Die Heilung der Natur

[101] [103]Die Hoffnung auf Genesung, die heitern Sommertage, die anmuthige Gegend und Vergnügungen aller Art versammelten in dem Bade zu *** eine zahlreiche Gesellschaft. Eitelkeit, Leerheit, Gefallsucht, knüpften manches leichtsinnige, – Geschmack, Geist und Güte manches zarte Band. Die Gesellschaft theilte sich auf diese Weise in verschiedene Gruppen ab.

Nur zwei ernste Gestalten gingen einsam unter den Frohgeselligen einher, und widerstanden aller Anziehungskraft, die man über sie auszuüben strebte. Da Jeder mit seinem Theil zufrieden war, gab man sie endlich auf, und begnügte sich damit, sie in müßigen Augenblicken mit kleinen Neckereien zu verfolgen.

[103] Ein gleicher Gemüthszustand und das Aufgeben der Gesellschaft knüpften die erste Verbindung unter ihnen, die die Gewohnheit bald befestigte. Ihre Gespräche umfaßten Wissenschaft, Politik des Tages, Kunstansichten; sie begegneten sich in ihren Urtheilen und Grundsätzen, und fingen an sich immer vollkommener zu verstehen.

Jeder bemerkte an dem Andern eine gewisse Sonderbarkeit. Sobald das Gespräch auf die Frauen und zärtliche Neigung fiel, erfolgte eine ernste Stille, und gewöhnlich schied man auseinander, ohne sich wieder erheitert zu haben. »Ich ahne, sagte Lothar, welcher der Jüngste unter den Beiden war, eines Abends zu Arthur, ja es ist mir beinahe gewiß, daß das Schicksal uns auf gleiche Weise in einem Punct behandelt habe. Wir haben von Liebe geträumt, und unsanft hat uns das Geschick aus den süßen Träumen erweckt. Verführerische Syrenen, euer Zaubergesang soll mich nimmermehr wieder besiegen. Ihr lockt uns in die dunkle Kluft des [104] Wahnsinnes hinab, wo Verirrung auf Verirrung folgt, bis wir uns selbst im zerstörenden Schmerz und Sehnen nicht mehr erkennen.«

»O! ich muß Sie noch glücklich nennen, erwiederte Arthur, daß Sie die Ursache Ihres Unmuths außer sich suchen dürfen. Ich hingegen muß immer in mich selbst zurückschauen! – Eigene Schuld hält mein Gemüth gebunden, alle fröhlichen Lebenseindrücke muß ich von mir weisen. Ja, mein einziger Trost ist, meinen innern Unfrieden als eine Stufe zur Versöhnung mit dem Schicksale oder vielmehr mit meinem bessern Selbst anzusehen.«

»Wir wollen uns den gegenseitigen Trost des vollkommenen Vertrauens gewähren! rief Lothar. Oft gewinnen die traurigsten Begebenheiten ein milderes Licht in unsrer Seele, wenn wir sie in Bildern und Worten von dem dunklen Grund des stummen einförmigen Schmerzens losreißen. Hier ist's zu geräuschvoll; lassen Sie uns morgen nach dem Garten des Baron Linden fahren, und den Tag in ungestörter [105] Einsamkeit dort zubringen. Schon oft hörte ich davon, und gedachte ihn zu sehen. Er soll die unsinnigen Anlagen seines verstorbenen Vaters auf eine schöne Weise wieder mit dem Eigenthümlichen der Gegend zu verbinden suchen, und Geschmack und Gemüthlichkeit soll allmählig das phantastisch-tolle Wesen verdrängen.« Am nächsten Morgen stiegen sie in den Wagen, und saßen während des Weges schweigend neben einander. Jeder dachte nach, wie er seine Geschichte am besten stellen könne, um die Theilnahme des Freundes zu erregen. Wahr wollten Beide seyn, aber die Liebe wirft immer den zauberischen Schimmer der Poesie um Gefühle und Begebenheiten, da sie selbst die Poesie des Herzens ist, der prometheische Funken des Lebens, der Vergangenheit und Zukunft durch Erinnerung und Hoffnung im Menschen verknüpft.

Eine wunderbare Felsen-Gegend, die ihnen gleichsam den Weg zu versperren schien, erregte ihre Aufmerksamkeit. Durch eine dieser Schluchten erblickten sie den Park, welchen eine [106] ernste Trümmer der Vorzeit krönte, aber auch nachgemachte Ruinen, die man abzutragen beschäftigt war. Sie nahmen den ersten besten Ruheplatz ein, wo ihre Diener das Frühstück aufgetragen hatten. Eine elende Theaterdecoration verband zwei ernste Felsen durch eine auf Leinwand gemahlte Aussicht.

Die Strahlen der Morgen-Sonne erleuchteten die Felsenmassen gegenüber aufs herrlichste, und nach einigen Scherzen über den Ungeschmack, der kleinliche Verzierungen neben die großen dauernden Natur-Gestalten gedrängt hatte, sagte Lothar: »Fangen Sie an, mein Freund; wenn ein theilnehmendes Herz Anspruch auf Ihr Vertrauen gewähren kann, so fühle ich mich dessen nicht unwerth.« Arthur begann also: Der Entschluß, Ihnen die Geschichte meiner Leiden und Verirrungen zu erzählen, regt alle Töne des Schmerzens in meiner Brust auf; aber ich sehe es als eine Art Versöhnung der Nemesis an, diese Schmerzen wieder in mir lebendig werden zu lassen. Wie durch [107] die Weltgeschichte, schreitet die ernste strenge Göttin auch durch jedes einzelne Menschenleben. Selbsterkenntniß und Uebung der Liebe sind die einzigen Sühnopfer, die ihre Strenge zu wenden vermögen. Aber kein Strahl der Hoffnung auf Liebesglück fällt in mein verödetes Herz. Ich habe verlassen die reine treue Liebe, und werde nun wieder verlassen! Kein liebendes Gefühl begegnet dem heißen Sehnen meiner Brust, und die fruchtbeladenen Zweige entfernen sich ewig von den lechzenden Lippen. – Nun an das Historische. Im zwei und zwanzigsten Jahre kehrte ich von der Hohen Schule nach meiner Vaterstadt zurück. Ich war der einzige Sohn, in dessen Ausbildung und Lebensglück ein liebender Vater die Früchte eines langen anhaltenden Fleißes niederlegen und selbst erst recht genießen wollte. Meine Studien waren auf Länderkenntniß und Oekonomie vorzüglich gerichtet, und die Rechtsgelehrsamkeit, die mir zur Einsicht unserer eigenen Verhältnisse, so wie zu einem öffentlichen Amte in der damaligen Reichstadt verhelfen [108] sollte, schloß sich an. Freudig griff ich nach des Vaters Willen in die Leitung unsrer Geschäfte ein. Seine Sorgfalt für meine Zukunft mahnte mich an die Pflicht, seine Gegenwart zu erleichtern und zu erheitern. Im lebendigen Gefühle des Dankes für elterliche Liebe überwand ich die kleinen Mühseeligkeiten und meine mehr nach Wissenschaft und Kunst strebenden Neigungen. Doch fanden auch diese Raum in einem reichlichen harmonischen Daseyn, im Gebrauch einer schönen Büchersammlung und in dem Umgang mit gleichgesinnten Freunden. In meines Vaters Hause stand eine Reihe freundlicher Zimmer leer, und in einem anmuthigen Garten vor der Stadt war ein Nebengebäude geschmackvoll für eine neue Wirthschaft eingerichtet. Die Mutter zeigte mir diese Räume mit liebevoller Geschäftigkeit, und sagte endlich: »Lieber Sohn, schmücke dieses Alles nun selbst mit der besten Zierde des Hauses, mit einer schönen und guten Frau!« Mehrere flüchtige Neigungen hatten an meinem Herzen hingestreift. [109] Ein Ideal weiblicher Liebenswürdigket wohnte in demselben, und verdrängte die Gestalten, die es in überschäumender Jugend und Lebensfülle ergriffen hatte. Ein Kranz blühender Jungfrauen schmückte die geselligen Versammlungen in meiner Vaterstadt; aber keine dieser holden Blumen lockte mich, sie an meinen Busen zu heften. Die Mutter wagte nur leise Deutungen über den Reiz, die Sitte einiger derselben, der Vater über die günstigen äußeren Verhältnisse; – im zarten Sinn elterlicher Liebe wollten sie eine freie Wahl durch keinen geäußerten Wunsch beschränken.

So blieb ich frei und ungebunden im Kreis des geselligen Lebens, sorglos heiter in Jugendspielen, im Tanz. Mein Herz erwartete einen ernstern Ruf. In einem der anmuthigen Wälder hatte ich den Abend mit Lesen meines Lieblings-Dichters zugebracht. Durch die hohen Laubgewölbe blickte der lichte, blaue Himmel, die laue Luft spielte in den Zweigen, und weich und hingegeben dem eigenen Zauber [110] der südlichen Natur regte sich ein leises Sehnen in meiner Brust, mich einem guten menschlichen Wesen ganz hinzugeben: Der Abend brach herein, ich hatte mich verspätet, schon ging der Vollmond über dem Wäldchen auf, und in silbernen Funken auf seinen Wellen wogte mir der Strom entgegen. Ich sah mich in der Nähe der Stadt nach einem Nachen um zur Ueberfahrt, die meinen Weg abkürzte, und ein schon bestelltes Schiffchen erwartete seine Gesellschaft. Mehrere meiner Bekannten kamen das Ufer entlang mit einigen Frauen. Ich bat um Aufnahme, und nachdem wir die Frauen an die besten Plätze gebracht hatten, kamen noch zwei zierliche weißgekleidete Mädchen aus dem Gebüsch, die sich von der Gesellschaft entfernt hatten. Ich half der einen ins Schiff, die leicht über den Steg hinhüpfte. Als ich der zweiten die Hand bot, und eine länglich schöne Hand sich in die meine legte, und zwei große himmelblaue Augen auf mich ihre Strahlen schossen, und der Mondesglanz [111] die schlanke weiße Gestalt umzitterte; fühlte ich ein Beben des Herzens, das mich nicht wieder verlassen wollte. Ich nahm meinen Platz neben ihr, und als sie ihre Hand zurückzog, fühlte ich einen beklemmenden Schmerz. Rosa, sagte eine sanfte Stimme unter den ältern Frauen, wo bleibt ihr so lange? Wir saßen unter den hohen Buchen, liebe Mutter, und als wir die Gesellschaft heran nahen hörten, eilten wir hieher! Es ist kühl auf dem Wasser, nimm dies Tuch noch um, sagte die sorgliche Mutter. Ich half es umlegen, und meine Finger berührten bebend den zierlichen Arm. Man schlug vor zu singen. In Chören und einzelnen Liedern hatte sich die kleine Gesellschaft ergözt, als einer der ältern Männer sagte: Warum schweigt Rosa? – O Herr B., Sie kennen ja meine Furchtsamkeit! – Hilft nichts, liebes Kind – meinen Lieblings- Gesang – Es war ein König in Thule. Nun ertönte die reinste und tonvollste Stimme, die ich je gehört. Alle Züge der lieblich schauerlichen Geschichte [112] waren auseinander gesezt und aufs klarste und verständlichste vorgetragen. Als der König den Becher sinken sah, und sinken tief ins Meer –, ging eine Tiefe der Empfindung in diesen Tönen auf, die meinen Busen durchwehte wie ein neuer Lebens-Strom, und als: Trank nie einen Tropfen mehr –, tief und ernst erklang, ward es mir selbst, als hätte ich für immer getrunken den Zauber seeligen Gefühls, und möchte allen andern Lebensfreuden entsagen. Eine so süße Naturwahrheit war in diesem Gesang, ganz aufgelöst schien die Seele in Trauer und Liebe. Kein Wort des Beifalls vermochte ich zu stammeln. Der ältere Freund rief: So recht, liebes Kind, das ist der wahre eigentliche Gesang, wo Klarheit und Tiefe der Empfindung jeden Ton beseelt! Nun noch Deinen Triumph: Der Eichwald braußt – – Zitternd wurden die ersten Zeilen vorgetragen, als berührten diese Worte ihr eignes Wesen näher, aber gleichsam im wachsenden Muth und voller Selbstvergessenheit, [113] eins mit dem Dichter werdend, fuhr sie fort, die innigste tiefste Liebe einer weiblichen Seele in Himmelslauten auszuathmen. Der Mondstrahl umglänzte die weiße lichte Säule des zierlichen Halses, der aus der dunklen Umhüllung des Busens hervorstieg, die braunen Locken, vom Lufthauch bewegt, wehten um das schöne Oval des Gesichtchens. Ich hielt mich nicht länger, faßte ihre Hand und flüsterte ihr zu: Bleibe noch auf Erden, du holder Engel, und beseelige durch Dein Erscheinen den, dessen ganze Seele Du so mächtig ergriffen hast! – Schüchtern zog sie ihre Hand zurück; – sie schwieg; doch schien mir's, als wenn ein leiser Seufzer ihren Busen bewegte.

Wir landeten, sie bot der Mutter ihren Arm; und als sich das Gewirr der Gesellschaft im Abschiedsgruß aus einander löste, und sie den Weg in eine einsame Straße mit der Mutter einschlug: folgte ich ihnen mit der Bitte, sie begleiten zu dürfen. – Wir sind nah an unserer Wohnung, erwiederte die Mutter.[114] – Vergönnen Sie mir, Sie wieder zu sehen? rief ich lebhaft aus. O welch einen Schatz besizt diese Stadt, der mir so lange unbekannt bleiben konnte! – Dieser Enthusiasmus kommt billig auf die Rechnung des Dichters und Componisten, sagte die Mutter; doch willkommen wird mir Ihr Besuch seyn, als einer alten Bekanntin Ihres Hauses. – Mein holdes Mädchen folgte der Mutter still, nickte mir aber einen gefälligen Abschiedsgruß zu, der als ein holdes geistiges Band der Neigung mein Herz mit Hoffnung belebte.

Ich fragte nach und erfuhr, daß dieses schöne Kind die Tochter eines Mannes sey, der mit unserm Hause Geschäfte gehabt, die noch nicht ganz auseinander gesezt wären. Daß er durch unglückliche Speculationen beträchtlich verloren, und die Mutter in stiller Eingezogenheit lebe, bis sich die Umstände gänzlich entschieden. Wie hoch schlug mein Herz bei dieser trocknen Geschichte! Die Hoffnung, mich sogleich als Freund, als Beschützer dem [115] Wesen zu nähern, das mich so angezogen hatte, erfüllte mich mit der freudigsten Regung. Ich machte den vergönnten Besuch schon am nächsten Tage. Rosa war abwesend, aber ich fühlte mich seelig die Luft ihres Zimmers einzuathmen, die Gegenstände zu berühren, die sie berührt hatte.

Ihr Arbeitstischchen mit einem zierlichen Nähkästchen am Fenster, an dem sich Blumengewinde aus saubern Töpfen hinanrankten, Schillers Gedichte, die auf demselben lagen, daneben ein Notenblatt, die Sopranparthie einer Messe, die sie eben einstudirte, und ein gegenüber hängendes Madonnenbild von einem guten Meister, der Ueberrest einer beträchtlichen Bildersammlung, die die Familie besessen: alles dieses bildete ein schönes Stillleben einer sanften, sinnigen Mädchen-Existenz. Meine Phantasie bildete sich ein liebevolles heitres Daseyn aus diesen Elementen. Ich bat die Mutter um ein Blatt dieser Blumen, ich barg es an meinem Busen, und mußte mich entfernen, [116] da sie auch Anstalt zum Ausgehen machte. Die Mutter trug die Spuren und den Ernst langer widriger Schicksale auf ihren Zügen, mehr ablehnend als entgegen kommend waren ihre Aeußerungen über den Wunsch der fortgesezten Bekanntschaft; doch fiel ein Strahl inniger Freundlichkeit aus den dunklen Augen, da ich Abschied nahm, und ihr einen Gruß an Rosa auftrug.

Ich hatte jede bestimmte Aeußerung vermieden, alles wollte ich der wirkenden Liebe allein verdanken. Rosa sollte mich frei beglücken mit ihrer Neigung, wie eine himmlische Erscheinung. Geliebt, einzig und innig, wollte ich mich fühlen, alle Lebensansichten sollten im Hintergrunde liegen bleiben, bis sie mich aufgenommen in die Zauberwelt ihres reinen unschuldigen Herzens. Die Glut des ersten liebenden Verlangens brannte in meinem Busen in den nächsten Tagen, wo ich anständiger Weise meinen Besuch noch nicht wiederholen konnte. Vergebens lief ich Abends auf den besuchten [117] Spaziergängen umher; – ich fand sie nicht, und kehrte als ein Träumender nach Hause. Meine Mutter fühlte meinen Zustand, lächelnd berief sie mich über meine Zerstreuung, ich bemerkte freundliche, hoffnungsvolle Winke zwischen ihr und dem Vater. O sie werden meine Liebe billigen! sagte ich mir freudig selbst zu. Am dritten Tage ging ich in ihr Haus; sie war mit ihrer Mutter ins Schauspiel gegangen. Ich suchte sie da auf. Hinter einem Pfeiler im Parterre verborgen, schweiften meine Blicke umher, und bald fand ich sie in einer der untern Logen. Goe the's Egmont wurde gegeben. Wie rührend war ihre holde Gestalt, ihr sinniges zartes Wesen, aufmerkend, hingegeben dem Eindrucke der mächtigen Dichtung! Mit sich selbst beschäftigt, mit ihren Umgebungen schienen mir die andern Frauen. Nur für sie hatte der Dichter diese Gestalten ins Leben gerufen, diese Welt der Gefühle in Worten ausgehaucht. Mit einer raschen Wendung kehrte sich das holde Gesicht von der Bühne ab, [118] und ihr Blick fiel auf mich, wendete sich aber augenblicklich wieder von mir. Nun gelang es mir im Zwischenact zu ihr durch zu dringen, sie zu grüßen. Freundlich bescheiden erwiederte sie meinen Gruß. Ich verließ den Platz unter ihrer Loge nicht wieder, und verlor mich wie ein Seligbeglückter im Anschauen des lieblichen Gesichts, das wie ein klarer durchsichtiger Wasserspiegel die Momente der Dichtung mir zurückgab. Die Wallung der innigsten süßesten Liebe in der Scene mit Egmont und Klärchen durchdrang ihren zarten Busen. Ich hörte sie stärker athmen, und bei den Schlußworten: »die Welt hat keine andern Freuden auf diese,« hob ein leiser Seufzer ihre Brust. Sie wendete sich nach meiner Seite, aber ihr Auge wagte nicht sich gegen mich aufzuschlagen. Ein süßes Gefühl, daß unsere Herzen sich gefunden, durchdrang mich mit allen seinen Wonneschauern. Lang kämpfte ihr Auge mit den Thränen bei steigender Katastrophe; aber in der Scene, wo Klärchen vergebens versucht, das Volk für die [119] Befreiung des Geliebten zu bewegen, – eine der rührendsten unsrer Bühne, ja wohl eine der tiefsten und wahrsten, die je ein Dichter gedichtet –, stürzten die köstlichen Perlen der Empfindung unaufhaltsam über die zarten Wangen herab. Wie glühten meine Lippen sie aufzufassen! Nun wendete sich ihr Auge offen und frei gegen mich, als sie die Thränen getrocknet; sanft und hold war ihr Blick, als wollte das Liebe zitternde Herz Schutz und Trost an dem meinen suchen in den Stürmen des Lebens. Ja, den sollst Du finden, holdes geliebtes Wesen, antwortete das meine, in dem auch Thränen glänzten, und ich fühlte, daß sie diese Antwort verstand.

