Erster Teil .
Die Erwartung .
A Zueignung .
Du hast in mir den edlen Trieb erregt Tief ins Gemüt der weiten Welt zu schauen ; Mit deiner Hand ergriff mich ein Vertrauen , Das sicher mich durch alle Stürme trägt .
Mit Ahnungen hast du das Kind gepflegt , Und zogst mit ihm durch fabelhafte Auen ; Hast , als das Urbild zartgesinnter Frauen , Des Jünglings Herz zum höchsten Schwung bewegt .
Was fesselt mich an irdische Beschwerden ?
Ist nicht mein Herz und Leben ewig Dein ?
Und schirmt mich Deine Liebe nicht auf Erden ?
Ich darf für Dich der edlen Kunst mich weihen ; Denn Du , Geliebte , willst die Muse werden , Und stiller Schutzgeist meiner Dichtung sein .
In ewigen Verwandlungen begrüßt Uns des Gesangs geheime Macht hienieden , Dort segnet sie das Land als ewiger Frieden , Indes sie hier als Jugend uns umfließt .
Sie ist_es , die Licht in unsere Augen gießt , Die uns den Sinn für jede Kunst beschieden , Und die das Herz der Frohen und der Müden In trunkener Andacht wunderbar genießt .
An ihrem vollen Busen trank ich Leben ; Ich wurde durch sie zu allem , was ich bin , Und durfte froh mein Angesicht erheben .
Noch schlummerte mein allerhöchster Sinn ; Da sah ich sie als Engel zu mir schweben , Und flog , erwacht , in ihrem Arm dahin .
Erstes Kapitel .
Die Eltern lagen schon und schliefen , die Wanduhr schlug ihren einförmigen Takt , vor den klappernden Fenstern sauste der Wind ; abwechselnd wurde die Stube hell von dem Schimmer des Mondes .
Der Jüngling lag unruhig auf seinem Lager , und gedachte des Fremden und seiner Erzählungen .
Nicht die Schätze sind es , die ein so unaussprechliches Verlangen in mir geweckt haben , sagte er zu sich selbst ; fern ab liegt mir alle Habsucht :
aber die blaue Blume sehen ich mich zu erblicken .
Sie liegt mir unaufhörlich im Sinn , und ich kann nichts anders dichten und denken .
So ist mir noch nie zu Mute gewesen :
es ist , als hätte ich vorhin geträumt , oder ich wäre in eine andere Welt hinübergeschlummert ; denn in der Welt , in der ich sonst lebte , wer hätte da sich um Blumen bekümmert , und gar von einer so seltsamen Leidenschaft für eine Blume habe ich damals nie gehört .
Wo eigentlich nur der Fremde herkam ?
Keiner von uns hat je einen ähnlichen Menschen gesehen ; doch weiß ich nicht , warum nur ich von seinen Reden so ergriffen worden bin ; die Anderen haben ja das Nämliche gehört , und Keinem ist so etwas begegnet .
Daß ich auch nicht einmal von meinem wunderlichen Zustande reden kann !
Es ist mir oft so entzückend wohl , und nur dann , wenn ich die Blume nicht recht gegenwärtig habe , befällt mich so ein tiefes , inniges Treiben :
das kann und wird Keiner verstehen .
Ich glaubte , ich wäre wahnsinnig , wenn ich nicht so klar und hell sähe und dächte , mir ist seitdem alles viel bekannter .
Ich hörte einst von alten Zeiten reden ; wie da die Tiere und Bäume und Felsen mit den Menschen gesprochen hätten .
Mir ist gerade so , als wollten sie allaugenblicklich anfangen , und als könnte ich es ihnen ansehen , was sie mir sagen wollten .
Es muß noch viel Worte geben , die ich nicht weiß : wüßte ich mehr , so könnte ich viel besser alles begreifen .
Sonst tanzte ich gern ; jetzt denke ich lieber nach der Musik .
Der Jüngling verlor sich allmählich in süßen Fantasien und entschlummerte .
Da träumte ihm erst von unabsehlichen Fernen , und wilden , unbekannten Gegenden .
Er wanderte über Meere mit unbegreiflicher Leichtigkeit ; wun derliche Tiere sah er ; er lebte mit mannigfaltigen Menschen , bald im Kriege , in wildem Getümmel , in stillen Hütten .
Er geriet in Gefangenschaft und die schmählichste Not .
Alle Empfindungen stiegen bis zu einer niegekannten Höhe in ihm .
Er durchlebte ein unendlich buntes Leben ; starb und kam wieder , liebte bis zur höchsten Leidenschaft , und war dann wieder auf ewig von seiner Geliebten getrennt .
Endlich gegen Morgen , wie draußen die Dämmerung anbrach , wurde es stiller in seiner Seele , klarer und bleibender wurden die Bilder .
Es kam ihm vor , als ginge er in einem dunklen Walde allein .
Nur selten schimmerte der Tag durch das grüne Netz .
Bald kam er vor eine Felsenschlucht , die bergan stieg .
Er mußte über bemooste Steine klettern , die ein ehemaliger Strom herunter gerissen hatte .
Je höher er kam , desto lichter wurde der Wald .
Endlich gelangte er zu einer kleinen Wiese , die am Hange des Berges lag .
Hinter der Wiese erhob sich eine hohe Klippe , an deren Fuß er eine Öefnung erblickte , die der Anfang eines in den Felsen gehauenen Ganges zu sein schien .
Der Gang führte ihn gemächlich eine Zeitlang eben fort , bis zu einer großen Weitung , aus der ihm schon von fern ein helles Licht entgegen glänzte .
Wie er hineintrat , wurde er einen mächtigen Strahl gewahr , der wie aus einem Springquell bis an die Decke des Gewölbes stieg , und oben in unzählige Funken zerstäubte , die sich unten in einem großen Becken sammelten ; der Strahl glänzte wie entzündetes Gold ; nicht das mindeste Geräusch war zu hören , eine heilige Stille umgab das herrliche Schauspiel .
Er näherte sich dem Becken , das mit unendlichen Farben wogte und zitterte .
Die Wände der Höhle waren mit dieser Flüssigkeit überzogen , die nicht heiß , sondern kühl war , und an den Wänden nur ein mattes , bläuliches Licht von sich warf .
Er tauchte seine Hand in das Becken und benetzte seine Lippen .
Es war , als durchdränge ihn ein geistiger Hauch , und er fühlte sich innigst gestärkt und erfrischt .
Ein unwiderstehliches Verlangen ergriff ihn sich zu baden , er entkleidete sich und stieg in das Becken .
Es dünkte ihn , als umflösse ihn eine Wolke des Abendrots ; eine himmlische Empfindung überströmte sein Inneres ; mit inniger Wollust strebten unzählbare Gedanken in ihm sich zu vermischen ; neue , nie_gesehene Bilder entstanden , die auch in einander flossen und zu sichtbaren Wesen um ihn wurden , und jede Welle des lieblichen Elements schmiegte sich wie ein zarter Busen an ihn .
Die Flut schien eine Auflösung reizender Mädchen , die an dem Jünglinge sich augenblicklich verkörperten .
Berauscht von Entzücken und doch jedes Eindrucks bewußt , schwamm er gemach dem leuchtenden Strome nach , der aus dem Becken in den Felsen hineinfloß .
Eine Art von süßem Schlummer befiel ihn , in welchem er unbeschreibliche Begebenheiten träumte , und woraus ihn eine andere Erleuchtung weckte .
Er fand sich auf einem weichen Rasen am Rande einer Quelle , die in die Luft hinausquoll und sich darin zu verzehren schien .
Dunkelblaue Felsen mit bunten Adern erhoben sich in einiger Entfernung ; das Tageslicht das ihn umgab , war heller und milder als das gewöhnliche , der Himmel war schwarzblau und völlig rein .
Was ihn aber mit voller Macht anzog , war eine hohe lichtblaue Blume , die zunächst an der Quelle stand , und ihn mit ihren breiten , glänzen den Blättern berührte .
Rund um sie her standen unzählige Blumen von allen Farben , und der köstlichste Geruch erfüllte die Luft .
Er sah nichts als die blaue Blume , und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit .
Endlich wollte er sich ihr nähern , als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing ; die Blätter wurden glänzender und schmiegten sich an den wachsenden Stängel , die Blume neigte sich nach ihm zu , und die Blütenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen , in welchem ein zartes Gesicht schwebte .
Sein süßes Staunen wuchs mit der sonderbaren Verwandlung , als ihn plötzlich die Stimme seiner Mutter weckte , und er sich in der elterlichen Stube fand , die schon die Morgensonne vergoldete .
Er war zu entzückt , um unwillig über diese Störung zu sein ; vielmehr bot er seiner Mutter freundlich guten Morgen und erwiderte ihre herzliche Umarmung .
Du Langschläfer , sagte der Vater , wie lange sitze ich schon hier , und feile .
Ich habe deinetwegen nichts hämmern dürfen ; die Mutter wollte den lieben Sohn schlafen lassen .
Aufs Frühstück habe ich auch warten müssen .
Klüglich hast du den Lehrstand erwählt , für den wir wachen und arbeiten .
Indes ein tüchtiger Gelehrter , wie ich mir habe sagen lassen , muß auch Nächte zu Hilfe nehmen , um die großen Werke der weisen Vorfahren zu studieren .
Lieber Vater , antwortete Heinrich , werdet nicht unwillig über meinen langen Schlaf , den ihr sonst nicht an mir gewohnt seid .
Ich schlief erst spät ein , und habe viele unruhige Träume gehabt , bis zuletzt ein anmutiger Traum mir erschien , den ich lange nicht vergessen werde , und von dem mich dünkt , als sei es mehr als bloßer Traum gewesen .
Lieber Heinrich , sprach die Mutter , du hast dich gewiß auf den Rücken gelegt , oder beim Abendsegen fremde Gedanken gehabt .
Du siehst auch noch ganz wunderlich aus .
Esse und trinke , daß du munter wirst .
Die Mutter ging hinaus , der Vater arbeitete emsig fort und sagte : Träume sind Schäume , mögen auch die hochgelahrten Herren davon denken , was sie wollen , und du tust wohl , wenn du dein Gemüt von dergleichen unnützen und schädlichen Betrachtungen abwendest .
Die Zeiten sind nicht mehr , wo zu den Träumen göttliche Gesichte sich gesellten , und wir können und werden es nicht begreifen , wie es jenen auserwählten Männern , von denen die Bibel erzählt , zu Mute gewesen ist .
Damals muß es eine andere Beschaffenheit mit den Träumen gehabt haben , so wie mit den menschlichen Dingen .
In In dem Alter der Welt , wo wir leben , findet der unmittelbare Verkehr mit dem Himmel nicht mehr Stadt .
Die alten Geschichten und Schriften sind jetzt die einzigen Quellen , durch die uns eine Kenntnis von der überirdischen Welt , so weit wir sie nötig haben , zu Teil wird ; und statt jener ausdrücklichen Offenbarungen redet jetzt der heilige Geist mittelbar durch den Verstand kluger und wohlgesinnter Männer und durch die Lebensweise und die Schicksale frommer Menschen zu uns .
Unsere heutigen Wunderbilder haben mich nie sonderlich erbaut , und ich habe nie jene großen Taten geglaubt , die unsere Geistlichen davon erzählen .
Indes mag sich daran erbauen , wer will , und ich hüte mich wohl jemanden in seinem Vertrauen irre zu machen . --
Aber , lieber Vater , aus welchem Grunde seid Ihr so den Träumen entgegen , deren seltsame Verwandlun B gen und leichte zarte Natur doch unser Nachdenken gewißlich rege machen müssen ?
Ist nicht jeder , noch der verworrenste Traum , eine sonderliche Erscheinung , die auch ohne noch an göttliche Schickung dabei zu denken , ein bedeutsamer Riß in den geheimnisvollen Vorhang ist , der mit tausend Falten in unser Inneres hereinfällt ?
In den weisesten Büchern findet man unzählige Traumgeschichten von glaubhaften Menschen , und erinnert Euch nur noch des Traums , den uns neulich der ehrwürdige Hofkaplan erzählte , und der Euch selbst so merkwürdig vorkam .
Aber , auch ohne diese Geschichten , wenn Ihr zuerst in Eurem Leben einen Traum hättet , wie würdet Ihr nicht erstaunen , und Euch die Wunderbarkeit dieser uns nur alltäglich gewordenen Begebenheit gewiß nicht abstreiten lassen !
