1505. An Letty Keßler
1505. An Letty Keßler
Mechtshausen 27. Juli 1905.
Liebe Letty!
Sei bedankt für deinen freundlichen Brief, der mir zeigt, daß ihr euch wohlbefindet. Auch bei uns geht es gut zurzeit – die Familie ist befriedigt und munter von Borkum zurück gekehrt.
Viel wurde hier letzther über Hitze geschwögt. Meinerseits hab ich, wie ihr, mich dagegen gewappnet mit Ruh und Gelaßenheit. Gemächlich bewegt ich mich im Garten umher, jätete ein wenig, setzte mich häufig auf's Bänkchen nieder und ließ mich dankbar von der Sonne bescheinen.
Gewitter sind heuer häufig bei uns; rings herum ein ewiges Grummeln, doch selten ein nahes Geknäter. Dagegen in Hattorf gings schärfer her. Dort ist alles in Grund und Boden verhagelt, was für den ländlichen Haushalt ein großer Übelstand ist, während die Stadtleut vor wie nach zu Markt gehn, als ob gar nichts paßirt wäre.
Unsere Singvöglein, nachdem sie ihre Familienangelegenheiten in Ordnung gebracht, sind nun verstummt. Nur eine Schwarzdroßel flötet noch allabendlich im Birnbaumwipfel – in abgebrochenen Tonsätzen, als besänne sie sich auf ein Lied aus ihrem früheren Leben, da sie, wir wollen mal sagen, eine sangesfreudige Gärtnerin war.
Und wie steht's denn mit Königstein? Sind die Entschlüße noch schwankend? Jedenfalls, wo ihr auch seid, hofft auf Nachricht Dein alter
Onkel Wilhelm,