein eignes Glück so innig mit diesen Resultaten verbunden war. Er schrieb an Hohenberg in einem edeln und festen Ton. Er beschrieb ihm Raffaela's Zustand, meldete ihm ihren Entschluß, sich seinem Glücke aufzuopfern, und deutete ihm in wenigen energischen Worten das Betragen an, durch welches er die Verirrung seines Herzens wieder gut zu machen habe. Er fragte Emma um den gegenwärtigen Aufenthalt ihres Bräutigams, mit Erröthen antwortete sie: »ich vermuthe, er ist noch in ***.« Edmund sendete den Brief nach dieser Anweisung ab.

Verwirrung häufte sich auf Verwirrung, da einmal ein unglücklicher Dämon diese guten Menschen von der schönen geraden Linie des offnen Vertrauens abgeleitet hatte. Zum erstenmal in ihrem Leben gab Emma, von der peinlichsten Verwirrung gequält, ihrem Freund eine halbwahre Antwort.

[496]

Die Zeit ihrer Verbindung war näher herangerückt, als sie es Edmund gestehen wollte. Täglich erwartete sie die Nachricht von der Ankunft ihres Bräutigams. Auf einem Landgut seiner Schwester, welches eine halbe Tagreise von dem ihren entfernt war, sollte sie mit ihm zusammentreffen, dort sollte die Trauung vollzogen werden, und von dort aus wollte sie ihn sogleich nach seinem Wohnort begleiten. Es dünkte ihr unmöglich, Edmund als einen Augenzeugen bei ihrer Verbindung zu ertragen. Wie sollte sie im Anschaun des geliebten Mannes einem andern die Gelübde ablegen, die ihr Herz in so tausend leisen Wallungen, seit es sich nur seines eignen Empfindens bewußt war, gegen ihn selbst ausgesprochen?

Die Abwesenheit sollte ihr Edmunds Bild umhüllen, so hoffte sie, vielleicht vergebens. Sie wollte ohne Abschied von ihm wegreisen, und ihm nur einen Brief zurücklassen, in dem sie ihr Herz zum letztenmal frei vor ihm aussprechen wollte.

[497] Die Furcht, ihre Plane zu verrathen, hatte sie umstrickt, in der bängsten Verwirrung rettete sie sich durch eine kleine Unwahrheit – sie wußte, daß Hohenberg schon abgereist war – bebend und zitternd floh sie vor Edmunds Augen, als sie die Worte ausgesprochen; sie konnte beinahe dem Drang ihres Herzens nicht widerstehen, an seiner Brust das schmerzliche Geheimniß auszuweinen. Welche schwere ängstliche Verwirrung ihres Lebens, des Schicksals aller eingeflochtenen Wesen, legte diese kleine Falschheit an! Edmunds Brief, der alles auflösen mußte, konnte Hohenberg nicht mehr treffen, und während dem sollte sich das unglückliche Band knüpfen, das Raffaele'n jede Hoffnung raubte; der Fluch der Falschheit und Untreue sollte auf Hohenbergs Leben fallen, und für Emma und Edmund das reinste Glück für immer verloren gehen.

Alle peinlichen Mißverständnisse, alle schmerzliche Verwirrung der Empfindungen und Ansichten häuften sich in diesen letzten Tagen in Emma's[498] Leben, und ihr weiches Herz erlag unter der Last.

Die nahe Trennung von Edmund umhüllte alle Gegenstände mit einem Nebel, aus dem ihr Herz luftige Gestalten der vergangenen Freude mit Wehmuth neu bildete. Kein Buch berührte sie, ohne sie zu erinnern, wie sie es mit ihm gelesen, kein Kleidungsstück, ohne daß ihr zugleich das milde Lächeln vorschwebte, mit welchem es ihr Freund zuerst an ihr bemerkte. Trat er herein, so mußten alle die schmerzlichen Gefühle schweigen, sie mußte die hervordringenden Thränen verbergen und ruhig scheinen. Edmund selbst lebte in dem sonderbarsten Zustande, in dem es ihm unmöglicher war als je, Emma's Gefühle zu ergründen. Er wußte, daß Emma frei war, die Hoffnung belebte seine Brust, und gab seinen edeln Zügen in Emma's Anschaun die Fülle und den Zauber des Glücks. Seine Gerechtigkeitsliebe gebot ihm zu schweigen, bis er Hohenbergs Antwort empfangen, seine Freiheit verschmähte sein schönstes Glück durch einen Raub [499] zu gewinnen, und eignen Glanz durch das Verdunkeln eines fremden Gegenstandes in Emma's Augen zu erwerben. Er fürchtete sich mehr als je, daß ein warmes Gefühl ihn überraschend besiegen möchte.

Das volle Vertrauen, welches ihm Raffaela jetzt geschenkt, gab ihrem Verhältniß eine schöne Freiheit, gern ruhte er in ihrer Unterhaltung von dem Zwang, den er sich bei Emma auflegen mußte, er fühlte das Bedürfniß des guten Mädchens, ihr Gemüth auszusprechen, er fühlte, daß sie an ruhiger Klarheit durch Mittheilung gewann. Obgleich fest entschlossen, den Geliebten zu verlieren, schweifte ihre Fantasie dennoch von heißer Liebe beflügelt gern und oft über ihrer Vergangenheit umher. Sie genoß noch so den Duft der verblühten Blume, sie wähnte nicht, daß eine freundliche Zaubermacht sie wieder aus der Asche zu erheben vermöchte.