Mich dünkt der Traum eine Schutzwehr gegen die Regelmäßigkeit und Gewöhnlichkeit des Lebens , eine freie Erholung der gebundenen Fantasie , wo sie alle Bilder des Lebens durcheinander wirft , und die beständige Ernsthaftigkeit des erwachsenen Menschen durch ein fröhliches Kinderspiel unterbricht .
Ohne die Träume würden wir gewiß früher alt , und so kann man den Traum , wenn auch nicht als unmittelbar von oben gegeben , doch als eine göttliche Mitgabe , einen freundlichen Begleiter auf der Wallfahrt zum heiligen Grabe betrachten .
Gewiß ist der Traum , den ich heute Nacht träumte , kein unwirksamer Zufall in meinem Leben gewesen , denn ich fühle es , daß er in meine Seele wie ein weites Rad hineingreift , und sie in mächtigem Schwunge forttreibt .
Der Vater lächelte freundlich und sagte , indem er die Mutter , die eben hereintrat , ansah : Mutter , Heinrich kann die Stunde nicht verleugnen , durch die er in der Welt ist .
In seinen Reden kocht der feurige welsche Wein , den ich damals von Rom mitgebracht hatte , und der unseren Hochzeitabend verherrlichte .
Damals war ich auch noch ein anderer Kerl .
Die südliche Luft hatte mich aufgetaut , von Mut und Lust floß ich über , und du warst auch ein heißes köstliches Mädchen .
Bei Deinem Vater ging_es damals herrlich zu ; Spielleute und Sänger waren weit und breit herzugekommen , und lange war in Augsburg keine lustigere Hochzeit gefeiert worden .
Ihr spracht vorhin von Träumen , sagte die Mutter , weißt du wohl , daß du mir damals auch von einem Traume erzähltest , den du in Rom gehabt hattest , und der dich zuerst auf den Gedanken gebracht , zu uns nach Augsburg zu kommen , und um mich zu werben ?
Du erinnerst mich eben zur rechten Zeit , sagte der Alte ; ich habe diesen seltsamen Traum ganz vergessen , der mich damals lange genug beschäftigte ; aber eben er ist mir ein Beweis dessen , was ich von den Träumen gesagt habe .
Es ist unmöglich einen geordneteren und helleren zu haben ; noch jetzt entsinne ich mich jedes Umstandes ganz genau ; und doch , was hat er bedeutet ?
Daß ich von dir träumte , und mich bald darauf von Sehnsucht ergriffen fühlte , dich zu besitzen , war ganz natürlich :
denn ich kannte dich schon .
Dein freundliches holdes Wesen hatte mich gleich anfangs lebhaft gerührt , und nur die Lust nach der Fremde hielt damals meinen Wunsch nach deinem Besitz noch zurück .
Um die Zeit des Traums war meine Neugierde schon ziemlich gestillt , und nun konnte die Neigung leichter durchdringen .
Erzählt uns doch jenen seltsamen Traum , sagte der Sohn .
Ich war eines Abends , fing der Vater an , umhergestreift .
Der Himmel war rein , und der Mond bekleidete die alten Säulen und Mauern mit seinem bleichen schauerlichen Lichte .
Meine Gesellen gingen den Mädchen nach , und mich trieb das Heimweh und die Liebe ins Freie .
Endlich wurde ich durstig und ging ins erste beste Landhaus hinein , um einen Trunk Wein oder Milch zu fordern .
Ein alter Mann kam heraus , der mich wohl für einen verdächtigen Besuch halten mochte .
Ich trug ihm mein Anliegen vor ; und als er erfuhr , daß ich ein Ausländer und ein Deutscher sei , lud er mich freundlich in die Stube und brachte eine Flasche Wein .
Er hieß mich niedersetzen , und fragte mich nach meinem Gewerbe .
Die Stube war voll Bücher und Altertümer .
Wir gerieten in ein weitläufiges Gespräch ; er erzählte mir viel von alten Zeiten , von Malern , Bildhauern und Dichtern .
Noch nie hatte ich so davon reden hören .
Es war mir , als sei ich in einer neuen Welt ans Land gestiegen .
Er wies mir Siegelsteine und andere alte Kunstarbeiten ; dann las er mir mit lebendigem Feuer herrliche Gedichte vor , und so verging die Zeit , wie ein Augenblick .
Noch jetzt heitert mein Herz sich auf , wenn ich mich des bunten Gewühls der wunderlichen Gedanken und Empfindungen erinnere , die mich in dieser Nacht erfüllten .
In den heidnischen Zeiten war er , wie zu Hause , und sehnte sich mit unglaublicher Inbrunst in dies graue Altertum zurück .
Endlich wies er mir eine Kammer an , wo ich den Rest der Nacht zubringen könnte , weil es schon zu spät sei , um noch zurückzukehren .
Ich schlief bald , und da dünkte mich_es ich sei in meiner Vaterstadt und wanderte aus dem Tore .
Es war , als müßte ich irgend wohin gehen , um etwas zu bestellen , doch wußte ich nicht wohin , und was ich verrichten solle .
Ich ging nach dem Harze mit überaus schnellen Schritten , und wohl war mir , als sei es zur Hochzeit .
Ich hielt mich nicht auf dem Wege , sondern immer feldein durch Tal und Wald , und bald kam ich an einen hohen Berg .
Als ich oben war , sah ich die goldene Aue vor mir , und überschaute Thüringen weit und breit , also daß kein Berg in der Nähe umher mir die Aussicht wehrte .
Gegenüber lag der Harz mit seinen dunklen Bergen , und ich sah unzählige Schlösser , Klöster und Ortschaften .
Wie mir nun da recht wohl innerlich wurde , fiel mir der alte Mann ein , bei dem ich schlief , und es gedäuchte mir , als sei das vor geraumer Zeit geschehen , daß ich bei ihm ge Wesen sei .
Bald gewahrte ich eine Stiege , die in den Berg hinein ging , und ich machte mich hinunter .
Nach langer Zeit kam ich in eine große Höhle , da saß ein Greis in einem langen Kleide vor einem eisernen Tische , und schaute unverwandt nach einem wunderschönen Mädchen , die in Marmor gehauen vor ihm stand .
Sein Bart war durch den eisernen Tisch gewachsen und bedeckte seine Füße .
Er sah ernst und freundlich aus , und gemahnte mich wie ein alter Kopf , den ich den Abend bei dem Manne gesehen hatte .
Ein glänzendes Licht war in der Höhle verbreitet .
Wie ich so stand und den Greis ansah , klopfte mir plötzlich mein Wirt auf die Schulter , nahm mich bei der Hand und führte mich durch lange Gänge mit sich fort .
Nach einer Weile sah ich von weitem eine Dämmerung , als wollte das Tageslicht einbrechen .
Ich eilte darauf zu , und befand mich bald auf einem grünen Plane ; aber es schien mir alles ganz anders , als in Thüringen .
Ungeheure Bäume mit großen glänzenden Blättern verbreiteten weit umher Schatten .
Die Luft war sehr heiß und doch nicht drückend .
Überall Quellen und Blumen und unter allen Blumen gefiel mir Eine ganz besonders , und es kam mir vor , als neigten sich die Anderen gegen sie .
Ach ! liebster Vater , sagt mir doch , welche Farbe sie hatte , rief der Sohn mit heftiger Bewegung .
Das entsinne ich mich nicht mehr , so genau ich mir auch sonst alles eingeprägt habe .
War sie nicht blau ?
Es kann sein , fuhr der Alte fort , ohne auf Heinrichs seltsame Heftigkeit Achtung zu geben .
Soviel weiß ich nur noch , daß mir ganz unaussprechlich zu Mute war , und ich mich lange nicht nach meinem Begleiter umsah .
Wie ich mich endlich zu ihm wandte , bemerkte ich , daß er mich aufmerksam betrachtete und mir mit inniger Freude zulächelte .
Auf welche Art ich von diesem Orte wegkam , erinnere ich mir nicht mehr .
Ich war wieder oben auf dem Berge .
Mein Begleiter stand bei mir , und sagte :
du hast das Wunder der Welt gesehen .
Es steht bei dir , das glücklichste Wesen auf der Welt und noch über das ein berühmter Mann zu werden .
Nimm wohl in Acht , was ich dir sage : wenn du am Tage Johannis gegen Abend wieder hierher kommst , und Gott herzlich um das Verständnis dieses Traumes bittest , so wird dir das höchste irdische Los zu Teil werden ; dann gib nur acht , auf ein blaues Blümchen , was du hier oben finden wirst , brich es ab , und überlaße dich dann demütig der himmlischen Führung .
Ich war darauf im Traume unter den herrlichsten Gestalten und Menschen , und unendliche Zeiten gaukelten mit mannigfaltigen Veränderungen vor meinen Augen vorüber .
Wie gelöst war meine Zunge , und was ich sprach , klang wie Musik .
Darauf wurde alles wieder dunkel und eng und gewöhnlich ; ich sah deine Mutter mit freundlichem , verschämten Blick vor mir ; sie hielt ein glänzendes Kind in den Armen , und reichte mir es hin , als auf einmal das Kind zusehends wuchs , immer heller und glänzender wurde , und sich endlich mit blendendweißen Flügeln über uns erhob , uns beide in seinen Arm nahm , und so hoch mit uns flog , daß die Erde nur wie eine goldene Schüssel mit dem saubersten Schnitzwerk aussah .
Dann erinnere ich mir nur , daß wieder jene Blume und der Berg und der Greis vorkamen ; aber ich erwachte bald darauf und fühlte mich von heftiger Liebe bewegt .
Ich nahm Abschied von meinem Gastfreien Wirt , der mich bat , ihn oft wieder zu besuchen , was ich ihm zusagte , und auch Wort gehalten haben würde , wenn ich nicht bald darauf Rom verlassen hätte , und ungestüm nach Augsburg gereist wäre .
Zweites Kapitel .
Johannis war vorbei , die Mutter hatte längst einmal nach Augsburg ins väterliche Haus kommen und dem Großvater den noch unbekannten lieben Enkel mitbringen sollen .
Einige gute Freunde des alten Ofterdingen , ein paar Kaufleute , mußten in Handelsgeschäften dahin reisen .
Da faßte die Mutter den Entschluß , bei dieser Gelegenheit jenen Wunsch auszuführen , und es lag ihr dies um so mehr am Herzen , weil sie seit einiger Zeit merkte , daß Heinrich weit stiller und in sich gekehrter war , als sonst .
Sie glaubte , er sei mißmutig oder krank , und eine weite Reise , der Anblick neuer Menschen und Länder , und wie sie verstohlen ahndete , die Reize einer jungen Landsmännin würden die trübe Laune ihres Sohnes vertreiben , und wieder einen so teilnehmenden und lebensfrohen Menschen aus ihm machen , wie er sonst gewesen .
Der Alte willigte in den Plan der Mutter , und Heinrich war über die Maßen erfreut , in ein Land zu kommen , was er schon lange , nach den Erzählungen seiner Mutter und mancher Reisenden , wie ein irdisches Paradies sich gedacht , und wohin er oft vergeblich sich gewünscht hatte .
Heinrich war eben zwanzig Jahr alt geworden .
Er war nie über die umliegenden Gegenden seiner Vaterstadt hinausgekommen ; die Welt war ihm nur aus Erzählungen bekannt .
Wenig Bücher waren ihm zu Gesichte gekommen .
Bei der Hofhaltung des Landgrafen ging es nach der Sitte der damaligen Zeiten einfach und still zu ; und die Pracht und Bequemlichkeit des fürstlichen Lebens dürfte sich schwerlich mit den Annehmlichkeiten messen , die in späteren Zeiten ein bemittelter Privatmann sich und den Seinigen ohne Verschwendung verschaffen konnte .
Dafür war aber der Sinn für die Gerätschaften und Habseligkeiten , die der Mensch zum mannigfachen Dienst seines Lebens um sich her versammelt , desto zarter und tiefer .
Sie waren den Menschen werter und merkwürdiger .
Zog schon das Geheimnis der Natur und die Entstehung ihrer Körper den ahndenden Geist an :
so erhöhte die seltenere Kunst ihrer Bearbeitung die romantische Ferne , aus der man sie erhielt und die Heiligkeit ihres Altertums , da sie sorgfältiger bewahrt , oft das Besitztum mehrerer Nachkommenschaften wurden , die Neigung zu diesen stummen Gefährten des Lebens .
