Die Zigeuner

[375] [377]Bereite dich, Aloisia, morgen einen Besuch zu empfangen, der sehr wichtig für uns ist, sagte das alte Fräulein *stern zu ihrer Nichte.

Aloisia saß in tiefen Gedanken ihr gegenüber. Das Andenken ihres Vaters, der seit wenig Wochen verschieden war, füllte ihre ganze Seele. Sein Bild stand überall vor ihr; noch sah sie ihn in den weiten Sälen auf und ab wandeln, noch hörte sie das fröhliche Getümmel der Jagd bey seiner Heimkehr, und schauerlich erwachte sie zu der öden Todtenstille ihres gegenwärtigen Lebens bei der Anrede der Tante. Sie warf den schwarzen Trauerschleier zurück, ihr himmelblaues Auge flammte sanft wie der [377] Abendstern aus der Dämmerung, und sein feuchter Blick richtete sich mit der leisen Frage: wie so, liebe Tante? nach dieser hin.

Liebevoll faßte das alte Fräulein Aloisias Hände über den kleinen Arbeitstisch, hustete verlegen, um sich zu einer langen Rede zu rüsten, und begann endlich: du weißt es, liebes Kind, in Kurzem wird dein Bruder dieses Schloß bewohnen. Er und seine Frau sind dir fremd. Du kennst die Barbarei unserer Rechte, hülflos mit einem unzureichenden Einkommen werden die Töchter unsrer größten Häuser nach des Vaters Tode in die weite Welt gestoßen. Dem Bruder bleibt die Herrschaft und das Besitzthum. In dem väterlichen Hause, in den Mauern, die ihre Kindheit beschützten, wo sie des Vaters Trost und Freude war, geht die Tochter nur als eine Fremde umher, die nicht selten ein scheeler Blick trifft. Wie ein abgeschiedner Geist wandelt sie unter den neuen Bewohnern, die sie nicht in den Kreis ihres fröhlichen Lebens und Wirkens ziehen, die sie fliehen wie die [378] Stimme des Vorwurfs. Es giebt Fälle, wo der Bruder wieder zum Vater für die Verlassene wird – es war der meine – aber weit häufiger habe ich das Gegentheil mit angesehen. Gutes Kind, fuhr sie nach einem Seufzer fort: erwarte nichts von deinem Bruder! Erschöpft vom grenzenlosen Luxus der Hauptstadt kehrt er unmuthig mit seinem noch mißvergnügteren Weibe in das Erbe seiner Väter zurück. Um den äußern Glanz zu unterhalten, wird er zum armseligsten Geiz in der innern Einrichtung seine Zuflucht nehmen. O dein Vater kannte seinen Sohn. Er hatte dir und mir eine unabhängige Versorgung zugedacht, alles war in Richtigkeit, als ihn der Tod überraschte, und der Mangel einer elenden Formalität nimmt seinem letzten Willen alle Kraft. Ich habe nur noch wenig kurze Tage zu durchleben, aber dein Schicksal zerreißt mein Herz.

Aloisia hatte ihre Jugend in heitrer Sorglosigkeit verlebt, in dem Rosenduft der Liebe und Hoffnung, der vor ihrem Auge alle schrossen [379] Ecken der Wirklichkeit und ihrer eisernen Verhältnisse mit sanfter Dämmerung umhüllte. Als Liebling des Vaters war sie mit ihm auf einem leichten Pferde durch Wälder und Thäler geflogen, hatte das süße freie Leben in der Natur kennen gelernt, wo uns alles leicht und froh dünkt, weil wir uns muthig und stark fühlen.

Der Schmerz über einen unersetzlichen Verlust, die Leiden hoffnungsloser Sehnsucht nach dem Verstorbenen, der schwelgende Genuß weiblich reger Phantasie, sich unaufhörlich Rückerinnerungen hervorzurufen, die den Stachel des Schmerzes aufs neue schärfen, dieses alles hatte Aloisias feste Gesundheit erschüttert. Mit dieser schien der jugendliche Muth von ihr gewichen, aber die Noth regte ihn in diesem Moment gewaltig auf. Ihr Selbstvertrauen erwachte. Nach wenig Momenten des Nachdenkens blickte sie auf. Die Wolke der Schwermuth war verschwunden. Voll Feuer und Muth richtete sich ihr helles Auge auf die Tante, und [380] lebhaft sagte sie: Seyen Sie doch unbesorgt, ich kann arbeiten. Ich verstehe den Feldbau, ich kann mit dem Gesinde weislich umgehen, mein Vater hat mir immer die Pflege seiner Weine vertraut, auch lernte ich manche nützliche und feine Handarbeit. Ich kann den Kindern Unterricht geben, ja, – fuhr sie lächelnd fort alles aufsuchend, um die besorgte Tante zu trösten – ich rechne schnell und gut, und kenne manches von der Handelschaft; oft sagten mir die Kaufleute, mit denen ich meines Vaters Rechnungen durchgieng, es wäre Schade, daß ich nicht einen kleinen Handel anfangen könnte, meiner Thätigkeit und Ordnung gäben sie Kredit.

Die Tante verhüllte ihr Angesicht, und brach in lautes Weinen aus. Bewegt stand Aloisia auf, kniete neben ihr nieder, faßte ihre Hände und bat sie dringend, ihr die Ursache dieses lebhafteren Schmerzes zu entdecken. Ist es so weit gekommen mit einer Tochter des *sternschen Hauses! rief sie aus. Armes Kind, wozu soll dir die Kunst, ein Besitzthum zu [381] verwalten? Du hast kein Besitzthum! Nur in der Dienstbarkeit könntest du diese Thätigkeit üben. Weder diese, noch das Treiben eines unedlen Geschäfts kann dir dein Bruder gestatten, rächend müßten ihn die Geister seiner Ahnen verfolgen! Bist du aus einem wilden Zigeunerhaufen entsprungen? Du zur Lohnarbeit erniedrigt? O versprich meinem Rath zu folgen, und jene drei schönen Schlösser an der Donau, an denen eben die Abendröthe glänzt, werden dein würdiger Wohnplatz.

Aloisia konnte den Widerwillen der Tante gegen die ehrwürdige Lebensart, sich durch eignen Fleiß zu ernähren, gar nicht begreifen. Ihr freier Verstand entriß sie den Banden des Vorurtheils, aber das stärkste und feinste Gefühl der Ehre wallte in ihrem Busen, und lehrte sie die öffentliche Meinung schätzen. Lebhaft vom Schmerz der Tante ergriffen, suchte sie sie mit sanften Schmeicheleien zu beruhigen, denn nie hatte sie das alte Fräulein aufmerksam für Vernunftgründe gefunden. Der Gedanke, die [382] gute treue Pflegerin ihrer Kindheit in Mangel der gewohnten Bequemlichkeiten zu sehen, zerriß ihr Herz. Für sich selbst fürchtete sie nichts. Ich will ja alles thun, um Sie zufrieden zu stellen, sagte sie sanft. Wie aber soll das zugehen?

Die Thränen der Tante versiegten augenblicklich. Mit gefälligem Lächeln richtete sich ihr Blick auf Aloisia. Mädchen, lege morgen deinen neuen Schleier an, ziehe ein paar der braunen Locken unter dem Häubchen hervor, der Leibrock muß knapper sitzen. – Aloisia schwieg mit einem fragenden Blick. Die Tante schlug verlegen die Augen nieder, bis Aloisia ihr durch ein: Warum dieses alles? Muth einflößte.

Angenehm ist freilich der Graf Fürstenwald nicht, ich gestehe es gern, fuhr sie endlich fort; aber –

Aloisia lachte zum erstenmal laut auf, seit dem Tod ihres Vaters. Nun, heirathen wird mich doch der Alte nicht wollen, rief sie aus. Der ist zufrieden hinter seinen vollen Weinfässern, [383] und freut sich nur über die platten und ungereimten Späße seines alten Kapuziners.

Mein Kind, sagte die Tante ernsthaft, du irrst dich in ihm. Er wird morgen kommen, und um deine Hand werben. Sein Neffe, den er längst umsonst erwartete, wird nie wieder kehren, denn er ist gestorben. Der Graf ist nunmehr der letzte seines Stammes; dieses bewog ihn, sich zu vermählen. Gestern empfieng ich die Nachricht seines Besuchs, und ein Brief seines Schloßverwalters sagt mir unversteckt seines Herrn Absicht, um deine Hand zu werben.

Das Lächeln floh von Aloisias Lippen, und ein kaltes Entsetzen erstarrte die liebe- und lebenvollen Züge ihres Angesichts. Vergebens suchte sie nach Worten, ihren Widerwillen auszudrücken, ihr Athem war gepreßt, ihre Stimme erstickt. Ach Tante, was haben Sie gesagt! rief sie endlich aus. Nein, es ist unmöglich, unmöglich! Ich verberge mich, wenn er morgen ankommt. Du willst also dein Elend? rief die Tante, indem sie aufs neue heftig zu weinen. [384] anfieng. Der Geist deines Varers sey mein Zeuge, ich habe mütterlich für dich gesorgt.

Gerührt vom tiefsten Schmerz, vom Andenken des Entschlafenen ergriffen, schwand ihr eignes Daseyn gleichsam vor ihr hinweg; alle holden Wünsche, alle süßen Träume ihres Herzens traten in den Schatten des Todes. Nur das Mitleid blieb in dem reinen Herzen lebendig. Sanft tröstend faßte sie die Hand der Tante, versuchte zu lächeln und sagte: Ich will ja alles thun, was ich vermag, liebe Tante, ich will ja den Alten morgen sehen, anhören .....

Sie eilte ins Freie. Ihre Amme, die sie innigst liebte, die sie seit dem Tod ihrer Mutter nie verlassen, bemerkte ihr thränenschweres Auge, und folgte ihr eilends.

Erst als die Sonne verschwunden, und die Nacht herabgesunken war, fand sie Aloisien an der entferntesten Gegend des Berges, auf welchem das Schloß lag. Sie saß auf einem Felsenstück, das über den schauerlichen Abgrund hieng, der Wind stürmte in den Gipfeln der Tannen über ihrem Haupt, tiefe Finsterniß lag [385] über dem Thal, und zerrissene Wolken umdämmerten den schwachen Glanz, den das erste Viertel des Mondes auf die Gipfel der Felsen warf. Schwermüthig setzte sich die Amme neben Aloisien, da sie keine Antwort auf ihre wiederholten Fragen empfieng. Nur stumme Seufzer vernahm sie aus der Brust des Mädchens.

Der Mond hatte sich nun ganz verborgen. Die Amme erinnerte an die Rückkehr ins Schloß, als aus der Tiefe des Thales Feuerkugeln emporstiegen, und Aloisias Name im bunten Feuer an der Wand eines gegenüber liegenden Felsens brannte. Was ist das? rief die Amme, welche Zauberei erleuchtet jenen steilen unzugänglichen Felsen? Er erhebt sich unersteiglich aus einer schauerlichen Tiefe, ich kenne ihn wohl; nur durch eine Schlucht, in die sich wenige noch wagten, kann man zu dieser Seite gelangen.

Eine Guitarre ertönte jetzt, wie es schien in geringer Entfernung, und eine schöne volltönende Stimme sang folgende Strophen:


[386]
Der Frühhlingssonne heitrer Glanz
Der jungen Veilchen duft'ger Kranz
Der grünen Wälder Perlenthau
Der Schmuck der blumenvollen Au,
Der frischen Bäche Zauberlicht,
Sie lachen meinem Herzen nicht,
Dem, ach! die Ruh' gebricht!
Des Lebens Bilder drängen sich
Bunt und verworren rings um mich,
Zu dir nur drängt mein innrer Sinn,
Mit allgewalt'gem Sehnen hin.
Doch Felsenwand und düstrer Wald
Steh'n vor der lieblichen Gestalt,
Zu der mein Busen wallt.
O Nacht in deinem milden Schooß,
Werd' ich der eng'ren Banden los!
Von der Geliebten füßem Bild
Sind alle Himmelsräum erfüllt,
Ja unter'm heil'gen Sternen-Rund
Wird mein geängstet Herz gesund,
Ich liebe dich, bekennt mein Mund.

Es ist sonderbar, sagte Aloisia. Sehr, sehr sonderbar erwiederte die Alte; wenn euch das [387] alles selbst so unerwartet kömmt, so sind Geister und Zauberer mit im Spiel, wer konnte euch jetzt hier vermuthen? Aloisia, du hast mich zum Besten! – Ich weiß von dem allen nichts weiter, und heute ists das Drittemal, daß dieselbe Erscheinung vor meinen Augen entsteht, daß ich dieselben Töne vernehme. Heute sind sie mir die Stimme eines guten Geistes. O Mütterchen, ich soll geopfert werden. Ein mitfühlendes Herz spricht aus diesem Felsen, ja dort ist vielleicht ein rettender Genius für mich; aber von geheimem Schauer ergriffen, wie am Scheidewege des Lebens, wage ich nicht die unbekannte Hand zu fassen – weiß nicht, was ich der Stimme aus dem Felsen antworten soll. Mich faßt ein neues Leben. Ach ich habe nur Muth, den stummen Schatten des Todes entgegen zu gehen! –

Weinend verbarg sich Aloisia an der Brust der Alten, die sie tröstend aufnahm.

