Heinrich Zschokke
Abellino
Schauspiel in 5 Aufzügen

[Vorwort]

[39] In einem Kreise junger Freunde, die sich auf der ehemaligen Hochschule zu Frankfurt an der Oder den Wissenschaften widmeten, gehörte zu den geselligen Ergötzlichkeiten, daß jeder aus dem Stegreif eine Geschichte erzählen mußte, deren Ende und Ausgang Keiner von den Zuhörern errathen konnte. Einem dieser Erzähler, als ihn die Reihe traf, kam zufällig eine Anekdote zu Hülfe, die er in einem alten deutschen Büchlein, schon im Anfang des siebenzehnten Jahrhunderts gedruckt, gelesen hatte, und zwar von einem klugen venedischen Edelmann, der, um eine Verschwörung gegen den Staat zu entdecken, sich mit großer Kunst verstellt, unter die Banditen begeben und mit ihnen gemeine Sache gemacht habe. Der junge Erzähler benutzte diesen Stoff so gut, daß die übrigen Nebenbuhler reichlichen Beifall zollten, ihn mahnten, das Geschichtchen schriftlich aufzusetzen, und als dies geschehen war, sogar ein Theaterstück daraus zu versuchen.

So entstand das Schauspiel Abellino, dessen Verfasser sich damals schwerlich träumen ließ, daß das flüchtige Werk eines geselligen Muthwillens bald auf allen deutschen Bühnen lärmen, und sogar zu Engländern, Franzosen und Spaniern übergehen würde. Er selbst sah das Stück in seinem Leben nur dreimal aufführen. Späterhin, da das zusammenhangslose, grobgeschnitzte Marionettenbild auch nach zehn und zwanzig Jahren sich noch auf Thaliens Bretterwelt behauptete, ging er, mit einer Art schamhaften Verdrusses, an neue Bearbeitung desselben, um, wo möglich, das alte Unwerk zu verdrängen, dessen beharrliches Leben weder ihm, noch dem guten Geschmack der deutschen Bühnenvorsteher schmeichelhaft [39] sein konnte. – Er warf jedoch verdrossen auch die spätere Bearbeitung wieder zurück, in der Hoffnung, daß endlich das Vergessenswerthe nothwendig vergessen werden würde. Er irrte sich. Der Bandit trat auch nach dreißig Jahren, selbst auf einigen größern Bühnen, frischerdings hervor. Dies bewog den Verfasser, die spätere Bearbeitung erscheinen zu lassen, um wenigstens seinerseits zu beweisen, daß er dem guten Geschmack eine Sünde abzubitten, mit voller Reue geneigt sei.

Ob die Abbitte keine neue Sünde sei, mögen Andere entscheiden. Er glaubte zum mindesten den alten, verzeichneten Holzschnittfiguren menschlichere Gestaltung und reinere Haltung gegeben zu haben. Das Beste zur Sache würden, hoffte er, die Künstler auf der Bühne hinzufügen müssen.

Nebenbei aber wäre zu wünschen, daß dann diese auch nicht den venedischen Adel in altdeutschen Hüten, spanischen Wämsern und ungarischen Hosen zur Schau bringen möchten; zumal die gesetzliche Tracht der Nobili von Venedig, so lange die Republik bestand, allerdings etwas Würdereiches, wenn auch Einförmiges, hatte. Die in Aristokratien heimische Eifersucht, welche Alles leichter, als Auszeichnung eines ihrer Glieder erträgt, verbot den Edeln der Lagunenstadt, anders, als im langen, schwarzen, talarartigen Rock, der bis auf die Füße niederfiel, vorn herab mit Pelzwerk verbrämt, um den Leib einen breiten, mit silbernen Schildchen verzierten, Gürtel, und die lange venetianische Mütze unterm Arm, zu erscheinen. Nur die Rathsglieder höhern Ranges, wie auch die Prokuratoren von St. Marco, mußten, als Zeichen ihrer Staatswürde, die langen Röcke von karmesin-oder purpurfarbenem Sammt oder anderm Stoff tragen. Selbst der Doge entfernte sich nicht vom üblichen Schnitt der Adelstracht, obwohl sein Talar von königlicher Pracht war, besonders wenn der Fürst im vollen Glanz seiner Würde erschien, das Haupt mit dem herzoglichen [40] Baret oder Corno bedeckt, den vorn ein Rubin, ringsum ein Gewinde von großen, orientalischen Perlen schmückte.

Den zum jungen Abbate degradirten Kardinal des alten Stücks kann man sogar, wenn es sein muß, mit leichter Mühe in einen weltlichen Rock kleiden. Er wird nichts dagegen einwenden. Wenn die lastervollsten Fürsten, wenn die grausamsten Kriegshelden, wenn Neronen und Alba's auf die Bühne gebracht werden, fällt gewiß Keinem ein, daß damit die Ehrfurcht gegen den erhabenen Stand der Fürsten und Feldherren verletzt sei. Aber es läßt sich nachkommenden Geschlechtern erzählen, daß in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts hin und wieder für den Klerus höhere Ansprüche, als für den Rang der Könige, Helden und Staatsmänner gemacht worden sind; und daß es Verachtung der Religion, Entweihung des an sich ehrwürdigen Standes der Geistlichkeit geheißen worden ist, wenn etwa ein entartetes Mitglied desselben vom Dichter oder Schauspieler dargestellt wurde, und das in einer Zeit, wo das apostolische Spanien die Urbilder solcher Abbaten zahllos in schauerlicher Wirklichkeit aufwies.

Die Vorrede ist für das nachfolgende Spiel fast zu ernst und zu lang geworden; möchte sie, bei Andern, doch keine Nachrede veranlassen.

[41]

Personen

Personen.

    • Andreas Gritti, Doge zu Venedig.

    • Rosamunde, dessen Nichte.

    • Iduella, ihre Erzieherin.

    • Dandolo, einer der Prokuratoren von St. Marco.

    • Canari, einer der Groß-Staatsinquisitoren.

    • Flodoardo, ein venedischer Edler.

    • Abbate Tolomeo.

    • Parozzi,
    • Falieri,
    • Contarino,
    • Memmo, , venedische Edle und Verschworne.

    • Matteo,
    • Abellino, , Banditen.

    • Ein Senator.

    • Ein Diener.

    • Mehrere Banditen, Senatoren, venedische Edelfrauen, dalmatisches Kriegsvolk.

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Ein halbdunkles, enges und ärmliches Gemach.

ABELLINO
im finstern Nachsinnen an einem Tischlein.
Nach einer Weile sich ermannend, springt er auf.
Wer den Himmel will erobern,
Darf die Höllenfahrt nicht scheu'n. –
Fort, die Grillenfängerei'n!
Will, nach sechs und sieben Tagen,
Schon die Ungeduld dich plagen,
Und das Heldenwerk gereu'n?
Heldenwerk? – Verdammter Spott!
Lieber Landsknecht in der Feldschlacht;
Da blitzt Degen gegen Degen,
Und die Spieler steh'n sich gleich.
Aber hier, in blut'ger Kneipe,
Mordknecht eines Mördermeisters; –
Meuchlings um ein paar Zechinen,
Einem Wicht das Leben stehlen; –
Wie die feige Tigerkatze,
Mit den gierig schlauen Augen,
[43] Hinter Büschen, hinter Mauern
Auf das sichre Opfer lauern: –
Schlechter bleibt's, als Henkerswerk.
Heiligt je ein Zweck das Mittel?
Ist die Ehre feil um Schmach? ...

Neues Nachsinnen.

Was denn, Bursch? Wo will's hinaus?
Sprangst du denn nur für den Goldschaum
Eiteln Ruhms ins Abenteuer? –
Vorwärts, vorwärts, Abellino,
Blick' aufs Ziel und auf den Preis!
Deine Würfel sind geworfen! –
Sind geworfen! ... nun so sei's!

Er setzt sich.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Matteo und einige andere Banditen treten hinein.

ABELLINO
für sich hinsprechend.
Und zuletzt, was liegt am Leben,
Wenn's der Geist nicht adeln kann?
Nimmer wird ein rechter Mann
Seinen Pfifferling drum geben,
Bleibt's, vom Anfang bis zum Ende,
Nur ein kahler Bettlertraum.
MATTEO
leise zu den Andern.
Still da! unser Sadrach-Medech,
Glaub' ich, treibt Philosophie.
ABELLINO
der sie seitwärts bemerkt, ohne es wahrnehmen zu lassen.
Länger mag ich's nicht erleiden,
[44] Hier auf fauler Bärenhaut.
Der Matteo ist ein Gimpel,
Daß er meiner Faust nicht traut.
Freitag ... Montag ... alle Teufel!
Eine lange Woche schon
Schleppt der Schurke mich voll Argwohn!
Mit sich um am Narrenseil.
Eine Woche – unerhört! –
Sah ich am Stilet kein Tröpfchen
Rothen, warmen Menschenblutes.
Bei St. Paul und bei St. Peter,
Ich muß wieder Farbe schauen!
Will der Mucker mir nicht trauen,
Flieg' ich selber aus auf Fang.
MATTEO
zu Abellino.
Hab' es dir der Teufel Dank,
Wenn du solches Stückchen wagtest!
ABELLINO
aufspringend.
Heda! Horcher! ... Ha, seid Ihr's? –
Nun was bringt Ihr heim vom Markte?
Nichts zu ritzen? Nichts zu kitzeln?
Viel Bestellung? ...
MATTEO.
Bluthund du!
Unser eins treibt sein Gewerbe
Ehrlich, um gerechten Lohn.
Aber dich ergötzt es, spaßend
Armen Teufeln vor den Nasen
Ihre Lampe auszublasen.
ABELLINO.
Nicht den Lohn verschmäh' ich; aber
[45] Der dünkt mich ein lump'ger Waidmann,
Welcher, wie ein Wolf der Wälder,
Nur den Magen anzufüllen,
Nach dem flieh'nden Wilde streicht.
He, was sind wir? Menschenjäger,
Gleich dem Kriegersknecht im Felde,
Gleich dem Arzt am Krankenbett.
Gold ist nicht das Ziel der Kunst;
Jede lohnt sich in Vollendung
Edler Frucht, die sie sich selbst zeugt.
MATTEO.
Bei St. Marcus, schwatzen kann er,
Wie des Teufels Advokat!
He, wer hat dich das gelehrt?
Bist du ein entsprungner Pfaff?
Ein verdorbner Studiosus?
Ein verfuschter ...
ABELLINO.
Schweig, du Schlucker!
Wahrlich, glaub' es, mir ward nicht
An der Wiege schon gesungen,
Daß ich dermaleinst bei Euch
Medizinisch fuschern sollte.
MATTEO.
Nun, ich glaub' es dir aufs Wort.
Dir sind andre Herrlichkeiten
In den Windeln prophezeit:
Ordensbänder um den – Hals,
Hohe Stellen in der Luft! ...
Abellino, nichts für ungut,
Aber Wunder bleibt's, und Wunder,
[46] Daß du nicht schon tausendmal
In des Henkers Schlinge hingst.
Kain nicht, der Brudermörder,
War vom Herrgott so gezeichnet,
Daß ihn tödte, wer ihn finde,
Brüderchen, wie du.
ABELLINO
grinsend.
Hi, hi!
MATTEO.
Wer sah zwischen Erd' und Himmel
Je ein Belials-Gesichtchen,
Ganz erkoren und geboren
Für den Galgenarm, wie dies?
Diese Stirn, ein Mauerbrecher,
Ist der Freiheit Eisenschild.
Aus den häm'schen, scharfen Winkeln,
Hier um das verzogne Maul,
Spottet schnöde Gotteslästrung!
Aus dem einz'gen, finstern Auge
Glüht der ew'gen Hölle Inbrunst.
ABELLINO.
Narr, das beste Büchlein trägt
Oft ein falsches Titelblatt.
Magst du mich darum beneiden?
Sieh, das ist des Himmels Gabe.
Tröste dich, du bleibst ja dennoch
Futter für die jungen Raben. – –
Nun, Matteo, Scherz bei Seite!
Kurz zur Sache, sprich, wie steht's?
Gibt es etwas anzuzapfen?
[47] Oder magst du mir nicht trau'n?
Rede offen!
MATTEO.
Höre, Bursche,
Du gefällst mir, aber ...
ABELLINO.
Rede!
MATTEO.
Ich bemerke: dir fehlt Eins nur.
Unsere Profession,
Stets im Angesicht des Todes,
Fordert Eins: – Religion!
ABELLINO.
Bist du närrisch, oder trunken?
MATTEO.
Du besuchst ja nie die Kirchen,
Nie die Messe, nie die Beichte,
Rufst auch keinen Heil'gen an!
Sieh, der zorn'ge Himmel kann dich
In die Hand der Sbirren liefern,
Auf die Folter spannen lassen ...
Und du könntest uns verrathen, ...
Hei! da wär' uns schlecht gedient.
ABELLINO.
Puh! es hat mir nicht geträumt,
Daß man mit des Himmels Hilfe
Auch dem Teufel opfern könne.
MATTEO.
Lästermaul, wie lästerst du?
Wir sind nur des Schicksals Werkzeug,
Sind die Ruthen seines Grimmes;
[48] Sind nicht besser, sind nicht schlimmer,
Als, in seiner Hand, der Krieg,
Oder Pest und Hungersnoth.
Aber fehlt Religion:
Sind wir selbst strafwürd'ge Sünder!
ABELLINO.
Nun denn, bei St. Paul und Peter,
Ich will heute mich bekehren,
Beichte sagen, Messe hören,
Wenn du mir zu schaffen gibst.
MATTEO.
Gut, du kannst, da dich's gelüstet,
Bald ein Probestückchen machen;
Arbeit gibt's bei uns vollauf.
Geht, ihr Andern, macht euch lustig,
Zieht auf frische Kundschaft aus.
Struzza, reiche du zuvor
Aus dem Mauerschrank im Winkel
Unser Arsenal hervor.

Die Banditen entfernen sich.
ABELLINO.
Hei, was Arsenal? sieh hier,
Alles trag' ich schon bei mir.

Er entblößt einen Dolch.

Schau, die Scheere keiner Parze
Schneidet dir, so glatt und sicher,
Jeden Lebensfaden ab,
Wär' er auch von Stahl gesponnen ...
MATTEO.
Nichts da! hast ja nur bisher
Eitel Fuscherei getrieben.
[49] Heut erst sollst du, in Venedig,
Beim Gewerbe zünftig werden.
Sieh, man hält hier stark auf Ordnung.
Du bist Fremdling; fremde Fuscher
Duldet meine Innung nicht.
Mancher hat es zwar versucht,
Unsre Kunst für eigne Rechnung
Und auf eigne Faust zu treiben;
Aber ungesegnet kam er,
Hui und Pfui! zur Welt hinaus.

Struzza bringt ein Kästchen, setzt es auf den Tisch und entfernt sich.
ABELLINO.
Also, Handwerksneid auch hier!
Sticht der zünft'ge Dolch denn besser,
Als des Fuschers gutes Messer?
MATTEO
indem er das Kästchen öffnet und einige Stilete hervorzieht.
Bursche, wie du albern fragst!
Fleisch ist Fleisch und Stahl ist Stahl.
Aber wer der Kunst sich weiht,
Soll sie kunstgerecht behandeln.
Junge, tritt heran und schau:
Dieser Dolch, – die schöne Klinge –
Strich um Strich muß dir daran,
Wer Bestellung gibt, bezahlen.
Gilt es eines Zolles Tiefe, ...
Nicht zum Tode, nur zum Schrecken,
Forderst keck du zehn Zechinen.
Zwei Zoll, in des Menschen Leib,
Kosten zwanzig; drei Zoll dreißig.
[50] Geht's auf's Leben, dann begehre
Was du willst, nach Stand und Würden.
ABELLINO.
Mäß'ge Apothekertaxe.
MATTEO.
Hier ein Dolch, schau an, von Glas!
Gut, in's dicke Fleisch zu stoßen;
Brichst du in der Wund' ihn ab,
Bleibt er sicher drin verschlossen
Bis zum Auferstehungstag. –
Sieh, zum Beispiel, mancher möchte
Gern vom reichen Vetter erben,
Aber will nicht jähen Tod,
Sondern, vor des Vetters Sterben,
Dies und das noch mit ihm handeln;
Oder, nur aus Frömmigkeit,
Ihn nicht in die Ewigkeit,
Ohne letzte Oelung, senden.
Dazu dient dies edle Glas!
ABELLINO.
Nun, das heiß ich zunftgerecht;
Zunftgerecht, nicht kunstgerecht! –
Kunstgerecht geht die Natur,
Drum geht Kunst naturgerecht.
Also, Meister unsrer Zunft,
Laß mich frei und eigen schalten ...
MATTEO.
Still, das Beste kommt zuletzt!
Dieser Dolch mit seiner Spitze,
Feiner, als der Sonnenstrahl,
Gleicht dem mörderischen Blitze;
[51] Denn er tilget schnell das Leben,
Hinterläßt kein blut'ges Maal.
Nur ein Schrämmchen in die Haut,
Nur ein Punkt, wie Mückenstich,
Liefert auf die Todtenbahre;
Denn die kaum sichtbare Spitze
Ist ins schärfste Gift getaucht.
Nimm hin, denn schon heut bedarfst du
Heut des edeln Kleinods schon.
ABELLINO.
Schön, das gibt ein Meisterstück.
Aber sprich, an wem? und wo?
MATTEO.
Kennst du, Bursche, in Venedig
Endlich alle Weg' und Stege;
Alle Mauern, alle Gassen;
Jedes Loch, um aufzupassen;
Jede Gondel, jedes Boot?
ABELLINO.
Ho! in meinem eignen Wamse
Weiß ich besser nicht Bescheid.
MATTEO.
Und dann unsere edeln Kunden,
Die ich alle dir schon mehrmals
Nannte und mit Fingern zeigte,
Wenn sie zum Senate gingen,
Oder in die Freudenhäuser;
In die Kirchen; und am Spieltisch;
Bei Gelagen, Saufereien,
Tänzen und Prozessionen?
[52]
ABELLINO.
Besser kenn' ich sie, als dich.
MATTEO.
Jener prächtige Parozzi ...
ABELLINO.
Prächtig, bei St. Paul und Peter,
Wie ein Silbersarg voll Aas;
Reizend wie ein Sodomsapfel!
MATTEO.
Und der kluge Falieri ...
ABELLINO.
Der, mit seiner Vipernzunge,
Freund und Feind und sich vergiftet.
MATTEO.
Und der kecke Contarino ...
ABELLINO.
Keck aus Stolz, und stolz aus Dummheit.
MATTEO.
Dann der umsichtsvolle Memmo ...
ABELLINO.
Umsichtsvoller, als ein Hase!
MATTEO.
Lästermaul, so wirst du doch
Pater Tolomeo ehren.
ABELLINO.
Ehre dem ehrwürd'gen Fuchs,
In dem Hühnerstall Venedig!
Alle kenn' ich sie,
Diese lust'gen Springinsfelde,
Diese Lebemänner, diese
Lockern Zeisige von Haus' aus,
[53] Die den Juden und den Wuchrern
Längst ihr väterliches Erbe,
Und dem Teufel in der Hölle
Leib' und Seel' verpfändet haben.
MATTEO.
Sie sind unsre besten Kunden,
Und wir zählen deren mehr.
ABELLINO.
O ich weiß, der Schurken Menge
Wird Venedig bald zu enge;
Drum ist's Billigkeit und Noth,
Daß man unsre Hilfe fordert,
Bloß ein wenig Raum zu schaffen.
Also frisch, ich bin bereit;
Fordre, Meister, und gebeut!
Welchem reichen Geizhals soll ich,
Welchem läst'gen Nebenbuhler,
Welchem Oberen im Amte,
Seine Himmelspforte öffnen?
MATTEO.
Höre mich! Vor allen Dingen
Wirst du deine Andacht halten,
In der Kirche von San Marco
Zehn Ave Maria beten;
Deinem Heil'gen dich empfehlen,
Daß er seinen Schutz gewähre.
Beide gehn wir dann verkleidet,
Schwarz, im pelzverbrämten Leibrock,
Zierlich, wie die Nobili,
In den Garten Dolabella.
Dort wird heut des Dogen Nichte,
[54] Im Begleite anderer Frauen,
Sich des Frühlingsabends freun.
ABELLINO
stutzend.
Wie? die schöne Rosamunde?
MATTEO.
Unter irgend einem Vorwand
Trittst du hin zur zarten Rose
Und – brichst sie vom Lebensbaum.
ABELLINO.
Bist du rasend?
MATTEO.
Nur ein Ritzchen
In den weißen, zarten Arm
Mit dem gift'gen Messerspitzchen,
Und des Todes schöne Braut
Fällt dir ohne Klagelaut.
ABELLINO.
Geh zur Hölle!
MATTEO.
Was? erschrickst du
Vor dem leichten Probestück?
ABELLINO
grinsend.
Ich erschrecken? Ich? Hi, hi!
Wenn's die heiligen zehntausend
Jungfrau'n sammt und sonders wären!
Aber, Meister, das verdrießt mich,
Daß du meiner starken Faust
Nur ein schwaches Mägdlein bietest.
Warum nicht den Sbirren-Hauptmann,
Mitten unter seiner Schaar?
[55]
MATTEO.
Alles, Freund, hat seine Zeit.
ABELLINO.
Und, zum Teufel, welcher Teufel
Hat dies Opfer sich erkoren?
MATTEO.
Still davon, ich plaudere nicht.
Kein Besteller wird verrathen.
Alles, was man uns vertraut,
Bleibt verschwiegen und begraben,
Wie Geheimniß einer Beicht'.
Also vorwärts, ich begleite
Dich zur Kirche, dann zum Garten.
ABELLINO.
Du? wozu denn mich begleiten?
Traust du meinem Muth so wenig?
MATTEO.
Das ist unsre alte Satzung!
Tritt der Neuling in die Zunft,
Muß der Meister, auf der Stelle,
Zeuge sein der ersten That.
Der Erfahrene hat Rath;
Und es giebt oft schwier'ge Fälle!
Wie, zum Beispiel, wird die Donna
Vom Gefolge stets umschwärmt;
Ist sie nimmer dir recht nah;
Weißt du es nicht anzugreifen:
Nur ganz leise darfst du pfeifen,
Und ich bin zur Hilfe da.
[56]
ABELLINO.
Alte Satzung soll man ehren!
Nun wohlan, so laß uns hin!
Und mein Dolch soll dich belehren,
Bursche, daß ich Meister bin.
MATTEO.
Folge mir zur Kleiderkammer,
Länger dürfen wir nicht zaudern.
Trage mir die Dolche nach.

Geht ab.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
ABELLINO
allein, halblaut, in tiefer Bewegung.
O allwaltendes Verhängniß!
Muß der Frevel, wider Willen,
Mir den Abgrund deiner Weisheit
Selbstverrätherisch enthüllen!
Ja, du hast mich, du erwählt;
Und ich fühl', am tiefsten Innern,
Deine furchtbarstrenge Führung.

Er geht schweigend durchs Zimmer, bleibt in Gedanken verloren stehen. Dann mit Fassung.

Nun so mag das Spiel beginnen!
Ob verlieren, ob gewinnen,
Ist nicht heut die Frage mehr.
Meine Stunde hat geschlagen;
Und das Schicksal rief mich her.
[57] Freie Faust will ich mir machen,
Abellino muß allein
Meister in Venedig sein;
Die elenden Spießgesellen
Sind zum Rabenfutter reif.
Einzig werd' ich, einzig stehn,
Einzig soll um meinen Willen,
Wie die Welt um ihre Achse,
Die Lagunenstadt sich drehn!
Alle, die Verwirrung brüten,
Und mit Trümmern der Gesetze
Ihre Schulden decken wollen,
Dolche miethen, Kuppler zahlen,
Lotterbuben aller Enden
Sollen künftig sich zu mir,
Als der einz'gen Sonne wenden.
Und ist Alles fest umsponnen,
Und die Stadt von mir umgarnt:
Dann urplötzlich und zermalmend,
Donnr' ein Wetterstrahl von oben
In das ungewarnte Nest.
Und in Nord und Ost und West
Fährt die wüste Brut zerstoben.
MATTEO
draußen.
Abellino!
ABELLINO.
Ich erscheine!

Ab.
4. Auftritt
[58] Vierter Auftritt.
Ein Garten. Seitwärts im Vordergrunde eine Rosenlaube mit einer Rasenbank.
Andreas Gritti, Doge von Venedig, und Dandolo, im Lustwandeln.

DOGE.
Den Gesandten Frankreichs, sagt Ihr,
Hat mein Wort verdrossen, das ihm
In der Signoria ward?
War's unwürdig, war's zu hart?
Warum nennet sich sein Herr
Allerchristlichster der Fürsten,
Er, der Türken Busenfreund,
Die nach blut'gem Untergang
Jedes Christenreiches dürsten?
Darf ich, darf die Republik
Je vergessen unsrer Schmach?
Je vergessen Corfu's Jammer?
Fünfzehntausend arme Christen
Schleppten sie in Sklaverei,
Und die Insel liegt verwüstet!
Das geschah durch Frankreichs Ränke;
Und der tückische Doria
Sah die Landung der Barbaren,
Floh mit seiner ganzen Flotte,
Feig und schadenfroh, davon.
DANDOLO.
Euer Zorn, durchlauchter Herzog,
Allerdings grollt er gerecht.
Aber ...

Die Achseln zuckend.
[59]
DOGE.
Ich versteh' Euch, Freund.
Frankreich und der deutsche Kaiser
Stehn uns allzuüberlegen.
Doch, fürwahr! noch ist Venedig
Nicht der fremden Fürsten Magd.
Hundert unserer Galeeren
Furchen noch den Ocean.
Und aus tausend Feuerschlünden
Brüllt der Löwe des St. Marcus
Noch den stolzen Gegner an.
DANDOLO.
Ach, der Löw' ist alt geworden,
Seine Kräfte sind gebrochen;
Und die Zeit, die aus der Fülle
Ihres Schatzes Alles reichet,
Gibt die Jugend nie zurück.
Mit gewohnter Ehrfurcht schauet
Noch Italien zu Euch auf.
Noch hat Kaiser Karl des Schreckens
Nicht vergessen, als er vor Euch
In die Berge von Vicenza
Zitternd und verlassen floh;
Als Ihr Padua erstürmtet,
Und den Paß von Serravalle.
Aber wenn einst ... gnädiger Herr ...
Andre Stunden, andre Sterne!
DOGE.
Fort den Trübsinn, Dandolo!
Laßt den Sterblichen verschwinden,
Blüht die Menschheit doch unsterblich
[60] Wie Natur, in ew'ger Jugend.
Andre werden nach uns kommen,
Ihres Vaterlandes Zier,
Groß und größer wohl, denn wir.
DANDOLO
bitter lächelnd.
Andre? Meint Ihr unsre Helden,
Die, alltäglich und allnächtlich,
Hinter Flaschen Wein verschanzt,
Frech die alte Tugend höhnen?
Denen keiner Jungfrau Ehre,
Keine Tugend heilig gilt?
Die nach Ehrenstellen geizen,
Um Provinzen auszuplündern,
Und, mit dem erstohlnen Golde,
Ungebundner Lust zu pflegen?
Die in Pracht und Weichlichkeit
Cyperns Wollust und Verderben
Dem Lagunenstaat vererben?
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Die Vorigen. Canari kömmt.

DOGE.
Ha, Canari! steht bei mir!
Unsern Cato, unsern lieben
Prokurator von San Marco,
Quälet seine finstre Stunde.
CANARI.
Ist kein David mit der Harfe
Bei der Hand, den Geist zu bannen?
[61] Nicht doch, besser wirkt vielleicht
Unter Rosamundens Fingern
Ihres Zitherspieles Zauber.
DOGE.
Er verzagt, weil wir ergraun,
An Venedigs Herrlichkeit,
An Venedigs jungem Adel.
CANARI.
Greisenkummer, Greisengrille!
Wenn wir altern und erschwachen,
Dünkt die Welt uns alt und schwach.
Meint Ihr, Signor Dandolo,
Weil die Thränen oder Jahre
Unsrer Augen Licht verdunkeln,
Daß der Sonne Glanz verarmet,
Und die Sterne minder funkeln?
DANDOLO
ernst.
Freund Canari, redet offen;
Unser Grabstein ist nicht fern:
Was ist für den Staat zu hoffen?
Mit dem Erbfeind aller Christen
In den schwersten Krieg verflochten,
Sehn wir unsre Städte fallen,
Unsre Eilande verödet.
Thatlos schwärmen unsre Flotten
Durch das weite Mittelmeer;
Denn den Schiffen fehlen Helden,
Und dem Staatsschatz fehlt das Gold.
Frankreich bläst des Krieges Feuer
Im Palast des Sultans an;
Kaiser Karl stößt schlau und treulos
[62] In die Flammen uns voran;
Während Rom in tiefer Stille,
Rom – das nimmer rückwärts schreitet,
Priesterschaft und Laien wirbt,
Adel und Gemeine kirret
Und des Volkes Sinn verwirret,
Um die Schranken zu zerstören,
Die des Papstes Einfluß wehren.
DOGE.
Ist das Alles? oder war
Unser Staat, bei tausend Stürmen,
Nie in schwererer Gefahr?
DANDOLO.
Nie, so glaub' ich; denn die Alten
Wußten noch, woran sich halten:
Da war Muth zu jedem Wagstück,
Sittenernst und Freiheitsstolz.
Heut ist alles das vergessen,
Und des Freistaats Majestät
Von der Selbstsucht Gift zerfressen. –
Alle Banden sind gelöst,
Und der Körper ist verwest.
Zwar noch hangen seine Glieder
Leben heuchelnd an einander:
Aber tragt ihn an die Luft,
Und der Moder fällt zusammen.
CANARI
scherzhaft ängstlich.
Hier ist mehr als König Saul!
Wo ist David? Wo die Harfe?
[63]
DANDOLO.
Spottet meiner nicht, Canari,
Wenn wir, mitten im Senate,
Spuren von Verschwörung wittern!
In der Mitte dieser Stadt
Vor Banditendolchen zittern! –
Deckt nicht jede Morgensonne
Dem erschrocknen Blick des Volkes
Neue Gräuelwerke auf?
In Kanälen und in Straßen
Blutige, entstellte Leichen?
Niemand weiß, wer sie entseelte,
Niemand, wer die Mörder soldet.
CANARI.
Still! ein Wörtchen im Vertrauen,
Dandolo, zu Euerm Trost.
Dunkle Spuren sind gefunden,
Und wir schleichen leise nach.
DOGE.
Wirklich? Ist es Staatsgeheimniß
Unsrer Inquisition.
CANARI.
Nein, bis jetzt das mein'ge einzig,
Und es soll das Eure werden.
Dandolo, ich denk', Ihr kennet
Jenen tapfern, jungen Ritter
Flodoardo von Florenz.
DANDOLO.
Hm, der von den Mediceern
Ward, vor siebenzehn, achtzehn Monden,
Aus Toskana weggetrieben?
[64]
CANARI.
Weggetrieben; ihm zum Ruhme,
Darf ich hoffen! denn er stand dort
Gleich verhaßt dem lastervollen
Alexander Medicis,
Wie dem Mörder dieses Herzogs,
Lorenzino, dessen Vetter.
DANDOLO.
Hat, als Fremdling, nun bei uns
Glaub' ich, Kriegesdienst genommen?
DOGE.
Unser Admiral Pesaro
Rief ihn zu sich auf die Flotte.
Aber Fremdling ist er nicht;
Denn sein Name steht, gleich unserm,
In das goldne Buch geschrieben.
Er stammt von den Mocenighi.
DANDOLO.
Und was trieb ihn nach Florenz?
CANARI.
Schon vor mehr denn hundert Jahren
Setzte bei den Florentinern
Sich ein Mocenighi an.
Seinen Vater kannt' ich gut.
Waren beide Waffenbrüder,
Dienten beid' auf gleichem Schiffe,
Und er rettet' einst mein Leben,
Mit Gefahr des eignen, als wir
Vor den Dardanellen kreuzten.
Ich gedenk' es seinem Sohn,
Und will diesem Vater werden.
[65]
DANDOLO.
Mög' er würdig sein der Sohnschaft!
DOGE.
Dafür hat der kühne Jüngling
Geltenden Beweis geleistet.
Wißt Ihr nicht, daß er's gewesen,
Der in Corfu meine Nichte,
Und noch zwanzig edle Jungfrau'n,
Von der Sklaverei befreite?
DANDOLO.
War es dieser? Und wo ist er?
Ich will ihm den Handdruck geben.
DOGE.
Vor zehn Tagen nahm er Urlaub,
Um nach Padua zu reisen.
CANARI.
Jeden Tag erwart' ich ihn.
DANDOLO.
Doch, Canari, erst vorhin
Waren andre Angelegenheiten
Gegenstände des Gesprächs.
Von den Spuren der Verschwörung,
Sagtet Ihr, die Ihr gefunden,
Denen Ihr im Stillen nachschleicht ...
Habt Ihr selber Euch, mit Absicht,
In der Rede unterbrochen?
CANARI.
Nein, ich habe das Geheimniß
Unserm Herrn und Euch versprochen.
Also eben jener ... Kömmt wer? ...
[66] Jener junge tapfre Mann,
Der ...
DOGE.
Ich höre Frauenstimmen
In der Nähe.
DANDOLO.
Wenn's gefällt,
Gehn wir ein'ge Schritte weiter.
DOGE.
Kommt in den Palast zurück.