Oft wurden sie zu dem Rang von geweihten Pfändern eines besonderen Segens und Schicksals erhoben , und das Wohl gan ganzer Reiche und weitverbreiteter Familien hing an ihrer Erhaltung .
Eine liebliche Armut schmückte diese Zeiten mit einer eigentümlichen ernsten und unschuldigen Einfalt ; und die sparsam verteilten Kleinodien glänzten desto bedeutender in dieser Dämmerung , und erfüllten ein sinniges Gemüt mit wunderbaren Erwartungen .
Wenn es wahr ist , daß erst eine geschickte Verteilung von Licht , Farbe und Schatten die verborgene Herrlichkeit der sichtbaren Welt offenbart , und sich hier ein neues höheres Auge aufzutun scheint :
so war damals überall eine ähnliche Verteilung und Wirtschaftlichkeit wahrzunehmen ; da hingegen die neuere wohlhabendere Zeit das einförmige und unbedeutendere Bild eines allgemeinen Tages darbietet .
In allen Übergängen scheint , wie in einem Zwischenreiche , eine höhere , geistliche Macht durchbrechen zu wollen ; und wie C auf der Oberfläche unseres Wohnplatzes , die an unterirdischen und überirdischen Schätzen reichsten Gegenden in der Mitte zwischen den wilden , unwirtlichen Urgebirgen und den unermeßlichen Ebenen liegen , so hat sich auch zwischen den rohen Zeiten der Barbarei , und dein kunstreichen , vielwissenden und begüterten Weltalter eine tiefsinnige und romantische Zeit niedergelassen , die unter schlichtem Kleide eine höhere Gestalt verbirgt .
Wer wandelt nicht gern im Zwielichte , wenn die Nacht am Lichte und das Licht an der Nacht in höhere Schatten und Farben zerbricht ; und also vertiefen wir uns willig in die Jahre , wo Heinrich lebte und jetzt neuen Begebenheiten mit vollem Herzen entgegenging .
Er nahm Abschied von seinen Gespielen und seinem Lehrer , dem alten weisen Hofkaplan , der Heinrichs fruchtbare Anlagen kannte , und ihn mir ge rührtem Herzen und einem stillen Gebete entließ .
Die Landgräfin war seine Patin ; er war oft auf der Wartburg bei ihr gewesen .
Auch jetzt beurlaubte er sich bei seiner Beschützerin . die ihm gute Lehren und eine goldene Halskette verehrte , und mit freundlichen Äußerungen von ihm schied .
In wehmütiger Stimmung verließ Heinrich seinen Vater und seine Geburtsstadt .
Es wurde ihm jetzt erst deutlich , was Trennung sei ; die Vorstellungen von der Reise waren nicht von dem sonderbaren Gefühle begleitet gewesen , was er jetzt empfand , als zuerst seine bisherige Welt von ihm gerissen und er wie auf ein fremdes Ufer gespült wurde .
Unendlich ist die jugendliche Trauer bei dieser ersten Erfahrung der Vergänglichkeit der irdischen Dinge , die dem unerfahrenen Gemüt so notwendig , und unentbehrlich , so fest verwachsen mit dem eigenthüm lichsten Dasein und so unveränderlich , wie dieses , vorkommen müssen .
Eine erste Ankündigung des Todes , bleibt die erste Trennung unvergeßlich , und wird , nachdem sie lange wie ein nächtliches Gesicht den Menschen beängstigt hat , endlich bei abnehmender Freude an den Erscheinungen des Tages , und zunehmender Sehnsucht nach einer bleibenden sicheren Welt , zu einem freundlichen Wegweiser und einer tröstenden Bekanntschaft .
Die Nähe seiner Mutter tröstete den Jüngling sehr .
Die alte Welt schien noch nicht ganz verloren , und er umfaßte sie mit verdoppelter Innigkeit .
Es war früh am Tage , als die Reisenden aus den Toren von Eisenach fortritten , und die Dämmerung begünstigte Heinrichs gerührte Stimmung .
Je heller es wurde , desto bemerklicher wurden ihm die neuen unbekannten Gegenden ; und als auf einer Anhöhe die ver lassen Landschaft von der aufgehenden Sonne auf einmal erleuchtet wurde , so fielen dem überraschten Jüngling alte Melodien seines Inneren in den trüben Wechsel seiner Gedanken ein .
Er sah sich an der Schwelle der Ferne , in die er oft vergebens von den nahen Bergen geschaut , und die er sich mit sonderbaren Farben ausgemalt hatte .
Er war im Begriff , sich in ihre blaue Flut zu tauchen .
Die Wunderblume stand vor ihm , und er sah nach Thüringen , welches er jetzt hinter sich ließ mit der seltsamen Ahnung hinüber , als werde er nach langen Wanderungen von der Weltgegend her , nach welcher sie jetzt reisten , in sein Vaterland zurückkommen , und als reise er daher diesem eigentlich zu .
Die Gesellschaft , die anfänglich aus ähnlichen Ursachen still gewesen war , fing nach gerade an aufzuwachen , und sich mit allerhand Gesprächen und Er Zählungen die Zeit zu verkürzen .
Heinrichs Mutter glaubte ihren Sohn aus den Träumereien reißen zu müssen , in denen sie ihn versunken sah , und fing an ihm von ihrem Vaterlande zu erzählen , von dem Hause ihres Vaters und dem fröhlichen Leben in Schwaben .
Die Kaufleute stimmten mit ein , und bekräftigten die mütterlichen Erzählungen , rühmten die Gastfreiheit des alten Schwaning , und konnten nicht aufhören , die schönen Landsmänninnen ihrer Reisegefährtin zu preisen .
Ihr tut wohl , sagten sie , daß ihr euren Sohn dorthin führt .
Die Sitten eures Vaterlandes sind milder und gefälliger .
Die Menschen wissen das Nützliche zu befördern , ohne das Angenehme zu verachten .
Jedermann sucht seine Bedürfnisse auf eine gesellige und reizende Art zu befriedigen .
Der Kaufmann befindet sich wohl dabei , und wird geehrt .
Die Künste und Handwerke vermehren und veredeln sich , den Fleißigen dünkt die Arbeit leichter , weil sie ihm zu mannigfachen Annehmlichkeiten verhilft , und er , indem er eine einförmige Mühe übernimmt , sicher ist , die bunten Früchte mannigfacher und belohnender Beschäftigungen dafür mitzugenießen .
Geld , Tätigkeit und Waren erzeugen sich gegenseitig , und treiben sich in raschen Kreisen , und das Land und die Städte blühen auf .
Je eifriger der Erwerbfleiß die Tage benutzt , desto ausschließlicher ist der Abend , den reizenden Vergnügungen der schönen Künste und des geselligen Umgangs gewidmet .
Das Gemüt sehnt sich nach Erholung und Abwechslung , und wo sollte es diese auf eine anständigere und reizendere Art finden , als in der Beschäftigung mit den freien Spielen und Erzeugnissen seiner edelsten Kraft , des bildenden Tiefsinns .
Nirgends hört man so anmutige Sänger , findet so herrliche Maler , und nirgends sieht man auf den Tanzsälen leichtere Bewegungen und lieblichere Gestalten .
Die Nachbarschaft von Welschland zeigt sich in dem ungezwungenen Betragen und den einnehmenden Gesprächen . Euer Geschlecht darf die Gesellschaften schmücken , und ohne Furcht vor Nachrede mit holdseligem Bezeigen einen lebhaften Wetteifer , seine Aufmerksamkeit zu fesseln , erregen .
Die rauhe Ernsthaftigkeit und die wilde Ausgelassenheit der Männer macht einer milden Lebendigkeit und sanfter bescheidener Freude Platz , und die Liebe wird in tausendfachen Gestalten der reitende Geist der glücklichen Gesellschaften .
Weit entfernt , daß Ausschweifungen und unziemende Grundsätze dadurch sollten herbeigelockt werden , scheint es , als flöhen die bösen Geister die Nähe der Anmut , und gewiß sind in ganz Deutsch Land keine unbescholtenere Mädchen und keine treuere Frauen , als in Schwaben .
Ja junger Freund , in der klaren warmen Luft des südlichen Deutschlands werdet ihr eure ernste Schüchternheit wohl ablegen ; die fröhlichen Mädchen werden euch wohl geschmeidig und gesprächig machen .
Schon euer Name , als Fremder , und eure nahe Verwandtschaft mit dem alten Schwaning , der die Freude jeder fröhlichen Gesellschaft ist , werden die reizenden Augen der Mädchen auf sich ziehen ; und wenn ihr eurem Großvater folgt , so werdet ihr gewiß unserer Vaterstadt eine ähnliche Zierde in einer holdseligen Frau mitbringen , wie euer Vater .
Mit freundlichem Erröten dankte Heinrichs Mutter für das schöne Lob ihres Vaterlandes , und die gute Meinung von ihren Landsmänninnen , und der gedankenvolle Heinrich hatte nicht umhin gekonnt , aufmerksam und mit innigem Wohlgefallen der Schilderung des Landes , dessen Anblick ihm bevorstand , zuzuhören .
Wenn ihr auch fuhren die Kaufleute fort , die Kunst eures Vaters nicht ergreifen , und lieber , wie wir gehört haben , euch mit gelehrten Dingen befassen wollt :
so braucht ihr nicht Geistlicher zu werden , und Verzicht auf die schönsten Genüsse dieses Lebens zu leisten .
Es ist eben schlimm genug , daß die Wissenschaften in den Händen eines so von dem weltlichen Leben abgesonderten Standes , und die Fürsten von so ungeselligen und wahrhaft unerfahrenen Männern beraten sind .
In der Einsamkeit in welcher sie nicht selbst Teil an den Weltgeschäften nehmen , müssen ihre Gedanken eine unnütze Wendung erhalten , und können nicht auf die wirklichen Vorfälle passen .
In Schwaben trefft ihr auch wahrhaft kluge und erfahrene Männer unter den Laien ; und ihr mögt nun wählen , welchen Zweig menschlicher Kenntnisse ihr wollt :
so wird es euch nicht an den besten Lehrern und Ratgebern fehlen .
Nach einer Weile sagte Heinrich , dem bei dieser Rede sein Freund der Hofkaplan in den Sinn gekommen war :
Wenn ich bei meiner Unkunde von der Beschaffenheit der Welt Euch auch eben nicht abfällig sein kann , in dem was ihr von der Unfähigkeit der Geistlichen zu Führung und Beurteilung weltlicher Angelegenheiten behauptet :
so ist mir_es doch wohl erlaubt , euch an unseren trefflichen Hofkaplan zu erinnern , der gewiß ein Muster eines weisen Mannes ist , und dessen Lehren und Ratschläge mir unvergessen sein werden .
Wir ehren , erwiderten die Kaufleute , diesen trefflichen Mann von ganzem Herzen ; aber dennoch können wir nur in sofern eurer Meinung Beifall geben , daß er ein weiser Mann sei , wenn ihr von jener Weisheit sprecht , die einen Gott wohlgefälligen Lebenswandel angeht .
Haltet ihr ihn für eben so weltklug , als er in den Sachen des Heils geübt und unterrichtet ist :
so erlaubt uns , daß wir euch nicht beistimmen .
Doch glauben wir , daß dadurch der heilige Mann nichts von seinem verdienten Lobe verliert ; da er viel zu vertieft in der Kunde der überirdischen Welt ist , als daß er nach Einsicht und Ansehen in irdischen Dingen streben sollte .
Aber , sagte Heinrich , sollte nicht jene höhere Kunde ebenfalls geschickt machen , recht unparteiisch den Zügel menschlicher Angelelegenheiten zu führen ? sollte nicht jene kindliche unbefangene Einfalt sicherer den richtigen Weg durch das Labyrinth der hiesigen Begebenheiten treffen , als die durch Rücksicht auf eigenen Vorteil irregeleitete und gehemmte , von der unerschöpflichen Zahl neuer Zufälle und Verwicklungen geblendete Klugheit ?
Ich weiß nicht , aber mich dünkt , ich sähe zwei Wege um zur Wissenschaft der menschlichen Geschichte zu gelangen .
Der eine , mühsam und unabsehlich , mit unzähligen Krümmungen , der Weg der Erfahrung ; der Andere , fast Ein Sprung nur , der Weg der inneren Betrachtung .
