Andres Buch

Der Morgenröthe Blick, der Glanz von einzeln Sternen,
Erhellte dort die Luft, wie hier den Markt Laternen,
Zu dem die Schwärmer gehn, die Bier und Nacht betriegt.
Ein schwirrendes Geschrey, das von den Lippen fliegt,
Und von dem stolzen Bau der Häuser rückwerts prallet,
Macht, daß der weite Platz ertönend wiederschallet.
Des einen rasche Faust nimmt einen glatten Stein,
Und zielt mit diesem Fels nach einer Lampe Schein,
Die, wie ein Sirius, an Schubarths Hause 1 prahlte,
Und aller andern Glanz verdunkelnd überstralte.
Sein Riesenwurf durchfährt der Lampe gläsern Haus;
Er trifft das lichte Docht; es zittert und löscht aus.
Wie, wenn der große Stern Orions schnell verschwindet,
Ihn kein geschärfter Blick, kein Sehrohr wieder findet,
Den Ort, den er beglänzt, ein leeres Blau erfüllt,
Drauf sich der kleine Raum in dunkeln Schatten hüllt:
So sinkt der Luftkreis auch, den diese Lamp erhellet
Ins finstre Schattenreich, da sie ein Wurf zerschellet.
So gleich, da durch den Stein das kleine Haus zerspringt,
[13]
Singt man ein Siegeslied, das man in Jena singt. 2
Ein wildes Lustgeschrey läßt gleich den Sieger leben,
Und dem gewagten Wurf wird nichts als Lob gegeben.
Er, der es freudig hört, wird mehr dadurch entzückt,
Als sich ein Kämpfer freut, wenn ihn der Lorber schmückt.
Den Stein, den er gebraucht, sieht man zum Angedenken,
Mit frölichem Gesicht in seine Tasche senken.
Es hebt nicht weit hievon Schellhafers stolzes Dach 3
Sich prangend in die Höh, um das manch zärtlich Ach
Und mancher Seufzer fliegt, der, wenn sich Liebe härmet,
Hier in der Irre bleibt, und um die Ziegel schwärmet.
Dieß decket einen Saal, den längsten in der Stadt,
An dessen Mauren Fuß man Leipzigs Graben hat,
Wo, wenn der freye Blick die Linden übersteiget,
Sich Bosens Garten Pracht in seiner Anmuth zeiget.
Sein kluger Bauherr hat ihn seit geraumer Zeit
Zur allgemeinen Lust, zum Ball und Schmaus geweiht.
Hilf, Göttinn, daß mein Lied ihn so erhöht besinge,
Daß, wenn er einst zerfällt, sein Ruhm den Staub durchdringe.
Der Fenster lange Reih giebt ihm ein heitres Licht,
Das in verschiedner Form durch reines Glas sich bricht.
Man sieht fast keine Wand; und wo man sie erblicket,
Ist sie durch Kunst und Pracht mit Säulen ausgeschmücket,
Mit Säulen, die zwar erst Corinthens Witz erdacht,
Doch die des Deutschen Hand beglückter nachgemacht,
Da sie nach Marmor Art den groben Stein bezogen,

Und angenehm den Blick, der es erforscht, betrogen. 4 Ein Chor, fast wie der Mond, wenn er zur Hälfte steigt,