Sie gehn ab.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Iduella und Rosamunde von der andern Seite.

IDUELLA.
Eine wunderliche Laune!
Oder was hat dich verstimmt?
Was getrieben, die Gesellschaft
So ganz plötzlich zu verlassen?
ROSAMUNDE.
Kann ich's sagen? Schmerz und Wehmuth, –
Wunderbare Bangigkeit
Hat mich jählings überfallen.
Kaum, nur kaum vermocht' ich, mich
Lauten Weinens zu erwehren.
War's die Allmacht der Musik?
Waren es Erinnerungen,
Die, mit ihren Geisterzungen,
[67] In den Klängen jener Saiten
Da zu meiner Seele sprachen? ...
Aber mir ist wieder wohl,
Und ich athme leicht und heiter.
IDUELLA.
Ja, wie Rosen nach dem Regen,
Wenn, vom Thau der Wolken schwer,
Sie das Köpfchen hangen lassen ...
Zittert da nicht noch ein Tröpfchen
Thränenthau dir in den Wimpern?
Nicht doch! fröhlich, liebe Seele!

Ihre Hand nehmend.

Fort, wir müssen uns zerstreun.
Weißt Du keine Neuigkeit?
ROSAMUNDE.
Keine.
IDUELLA.
Aber ich!
ROSAMUNDE.
Die wäre?
IDUELLA
forschend.
Daß der schöne Florentiner
Bald aus Padua ... Du wendest
Mir den Rücken zu? Du hörst nicht?
ROSAMUNDE
abgewandt.
Nein, ich will nichts von ihm hören.
IDUELLA.
Nicht? Wie sprichst du, Wunderbare?
Nichts von Deinem Retter hören?
ROSAMUNDE.
Weil du meiner spottest, weil du ...
[68]
IDUELLA.
Spotten? Nennst du Warnen Spott?
ROSAMUNDE.
Und warum mich ewig warnen?
Ich erkenne deine Liebe, ...
Treue, liebe Iduella, ...
Deine Mühen sind umsonst!
IDUELLA.
Rosamunde, das klingt herbe.
Du, die ich in zarter Kindheit
Oft in meinem Arm gewiegt;
Du, für die ich hundert Nächte,
Hundert schlummerlos durchwachte;
Du, an der selbst deine Mutter
Fester, zärtlicher nicht hing, ...
Alle meine Müh'n umsonst?
ROSAMUNDE
sie mit Heftigkeit umarmend.
O, vergib mir, Iduella,
Freundin, Mutter ... o, vergib mir!
Darf ich ... möcht' ich dich denn täuschen?
Sollt' ich selber mich belügen?
Ach, du weißt es! Alles kennst du;
Ich vermag's ja nicht zu ändern.
Quäle meine Seele nicht!
IDUELLA.
Also weihst du eigensinnig
Dich dem bodenlosen Abgrund?
ROSAMUNDE.
Bin ja glücklich, o sehr glücklich!
[69]
IDUELLA.
Wie ein Trunkner, der im Taumel
An des Abgrunds Rande jauchzt. –
ROSAMUNDE
liebkosend.
Laß mich dulden – schweigen hoffen.
IDUELLA.
Hoffen? Armes Kind, was hoffen?
ROSAMUNDE.
Weiß ich's selber?
IDUELLA.
Mit dem Mutterherzen red' ich
Zu der theuern Tochter Herz;
Doch vielleicht ist's allzuspät.
Deine Seele glüht im Fieber
Der gewalt'gen Leidenschaft.
ROSAMUNDE.
Glaub es nicht. O, meine Freundin!
Wie der kalte Spiegel deine
Lieben, frommen Züge, will ich
Deine Lehren in mich fassen.
IDUELLA.
Flodoardo floh verstoßen
Von Toskana zu uns her:
Nichts vom Erbtheil seiner Väter
Folgte dem Verbannten nach.
Er ist arm! – Ich sage arm!
Und ihn nähret nur das Brod,
Was sein Degen ihm verdient.
ROSAMUNDE.
Mindert das des Ritters Werth?
[70]
IDUELLA.
Seinen Werth nicht; wohl dein Hoffen!
Wähnst du, daß die edle Tochter
Eins der alten Wahlgeschlechter,
Daß die Nichte, daß die Erbin
Eines Herzogs von Venedig
Ihren Trauring am Altare
Einem armen Kriegsmann ...
ROSAMUNDE.
Frevle nicht an meiner Seele;
Denn sie liebt das Heil'ge rein.
Sprach ich von Altar und Trauring?
Oder gar vom Hochzeitschmucke
Aus ostindischem Gewebe,
Und mit Kanten von Brabant?
Nie sei davon wieder Rede!
Was Geburt und Stand gebieten,
Weiß ich, und verehr' ich schweigend.
Fest nur ruht des Staates Bau
Auf dem Felsengrund der Sitte. – –
Doch im Reich der Seelen scheidet
Nicht des Ranges Machtgebot;
Da thront Gott allein als Vater;
Und die Geister stehn verbrüdert.
Auch von diesem Reich, o Freundin,
Bin ich hier schon Bürgerin.
Still, im heiligsten Gefühle
Lieb' ich, ohne Wünsch' und Ziele.
IDUELLA.
Mir ist schwer, dich zu verstehn;
Hast du selbst dich wohl verstanden?
[71] Doch ... nichts mehr davon ... nur Eins.
Stets vergaß ich eine Frage:
Ist des Ritters tapfre That
Würdig schon vergolten worden?
ROSAMUNDE.
Wer ein solches Heldenleben
In den Kauf für fremdes wirft,
Sage an, wie zahlt man dem?
IDUELLA
verlegen.
Keine Zahlung ... aber doch ...
Wenn der Herzog ... selbst wenn du ...
ROSAMUNDE.
Ich? ... Mein Leben ist sein Gut. –
Als er aus dem Kampf in Corfu
Wieder zur Galeere kam,
Und er meine Banden lös'te, ...
Glänzend, wie ein Siegesengel
In der Cherubs-Herrlichkeit
Stand der Retter vor mir da.
Ach, ich wollte Dank ihm stammeln,
Konnt' es nicht ... doch er verstand mich ...
Und im Wahnsinn des Entzückens
Warf ich mich zu seinen Füßen,
Küßt' ich des Erlösers Hand,
Und des Mitleids Thräne glänzte
In des stolzen Siegers Augen.
IDUELLA.
Fast zuviel! Des Anstands Würde ...
Doch, nach so viel Schreckenstagen,
Nach so langen Todesängsten,
Solche plötzliche Errettung, –
[72] Alles das entschuldigt viel!
Glaub' indessen, daß auch jeder
Andere Soldat soviel
Und noch mehr geleistet hätte.
ROSAMUNDE.
Jeder? – O, wie irrst du sündlich!
Warum gab Andrés Doria
Corfu unserm Feind zum Raube?
Warum floh Pesaro nach?
Einzig Flodoardo trennte
Sich verwegen von der Flotte.
Lange kreuzt' er um die Insel
Mit der einzigen Galeere!
Nächtlich setzt' er Boten aus.
Dann, ... im letzten Augenblick,
Als der Zug gefangner Frauen,
Für den Sultan auserwählt,
Schon beim düstern Schein von Fackeln,
Durch das Thor der alten Burg,
Jammernd zum Gestade wankte; –
Alle mit gebundnen Händen,
Janitscharen links und rechts
In den Waffen; Allah brüllend ...
Da nun – jählings, ... welches Schauspiel!
Vor uns gaukelt, hart am Strande,
Eine breite Flammensäule;
Glühnde Wolken wirbeln auf.
Dieser Brand ... es war das Schiff,
Welches gen Konstantinopel
Uns Gefangne tragen sollte.
Todtenstille des Entsetzens
[73] Folgte jetzt. Der Zug hielt an.
Drauf vernahm man fernes Lärmen,
Schreien, Flintenschüsse, Jauchzen.
Und, wie wenn der Sturm von weitem
Durch die Wälder sich daherwälzt,
Wälzte sich die Schlacht heran.
Bald erblickt' ich mir zur Seite
Das Gefecht, der Säbel Wüthen;
Die gebrochnen Reihn der Türken;
Und – mit glühndem Angesicht,
Und mit einem Schwert voll Blutganz ...
Flodoarden über Leichen.
IDUELLA.
Er vollstreckte seine Pflicht.
ROSAMUNDE
halblaut, aber mit Nachdruck.
Als er mit den Flammenblicken
Mich im Zug der Frau'n erkannte,
Schrie er laut: Victoria,
Die Erlauchte ist gerettet! –
Meinst du, oder meinst eu nicht;
War dies Alles seine Pflicht?
IDUELLA.
Kind, nichts mehr davon! – Wahrhaftig
Keine Silbe. Jedes Wörtchen
Ist ein Windstoß in die Gluten.
Kehren wir zum Saal zurück;
Oder plaudern And'res; oder,
Willst du lieber, bring' ich dir,
In den Garten die Guitarre.
[74]
ROSAMUNDE.
Kannst du doch so gütig sein!
Ja, am liebsten die Guitarre!
Denn der Abend naht sich prachtvoll;
Hier, auf dieser Rasenbank,
Will ich, Liebe, deiner warten.
IDUELLA.
Sinn' indeß auf heitern Sang.

Ab.
ROSAMUNDE
nach einer Stille, im Nachdenken.
Sinnen soll ich? – Ewig kann ich sinnen; –
Er nur ist's, den der Gedank' umkreis't.
Er ist fern! ... die flücht'gen Stunden rinnen,
Und das schöne Leben liegt verwais't.
Unbeglückt, o Frühling, bleibt dein Prangen,
Deines Odems Wehn ein Seufzer nur;
Jede Blume schmachtet im Verlangen,
Und im Brautschmuck trauert die Natur.
Fehlt die Sonne ihren goldnen Sphären:
O, so kann des Mondes blasse Pracht,
Kann das Sternenheer uns nicht gewähren,
Als – das dunkle Schauspiel einer Nacht!
7. Auftritt
[75] Siebenter Auftritt.
Abellino, als hochbetagter Greis, in der Tracht eines Nobili, nähert sich langsam Rosamunden. Im Hintergrunde zwischen Gebüschen wird von Zeit zu Zeit Matteo sichtbar.

ROSAMUNDE
überrascht.
Ah! wer kömmt, mich jetzt zu stören?
ABELLINO.
Ein Paar altersblöde Augen,
Und der Krückstab, wahrlich, taugen
Schlecht zum Botendienst und Suchen.
ROSAMUNDE
ihn mitleidig betrachtend.
Signor, und wen sucht Ihr Euch?
ABELLINO.
Eine Lilie ohne Stütze,
Die der erste Sturm zerknickt;
Eine unschuldsvolle Taube,
Ueber welcher in den Lüften
Schon der Falke gierig flattert;
Rosamunden, die erlauchte
Nichte unsers Herrn und Fürsten.
ROSAMUNDE.
Die Ihr sucht, ist leicht zu finden,
Weil sie selber vor Euch steht.
ABELLINO.
So betrog mich nicht die Ahnung!
So viel Mild und Majestät,
Einer Andern angehören?
[76]
ROSAMUNDE.
Wahrlich, nie hätt' ich's erwartet,
Blumen noch für mich im Schnee
Eurer Winterzeit zu finden.
Doch, um Blumen mir zu senden,
Habt Ihr mein wohl nicht begehrt?
ABELLINO.
Nein, Signora, spottet nicht,
Wenn ein Greis in Eurer Nähe
Das verlorne Paradies
Seines Lebens wieder sieht! –
Würde doch der stille Zauber
Eurer Anmuth, Eurer Tugend,
Auch im kalten Marmorsteine
Flammen des Gefühls entzünden,
Und blutdürst'ge Tiger binden.
Aber dennoch ... glaubt's, Signora,
Glaubt, das größte Ungeheuer,
Welches die Natur gebar,
Folgt gehorsam dem Gebote
Seiner Mutter, der Natur;
Aber furchtbar ist der Mensch,
Welcher, die Natur verlachend,
Nicht der Welt mehr, nicht dem Himmel,
Nur sich selbst noch angehört;
Welcher einsam, wie ein Satan,
Losgesprochen von der Schöpfung,
Auf den Trümmern alles Schönen
Seiner Selbstsucht Thron erbaut.
ROSAMUNDE
verlegen.
Ich versteh' Euch nicht ... mir graut ...
[77]
ABELLINO
leise.
Grau'nvoll, freilich! Menschen sind es,
Die Euch nach dem Leben trachten.
ROSAMUNDE
lächelnd.
Mir? O scherzt nicht, würd'ger Alter!
Traun, Euch treibt ein Mißverständniß
In die finstre Sorg' um mich.
Ist vielleicht bei meinem Namen
Ein unfreundlich Wort erklungen?
Nun, Ihr wißt's, der Menschen Zungen
Sind oft schlimmer, als ihr Herz.
ABELLINO.
Engel sehen unterm Himmel
Ueberall nur ihres Gleichen;
Ja, auch in der Hölle selbst,
Weinend nur gefallne Engel.
O Signora ... hören müßt Ihr's ...
Glauben müßt Ihr's ... Euerm Leben
Wird von Mördern nachgestellt.
ROSAMUNDE
bestürzt.
Herr, was wollet Ihr?
ABELLINO.
Euch warnen.
ROSAMUNDE.
Und wer seid Ihr?
ABELLINO.
Euer Schutzgeist.
ROSAMUNDE.
Ihr nicht ... Gott wird mich bewachen!
ABELLINO.
Er hat mich hieher gesandt.
[78]
ROSAMUNDE
ängstlicher.
Wer? – Ihr redet irre, Signor.
Laßt mich, daß ich mich entferne.
ABELLINO
leise.
Bleibet! Fürchtet nichts. Vertraut mir.
Nur ein Schritt von dieser Stelle,
Und der Tod hat Euch erbeutet.
Redet leise! Zittert nicht!
Laßt, ich bitt', Euch nichts befremden,
Was in diesem Augenblicke
Gräßliches begegnen kann.
Dieses nur bekennt mir noch;
Dies nur bei dem ew'gen Rächer
Aller Schuld beschwör' ich Euch!
Sprecht: habt Ihr das stolze Herz
Irgend eines Mann's verhöhnt?
Irgendwo die düstern Gluten
Einer Eifersucht empört?
Sinnt umher! Nennt mir den Namen;
Denn Ihr nennt den Namen dessen,
Der dem Dolche Euch geweiht hat.
ROSAMUNDE
mit Hoheit.
Was hab' ich mit Euch zu schaffen?
Hebet Euch von hinnen, Alter;
Ich befehle ...
ABELLINO.
Nimmermehr!
Höret mich! Fasset Zuversicht!
Unsichtbar in dieser Nähe
Schleicht der Tod schon, und der Mordstahl
Gegen Eure Brust gerichtet.
[79]
ROSAMUNDE.
Flieht, wahnsinn'ger alter Mann.
Nur das Mitleid hindert mich,
Hilfe mir herbei zu rufen.
ABELLINO
seiner Greisenrolle vergessend, in voller Kraft aufgerichtet.
Täuscht Euch nicht, erlauchtes Fräulein!
Euer Schutzgeist wird nicht weichen.
Fasset Muth, die Macht der Hölle
Soll kein Haar von Euerm Haupte
Krümmen dürfen, keins entweihn!
ROSAMUNDE
mit Grausen.
Gott im Himmel, – Mensch, wer bist du?
ABELLINO.
Abellino ist mein Name.
Heilige, gedenket seiner,
Wenn Venedig ihn verdammt.
ROSAMUNDE.
Unmensch, möchtest du mich morden?
Hilfe!
ABELLINO
drängt sie gewaltsam in die Laube.
Still, Unglückliche!

Er pfeift.
8. Auftritt
[80] Achter Auftritt.
MATTEO
fährt mit gezucktem Dolch, in großen Sätzen, gegen die Laube.
Wozu rufst du Kerl?
ABELLINO
indem er ihn niedersticht.
Zum Tode!
MATTEO
taumelt neben der Laube zu Boden.
Ei, Verruchter!
ROSAMUNDE
auf die Rasenbank gesunken, mit matter Stimme.
Hilfe! Hilfe!
MATTEO
sterbend.
Abellino! – falscher Satan ...
ABELLINO.
Spießgesell der Pestilenz,
Fluchst du Abellino noch?
Nun, der Fluch des Teufels gilt fast
Einem Gottessegen gleich.

Zu seinem Dolch, indem er ihn betrachtet und verbirgt.

Blut'ger Stahl, du bist geheiligt!

Seine Blicke fallen auf Matteo und Rosamunde.

Welch ein Anblick! Wunderbar!
Dort der Menschheit Schlamm und Hefe,
Hier die reinste ihrer Blüten!
Wie? die Beiden Eines Stammes
Vom Geschlecht der Sterblichen?
O fürwahr, nicht halb so weit
Liegen, wie es Manchem dünket,
[81] Höll und Himmel auseinander;
Ihre Grenzen stoßen hart
In der Menschenbrust zusammen.

Er blickt schweigend auf die Ohnmächtige nieder, kniet und spricht halblaut.

Rosamunde! – Rosamunde!
Schönes Ebenbild des Todes,
Lächle neu das Leben an.
Ach, daß du mich Mörder nanntest!
Daß du mich so schwer verkanntest,
Mich, der, Heilige, für dich
Tausend Tode sterben kann! – –
Still! – sie regt sich! – sie erwacht!
Und das Rosenlicht des Lebens
Fließt um ihre Wangen wieder. –
Nun, ade, du Auserwählte!
Mein, für Zeit und Ewigkeit,
Mein bleibst du! In dieser Stunde
Hab' ich dich zur Braut geweiht!
Nobili und Fürsten buhlen
Wohl um diese schöne Hand,
Und dies stolze, edle Herz – –
Was sie Alle nicht erringen,
Soll sich der Bandit erzwingen.
ROSAMUNDE
von Ohnmacht genesend.
Iduella! – Iduella!

Sie starrt mit Grausen den Knieenden an.

Ha, du noch? – Entsetzlicher!
ABELLINO
ehrfurchtvoll.
Abellino's treue Faust
Hat dem Abgrund Euch entrissen.
[82]
ROSAMUNDE
mit abgewandtem Gesicht auf den Leichnam deutend.
Meuchelmörder, – Meuchelmörder!
ABELLINO.
Edle Frau, ich habe da
Einen garst'gen Wurm zertreten,
Der ins Herz der reinsten Rose
Sich des Gifts entleeren wollte.
O Signora ...
ROSAMUNDE.
Fleuch von hinnen!
ABELLINO
ihre Hand ergreifend.
Blickt mit Gnaden auf mich nieder
ROSAMUNDE
indem sie aufspringt.
Bösewicht!
ABELLINO
ihre Hand küssend.
Lebt wohl! Lebt wohl!
ROSAMUNDE
die Hand befreiend.
Ungeheuer, tödte mich; –
Nur besudle nicht der Pesthauch
Deines Mundes meinen Leib!
Laß mich fahren! – Hilfe! Hilfe!
ABELLINO
springt auf, und indem er schnell umherschaut.
Lebet wohl, wir sehn uns wieder!

Entflieht in den Hintergrund.
ROSAMUNDE
flüchtet nach einer andern Seite.

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Canari und Iduella von entgegengesetzten Seiten einander begegnend.

CANARI.
Ah, das nenn' ich wohlgetroffen!
Nur ein Wörtchen! Ist's erlaubt,
Vom Befinden Eures Fräuleins
Nach dem Abenteuer gestern ...
IDUELLA.
Sie hat sanft die Nacht geruht;
Und vom tödtlichen Entsetzen
Blieb ihr keine Spur zurück.
Eine kühn're Heldenseele
Hat vielleicht auf Erden nie
Einen zarten Leib bewohnt.
Grenzenlos war mein Erstaunen,
Als sie diesen Morgen schon
Scherzend, zu der Laute Klang,
Uns ihr Abenteuer sang.
CANARI.
Herrlich! Eures Zöglings würdig!
Nur die höchste Lebensweisheit,
Oder bloß die reinste Unschuld,
Dürfen, größer als das Schicksal,
Harmlos mit dem Schicksal scherzen.
[84]
IDUELLA.
Ist der beispiellose Frevler, –
Abellino, glaub' ich, heißt er, –
Schon entdeckt, schon eingefangen?
CANARI.
Nichts! er ist und bleibt entronnen.
Der versteht sich meisterlich,
Scheint es, auf die schwarze Kunst.
Denn, beim ersten Lärmen, wurden
Alle Pforten flugs geschlossen,
Alle Gondeln losgebunden,
Alle Winkel ausgesucht
Keine Spur, er blieb verschwunden.
IDUELLA.
Doch man sagt mir, diese Nacht
Sei der große Fang vollbracht,
Den die Staats-Inquisitoren
Lange schon vergebens wünschten;
Und das wüste Mordgesindel,
Welches unsichtbar, seit Monden,
Uns erschreckte, sei erhascht.
CANARI.
Richtig, Alles ist gefangen,
Schon verhört und bald gehangen,
Nach Venedigs guter Art.
Leider war ihr Spießgesell
Abellino nicht darunter.
Aber wißt Ihr, was nicht minder
Mich an der Geschichte freut?
IDUELLA.
Und das wäre?
[85]
CANARI.
Das kein Andrer,
Als der junge, muth'ge Ritter,
Flodoardo von Florenz,
Das verborgne Nest entdeckte,
Und, mit Wagung seines Lebens,
Jene Ottern lebend fing.
IDUELLA.
Er? – ist wieder in Venedig?
Wunderschnell bekränzt er sich
Mit dem Lorbeer der Verdienste,
Wie kaum einer unsers Adels.
CANARI.
Seid gerecht, und sagt, wie Keiner.
Seine Waffenthat auf Corfu
Hat zu ew'gen Schuldnern ihm
Viel der edelsten Geschlechter,
Und den Dogen selbst, gemacht.
Aber das gelungne Wagstück
In der Höhle der Banditen,
Für Venedigs Sicherheit,
Trägt ihm nun sogar den Namen
Unsrer Republik ins Schuldbuch.
IDUELLA.
Wahrlich, dieser seltne Mann
Wagt zuletzt das Niegewagte,
Und – den Kühnen liebt das Glück.
CANARI.
Wohl! Er mag vom Glücke sagen.
Eine Spanne weiter rechts,
[86] Und die Kugel eines Strolchs
Wäre ihm durch's Herz geschlagen.
IDUELLA.
Wie? der Ritter ist verwundet?
CANARI.
Kleinigkeit. Zwei Tropfen Bluts!
Nur ein Streifschuß links am Arm.
IDUELLA
sich beurlaubend.
Eure Herrlichkeit verzeihn; –
Diese Botschaft ist zu wichtig,
Daß ich selbst sie nicht zuerst
Rosamunden bringen sollte.

Ab.
CANARI
allein.
Frau'n gebührt das Heroldsamt,
Nicht den Männern. Sie verstehen es,
Uebles zierlich zu umschleiern,
Schönes zehnfach zu verschönern ...
Nun zum Dogen!
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Canari und Flodoardo.

CANARI.
Ha, willkommen!
Ihr verwöhnt uns, Flodoardo,
Euch, nach einer Trennung, niemals
Anders wieder zu erblicken,
Als geschmückt mit neuer Großthat.
FLODOARDO.
Eure Herrlichkeit ...
[87]
CANARI.
Seit wann
Kamt Ihr heim aus Padua?
FLODOARDO.
Um die Vesperstunde gestern.
CANARI.
Wie? so spät? und habt, kaum etwas
Später, die Banditen schon
Ausgestöbert, eingeschlossen,
Aufgehoben, weggeschleppt?
Unter uns gesprochen, treibt Ihr
Nicht ein wenig Hexerei? –
Leider unter unserm Adel
Sind der Hexenmeister wenig!
Darum ist auch ganz Venedig
Eures Ruhmes heute voll.
FLODOARDO.
Eure Herrlichkeit beliebt ...
CANARI
mit steigender Wärme.
Was da »Herrlichkeit?« – die Hand her,
Edler Jüngling! Nicht die Hand her, –
Her das Herz, das Heldenherz!

Er umarmt ihn.

Gott mit dir, du tapfrer Degen!
Nenne mich nicht Herrlichkeit –
Vater nenn' mich, das bin ich!
Sieh, dein Vater, dem du gleichest,
Einst war er mein andres Ich;
Nun erbt meine Lieb' auf dich.
FLODOARDO
ihn gerührt umarmend.
O schon längst lieh ich im Herzen
[88] Dankbar Euch den Vaternamen.
Denn wer nahm sich meiner an,
Als ich, ein verbannter Flüchtling,
Wieder nach Venedig kam?
Als ich unbekannt und einsam,
In der Heimath meiner Ahnen,
Ein verlorner Fremdling stand?
Wer hat ...
CANARI.
Ei, was fragst du mich?
Weiß ich denn ein Wort von Allem?
Also still davon, mein Sohn,
Still! – Hingegen eine Bitte:
Weil der Vater auch den Umgang
Seines Sohnes gern genösse –
Er ist alt, und alte Herrn,
Weißt du, plaudern gern ihr Stündchen –
Mußt du, ohne Widerrede,
Haus und Tafel mit mir theilen.
Hand her!
FLODOARDO.
Mir geziemt Gehorsam.
CANARI.
Schön, das Bündniß bleibt geschlossen,
Und es gelte bis zum Tode. –
Hat der Doge dich gesprochen?
FLODOARDO.
Nein; berufen ließ er mich.
CANARI.
Seine Hoffnung baut auf dich.
[89]
FLODOARDO.
Ach, noch hab' ich nichts geleistet ...
CANARI.
Als genug war, die Erwartung
Zu noch Höherem zu steigern.
Du hast Kraft; Wir haben Macht,
Jede Bahn dir aufzuriegeln,
Die den Mann zum Ruhme führt.
Lieber Freund, versäume nicht,
Heute deine Ehrerbietung
Rosamunden zu bezeugen.
Denn mit ungewohntem Antheil,
Sagen sollt' ich fast, mit Wärme,
Sprach des Dogen edle Nichte
Gestern uns von dir, und ...

Er unterbricht sich, betrachtet eine Weile schweigend Flodoarden, dem er einige Schritte näher tritt.
FLODOARDO
verlegen, indem er Canari's Aufmerksamkeit ausweicht.
Wirklich?
Allerdings ... noch heut ... ich werde ...
CANARI.
Was erblick' ich?
FLODOARDO
wie vorhin.
Was bemerkt Ihr?
CANARI
ernst.
Tief hinab glaubt' ich zu schaun,
In den glühnden Boden eines
Heimlichen Vulkans. – Es brannte
Flammenhell auf deinem Antlitz
Bei dem Namen Rosamundens. –
[90] Sah ich recht? Sah ich im Abgrund
Deines Innern jenen Brand
Einer Leidenschaft, die dich nur ...
Lähmen, nur – entehren könnte!
FLODOARDO
fest.
Mich entehren? Nein, Ihr irrt.
CANARI.
Nun, so röthete die Wangen
Dir der bloße Wiederschein
Von dem Flammenschwert des Cherub,
Der dein beßres Selbst bewacht.

Er nimmt Flodoardo's Hand in die seine.

Freund, du gabst mir Vaterrecht.
Laß mich's üben! – Offenherzig,
Was verrieth denn dies Erröthen,
Als ich Rosamunden nannte?
Liebst du sie? – –

Nach einer Pause, in der er Antwort erwartet.

Unglücklicher!
Dann brich auf und rette dich;
Rette dich, wenn du noch kannst,
Vor dir selbst! – Sei deiner würdig.
FLODOARDO.
Meint Ihr, daß es mich entwürd'ge,
Wenn ich jener Herrlichen
Nicht die Huldigung versage,
Die ihr ganz Venedig bringt?
CANARI
läßt Flodoardo's Hand fallen.
Ich verstehe dich. – So hätt' ich
Dennoch mich in dir getäuscht?
Dieser Schwäche, dieser Thorheit
[91] Glaubt' ich nimmermehr dich fähig.
Sohn, verzeih es, wenn dein Vater,
Mit dem vollen Vaterherzen
Warnend, sorgend zu dir spricht!
Weißt du denn, wohin empor
Deines Wahnsinns stolzer Blick
Sich erheben will? – es warben
Schon Italiens Fürstensöhne
Um Andreas Gritti's Nichte;
Schon die Söhne von Venedigs
Alleredelsten Geschlechtern.
Rosamunde, jeder Fürstin
An Geburt und Reichthum gleich,
Wies die Werbenden zurück.
Denn ihr Oheim, zweifle nicht,
Hat die Hand der schönen Nichte
Einem Mächtigern bestimmt.
FLODOARDO
düster.
Sei es! Ich steh' ohne Anspruch.
CANARI.
Hüte sehr dich, fremden Augen
Deine Schwachheit auszuplaudern;
Denn entweder straft dich schwer
Das Gelächter aller Spötter,
Oder plötzliche Verbannung.
FLODOARDO.
Mich erschrecken beide nicht.
CANARI
seine Hand nehmend.
Sohn, mein Sohn, sei deiner würdig!
Kämpfe kühn den schwersten Kampf,
Laß, von dieser Leidenschaft,
[92] Deinen freigebornen Geist
Nicht zu früh in Ketten schlagen;
Sie wird deiner besten That
Des Verdienstes Kranz entreißen.
Freilich, auch die Liebe, sagt man,
Kann zum Heldenwerk begeistern.
Und warum die Liebe nur?
Auch die Rachgier; auch Verzweiflung,
Auch der Trunkenbold im Rausche,
Kann vollbringen, was der Held;
Auch der Söldner stirbt für Geld;
Ja doch, Sumpfluft leuchtet! Aber
Sumpflicht ist kein Himmelslicht.
Was durch die Jahrhunderte
Will in ew'gem Glanze flammen,
Muß aus höhern Welten stammen,
Wo die Tugend, frei und herrlich,
Fremd dem Staube, ihre Fahne
Für die Gottessache schwingt.
Still, dort drüben, durch die Hallen,
Tritt der Herzog schon heran.
Laß uns ihm entgegen eilen.

Ab.
FLODOARDO
allein.
Was ist Macht, was Gold und Weltruhm?
Armes Spielzeug armer Seelen,
Die des Himmlischen entbehren.
Rosamunde, – ein Gedanke
Nur an Dich, du Wunderbare,
Und die Güter dieses Lebens
Fallen tief in ihrem Werth.
[93] Mich durchschauert Gotteskraft,
Die aus mir ein höh'res Wesen,
Zu dem Höchsten auserlesen,
Und zum Schwersten mächtig, schafft.
Laß mich kämpfen, – laß mich ringen!
Kann ich auch mein höchstes Gut,
Kann ich's endlich nicht erschwingen:
O so gilt mir, für's Gelingen,
Doch des Wollens stolzer Muth!
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Der Doge. Canari. Flodoardo.