Der Wanderer des ersten muß eins aus dem anderen in einer langwierigen Rechnung finden , wenn der andere die Natur jeder Begebenheit und jeder Sache gleich unmittelbar anschaut , und sie in ihrem lebendigen , mannigfaltigen Zusammenhänge betrachten , und leicht mit allen übrigen , wie Figuren auf einer Tafel , vergleichen kann .
Ihr müßt verzeihen , wenn ich wie aus kindischen Träumen vor euch rede ; nur das Zutrauen zu eurer Güte und das Andenken meines Lehrers , der den zweiten Weg mir als seine eigenen von weitem gezeigt hat , machte mich so dreist .
Wir gestehen Euch gern , sagten die gutmütigen Kaufleute , daß wir eurem Gedankengange nicht zu folgen vermögen :
doch freut es uns , daß ihr so warm euch des trefflichen Lehrers erinnert , und seinen Unterricht wohl gefaßt zu haben scheint .
Es dünkt uns , ihr habt Anlage zum Dichter .
Ihr sprecht so geläufig von den Erscheinungen eures Gemüts , und es fehlt Euch nicht an gewählten Ausdrücken und passenden Vergleichungen .
Auch neigt Ihr Euch zum Wunderbaren , als dem Elemente der Dichter .
Ich weiß nicht , sagte Heinrich , wie es kommt .
Schon oft habe ich von Dichtern und Sängern sprechen gehört , und habe noch nie einen gesehen .
Ja , ich kann mir nicht einmal einen Begriff von ihrer son derbaren Kunst machen , und doch habe ich eine große Sehnsucht davon zu hören .
Es ist mir , als würde ich manches besser verstehen , was jetzt nur dunkle Ahnung in mir ist .
Von Gedichten ist oft erzählt worden , aber nie habe ich eins zu sehen bekommen , und mein Lehrer hat nie Gelegenheit gehabt Kenntnisse von dieser Kunst einzuziehn .
Alles , was er mir davon gesagt , habe ich nicht deutlich begreifen können .
Doch meinte er immer , es sei eine edle Kunst , der ich mich ganz ergeben würde , wenn ich sie einmal kennen lernte .
In alten Zeiten sei sie weit gemeiner gewesen , und habe jedermann einige Wissenschaft davon gehabt , jedoch Einer vor dem Anderen .
Sie sei noch mit anderen verlohrengegangenen herrlichen Künsten verschwistert gewesen .
Die Sänger hätte göttliche Gunst hoch geehrt , so daß sie begeistert durch unsichtbaren Umgang , himmlische Weisheit auf Erden in lieblichen Tönen verkündigen können .
Die Kaufleute sagten darauf :
Wir haben uns freilich nie um die Geheimnisse der Dichter bekümmert , wenn wir gleich mit Vergnügen ihrem Gesange zugehört .
Es mag wohl wahr sein , daß eine besondere Gestirnung dazu gehört , wenn ein Dichter zur Welt kommen soll ; denn es ist gewiß eine recht wunderbare Sache mit dieser Kunst .
Auch sind die anderen Künste gar sehr davon unterschieden , und lassen sich weit eher begreifen .
Bei den Malern und Tonkünstlern kann man leicht einsehen , wie es zugeht , und mit Fleiß und Geduld läßt sich beides lernen .
Die Töne liegen schon in den Saiten , und es gehört nur eine Fertigkeit dazu , diese zu bewegen um jene in einer reizenden Folge aufzuwecken .
Bei den Bildern ist die Natur die herrlichste Lehrmeisterin .
Sie er zeugt zeugt unzählige schöne und wunderliche Figuren , gibt die Farben , das Licht und den Schatten , und so kann eine geübte Hand , ein richtiges Auge , und die Kenntnis von der Bereitung und Vermischung der Farben , die Natur auf das vollkommenste nachahmen .
Wie natürlich ist daher auch die Wirkung dieser Künste , das Wohlgefallen an ihren Werken , zu begreifen .
Der Gesang der Nachtigall , das Sausen des Windes , und die herrlichen Lichter , Farben und Gestalten gefallen uns , weil sie unsere Sinne angenehm beschäftigen ; und da unsere Sinne dazu von der Natur , die auch jenes hervorbringt , so eingerichtet sind , so muß uns auch die künstliche Nachahmung der Natur gefallen .
Die Natur will selbst auch einen Genuß von ihrer großen Künstlichkeit haben , und darum hat sie sich in Menschen verwandelt , wo sie nun selber sich über ihre Herr D lichkeit freut , das Angenehme und Liebliche von den Dingen absondert , und es auf solche Art allein hervorbringt , daß sie es auf mannichfaltigere Weise , und zu allen Zeiten und allen Orten haben und genießen kann .
Dagegen ist von der Dichkunst sonst nirgends äußerlich etwas anzutreffen .
Auch schafft sie nichts mit Werkzeugen und Händen ; das Auge und das Ohr vernehmen nichts davon :
denn das bloße Hören der Worte ist nicht die eigentliche Wirkung dieser geheimen Kunst .
Es ist alles innerlich , und wie jene Künstler die äußeren Sinne mit angenehmen Empfindungen erfüllen , so erfüllt der Dichter das inwendige Heiligtum des Gemüts mit neuen , wunderbaren und gefälligen Gedanken .
Er weiß jene geheimen Kräfte in uns nach Belieben zu erregen , und gibt uns durch Worte eine unbekannte herrliche Welt zu vernehmen .
Wie aus tiefen Höhlen stei gen alte und künftige Zeiten , unzählige Menschen , wunderbare Gegenden , und die seltsamsten Begebenheiten in uns herauf , und entreißen uns der bekannten Gegenwart .
Man hört fremde Worte und weiß doch , was sie bedeuten sollen .
Eine magische Gewalt üben die Sprüche des Dichters aus ; auch die gewöhnlichen Worte kommen in reizenden Klängen vor , und berauschen die festgebannten Zuhörer .
Ihr verwandelt meine Neugierde in heiße Ungeduld , sagte Heinrich .
Ich bitte euch , erzählt mir von allen Sängern , die ihr gehört habt .
Ich kann nicht genug von diesen besonderen Menschen hören .
Mir ist auf einmal , als hätte ich irgendwo schon davon in meiner tiefsten Jugend reden hören , doch kann ich mich schlechterdings nichts mehr davon entsinnen .
Aber mir ist das , was ihr sagt , so klar , so bekannt , und ihr macht mir ein außerordentliches Vergnügen mit euren schönen Beschreibungen .
Wir erinnern uns selbst gern , fuhren die Kaufleute fort , mancher frohen Stunden , die wir in Welschland , Frankreich und Schwaben in der Gesellschaft von Sängern zugebracht haben , und freuen uns , daß ihr so lebhaften Anteil an unseren Reden nehmet .
Wenn man so in Gebirgen reist , spricht es sich mit doppelter Annehmlichkeit , und die Zeit vergeht spielend .
Vielleicht ergötzt es euch einige artige Geschichten von Dichtern zu hören , die wir auf unseren Reisen erfuhren .
Von den Gesängen selbst , die wir gehört haben , können wir wenig sagen , da die Freude und der Rausch des Augenblicks das Gedächtnis hindert viel zu behalten , und die unaufhörlichen Handelsgeschäfte manches Andenken auch wieder verwischt haben .
In alten Zeiten muß die ganze Natur lebendiger und sinnvoller gewesen sein , als heute zu Tage .
Wirkungen , die jetzt kaum noch die Tiere zu bemerken scheinen , und die Menschen eigentlich allein noch empfinden und genießen , bewegten damals leblose Körper ; und so war es möglich , daß kunstreiche Menschen allein Dinge möglich machten und Erscheinungen hervorbrachten , die uns jetzt völlig unglaublich und fabelhaft dünken .
So sollen vor uralten Zeiten in den Ländern des jetzigen Griechischen Kaisertums , wie uns Reisende berichtet , die diese Sagen noch dort unter dem gemeinen Volke angetroffen haben , Dichter gewesen sein , die durch den seltsamen Klang wunderbarer Werkzeuge das geheime Leben der Wälder , die in den Stämmen verborgenen Geister aufgeweckt , in wüssten , verödeten Gegenden den toten Pflanzensamen erregt , und blühende Gärten hervorgerufen , grausame Tiere gezähmt und verwilderte Menschen zu Ordnung und Sitte gewöhnt , sanfte Neigungen und Künste des Friedens in ihnen rege gemacht , reißende Flüsse in milde Gewässer verwandelt , und selbst die Todtesten Steine in regelmäßige tanzende Bewegungen hingerissen haben .
Sie sollen zugleich Wahrsager und Priester , Gesetzgeber und Ärzte gewesen sein , indem selbst die höheren Wesen durch ihre zauberische Kunst herabgezogen worden sind , und sie in den Geheimnissen der Zukunft unterrichtet , das Ebenmaß und die natürliche Einrichtung aller Dinge , auch die inneren Tugenden und Heilkräfte der Zahlen , Gewächse und aller Kreaturen , ihnen offenbart .
Seitdem sollen , wie die Sage lautet , erst die mannigfaltigen Töne und die sonderbaren Sympathien und Ordnungen in die Natur gekommen sein , indem vorher alles wild , unordentlich und feindselig gewesen ist .
Seltsam ist nur hierbei , daß zwar diese schönen Spuren , zum Andenken der Gegenwart jener wohltätigen Menschen , geblieben sind , aber entweder ihre Kunst , oder jene zarte Gefühligkeit der Natur verloren gegangen ist .
In diesen Zeiten hat es sich unter anderen einmal zugetragen , daß einer jener sonderbaren Dichter oder mehr Tonkünstler -- wiewohl die Musik und Poesie wohl ziemlich eins sein mögen und vielleicht eben so zusammen gehören , wie Mund und Ohr , da der erste nur ein bewegliches und antwortendes Ohr ist -- daß also dieser Tonkünstler übers Meer in ein fremdes Land reisen wollte .
Er war reich an schönen Kleinodien und köstlichen Dingen , die ihm aus Dankbarkeit verehrt worden waren .
Er fand ein Schiff am Ufer , und die Leute darin schienen bereitwillig , ihn für den verheißenen Lohn nach der verlangten Gegend zu fahren .
Der Glanz und die Zierlichkeit seiner Schätze reizten aber bald ihre Habsucht so sehr , daß sie unter einander verabredeten , sich seiner zu bemächtigen , ihn ins Meer zu werfen , und nachher seine Habe unter einander zu verteilen .
Wie sie also mitten im Meere waren , fielen sie über ihn her , und sagten ihm , daß er sterben müsse , weil sie beschlossen hätten , ihn ins Meer zu werfen .
Er bat sie auf die rührendste Weise um sein Leben , bot ihnen seine Schätze zum Lösegeld an , und prophezeite ihnen großes Unglück , wenn sie ihren Vorsatz ausführen würden .
Aber weder das eine , noch das andere konnte sie bewegen :
denn sie fürchteten sich , daß er ihre böse Tat einmal verraten möchte .
Da er sie nun einmal so fest entschlossen sah , bat er sie ihm wenigstens zu erlauben , daß er noch vor seinem Ende seinen Schwanengesang spielen dürfe , dann wolle er mit seinem schlichten hölzernen Instrumente , vor ihren Augen freiwillig ins Meer springen .
Sie wußten recht wohl , daß wenn sie seinen Zaubergesang hörten , ihre Herzen erweicht , und sie von Reue ergriffen werden würden ; daher nahmen sie sich vor , ihm zwar diese letzte Bitte zu gewähren , während des Gesanges aber sich die Ohren fest zu verstopfen , daß sie nichts davon vernähmen , und so bei ihrem Vorhaben bleiben könnten .
Dies geschah .
Der Sänger stimmte einen herrlichen , unendlich rührenden Gesang an .
Das ganze Schiff tönte mit , die Wellen klangen , die Sonne und die Gestirne erschienen zugleich am Himmel , und aus den grünen Fluten tauchten tanzende Scharen von Fischen und Meerungeheuern hervor .
Die Schiffer standen feindselig allein mit festverstopften Ohren , und warteten voll Ungeduld auf das Ende des Liedes .
Bald war es vorüber .
Da sprang der Sänger mit hei trer Stirn in den dunklen Abgrund hin , sein wundertätiges Werkzeug im Arm .
Er hatte kaum die glänzenden Wogen berührt , so hob sich der breite Rücken eines dankbaren Untiers unter ihm hervor , und es schwamm schnell mit dem erstaunten Sänger davon .