Ich folgte ihr beim Herausgehen, bot der Mutter meinen Arm und ihr den andern. Mit welchem Entzücken fühlte ich die geliebte, heißersehnte Gestalt so nah an meinem Herzen! Ich wagte ihren Arm fester an mich zu schließen, und sagte, als die Mutter auf der andern Seite mit einer Bekannten sprach; – ich fühle, daß wir [120] uns heute inniger kennen lernten –, o lassen Sie mir wenigstens die süße Täuschung – sie schwieg, entzog mir aber ihren Arm nicht. Die Dichtung führt uns in eine höhere freyere Welt, möchten wir uns oft da finden, um uns in der wirklichen immer mehr zu verstehen, meine theure Rosa – ich wollte fortfahren, als die Mutter mich anredete. – Darf ich bald kom men, bat ich beim Scheiden, um den schönen Gesang aus Egmont von Ihnen zu hören? Nur diese seelenvolle Stimme ist werth ihn vorzutragen. – Sehr gern, sagte Rosa sanft, wenn es Ihnen Vergnügen machen kann. Die wenigen einfachen Worte erfüllten mein Herz mit Trost und Hoffnung. Mein ungestümes Verlangen trieb mich am nächsten Abend wieder zu ihr; ich fand sie nicht und ging nach langem Umherschweifen traurig nach Haus. In wehmüthig zärtlicher Sehnsucht ging ich in den Laubengang der Platanen in unserm Garten noch auf und ab, der an dem einen Ende durch eine eiserne Gartenthür beschlossen war, und an dessen anderem eine reiche [121] blühende Aussicht jenseits des Flusses lag. Von einem Laubkranz der Platanenzweige eingefaßt war es das lieblichste Bild. Der Abendstrahl röthete die weißen Häuser und vergoldete die Fenster. Eine innige Wehmuth ergriff mich in dieser üppigen Fülle der Natur, wo Alles zum freudigen Daseyn so recht bereitet vor mir lag. Die Bäume beugten die fruchtbeschwerten Zweige nieder, der Weinstock ründete seine Trauben, und der Blumenduft umfloß mich aus den bunten Gesträuchen und Beeten des Gartens. Alles ist bereit zum Genuß und ich schmachte vielleicht umsonst. Das Herz, das ich suche, um dies alles zu genießen in seiner tausendfachen, Schöne, nähert sich vielleicht nie dem meinen, ja gehört vielleicht schon einem Andern! Worauf gründet sich denn deine Hoffnung ihres Besitzes? Ein Blick, ein sanftes Wort, das ist ja alles, was ich als Pfand meines Glückes ansehen kann! – Diese Zweifel lockten mir Thränen in die Augen, die sonnigte Ferne umhüllte sich mit einer dunklen Wolke. Jetzt war mir, [122] als wendete der Finger eines Engels mein Haupt nach dem Dunkel des Bogenganges, und mit welchem Entzücken sah ich das weiße Gewand meines Mädchens durch das Gitter des Gartens schimmern! Noch erkannte ich ihre Züge nicht, aber sie war es, mein Herz schlug ihr entgegen. Die seelige Ahnung hatte mich nicht getäuscht. Der Magnetismus der Liebe hatte mich angezogen. Deutlich erkannte ich nun das liebliche Gesicht und beflügelte meine Schritte. Sie stand da mit einer Gespielin, grüßte mich erröthend und wollte ihren Weg fortsetzen. – Bleiben Sie, o bleiben Sie! rief ich und riß das Gitterthor auf. Der Abend ist so schön und die Aussicht des Gartens die angenehmste der Gegend.

»Diese war es, die uns hier verweilen machte, sagte sie mit zitternder Stimme; sie ist mir wohl bekannt, denn ich bin in diesem Garten auferzogen. Noch stand sie meine Bitte erwägend, zögernd an der Thür. Unschuldiges Verlangen lockte sie vorwärts, holde Scheu den Anstand [123] zu verletzen hielt sie zurück. Sie war unaussprechlich reizend in dieser leidenschaftlichen Bewegung. Mit himmlischer Unschuld schlug sich ihr Auge gegen mich auf, gleichsam in dem meinigen Rath suchend und zweifelnd, ob ich auch nicht ungleich von ihr denken würde, wenn sie meiner Bitte Gehör gäbe? Wie süß ist das Vertrauen eines guten weiblichen Herzens, mit welchem innigen Band umfaßt es ein noch unverdorbenes männliches Gemüth!

Ich selbst begann zu zweifeln, ihre Zartheit schonend. In der lieblichsten Verwirrung standen wir so an der Pforte des Paradieses, und hätten noch lange so gestanden, wenn nicht der zurückkommende Wagen meiner Mutter diesen Zustand entschieden hätte. Ich eilte der Mutter zu, und bat die holden Mädchen einführen zu dürfen. Gefällig ging sie selbst Ihnen entgegen, nahm die Begleiterin am Arm, und ich schweifte in seligem Entzücken durch die Gänge des Gartens mit meiner Rosa.

Das Gold der Abendsonne zitterte auf den [124] blühenden Gesträuchen, die an ihr weißes Gewand anstreiften; ein reiner wolkenloser Himmel glänzte uns durch die Weinlauben an, und mit süßer wehmüthiger Freude lief sie in den Gängen und Plätzen umher, aus denen Erinnerungen der Kinderjahre ihrem reinen Gemüthe vorschwebten und das ein himmlisches Chor von Engeln der Jugendwelt zu umtönen schien. Heiter und liebend als einen, dem sie diese Freuden dankte, suchte mich ihr Blick, und ich schaute auf den Grund einer himmlischen Seele. Ich brach ihr Blumen, und als wir an einen Rosenhügel kamen, reichte ich ihr eine dar und sagte: Nie waren mir die Rosen lieber, als seit ich auf jedem Blatte Ihren Namen lese! Sie erröthete und nahm die Rose an ihrem Busen auf. Sie war unaussprechlich reizend, die breiten Augenlieder waren gesenkt, und auf den feuchten Wimpern und rosigen Wangen glühten die einfallenden Funken des Abendlichtes durch die dichtbelaubten Zweige. Süß und schauerlich nahte der Moment, wo die verschlossene Sehnsucht meines [125] Busens sich löste. Ich drückte ihre Hand an meine Brust, meine heißen Lippen bedeckten sie mit Küssen, sie entzog sie mir nicht, und als ich zitternd fragte: Können Sie mich lieben? fühlte ich einen leisen Druck der zarten Finger. Diese sanfte Aeußerung des holden Blumenlebens durchglühte mich, mein Arm umschlang sie. Als sich das holde Köpfchen von mir zu winden strebte, entfiel ihr der leichte Strohhut, und die Fülle der hellbraunen Locken fiel auf meine Brust. Meine süße Rosa, willst Du nicht mein seyn? sagte ich mit beklommener liebbeseelter Stimme. Soll ich in einsamer Sehnsucht und Liebe vergehen? Seit mehrern Tagen suche ich Dich vergebens, um Dir zu sagen, daß ich ohne Dich nicht mehr leben kann. Der Himmel ihres blauen Auges öffnete sich mir für einen Augenblick mit seinen tausend frommen seeligen Verheißungen; aber die breiten Augenlieder deckten ihn sogleich wieder, und in Rosenglut und Duft sank das schöne Köpfchen an meinen Busen. Keine Worte vermochten die holden Lippen zu sprechen; [126] aber sie war mein! Mein Herz schlug hoch in diesem seeligen Gefühl. Zärtliche Küsse bedeckten ihre Stirn, ihre Augen. Meine Einziggeliebte! meine Braut! flüsterte ich leise an ihrer schön gerundeten Wange. Es regte sich in den Blättern, sie entwand sich meinen Armen – ich knüpfte selbst die Schleifen ihres Hutes zusammen, den sie bemüht war wieder aufzusetzen; und hold verschämt und sittig gestaltet stand sie neben mir, die zarte schlanke Gestalt, und wir erwarteten die Herbeikommenden.

Die Mutter lächelte sinnig und hieß mich selbst die zwei Jungfrauen in der Abenddämmerung nach ihrer Wohnung begleiten. Wir gingen an der mir zugedachten Garten-Wohnung vorbei. – »Hier wird einmal mein Sohn wohnen!« sagte die Mutter; ich ging hinter den Frauen, und wagte nur meine Hand sanft auf Rosa's herabhängenden Arm zu drücken. Aus der, zarter Liebe natürlichen Scheu, ihr Glück vor fremden Augen zu enthüllen, gingen wir schweigend in der beginnenden Dämmerung. Einzelne [127] Sterne flammten in blauem Aether, und nie hatte ich die Harmonie des scheidenden Tages, der sich an die Glanzwelt des Himmels schließt, tiefer empfunden.

Ich bat, morgen zu Rosa kommen zu dürfen, welches sie mit einem holden Ja beantwortete, und als ein Seligbeglückter, dessen Zukunft in tausend goldnen Bildern der Liebe und Freude auf ihn herabschwebt, ging ich zu den Eltern zurück. Nach dem Nachtessen ging ich mit der Mutter im Mondglanz zwischen dem Traubengeländer; mein Herz floß über; ich entdeckte ihr meine Liebe. Sie umarmte mich mit Thränen des Segens. Der Vater trat auch herbei: »Unser Arthur hat gewählt, sagte sie, ihre Hand auf die seine legend. Die Mutter nannte den Namen der Erwählten. Vater, Ihren Segen! rief ich; auch er schloß mich herzlich an seine Brust. »Einen Wunsch hege ich, mein Sohn; sagte er nach einigen Augenblicken des Nachsinnens; prüfe dein Gefühl, und laß noch [128] wenige Monden deine Liebe und Wahl ein Geheimniß zwischen dir und deiner Geliebten bleiben. Sie selbst muß wünschen, auf diese Weise des schnellen Eindruckes, den sie auf dein Herz gemacht, ganz versichert zu seyn. Zögern führt seltner Reue nach sich als Voreiligkeit. Diese Worte fuhren wie ein kaltes Schwert durch meinen Busen, ob ich gleich nichts gegen ihren einfachen Sinn einwenden konnte. Es war eine Ahnungsstimme meines Schicksals. »Wie Sie wünschen,« theurer Vater, antwortete ich, und schämte mich fürwahr des Widerspruches gegen einen so gütigen Vater, in einem so billigen Wunsch. Er fühlte dennoch das dunkle Widerstreben meines Herzens, und sagte mild: »Auch in den äußern Umständen liegt ein Grund zu dieser Bitte, lieber Arthur! Du weißt es, wir waren in Geschäften mit dem Vater deiner Geliebten verflochten. Es gibt einen Umstand, den ich dir auseinandersetzen werde, nach welchem es besser für uns seyn wird, wenn wir nicht ganz als gemeine Sache machend mit jenen Mit-Erben angesehen [129] werden müssen, welches natürlich bei der Erklärung eurer Heirath der Fall seyn würde.«

Mit nicht ganz befreitem Herzen ging ich am folgenden Abend zu meinem geliebten Mädchen. Es war ein Mißton in die himmlische Harmonie meiner Empfindungen gedrungen. Ich mußte mir sagen, daß ich glücklich sey. Nicht mehr getragen wie von der Aetherluft und dem Einfluß aller Sterne des Himmels umstrahlt zu einem neuen seligen Daseyn der Liebe, wandelte ich die Pfade zu ihrer Wohnung. Könnte ich sie umfassen als meine Braut, sie zum Altar und der heimischen Wohnung führen in den nächsten Tagen! so seufzte ich im Innern. Die Monate des Aufschubes, die mein Vater begehrte, lagen als eine dunkle endlose Zeit vor meiner Einbildungskraft. In den himmelblauen strahlenden Augen meiner Rosa fand ich mein Glück wieder. Ich fühlte, daß sie ganz mein war, und daß mein glühendes Verlangen auch ihr ganzes holdes Wesen durchdrungen hatte. Gefällig setzte sie sich ans Klavier, um meine [130] Lieblingsgesänge zu spielen; ihre Stimme bebte, ihr Herz wußte, an wen es die zärtlichen Worte richtete. Die Mutter verließ uns für wenige Momente. Meine Lippen bedeckten die zarten Hände mit Küssen und athmeten die Worte des schönen Mundes ein. Ein süßes Hingeben war in der ganzen schlanken Gestalt; ich fühlte, daß wir wahrhaft die Seelen austauschten. Eine Wolke lag auf der Stirn der wiederkehrenden Mutter. Mein Herz floß über in Dank und Liebe; unfähig einen Mißton in der Fülle meiner Empfindung zu ertragen, faßte ich die Hand der Mutter und sagte: – Werden Sie auch meine Mutter, würdige Frau, und gönnen Sie mir die Liebe Ihres Kindes! – Nie werde ich den Blick dieser ernsten Frau vergessen, in dem der ganze Schmerz eines langen Lebens lag; Angst und Zärtlichkeit kämpften darin, er drang in meine Seele wie ihre Worte. In der Stunde, die mich vom Leben trennt, wird mein zürnender Genius mir noch diese Scenen vorhalten.

[131] »Ich fühle, daß ich nichts mehr verhüten kann. Das Herz meiner Tochter dringt unaufhaltsam zu Ihnen. Aber wissen Sie, Herr B .., was das heißt, feindselig in das Paradies der Unschuld einzufallen, die Blüthen des Vertrauens in einem stillen harmlosen Daseyn zu morden? In Ihrer Hand liegt nun das Geschick des reinen Gemüths, in welchem nur ich, und der Himmel, bis jetzt gelesen. Man sagt, die Großen brauchen nur ihre Umgebungen als Werkzeuge Ihrer Absichten und Launen. In meiner freien Vaterstadt habe ich glücklicher Weise diese Sphäre nicht kennen gelernt. Aber die Reichen machen es nicht besser und dringen in das stille Daseyn der Einfalt und Beschränktheit mit eben so verheerender Gewalt ein. Sind Ihre Eltern Ihrer Wahl geneigt? Den edlen Stolz traue ich billig meiner Rosa zu, sich nicht in den Frieden eines Hauses als ein ungewünschter Fremdling einzudrängen.«

Gewißlich nicht, Mutter! sagte Rosa, mit [132] einem holden Blick auf mich; ich würde ja dadurch sein Glück stören!

Wie groß, wie zart, in dieser unendlichen Liebesfülle war diese Rosa! Ich lag zu ihren Füßen. O! wo du bist, da ist Glück, da ist Frieden – wie könntest du ihn verscheuchen! rief ich entzückt aus. Meine Eltern sind höchst zufrieden, sagte ich der Mutter; aber mit einiger Verlegenheit trug ich den Wunsch des Vaters vor. »Ihr Vater hat Recht, sagte sie nach einigem Nachsinnen; erfüllen Sie seinen Willen genau.«

Eine Reihe lichter, glänzender Tage folgte. Meine gütige Mutter veranlaßte fröhliche Vereine in ihrem Kreise, in denen meine Rosa eingeführt wurde. Mit heitrer Miene ergab sie sich dieser Lebensweise meinen Wünschen gemäß; aber ihr Sinn war still und in sich gekehrt; sie sah nur mich in dem bunten Gewühl und äußerte oft das Verlangen nach stiller Häuslichkeit und Beschäftigung, wo allein das rechte Herzensleben gedeiht.

[133] Schön wie die Göttin der Jugend trat sie in die Gesellschaftssäle, leicht wie die Nymphen flog sie durch die Reihen des Tanzes. Ich genoß das Lob, das ihre Schritte begleitete, und das Gedräng der Jünglinge um sie her entzückte mich. Ich war der Glückliche! Ach sind wir so zum Elend bestimmt, daß unser Herz kein gleichförmiges Glück ertragen kann! Müssen wir selbst noch streben, uns den auf und ablaufenden Wogen des Geschicks hinzugeben? Die Eitelkeit hatte mein Gemüth befangen. Ein Leben ohne Ernst zieht herab zur gemeinen Empfindungsweise. Ein sanfter Händedruck der Geliebten hob mich wieder in die Sphäre der reinen unschuldigen Liebe, die sich selbst genug gleich der Blume aus dem Stengel entfaltend ein ruhiges Daseyn den Lüften des Himmels eröffnet. Ein stilles Morgengespräch rief die Bilder seliger Zukunft eines würdigen Familienlebens in meine Seele, aber am Abend schwamm ich im Strom kleinlicher Leidenschaften wieder mit fort. Mein Vater beharrte in [134] seinem Schweigen. Die Mütter nur besprachen sich vertraulich, waren geschäftig, richteten ein, aber alles unter dem Schleier des Geheimnisses.

Wäre es nicht lächerlich, so müßte ich glauben, die Sicherheit, das Glück, welches ich im innern Herzen trug, müsse mich liebenswürdiger gemacht haben; denn ich schien auf einmal den Weibern ein Gegen stand der Eroberungssucht geworden zu seyn. Muthwillig gab ich mich diesem Spiel hin, und freute mich wohl gar, wenn ein ernster sorglicher Blick der Geliebten mich im Tanz aufsuchte. Ernstlich verfolgte mich die schönste und leichtsinnigste Frau unsers Cirkels mit einer anhaltenden Neigung. Sie wußte den Ernst der Leidenschaft zu spielen, und der Taumel der Eitelkeit riß mich hin, ihr mehr, als ich sollte, Gehör zu geben. O! lassen Sie mich über diese Elendigkeit hinwegeilen. War es ein böser Dämon, der mich umstrickte? War's der ewige Kampf des Gemeinen mit unsrer bessern Natur und die Verschwörung, die gegen treue Liebe und Zärtlichkeit [135] immer im kalten Element des flachen Weltlebens existirt, dem ich unterlag? Ich nahm es mit Entsetzen in mir selbst wahr, aber ich fühlte mich nicht mehr gleichgültig gegen die Reize dieser Frau.

Der Ernst und die Trauer auf den Zügen und in dem Betragen meiner holden Rosa nahmen zu. Die Morgenstunden wurden mir peinlich, da die sanfte Seele den Sturm ihrer Gefühle beschwichtigen und mir nur Gleichmuth zeigen wollte. Wie oft wir gerade den edelsten und liebwerthesten Weibern mit bitterer Ungerechtigkeit begegnen, fühlte ich bei erweiterter Lebens- und Frauenkenntniß nur allzu tief. Ungern gesteht sich ein edles Gemüth die kleinlichen Kränkungen der Eifersucht, und möchte sie sich selbst und dem geliebten Gegenstand verbergen, da es ihm eine niedrige Empfindungsart scheint. Eine weniger edle Natur hätte mich vielleicht durch heftige Ausbrüche des Schmerzens bewegt und zurückgehalten; – eine Coquette hätte mich durch Kälte erregt und [136] durch Furcht der Untreue zum Selbstgefühl meiner Liebe zurückgezogen. Ach! schmählich ist dieses Geständniß; aber selten sind wir fähig das Zarteste zu fassen, was die weibliche Natur in sich schließt!

Mein besserer Genius trat oft warnend vor mich. Durch zartes und liebevolles Betragen dachte ich Rosa zu trösten; aber Thränen traten dann in ihr Auge, und schüchtern lehnte sie meine Liebkosungen ab.

Ich bat meine Mutter, unsere Vereinigung zu beschleunigen. Die Würde und der Adel des ehelichen Verhältnisses, hoffte ich, würden mich von aller Schwachheit heilen; aber der Vater wollte von seinen Planen nicht weichen, und forderte sogar wegen neu eingetretener Umstände noch Aufschub. Auch die Mutter sah mich bedenklich an, wenn ich dringend wurde. – Bist du deines Glückes denn auch gewiß mit Rosa? sagte sie einst; es hängt an der Innigkeit und Wahrheit Deiner Neigung, und mich dünkt..... Zweifeln Sie an meiner Ehre, [137] Mutter? erwiederte ich heftig. – Das nicht, Gott sey's gedankt! – aber über dein Glück bin ich bedenklich. Rosa werde ich in jedem Falle als meine Tochter ansehen und ihr Geschick an meinem Herzen tragen. Wir wurden unterbrochen, und meine gute Mutter knüpfte dieses Gespräch nicht wieder an; sie glaubte ihrem rechtlichen Gefühl genug gethan zu haben, und überließ mich mir selbst.