FLODOARDO
dem Dogen entgegeneilend.
Gnäd'ger Fürst ... durchlauchter Herzog ...
DOGE.
Flodoardo Mocenigho,
Seid uns im Palast willkommen.
Dankbar grüßt, durch meinen Mund,
Euch das Volk der hundert Inseln.
Der Senat der Republik,
Willig, das Verdienst zu krönen,
Wird mit Markus goldnem Orden
Euer doppeltes belohnen.
FLODOARDO.
Pflichten gegen Vaterland
Sind nur Schulden, nicht Verdienste.
Wer, wie ich, die Schuld entrichtet,
Hat nichts Uebriges gethan.
[94]
DOGE.
Die Banditen hatten jede
Oeffentliche Sicherheit
Der Lagunen aufgehoben.
Wie von ganz Italien,
Wurden sie Venedigs Plage.
Ihre blut'ge Gilde wußte
Sich in eine Nacht zu hüllen,
Deren Finsterniß sogar
Auch dem Auge von Venedigs
Weltberühmter Polizei
Undurchdringlich worden war.
Ueberraschend habt Ihr aber
Euern Meisterstreich vollführt.
FLODOARDO.
Was geschehn ist, scheint mir wenig,
Für die Sicherheit des Staates.
Denn da, wo sich Raben sammeln,
Muß ein Aas sein, das sie lockt.
Wäre dieses erst entdeckt,
Läg's im Grund des Meer's vergraben:
Ohne anders flöhn die Raben.
DOGE.
Ihr sprecht räthselhaft, in Bildern.
Redet klar. Vermuthet Ihr
Böse Geister andrer Art,
Die im Staat Verderben brüten,
Und das Mordgesindel locken?
FLODOARDO.
Laßt mich schweigen, gnäd'ger Herr.
Warum sollt' ich Argwohn säen?
[95] Schlimmer, als die schlimmste Wahrheit
Ist der Glaube des Verdachts.
Würde meiner Ahnung aber
Jemals das, wovon sie nur
Noch der Schatten ist, begegnen ...
DOGE.
Wohl! Ich bau' auf Eure Treue.
Habt Ihr Kunde von dem Gauner,
Den sie Abellino nennen?
FLODOARDO.
Keine andre, als das Zeugniß
Der Banditen auf der Folter,
Daß er Ihrer einer sei;
Was ich ohnehin schon wußte.
DOGE.
Wahrlich, jedes andre Beispiel
Von vermessener Verruchtheit
Bleibet hinter dieses Menschen
That von gestern weit zurück;
Und ein Wunder, daß das Schrecken
Bei dem grauenvollen Schauspiel
Nicht das Leben meiner armen
Rosamund' auf ewig brach.
Er beschleicht sie; überfällt sie;
Nennt sich ihren Engel; spricht,
Glaub' ich, gar von seiner Liebe; –
Dann, da sie um Hilfe schreit,
Und ein fremder Mann herbeieilt,
Sticht er meuchlings diesen nieder,
Und wird plötzlich unsichtbar.
War's Verrücktheit oder Frechheit?
[96] Für die Frechheit scheint der Frevel
Mir zu albern und zu planlos;
Für Verrücktheit allzuklug.
CANARI.
War der Mensch des süßen Weins voll,
Konnt' er Eins und Andres sein.
Wahnsinn und Schamlosigkeit
Sind ja für den trunknen Zecher
Stets die Neig' im leeren Becher.
Uebrigens der Tollkopf wird
Seinem Galgen nicht entwischen.
DOGE.
Er, allein noch von der wüsten
Bande, streicht jetzt frei umher.
FLODOARDO.
Ohne Zweifel hielt ich ihn
Mit dem andern Volk gefangen;
Aber finster war's im Schlupfloch.
Plötzlich hörte man die Scheiben
Eines Fensters klirrend springen.
Die Soldaten stürzten nach,
Und erkannten hell im Mondschein
Eines Fliehenden Gewand.
In Venedig wird er schwerlich
Sein Gewerbe länger treiben;
Denn der Armensünder-Glocke
Dumpfer Ton hat ihm das Schicksal
Seiner Bande heut verkündet,
Und das seine ihm geweissagt.
4. Auftritt
[97] Vierter Auftritt.
Die Vorigen und Dandolo mit einem Papier in der Hand.

DOGE.
Ha, Freund Dandolo! willkommen!
Seht, wie finster ist sein Gruß.
Keine schwarze Wetterwolke,
Welche Hagelschauer trägt,
Wie sie stumm von ferne steht,
Droht so düster. – Nun, was gibt es?
DANDOLO.
Wie Ihr's saget: Hagelschauer.
CANARI.
Stets der alte Hiobsbote!
DANDOLO.
Ja, ein Hagelschauer ist's,
Der die Sicherheit der Stadt,
Der die Freude jedes Hauses,
Der die Ehre unsrer Namen,
Der den Ruhm der wohlbewährten
Alten Ordnungen des Staats
Niederschlägt, wie dürre Halmen!
DOGE.
Redet, gebt die bittre Neuheit
Uns nicht tropfenweis zu trinken.
DANDOLO.
Gnädiger Herr, ein einz'ger Mann
Spottet unsrer Macht und Vorsicht;
Füllt die Stadt mit Schrecken an.
Er bedroht in offner Fehde
[98] Zehner-Rath und Signoria. –
Abellino ist sein Name.
Urtheilt! eben diese Nacht,
Da die Rotte der Banditen
Ihren Untergang gefunden,
Schlug er furchtlos Aufrufzettel
An die Kirche von St. Marcus,
An das Thor des Arsenals,
Und bei der Rialto-Brücke,
Selbst an Euern Palast an.
CANARI.
Ei, das klingt mir fast, als spiele
Satan bei uns Karneval.
DANDOLO.
Wollt Ihr's, gnäd'ger Herr, gestatten,
Les' ich diesen Zettel ab.
DOGE.
Wie's beliebt.
DANDOLO
lesend.
»Venetianer!
Leider sah die letzte Nacht
Unsre tapfern Bravo's Alle
Zu der Seufzerbrücke wandeln.
Alle starben heldenmüthig
Durch die Rache unsrer Feinde.
Darum aber zage Niemand.
Einer lebt noch, der bin Ich!
Wer mich anruft, soll mich finden;
Wer mich haschen will – den Dolch.
Kommt! – Ich sehne mich, die Schatten
Meiner Brüder in dem Blute
[99] Der Tyrannen zu versöhnen.
Mög' es Dog' und Signoria,
Zehner-Rath und Jeder wissen;
Keinen fürcht' ich.
Abellino.«
DOGE
nach einiger Stille.
Ist der Blutmensch Abellino
Keinem Irrenhaus entlaufen:
So äfft uns durch ihn die Hölle.
Er, der gestern noch es wagte,
Gleichsam unter unsern Augen
Eine Mordthat zu vollbringen, –
Beispielloser Frevelmuth? –
Heute, mitten unter uns,
Ruft der Gaunerkönig höhnend,
Vor dem Angesicht Europa's,
Unsre Ohnmacht aus und Schande.
Tausend biet' ich der Zechinen,
Aus dem eignen Schatze, jedem,
Der das Ungeheuer tödtet.
Dandolo, – Canari, folgt mir,
Die Pregadi sind versammelt.
Euch, Herr Ritter, werd' ich bei mir
An der Tafel heut erwarten.

Mit Dandolo und Canari ab.
FLODOARDO
allein.
Eine Handvoll rothen Goldes
Will er um das Wagstück bieten?
Und nicht mehr. – Gibt es nichts Beßres?
Ach, der Welt verwöhnter Sinn
Kennt nichts Edleres, als Gold.
[100] Was dem Menschen die Natur
Als ihr Schönstes angewiesen:
Leben, Liebe, Ruhm und Tugend ...
Alles wiegt – ein Goldstück auf.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Rosamunde und Flodoardo.

ROSAMUNDE
betroffen.
Signor ...
FLODOARDO
eben so.
Mein erlauchtes Fräulein ...
ROSAMUNDE.
Ah, wie bin ich überrascht!
Eben, Signor, war't Ihr noch
Mein Gespräch mit Iduella.
Doch wir ahneten so nah uns
Nicht den Helden dieses Tages.
FLODOARDO.
Ueberglücklich preis' ich mich,
Im Geheimniß Eurer Seele
Fortzuleben, ...
ROSAMUNDE
mit verbindlichem Lächeln.
Mein Herr Ritter,
Wohl beneidenswürdig wäret Ihr,
Wenn Euch das beglücken könnte!
Denn, so lang' ich nicht vergesse,
Daß ich Ehre, Freiheit, Leben,
[101] Euerm Muthe danken muß,
Werdet Ihr in vollem Maße
Jenes Ueberglücks genießen.
Fast indessen will es scheinen,
Ist's mit der Genügsamkeit,
Die Ihr äußert, kaum ein Ernst.
Es sind angenehme Worte.
Worte tauscht man aus wie Münzen,
Achtet einzig aufs Gepräge,
Wenig auf den innern Werth.
Doch zuletzt bei Tausch und Täuschung
Findet jeder seine Rechnung.
FLODOARDO.
Glaubt Ihr? – Gönnet mir's, zu zweifeln.
Keiner lernet vom Gepräge
Schöner Worte, schöner Münzen,
Wie er steht, wie reich er ist.
ROSAMUNDE.
Niemand auch, der leicht sich dünket,
Weiß dabei, wie arm er ist:
Alles wohnt in Täuschung glücklich.
Doch die Täuschung, die uns treu bleibt,
Gilt der besten Wahrheit gleich.
FLODOARDO
mit wachsender Lebhaftigkeit.
Nimmermehr. O, das ist Hofgeist,
Denkart aus der feinen Welt;
Oder eines Menschenfeindes,
Dessen Herz die Welt belog.
Nein, der Thau der Morgenröthe,
Wenn er auf der Lilie bebt,
[102] Glänzt so lauter nicht, so klar,
Wie in Stimme, Blick und Zügen
Euer ganzes Wesen lebt.
Dieses Aug', aus dem der Himmel
Reiner Güt' und Unschuld lächelt, –
Warum wollt' es denn betrügen?
O wenn solche Lippen lügen,
Glaub' ich keinem Himmel mehr.
Alles Heil'ge, alles Wahre,
Ist dann hohle Gaukelei;
Und die Tugend bloß ein Irrlicht
Uns'rer kranken Phantasie.
ROSAMUNDE.
Welch ein Aufruhr eines armen,
Mißverstandnen Wörtchens willen!
Sagt' ich denn, ich woll' Euch täuschen?
Würd' ich's dürfen, wenn ich's wollte?
Wer in Wahn und Täuschung fällt,
Hat sich, glaubt es, seine Falle
Meist mit eigner Hand gestellt.
FLODOARDO.
Nun denn, mag auf dieser Erde
Alles eitel Blendwerk sein,
Und der blöde Geist oft irren:
Doch das Wahre, doch das Schöne
Und das Heil'ge ist kein Wahn.
Darum will ich an Euch glauben,
Und in diesem Glauben mich,
Ueber Wahn und Trug im Leben,
Zu dem Wahren und dem Schönen,
Und dem Heiligen erheben.
[103]
ROSAMUNDE
verlegen und erröthend, indem sie eine Rose von ihrem Busen nimmt und damit spielt.
Lieber Ritter ... wenn ich ... laßt uns
Dies Gespräch ... und diese Richtung ...
Meine Hochachtung für Euch
Will mir nicht erlauben ... Ritter ...
Worte, wie die Euern, schwächen
Meine Zuversicht in Euch.
FLODOARDO
betreten.
Fräulein, Ihr verkennt mich schwer!
Treues Zeugniß von dem Innern
Meines Herzens legt' ich ab; –
Und Ihr wähnt, gemeines Schmeicheln
Eines Höflings anzuhören;
Und vermengt mich mit dem Haufen
Fader Süßlinge, die Euch
Täglich ihren Weihrauch opfern.
Oder, was in meinen Worten
Hat die Achtung, die die Welt,
Hat die Ehrfurcht, die mein Herz
Für Euch fordern kann, verletzt?
Euer Mißtraun ... nehmt es von mir,
Denn es stürzt mich in Verzweiflung.
ROSAMUNDE.
Nicht doch! Warum gebt Ihr
Meiner Rede diesen Sinn?
Nein ... nur wenn Ihr jene Sprache
Schwärmerischer Trunkenheit ...
Mein Verhältniß, und ... das Eure ...
[104]
FLODOARDO
mit Ehrerbietung.
Niemals werd' ich mich vermessen
Fräulein, Eurer Fürstlichkeit,
Und der Stellung zu vergessen,
Daß Ihr meine Herrin seid.
ROSAMUNDE
lebhaft.
Nein! O das nicht! Warum zürnet Ihr?
Warum spottet Ihr mich Herrin? – –
Edler Retter meines Lebens,
Ich beschwör' Euch, seid nicht grausam.
Sprecht, was fordr' ich denn? Nur Schonung,
Nur Beachtung einer Grenze,
Die um uns die Sitte zog;
Einen heiteren Verkehr nur
Zwischen Euch und mir, den nicht
Die Verleumdung lästern darf.
Zweifelt nicht an meines Herzens
Ewiger Erkenntlichkeit.
Mein Gebet preis't Euch vor Gott
Flodoardo Mocenigho,
Nein, verkennet mich nicht länger,
Glaubet mich nicht undankbar.
Viel schon habe ich gesonnen,
Nicht, wie ich vergelten könne,
Was Ihr einst für mich gewagt;
Sondern einzig ...
FLODOARDO.
Haltet ein!
Könnt' Ihr mich betrüben wollen?
Nichts hab' ich für Euch gewagt.
[105]
ROSAMUNDE.
Nichts, als Euer eignes Leben.
FLODOARDO.
Es gehörte mir nicht an,
Seit ich Euch gesehen hatte.
ROSAMUNDE.
Nun, verschmähet Euer Stolz denn
Die Beweise meines Dankes,
O so, bitt' ich, helft mir sinnen,
Daß ich Euch ein Zeichen gebe,
Wie ich, edler Mann, Euch ehre.
FLODOARDO
schüchtern.
Darf ich kühn ein Zeichen fordern,
Nur ein Zeichen Eurer Huld?
Sorglicher, als je ein König
Seinen Schatz bewachen ließ,
Als die Kirch' ihr Heiligthum,
Werd' ich's hüten und bewahren.
Wie die Andacht vor dem Bilde
Ihres Heil'gen kniet und betet,
Will ich, wenn ich Euch nicht sehe,
Vor der Gabe Eurer Hand
Meinen Geist zu Euch erheben ...
Darf ich ... Fräulein ... darf ich fordern?
ROSAMUNDE.
Und was muß ich ...
FLODOARDO.
Diese Rose,
Die in Euern Händen blüht!
ROSAMUNDE.
Diese Blume nur?
[106]
FLODOARDO.
Betrachtet
Die Bedeutungsvolle wohl.
Nicht umsonst führt sie den Namen
Einer Königin der Blumen,
Denn sie trägt die schönen Farben
Dessen, was die Welt beherrscht.
Diese süße Glut, im Innern
Ihres Busens, nennt sich

Halblaut.

Liebe;
Und das dunkle Grün der Blätter
Deutet auf die stille Hoffnung.
ROSAMUNDE
erröthend.
Warum wollt Ihr ... warum wendet
Ihr Euch stets zu dieser Sprache?
Ritter ... müßt' ich den Tod
Für Euch wandeln, o wie freudig!
Aber ... nur nicht diese Sprache!
Wählt, erhöret meine Bitte,
Wählt Euch Andres ...
FLODOARDO
zu ihren Füßen mit flehender Stimme.
Diese Rose!
ROSAMUNDE
hinwegblickend.
Stehet auf, so sollen wir
Nicht beisammen sein.
FLODOARDO.
Verstoßt mich,
Aber lasset mir die Rose,
Und die Blume wird mich trösten,
Wird zu dem Verbannten sagen:
[107] Rosamunde denket dein!
Darf ich ...

Er streckt die Hand zur Blume.
ROSAMUNDE
will ihm die Blume rasch entziehen.
Die Rose fällt vom Stengel zu Boden.
Ach! Sie ist gebrochen!
FLODOARDO
nimmt die Rose von der Erde, steht auf und betrachtet schweigend die Blume.
Ach, ihr laßt mir wohl die Liebe,
Aber traurig – ohne Hoffnung!
ROSAMUNDE
halblaut mit gesenkten Augen.
Und die Ros' habt Ihr genommen,

Sie drückt den grünen Stengel an ihre Brust.

Und – die Dornen mir gelassen.
FLODOARDO.
Nein, laßt mich die Dornen tragen,
Gebt sie mir, und mir die Hoffnung!
O, ich will die Schmerzen segnen,
Welche solche Hoffnung bringen.
ROSAMUNDE
traurig.
Bald verdorrt das grüne Laub,
Und die Rose wird entblättert;
Nur die Dornen bleiben immer!
Nur die Dornen! – Wehe mir!

Sie verhüllt das Gesicht.
FLODOARDO
mit ängstlichem Ungestüm.
Fräulein! Fräulein! – Höret mich!
Nein, ich wollt' Euch nicht beleid'gen.
[108] O verzeiht. Ich war im Wahnsinn
In den tiefsten Abgrund wünsch' ich
Meine Unbesonnenheit und mich.
Weinet nicht. Denn jede Zähre
Steigert meine Schuld und klagt
Meinen Frevel herber an.
Ich will fliehn mit meiner Liebe
In die weite, öde Welt;
Will, die Sünde abzubüßen,
Ewig Euer Antlitz meiden. –
Wein't nicht! Lebet wohl! Verzeiht!
ROSAMUNDE
ihn anlächelnd.
Zögert einen Augenblick! –
Thränen sind der Zoll der Schwäche.
Und Ihr waret nur der Zeuge
Weiblicher Gebrechlichkeit.
Kaum noch Eurer Achtung würdig,
Steh' ich hier vor Euch verrathen. –
Ja, Ihr wißt, an wen ich glaube!
Unter allen Sterblichen
Hab' ich meine Ruh' und Ehre
Euch, nur Euch anheimgestellt.
Ja, Ihr wißt, in wem ich lebe;
Daß mir Erd' und Himmel nun
Keine Lust und Freude spenden,
Als durch Euch, aus Euern Händen.
Nun übt Großmuth, edler Freund,
Großmuth ist des Mannes Krone!
Tief vergrabt in Eurer Brust,
Das Geheimniß meiner Leiden,
Das Geheimniß meiner Lust.
[109] Liebt mich, wie die Gottheit liebt,
Nur durch Thaten, ohne Worte.
Plaudert mit ihr in Gedanken,
Früh und spät, in allen Träumen;
Aber stumm bleib' Eure Lippe,
Still, wie der verschwieg'ne Tod.
Selbst die Augen laßt verstummen.
Gleich beschneieten Vulkanen,
Tragt das Herz voll ew'ger Flammen, –
Aber Blicke, kalt, wie Eis ...
Nun lebt wohl! Man wird mich suchen!

Sie will sich entfernen.
FLODOARDO.
Einen Augenblick verweilt!
Denn ich träume, fiebre, schwindle!
Weiß nicht, ob Ihr selbst es seid,
Oder ob ein schöner Wahnsinn
Zaubereien vor mir treibt?

Er kniet und küßt ihre Hand.

Laßt die treue Wirklichkeit
Meine Sinne überwiegen ...
Rosamund'! es ist kein Wahn.
Ja, der Himmel aller Sel'gen
Ist mir Sel'gen aufgethan,
ROSAMUNDE
entzieht sich und geht einige Schritte.
Lebet wohl! – Ich höre Rauschen.
Sorgt, daß Ungeweihte nicht
Mit Verrätherohren lauschen!
[110]
FLODOARDO
steht auf.
Eins nur! – Ach, das Eine noch!
Liebe gabt Ihr mir und Glauben,
Nur die Hoffnung wollt Ihr rauben?
ROSAMUNDE
der Rosenstengel zittert in ihrer Hand.
Sie läßt ihn fallen und geht langsam zur Thür, von der sie gekommen war.
FLODOARDO
hebt ihn auf, drückt ihn an sein Herz, und eilt zum Hintergrunde nach der entgegengesetzten Seite.
Auch die Hoffnung läßt sie mir!

Er bleibt stehen, wendet sich und streckt die Arme nach Rosamunden.

Rosamunde!
ROSAMUNDE
sieht, stehen bleibend, zurück.
Flodoardo!

Sie läßt die halberhobenen Arme mit einem Seufzer sinken und entfernt sich schnell. Eben so Flodoardo auf der andern Seite.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Im Zimmer des Signor Parozzi. Auf dem Tische Weinflaschen und Gläser.
Parozzi und Memmo treten ein.

PAROZZI.
Seid verdammt, Ihr trägen Schnecken!
Einer heute, Einer morgen,
Und ist doch so viel zu thun!
MEMMO.
Ist dein Pförtner sicher drunten?
Kennt er unsre Leute wohl!
[111] Daß kein ungebetner Gast
Uns im Besten überrumple?
PAROZZI.
Der ist wohlverwahrt. Sei ruhig
Brüderchen, was gibt es Neues?
MEMMO.
Höllenlärmen in der Stadt!
Unsre Bravo's sind gehangen.
PAROZZI.
Friede sei mit ihrer Asche.
MEMMO.
Und das Beste: In den Foltern
Sagte Keiner auf uns aus.
PAROZZI.
Ja, der Einz'ge, der uns kannte,
Fiel durch fremden Dolch zuerst,
Durch den Teufel Abellino.
MEMMO.
Richtig! Der mit Anschlagszetteln ...
PAROZZI.
Das ist weltbekannter Plunder!
Sonst nichts Neues?
MEMMO.
Die Geschichte
In dem Dolabella-Garten ...
PAROZZI.
Alte längstverlegne Waare!
MEMMO.
Brüderlein, hier unter uns:
Sage ehrlich, hast du wirklich
Den Matteo hingeschickt?
[112]
PAROZZI.
Und wohin?
MEMMO.
Ei, du verstehst mich!
Um des Dogen spröde Nichte
Für das Körbchen abzustrafen,
Das sie, glaub' ich, dir gelieh'n.
PAROZZI
auffahrend.
Mensch, wer hat dir das gelogen?
MEMMO.
Ei, ich dacht' es nur bei mir.
PAROZZI.
Du verdientest, in Gesellschaft
Deiner albernen Gedanken,
Einen Pfahl und einen Strick.
MEMMO.
Nun, man weiß ja doch, Parozzi,
Daß du ihr den Hof gemacht;
Daß ...
PAROZZI.
Nichts weißt du, sag' ich, nichts!
Aber willst du etwas wissen,
Mag ich's dir wohl anvertrau'n.
Doch sub rosa! Und ich hab' es
Aus unmittelbarer Quelle,
Vom Bandit Matteo selbst.
MEMMO.
So erzähl'; ich kann ja schweigen.
PAROZZI.
Früher oder später wird
Die Signora dennoch endlich
[113] In die bess're Welt verschickt.
Denn sie weiß um ein Geheimniß,
Welches, würd' es je verrathen,
Einen großen heil'gen Namen
An den Pranger schlägt. Nun ist
Weiberzungen nicht zu trau'n,
Wenn sie ein Geheimniß brennt.
MEMMO.
Weiter doch, ich bin ganz Ohr.
PAROZZI.
Unser frommer Herr Abbate,
Dessen andachtsvoller Wandel
Jedes Christenherz erbaut,
Dessen Wort und heil'ge Hand
Wunder unter uns verrichtet ...
Heil'ge haben Fleisch und Blut,
Haben ihre schwachen Stündchen,
Gleich uns Kindern dieser Welt! –
Ließ vom bösen Geist sich plagen,
Sich, als Seelenbräutigam,
Rosamunden anzutragen.
MEMMO
hämisch lachend.
Ei verflucht!
PAROZZI.
Darauf begab's sich,
Beide waren jüngst beisammen,
Ob zum Beichten oder Beten
Ist mir wahrlich unbekannt; ...
Kurz, der Heil'ge kam in Flammen.
[114] Und vergaß sich so, daß er ...
Still! Mich dünkt, ich höre kommen.

Er geht gegen die Thür.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Die Vorigen. Falieri.

PAROZZI.
Ha, bist du's? Warum so spät?
Nun fehlt uns noch Contarino
Und Abbate Tolomeo.
FALIERI.
Wartet nicht auf Tolomeo,
Denn er ist beim Nuntius.
PAROZZI.
Um den Handel abzuschließen,
Den wir gestern ihm geboten?
Alles, Alles geht vortrefflich.
Schon die meisten Klöster wirken
Für uns thätig auf das Volk.
Rom verleiht uns Gold und Segen
Für die Hoffnung, daß wir bald
Die Gewalt des heil'gen Stuhls
In Venedig mehren werden.
Auch das Arsenal ist unser,
Jeden Tag, wann wir es fordern.
FALIERI.
Wirklich? O du Tausendkünstler!
Ist der alte, blöde Fuchs
[115] In die Eisen dir gelaufen?
Sprich doch!
PAROZZI.
Er hat angebissen!
Lange sperrte sich der Hauptmann!
Endlich rollt' ich sein Gewissen
Ohne Müh, wie einen Faden,
Ueber hundert kleine Rollen
Voller goldenen Dukaten.
MEMMO.
Und nicht zu vergessen, Leutchen,
Immer ärger schimpft Janhagel
Auf den Dogen und sein Kleeblatt.
Seht doch, heißt es, den Tyrannen!
Herrscht er nicht mit Eigenmacht
Unbedingter, als ein König?
Müssen nicht die Signoria,
Die Pregadi und Quaranti,
Und die Savi und die Capi,
Stumm nach seinem Pfeifchen tanzen?
Sind nicht die Inquisitoren,
Und der ganze Zehner-Rath
Sammt und sonders, Gliederpuppen,
Welche die Holzköpfe schütteln,
Heben, bücken, nicken lassen,
Wie er sie am Drahte zupft?
FALIERI.
Alle Karten liegen gut!
Nur einmal das Spiel begonnen!
PAROZZI.
Doch bei Bechern nicht und Mädchen,
[116] Und nicht an der Pharobank,
Wird die Kraft der Republik,
Und die Freiheit hergestellt.
Kinder, es ist hohe Zeit!
Täglich stürzen wir uns tiefer
In das weite Meer der Schulden,
Wo zuletzt der beste Schwimmer
Jämmerlich ertrinken kann.
MEMMO.
Freilich; ja! Das sag' ich immer,
Morgens aus den schönsten Träumen
Pochen Gläubiger mich wach!
Abends schläfern sie mich wieder
Mit Jeremiaden, ein.
FALIERI.
Sämmtlich sind wir Patienten
In dem gleichen Lazareth.
MEMMO.
Seht Ihr, sagt' ich Euch nicht immer:
Lasset uns fein züchtig leben?
Aber das war Wind in Wind.
PAROZZI.
Kyrie Eleïson!
Schweigt von Eurer Reu' und Buße!
Wollet Ihr, wie Cato, Brutus,
Für die Republik Euch wagen?
Oder feigen Knaben gleichen,
Die, der Ruthe zu entwischen,
In der Herzensangst, den Aeltern
Ueberm Kopf das Haus verbrennen?
Meinerseits beklag' ich nicht,
[117] Daß ich etwas Wildfang war;
Nicht mit andern Alltagsmenschen
Hinterm Tisch zusammenschnurrte,
Federn schnitzte, Männchen malte
Und vor einer Maus erschrack.
Kühne Geister unserer Art
Sind der faulen Welt vonnöthen,
Wie Sturmwinde der Natur,
Die den stillen Sumpf der Luft
Frei von giftg'en Dünsten fegen.
Geister unsers Gleichen treiben
Die Gewohnheit aus dem Gleise,
Brechen, was unhaltbar ist,
Daß das Bess're Raum gewinne;
Spornen Kräfte, wecken Leben,
Und beflügeln neu das Streben
Der entschlafften, trägen Menschheit
Zu den Zeilen der Vollendung.
MEMMO.
Ganz vortrefflich! Unterdessen,
Eh' wir für die Menschheit sorgen,
Thu'n wir, glaub' ich nicht gar übel,
Erst an unser Haus zu denken. –
Wie, wenn all' die schönen Plane
Für Venedigs Freiheit scheitern?
Wie, wenn das Despotenjoch,
Das wir zu zerbrechen schwören,
Stärker hält, als wir vermuthen?
Seht, ein Feldherr vor der Schlacht
Hält zwar nur den Sieg im Auge,
[118] Doch bereitet er mit Umsicht
Auch den sichern Rückzug vor.
PAROZZI.
Jetzt liegt, Alles gegen Alles,
Da, auf einer einz'gen Karte.
Mög' es enden, wie es wolle,
Mit Verderben oder Sieg,
Stets, und das bleibt unser Trost,
Endet glanzvoll unsre Rolle.
Hinter sich darf Niemand schau'n;
Jedem von uns droh'n im Nacken
Schand und Elend oder Tod.
Vor uns aber winkt ein Ziel,
Werth, das Leben dran zu setzen.
Alles schon ist angebahnt,
Jeder Zufall schon berechnet;
Und die Augen uns'rer Feinde
Sind durch Zauberhand geblendet,
Bis die Pulvermine springt,
Und der Abgrund sie verschlingt. –
Alles oder nichts! va banque!
Bald entweder stehen wir glorreich,
Schöpfer einer neuen Schöpfung;
Oder wir, und unsre Feinde,
Finden gleichen Untergang
Im Zusammensturz des morschen
Tausendjährigen Gebäu's!
Und die alterthümlichen
Ungeheuren Trümmer werden
Uns ein majestätisch Grab.
[119]
MEMMO.
Majestätisch oder nicht;
Grab bleibt doch am Ende Grab.
FALIERI
zu Memmo.
Sieh, Parozzi möchte sagen:
Wenn's mit Brutus hinken will,
Muß man Catilina spielen.
Und am Ende hat er Recht.
Oder sollten wir, wie andre
Arme Schlucker unsers Adels,
Säck' aus unsern Mützen machen,
Um vom Markt uns selber drin
Mageres Gemüs zu betteln?
MEMMO.
Horch! – Mir däucht, die Pforten gehn!
Das ist Riegelschlag, Parozzi!
PAROZZI.
Still! der schreitet schwer und langsam
Durch den Gang. Es ist ein Fremder.

Eilt zur Thüre.
FALIERI.
Wenn's nicht Tolomeo ist!
8. Auftritt
Achter Auftritt.
Die Vorigen. Contarino.

PAROZZI.
Ha, willkommen, Contarino!
MEMMO.
Ei, wie bist du blaß und matt!
[120]
FALIERI.
Hast du mit den holden Phrynen
Wiederum die Nacht verschwärmt?
CONTARINO.
Einen Sessel her!
PAROZZI
gibt ihm den Stuhl.
Was fehlt dir?
CONTARINO.
Um zehn Pfunde meines Blutes
Bin ich leichter heut denn gestern;
Und trotz dem mir noch zu schwer.
MEMMO.
Ist dir Unglück widerfahren?
CONTARINO.
Wein her! Habt Ihr alten Cyprer?
Oder Sect? Lacrymä Christi
Vom Vesuve? Malvasier?
Gebt vom stärksten! Denn der Starke
Soll des Schwachen Stütze sein.
PAROZZI
gießt ihm Wein ein.
Hier vom ältesten Falerner,
Derb und hochroth wie Rubin;
Süß und durch die Nerven brennend,
Wie der Kuß der ersten Liebe.
CONTARINO
gibt ihm das leere Glas zurück.
Nicht zu viel gelobt! – Da Capo!
Rother Wein setzt rothes Blut.
FALIERI.
Wirklich? wurdest du verwundet?
Wie? und wo denn? und von wem?
[121]
CONTARINO
während er trinkt.
Wie? Durch eine Degenklinge.
Wo? im Neste unsrer Bravo's.
Und von wem? Von dem verdammten
Flodoardo Mocenigho.
Drei ist guter Dinge Zahl,
Füllt noch einmal den Pokal!
MEMMO.
Schlug der Milchbart dich gefährlich?
CONTARINO.
Ich versichere dich, auf Ehre!
Seine Klinge, ohne Milchbart,
Fuhr mir sieben Zoll lang – schau!

Zeigt das Pflaster auf entblößter Brust.

Scharf, durch Wams und Hemd und Fleisch,
Bis hinunter auf die Knochen.

Er trinkt.
MEMMO.
Brr! Mich fröstelt's, wie im Fieber.

Er füllt sich am Tisch ein Glas.