Sieh, um die schönen flammenden Züge deines Namens zieht sich jetzt ein Kranz von glühendeln[388] Laube. – Liebe mich! brennt unter dem Kranz in matteren Flammen. Und du hast auch keine Ahnung, welche Hand diese Züge erschuf?

Aloisia flüsterte ein leises Ja, an der Brust der Vertrauten, erhob ihr schönes Haupt, und begann, nach dem sie ihre Thränen getrocknet: Auf einer der Jagden mit meinem Vater hatte ich mich bei der Verfolgung des Wildes von seiner Seite entfernt. Mein Pferd scheute vor einem im Weg liegenden Baumstamm, ich wollte es zwingen, und es warf mich ab. Der Fall raubte mir alle Besinnung. Als ich erwachte, sah ich einen edelgestalteten jungen Mann liebevoll und hülfreich um mich beschäftigt. Ein zusammengerollter Mantel unterstützte mein Haupt. Der Jüngling kniete vor mir; eine seiner Hände hielt die meine, mit der andern schöpfte er Wasser aus seinem Hut, um mich zu erfrischen. Seine großen dunklen Augen waren auf mich gerichtet, und gleich freundlich leuchtenden Sternen öffneten sie der schwindelnd Erwachten die Aussicht in ein neues Leben. Wo [389] ist mein Vater? rief ich aus. Nicht weit von hier hörte ich das Getöse der Jagd, erwiederte der junge Mann; aber erhole dich vorerst. Seine Blicke wurden dunkler, obgleich sein Benehmen eben so liebevoll blieb. Ihr habt mich gerettet, guter Mann, sagte ich, wo ist mein Pferd? bringt mich zu den Meinen. Das Pferd war wiedergekehrt, und ich sah es nicht weit von mir an einen Baum gebunden. Wie froh bin ich, das Pferd zu sehen, rief ich, mein Vater wird so meinen Unfall gar nicht erfahren, ich fürchte, er möchte mir sonst untersagen, ihn ferner zu begleiten. Sanft hob er mich auf, und leitete mich zur nahen Quelle. Ich wusch das Blut von einer kleinen Wunde am Hals, die ich empfangen. Die edle hohe Gestalt des Mannes fiel mir erst jetzt ganz ins Auge. Ich fürchtete ihn zu verlassen, ich bebte in seiner Nähe, doch drängte es mein Herz gewaltig zu ihm, wie zu einer hülfreichen Gottheit. In seinem Blick wechselte Licht und Finsterniß, wie an einem Gewitter-Himmel. Sein Busen wallte [390] hoch. – Werde ich euch bald wieder sehen? sagte ich. O kommt lieber mit, ich will alles meinem Vater entdecken, er wird euch auch danken. Nein, rief er heftig, nie! Ich erscheine nicht in dem Cirkel der Edlen! Wo edle Menschen sind, da müßt ihr hingehören, sagte ich, indem ich seine Hand faßte. Kommt mit! –

Nie, nie! rief er. Thränen stürzten aus seinen Augen; er wandte sein Angesicht von mir ab, stürzte dann noch einmal auf mich zu, seine Arme umfaßten mich. – Ich weiß nicht, wie ich mich losriß, wieder zu Pferde stieg, aber wie des süßesten Traums, aus dem wir mit Schmerzen erwachen, nach dem wir uns ewig wieder sehnen, so denke ich jener Momente. Sein Bild steht lichthell vor mir, einzig und leuchtend wie die Sonne, ich kann es mit nichts anderm vergleichen.

Als ich den kleinen Hügel hinanritt, sah ich ihn mit dem Angesicht im Grase an der Quelle liegen, wo wir gestanden. Ich fühlte, daß ich hinweg mußte, aber es war, als ob [391] mein Herz die Brust zersprengte, um bei ihm zu bleiben. Die Jagd hatte sich genähert, mein Vater hatte mich vermißt, seine Leute sprengten umher, mich zu suchen, und schon war ich bei ihnen, ehe der Entschluß, den jungen Mann nur noch einmal zu sehen, mich überwältigte.

Ich gehöre nicht in den Kreis der Edlen, tönte es in meinen Ohren wieder; aber der edle Ton, die hohe Gestalt sagte mir ins Herz: du gehörst in den Kreis der seligen Götter. Bald nachher, als die ganze Scene wieder mit allen kleinen Umständen vor meiner Seele stand, entsann ich mich, daß der junge Mann sonderbar und ganz ungewöhnlich gekleidet war. Alle Nachforschungen, die ich anstellen ließ, waren vergebens. Die Sage gieng, daß ein Zigeunerhaufen in der Gegend umher schwärme, dessen Anführer ein hochgestalteter Jüngling sey. – Die ganz fremde Kleidung, die dunkle Farbe des Angesichts, seine Aeußerung – mein Herz bebte vor Angst. Wie konnte ich den schönen mildgesitteten Jüngling als ein Mitglied jenes wilden [392] Haufens denken! Seit einigen Wochen, nach dem Tode meines Vaters, sah ich diese Erscheinung am Felsen, die sich heut zum Drittenmal wiederholt. Ach vielleicht verbindet sie mein Herz nur mährchenhaft mit jener Begebenheit, die mein Herz erfüllt, meine Träume beherrscht. O Mütterchen, was soll ich thun! Mich drängt es, mich hinabzustürzen in die grüne Tiefe des lauberfüllten Thales, wo mich ein guter Geist ruft; hier oben drängt mich alles aus dem Leben hinaus.

Die Amme hielt Aloisia noch ängstlich umfaßt, als sich die Erscheinung am Felsen in leuchtenden Feuerkugeln verlor, und in Stille und Finsterniß giengen die beiden nach dem Schlosse zurück.

Kaum war Aloisia aus einem ängstlichen Schlummer erwacht, als Lärm auf dem Schloßhof entstand; es war der Graf mit seinem Gefolge. Die Tante kam im besten Schmuck. Mit thränenden Augen beschwor sie das bebende Mädchen, ihr zitterndes Herz zum Opfer zu bringen; [393] sie wußte nicht, was sie bat; denn ihr eingeschränktes Wesen vermochte nicht, die Kraft zu Schmerz und Glück zu ermessen, die in jenem Herzen wohnte.

Auch die Amme hatte sie gewonnen. Das ganze Hausgesinde liebte Aloisien, und fürchtete die Ankunft des neuen Besitzers. Angstvoll harrte alles auf dem Vorsaal, um den Entschluß des Fräuleins zu vernehmen, der auch ihnen eine tröstende Aussicht eröffnen sollte.

Wie ein muthvoller junger Krieger die Menge seiner Feinde nicht ängstlich überzählt, sondern im Gefühle überlegener Kraft der Gefahr entgegengeht, so warf sich auch Aloisia muthig in den Kampf gegen alles namenlose Elend einer unglücklichen Ehe. Ihr weiches Herz vermochte dem Drängen so vieler auf sie gerichteten Gemüther nicht zu widerstehen; ihr Muth betäubte die zärteren Gefühle, und der Verlust ihres eignen Lebensglücks, der der goldnen Welt, ihrer Hoffnungen und Wünsche, dünkte ihr ein mögliches Opfer.

[394] Sie ließ sich in den Saal führen, wo sie der Graf erwartete. Sie bebte vor seinem Anschau'n zurück; aber der rohe ungebildete Mann nahm diesen Ausdruck des Entsetzens für die Aeußerung jungfräulicher Schüchternheit. Ihre Thränen, ihr Beben, ihr Zittern, schienen ihm nur die gewöhnlichen Zierereien, hinter denen ein sittsames Mädchen die freudige Erwartung eines neuen Zustandes verbirgt. Er legte ein Kästchen mit Juwelen vor ihr aus, und in unbedeutenden Anstalten und Kleinigkeiten vergiengen die Stunden seines Besuchs. Der nächste Tag war zur Hochzeitfeier angesetzt; man wollte die schüchterne Braut schonen, und ihr die Nähe ihres Schicksals verbergen.

Aloisia gieng noch spät in der Nacht zu ihrem Felsen, aber das Thal blieb von Finsterniß umhüllt. – Ach mein Genius schweigt! rief sie aus. Am nächsten Morgen weckte sie eine lärmende Musik aus dem angstvollen Schlummer. Die Jugend des Dorfes brachte ihr Geschenke, die Jungfrauen den Brautkranz. [395] Der Bräutigam kam an, um Tante und Nichte nach seiner Burg abzuholen, von stattlichem Gepränge begleitet. Leblos wie ein mit Schmuck und schwerem Gewande bedecktes Heiligenbild wurde Aloisia in des Grafen Staatswagen gebracht. Sie hatte sich selbst aufgegeben, der tiefste Schmerz wühlte in ihrem Herzen, und in starrer dumpfer Gleichgültigkeit gab sie sich nun auch in allen Kleinigkeiten hin, die das Opfer ihres Lebens begleiten mußten. Aller Schmuck des Fürstenwaldschen Hauses drückte ihr armes Haupt zusammen, das schon von dem Gewühl seiner verworrenen Vorstellungen genugsam zerstört war. Die Tante saß neben ihr ängstlich harrend, ob Aloisia ihr Schicksal vollenden werde, doch mit erkünstelter Heiterkeit. Der alte Paradewagen war beinahe ganz von Glas, und Aloisia erblickte die Figur ihres rüstigen Bräutigams immer an ihrer Seite. Er ritt ein prächtiges Pferd mit einer reichen Decke geschmückt, ein Säbel mit diamantnem Griff, den einer seiner Vorfahren von den Türken erbeutet, [396] hieng an seiner Seite. Sein volles feuerfarbnes Angesicht neigte sich oft lächelnd nach dem Wagen. Sein Stolz schien sich mehr an der Pracht, die seine Braut umgab, zu weiden, als an ihr selbst. Selten traf sie ein Blick seiner kleinen leuchtenden Augen, die größtentheils auf den prächtigen Pferden vor seinem Wagen ruhten. Zuweilen erlaubte er sich wohl eine Anrede voll plumpen Scherzes, und die Röthe des Unwillens, die über die bleichen Wangen der armen Braut flog, nahm er mit grinzendem Lächeln für den Ausdruck jungfräulicher Scham.

Gleich einem schwarzen Leichenzug erschienen Aloisien die bunten Farben des hochzeitlichen Gepränges. Der Glanz und das Licht der ganzen Natur waren für sie erloschen, da sie sich als das Eigenthum des verhaßten Wesens ansehen mußte. Oft flammte der Entschluß in ihrem Busen, sich aus dem Wagen zu stürzen, und in die weite Welt zu entfliehen, aber eine gewisse Bitterkeit hatte ihre innre Kraft aufgelöst. Sie wollte es gleichsam mit dem Schicksal aufnehmen, [397] wie elend es ihr Leben zu machen vermöchte.

Hinter einer waldigen Anhöhe stiegen die Thürme des gräflichen Schlosses empor. Die Tante freute sich des majestätischen Anblicks; Aloisia antwortete ihr: dort wird mein Grab seyn.

Der Bräutigam galloppirte mit der Hälfte seines Gefolges die Straße durch den Wald hinan; die andere Hälfte der Begleitung blieb hinter dem Wagen.

Kaum waren sie eine halbe Stunde gefahren, als ein Schuß fiel. Mehrere Schüsse folgten sogleich; es entstand ein furchtbares Geschrei, und vor und hinter dem Wagen war ein heftiges Gefecht. Der Wagen wurde von einer Menge bewaffneter Leute von sonderbarem Ansehn umgeben, und da die Tante sie für Zigeuner erkannte, fiel sie vor Furcht und Entsetzen in Ohnmacht.

Sie hatte die wunderlichsten Sagen von diesem Volke vernommen, und fürchtete das [398] Schlimmste. Aloisiens einst gehabte Erscheinung flößte ihr in diesem Moment nur die lebhafteste Neugier ein. Wie konnte ein so anmuthiges Wesen unter solchen wilden Sitten leben? Sie war auch jetzt zu unglücklich, um noch etwas fürchten zu können. Sie besprengte die Tante mit wohlriechenden Wassern, und da das Gedräng um den Wagen immer zunahm, glaubte sie, man wollte ihr ihren Schmuck abnehmen. Jetzt riß man den Kutschenschlag auf, und ein Gesicht, dessen gewaltiger Ausdruck Aloisia mit Schaudern erfüllte, bog sich in den Wagen herein. Ein Blick, der ins Innre drang, und in dem alle menschlichen Empfindungen wie wechselndes Feuer flammten, glühte aus starren und unbeweglichen wie aus Erz gegossenen Zügen.

Aloisia hatte ihren Haarschmuck und ihre Ohrenringe losgemacht, und bot sie dar. Immer ruhte der glühende Blick des Mannes auf ihr, ohne den Schmuck anzunehmen. Sie wähnte, daß er noch nicht mit dem zufrieden sey, und rief: dieß ist alles, was ich habe! – Denkst [399] du, daß ich deinen Schmuck will? Ich will dich selbst! sagte er mit gebietendem Ton, in dem gleichwohl nichts Wildes noch Rohes lag. Sein nervichter Arm umfaßte sie: er wollte sie aus dem Wagen reißen. Diese Gewaltthätigkeit empörte sie, ihre Augen schwollen von Thränen des Zorns über. Sie rang wie eine Rasende um ihre Befreiung. Der Gegner schien über die Dauer des Kampfs, die er nicht erwartet hatte, verwundert, doch that er alles, Aloisien zu schonen, und ihr jede unsanfte Berührung zu ersparen. Als er sie endlich stärker umfaßt und aus dem Wagen gerissen hatte, sah sie den Grafen verwundet in den Armen zweier seiner Leute liegen; alle übrigen waren entflohen, und der wilde Haufe hatte sich über die Reisegeräthschaft hergemacht. Du siehst, es ist keine Hülfe für dich! sagte der Räuber. Schonet der alten Dame, wenn ihr Erbarmen kennt, rief Aloisia aus. Ihr soll geholfen werden, erwiederte er mit milder Stimme.