An dem manch Schnitzwerk sich mit Liebesgöttern zeigt,
Hängt an der Seitenwand: ihm gegen über lieget
Ein Ofen und Camin, der Kält und Frost besieget.
Auf jenem hört man oft den kriegerischen Klang,
[14]
Der Pauken hohlen Schall, und oft den süßen Zwang,
Der uns gefesselt hält, wenn die gespannten Saiten,
Den Wohlklang zu erhöhn, in tausend Tönen streiten.
Die Neugier sieht bestürzt oft aller Tanzkunst Pracht,
Auf diesem weiten Saal, in einen Ball gebracht;
Der Tänze Vaterland ist er mit Recht zu nennen,
Und manches Ehpaar wird ihn noch im Alter kennen.
Auch itzt war hier ein Ball den Schönen angestellt,
Die man in Leipzig ehrt und für die Schönsten hält.
Trompet und Paukenschall eröffnen Tanz und Reihen,
Und wer die Töne hört, kömmt, sieht und muß sich freuen.
Der leichtgehobne Fuß, durch strengen Takt geführt,
Bewegt sich, daß er kaum den schwanken Boden rührt;
Sein Sprung zertheilt die Luft, und mitten im Erheben
Scheint er, wie Dädals 5 Fuß, in freyer Luft zu schweben.
Selbst die Galanterie, die Göttinn, deren Macht
Der größten Städte Flor durch sich empor gebracht,
Besuchte diesen Ball, und kam von Glanz und Schimmer
Unsichtbar überdeckt in dieß erfüllte Zimmer.
Zum flüchtigen Gewand dient ihr ein Silberstück.
Der blauen Augen Glanz, der buhlerische Blick,
Ihr lockigt weißes Haar, das ihre Stirn umgiebet,
Macht, daß sie jeder kennt, und wer sie sieht, auch liebet.
Sie führt als Königinn zum Zepter einen Stab,
Zu dem ein Elephant die größten Zähne gab.
Er scheint aus einem Stück, und ist doch oft gespalten;
Zween starke Stäbe sinds, die zwanzig schwächre halten.
Die faßt ein güldner Stift; und zierlich eingekerbt
Sind sie halb glänzend weiß, halb blau mit Gold gefärbt.
Bald breiten sie sich aus gleich einem Pfauenschweife;
Bald ziehn sie sich in eins und bilden eine Streife,
Die unten schmäler ist und oben breiter läuft.
Wenn eine Sterbliche solch einen Stab ergreift,
Wird ihm der Menschen Mund den Namen Fächer geben:
[15]
Doch bey der Göttinn ists ein Stab zum Tod und Leben.
Es thut dieß Elfenbein, schweigt gleich ihr schöner Mund,
Des Herzens innern Trieb durch holde Zeichen kund.
Ein Wink, ein sanfter Stoß, ein leichter Schlag erkläret,
Was der zu hoffen hat, der ihr sein Herz gewähret.
Sie zaubert stets damit, wenn sie es flatternd führt;
Facht sie, so wird um sie ein holder West verspührt,
Der die erhitzte Brust, und ihr Gesichte kühlet,
Und säuselnd um ihr Haar und ihre Locken spielet.
Bey dieser Oeffnung rührt den Blick ein künstlich Bild;
Und dieß beschämet selbst Achills berufnen Schild,
In den der schwarze Gott Vulcan weit mehr geetzet,
Was das Gemüth erschreckt, als was den Blick ergetzet.
Hier aber hat die Kunst des Malers angebracht,
Was alle Welt entzückt, was alle dienstbar macht,
Den kleinen Liebesgott mit schalkheitsvollen Blicken,
Den Bogen in der Hand, den Köcher auf dem Rücken,
Wie er mit starkem Arm nach einem Schäfer zielt,
Der, da sein Pfeil ihn trifft, die zärtsten Flammen fühlt.
Die Schöne, die er wünscht, sitzt unter einer Linde,
Im Schatten, der sie deckt; der Hauch vom Westenwinde 6,
Der durch den kleinen Mund aus vollen Backen dringt,
Weht ihr die Seufzer zu, die ihm der Schäfer bringt.
Vor jugendlicher Schaam geht ihr auf jungen Wangen
Das innre Feuer auf; mit Sehnsucht und Verlangen
Wirft sie auf sein Gesicht den ihr getreuen Blick,
Doch da er ihn erreicht, flieht er beschämt zurück.