Edmund fühlte in ihrem vergangenen Glück die Möglichkeit seines künftigen, und hörte ihr mit höherer Theilnehmung zu.

[500] Raffaela's Benehmen gegen Emma war ungleich, wie das auf- und abflutende Gefühl ihres Busens, und ihre Züge, unter dem südlichen Himmel zum Ausdruck der Leidenschaft stärker und durchsichtiger gebildet, drückten jede Seelenbewegung aus, die ihr fester Wille zu verbergen strebte.

Die ganze Last ihres Schicksals fiel auf das Herz der armen Raffaela in Emma's Anschaun, ob sie gleich ihre Rechnung mit dem Glück und den Schmerzen des Lebens abgeschlossen wähnte.

Oft entstand in Emma's Nähe ein Krampf in der heißen sehnsuchtsvollen Brust, als entflöhe das Leben im Anblick des Wesens, welches ihr eignes höchstes Glück jetzt besaß. Oft auch fühlte sich Raffaela von einer leidenschaftlichen Anhänglichkeit, einer unaussprechlich zarten Neigung für Emma ergriffen; sie sah sie gleichsam durch Hohenbergs Liebe, als wie von einem heiligen Schein der Verklärung, umgeben. Seinen Hauch fühlte sie von dem Munde wehen, der die geliebten [501] Lippen berührt hatte, und mit wunderbar geheimnißreicher Verbindung, die nur die zärtesten Gemüther zu fassen vermögen, rührte sie das Glück ihres Geliebten in der holden Schönheit der edeln, blühenden Mädchengestalt.

Emma's Herz war in dieser gegenwärtigen Lage zu weich und wund, um diese wechselnden Zeichen der Liebe und des Zurückstoßens ruhig zu ertragen. Ihre Empfindlichkeit war gereitzt, wenn sie fühlte, daß sie ein anziehendes Gespräch zwischen Edmund und Raffaela durch ihr Hereinkommen unterbrach. Die Unkenntniß der Sprache war ihr empfindlich, sie zog sich aus dem Krankenzimmer oder aus dem kleinen Garten, wohin Edmund Raffaela führte, zurück, und sorgte nur mit ihrer unzerstörbaren Gutmüthigkeit durch ihre Leute für die genaueste liebevollste Wartung. Immer liebenswürdiger erschien Edmund der guten Emma in dem zarten Antheil, dem sorglichen herzlichen Benehmen gegen das leidende Mädchen! Eine hohe Natur, die sich mit milder Liebe den kleinen Bedürfnissen des Lebens hingiebt, um [502] Leiden zu vermindern, zieht uns als eine göttliche Erscheinung an.

Nie hatte Emma ihren Freund in einem so lebendigen und zarten Verhältniß mit einem andern Weibe gesehen, nie hatte sich das schöne Spiel männlich hoher Kraft und zarter Milde so vor ihrem Geist in lebendiger Thätigkeit entfaltet. Was sie selbst in jugendlicher Dämmerung bewußtlos genossen, wallte aus der Tiefe ihres Herzens als eine holde Reminiscenz wieder empor, die ein gewaltiges Verlangen entzündet.

Das tiefste Bedürfniß ihrer liebevollen Natur, alle starke Klänge, alle leise Beziehungen des Lebens erinnerten sie immerwährend an das Glück, welches sie verlieren sollte, und mit zerreißendem Schmerz gab sich ihr Herz endlich der klaren Empfindung hin, daß sie nur an Edmunds Seite ein glückliches Weib hätte werden können.

Von jedem innigen Verlangen ist eine Art von Eifersucht unzertrennlich, sie äußert sich in zarten Gemüthern nicht als Unzufriedenheit über [503] ein fremdes Glück, sondern nur als ein tiefer Schmerz über den Verlust des eignen.

Emma gewohnt, ihr Wesen immer wieder zur Harmonie der Vernunft zu erheben, machte sich selbst Vorwürfe über jede Regung dieser Art. Habe ich nicht meinen Freund zuerst verlassen? sagte sie sich. Müßte ich nicht vor allen andern wünschen, ihn in der Neigung eines guten weiblichen Geschöpfs, seinem isolirten Daseyn und der Hinsicht auf ein einsames Alter entrissen zu sehen? Dennoch gab es Momente, wo ihr der Gedanke an Edmunds Weib wie ein Gespenst erschien, welches ihr eignes Daseyn aus der lichten Welt der Freude und der Hoffnung hinweg drängte und in eine ängstliche Einöde verstieß.

Edmund erwartete das Resultat seines Briefes, während Emma die Nachricht empfieng, daß ihr Bräutigam auf dem Landgut seiner Schwester angekommen sey. Emma hatte bestimmt verlangt, daß Hohenberg sie nicht in ihrer Heimath aufsuchen sollte, aber sie mußte sich eilends losreißen, [504] eilends ihn aufsuchen, um seiner Ungeduld zuvor zu kommen.