Hurtig, hurtig, Arzenei!
PAROZZI.
Contarino, jetzt berichte,
Wie geriethest du zu Händeln?
Dieser Flodoardo, heißt es,
Sei des Herzogs neuster Günstling.
Ohne Zweifel wird er nächstens
Einer unsrer Capi sein.
FALIERI.
Wenn er nicht zuvor den Hals bricht.
CONTARINO.
Schweigt und hört. Denn gestern war ich,
[122] Leider! Aug' und Ohrenzeuge
Der Verhaftung unsrer Bravo's.
MEMMO.
Alle Wetter! Du dabei!
PAROZZI
betroffen.
Du? Und wurdest du erkannt?
CONTARINO.
Schweigt und hört! Ich will erzählen.
Euerm Rathsbeschluß gemäß
Sollt' ich für den Inquisitor,
Für den lauernden Canari
Einen langen Schlaf bestellen.
Also spät am Abend gestern
Fahr' ich hin nach Malamocco,
Geh' zum mir bekannten Posten;
Huste dreimal. Man erwiedert
Das gegebne Zeichen mir.
Ich begehre nach dem Häuschen
Mit der rothen Ueberschwelle.
Man versteht mich. Mit verbundnen
Augen werd' ich von Kanal
Zu Kanal umhergefahren,
Stets von einem Kerl bewacht.
Mit der größten Vorsicht haben
Die Banditen ihren Wohnsitz
Gegen Freund und Feind verhehlt.
Darum bleibt's ein Räthsel, wie
Jener Spürhund Flodoardo
Sich zu ihrem Nest gefunden.
FALIERI.
Weiter, weiter!
[123]
CONTARINO.
Als den Augen
Wiederum zu sehn erlaubt ward,
Sahen sie, bei Licht und Qualm
Einer Lamp', im engen Zimmer
Mehrere handfeste Kerls.
Keinen kannt' ich, keiner mich.
Falscher Bart und Bauertracht
Hatten mich gar wohl verstellt.
Doch zum größten Unglück fehlte
Der, den ich gesucht, Matteo,
Dieser Bande Herr und Meister.
Ich entschloß mich, zu verweilen,
Und den Hauptmann zu erwarten.
Plötzlich stürzt ein junges Weib,
Leichenblaß mit stieren Blicken,
Durch die Thür herein und schreit:
»Nehmt die Flucht! Wir sind verrathen!«
Alle stehn, wie angedonnert.
Und es drängen Hellebarden,
Degenklingen, Feuerröhre,
Durch die schmale Thür herein.
Flodoardo Mocenigho,
An der Sitze der Soldaten,
Ruft mit wahrer Bärenstimme:
»Namens unsrer Republik,
Ohne Widerstand, ergebt Euch!«
FALIERI.
Welcher Teufel zündete
Diesem Wagehals hieher?
[124]
MEMMO.
Die Geschichte macht mich todtkalt.
CONTARINO.
Jetzt ein fürchterliches Brüllen
Der Verrathnen. Jeder greift
Fluchend zu der nächsten Waffe.
Flugs erlischt das Lampenlicht;
Tisch und Bänke stürzen nieder,
Und die Finsterniß wird nur
Noch vom Monde matt gebrochen.
Mitgefangen, mitgehangen!
Dacht' ich, und lief mit dem Schwerte
Flodoarden auf den Leib.
MEMMO
bedenklich.
Mitgefangen, mitgehangen!
CONTARINO.
Aber meine Hiebe glitten
Von ihm ab als wär' er Stahl.
Denn sein Degen flatterte
Rings um ihn, wie Blitz, und schien
Hundert Klingen auszustrecken.
Plötzlich schlitzt' er mir die Brust auf,
Blutend zog ich mich zurück.
Ein'ge Flintenschüsse fielen.
Ich erkannt' im Pulverblitz
Eine unbesetzte Thür;
Floh durch eine Winkelkammer,
Brach das Fenster durch, entkam
Ueber ein paar niedre Zäune
Zum Kanal, und war gerettet.
[125]
MEMMO.
Nun, das Kammerfenster sei
Von uns allen benedeit!
CONTARINO.
Jetzt genug von mir, Ihr Herren,
Und kein Wörtchen mehr darüber.
Nicht um meine Wunde klag' ich;
Aber daß ich sie vergebens
Für die große Sache trage.
Denn die Bravo's sind nicht mehr,
Und Canari lebt noch immer!
Er und Dandolo, der Finstre,
Gelten beid' im Volke viel;
Gelten beim Senat und Herzog;
Und, Ihr alle wißt's, sie sind
Unserm Treiben weit furchtbarer,
Als Senat und Signora.
Räumt Ihr sie nicht aus dem Wege,
Spielt Ihr grob verlornes Spiel.
PAROZZI.
Allerdings, wenn die vier Augen
Schlafen, schläft die Republik.
Hm, man muß von andern Orten
Ein paar Bravo's herbefördern.
FALIERI.
Und wie steht es mit den Geldern?
CONTARINO.
Rom will uns die Summen schießen,
Heute, morgen, wie's gefällt.
[126]
FALIERI
unmuthig.
Lieber borgt' ich von der Hölle!
Laßt Euch vor den Römern warnen!
Wagt Ihr Gut und Blut um Freiheit,
Um sie wieder zu verschachern?
Nichts gereichte unserm Staate
Vor der Welt zu höherm Ruhm,
Als der alte Widerstand
Gegen geistliche Gewalt;
Und Ihr werft den Ruhm der Väter
In den Koth, um Sündengeld!
Aller Tyranneien Gipfel
Bleibt die ungebundne Macht
Derer, die für Höll' und Himmel
Bind'- und Löseschlüssel führen;
Ohne Vaterland, und darum
Taub dem Ruf des Vaterlandes,
Ohne Gattin, ohne Kinder,
Fremd den zärtlichsten Gefühlen,
Lebt das halb erstarrte Herz
Nur im kalten Stolz der Selbstsucht.
Selbst der Kirche Majestät
Wird der Schemel ihres Hochmuths,
Und der Schleier ihrer Kühnheit.
MEMMO.
Frevler, dank' dem Himmel, daß dich
Kein Dominikaner hört!
CONTARINO.
Worte! Worte! – Lungenkraft,
Die das Ohr füllt, nicht den Beutel!
[127] Oder willst du in der Wüste
Uns der zweite Moses werden?
Wohl, so schlage frische Quellen
Aus dem dürren Fels hervor.
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
Die Vorigen. Abellino schleicht, von Keinem bemerkt, bei Contarino's letzten Worten herein.

ABELLINO
mit vielen Verbeugungen.
Hollah! Hollah! guten Abend,
Oder gute Nacht, Ihr Herrn.
ALLE
voller Bestürzung durcheinander.
Wer da? – He, Verrätherei!
Ein Gespenst! – Was will der Schleicher?
PAROZZI
mit entblößtem Degen gegen ihn.
Mensch, wer bist du?
ABELLINO
sich verbeugend.
Abellino,
Eurer Herrlichkeit zu dienen.
ALLE
mit neuer Bestürzung.
Abellino? – Ist er das?
Was will dieser?
PAROZZI.
Wie gelangtest
Du herein, in den Palast?
[128]
ABELLINO.
Durch die Thür, – nein, glaubt Ihr's lieber?
Durch ein offnes Schlüsselloch.
PAROZZI.
Keinen Spaß zur Unzeit, Bursche.
Sprich, was suchest du bei uns?
ABELLINO.
Kundschaft.
PAROZZI.
Welche Kundschaft?
ABELLINO.
Wie Ihr fremd thut!
Habt Ihr, nach dem Tod der Bravo's,
Meinen Aufruf nicht vernommen? –
Eure Feinde sind die meinen;
Darum wend' ich mich zu Euch.
Zieht doch Eurer nackten Klinge,
Bitt' ich, wiederum das Hemd an;
Denn sie schämt sich; ist noch Jungfrau;
Und die Jungfrau'n – fürcht' ich nicht!
CONTARINO
zu Parozzi.
Fort, den Degen auf die Seite.
Kömmt der Kerl nicht, wie gerufen?
ABELLINO
mit Verbeugungen.
Eure Herrlichkeiten haben
Meiner also nicht vonnöthen?
Nun denn, – unterthän'ger Knecht!
Mein Geschäft ist abgethan.

Will sich entfernen.
PAROZZI
wirft den Degen weg.
Bleib!
[129]
ABELLINO
zurückkehrend.
Was steht noch zu Befehl?
CONTARINO.
Bleib! Wir könnten dich gebrauchen;
Scheinst dein Handwerk zu verstehn.
ABELLINO.
Zweifelt Eure Herrlichkeit
An den Wundern meiner Kunst,
Laßt sie ihre Proben machen.
Wen von Euren Herrlichkeiten
Langeweilet diese Welt?

Er mustert mit fragendem Blick.

Binnen zwei Minuten ist er
Schon ins Paradies gestellt.
Seht', ich streif' an ihm vorüber,
Regt kein Fältchen sich an mir,
Und er stürzt, an meiner Seite,
Wie vom Schlag getroffen nieder. – –
Ständ' er hundert Schritte weiter,
Schickt' ich ihm aus einer Windbüchs',
Ohne Knall und ohne Schall,
Blaue Pillen in den Magen.
Wenn's gefällt, ich zeig' Euch gern
Andre Taschenspielerstückchen;
Geh', zum Beispiel, hier am Schenktisch,
Wie von ungefähr, vorbei,

Er geht neben dem Tisch vorüber.

Und – Ihr seht nichts! – allen Bechern
Ist der Wein sogleich vergiftet.
[130]
MEMMO
schaudernd.
Gott sei bei uns! Neben diesem
Sind wir Sünder doch noch Engel!
FALIERI
argwöhnisch.
Gut! mach' an dir selbst das Pröbchen,
Leere diese Becher alle!
ABELLINO
trinkt ein Glas um's andere leer.
Meint Ihr, daß mich's nimmt? Hi, hi!
Kehl' und Magen salb' ich immer
Mit probatem Gegengift.
PAROZZI.
Scherz beiseite, Abellino!
Falls du treu bist und verschwiegen ...
ABELLINO
mit Unwillen.
Bei St. Peter und St. Paul.
Glaubt Ihr, ich sei Eures Gleichen?
Hat ein Bravo, der sein Wort gab,
Treu' und Glauben je gebrochen?
Haben meinen Kameraden
Siedend Pech und Folterstrick
Eine Silbe abgezwickt?
Oder glaubt Ihr, ich verhandle
Meine Kunst und meine Gunst,
Einer feilen Dirne gleich,
Jedem, der das Meiste bietet?
Längst schon könnt' ich der Regierung
Fettes Gnadenbrödchen schlucken,
Hätt' ich ihr von Euern Plänen
Nur ein Wort ins Ohr geflüstert!
Oder dort den Löwenhals
[131] Am herzoglichen Palaste
Mit Papierchen füttern wollen!
PAROZZI.
Welche Pläne? Kerl, was weißt du?
ABELLINO
die Finger auf dem Mund.
Daß ich Eure Heimlichkeiten
Besser, als Ihr selbst, verberge.
CONTARINO.
Mich bedünkt, ihm ist zu trau'n.
Abellino, sieh, wir wollen
Dich ganz königlich besolden.
Wahr' indessen deine Haut!
Unsre Staatsinquisitoren
Haben hundert Argusaugen
Und Briareus Riesenarm.
ABELLINO
füllt sich ein Glas und trinkt.
Mit Erlaubniß Eurer Gnaden!
Jedem ist sein Ziel bestimmt.
Ganz gewiß werd' ich gehangen,
Oder wenigstens geköpft,
Oder bei lebend'gem Leibe,
Wie Laurenzius, gebraten.
Immer bleibt's zuletzt der Tod;
Eine und dieselbe Speise,
Die in andrer Brühe schwimmt.
MEMMO.
Zeterkerl, mit seinen Späßen
Macht er einem Zähneklappern!
[132]
ABELLINO.
Oder müßt' ich mich denn schämen,
Selber ein Geschenk zu nehmen,
Das ich, mit freigeb'ger Hand,
So viel Ehrenleuten spende?
Doch kurz ab und rasch zur Sache.
Habt Ihr etwas zu bestellen?
CONTARINO.
Höre! Kennst du den Canari,
Den Großstaatsinquisitoren?
ABELLINO.
Allerdings.
CONTARINO.
Nun ... du verstehst mich.
ABELLINO.
Muß er dran? Nur er allein?
PAROZZI.
Dandolo ... auch Flodoardo ...
CONTARINO.
Erst Canari! Hörst du?
ABELLINO.
Sterben?
CONTARINO.
Ja doch!
PAROZZI.
Aber unverzögert!
ABELLINO.
Gut. Die Nacht schon wird er tief
Im Lagunenschlamme schlafen
FALIERI.
Wieviel forderst du dafür?
[133]
ABELLINO.
Nichts, als hundert Golddukaten,
Fünfzig heut zum Hand- und Aufgeld,
Fünfzig nach vollbrachter Arbeit.
PAROZZI.
Du bist theuer.
ABELLINO.
Das ist Taxe.
Seltne Waare, hoher Preis!
Was ist in Venedig seltner,
Als die unbefleckte Treue?
Als der Staatsmann ohne Ränke,
Als der Pfaffe ohne Stolz,
Als der Noble ohne Schulden?
Je rechtschaffener der Mann,
Um so besser muß man zahlen.
Denn der braven Leute sind ja
Wenig aus der Welt zu räumen.
Alltagsmenschen liefr' ich Euch
Jederzeit um halben Preis;
Und so liebe, lose Seelen,
Wie, zum Beispiel, unsers Gleichen,
Nun – ich gebe sie um Spottgeld.
MEMMO.
Meinerseits verbitt' ich höflich
Diesen Witz von »unsers Gleichen!«
Zahlt dem Kerl und laßt ihn ziehn;
Denn, wenn ich nicht irre, riecht er
Ganz nach Satans Schwefelpfuhl.
[134]
PAROZZI
wirft ihm einen Beutel zu.
Abellino, hier die Summe.
Morgen also ...?
ABELLINO.
Ist's verrichtet!
Eurer Gnaden, Herrlichkeiten,
Unterthän'ger Knecht! Adio!

Will fort!
CONTARINO.
He, wo treffen wir uns wieder?
ABELLINO.
Ueberall, an allen Ecken;
In der Kirche, im Theater,
Auf dem Markt und in der Messe.
Sorgt doch nicht! Ich häng' an Euch,
Wie Beelzebub am Sünder!

Schnell ab.

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Der Doge wandelt schwermüthig auf und ab. In einiger Ferne Flodoardo nachdenkend an einen Baum gelehnt.

DOGE
bleibt steh'n, trocknet die Augen.
Wirklich? – Thränen? Seltne Gäste,
Seit der Knabenzeit mir fremd!
O, der Mittag meiner Jahre
Ist vorbei! Der Abend kömmt.
Nur der Morgen und der Abend
Pflegen ihren Thau zu weinen;
Und der Greis ist wieder Kind.
Nein, ich würde so nicht trauern,
Waffenbruder, mein Canari!
Hätt' in offner See- und Landschlacht
Dir ein Todesengel lächelnd
Des Vollenders Kranz gereicht.
Aber du, so schmählich, meuchlings,
In dem mitternächt'gen Schlummer
Hingewürgt von tück'scher Faust;
Aus dem Bett, aus dem Palaste
[136] Bei den silbergrauen Locken
Jammervoll hinausgerissen,
Und ins Meer hinausgeworfen ...
O entsetzlich! – Warum schlief
Diese Nacht der Vorsicht Auge?
Warum hat des Schicksals Weisheit
Diesen makellosen Greis
An des Mörders Dolch geliefert,
Und, gewogner dem Verbrecher,
Diesen seiner Straf' entrückt?
Was frommt Gottesfurcht auf Erden,
Wenn der Himmel mit den Sündern
Gegen Heil'ge sich verschwört?

Er verhüllt das Gesicht.

Ruhig, Alter! – Ruhig, Wahnsinn!

Indem er Flodoarden erblickt, und sich ermannt, nach einer Pause.

Ihr noch immer dort, Herr Ritter?
FLODOARDO
herankommend.
Mein erlauchter Herr und Fürst!
DOGE.
Eure Trauer ist gerecht,
Meinen Freund hab' ich verloren;
Ihren Stolz die Republik!
Aber Ihr verlort den Vater!
Es entehrt des Mannes Wange
Nicht die Thrän' um solches Gut.
Doch verbannt das stumme Brüten
Dieses unfruchtbaren Grams.
Geht, und heilt ihn durch den Zorn
[137] Um die gräuelvolle That,
Bis das schwarze Blut des Mörders
Unterm Henkerbeile fließt,
Und die satte Rache wieder
Euch die erste Freude gönnt.
FLODOARDO.
Der soll nimmer uns entrinnen!
Ganz Venedig lärmt empört.
Hunderttausend Augen forschen
Auf dem Land und auf dem Meer
Nach dem Bösewicht umher.
Und in allen Häusern schallet
Laute Klage um Canari;
Denn er war der Schutzgeist Aller ...
Und ich – durft' ihn Vater nennen.
DOGE.
Kaum nur wißt selbst Ihr, wie brünstig
Euch das edle Herz geliebt hat;
Mit wie glänzenden Entwürfen
Es sich trug für Eure Zukunft.
Selbst zum Erben seiner Güter
Waret Ihr von ihm erlesen. –
Doch er ist nicht mehr! – So nehm' ich,
Als Vermächtniß des Erwürgten,
Euch an meinem Herzen auf.
Immer blieb ich noch der Schuldner
Eurer Waffenthat auf Corfu,
Und der Rettung Rosamundens. –
Kommt – gebt mir Canari's Platz –
Nennt mich Vater. Seid mir Sohn.
[138]
FLODOARDO.
O mein Fürst, werd ich mich je
Solcher Gnade würdig finden?
DOGE.
Dankbarkeit ist keine Gnade;
Und unwürdig meines Herzens
Kann der Retter Rosamundens,
Kann Canari's Sohn nicht sein.
FLODOARDO.
Aber, wenn ich's jemals würde! –
Ach, wer darf fürs Schicksal bürgen,
Und fürs schwache Herz des Menschen?
Wenn sich je, durch meine Schuld,
Eure unverdiente Huld
Wider mich in Fluch verkehrte! ...
Vatersegen baut den Kindern
Freudenhütten hier auf Erden;
Aber Vaterfluch schreit Sündern
Bis zum Weltgerichte nach.
DOGE.
Eure Rede däucht mir seltsam.
Was bewegt Euch, mehr den Fluch,
Der Euch nicht bedräut, zu fürchten,
Als, was gern ich will gewähren,
Meinen Segen zu begehren?
FLODOARDO
vor ihm hinkniend.
O, ich fleh' um diesen Segen,
Theurer Fürst und Herr, und – Vater!
DOGE
gerührt.
Gott mit Euch. – Von Herzensgrunde
Wie ein Vater für den Sohn,
[139] Wünsch' und bet' ich um Gedeihen
Vor der ew'gen Liebe Thron;
Möge mild des Herren Engel
Eure Wege vorbereiten;
Möge selbst des Lebens Trübsal
Euch nur heiligen und läutern.
Tausendfält'ge Früchte soll
Eurer Thaten Aussaat bringen;
Selbst des Feindes Tück' und Mißgunst
Helfe Euch zum Wohlgelingen;
Daß der Fallstrick Euern Füßen
Eine Leiter, und das Gift
Euern Wunden Balsam werde.
Flodoardo Mocenigho,
Bess'res kann ich nicht gewähren!
Und der Himmel wird erhören.
Stehet auf, mein Sohn, und werdet
Meines Alters treuer Stab.
FLODOARDO
bleibt noch in tiefer Rührung auf den Knieen, und küßt die Hand des Dogen mit Inbrunst.
O zu viel! – Wie kann ich's meiden,
Daß Euch nie mein Undank kränkt? ...
Ich bin Mensch; nicht sündenrein ...
DOGE.
Ich bin Mensch, und kann verzeih'n!
Mahnt mich einst an diese Stunde.
FLODOARDO
steht auf.
O mein väterlicher Fürst,
Diese Huld vernichtet mich! ...
[140] Meine Sprach' erlischt im Seufzer;
Mein Gedanke wird zur Thräne ...
DOGE
seine Hand drückend.
Thaten sind die besten Zungen.
Sprecht durch sie zu mir, als Sohn.
Gebt, als Sohn, mir einst Ersatz,
Wenn die Freude meines Alters,
Meine Tochter ... von mir scheidet.
FLODOARDO
betroffen.
Scheidet? Wie? ...
DOGE.
Nun darf ich wohl
Das Geheimniß Euch entschleiern.
Doch Geheimniß soll's noch bleiben! – –
Herzog Carlo von Savoyen,
Fürst von Piemont, bewirbt
Sich um Rosamundens Hand.
Er erblickte meine Nichte
Auf dem letzten Carneval,
Und es ward seit jenem Tage
Rosamunde seine Wahl.
Ihr begreift, das Haus Savoyen,
Alt und groß und immer wachsend,
Mächt'gen Königen verwandt,
Mit dem Anspruch auf Morea,
Ja sogar auf Cyperns Krone,
Wird der Republik zu wichtig!
Eine Tochter von Venedig
Auf der Savoyarden Throne
[141] Gibt dem Löwen von St. Marcus
Neue Würd' und neue Stärke.
FLODOARDO.
Ich erkenn' es ... allerdings ...
Also förmlich schon ...
DOGE.
Noch nicht.
Alles Unterhandeln geht
Durch den Weg vertrauter Schreiben
Bis zur Reife des Geschäfts.
Nur das jungfräuliche Sträuben
Meiner Nichte, oder ihre
Allzutreue Zärtlichkeit
Für den Oheim, hindern noch
Die Vollziehung unsers Wunsches.
Aber Rosamunde wird
Endlich ihrem Vaterlande
Opfer bringen. Ehrfurcht zollt sie
Dem Gebot der Staatsklugheit.
Dennoch, nur mit Furcht und Zittern,
Denk' ich, daß erfüllet wird,
Was ich wünsch' und wünschen muß,
Wenn der fürstliche Gemahl
Einst das hochgeliebte Kind,
Meines Lebens Lust, mir nimmt,
Und die Braut er von Venedig
In die eigne Hauptstadt heimführt;
O, fürwahr, dann bin ich, dann
Ein verwaister, alter Mann!
Dann bedarf ich eines Sohnes,
Der mich liebt, wie sie mich liebte.
[142]
FLODOARDO.
Wenn es mir auch möglich wäre,
Ihre Zärtlichkeit für Euch,
Gnäd'ger Fürst, zu überbieten,
Dennoch könnte nimmermehr
Auch der reinste Engelwillen
Die erfinderische Sorgfalt
Ihrer Liebe übertreffen:
Niemand ihre zarte Vorsicht
Und die Anmuth ihres Pflegens.
O, sie weiß es. Darum kann sie,
Wird sie nie den theuern Oheim
Fremder Liebe überlassen.
DOGE.
Das ist Rosamundens Sprache.
Aber ihren Eigensinn
Sollt nicht Ihr mit solchen Reden
Zur Halsstarrigkeit verziehn.
Es ist meiner Nichte würdig,
Höheres dem Staat zu leisten,
Als die Krankenwärterin
Eines greisen Manns zu werden.
Ja, ich hoffe, täuscht mich nicht!
Mit entscheidendem Gewichte
Soll einst Euer Wort mit Ansehn
Meinen Wünschen bei der Nichte
Den vermißten Nachdruck geben.
FLODOARDO.
Werd' ich ... kann ich ... die Erwartung ...
[143]
DOGE.
Dankbar pflegt sie Euch zu ehren,
Wie sehr billig ist und recht;
Und es wiegt das kleinste Wort
Ihres muthigen Befreiers
In der Wagschal' ihres Urtheils
Schwerer, denn das Flehn der Andern.
Wird sie aber nun vernehmen,
Was Ihr mir geworden seid;
Daß ich, als verwais'ten Sohn
Des ermordeten Canari,
Euch zu mir ans Herz gezogen,
Ins Geheimniß unsers Hauses
Selbst Euch eingeweihet habe:
Dann wird allgemach auch sie
Trauter Euch entgegen treten;
Und Ihr habt das Recht gewonnen,
Ihr ein freies Wort zu sprechen.
Still! dort unter den Cypressen
Naht sich Dandolo. Er sucht mich.
Lasset ihn allein mit mir.
FLODOARDO
ab.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Der Doge und Dandolo.

DOGE
ihm entgegen.
Seid willkommen auf der Insel,
Letzter meiner alten Freunde,
Den mir noch das Schicksal ließ.
[144] Welche Botschaft bringet Ihr
Aus Venedig?
DANDOLO.
Manche Botschaft,
Aber keine fröhliche.
DOGE.
Her, nur her! – die schrecklichste
Ist ja schon vorangegangen;
Nun kann auch, was immer kömmt,
Mich fürwahr nicht tiefer beugen.
Ist der Leichnam des Erschlagnen
Endlich aufgefunden?
DANDOLO.
Nirgends.
Die Bemühungen der Fischer
Und der Gondoliers sind eitel.
Kein Kanal blieb undurchforscht.
Taucher stürzten in die Tiefe
Der Lagunen ohne Nutzen.
Und die Schiffe unsers Hafens
Suchten eitel durch des Meeres
Wasserwüsten weit umher.
Dennoch deuten immerdar
Des vergoss'nen Blutes Tropfen,
Vom zerwühlten Bett Canari's
Längs der Marmorstiege nieder
Zu den Schwellen des Palastes,
Und zum Ufer des Kanals.
Niemand lös't jedoch das Räthsel,
Wie die Unthat möglich war?
Wie bei finstrer Nacht die Mörder
[145] Durch verschloss'ne Pforten drangen?
Jeder von den Dienern schwört:
In der mitternächt'gen Stille
Kein verdächtiges Geräusch,
Keinen Laut gehört zu haben.
DOGE.
Doch das ewig wache Auge,
Dem die Nacht nicht Nacht ist, kennet
Den geheimnißschweren Gräuel;
Kennt den Stifter alles Jammers.
Nein, verschwiegen bleibt er nicht!
Wie geborgen sich der Frevler
Dünk', in trotz'ger Sicherheit; –
Ihm im Nacken streckt sich schon
Unsichtbar die Rächerhand.
Und ist seine Stunde reif,
Schleppet sie ihn ins Gericht,
Seine That ans Sonnenlicht.
Missethat zu offenbaren,
Wird der todte Stein lebendig,
Müssen stumme Gräber plaudern.
DANDOLO.
O, der Möder ist bekannt ...
DOGE
schnell.
Wie denn?
DANDOLO.
Hat sich schon genannt!
DOGE.
Angegeben? Wann und wo?
DANDOLO
nimmt ein Papier hervor.
Abermals durch Mauerzettel.
[146] Dies Papier ward in der Frühe
An der alten Löwensäule
Auf St. Marcusplatz gefunden.
DOGE.
Was enthält's?
DANDOLO.
Es lautet also:
»Jeder weiß, Venetianer,
Goldner Lohn ist dem verheißen,
Welcher von Canari's Mörder
Irgend eine Spur verräth.
Euch die Mühe zu erleichtern,
Will er selber sich verrathen.
Hier sein Name:
Abellino.«
DOGE
ungläubig lächelnd.
Freund, man äfft uns. Das ist Machwerk
Loser Buben, deren Muthwill
Mit der Angst Venedigs scherzt.
Welch ein Grund denn wäre denkbar,
Daß ein Meuchelmörder laut
Seinen Namen ausposaunen,
Seine That verkünden sollte,
Während das vergoss'ne Blut
Wider ihn noch auf zu Gott schreit?
DANDOLO.
Eure Durchlaucht woll' erwägen,
Daß, im Garten Dolabella,
Eurer Nichte eigne Augen
Diesen Abellino sah'n;
Daß die Züge in der Handschrift
[147] Hier durchaus dieselben sind,
Die wir gestern schon erblickten.
O mein Herzog, richtet nicht
Diese Zeiten nach den Tagen,
Die mir ehmals beide sah'n!
Vormals schminkte noch die Sünde
Ihr bleifarbenes Gesicht;
Strebte sie noch gern, der Blüthe
Reiner Unschuld gleich zu scheinen.
Doch das Laster heut'ger Welt,
Voller Stolz, verschmäht sogar
Auch nur Tugend noch zu heucheln.
Abgefallen ganz vom Himmel,
In verkehrter Ruhmbegier
Durch das Leben fortgewirbelt,
Will man heut in Ausschweifungen
Glänzen, groß in Lastern sein,
Held noch in Verbrechen heißen.
DOGE.
Nicht doch! bleiben wir gerecht.
Unzufriedne Schwermuth wirft
Ihren Trauerflor uns beiden
Um die Augen, um die Seele;
Darum dünkt der Schnee uns schwarz,
Und der heitre Himmel finster.
Mögen neben reinen Seelen
Immerhin Verworfne wandeln,
Wie der Schatten neben Licht;
Gott kennt Beid' und hält Gericht.
Längst schon wären alle Bande
Der Gesellschaft aufgelös't,
[148] Längst die Staaten schon zertrümmert,
Wenn der Erdball, wie Ihr wähnt,
Nur ein weiter Tummelplatz
Rasender Satane wäre.
Aber fest in den Geleisen
Heil'ger Ordnung geht die Welt,
Unserm Zweifel zu beweisen,
Daß des Guten Macht dem Bösen
Immerdar die Wage hält.
DANDOLO.
Glaubet Ihr's im Ernst, mein Fürst?
Eine altererbte Ordnung
In den Fugen festzuhalten,
Traun, bedarf's der Tugend wenig.
Denn die Bosheit selber liefert
Dazu dauerhaften Kitt.
Das Gewohnte wirkt gewalt'ger,
Als das Machtwort der Vernunft;
Unlösbarer, denn der Eid
Fesseln Eigennutz und Neid.
Glaubt Ihr, daß nur Edelmuth
Des Gesetzes Hoheit schütze?
O, die Feigheit wird viel öfter,
Als das Recht, des Rechten Stütze!
DOGE
zeigt auf die Stadt in der Ferne.
Fasset Muth! Laßt Euch nicht beugen.
Seht, wie noch in Majestät
Dort Venedigs Thürm' und Tempel
Aus dem Schoos des Meeres steigen.
Seht die Riesenstadt, sie schwebt,
Ihre Zinnen in den Wolken,
[149] Herrschend, nur durch eigne Kraft,
Ueber Adria's Gewässern.
DANDOLO.
Wohl, sie schimmert noch im Lichte
Ihres Sonnenunterganges.
Doch ist sie nur noch das Grabmal
Längst gestorbner Herrlichkeit;
Ein Geripp', in dessen Innern
Würmer der Verwesung nagen.
Meuchelmörder höhnen schmählich
Des Gesetzes Heiligthum.
Und ein schwelgerischer Adel,
Buhlend um die Hand des Pöbels,
Rüstet, mit Verbrecherkünsten,
Seines Vaterhauses Sturz.
DOGE.
Dandolo, bannt die Gespenster!
Schaut, noch steht die Riesenstadt.
DANDOLO.
Ist sie's wirklich? Oder ist sie
Ihr Gespenst nur? Ist sie noch
Königin der weiten Meere?
Warum zittert Cypern? warum
Liegt ihr Corfu öd' und wüst?
Ah, ihr Zepter ist gebrochen!
Genua, des Kaisers Magd,
Spottet ihrer, zerrt die stolze
Nebenbuhlerin zu sich
In die Schmach der Knechtschaft nieder.
Wehe uns, der Tag wird kommen,
Und vielleicht ist er schon nah,
[150] Da des edeln Marcuslöwen
Leichnam Geierbeute wird.
O mein herrliches Venedig,
O mein theures Vaterland!
Weh, wenn dir einst stummer Knechtschaft
Joch den stolzen Nacken beug!
Dann wirst du, mit Wittwentrauer,
Deiner alten Helden Enkel
Halbentblößt und hungernd sehn,
Wie sie, vor zerfallnen Kirchen
Bettelnd, um ein Zehrgeld flehn.
Deine Marmormauern werden
Unbewohnt zum Schutt verwittern;
Die Kanäle und Lagunen
In Morast und Sumpf erstarren,
Sonder Wasser für die Gondel,
Sonder Erdreich für den Wandrer,
Während bleiche Fieberseuchen
Drüberhin in Nebeln schleichen.
DOGE.
Eure düstern Weissagungen
Rufen nicht und bauen nicht
Unser edeln Stadt Verhängniß.
Kommt! – Ein Wort von andern Dingen! –
Männern soll die Macht des Schicksals
Nie die Macht des Muthes rauben.
Laßt uns, statt an Weissagung,
An des Himmels Weisheit glauben.

Beide gehen ab.
4. Auftritt
[151] Vierter Auftritt.
Rosamunde und der Abbate Tolomeo.