Elvire, – so nenne ich die Frau, die mich mit allen Fäden weiblicher Künste umstrickte, ja die, wenn Sie mir es nicht als unverzeihliche Eitelkeit auslegen wollen, vielleicht zum erstenmal wahre Zuneigung empfand, wurde immer dringender und anschließender, und nahm endlich die Miene eines so tiefen Schmerzens an, der an mein Herz drang. Gegen Rosa zeigte sie sich als die gefälligste Freundin; aber jenes reine Gemüth wies sie mit zurückstoßender Kälte ab. »Ich weiß, Sie sind verlobt, sagte sie mir eines Abends in einer Ecke des Gesellschaftssaales; auch ich liege in unwürdigen Ketten, [138] die ich fortzutragen entschlossen bin. Aber warum kann uns nicht das Glück einer zarten innigen Freundschaft werden? Schlagen Sie mir's nicht ab, morgen Abend in den Garten vor der Stadt zu mir zu kommen. – Lassen Sie mir den Trost, mich frei auszusprechen, auszuweinen. Kennen Sie mich ganz, dann soll's von Ihnen abhängen, ob wir uns trennen und meiden müssen!

Mein übler Genius beherrschte diese Stunde; ich nahm die Einladung an.

Zum erstenmal beging ich eine entschiedene Falschheit gegen meine Rosa; ich schüzte eine kleine Reise aufs Land vor, um den Abend ohne sie zuzubringen. Das leise reine Gefühl zwischen Liebenden ist gleichsam wie ein luftleerer Raum, in dem Alles, was unwahr ist, sogleich zu Boden fällt. Rosa's tiefer klarer Blick blieb auf mich gerichtet; ihre Lippen öffneten sich zu einer Frage, aber sie verschlossen sich sogleich wieder, und sie sagte gleichgültig: »nun so will ich diesen Abend auch zu einem entfernten [139] Besuch bei einer Freundin anwenden, den ich lange schuldig blieb. Ich brauche freie Luft, sagte sie, und ihr schönes Auge richtete sich nach dem blauen Himmel, der uns durch das offene Fenster anglänzte. – Meine Rosa, sagte ich, sie innig bewegt in meine Arme schließend; es ist wahr, Du bist weniger heiter seit einiger Zeit. Wie sehne ich mich nach dem Augenblick, wo ich Dich ganz mein nennen kann, wo Du den heitern Garten mit mir bewohnen wirst; – glaube mir, ich kenne kein Glück, das nicht aus Deinen reinen Augen mir wiederstrahlt. – Ihre Thränen flossen sanft an meiner Brust. – Die Uhr schlug am nahen Kirchenthurm. – »Hier wird sie auch schlagen die Stunde meines Glückes, hier in dieser Kirche wird uns der Himmel und die Liebe verbinden. – »Ach, – Arthur, seufzte sie aus tiefer Brust, seelenvoll aus den glänzenden thränenvollen Augen mich anschauend und sich dann inniger an meine Brust drängend, flüsterte sie leise: »Bedenke nur Dein Glück, nicht das meine!« Wie [140] könnte das je getrennt seyn, holder Engel, rief ich aus, und hing in inniger Hingebung an den süßen treuen Lippen mit herzlichen Thränen. Diese lezten seeligen Momente des reinsten Glückes stehen ewig vor mir, und haben unter den herbsten Leiden des einsamen freudelosen Daseyns mich oft wie die Lichtblicke aus einer bessern Welt angestrahlt. Was kann der Himmel mir geben als ihre Wiederholung? Mein Herz war bereit, sich ihr ganz zu öffnen, das Geständniß einer Schwachheit abzulegen, die es jezt weit von sich stieß. O hätte sie mich zu reden genöthigt! Aber der Engel der himmlischen Sanftheit und Milde hielt die Worte auf ihren Lippen zurück. – Mir schloß sie ein schmerzliches Gefühl der Schuld, das die falsche Farbe der Sorge, sie zu kränken, annahm, aber der Entschluß mich diesen Abend für immer frei und ledig zu machen, um ihr ganz anzugehören, stand fest in meiner Brust. Ein Wort hätte die Bande meines schweren Geschickes gelöst! Es schien ernste Nothwendigkelt über [141] mir zu herrschen. Die Mutter trat herein; sorglich über die Bewegung ihres geliebten Kindes sah sie mich streng an, und stand wie der Engel mit dem Schwert vor dem Paradies des innigen Vertrauens, das uns in süßer Einsamkeit aufging. Rosa faßte sich, schlug einige Töne des Klaviers an, und sagte: Soll ich Ihnen etwas spielen, lieber Arthur; ich habe neue Musik bekommen! Mit bebender Stimme, mit Augen, die noch mit Thränen kämpften, sang sie sanft Goethens tiefsinnige Worte:


Liebe schwärmt auf allen Wegen;
Treue wohnt für sich allein.
Liebe kommt euch rasch entgegen
Aufgesucht will Treue seyn.«

Lebewohl bis auf Morgen, meine Rosa! sagte ich beim Abschiedskuß auf ihre Hand; sanft drückte sie die meine, und mit dem süßen Blick der Liebe, der durch alle wehmüthigen Zweifel hindurchstrahlte, – wie die Sonne oft am Morgen, wenn sie mit thauigten Wolken [142] gekämpft hat, uns um desto erfreuender anlächelt, entließ sie mich.

Wehmüthig, meiner eigenen Schwachheit zürnend, ging ich die Straßen hindurch. Dem Glücke dieses himmlisch-reinen Herzens will ich alle andern lockenden Blüthen des Lebens opfern, und heute die lezte pflücken! Dieser Gedanke machte mich einig mit mir selbst, als ich dem Wagen Elviren's begegnete. Sie grüßte mich; sie sah blaß und leidend aus, und ihr schwarzes Auge suchte mich noch einmal, als sie um die Ecke der Straße fuhr. Nur sanft tröstende Freundschaft gelobte ich mir dieser zu geben und mich für immer ihrer Neigung zu entziehen. Ich beschloß, dem Vater noch dringendere Vorstellungen wegen Beschleunigung meiner Heirath zu thun. Ich fand Fremde am Tisch. Meine Mutter zog mich bei Seite, und übergab mir mein Bildniß, an der Kehrseite mit meinem Namenszug in Brillanten und mit einer reichen Einfassung umgeben, welches so eben vom Juwelier angekommen war. [143] Um nun meinem Herzen in der Freude meiner Rosa einige Genüge zu thun, indem ich im Begriff war, sie zu kränken, schickte ich es ihr sogleich mit einigen zärtlichen Zeilen zu.

Der Abend kam heran, ehe uns die Fremden verließen. Mit hochschlagendem Herzen ging ich den Pfad zu dem entlegenen Garten. Ich dachte meine Rolle durch, und glaubte mich vortrefflich vorzubereiten. Nicht unangenehm überrascht vernahm ich beim Eintrit den Lärm eines Bacchanals vom Gartensaal herab, statt der holden Einsamkeit, in der ich meine Schöne zu finden gedachte. Einige Neugierige hatten mich kommen sehn; ich mußte Anstands halber die Gesellschaft aufsuchen. Elviren's Blicke empfingen mich freudig, aber ihre Miene drückte mir den Mißmuth über die Störung aus. Ich mußte neben ihr Platz nehmen. Sie saß allein unter einer sehr platten Gesellschaft, die sich einzig an den Gaben des Bachus und der Ceres zu erfreuen schien. Man sprach von Geschäften ohne Einsicht, ohne allgemeine Verbindung, die [144] der Verstand erregt; von allen Weltverhältnissen mit enger Beschränktheit, von allen höhern Ansichten mit dem kleinen Hohn, der die Gemüther herabzieht. Kurz man war vollkommen platt in dem derbsten abschneidendsten Egoismus, und am allerplattesten zeigte sich der Hausherr. »Meinem Manne fiel es recht zur Unzeit heute ein, einige Freunde hier zu bewirthen, flüsterte mir Elvire zu; aber nach Tisch hoffe ich Ihnen einige anmuthige Spazierwege hinter dem Garten zu zeigen. Ihre Hand suchte verstohlen die meinige und – nicht vergebens. Das holde Geschöpf voll zarten Sinnes schien mir so unglücklich unter den Faunen, die sie umgaben, daß ich nicht umhin konnte, sie durch ein liebvolles Betragen zu trösten. Ich hatte so ziemlich meine Rolle vergessen, als sich die Gesellschaft zerstreute, und sie mich zu einem Gange durch den Garten einlud.

»Können Sie mir's verdenken, Arthur, sagte sie, als wir in den dichtern Laubgängen der Gesellschaft aus den Augen waren, »daß mein [145] »Herz außer der Ordnung Liebe und Lebensfreude sucht, die mir meine nächsten Verhältnisse so durchaus versagen? O ich bin sehr unglücklich!« Thränen standen in den schönen schwarzen Augen, die sich gegen mich aufschlugen, als wollten sie ihr Schicksal aus dem meinen lesen. Mein Herz bebte, doch faßte ich mich männlich. »Glücklich wäre der Mann, der freien Herzens sein Glück darinnen finden könnte, Ihr Schicksal zu erleichtern durch Hingebung seines ganzen Daseyns, meine theure Freundin; aber nur innerer Vorwurf und Schmerz würde das Loos des Gebundenen seyn, der im Zauber Ihres Reizes mit Lieb' und Treue spielen könnte. Er wäre Ihrer unwerth.«

Wir waren indessen an eine Bank unter dichtbelaubten Bäumen gekommen, von der man durch einen kleinen Bogengang ins Feld sah. Die Abendsonne warf ihre Strahlen auf den gegenüberliegenden Wald. Eine unnennbare Wehmuth über die Beschränkung des Lebens und die nothwendigen Schmerzen des kurzen flüchtigen [146] Daseyns lag auf meiner Seele. Ich drückte Elviren's Hand an mein Herz im innigsten Mitleid. »O daß ich Dich zu spät finden mußte! rief sie, indem sie mich an sich zog, Glück, Glauben, Tugend – Alles hätte ich in Dir gefunden!« – Sie lag an meinem Busen unter heftigem Weinen – »Dein Freund will ich seyn, immer und ewig! rief ich und schloß sie herzlich an mich.« Wie sich die Knospe der Blume im stillen unvermerkten Drang der Natur dem grünen Blätterschooß entwindet: so ist's mit der Liebe; sie ist da; ehe wir es wissen, ja nur ahnen, lächelt uns ihr erschlossener Zauberkelch an.

Ich hielt Elvire lang in meinen Armen, und wir wechselten feurige Küsse. Aus dem Taumel dieser Glutatmosphäre riß mich ein schmerzlicher Schrei und der Ausruf meines Namens. Arthur! Arthur! hörte ich rufen, und erkannte sogleich Rosa's Stimme. Durch die Oeffnung des kleinen Bogengangs sah ich, wie sich ihre schlanke Gestalt an ihre Mutter lehnte, sich von meinem Anblick abwendend, und an dem[147] Busen der Mutter verbergend. Ich riß mich von Elviren los, um zu ihr zu eilen. Ein hohes eisernes Gitter umschloß den Garten; mit Verzweiflung ergriff ich die kalten Eisenstangen; sie wichen meinem Schmerz nicht, und ich sah Rosa am Arm der Mutter auf einem Fußpfad mit geflügelter Eile mir entfliehen. Vergebens suchte mich Elvire zu halten, meinen Schmerz zu besänftigen. »Ich selbst will Rosa meine Schuld bekennen, rief sie; ich will gestehen, daß ich Sie zur Untreue verleitet.« Untreue bleibt unverzeihlich für ein so reines Herz, rief ich, indem ich mich von ihr losriß. Sie haben mich um das Glück meines Lebens gebracht, oder vielmehr mein eigner thörichter Leichtsinn. – Nie kann ich Sie wiedersehn! Ich lief aus dem Garten, suchte Rosa's Spuren im Felde, im nahen Wald; aber vergebens. Das Gartenhaus einer Freundin, wo ich sie zu finden hoffte, war verschlossen. Am sichersten glaubte ich sie nun in ihrem Hause aufzusuchen; denn die Nacht brach ein. Mit hochklopfendem Herzen näherte ich mich ihrer [148] Wohnung. Verzeihung hoffte ich von der allesduldenden Liebe bei offenem Geständniß. Aber ich sah kein Licht in ihrem Zimmer. Ihr Dienstmädchen kam auf mein ungestümes Klopfen die Treppe herab und sagte, sie sey nicht nach Hause gekommen. Ich bat, sie erwarten zu dürfen; verlangte Schreibzeug, und schrieb ein Billet nach dem andern, indem ich immer das vorhergehende zerriß. Mein Vater erwartete mich vor dem Schlafengehn zu einem dringenden Geschäft, welches noch diesen Abend abgemacht werden mußte. Jede Viertelstunde, die vom Glockenthurm schlug, vermehrte meine Verzweiflung. Endlich mußte ich gehen, und ließ folgende Zeilen zurück:

»Ich scheine strafbar, Rosa; aber bei Gott! ich bin es nicht. Bei dem allsehenden Auge, das unser Inneres prüft, schwör' ich Dir – ich bin es nicht, in so fern es auf die Gesinnung ankommt. Mitleiden, Leichtsinn, Thorheit und List haben mich vom reinen Pfade abgelockt. Ich kann ohne die Verzeihung Deiner Engelsseele [149] nicht leben. Du wirst mich hören, Du mußt mir verzeihen. Ja! dein Geliebter wird rein vor Dir stehn! O sende mir mit Tagesanbruch ein Zeichen der Liebe und Versöhnung!«

Noch stehen diese Worte mit Flammenzügen in meiner Seele. Immer finde ich in ihnen den Ausdruck einer Herzens-Wahrheit, die, wie mich dünkt, meine Geliebte zur Verzeihung hätte bewegen sollen.

Ich verließ meinen Vater, um in der Nacht umherzuschweifen. Nie hatte ich die ersten Strahlen des Tages mit mehr Ungeduld erwartet. Ich lagerte mich am Thorweg; jedem Herannahenden schlug mein Herz ungestüm entgegen; ich glaubte es sey eine Botschaft Rosa's. Gegen fünf Uhr eilte ich in die Stadt. Mit welchem Entsetzen vernahm ich die Nachricht von den Hausleuten, das Dienstmädchen sey schon gegen vier Uhr mit einem Wagen abgeholt worden; sie habe einen Coffre eilig eingepackt, und die Zimmer seyen verschlossen. In einigen Tagen würde [150] die Bestimmung ankommen, wohin die einlaufenden Briefe gesendet werden sollten. Ein so gewaltiger Schmerz hatte mich ergriffen; meine Pulse stockten, und Todtenblässe lag auf meinen Gesichtszügen, daß die guten Leute mich mitleidig in ihr Zimmer nöthigten, mich zu erholen. Sie wußten nichts auf tausend stürmische Fragen zu antworten, die dem ersten erstarrenden Schrecken folgten. Ich mußte mich fassen, und mit dem Versprechen, daß sie mir augenblicklich Nachricht geben wollten, endlich entfernen als ein verzweiflungsvoller Elender von der geliebten Schwelle, die ich so oft mit dem seeligsten Entzücken betreten.

Ich vermochte es nicht, in diesem Zustande vor meinen Eltern zu erscheinen. Ich hielt mich in dem kleinen Wirthshause eines benachbarten Dorfes auf, und schrieb einige Zeilen nach Hause, als habe mich die Lust zu einer Gebirgsreise ergriffen, mit der Bitte, alles was an mich einliefe, unverzüglich in das Dorf zu senden. Auch den Hausleuten Rosa's hinterließ ich diese [151] Weisung; und nun überließ ich mich in der Einsamkeit meinem tiefen, unendlichen Schmerz. Er war unendlich; Sie sehen, daß im Mannesalter noch die Thränen des Jünglings meine Wangen benetzen!

Lothar faßte höchst bewegt die Hand seines Freundes. »Und haben Sie denn wirklich Rosa für immer verloren? Ihr holdes Bild steht so klar vor meiner Seele, – dieses sanfte, milde Wesen, – konnte es unversöhnlich seyn? Konnte es dem Geliebten seiner Jugend nicht einen Sinnentaumel verzeihen, an dem sein Herz so wenig Antheil hatte?« – »Ach, eben in dieser himmlischen Einfalt ihres Herzens, das selbst ganz rein und fleckenlos war, muß ich die Festigkeit ihres Entschlusses, mich für immer zu fliehen, aufsuchen, fuhr Arthur fort. Das kalte Abfinden mit der Schwachheit und Elendigkeit der menschlichen Natur, das der Weltgang uns lehrt, lag nicht in der himmlischen Jugendblüthe dieser schuldlosen Brust. Sie hatte sich hingegeben in ganzer harmonischer Liebesfülle, und [152] so und nicht anders wollte sie auch den Geliebten besitzen.

Die Jugend scheidet nicht allzuleicht von der Hoffnung; noch fielen einige goldene Strahlen auf mich. Ich hoffte auf meine Zeilen wenigstens eine Antwort von Rosa zu erhalten; nur die Züge ihrer Hand zu sehen, selbst wenn sie Schmerzliches für mich ausdrückten, wäre ein Labsal meiner innigen Sehnsucht gewesen. Ich schrieb mehrere Briefe im voraus, die meinen Schmerz, meine Reue und Gelübde für eine schöne Zukunft enthielten.

Elvire hatte meinen Aufenthalt ausgespäht, ob ich mich gleich am Tage verborgen hielt und nur am frühen Morgen oder in dem Schatten der Nacht in den nahen Wäldern umherschweifte. Sie hatte einen unsrer gemeinsamen Freunde zum Vertrauten gemacht, und dieser drang gegen mein Verbot, niemand zu mir zu lassen, dennoch in mein einsames Zimmer. Der leidenschaftliche Zustand, in dem ich Elviren unfreundlich, ja sogar mit Härte verlassen hatte, machte [153] sie ängstlich um mich. Der Freund versuchte mich zu beruhigen. »Rosa würde, müsse wiederkehren, verhieß er mir und versprach in allen Nachforschungen ihres Aufenthaltes behülflich zu seyn. Mein Schmerz war zu lebhaft, um irgend eines Verhältnisses zu schonen; ich erklärte, daß ich Elviren nie wieder zu sehen vermöchte, daß ich ihr Spiel mit zarten Neigungen unwürdig fände und den Verlust meines Lebensglückes, als eine Rache des Himmels, der alle Untreue hassen müsse, ansähe. Der Freund war ein Ehrenmann und wollte für uns Alle, Welt und Meinung schonen; aber er konnte, da er selbst ohne Energie und Zartheit der Empfindung war, die Tiefe meines Schmerzens nicht ermessen. Rosa's Abreise war indessen auch zu mei ner Mutter gedrungen, und ein zärtliches Billet von ihr war der erste warme Lebenshauch, der in meine öde und erstarrte Brust fiel. Ich wußte, diese liebte Rosa und verstand meinen Schmerz über ihren Verlust. Nach wenigen Tagen kam sie selbst mit der Nachricht, die sie [154] durch ihre vielseitigen Verbindungen ausgeforscht hatte, daß Rosa mit ihrer Mutter jenseits des Rhein's nach einem Kloster gereist sey, dessen Aebtissin ihnen verwandt war. Meine Mutter fertigte sogleich einen unsrer sichern Leute mit einem Briefe dorthin zu Pferde ab, empfahl ihm die größte Eile; er selbst müsse Rosa sehen und eine Antwort von ihr zurückbringen. Sie selbst legte einige Zeilen bei, die herzliche Liebe und Bitten enthielten, dem höchst unglücklichen Zustande ihres Sohnes ein Ende zu machen durch Versöhnung und wiedergeschenkte Liebe.