Nur der Verwandten und einem vertrauten Bedienten hatte Emma ihre Abreise, die am nächsten Morgen in der Dämmerung erfolgen sollte, anvertraut, und unter mancherlei Vorwänden die strengste Geheimhaltung von ihnen gefordert. In einem kleinen Hinterhofe stand der bepackte Reisewagen, und im übrigen war jede Spur der Abreise aus dem gewöhnlich bewohnten Zimmer sorgsam vertilgt.

Unaufhaltsam schien das Schicksal Emmas Verbindung herbei zu führen, während Edmund sich lieblichen Hoffnungen überließ. Vereint mit der geheimnißvollen Macht, die über dem Leben der Sterblichen waltet und dem Unrecht steuert, wähnte er sich in seinem Wirken, aber sein zartfühlender Busen bebte vor dem Moment der Entscheidung. Je näher sein eignes Glück mit der Auflösung dieses Knotens verbunden war, jemehr wünschte er eine fremde Hand, um ihn zu lösen. Oft in allzuzarter Sorge rief er aus: Wer [505] weiß, ob Emma's Herz den Geliebten nicht mit so herbem Schmerz aufgeben wird, um den für ihren Feind zu halten, der ihr die Stimme dieser Nothwendigkeit zubringt!

Jeder dient dem Schicksal. Indem er einverstanden mit jener geheimen Macht selbst an dem Gewebe seines Lebens zu wirken wähnt, umspinnen ihn tausend Fäden und reißen ihn selbst nur als einen Faden ins ewige Gewebe der Begebenheiten mit fort. Unser Glück gehört der dunkeln unbekannten Macht, aber unser Friede erwächst mit unsern reinen Gesinnungen als eine unzerstörbare Blüthe unsrer eignen Brust.

Drohend schwebte das Unglück, das Unrecht mit allen seinen ängstlichen Verwirrungen jetzt über den Verhältnissen dieser guten wohlwollenden Menschen. Nur der Zufall oder die unsichtbare ewige Verkettung der Dinge, die uns zuweilen als ein mild wirkender Genius erscheint, wenn sich uns ein unverhofftes Glück darbietet, kann noch mit freundlich lösender Hand aus den Gewölken greifen und die Verwirrung enden,

[506] Der letzte Tag, den Emma frei und einsam auf dem Erbe ihrer Väter, dem frohen Schauplatz ihrer Kinderjahre, zubrachte, führte sie in der tiefsten Wehmuth zur Betrachtung, zum Rückblick in sich selbst. Die engen Wünsche nach eignem Genuß schwiegen, nur das Glück geliebter Wesen bedachte sie mit Sorge, und ihr lieberolles Herz erflehte es mit heißem Verlangen vom ewigen Geiste der Natur. Zum erstenmal vermochte sie mit Ruhe zu bedenken, daß Edmund in Raffaele'n eine Entschädigung für ihren Verlust finden könnte. Sie erwog Raffaela's liebenswürdige Eigenschaften mit Wahrheit, zweifelte nicht, daß sie von einer unglücklichen Leidenschaft genesen würde. Edmunds Neigung für den anmuthigen Fremdling dünkte ihr entschieden. Hoffnung und Furcht, beide erschaffen Trugbilder in unsrer Fantasie, die den hellen Gesichtskreis verwirren.

»Raffaelen gab die Natur die Macht, ihre Gefühle stark und heftig auszudrücken, mir gab sie nur ein tiefes stilles Gefühl. Auch Edmund ist verschlossen, nur die auflodernde Glut der Liebe [507] kann die Bande des Gleichmuths vielleicht von seinem Herzen lösen – Warum waren meine Lippen zur Unzeit geschlossen, warum hielt es mich immer in entscheidenden Momenten gleich wie mit Geisterhänden zurück, wenn mein ganzes Wesen strebte, sich ihm zu nähern! Ach es ist vorbei mit meinem Leben, mit meinem Glück! Möchte das seine nur noch gerettet werden!«

Im Fortgang dieses Monologs entwarf Emma den Brief an Edmund, welchen er den Tag nach ihrer Abreise erhalten sollte. Sie selbst wollte ihm die Verbindung mit Raffaela vorschlagen. Es war ein holder Wahn, der sie tröstete, eine jener zarten Täuschungen der Neigung, daß ihr Andenken ihm selbst in einer neuen Verbindung folgen sollte, indem er sie als Theilnehmerin an der Schöpfung seiner neuen Verhältnisse ansehen müsse.

Mit welch ängstlichem Schlagen des Busens erwartete Emma die Abendstunde, in der Edmund gewöhnlich zu kommen pflegte. – Es war der [508] letzte Abend, der ihr im reinen Gefühl seiner Gegenwart verfließen sollte.