ROSAMUNDE
mit den Augen suchend.
Meint' ich doch, in dieser Gegend
Töne meines Oheims Stimme,
Ich bedaure sehr ...
TOLOMEO.
Mit nichten!
Man vergißt in Eurer Nähe
Jeden gern, wohl gar sich selbst.
Stellen wir das Suchen ein;
Mein Geschäft will keine Eile;
Und die Aussicht, hier aufs Meer,
Bildet ungesucht den schönsten
Hintergrund für

Er heftet den Blick bedeutsam auf sie.

soviel Reiz.
ROSAMUNDE.
Können denn sogar die Heil'gen
Sich des Hoftons nicht erwehren!
TOLOMEO.
Wenn zufällig Ton des Hofes
Ton des Herzens ist, Signora.
Aber Ihr – wie dürft Ihr mich
Sünder zu den Heil'gen reihen?
ROSAMUNDE.
Wie Ihr zu den Schönen mich.
Gut. Wir irrten beid' uns, glaub' ich.
TOLOMEO.
Ach, wenn ich so heilig glänzte,
[152] Als Ihr schön, ha, wieviel Wunder,
Und wie große würd' ich wirken!
ROSAMUNDE.
In der That, dann wäret Ihr
Wundershalb ein Heiliger.
TOLOMEO.
Könnt Ihr ahnen, welches Wunder
Dann mein erstes werden sollte? ...
Eine halbe Spötterin
Würd' ich augenblicks bekehren.
ROSAMUNDE.
Nichts, als das? – Wie leichtes Spiel! –
Bleibt der Würde, bleibt der Pflicht
Eures Standes eingedenk, –
Und die Spötterin verstummt.
TOLOMEO
verdrossen.
Würde! – Pflicht! – Was wollt Ihr sagen?
Höher, denn die Menschenwürde,
Ragt die Standeswürde nicht;
Und – das Schöne anzubeten,
Untersagt mir keine Pflicht.
ROSAMUNDE.
Nur besorg' ich, Eure Andacht
Habe böse Wahl getroffen.
Geht, verehrt die ew'ge Anmuth
Unsrer Himmelskönigin.
TOLOMEO.
Und warum nicht Rosamundens,
Dieser holden Königin
Alles Schönen unterm Himmel?
[153]
ROSAMUNDE.
Weil sie Euern Scherz verlachen,
Euern Ernst verachten müßte.
TOLOMEO
etwas bestürzt, schweigt eine Weile.
Wie? ... verlachen mich? – verachten?
Ihr seid grausam. – Wohl, Signora,
Hätte sich mein Herz betrogen,
So geschah's durch Euren Zauber.
Wenn mich sonst in frohen Stunden
Euer Flammenblick durchblitzte,
Sprach er da nicht andre Worte?
Wenn zuweilen Ihr, mit wahrhaft
Schwesterlicher Traulichkeit,
Offenbartet, was Euch quälte;
Wenn ich Euch von mir erzählte,
Und das zarte Mitgefühl
Mir aus Euren Thränen sprach:
War's Verachtung? war es Spott?
Oder stilles Ueberneigen
Eures Wesens zu dem meinen?
Lange hab' ich stumm geduldet
Diese bittersüße Qual;
Und Ihr selbst habt sie verschuldet.
Längst schon kämpfte der Entschluß,
Euch mein Innerstes zu nennen ...
Und nun zeigt Ihr mir Verdruß?
Oder traget Ihr vielleicht
Fromme Scheu vor meinem Kleide?
Laßt dem Pöbel seinen Wahn ...
Waffenrock und Mönchsgewand
[154] Sind das Werk derselben Scheere;
Und das Vorurtheil ist – Zuthat.
ROSAMUNDE
einen Schritt zurücktretend.
Vorurtheil! – Signor Abbate,
Eure Weihen, Eure Pflichten,
Die Gelübde ... Vorurtheil?
TOLOMEO.
Allerdings ... doch ... wohlverstanden!
Ja, ... der geistige Vermittler
Zwischen Welt und Himmel, – Er,
Nicht der Mensch empfängt die Weihen! –
Unentweiht steht der Geweihte;
Irdisch bleibt der Mensch und – schwach.
Und – die reizendste der Schwächen
Ist zugleich die höchste Macht
Unsrer irdischen Natur.
Nennt die Liebe nicht Verbrechen!
Wäre sie es, welchen Namen
Könntet Ihr denn allem Leben,
Ja, der weiten Schöpfung geben,
Die als Werk der Liebe prangt?
ROSAMUNDE.
Ihr erschreckt mich. – Welche Worte!
Zittert, daß sie Euer Engel
Nicht ins ew'ge Schuldbuch trägt.
TOLOMEO
lächelnd.
Hm! mit dem nun wüßte sich
Unser eins schon abzufinden.
ROSAMUNDE.
Ich bewunderte bis heut,
[155] Mit gesammter Stadt Venedig,
Eure strenge Heiligkeit; –
Jetzt genug! – Gehabt Euch wohl!
Denn mir graut, Euch anzuhören.
TOLOMEO
vertritt ihr den Weg.
Nein, Ihr dürft mich nicht verlassen;
Nicht verstoßen, nicht vernichten!
Dafür hab' ich nicht, Signora,
Mit dem innigsten Vertrauen
Mein Geheimstes aufgeschlossen.
Glaubt nicht, daß ich Euch verkenne,

Boshaft, halblaut.

Nicht schon wissen sollte, wie Ihr,
Liebenswürd'ge Evenstochter,
Vom verbot'nen Baume nascht.
ROSAMUNDE.
Gleißner! Euer Heil'genschein
Wird um Euch, wie Höllenrauch.
TOLOMEO
kalt lächelnd.
Gleißnerei um Gleißnerei.
Ich, nun freilich, bin kein Engel.
Doch auch Ihr nicht, wie es scheint.
Man hat Augen, man hat Ohren;
Und man hört und sieht zuweilen,
Wie Ihr Andern wohl gewährt,
Was Ihr spröde mir versagt.
ROSAMUNDE.
Wißt, Herr Abt, vor wem Ihr steht.
Euch geziemt nicht diese Sprache!
Wollt Ihr einer Schuld mich zeigen?
[156]
TOLOMEO.
Schuld? – Das Wörtchen klingt zu rauh.
Aber wie, zum Beispiel, wenn
Eines Herzogs von Savoyen
Halbverlobte, schöne Braut,
Mit der tiefsten Heimlichkeit
In den Armen eines Lieblings, ...
Eines Ritters von Florenz,
Ihre Treue ... nein, die Hoffnung
Des erhabnen Bräutigams ...
ROSAMUNDE
stolz.
Wißt, der Herzog von Savoyen
Trägt kein Recht auf meine Hand,
Und – mir mangelt es an Neigung,
Rechenschaft Euch abzulegen.
Künftig mög' es Euch belieben,
Meine Gegenwart zu meiden.

Ab.
TOLOMEO
allein.
So? – das könnte wohl geschehn!
Aber nächstens, hoff' ich, wirst du
Deinen Himmel dankbar preisen,
Ein Asyl bei mir zu finden.

Aergerlich, nach einer Pause.

Abgewiesen! ... ausgehöhnt! ...
Hätt' ich das erwarten sollen?
Allzustürmisch, besser – plump,
Fuhr ich viel zu weit hinaus.
Für die schlaue, kalte, feine
Diplomatik in der Liebe
Bist du noch zu warm, Abbate! –
[157] Uebrigens steht nichts zu fürchten;
Sie hat zu viel Zartgefühl,
Um den Vorfall auszuplaudern,
Und mich Andern zu verrathen.
Mangelte ihr diese Großmuth:
Würde sie doch Klugheit haben,
Ihres eignen Namens, welcher
Mit im Spiele steht, zu schonen.
Und – wenn ihr auch Klugheit fehlte,
Würd' ihr dennoch Niemand glauben,
Denn mein Ansehn bei dem Volke ...
Bst! der alte Herzog naht!

Er läßt sich seitwärts in betender Stellung auf die Knie nieder.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Der Doge. Abbate Tolomeo.

DOGE
steht still, wie er ihn erblickt.
Ah! Er ist es! – Ich will bleiben.
Schon der Anblick eines Beters
Weckt den Frohsinn im Gemüth,
Und zieht unsre Andacht nach.
TOLOMEO
wendet, wie zufällig, das Gesicht; sieht den Dogen und erhebt sich langsam von den Knien.
DOGE
nähert sich.
Ich beklag' es, wenn ich Eure
Stille Andacht unterbrach.
TOLOMEO
erwiedert durch verbindliche Verbeugung.
[158]
DOGE.
Ich vernahm durch meine Nichte,
Daß Ihr mich gesucht, Herr Abt.
TOLOMEO.
Pflicht und Freude, Eurer Durchlaucht
Einen schwachen Dienst zu leisten,
Führte mich zur Insel her.
Heut empfing ich aus Turin,
Von dem Erzbischof ein Schreiben.
Er berichtet: länger könne
Nicht der Herzog von Savoyen
Seiner Sehnsucht widerstehn,
In Venedig Euch zu sehn.
Zwar es rufen ihn Geschäfte
Erst gen Rom, zum heil'gen Stuhl;
Doch von dannen, ohne Weilen,
Will er nach Venedig eilen.
DOGE.
Meinen Dank für diese Botschaft.
An dem heut'gen Tag der Trauer
Hat sie Doppelwerth für uns.
TOLOMEO.
Ich verstehe. Tief und schmerzvoll
Beugte Euch des Schicksals Hand
Heute durch den Tod des Freundes,
Aber in Gebet und Demuth
Werfet Eure Zentnerlast
Vor den Thron des Ew'gen nieder,
Und sein Engel wird erscheinen
Und Euch, aus dem Kelch des Glaubens,
Balsam in die Wunde gießen.
[159]
DOGE.
Eine Wunde, frommer Herr,
Bei schon winterweißen Haaren,
Kann zur Noth wohl auch verharrschen;
Heilen aber wird sie nimmer.
Junges Fleisch benarbt sich schnell;
Altes schwer; es läßt dem Tode
Immer gern das Thürlein offen.
Was ein Jüngling einbüßt, kann er,
Auf der weiten Lebensstrecke,
Wieder zu gewinnen streben;
Nicht der Greis, zwei Zoll vom Grabe.
Doch ich murre nicht, und soll's nicht!
Hab' ich mir doch aus Canari's
Reicher Hinterlassenschaft
Schon den besten Theil genommen.
TOLOMEO.
Edler Dulder, wahrhaft großer!
Eure willige Ergebung
In des Himmels heil'gen Rathschluß,
Dies gelass'ne, stumme Trinken
Aus dem bittern Leidenskelch,
Soll auch mir Unwürdigen
Musterbild im Leiden werden.

Wie sich zufällig erinnernd.

Eure Durchlaucht sprach so eben ...
Doch, das ist bloß Nebensache ...
Von der Hinterlassenschaft
Eures frommen Freundes, glaub' ich;
Und von einem schönen Antheil? ...
Meinen Glückwunsch ...
[160]
DOGE.
Geht nicht irre!
Den, für welchen er gern lebte,
Seinen Sohn, die einz'ge Freude
Seines Alters, wählt' ich mir.
Diesem will ich Vater werden.
TOLOMEO.
Heil dem Manne, der der Waisen
Und der Wittwen sich erbarmt!
Das ist ein gottselig Werk.
Seinen Sohn? – Wie Jeder glaubte,
Starb der Signor Prokurator
Unvermählt? – Ein Sohn also ...
Wie's die Welt nennt: – Kind der Liebe?
DOGE.
Wohl! im edlern Sinn des Wortes.
TOLOMEO.
Edel? Ach mein theurer Fürst,
Mancher Adel ist auf Erden,
Dessen Stammbaum man im Himmel
Gar nicht kennt und kennen will.
Also unterlag Canari
Einer sündlichen Versuchung!
Und er fuhr in Sünden hin,
Ohne Absolution! – –
Lasset hundert Messen mehr
Für die arme Seele lesen.
DOGE.
Nein, hochwürd'ger Herr, Ihr deutet
Meine Worte falsch. Es ist
Rede hier von einem Jüngling,
[161] Der ihm lieb war, wie sein Kind;
Von dem Ritter Flodoardo.
TOLOMEO.
So? Verzeihung, daß ich irrte!
Ist's der junge Florentiner?
DOGE.
Eben er! Von Euerm Alter!
Tapfer, muthig, ohne Gleichen,
Wie ein alter Paladin;
Bieder, klug – ein wahres Glückskind!
Was er anrührt, wird zu Golde;
Was er unternimmt, gelingt.
TOLOMEO.
O, ich kenn' ihn und verehr' ihn!
Möchte Euch des Himmels Gnade
Durch ihn segnen, theurer Fürst;
Möchte Eure edle Nichte,
Ist sie ihm einst anvermählt,
Jedes Glück an seiner Seite ...
DOGE
unterbricht ihn.
He, davon ist keine Rede.
TOLOMEO.
Keine? – doch sagt ganz Venedig,
Daß dem selt'nen Mann gelungen,
Was bisher den reichsten Werbern,
Was sogar auch Fürsten fehlschlug:
Rosamundens Herz zu rühren.
DOGE.
Thorheit, sag' ich, ist's; Verleumdung!
[162]
TOLOMEO.
Wirklich? Nun, ich glaub' es gern;
Denn die Welt liegt tief im Argen!
Freilich scheint es wohl bedenklich,
Daß so manche Augenzeugen
Wunderbar geblendet wurden.
Mißgunst, Neugier, Eifersucht,
Tragen sonst doch scharfe Ballen!
DOGE.
Und was sah'n sie?
TOLOMEO.
Nichts besondres;
Nichts als das Gewöhnliche
Zwischen einem jungen Paare,
Das schon einverstanden lebt:
Stilles Seufzen und Erröthen; ...
Stummes Deuten, Augenwinke; ...
Selbstvergess'nes Für-sich-Träumen
In der heitersten Gesellschaft;
Rasches Wechseln, wie bei Trunknen,
Zwischen Lustigkeit und Wehmuth; –
Oeftres Sichzusammenfinden,
Immer, wie durchs Ohngefähr.
DOGE
in Gedanken verloren.
Sah man das? ... Ich weiß es nicht.
TOLOMEO.
Ah, in dem Fall wird es Pflicht,
Das Geschwätz zu widerlegen.
Denn daß jener junge Mann Euch,
Da Ihr ihn so zärtlich schirmt,
Hinterlistig, frech verrathen, –
[163] Daß er sich vermessen hätte,
Nach des Herzogs eigner Nichte
Seine Schlingen auszuwerfen ...
Himmelschreiend wäre das!
DOGE.
Meine Nichte also, sagt man ...
TOLOMEO
ausweichend.
Afterrede bloß, – Verleumdung!
Der Gerechte muß viel leiden.
Will sich Niederträchtigkeit
Ueber das Gemein' erheben,
Geht sie, als Verleumdung, auf;
Speit und lästert. Wenn der Koth
Staub wird, steigt er stolz empor
Und bedeckt die Wiesenblumen
Und des Tempels goldne Kuppeln
Mit – sich selbst.
DOGE.
Ihr habet Recht.
Unterdessen wird mir wichtig,
Der Geschwätze Grund zu kennen.
Sehr gelegen deshalb kömmt
Eben Donna Iduella,
Wie ich sehe gegen uns.
TOLOMEO
schnell herumblickend.
Eure Durchlaucht ... ich muß bitten ...
Sehr ... mir Urlaub zu gestatten.
Die gewohnte Stunde schlägt,
Welche mich zur Andacht ruft.
[164]
DOGE.
Nur ein Augenblickchen zögert,
Daß Ihr selber ...
TOLOMEO
dringend.
Gnäd'ger Herr ...
DOGE
gibt das Zeichen der Entlassung.
Sei's! – Es wäre Sünde, wollt' ich
Eurer frommen Neigung Zwang thun.
Schließet mich, hochwürd'ger Herr,
In das heilige Gebet ein.
TOLOMEO
ab.
DOGE
allein, geht in unruhiger Verlegung einzelne Schritte.
Doch wohl möglich!

Pause.

Nimmermehr!
Was? – Er, den ich an mein Herz nahm,
Eine undankbare Natter? –
Nein, dies denken ist schon Todtschlag.

Pause.

Ja, sehr sonderbar zuweilen!
Läge da des Räthsels Schlüssel
Von des Mädchens Widerstreben?
Ist der Herzog von Savoyen
Ihr verhaßt, weil sie schon wählte?
Wählte? – Wen? – Es macht mich sinnlos.
6. Auftritt
[165] Sechster Auftritt.
Der Doge und Iduella.

DOGE.
Näher, näher nur, Signora.
Sagt mir, wo ist Rosamunde?
IDUELLA.
Froh im Kreise der Gespielen.
Mitten im Zitronenwäldchen,
Auf dem Rasenplatz im Freien.
Dort ist nichts für sie zu fürchten,
Denn die Insel wird ringsum,
Durch die Gondeln, wohl gehütet.
Wollte Abellino nah'n,
Müßt' er schwarze Kunst versteh'n,
Und, vollkommen unsichtbar,
Durch die Gondelwachen gehn.
DOGE.
Sagt mir, ... Euer Blick durchschaut
Rosamundens ganzes Wesen.
Meine Nichte kennt Ihr besser
Als sie selbst sich kennt. Ihr saht,
Wie die zarte Knosp' allmälig
Sich zur Blüthe, – wie das Kind
Sich entfaltet hat zur Jungfrau.
Kein Gedanke kann so leise
Durch des Mädchens Seele schleichen,
Den Ihr nicht sogleich gewahrtet.
Sagt mir, scheint Euch Rosamunde
Nicht, seit ein'ger Zeit, verwandelt?
[166]
IDUELLA.
Darf ich fragen: wie verwandelt?
DOGE.
Fremd mit Allem außer sich;
In sich selber still verschlossen,
Wie, wenn sie in ihrer Brust
Ein Geheimniß hüten müßte?
Aenderlich in ihren Launen,
Wie der Märztag? die Gedanken
Weit entfernt oft von der Stätte,
Wo sie mit den Leuten spricht?
IDUELLA.
Gnäd'ger Herr, Ihr malt der Jungfrau
Erstes Insichselbst-Erwachen,
Wie sie stumm ihr Wesen anstaunt,
Das sie nicht enträthseln kann.
Wenn der Schmetterling aus seiner
Pupp' hervorsteigt, und die Flügel
Mit dem Gold und Purpurglanze
Leise aus einander breitet,
Steht er kaum veränderter,
Als die Jungfrau, wenn die Hülse
Ihrer Kindheit von ihr bricht.
DOGE.
Gut. Allein mich dünkt, ihr Herz
Trage eine wunde Stelle.
Sie ist ungewöhnlich reizbar.
IDUELLA.
Allerdings; wie könnt' es fehlen?
Sie ist nun nicht mehr dieselbe,
Die sie einst war; nun nicht mehr,
Wie das Kind, in Anderm lebend,
[167] Sondern heim an sich gewiesen,
Nun sich selbst bedeutsam worden.
Andre Sinnen und Gefühle,
Niegekannte Ahnungen
Haben ihre Welt verwandelt.
Fremd und schüchtern steht sie drinnen,
Und von allem tief ergriffen.
So wie einer Harfe Saiten
Schon im sanften Zug des Windes
Ueber dessen Härte klagen,
Tönet, wenn auch zart berührt,
Das jungfräuliche Gemüth,
Unter Lust und Trauer, wieder.
DOGE.
Laßt mich Euch bestimmter fragen.
Es bewirbt ein großer Fürst sich
Sehr um meiner Nichte Hand;
Ungern würd' ich sie verweigern.
Doch verwahret dies Geheimniß
Tief, Signora! Niemand darf,
Selbst nicht Rosamund', erfahren,
Was ich Euch entdecken möchte.
Zwar sie weiß um die Bewerbung,
Aber lehnt sie standhaft ab.
Ja, so fest scheint sie entschlossen,
Jeden Antrag zu verschmäh'n,
Daß sie wohl, im schlimmsten Fall,
Einen Nonnenschleier lieber,
Als den Trauring, nehmen würde.
Nie hat sie mich sonst durch eine
Widerspenstigkeit gekränkt;
Wie der treue Schatten, folgte
[168] Stets ihr Wille meinen Winken.
Und wie anders steht es nun!
Jetzt belagern meine Bitten
Ihren Eigensinn vergebens,
Sie verwirft des Fürsten Hand!
Sollte sich mein Argwohn irren?
Hat ihr unerfahrnes Herz
Schon vielleicht sich in den Strom
Einer Leidenschaft geworfen?
Liebt sie? Wen? Signora, redet!
Unverhohlen sprecht; sagt Alles!
Ihr wißt Alles.
IDUELLA.
Gnäd'ger Herr,
Wer mag immer ganz verstehen,
Was ein junges Herz bewegt?
Wer mag in die Tiefen sehen,
Die es vor sich selbst selbst verbirgt?
Wie dem Mann der frische Ruhm,
Seine unentweihte Ehre,
So ist erstgeborne Liebe
Einer Jungfrau Heiligthum.
Und, wie seine Klugheit, wacht
Ihr Gefühl des Schicklichen
Für die Reinheit des Kleinodes.
Klugheit ist das Schickliche
In der That und Kraft des Mannes;
Das Gefühl des Schicklichen
Ist des Weibes ganze Klugheit.
DOGE
ungeduldiger.
Mit dem krausen Schaum der Worte
[169] Stillt Ihr meinen Hunger nicht.
Nichts, Signora; Sachen! Sachen;
Nennt mir Namen, Tage, Orte.
Wen liebt meine Nichte? – Wen? ...
Warum stockt Ihr? ...
IDUELLA.
Gnäd'ger Fürst ...
DOGE.
Redet offen, ich gebiet' es! – –
Mit argloser Zuversicht
Hatt' ich Euch, wie einer Mutter,
Meinen Liebling anvertraut;
Wollt Ihr mit des Kindes Thorheit
Euch nun wider mich verschwören?
Eine Aussicht auf den Thron
Nun mit Weibertand zerstören?
Nein, Signora, irrt Euch nicht! –
Liebt sie, sprecht, den jungen Ritter
Von Florenz, den Flodoardo?
Seit wie lange? Wer half kuppeln?
Hielten sie Zusammenkünfte?
Wo? bei wem? Was treiben sie?
Warum zaudert Ihr? Das Schweigen
Klagt Euch an; es spricht Euch schuldig!
IDUELLA
schon während der Rede des Dogen zu sprechen bemüht, geräth in größere Bestürzung und fällt zu dessen Füßen.
Zürnet nicht, durchlauchter Herzog,
Zürnt nicht! Höret mich zuvor.
Wenn der erste Augenblick
Durch den Schein mich zwar verdammet
[170] Spricht der zweite doch mich los.
Ich bin Eurer Gnade würdig.
DOGE
sie bei der Hand erhebend.
Stehet auf. Signora, redet.
IDUELLA.
Das Vertrauen Eurer Nichte
Unbedingt mir zu erhalten,
Mußt' ich meine Zunge binden;
Mußt' ich vor dem Oheim schweigen.
Hätte Rosamundens Argwohn
Ihr Vertrau'n zu mir verdrängt:
Würde sie sich meinem Rath,
Meiner Leitung ganz entrissen,
Ganz, dem steuerlosen Schiff gleich,
Sich der Fluth der Leidenschaft
Wehrlos hingegeben haben.
Sie zu retten, – meine Pflicht
Gegen Euch und Eure Nichte
Zu vollstrecken, mußt' ich schweigen.
DOGE.
Ist sie also noch zu retten?
IDUELLA.
Ja, ich hoff' es noch: durch Trennung!
Schickt den Ritter von Florenz
Jahrelang in ferne Länder.
DOGE
legt, wie in Betäubung, die Hand vor Stirn und Augen.
Also wirklich? Flodoarden
Liebt sie?
[171]
IDUELLA.
Seit dem Unglückstage,
Da, zum erstenmal, Canari
Euch den Ritter vorgestellt,
Sie zum erstenmal den Fremdling
Im Palast gesehen hatte,
Ward ihr Leben und ihr Weben
Zaubertaumel, Fiebertraum.
Und nachher, als sie auf Corfu,
Durch des Ritters Arm, befreit ward,
Da erschien die heft'ge Neigung
Ihrer dankbegier'gen Seele
Als die heiligste der Pflichten.
DOGE
schmerzlich.
Nun genug! – o, schon zuviel! ...

Indem er sie mit einem Zeichen beurlaubt.

Ich werd' Euch auf andre Zeit
Wieder zu mir rufen lassen.
IDUELLA
ab.
DOGE
allein.
Also muß am gleichen Tage
Mir der Jugend erster Freund
Und des Alters letzte Freude, ...
Alles mir entrissen werden?
O, wie arm sink' ich ins Grab!

Schweigen des Nachdenkens.

Er soll fort! Fort nach Morea ...
Morgen, heut', – auf ewig fort!
Konnte sich die Ungerath'ne
So vergessen, – mich vergessen, ...
[172] Nun, sie lern' auch ihn vergessen!
Fort mit ihm, bis an die letzten
Ufer der bewohnten Welt!
Nichts soll von ihm wiederkehren,
Selbst die ungewisse Kunde
Seines Schicksals, seines Endes,
Muß auf weitem Wege sterben,
Eh' sie unser Ohr erreicht.

Pause.

Gritti! Gritti, sei gerecht!
Ist ihr Leichtsinn sein Verbrechen?
Soll's ihm nun Verbannung lohnen,
Daß dem fernen Asien
Die Verlorne er entriß?
Du hast ihn zum Sohn gesegnet,
Und die erste Vatergunst
Soll ein Todesurtheil werden?
O, daß noch Canari lebte!
Wer gibt Rath und Trost, und führt
Mich aus diesem Labyrinthe?
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Abellino plötzlich aus dem Gebüsche vor dem Dogen.

ABELLINO.
Ich, mein Fürst, wenn Ihr's erlaubt.
DOGE.
Mensch! – wer bist du?
ABELLINO.
Abellino.
[173] Euer und der Republik
Treuer und ergebner Diener.
DOGE
empört, nach Schwert und Dolch suchend.
Ha! daß ich jetzt wehrlos stehe!
ABELLINO.
Fürchtet nichts, durchlauchter Herr.
DOGE
mit Hoheit.
Wen suchst du auf dieser Insel?
Was hast du mit mir zu schaffen?
ABELLINO.
Abellino wollte sich
Seinem Herrn und Fürsten zeigen;
Denn man sagt, der Doge trüge
Große Neugier, ihn zu seh'n.
DOGE.
Ja, am Galgen.
ABELLINO
mit Verbeugung.
Gnäd'ger Herr,
Die Erhöhung wäre wahrlich
Viel zu hoch für mein Verdienst.
DOGE.
Wie gelangtest du zur Insel?
ABELLINO.
Auf den Sohlen, durch die Luft,
Um Euch Trost zu sagen, wenn Ihr
An Banditentreue glaubt.
DOGE.
Unmensch, warum mußtest du
Don Canari's Mörder werden?
[174]
ABELLINO.
Um ihn von der argen Welt,
Die ihn haßte, zu befrei'n.
DOGE.
Wer bezahlte dich?
ABELLINO.
Mein Herz.
DOGE.
Treibe deinen Höllenscherz,
Teufel, unter deinen Teufeln.
ABELLINO.
Glaubt, es ist mein baarer Ernst;
Aber Euch beliebt zu zweifeln.
Zum Beweis, wie wahr ich rede,
Gnäd'ger Herr, erlaubt zu sagen:
Euer Freund ist nicht der Letzte;
Einen Andern hol' ich nach.
DOGE.
Ungeheuer, du! was reizt dich,
Deine Hand in Blut zu tauchen,
In das Blut der besten Menschen?
ABELLINO.
Meine Liebe für ihr Blut.
DOGE.
Zittre, frecher Meuchelmörder,
Vor dem Grimm der Republik!
ABELLINO.
Zittern? ich? Hi, hi! die Feige
Zittert selbst vor Abellino.
[175]
DOGE.
Wenn du uns entrinnst, du kannst
Nie der schweren Rache Gottes,
Die dich fordern wird, entgehn.
ABELLINO.
Hei, ich denke, wenn dort oben
Mit uns abgerechnet wird,
Will ich, sonder Müh' und Noth,
Meine Blutschuld leicht verfechten.
Wollt' Ihr aber Buße pred'gen,
Da sind andere Signoren;
Diebische Prokuratoren,
Falsche Staatsinquisitoren,
Hinterlist'ge Senatoren,
Ha! welch eine Menge – Ohren! ...
Ihnen predigt, gnäd'ger Herr!
Und ich will Euch Texte geben,
Bei St. Peter und St. Paul!
Eure Leute soll's dabei
Wie das kalte Fieber schütteln.
Macht nur einen Abendgang
Mit mir, durch Paläst' und Zellen,
Durch die Winkel, wo kein Licht brennt,
Und nichts geht vom Zehngebote,
Als das sechste auf den Kauf ...
DOGE.
Keinen schwärzern Bösewicht
Fänd' ich überall, als dich.
ABELLINO.
O Verzeihung, gnäd'ger Herr!
Es gibt da noch fromme Leute, –
[176] Wär' ich schwärzer, als ein Mohr,
Schneeweis prangt ich neben ihnen!
Edle Herrn, zum Beispiel, welche
Lieber heute noch, denn morgen,
Unsre große Republik
In die Lüfte sprengen möchten,
Um vom Geld- und Aemter-Regen
Sich ein Sümmchen zu erfegen.
Frömmler, die im heil'gen Eifer,
Wegen dieser Welt Verderben,
Fast vor Leid und Jammer sterben,
Aber dann, im Hinterstübchen,
Sich nicht scheuen, selbst dem Himmel
Tapfer X für U zu machen.
Priester, die in stolzer Demuth,
Freien Denkern Scheiterhaufen,
Brudermördern Ablaß spenden;
Die Vernunft des Volks beschneiden,
Um die willenlose Heerde
Unterm Hirtenstab zu weiden.
DOGE.
Schweig, denn mich gelüstet, wahrlich,
Deines Lästerwitzes nicht.
Du hast Trauer, hast Entsetzen
Ueber unsre Stadt gebracht;
Und je länger hier dein Fuß weilt,
Je unsel'geres Verderben
Ruft dein böser Geist hervor.
Du kannst deine Schuldenlast
Nicht mit tausend Henkerqualen,
Nicht mit hundert Toden zahlen. –
[177] Dennoch soll mich's nicht gereu'n,
Gnade dir, für Recht, zu bieten,
Räumst du, ungesäumt zur Stunde,
Das Gebiet der Republik.
Mangelt dir der Reisepfennig?
Hier ein Beutel voll Dukaten.

Schleudert ihm denselben zu.
ABELLINO
wirft die Börse nachlässig auf den Boden.
Herr, ich bin nicht, um Zechinen
Zu erpressen, hier erschienen;
Sondern, daß Ihr rühmen möget:
Den Banditen Abellino
Sahet Ihr, in dieser Stunde,
Angesicht zu Angesicht.
Einst kann die Erinn'rung freuen.
DOGE.
Schwerlich, Mensch, in deinem Sinn.
ABELLINO
ernst.
Hört mich! faßt mein Wort mit Glauben,
Und bewahrt es im Gedächtniß;
Denn es ist das Wort der Wahrheit
Und der Wahrsagung zugleich;
Sonst ein seltnes Schwesterpaar!
Bis dies Wort erfüllet worden,
Werd' ich Euch nicht mehr erscheinen.
Die geheiligte Person
Eurer Durchlaucht steht gehütet;
Jedes Haar von Euerm Haupt
Wird von einem Dolch bewacht.
[178] Wenn im tiefsten Grund erschüttert,
Bald, vielleicht in wenig Tagen,
Eures Staates Feste wankt:
Zittert nicht, erlauchter Herr,
Traut auf Euer treues Glück,
Auf Venedigs guten Stern!
Wenn, vielleicht heut' oder morgen,
Der und Jener unversehens
Aus dem Lande der Lebend'gen
In das Reich der Todten zieht:
Härmet Euch nicht um die Todten!
Traut auf Euer treues Glück,
Auf Venedigs guten Stern!
DOGE.
Ich vertrau' ihm, selbst wenn du
Seinen Untergang verkündigst.
ABELLINO.
Herr' gedenket meiner Worte!
DOGE.
Still, Würgengel, steh' mir Rede!
Sprich, wo ruht Canari's Leichnam?
Leider kannst du nicht sein Leben,
Doch die Asche wieder geben.
ABELLINO.
Sucht ihn in der blauen Luft.
Sucht mit tausend Luchsenaugen;
Dennoch müßt Ihr ihn nicht finden.
Wen ich mir aufs Korn genommen:
Weggeblasen, und verstoben
Ist er aus der Welt, als hätte
[179] Ihn sein Schöpfer nie geschaffen.
Basta! Habt ihr mehr zu fragen?
DOGE
mit zorniger Bewegung.
Steh' mir Rede! Wisse, rings
Ist die Insel scharf bewacht.
Sbirren horchen in der Nähe.
Waffen her! – Du bist gefangen!
ABELLINO.
Ich gefangen? Hi, hi, hi!
Abellino schon gefangen?
Ei, da wär' er werth zu hangen.
DOGE
schreiend.
He da! Hilfe! Leute, Hilfe!
ABELLINO
richtet dicht vor dem Dogen einen Pistolenschuß in die Luft und verschwindet im Gebüsch.
Also Basta! und Adio!
DOGE
zurücktaumelnd.
Halt! Wohin ist er geflüchtet?
Lebt kein Rächer mehr dort oben?
Leute, hieher! hieher, Leute!

Er geht rasch gegen den Hintergrund.

4. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Der Doge schläft in einem Lehnsessel.

ROSAMUNDE
fächelt ihn mit der Hand, beugt sich beobachtend über ihn und entfernt sich wieder leise.
Ihm ist wohl! – Er schlummert süß.
Du, sein unsichtbarer Engel,
Kühl' im Traume ihm die Schläfen
Mit dem weichsten Veilchenkranz!
Ach, das harte, rauhe Leben
Flicht für ihn nur Dornenkronen.

Welche Nacht der finstern Schrecken
Mußte dieser Vielgeprüfte
Heute abermals bestehn!
Wer mag sein Entsetzen denken,
Als er, aus dem Schlaf gerissen,
Um sein Bett die Trauerboten
Mit erbleichten Wangen sah,
Und von schreckgelähmten Zungen
Dandolo's Ermordung hörte; –
Als er selber durch die Nacht
Zum Palast des Freundes flog,
[181] Und die blutbedeckten Hallen, –
Aber keinen Leichnam fand!