Der Gedanke, daß Rosa, obgleich wie ihr verstorbener Vater, Evangelischen Glaubens, in dieser Lage durch ihre Mutter, die eine Katholikin war, bewogen werden könnte, unauflösliche Gelübde als ewige Scheidewand zwischen uns aufzustellen, folterte mich bis zum Wahnsinn. Meine Mutter billigte meinen Plan, sogleich, nachdem der Bote wiedergekehrt sey, zu Rosa zu reisen. Am nächsten Abend schon brachte sie mir die Genehmigung des Vaters zu dieser Reise,[155] mit der Erlaubniß, mich sogleich mit Rosa trauen zu lassen und sie als meine Frau heimzuführen. Herzlich dankte ich der lieben Mutter; denn ich fühlte wohl, daß nur ihre zarte Sorgsamkeit den Vater aus dem Geleise der Gewohnheit herausgebracht hatte, dem einmal die Vermehrung des Reichthums die erste Pflicht im Leben schien, in so fern sie mit strenger Redlichkeit vereinbar war. »Lieber Arthur, sagte die Gute, die Liebe der Frauen muß ja das ewig Bewegende und Vermittelnde im Menschenleben seyn; da wo diese in ihnen fehlt, sind sie zu gar nichts gut.« Vergebens suchten die liebende Mutter und der geschäftige Freund mich in diesen Fiebertagen der bangen Erwartung zu trösten. Eine dumpfe Ahnung des Unglücks eilte der Entscheidung meines Schicksals zuvor. Nach einigen Tagen kehrte meine Mutter, als sie mich eben verlassen hatte, wieder in mein Zimmer zurück; sie war dem Boten begegnet und hatte ihm die Briefe abgenommen.

Ein kleines Päckchen, mit Rosa's Hand [156] überschrieben, fiel mir sogleich beim Aufreißen der Siegel ins Auge. Das Leben stockte in meinen Pulsen beim Anblicke der geliebten Züge, und eine Wolke lag vor meinen Augen, so daß ich kaum die Worte erkennen konnte. Das Päckchen fiel mir aus der Hand, als ich das Futteral, welches mein Bildniß enthielt, erkannte, und mit blutendem Herzen las ich diese Zeilen, die ich immer bei mir trage.

Lothar wollte lesen, und schauderte vor dem Anblicke des Briefchens zurück. »Mein Gott! was ist das für eine wundersame Aehnlichkeit?« rief er aus. Es sind die Züge meiner Marie! nur etwas kleiner und ängstlicher.« Arthur war versunken in die Nachklänge seines Schmerzens, und achtete wenig auf diese Aeußerung. Auch Lothar faßte sich, und bat sich nur aus, Abends dieses Billet mit der Handschrift seiner Geliebten vergleichen zu dürfen. Er las den Inhalt:


»Erschrecken Sie nicht, Arthur, – ich bin in der Genesung von einer tödtlichen Krankheit. Nie kann ich an Ihre Liebe mehr glauben, [157] aber an Ihre Gutmüthigkeit muß und will ich glauben. Kein Vorwurf soll durch mich den Frieden Ihres Lebens stören. Suchen Sie das Glück auf Ihrem eignen Wege; für mich wohnt es nur in der Wahrheit und im reinen Vertrauen. Ewig haben Sie diese unter uns gestört. Ich will das von Gott neu geschenkte Leben, das ich nicht als eine Wohlthat mehr ansehen kann, der Stille und Wohlthätigkeit weihen. Leben Sie wohl auf ewig.«

Rosa.


»Welche Größe, welche Einfalt und himmlische Liebe athmet in diesen Worten!« rief Arthur und verbarg das Blatt an seinem Busen. O Lothar! Sie fühlen nun ganz, was ich in ihr verlor!

Der Brief der Mutter zerriß meine Seele auf andre Weise. Auch sie sagte, daß mich Rosa niemals wieder sehen wolle; sie beschrieb Rosa's Schmerz über meine Untreue mit den glühendsten Farben; sie hätte auf die schnelle Abreise gedrungen, ihr ihren Zustand zu verbergen gesucht, [158] aber als sie im Kloster bei der Verwandtin angekommen, wäre sie von einem Fieber befallen worden, daß mehrere Tage ihr Tod nach dem Ausspruch der Aerzte unvermeidlich geschienen; Gott habe sie gerettet, und nur ihm wolle sie ihr geschenktes Leben weihen! Ihr Sohn (der Brief war an meine Mutter gerichtet) mag sich entsinnen, wie ich das Alles vorausgesehen habe. Ich kannte den Weltlauf zu gut, um nicht zu wissen, daß er das unschuldig liebende Herz meines Kindes nur zum Spiel seiner flüchtigen Neigung machen würde. Reichthum und Ueppigkeit kennen Treue und Liebe nicht, die nur in der stillen Beschränkung der Armen gedeihen. Wir haben das beste Theil erwählt! – Das Einzige, was ich bitte, ist, daß er den Frieden meines Kindes nicht mehr störe und uns vergesse.«

Ich stand wie vernichtet, und meine gute Mutter war untröstlich über meinen stummen Schmerz. Nur zu deutlich lag es im Sinne beider Briefe, daß die Mutter Rosa bewogen, das [159] Klosterleben zu ergreifen, daß ich sie für immer verlieren sollte. Einem düstern freudenlosen Daseyn sollte das holde Geschöpf hingeopfert werden, hinter dumpfen Mauern die schöne Blume welken, die in äußerer und innerer Geistes-und Herzensschönheit für den Glanz des Himmels und allen Zauber des Lebens geschaffen war; ich war – der Mörder ihres Glückes!

»Ich muß Alles thun, Alles wagen, sie von diesem Schicksal zu befreien, rief ich aus. Ja, theure Mutter, wenn ich selbst das Licht der Sonne ertragen soll, muß ich mir sagen können, Alles gethan zu haben, sollte es mir selbst auch kein Heil bringen!« Meine Mutter billigte meinen Entschluß, und suchte mit weicher liebender Sorgfalt noch Trostgründe für mich auf, wo ich verzweifelte.

»Sie flieht mich, wird mich ewig fliehen und hassen, wie so ein himmlisches Gemüth nur hassen kann, rief ich aus; der ruhige Ton ihrer Zeilen selbst sagt mir dieses. Ich bin hoffnungslos, aber ich muß handeln.« Gedankenlos eröffnete [160] ich das Futteral meines Bildnisses, sank mit Thränen an meiner Mutter Brust und rief: O nein, sie haßt mich nicht; – nur die Einfassung hat sie zurück gesendet, sie hat mein Bildniß behalten.

An diesem schwachen Faden der Hoffnung richtete sich meine Seele wieder auf. Den nächsten Morgen reiste ich ab, und mein gütiger Vater sendete mir noch ein Dokument zu, in welchem die strittigen Handelsverhältnisse aus einandergesetzt waren, und Rosa in jedem Falle die Versicherung eines anständigen Einkommens mit ihrer Mutter fand. In wehmüthiger Stimmung schiffte ich den Rhein hinab. Es war ein stürmischer Tag. Furcht und Hoffnung brachen ihre Wogen an meinem Herzen, wie die des mächtigen Stromes sich an meinem kleinen Fahrzeug, die bald den Lichtglanz des Himmels, bald das dunkle Grau der vorüberziehenden Wolken abspiegelten. Von Kindheit an hatten mich die Zauberformen dieser Ufer entzückt, und mir tausend fröhliche und ernste Lebensbilder vor die Seele gestellt. Nun ging es der ernsten Entscheidung entgegen, [161] und nicht den stillen Muth einer schuldbefreiten Brust konnte ich dem Ausspruch des Geschickes entgegen stellen! Ein holdes klares Daseyn hatte ich durch thörichten Leichtsinn um sein reines Glück betrogen. Wüßte ich sie nur glücklich, tönte es oft in meinem Innern, o so wollte ich allen Schmerz der herben Entbehrung ertragen!

Der Diener, der die lezte Botschaft gebracht hatte, begleitete mich. Hinter einer waldigen Uferspitze zeigte er mir den Thurm des Klosters, wo meine Liebe wohnte. »O meine süße Rosa, rief ich, fühlst du nicht mehr, daß dein Geliebter naht! Halt ein, opfre nicht dein holdes Leben schmerzlicher Entsagung. Du wirst wieder glücklich werden, stürze ihn nicht in Verzweiflung.« Unter diesen Selbstgesprächen der schmerzlich süßen Erwartung waren wir nun die Uferspitze herumgeschifft. Im Schooß eines grünen Thales zwischen zwei hohen hervordringenden Waldgebirgen lag das Gebäude, das ein düsteres Ansehen hatte. Wir landeten; ein Pfad durch Wiesen führte zum Kloster. Der Tag neigte sich, und die [162] Abendglocke ertönte, die Rosa zum Gebet rief. Auch ich betete inbrünstig zum Vater aller Wesen, der zerrissenen Brust einen Strahl seines himmlichen Friedens zu senden.

Der Diener rieth mir, mich entfernt zu halten, ob er vielleicht Rosa allein wahrnehmen könne; denn der Mutter strenges Ansehen hatte ihm die Furcht eingeflößt, daß sie jedes Zusamentreffen mit ihr verhindern würde. Ich fühlte, daß der Mensch Recht hatte, und ging um die Kloster-Mauer, in höchster Leidenschaft herum, während er an der Pforte anklopfte. Ich gab ihm einige Zeilen, mit der Bleifeder geschrieben, an Rosa, die nur die innige Bitte enthielten, mich nicht ungehört zu verdammen. Es war öde und düster in meiner Seele; die Hoffnung sank, und ich fühlte nichts von dem magnetischen Zauber, mit dem die Nähe eines geliebten Wesens sich uns geheimnißvoll kund thut. Ein Gesang ertönte in der Kirche, deren ewige Flamme im Dunkel der Nacht immer heller strahlte. Mein Ohr lauschte einen Ton der reinen geliebten Stimme [163] zu vernehmen in dem einfach-ernsten Gesang. – Vergebens. Nach einer peinlichen Stunde kam der Diener zurück. Meine düstre Ahnung kam seiner Botschaft entgegen; – er nahte sich schweigend. »Sie ist fort!« rief ich ihm zu. »Ja, erwiederte er. »Die Pförtnerin, die ich mir bei meinem letzten Besuch verpflichtet hatte, versichert es mir aufs heiligste. Ein Knecht in den Oekonomie-Gebäuden, mit dem ich auch Verkehr hatte, sagt mir dasselbe. – Kein Zweifel findet mehr statt; sie ist abgereist – vor wenigen Tagen, die Pförtnerin sagt mir, sie habe blaß und traurig ausgesehen; es sey eine allgemeine Trauer um sie; denn ihre Güte, ihre Liebenswürdigkeit habe alle Herzen an sich gezogen; der Knecht selbst habe sie bis zum nächstgelegenen Städtchen gefahren, von wo aus sie Postpferde genommen.« Und wohin? wohin? weiß er das nicht zu sagen? rief ich in bitterer Angst aus. »Es war ein guter, feinsinniger Junge; er fühlte meinen leidenschaftlichen Zustand in meinen Fragen. Er suchte sich jedes kleinen Umstandes [164] zu erinnern. Die Deichsel habe Rhein-aufwärts gestanden, sagte er. Mir fällt etwas ein, fuhr er fort: der Herr sollte den Herrn Doctor Wild aufsuchen im Städtchen; der wackre gelehrte Herr weiß vielleicht mehr als ich, und er trieb mich immer so zur Eil mit meinen Pferden, wenn ich ihn zu dem kranken Fräulein abholen mußte, daß ich glaube, er hat sie recht lieb. Hier, indem er auf das Kloster wies und den Kopf schüttelte, hier erfährt man nichts. Die Frau Aebtissin ist streng, und es war uns allen verboten von des Fräuleins Aufenthalt mit Fremden zu sprechen.« – Ich fühlte schmerzlich der Mutter besonnene Vorsorgen in diesem Allen, und eilte nach dem Städtchen, den Arzt aufzusuchen. Er nahm mich gütig auf, und schien die Menschenfreundlichkeit als eine Pflicht seines Standes anzusehen. Ich mußte mich ihm ganz anvertrauen, wenn ich auf seine Hülfe zählen sollte. Er hörte mich theilnehmend an. »Ihre Geschichte ist mir nicht neu, sagte er mit Rührung; sie war der Inhalt der Fieberphantasie [165] des geliebten Mädchens. Die heiligste unschuldigste Seele habe ich in diesem Zustand, der alle Schleier abwirft, kennen lernen. Ja, ich fühle Ihren ganzen Schmerz, da Sie, wie mir's scheint, sich nur Leichtsinn und keine Falschheit vorzuwerfen haben. Eine unglückliche Verkettung der Umstände hat das Uebrige gethan. In der Hauptsache Ihnen zu dienen, steht nicht in meiner Macht; denn der Zufluchtsort, welchen sich Rosa auserwählt, blieb mir selbst ein Geheimniß. Nur die Aebtissinn scheint ihn zu wissen; doch da ist keine Hoffnung vorhanden, daß sie das Schweigen brechen werde, da sie das ganze Verhältniß mit ihren Religions-Ansichten verbunden hat. Wenn der Fanatismus eine Weiberseele ergreift, wird sie störrischer und unzugänglicher als eine männliche, der doch immer noch mehr Fähigkeit zu einer allgemeineren Vorstellungsart übrig bleibt. Ob ich gleich selbst jener Kirche zu gethan bin; so lehrte mich mein Beruf, der mich immerwährend mit der physischen und moralischen Gebrechlichkeit der [166] menschlichen Natur beschäftiget, alle unauflöslichen Gelübde verwerfen. Ein so schwaches Wesen als der Mensch, an dem alle Elemente anschlagen, sollte mit der ewigen Wahrheit nicht auf diese Weise sein Spiel treiben. Die Mutter, so wie Rosa selbst, habe ich vor einem übereilten Entschluß hinlänglich gewarnt, und ich hoffe nicht ohne Erfolg.

Der ruhige Verstand dieses Mannes, sein reines wohlwollendes Gemüth besänftigten meinen Schmerz. Er schenkte mir jede freie Stunde, und wurde nicht müde, meine Fragen über Rosa zu beantworten; ja, er that es mit solch liebender Theilnahme, daß ein inniges Band der Freundschaft zwischen uns entstand.

Unablässig hatte sich Rosa mit mir beschäftigt, in ihren Fieberträumen die zärtlichsten Reden an mich gerichtet, gewähnt, sie sitze in einem Garten mit mir, und dann sey sie wiederholt mit einem schmerzlichen Schrei erwacht. »Ach da kommt eine Schlange aus den Blumenbeeten, und zerdrückt mir das Herz!« Mehrmalen [167] schien sie mit der Idee umzugehen, ihr Leben zu enden. »Nimm mich auf in deinen tiefen Wogen, du Strom, der so manches Leben schon verschlang – der Vater im Himmel wird es dem armen Wesen verzeihen, daß es die Luft der Erde nicht mehr athmen kann!« rief sie eines Abends. Dann sprach sie leise, als mit sich selbst zu Rathe gehend: – »Nein, nein! das darf ich nicht thun; denn es würde sein ganzes Leben elend machen, – diesen innern Vorwurf könnte er nicht tragen.«

Mein Schmerz bei dieser Erzählung war unaussprechlich.

»Fasse dich, du glücklicher und unglücklicher Jüngling, der so geliebt wurde! sagte der Arzt; ich zerreiße dein Herz, um es zu heilen. Du wirst es vielleicht in diesem Augenblick nur als einen leeren abstracten Trostgrund aufnehmen; aber es ist die lange und tiefe Erfahrung meiner vielseitigen Lebensansicht: ein Wesen das so lieben kann, trägt den Himmel in sich und kann nie ganz unglücklich seyn. Ja leidenschaftliche [168] Liebe müßte ihm immer zu bittern Schmerz werden; denn wo ist die Seele, die solch eine Liebe mit immer gleicher Zartheit und Reinheit erwiedern kann? Im allgemeinen Wohlwollen kommt es zur Ruhe, in der Liebe des Unendlichen, Ewigen, in seinen Geschöpfen, nicht im Erheben des Geschöpfes im reinen Lichtglanz seiner Empfindung, wo Beschränkung und Mängel immer seinen Frieden kränken müssen. Ich habe dir schon gedient, ehe ich dich kannte. In mancher Stunde, wo Rosa zur klaren Besonnenheit zurückkehrte, warnte ich sie vor dem Streben nach einem Ideal, das nicht im Kreise des menschlichen Daseyns liegt. »Ich verstehe Sie, sagte sie mit sanftem Lächeln und einem zarten Rosenschimmer auf den bleichen Wangen; aber was ist denn die Liebe ohne Wahrheit? Nie kann ein vereintes Leben glücklich seyn, wo der kalte Argwohn alle Blüthen des Vertrauens tödtet. Mein Herz ist gebrochen und kann keine Hoffnung mehr fassen.«

Der liebreiche Mann stellte meine Papiere [169] der Aebtissin zu; er wagte selbst noch einen, obgleich im voraus fruchtlos geglaubten, Versuch für mich. Die strenge Frau versprach die Bestellung der Papiere; blieb aber unerbittlich in ihrem Schweigen. Ich leitete einen sichern Briefwechsel mit dem Arzt ein. Jeden günstigen Umstand, die leiseste Spur versprach er mir mitzutheilen; ich fühlte, daß er mein Geschick mit wahrhaft väterlicher Sorgfalt am Herzen trug.

Nun folgte ich dem einzigen Zeichen, welches mir der treue Knecht gegeben – der Rheinaufwärts stehenden Wagendeichsel. –

Zum erstenmal fühlte ich mich als dem ganz Einsamen hoffnungsleerer Sehnsucht hingegeben. Hinter den blauen Fernen, die den Horizont umgränzten, stand Rosa's Bild. Das Licht der Sonne weckte mich zu gleicher Sehnsucht; ihr sinkender Strahl brachte mir gleiche Trauer. Wenn ich eine fremde Stadt mit ihren Thürmen vor mir liegen sah, schlug mein Herz höher; aber nach vielen vergeblichen Nachforschungen [170] begrüßte ich jeden neuen Wohnplatz der Men schen mit ahnendem schmerzlichen Gefühle. Mein ganzes Daseyn war ein düsterer einförmiger Schmerz, mit dessen Abschattungen ich Sie nicht länger ermüden will. Um mich meinen guten Eltern nur einigermaßen dankbar zu bezeigen, verband ich oft Geschäfte mit meinen Reisen; hielt Zusammenkünfte mit ihnen; denn sie fühlten nur zu sehr, daß das Leben in der Vaterstadt, – in demselben Kreise, wo mich die lebhafteste Erinnerung meines Verlustes ergreifen müßte, mich ganz zerstören würde. Sie hofften auf die Heilung der Zeit; aber ehe diese mit meinem Schmerz abgelaufen war, entriß mir der Tod beide. Die Mutter starb nach fünf Jahren, und der Vater folgte ihr bald. Ich führe meine Geschäfte um Anderer willen fort, die an meine Thätigkeit gebunden sind; ich führe sie mit Glück. Wissenschaft, Kunst, menschliche Verhältnisse erhalten meine geistige Regsamkeit. Allgemeines Wohlwollen brachte mich in manche angenehme Verbindung. Aber [171] mein Herz blieb öder und düsterer Sehnsucht hingegeben. Der prometheische Funke – die Liebe, das Vertrauen, die Hoffnung fehlt mir.

Als der Abend mit seiner Kühlung begann und seine röthlichen Glutfunken die Felsen umsprühten, ging Lothar mit seinem bewegten Freunde wieder an den Sitz zwischen den Ruinen, und trug seine Geschichte, wie folgt, vor:

Als der jüngere Sohn wurde ich von meinem Vater von Jugend an zum Militärdienst bestimmt in dem Lande, wo unsere Familiengüter lagen. Ich wurde mit meinem Bruder gemeinsam unterrichtet, und eine Schwester voll Geist und liebenswürdiger Anlagen verschönerte unsere glücklichen Jugendjahre.

Das Haus meiner Eltern gehörte unter die angesehnsten einer Stadt von mittlerer Größe, und die Abendstunden verstrichen in heiterer Geselligkeit mit andern Knaben, zu denen sich auch meine Schwester mit ihren Gespielinnen oft einfand.