So kam die Göttinn an, und des Gefolges Menge,
Das sie gehäuft umringt, macht fast den Saal zu enge.
Ihr Liebling ist der Putz, sein silbernes Gewand
Ist reich mit Gold gestickt; sein Haar ist farbigt Band.
Wie um Medusens Haupt gekrümmte dürre Schlangen,
Mit scheußlichem Gezisch, statt krauser Haare, hangen: 7
So sieht man um sein Haupt, durch sanfter Winde Wehn,
[16]
Mit flatterndem Geräusch gefärbtes Band sich drehn.
Die Göttinn kann ihn nur von Männern sehn und leiden;
Denn niemand weis so schön, als er, sie anzukleiden.
Ihm weihn, als einem Gott, die Schönen unsrer Stadt
Den Nachttisch zum Altar, der sie gefesselt hat.
Der Morgen ist bestimmt, ihm Stundenlang zu fröhnen,
Und was der Putz befiehlt, das wollen auch die Schönen,
Und dafür ziert er sie; oft schießt er durch die Luft,
Verwandelt seine Form in einen weißen Duft,
Und senkt sich ihnen dann, in einem zarten Staube,
Indem er sie bereift, auf Locken, Stirn und Haube.
Des Nachts flieht er davon; drum sind zur Morgenzeit
Der Schönen Locken weiß, des Abends nie bestreut.
Nebst diesem zogen auch das Lachen und Vergnügen,
Zween Geister, welche stets mit freyen Schwingen fliegen;
Ein grad- und schlanker Geist, der Tanz, an Füßen leicht,
Der stets im Tacte geht, und Capriolen streicht;
Noch andre traten hier auf den bestäubten Boden,
Mit Schuhen von Brocat; sie heißen neue Moden!
Ein schön gekleidet Heer, doch stets veränderlich,
An welchem die Gestalt bey jedem Anblick wich.
Wie Londens Kleiderpracht sich von Paris geschieden,
Was Leipzigs Zärtlichkeit in beyder Tracht vermieden,
Stellt ihre Kleidung vor, die wie ein Mägdchen ist,
Das jeder eifrig wünscht und wenn ers hat, vergißt.
Die aufgeschmückte Reih der Moden deutscher Lande,
Zog sich vor andern hier in reizendem Gewande,
Mit lächelndem Gesicht um die Galanterie,
Doch in verschiedner Tracht. Die Göttinn liebet sie.
Doch wenn im Kleiderschmuck ihr Wahl und Urtheil fehlet,
Ist Leipzigs Mode die, die sie zur Räthinn wählet.
In Deutschland ist sie fremd; sie stammt von Frankreich ab,
Wo ihr ihr erstes Seyn des Schneiders Werkstatt gab.
Sie hat der Deutschen Art, doch auch der Franzen Sitten;
Drum ist sie beyden werth, bey beyden wohl gelitten.
Komm, Ewigkeit, und sieh, verewge diese Tracht,
[17]
Die diese Mode trägt, die auch ihr Witz erdacht!
Laß ihr gelocktes Haar bey später Nachwelt bleiben,
Laß es der blauen Luft der Sternen einverleiben,
Wo Berenicens Haar in lichtem Schimmer steht, 8
Und wo die Locke glänzt, die Popens Lied 9 erhöht.
Laß die Verwesung nicht in ihren Reifrock dringen;
Du aber, Muse, komm und hilf mir sie besingen!
Ein glänzend schwarzes Haar mit Puder vorn bestäubt,
Das ein erhitzter Stahl in runde Locken treibt,
Macht ihren Nacken voll; die Scheitel bis zur Stirne
Bedeckt ein weißer Schmuck von zart gewebtem Zwirne,
Der vorne sich erhöht in eine Tutel 10 schlägt,
Zur Linken einen Strauß von Federblumen trägt,
Die einzeln und zerstreut rund um das Haupt sich winden,
Und hinten güldnes Band in einer Schleife finden.
Vorn schließt der Schmuck nicht an, steht frey aus dem Gesicht:
So wie ein Stralenschein ein heilig Haupt umflicht.
Um ihre Schultern liegt dicht auf dem stoffnen Kleide,
Die schmale Palatin 11, aus Nesselgarn und Seide,
Auf der so, wie im Lenz, die Gartenbeete blühn,
In buntgefärbter Pracht sich die Galanten ziehn.