Raffaela hatte einen guten Tag gehabt, sie hatte sich durch den Garten nach dem nahen Wäldchen von ihrer Wärterin führen lassen. Emma fand einen eignen schmerzlichen Genuß darin, noch einmal, ungestört durch eine dritte Gestalt, die beseeligende Nähe ihres Freundes zu genießen, den Zauber seiner Stimme zu vernehmen – tausend schöne Bilder für die öde Zukunft zu sammeln – Ach, nur zu bald wird sich ja Raffaela allein im Besitz meines verlornen Glückes fühlen! seufzte sie still. Die Tage ihrer Kindheit, ihrer verblühenden Jugend traten mit zauberischer Gegenwart vor ihre Erinnerung – sie fragte sich selbst, wo die alte Zeit hingekommen und mit ihr die herzlichste Offenheit, das zarte Glück mit Edmund – Sie entsann sich wie er ihre Hand in der seinen hielt, um ihr die ersten Züge der Bleifeder zu lehren, wie er ihre Finger auf den Tasten des Claviers auf- und abführte, wie er sie nach einem wohlgefaßten [509] Unterricht, nach einer gelungenen Aufgabe oft sanft in seine Arme geschlossen, wie ihre Wangen an den seinen geglüht – wie sie selbst bei so manchen kleinen Leiden der Kindheit, bei Zwistigkeiten mit der Mutter oder den Gespielen, an seine Brust geflüchtet, da geweint und Trost gefunden hatte – und wie löste sich das alles in kalte Abgemessenheit, in unbefriedigtes Sehnen auf? – Ihr mädchenhaftes dämmerndes Gefühl erkannte nicht, daß die Gewalt ihrer eignen Wünsche dem Geliebten noch mehr, ihm alles zu seyn – zuerst, gleich der unglücklichen Frucht des Paradieses, Verwirrung und Scham statt der fröhlichen heitern Unschuld in ihrem Gemüth erzeugte und in ihrem äußern Verhältniß Zurückhaltung.

Diese Epoche des Wechsels in ihr blieb in magischer Dämmerung, und jezt im tiefen Schmerz des nahen Verlustes suchte sie vergebens, sie zu erhellen.

Alle kleine Geschenke Edmunds verwahrte sie [510] mit besondrer Heiligkeit, in einem entlegnen Kabinet. Sie beschäftigte sich eben, alles wohl in einem besondern Kästchen zu packen. Bei jedem Tritt eines Kommenden schlug ihr Herz in angstvoller Bewegung – bei jedem Eröffnen der Thür im Vorzimmer erblaßte sie und eilte mit glühender Röthe, mit feuchten Augen dem letzten Anschaun des Geliebten bebend entgegen. Aber mit welchem Schrecken vernahm sie seine Stimme, gerade an dem Platze, von welchem sie ihn mit den ernstlichsten Vorkehrungen zu entfernen gesucht! Er stand dicht unter dem Fenster ihres Kabinets in dem kleinen Hofe neben dem bepackten Reisewagen.

Edmund hatte im Kommen die nächste Thür geöffnet, um Emmas kleinen Bologueser vor einem wüthenden Hund zu retten, der den Weg hinab lief. Er fand den Jäger am Wagen beschäftigt, er rief ihm zu, sogleich mit der Flinte den tollen Hund zu verfolgen – Was machst du hier, wer will wegreisen? fragte Edmund.

[511] Das Fräulein will diese Nacht wegreisen, sagte der alte treue Diener halb leise.

Und wohin? fragte Edmund heftig.

Der Bräutigam ist angekommen, übermorgen wird die Hochzeit – aber verrathen Sie mich nicht, denn sie hat uns befohlen, ihre Abreise vor Jedermann geheim zu halten.

Emma warf sich athemlos in einen Sessel, ein dichter Nebel wölkte sich vor ihren Augen, aber sie mußte ins Nebenzimmer wanken, denn schon hörte sie Edmunds Tritt auf dem Vorsaale.

Ein schneidender Schmerz hatte Edmunds männliche Brust durchzuckt. Es galt nicht nur um sein Glück, es galt auch um ihres. – Sollte ein Unwerther, der eine zarte reine Liebe bis zum Tod gekränkt, die Gelübde des reinsten Herzens empfangen? Edmund war entschlossen, dieses zu verhindern. Der Gedanke des möglichen so nahen Verlustes erschütterte ihn tief. Ein rührender Schmerz war über seine edeln Züge verbreitet, sein Auge glänzte, als er Emma begrüßte – er faßte ihre Hand, drückte sie an seinen[512] Busen und sagte mit milder Stimme: Warum wollten Sie mich so verlassen?

Ermattet vom langen Kampf der Zurückhaltung, von seiner Liebe, seiner Unruhe mächtig ergriffen, ergab sich Emma dem Drang ihres Busens, frei und offen vor dem Geliebten ihr innerstes Leben auszuathmen. Ihr Haupt sank auf seinen Arm, an seine Brust, und mit einem Blick der reinsten Hingebung der Liebe sprach sie leise: Weil ich fürchtete, den Abschied von Ihnen nicht ertragen zu können. Möchtest du immer um mich bleiben, meine Emma! sprach Edmund zitternd. Es wäre mein höchstes Glück gewesen! flüsterte sie an seiner Brust.

Ergriffen von der heiligen Fluth des allbesiegenden Lebens, die zwei liebewallende lang getrennte Herzen endlich mächtig faßt, und aller Stürme des Schicksals, der Welt und ihres eigenen Busens ohngeachtet auf die glücklichen Inseln bringt, wo Freiheit und ewiger Frühling wohnt, fühlten sich die Liebenden.