Sie geht zum Schlafenden, fächelt ihn und entfernt sich wieder.

Was will diese Zeit gebären?
Ungewohntes kündet sich.
Was soll jener Ernst verkünden
In den Mienen aller Menschen?
Was die wunderbare Stille,
Wie vor schweren Hochgewittern,
In der lebensreichen Stadt? –

Längs den Mauern, stumm wie Schatten,
Zieh'n die Leute durch die Gassen.
Jeder horcht und keiner spricht;
Und auf allen Gondeln schweigen
Zitherspiel und Rudersang.

Warum will mir Niemand sagen,
Wer dies stumme Graun gebot?
Leichter ist die Noth zu tragen,
Die man trägt, als welche droht.

Indem sie den Dogen wieder fächelt, erwacht er.

Du hier, meine Rosamunde?
Dieser Schlaf hat mich erquickt.
Könntest du doch, gleich den Mücken,
Auch die Sorgen weiter schicken.

Nein, auch das nicht! Du, noch gestern,
Selbst die schwerste meiner Sorgen,
Bist es heute schon nicht mehr.
Des Geschickes Schläge fallen
Schneller auf mein graues Haupt,
[182] Als im Hagelsturme Schloßen. –
Ein Schmerz will den andern tödten.
ROSAMUNDE.
Ach, wie bin ich doch so arm!
Könnt' ich doch, mit eignem Leben,
Eure hundert Wunden heilen,
Fröhlich böt' ich es dahin.
DOGE
mit traurigem Lächeln.
Gäbest du dich, mir zu Liebe,
Auch dem Herzog von Savoyen?
ROSAMUNDE
schaudernd.
Wenn es Euer Leiden endet ...
Ja, mein Oheim, ja dem Tode; ...
Und der Herzog ist mein Tod.
DOGE.
Still! Zu andrer Zeit davon!
Ist die Leiche Dandolo's
Noch nicht aufgefunden worden?
ROSAMUNDE.
Niemand weiß darum.
DOGE.
Der Satan
Hält erschrecklich mir sein Wort.
Sage! als du halbgenesen
Von der Ohnmacht warst, im Garten,
Bei der Mordthat Abellino's,
Hast du wirklich, mit Bewußtsein,
Deutlich, seinen Schwur verstanden,
Das er dich zur Braut gewählt?
[183]
ROSAMUNDE.
Allerdings.
DOGE
vom Lehnstuhl aufspringend.
Der ist im Stande,
Die Verheißung zu erfüllen!
Ja, buchstäblich hält er Wort.
Nun allmälig jagt auch mir
Der Banditenkönig Grausen
Durch die Seele. – Geh, mein Kind.
Geh; laß jetzt mich den Geschäften.
ROSAMUNDE
küßt ihm die Hand und entfernt sich.
DOGE
allein.
Welche unheilreiche Zeit!
Bin ich noch Venedigs Herzog?
Träum' ich einen schweren Traum?
Meine Nicht', um die ein Fürst
Bei mir wirbt, Banditenbraut?
Ich, das Haupt der Republik,
Bloß noch Schützling eines Gauners?
Dandolo, und du, Canari,
Blutig von mir weggerissen;
Ohne Macht ist das Gesetz,
Euch zu schützen und zu rächen.
Warum stehst du selbst noch länger,
Alter Eichstamm in der Wüste,
Und streckst deine dürren Aeste
Klagend zu den Wolken auf?
Stürz' auch du hinab zum Moder!
Krone, Mark und Wurzel hat
[184] Schon des Himmels Blitz zerrissen;
Und der Sturm dich längst entlaubt!
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Der Doge und Flodoardo.

FLODOARDO.
Eure Durchlaucht ...
DOGE.
Näher! näher!
Haben die verdächt'gen Bürger
Im Verhöre ausgesagt?
FLODOARDO.
Sie beharrten fest im Läugnen;
Schworen, daß der Waffenvorrath,
Der, bei ihnen, in Gewölben,
Aufgehäuft gefunden worden,
Nur für Rechnung andrer Häuser
In Italien gekauft sei.
Zwei derselben haben endlich
Auf der Folter eingestanden,
Ein venedischer Senator
Habe diese Waffenmenge
Dort durch sie verwahren lassen. –
Wider unsre Republik
Sei Verschwörung nah' am Ausbruch.
Sie versprachen, was sie wissen
Zu entdecken.
[185]
DOGE.
Gott sei Dank!
Und der Name des Senators?
FLODOARDO.
Sie gelobten, ihn zu nennen.
Doch der Eine sank in Ohnmacht,
Und dem Andern machten Schmerzen
Ganz unmöglich, mehr zu sprechen.
Eben jetzt vergönnt man ihnen
Zur Erholung kurzen Stillstand.
DOGE.
Wisset Ihr der Bürger Namen?
FLODOARDO
ein Papier überreichend.
Hier, mein Fürst.
DOGE
den Zettel überblickend.
Ganz unbekannte!

Reicht ihm mit zärtlicher Bewunderung die Hand.

Junger Mann, dich müßt' ich lieben,
Hättest du schon meinem Herzen
Auch den Todesstreich versetzt.
Dein Entdecken dieser Waffen,
Und der tückischen Verräther,
Rettet unsre Republik.
Um den Preis vergißt man Vieles ...
Glückssohn, dem soviel gelingt,
Möchte Dir noch Eins gelingen,
Den Banditen Abellino ...
[186] Aber ... hüte selber dich
Vor des Fürchterlichen Schlingen!
Ich will einen Augenblick
Mich in mein Gemach begeben.
Bleibet hier!

Ab.
FLODOARDO
allein.
Bald ist die Rolle
Bis ans Ende ausgespielt.
O mein Glück, verlaß mich nicht!
Nur noch achtundvierzig Stunden
Treu mir! dann ist's überwunden.
Es ist die Zeit, die Bank zu sprengen.
Die Verschworenen beginnen
In die Karten mir zu schielen,
Und das falsche Spiel zu wittern.
Drum zum Ziel. – Der beste Spieler
Ist zuletzt des Zufalls Spiel,
Und im feinsten Rath ist Unrath.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Flodoardo. Parozzi.

PAROZZI
sehr freundlich.
Ha, mein edler Mocenigho!
FLODOARDO
ihm entgegen.
Mir gegrüßet, Don Parozzi.
Lange ward mir nicht die Ehre,
Eure Herrlichkeit zu sehn.
[187]
PAROZZI
ihm die Hand drückend.
Ach, mein Bester, Niemand mehr,
Als ich selbst, verlor dabei.
Man ist Meister wohl des Herzens,
Aber Meister nicht der Stunden.
Tausendfache Kleinigkeiten,
Kränklichkeiten, Lustparthien,
Ehstandssachen, Staatsgeschäfte,
Hielten mich im Garn verstrickt;
Nicht der Traum bloß, auch das Wachen,
Quält uns mit dem Mißgeschick,
Daß man fort und immer fort will,
Und im sehnsuchtsvollen Streben
Keinen Zoll breit weiter rückt.
FLODOARDO.
Ihr scheint wohlgemuth und heiter.
PAROZZI.
Könnt' ich anders bei Euch sein?
Glaubt mir, wenn der Knochenmann
Hipp' und Sanduhr vor mir schüttelt, –
Wäret Ihr bei mir, ich lachte
Ihm ins grinsende Gesicht.
FLODOARDO.
Spötter, Spötter! warum wichet
Ihr mir aus, wenn oft ich gern
Näher Euch gekommen wäre?
PAROZZI.
Ausgewichen? Ihr seid grausam.
Aber wer, zum Beispiel, lehnte
[188] Rund und kalt, vor drei, vier Wochen,
Meine Einladung zum Ball ab?
FLODOARDO.
Wer vermied geflissentlich
Lustbarkeiten und Bankette,
Wenn er wußte, daß ich Gast war?
PAROZZI
laut auflachend.
Allerliebst, der Streit gefällt mir!
Wer uns hörte, würde schwören,
Daß wir Liebesleutchen wären,
Die sich zanken, um die Wollust
Der Versöhnung zu erhöhn.

Er umarmt ihn.

Hier die Hand! – und hier den Mund!
Nun denn ... ewige Versöhnung!
FLODOARDO.
Eure Herrlichkeit beschämt mich.
PAROZZI.
Also bin ich guter Christ;
Sammle helle Feuerkohlen
Auf dem Haupte meines Feindes.
Weg den Groll, und ew'ge Freundschaft!
FLODOARDO
lächelnd.
Ew'ge Freundschaft! O ich sah
Manche, schön, wie Aphroditen,
Aus dem Schaum des Weins gestiegen,
Wieder mit dem Rausch entfliegen.
PAROZZI.
Falsches Gleichniß! Wir ja sind
Nüchtern, wie zwei Diplomaten,
[189]
FLODOARDO.
O, die schließen ew'gen Frieden,
Dauerhaft, wie Märzenschnee.
PAROZZI
etwas betreten.
Ich begreif' Euch nicht. Ihr scheint
Zweifel oder Widerwillen ...
FLODOARDO.
Nein, ich bitte sehr, verzeiht!
Kindischbange Aengstlichkeit
Läßt mich zittern, Eure Freundschaft
Könnte mir verloren gehn.
Eben meine Furcht verbürgt,
Was mir dieses Kleinod gilt.
Doch wozu Versicherungen?
Worte, sagen, was man sein kann;
Thaten lehren, was man ist.
Darf ich einen Dienst Euch leisten,
So gebietet über mich.
PAROZZI.
Allzugütig, lieber Ritter.
Im Palast hier, sagt man, seid Ihr
Wie im eignen Haus daheim.
Könnt Ihr eine Unterredung
Mit dem Herzog mir verschaffen?
Aber ganz allein mit ihm.
Es sind dringende Geschäfte.
FLODOARDO.
Mit Vergnügen. Wollt Ihr Euch
Einen Augenblick gedulden?

Ab in das Gemach des Dogen.
[190]
PAROZZI
allein, mustert den Saal mit Wohlgefallen, und durchschreitet ihn mit einer Art Hochgefühls.
Ja, noch ein paar rauhe Wochen,
Ein paar Stürme durchgekämpft,
Und es dürfte dann wohl dieser
Alterthümliche Palast
Don Parozzi's Wohnsitz werden ....
Uebel scheint sich's nicht zu leben
In den königlichen Sälen,
Von der Ehrfurcht einer Welt,
Und der alten Pracht umgeben.
Wenn einst vor der Marcuskirche,
Mitten auf der Riesentreppe,
Die durchlauchte Signoria
Mir begegnet, – mir das Haupt deckt
Mit herzoglichem Barete:
Ha, in andrer Majestät
Will ich mich dem Volke zeigen,
Als der altersschwache Gritti.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Der Doge. Parozzi.

PAROZZI
ihm ehrerbietig entgegen.
Eurer Durchlaucht unterthänigst ...
DOGE.
Welcher angenehme Zufall
[191] Lockt Euch heute, seltner Gast,
Zu mir her in den Palast?
PAROZZI.
Darf Anhänglichkeit und Treue
Für den Staat und Eure Durchlaucht
Zufall heißen ...
DOGE.
Ei, zuweilen
Kann selbst Tugend Zufall sein.
Das Verhältniß macht den Menschen;
Heut' ihn trotzig, morgen weibisch,
Heute ehrlich, morgen feil.
Sagt, was wäre Alexander
Ohne Philipps Thron geworden?
Was der Gauner Abellino
An der Spitze eines Heeres?
PAROZZI.
Es geziemt mir, glaub' ich, nicht,
Meiner Vaterlandesliebe
Ehrenreden hier zu halten.
Besser spricht für sie das Werk.
DOGE.
Was betrifft es?
PAROZZI.
Die Verschwörung,
Deren erster Faden, sagt man,
Flodoardo Mocenigho
Aufgefunden haben soll.
DOGE.
Ha, das große Wort des Tages,
Dessen Donnerruf die Ohren
[192] Taub für jedes Andre macht. –
Frische Botschaft? ... oder besser ...

Die Augen forschend auf Parozzi's Miene.

Ein Beweis, daß dort am Ende
Alles falsch sei, eitel, nichtig,
Leeres Schreckbild unsers Argwohns?
PAROZZI.
Nein, im Gegentheil, ich trage
Euch ein Licht zu, dessen Strahlen
Der Verschwornen finstre Werkstatt
Tief ins Innerste beleuchten.
DOGE
stutzig.
Ihr? – Wie so? Erzählt. Was gibt es?
PAROZZI.
Doch, durchlauchter Herr, mein Name
Bleibe ewiglich geheim.
DOGE.
Ist er nicht als Bürgschaft nöthig ...
PAROZZI.
Nein, ich bring' Euch bessre Bürgschaft
DOGE.
So empfangt mein Wort; es soll
Euer Name heimlich bleiben.
PAROZZI.
Würd' er ruchbar ... o, es müßten
Welt und Nachwelt ihren Fluch
Mit Empörung auf mich schleudern.
Denn – o Gott – ich darf's kaum sagen,
Dem geschwornen Bürgereide,
Und der Pflicht fürs Vaterland
Soll ich meines Herzens Frieden,
[193] Meine zärtlichsten Gefühle,
Und was je dem Mann von Ehre, –
Was den Völkern aller Zeiten
Hoch galt – kurz ... ich muß, ich soll
Meinen eig'nen Freund verrathen.
DOGE
schaudernd.
Euern eignen Freund? ... Doch weiter!
Ihr könnt jetzt nicht mehr zurück,
Und das rasch entfloh'ne Wort
Aus der Luft nicht wieder fangen.
PAROZZI.
Lange hab' ich schwer gerungen
Zwischen Liebe und Gesetz.
Mitleid und Erbarmen klagten
Laut um den verirrten Freund;
Aber lauter schrie der Jammer
Unsrer edeln Republik.
Schwerer hat das Schicksal niemals
Einen Sterblichen geprüft.
Nirgends sah ich für mich Ausflucht,
Immer drängte nur die Wahl:
Hochverräther an der Freundschaft
Oder an dem Staat zu werden.
DOGE.
Allerdings, die Wahl ist graunvoll.
Doch Ihr habt den Kampf bestanden;
Und – es tröstet mich für Euch, –
Euer Schmerz, wie mich bedünkt,
Spricht gesetzt, spricht ziemlich nüchtern.
Drum zur Sache. Nennt den Namen.
[194]
PAROZZI.
Darf ich? Muß ich nicht befürchten,
Daß dies Wort, wenn mir's entfährt,
Euer Herz zu schwer erschüttre,
Eure köstliche Gesundheit
In den feinsten Wurzeln tödte?
DOGE
düster.
Sorget nicht um mich, und wagt's!
Meine Proben sind bestanden.
PAROZZI.
Denn, man sagt, er sei euch theuer.
Und Ihr hättet ...
DOGE.
Rasch zum Ende!
Klage, Kläger und Beweis!
Eure Botschaft ...
PAROLI
nimmt gemächlich einen Brief hervor.
Gnäd'ger Herr,
Als ich, um die Dämmrung, gestern
In der Kühle mich erging,
Fand ich einen offnen Brief
Unweit der Rialtobrücke.
Das Papier, ein Spiel des Windes
Flatterte vor mir am Boden.
Ich erhascht' es, steckt' es zu mir,
Und fand zentnerschweren Inhalt. –
Wie Ihr seht, das Schreiben ist
An Don Kassowich gerichtet,
Obersten Befehliger
Der dalmatischen Besatzung.
[195] Ihm wird eilends angedeutet,
Daß die Stunde der Entscheidung
Zwar um sechs und sieben Tage
Weiter hin verschoben sei;
Daß er aber dennoch wachsam
Bleiben müsse, und bereit,
Auf den ersten Wink des Bundes
Mit dem Kriegesvolk zu wirken.
Ferner, daß er den Marcasca,
Hauptmann bei der Zeughauswache,
Von dem wicht'gen Platz entferne;
Denn der Hauptmann sei verdächtig.
DOGE.
Und die Unterschrift?
PAROZZI.
Sie lautet ...
Flodoardo Mocenigho.
Hier der Brief in seiner Urschrift.

Er überreicht denselben.
DOGE
mit ruhigem Ernst, indem er den Brief durchsieht, spricht, immer die Augen auf das Papier geheftet.
Das ist Flodoardo's Handzug! ...

Nach einer Pause.

Und man findet auf den Straßen
Von Venedig solche Briefe? ...
Feiner pflegen doch Verschworne
Sonst ihr falsches Spiel zu treiben.
PAROZZI.
Mit noch feinerm Finger aber
Spielt die Vorsehung hinein.
[196]
DOGE
mit dem Blick auf ihn.
Ihr habt Recht, wahrhaftig Recht!
Drum baut jeder Bösewicht,
Und wie schlau er's sich berechne,
Immer nur den eignen Galgen.
Alle Bosheit ist nur Dummheit,
Die zuletzt sich selber fängt;
Jeder Vorsatz des Verbrechens
Aufruhr eines Sonnenstäubchens
Wider Gottes Weltenszepter.
PAROZZI.
Allerdings! – Wie sehr beklag' ich
Die Verirrung Flodoardo's!
Nur Verblendung, nur Verzweiflung
Einer hoffnungslosen Liebe
Warb vielleicht den jungen Mann
Für den Bund der Mißvergnügten.
Dieser Bund bot seinem Stolze
Eine große Hoffnung an,
Oder eine große Rache ...
In der That, ich lieb' ihn noch!
Und ... warum nicht? ... mir scheint's möglich,
Ihn vielleicht auch jetzt zu retten,
Ohne Nachtheil für den Staat.
In der Macht von Eurer Durchlaucht
Liegt es, schnell ihn zu entfernen;
Jeder Fingerzeig des Briefes
Ließe sich auch dann benutzen,
Wenn die Handschrift Flodoardo's
Schon im Rauch verflogen wäre.
[197]
DOGE
kopfschüttelnd.
Laßt das Recht den rechten Weg ziehn!
Euch verdank' ich Eure Treue.
PAROZZI.
Aber wie gesagt, mein Name ...
DOGE.
Bleibt verschwiegen, zweifelt nicht.

Indem er ihm das Zeichen der Entlassung gibt.

Morgen, an dem Namensfeste
Meiner Nichte Rosamunde,
Hoff' ich, werdet Ihr nicht fehlen?
PAROZZI.
Eure Durchlaucht ... allzugnädig ...

Ab.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Der Doge allein, nachher ein Diener.

Hm! ein Wind spielt auf der Gasse

Mit dem Briefe? wirlt ihn eben

Vor Parozzi's Füße nieder?


Er klingelt.

Mir weht Wind in die Geschichte!


Ein Diener kömmt.

DOGE.
Ruft aus meinem Arbeitszimmer
Mir den Ritter von Florenz.
DIENER
ab.
DOGE
den Brief noch einmal musternd.
Das schrieb Flodoardo's Hand.
Hier ist Wahrheit, unläugbar;
Doch der Mann, der mir das brachte,
Sah der Lüge etwas gleich.
Wem soll ich, und was hier glauben?
[198] Sei's, ich will mich gehen lassen.
In verworrenen Geschäften
Ahnt ein dunkles Rechtsgefühl
Leichter oft das Wahre aus,
Als der glücklichste Verstand.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Doge und Flodoardo.

FLODOARDO.
Mein durchlauchter Herr, ich möchte ...
DOGE
hält ihm den Untertheil des Briefes vor die Augen.
Weß ist diese Unterschrift?
FLODOARDO.
Meine eigne.
DOGE
hält ihm den ganzen Brief vor.
Und die Handschrift?
FLODOARDO.
Irr' ich nicht, so schrieb ich's selber.
DOGE
steckt den Brief zu sich.
Wann habt Ihr dem Obersten
Der dalmatischen Besatzung
Diesen Brief gesandt? – Besinnt Euch.
FLODOARDO.
Dem schrieb ich noch keine Zeile.
DOGE.
Oberst Kassowich?
FLODOARDO.
Noch niemals.
[199]
DOGE.
Sagt mir denn, was haltet Ihr
Von der Treue des Marcasca,
Hauptmanns bei der Zeughauswache?
FLODOARDO.
Ich bedaure, Eure Durchlaucht
Nicht befriedigen zu können,
Denn er ist mir unbekannt.
DOGE.
Nun denn ... Mehr ein and'res Mal.

Er will sich entfernen.
FLODOARDO.
Eure Durchlaucht, eine Bitte
Wollet Ihr mir noch gewähren ...
Ein Geschäft von Wichtigkeit ...
Nur des Augenblicks bedarf es,
Um die Sache abzuthun.
DOGE
schon an der Seitenthür.
Dringenderes ruft mich fort.
Zögert hier ein Viertelstündchen,
Und verlasset nicht den Saal.

Ab.
FLODOARDO
allein, verdrießlich.
Nur ein Viertelstündchen! Wüßt er's,
Wie Minuten heute schwer sind! – –
Und was wollt' er mir mit seinen
Sonderbaren Fragen deuten? –
Jener Brief dazu! – Vermuthlich
Gar ein Liebesdienst Parozzi's!
Und wozu? O, ganz gewiß
Will mir dieser glatte Flachkopf
[200] Einen übeln Streich versetzen.
Nattern tragen flache Köpfe!
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Flodoardo. Rosamunde.

FLODOARDO
ihr entgegen.
Ha, Signora!
ROSAMUNDE
heiter.
Hier so einsam?
Müßt' Ihr, Ritter, vor den Thüren
Meines Oheims Schildwacht halten?
FLODOARDO
etwas verstimmt.
Wirklich Schildwacht; und das mehr
Als in einem Sinn des Wortes.
ROSAMUNDE.
Schön, ich muß ihn glücklich preisen.
Unter Eurer Obhut ist er
Wohlgeschirmter, als wenn tausend
Der dalmatischen Soldaten
Seinen edeln Leib bewachten.
FLODOARDO
mit Achselzucken.
Ah, ich stände andrer Orten
Besser wohl an meinem Platz; –
Aber ich bin hier gebannt; ...
Soll davon, und darf es nicht.
ROSAMUNDE
scherzend.
Sehr verbindlich, edler Herr,
Schon, im ersten Augenblick
Eines flüchtigen Gesprächs,
Langeweile mir zu klagen.
[201] Macht mich ja nicht stolz, zu glauben,
Ihr vergesset neben mir
Ganz Venedig und die Welt.
FLODOARDO
sich in ihren Ton stimmend.
Zweifelt nicht; so ist es wirklich.
Ganz Venedig und die Welt,
Nur Euch selbst nicht, über Euch.
Ist nicht morgen Namensfest
Uns'rer heil'gen Rosamunde?
Hab' ich da nicht tausend Dinge
Diesem Festtag vorzurüsten?

Vertraulich, halblaut.

Und – ich hoffe mir bei Euch,
Wenn's gelänge, die Gewährung
Einer Bitte zu verdienen.
ROSAMUNDE.
Einer Bitte? und die wäre?
FLODOARDO.
Daß die Herrin meines Lebens
Mich, wie ihren Diener einen,
Mit dem süßen Du benenne.
ROSAMUNDE
mit Lächeln und Kopfschütteln, drängt ihn sanft von sich.
Wie ich hier Euch nenne,

Auf das Herz deutend.

weiß ich;
Euch jedoch frommt's nicht zu wissen.
Uebrigens laßt uns die Formen
Eingeführten Brauches ehren.
Sie sind nichts an sich, und zarter,
Als der Spinne feinster Faden;
Dennoch stärker als der Stärkste.
[202] Wißt, der Sturm der Leidenschaften
Wird von ihrer Macht gefesselt,
Der die Welt sonst aus den Fugen
Aller Ordnung treiben würde ...
Ah, schon straft mich heut die Reue,
Daß ich gestern ... daß die Blume ...

Lebhafter und ängstlich.

Ich beschwör' Euch, edler Lieber,
Laßt es keiner Seele ahnen,
Wer sie gab und – was sie deutet!
FLODOARDO.
Fürchtet nichts, erlauchtes Fräulein,
Das Juweel ist wohlverwahrt;
Liebes- oder Leichenschmuck,
Ruht es hier am treuen Herzen.

Indem er an der goldenen Halskette zupft, um sie hervorzuziehen und ungeduldig das Brustkleid dabei
öffnet, erblickt man einen verborgenen Panzer.
ROSAMUNDE
erschrocken.
Flodoardo! ... Was soll das?
Warum traget Ihr den Panzer
In Venedig? im Palast
Eures Herzogs? – Ist Gefahr?
Sprecht, um Gotteswillen! stellt Euch
Abellino nach dem Leben?
FLODOARDO
betreten, verbirgt den Panzer.
Nichts ... es war Vergeßlichkeit ...
Diesen Morgen ... Ihr seid blaß?
Warum zittert Ihr – Wir Männer
Haben öfters tolle Händel.
[203]
ROSAMUNDE.
Nein, gepanzert und gewaffnet,
Wie zur Feldschlacht, wie auf Corfu,
Denkt Ihr, blut'ge Lustbarkeiten
Mir zum Feste zu bereiten.
Darum, darum ist's zu thun!
Dies geheimnißvolle Gähren
In der Stadt und im Palast,
Dieses Treiben, dieses Fliegen
Stummer Boten her und hin,
Die Verdoppelung der Wachten,
Die Versammlung aller Räthe ...
Alles sagt mir an: es hange
Schon ein unglücksschweres Schicksal
Drohend über unsern Häuptern.

Vertraulicher.

Flodoardo, bin ich wirklich
Eurer Achtung nicht ganz unwerth,
O so nehmt die Angst von mir.
Sagt, was stehet uns bevor?
Fürchtet nichts; ich will nicht zittern
Schwebt Ihr selber in Gefahr?
O gesteht mir's! Warum schweigt Ihr?
Euer Leben, ist's nicht mein?
Retter, Engel meines Daseins,
O verhehlt mir nichts, ich flehe,
Ich beschwör' Euch ... Edler, Lieber ...

Leise, ihn in Thränen anlächelnd.

Ich befehle dir es, hörst du?
Ich gebiete dir's!
[204]
FLODOARDO
ihre Hand küssend.
Wer könnte
Den Gehorsam da verweigern?
Nun, so wißt's! – Doch, was ich sage,
Niemand soll's von Euern Lippen
Wieder hören, auch nur ahnen. –
Allzufrüh entsiegelt, bringt
Das Geheimniß mir den Tod! –
Ja, ich steh' in voller Schlacht.
Schwerern Streit muß ich heut' führen,
Als in Corfu mit den Heiden.
Im Verborgnen zielen hundert
Feuerröhre, hundert Klingen
Auf mein Herz, beim ersten Wink,
Wenn der Zufall mich verräth.
ROSAMUNDE
mit Bangigkeit.
Gilt es Euch allein – so flieht!
Fliehet auf Pesaro's Flotte;
Rettet, rettet Eure Tage.
Was Ihr rettet, ist mein Leben.
Säumet nicht! Nun wird die kalte
Todesangst von meiner Seele
Nicht mehr weichen, bis ich Euch
Aus der Stadt entronnen weiß.
FLODOARDO.
Hört mich ganz. Obwohl ich einzeln,
In zweideut'ger Stellung, kämpfe,
Weder Feind von meinen Feinden,
Noch der Freund von meinen Freunden,
Kämpf ich dennoch nicht um mich.
Nein, der Streit geht um viel Hohes,
[205] Um das Leben Eures Oheims,
Um die Sicherheit Venedigs,
Um die uralt heil'ge Ordnung,
Um den Ruhm der Republik.
ROSAMUNDE
ihn anstarrend.
Steht es so? – Es wird mir Licht.
Nun, – so walte Gott! – Ihr bleibt!
Bleibt und streitet; fallet, sieget;
Alles gleich! – Wir Menschen leben
Nicht des eiteln Lebens willen.
FLODOARDO.
Seid beruhigt. Morgen schon
Hoff' ich, ist das Werk vollbracht.
Laßt Euch, was nun auch geschehe,
Nichts erschüttern; glaubet nichts,
Was man irgend wegen meiner
Deuteln, rathen, plaudern wird.
Würdig will ich Eurer leben;
Eurer würdig kann ich sterben.

Indem er kniend ihre Hand küßt.

Weinet nicht, denn diese Thränen
Sind zu früh, sie sind zu köstlich;
Können mit dem schwarzen Blute
Meiner Feinde nimmermehr
Aufgewogen werden! – Bete,
Engel Gottes, bete freundlich!
Deine Lippe ruft den Sieg;
Denn du stehst der Gottheit näher,
Als wir Sündige, verwandt.
Gott hat noch zu allen Zeiten
Einen Liebling aus dem Himmel
[206] Auf die Erd' herabgesandt,
Um, in menschlicher Gestalt,
Sehnsucht nach dem Göttlichen
Unter Sündern zu entzünden:
Und du – bist die Botin Gottes.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
Die Vorigen. Der Doge.

DOGE
indem er Beide erblickt, bleibt plötzlich stehen; dann mit Aufwallung des Zorns, als Flodoardo ihm entgegen treten will.
Ritter, das geziemt Euch übel ...
Ihr vermeidet auf der Stelle,
Für die Zukunft, den Palast,
Und begebt Euch auf die Flotte!
Rosamunde, du mein Stolz einst,
Meine Schmach jetzt, – fort von hier!
Fort, in dein Gemach, und wenn du
Lieber willst, ins Nonnenkloster.
FLODOARDO
bescheiden.
Eure Durchlaucht, ich gehorche. –
Mein Gebieter seid Ihr über
Thun und Lassen, Tod und Leben;
Nur drei Dinge bleiben dennoch
Auch dem ärmsten Sklaven frei;
Ueberzeugung und Gewissen,
Und des Herzens innre Neigung.
Wenn ich Eure edle Nichte
Tief und anspruchlos verehre ...
[207]
DOGE
bitter.
Wirklich? Auf den Knien sogar? –
Undankbarer, dafür will ich
Euch mit meinem Fluche danken!
FLODOARDO
in bittender Stellung.
Euer Segen, Fürst und Vater,
Hat des Fluches Arm entwaffnet.
O, gedenket heut' der Stunde,
Als Ihr, mir zum Troste, sprachet:
»Ich bin Mensch, und kann verzeihn.«
DOGE
zur Nichte gewandt.
Warum zögerst du? Was denkst du
Noch zu heucheln? Fort, von hinnen!
ROSAMUNDE
mit ruhigem Stolz.
Ich gehorche, theurer Oheim;
Doch gestattet mir, in Demuth,
Euch mein Lebewohl zu sagen.
Binnen einer Stunde werd' ich
Fern von hier im Kloster wohnen.
Diesem Manne, der mich ehmals
Aus der Knechtschaft der Barbaren
Lösete mit seinem Blute,
Ihm gehört mein Herz zu eigen.
Meine Hand verschenk' ich nicht,
Und – sie läßt sich nicht verkaufen.
DOGE.
Still! Davon ist hier nicht Rede.
FLODOARDO.
Wenn Ihr mir ein Wort erlaubet,
Allerdings, durchlauchter Herzog.
Ihre Liebe macht nun ewig
[208] Meine höchste Seligkeit.
Ihre Hand darf ich nicht fordern.
Wäre sie um einen Preis
Zu erringen, o der schwerste
Würde mir ein Federspiel.
DOGE
ärgerlich.
Wirklich? Nun, so rüstet Euch,
Hier gibt's etwas zu verdienen!
Geht, und sprenget die Verschwörung,
Eh' sie uns sprengt und den Staat.
FLODOARDO
stürzt ihm freudig zu Füßen.
O, mein Herzog! viel zu wenig!
Viel zu wenig! – Könnte das schon
Euern Zorn mit uns versöhnen?
DOGE.
Geht, vollbringt's, und hintennach
Prahlt, es sei nur Spiel gewesen.
Geht, und schleppt den Abellino
Bei den Haaren mir hierher,
Mir lebendig hier zu Füßen ...
FLODOARDO.
O, zu niedrig ist der Preis! ...
ROSAMUNDE
heftig.
Nimmermehr! Es ist zuviel.
Oheim, was hat er verbrochen,
Daß Ihr seinen Tod begehrt?
FLODOARDO
aufspringend und Rosamunden sanft zurückhaltend.
Rosamunde, laßt mich walten!
Das, das ist die heiße Schlacht,
Die ich lief're! Laßt mich walten!
[209] Ja, mein gnäd'ger Fürst und Herr,
Binnen vierundzwanzig Stunden
Ist's gethan, wie Ihr geboten,
Oder zählt mich zu den Todten.
DOGE
stutzig.
Junger Mensch, Euch dreht der Schwindel!
FLODOARDO
zieht Papiere hervor, die er ihm überreicht.
Wenn Ihr unbedingten Glauben
Mir zu würdigen geruht,
Wenn und was sich auch ereigne,
Und wenn Alles wider mich
Zeugend beide Hände aufstreckt,
Nichts in Euch die Zuversicht
Auf mein Wort und meine Treue
Wanken macht, dann wird's gelingen!
Ja, bei meiner ew'gen Liebe
Bei' der Unschuld dieser Heil'gen
Bei dem Throne der Vergeltung
In den Himmeln sei's geschworen:
Ich bin Euch und dieser Heil'gen
Und dem Vaterlande treu.
DOGE.
Die Papiere hier?
FLODOARDO.
Ich bitte,
Daß es Euch gefallen wolle,
Was darin bezeichnet ist,
Wegen Truppen und Galeeren,
Wegen Wachten und Verhaftung
Einzelner Venetianer,
[210] Alles auf das Pünktlichste
In der vorgeschrieb'nen Stunde,
Nicht zu früh, und nicht zu spät,
Ohne Fehl vollziehn zu lassen.
Morgen dann, zur achten Stunde,
Wenn, zum großen Feiermahle,
In dem glanzerfüllten Saale
Herrn lind Frau'n versammelt sind,
Werd' ich wiederum erscheinen.
Mein Erscheinen gilt als Botschaft
Unsers Sieges, unserer Freiheit!
DOGE
ihn durchforschend.
Ihr mit dieser Zuversicht
Der Entwürfe solltet Ihr
Mehr schon, als ich selber, wissen
Von dem Werk der Finsterniß?
Warum wenn's in Eurer Macht steht,
Hebet Ihr nicht pflichtgemäß
Ganz die Decke vom Geheimniß?
FLODOARDO.
Laßt mich schweigen, gnäd'ger Fürst.
Hinter seinem Garn verborgen,
Liegt der Vogelsteller lauernd,
Athmet kaum. Ein unvorsicht'ger
Laut entführet ihm die Beute.
Was ich Euch in diesen Blättern,
Was ich mündlich Euch vertraute,
Darf kein Sterblicher vernehmen,
Bis die That es ihm verräth.
Lautlos fällt der Blitz vom Himmel,
Und zermalmt die Felsenburgen;
[211] Dann verkünden erst die Donner
Seine Macht.
DOGE.
Es sei darum.
Wohl, ich darf Euch trau'n; Ihr redet
Mit der Zuverlässigkeit
Eines Mannes, der sein Spiel kennt.
Aber bauet nicht zu viel
Auf die eigene Berechnung!
FLODOARDO.
O ich weiß! es rechnet freilich
Noch ein And'rer im Verborg'nen!
Unser Spiel wird von dem Spiele
Jener fremden Hand durchkreuzt,
Welche mit dem Staub der Wüste,
Mit dem Frost der Winternacht
Niebezwungne Heere schlägt;
Mit dem Blasen eines Windes
Unbewegliche Armaden
In den nahen Abgrund legt.
Doch auch dann... mein Herr und Vater,
Gönnt mir Euer fürstlich Wort,
Zu vollziehn, was ich gebeten.
DOGE.
Auch nach einem Strohhalm, sagt man,
Hascht in banger Todesnoth
Der Ertrinkende voll Hoffnung.
Hier mein Wort, und hier die Hand!
FLODOARDO.
Morgen um die achte Stunde ...
Wenn ich nicht erscheinen würde ...
[212] Wenn die neunte Stunde schlägt,
Und ich nicht erschienen wäre ...