Aloisiens Kräfte waren erschöpft. Furcht [400] und Entsetzen preßten ihr Herz, und ihre Sinne verlöschten. Als sie erwachte, fühlte sie sich von einem dichten Gewand umhüllt, durch eine kleine Oeffnung schöpfte sie frische Luft, und sah den blauen Himmel über sich glänzen. Sie fühlte sich von einem starken Arm auf einem Pferde gehalten, das in vollem Trabe lief. Eine starke schwarzbraune Hand hielt ihr von Zeit zu Zeit Essig zu riechen vor. Als sie strebte, sich aus dem Gewand loszuwinden, sagte ihr die schon bekannte Stimme: bleibe ruhig, wir sind bald zu Hause!

Sie hörte mehrere Pferde hinter sich, und fühlte sich von einer Gewalt umgeben, die sie nicht zu bekämpfen versuchen konnte, und die es thöricht war, durch Widerstand zu reizen. Sie dachte still auf einen Ausweg der List, und nur in stummen Seufzern lösete sich zuweilen die Angst über ihren Zustand.

Meinst du denn einem schlimmern Schicksal entgegenzugehen, als dem ich dich entriß? sagte der Räuber, da er ihre Seufzer vernahm. Armes [401] Geschöpf, du irrst dich! Kann's denn ein schlimmeres geben? fragte er, indem das furchtbar glühende Auge durch die Oeffnung des Gewandes auf Aloisien blickte.

Die Wahrheit dieser Bemerkung, die genaue Kenntniß ihrer Lage, die sie verrieth, füllte ihren Busen mit schaudervoller Ahnung, wie vor einer überirdischen Gewalt. Sie eilten mit der größten Schnelligkeit fort, bis die Nacht einbrach. Aloisia hatte nur einige Erfrischungen zu sich genommen, die man ihr im Flug dargeboten. Schon sah sie die Sterne über ihrem Haupte flimmern, als das sonderbare Wesen, in dessen Gewalt sie sich befand, ihr ankündigte, sie würde drei Schüsse hören. Diese erfolgten, und sogleich darauf wurde alles um sie her lebendig. Pfeifen und Geschrei erschollen dicht neben ihr, sie fühlte sich im Gedränge von Menschen, die ein unverständliches Geplauder erhoben, und ihre Umhüllung aufreißen wollten.

Entfernt euch alle! sagte der Führer mit gebietendem Ton. Wo ist Rodrigo? Augenblicklich [402] entstand die tiefste Stille. Aloisia mußte im Sattel sitzen bleiben, das Pferd wurde langsam fortgeführt, Gesträuche schlugen an ihr Gewand, ringsum war Finsterniß; endlich glänzte ihr der Schimmer einer Lampe von ferne entgegen. Rodrigo! rief der Führer noch einmal. Hier bin ich! erwiederte eine volle schöne Stimme, die Aloisien bekannt dünkte. Die Decke fiel von ihrem Haupt, und das volle Licht der Lampe blendete ihr Auge. Da hast du sie, Junge! sagte der Führer, indem er das bebende Mädchen vom Pferde hob. Mühe hat es gekostet! Kaum hatte sie den Boden berührt, als sie sich von neuem umfaßt fühlte. Mädchen, du gehörst jetzt einzig und allein diesem Manne, setzte er noch hinzu. Athemlos vor Angst und Entsetzen wurde Aloisia hinweggetragen, eine starre Kälte ergoß sich durch ihre Adern. Es wird bald aus seyn mit meinem Leben, sagte sie matt, gönnt mir Ruhe im letzten Moment, wenn ihr Menschen seyd! Sie vernahm nur noch, daß der Mann, der sie trug, ihrem Räuber [403] lebhafte Vorwürfe machte, und ihr Haupt sank besinnungslos zurück.

Als sie wieder ins Leben erweckt wurde, und um sich her schaute, lag sie in einem kleinen Zelt auf einer Decke; zu ihren Füßen lag ein Mann, der sein Angesicht in ihr Gewand verhüllt hatte; eine Lampe stand neben ihr. Der Räuber und ein ältliches Weib rieben ihre Hände mit warmen Tüchern. Der Mann zu ihren Füßen erhob jetzt sein Haupt, der volle Schein der Lampe fiel auf sein Angesicht, und sie erkannte in ihm die Gestalt, die so treu in ihrem Herzen stand.

Von tausend verworrenen Gefühlen ergriffen, umhüllte von Neuem Dämmerung ihre Sinne; aber bald vermochte sie sich zu fassen. Der junge Mann stand ihr mit gesenktem Blick gegenüber, und wagte nicht sich ihr zu nähern.

Schon einmal warst du mein Retter, sagte Aloisia sanft zu ihm: werde es auch jetzt! Bringe mich zurück!

Mein ist die Schuld nicht, daß du hier bist! [404] sagte er mit einem festen ruhigen Blick auf sie.

Und wo sollen wir dich hinbringen, fragte der Alte. Hast du eine andere Heimath, als die Burg deines alten Silens? Verlangt dich nach dem schmucken Bräutigam?

O was soll aus mir werden? rief Aloisia, im seelenzerreißenden Gefühl ihrer Lage.

Die Gesellschaft hat dich ausgestoßen, indem sie deinen heiligsten Gefühlen Gewalt angethan, fuhr der Alte fort, entreiße dich ihren künstlichen Schranken, lebe für den Mann deiner Liebe! –

Bewegt, innig erschüttert, von der Gewalt ihrer Gefühle bis zum Ersticken geängstet, raffte Aloisia jede Kraft ihres Gemüths auf, sie in dieser sonderbaren Lage zu tragen.

Ach! du weißt nicht, liebliches Mädchen, fieng das Weib jetzt an, die bisher nur im Stillen hülfreich mit Aloisien beschäftigt gewesen: Ach du weißt es nicht, mit welch innigem Verlangen er dich umfaßt hat, seine Kräfte [405] schwanden dahin in der Sehnsucht, und die Jugendblüthe entfloh von seinen Wangen. Mein Mädchen, mein liebes Mädchen, beglücke meinen Sohn! –

Euern Sohn? rief Aloisia im ersten Moment des Entsetzens, und ein Thränenstrom stürzte ihre Wangen herab. Die geheime Hoffnung, daß Rodrigo nur durch Zufall unter diese Bande gerathen, hatte ihr Herz belebt; sie verschwand in diesem Augenblick.

Mutter, laßt sie! rief Rodrigo.

Wir verlassen euch, sprach der Alte. Genieße dein Glück.

Bleibt, o bleibt! rief Aloisia heftig.

Vergebens; beide eilten hinweg.

Ein flüchtiger Blick auf Rodrigos Angesicht zeigte Aloisien wirklich eine große Veränderung in seinem Aussehen. Er blieb am Eingange des Zeltes stehen; verlegen und schüchtern wagte er nicht, sich zu nähern, nur einzelne Blicke flammten aus seinen Augen, vor denen Aloisiens Busen erbebte.

[406] Zitternd redete sie ihn an. Rodrigo rette mich, ewig werd' ich dir dankbar seyn! Ach wie kommst du selbst hierher? Bringe mich weg von hier!

Nie, nie! rief er aufs heftigste gereizt: ich will dich besitzen.

Aloisiens Muth erwachte. Ernst stand sie auf und sagte: das Schicksal hat mich in deine Gewalt gegeben, aber ich werde nichts unwürdiges dulden, und es nicht zu überleben, das steht in meiner Gewalt.

Rodrigo wich zurück. Nein, nein, rief er, indem er die Hand vor seine Augen hielt: Was ist der Genuß der Liebe, dem der Abscheu folgt, ich verschmähe ihn, wenn er nicht Leben und Freude erzeugt.

Verlaß mich, wenn du mich nicht befreien willst, bat Aloisia.

Du weißt nicht, was du bittest, sagte er. Ich allein kann dich hier schützen. Ich will es. Hoffe nicht zu entfliehen, jeder Ausgang aus dieser Felsenkluft ist besetzt; aber ruhe sicher in [407] diesem Zelt, wie in festen Mauern. Jeden Anfall des rohen Haufens will ich von dir abhalten.

Er bot ihr Nahrung an, stellte alles, was sie brauchte, neben sie, nahm seinen Säbel und gieng hinaus. Sie hörte, daß er sich außerhalb des Zeltes niederwarf, aber oft wieder aufstieg, und um das Zelt herum gieng.

Angenehm wurde sie überrascht, als sie in der Tiefe des Zeltes ihre Koffer und alle Geräthschaften fand, die ihr zum Schloß des Bräutigams folgen sollten. Ihren ganzen Schmuck sogar fand sie in ein Tuch gepackt, bei dem Koffer liegen. Alles sagte ihr, daß man nur ihre Person besitzen wollte. Dunkel und ungewiß war alles um sie her, aber sie war einem bestimmten Uebel entgangen; sie mußte Rodrigo trauen; es war etwas Entschiedenes und Starkes in seinem Benehmen, das jeden Zweifel verbannte. Nur die Furcht vor ihrem eigenen Herzen fieng an sich leise in ihr zu regen.

Ermüdet von aller Unruhe schlief sie einige Stunden. Als sie erwachte, glänzte die Morgenröthe [408] an den Leinwandwänden. Rodrigo lag innerhalb am Eingang des Zeltes im leisen Schlummer. Der reine Morgenstrahl spielte um die schönen Formen seines Angesichts, um seine braunen Locken. Hoheit und Adel sprach aus allen seinen Zügen. Er erwachte beim ersten Geräusch, da sich Aloisia von ihrem Lager erhob. Verlegen schaute sie um sich; sanft beugte er sein Haupt gegen sie.

Zürne nicht, daß ich hier bin, sagte er. Es wird schon lebendig um die Zelte, und nur wenn man dich für mein Eigenthum ansieht, bist du hier sicher.

Traurig sah er auf die Speisen, die noch unberührt da standen. Bleibe hier ruhig bis ich zurückkehre, sagte er sanft, und verließ sie.

Sie hörte gehen und plaudern und lärmen, und durch die Spalten des Zeltes sah sie die grotesken Figuren vorüber wandeln. Rings umher war eine Wiese von vielem Gesträuch umgeben, an deren Ende erhob sich eine steile Felsenwand.

[409] Rodrigo kehrte bald mit einem Körbchen schöner Früchte zurück, die er Aloisien zum Morgenbrod brachte. Die alte Zigeunerin folgte. Sie begrüßte sie mit den zärtlichsten Namen, ordnete das Lager, und war in allem geschäftig ihr zu dienen. Meine Mutter wird bei dir bleiben, sagte Rodrigo. So oft sie diesen Namen hörte, entfärbten sich ihre Wangen vor Abscheu und Entsetzen; doch sie wußte es zu verbergen, und nahm das Anerbieten gefällig an.

Ja, mein Sohn muß jetzt für das Weibchen sorgen, begann die Alte. Ich denke du sollsts besser thun, als für dich. Wo's was zu fangen giebt, ist der Junge läßig, die besten Sachen läßt er sich wegschnappen. Aber hat sich einer der Leute in einen bösen Handel begeben, dann ist er immer bereit, alles dran zu wagen, um nichts und wieder nichts. Keiner ist beim Trupp, den er nicht schon einmal der Justiz, wie sie's nennen, abgejagt hätte. Aus der Mitte der Dörfer holt er sie heraus, und wo er kommt, wagt es niemand, sich zu widersetzen. Sie liefen [410] ihm dann freilich auch durchs Feuer, und unsre Küche ist selten leer; doch giebts auch welche, die vom Dank nichts wissen wollen, und für sich selbst sorgen, was doch das klügste ist. Diese Pfirschen hat Hans Nachts aus dem Garten der Frau Amtmännin geholt. Den Hans hat er nicht längst erst von einer Tracht Prügel befreit, mit denen ihn ein halbes Dorf beehren wollte, weil er ihre Hühner wegprakticirte. Laß dir's schmecken, Täubchen.

Rodrigo schien gar nicht auf der Alten Geschwätz zu achten, und putzte seine Pistolen. Lebt wohl, sagte er, als er fertig war: Mutter, sorgt mir für sie! Nun, so ohne Kuß gehst du von ihr, Junge? sagte die Alte. Beide errötheten. Aloisia reichte ihm die Hand, er faßte sie sanft, und wagte nicht sich weiter zu nahen.

Die Alte schüttelte den Kopf.

Aloisia wendete alles an, um die Alte über ihre Verbindungen auszuforschen, aber umsonst.

Durch Verstellung sich die Freiheit zu verschaffen, war der Entschluß, den sie nun faßte, [411] und durch ihren Schmuck konnte es ihr nicht schwer werden, einige der Bande in ihr Interesse zu ziehen. Noch immer hoffte sie Rodrigo zu gewinnen.

