1180. An Grete Meyer

1180. An Grete Meyer


Wiedensahl 29. März 1898.


Liebe Grete!

Dein Brief, zu meiner Freude, sagt mir, daß du dich wohlbefindest.

Vorgestern (Sonntag) früh lag Schnee; scharf blies der Ostwind; mittags wurd es still bei schönem Sonnenschein. Und das war auch man gut. Denn zu Mittag kamen Frau Mühlmeister und Sophiechen mit Trudel und Irmgard. Auf der Hausflur, mit Bällen und Puppen, ging's gleich lebhaft zu; darnach das Eßen und Trinken regte gleichfalls zu emsiger Thätigkeit an. Leider war's nur ein kurzer Besuch. Schon zum Abendsachtuhrzuge kutschierte Leitner die lustige Gesellschaft, die er morgens um elf Uhr geholt hatte, wieder weg nach dem Bahnhofe. Nämlich, das weißt du doch, daß Sophiechen, um eine Kur zu gebrauchen, in Bückeburg ist, wo sie wohl bis über Ostern noch bleiben muß. Solange weilt Hermann in Hattorf allein. (Frl. B. ist heimgeschickt) Zum Glück ist Minna, das Dienstmädchen, ein Wunderthier, das alles, sozusagen, von selber versteht, obgleich sie aussieht, wie's Gegentheil. Hermann hat auch seit kurzem ein Strampelrad, kann aber nicht recht hinausflitsen von wegen des Kladders.

Bei uns im Garten ist das erste Erbsenbeet fertig, daneben das Wurzelfeld, und zwei Reihen Puffbohnen liegen auch schon drunten. Inzwischen fiel bei Windessausen mal Schnee darüber. Heut aber hat endlich ein Südwind die träge Wetterfahne auf dem Spräenbaume herum gedreht. Ich war auch wirklich begierig nach richtigem Frühlin[g]swetter, nach Handtirung im Freien, um so mehr, als Tante zu Ende der Woche nach Hunteburg will.

Die Schwarzdroßel – die ihr Nest so schlau versteckt hat, daß ich's bis jetzt nicht finde – flötet wohlklingend im Tannenbaum neben dem Brunnen, bringt's aber partu nicht wieder "zamm", was sie einstmals gekonnt hat. Natürlich! Eine complete Präexistenz (worauf euer Herr Lehrer scherzhaft angespielt hat) ist bloß Tantenglaube und hat mit der Metempsychose, dem ehrwürdigen Grundglauben der frühsten und auch noch der heutigen Menschheit, so gut wie gar nichts zu thun.

Du fragst nach Sepp. Ist ein phantasievoll aufgeregter, aber gelehrter Profeßor; sieht gleich was Ururaltes in jedem Schnack und Brauch des Volkes; meint, wie St. Augustinus, daß das, was wir Christenthum nennen, von jeher gewesen sei, d.h. das eigentlich katholische. Übrigens ist der Mann durchaus nicht ultramontan, sondern ein begeisterter Teutone.

Nun ade! Meine liebe Grete! Und sei auf das herzlichste gegrüßt von

deinem alten

Onkel Wilhelm.


Auch Tante läßt vielmals grüßen.

[122] Zur Beachtung!

Alle junge Damen, die es angeht, werden vor dem Gebrauch des Wortes Verkneifen hiermit dringend gewarnt!

Ein prüder Etymolog.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Busch, Wilhelm. 1180. An Grete Meyer. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-1A3A-9