Von Jugend auf entwickelte sich eine tiefe [172] Leidenschaftlichkeit in meiner Natur. Alle meine Neigungen waren heftig und ausschließend. Meine Schwester entwickelte in der aufbrechenden Blüthe ihrer Schönheit ein edles liebevolles Wesen, und litt nicht, daß einer der Brüder oder Gespielen von der Linie der Grazie und Schönheit abwich. Meiner Leidenschaftlichkeit begegnete sie mit heiterer Verstandes-Ansicht. Unglücklicher Weise wurde ich ihrem Einfluß zu bald entrissen, der mich vielleicht zum rechten Maaß und innern Harmonie der Fähigkeiten geführt hätte. So mußte ich schmerzlich die Bildungsstufen durchlaufen, auf denen eine gütige Macht uns nach und nach lernt im innern Gleichgewicht das Leben – zu ertragen – weiter werde ichs nicht bringen; dem Glücke, dem heitern Genusse des Daseyns, der uns auf dem weichen Arm der Liebe über alle Oeden und Klippen hinwegträgt, bin ich für immer entfremdet. Ich wurde in eine Militärschule gebracht, und während der Ferien war mir's vergönnt auf kurze Zeit im väterlichen Hause zu leben. Im engen [173] gleichförmigen Gang jenes Instituts, bei trocknem Unterrichte, der auf Individualität keine Rücksicht nahm, im Entbehren alles liebenswürdigen Umganges, verschloß ich mich dort ganz in meine innere Traumwelt. Nur mechanisch und aus Ehrgefühl nicht hinter den Andern zurückzubleiben, lernte und that ich das nöthige Vorgeschriebene.

Die wenigen Wochen im Umgang mit meiner Schwester während der Ferien standen als lichte Puncte vor meiner Sehnsucht und Erinnerung, und führten meiner Fantasie frische Farben zu, die sie in der Geistes- und Herzens-Einsamkeit in tausendfache Bilder verwebte.

Das Bild eines liebenswürdigen Mädchens nahm ich von jeder Reise mit mir zurück, und meine Schwester empfing ganze Stöße zärtlicher Briefe und Gedichte, über deren Kunstwerth sie mir ihre Meinung sagte, indem sie die Producte selbst weislich in ihrem Schreibpulte verschloß, ohne sie an den Gegenstand gelangen zu lassen. Als ich ihr Vorwürfe deshalb machte, [174] antwortete sie mir: »Schon an drei verschiedene Gegenstände hast Du Deine zärtlichen Ergießungen gerichtet, lieber Lothar. Was sollte daraus werden, wenn Dir alle Drei geglaubt und geantwortet hätten?« Ihr Brief nahm eine sehr ernste Wendung, und enthielt zärtliche Warnungen. Eine Liebe ohne Treue sey unwürdig und könne nur zerstörend auf das männliche Gemüth und das weibliche Geschick wirken. Bei der Güte unsrer Eltern und unsrer günstigen äußern Lage könnten wir Kinder auf eine glückliche Ehe hoffen; diese sey die schönste Blüthe des Daseyns; wahre treue Neigung schließe sie allein, und dieser müßten wir erst entgegen reifen in eigner Ausbildung und vielseitiger Lebensansicht. In der Geschichte, in den Meisterwerken der Dichter solle ich die Charaktere edler Frauen kennen lernen und fühlen, was die weibliche Natur seyn könne; nicht jedes sanfte blaue Auge, und jede leichte zierliche Gestalt werde mich mehr in Entzücken und zärtliche Raserei versetzen. Ich träte in die Jünglingsjahre ein, sie [175] höre, die Männer seyen vielen Lockungen ausgesetzt; bewahren solle ich die Unschuld der Seele, den Adel und die Reinheit der Sitten; nur auf diesem Grunde blühe der Lebensbaum stark und schön der Ewigkeit entgegen.

Der liebevolle Ernst meiner Schwester bewegte mich tief. Ohne eine geliebte herrschende Gestalt, an der sich in meinem Innern die Liebes- und Lebens-Träume hinanrankten, konnte ich nicht leben; aber ich blieb besonnen und verschlossen in meinen Aeußerungen seit ihrer Warnung.

Eine fremde Familie zog um diese Zeit in ein dem Institut gegenüberliegendes Haus, die mir erst zum Gegenstand der Neugier wurde, aus der sodann innige verschwiegene Neigung entstand.

An wie zarten, unsichtbaren Fäden bildet die gütige Macht der Natur unsere Individualität aus! Wie die geheim wirkende Kraft der Elemente in ihrer Mischung die Pflanzen in Gestalt und Farbe aus ihren Keimen entwickelt, [176] sie in üppiger Kraft entfaltet oder verkümmert hinwelken läßt: so ist's mit dem, was wir menschliches Schicksal nennen. Nur das kann aus dem Leben unser werden, was wir uns anzueignen vermögen; aber ob Licht und Luft eines günstigen Himmels ihm vollkommene Ausbildung gewähren oder versagen? – das gehört dem großen Laufe der Natur an, die wir als Weisheit und Güte annehmen können, da sie uns aus den Wolken des irdischen Seyns, die erhebende Hand zu einem höhern reicht.

Der Familien-Kreis, den ich in allen Stunden der Muße beobachtete und mit dem ich gleichsam unsichtbar lebte, bestand aus Vater und Mutter, einer erwachsenen Tochter und zwei jüngern Knaben. Die Eltern waren noch in den besten Jahren und sehr wohlgebildete Gestalten. Die Knaben waren stark und frisch, voll Lebensfülle. Das anmuthige Wesen der blühenden Tochter ging als ein beseelender und schützender Genius unter dem Ganzen einher; [177] auch schien jedes zu ihr die zarteste Beziehung zu haben.

Sie bändigte die Unruhe der Knaben, waltete über ihre Beschäftigungen; und oft sah ich sie, wenn sie ernst und verweisend vor ihnen gestanden, ihr lebhaft um den Hals fallen und nicht ruhen, bis sie den Kuß der Versöhnung von ihr empfangen. Unaussprechlich lieblich war sie, wenn sie mit der feingeformten Hand die lockigen Köpfe der Kleinen an sich drückte. Es ergriff mich ein glühendes Verlangen an ihrer Stelle zu seyn. Der Vater las ihr oft vor, wenn sie mit ihrer Näharbeit am Fenster saß; das schöne Profil im ruhigen Hören und Sinnen zog mich zu Stunden langem Anschauen hin, und wenn die Mutter zu ihnen trat, und der Tochter weißer schlanker Hals sich beugte, um die liebkosende Hand auf ihrem Arm zu küssen; dann drangen oft sehnsüchtige Thränen in meine Augen, auch zu dieser innigen Welt von Liebe und Herzenseinigkeit zu gehören.

Die Lage der Familie schien beschränkt, doch [178] war eine gewisse Eleganz in der kleinen Einrichtung sichtbar, die die Gewohnheit des Wohlstandes verrieth. Das zierliche Mädchen ging täglich mit einem Körbchen am Arm aus, um die Bedürfnisse der kleinen Wirthschaft zu holen, und als ihr die Mutter eines Tages einen Auftrag zum Fenster hinausrief, hörte ich sie »Lina« rufen.

Wie glücklich machte es mich, ihren Namen zu wissen! Wie oft wiederholte ich ihn in meinem Herzen! Abends sang sie zur Guitarre und ihre sanfte Stimme rührte mich innig. Meistens sang sie traurige Lieder der Liebe und Sehnsucht; ich nahm meine Flöte und spielte die Lieder nach, die sie gesungen.

Mehrere Abende hatte ich dieses getrieben, als sie ihr Fenster öffnete und sich umsah, woher die Töne kämen, die sich zum Einklang mit ihrem Gefühl drängen wollten? Ich verbarg mich im Vorhang des Fensters, führte aber mein Nachspielen immer fort, ja ich wagte sogar es in ein Accompagnement zu verwandeln, wenn [179] das Lied mir bekannt war, und fühlte eine unaussprechliche Nähe zu ihr in diesen Doppelgesprächen. Sie suchte mich nicht mehr auf; doch schien ihr Gesang mir seelenvoller zu antworten. Der Frühling nahte heran, und alle Bewohner der Stadt suchten Luft und Sonne auf den freundlichen Spazierplätzen, die sie umgaben. Wie sehnte ich mich meinem geliebten Mädchen zu begegnen! Mir war, als würde ich's vermögen sie anzureden, als würde sie meinem Herzen begegnen. So oft ich sie mit den Ihrigen ins Freie wandeln sah, folgte ich, mehrmals ging ich dicht an ihr vorüber; aber der in sich abgeschlossene Familienkreis gebot mir ein ehrfurchtsvolles Schweigen. Nur einmal, als sich dieser auf einem der wenig besuchtesten Gänge einen Ruheplatz gesucht und die Knaben geschäftig waren die ersten Maiglöckchen und Veilchen auf dem grünenden Rasen zu pflücken, faßte ich Muth.

Ein Sträußermädchen bot seine Frühlingsgaben am Ende der Allee dar. Ich wählte den [180] zierlichsten und anmuthig duftendsten Strauß von weißen und röthlichen Hiacynthen, zog ein weißes Blättchen aus meiner Brieftasche, und schrieb mit der Bleifeder folgende Zeilen:


Süße Kinder ew'ger Lebensfülle,
Aus der Erde tief verhüllten Nacht
Rief euch neuen Lichtes Liebes-Macht,
Daß dem Herzen Trost und Muth entquille.
Leiht ihm euren holden Blüthenmund,
Glühend stilles Sehnen thut es kund!
In der Töne leisen Zauberwogen
Wagt es oft von duft'ger Nacht umhüllt
Anzurufen das geliebte Bild.
Glänzend schwebt es an dem Sternenbogen!
Ihr der Erde treue Kinder fragt,
Ob ihm nimmer seel'ge Hoffnung tagt?

Ich steckte das Blättchen zwischen die Blumen, näherte mich der Bank, wo das holde Mädchen saß, fest entschlossen eine Unterredung anzuknüpfen. Vergebens suchte ich nach Worten, meine Lippen blieben verschlossen, und eine glühende Röthe flog über meine Wangen; mit zitternder Hand reichte ich ihr die Blumen [181] dar. Sie verbeugte sich gefällig, indem sie sie annahm. Vater und Mutter blickten mich freundlich an, ohne ein Wort zu sprechen, und in stummer Verwirrung zog ich mich zurück. Heftig ging ich in der Seiten-Allee auf und ab, meine Zaghaftigkeit tausendmal verwünschend; aber ihr Auge hatte sich gegen mich geöffnet, der himmlische, nur Liebe und Güte verheißende Blick, stand vor meiner innern Sehkraft, und meine glühende Brust wogte in unaussprechlichem Sehnen. Ihr noch einmal zu begegnen wagte ich nicht, und nahm einen weiten Umweg durch die Felder nach meinem Hause.

Ihr Abendgesang schien mir noch sanfter als gewöhnlich; meine Flötentöne begleiteten ihn noch zarter und inniger. Sie weiß es nun, welchen Lippen sie enttönen! sie weiß was die heiße Brust empfindet, die diesen Melodien den Athem leiht! Wird mich ihr Blick am Morgen suchen? wird er mild oder zürnend in das Herz schauen, das so ganz nach ihr hinstrebt? Diese Fragen verscheuchten den Schlummer, [182] und kaum konnte ich die Stunde erwarten, die mich frei ließ mein geliebtes Fenster aufzusuchen. Endlich schlug sie, und ich sah Lina sinnend und ernst am Fenster stehen. Sie hielt ein Bild in der Hand, auf das ihr Auge geheftet war. Es war das Bild eines jungen Mannes; ich konnte es aus dem Winkel des Fensters erkennen, ja es schien mir ihre Meinung, daß ich's er kennen sollte. Nachdem sie es lange angesehen, heftete sie es ihrem Sitz am Nähtischchen gegenüber an, und ging an ihre Geschäfte. Sie liebt! sie ist verlobt! zuckte es schmerzlich durch meinen Busen – Nie kann sie dein werden. – Mein Schmerz, der Verlust aller Hoffnung auf sie, ergoß sich in glühenden Thränen. Meine Flöte schwieg nun bei ihrem Abendgesang; aber als dieser geendet war, drückte ich in wilden Gängen und Läufen meinen Schmerz aus. Ich fühlte mich nun ganz einsam und losgerissen von Freude und Hoffnung. Ein Anderer durfte sich eindrängen in den Kreis ihres liebevollen Wirkens, und[183] ich stand verlassen! Achten mußte ich die reine treue Seele, die mich augenblicklich aus einer Täuschung reißen wollte, die es nicht ertragen konnte, eine wahre Empfindung im Zweifel zu lassen. Zum Glück fiel die Ferienzeit ein, und die freie Welt und Reiseermüdung überwand den süßschmerzlichen Traum. Doch kann ich sagen, von dem zarten Band des Familienglückes blieb lebenslang der Nachklang in meinem Gemüth, und diese Reihe holder Bilder löschte nichts vom Grunde meiner Einbildungskraft aus. Bestimmen nicht diese Blüthenkränze unsre Jugend, unsre Fantasie und durch sie unsre Wünsche und unsern Willen? Sind sie nicht leise Fäden des ewigen Weltgeschickes, in dem unser Herz mit fortschlägt, – gewebt von dessen Hand, ohne dessen Willen kein Sperling zur Erde fällt?

Nach Liebesglück im Familienkreise strebte nun mein ganzer Sinn, um so mehr da ich auch meine Schwester als die Braut eines liebenswürdigen edlen jungen Mannes wiederfand. [184] Ich kam in ein Regiment, welches in der Residenz lag. O hätte mir mein Genius ein liebendes Wesen zugeführt! Ich stand am Scheideweg zwischen einem heitern Daseyn, düsterer Leidenschaft und ewiger schmerzlicher Sehnsucht. Ich fiel in die Schlingen einer der Weiber, in deren Gluthatmosphäre Psyche immer die himmelanstrebenden Flügel versengt. Um der traurigen Einförmigkeit eines liebeleeren Daseyns zu entfliehen, reißen sie immer neue Gegenstände an sich, sie suchen nur die erhöhte Stimmung ihres eignen Gefühls und zerstören muthwillig die Blüthen des Herzens, das sich ihnen geöffnet. Meine unbändige Jugend, das dunkle glühende Verlangen in meinem Wesen gab diesem Verhältniß ein ernsteres Ansehen und längere Dauer. Bella war mir einige Wochen hindurch eine Göttin, in deren Zauberkreis neues Leben für mich wohnte. Dankbarkeit und Mitleid zogen das Liebesnetz fester. Häusliche Zerstörung und ein unzarter leichtsinniger Gatte machten Bella's Haus zu einem Schauplatz trauriger [185] Verwirrung. Wie sehnte ich mich nach der reinen Atmosphäre, in die mich Lina's Anschaun versetzt hatte! Wahrheit, Liebe, Treue waren dort die himmlischen Genien, während nur zu oft in Bella's Umgebungen die Furien die Fackel wilden Zwistes schwangen. Noch stand sie selbst rein und als ein Opfer ihrer Verhältnisse vor meiner Seele; ich glaubte mich innig und einzig geliebt; aber bald zerrann die Täuschung und ich sah glückliche Nebenbuhler um mich her.

Mein Herz war gekränkt, mein Stolz gab dem Allen eine dunklere Farbe; ich gerieth in einen Zweikampf, mein Gegner wurde tödtlich verwundet, und ich selbst trug eine bedeutende Verwundung davon. Ich mußte mich entfernen, bis die Genesung meines Gegners entschieden war. Man brachte mich an einen einsamen Ort an den Ufern des Bodensees. Der gute Engel meines Lebens, die Schwester, war meinem Schicksale gefolgt. Sie konnte mich in der nahen Hoffnung Mutter zu werden nicht aufsuchen, [186] aber sie sendete mir ein Empfehlungsschreiben an eine treue Freundin, die den Sommer in der herrlichen Gegend zubrachte, und empfahl mich dieser als das, was ihr am theuersten sey, zur zartesten Sorgfalt. In dem Nebengebäude eines Klosters, dicht am See-Ufer, richtete mich diese gute Frau ein, sorgte für einen geschickten Wundarzt und sichere Pflege, ja sie kam selbst mit ihrem Gatten, einem liebenswürdigen Manne, mich zu besuchen. Die Klosterfrauen, denen sie mich anvertraute, waren hülfreich, sorgsam und unerschöpflich in kleinen Aufmerksamkeiten. Ich war in ein heftiges Fieber gefallen, und die Aebtissin kam selbst in diesem Zustand nach mir zu sehen, in Begleitung einiger Nonnen und eines lieblichen Mädchens, deren Wesen beim ersten Blick einen unnennbaren Eindruck auf mich machte. Gewandter und sinniger, als die dem Leben entfremdeteren Nonnen, veranstaltete sie alles Nöthige mit Besonnenheit, ohne mit überflüssiger Sorge zu quälen. Ihr großes blaues Auge war mit der[187] Begeisterung des zärtlichsten Mitleidens auf mich geheftet, und als die Nonnen sich für einen Moment in der Tiefe des Zimmers aufhielten, trat sie mit liebevollem Ernst an mein Lager und fragte leise: Zu welcher Kirche bekennen Sie sich? Auf meine Antwort, daß ich ein Protestant sey, sagte sie sanft: »Nun so fühle ich mich doppelt verpflichtet in jedem Sinne, unter uns beiden fremden Umgebungen, für Sie zu sorgen. Der ernste Schritt in die Ewigkeit ist wohl dem Andenken jedes guten Menschen nie ferne; einem Soldaten, der den Tod täglich vor Augen hat, ist er wohl noch gegenwärtiger als jedem Andern; aber gerade in der Krankheit bedarf's die Seele, sich im Zuspruch glänbiger Menschen ihrer eignen Ueberzeugungen lebhafter zu versichern. Ein Geistlicher unsres Glaubens, aus einer kleinen Stadt an der Schweizergränze, ist mir selbst ein Engel des Trostes geworden; sollich Ihnen diesen senden?«

Dankbar nahm ich den Antrag an. Die reizende Gestalt, die sogleich mein Herz bewegt [188] hatte, umfaßte es nun mit einem weit innigern Band. Sie sorgte um mein Seelenheil, sie wollte mich in eine seelige Ewigkeit leiten! Ich sah sie in der Glorie einer Heiligen, süße Thränen füllten mein Auge; aber ich vermochte nur, ihr mit Blicken zu danken; denn die Nonnen hatten sich meinem Lager wieder genähert.

Ich empfing am andern Morgen die tröstende Nachricht, daß Hoffnung für das Leben meines Gegners vorhanden sey, und am Abend trat meine Heilige mit dem verheißenen Tröster in mein Zimmer. Es gibt Menschen, die einen Hauch des himmlischen Friedens um sich her verbreiten, wo sie sich auch zeigen, weil er in ihrer Seele wohnt. So war dieser Mann. Höchst schlicht im Aeußern, lag eine gewisse Erhabenheit in seinen Zügen, in seinem Benehmen, vor der alle gewöhnlichen Lebensverhältnisse in die Dämmerung traten.

Ich theilte beiden die tröstende Nachricht mit, die ich empfangen. Marie, so hatte ich meine Freundin nennen hören, faßte meine [189] Hand lebhaft, erhob ihr schönes Auge gen Himmel – und sagte: »Dem Ewigen sey es gedankt, der diese schreckliche Last von Ihrem Herzen nahm!«

Sie erkundigte sich nun nach einigen kleinen Bedürfnissen bei der Wärterin, sagte uns einen freundlichen Abendgruß und eilte hinweg.

Die Unterhaltung dieses seltenen Mannes war wahrhaft Geist und Herz erhebend, belebte alles schlummernde Gute und rief alles rein Gedachte vor die Seele. Mit hoher Begeisterung sprach er von dem Frieden eines Gemüths, das fähig ist die göttlichen Wahrheiten aufzunehmen, und von der Versöhnung durch den Glauben an den Heiligsten mit den Verschuldungen, die wir uns im Gange des Lebens aufluden. Ein reiner Aufblick unseres Wesens nach der ewigen Wahrheit, ein lebendiger Schmerz unseres Herzens, daß wir von ihr abgewichen sind, sollte dem die ewige Liebe nicht entgegenkommen? Nie hatte mir dieser Glaube so menschlich, so natürlich möchte ich sagen, geschienen, [190] wie er mir aus der Brust dieses wahrhaft reinen menschlichen Wesens entgegenflammte. Einen unauslöschlichen Eindruck haben seine Worte in meinem ganzen Daseyn zurückgelassen. Ernst und strafend, als eine öde Finsterniß lag der Leichtsinn und das irdische Streben meines vergangenen Lebens hinter mir, und nicht fruchtlos blieben die frommen Gelübde und Rührungen jener Stunden, wo ich mich an der dunklen Pforte des Todes wähnte. Die innere Ruhe, die fortschreitende Genesung meines Gegners – auch der holde Zauber einer neuen Liebe thaten das ihrige dazu.