Sie schlang ihre schönen Haare in Flechten, legte ein kleines Leibchen an, ihre zierlichen Arme bekleideten nur feine Leinwandermel, und ein seidnes Röckchen wallte bis zu den kleinen Füßen herab. So gieng sie unter Leitung der Mutter Leona unter den armseligen Hütten und rauchigten Zelten umher. Weiber, Alte und Kinder umringten sie, sangen Lieder zu ihrem Lobe, und brachten ihr kleine Geschenke als der Frau ihres Führers. Nur zwei junge Männer waren zur Wache im Lager geblieben, auch diese begegneten ihr mit Ehrfurcht.

Die kindische Fröhlichkeit, die alles belebte, machte einen sonderbaren Contrast mit den armseligen Lumpen, die ihre Gestalt umhüllten, mit dem dürftigen Mahl, das sie einnahmen.

Aloisia ließ sich von den jungen Mädchen einen ihrer Tänze lehren, und sie fanden sich [412] bald von ihr übertroffen. Der Alten lernte sie etwas von ihren Zauberformeln und Wahrsagerkünsten ab, und sie staunten über die Gelehrigkeit, mit der sie alles nachschwatzte. Sie lernte bald das ganze Betragen eines artigen Ziegeunermädchens nachahmen, und Leona weinte vor Freude, ihr Töchterchen so gelehrig und so geschickt zu sehen.

Mario (so hieß der Räuber Aloisiens) und Rodrigo mit den übrigen Männern kehrten erst zurück, als die Nacht einbrach. Mario war freundlich über Aloisiens Kleidung; Rodrigo war mild, aber ernsthaft. Er legte ihr ein kleines goldnes Kettchen an; sie dankte. Als ein vorlauter Pursche der Bande sie damit geschmückt sah rief er: nun das hat Schwester Gertraud wohl gemacht! An dem zierlichen Hälschen steht es besser, als um den dicken Hals der Edeldame, der sie's unvermerkt an der Kirchweih ablöste. Aloisia riß es ab, und gab es Rodrigo zurück. Er nahm es an und erröthete. Ich habe es Gertrauden abgekauft, sagte er. Mario sah [413] Aloisien streng an. Um lumpichtes Gold schämt ihr euch einander zu berauben; um Dinge, die tausendmal köstlicher sind, bestehlt ihr euch ohne Bedenken.

So vergiengen einige Tage. Rodrigo vermied Aloisien mehr, als daß er sie aufsuchte, er war nur um sie, um für sie zu sorgen, und brachte ihr tausend angenehme Kleinigkeiten, die sie erfreuen konnten. Die Liebe lehrte ihn schnell alle Feinheiten der gebildeten Welt, und da sie bei ihm die zarte Sprache des Gemüths waren, hatten sie etwas Rührendes und Hohes.

Er sprach wenig in ihrer Gegenwart, aber sein Schweigen war bedeutend, wie die Stille in der Natur vor dem Ausbruch eines Gewitters. Das leiseste Geräusch erschreckt uns, und ringsum sieht unsre Ahnung schon Feuerstrahlen und Regenschauer. Auch Leona, die größtentheils um Aloisien war, wurde durch den Ernst des Sohnes zum Schweigen gezwungen. Sie sang oft alte Lieder nach schwermüthigen Melodien, um nur mit sich selbst reden zu dürfen.[414] Eines Abends, als sie das Kind einer Nachbarin auf dem Schooße einschläferte, sang sie folgendes sonderbare Lied, dem Aloisia mit Aufmerksamkeit zuhörte:


Den goldnen hochgewölbten Sälen,
Wo Freiheit Lust und Freude fehlen,
Bist du mein süßes Kind nur fern.
Dir weh'n des weiten Himmels Lüfte,
Dir blüh'n des frischen Waldes Düfte,
Dir winkt zum Schlaf der Abendstern.
Die seidnen Falten Deiner Wiege
Umrauschen dich nicht mehr! O liege,
Im zarten Grase ruhig hier.
Ein Bettchen in den kühlen Zweigen
Die sanft ihr Laub herniederbeugen,
Ein schwankend Bettchen flecht' ich Dir.
Dir fehlt der Dienerschaft Gedränge,
Doch der Gesellen frohe Menge
Ist Dir im grünen Thal vereint.
Du weinst! Du ringst die kleinen Hände,
Ob nicht dein Kuß die Mutter fände,
Ja, weine, deine Mutter weint!
[415]
Sie wandelt in des Ufers Schatten,
Sie sucht ihr Kind auf Blumenmatten.
Umsonst! – Umsonst! Jetzt forscht ihr Blick,
Ob es im süßen Schlummer liege!
Sie tritt heran zur leeren Wiege
Und sinkt und sinkt und sinkt zurück.

Was ist das für ein Lied? fragte das Mädchen – Es war einst Rodrigos Wiegenlied – Wie so? Ist es Rodrigos Geschichte? – Die Alte antwortete nichts weiter, und verlor sich in Geschwätz über Rodrigos Knabenalter, daß der Junge immer so sonderbar gewesen, die Einsamkeit so geliebt und bei seiner unglaublichen Geschicklichkeit wenig Freude an allen Künsten und Uebungen der Jugend gezeigt.

Seine einzige Freude sey gewesen, mit seinem Vater das Wild zu verfolgen, und Abends sich wunderbare Geschichten von ihm erzählen zu lassen, aus einem großen Buche, das sie einst aus einer Klosterbibliothek wegprakticirt. Aloisia verlangte das Buch zu sehen, es war der Plutarch.

[416] Mario kam Abends in Aloisiens Zelt, um ihr anzukündigen, daß die Bande den nächsten Morgen aufbrechen würde, um in andere Gegenden zu ziehen. Sein Ton war mild, sein Benehmen beinah fein; Aloisia war verwundert. Meine Kinder, sagte er, indem er Rodrigos und Aloisias Hände faßte, ich hatte Gelegenheit mancherlei Lebensweisen kennen zu lernen; wenn ich euch meine Erfahrungen mittheilen könnte, so würdest du, gutes Mädchen, dich leicht mit dem Schicksal aussöhnen, das dich in meine Hände lieferte, und du, Rodrigo, würdest nie wünschen, einen andern Zustand kennen zu lernen. Fremde Erfahrungen können nie zu den unsrigen werden, darum ist die Thorheit das ewige Erbtheil der Sterblichen. Deßwegen verpflichtete ich dich, mir treu zu folgen, Rodrigo. Ich bin gewiß, dich von der Straße des Unglücks zu entfernen. Sammle die Bilder deines vergangenen Lebens, Mädchen, wirf einen ernsten Blick darauf hin, und das Völkchen um dich her wird dir auf einer minder niedrigen [417] Stufe zu stehen scheinen. Lebt eure sogenannte feine Welt nicht eben sowohl vom Raube als dieses? Die leichtsinnigen fröhlichen Kinder des Zufalls streiten um die Bedürfnisse des Augenblicks auf eine lustige Weise; der unerschöpfliche, alles umspinnende Egoismus unter euch, raubt auf eine ernsthaftere Art ganze Existenzen. Geiz, List und Willkühr herrschen bei euch, die Natur und die Wahrheit haben allein keine Stimme. Den Schein des Rechten fordert ihr, unter diesem geht die Tücke stolz einher, und die Tugend, die sich auf sich selbst stützt, wird durch Mißtraun gebeugt. Die Gerechtigkeit wohnt nicht mehr in eurer Brust, sie ist unter einem Haufen alter staubiger Papiere vergraben. Die Frömmigkeit kniet unter einem dunkeln Steinhaufen, und wird zu düsterer Furcht, statt unter dem ewigen Gewölbe des Himmels das Herz mit Hoffnung zu erheben. Was fest unter euch wird, wird es nur durch zähen Schwachsinn. Die Gewalt ruht in Kinderhänden, und die List bewegt den Scepter hin und her. Der Tücke stehn alle[418] Wege zum Glücke offen, der schlichten Redlichkeit bleibt nur der Bettelstab. Wohin flieht die Liebe? – In Tod oder in Betrug, der sie selbst, mit dem edelsten in uns, zernichtet. Dafür habt ihr den Haß, den ewig zerstörenden. Euer Begehren ist grenzenlos, eure Plane nach Genuß reichen in endlose Fernen, darum sieht jeder in dem andern einen Gegner, denn euer leeres Herz ist in sich versunken. Im immerwährenden Kampfe um die Güter der Zukunft, zerstört ihr jedes menschliche Daseyn um euch her. Seht das leichte Kindervölkchen, das nur für den nächsten Moment sorgt; es theilt sich doch friedlich in den erwärmenden Sonnenschein. Treibt sie dringende Noth, sich ihre Bedürfnisse zu entreißen, so ist ihr Kampf offen, und in den lauten Ausbrüchen ihrer Leidenschaften bleibt der dumpfe Haß nicht ewig in ihrem Busen verschlossen. Die Falschheit trieb mich aus der Gesellschaft hinaus; folgt mir, genießet des Augenblicks, flieht ewig jene Schranken!

[419] Beide schwiegen; Marios gewaltiger Sinn hatte sie erschüttert, aber die Liebe hatte ihr edleres Daseyn entfaltet; sie fühlten sich reich genug, um die ganze im Haß erstarrte Welt mit ihrem Gefühl zu beleben. Aechte Liebe weckt und erregt die besten Kräfte der Natur. Sie strebt in die Zukunft, und die Vernunftfähigkeit, die Zukunft und Gegenwart verknüpft, erwacht. Ein daurendes Glück wünscht man dem Geliebten zu schaffen, wenn man sich selbst auch dem Strome des Geschicks sorglos hinzugeben vermöchte. Ahnend, von der Klarheit ihres Herzens umleuchtet, schwebte die Zukunft mit ihren unendlichen Wünschen, seligen Träumen und unaussprechlichen Schmerzen vor dem liebenden Paare, und ihm ekelte vor dem thierischen Daseyn, das schmerzen- und gedankenlos sich nur in den physischen Grenzen der Natur bewegt.

Rodrigo, fuhr Mario fort, nachdem er vergebens auf eine Antwort gewartet, Rodrigo laß dich nicht von der Empfindlichkeit der Weiberseelen täuschen; sie verwirren die einfachsten [420] Bande der Natur zu Netzen, die uns ins Verderben ziehn. Kannst du das Mädchen nicht besitzen, so laß uns sie zurückbringen, wo wir sie gefunden, noch ists Zeit.

Rodrigo schwieg mit ernstem Blick. Aloisias Herz war zerrissen, sie fühlte, daß sie Rodrigo nicht mehr verlassen konnte. Als sie Marios Rede besser erwog, belebte sie eine neue Hoffnung, Rodrigo sey nicht für diesen Stand geboren, ohne daß sie sich einen klaren Grund dafür anzugeben wußte. Seiner rauhen Aeußerungen ohngeachtet konnte sie Mario nicht hassen; sie erkannte in ihm ein edles Gemüth mit einer schweren unheilbaren Krankheit belastet, das sich selbst mühsam alle Gründe der Menschenverachtung herbei gesucht hatte, um den Zug zur Liebe in sich zu vertilgen.

Rodrigo war noch ernster als gewöhnlich; keine freundliche Aeußerung, kein Gespräch konnte ihn erheitern; er blieb in dumpfes Schweigen versunken. Nur wenn Aloisia ihre Laute nahm, dann zogen ihn nach und nach [421] melodische Töne aus dem innern Gewühl seiner Empfindungen heraus, und Thränen füllten seine Augen.

Der Zug hub fröhlich an am nächsten Morgen. Die Bande war in mehrere kleine Parthien vertheilt. Aloisia ritt neben Rodrigo, zehn Männer und eben so viel Weiber mit Kindern folgten. Mario hatte zu großer Vorsichtigkeit ermahnt, weil der Raub Aloisiens die Aufmerksamkeit der ganzen Gegend erregt hatte. Sie wanderten durch unwegsame waldige Gebirge, aber Rodrigos Kühnheit konnte sich nicht zur nöthigen Vorsicht bequemen. Er eilte einher als ein stolzer, des Siegs gewisser Krieger, nicht wie der Anführer eines wilden Haufens, den die Gesetze ausgestoßen haben.

Auch jetzt hatte er Marios Rath zuwider die Hauptstraßen nicht genug vermieden. In einer Waldung wurden sie unversehens durch einen Trupp bewaffneter Leute überfallen; immer kamen mehrere aus dem Dickichte des Waldes, und drohten sie ganz zu umringen. Seinen Leuten [422] wurde Angst, sie murmelten von Fliehen, er sagte: Hier gilts, ihr weicht nicht von der Stelle! Sie standen. Bleibe ruhig, Liebe! sagte er sanft zur bebenden Aloisia. Seine Leute mußten sie umgeben, nun schwang er sich eine Anhöhe hinan, und drang in dichtgedrängten Haufen, Schritt vor Schritt, unter immerwährendem Schießen und Säbelhieben, durch die schwächste Seite des Trupps, die er sogleich wahrgenommen. Man verfolgte ihn, der Kampf wurde immer hartnäckiger, aber Rodrigos Riesenkraft, sein eiserner Muth brachte endlich alle zum Fliehen.

