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An den Herzog Carl August

Ihr gütiger Brief hat mich ausser Sorgen gesetzt und ich freue mich sehr daß Sie meine Weigerung nicht übel aufgenommen haben, denn ich konnte nach meiner Überzeugung aus mehr als einer Ursache den Ort nicht verlassen. Ich wünsche daß alles was Sie auf der Reise thun und was Ihnen begegnet zu Nutzen und Frommen gereichen möge.

Auch die Jagdlust gönn ich Ihnen von Herzen und nähre die Hoffnung daß Sie dagegen nach Ihrer Rückkunft die Ihrigen von der Sorge eines drohenden Übels befreyen werden. Ich meine die wühlenden [415] Bewohner des Ettersbergs. Ungern erwähn ich dieser Thiere weil ich gleich Anfangs gegen deren Einquartirung protestirt und es einer Rechthaberey ähnlich seyn könnte daß ich nun wieder gegen sie zu Felde ziehe. Nur die allgemeine Aufforderung kann mich bewegen ein fast gelobtes Stillschweigen zu brechen und ich schreibe lieber, denn es wird eine der ersten Sachen seyn die Ihnen bey Ihrer Rückkunft vorgebracht werden. Von dem Schaden selbst und dem Verhältniß einer solchen Heerde zu unsrer Gegend sag ich nichts, ich rede nur von dem Eindrucke den es auf die Menschen macht. Noch habe ich nichts so allgemein mißbilligen sehn, es ist darüber nur Eine Stimme. Gutsbesitzer, Pächter, Unterthanen, Dienerschafft, die Jägerey selbst alles vereinigt sich in dem Wunsche diese Gäste vertilgt zu sehn. Von der Regierung zu Erfurt ist ein Communicat deswegen an die unsrige ergangen.

Was mir dabey aufgefallen ist und was ich Ihnen gern sage, sind die Gesinnungen der Menschen gegen Sie die sich dabey offenbaaren. Die meisten sind nur wie erstaunt als wenn die Thiere wie Hagel vom Himmel fielen, die Menge schreibt Ihnen nicht das Übel zu, andre gleichsam nur ungern und Alle vereinigen sich darinne daß die Schuld an denen liege die statt Vorstellungen dagegen zu machen, Sie durch gefälliges Vorspiegeln verhinderten das Unheil das dadurch angerichtet werde einzusehn. Niemand kann [416] sich dencken daß Sie durch eine Leidenschafft in einen solchen Irrthum geführt werden könnten um etwas zu beschliesen und vorzunehmen was Ihrer übrigen Denckens und Handlens Art, Ihren bekannten Absichten und Wünschen geradezu widerspricht.

Der Landkommissair hat mir gerade in's Gesicht gesagt daß es unmöglich sey, und ich glaube er hätte mir die Existenz dieser Creaturen völlig geläugnet wenn sie ihm nicht bey Lützendorf eine Reihe frisch gesetzter Bäume gleich die Nacht drauf zusammt den Pfälen ausgehoben und umgelegt hätten.

Könnten meine Wünsche erfüllt werden; so würden diese Erbfeinde der Cultur, ohne Jagdgeräusch, in der Stille nach und nach der Tafel aufgeopfert, daß mit der zurückkehrenden Frühlingssonne die Umwohner des Ettersbergs wieder mit frohem Gemüth ihre Felder ansehen könnten.

Man beschreibt den Zustand des Landmanns kläglich und er ist's gewiß, mit welchen Übeln hat er zu kämpfen – Ich mag nichts hinzusetzen was Sie selbst wissen. Ich habe Sie so manchem entsagen sehn und hoffe Sie werden mit dieser Leidenschafft den Ihrigen ein Neujahrsgeschenck machen, und halte mir für die Beunruhigung des Gemüths, die mir die Colonie seit ihrer Entstehung verursacht, nur den Schädel der gemeinsamen Mutter des verhassten Geschlechtes aus, um ihn in meinem Cabinete mit doppelter Freude aufzustellen.