Ein seidner Blumenbusch von ungewohnter Größe
Beschattet vor der Brust des halben Busens Blöße;
Und von dem freyen Hals hängt bis zu dessen Flur
Von Perlen größter Art die umgeschlunge Schnur.
Sie trägt den weißen Arm in noch viel weißern Häuten;
Wo doppelt Spitzen sich am Ellenbogen breiten,
Die ihn stets mehr und mehr bey längerm Abstand fliehn,
Sich spitzig tief hinab in vielen Kräuseln ziehn.
So wie ein Perser sich in langen Ermeln zeiget,
[18]
Wenn er im Trauerspiel auf unsre Bühne steiget:
So hängt um ihren Arm, an einem zarten Flor,
Ein zärteres Geweb aus ihrem Kleid hervor.
Ihr Schuh ist niedrig, stumpf, mit aufgesteifter Lasche,
Und eine Schnalle deckt ihn statt des Bandes Masche.
So sieht ihr Bildniß aus; die Leipzger lieben sie,
Und jeder trägt ihr Bild; selbst die Galanterie
Bemüht sich, dieser Tracht in allem nachzuahmen;
Wie diese Mode geht, geht sie und ihre Damen.
Der Pauken letzter Schall verkündigte den Schluß
Des angestellten Balls; der Tänzer müder Fuß
Entzog sich, weil bereits der graue Himmel tagte;
Als die Galanterie dieß zu der Mode sagte:
»Wie glücklich, Freundinn, wächst doch unser beyder Reich!
War Leipzigs Kleiderputz nicht unsern Kleidern gleich?
Mein Ansehn hat den Trutz der Barbarey vertrieben,
Auch schon der Mittelstand fängt an, mich hier zu lieben.
Besieh die ganze Stadt, die meine Macht erhält,
Dieß thut uns jeder nach, was mir und dir gefällt.
Ich und du, Mode, wir, wir sind in größtem Werthe,
Warum? weil ich zuerst, drauf du, zu leben lehrte.
Die Schönen folgen mir; die Stutzer ehren mich;
Und da mein Ansehn wächst, so sieht man auch auf dich.«
Die Mode sprach bereits, nach einem tiefen Neigen:
Doch ein entstandner Lerm zwingt sie bestürzt zu schweigen.
Ein plötzliches Geschrey von Raufbolds voller Schaar
Schlägt schwirrend an ihr Ohr, da sie im Reden war.
Wie, wenn in obrer Luft die letzten Himmelssphären
Ein schnelles Licht bestralt, die Welten zu verklären,
Die lichten Kügelchen im Augenblick sich drehn,
Und auch im Augenblick die fernsten Welten sehn:
So drang dieß Lustgeschrey von Raufbolds vollen Brüdern
Zu der Galanterie auf eines Nords 12 Gefiedern.
Der blanke Degen klirrt; das Pflaster speyet Gluth,
[19]
Und von der Wächter Schaar entflieht sogleich der Muth.
Dreymal bellt ihr Petit 13, der auf dem Schooße zittert,
Dreymal erbebt der Saal, dreymal wird sie erschüttert.
»Geliebte, hört dieß Schreyn, rief sie, von Furcht verstört,
Ist wohl in Leipzig je ein solcher Lerm gehört?
Betäubt auch ein Barbar so sehr die zarten Ohren?
Hat Leipzig auf einmal die Artigkeit verlohren?
Hört auch mein Ohr gewiß? o welch ein wild Geschrey!
Wie, Leipzig, wirst du mir auf einmal ungetreu?
Will der bebänderte nie bloß gesehne Degen,
Ihr Bursche, nun auf mich den Zorn zu Tage legen?«
Die Mode sieht indeß mit aufgebrachtem Sinn,
Voll Unmuth, Furcht und Angst starr auf den Boden hin,
Sie weis nicht, was sie soll zu diesem Lermen sagen,
Jetzt schweigt sie, jetzt will sie beherzt zu reden wagen.
Doch endlich hebt sie an: »o Göttinn, zürne nicht!
Ich weis nicht, was mein Mund zu diesem Rufen spricht.
Mein Herz – – Jedoch die Furcht verbietet ihr zu sprechen,«
Ihr Angesicht erblaßt, die schwarzen Augen brechen.
Ihr Stürmer, haltet ein, sonst ists um euch gethan;
Schon kömmt mit schnellem Flug der Schutzgott Leipzigs an.
Die Stirne zeigt bereits, was er von euch erfahren,
