826. An Johanna Keßler
826. An Johanna Keßler
Wiedensahl 18. Aug. 91.
Haben Sie Dank, liebe Tante, für Ihre freundlichen Zeilen!
Übrigens nicht, weil der und der Vogel grad Dies oder Das gepfiffen, bin ich aufgewacht, sondern weil die Stimmen, die ich in der Ferne zu hören glaubte, noch immer denselben, guten, herzlichen Klang zu haben schienen, [335] wie in vergangenen Zeiten – vor hunderttausend Jahren, oder wie lang, daß es her ist. – Mancher neue Kalender, jedenfalls, wurde gedruckt seitdem. – Auch hat's mir inzwischen hübsch fest in den Barth geschneit, und will ich in der Nähe was sehn, dann setz ich gefälligst die Brille auf. – Auch hab ich mir ernstliche Mühe gegeben, mein inwendiges Menschenkind ein wenig in Ordnung zu bringen.
So schau ich denn (falls mich die Raupen an den Rosen nicht ärgern) recht mild und gemüthlich hinweg über den Gartenzaun, auf Menschen, Vieh und Feld und Wald, und danke meinem Schöpfer, daß es mir beßer geht, als ich's verdient habe.
Unser Herrgott hat wunderliche Schüler in seiner Klaße. Gute Lehren thun's selten allein. Ein Tupfer auf den Schädel, zwei Zupfer am Ohr, drei Stupfer in die Rippen sind meist erst nöthig bis der Schlingel fein still auf dem Platze sitzt, der ihm zukommt, sei's oben oder unten.
Und daß es Ihnen gut geht, liebste Tante, und der Nanda auch und der Letty auch, das hofft ganz fest
Ihr Onkel Wilhelm.