Auf die, der ich den Antheil des Mannes dankte, von der mein Herz so voll war, mußte natürlich auch unser Gespräch fallen.

»Dieses schöne Herz hat viel gelitten,« sagte Gotthold eines Abends, als ich mit verborgener Gluth von ihr zu sprechen begann; »kein irdisches Glück kann es mehr füllen, so wie ich hoffe, daß kein irdischer Schmerz mehr seinen Frieden stören kann. Es ist wie die Sinnpflanze, [191] die sich bei jeder Berührung am Stengel zurückbiegt und ihre Blätter verschließt.« Er sah mir lächelnd und fein, aber mit unaussprechlich wohlwollendem Ausdruck ins Auge, als errieth er mein Gefühl, als wollte er warnen mich ihm zu überlassen.

Marie war mit den Nonnen nur noch einmal zu mir gekommen, aber mein erster Ausgang in den Garten des Klosters, der sich bis ans Ufer des See's ausdehnte, wurde wie ein Fest gefeiert. Ich fand Mathilden, die Freundin meiner Schwester, und ihren Gatten zu meiner innigen Freude, auch als Mariens Freunde, gegenwärtig. Die guten Nonnen, die in jener heitern Gegend und unter dem Schutz eines guten und verständigen Seelenhirten den Druck ihres Standes wenig fühlten, waren geschäftig uns zu bewirthen. Mein Leibes-und Seelenarzt waren geladen, und im Dank- und neuen fröhlichen Lebensgefühle fühlte ich mich unter den guten Menschen sehr glücklich.

Die Nonnen machten Musik; aber wie innig [192] bewegt war ich, als Mariens reine seelenvolle Stimme ertönte! Sie saß unter einem blühenden Baum mit ihrer Guitarre und sang den rührenden Sicilianischen Schäfergesang an die schützende Himmelskönigin, einfach und tiefergreifend, wie ich ihn noch nie gehört.

Nun führten mich die Männer auf eine kleine Anhöhe, um den Sonnenuntergang zu feiern. Die glühende Lichtsäule lag über dem ruhigen See, die Spitzen der Berge glühten im Purpur; und wie sie nach und nach sich in dunkles Blau färbten, und nur noch die hohe Alpenkette mit jenen Lichtrosen beleuchtet war, von denen der zaubertrunkne Beschauer fragt, ob sie dem Himmel oder der Erde angehören? – da schwoll mein Herz dankend über zum Quell ewiger Schönheit in frommen Gelübden, nur ihm, das neugeschenkte Leben zu weihen! Marie war uns gefolgt. Ich ergriff Gotthold's Hand und die ihrige und drückte beide an mein Herz. Wenn ich gut, wenn ich glücklich bin, werde ich Eurer als guter Geister gedenken, die die[193] ewige Güte mir gesendet hat! »Das festeste Band unter den Menschen, sagte Gotthold, ist das vereinte Streben nach dem Ewigen und innerer Reinheit; ja es wird zu einer beseligenden Ahnung, daß Sie sich nie wieder verlieren können. Auf diese Weise werden wir nie getrennt seyn!« Marie drückte meine Hand, wischte sich eine herabstürzende Perle aus dem Auge und sagte: »Viele Seelen hat unser verehrter Freund schon dem Himmel gewonnen. Gott gebe uns die Kraft, immer in seinem Glauben zu leben.« Ihr Auge senkte sich mit himmlischer Demuth, von den breiten Wimpern überschattet. O warum konnte ich nicht immer so lieben, wie in diesem seligen Augenblicke! Das Wallen ihrer hohen Schönheit hatte mein Herz geläutert, ihr reiner Antheil an meinem Daseyn füllte mich ganz; kein heißes Verlangen, kein Bedürfen versengte diese himmlischen Blüthen der Empfindung.

Nur zu bald aber ergriff mich die zerstörende Wuth leidenschaftlichen Begehrens, die [194] das Gebilde des Himmels auf die dumpfe Erde herabzog und mich dem nagenden Schmerz endloser Sehnsucht Preis gab.

»Oft werde ich Ihrer hier gedenken, sagte Marie, indem sie meine Hand losließ und mich mit den großen blauen Augen ansah; – jeden Abend stehe ich an diesem Platze!« Bald nicht mehr, sagte Mathilden's freundliche Stimme hinter uns, da drüben, über den See hindeutend nach den glänzenden Fenstern ihres Schlosses, – da geht die Sonne auch unter. Längst versprachst Du mich zu besuchen, die ehrwürdige Mutter hat eingewilligt, das Schiff ist zur Abfahrt bereit. Schnell wurde alles angeordnet und bereitet. Marie schien nicht ohne einiges Widerstreben zu folgen, doch ergab sie sich den Bitten der Freundin auf die gefälligste Weise.

Auch ich wurde eingeladen zu folgen, sobald mein Zustand es erlaubte. Der Vollmond ging hinter den Gebirgen hervor, und lange sah ich dem Nachen nach, der über den zitternden Mondglanz der blauen Tiefe hinglitt. Die [195] lieben Gestalten winkten noch dem am Ufer einsam Zurückgebliebenen zu; auch ihre Gestalt im weißen Gewande hatte mir einen Scheidegruß zugesendet, und in der Fülle seeliger Träume ging ich nach meinem Wohnplatz. Lina's sanftes Bild und Bella's Rei', von den Spuren des Verrathes an meiner Liebe gereinigt, schwebten meiner Seele vorüber. In Marien waren beide verschmolzen, und einzig stand die Hohe und Holde als ein neuer Lebensengel vor mir. Die neugrünende Hoffnung aus meinem Herzen rankte sich in tausend holden Lebensbildern wieder hinauf.

Nachdem ich meiner Schwester die Geschichte meiner traurigen Verwirrungen offen dargestellt hatte, schloß ich mit den Worten: In dieser Marie ist lauter Licht und Wahrheit – Ein kleiner Besitz in dieser reizenden Gegend und sie, als der liebevoll waltende Genius des Hauses – welch ein Leben könnte Dein Lothar führen! Verdient hätte er's nicht, aber Dank und Liebe würden sein ganzes Wesen heiligen, [196] wenn es dem Allwaltenden gefiele, es ihm zu verleihen!«

Die guten Nonnen führten ihr freundliches Betragen gegen mich fort.

Ich brachte die Abende auf der Anhöhe des Gartens zu und grüßte die Fenster des Schlosses im Abendschimmer, wo meine Marie wohnte. Aus manch traulichem Gespräch erfuhr ich von ihren Lebensumständen, daß ihre Mutter sich in einer benachbarten Stadt aufhielte und sich in stiller Eingezogenheit nur mit der Ausübung ihrer Religionspflichten beschäftigte; daß sie selbst ihre Tochter zu kleinen Reisen und Entfernungen veranlasse, um ihre Jugend nicht von der ihr gebührenden heitern Geselligkeit zu trennen, da sie ohnedem zur Melancholie geneigt sey. Diese gutmüthigen Wesen waren unerschöpflich in Ausdrücken des Lobes und der Verehrung meines geliebten Mädchens und bejammerten nur, daß sie nicht ihres Glaubens sey; doch hofften sie, Gott werde schon Mittel[197] und Wege finden, sie im Schooß der wahren Kirche zu führen.

Der Dienst zog mich nicht mehr an, und da es kein Moment war, wo die Ehre gebot meinen Verhältnissen zu folgen, begehrte ich längern Urlaub zu einer Schweizer-Reise. Meine Kräfte nahmen täglich zu, und in Kurzem fühlte ich mich stark genug, Mathildens Einladung zufolge über den See zu schiffen.

Wie schlug mein Herz, als mich nun die Wogen umrauschten, die mich zu Marien trugen! Jeder Ruderschlag brachte mich ihr näher, und als ich nun im Wiederschein der Gebirge schiffte, die ihren Wohnplatz umgaben, als das sonnenerleuchtete Schloß mir aus der Fluth entgegenglänzte, mir immer näher trat, und die Schiffer endlich an einer Wiese unter seinen Gärten den Nachen anlegten: da zitterten und schwankten die Formen und Farben der Gegenstände vor meinen Blicken, unter denen die heiß Ersehnte mir erscheinen würde.

Das Getöse einer großen Gesellschaft, das [198] mir vom Speisesaal entgegenschallte, entriß mich auf sehr störende Weise dem sanften Dämmerschein meiner Gefühle.

Die Regenbogenfarben schwanden, die scharfen Umrisse der Wirklichkeit traten mir entgegen.

Die Offiziere eines durchziehenden Regiments, Reisende aller Nationen und einige angesehene Familien der Nachbarschaft fand ich bei Mathilden versammelt.

Mathilde nöthigte mich an ihrer Seite Platz zu nehmen. Marie saß mir gegenüber im ausgewählterem Putze zwischen zwei angenehmen Männern und gab sich gefällig der heitern Unterhaltung hin. Ihre freundlichen Blicke begegneten mir, ihre sanfte Stimme in einer Frage nach meinem Befinden drang an mein Herz; aber so ganz anders hatte ich mir unser Wiedersehen geträumt, daß ich Mühe hatte meinen Mißmuth zu verbergen und mich in den hergebrachten Formen der Gesellschaft zu halten. In traulicher Einsamkeit, in dem Ernst unsres ersten Friedens, in der Umgebung [199] mitfühlender Wesen hatte sich meine Liebe erzeugt, das Band inniger Nähe zu ihr schien mir verlezt, zerrissen; ich mußte mich selbst beinahe fragen, ob sie noch dieselbe sey – die hohe himmlische Erscheinung, deren Bild jeden Pulsschlag meines Lebens seit unsrer Trennung begleitet hatte!

Der Zauber ihrer Liebenswürdigkeit umfing alle Herzen; ohne es zu wissen und wollen, war sie der Mittelpunct der Gesellschaft, und Frauen sowohl als Männer strebten nach einem Zeichen ihrer Aufmerksamkeit. Die Milde ihres Herzens, die Freiheit ihres Verstandes belebte das gleichgültigste Gespräch, und der Grazie ihres gutmüthigen Lächelns freute sich alles um sie her, wie eines Sonnenblicks, der Allen zugehörte. Allmählig hatte ich den schmerzlichen Eindruck besiegt und überließ mich der Freude ihres Anschauns, hingezogen in die innere Harmonie ihres Wesens, die alles mit Wohllaut durchdrang.

Aber wie sehnte sich mein Herz nach einem [200] stillen Moment, sich vor ihr zu ergießen in all seiner Liebes-Macht! Kaum konnte ich das Aufbrechen der Gesellschaft erwarten! Ob sie gleich den Zudringlichkeiten der jungen Männer mit jener edlen Kälte begegnete, die keinen Zweifel des ersten Abweisens zuläßt; so fuhr doch die Eifersucht wie ein kaltes Schwert durch meine glühende Brust, als sie auf Bitten ihrer Freundin ein Italienisches Duett mit einem angenehmen Manne sang und zärtliche Worte an ihn richtete. Man tanzte am Abend bei ländlicher Musik auf einem Rasenplatz vor dem Schlosse, Mathilde und Marie untersagten mir als einen erst Genesenden den Tanz. Ich saß einsam unter einem Baum, während die schöne Gestalt in allem Zauber ihres Liebreizes vor mir auf-und abschwebte. Mein Herz zitterte im heißen Verlangen, sie aus den sie umschlingenden Armen ihres Tänzers zu reißen, und so sehr ich mir diese Thorheit vorwarf, so schwangen doch alle Furien ihre Fackeln in meinem Busen.

Ihr Blick hatte mich im Vorbeigehen getroffen; [201] sie schien meinen Zustand zu ahnen und sezte sich nach geendigtem Tanz neben mir nieder. Ich sagte ihr, ich weiß selbst nicht was; aber es müssen sehr leidenschaftliche Worte gewesen seyn; denn sie erröthete und schlug die Augen nieder. Nach wenigen Momenten sah sie mich aber offen und hell an und sagte: »Mein Freund, wir haben uns in ernsten Beziehungen des Lebens kennen gelernt; lassen Sie jene Stimmung immer unter uns walten und führen nie eine Sprache gegen mich, für die ich – kein Ohr habe, auch kein Herz mehr, selbst, wenn sie aus dem Herzen kommen sollte.«

Wir wurden unterbrochen. Gotthold's Warnung stand vor meiner Seele; aber innige Liebe nährt die Hoffnung bis in die Region des Wahnsinnes hinüber.

Zu meinem größten Mißmuth blieb ein Theil der Gesellschaft über Nacht im Schlosse, ja zu meiner Verzweiflung sogar einige Personen auf mehrere Tage. Das gesellige Leben dauerte auf dieselbe Weise fort. Marie schien [202] ernster und nachdenklicher. Im Allgemeinen richtete sie ihr Gespräch mit auszeichnender Achtung an mich; aber sie vermied jedes Besondere.

Meine Liebe wurde immermehr zum glühenden, zerstörenden Verlangen, diese Liebenswürdigkeit, die täglich in tausend neuen Blüthen um mich aufsproßte, einzig zu besitzen. Wie so ganz riß sie mich hin in der zärtlichen Sorgfalt um die schönen Kinder des Hauses! Sie wußte sie unerschöpflich zu unterhalten, zu stillen, zu trösten. Ein lieblicher Knabe schlief gewöhnlich Abends auf ihrem Schoße ein. Wie oft konnte ich mich nur mit Mühe zurückhalten, nicht zu ihren Füßen zu sinken, anzurufen einen Hauch dieser himmlischen Liebes-Fülle für mein glühendes Herz. Mein Gefühl ergoß sich eines Abends in folgende Zeilen:


An der Treue Busen zu erwarmen,
Fest umschlossen von der Liebe Armen
Ist Dein holdes Loos, geliebtes Kind!
Schön'res kann kein Gott Dir reichen,
[203]
Wenn aus Myrthen und aus Lorber-Zweigen
Auch die Parze Deinen Faden spinnt.
Augen die in reiner Aether-Bläue
Mild verheißen Güte, Wahrheit, Treue,
Himmelskräfte wachen über Dir,
Deiner Zukunft Dämmrung zu erhellen,
Seyd der Schiffer auf den nächt'gen Wellen.
Seyd des Lebens holder Leitstern mir!

Ich überreichte sie ihr am Morgen, als ich sie allein mit Mathilden fand. Sie las, und eine zarte Röthe flog über die anmuthigen Wangen. »Ihre Fantasie hat Ihnen ein liebliches Bild vorgezaubert, lieber Lothar, sagte sie. Mit Vergnügen sehe ich Sie im Besitz dieses schönen Talents, das zum doppelten, ja tausendfachen Genuß des Lebens führt; denn ein Dichter kann alle Gaben der Erde und des Himmels sein eigen nennen.«

»Sprechen Sie nicht von meinem schwachen Talent, rief ich; dieses ist Ihrer nicht würdig, das fühle ich nur zu lebhaft; nur einen Blick werfen Sie in das Herz, dem diese Worte entquollen.«

[204] »Ich muß bei so etwas immer an Den denken, erwiederte sie, der uns das menschliche Leben in allen seinen Höhen und Tiefen vor die Seele stellt, der uns über seine Abgründe und heitern Auen mit sicherm Verstand und klarem Gefühl an Blumengewinden der Fantasie hinleitet, – den Shakespear.«

»Die Männer, die sich in die Gunst der Frauen hineinreimen, vernünfteln sich auch meist wieder her aus,« läßt er nicht eine seiner Frauen also sagen, Mathilde? – Mathilde lächelte; aber sie fühlte, wie der Schmerz mein ganzes Wesen durchzuckte, und sagte mildernd: »so sehr ich auch die Autorität des Allgewaltigen anerkenne, von dem »jeder Pfeil von der Sehne das Herz trifft«; so ist doch auch Nichts, selbst von ihm Nichts, allgemein anwendbar.

Die Gesellschaft zum Frühstück trat ein, und Marie barg mein Blättchen in ihrem Strickbeutel

Wie so tausend Pfeile hat das Leben gegen ein liebewundes Herz! doch war sie so sanft [205] und zarttröstend in ihrem Abweisen, daß kein Unmuth gegen sie aufkommen konnte. Mit zarter, beinahe mütterlicher Sorge wachte sie um meine Gesundheit unabläßlich, vor allem Schädlichen warnend. Nur wenn ich Hoffnung andeutete, antwortete sie mit einer schneidenden Kälte, die alle Blüthen mordete. Von ihr sich zu wenden vermochte mein Herz nicht, und die Leidenschaft preßte mit ihrer Tigerklaue die innere Kraft meines Lebens immer mehr zusammen.

Das Gespräch fiel eines Morgens auf meine Schweizerreise. Ein liebenswürdiger junger Engländer erbot sich zu meinem Gefährten. »Sie sollten dieses Anerbieten annehmen, sagte Marie, als er das Zimmer verlassen hatte. Es würde Ihre Freunde beruhigen, Sie als einen noch nicht ganz Genesenen in sichrer, treuer Umgebung zu wissen. – Sie selbst wünscht dich zu entfernen, drang es wie ein kalter Dolch in meinen Busen; denn der Engländer hatte seine Abreise auf den nächsten Tag angekündigt. [206] Ich ging zur Thüre und warf einen Blick auf sie, der all meinen Schmerz ausgesprochen haben muß. Ich warf mich auf den Rasen in einem verborgenen Winkel des Gartens hin und saß, in die Wogen des See's schauend, von dem frevelhaften Gedanken ergriffen, das schmerzliche Daseyn in der blauen Tiefe zu vernichten, das keine Gegenliebe finden konnte. Die Zweige bewegten sich hinter mir, und Marie stand da als ein Engel des Lebens, wie sie mir zuerst am Krankenlager erschienen war. »Guter Lothar, Sie haben meine Sorgfalt übelgedeutet; wie konnten Sie das? sagte sie mit weicher Stimme; lassen Sie uns doch als Freunde offen und harmonisch zusammen leben.« Sie faßte meine Hand: »Kein kleinliches Mißverstehen komme jemals zwischen uns; nie, nie möchte ich Sie verletzen!« – Ich lag zu ihren Füßen und verbarg mein glühendes Angesicht in den Falten ihres Kleides. »O Marie, Du bist so ganz ein höheres Wesen, daß ich sogar von Deinem Mitleiden leben kann; nur reiße mich nicht von Dir! [207] rief ich aus und wagte meinen Blick nach ihr zu erheben.

»Es freut mich ja innig, Sie um mich zu sehen, theurer Freund, sprachen ihre zarte Lippen; aber seyn Sie es nur mit Ruhe! Warum muß es denn eben dieses arme Herz seyn, das Sie mit Leidenschaft wünschen? Die Gewalt solcher Neigung ist mir nicht unbekannt; sie hat die Blüthe meines Glücks zerstört. Nun weiß ich, daß wir nach Glück der Erde nicht streben sollen, nur nach Ruhe, nach dem Frieden wohlthätig verlebter Tage, die sich an das Ewige anschließen. Wenn Sie mich wahrhaft lieben, so wünschen Sie nicht, mich von diesem Lebenspfad hinweg zu locken. So manches gute, noch ungebrochene Mädchen-Herz kann ja Ihre leidenschaftliche Neigung erwiedern! Ich kann es nie, darüber darf ich Sie nicht täuschen; denn Wahrheit gilt über Alles.