Seine Leute plünderten die Verwundeten; er untersagte es streng, besah ihre Wunden, und freute sich keinen gefährlichen Kranken zu finden. Aloisia gab ihnen von stärkenden Mitteln, was sie bei sich hatten, und Rodrigo verließ sie mit mildem Blicke, dem das Mädchen ihren theilnehmenden Trost zugesellte. Von allgewaltiger Liebe, von Bewundrung ergriffen, faßte sie zum erstenmal seine Hand an ihr Herz, [423] und sank in tiefes Nachdenken. Der wilde Freudentaumel seiner Leute war ihm lästig. Ich verachte sie, sagte er zu Aloisien, sie freuen sich des Lebens, wer kann das Leben lieben, wenn er je der Gewalt weichen mußte? Aber du bist erschrocken, sagte er sanft, du bedarfst der Erholung – Ich fürchtete nur für dich, sagte das Mädchen leise, und seine Blicke glänzten in Liebe und Freude, aber Ernst und Wehmuth folgten schnell. Klagend und weinend hatten die Weiber und Kinder in der Entfernung dem Kampfe zugesehen. Jetzt kam Leona herbei, um ihren Sohn zu umarmen. Unerträglich war es Aloisien, die edle hohe Gestalt von der häßlichen Alten umschlungen zu sehen. Es kann seine Mutter nicht seyn, sprach sie oft bei sich selbst, ich müßte sie ja lieben. Sie selbst war geschäftig, ihm Ruhe und Erfrischungen zu verschaffen; er konnte die süßen aber gewaltigen Regungen seines Herzens nicht aushalten, und verließ Aloisien schnell. Sie war dreister geworden, da sie ihn mit geistigen Banden an sich gefesselt fühlte, [424] sie folgte ihm jetzt, und fand ihn an einer Quelle im Grase liegen. Sein Haupt war über den Strom gebeugt, er schien ganz seinen schwermüthigen Gedanken hingegeben, und tiefe Seufzer hoben seine Brust. Aloisia näherte sich, und nannte seinen Namen. Er wendete sein Angesicht nach ihr hin, sein Blick flammte hervor, wie ein Sonnenstrahl aus Regenwolken, unter den thränenschweren Augenliedern, lieblich und segensreich, aber umdämmert. Du fliehst mich nicht? sagte er, und ich machte dein Unglück. Mir ekelt vor Allem, was mich umgibt. Du scheinst mir ein höheres Wesen, das hier nicht stehen sollte, dem ich mich nicht nähern darf! – Mein Freund, laß uns vertraulich über unsre Lage reden, erwiderte sie, und setzte sich neben ihn. Die Welt ist nicht so, wie Mario sie dir schildert. Geht auch nicht alles, wie es sollte, so ist die Macht des Guten dennoch stark, zum Vertrauen und zur Geselligkeit sind die Menschen bestimmt. Du bist nicht geschaffen, um in Wäldern dunkel und verbannt zu leben, [425] nicht um in niedrigen Geschäften die edlen Kräfte deines Herzens einzuschläfern. O nein, dein schönes Herz soll die Menschen beglücken mit Liebe, dein hoher Sinn sie beherrschen mit weiser Macht. Hättest du ein Leben zu führen, wie das meines Vaters war! Der Morgen weckte uns zur fröhlichen Jagd, wir erlegten die Thiere des Waldes, um die Ernte des guten Landmanns zu schützen. Kamen wir zurück, so durcheilten wir unsre Felder und belohnten unsre fleißigen Arbeiter. Ein paar Freunde erwarteten uns zum Mahl, das unterrichtende Gespräche erheiterten. Ich lernte, was die Menschen Großes gethan hatten, und bekam ein Gefühl von dem Vermögen meines Busens. Wenn mein Vater mit seinen Freunden auf den Sieg der guten Sache, auf die Macht des Guten, auf den Untergang des Bösen trank, dann suchte ich im Stillen auch meinem Leben denselben Gehalt zu geben, denselben Gefühlen in Worten und Thaten treu zu bleiben.

[426] Kamen die Unterthanen meines Vaters, und baten ihn, einen Streit zu schlichten, ein gutes Unternehmen zu unterstützen, ein böses zu zernichten, so war er immer bereit, sie anzuhören, und ihren Wünschen zuvorzukommen. Ich mußte oft ihre Fürsprecherin seyn, nicht um den Willen meines Vaters zu lenken, denn der war die Gerechtigkeit selbst, aber ich mußte ihre Händel kennen lernen, um sie zu verständigen, was sie eigentlich begehren könnten, und oft gelang mirs, sie zufrieden zu stellen, und die Geschäfte meines Vaters zu vermindern. Gabs eine Landesangelegenheit, so folgte ich meinem Vater in den Ort, wo die Versammlung war, und freute mich, wenn ich seine edle männliche Sprache vernahm, wenn seine starke ungebeugte Seele offen die Wahrheit bekannte, und allen Schlingen der List entgieng, oder sie vernichtete.

Ach! als er sich zu einem Feldzug rüstete, als er von seinem Schloß auszog, von seinen tapfern Leuten umgeben, als ich ihm das [427] Schwerdt im frommen Gebete um Sieg umgürtete, nie vergesse ich diese Momente! – Wie ich dann von dem höchsten Thurm unsers Schlosses die wehenden Fahnen zuerst wieder auf den Gebirgen erblickte, und den fröhlichen Zug heimkehren sah, wie er vom Pferde stieg, verehrt wie ein Gott an Kraft und Liebe von den umgebenden Kriegern. Ich nahm dann einen um den andern auf mein Zimmer, und er mußte mir vom Verlauf der Schlachten erzählen. Wie glühte mein Busen in dem Ruhm meines Vaters! Er hatte gedient, um sein Vaterland von dem Ueberfall der Feinde zu befreien. Wie bebte ich vom sanften Schauer der Kraft und Größe ergriffen, wenn die erbeuteten Roßschweife in der Familienkapelle unter feierlichen Ceremonien aufgestellt wurden. Thränen rannen über die Wangen meines Vaters, er drückte mir die Hand beim Heimreisen, und sagte: Gott hat viel durch mich gethan, mein Kind!

Die schönsten Abende waren mir die, wo irgend eine Scene des Krieges in seinem Gemüth [428] lebendig wurde, oder wenn er sich auf der Jagd, der oder jener Stellung im Feldzug erinnerte, und ich ihn dann immer weiter in die Erzählung hinein fragen, seinen Muth, seine Güte und Menschlichkeit bewundern konnte.

Rodrigos Auge ruhte glühend auf dem Mädchen, sein Herz schlug mächtig empor – Fühlst du nicht, Rodrigo, daß dieß ein Leben für dich seyn würde? fragte Aloisia noch einmal. O Mario hat dich getäuscht, hier kann der Zweck deines Lebens nicht erfüllt werden!

Rodrigo sprang auf. Du wiederholst mir nur, was mir eine innere Stimme unaufhörlich zuruft! rief er aus. Ein Traum meiner Kindheit erscheint mir ewig wieder. Da sah ich glänzende Zimmer und eine holde Gestalt, die mich mit Liebe umfieng. Wohlthun und Adel war um mich her, ich hatte das Glück zu geben, man dankte mir. Alles war in diesem Traume so anders, als das Leben, welches ich führte. Oft legte ich mich als Kind unter einen Baum, und schloß die Augen fest zu, um die dämmernden [429] Gestalten aus meinem Innern hervor zu rufen. Wenn mich oft da tausend kleine Bedürfnisse nöthigten, die Menschen um mich her anzusprechen, und ihre Aeußerungen mir so kalt und lieblos dünkten, dann gieng ich an einen einsamen Ort, und rief eine geliebte schöne glänzende Gestalt an, von der ich alles zu empfangen wähnte. Wenn sich einer meiner Spielgesellen erbot, mir das was ich begehrte, von seiner Mutter zu verschaffen, wenn ich sah, wie diese eilte, sein Begehren zu erfüllen, wie sie ihm mit Liebkosungen alles reichte, dann sank ich auf meine Knie, und rief, Mutter! O meine schöne, gute Mutter, es war mir klar geworden, daß die glänzende Gestalt mir dieses seyn müßte. O komme wieder zu deinem Kinde! Wenn Mario das hörte, sagte er mir, deine Mutter wird bald bei dir seyn, sie wird aus den Appeninen zu uns herab kommen. Immer sah ich sehnsuchtsvoll nach jener Gegend, die blauen Berge in den Wolken waren mein liebster Gegenstand. Eines Tages sagte er mir, [430] jetzt sey sie da, und führte mich zu Leona. Ich weinte heftig, als ich sie erblickte, und rief: Nein, o nein, das ist sie nicht! Nur nach und nach gewöhnte ich mich an sie, und äußerte aus Dankbarkeit für ihre Gefälligkeit und Sorge meinen Widerwillen gegen sie nicht weiter. Das schöne glänzende Bild in meinem Innern fieng an, undeutlicher zu werden, aber eine sonderbare Begebenheit erfrischte seine Züge, und prägte es aufs neue in mein Herz.

Mario hat Anfälle eines Uebels, das ihm, wenn es auf den höchsten Grad steigt, alle Besinnung raubt. In einem solchen fand ich ihn einst liegen, neben sich ein eröffnetes Paket Papiere und das Bildniß eines Weibes. Ich riß das Bild an mich, es glich demselben, das in meinem Gedächtnisse stand, ich konnte mich nicht satt daran sehen, ich rang mit Leona, die es mir entreißen wollte, wie ein Rasender. Leona bewog mich nur, es zurückzugeben, weil sie mir sagte, mein Vater würde es mir doch entreißen, und ich würde es hernach nie wieder sehen; [431] sie selbst versprach mir es öfter zu zeigen. Sie hielt nicht Wort, nie habe ich es wieder gesehen.

Das alles ist sehr sonderbar, mein Freund, sagte Aloisia, es bestärkt meine Hoffnung, daß du nicht für dieses wilde Leben geboren bist. Ist Mario dein Vater?

Er nannte mich immer seinen Sohn, und als ich heranwuchs, schloß sich mein Herz ganz an ihn. Sein Heldenmuth leuchtete mir vor, und seine Güte rührte mich, da er gegen andere, selbst gegen Leona, immer nur als rauher Gebieter erschien. Er erzählte mir von der Verworrenheit der übrigen Welt, aber er machte meine Neugier nur rege, und ich fand so viel Unbefriedigendes um mich her, daß meine Wünsche immer in die Ferne strebten. Sehnsucht faßte mich, wenn ich an den reinlichen glänzenden Städten vorbeizog; wenn ich die Einwohner zu irgend einer Feierlichkeit versammelt sah, wünschte ich zu ihnen zu gehören, wünschte etwas für sie zu thun, das mir Ehrfurcht und [432] Liebe erwerben könnte! Als ich dich zuerst sah, da umleuchtete die mir verschlossene Welt ein neuer Glanz, und meine Wünsche wurden zum brennenden Verlangen.

Schon zweimal hatte ich dich mit deinem Vater durch den Wald reiten sehen, und seit dem ersten Blicke sah ich nichts anders mehr, als dich vor meinem Sinn. Wenn mich nicht ein Unternehmen, eine Gefahr mächtig aufrief, so lag ich im Dunkeln der Bäume, und rief dein Bild an. Als dich das Schicksal in meine Arme gab, als ich dich fassen, halten konnte, da waren alle Kräfte in mir mächtig aufgeregt; schön und glänzend schien mir die Welt, in der du lebtest. Ich wollte dich besitzen, aber du solltest nicht aus deinem Kreis gerissen werden, mächtig wollte ich mich aufschwingen zu dir. Die Ehre sollte mich zum Glück der Liebe führen. Bis dahin sollten nur räthselhafte Erscheinungen meiner Liebe dich an mich erinnern. Ich sprach dieses alles vor meinem Vater aus. Ich hatte von Kriegsbewegungen gehört; dringend [433] bat ich ihn, mich ins Feld ziehen zu lassen. Nie vergesse ich den gleichsam versteinernden Ausdruck des Schmerzes, der sich über seine Züge goß. »Du bist auch in Weiberschlingen, ich soll auch in dir alle Schmerzen meines Lebens noch einmal fühlen! rief er aus. Armer Thor, die Ehre, meinst du, könnte ein Weiberherz rühren! Geh, sammle dir einen Geldhaufen. Und denkst du die Ehre durch Tapferkeit zu erlangen? Geh, blute auf dem Schlachtfelde – umsonst. Ein Feiger hat ein Zöfchen am Hof genommen, er heißt der Tapfre, du wirst vergessen. Nein, nicht vergebens will ich das mühvolle Leben gelebt haben für dich! Die erste Stunde, die dich in die sogenannte civilisirte Welt führt, ist die Todesstunde deines Vaters. Ich weihe diesen Dolch im Angesicht der ewigen Natur – er soll mich vom Anschaun deines Elends befreien.« Gewaltsam zuckte er den Stahl durch die Luft, und sein starrer Blick löste die Kraft meines Wesens. Vater, ich bleibe bei Euch, ich schwöre es, rief ich –

[434] Ach Aloisia, wie schmerzlich, bei jedem Blicke auf dich, wie schmerzlich fühle ich es, daß ich gebunden bin!