O! rief Emma im zartesten und höchsten Gefühl [513] der Leidenschaft aufgelöst an seinem Busen – O nimm mein Leben von mir in diesen heiligen Momenten des Glücks, wo ich dein Herz an dem meinen fühle. – Kann ichs nun noch ertragen, dich zu verlieren?

Das sollst du nie, geliebtes Mädchen – Nie – Deine Bande sind noch zu lösen, müssen gelöst werden. – Aber würde dich Raffaela nicht glücklicher machen? – Raffaela? fragte Edmund verwundert. – O Edmund, denke nur an dein Glück, nur um deines Glückes willen kann ichs ertragen, dich zu verlieren, nur wenn ich deinen Verlust als eine Nothwendigkeit, als deinen Willen ansehe, kann ich ihn überleben! Ich wollte dir in dieser Nacht schreiben, dich selbst mit Raffaela verbinden –

Von dem allen ist keine Rede, geliebtes Mädchen. – Was soll das heißen? Nie wird ein andres Weib an meinem Herzen ruhen, dein lebendiges Bild darin muß jede verscheuchen – Dein Andenken würde mir immer lieber und lebendiger seyn, als die Gegenwart jeder andern. –

[514] Nun so nimm, so leite denn auch du mein ganzes Leben, sprach sie mit der süßesten Hingebung; was du thust, muß recht, muß edel seyn. – Kann ich jetzt einem Andern angehören, Gelübde der Treue ablegen, die mein Herz nicht zu halten vermag? – Sprich du selbst aus – Muß ich selbst unglücklich seyn, so laß michs als den Ausspruch des Schicksals ansehen, das mir von dir kommt.

Holder Engel! Deine Güte soll dich nie reuen! sagte Edmund unter süßen Thränen. Großmüthig nennst du es dein Glück, für mich zu leben! Nun so überlaß mirs, alle äußere Fäden zu lenken, und freue dich in deinem liebenden Herzen, daß du deinem Freund eine Zukunft schenkst, die er nicht mehr zu hoffen wagte. Laß mich mit Hohenberg sprechen, bevor du ihn wieder siehst. – Mein theurer Edmund! Nicht ohne die schmerzlichste Unruhe kann ich das. – Besorge nichts, Hohenbergs Liebe zu dir, seine Hoffnung auf dich, machen mir ihn werth, ich werde sein Glück bedenken wie das unsre. Vertraue [515] mir, Liebe! – O wem sollte ichs je inniger als dir! Von Jugend an warst du meine belebende Gottheit.

Unbeschränktes Vertrauen, heiligste Blüthe der Liebe! nur in hohen Gemüthern gehst du aus der erhöhteren Stimmung des sinnlichen Wesens hervor. Tausende wähnen zu lieben ohne dich zu kennen, und wagen die dumpfe Beschränktheit ihres einseitigen Genusses dennoch Liebe zu nennen. Die schönste, reichste, kräftigste Menschheit vermag nur in einem andern Wesen so zu zerfließen, um es ganz eins mit sich zu machen, es mit Klarheit zu durchschauen, in seinem Herzen das Leben zweifach in Lust und Schmerz zu fühlen, seine Geistigkeit wie die eigne zu erkennen, sich ihr verbindend durch sie zu wirken, gegen die andringenden wilden Fluten des Lebens.

Edmund hielt das theure Wesen, das ihn wie ein reiner Strahl des Himmels entzückte, an seiner Brust. Ein neues Leben hatte sich den Liebenden aufgeschlossen, sie suchten es an ihre Vergangenheit [516] zu knüpfen, und ihre eigene Existenz ging in flüchtigen aber lebenvollen Bildern ihrer Vorstellung vorüber. Jedes strebte sein innigstes Leben mit seiner Vergangenheit in die Brust des andern überzutragen, aber unter süßen Thränen konnten sie nur Seufzer der Liebe aushauchen, nur einer entflohenen Empfindung irgend einer bedeutenden Situation flüchtigen Umriß darstellen. – Du liebtest mich so, meine Emma! sprach Edmund leise – und wie konntest du denken, mich mit Raffaelen zu verbinden? – Ich weiß es nicht, Bester, nur weiß ich, wie es mir das Herz zerriß, und eben deswegen wollte ich es als das Schwerste für dich thun – halb in seinen Busen verborgen fuhr sie fort: Ach als du Raffaelen in einer ihrer Anfälle in deinen Armen durchs Zimmer trugst, als ihr Kopf an deiner Brust ruhte, da goß sich ein kalter Todesschauer um mein Herz. – Das Leben war mir entflohn und nichts werth, wenn ich ein andres Weib in deinen Armen sah. – Sprach nicht dieses Gefühl das tiefste Bedürfniß meiner Natur [517] aus, dir und nur dir anzugehören? Ein Mißfallen an fremdem Glück lag doch sonst nie in meinem Wesen – aber es war mir, als vertilgte man mich aus dem Leben, wenn man deine Liebe einer Andern gab. – Ach und mein eignes Benehmen, mein Irrthum, mein Leichtsinn. – Hast du je etwas ähnliches empfunden, als ich in jenem Augenblicke – o so verzeih mir! – Laß ein ganzes Leben voll Liebe den Irrthum vergangner Tage überglänzen, sprach Edmund mit inniger Zärtlichkeit unter herzlichen Küssen.