Er überreicht einen versiegelten Brief.

Dann erbrecht dies schwarze Siegel,
Und vollstreckt des Inhalts Winke.
Nun die Stunde ruft zum Werke;
Laßt mich an die Arbeit eilen.
Lebet wohl! Ich muß von hinnen.
Rosamunde lebet wohl! – –
O du auserwähltes Licht
Meiner Laufbahn, leuchte mir,
Hin durch Stürm' und Finsternisse
Wie dem Schiffenden sein Nordstern ...
Bete! – hoffe! – traure nicht!
ROSAMUNDE
mit Begeisterung.
Soll Venedigs Tochter trauern,
Wenn für Recht und ew'ge Ordnung,
Für des Vaterlandes Ruhm,
Helden in die Schranken treten?
Sind denn meine Wangen bleich?
Sind in diesen Augen Thränen? –
Fahre wohl, du edler Streiter.
Wer, den Gott in seiner Brust,
Nicht vor Schicksalstücken zittert,
Hat den Sieg schon halb errungen,
Hat das Stärkste schon bezwungen.
Fahre wohl; ich weine nicht!
Ueberwind', ich will dich kränzen;
Stirb, ich sterbe freudig nach.
Wenn für Heil'ges Waffen glänzen,
Ist der ganze Himmel wach.
[213]
FLODOARDO UND ROSAMUNDE
reichen sich die Hände zum Abschiede; – heften die Blicke stumm auf einander – trennen sich schweigend, und gehen langsam auf verschiedenen Seiten ab.
DOGE
nach einer Pause.
Ist's das Alter? Sind's die Zeiten?
Alles dünkt mich irr' und wirre;
Und der Geist schwebt dumpf und stumpf
Ueber'm Chaos wüster Händel. –
That ich recht, all' meine Macht
Und das Schicksal von Venedig
In des Jünglings Hand zu werfen?
Selbst die Frag' ist schon zu spät.
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
Der Doge. Drei Senatoren.

EIN SENATOR.
Auf Befehl des Zehner-Rathes
Kommen wir, durchlauchter Herr,
Euch zu bitten, die Verhaftung
Flodoardo Mocenigho's
Allerschleunigst anzuordnen.
DOGE.
Flodoardo Mocenigho's?
Und weßhalb?
EIN SENATOR.
Es haben wirklich
Ein'ge der gefangnen Bürger
Unterm Schmerz der Foltereisen
[214] Eingestanden und bekannt,
Daß der Ritter von Florenz
Für den Zweck der Mißvergnügten
Sie erst angeworben, dann
Ihnen Pulver und Gewehre
Selber anvertrauet habe.
DOGE.
Thorheit! und er selber hätte
Sie dann hintennach verrathen?
Selber sie dann eingefangen?
Und sie hätten voller Großmuth
Ihn verschwiegen, bis die Qual
Sie am Ende übermannte? ...
Ich begebe mich zur Stelle
Zu dem Zehner-Rathe. – Folgt mir.

Alle ab.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt.
Zimmer im Palast Parozzi's. – Seitwärts ein Tisch mit Weinflaschen. Im Hintergrunde ein schwarzbehangener Tisch, darauf ein Kruzifix zwischen brennenden Kerzen, vornan ein Todtenkopf.
Parozzi, Memmo, Falieri, Abbate Tolomeo treten herein.

PAROZZI.
Eure Herrlichkeiten, diesmal
Seid Ihr Männer nach der Uhr!
MEMMO
zu Parozzi.
Was? Altar und Kruzifix?
Und der Todtenschädel? – Theurer,
[215] Schafft das grausige Gesicht
Mit den hohlen Augen fort!
Solche Weltgerichtsfiguren
Taugen zu uns lust'gen Zechern,
Wie Erdbeben und Orkane
Allenfalls zum Maskenball.
FALIERI.
Der hochwürd'ge Abbate
Will uns, scheint es, Messe lesen.
PAROZZI.
Freunde, heut zum letztenmal
Sammeln wir uns hier zu Rath,
Morgen Nacht ruft uns die That.
Darum, denk' ich, sollen wir
Unsern Bundesschwur erneuern,
Treu zu halten Mann an Mann.
TOLOMEO.
Ja, und feierlich betheuern,
Auch den letzten Tropfen Bluts
Für das heil'ge Werk zu opfern,
Bis es in Vollendung strahlt; –
Bis der ketzerische Stolz,
Ausgerottet im Senate,
Gotte gibt, was Gottes ist,
Und, zu Rom dem Stuhle Petri
Unterwürfig, dessen Recht
In der Kirche anerkennt: –
Bis, von weltlichen Gesetzen
Unbeschränkt, die heilige
Inquisition des Glaubens
Reinheit freudig schirmen kann; –
[216] Bis das Laster der verruchten
Simonie entwurzelt worden:
Daß gesammte Geistlichkeit
Nicht unmittelbar vom Staate,
Wie bisher, abhängig schmachte,
Sondern ihrem Oberhirten
Wie in andern Christenländern,
Wieder heimgegeben sei.
FALIERI
hämisch.
Pah! das wird sich Alles machen!
Erst gefegt und dann der Tanz.
Doch wozu die Kinderpossen,
Bundesschwur und Firlefanz?
Schwören oder nicht, wir müssen
Vorwärts in Triumph und Tod.
Vorwärts geißelt uns die Noth!
Es bedarf wohl keines Schwures,
Daß es Niemanden gelüste
Unter'm Henkerbeil zu enden.
Und wer dennoch wanken möchte,
Den, Ihr wißt's, trifft unser Dolch.
Aber wichtiger ist heut,
Daß wir uns ein Haupt erwählen,
Welches die zerstreute Kraft
Blinder Glieder kennt und züchtet,
Und vereint zum Ziele richtet.
MEMMO.
Wohlgesprochen! Hab' ich das
Nicht schon tausendmal gepredigt?
Seht das wahre Haupt im Staat
Ist, Ihr wißt's, der Zehner-Rath.
[217] Er hat Willen und Gedanken;
Ist der Geist, der Alles treibt;
Und der Dog' an diesem Haupte
Nur das Aeußre, – das Gesicht.
Gut, Ihr Andern bildet künftig
Unsern neuen Zehner-Rath;
Seid Ihr dann das Buch der Weisheit,
So macht mich zum Titelblatt.
PAROZZI
lächelnd zu Memmo.
Merkt Ihr nicht, daß Falieri
Selber nach der Krone schielt?
Unser edler Freund, ich wette,
Sieht sich mit dem Herzogsmantel
Schon im Geiste angethan;
Und wie er, voll Majestät,
Auf dem goldnen Bucentauro,
An dem Fest der Himmelfahrt,
Ueber Adria's Gewässern
Mit dem goldnen Trauring schwebt;
Dann, umringt von tausend bunten
Gondeln, Barken und Galeeren,
Bei dem Donner des Geschützes,
Und dem Festklang aller Glocken,
Die Vermählung mit dem Meere
Unter Jubelruf vollbringt.
FALIERI
heftig.
Eignet mir doch nicht die Träume
Eures faden Hochmuths zu!
Denkt, statt an den Hermelinschmuck
Um den Leib, an euern Hals,
Und vergeßt nicht, daß der Weg,
[218] Den wir mit einander morgen
Wagen werden in der Nacht,
Uns erst an der Seufzerbrücke
Hart vorbeiführt, neben Kerkern,
Und den schaurigen Bleikammern, –
Rechts vorüber an den Säulen
Von St. Theodor und Marcus,
Zwischen welchen, aller Zeiten,
Blutgerüst' und Galgen wachsen.
Darum thut ein sichrer Führer
In der dunkeln Nacht uns Noth.
TOLOMEO.
Nöthiger uns noch die Eintracht!
Was geschehn soll, ist beschlossen;
Der Entwurf ist fest geregelt,
Jede Rolle ausgetheilt.
Dabei laßt es nun bewenden;
Bannt den Hader; ruft ihn nicht
Durch die Eifersucht herbei.
Horcht! Man kömmt!
PAROZZI.
Es sind die Freunde!
11. Auftritt
Eilfter Auftritt.
Die Vorigen. Contarino. Abellino.

MEMMO.
Contarino und – der Teufel!
CONTARINO.
Heda! füllet an die Becher
[219] Mit dem besten Cyprier;
Denn ich bring' Euch frohe Mähr.
Die Geschäfte gehn von statten!
ABELLINO.
Und ich komme auch nicht leer.
CONTARINO.
Die gefangnen Bürger sah ich
In die Marterkammer schleppen.
Wetter, das gab Höllenspaß!
Unsre armen Schelme riefen
Erst die heil'gen zwölf Apostel,
Dann auch die zehntausend Jungfraun,
Als die Bürgen ihrer Unschuld;
Aber deren keiner kam.
Darum blieb beständig Frage:
Was ein Mann, wie unser Schneider,
Mit den Piken und Gewehren,
Statt der Nadeln und der Scheeren,
Schneidern, näh'n und bügeln könne?
Oder was der feiste Bäcker
Backen woll' aus Blei und Pulver?
Jener pfiff, gleich einer Spitzmaus,
Wenn der Schmerz aufs höchste stieg;
Dieser blies aus vollen Backen,
Wie vor seines Ofens Glut.
PAROZZI.
Und bekannte einer?
CONTARINO.
Keiner.
Selbst, als man den Bäcker endlich,
Halb entkleidet, mit den Armen
[220] Oben an die Eisenstange
Aufgehangen, unten aber
Ein Paar Schuhe ihm von Blei
An den Fuß gebunden hatte,
Seht, er blies nur? muckste nicht.
Muckste nicht, auch wenn der Henker,
Aus der glüh'nden Pfanne, lustig
Pech und Schwefel, mit dem Besen,
Gegen die Gelenk' ihm spritzte.
ALLE.
Bravo! Bravo!
MEMMO
halblaut, im Gefühl eines Gefolterten.
Mordio!
CONTARINO.
Anders pfiff das Schneiderlein,
Als es ausgespannt, durchsichtig,
Wie ein lock'res Spinngewebe
Diesen Feuerregen spürte.
Gnade! schrie es, ich bekenne! –
ALLE.
Und bekannte?
CONTARINO.
Allerdings ...
ALLE.
Wetter! das ist übel!
MEMMO.
Halt!
Alles, alles ist vorbei;
Leute, flieht! Wir sind verloren,
[221] Sind verrathen, sind verkauft!
Jesus du, Marie und Joseph!
CONTARINO
ärgerlich.
Quacke nicht und laß mich reden.
Kurz, das Schneiderlein bekannte,
Den bei ihm gefundnen
Waffenvorrath habe ihm
Flodoardo zugestellt.
ALLE.
Flodoardo? O vortrefflich!
CONTARINO.
Schnell zum Zehner-Rath und Herzog
Flogen Boten Sbirren eilten
In die Wohnung Mocenigho's,
Doch der Vogel war entwischt.
Aufgeschoben ward sodann
Das Verhör bis übermorgen.
PAROZZI.
Gut, dann sitzen, hoff' ich, wir
Selber auf den Richterstühlen,
Und das Schwert schlägt umgekehrt
FALIERI.
Daß, in aller Welt, der Schneider
Zu dem klugen Einfall kam!
CONTARINO.
Er, wie's blinde Huhn zur Gerste.
Mir gelang es im Vorbeigehn,
Unbemerkt, und wie im Niesen,
Ihm den Namen zuzuflüstern.
PAROZZI
füllt und vertheilt die Gläser.
Trink auf Contarino's Wohl!
[222] Seine Geistesgegenwart
Hat uns wunderbar gerettet.
ALLE
trinken.
Contarino! Contarino!
ABELLINO
nimmt ebenfalls ein Glas.
Und die Gans vom Capitol,
Und der Schneider von Venedig!
CONTARINO.
Doch, vor Allen dich, Parozzi,
Deinen Brief an Kassowich,
Und die Hexenfeder, welche
Flodoardo's Züge stahl
Euch zusammen sollte man,
Zum Gedächtniß ew'ger Zeiten,
Unter die gestirnten Bilder
Unsers Firmaments versetzen.
Denn mit einem Federstriche
Ward der Ritter von Florenz
Aus des Herzogs Schutz gerissen;
Kassowich, der Eisenfresser,
Von dem wicht'gen Platz verstoßen;
Unserm Mann, dem Oberst Follo,
Dessen Stelle eingeräumt.
Also sind wir nun des Kriegsvolks,
Auch des Arsenals versichert.
Selbst Marcasca sitzt verhaftet.
Trinket auf Parozzi's Wohl.
ALLE
trinkend.
Brav, Parozzi! Hoch, Parozzi!
TOLOMEO.
In der That ein Meisterstreich
[223] Ein gewonnen Treffen; das ist
Mehr, als Abellino's Dolch!
ABELLINO.
Hm, ich hab' es oft gehört,
Daß, in eines rechten Teufels
Faust, die Feder ärger morde,
Als ein zweischneidiges Schwert;
Ja, die Dinte unfehlbarer,
Denn Tofana-Wässerlein.
Nun, von heut an will ich's glauben!
Kann mich, als Bandit in Ehren
Nicht der scharfe Dolch ernähren,
Ruf' ich: Dint' und Feder her!
Und vertausch' ich das Gewehr.
PAROZZI
zu Abellino.
He da, heldenmüth'ger Bravo,
Hast du keine frischen Lorbeern
Heut um deine Stirn gesammelt?
ABELLINO.
Treu vollstreckt, was Ihr geboten.
FALIERI.
Sahst du Spur von Flodoardo?
ABELLINO.
Er gibt eben großen Schmaus.
CONTARINO.
Lügner, nein, er ist entwischt.
ABELLINO.
Hi, hi, hi! hab' ich doch selber
Thor und Riegel ihm geöffnet.
MEMMO.
Sprachst ja erst von einem Schmause ...
[224]
ABELLINO.
Den er Fischen gibt und Würmern.
PAROZZI
froh zusammenfahrend.
Ist er wirklich ... wirklich ... bst!

Er schnalzt mit den Fingern in die Luft hinaus.
ABELLINO.
Falls ich in der Finsterniß
Einen Andern nicht, statt seiner,
In den Freudenhimmel schickte.
Aber kennet Ihr vielleicht
Flodoardo's Siegelring?
PAROZZI.
Wie den eigenen.
ABELLINO
reicht ihm einen Ring.
Nun so schaut,
Diesen zog ich ihm vom Finger.
PAROZZI.
Das ist Flodoardo's Ring.
Unsere Sache steht gewonnen!
Zehnerrath und Signoria
Gehn verlockt, auf falscher Fährte.
MEMMO.
Lasset nicht zu früh uns freuen!
Teufels Mehl wird oft zu Kleien.
PAROZZI.
Füllt die Becher! Morgen Nacht
Ist das große Werk vollbracht.
Nicht allein mit ihren Schrecken
Soll die stumme Finsterniß
Unsre kühne That bedecken;
Auch der trunkne Gott der Lust
[225] Will uns schadenfröhlich morgen
Seinen Rosenmantel borgen. –
Wenn die kerzenhellen Säle
Im herzoglichen Palast
Tummelplatz der Freude werden;
Wenn die bunten Tänzerreih'n,
Nach dem Zauberruf der Flöten,
Sich entwirren und verschlingen,
Muß die Mine donnernd springen.
Jeder von uns, edle Herrn,
Kennt den ihm bestimmten Platz.
Kurz vor Mitternacht verläßt
Contarino still den Ball;
Nimmt das Zeughaus; stellt das Kriegsvolk
Längs dem Marcusplatze auf,
Und Geschütz an alle Brücken.
Jede Gondel, die verdächtig
Naht, wird in den Grund gebohrt.
Bei dem ersten Schusse stürzen
Unterdeß wir Andern alle
Auf die Gäste bei dem Balle.
Was sich widersetzt, das fällt.
Abellino aber führt,
Wohlvertheilt auf vielen Wegen,
Uns die Mißvergnügten her,
Die im Dunkeln sich bewaffnet
Auf den beiden Lido's sammeln.
TOLOMEO.
Abellino ist mein Trost!
Er muß künftig Messer Grande,
Herr und Haupt der Sbirren sein!
[226]
CONTARINO.
Ja, das muß er! Schenket ein.
Er ist unser rechter Arm.
Hoch soll Abellino leben!
ALLE.
He! er lebe! lebe hoch!

Alle sammeln sich um den Trinktisch, stoßen an und verlieren sich in frohe Gespräche.
ABELLINO
hat indessen den Todtenkopf genommen und betrachtet.
Kamerad, was machst du hier?
Gelt, du meinst 's ist Alles eitel.

Er kömmt damit in den Vordergrund, und zeigt ihn den übrigen, die aber im Gespräch sich durchs Zimmer zerstreuen und nicht auf ihn hören.

Schaut, der Seele kahles Haus!
Alle Pracht ist dran verflogen;
Die Verwesung grinst heraus:
Denn der Gast ist fortgezogen.
Seelchen, wie gefiel es dir
In dem winzigen Quartier?
Welche Pläne wurden hier,
Unterm Schädeldach, geboren?
Galt's des Ruhmes Sternenflug,
Oder Büberei im Stillen?
Oder frommen Weltbetrug?
Oder Weltverbessrer-Grillen?
Oder, in der Alltagsnoth,
Sorge nur um täglich Brod? –
Vieles ward hier ausgeboren, ...
Das Geborne – ist verloren!
[227] Seelchen, blitzte mild gut
Frommer Thränen schöne Glut
Einst durch diese Augenlücken?
Oder – Brunst verborgner Tücken? –
Und was hat zumeist, von allen
Lebensschätzen, dir gefallen?
Voller Tafeln Gaumenweide?
Hübscher Weiber Liebelei?
Prunk und Pracht in Sammt und Seide?
Fürstengunst und Kriecherei?
Bänder, Sterne, Ordenskreuze?
Handel durch die weite Welt?
Oder, wohlgezählt vom Geize,
Eisenkisten voller Geld? – –
Die Begierden sind verglommen, ...
Sprich, was hast du mitgenommen?
Pulvis sumus, sumus umbra!
Seelchen, edler Gottesschatten,
Mußtest mit dem Staub dich gatten;
Bliebst du göttlicher, denn Staub?
Gabest du der Welt zum Raub
Deines Daseins seltne Freuden
Für der Tugend stillen Glanz?
Trugest du, für Recht und Wahrheit,
Des Märtyrers Dornenkranz?
Sprich, was hast du dort bekommen,
Wo Vergeltung lohnt die Frommen?
Keine Antwort? Alles stumm?

Er sieht auf die Uebrigen zurück, die im Hintergrund des Zimmers lebhaft sprechen.

Hei, wie streiten die herum!
[228] Thoren, die sich darum grollen,
Was sie morgen träumen wollen!

Zum Todtenkopf.

Vorwärts, pred'ge Kamerad,
Predige das Wort in That:

Gegen den Hintergrund gehend mit erhobener Stimme.

Pulvis sumus, sumus umbra!

5. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Glänzende Versammlung von Senatoren und Edeln, unter ihnen da Doge, Contarino, Parozzi, Memmo, Falieri, Abbate, Tolomeo, – und von Edelfrauen, unter denen auch Rosamunde und Iduella. Sie bewegen sich in geselliger Unterhaltung durcheinander; einige stehen in einzelnen Gruppen vertheilt.

MEMMO
der zu Parozzi und Contarino in den Vorgrund kömmt, halblaut.
Sagt doch, Leutchen, ist's hier richtig?
Oder habt Ihr's recht gehört?
Warum mußte Mann für Mann
Von den Gästen Dolch und Degen,
Vor dem Eintritt in den Saal,
In die Hand der Diener legen?
PAROZZI
verdrießlich.
Ei, es sei ein Rathsbeschluß,
Der verwirrten Zeiten wegen.
MEMMO.
He, nun stehn wir da, wie Laffen,
Plötzlich ohne Wehr und Waffen.
[230] Was beginnen, wenn wir nun
Schaffen sollen, was uns obliegt?
PAROZZI.
Hm, im Nothfall wird von uns
Jeder doch ein Dutzend Weiber,
Oder einen von den dürren
Federputzern auf sich nehmen?

Er schlägt sich auf die Hüfte.

Uebrigens, ich bin versehn!
CONTARINO.
Sorget nicht. Sobald es dunkelt,
Werd' ich mich von hinnen schleichen,
Werd' ich frische Waffen reichen.

Sie gehen gegen den Hintergrund, da sie den Dogen und Rosamunden nahe sehen.
DOGE.
Richte dich empor und leuchte,
Als die Königin des Festes,
Allen in der Freude vor.
ROSAMUNDE.
Oheim! – Oheim! meine Seele
Will in Bangigkeit verschmachten.
Längst schon hat die achte Stunde
Im St. Marcusthurm geschlagen, ...
Längst ... und Er ist noch nicht hier.
DOGE.
Nur vor wenigen Minuten ...
ROSAMUNDE.
Schlug das erste Viertel schon,
Und die neunte Stunde naht.
[231] Oheim, Unglück ist gekommen!
Zieht das schwarze Siegel vor.
DOGE.
Nichte des Andreas Gritti,
Will dein stolzer Muth verzweifeln?
Nimmermehr! Und welches Loos
Immerhin das Schicksal werfe
Rosamunde, Wir sind Wir!
Festen, unerschrocknen Sinnes,
Unveränderten Gesichts,
Laß uns beide dem Verhängniß,
Laß dem Tode, wenn es sein muß,
In das starre Antlitz schau'n.
EIN SENATOR
naht sich.
Eure Durchlaucht ...
DOGE
zum Senator.
Sind die Gäste
Allzumal im Saal beisammen?
Habt Ihr einzeln durchgezählt?
SENATOR.
Allesammt, und keiner fehlt.
DOGE.
Ruft nun aus der Vorderhalle
Die Dalmatier heraus;
Laßt sie mit den Hellebarden
Wachen an des Saales Pforten.
SENATOR
entfernt sich.
Der Doge und Rosamunde folgen ihm.
FALIERI
tritt im Gespräch mit Parozzi vor.
Glaubt mir doch! Geht selbst zum Fenster.
[232]
PAROZZI
ärgerlich.
Still, und scheint nicht so verlegen.
Eure Furcht malt Euch Gespenster
Ohne Zweifel Abtheilungen
Der dalmatischen Besatzung
Um die Wachten abzulösen.
FALIERI.
Nein, es sind bei tausend Mann,
Die den Marcusplatz besetzen;
Während tausend andre schon,
In vierfache Reih'n gegliedert,
Den Palast und uns umzingeln.
PAROZZI
kopfschüttelnd.
Seltsam! Laßt mich selber sehn.
Ohne Contarino's Willen
Reget sich kein Kriegesvolk.
Sollt' er wirklich eigenmächtig
Den Beschluß geändert haben?
Sein verdammter Ungestüm
Kann uns in Verderben werfen.

Verliert sich unter den Gästen.
MEMMO
naht sich.
Falieri, was gibt's draußen?
Alles wimmelt von Soldaten.
FALIERI
finster murmelnd.
Wenn's nicht Vogelsteller sind.
MEMMO
ängstlich seufzend.
O, daß ich doch Flügel hätte,
Auch nur einer Fledermaus!
[233] Ich, wahrhaftig muß hinaus,
Frische, freie Luft zu schöpfen.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Die Vorigen. Wachten mit Hellebarden besetzen den Hintergrund. Zwei Dalmatier treten hinter des Dogen Sitz. Unter den Anwesenden Bewegung und Erstaunen.

FALIERI
winkt Parozzi heran.
He, Parozzi, seht Ihr dort?
PAROZZI
halblaut.
Nichts! ein halbes Dutzend alter
Schnurrbärt' aus Dalmatien.
Lustig! Immer unbefangen!
Steht nicht, wie die thörichten
Jungfrau'n da, mit leeren Lampen.
MEMMO.
Ja, ... wenn das Gewissen ... das ...
PAROZZI
verdrießlich und schnell.
Man muß kein Gewissen haben,
Dann beißt auch das böse nicht.
FALIERI.
Still! Der Doge, scheint's, will reden.
DOGE
in der Mitte des Saals.
Laßt Euch, Edle von Venedig,
Dieses krieg'rische Geräusch
Nicht befremden, und noch minder
Eure frohe Laune stören.
Freilich, seltsam muß es scheinen,
Hier zu Lust vereinte Gäste
[234] Mitten im Geklirr der Waffen,
Gleich Gefangenen, zu sehn.
Und vielleicht noch wunderbarer,
Als das Räthsel, ist die Lösung.
MEMMO
halblaut zu Falieri.
Wenn uns nicht ein Wunder hilft,
Kann mich wahrlich nichts mehr wundern.
DOGE.
Alle wißt Ihr, welch Entsetzen
Abellino, jener Mörder
Des ehrwürdigen Canari,
Des gerechten Dandolo,
Durch die Stadt verbreitet hat.
Ja, sein Dolch scheint nur das Werkzeug
Einer mächtigen Verschwörung.
Alle ausgebotne Summen,
Alle Schlauheit, alle Kunst
Ihn zu fangen, war umsonst.
Stets verschwand er, wie der Schatten,
Vor der Fackel der Verfolger.
Flodoardo Mocenigho,
Der durch kühne Waffenthaten
Das Vertrau'n Venedigs ward,
Flodoardo Mocenigho
Hat sich nun erboten, jenen
Ungeheuern Meuchelmörder
Uns lebendig einzuliefern.
Nur auf sein Begehren ward
Der Palast umringt mit Kriegern,
Und das Innere mit Wachten
Angefüllt, wie bei Belagrung.
[235] Nur auf sein Begehren darf
Niemand, bis zur neunten Stunde,
Diesen unsern Saal verlassen.
Jeder aber darf herein.
Die Großstaatsinquisitoren,
Die erlauchte Signoria,
Der gesammte Zehner-Rath,
Haben seinem Wunsch gewillfahrt,
Denn ich selber stellte ihnen
Bürgschaft für des Ritters Treue.
Um die neunte Stunde will er
Heut die Siegesbotschaft bringen. –
Bringt er sie, dann wollen wir
Uns der ungebundnen Lust
Ohne Fessel überlassen,
Und die Königin des Festes
Soll des Siegers Haupt bekränzen;
Schöner, als die Republik
Ihn belohnen kann, vergelten.
ALLE
gehen mit Zeichen der Verwunderung und des Beifalls, in Unterhaltung durcheinander.
FALIERI
lachend zu Parozzi.
Fehlgeschossen allerseits! – –
Ihn bekränzen, in des blauen
Meeres Grund, die Nereiden.
PAROLI.
Garstig könnt' ich doch den Honig
Ihrer Hoffnungen versalzen, –
Seht – hier – Flodoardo's Ring!
MEMMO.
Nun, man darf schon wieder athmen.
[236] Gritti hat die Goldforelle
Ausgeschickt, den Hecht zu fressen.

Geht mit den Andern in den Hintergrund.
TOLOMEO
im Gespräch mit dem Dogen vortretend.
Daß der gnadenreiche Himmel,
Für des edeln Ritters Heil,
Mein inbrünstig Flehn und Seufzen
Hören würde! – Ach, in diesem
Schattenspiel des nicht'gen Lebens
Ist ja Alles – Alles eitel,
Und das Eitelste die Hoffnung!
Traut nicht allzufest! – der Hoffnung
Schönstes Morgenroth ist oft nur
Wetterleuchten aus der Ferne.
DOGE.
Nichts erwart' ich, nichts befürcht' ich.
Was Gott fügt, das ist mein Hoffen.
Doch mich dünkt, hochwürd'ger Abt,
Euer Ton verkündet Unheil ...
TOLOMEO.
Nichts ... o gar nichts ... Nur, im Fall
Irgend eine Trauerbotschaft,
Statt des Siegers ...
DOGE
forschend.
Trauerbotschaft?
Wollet Ihr mich auf das Schwerste
Vorbereiten? Ist vielleicht ...
TOLOMEO.
Nicht doch! nicht doch! Leere Sagen,
Farbenwechselnde Gerüchte, ...
[237] Eitel luft'ge Wechselbälge,
Deren Mutter Niemand kennt ...
DOGE
ungeduldig.
Flodoardo sei ...
TOLOMEO.
Ja, leider
Durch des Meuchelmörders Hand ...
EIN SENATOR
aus dem Hintergrund kommend.
Eure Durchlaucht ...
DOGE
verhüllt das Gesicht, dann nach einer Pause mit männlicher Ruhe.
Was begehrt Ihr?
SENATOR.
Ritter Mocenigho bittet
Um Erlaubniß, einzutreten.
DOGE
erschüttert.
Flodoardo Mocenigho?
War es so? Noch einmal sagt es.
SENATOR.
Flodoardo Mocenigho ...
DOGE.
Flodoardo? – Hoch willkommen
Tret' er ein!
TOLOMEO
mit Schrecken.
O heil'ger Gott!
SENATOR
entfernt sich.
DOGE
zum Tolomeo, mit Besorgniß.
Euch ist unwohl! – Ihr seid blaß.
[238]
TOLOMEO
matt.
O, das zieht vorüber ... Schwindel ...

Er wankt seitwärts zu einem Stuhl in den Vordergrund, wo Parozzi, Memmo, Contarino und Falieri im Gespräch stehen. Er setzt sich kraftlos nieder.
DOGE
mit starker Stimme zur Versammlung.
Fried' und Segen auf Venedig!
Flodoardo Mocenigho's
Ankunft soll ich Euch verkünden.
Er ist hier schon im Palaste.
Nehmet, edle Herrn und Frau'n,
Nehmet Eure Plätze ein,
Daß wir still und ohne Stören,
Seine wicht'ge Meldung hören.