Nach kurzer Zeit hatte es mit ihm die Küste erreicht , nach der er hingewollt hatte , und setzte ihn sanft im Schilfe nieder .
Der Dichter sang seinem Retter ein frohes Lied , und ging dankbar von dannen .
Nach einiger Zeit ging er einmal am Ufer des Meers allein , und klagte in süßen Tönen über seine verlorenen Kleinode , die ihm , als Erinnerungen glücklicher Stunden und als Zeichen der Liebe und Dankbarkeit so wert gewewesen waren .
Indem er so sang , kam plötzlich sein alter Freund im Meere fröhlich daher gerauscht , und ließ aus seinem Rachen die geraubten Schätze auf den Sand fallen .
Die Schiffer hatten , nach des Sängers Sprunge , sich sogleich in seine Hinterlassenschaft zu teilen angefangen .
Bei dieser Teilung war Streit unter ihnen entstanden , und hatte sich in einen mörderischen Kampf geendigt , der den Meisten das Leben gekostet ; die wenigen , die übrig geblieben , hatten allein das Schiff nicht regieren können , und es war bald auf den Strand geraten , wo es scheiterte und unterging .
Sie brachten mit genauer Not das Leben davon , und kamen mit leeren Händen und zerrissenen Kleidern ans Land , und so kehrten durch die Hilfe des dankbaren Meertiers , das die Schätze im Meere aufsuchte , dieselben in die Hände ihres alten Besitzers zurück .
Drittes Kapitel .
Eine andere Geschichte , fuhren die Kaufleute nach einer Pause fort , die freilich nicht so wunderbar und auch aus späteren Zeiten ist , wird euch vielleicht doch gefallen , und euch mit den Wirkungen jener wunderbaren Kunst noch bekannter machen .
Ein alter König hielt einen glänzenden Hof .
Weit und breit strömten Menschen herzu , um Teil an der Herrlichkeit seines Lebens zu haben , und es gebrach weder den täglichen Festen an Überfluß köstlicher Waren des Gaume , noch an Musik , prächtigen Verzierungen und Trachten , und tausend abwechselnden Schauspielen und Zeitvertreiben , noch endlich an sinnreicher Anordnung , an klugen , gefälligen , und unterrichteten Männern zur Unterhaltung und Beseelung der Gespräche , und an schöner , anmutiger Jugend von beiden Geschlechtern , die die eigentliche Seele reizender Feste ausmachen .
Der alte König , der sonst ein strenger und ernster Mann war , hatte zwei Neigungen , die der wahre Anlaß dieser prächtigen Hofhaltung waren , und denen sie ihre schöne Einrichtung zu danken hatte .
Eine war die Zärtlichkeit für seine Tochter , die ihm als Andenken seiner früh verstorbenen Gemahlin und als ein unaussprechlich liebenswürdiges Mädchen unendlich teuer war , und für die er gern alle Schätze der Natur und alle Macht des menschlichen Geistes aufgeboten hätte , um ihr einen Himmel auf Erden zu verschaffen .
Die Andere war eine wahre Leidenschaft für die Dichtkunst und ihre Meister .
Er hatte von Jugend auf die Werke der Dichter mit innigem Vergnügen gelesen ; an ihre Sammlung aus al len Sprachen großen Fleiß und große Summen gewendet , und von jeher den Umgang der Sänger über alles geschätzt .
Von allen Enden zog er sie an seinen Hof und überhäufte sie mit Ehren .
Er wurde nicht müde ihren Gesängen zuzuhören , und vergaß oft die wichtigsten Angelegenheiten , ja die Bedürfnisse des Lebens über einem neuen , hinreißenden Gesange .
Seine Tochter war unter Gesängen aufgewachsen , und ihre ganze Seele war ein zartes Lied geworden , ein einfacher Ausdruck der Wehmut und Sehnsucht .
Der wohltätige Einfluß der beschützten und geehrten Dichter zeigte sich im ganzen Lande , besonders aber am Hofe .
Man genoß das Leben mit langsamen , kleinen Zügen wie einen köstlichen Trank , und mit desto reinerem Wohlbehagen , da alle widrige gehässige Leidenschaften , wie Mißtöne von der sanften harmonischen Stimmung ver scheucht wurden , die in allen Gemütern herrschend war .
Frieden der Seele und inneres seliges Anschauen einer selbst geschaffenen , glücklichen Welt war das Eigentum dieser wunderbaren Zeit geworden , und die Zwietracht erschien nur in den alten Sagen der Dichter , als eine ehemalige Feindin der Menschen .
Es schien , als hätten die Geister des Gesanges ihrem Beschützer kein lieblicheres Zeichen der Dankbarkeit geben können , als seine Tochter , die alles besaß , was die süßeste Einbildungskraft nur in der zarten Gestalt eines Mädchens vereinigen konnte .
Wenn man sie an den schönen Festen unter einer Schar reißender Gespielen , im weißen glänzenden Gewande erblickte , wie sie den Wettgesängen der begeisterten Sänger mit tiefem Lauschen zuhörte , und errötend einen duftenden Kranz auf die Lokken des Glücklichen drückte , dessen Lied den Preis gewonnen hatte :
so hielt man sie für die sichtbare Seele jener herrlichen Kunst , die jene Zaubersprüche beschworen hätten , und hörte auf sich über die Entzückungen und Melodien der Dichter zu wundern .
Mitten in diesem irdischen Paradiese schien jedoch ein geheimnisvolles Schicksal zu schweben .
Die einzige Sorge der Bewohner dieser Gegenden betraf die Vermählung der aufblühenden Prinzessin , von der die Fortdauer dieser seligen Zeiten und das Verhängnis des ganzen Landes abhing .
Der König wurde immer älter .
Ihm selbst schien diese Sorge lebhaft am Herzen zu liegen , und doch zeigte sich keine Aussicht zu einer Vermählung für sie , die allen Wünschen angemessen gewesen wäre .
Die heilige Ehrfurcht für das königliche Haus erlaubte keinem Untertan , an die Möglichkeit zu denken , die Prinzessin zu besitzen .
Man bei trag trachtete sie wie ein überirdisches Wesen , und alle Prinzen aus anderen Ländern , die sich mit Ansprüchen auf sie am Hofe gezeigt hatten , schienen so tief unter ihr zu sein , daß kein Mensch auf den Einfall kam , die Prinzessin oder der König werde die Augen auf einen unter ihnen richten .
Das Gefühl des Abstandes hatte sie auch allmählich alle verscheucht , und das ausgesprengte Gerücht des ausschweifenden Stolzes dieser königlichen Familie schien Anderen alle Lust zu benehmen , sich ebenfalls gedemütigt zu sehen .
Ganz ungegründet war auch dieses Gerücht nicht .
Der König war bei aller Milde beinahe unwillkürlich in ein Gefühl der Erhabenheit geraten , was ihm jeden Gedanken an die Verbindung seiner Tochter mit einem Manne von niedrigerem Stande und dunklerer Herkunft unmöglich oder unerträglich machte .
Ihr hoher , einziger Wert hatte jenes E Gefühl in ihm immer mehr bestätigt .
Er war aus einer uralten Morgenländischen Königsfamilie entsprossen .
Seine Gemahlin war der letzte Zweig der Nachkommenschaft des berühmten Helden Rustan gewesen .
Seine Dichter hatten ihm unaufhörlich von seiner Verwandtschaft mit den ehemaligen übermenschlichen Beherrschern der Welt vorgesungen , und in dem Zauberspiegel ihrer Kunst war ihm der Abstand seiner Herkunft von dem Ursprunge der anderen Menschen , die Herrlichkeit seines Stammes noch heller erschienen , so daß es ihn dünkte , nur durch die edlere Klasse der Dichter mit dem übrigen Menschengeschlechte zusammenzuhängen .
Vergebens sah er sich mit voller Sehnsucht nach einem zweiten Rustan um , indem er fühlte , daß das Herz seiner aufblühenden Tochter , der Zustand seines Reichs , und sein zunehmendes Alter ihre Vermählung in aller Absicht sehr wünschenswert machten .
Nicht weit von der Hauptstadt lebte auf einem abgelegenen Landgute ein alter Mann , der sich ausschließlich mit der Erziehung seines einzigen Sohnes beschäftigte , und nebenher den Landleuten in wichtigen Krankheiten Rat erteilte .
Der junge Mensch war ernst und ergab sich einzig der Wissenschaft der Natur , in welcher ihn sein Vater von Kindheit auf unterrichtete .
Aus fernen Gegenden war der Alte vor mehreren Jahren in dies friedliche und blühende Land gezogen , und begnügte sich den wohltätigen Frieden , den der König um sich verbreitete , in der Stille zu genießen .
Er benutzte sie , die Kräfte der Natur zu erforschen , und diese hinreißenden Kenntnisse seinem Sohne mitzuteilen , der viel Sinn dafür verriet und dessen tiefem Gemüt die Natur bereitwillig ihre Geheimnisse anvertraute .
Die Gestalt des jungen Menschen schien gewöhnlich und unbedeutend , wenn man nicht einen höheren Sinn für die geheimere Bildung seines edlen Gesichts und die ungewöhnliche Klarheit seiner Augen mitbrachte .
Je länger man ihn ansah , desto anziehender wurde er , und man konnte sich kaum wieder von ihm trennen , wenn man seine sanfte , eindringende Stimme und seine anmutige Gabe zu sprechen hörte .
Eines Tages hatte die Prinzessin , deren Lustgärten an den Wald stießen , der das Landgut des Alten in einem kleinen Tale verbarg , sich allein zu Pferde in den Wald begeben , um desto ungestörter ihren Fantasien nachhängen und einige schöne Gesänge sich wiederholen zu können .
Die Frische des hohen Waldes lockte sie immer tiefer in seine Schatten , und so kam sie endlich an das Landgut , wo der Alte mit seinem Sohne lebte .
Es kam ihr die Lust an , Milch zu trinken , sie stieg ab , band ihr Pferd an ei einen Baum , und trat in das Haus , um sich einen Trunk Milch auszubitten .
Der Sohn war gegenwärtig , und erschrak beinahe über diese zauberhafte Erscheinung eines majestätischen weiblichen Wesens , das mit allen Reizen der Jugend und Schönheit geschmückt , und von einer unbeschreiblich anziehenden Durchsichtigkeit der zartesten , unschuldigsten und edelsten Seele beinahe vergöttlicht wurde .
Während er eilte ihre wie Geistergesang tönende Bitte zu erfüllen , trat ihr der Alte mit bescheidener Ehrfurcht entgegen , und lud sie ein , an dem einfachen Herde , der mitten im Hause stand , und auf welchem eine leichte blaue Flamme ohne Geräusch emporspielte , Platz zu nehmen .
Es fiel ihr , gleich beim Eintritt , der mit tausend seltenen Sachen gezierte Hausraum , die Ordnung und Reinlichkeit des Ganzen , und eine seltsame Heiligkeit des Ortes auf , deren Eindruck noch durch den schlicht gekleideten ehrwürdigen Greis und den bescheidenen Anstand des Sohnes erhöhet wurde .
Der Alte hielt sie gleich für eine zum Hof gehörige Person , wozu ihre kostbare Tracht , und ihr edles Betragen ihm Anlaß genug gab .
Während der Abwesenheit des Sohnes befragte sie ihn um einige Merkwürdigkeiten , die ihr vorzüglich in die Augen fielen , worunter besonders einige alte , sonderbare Bilder waren , die neben ihrem Sitze auf dem Herde standen , und er war bereitwillig sie auf eine anmutige Art damit bekannt zu machen .
Der Sohn kam bald mit einem Kruge voll frischer Milch zurück , und reichte ihr denselben mit ungekünsteltem und ehrfurchtsvollem Wesen .
Nach einigen anziehenden Gesprächen mit beiden , dankte sie auf die lieblichste Weise für die freundliche Bewirtung , bat errötend den Alten um die Erlaubnis wieder kommen , und seine lehrreichen Gespräche über die vielen wunderbaren Sachen genießen zu dürfen , und ritt zurück , ohne ihren Stand verraten zu haben , da sie merkte , daß Vater und Sohn sie nicht kannten .
