581. An Hermann Nöldeke
[240] 581. An Hermann Nöldeke
Wiedensahl 6. Nov. 83.
Lieber Hermann!
Deinen Brief vom 4ten erhielt ich heute Mittag. Du lobst nicht, du klagst nicht, also wird dir's ja wohl erträglich gehn. – Sonnabend Nachmittag war ich in Stadthagen; traf, wie erwartet, mit Otto am Bahnhof zusammen; fuhren dann Abends zusammen hier her. Otto war gekommen, um Adolf sein Originalzeugniß zu schicken, da die Abschrift für seine Immatrikulirung nicht genügt hatte. Auf dem Hinwege traf ich mit Herrn Schneider zusammen, der sich in Bückeburg Stempelmarken holen wollte, um sie auf die Abschrift seiner Zeugniße zu kleben. Er will sich beim Kultusministerium für die Taubstummenlehranstalt in Berlin bewerben, und sagte mir, dazu müßte jede Zeugnißabschrift mit Stempelmarke versehen sein. Hast du das eigentlich damals bei dem Kulturexamensgesuch gethan? Sonst wird es am Ende gar nicht berücksichtigt. Immerhin hast du jetzt wohl volle Gelegenheit dich unter den Augen der Frau Gräfin genügend darauf vorzubereiten. Wie geht es dir denn mit diesen Übungen und wo gehen sie vor sich?
Otto sagte mir, daß Mutter morgen (Mitwoch) nach Bückeburg kommen will. Auf Sonntag bin ich bei Mühlmeisters zur Martinsgans eingeladen. Ich vermuthe, daß Mutter dann mit mir hierher zurückkehren will.
Der Haushalt geht ja sonst ganz paßabel. Fräulein H. löffelt allerdings noch immer mit dem Meßer und balsamirt sich Sonntags mit wohlriechender Haarpomade, daß ich das Fenster öffnen muß, doch wird sich ja wohl mal Gelegenheit finden, diese Tugenden auf gelinde Art abzustellen.
In der Hinterstube wird noch nicht geklopft; Denker hobelt noch zu Hause; wird aber wohl morgen oder so mit seinen Brettern ankommen.
Die Staare sind weg. – Gehab dich wohl! und schreib bald mal wieder
Deinem getr. Onkel Wilhelm.
Pastors kleine Tante ist so breit, wie hoch. Sie hat sich vorgenommen zu fasten, damit sie dünn wird. –