596. An Adolf Nöldeke
596. An Adolf Nöldeke
Wiedensahl 23 Jan. 84
Lieber Adolf!
Dank für deinen Brief! Von hier hab ich dir nichts Besonderes zu melden. Mutter denkt Sonnabend mit Tante Johanne nach Bückeburg und will dann bis Montag dort bleiben. Nach Frau Mühlmeisters Brief von gestern oder Vorgestern geht es ja allen ganz gut. – Wir hausen hier so stille hin bei dem sonderbaren Wetter. Bald scheint mal die Sonne aus allen Löchern, dann regnet's wieder, wie jetzt, schlank weg. Gestern Abend besuchte ich Pastors bei heftigem Sturm. Es ist dabei so warm, daß im Pfarrgarten die Schneeglöckchen an zu blühen fangen, in unserm die Nüße vollständige männliche und weibliche Blüthen haben. Als neulich Sophie Sunder hier war, zeigten sich morgens auch schon mal wieder zwei Staare auf dem Staarenbaum, die sich allerdings wieder davon machten. Sophie sagte, in Barnstorf wären sie schon Weihnachten dagewesen. Solch Wetter ist ja in mancher Beziehung recht dankenswerth; mich macht's aber doch etwas melancholisch. – Ein paar mal spatziert ich nach Wöhren hinaus und trank bei Wesch ein paar Gläser Bier. Dienstag vor 8 Tagen sah ich mir in Stadthagen die Brandstätte an. Engelkings Gastwirthschaft, zwei Nebenhäuser und die Hintergebäude sind niedergebrannt. Denselben Morgen kam ein Handwerksbursch hier zu uns und bat um ein Hemd: Seins wäre ihm die Nacht in der Herberge verbrannt. Fand aber keinen Glauben, da man jedenfalls meinen sollte, es müßte das letzte Hemd doch auch zu allerletzt in Brand gerathen und zwar vom Eigenthümer nicht zu spät bemerkt.
Die Photographie bitt ich dem Onkel Profeßer zu geben.
Leb wohl, lieber Adolf! Die herzlichsten Grüße von uns Allen!
Dein getr. Onkel Wilhelm