Düstre Gewitterwolken lagerten sich aufs neue vor dem blauen Aether, in den ich einen Blick gethan; doch war etwas so Weiches, so [208] Mitleiderregendes in ihrem Wesen, daß ich mich männlich faßte in der Frage: »aber meine theure Marie – wenn ich nun nicht ohne Sie leben kann, wenn Ihre Freundschaft mir mehr ist, als jede andere Liebe: könnten Sie Ihr Leben mit dem eines Mannes verbinden, dem Ihr Glück das Heiligste auf Erden seyn würde?«

»Nein, Lothar, sagte sie nach einigem Bedenken; nein, das wäre Täuschung; die Gluth Ihres jugendlichen Gefühles würde sich unbefriedigt finden. Kein reines Glück kann aus falschen Ansprüchen in einem Verhältnisse entstehen, wo nur Klarheit und Harmonie sicher gegen die Wogen des andrängenden äußern Lebens ankämpfen.«

»Lieben Sie einen Andern?« fragte ich heftig. – »Ich liebte und werde nie wieder lieben, sagte sie, und eine Wolke des tiefsten Schmerzes umzog das liebliche Gesicht. Schweigend gingen wir nach dem Schlosse zurück, ich hatte keine Worte. Als wir die Gesellschaft erblickten, wendete sie noch einen klaren Blick [209] auf mich, als habe sie ihr eigenes Leiden nur überwunden. »Nur das Unerreichbare reizt die Männer, sagte sie mit sanftem Lächeln; lieber Lothar, seyn Sie nicht auch so; so vielfache Pfade liegen ja vor Ihnen, sich des Daseyns zu erfreuen – Kunst, Ehre, Wissenschaft und die treue Freundschaft; verlangen Sie doch nicht wie ein eigenwilliges Kind gerade das versagte Spielzeug.« – Vergebens suchte sie mein Herz zu beschwichtigen! Als ein Schwindelnder, der den festen Standpunct auf der Erde nicht mehr fühlt, war ich bald zur Abreise entschlossen und ließ mich dann wieder von Tag zu Tag zu Wanderungen in der Umgegend mit ihr fortlocken, denn jeden Abend fühlte ich mich unvermögend mir zu sagen; es ist der letzte in ihrer Nähe.

So blühend war Alles um mich her, so ruhig wallte der See, die grüne Insel in seinem Schooße wiegend, die fernen Häupter der Gebirge abspiegelnd! Wenn Alles um uns her zum Genuß des Daseyns einladet, wenn die Schönheit der Welt uns tausendfach anlächelt: [210] dann fühlen wir den Stachel des innern Schmerzes am tiefsten. Am Ende werden wir sogar ungerecht. Die ungetheilte Heiterkeit der Menschenwelt wurde mir peinlich. Marien's immer klarer Sinn, die Gefälligkeit, mit der sie alle kleinen geselligen Freuden theilte, ja selbst erschuf, schien mir Leichtsinn, ihr unbefangenes Betragen gegen die Männer und die natürliche Entfaltung ihrer Liebenswürdigkeit, – Gefallsucht. Doch in allen Aeußerungen gegen sie bezwang sich mein Herz: denn in meinen besten Momenten mußte ich sie ehren, wie ich sie liebte. Ein tiefer Unmuth gegen Den, der sie um die Blüthen des Lebens gebracht, keimte in meiner Brust; – wie gerne hätte ich ihm gegenüber gestanden und um das peinliche Leben die Waffen gezogen, ihr zerstörtes Geschick zu rächen! –

Wir hatten den Abend auf der schönen Insel zugebracht, die so recht geschaffen scheint, ein glücklich liebendes Paar aufzunehmen in ihren Umschattungen, in ihren blühenden Wiesen [211] und unter ihren Weinlauben! Ich nahm ihren Arm beim Einschiffen und sagte: »ich träumte mir auf dieser glücklichen Insel das schönste Glück, das einem Sterblichen werden könnte, – Sie als mein, entfernt von der Welt als Fürstin der kleinen Einöde; aber ich träumte still, und Sie können nicht zürnen. Sie müssen mit mir zufrieden seyn; übermorgen werden Sie es ganz seyn; denn ich bin endlich zur Abreise entschlossen.« – »Der Herbst bringt Sie wieder zu uns, hoffe ich« sagte sie. Ich hielt ihre Hand und bedeckte sie mit Küssen und Thränen. Auch sie war bewegt; ich fühlte es an dem leisen zitternden Druck ihrer Hand und dem stärker wallenden Busen. Ich steckte einen Ring an ihren Finger mit der Bitte: »tragen Sie dieses kleine Zeichen meines Andenkens; es ist ein Geschenk meiner Schwester, Ihrer nicht unwerth.« Sie beugte den Kopf beifällig und still.

Es war der letzte glückliche Moment meines [212] Lebens; mit magischen Banden hielt er die düstre öde Folgezeit umstrickt.

Ich schlief nicht und hörte gegen drei Uhr einen Wagen abfahren. Eine unglückliche Ahnung überfiel mich, ich würde sie nicht wiedersehen. Am frühen Morgen sendete mir Mathilde folgendes Billet, welches ich als ein Heiligthum, als das letzte Zeichen entflohener seeligen Zeit, immer bei mir trage:

»Besser ist's, lieber Lothar, ich entferne mich, als Sie. Bleiben Sie in der Sphäre des Antheils der Liebe unter unsern Freunden, bis Sie ganz hergestellt sind. Auch den edlen Gotthold werde ich Ihnen senden. Er kennt mein Herz und mein Geschick. Was Ihnen noch dunkel blieb, kann er lösen, wenn es Sie ruhiger machen kann; denn Ihre Ruhe liegt mir wahrhaft an der Seele. Ob ich gleich nie mehr glauben kann, daß eine Neigung unauslöschlich in einer männlichen Brust ist: so wird's mir doch wohlthätig seyn von Ihnen zu hören, daß Sie auf einem glücklichen Lebenspfad[213] wandeln, und daß mein Andenken frei von Schmerz und unbefriedigter Wünsche in Ihrer Seele steht.«

Lothar reichte Arthur'n das Blättchen hin, und dieser rief: »Mein Gott, welche wunderbare Aehnlichkeit mit Rosa's Handschrift! – nur daß die Züge freier und fester sind. Lassen Sie uns die Blätter vergleichen!« Er zog seinen Abschieds-Brief Rosa's hervor, und beide staunten mit hochschlagenden Herzen über diese Aehnlichkeit, aus denen der Zauberhauch süßer und wehmüthiger Erinnerungen sie immer magischer umwob. Beim längern Anschaun schien ihnen aber die Aehnlichkeit wieder zu verschwinden; und Arthur rief schmerzlich: »Ach! es ist nur der Zaubernebel der Liebe, der uns diese Erscheinung vorgaukelte. Ich läugne es nicht, schon während Ihrer Erzählung, in Ihrem Bild Mariens dämmerte solch' eine Ahnung in mir auf! Wir riefen die Geister entflohener, seeliger Stunden an; – nun können wir sie nicht wieder bannen; täuschend dringen sie auf uns [214] ein, uns die klare Besonnenheit raubend. Zu sehr muß ich überzeugt seyn durch all mein vergebliches Aufsuchen ihrer Spuren, daß Rosa dem Dringen ihrer Mutter nachgegeben – und hinter engen Klostermauern verschlossen ist. Vollenden Sie, theurer Freund! Sahen Sie Marien wirklich niemals wieder?

Niemals! sagte Lothar mit beklommener Brust und fuhr in seiner Erzählung also fort:

»Sie sind mir theuer empfohlen« sagte Mathilde, als ich Morgens in ihr Zimmer trat, und sogleich fiel unser Gespräch auf den Gegenstand, dessen unser Beider Herz voll war. »Nur zu gewiß bin ich, daß Mariens Entschluß unwiderruflich ist, sagte sie mit dem Blick sanfter Theilnahme. Ohne es Ihnen zu gestehen, suchte ich für Sie zu wirken. Durch Ihrer Schwester Liebe waren Sie mir von früher Jugend an werth, und Ihr Glück meinem Herzen nahe. Auch fühle ich, daß unsre holde Marie des Familienlebens bedarf, um ganz einig mit sich zu werden im wohlthätigen Daseyn für ein kleines [215] Ganzes, wo sie die Spuren ihres liebevollen Wirkens zu überschauen vermag. Ohne Haltung steht die Frau außer dieser Sphäre, ihre ganze innere Lebensfülle reibt sich in zerstörender Sehnsucht auf. O warum mußten Sie so tiefe Leidenschaftlichkeit zeigen, vor der sich ihr Herz verschließt! ihre Erfahrungen waren zu bitter!« Ich brachte zwei stille Tage mit Mathilden zu; sie hatte die Männer zu einer Jagdparthie veranlaßt; ich fühlte in ihrer zarten Sorge um mich, Mariens Wohlwollen.

Tausendfältig wogen wir die ganze Lage hin und her, immer blieb ihr Resultat, zu meinem Glücke, zu Mariens Ruhe müsse ich diese Leidenschaft aufgeben. Auch Gotthold kam als ein Bote des Friedens; er war ja von ihr gesendet! Er lud mich in seine Wohnung ein. Mit welchem zerreißenden Weh schied ich von den Räumen, wo mir ihr Bild aus allen, auch den kleinsten, Umgebungen aus Herz griff. Er wollte mich diesem Einflusse entziehen, kindlich folgte ich seiner Leitung. Sein Haus und das [216] umgebende Dorf lag in einer Bergschlucht, durch die sich ein Felsstrom zum See hinabriß. Eine alte treue Haushälterin machte seinen ganzen Haushalt aus; aber die Kinder, alle Rath-und Trost-Bedürftigen der ganzen Gegend strömten bei ihm aus und ein. Wie himmlisch erheitert kehrte er zu mir in die reich ausgestattete Büchersammlung zurück, wenn es ihm gelungen war ein leidendes Herz zu trösten, Uneinige zu versöhnen, einen Streit durch billige reine Ansicht zu schlichten, den Glauben Aller an die Verheißung des Ewigen zu stärken!

»Sie sehen, lieber junger Freund! sagte er eines Abends, als wir in dem kleinen Blumengarten saßen, dessen Pflege seine liebste Erholung war –, daß das Leben eines Mannes noch Werth haben kann, selbst wenn er mit gebrochnem Herzen lebt! ja wenn wir die Wege der ewigen Liebe deuten dürfen, wurde es gebrochen, nur daß es ein zärterer und innigerer Tröster würde, und alle Wellen der leidenden Menschheit leiser daran anschlügen. Hinter jenem [217] Hügel liegt das Grab des Weibes, das ich mit inniger Liebe umschloß – dessen Andenken ich die Einsamkeit meines Lebensweihe.«

Er erzählte mir nun seine rührende Geschichte, die ich Ihnen zu anderer Zeit mittheilen werde, sowie einige Predigten dieses trefflichen Mannes, auf dem fürwahr der Geist des Evangeliums ruht.

Mein Herz lag nun ganz offen vor ihm da in all seiner Schmerzens-Tiefe; ich hatte die Liebesfülle, die einst das seine durchglühte, empfunden! Alle von Berufsgeschäften freien Stunden weihte er mir, sprach von Mariens reinem himmlischen Gemüthe und drang sanft in mich, nicht meiner Liebe zu entsagen; »denn wer vermöchte dieses? sagte er; aber mit ihr leben zu lernen. Wir leben ja mit der Sonne, mit Mond und Sternen, erfreuen uns ihrer Schöne jeden Morgen und Abend. Sollte es nicht auch also seyn können mit einem hohen Bild menschlicher Schönheit?« Ueber Mariens Schicksale sagte er mir, »in der ersten glühenden Jugendempfindung, [218] der sie sich ganz und unbedingt hingegeben, sey sie durch Untreue so tief gekränkt worden, daß sie dem Tode, dem Wahnsinne nahe gewesen, und dann habe sie ein Gelübde gethan, als sie durch Gottes Hülfe sich selbst wieder gefunden, nie wieder eine Leidenschaft in sich aufkeimen zu lassen. Alles, was dahin ziele, erfülle sie mit einer eignen Bangigkeit; nur in ruhiger Sphäre der Wohlthätigkeit, der Freundschaft gleichgesinnter Menschen erhalte sich der Frieden ihres Herzens mit der Welt, und sein Vermögen sich auf's Ewige zu richten; ihr innigstes Bedürfen sey, diese Richtung immer lebendig in sich zu fühlen.«

Eines Abends trat Gotthold bewegter vor mich in den Garten. Sein Blick war tiefeindringend. Er faßte meine Hand und sagte: »es ist eine der peinlichsten Lagen, wenn wir nicht wissen, ob wir ein wundes Herz noch schmerzlicher berühren oder ihm Ruhe und Trost bringen? Ich schwanke eben, ob ich Ihnen ein Blättchen Mariens zeigen soll, welches ich heute[219] empfing. Mein Grundsatz ist, daß Wahrheit als das dem großen Gange der Natur Gemäßeste, ja als der innere Bestand derselben, immer in der Dauer am wohlthätigsten wirken müsse. Meiner Empfindungsart nach müssen Sie durch diese Zeilen genesen vom peinlichen irdischen Sehnen, welches Sie zerstört; lesen Sie – Kennen Sie ganz die Fülle himmlischer Liebe, die in diesem Herzen wohnt! Guter Jüngling; ich scheue mich einzugreifen in das zarte Gewebe dieses Gemüthes und Geschickes, kann nicht handeln, da wo ich selbst zweifelnd über das Bessere bin. Suchen Sie die Entscheidung in der eignen Brust.«

Er zog einen Brief Mariens aus seinem Busen, gab mir ein Blatt daraus und entfernte sich. Ich las folgendes: »Der Zustand des jungen Mannes bringt mich in die lebhafteste Unruhe. Ich frage mich selbst, ob ich zu dieser zerstörenden Leidenschaft Anlaß gegeben, ob meine Sorgfalt, mein herzliches Wohlmeinen für ihn, vielleicht eine Farbe annahm, die ihn täuschen mußte? In [220] meinem Herzen fühle ich mich frei; und doch lastet sein Sehnen und sein Schmerz auf mir wie ein innerer Vorwurf. Hülfreich jedem Leiden entgegenzukommen, lehrt mich meine Natur; seine innige Anhänglichkeit wob ein zärteres näheres Band daraus. Aber bewußt bin ich mir, jeder leidenschaftlichen Aeußerung immer abweisend begegnet zu haben, wie ich nach meinem Unvermögen, sie zu erwiedern, es mußte. Ach das Alles weckt ja nur alte Schmerzen wieder auf! Mathilde sagt mir, diese glühende Liebe verzehre seine Jugend, sein kaum wiedergeschenktes Leben. Mein Vater, Sie führten mich einem neuen Daseyn wieder zu, Sie rissen den nächtlichen Schleier hinweg vor dem halbgebrochenen Auge. Entscheiden Sie, soll ich mich ihm opfern? Ich bin's gewiß, kein Glück kann aus meinem Hingeben an seinen Wunsch erblühen, für mich und ihn nicht. Für mich? das ist die Frage nicht; denn alle irdischen Wünsche schweigen in meinem Busen. Aber für ihn? – Immer wird er sich allein und unbefriedigt [221] neben mir fühlen in seiner Liebe, und kein Frieden kann um uns wehen: Für ihn also entscheiden Sie, soll ich mich opfern?«

Ein tieferes Weh, als ich noch je gekannt, zerriß meine Brust; und doch mußte ich anbeten diese himmlische Milde und Hingebung. Gotthold fand mich so, aufgelöst in meinem Schmerz. »Mein Vater, Sie hatten recht, rief ich, ich bin geheilt. Nein, als ein Opfer will ich das edle Wesen nicht besitzen – nie, nie wieder einen Wunsch auf sie aussprechen.«

Er schloß mich an seine feste männliche Brust. – »Das habe ich erwartet, Lothar; und Gott sey Dank, der mich so lenkte!« – »Sagen Sie ihr, daß ich so schwach, so unwürdig Ihrer nicht bin, bis ich es selbst vermag.«

Als ein Einsamer, Heimathloser ging ich nun hinaus in die hoffnungslose Ferne. »Bei mir sollst Du immer eine Heimath des Herzens wieder finden, guter Jüngling! sagte mir Gotthold beim Abschied.« Der Trost stärkte mich, im Andenken des herrlichen Menschen zu bleiben, [222] und er folgte mir durch's Leben. Meiner sanft fühlenden Schwester wollte ich in diesem Zustande noch nicht unter die Augen treten, und ich suchte mir einen Aufenthalt am Genfer See. Die hohe ernste Natur des Landes, das ich durchzog, wo die Erde gleichsam ihre Riesenbrust entschleiert, indem sie ihr ewiges Leben in Quellen und Strömen ausgießt, erhob mich; aber da, wo sie Lieblichkeit und Fülle im Schooße der holden Thäler ausspendete, die in ihrem grünen Hügelkranz und klaren friedlichen Wasserspiegeln vor mir lagen, – da umfing mich mein unendliches Sehnen nach der Einzigen mit neuer Gewalt! Wissenschaft und Kunst gaben meinem Wesen einiges Gleichgewicht wieder; sie zogen mich in Verbindungen, aber die Menschenwelt sprach mich eigentlich nicht an, und Alles ging als graue kalte Schatten vor meinem Gemüth vorüber; Keinem wagte ich die Hand zu reichen; mir war, als würden die Gestalten vor mir zerrinnen, wenn ich's wagte, sie zu fassen.

[223] Ich schrieb Marien so ruhig besonnen als ich's vermochte; ich schrieb Gotthold, die Tiefe meines Herzens verbergend, um mich seiner Vatersorge nicht unwürdig zu zeigen. Ihre Antworten waren milde, theilnehmend, und an diesen Fäden zu ihr erhielt sich mein Leben. Nach einem Jahr lud mich Gotthold zu einer Zusammenkunft am Zürchersee ein. So warm ihm mein Herz entgegen schlug, so umschwebte doch eine düstere Ahnung meine Schritte. Nach der ersten süßen Verwirrung des Wiedersehens fühlte ich ihm eine große Verlegenheit an, und sein Blick ruhte mit Aengstlichkeit auf mir.

»Was ist geschehen, fragte ich, Theuerster? Sie verschließen etwas Unglückliches im Busen. Alles vermag ja der zu tragen, der nichts mehr hoffen kann. – Ist Marie todt!« – »Nein Lothar, sie lebt und wandelt fort auf ihrem stillen, friedlichen Pfad; aber es wird Dich schmerzen; deshalb mußte ich's Dir selbst verkünden, wie es kam und nicht anders werden [224] konnte – sie ist verheurathet!« – Der Blitzstrahl traf mein Herz; betäubt, vernichtet wagte ich lange nicht nach dem heitern Himmel der Freundschaft aufzuschauen, aus dem er herab fiel.

Sie habe sich einem biedern, wohlwollenden Manne ergeben, erfuhr ich, der nur eine treue Lebensgefährtin, eine liebevoll waltende Hausfrau und eine Mutter zweier Kinder für ihre verlorene, in ihr gesucht. Der Wunsch der Mutter, die Ansichten der Freunde haben sie endlich bestimmt, ja er selbst gestehe mir, habe ein sichtliches Walten der höhern Lenkung zu dieser Verbindung gesehen. Marie, wie sein eignes Herz, habe ihn gedrungen zu mir zu kommen; unsere Freunde wünschen, ich möchte mit ihm zu meiner Schwester reisen, mich den Meinen und dem öffentlichen Leben meines Vaterlandes wieder geben. »Ach auch mir wollte sie sich ja aus Mitleid hingeben, und nun ist sie dahin auf immer!« so rief ich an Gotthold's Herzen [225] aus, so klang es dumpf in meinem Innern unablässig wieder.

Ich faßte mich, ihr ein paar glückwünschende Zeilen zu schreiben, und folgte Gotthold's Rath wie ein willenloses Kind in den ersten Tagen. Ihr Bild stand nicht mehr im wolkenlosen Aether vor meiner Seele, da ich sie mir als die Gattin eines andern Mannes denken mußte. Unbestand, Laune gab ich auch ihr Schuld, Härte meinen Freunden, und selbst gegen Gotthold keimte eine Bitterkeit in meinem Innern auf, deren ich mich in besseren Momenten schämte.