Unerachtet die Hauptstadt so nahe lag , hatten beide , in ihre Forschungen vertieft , das Gewühl der Menschen zu vermeiden gesucht , und es war dem Jüngling nie eine Lust angekommen , den Festen des Hofes beizuwohnen ; besonders da er seinen Vater höchstens auf eine Stunde zu verlassen pflegte , um zuweilen im Walde nach Schmetterlingen , Käfern und Pflanzen umher zu gehen , und die Eingebungen des stillen Naturgeistes durch den Einfluß seiner mannigfaltigen äußeren Lieblichkeiten zu vernehmen .
Dem Alten , der Prinzessin und dem Jüngling war die einfache Begebenheit des Tages gleich wichtig .
Der Alte hatte leicht den neuen tiefen Eindruck bemerkt , den die Unbekannte auf seinen Sohn machte .
Er kannte diesen genug , um zu wissen , daß jeder tiefe Eindruck bei ihm ein lebenslänglicher sein würde .
Seine Jugend und die Natur seines Herzens mußten die erste Empfindung dieser Art zur unüberwindlichen Neigung machen .
Der Alte hatte lange eine solche Begebenheit herannahen sehen .
Die hohe Liebenswürdigkeit der Erscheinung flößte ihm unwillkürlich eine innige Teilnahme ein , und sein zuversichtliches Gemüt entfernte alle Besorgnisse über die Entwicklung dieses sonderbaren Zufalls .
Die Prinzessin hatte sich nie in einem ähnlichen Zustande befunden , wie der war , in welchem sie langsam nach Hause ritt .
Es konnte vor der einzigen helldunklen wunderbar beweglichen Empfindung einer neuen Welt , kein eigentlicher Gedanke in ihr ent stehen .
Ein magischer Schleier dehnte sich in weiten Falten um ihr klares Bewußtsein .
Es war ihr , als würde sie sich , wenn er aufgeschlagen würde , in einer überirdischen Welt befinden .
Die Erinnerung an die Dichtkunst , die bisher ihre ganze Seele beschäftigt hatte , war zu einem fernen Gesange geworden , der ihren seltsam lieblichen Traum mit den ehemaligen Zeiten verband .
Wie sie zurück in den Palast kam , erschrak sie beinahe über seine Pracht und sein buntes Leben , noch mehr aber bei der Bewillkommung ihres Vaters , dessen Gesicht zum erstenmal in ihrem Leben eine scheue Ehrfurcht in ihr erregte .
Es schien ihr eine unabänderliche Notwendigkeit , nichts von ihrem Abenteuer zu erwähnen .
Man war ihre schwärmerische Ernsthaftigkeit , ihren in Phantasien und tiefes Sinnen verlorenen Blick schon zu gewohnt , um etwas Außerordentliches darin zu bemerken .
Es war ihr jetzt nicht mehr so lieblich zu Mute ; sie schien sich unter lauter Fremden , und eine sonderbare Bänglichkeit begleitete sie bis an den Abend , wo das frohe Lied eines Dichters , der die Hoffnung pries , und von den Wundern des Glaubens an die Erfüllung unserer Wünsche mit hinreißender Begeisterung sang , sie mit süßem Trost erfüllte und in die angenehmsten Träume wiegte .
Der Jüngling hatte sich gleich nach ihrem Abschiede in den Wald verloren .
An der Seite des Weges war er in Gebüschen bis an die Pforten des Gartens ihr gefolgt , und dann auf dem Wege zurückgegangen .
Wie er so ging , sah er vor seinen Füßen einen hellen Glanz .
Er bückte sich danach und hob einen dunkelroten Stein auf , der auf einer Seite außerordentlich funkelte , und auf der Anderen eingegrabene unverständliche Chiffren zeigte .
Er erkannte ihn für einen kostbaren Karfunkel , und glaubte ihn in der Mitte des Halsbandes an der Unbekannten bemerkt zu haben .
Er eilte mit beflügelten Schritten nach Hause , als wäre sie noch dort , und brachte den Stein seinem Vater .
Sie wurden einig , daß der Sohn den anderen Morgen auf den Weg zurückgehen und warten sollte , ob der Stein gesucht würde , wo er ihn dann zurückgeben könnte ; sonst wollten sie ihn bis zu einem zweiten Besuche der Unbekannten aufheben , um ihr selbst ihn zu überreichen .
Der Jüngling betrachtete fast die ganze Nacht den Karfunkel und fühlte gegen Morgen ein unwiderstehliches Verlangen einige Worte auf den Zettel zu schreiben , in welchen er den Stein einwickelte .
Er wußte selbst nicht genau , was er sich bei den Worten dachte , die er hinschrieb .
Es ist dem Stein ein rätselhaftes Zeichen Tief eingegraben in sein glühend Blut , Er ist mit einem Herzen zu vergleichen , In dem das Bild der Unbekannten ruht .
Man sieht um jenen tausend Funken streichen , Um dieses woget eine lichte Flut .
In jenem liegt des Glanzes Licht begraben , Wird dieses auch das Herz des Herzens haben ?
Kaum daß der Morgen anbrach , so begab er sich schon auf den Weg , und eilte der Pforte des Gartens zu .
Unterdessen hatte die Prinzessin Abends beim Auskleiden den teuren Stein in ihrem Halsbande vermißt , der ein Andenken ihrer Mutter und noch dazu ein Talisman war , dessen Besitz ihr die Freiheit ihrer Person sicherte , indem sie damit nie in fremde Gewalt ohne ihren Willen geraten konnte .
Dieser Verlust befremdete sie mehr , als daß er sie erschreckt hätte .
Sie erinnerte sich , ihn gestern bei dem Spazierritt noch gehabt zu haben , und glaubte fest , daß er entweder im Hause des Alten , oder auf dem Rückwege im Walde verloren gegangen sein müsse ; der Weg war ihr noch in frischem Andenken , und so beschloß sie gleich früh den Stein aufzusuchen , und wurde bei diesem Gedanken so heiter , daß es fast das Ansehen gewann , als sei sie gar nicht unzufrieden mit dem Verluste , weil er Anlaß gäbe jenen Weg sogleich noch einmal zu machen .
Mit dem Tage ging sie durch den Garten nach dem Walde , und weil sie eilfertiger ging als gewöhnlich , so fand sie es ganz natürlich , daß ihr das Herz lebhaft schlug , und ihr die Brust beklomm .
Die Sonne fing eben an , die Wipfel der alten Bäume zu vergolden , die sich mit sanftem Flüstern bewegten , als wollten sie sich gegenseitig aus nächtlichen Gesichtern erwecken , um die Sonne gemeinschaftlich zu begrüßen , als die Prinzessin durch ein fernes Geräusch veranlaßt , den Weg hinunter und den Jüngling auf sich zueilen sah , der in demselben Augenblick ebenfalls sie bemerkte .
Wie angefesselt blieb er eine Weile stehen , und blickte unverwandt sie an , gleichsam um sich zu überzeugen , daß ihre Erscheinung wirklich und keine Täuschung sei .
Sie begrüßten sich mit einem zurückgehaltenen Ausdruck von Freude , als hätten sie sich schon lange gekannt und geliebt .
Noch ehe die Prinzessin die Ursache ihres frühen Spaziere Ganges ihm entdecken konnte , überreichte er ihr mit Erröten und Herzklopfen den Stein in dem beschriebenen Zettel .
Es war , als ahndete die Prinzessin den Inhalt der Zeilen .
Sie nahm ihn stillschweigend mit zitternder Hand und hing ihm zur Belohnung für seinen glücklichen Fund beinahe unwillkürlich eine goldene Kette um , die sie um den Hals trug .
Beschämt kniete er vor ihr und konnte , da sie sich nach seinem Vater erkundigte , einige Zeit keine Worte finden .
Sie sagte ihm halbleise , und mit niedergeschlagenen Augen , daß sie bald wieder zu ihnen kommen , und die Zusage des Vaters sie mit seinen Seltenheiten bekannt zu machen , mit vieler Freude benutzen würde .
Sie dankte dem Jünglinge noch einmal mit ungewöhnlicher Innigkeit , und ging hierauf langsam , ohne sich umzusehen , zurück .
Der Jüngling konnte kein Wort vorbringen .
Er neigte sich ehrfurchtsvoll und sah ihr lange nach , bis sie hinter den Bäumen verschwand .
Nach dieser Zeit vergingen wenig Tage bis zu ihrem zweiten Besuche , dem bald mehrere folgten .
Der Jüngling wurde unvermerkt ihr Begleiter bei diesen Spaziergängen .
Er holte sie zu bestimmten Stunden am Garten ab , und brachte sie dahin zurück .
Sie beobachtete ein unverbrüchliches Stillschweigen über ihren Stand , so zutraulich sie auch sonst gegen ihren Begleiter wurde , dem bald kein Gedanke in ihrer himmlischen Seele verborgen blieb .
Es war , als flößte ihr die Erhabenheit ihrer Herkunft eine geheime Furcht ein .
Der Jüngling gab ihr ebenfalls seine ganze Seele .
Vater und Sohn hielten sie für ein vornehmes Mädchen vom Hofe .
Sie hing an dem Alten mit der Zärtlichkeit einer Tochter .
Ihre Liebkosungen gegen ihn waren die entzückenden Vor Vorboten ihrer Zärtlichkeit gegen den Jüngling .
Sie wurde bald einheimisch in dem wunderbaren Hause ; und wenn sie dem Alten und dem Sohne , der zu ihren Füßen saß , auf ihrer Laute reizende Lieder mit einer überirdischen Stimme vorsang , und letzteren in dieser lieblichen Kunst unterrichtete :
so erfuhr sie dagegen von seinen begeisterten Lippen die Enträtselung der überall verbreiteten Naturgeheimnisse .
Er lehrte ihr , wie durch wundervolle Sympathie die Welt entstanden sei , und die Gestirne sich zu melodischen Reigen vereinigt hätten .
Die Geschichte der Vorwelt ging durch seine heiligen Erzählungen in ihrem Gemüt auf ; und wie entzückt war sie , wenn ihr Schüler , in der Fülle seiner Eingebungen , die Laute ergriff und mit unglaublicher Gelehrigkeit in die wundervollsten Gesänge ausbrach .
Eines Tages , wo ein besonders kühner Schwung F sich seiner Seele in ihrer Gesellschaft bemächtigt hatte , und die mächtige Liebe auf dem Rückwege ihre jungfräuliche Zurückhaltung mehr als gewöhnlich überwand , so daß sie beide ohne selbst zu wissen wie einander in die Arme sanken , und der erste glühende Kuß sie auf ewig zusammenschmelzte , fing mit einbrechender Dämmerung ein gewaltiger Sturm in den Gipfeln der Bäume plötzlich zu toben an .
Drohende Wetterwolken zogen mit tiefem nächtlichen Dunkel über sie her .
Er eilte sie in Sicherheit vor dem fürchterlichen Ungewitter und den brechenden Bäumen zu bringen : aber er verfehlte in der Nacht und voll Angst wegen seiner Geliebten den Weg , und geriet immer tiefer in den Wald hinein .
Seine Angst wuchs , wie er seinen Irrtum bemerkte .
Die Prinzessin dachte an das Schrecken des Königs und des Hofes ; eine u__ennbare Ängstlichkeit fuhr zuweilen , wie ein zerstörender Strahl , durch ihre Seele , und nur die Stimme ihres Geliebten , der ihr unaufhörlich Trost zusprach , gab ihr Mut und Zutrauen zurück , und erleichterte ihre beklommene Brust .
Der Sturm wütete fort ; alle Bemühungen den Weg zu finden waren vergeblich , und sie priesen sich beide glücklich , bei der Erleuchtung eines Blitzes eine nahe Höhle an dem steilen Abhang eines waldigen Hügels zu entdecken , wo sie eine sichere Zuflucht gegen die Gefahren des Ungewitters zu finden hofften , und eine Ruhestätte für ihre erschöpften Kräfte .
Das Glück begünstigte ihre Wünsche .
Die Höhle war trocken und mit reinlichem Moose bewachsen .
Der Jüngling zündete schnell ein Feuer von Reisern und Moos an , woran sie sich trockenen konnten , und die beiden Liebenden sahen sich nun auf eine wunderbare Weise von der Welt entfernt , aus einem ge fahrvollen Zustande gerettet , und auf einem bequemen , warmen Lager allein nebeneinander .
Ein wilder Mandelstrauch hing mit Früchten beladen in die Höhle hinein , und ein nahes Rieseln ließ sie frisches Wasser zur Stillung ihres Durstes finden .
Die Laute hatte der Jüngling mitgenommen , und sie gewährte ihnen jetzt eine aufheiternde und beruhigende Unterhaltung bei dem knisternden Feuer .