Die Moden machen Platz; er drängt sich durch die Schaaren,
Und schießt, als wie ein Pfeil, auf die Galanterie;
Sein Purpurfittig rauscht; er regt das schnelle Knie,
Als seine flatternden zuschnell bewegten Schwingen,
Durch den geschwinden Schuß, vereint die Luft durchdringen,
Und machen, da ihr Hauch in sein Gefieder bläst,
Daß er am Budelkopf 14 der holden Göttinn stößt.
Wie wenn ein Reuterschwarm durch streitbar muthge Pferde,
Die alle stampfend gehn, den Staub der dürren Erde,
[20]
Gleich einer Wolke, hebt, und in die Lüfte treibt,
Daß der erregte Staub das nahe Feld bestäubt:
So sahn die Moden hier, in runden zarten Theilen,
Den Puder aus dem Haar der Göttinn flüchtig eilen.
Der Locken Wunderbau, das rund gekrümmte Haar,
An dem ein halber Tag mit Müh verschwendet war,
Dieß alles war dahin, und bloß durch sein Versehen.
So gleich hört er betrübt die Göttinn zornig schmähen.
Und da sie auf ihn zürnt, fleht er sie kniend an,
Den Schaden zu verzeihn, den ihr sein Schwung gethan.
»Dein Leipzig, rief er aus, wird sich zum Unglück neigen;
Vier Stürmer sind schon da, die Furcht und Schrecken zeigen.
Ein wüster Renommist, den Jena fortgejagt,
Hat sich durch mein Versehn in unsre Stadt gewagt;
Drey Brüder, die wie er, und er, wie sie, beschaffen,
Die greifen voller Wuth nach ihren wilden Waffen.
Mein Herz erzittert noch; jetzt hört ich ihr Geschrey,
Und wahrlich wir vergehn, steht mir dein Reich nicht bey.
Vor ihnen bebt der Markt, sie schreyen, wie Barbaren,
Als scheuten sie sich nicht vor meinen Wächterschaaren.
Schon Jahre sind sie hier; allein der Schwarm verlacht,
Mit spöttischem Gesicht, noch meiner Kinder Tracht.
Dieß ist der größte Schimpf, den sie auf Leipzig bringen;
Doch, Göttinn, hilf mir nur den Renommisten zwingen.«
Er schwieg; die Göttinn winkt, damit sie niemand stört;
Die Stille schließt den Mund, ein jeder schweigt und hört.
»Es ist schon, war ihr Wort, zu meinem Ohr gedrungen,
Wie frech vorhin der Mund der Rasenden gesungen.
Ich zürne fast auf mich, daß dieser Renommist
Nach Leipzig sich gewagt, und mir zuwider ist.
Jedoch er soll sich noch zu unserm Dienst bekehren,
Die Mode mag ihn gleich der Sitten Ändrung lehren.
So sprach sie, und sie rief der nahen Mode zu:«
»Geh, werthe Freundinn, geh, und störe Raufbolds Ruh!
Erschein ihm, red ihm zu, sein Jena zu verschwören,
[21]
Uns als ein Leipziger vernünftig zu verehren.«
Die Mode sprach darauf: »sogleich soll es geschehn,
Sogleich soll Raufbold sich von mir verändert sehn.«
Sie sagts, und setzet sich auf ihren güldnen Wagen,
Und läßt sich durch die Luft nach seinem Zimmer tragen.
Ein großer Geisterschwarm, ein Complimentenheer,
Setzt sich um sie herum, und macht den Wagen schwer.
Sie werden, wenn der Mund der Menschen sie verhandelt,
Zuerst in obrer Luft in Geisterchen verwandelt.
Sie sind verschiedner Art, die meisten trauren nie,
Sind stets voll Höflichkeit, und beugen Leib und Knie;
Und nießt die Mode nur, so wünscht ihr krummer Rücken,
Das Schicksal wolle sie mit stetem Wohl beglücken.
Beynahe sehen sie wie Liebesgötter aus;
An ihren Häuptern steckt ein ewig grüner Strauß.
Ihr wolligt krauses Haar rollt auf die Schultern nieder,
Und ihren Rücken deckt ein Himmelblau Gefieder.
Verschiedner Herz ist treu; man darf noch ihnen traun;
Die Höflichkeit half sie mit zarter Hand erbaun;
Vom Umgang lernten sie sich zu den Städten wenden,
Und da ihr Wortgepräng geschicklich zu verschwenden.