Aloisia faßte seine Hände sanft, ihre Thränen flossen. Rodrigo, sagte sie, mit hellem Auge, als sie ihre Thränen getrocknet; dein Leben zu erhöhen, daran liegt mir fortan mehr, als an meinem eignen Daseyn! Vertraue mir, mein Freund – und wir wollen sehen, ob das alles nicht sanft zu lösen ist. Rodrigo fühlte sich an das geliebte Herz für immer geheftet, sein Verlangen wurde stiller, seine Liebe reiner und höher, da er sich klar auch von ihr empfinden sah. Durch geistige ewige Bande in einander verwebt, giengen sie als höhere Wesen einher, denen das niedre Leben nichts zu rauben vermag.

Mit Frohlocken, Klang und Gesang wurden sie von dem Haufen empfangen; man hatte ein Ehrenmal bereitet, Kronen von Eichenlaub für Rodrigo und Aloisien geflochten. Freundlich ließen sie sich bei den Leuten nieder, und alle freuten sich, die düstre Stirne des Hauptmanns erheitert [435] zu sehen. Mario hatte von dem Ueberfall gehört, und war seinem Sohn zu Hülfe geeilt: er fand ihn als Sieger. Leona war entzückt, nahm Aloisien bei Seite, und flüsterte ihr zu: Und bist du nun in der That mein Töchterchen? Mutter, das will ich werden, erwiderte sie, aber laß mich noch ein Weilchen der Mädchen Freiheit genießen, mit dir in der offenen Welt, leicht und sorgenlos herumschweifen. Leona sah ihren Sohn heitrer, und fragte nicht weiter. Der Haufen blieb näher vereint, und wanderte den Gebirgen zu. Aloisiens Ueberzeugung, daß Rodrigo nicht unter diesem Volke geboren sey, war durch die Rückerinnerungen seiner Jugend beinah unumstößlich geworden. Ihr Plan, der Wahrheit auf den Grund zu kommen, war jetzt fest, und all ihr Handeln war auf diesen einen Punkt gerichtet. Klarheit und heitere Laune kehrten zurück; das Schicksal des Geliebten lag in ihrer Hand, welche Zauberkräfte standen ihr zu Gebot! Mit feinem Scherz umspann sie selbst Marios ernste, [436] düstre Stimmung, und der geheime Zauber ihres Reizes, ihre gutmüthige Laune war unwiderstehlich. Mit anscheinend kindischer Neugierde that sie ihm tausend Fragen, die sich alle um Rodrigos Geburt drehten, denen er nicht immer ausweichen konnte, und denen oft ein stummer Ernst, ein strafender Blick Einhalt thun mußte. Diese sagten Aloisien mehr als eine klare Antwort.

Sie nahm sich die Freiheit, Mario zu jeder Stunde zu überraschen, unter seinem Zelt zu wirthschaften, seine ganze Geräthschaft zu durchsuchen; kindisch sagte sie, daß sie ihre Geschicklichkeit in dem neuerlernten Handwerk selbst beweisen wollte; sie entwendete ihm bald dies bald jenes Stück seiner Sachen. So entwendete sie ihm einst den Schlüssel zu einem Kästchen, das immer neben seinem Lager stand. Beim nächsten Rasttag, wo die Männer sich mit der Jagd belustigten und die Frauen daheim die Mahlzeit bereiten sollten, eilte sie das Kästchen zu eröffnen. Sie fand ein Packet [437] versiegelter Papiere und das Bild, wovon Rodrigo gesprochen. Die klarste Aehnlichkeit mit seinen eignen Zügen leuchtete ihr entgegen. Seine großen dunkeln Augen lagen unter denselben sanft geschweiften Augbraunen, hoch und frei erhob sich die edle Stirne, und Lieblichkeit und Wohlwollen gossen himmlischen Reiz um Wangen und Mund.

Aloisia hatte sich Fertigkeit im Zeichnen erworben; sie verwendete den ganzen Tag darauf, sich das Bild zu kopieren. Die Liebe hatte ihren Eifer beflügelt; sie hatte die möglichste Treue erreicht. Als sie es Rodrigo zeigte, rief er: Ja das ist sie, das ist die Gestalt, die noch immer neben der deinen in meiner Brust abgedrückt ist. Laß mich sie aufsuchen, mein Freund, und das Geheimniß deines Schicksals enträthseln, rief Aloisia. Er antwortete mit einem schwermüthigen Blicke: Ich halte dich nicht zurück, geh, wenn es dir gefällt! »O nicht so wünschte ich das von dir zu hören, mein Freund! Sprich es mit Freude und Vertrauen [438] aus, und ich gehe mit frohem Muthe!« Leona kam zu ihnen. Aloisia hielt ihr das Bild vor und sagte: Sieh diese Züge, sieh die seinen, und gesteh es, diese ist seine rechte Mutter! Gestehe es, rief Rodrigo, ich verzeihe dir alles, wenn du Ja sprichst. Sein innres Gefühl sagte es ihm längst schon leise, die Liebe spricht es laut, sagte Aloisia, er gehört nicht zu euch, er gehört zu mir.

Sachte, mein Täubchen, sagte Leona, nachdem sie bedächtig das Haupt geschüttelt, sachte nur, was ist denn das für ein mächtiger Unterschied? Ich war auch in Städten und Schlössern, aber immer war ich froh, sie im Rücken zu haben und wieder meine Wälder und mein freies Feld um mich zu sehen. Wie mancher vornehmen Dame mußte ich ins Geheim wahrsagen! Wenn man die Wünsche der Menschen kennt, kennt man ihr innerstes Herz.

Ach wie grund-häßlich und verwirrt schien mir das Innre der Häuser, so glänzend auch die Außenseite war! Belügt euch, betrügt euch [439] so viel ihr wollt, ihr seyd um nichts besser und glücklicher, sprach ich zu mir selbst, wenn ich unter einem luftigen Baume den Lohn meiner Prophezeihungen verzehrte. Oft konnte ich mirs nicht verwehren, irgend einem recht fatalen Gesicht, das so zu fremder Qual gemacht schien, die Angst und Furcht im Busen durch eine Unglücksbotschaft anzufachen, und wenn ich auch nüchtern davon gieng, freute ich mich doch dessen, was ich gethan, wie des besten Mahls. Kinder, was euch betrifft, so halte ich euch für Thoren von ganzem Herzen, daß ihr euch nach den Fesseln der Falschheit und Narrheit zurücksehnt: aber ich bin deshalb nicht wie Mario, ich will niemanden zum Glücklichseyn zwingen und eure ernsthaften Gesichter sind mir fatal. Haltet euch ruhig für jetzt; euer Schicksal kann sich vielleicht bald entwickeln. Rodrigo wollte stürmisch in sie dringen. Bleibt ruhig, es ist jetzt noch nichts zu thun, sagte sie ärgerlich, und macht ihr Lärm vor Mario, so bleibt ihr im ewigen Dunkel. Aloisia bat Rodrigo sich zu [440] beruhigen; sie fühlte, daß man nur durch Geduld und List der Alten etwas abgewinnen könne. Die lieblichsten Hoffnungen füllten ihren Busen. Rodrigo erwartete die Auflösung mit ungestümen Zweifeln.

Aechte Liebe webt das Band der Sitte und wirft den Schleier der Grazien über das ganze Leben. Unter den wildesten und unedelsten Verhältnissen hatte sich Rodrigos eigenthümlich edle Natur erhalten. Durch die Liebe bildeten sich die höhern Kräfte seines Wesens aus. Bei Marios düsterm Ernst fand er keine Sprache, erst bei der Geliebten lernte er sich selbst klar empfinden, indem er alle Gefühle aussprach, die seinen Busen bis jetzt nur mit dunkler Ahnung erfüllten. Die hohe und freie Natur hat da eine Sprache, wo das durch die Welt verschlossene Herz nur stumme Thränen hat. Poesie ist diese Sprache.

In den einsamen Thälern, vom schaurigen Dunkel uralter Eichen umschattet, wenn sie an der Kühlung des brausenden Stroms ruhten, [441] dann löste sich Rodrigos lang verschlossener Busen in schönen Hymnen der Liebe. Aloisia fühlte sich ganz und ewig ihm geeignet; zwei Liebende vereinigen in sich die Welt.

Als die reich angebaute blühende Fläche sich vor ihnen ausbreitete, von klaren Bächen und glänzenden Strömen durchschnitten, die sich aus den Apenninen ergießen, dann faßte sie eine unaussprechliche Sehnsucht nach ruhigem friedlichem Bleiben.

Die Liebe will eine Heimath, die die schönen Tage ihres Genusses wiederkehren sieht. Selbst den leblosen Gegenständen vertraut sie das zaubervolle Geheimniß ihres Glücks. Wenn sie unter einer hochstrebenden Eiche ruhten, in deren breiten Aesten umschlingende Reben lieblich düstere Schatten webten, wenn sie da die freundlich wirthlichen Wohnungen vor sich liegen sahen, von üppigen Weiden und schönen Heerden umgeben, wie sehnten sie sich ein still fröhliches Leben zu beginnen, sich an die heitern Bewohner anzureihen, und Genuß und Arbeit [442] mit ihnen zu theilen! Mario stand mit seinem Starrsinn, wie ihr böser Engel vor dieser Glückseligkeit. Aloisia wagte nicht ihre Wünsche auszusprechen, um des Geliebten gepreßtes Herz nicht schmerzlicher zu quälen.

Je mehr er sie sein fühlte, je mehr umfaßte er sein Glück mit Unruh und Zweifeln, je inniger erkannte er ihr ganzes Wesen, und litt durch jede Rauheit, durch jede Unschicklichkeit sogar, welcher das unstäte wilde Leben sie aussetzte.

Jeder Regenguß erschreckte ihn, jeder heiße Sonnenstrahl, jeder kalte Nordwind machte ihm Sorge. Oft bat er sie selbst in der schmerzlichsten Bewegung, ihn zu verlassen.

Bald allein, bald mit Leona und andern Mädchen des Haufens, streifte sie in der Gegend umher. Sie tanzte, schwang den Tamburin und ihr Gesang, ihre Grazie lockte alles Volk um sie her. Sie trug ihr Bild als einen Talisman, an dem das Glück ihres Geliebten hieng, in der Brust, und im Innern der Schlösser, [443] in den Cirkeln der Damen, auf den Spaziergängen suchte sie überall nach ähnlichen Zügen. Künstlich hatte sie mehrere unter der Bande nach den Ländern, die sie durchzogen, nach der Zeit, die Mario unter ihnen gelebt, und wie Rodrigo zuerst zu ihnen gekommen, ausgeforscht. Das Resultat war immer, daß Mario Rodrigo seit einem Zug in die Appeninnen bei sich gehabt. Aufmerksam folgte sie dieser Spur, und unermüdet war sie in ihren Nachforschungen, da die herrliche Aussicht nach jenen Gebirgen sich immer mehr vor ihren Augen eröffnete.

Auch Rodrigo fühlte sich sonderbar bewegt, wenn die Sonne über den Apenninen sank, und die Alpen im herrlichen Glanz der Abendröthe erglühten. Es war, als ob tausend Stimmen der Vergangenheit ihn umtönten, als ob die lang gesuchte Heimath in dem lichten Horizont sich nun vor ihm aufthäte.

Mario war noch ernster und strenger als gewöhnlich, und suchte die tiefste Einsamkeit. [444] Leona schien nachdenkend, und war viel allein in der Gegend umher.

Der ganze Haufen hatte sich in den lieblichen Thälern vertheilt, welche die unzähligen bebuschten Hügel bilden, über denen die hohen Gebirge emporsteigen.

Aloisia entfernte sich eines Tages von ihren Begleiterinnen. Die großen Naturgestalten, von allen Schauern der Einsamkeit umgeben, lockten sie immer tiefer ins Gebirge hinein.

Am Ausgang eines engen Thals, aus welchem ein mächtiger Strom mit eilenden Wogen den Apenninen entrinnt, lag auf einem vorspringenden Hügel ein altes Schloß mit hohen Mauern umgeben. Vom Flusse an, der den felsigten Fuß des Hügels umspülte, wand sich der Weg in mehreren Krümmungen die steile Höhe hinauf; ein schmaler Pfad folgte dem Lauf des Flusses; Jasmin und Lorbeergebüsch sproßte zwischen dem Geklüfte, über das sich der Ephen von den alten Mauern herab strickte. Frische Wiesen von den mannichfachsten Baumgruppen [445] geschmückt, breiteten ihren lieblichen Teppich zum Fuß des Felsens, und nahmen den klaren Strom auf. Dicht am Ufer, an einer kleinen Anhöhe, von Cypressen umschattet, lag eine Kapelle, die sich Aloisia zum Ruheplatz ausersah. Angenehm wurde sie von den schönen Verhältnissen des kleinen Gebäudes gerührt, als ob eine melodische Stimme an ihr Herz spräche. Unter der schön gewölbten Kuppel, aus der sich das sanfte Licht des Abends herabgoß, stand ein Sarkophag von schwarzem Marmor: »Dem Andenken eines einzigen geliebten Kindes« stand mit goldnen Buchstaben an dem Fußgestell. Nachsinnend ruhte das Mädchen am Eingang der Kapelle, als ein Schäfer mit seiner Heerde die frischen Wiesen hinanzog.