Wie schmerzlich war die Unterbrechung dieses seeligen Zustandes! Der Bediente stürzte zur Thüre herein, als sey er gewiß, eine unerwartete freudige Nachricht zu bringen, rief er aus: So eben kommt Herr von Hohenberg, schon steigt er vom Pferde, sogleich wird er hier seyn!

Die schmerzlichste Verwirrung lähmte für einen Augenblick alle andern Gefühle in Emma's Busen, sie sah nur den gekränkten getäuschten Freund in Hohenberg, sie bebte wie eine leichtsinnige [518] Schuldige vor seinem Anschaun. Die Sorge um Hohenbergs und Edmunds Zusammentreffen füllte bald nach der ersten Betäubung allein ihre Brust. Verlaß mich, mein Edmund, rief sie. Nur aus meinem Munde soll Hohenberg unsere veränderte Lage vernehmen; frei werde ich ihm die Täuschung bekennen, in der ich bis jetzt über meine Gefühle lebte, und meine Freiheit zurück begehren. – Verzeih mir, sagte Edmund mit sanftem Ernst, ich kann diese Bitte nicht erfüllen, aus Gründen, die du selbst einst billigen wirst – laß mich Hohenberg entgegen gehen. – Bei allem Vertrauen, welches du deinem glücklichen Edmund fürs Leben schenken willst, bitte ich dich, Liebe, halte mich nicht zurück. – Emma vermochte nicht, dem Ernst seiner Bitte zu widerstehen, ihre ihn umschlingenden Arme sanken, Edmund eilte zur Thür, die sich eben öffnete. Hohenberg und Edmund standen dicht vor einander und maßen sich mit großen Augen. Emma wollte aufstehen, sich ihnen nähern, sprechen, aber die Unruhe, die Verwirrung [519] ergriff sie zu mächtig; Finsterniß umhüllte ihr Auge, ihre Kniee sanken zusammen, ihr ganzer Leib zitterte und sprachlos fiel sie auf einen Sessel nieder, den sie in der Angst ergriffen. Edmund faßte sie in seine Arme, Hohenberg sank zu ihren Füßen – was ist Ihnen, theure Emma? rief er bestürzt.

Ein gleiches Interesse vereinigte Edmund und Hohenberg im ersten Augenblick ihrer Bekanntschaft, wo alle andere Verhältnisse darnach standen, sie für immer in bitterm Haß zu trennen. Die Sorge um das geliebte Mädchen bewegte Beide zu heftig und erschöpfte für den Augenblick ihre Seelenfähigkeiten; aber selbst in dieser Sorge mußten sich ihre Gemüther anstoßen, je inniger sie sich begegneten, und ihr tiefstes und zartestes Empfinden mußte bald zur Sprache kommen.

Nicht ohne einigen Widerwillen sah Edmund, daß Hohenberg sich gegen Emma mit der vertraulichen Zärtlichkeit eines Bräutigams benahm. Er entriß ihm des geliebten Mädchens leblose [520] Hand, die er so eben gefaßt, und fragte ernst: Haben Sie keinen Brief erhalten, nach dem Sie fühlen sollten, daß Ihre Verhältnisse hier eine andre Richtung annehmen müssen?

Nein, sagte Hohenberg, und richtete einen schmerzlich fragenden Blick auf Edmund. – Nun so lassen Sie unter uns eine Erklärung statt finden, ehe Sie Emma in dem Sinn Ihres ehemaligen Verhältnisses begrüßen.

Das war auch mein Wunsch, sagte Hohenberg mit Milde. Muß ich Unglücklicher denn allem, was ich liebe, nur Kummer und Schrecken bringen; rief er so dann schmerzlich aus, indem er sein glühendes Gesicht, seine hervordringenden Thränen in Emma's Gewand verbarg. Jeder wahre Ausdruck des Herzens klang rein in Edmunds reiner Brust wieder. Mit milder Theilnahme schaute er bald auf den, der ihm kurz zuvor als ein Gegenstand des Unmuths und der Verachtung erschienen war.

Emmas Leute waren mit Hülfsmitteln herbeigekommen. Als Emma ins Leben zurückkehrte, [521] ihre Blicke sich zur Besonnenheit erhellten, fielen sie mit unruhiger Zärtlichkeit auf Edmund – Mein Edmund, habe ich dir Unruhe gemacht! sagte sie sanft. Nun erst bemerkte sie Hohenberg, der zu ihren Füßen lag und ängstlich nach ihr aufblickte. Mit einem Seufzer verbarg sie ihr Gesicht an Edmunds Arm; dann wendete sie sich gegen Hohenberg und sagte: Ich verdiene diese Güte nicht mehr, aber wenn Sie mein ganzes Herz kennen lernen, werden Sie mir verzeihen; ich täuschte mich selbst, nie wollte ich Sie täuschen. Hohenberg schien verwundert, aber mehr sanft als schmerzlich bewegt. Edmund sagte: Ruhig, meine theure Emma, – ein Herz, das Ihre Liebe durchdrang, gehört allen milden Empfindungen an, Ihr Glück wird über uns entscheiden. – Jetzt lassen wir Ihnen einige Momente der einsamen Erholung. Edmund und Hohenberg verließen das Zimmer; als sie im Garten waren, sagte Hohenberg:

Auch hier haben sich die Verhältnisse geändert, wie ich sehe? Ja, seit wenigen Stunden, [522] erwiederte Edmund, im Moment der Trennung haben wir erst ganz die Macht gegenseitiger Neigung empfunden, und daß unsre Herzen so in einander verwachsen sind, um immer vereint bleiben zu müssen, wenn sie nicht brechen sollen. Das Mißtrauen in mich selbst, ob ich auch das dauernde Lebensglück meiner Emma zu machen vermöchte, ob nicht ein jüngerer liebenswürdigerer Mann ihr Herz reiner beglücken würde – dieses mußte freilich schweigen, indem ich auf diesem jungen Mann eine Schuld der Untreue und des Leichtsinnes haften sah, die mir Besorgnisse für die Zukunft des geliebten Mädchens einflößen mußte. Ich scheute mich nicht mehr, die zarte Sprache ihres Herzens durch den Ausdruck meiner Leidenschaft zur Liebe zu erhöhen.

Und Emma weiß noch nicht, welch unvertilgbare Schuld eines frühern leichtsinnigen Benehmens mich ihrer unwerth macht? »Nur von Ihnen selbst mußte sie diese vernehmen.« – Und Sie lieben sie? Glauben Sie, daß ich den Werth dieses Betragens fühle. – Beim ersten Blick [523] flößte mir Ihr edles Ansehen Vertrauen ein, und ich entschloß mich, Raffaela's Wünschen gemäß, unsre ganze Lage in Ihre Hände zu legen. –

Auch ich habe sie so eben gesehen – in welchem Zustand mußte ich das blühende Mädchen wieder finden, das mein elender Leichtsinn ans Grab gebracht! Welchem Zufall – nein, der Hand der ewigen Güte selbst verdanke ichs, daß ich sie fand, da es noch in meiner Gewalt ist, dem Unrecht zu entgehen, ihre Verzeihung zu erhalten. Die Ungeduld, Emma wieder zu sehen, riß mich hin, ohngeachtet ihres strengen Verbots, sie aufzusuchen. Unkundig des Wegs hatte ich mich im Walde verirrt, am Eingang einer kleinen Kapelle sah ich ein Weib stehen, ich ritt hinzu, um Erkundigung einzuziehen. Während sie meine Fragen beantwortete, sah ich noch eine andere feine weibliche Gestalt in der Kapelle. – Sie kniete andachtsvoll, ihr Augesicht auf das Muttergottesbild gerichtet. Ich kann keine fremde Weibergestalt sehen, ohne daß meine Neugier gereizt wird. Ich trat hinzu und erkannte meine [524] Raffaela, die einst so heiß Geliebte. Wie vor der Erscheinung eines überirdischen Wesens erbebte mein Innres, ich stand erstarrt, vernichtet, aber ein Strahl ihres Auges fiel auf mich, und alle heiße Liebe, die ich je für sie gefühlt, flammte in meiner Brust – sie fiel leblos in meine Arme. – Bald kehrte sie zum Leben an meiner Brust zurück, und ich fühle, daß ihr liebendes Herz mein war, wie in den ersten Tagen unsrer Liebe.

Nach dem ersten seeligen Selbstvergessen entriß sie sich meinen Armen und erzählte mir mit wenig Worten ihre Geschichte. Sie selbst gebot mir Schweigen gegen Emma, sie wollte der Retterin ihres Lebens den Geliebten, wie sie wähnte, nicht rauben; ich sollte mein Versprechen vollziehen. – Sie konnte es verlangen! und ich sollte sie zum Grabe wanken sehen. – In wenigen Tagen werde ich mich deines Glückes rein als ein abgeschiedner Geist erfreuen, sagte das edle Geschöpf – O Wallendorf, Sie trauen mir zu, daß ich mein [525] ganzes Leben hingeben müsse, um das ihre nur noch auf eine Stunde beglücken zu können!

Hohenbergs Schmerz war so wahr, daß Edmund ihn mit herzlicher Theilnahme auffaßte, mit milder klarer Weisheit entwickelte er jetzt Verhältnisse und Pflichten, und sein eignes Glück in Emmas Liebe wurde noch erhöht, indem er es als die schöne reine Auflösung des Knotens ansehen konnte. Raffaela mußte den wiederkehrenden Geliebten mit edlem freiem Herzen wieder aufnehmen, denn ihr Glück war kein Raub an der Dankbarkeit und Freundschaft.

Edmund eilte seine Emma zu beruhigen, und ihrem schönen Gemüth, das nur in der allgemeinen Zufriedenheit die eigne ganz und ungetrübt finden konnte, das reinste Glück zu verkündigen.