Eine höhere Macht schien den Knoten schneller lösen zu wollen , und brachte sie unter sonderbaren Umständen in diese romantische Lage .
Die Unschuld ihrer Herzen , die zauberhafte Stimmung ihrer Gemüter , und die verbundene unwiderstehliche Macht ihrer süßen Leidenschaft und ihrer Jugend ließ sie bald die Welt und ihre Verhältnisse vergessen , und wiegte sie unter dem Brautgesange des Sturms und den Hochzeitfackeln der Blitze in den süßesten Rausch ein , der je ein sterbliches Paar beseligt haben mag .
Der Anbruch des lichten blauen Morgens war für sie das Erwachen in einer neuen seligen Welt .
Ein Strom heißer Tränen , der jedoch bald aus den Augen der Prinzessin hervorbrach , verriet ihrem Geliebten die erwachenden tausendfachen Bekümmernisse ihres Herzens .
Er war in dieser Nacht um mehrere Jahre älter , aus einem Jünglinge zum Manne geworden .
Mit überschwenglicher Begeisterung tröstete er seine Geliebte , erinnerte sie an die Heiligkeit der wahrhaften Liebe , und an den hohen Glauben , den sie einflöße , und bat sie , die heiterste Zukunft von dem Schutzgeist ihres Herzens mit Zuversicht zu erwarten .
Die Prinzessin fühlte die Wahrheit seines Trostes , und entdeckte ihm , sie sei die Tochter des Königs , und nur bange wegen des Stolzes und der Beküm Mehrnisse ihres Vaters .
Nach langen reiflichen Überlegungen wurden sie über die zu fassende Entschließung einig , und der Jüngling machte sich sofort auf den Weg , um seinen Vater aufzusuchen , und diesen mit ihrem Plane bekannt zu machen .
Er versprach in kurzen wieder bei ihr zu sein , und verließ sie beruhigt und in süßen Vorstellungen der künftigen Entwicklung dieser Begebenheiten .
Der Jüngling hatte bald seines Vaters Wohnung erreicht , und der Alte war sehr erfreut , ihn unverletzt ankommen zu sehen .
Er erfuhr nun die Geschichte und den Plan der Liebenden , und bezeigte sich nach einigem Nachdenken bereitwillig ihn zu unterstützen .
Sein Haus lag ziemlich versteckt , und hatte einige unterirdische Zimmer , die nicht leicht aufzufinden waren .
Hier sollte die Wohnung der Prinzessin sein .
Sie wurde also in der Dämmerung abgeholt , und mit tiefer Rüh Runge von dem Alten empfangen .
Sie weinte nachher oft in der Einsamkeit , wenn sie ihres traurigen Vaters gedachte :
doch verbarg sie ihren Kummer vor ihrem Geliebten , und sagte es nur dem Alten , der sie freundlich tröstete , und ihr die nahe Rückkehr zu ihrem Vater vorstellte .
Unterdes war man am Hofe in große Bestürzung geraten , als Abends die Prinzessin vermißt wurde .
Der König war ganz außer sich , und schickte überall Leute aus , sie zu suchen .
Kein Mensch wußte sich ihr Verschwinden zu erklären .
Keinem kam ein heimliches Liebesverständnis in die Gedanken , und so ahndete man keine Entführung , da ohnedies kein Mensch weiter fehlte .
Auch nicht zu der entferntesten Vermutung war Grund da .
Die ausgeschickten Boten kamen unverrichteter Sache zurück , und der König fiel in tiefe Traurigkeit .
Nur wenn Abends seine Sänger vor ihn kamen und schöne Lieder mitbrachten , war es , als ließe sich die alte Freude wieder vor ihm blicken ; seine Tochter dünkte ihm nah , und er schöpfte Hoffnung , sie bald wieder zu sehen .
War er aber wieder allein , so zerriß es ihm von neuem das Herz und er weinte laut .
Dann gedachte er bei sich selbst :
Was hilft mir nun alle die Herrlichkeit , und meine hohe Geburt .
Nun bin ich doch elender als die anderen Menschen .
Meine Tochter kann mir nichts ersetzen .
Ohne sie sind auch die Gesänge nichts , als leere Worte und Blendwerk .
Sie war der Zauber , der ihnen Leben und Freude , Macht und Gestalt gab .
Wollte ich doch lieber , ich wäre der geringste meiner Diener .
Dann hätte ich meine Tochter noch ; auch wohl einen Eidam dazu und Enkel , die mir auf den Knien säßen : dann wäre ich ein anderer König , als jetzt .
Es ist nicht die Krone und das Reich , was einen König macht .
Es ist jenes volle , überfließende Gefühl der Glückseligkeit , der Sättigung mit irdischen Gütern , jenes Gefühl der überschwänglichen Genüge .
So werde ich nun für meinen Übermut bestraft .
Der Verlust meiner Gattin hat mich noch nicht genug erschüttert .
Nun habe ich auch ein grenzenloses Elend .
So klagte der König in den Stunden der heißesten Sehnsucht .
Zuweilen brach auch seine alte Strenge und sein Stolz wieder hervor .
Er zürnte über seine Klagen ; wie ein König wollte er dulden und schweigen .
Er meinte dann , er leide mehr , als alle Anderen , und gehöre ein großer Schmerz zum Königtum ; aber wenn es dann dämmerte , und er in die Zimmer seiner Tochter trat , und sah ihre Kleider hängen , und ihre kleineren Habseligkeiten stehen , als habe sie eben das Zimmer verlassen :
so vergaß er seine Vorsätze , gebärdete sich wie ein trübseliger Mensch , und rief seine geringsten Diener um Mitleid an .
Die ganze Stadt und das ganze Land weinten und klagten von ganzem Herzen mit ihm .
Sonderlich war es , daß eine Sage umherging , die Prinzessin lebe noch , und werde bald mit einem Gemahl wiederkommen .
Kein Mensch wußte , woher die Sage kam : aber alles hing sich mit frohem Glauben daran , und sah mit ungeduldiger Erwartung ihrer baldigen Wiederkunft entgegen .
So vergingen mehrere Monden , bis das Frühjahr wieder herankam .
Was gilt_es , sagten einige in wunderlichem Mute , nun kommt auch die Prinzessin wieder .
Selbst der König wurde heiterer und hoffnungsvoller .
Die Sage dünkte ihm wie die Verheißung einer gütigen Macht .
Die ehemaligen Feste fingen wieder an , und es schien zum völligen Aufblühen der alten Herrlichkeit nur noch die Prinzessin zu fehlen .
Eines Abends , da es gerade jährig wurde , daß sie verschwand , war der ganze Hof im Garten versammelt .
Die Luft war warm und heiter ; ein leiser Wind tönte nur oben in den alten Wipfeln , wie die Ankündigung eines fernen fröhlichen Zuges .
Ein mächtiger Springquell stieg zwischen den vielen Fackeln mit zahllosen Lichtern hinauf in die Dunkelheit der tönenden Wipfel , und begleitete mit melodischem Plätschern die mannigfaltigen Gesänge , die unter den Bäumen hervorklangen .
Der König saß auf einem köstlichen Teppich , und um ihn her war der Hof in festlichen Kleidern versammelt .
Eine zahlreiche Menge erfüllte den Garten , und umgab das prachtvolle Schauspiel .
Der König saß eben in tiefen Gedanken .
Das Bild seiner verlorenen Tochter stand mit ungewöhnlicher Klarheit vor ihm ; er gedachte der glücklichen Tage , die um diese Zeit im vergangenen Jahre ein plötzliches Ende nahmen .
Eine heiße Sehnsucht übermannte ihn , und es flossen häufige Tränen von seinen ehrwürdigen Wangen ; doch empfand er eine ungewöhnliche Heiterkeit .
Es dünkte ihm das traurige Jahr nur ein schwerer Traum zu sein , und er hob die Augen auf , gleichsam um ihre hohe , heilige , entzückende Gestalt unter den Menschen und den Bäumen aufzusuchen .
Eben hatten die Dichter geendigt , und eine tiefe Stille schien das Zeichen der allgemeinen Rührung zu sein , denn die Dichter hatten die Freuden des Wiedersehens , den Frühling und die Zukunft besungen , wie sie die Hoffnung zu schmücken pflegt .
Plötzlich wurde die Stille durch leise Laute einer unbekannten schönen Stimme unterbrochen , die von einer uralten Eiche herzukommen schienen .
Alle Blicke richteten sich dahin , und man sah einen Jüngling in einfacher , aber fremder Tracht stehen , der eine Laute im Arm hielt , und ruhig in seinem Gesange fortfuhr , indem er jedoch , wie der König seinen Blick nach ihm wandte , eine tiefe Verbeugung machte .
Die Stimme war außerordentlich schön , und der Gesang trug ein fremdes , wunderbares Gepräge .
Er handelte von dem Ursprunge der Welt , von der Entstehung der Gestirne , der Pflanzen , Tiere und Menschen , von der allmächtigen Sympathie der Natur , von der uralten goldenen Zeit und ihren Beherrscherinnen , der Liebe und Poesie , von der Erscheinung des Hasses und der Barbarei und ihren Kämpfen mit jenen wohltätigen Göttinnen , und endlich von dem zukünftigen Triumph der letzteren , dem Ende der Trübsale , der Jin gung der Natur und der Wiederkehr eines ewigen goldenen Zeitalters .
Die alten Dichter tragen selbst von Begeisterung hingerissen , während des Gesanges näher um den seltsamen Fremdling her .
Ein niegefühltes Entzücken ergriff die Zuschauer , und der König selbst fühlte sich wie auf einem Strom des Himmels weggetragen .
Ein solcher Gesang war nie vernommen worden , und Alle glaubten , ein himmlisches Wesen sei unter ihnen erschienen , besonders da der Jüngling unterm Singen immer schöner , immer herrlicher , und seine Stimme immer gewaltiger zu werden schien .
Die Luft spielte mit seinen goldenen Locken .
Die Laute schien sich unter seinen Händen zu beseelen , und sein Blick schien trunken in eine geheimere Welt hinüber zu schauen .
Auch die Kinderunschuld und Einfalt seines Gesichts schien allen übernatürlich .
Nun war der herrliche Gesang gehen dicht .
Die bejahrten Dichter drückten den Jüngling mit Freudentränen an ihre Brust .
Ein stilles inniges Jauchzen ging durch die Versammlung .
Der König kam gerührt auf ihn zu .
Der Jüngling warf sich ihm bescheiden zu Füßen .
Der König hob ihn auf , umarmte ihn herzlich , und hieß ihn sich eine Gabe ausbitten .
Da bat er mit glühenden Wangen den König , noch ein Lied gnädig anzuhören , und dann über seine Bitte zu entscheiden .
Der König trat einige Schritte zurück und der Fremdling fing an :
Der Sänger geht auf rauhen Pfaden , Zerreißt in Dornen sein Gewand ; Er muß durch Fluß und Sümpfe baden , Und keins reicht hülfreich ihm die Hand .
Einsam und pfadlos fließt in Klagen Jetzt über sein ermattet Herz ; Er kann die Laute kaum noch tragen , Ihn übermannt ein tiefer Schmerz .
Ein traurig Los wurde mir beschieden , Ich irre ganz verlassen hier , Ich brachte Allen Lust und Frieden , Doch keiner teilte sie mit mir .
Es wird ein jeder seiner Habe Und seines Lebens froh durch mich ; Doch weisen sie mit karger Gabe Des Herzens Forderung von sich .
Man läßt mich ruhig Abschied nehmen , Wie man den Frühling wandern sieht ; Es wird sich keiner um ihn grämen , Wenn er betrübt von dannen zieht .
Verlangend sehen sie nach den Früchten , Und wissen nicht , daß er sie sät ; Ich kann den Himmel für sie dichten , Doch meiner denkt nicht Ein Gebet .
Ich fühle dankbar Zaubermächte An diese Lippen festgebannt .
O !
O ! knüpfte nur an meine Rechte Sich auch der Liebe Zauberband .
Es kümmert keine sich des Armen , Der dürftig aus der Ferne kam ; Welch Herz wird Sein sich noch erbarmen Und lösen seinen tiefen Gram ?
Er sinkt im hohen Grase nieder , Und schläft mit nassen Wangen ein ; Da schwebt der hohe Geist der Lieder In die beklemmte Brust hinein : Vergiß anjetzt , was du gelitten , In Kurzem schwindet deine Last , Was du umsonst gesucht in Hütten , Das wirst du finden im Palast .