Morgen werdet ihr hier ein sonderbares Fest sehen, redete er Aloisien an. Hier, wo die Kapelle steht, ertrank vor zwanzig Jahren der einzige Sohn unsrer Herrschaft, ein engelschönes Kind, in seinem dritten Jahr. Hier, wo man das Röckchen des Kleinen aus den Wellen [446] des Flusses zog, ließ die untröstliche Mutter die heiligen Mauern errichten. Dort in jenem Schrein von Ebenholz, neben dem Heiligenbild, verwahrt sie das Röckchen und das Federhütchen, welches man im Gebüsch des Ufers gefunden. Täglich weidet die arme Mutter ihren Schmerz an den traurigen Ueberresten; den kleinen Leichnam hat man nirgends finden können. Die Wärterin, welcher das Kind anvertraut war, bei der ich es so oft fröhlich auf den Wiesen umher gaukeln sah, auch diese ist verschwunden, nie hat man sie wieder gesehen. Man glaubt, sie habe sich dem Kinde nachgestürzt; vielleicht hatte sie es unvorsichtiger Weise aus den Augen gelassen, und fürchtete sich vor der Verantwortung. Es gehen auch wunderliche Sagen, fuhr er leiser fort: Der Satan habe die Wärterin in der Gestalt eines Zigeunerweibs verblendet, daß sie das Kind in den Fluß gestürzt, und sie selbst habe er dann von einer Felsenspitze durch die Luft entführt.

Nimm mirs nicht übel, hübsches Mädchen, [447] sagte er traulich zu Aloisien, als er ihre dunkle Gesichtsfarbe bemerkte, die sie sich künstlich zu geben wußte, und den Tamburin, der ihr über die Achsel hieng; nimm mirs nicht übel, man spricht viel Böses von Eurem Volk. Du aber, du siehst hold und gut aus, und wenn du diese Nacht in meiner Hütte bleiben willst, und meinen Töchtern gutes Glück sagen, so bist du mir willkommen. Morgen kannst du dann das Fest mit ansehen.

Aloisia nahm das Erbieten an, sagte den Töchtern gutes Glück, hörte noch viel über die Feierlichkeit schwatzen, und über das traurige Schicksal der armen Mutter, an dem das ganze kleine Völkchen den gutherzigsten Antheil nahm.

Aloisiens Ungeduld, die Gestalt der Gräfin zu erblicken, in der ihr ahnendes Herz die Mutter des Geliebten zu finden wähnte, trieb sie mit Sonnenaufgang nach dem Schloß. Ungehindert gieng sie durch das Schloßthor, das hochgewölbt zwischen zwei beschützenden Thürmen lag, ungehindert durch den düstern engen [448] Gang unter drohenden Schutzgattern, bis in den innern geräumigen Hof. In dessen Mitte ergossen sich Wasserröhren in ein marmornes weites Becken unter hohen mächtigen Cypressen. Hier ruhte Aloisia. Schon war es lebendig in den Hallen des Schlosses, das Hausgesinde, verwundert über die schöne Gestalt des Mädchens, drängte sich um sie her. Mit anmuthigen Neckereien unterhielt sie alle, als eine Dame im schwarzen Gewand aus einer der Hallen hervortrat. Alles wich zurück, um ihr Platz zu machen; sie näherte sich einem Sitz unter den Cypressen.

Aloisia stand verborgen hinter dem Dunkel der Bäume, und schaute nach dem Angesicht der Gräfin. Mit zitternder Freude, mit hochwallendem Busen erkannte sie die Züge ihres Bildes. Die Jahre hatten leise Spuren darüber hingezogen, den Formen fehlte die jugendliche Fülle, aber unverändert und unverkennbar war das reine Verhältniß derselben, die geistige Grazie des Ganzen.

[449] Bebend, eine der Cypressen umfassend, stand Aloisia. Es drängte sie zu den Füßen der armen Mutter hinzustürzen, ihr das Geheimniß ihres Glücks zu verkünden, aber sie fürchtete die tödtende Ueberraschung der Freude für das ermattete Herz. Die zarte Gestalt, dünkte ihr, müßte in der ersten heftigen Seelenbewegung aufgelöst werden. Leise, sanft verhüllt im Schleier der Symbole, sollte sich ihr das Glück wieder nähern. Auch erwachten im Moment der Entscheidung noch Zweifel in ihr selbst, wie in jedem feinen Gemüth, wenn ein fremdes Schicksal in seine Gewalt gegeben ist.

Täusche ich mich auch nicht? Schmeichle ich der armen Mutter nicht vielleicht mit falschen Hoffnungen, die ihr nur ein schärferes Gefühl ihres Elends bereiten müßten?

Durch diese Fragen in ihrem Innern zurückgehalten, mächtig bewegt, stand sie sprachlos in sich selbst gekehrt, als eines der Mädchen des Hauses ihre Hand faßte, um sie der Gräfin zuzuführen. O gnädige Frau, rief sie, lassen Sie [450] sich von dem artigen Mädchen auch gutes Glück sagen; uns allen hat sie schon viel Gutes verheißen!

Mein Glück liegt in der ewigen Nacht, gutes Kind, erwiederte die Gräfin.


»Es wirket selbst in dicht umwölkter Nacht,
Auch unsichtbar der Sterne Himmels-Macht,
Der Wolken Hülle weichet schnell zurück,
Im lichten Aether schimmert uns das Glück,
Was Lieb' umfaßt blüht ewig neu empor,
Verloren ist nur, was das Herz verlor!«

Das gilt nicht für mich, sagte die Gräfin sanft. Aber gerührt durch die hohe, liebliche Gestalt des Mädchens, setzte sie hinzu, nachdem sie ihr ein kleines Geschenk gereicht: Bleib heute hier, mein Kind, und Du wirst erfahren, daß meinem Schmerz keine Hoffnung leuchten kann. –

Aloisia ergriff die eine herabsinkende Hand der Gräfin, besah ihre Linien und rief wie begeistert:


[451]
Des Lebens und des Glückes Linien prangen,
Des Hauses Fülle in der zarten Hand!
Noch heut wirst Du ein Zeichen vom Geschick empfangen,
Das jeden Zweifel aus der Seele bannt!

Was soll das heißen? rief die bewegte Gräfin. O, spräche mein guter Engel aus Dir! Bleib, Mädchen! rief sie heftig, haltet sie auf! Vergebens, Aloisia hatte sich unter der Menge verloren.

Alle Bewohner der umliegenden Gegend versammelten sich jetzt im Thale. Die schönsten Kinder wurden weiß gekleidet und mit Cypressenkränzen geschmückt. Von einer Trauermusik angeführt, giengen sie in ernstem langsamen Zuge über die frischen Wiesen bis zum Ufer des Flusses. Die trauernde Mutter kam mit ihren Frauen in Trauerkleidern aus dem Schloßthor, und wankte die steile Anhöhe herab. Die Kinder reichten ihr ihre Cypressenkränze, die sie von tausend Thränen benetzt in die klaren Fluthen warf. Lang blieb sie stehen, und sah, wie [452] die Wogen sie auf und abtrieben. Ach, so trieben die Grausamen einst ihr holdblühendes Kind. Dankbar für die fremde Theilnahme an der jährlichen Feier, durch welche die arme Mutter ihren Schmerz zu verewigen strebte, verband sie damit immer fröhliche Spiele für die Jugend.

Körbe mit kleinen passenden Geschenken standen unter einem Kranz der schönsten Bäume. Während sie die Gräfin vertheilte, weidete sie sich mit zärtlichen Erinnerungen an dem unschuldsvollen Lächeln, an den heitern freudeglänzenden Augen der Kinder. So lächelte ihr Rodrigo, so leicht und fröhlich hüpfte er über den grünen Teppich der Wiese dahin, wenn sie einen seiner kleinen Wünsche erhört hatte.

Die Eltern versammelten sich um die Spiele der Kinder herum; auch sie wurden bewirthet, beschenkt, und alles überließ sich bald der reinen kunstlosen Fröhlichkeit. Man hatte der Gräfin einen erhöhten Sitz von Rasen und frischem Laube bereitet, von dem sie, in sanfte Schwermuth [453] verhüllt, oft einen Strahl heitrer Theilnahme aus Gefälligkeit hernieder sendete. Ihr leises Bravo belohnte eben zwei der rüstigsten Tänzer, als sich der bunte Kreis der Zuschauer theilte, um einer neuen Erscheinung Platz zu machen.

Die artige junge Zigeunerin hüpfte gleich als vom Winde beflügelt, einher. Aetherische Leichtigkeit war in ihren Bewegungen. In dem einen erhobnen Arm schwang sie den Tamburin, dem sie mit der andern Hand ein melodisches Schellengetön entlockte. Die angenehmste Bewegung des Hauptes, das sich gleichsam in den Wellen der Töne wiegte, begleitete diesen Klang. Die Spitzen ihrer zarten Füße berührten kaum das Gras, ihr leichtes Gewand floß um die schlanke Gestalt. Mit anmuthsvoller Bescheidenheit war sie eingehüllt, aber das Ebenmaß und der Reiz der Formen schimmerte wie durch dünnes Gewölk. Die Gewandtheit ihrer leichten Bewegungen zog alle Zuschauer an, und auf ihrer Grazie blieb jedes Auge geheftet.

[454] Sie schwang sich dreimal in dem Kreise einher, ihr heller Blick maß die ganze Versammlung, und blieb lang auf die Gräfin geheftet. Gleich als begeistert durch ihr Anschau'n, rief sie einen der Musikanten, den sie vorher schon unterrichtet, herbei, und begann einen pantomimischen Tanz, der zum Verwundern das Schicksal der armen trauernden Mutter ausdrückte, und ihr selbst und den Zuschauern Thränen entlockte.

Sie hatte den Tamburin weggeworfen, und ergriff unter den Umstehenden eines der lieblichsten Kinder. Mit diesem schwebte sie in tausend schönen mannichfachen Stellungen und Verschlingungen der Arme einher. Wenig einfache Töne begleiteten die holden Bilder der Unschuld und kindlicher Fröhlichkeit. Mit zärtlichen halb muthwilligen Neckereien gauckelte sie umher; bald beugte sie sich mit Innigkeit und Liebe gegen das kleine Geschöpf; ihre sanften Bewegungen, ihre leiseren Schritte, ihr seelenvolles Auge, sprachen deutlich, in dir liegt mein ganzes Glück!

[455] Mit schneidendem Ton veränderte sich jetzt die Musik, mit einem heftigen Sprung entfernte sich das Kind, und der tiefste hoffnungsloseste Schmerz, alle Schauer des Entsetzens ergriffen die Tänzerin, und mit ihr alle Zuschauer. Ihre Brust hob sich als athemlos in die Höhe, ihr Auge suchte glänzend und hülflos den Himmel, ihr ganzer Körper neigte sich, als wollte er in die Tiefe hinab stürzen, ihre Arme beugten sich, als ob sie über alles verschlingenden Wogen sich ausbreiteten, und sie zu umfassen strebten.

In der wildesten Leidenschaft folgten ihre Schritte der Ordnung des Tanzes, ihre Bewegungen den Linien der Schönheit, und mit stiller Gewalt ergoß sich hoher Schmerz über die Versammlung. Jetzt gieng sie durch sanfte Modulation in stillere Trauer über, lieblich sich in einen leichten Schleier hüllend, war's, als ob sie in ihrer eignen Wehmuth ruhte. Auf einmal blickte sie erstaunt in die Ferne, Hoffnung und Lebensgefühl beseelte ihre Schritte und [456] Bewegungen. Etwas aus der Ferne schien sie zu locken, ihr entgegen zu dringen, mächtig ihr zu begegnen. Jetzt schwebte ihr einer der gewandtesten Tänzer entgegen. Es war ein hochgestalteter Jüngling, ein älterer Bruder des lieblichen Kindes, welches ihm sehr ähnlich war. Verwunderung, Staunen schien ihre Schritte zu hemmen – War es der Verlorne, der ihr jetzt emporgewachsen, in der Pracht der Jugend wieder erschien? Er näherte sich ihr, nun folgte die Wiedererkennung, sie überließ sich der Gewalt der Freude und des Entzückens, und stürzte so zu den Füßen der Gräfin.

Das leise Geflüster der Rührung gieng durch den Kreis der Zuschauer, keiner wagte es seine Bewunderung über den kunstreichen Tanz des Mädchens auszudrücken, da Thränen in den Augen der unglücklichen Mutter glänzten. Lebhaft zu dem anmuthigen Geschöpf hingezogen, das ihr trauriges Schicksal in dem Zauber der Kunst ihr vor die Sinne gerückt hatte, rief sie ihr zu: O du sonderbares Wesen, warum willst [457] du mir mit Hoffnung schmeicheln? Nur zu gewiß hat der Tod, der Unbezwingliche, mir alles was ich liebe, geraubt. Laßt mich, Kinder, sagte sie sanft, laßt mich hin zu den heiligen Mauern, um in stillem Gebet meinen so gewaltig aufgeregten Schmerz zu besänftigen.

Mit langsamen wankenden Schritten gieng sie zur Kapelle, in ehrfurchtsvoller Entfernung folgten ihr ihre Getreuen. Aloisia hatte sich unter der Menge verloren.

Wie staunte die Gräfin beim Eintritt in die Kapelle! Wie gewöhnlich an diesem Tage schimmerten die festlichen Kerzen, aber statt der traurigen Cypressen-Gewinde um den Sarkophag, erblickte sie Rosenkränze. Die Schrift am Fußgestelle war mit einem Blumengeflechte verhüllt, in einem Rosenkranz stand mit weißer Schrift:


Such deinen Sohn im Schattenreiche nicht,
Er wandelt in des Lebens goldnem Licht.