Die Freude hatte alles Uebel verscheucht, sie wollte mit Edmund und Hohenberg Raffaelen entgegen gehen, welche, um allen Erklärungen auszuweichen, das Haus erst am späten Abend wieder betreten wollte. Mit dem heitersten anmuthigsten [526] Lächeln empfieng sie Hohenberg, mit zarter Schonung sagte sie: Ein guter Geist lenkte unsere Verirrung zum Segen. O möge das Glück unserer Geliebten künftig nie mehr durch uns getrübt werden.

Ich fühle ganz, wie viel ich verliere, sagte Hohenberg, aber ein unendlich Verdienstvollerer gewinnt. Nicht eigennützig kann ich mich zum Kreis Ihres Glückes drängen, denn als wohlthätige Genien über mir muß ich Sie Beide verehren, da Sie das theure Mädchen erhielten, und die Schuld ihres Untergangs von meinem Haupte abwendeten.

Hohenberg war ein sehr lebhafter aber nur sinnlich empfindender Mensch. Die Gegenwart war seine allbeherrschende Göttin, und die schöne Kraft, einen Eindruck so rein und stark zu bewahren, daß er im Herzen als ein lebendiges Gefühl die Macht des eindringenden sinnlichen zu überwiegen vermöchte, war ihm von der Natur versagt. Sein wohlwollendes Herz litt über die Folgen, die sein rasches sinnliches Begehren oft verwirrend [527] und ängstigend um sein Leben häufte, aber der Zug der Natur war zu mächtig in ihm und die Reflexion zu schwach. So konnte er nach der reinsten Neigung Raffaelen verlassen; eine neue Verbindung hatte ihn hingerissen, sein eigen flüchtiges Gefühl machte ihn unfähig, ihren Schmerz zu ahnen. Seine Redlichkeit föderte, daß er ihr Schicksal nicht durch vergebliche Hoffnung zerstörte, mit seiner Er klärung meinte er alles gethan zu haben. Zu seiner Entschuldigung dient, daß nur einer von Raffaela's Briefen ihm zugekommen war, da ihre Mutter die andern heimlich zurückbehalten hatte. Er hätte dem Schmerz des guten Mädchens nicht widerstanden, hätte er ihn mit aller Gewalt der sinnlichen Wahrheit vor sich gesehen, aber ihr Andenken vermochte er von sich zu weisen, wie einen matten Traum, der ihn mit irgend einer schmerzlichen Vorstellung geängstigt.

Emma's Reize hatten Hohenberg entzückt. Seine Verhältnisse drangen ihn, eine ernste Lebensaussicht zu suchen, und er wähnte, in einer [528] Verbindung fürs Leben den Wankelmuth der Gefühle zu besiegen. Emma's Kälte verlieh seiner Neigung eine ungewöhnliche Dauer, nur in sehr starken und edeln Gemüthern nährt die Liebe sich hinwiederum aus der Liebe.

Obgleich Hohenberg einem edeln Betragen und der Reinheit seiner Verhältnisse nie ein Opfer zu bringen vermochte, so war sein Gemüth doch gut geartet, um sich ihrer tief und innig als der schönsten Gabe des Geschicks zu erfreuen. Mit hochschlagendem Herzen gieng er dem lieben Mädchen entgegen, der er ein neues Leben zu bringen hoffte, und schön und verklärt vom Gefühl ihres Glückes leuchteten seine Züge.

Edmund und Emma sahen die ganze Natur in höherem zaubervollem Licht. Die ganze Gegend war ihnen durch stilles Sehnen und Trauren geheiligt, und jetzt glänzten ihnen von jedem Gebüsch die Frühlingsblüthen der Hoffnung und Freude für ein neues Leben.

Von fern sahen sie schon, daß Raffaela noch im frommen Gebet in der Kapelle kniete. Verklärt [529] von der Ahnung des Ueberirdischen, wendete sich ihr Antlitz nach den drei lieben bekannten Gestalten, die ihr gleich Engeln des Friedens erschienen. Edmund erklärte ihr die schöne Auflösung aller Verhältnisse, Emma schloß sie in ihre Arme. Ihre Herzen, die sich gegenseitig das höchste, was sie besaßen, ihre zarteste einzige Liebe aufopfern wollten, verbanden sich zur heiligsten Freundschaft.

Hohenberg lag zu Raffaela's Füßen. – Kannst du verzeihen, rief er unter herzlichen Thränen, kannst du verzeihen, o so nimm mein Herz, mein Leben.

Noch kann ich die freudige Lebenshoffnung nicht wieder fassen, sagte sie an seiner Brust, noch ist mirs, als gehört ich dem Tode an – aber mächtig streben meine Wünsche nach dem Leben – für dich.

Edmund versprach Vaterstelle an Raffaela zu vertreten, bis er die glückliche Wiedervereinigung mit ihrer Familie bewirkt.

Ja du bist uns wahrhaftig ein Ort des Segens [530] geworden, rief Edmund, in dem sie die Kapelle verließen, und Raffaela's fromme Erscheinung, wenn sie auch nicht vom Himmel kam, führte uns wenigstens alle zu einem Himmel des Glücks.

[531]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Wolzogen, Caroline von. Erzählungen. Erzählungen. Erster Band. Edmund und Emma. Edmund und Emma. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AACA-4