4. Die Hochzeit.
Mit anbrechendem Morgen wird die Hochzeiterin von ihrem Hochzeiter mit großem Gefolge theils zu Wagen, theils [326] zu Pferd abgeholt. Es mögen allemal so etwa zehn bis zwölf Reiter sein. Es geht theils bis in der Braut Heimathof, theils nur halbwegs, weil man gleichzeitig manchmal von den Höfen abzieht. Hat die Braut, was jedoch nicht oft vorkommt, ihr Kränzlein verloren, so fehlen die Reiter bei der Abholung. Bei der Begegnung findet bei Braut und Bräutigam der Kuß statt, wolgemerkt, äußerst züchtig, gewiß nie auf den Mund, sondern immer auf die Stirne. Diese Sitte des Abholens finde ich fast überall in Schwaben, nur fehlt ihr das Naive, möchte ich sagen, das Patriarchalische der oberschwäbischen Hofbauernhochzeit. Das Hereinheiraten von Außen, es kann natürlich bei den Hofbauern gar nicht anders sein, wird im übrigen Schwaben verschieden angesehen und auch mit verschiedenen Sitten begangen. »Verschieden angesehen«, sage ich, weil man es in jeder Gegend wieder mit andern Augen betrachtet. Ein reicher Bauernflecken sezt seine äußersten Kräfte ein, um eine Reiche nicht hinauszulassen; bei andern Gemeinden hält man es wieder für eine Ehre. Es ist natürlich wieder das Geld der Punkt, um den sich Alles dreht; ist eine arm, so mag sie ungestört einen Burschen vom andern Nachbarorte heiraten, es hat ihr Niemand was dawider; ist sie reich, so fehlt es an zahlreichen Conflikten zwischen den Burschen beider Nachbarorte nicht; es wird aufgepaßt, der Fremde hinausgeprügelt etc. Diese Scenen wiederholen sich im sog. Gäu, Baisingen und Seebronn z.B. öfters. Dieses Alles ist bei der oberschwäbischen Hochzeit nicht. Die Bräuche bei einer Hochzeit im übrigen Schwaben sind wiederum anders, wenn eine hereinheiratet aus der Nachbarschaft. In Wendelsheim wurde einstmalen viel Festlichkeit veranstaltet, viele Sprüche und Reime hergesagt, was bei einheimischer Braut [327] nie geschah. In Hohenstadt auf der Alb wird ebenfalls nur dann um die Henne geritten, wenn eine Fremde herein heiratet. Dieses Alles ändert die oberschwäbische Hochzeit nicht im Geringsten. Wenn ich oben von der Züchtigkeit im Kusse sprach, den sich die Brautleute geben, so muß dieses wirklich bewundert werden. Daran halten sie fest: Dieser Kuß auf den Mund gilt als verräterisch und sie nennen ihn geradezu den Judaskuß. Ueberhaupt, wenn man den oberschwäbischen Anstand in dieser Beziehung kennen lernen will, so darf man nur zu einer solchen Hochzeit gehen. – Ist man bei der Pfarrkirche oder vielmehr an dem Orte, wohin der Bräutigam eingepfarrt ist, angekommen, so beginnt vorerst die Morgensuppe. Im Allgäu heißt man dieses Hochzeitmorgenessen, in Ober- und Niederschwaben Morgensuppe. In meiner Heimat spielte ehedem an diesem Essen das sog. »Voressen« eine große Rolle; es sind darunter saure Kutteln, Knöchele etc. zu verstehen und war bis jezt immer sehr beliebt beim Landvolke. Die oberschwäbische Morgensuppe besteht in einer Nudelsuppe, Fleisch mit nackten Würsten, Sauerkraut, Küchlein, Kaffee.
Nach dem Essen, nach der Morgensuppe trägt der Hochzeitläder seinen traditionellen Tischspruch vor, und auf diesen sezt sich der Zug nach der Kirche in Bewegung. Das Schöne ist noch dieses: derselbe Hochzeitläder (Gsell) gibt in der Kirche allen Hochzeitleuten Weihwasser, ein trefflicher religiöser Zug und ein Beweis für den kräftigen Glauben, der noch in diesem Volk lebt.