Gott, was bedeutet das? rief sie mit bebender Stimme. Aber als sie neben den Kleidungsstücken [458] des beweinten Kindes, die an diesem Tage auf dem Sarkophag lagen, ihr eignes wohlbekanntes Bild fand, stürzte sie, das Bild in den Händen, mit flammenden Blicken, mit hochklopfendem Busen zur Kapelle hinaus. Wie kam das hieher? rief sie bebend. Kommt's von dir, rief sie, Aloisien heftig ergreifend, die ausserhalb der Kapelle stand.

Es ist das Pfand des Schicksals, welches ich dir versprach, sagte Aloisia.

O jetzt glaub' ich dir, du bist mein guter Engel, rief die Gräfin; es ist dasselbe Bild, das am Halse meines Rodrigo hieng, als ich ihn verlor. Es war sein liebstes Spielzeug. O, wo gaben dir die Fluthen dieses wieder, wo blieb er selbst?

Alles drang hinzu, das Wunder zu vernehmen. Die Gräfin riß Aloisien mit sich hinweg durch den Kreis der Zuschauer, und führte sie in eine einsame Myrthenlaube am Gemäuer des Schlosses.

Aloisia erzählte hier der Gräfin ihre eigene [459] Geschichte, ihr Zusammentreffen, ihr Zusammenleben mit Mario und Rodrigo. Zart drückte sie ihre Neigung für ihn aus. In dem reinen vollkommenen Bild seines Wesens, wie es in der Seele des Mädchens lag, erkannte das liebende Weib sogleich den Zauber der Leidenschaft. So vieles traf zusammen, um ihre Hoffnung zu erheben, aber dem lang gepreßten Herzen versagte die Kraft, das höchste Glück nach dem bittersten Schmerz zu umfassen. Schwankend, zwischen Furcht und Hoffnung, saß die Gräfin mit zurückgelehntem Haupte in der Myrthenlaube. Aloisia lag ihr zu Füßen, hielt ihre Hände, und suchte ihr einen Glauben zuzusprechen, der in ihrem eignen Busen beinah zu wanken begann. Daß Mario der Mann meiner ersten Jugendliebe ist, dem ich mein ganzes Wesen hingab, daran zweifle ich nicht, sagte die Gräfin; dafür spricht mein Bild. Ach, welcher Mann sollte es sonst mit Liebe so treu aufbewahren! Auch die ganze Beschreibung seiner Person ruft mir die heißgeliebten Züge zurück. Aber das beweist [460] noch nicht, daß auch mein Sohn gefunden ist. O all ihr hohen Mächte des Himmels, rief sie mit empor gerichtetem Blicke, o gebt mir ein gnädiges Zeichen, daß Rodrigo mein Sohn ist! Er ist's, rief eine Stimme dicht hinter ihr. Beide schauderten zusammen vor der geheimnißvollen Antwort, als Leona vor sie trat. Er ist's, sagte sie noch einmal, ich selbst raubte ihn dir, ich selbst will ihn dir wieder geben!

Schreckliches Wesen! rief die Gräfin, doch willst du mir ihn wieder geben, so sollst du mir gesegnet seyn.

Behaltet euren Segen, sagte die Alte, ihr möchtet dessen mehr bedürfen als ich. Ich selbst kann mit dem Schicksal schon fertig werden, denn ich mache sogar für euch das wieder gut, was ihr seine Tücke nennt, und was ihr billiger Weise nur eure Narrheit nennen solltet.

Kennst du mich nicht mehr, rief sie, indem sie der Gräfin starr ins Auge sah. Wohl, wohl kenne ich dich, erwiederte sie, und verbarg ihr weinendes Antlitz. Ist's nicht dieselbe Laube, [461] zu der du dich in finsterer Nacht stahlst, um die Briefchen des jungen Pietro Gentilesco von mir zu empfangen? Ist's nicht dieselbe, wo ich eure geheimen Zusammenkünfte bewachen mußte vor den Späheraugen deiner Familie? Ist's nicht hier, wo die Natur euch verband, wo Mond und Sterne die Zeugen waren, daß ihr heimlich vereint bleiben wolltet, bis sich der harte Sinn deines Vaters erweichen würde? Vergossest du nicht hier unzählige Thränen des Abschieds an seiner Brust, als er in's Feld mußte, und was fand er, als er zurückkam, mit unaussprechlicher Liebe und Sehnsucht dich zu umfangen eilte? – Die Mutter seines Kindes, als die Gattin eines andern!

O schweig, du herzzerfleischende Furie! rief die Gräfin. Bitter genug habe ich einen Moment der Schwachheit abgebüßt. Weißt du nicht, wie ich durch die falsche Nachricht seines Todes, durch einen tückischen Verwandten getäuscht wurde? Wie man mich mit einem lügenhaften Gewebe umstrickt hielt? Wie die Angst vor [462] Entehrung und Schande mich drängte? Wie der Geisteranblick einer langsam hinsterbenden Mutter, der die Entdeckung meiner Lage den Todesstoß gegeben hatte, mich ängstigte, mich endlich bewog, an der Wahrheit und Natur zu sündigen, mich mit einem andern Gatten zu verbinden, um meine Schande der Welt zu verbergen? Ich weiß alles, er wiederte die Alte, ich weiß, daß ihr Seele und Leben dem tyrannischen Schein opfert; das kann ich nicht achten, und euch nicht bedauern – aber wie ich ihn fand, an den Grenzen des Wahnsinns, dort im Thal, verborgen im dichten Gebüsch, als er dich mit dem stumpfsinnigen Gemahl vorüberfahren sah, als er alle Hoffnung des Lebens, alles Vertrauen auf Menschen von sich warf, und endlich nur seines eignen Daseyns los zu werden suchte – das zerschnitt mein Herz!

Ich rief ihn hinweg aus der Gegend, ohne Selbstbewußtseyn folgte er mir wie ein geduldiges Kind zu unsrer Haufen einem. Freudig wurde er aufgenommen. Ich will unter euch [463] leben, rief er nach wenigen Stunden, denn ihr scheint nicht besser, als ihr seyd! Nie sollen mich die Mauern einer Stadt mehr einschließen, fliehen will ich jene Kultur, die zum Verbrechen zwingt, die mir alles raubte! Sein Muth, seine Kenntniß der Länder machte ihn bald zum Führer des Haufens, ich folgte ihm. Sein Trübsinn verminderte sich nicht, die Wunde seines Herzens konnte nicht heilen.

Einst auf einem der entfernteren Güter deines Mannes sah er euch zusammen mit dem kleinen Knaben. Als einen Wahnsinnigen fand ich ihn wieder – Sein Weib, sein Kind in den Armen eines Andern zu sehen, der Anblick hatte ihn in den fürchterlichsten Zustand versetzt.

Deine Schwachheit ärgerte mich, ich sah eure erste Liebe als mein Werk an, das du zerstört hattest, und ich beschloß, dir das Kind zu entreißen, um dem armen Verlassenen nur wieder eine Lebensfreude zu verschaffen. Leicht führte ich das aus. Ich entfernte die Wärterin [464] des Kindes, indem ich ihr durch eine Alte unsrer Bande von ihrem Liebhaber vorschwatzen ließ, und ihr versprach, auf den Knaben Acht zu geben. So nahm ich das Kind mit fort, und warf seine Kleider in den Strom, daß man es für ertrunken ansehen sollte. Die Wärterin verfiel in Verzweiflung, als sie das Kind nicht fand; meine Alte nahm sie mit hinweg aus der Gegend, sie verbarg sich in einem Kloster, sie lebt noch, und wird euch die Wahrheit meiner Aussage bestätigen. Der Vater beruhigte sich an dem Kinde, und als ich ihn nach einiger Zeit wieder sah, mußte ich mich meines Entschlusses freuen. Um das Kind für immer an unsern Stand zu fesseln, und es von den Uebeln eurer feinen Welt zu befreien, mußte ich für seine Mutter gelten. Ich merkte bald, daß es dem Jungen dabei nicht wohl werden wollte; seine Neigungen paßten nicht unter uns, er dachte immer ans Geben, selten ans Nehmen, gleichwohl liebte ich ihn; mir giengs wie der Henne, die am Ufer steht, und geängstigt umher [465] läuft, wenn die jungen Entchen, die sie ausgebrütet, auf der klaren Fluth hinschwimmen. Jedes folgt am Ende doch nur dem angebornen Zug. Was soll aus ihm werden? sagte ich oft zu Mario, der sich selbst auf eine sonderbare Weise zu manchen Seiten unsrer Lebensart zwang. Seit Rodrigo das Mädchen da gesehen, war nun ganz und gar kein Auskommens mit dem Jungen mehr. Ich dachte im Stillen auf Mittel. Wer unter euch auftritt ohne wohlgespickten Beutel, der spielt eine armselige Rolle, das wußte ich wohl, darüber war auch dein Pietro zu Grund gegangen. Hier in der Nachbarschaft vernahm ich, daß dein alter reicher Gemahl gestorben, und dich zur Erbin erklärt. Nimm jetzt Mann und Sohn wieder an, und seyd glücklich nach eurer Art, für alles, was ihr gelitten.

O augenblicklich laßt uns zu ihnen eilen, rief die Gräfin! Sie warf ihre Trauerkleider ab, auch Aloisia mußte einen bräutlichen Schmuck anlegen. Beide verhüllten sich in Pilgergewande, [466] und Leona führte sie so durch einen steilen, selten betretenen nahen Pfad zu dem einsamen Platz, wo sich Mario, von nun an Pietro Gentilesko genannt, aufhielt. Er lag im Schatten dunkler Eichen an einer frischen Quelle. Alte sanfte Erinnerungen hatten ihn mit ihrer Zauberei hier in der Gegend umfangen, wo er einst glücklich war; die geöffnete Brieftache lag vor ihm. O das gibt mir Muth, sagte die bebende Gräfin, als sie ihn so durch das Dunkel des Gebüsches erblickte. Pietro! Pietro! rief sie, ich war dir nie ungetreu – Sein Herz, erweicht, gestärkt von den holden Tönen der Vergangenheit, erschloß sich aufs neu. Er faßte die geliebte Erscheinung, so dünkte sie ihm noch, an seinen Busen, und in ihren holden heißen Umarmungen fielen die ehrnen Bande des Hasses von seinem Herzen. Sie wurde getäuscht – rief ihm Leona zu, wir waren die Thoren, dem nicht zuvorzukommen! Aufgelöst in das Glück der Theuren, ihrem Rodrigo so nah verb unden, bebend in süßer Ahnung der eignen Seligkeit, [467] umfaßte Aloisia beide, und fragte zugleich mit der Gräfin, wo ist Rodrigo? wo ist mein Sohn? Ernst sahen sie ihn den Hügel herabziehen mit der Beute der Jagd, von welcher er heimkehrte. In welchen Entzücken, die die Fäden des Lebens beinah aufzulösen drohten, schwoll das Herz der Mutter, den Verlornen, Beweinten nun in der Götterkraft und Schönheit der ersten Jugendfülle zu erblicken!

Rodrigo trat durch das Dunkel der Gebüsche einher. Die heiligen letzten Strahlen der Abendsonne umleuchteten die Gestalten vor ihm, die beinah überirdisch glänzten, wie seine eignen.

O meine schöne glänzende Mutter! Bist du endlich da! rief er aus, und stürzte zu ihren Füßen. Und die Geliebte führte dich zu mir! rief er, als er sich den Armen der Mutter entwand, – und die Freude leuchtet aus dem ernsten Gesicht des Vaters!

Heilig und ohne Maß war ihr Entzücken; es über flog die Grenzen der irdischen Natur, [468] und erst als es sich zur heitern besonnenen Freude herabstimmte, fühlten sie den Nachklang des Göttlichen in ihrer Brust. Ein froher Tag sollte sie alle verbinden, und ihre selige Vereinigung mit allen Blüthen der Liebe schmücken.

Leona sollte alles mit empfinden, mit genießen, mit ihnen leben. Bleibt so klug als ihr glücklich seyd, sagte sie, ich will oft kommen und sehen, wie es um euch steht, und wenn mich das Alter irgendwo fesselt, so will ich bei euch bleiben.

Durch reiche Geschenke löste die Gräfin Pietros und Rodrigos Verbindlichkeiten bei der Bande. Alles freute sich. Viele wollten bei den Führern bleiben. Es wurden ihnen Wohnplätze angewiesen, die sie bald wieder verließen.

Das alte Fräulein konnte die Freude gar nicht fassen, ihre Nichte beglückt und begütert zu sehen, die sie als verloren beweinte.

Die Eltern ruhten nach den langen Stürmen ihres Lebens im Schooße der reinsten [469] Glückseligkeit. Die Erinnerung ihrer Leiden erfrischte sie zu immerwährendem Genuß.

Alle hohen Kräfte, alle edeln Anlagen fanden ihre Richtung und Bestimmung jetzt in Rodrigos schönem Leben neben Aloisien; glücklich und beglückend flossen ihre Tage dahin.

[470]

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TextGrid Repository (2012). Wolzogen, Caroline von. Erzählungen. Erzählungen. Zweiter Band. Die Zigeuner. Die Zigeuner. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AAD7-6