Mit dem himmlischen Frieden seines Wesens, mit der immer gleichen Zartheit inniger Freundschaft trug er alles, und begleitete mich bis in die Arme meiner Schwester, die mir an einen kleinen Grenzort entgegen kam.

Eine geliebte Hand, die die verstimmten Saiten unseres Wesens berührt, gibt uns oft ein nur noch schmerzlicheres Gefühl unserer zerstörten innern Harmonie. Ihr Familienglück, das ich gerne mit all meinem eignen erkauft [226] hätte, riß dennoch alle Wunden meines Herzens auf; denn ich fühlte ein Gleiches für mich unerreichbar, und all meine unbefriedigten Wünsche, alle verblichenen süßen Jugendträume rief es mir in jedem Moment zurück. Ich floh allen Umgang; wenn mich eine weibliche Gestalt augenblicklich angezogen, drängte sich Mariens Bild vor sie, und das flüchtige Gefallen verkehrte sich in Widerwillen. Bald gab man den Sonderling auf, und ich fühlte den heitern Kreis meiner Schwester durch meine trübe Gestalt gestört. Zur Nachtseite des Lebens hatte sich das gekränkte Herz gekehrt durch düstere Leidenschaft, und ihr ganzes finsteres Gefolge hielt mich gebunden fern von Licht und Liebe. Ohne einen gewaltigen Ruf zu äußerer Thätigkeit weiß ich nicht, was aus mir hätte werden können. Der Krieg brach aus, ich kehrte in meine frühern Verhältnisse zurück, machte den Feldzug auf ehrenvolle Weise mit; aber im Getümmel der Schlachten, unter allen Anstrengungen des Geistes und Körpers, im Kreis muntrer Waffengefährten blieb mein Herz [227] sich gleich, voll Liebe und Sehnsucht nach ihr gerichtet. Gotthold's Antheil folgte meinem Leben; er bat mich dringend und herzlich, ihn nie in allen Gefahren ohne Nachricht zulassen. War es ein süßer Wahn? aber ich fühlte, daß er nicht allein für sich darum bat.

So verflossen Monden und Jahre. Ich ehrte ihr Verhältniß und schrieb ihr nicht mehr. Bald klagt sie mein Herz an um die verlorne Freude des Lebens, bald ruft es sie an als den höhern Genius desselben. In jeder andern Frau sehe ich nur eine Feindin meiner Ruhe. Alle Bella's sind mir verhaßt, keine Lina wage ich zu suchen. Einsam werde ich ins Alter treten, das nur umblüht von heitern Nachkommen sich immer frische Kränze der Hoffnung windet. Gern sehe ich über das Leben hinaus nach dem dunklen Jenseits, das mir in meines edlen Gotthold's gläubigem Sinne immer klärer wird.

Arthur faßte sehr bewegt Lothar's Hand mit den Worten: Dieses Trostes sind Sie würdig, denn Sie sind schuldlos. Auch wissen Sie [228] daß Ihre Geliebte in einer selbstgewählten Bestimmung nicht unglücklich ist. Mich führte das Schicksal auf weit härterem Weg.« Beide standen auf und gingen schweigend durch den Garten.

Der Vollmond wallte hinter dem Gebirge hervor im reinen Aetherblau.

Ueber einem großen Rasenplatz sprangen ihnen drei Kinder entgegen. Zwei ältere Knaben führten in ihrer Mitte ein kleines Mädchen.

Die Luft war vollkommen klar, und die schönen Kinder in zierlicher Kleidung traten als das schönste Bild aus dem einfachen Rasengrund hervor.

Das kleine Mädchen riß sich von den Knaben los, als sie den beiden Freunden nahe kamen, sprang auf sie zu und sah mit seinen großen blauen Augen einen um den andern an.

»Da, das schickt dir meine Mutter, sagte sie und gab Arthurn sein Bildniß, welches er einst Rosa zugeschickt am entscheidenden Tage ihrer Trennung. Hernach wendete sie sich zu [229] Lothar und gab ihm den Ring, welchen er Marien am letzten Abend ihres Zusammenseyns im Schiffe an den Finger gesteckt. »Mein Gott! was ist das für eine wunderbare Erscheinung?« riefen Beide aus. »Seyd ihr denn gute Geister, ihr holden Kinder, sagte Arthur, gesandt, uns das Siegel unseres Geschickes zu eröffnen!«

Eine anmuthige Frauengestalt trat aus dem Gebüsch hervor und näherte sich ihnen. – Rosa! Marie! riefen Arthur und Lothar und standen wie angefesselt an dem Boden. Eine Welt widerstrebender Gefühle und sich durchkreuzender Gedanken füllte Beider Seelen in diesem Moment; endlich stand die Freude, die Geliebte wiedergefunden zu haben, hoch im Zenith über allen Gewölken. Arthur lag zu ihren Füßen, Lothar drückte ihre Hand an sein Herz.

»Lassen Sie, meine Freunde, sagte sie, unser Wiederfinden wirklich das der durch's Leben geläuterten, bessern Geister seyn, hinter denen alle Schmerzen und Irrungen weit ab in der Dämmerung liegen. Sie müssen mir's verzeihen; [230] hinter der Leinwand jener gemalten Landschaft, dort zwischen den Felsen saß ich und hörte der Erzählung ihrer Geschichte zu. Ich hörte liebe, wohlbekannte Stimmen meinen Namen aussprechen. Konnte ich mich entfernen? hätte ich es gesollt?« – »O nein, nein!« riefen Beide. »Auch meine ich, es ist gut, daß ich es nicht that, fuhr sie fort, denn ich nähre die Hoffnung für zwei mir so werthe Menschen auch einen Faden aus dem Labyrinth schmerzlich verschlungener Gefühle zu finden. Die Natur hat mich geheilt. Indem ich mich nur dem Wohle Anderer zu ergeben dachte, habe ich selbst das reinste Glück gefunden. In still ergebener Achtung wurde ich die Frau des Herrn von Linden, und weihte mich der Pflege der zwei hoffnungsvollen Knaben. Sein edles Herz gewann bald das meine. Gott schenkte mir meine kleine Marie und mit ihr einen neuen, klaren, freien Sinn für's Leben und das Licht der Erkenntniß all seiner dunklen und heitern Pfade. Sie werden meinen Gemahl kennen lernen und fühlen, daß [231] man in der Nähe dieses edlen, immer klaren und festen Wesens nur frei und glücklich seyn kann. Er wird auch Sie gerne näher kennen lernen; denn nichts, was mein Herz in sich trug, blieb ihm fremd. Ja, ich rechne darauf, Sie verlassen uns nicht sobald wieder.

Kaum waren sie in einen kleinen einfach verzierten Gartensaal getreten, als man der Hausfrau die Rückkunft des Herrn anmeldete. Sie ließ die Kinder bei den Freunden und eilte ihm entgegen. Die offenen, liebenswürdigen, wißbegierigen Kinder waren zu geschäftig, die Fremden zu unterhalten, als daß diese sich dem Eindruck der neuen sonderbaren Lage hingeben konnten. Die kleine Marie zeigte besondere Anhänglichkeit an Arthur und führte ihn die Blumenbeete hinab, durch die sich ein breiter Weg zur Stiege des Wohnhauses hinzog. Lothar folgte mit den Knaben, und bald sahen sie das geliebte Weib am Arme ihres Gemahles aus der Thür des Hauses treten.

Linden war von hoher edler Gestalt und [232] sehr einfachem, offenem Wesen. Er begrüßte Beide als längst bekannte Personen. Die Dämmerung, die der Mondschein und die schwache Beleuchtung vom Gartensaal her über das erste Zusammentreffen verbreitete, war vielleicht einem Jeden willkommen.

»Laß uns zu Tische gehen, liebe Rosa, sagte Linden.« Sie nahm Arthurs Arm. »Im Glück nahm ich meiner Jugend Namen wieder an, sagte sie; früher vermochte ich es nicht, ihn aussprechen zu hören.« –

»O Rosa, erwiederte Arthur, Sie haben heute viel von dem Leiden erfahren, das eine unseelige Verirrung erzeugte; aber nie vermag ich es ganz auszusprechen.«

»Die Blüthen des Frühlings fallen im Sturmwind ab, der über die Blätter-bedeckten Früchte des Sommers nur hinstreift, sagte sie sanft. Wenn wir Liebesglück als das einzige Ziel unseres Daseyns ansehen, und es ins Unendliche rücken, sind wir natürlich ungerecht gegen den Gegenstand unserer Liebe, der der Endlichkeit [233] angehört, wie wir selbst. Nicht ohne ein leises Gefühl der Schuld einer vielleicht übermäßigen Empfindlichkeit habe ich Ihnen heute zugehört.«

Sie traten in den Gartensaal, wo sie schon einige Hausgenossen versammelt fanden. Man setzte sich; neben Lothar blieb ein leerer Platz. Die Unterhaltung war schon durch Linden auf eine heitere Art angeknüpft, als eine wohlgefällige Frauengestalt in Trauerkleidern den unbesetzten Platz einnahm.

Wie wir eine wohlbekannte liebe Gestalt, die uns aus der Ferne entgegen kommt, mehr ahnen und fühlen, als klar anschaun: so war es Lothar neben seiner Nachbarin zu Muthe. Schlummernde Erinnerungen wurden ihm im Herzen wach. Aus dem sanften bleichen Gesicht, in der Beugung des schlanken Halses, der sich aus dem Trauerflor hob, drang eine Erscheinung seiner Vergangenheit zauberisch hervor. Lina's Bild in der Jugendblüthe und Fülle ging ihm in der Seele auf; doch vermochte er es [234] nicht festzuhalten, nicht mit diesen Zügen zu verschmelzen, die ihn so mächtig ergriffen. Jetzt hob sich ihr Blick aus der Umschattung der gesenkten Augenwimpern, fiel auf ihn, und der Zweifel schwand immer mehr. Auch ihr Blick hatte auf eine alte Erinnerung getroffen und senkte sich nachdenklich nieder.

Rosa hatte Alles mit sanftem Lächeln betrachtet und flüsterte ihm zu: »es ist Lina!« Lothar wagte nicht, die holde Erscheinung, die ihm nur im reinen Element der Töne und der stillen Anschauung begegnet war, mit Worten zu begrüßen; er saß schweigend, aber höchst bewegt neben ihr. Man sprach von Planen, um die Neuangekommenen mit der Gegend bekannt zu machen. Linden fragte Lina, ob sie sich wohl genug fühle, die Gesellschaft zu begleiten? – »Unsre Freundin, fiel Rosa ein, ist von einem tiefen, herben Schmerz noch sehr angegriffen. Vor sechs Monden verlor sie ihren geliebten Mann, und uns Alle traf mit ihr ein unersetzlicher Verlust. Er war uns ein treuer, liebenswürdiger [235] Freund, Linden der einsichtsvolleste Gehülfe in seinen Geschäften.« – Große Thränen rollten über Lina's Wangen; aber dankbar ruhte ihr Blick auf Rosa für das ehrenvolle zärtliche Andenken an ihren theuren Todten. – »Jeder Tag muß sich bei uns mit Gesang schließen, um harmonisch wieder zu beginnen,« sagte Rosa. Linden setzte sich sogleich an den Flügel und intonirte mit schöner Baßstimme einen vierstimmigen Gesang. Lina sang die Sopranparthie, Rosa's Stimme hatte sich zum reinsten Alt ausgebildet, und der Hauslehrer sang einen guten Tenor. Alle Stimmen unterstützten sich vollkommen, und in den Wellen dieser Harmonie löste sich jeder leise Nachklang schmerzlicher Bewegung in den beiden Freunden auf. In Lothar flammte sogar ein Hauch der Hoffnung. Angeregt von den beiden süßen Stimmen schwebten alle alten Bilder der Liebe und Sehnsucht seiner Seele vorüber, und er fühlte den Muth sie neu zu ergreifen.

Der Gang des Hauslebens war still und [236] regelmäßig; nichts Anmuthiges fehlte, nichts Ueberflüssiges störte.

Die drei Männer begegneten sich im freien, offnen Sinn, in ihren Ansichten de öffentlichen Lebens und der großen Weltverhältnisse – das schönste Band des männlichen Umganges. Linden sprach mit Kraft und Klarheit, seine Thätigkeit war höchst zweckmäßig und würdig. Sein edler Wille, seine helle Einsicht hatte ihm in öffentlichen Geschäften Achtung erworben, aber Kurzsinn und Eigennutz scheuten seine Geistesfreiheit und umstrickten bald seinen Wirkungskreis. Kleinliches Abfinden mit Beschränktheit und dem irren Willen der Mächtigen lag nicht in seiner Art, und er zog sich zurück.

»Zu jedem Opfer für den Staat bin ich bereit, nur zu dem meiner bessern Ueberzeugung nicht, sagte er; und bis ich auf diese Weise wirken kann, glaube ich meine Tage nicht nutzlos hinzubringen, in dem ich nach jeder Richtung mit mir selbst fertig zu werden suche und meinen Nachkommen einen gleichen Lebensweg [237] bereite. Mich dünkt, wenn ein Jeder dieses Ziel ins Auge faßte, würde sich das Ganze allmählig von selbst ordnen!« – Rosa war ganz eines Sinnes mit ihrem Gemahl; fern von allem Streben nach eitlem Schein herrschte Behaglichkeit und Zierlichkeit in ihrem Hause, gleichwie die Grazien in ihrem Umgang. Alles Gute und Verständige schloß sich ihrem Kreise an.

Zwischen Lothar und Lina webte sich ein zartes Verhältniß, das bald die Sprache herzlicher Freundschaft gewann. Beide erinnerten sich gern im Scherz ihrer frühern Bekanntschaft im zarteren Element der Tonwelt. Sie mußte ihre Guitarre zum Gesang wieder vorsuchen; Lothar begleitete sie, wie ehemals unsichtbar, mit seiner Flöte. Sie sangen und spielten die Lieder jener Zeit, und in den alten Tönen fanden ihre Herzen auch die alten Gefühle wieder. Nur Lina's Trauer hielt Lothar's Neigung in eignem Busen verschlossen. Seine Dichtung und die sie begleitenden Frühlingsblumen hatte Lina unter ihren liebsten Zeichen des Andenkens aufbewahrt,[238] – ja sie hatte Rosa gestanden, daß, wäre ihr Herz damals nicht von Liebe für den nun verlornen Gatten erfüllt gewesen, so würde die zarte Neigung des Jünglings wahrscheinlich nicht ohne Erwiederung geblieben seyn.

Die drei Männer waren am Morgen der Abreise in Linden's Arbeitszimmer vereint. Sie standen am Gartenfenster und sahen Rosa mit den Kindern unter den Blumenbeeten und Fruchtbäumen, geschäftig Früchte zu pflücken und sie in kleine Körbe für die Abreisenden zu ordnen. Linden faßte Beider Hände und sagte mit einer an ihm noch nie wahrgenommenen Bewegung: »Gönnen Sie mir mein Glück?« – Beide bekannten mit wahrem Gefühle der Achtung, Er sey Rosa's werther als sie selbst. –

»Nur mein günstiges Geschick, oder was wir im ernsten Augenblick besser als die Leitung einer höhern Macht empfinden, führte mich ihr zu rechter Zeit zu.«

»Diese hohe, reine Seele konnte sich nur in der Mütterlichkeit vollkommen entfalten und [239] selbst verstehen lernen. Der Tod hatte mir mein edles Weib von der Seite gerissen – er führte sie zu einem anmuthigen Frauenbild – nur die Sorge um meine Kinder hielt mich aufrecht in der ermattenden Arbeit des Lebens. Eine leise Aehnlichkeit Rosa's mit diesen Zügen flößte mir zuerst Vertrauen in sie ein, das wundersam schnell zu dem Entschluß heranwuchs, ihr meine Hand anzubieten. Ich hatte einen klaren Blick in das schöne Herz gethan, da ich frei von Leidenschaft war. Wir theilten uns beiden unsre Vergangenheit mit, und im reinen Vertrauen auf Wahrheit und Natur schlossen wir den Bund, den Gott mit der seeligsten Eintracht segnete, Rosa ist glücklich, in so fern wir Menschen dieses Wort aussprechen dürfen. Es darf Sie Beide nicht kränken; aber ich wähne, Ihre glühende Leidenschaft hätte die Blüthen des sanften Herzens vielleicht versengt, die im milden Hauch ruhiger Neigung das schönste Gedeihen fanden.« –

»Sie haben mir den innern Frieden in Rosa's [240] Glück wiedergegeben, edler Mann, sagte Arthur. – Der Stachel des Vorwurfs ist aus meinem Busen gerissen, rein und voll schlagen die Töne des Lebens wieder in ihm an.«

Alle drei waren höchst bewegt und fühlten sich innig verbunden.

»Ist's erlaubt, zu Allgemeinheiten überzugehen, auf Momente, die unser Innerstes so tief anregten, fuhr Linden fort, so muß ich Ihnen sagen, theure Freunde, mir scheint's, als wollten wir bald zu viel, bald zu wenig von den Frauen. Jedes Uebermaaß ist für die Dauer unhaltbar und erzeugt nur Täuschungen und Schmerzen. Für wohlwollende und wahrhafte Menschen gibt es immer einen Pfad zum Eheglück. Wir stehen erst fest und sicher im Leben in diesem schützenden Garten; denn den Weiberherzen ist die ewige Fülle und das ewig sich verjüngende Leben der Natur anvertraut, dessen wechselnde Blüthen uns erfrischen; ohne sie verlieren wir uns in grenzenloser Ferne oder vertrocknen auf dem öden Felsen des Egoismus. [241] Sich anerkannt fühlen in ihrer innigsten Natur, das ist das Geheimniß des weiblichen Glückes, und wo dieß dem Hause fehlt, da verdorren alle Blüthen. Trockene Pflicht kann es im Aeußern zusammenhalten, dem Gemüth die Ruhe der Tugend gewähren, aber das Himmelslicht fehlt und die Blumengewinde der Freude. Ehre und Zartheit, die zur Religion gebildeter Menschen gehören, müssen der zarten Blume Schutz und Schatten in allen Stürmen geben. Für Sie, mein Lothar, sehe ich schon einen freundlichen Pfad sich eröffnen. Das Glück kann Ihnen werden, Lina mit treuer schützender Freundes-Hand durch's Leben zu leiten, und in der Sorgfalt für ihr Kind, ihr Herz, mit den engsten Banden der Dankbarkeit und Liebe für immer an sich zu schließen. Auch unserm Arthur erscheint vielleicht noch ein holdes Glück. Ich fühle, wie schwer es dem seyn muß, der eine liebende Rosa gekannt hat, eine neue Erscheinung in sich aufzunehmen.« – Wir wollen die dunkle Hülle vor der Pforte der Zukunft nicht berühren, [242] erwiederte Arthur; glücklich ist der immer zu nennen, der mit befreitem Herzen an ihrer Schwelle steht!« –

Rosa kam und warf den Rosenschleier der Hoffnung über die ernsten Momente des Scheidens, durchwirkt mit freundlichen Planen und Bildern des Wiedersehns. Ihr Herz schwoll in inniger Zufriedenheit, daß aus seiner Liebeskraft eine feste edle Männerfreundschaft emporblühte.

»Nur aus dieser entspringt alles wahrhaft Schöne und Hohe des Lebens, sagte sie; sie veredelt alle Verhältnisse und war von jeher die Quelle großer unsterblicher Thaten.«

Sie blieben vereint. Lothar wurde Lina's glücklicher Gatte. Arthur weihte sein ganzes Daseyn Rosa's Familienkreise, wirkte bildend und liebevoll sorgend auf das Schicksal der Kinder, die ihn wie einen zweiten Vater ehrten und liebten.

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TextGrid Repository (2012). Wolzogen, Caroline von. Erzählungen. Erzählungen. Erster Band. Die Heilung der Natur. Die Heilung der Natur. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AAD2-0