Nach der Copulation geht's wieder in festlicher Ordnung dem Wirtshause zu, allwo gleich der Tanz beginnt. Der erste Tanz gehört der Braut. Sie tanzt mit dem Ehrengesellen drei Tänze. In andern Gegenden eröffnen Braut [328] und Bräutigam den Tanz. Im Wildbad sah ich den Ehrengesellen gleichfalls zuerst mit der Braut das Ehrentüchlein heraustanzen, das man auf einem weißen Teller darbrachte; ich glaube, es war die Brautführerin. – Den Tag über wird bei einer oberschwäbischen Hochzeit sehr viel getanzt, wie es überhaupt dem Oberschwaben und der Oberschwäbin eines ihrer allerliebsten Vergnügen ist. Die sog. Freitänze sind arg im Schwang. Immer und immer rufen die Musikanten solche aus. In der Regel werden sie zu Ehren eines bedeutenden ankommenden Gastes veranstaltet. Dies ist der Fall, wenn des hochwürdigen Pfarrers Schwester, oder seine Haushälterin, oder die Frau Lehrerin kommen. Zwei Maas Wein werden aufzutragen befohlen; die eine bekommt das ausgerufene Tänzerpaar, die andere gehört den Musikanten zu. Alle andern tanzenden Paare müssen auf den Augenblick des Freitanzausrufes einhalten und haben das Zusehen. Nach jeder Tour wird das Weinglas kräftig gehandhabt und gar weidlich getrunken bis auf den Grund. Sodann beginnen auf des Freitänzers Wink und auf seine Erlaubniß hin alle umstehenden Paare ihren Reigen wieder, und zwar bis wieder ein Freitanz ausgerufen wird, was in der Regel nicht gar lange ansteht. So können oft an einem Nachmittag 50-60 Freitänze vorkommen. Die Freitänze in Niederschwaben in und um meine Heimat sind nicht gar so häufig und haben die Motive des Anstandes nicht immer zu ihrer Grundlage, wie die oberschwäbische Hochzeit sie hat. Wie ich immer es beobachtete in meinen Studentenjahren während der Ferien, bekam der am meisten Freitänze, der seine Thaler und Gulden recht prahlhansmäßig springen ließ auf der Musikantenbank.
Ein recht hübscher Zug ist bei der oberschwäbischen Hochzeit [329] der, daß der Hochzeiter in keiner andern Kopfbedeckung als in der Zipfelkappe, meistens der schwarzen, tanzen darf, und in der That, man sieht ihn auch nie anders.
Unter Tags sizt der Hochzeiter nie bei seiner neuen Ehehälfte, seiner Braut, sondern immer zu unterst am Ehrentische. Die Braut selbst aber sizt nie ganz oben am selbigen Tische, sondern immer an der Ecke des Tisches; im sog. Tischwinkel sizt sie ganz »zumpferle« (zümpferle) und bescheiden in höchstem Anstand und Züchtigkeit. Von dieser Sache geht das Sprüchwort aus, oder vielmehr die Redensart im Volke: »Du sitzscht im Tischwink'l wie d'Braut«, wenn Jemand recht bescheiden, halberschrocken dasizt.
Nachmittags kommt der Herr Pfarrer und hat seit uralten Zeiten immer die Ehre, oben an dem Ehrentische zur Rechten der Braut sitzen zu dürfen. Den ganzen Tag darf die Mutter der Hochzeiterin sich nie sehen lassen. Worin diese Sitte ihren tieferen Grund hat, vermag ich nicht zu sagen.
Von der Hochzeitschenke haben wir schon gesprochen. In diesem Punkte spekuliren die oberschwäbischen Bauern nicht so besonders angelegentlich, wie die andern Schwaben thun. Sie wollen ihren Hochzeitstag nicht als Gewinntag feiern, es kostet die Hochzeit da mehr, als die andern Schwaben geschenkt bekommen an diesem Tage.
Der Pfarrer bekommt von alten Zeiten her bei der oberschwäbischen Hochzeit von den Reichen 1 Pfund Zucker, 1 Pfund Kaffee und dazu etwa noch eine seidene Weste, ein seidenes Halstuch; Aermere bringen gerne Nastücher. Das Schenken an die Brautleute, das, wie gesagt, in Werg, Porzellan zu bestehen pflegt, alles ohne viel Kosten und Aufwand, heißt im Volksmund ständig »goben« [330] (gåbə) 1. Um 12 oder gleich nach 12 Uhr ist Alles im Heimgehen begriffen. Während der lezten Tour sind des Bräutigams ledige Kameraden beisammen und singen ein herzzerreißendes Abschiedslied, worauf das Hochzeitpaar zu weinen anfängt, und dann geht's nach Hause mit zahlreicher Begleitung bis vor die Thüre. In der Regel fährt man auf den Hof.
Dieser rührende Schluß der Hochzeit findet sich, so viel ich weiß, in den meisten Gegenden Schwabens. In Wendolsheim existirt ein altes Ehestandslied, das der alte Adlerwirt Thoma jedesmal sang, so oft die Hochzeit aus war. Er stand auf dem Tisch, und dieser Gesang, in welchen alle Burschen einfielen, ist ganz traditionell geworden. In dieser meiner Heimatgegend sangen des Hochzeiters Kameraden und alle Ledigen, die noch da waren, auf der ganzen Strecke bis nach Haus. »Heimsingen« ist der volksthümliche, stehende Ausdruck dafür. Dieses Heimsingen findet allemal so gegen Tagesanbruch, selten bälder statt.
Eine eigenthümliche Schlußsitte ist bei Dewangen zu Hause. Es wird da der Braut vor dem Heimgehen ein Teller Sauerkraut vorgesezt, was seit alter Zeit geschah, damit ihr jezt auch das Herbe des Ehestandes vorgeführt werden sollte. Sie weint dabei bitterlich.
Auf der schwäbischen Alp im Münsingischen, in Magolsheim, Justingen etc. sollen die ledigen Bursche sammt den Musikanten noch mit in's Bräutigams Haus ziehen, und da geht's erst noch wild her. Die Musikanten spielen wieder [331] und es wird fortgetanzt bis in den anbrechenden Tag hinein. Gesänge, wildes Gejol und Schreien bringen ein eigentümliches Durcheinander von Tönen hervor, das nichts weniger als angenehm ist für die Nachbarn.