Die Anwesenden entwirren sich; die Frauen lassen sich längs dem Saal in Sesseln nieder; die Herren stehen dahinter. Im Vorgrund seitwärts sitzt der Doge, zwei Dalmatier mit Hellebarden hinter seinem Stuhl wachend; neben ihm Rosamunde mit Iduellen. Ihnen gegenüber sitzt der Abbate Tolomeo. Contarino, Parozzi, Falieri und Memmo stehen zunächst hinter demselben in heimlichem Gespräch.
CONTARINO
halblaut.
Wetter! hört Ihr's nicht? Er lebt!
Hat der Bravo uns belogen?
PAROZZI
düster.
Ihn vielleicht, wie uns, der Ring.
FALIERI.
Ich will meine Seele wetten,
Der gewissenlose Gauner
[239] Nahm von Freund' und Feinden Geld,
Und der Schelm betrog sie beide.
MEMMO.
Sagt' ich's – sagt' ich's Euch nicht immer?
Teufelsmehl wird oft zu Kleien!
PAROZZI.
Ruhig! Laßt mit fester Haltung
Uns der Dinge Ausgang sehn.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Die Vorigen. Flodoardo.

ROSAMUNDE
indem sie bei seinem Anblick die Hände betend zusammenlegt und mit Entzücken himmelwärts blickt.
Ja er ist's! Gelobt sei Gott!
FLODOARDO
sich dem Dogen mit heiterm Antlitz nähernd.
Eure Durchlaucht ...
DOGE
hastig.
Seid willkommen,
Edler Ritter, tausendmal ...
Habt Ihr Euer Wort gelös't?
FLODOARDO.
Alles, wie Ihr mir geboten,
Ist erfüllt; die Republik
Frei von jeglicher Gefahr;
Und der Himmel lächelt heiter.
DOGE.
Und der Mörder unsrer Freunde?
[240]
FLODOARDO.
Abellino's Tod und Leben
Liegt in Eure Hand gegeben.
Die Verschwörung ist zertrümmert,
Ihre Banden sind gesprengt;
Ihre Helfershelfer füllen
Schon die Kerker und Bleikammern.
DOGE.
Und die Rädelsführer? ...
FLODOARDO.
Diese
Stehn im Saal hier schon beisammen.
DOGE
bestürzt.
Wie?
FLODOARDO.
Ich hoffe sie zu zwingen,
Ohne Lärmen und Gewalt,
Vor der festlichen Versammlung
Ihr Verbrechen zu bekennen.
Hier sind viel erhabne Zeugen,
Glieder oberster Behörden.
Ihre Gegenwart ist wichtig.
Darum bitt' ich Eure Durchlaucht,
Zu gestatten, daß ich jetzt
Meinem Werke hier das Siegel
Der Vollendung geben dürfe.
DOGE
kopfschüttelnd.
Dieses Fest, und dieser Ort,
Sind dafür nicht gut gewählt.
FLODOARDO.
Also scheint's. Doch wird die Folge
[241] Wahrlich die Rechtfertigung
Meiner Bitte bei Euch führen.
Halb nur ist mein Thun gelungen,
Ohne freies Eingeständniß
Der Verbrecher und der Schuld.
Dazu möcht' ich edler Zeugen
Wider diese mich bedienen;
Zeugen, welche wohl verdienen,
Theil am heut'gen Fest zu nehmen;
Zeugen, deren Rang und Würde
Ungern nur vor Richterstühlen,
Sündern gegenüberstände.
DOGE
nach einigem Besinnen.
Wohl, es sei! Ich geb' Euch Vollmacht.
Doch gedenkt der zarten Frauen,
Die vom heut'gen Fest mit Recht
Fröhlichern Genuß erwarten.
FLODOARDO.
Ich verheiße diesen schönen
Töchtern unsrer Republik
Heut den seltensten Genuß,
Und was immer auch geschehe,
Niemand fürchte. Wir stehn sicher.
DOGE.
Ich vertrau' Euch. Ihr habt Vollmacht.
Nennt die Häupter der Verschwörung.
FLODOARDO
zu den Verschwornen.
Contarino, Falieri,
[242] Memmo, und Parozzi, Ihr,
Auch Abbate Tolomeo,
Eure Schuld ist aufgedeckt.
Stehet Rede, gebet Antwort!
Jede Ausflucht ist verloren. –
Auf den Lidos werden sich
Keine Mißvergnügten sammeln,
Ihre Führer sind gefangen! –
Contarino, Euer Oberst
Follo liegt schon in den Eisen;
Die Dalmatier sind treu.
Kassowich befiehlt die Truppen,
Und Marcasca wacht persönlich
Vor des Arsenales Thor.
Kriegsvolk füllet den Palast,
Selbst den Saal; Ihr seid entwaffnet!
Euch Parozzi, Falieri,
Memmo, gibt um Mitternacht
Kein Kanonenschuß das Zeichen
Rosamundens Namensfest
In ein Blutbad zu verwandeln. –
Ihr, hochwürd'ger Herr Abbate,
Habt die Summen Roms verspielt;
Denn Venedigs Kirchenfreiheit
Steht von heut' an unerschüttert.
Alles Läugnen wird vergebens.
Redet! – Freies Eingeständniß
Kann die vollgefüllte Schale
Eures sträflichen Beginnens
Um ein Großes noch erleichtern.
[243]
PAROZZI
nach langer Stille, in der die Verschwornen betrübt dastanden.
Ist es möglich? – Redet Niemand?
Oder lähmet das Entsetzen
Ob der niegehörten Frechheit
Aller freien Edeln Zunge? – –
Wo wagt man uns, gegen Ordnung
Und Verfassung, anzuklagen?
Ist der Tanzsaal ein Gerichtshof?
Und wer wagt es, schamlos uns
Der Verrätherei zu zeihen?
Ist's ein Mensch von Ehre? nein!
Von Florenz, als Ränkestifter
Ausgetrieben, steht er selber
In Venedig wiederum
Schweren Hochverraths bezüchtigt.
Und ein solcher darf hier frech
Edle, unbescholtnen Namens,
Oeffentlich mit Schimpf besudeln?
Und Ihr schweigt, Venetianer?
Nun, – im Namen des Gesetzes,
Fordr' ich den Verhaft des Lügners!
Hört! ich selbst gab eigenhändig
Dem durchlauchten Herzog gestern
Einen Brief, den Flodoardo
Schrieb. Und dieser Brief ist Zeugniß
Von dem Hochverrath des Menschen!
FLODOARDO
mit ruhiger Würde.
Wohl, daß Ihr mich des erinnert.
[244] Euer Schreiber, der so trefflich
Meine Schrift zu malen weiß,
Sitzt gefangen; ja noch mehr,
Hat die Büberei erzählt.
Und wie steht's? – Wo ist mein Ring?
Sprecht, wo ist mein Siegelring?
Gestern Nacht gab Abellino
Euch den Ring, als Pfand und Bürgschaft,
Daß er Euern Mordbefehl
Gegen mich vollzogen habe.
PAROZZI
betroffen.
Welche ... beispiellose Bosheit! ...
Was schaff' ich mit Meuchelmördern,
Die bei Euch im Solde leben?
CONTARINO.
Länger, o Venetianer,
Dürfen wir es nicht erdulden,
Daß der fremde, eingeschlichne
Abenteurer uns entehre.
Wir begehren laut Gesetz,
Die Verhaftung dieses Menschen,
Gegen welchen die Gefang'nen
Schon im peinlichen Verhör,
Vor den Richtern Zeugniß gaben.
FLODOARDO.
Contarino, auch der Schneider,
Den Ihr weiland tapfer nanntet,
Hat mit Wankelmuth bekannt,
Wie Ihr meinen Namen ihm
Auf der Folter eingeflüstert.
[245]
FALIERI.
Nun genug der schweren Schmach!
Will Venedigs Adel, will
Uns der Herzog selber nicht
Wider diesen Läst'rer schützen:
So verlassen wir den Saal
Und verwahren unser Recht.
FLODOARDO.
Halt! Ihr bleibt. Ihr seid Gefangne.
Eure Bosheit ist entlarvt.
Was im Finstern Ihr gebrütet,
Kriecht ans Licht, als Vipernbrut,
Die nach Euerm eignen Blut,
Mit den scharfen Zungen lechzet.
Auf, bekennet und bereuet!
Reue ist die letzte Tugend,
Die dem Sünder treu verbleibt.
Warum schweigt sie denn in Euch?
Muß ich fremde Hilfe rufen,
Ihr das Zungenband zu lösen?
FALIERI
mit halber Fassung.
Rufe deine ganze Hölle;
Was vermagst du wider uns?
FLODOARDO.
O, nur Einer soll erscheinen
Aus dem Reich der Finsterniß!

Er entfernt sich.
DOGE
nach einer Pause.
Kaum vermag ich's, vom Betäuben
[246] Des Entsetzens zu genesen.
So, wie Mocenigho sprach,
Sieges sicher spricht die Wahrheit
Mit zermalmender Gewalt.
Aber meine Seele sträubt sich,
Das Unglaublichste zu glauben. –
Ihr, Abbate Tolomeo,
Ihr, Parozzi und Ihr Andern,
Gräßlichen Beschuldigungen,
Wie sie wider Euch ergehn,
Soll man anders widerstehn.
Sagt, was brachte solche Lähmung
Euch in Stimme und Geberde?
Wer blies Euch die Todtenfarbe
Auf die hangenden Gesichter?
Warum bohren Eure Blicke
In die Erd', als wollten sie
Da sich einen Abgrund höhlen?
FALIERI
schlägt die Augen auf.
Edelleute von Venedig
Sind, o Fürst, noch nicht gewöhnt,
Unvertheidigt und gesetzlos
Sich vor Euch beschimpft zu sehn.
Nur Bestürzung übermannt uns,
Furcht nicht. – Auch verbiss'ner Zorn
Jagt das Blut wohl aus den Wangen
Ins erstarrte Herz zurück.
DOGE
warnend.
Falieri, Falieri!
Nehmet Eurer Schanze wahr!
4. Auftritt
[247] Vierter Auftritt.
Die Vorigen. Abellino schleicht langsam aus dem Hintergrund hervor. Zwei Dalmatier folgen ihm wachend mit entblößten Degen. Geräusch des Schreckens durch die ganze Versammlung.

CONTARINO
schaudernd.
Daß der Abgrund ...!
MEMMO.
Gott sei bei uns!
DOGE
auffahrend.
He, was wagt der Bösewicht?
ROSAMUNDE
ängstlich.
Oheim, Oheim! Laßt gewähren,
Denkt der Vollmacht Flodoardo's.
ABELLINO
indem er sich aus seiner geduckten Stellung aufstreckt und den Verschwornen nahet.
Pulvis sumus, sumus umbra!

Lange Pause. Todtenstille.

Weh! das Schifflein unsrer Hoffnung
Hängt am Felsenriff geborsten!
Seine Ruder sind gebrochen,
Und das Meer verschlingt die Wimpel. –
Auf! den letzten Sprung gethan,
An das Ufer des Erbarmens,
Oder – in die Fluth der Tiefe!
Auf! ich schreite Euch voran!

Indem er sich gegen den Dogen wendet und ehrfurchtsvoll vor ihm niederkniet.

Trauer bracht' ich und Entsetzen
Ueber Euer heil'ges Haupt.
[248] Es erfüllte mich mit Leid. –
Doch nur um Gerechtigkeit,
Nicht um Gnade, will ich flehen.
Hier, durchlauchter Herr, das Blutgeld!
Hier der Beutel voll Zechinen,
Welchen mir Parozzi gab,
Als er zu Canari's Morde
Meine scharfen Dolche borgte,
Hier ein zweiter, den er trunken
Nach der That mir an den Hals warf.
Seht, sein eigner ist's! Sein Wappen
Glänzt da golden eingestickt.

Er legt die beiden Beutel zu des Dogen Füßen.
PAROZZI
wüthend.
Unthier! Unthier! gift'ger Drache!
Den die Höll' ins Leben spie,
Wann trieb ich gemeine Sache
Mit dir, Ungeheuer? – Nie! –
Nie hat dich zuvor mein Auge
Irgendwo erblickt. Wer bist du?
Und wie wagst du, deine Blutschuld
Reinen Händen aufzulügen?
Sagt, Venetianer, sagt,
Wer ist diese Mißgestalt,
Die das Zeichen Kains trägt?
Sagt, wer suchte aus dem tiefsten
Koth des Pöbels sie hervor,
Um, mit dem gestohlnen Beutel,
Eben heut, und eben hier,
Mir Verbrechen zu beweisen?
[249]
DOGE
zu Abellino mit Abscheu.
Unhold! fort vor meinen Füßen!
Dich umschwebt noch Leichenduft!
Fort, und trage deine Sache
Mit den edeln Herren aus.
ABELLINO
steht auf.
Hei, die ist bald ausgetragen,
Ihnen trägt sie Stoppeln ein!

Zu Parozzi.

Also habt Ihr über Nacht
Mich denn ganz und gar vergessen? –
Große Herren, kurz Gedächtniß! ...
Aber, Contarino, Ihr
Werdet Euch doch mein erinnern?
Wißt Ihr, als Ihr, laut Beschluß
Eurer Freunde, mir gebotet,
Dandolo aufs Korn zu nehmen, –
Wißt Ihr, wie auf Eurer Brust
Mir das goldne Kreuz gefiel,
Und Ihr's von der Kette risset,
Mich mit Eurer Huld zu zieren?
Schaut, heut trag' ichs, Euch zu Ehren.
CONTARINO.
Scheusal, wenn, was ich verlor,
Du im Gassenkehricht fandest,
Hebe nicht den Koth zugleich auf,
Meine Ehre zu beflecken.
Ekelhafter, als die Kröte
Die in faulen Winkeln faucht,
Wärst du längst von mir zertreten,
Hätt' ich jemals dich begegnet.
[250]
ABELLINO
gegen den Dogen gewandt.
Hier die unberührten Summen
Für das Leben Dandolo's;

Er legt zwei Beutel zu den andern am Boden.

Und das goldne Kreuz dazu.
Falieri, wollt auch Ihr
Euern alten Freund verläugnen?
FALIERI
verächtlich von ihm gewendet.
Schurke! sprich mit deines Gleichen!
ABELLINO
zu Tolomeo.
Aber Ihr, hochwürd'ger Herr,
Gestern wolltet Ihr, voll Gnaden,
Mich zum Messer Grand' erheben,
Mich zum Haupte aller Sbirren!
Wie verricht' ich heut mein Amt?
TOLOMEO
erhebt sich im Sessel, gegen den Herzog gewandt.
Eure Ehrfurcht für die Kirche,
Mein durchlauchter Herzog, wird,
Hoff ich, unter Euern Augen
Meine priesterliche Würde
Nicht dem Spott des Pöbels lassen.
Darum bitt' ich, zu erlauben,
Daß ich mich von hier entferne.

Will gehen.
DOGE
hastig.
Bleibt! – Ihr seid wohl schwer beschuldigt;
Und die Wachten des Palastes
Halten Thor und Thür gesperrt.
TOLOMEO.
Ich bin Römer; im Gefolge
[251] Eines päpstlichen Legaten;
Schon, als Priester, nicht dem Stab
Weltlicher Gerichtsbarkeit
Unterworfen ...
DOGE.
Ich erkläre
Euch, wie jene Angeklagten,
Bis die Sachen heiter worden,
Zu Verhafteten des Staats.
ABELLINO.
Heiter soll der Handel werden
Gleich der Luft nach Wetterschauern!

Zu den Verschwornen.

Mir entwischet Ihr nicht mehr.
Wie des bösen Geistes Kralle
Eure armen Seelen, lass' ich
Euer zappelndes Gewissen
Nimmer aus den Klauen fahren.
Und mit Skorpionengeißeln
Will ich das Gedächtniß Euch
Aus dem Todtenschlafe jagen.
Horchet, horcht! Hier klirren Schlüssel
Vom Geheimniß der Verschwörung.
He! wer kennt dies schwarze Heft?

Er schüttelt ein schwarzgebundenes Papierheft in die Höhe.
PAROZZI
plötzlich aufzuckend.
Ha, Verdammter!

Er sinkt dumpf in sich zusammen.
ABELLINO
tückisch lachend.
Hi, hi, hi!
Hier die Rechnung aller Summen
Des hochwürdigen Abbate!
[252] Hier ans Volk Verkündigungen,
Nach vollbrachter Umwälzung.
Hier der Plan, die Unterschriften
Und die Briefe dieser Herrn.
Hier die Liste aller Opfer,
Die sie meinem Dolche weihten!
Rosamunde oben an,
Deren heilig schönes Leben
Ich dem tölpischen Matteo
Guten Glückes abgewann. –
Eine grausenhafte Reihe!
Flodoardo schließt den Zug,
Und ein reicher Vetter Memmo's,
Der, bei vollen Silber-Kisten,
Allzuzähes Leben hat.

Pause.

Kennt Ihr, Herrn, den Abellino?

Sie andonnernd.

Auf, ermannet Euch, Verbrecher,
Euer jüngster Tag ist da,
Und erschienen ist der Rächer! –
Wem zuerst von Euch die Reue
Den verschloss'nen Mund erbricht,
Ihm soll Gnade widerfahren.

Pause.

Wie sie dastehn, bleich und schauernd;
Stumm die schuldbeladnen Häupter
Zur erstarrten Brust gesenkt!
Und dort drüben Heil'ge Gottes
Ihnen traurig gegenüber!
Also werden sich dereinst,
[253] An des Weltgerichtes Morgen,
Vor dem Stuhle des Vergelters,
Sel'ge und Verdammte scheiden.
CONTARINO
halblaut zu Memmo, den er anstößt.
Memmo, warum schweigst du immer?
MEMMO.
Was denn? soll ich? ...
CONTARINO.
Reden, reden!
MEMMO
mit Jammerblick auf ihn.
Also muß ich? – Muß ich reden?

Er schwankt langsam einen Schritt vor, fällt aufs Knie und streckt die Hände gegen den Dogen.

Gnade, o durchlauchter Herzog!
Willig wollen wir und reuig
Die Verirrung eingestehn.
Meine Richter aber werden
Nicht in mir den Rädelsführer,
Sondern den Verführten sehn ...
Alle zugleich schreiend.
PAROZZI
verzweiflungsvoll einfallend.
Hört ihn nicht, Venetianer,
Angst hat ihm das Hirn verwirrt!
CONTARINO.
Stille, still! Verdammter, schweig!
Wer hat dich dazu gerufen?
FALIERI.
Ist vom Teufel der besessen?
Wahnsinn alles! eitel Wahnsinn!
TOLOMEO.
Ach, die Schurken! Also liefern
Sie sich selber an den Strang!
[254]
MEMMO
steht erschrocken auf, geht zu den Verschworenen, die sich von ihm zurückziehen.
ABELLINO
mit gebieterischer Stimme.
Schweigt! Die Mine ist gesprungen!
Bei St. Peter und St. Paul,
Euer Lied ist ausgesungen!
Fort! fort! in die stillen Kammern,
Die Euch schon bereitet stehn;
Dort versöhnt Euch mit dem Himmel.
PAROZZI
mit Verzichtung.
Hört mich, Edle von Venedig!
Hört mich! – Ist es denn beschlossen,
Will man uns verderben sehn –
Nun so sei es. Aber wisset,
Wir sind schuldlos. Lug und Trug,
Und Parteisucht will uns morden.
Könnt Ihr's dulden? – Was uns heut
Wider alles Recht geschieht,
Kann Euch morgen widerfahren.
Wollt Ihr's dulden? – Ihr seid Zeugen,
Daß der Herzog selbst befahl,
Keiner soll den Saal verlassen. –
Doch wohin ist Flodoardo?
Offen klag' ich vor Venedig
Der Parteisucht, der Gewaltthat
Euch, Andreas Gritti, an.
Unsre freien Männerstimmen
Im Senate, gegen Willkür,
Hatten Euern Stolz empört.
Die sind unsere Verbrechen!
[255] Darum dürstet Eure Rachsucht;
Darum mußte Euer Günstling,
Jener freche Abenteurer,
Flodoardo Mocenigho,
Uns, an ungewohntem Orte,
Hier mit Klagen überfallen;
Er, den die Gerichte schon
Selbst, als Angeklagten, rufen.
Eh' wir Antwort geben konnten,
Ließt Ihr aber ihn entwischen,
Wider das gegebne Wort.
Will man uns in Kerker schleppen,
Schleppt den Flodoardo mit.
Will man ihn entrinnen lassen,
So gebührt auch uns die Freiheit.
ABELLINO.
Don Parozzi, Euer Witz
Stöhnet in den letzten Aengsten.
Denn bei der Bedingung sehet
Ihr die Freiheit nimmer wieder.
Flodoardo Mocenigho
Steht noch mitten unter Euch ...
Abellino hat's vollbracht;
Flodoardo kehre wieder!

Er wirft Netzkappe, Falschhaar, Pflaster, Mantel und Wamms ab, steht als Flodoardo da, und spricht mit dessen eigner Stimme.

Jetzt ihr Herren, mögt ihr mir
Sämmtlich in die Karte schau'n!

Die Verschwornen fahren zusammen. Lautes Geräusch des Erstaunens durch die Versammlung.
[256]
DOGE
erhebt sich jach vom Sessel, sinkt langsam zurück, und spricht in tiefster Bewegung mit unterdrücktem Ton des Schmerzes.
Höllisch Wesen! – Weh, wie wird mir? ...
Er der Mörder! ... Schwarze Lüge!
Wüstes Blendwerk meiner Sinnen!
Kann ein Mensch mit seinem Todfeind,
Nebeln gleich, zusammenrinnen?
Und doch ist er's! Er steht da! ...
ROSAMUNDE
die bei Abellino's Verwandlung ihr Antlitz verhüllte, tritt zum Dogen, ihre eignen Gefühle bekämpfend.
Mein erlauchter Oheim ... Vater ...
Ihr entfärbt Euch ... Eure Blicke ...
Ruhet ... sammelt Eure Kraft.
Laßt dies grauenvolle Räthsel,
Wenn es kann, sich selbst entwirren.
Richtet nicht! ... Ihr gabt ihm Vollmacht ...
Und er bat, – erinnert Euch –
Um Vertrau'n, was immerhin
Sich vor uns ereignen möge ...
FLODOARDO
der mehrmals zum Dogen zu reden versuchte, als er dessen Bewegungen bemerkte.
Darf ich ... hab' ich Euch verstanden?
Nur ein Wort ...
DOGE
zu Rosamunden, ohne ihn zu hören.
O still! o still!
Fluche, Kind, des blöden Alters
Allzugläub'ger Zuversicht.
[257] Sieh, da steht er! – Er ist's selber? –
Gram- und schamlos freut er sich
Der verbrecherischen Tugend.
Al, so kann des Himmels Erbfeind
Auch des Himmels Werk verrichten?
Mußte dieser kalte Würger,
Für die Rettung von Venedig, –
Mußt' er seinen Höllengeistern
Blut'ge Menschenopfer weih'n?
Und – das Blut der besten Bürger? ...
Fort! – mit Allen in die Kerker!
ROSAMUNDE
vor ihm kniend.
Oheim! um der Heil'gen willen,
Höret ihn, eh' Ihr verdammt!
Ist's kein Gaukelspiel des Bösen,
Ist er's selber, so verläßt
Eh' die Sonne ihren Himmel,
Als der Ritter seine Ehre.
DOGE
halblaut.
Fort! Man zeigt auf dich mit Fingern;
Heißt dich die Banditenbraut.

Laut.

Fort! der Mörder mit den Andern!
Laßt sie in die Kerker wandern.
DIE VERSCHWORNEN
alle mit Geschrei durch einander.
Nicht zum Kerker! Stoßt ihn nieder!
Nieder mit dem Meuchelmörder!
Er allein hat Blut vergossen!
Stoßt ihn nieder! Nicht zum Kerker!
[258]
FALIERI
mit Wildheit.
Ohne Gnade! macht ihn nieder!
TOLOMEO.
Nieder! Er treibt schwarze Kunst,
Steht im Bund mit bösen Geistern.
Nieder, eh' er Euch entrinnt!
CONTARINO.
Alles, Alles ist sein Werk!
Wie die hohe Signoria,
Hat er alle Welt belogen,
Und die Republik verwirrt.
Uns verführt' er als Bandit,
Zu vermessenen Entwürfen,
Während er, als Flodoardo,
Gleisnerisch den Retter spielte,
Um in Würden aufzusteigen.
Wir sind rein! An seinen Fingern
Klebt vergoßnes Bürger-Blut!
FLODOARDO.
Schweigt. Ihr fühlt des Himmels Zorn
Donnert Euch zum Abgrund nieder.
Wie einst die gefallnen Engel
Den Erzstreiter Michael,
Wollt Ihr mich, im Sturze, mit Euch
In die Höll' hinunterzerren.
Aber Eure Angst umklammert
Meinen Schatten nur, nicht mich.
Traun, ich bin Bandit geworden.
Seit geraumer Zeit schon hatten
Leichen, mit dem blut'gen Mund
Ihrer Wunden, uns das Dasein
[259] Eurer Mörderzunft verklagt.
Eitel forschte man ihr nach;
Und mich jammerte der Stadt
Da beschloß ich, was Beamten
Und Behörden nicht gelungen,
Einzig und allein zu wagen.
So kann auch das Kind die Nadel
Mühelos vom Boden heben,
Was zwölf riesenstarken Männern
Nicht in gleicher Zeit gelingt.
Und ich ward Bandit. Ich spürte
Glücklich aus das Mordgelichter
Und zugleich die dunkle Hand,
Welche alle Dolche lenkte.
Da beschloß ich, ich allein
Wolle Mittelpunkt von allem
Lastervolk Venedigs sein;
Ueberlieferte die Rotte
Der Banditen den Gerichten;
Kündigte mich allen Kunden
Keck als Abellino an;
Und gab meinen eignen Thaten
Schauerliche Ruchbarkeit.
So erwarb ich wunderschnell
Das Vertrauen der Verruchten.

Zu den Verschwornen.

Klagt mich nicht als Mörder an.
Ihr – Ihr waret es! nicht ich!
CONTARINO.
Abenteuerliche Mährchen
Zu ersinnen, bist du flink.
[260] Schuldlos stehn wir. Ueber dich
Komme heut das Blut Canari's
Und des edeln Dandolo.
FLODOARDO.
Meiner Unschuld Zeugen harren!
Muß ich die Ermordeten
Wieder aus den Gräbern wecken,
Daß sie Euch der Lüge zeih'n?
Auf denn, auf, ihr meine Todten!
Es ist an der Zeit, wacht auf!

Er eilt schnell zur Thür des Hintergrundes.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Die Vorigen. Canari und Dandolo, von Flodoardo geführt, nahen sich langsam durch die Versammlung dem Dogen. – Alles fährt auf. – Todesstille. – Der Doge starrt, ohne Bewegung, mit Grauen und Entzücken den Kommenden entgegen. – Rosamunde hebt in sprachloser Inbrunst die Blicke und gefalteten Hände zum Himmel. – Die Verschwornen verhüllen ihr Antlitz.

PAROZZI
entgeistert.
Aus! ... nun aus! ... und Alles aus!

Er stößt sich einen Dolch in die Brust und stürzt zu Boden.
DOGE.
Seid Ihr's! Geister meiner Sel'gen! ...
CANARI
mit Rührung.
O mein Herzog! ...
DANDOLO.
O mein Fürst! ...

Die drei Greise umschlingen sich mit ihren Armen, still weinend.
[261]
ROSAMUNDE
in Verklärung die Hände gen Himmel streckend.
Der Vergeltung Himmelskrone
Strahlet Gottes stillen Duldern
Schon hienieden um das Haupt!
EIN SENATOR
aus dem Hintergrund herangekommen, zu den Verschwornen.
Auf Befehl und in dem Namen
Der Großstaatsinquisitoren,
Signor Contarino, Memmo,
Falieri, folget mir!
Folgt, Abbate Tolomeo!
FLODOARDO
auf Parozzi's Leiche deutend.
Doch der Feigste ist entwischt.
SENATOR.
Wachten! Ihr begleitet uns!

Die nahe stehenden Dalmatier schleppen Parozzi's Leichnam fort. Mit gesenkten Häuptern folgen Tolomeo, Contarino, Falieri und Memmo. Die Hallebardierer von des Dogen Stuhl schließen sich dem Zuge an. Flodoardo folgt ihnen einige Schritte. Mehrere Herren begegnen ihm glückwünschend. Rosamunde steht von Frauenzimmern umringt. Die gesammten Anwesenden bilden, in froher Aufmerksamkeit sich nähernd, einen Halbkreis um die drei Greise.
DOGE
betrachtet die beiden Freunde.
Bin ich wach? War das Vergangne
Fiebrische Gespensterei?
Oder tröstet mich ein Wahnsinn,
Voll Erbarmens, um Verlornes?
[262] Redet, daß ich auch das Leben
Eurer Stimmen wieder höre.
Redet, daß der warme Hauch
Eurer Worte mir bezeuge,
Was mir Aug' und Hände sagen.
CANARI.
In der Einsamkeit, worin uns
Flodoardo's Lieb' und Klugheit
Achtundvierzig Stunden barg,
Hörten wir von Euerm Gram;
Hörten ihn mit Schmerz und – Freude.
Dieser edle Gram der Freundschaft
In der Brust des frommen Herrn
Ist der reinste Sold im Leben,
Und der schönste Ehrenkranz
Auf dem Sarg des treuen Dieners. –
O verzeiht uns, wenn wir Euch
Und Venedig schmerzlich täuschten.
So nur ließ allein die Rotte
Der Berschwornen sich, geblendet,
In den eignen Schlingen fahn.
Als wir die Gefahr des Staates,
Und des treuen Flodoardo
Unfehlbare Wege sahn,
Boten willig wir die Hände
Zu dem schlau verweg'nen Plan.
DANDOLO
heiter.
Stark und fest noch steht Venedig!
Heere wanken, Flotten sinken,
Wenn die Tugend wankt und sinkt;
Doch wo sie auch in der Brust
[263] Eines einz'gen Bürgers noch
Treu für Fürst und Vaterland
Mit der alten Liebe flammt,
Wird sie eine Welt entzünden,
Und die Hölle überwinden.
Flodoardo Mocenigho ...
DOGE.
Meine blöden Sinne taumeln.
Gönnt mir Frist. Ich will mich sammeln.
Ah, wie bleiern macht das Alter
Den sonst schnellen Flug des Geistes;
Und wie blitzesschnell dagegen
Den sonst lahmen Flug der Zeit.
Eh mein Auge sieht, was kömmt,
Ist's nicht mehr. – Wo war ich? Wie? ...
Ja, Ihr lebt! ... Ihr seid es Beide!
Euer Tod – die blut'gen Spuren
Eurer fortgeschleppten Leichen –
Alles Täuschung! Ja, Ihr seid's; –
Die Verbrecher sind entlarvt;
Ihre Anschläg' offenbart,
Eingestanden, hier; von ihnen
Eingestanden! – War es möglich?
Söhne des uralten Adels
Hochverräther! – Eingestanden!
Unsre Ohren wurden Zeugen.
Abellino lag ja selber
Hier, zu unsern Füßen! – Nicht doch,
Flodoardo wollt' ich sagen!
Seht, ich schwindle. Viel zuviel war's!
Wärt ihr Beide nicht die Bürgen
[264] Dieser heitern Wirklichkeit,
Müßt ich irre an mir werden.
Kommt! zerstreut mich! – Nur Zerstreuung!
Heut', am Rosamundenfeste,
Feiern wir im Leben schon
Wiedersehen nach dem Tode!
Kommt! Es harren längst die Gäste ...
Aber ... Einer fehlt! ... der Beste!
Er, der wunderkühne Mann,
Der die schwierigste der Schlachten
Für die Republik gewann.

Eilt zu Flodoardo und führt ihn vor.

Wo verbirgt er sich? – Heran?
O, wie konnt' ich dich verkennen!

Er umarmt ihn bewegt.

Zürne mir nicht, edler Mann ...
Und wie können wir dich ehren?

Zu Rosamunden, die sich nähert.

Schmücke du des Helden Schläfe
Mit dem immergrünen Lorbeer.
Liebe lohnt die schwersten Opfer.
ROSAMUNDE
dem Flodoardo gegenüber mit niedergesenkten Augen.
Reiner lohnet das Bewußtsein.

Sie hebt einen Myrthenkranz von ihrem Haarschmuck und legt ihn um Flodoardo's Scheitel, indem sie ihn anlächelt.

Glauben hab' ich Euch gehalten!
FLODOARDO
kniet, indem sie ihn bekränzt, vor ihr nieder.
Und die Hoffnung? und die Liebe?
[265]
DOGE
mit großer Rührung.
Rosamunde, ... Nichte ... Tochter, ...
Beut ihm dar die Hand des Danks!
Beut sie ihm ... Er ist mein Sohn;
Und empfah' des Vaters Segen.
ROSAMUNDE
sinkt neben Flodoardo vor dem Dogen auf die Knie.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zschokke, Heinrich. Drama. Abellino. Abellino. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-BCBB-F