Die andern, sieht man sie mit scharfen Blicken an,
Entdeckt man halb erstaunt zweyköpficht wie den Jan 15:
Die vordre Stirn beherrscht die Schmeicheley im Glücke,
Und auf der andern wohnt die Falschheit und die Tücke.
Ihr vordres Antlitz weint, wenn oft das hintre lacht,
Mit diesem loben sie, mit jenem wird veracht.
Die erstern siehet man zu ihrer Rechten sinken;
Die letztern setzen sich der Mode zu der Linken.
Der Wagen kam nunmehr vor Raufbolds Zimmer an,
Den itzt der süße Schlaf, der Träume leichter Wahn,
Und auch der Schläger Geist auf seiner Streu bewachte,
Wo jeder ihm die Ruh mehr zu versüßen dachte.
Die Mode stieg herab, die Geister warten hier;
[22]
Ihr luftger Körper gieng durch die verschlossne Thür.
Doch wie erstaunte sie; ein Schwindel kam ihr nahe,
Als sie in Asch und Staub sich und das Zimmer sahe.
Auf dem versenkten Tisch lag das verglimmte Kraut,
Das in Virginien der nackte Mohr erbaut.
Zerbrochner weißer Ton in länglichten Cylindern,
Und Bier und Asche sucht der Göttinn Fuß zu hindern.
Der Taback dampfte noch. Wie, wenn der Teukrer 16 Pracht
In heißen Schutt zerfällt, der rothen Flammen Macht
Mit loderndem Geräusch die laue Luft zertheilet,
Drauf noch ein schwacher Dampf aus den Ruinen eilet:
So dampfte der Taback, den das geschwärzte Rohr
Durchglimmt zurücke ließ, aus seinem Schutt hervor.
Sie floh vom Dampf erblaßt, der ihr Gewand befleckte,
Zu der verwirrten Streu, auf der sich Raufbold streckte.
Sie schüttelte den Kopf vor allem Ungemach,
Und trat noch ganz verwirrt, in jenes Schlafgemach.
Es war zur Morgenzeit; des Mondens falber Schimmer
Schien, als wär er erblaßt, mit Trauren in das Zimmer.
Drauf sprach sie: »der du hier in süßem Schlummer liegst,
Und da kein Gram dich drückt, dich selbsten ruhig wiegst,
Die stille Nacht sagt dir, was dir der Tag verhehlet,
Und Träume melden dir, was deinem Glücke fehlet.
Das Schreyen deiner Schaar hat unsre Lust gestört;
Selbst die Galanterie hat es erstaunt gehört.
Der Schutzgeist Leipzigs kam und hat mit vielen Klagen
Dein allzujenisch Thun der Göttinn vorgetragen.
Sie hört es, und ihr Zorn fiel alsobald auf dich;
Verlangst du sie versöhnt, wohlan so liebe mich.
Ich kann allein ihr Herz, wenn du es willst, versöhnen;
Ich wills, wenn du versprichst, mich nicht mehr zu verhönen.
Sey nur ein Leipziger, verwirf die schlechte Tracht,
Die dich mir fürchterlich, den Stutzern schrecklich macht.
[23]
Dein Zopf verwandle sich in einen schwarzen Beutel;
Dein Huth bedecke nie die aufgeputzte Scheitel.
In Jena ließ dir nur ein kurzer Ermel schön; 17
Weit besser wird dir hier ein langer Aufschlag stehn.
Dich darf kein Oberrock vor Sturm und Wind bewahren;
Auch wenn es regnet, geh mit aufgeschmückten Haaren.
Die Weste, die jetzt kurz um deine Hüften schlägt,
Bau länger, aus Crisett 18 und stark mit Gold belegt.
Beym Reiten laß allein den Fuß die Stiefeln drücken;
Solch eine wilde Tracht muß nur die Krieger schmücken.
Verändre deinen Stal und knüpf um ihn ein Band,
Zum Zeichen, daß du dich zu meinem Reich bekannt.
Für Pfeifen wirst du dir Pomad und Puder handeln;
Dein Paßglas müsse sich in Spiegelglas verwandeln.
Statt gelben Rauchtabacks, der hier noch schmauchend glimmt,
Sey dir der braune Staub von dem Rappe 19 bestimmt.
Dann kannst du dich beliebt zu jungen Stutzern schlagen;
Dann kannst du dich vergnügt vor Leipzigs Schönen wagen.