[417] Möge das Blat was ich eben endige Ihnen zur guten Stunde in die Hand kommen.

Vor vier Wochen hätte ich es nicht geschrieben, es ist nur die Folge einer Gemüthslage in die ich mich durch einen im Anfange scherzhafften Einfall versetzt habe.

Ich überdachte die neun Jahre Zeit die ich hier zugebracht habe und die mancherley Epochen meiner Gedenckensart, ich suchte mir das Vergangne recht deutlich zu machen, um einen klaren Begriff vom gegenwärtigen zu fassen und nach allerley Betrachtungen nahm ich mir vor mir einzubilden als wenn ich erst ietzt an diesen Ort käme, erst ietzt in einen Dienst träte wo mir Personen und Sachen zwar bekannt, die Krafft aber und der Wunsch zu würcken noch neu seyen. Ich betrachtete nun alles aus diesem Gesichtspunckte, die Idee heiterte mich auf unterhielt mich und war nicht ohne Nutzen, und ich konnte es um so eher da ich von keinem widrigen Verhältniß etwas leide, und würcklich in eine reine Zukunft trete.

Die Aufmercksamkeit unsers Publici wird ietzo durch grau von Reck beschäfftigt, die Urtheile sind verschieden nach Verschiedenheit der Standpunckte woraus dieser schöne Gegenstand der auch verschiedene Seiten haben mag betrachtet wird. Ich kann gar nichts von ihr sagen denn ich habe sie nur ein einzigmal gesehn. Jederman behauptet aber Sie würden nach Ihrer Zurückkunft der Dame die Cour machen[418] (um mich dieses trivialen Ausdrucks zu bedienen) und die Dame würde nicht abgeneigt seyn galantfürstliche Gesinnungen zu erwiedern. Denn ob sie gleich ein Muster der Tugend und (ohngeachtet einer manchmal seltsam scheinenden Bekleidung, durch welche selbst Wieland zu viel vom Nackten gewahr wird) ein Muster der Erbarkeit ist; so hat sie doch gestanden daß ihr Herz ihr schon einigemal Streiche geispielt habe, und daß sie eine besondere Freundinn und Verehrerinn von Fürsten sey die ihre Menschheit nicht ausgezogen haben.

An einer Schlittenfahrt wird mit grosem Eifer gearbeitet, bis ietzo haben sich die verschiednen Meynungen nicht vereinigen können.

Die Commödie schleicht in einem Torpore hin der nur bey unserer Nation möglich ist. Die Ackermann liegt kranck und die übrigen behelfen sich wie sie können.

Seckendors geht morgen ab, nach dem was er mir gesagt hat sind seine Berliner Aussichten noch sehr entfernt. Er hinterlässt ein Singspiel das Wolf komponirt und das der Frau Gemahlinn Geburtstag verherrlichen soll.

Wichtiges ist nichts vorgekommen. Die Staffete die man an Sie wegen einiger Unterschrifften hat abschicken müssen, wird Sie hoffentlich nicht erschröckt haben.

Ihre Frau Gemahlinn befindet sich nach den Umständen [419] wohl und das Prinzgen hab ich gestern munter im grosen Saale herumrutschen sehn.

Ein Herr v. Schauroth aus Dresden mit seiner Frauen ist hier.

Graf Morelli sucht noch immer eifrig sich gefällig zu machen, und das ist für einen leichten Menschen was leichtes.

Ich schicke diesen Brief nach Eisenach, weil er Sie sonst verfehlen mögte.

Seyn Sie uns also bey Sich willkommen, und langen bald wohl und vergnügt in dem Kreise an der Ihnen doch der nächste ist und bleibt.

Weimar, d. 26. Dec. 1784.

G.


Zur Acquisition Niebeckers gratulire ich.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1784. An den Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-94D2-E