Eh dieser Tag noch flieht, schick ich dir den Sylvan,
An diesem merke dir, was meine Macht gethan.«
So sprach sie, und entfloh. Er wirft mit trägem Wenden
Sich dreymal grimmig um, greift mit den schweren Händen
Nach dem getreuen Stal, der zu dem Haupte lag,
Und springt halb düstern auf, durch einen Fechterschlag
Ihr, die sich unterstund, die jensche Tracht zu schelten,
Mit Hieben, wie er sprach, die Mühe zu vergelten.
Doch, da er nichts verspührt, so sinkt er träg und matt
Von neuem in die Ruh auf seine Lagerstatt.
Der Renommistengeist hört, doch mit innerm Grimme,
Der Mode lockend Wort, und die Sirenenstimme.
Er lehnet halb bestürzt sich auf ein Fidibus,
[24]
Und stampft dreymal erzürnt mit seinem Fechterfuß.
»Nein, rief er trotzig aus: dich laß ich nicht verführen;
Mod und Galanterie soll meine Stärke spüren.«
Er flüstert ihm ins Ohr: »O Raufbold! alle die,
Die dich zu stürzen drohn, Mod und Galanterie,
Die alle sind zu schwach; so lang ich um dich schweben,
Und dich beschützen kann, muß alles vor dir beben.
Ich bin der Heldengeist, durch den ein Renommist
Stets Lust zum Fechten hat, und nie erschrocken ist.
Ich bin noch jetzt der Geist, ich wars, der dich entrisse,
Da ein behakter Stock dich fast zu Boden schmisse.
Ich bin dir nachgefolgt, ich bins, der vor der Stadt
Dem dir getreuen Roß den Fuß gelähmet hat.
Ich dachte, dich dadurch von Leipzig abzuhalten;
Nun bist du dennoch da, drum laß mich weiter walten.
Nimm nicht die Moden an, die hier im Ansehn sind.
So bald der Morgen graut, so setze dich geschwind
Auf dein geübtes Roß; ich will es wieder heilen,
Es soll von dieser Stadt mit schnellen Schritten eilen.
Wie weit ists, daß von hier das schöne Halle liegt,
Wo noch die Freyheit herscht, wo noch der Pursche siegt.
Da wirst du wieder Ruh und Ruhm und Ehre finden,
Da wird kein Zwang dich mehr als Renommisten binden,
O eile ja geschwind! ein Unglück droht dir hier,
Den Ausgang weis ich nicht, jedoch es ahndet mir.
Es sey groß oder klein, vermeid es, geh auf Halle!
Bleibst du zwey Tage hier, so seh ich dich im Falle.
Indessen ruhe wohl, schlaf süß und sorgenfrey,
Damit dein künftger Weg um desto schneller sey.
Schlaf ruhig, ich will selbst vor deinem Lager wachen.
Wer dich verstören wird, der soll mich zornig machen.«
Er sagts, und Raufbold wird verwegen, wieder froh,
Und schläft von Träumen voll auf dem gestreuten Stroh.

Fußnoten

1 R. A. Schubarth, wohnhaft im Barfüßergäßchen, war Ratsherr.

2 betrifft die rüden Jenaer Studentenlieder.

3 Weinhändler in der Klostergasse.

4 Korinthische Stuckmarmorsäulen sind gemeint.

5 Anspielung auf Dädalus als Erfinder der Flugkunst.

6 hier personifiziert gebraucht, wie ›Zephyr‹ in der Schäferdichtung.

7 wiederum Anspielung auf die Perseus-Sage, vgl. S. 8, Anm. 7.

8 nach dem Gedicht des Kallimachos, das Catull übersetzte (vgl. Nachwort).

9 Der Lockenraub von Alexander Pope.

10 Schneckenrolle.

11 Palatine: Spitzenhalstuch.

12 Nordwind.

13 Name des Schoßhündchens.

14 Für: Pudelkopf. Vgl. S. 12, Anm. 14.

15 Für: Janus.

16 Trojaner.

17 schön lassen: gut stehen.

18 Chrysette: Seidenbrokat.

19 Râpé: Schnupftabak.

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TextGrid Repository (2012). Zachariä, Justus Friedrich Wilhelm. Gedichte. Der Renommiste. Andres Buch. Andres Buch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AB43-4