Du nahst dem höchsten Erdenlohne , Bald endigt der verschlungene Lauf ; Der Myrtenkranz wird eine Krone , Dir setzt die treuste Hand sie auf .
G Ein Herz voll Einklang ist berufen Zur Glorie um einen Thron ; Der Dichter steigt auf rauhen Stufen Hinan , und wird des Königs Sohn .
So weit war er in seinem Gesange gekommen , und ein sonderbares Erstaunen hatte sich der Versammlung bemächtigt , als während dieser Strophen ein alter Mann mit einer verschleierten weiblichen Gestalt von edlem Wuchs , die ein wunderschönes Kind auf dem Arme trug , das freundlich in der fremden Versammlung umhersah , und lächelnd nach dem blitzenden Diadem des Königs die kleinen Händchen streckte , zum Vorschein kamen , und sich hinter den Sänger stellten ; aber das Staunen wuchs , als plötzlich aus den Gipfeln der alten Bäume , der Lieblingsadler des Königs , den er immer um sich hatte , mit einer goldenen Stirnbinde , die er aus seinen Zimmern entwandt haben mußte , herabflog , und sich auf das Haupt des Jünglings niederließ , so daß die Binde sich um seine Locken schlug .
Der Fremdling erschrak einen Augenblick ; der Adler flog an die Seite des Königs , und ließ die Binde zurück .
Der Jüngling reichte sie dem Kinde , das danach verlangte , ließ sich auf ein Knie gegen den König nieder , und fuhr in seinem Gesange mit bewegter Stimme fort :
Der Sänger fährt aus schönen Träumen Mit froher Ungeduld empor ; Er wandelt unter hohen Bäumen Zu des Palastes ehernem Tor .
Die Mauern sind wie Stahl geschliffen , Doch sie erklimmt sein Lied geschwind , Es steigt von Liebe und Weh ergriffen Zu ihm hinab des Königs Kind .
Die Liebe drückt sie fest zusammen Der Klang der Panzer treibt sie fort ; Sie lodern auf in süßen Flammen , Im nächtlich stillen Zufluchtsort .
Sie halten furchtsam sich verborgen , Weil sie der Zorn des Königs schreckt ; Und werden nun von jedem Morgen Zu Schmerz und Lust zugleich erweckt .
Der Sänger spricht mit sanften Klängen Der neuen Mutter Hoffnung ein ; Da tritt . gelockt von den Gesängen Der König in die Kluft hinein .
Die Tochter reicht in goldenen Locken Den Enkel von der Brust ihm hin ; Sie sinken reuig und erschrocken , Und mild zergeht sein strenger Sinn .
Der Liebe weicht und dem Gesange Auch auf dem Thron ein Vaterherz , Und wandelt bald in süßem Drange Zu ewiger Lust den tiefen Schmerz .
Die Liebe gibt , was sie entrissen , Mit reichem Wucher bald zurück , Und unter den Versöhnungsküssen Entfaltet sich ein himmlisch Glück .
Geist des Gesangs , komme du hernieder , Und stehe auch jetzt der Liebe bei ; Bringe die verlorene Tochter wieder , Daß ihr der König Vater sei ! --
Daß er mit Freuden sie umschließet , Und seines Enkels sich erbarmt , Und wenn das Herz ihm überfließet , Den Sänger auch als Sohn umarmt .
Der Jüngling hob mit bebender Hand bei diesen Worten , die sanft in den dunklen Gängen verhallten , den Schleier .
Die Prinzessin fiel mit einem Strom von Tränen zu den Füßen des Königs , und hielt ihm das schöne Kind hin .
Der Sänger kniete mit gebeugtem Haupte an ihrer Seite .
Eine ängstliche Stille schien jeden Atem festzuhalten .
Der König war einige Augenblicke sprachlos und ernst ; dann zog er die Prinzessin an seine Brust , drückte sie lange fest an sich und weinte laut .
Er hob nun auch den Jüngling zu sich auf , und umschloß ihn mit herzlicher Zärtlichkeit .
Ein helles Jauchzen flog durch die Versammlung , die sich dicht zudrängte .
Der König nahm das Kind und reichte es mit rührender Andacht gen Himmel ; dann begrüßte er freundlich den Alten .
Unendliche Freudentränen flossen .
In Gesänge brachen die Dichter aus , und der Abend wurde ein heiliger Vorabend dem ganzen Lande , dessen Leben fortan nur Ein schönes Fest war .
Kein Mensch weiß , wo das Land hingekommen ist .
Nur in Sagen heißt es , daß Atlantis von mächtigen Fluten den Augen entzogen worden sei .
Viertes Kapitel .
Einige Tagereisen waren ohne die mindeste Unterbrechung geendigt .
Der Weg war fest und trocken , die Witterung erquickend und heiter , und die Gegenden , durch die sie kamen , fruchtbar , bewohnt und mannigfaltig .
Der furchtbare Thüringer Wald lag im Rücken ; die Kaufleute hatten den Weg öfterer gemacht , waren überall mit den Leuten bekannt , und erfuhren die gastfreiste Aufnahme .
Sie vermieden die abgelegenen und durch Räubereien bekannten Gegenden , und nahmen , wenn sie ja gezwungen waren , solche zu durchreisen , ein hinlängliches Geleite mit .
Einige Besitzer benachbarter Bergschlösser standen mit den Kaufleuten in gutem Vernehmen .
Sie wurden besucht und bei ihnen nachgefragt , ob sie Bestellungen nach Augsburg zu machen hätten .
Eine freundliche Bewirtung wurde ihnen zu Teil , und die Frauen und Töchter drängten sich mit herzlicher Neugier um die Fremdlinge .
Heinrichs Mutter gewann sie bald durch ihre gutmütige Bereitwilligkeit und Teilnahme .
Man war erfreut eine Frau aus der Residenzstadt zu sehen , die eben so willig die Neuigkeiten der Mode , als die Zubereitung einiger schmackhafter Schüsseln mitteilte .
Der junge Ofterdingen wurde von Rittern und Frauen wegen seiner Bescheidenheit und seines ungezwungenen milden Betragens gepriesen , und die letzteren verweilten gern auf seiner einnehmenden Gestalt , die wie das einfache Wort eines Unbekannten war , das man fast überhört , bis längst nach seinem Abschiede es seine tiefe unscheinbare Knospe immer mehr auftut , und endlich eine herrliche Blume in allem Farbenglanze dichtver schlungener Blätter zeigt , so daß man es nie vergißt , nicht müde wird es zu wiederholen , und einen unversieglichen immer gegenwärtigen Schatz daran hat .
Man besinnt sich nun genauer auf den Unbekannten , und ahndet und ahndet , bis es auf einmal klar wird , daß es ein Bewohner der höheren Welt gewesen sei . --
Die Kaufleute erhielten eine große Menge Bestellungen , und man trennte sich gegenseitig mit herzlichen Wünschen , einander bald wieder zu sehen .
Auf einem dieser Schlösser , wo sie gegen Abend hinkamen , ging es fröhlich zu .
Der Herr des Schlosses war ein alter Kriegsmann , der die Muße des Friedens , und die Einsamkeit seines Aufenthalts mit öfteren Gelagen feierte und unterbrach , und außer dem Kriegsgetümmel und der Jagd keinen anderen Zeitvertreib kannte , als den gefüllten Becher .
Er empfing die Ankommenden mit Bry derlicher Herzlichkeit , mitten unter lärmenden Genossen .
Die Mutter wurde zur Hausfrau geführt .
Die Kaufleute und Heinrich mußten sich an die lustige Tafel setzen , wo der Becher tapfer umherging .
Heinrich wurde auf vieles Bitten in Rücksicht seiner Jugend das jedesmalige Bescheidtun erlassen , dagegen die Kaufleute sich nicht faul finden , sondern sich den alten Frankenwein tapfer schmecken ließen .
Das Gespräch lief über ehemalige Kriegsabenteuer hin .
Heinrich hörte mit großer Aufmerksamkeit den neuen Erzählungen zu .
Die Ritter sprachen vom heiligen Lande , von den Wundern des heiligen Grabes , von den Abenteuern ihres Zuges , und ihrer Seefahrt , von den Sarazenen , in deren Gewalt einige geraten gewesen waren , und dem fröhlichen und wunderbaren Leben im Felde und im Lager .
Sie äußerten mit großer Lebhaftigkeit ihren Unwillen jene himmlische Geburtsstätte der Christenheit noch im frevelhaften Besitz der Ungläubigen zu wissen .
Sie erhoben die großen Helden , die sich eine ewige Krone durch ihr tapferes , unermüdliches Bezeigen gegen dieses ruchlose Volk erworben hätten .
Der Schloßherr zeigte das kostbare Schwert , was er einem Anführer derselben mit eigener Hand abgenommen , nachdem er sein Kastell erobert , ihn getötet , und seine Frau und Kinder zu Gefangenen gemacht , welches ihm der Kaiser in seinem Wappen zu führen vergönnet hatte .
Alle besahen das prächtige Schwert , auch Heinrich nahm es in seine Hand , und fühlte sich von einer kriegerischen Begeisterung er griffen .
Er küßte es mit inbrünstiger Andacht .
Die Ritter freuten sich über seinen Anteil .
Der Alte umarmte ihn , und munterte ihn auf , auch seine Hand auf ewig der Befreiung des heiligen Grabes zu widmen , und das wundertätige Kreuz auf seine Schultern befestigen zu lassen .
Er war überrascht , und seine Hand schien sich nicht von dem Schwerte losmachen zu können .
Besinne dich , mein Sohn , rief der alte Ritter .
Ein neuer Kreuzzug ist vor der Tür .
Der Kaiser selbst wird unsere Scharen in das Morgenland führen .
Durch ganz Europa schallt von neuem der Ruf des Kreuzes , und heldenmütige Andacht regt sich aller Orten .
Wer weiß , ob wir nicht übers Jahr in der großen weltherrlichen Stadt Jerusalem als frohe Sieger bei einander sitzen , und uns bei vaterländischem Wein an unsere Heimat erinnern .
Du kannst auch bei mir ein morgenländisches Mädchen sehen .
Sie dünken uns Abendländern gar anmutig , und wenn du das Schwert gut zu führen verstehst , so kann es dir an schönen Gefangenen nicht fehlen .
Die Ritter sangen mit lauter Stimme den Kreuzgesang , der damals in ganz Europa gesungen wurde :
Das Grab steht unter wilden Heiden ; Das Grab , worin der Heiland lag , Muß Frevel und Verspottung leiden Und wird entheiligt jeden Tag .
Es klagt heraus mit dumpfer Stimme :
Wer rettet mich von diesem Grimme !
Wo bleiben seine Heldenjünger ?
Verschwunden ist die Christenheit !
Wer ist des Glaubens Wiederbringer ?
Wer nimmt das Kreuz in dieser Zeit ?
Wer bricht die schimpflichsten der Ketten , Und wird das heilige Grab erretten ?
Gewaltig geht auf Land und Meeren In tiefer Nacht ein heiliger Sturm ; Die trägen Schläfer aufzustören , Umbraust er Lager , Stadt und Turm , Ein Klaggeschrei um alle Zinnen :
Auf , träge Christen , zieht von hinnen .
Es lassen Engel aller Orten Mit ernstem Antlitz stumm sich sehen , Und Pilger sieht man vor den Pforten Mit kummervollen Wangen stehen ; Sie klagen mit den bangsten Tönen Die Grausamkeit der Sarazenen .
Es bricht ein Morgen , rot und trübe , Im weiten Land der Christen an .
Der Schmerz der Wehmut und der Liebe Verkündet sich bei Jedermann .
Ein jedes greift nach Kreuz und Schwerte Und zieht entflammt von seinem Herde .
Ein Feuereifer tobt im Heere , Das Grab des Heilands zu befreien .
Sie eilen fröhlich nach dem Meere , Um bald auf heiligem Grund zu sein .
Auch Kinder kommen noch gelaufen Und mehren den geweihten Haufen .
Hoch weht das Kreuz im Siegspaniere , Und alte Helden stehen voran .
Des Paradieses selige Türe Wird frommen Kriegern aufgetan ; Ein jeder will das Glück genießen Sein Blut für Christus zu vergießen .
Zum Kampf ihr Christen !
Gottes Scharen Ziehen mit in das gelobte Land .
Bald wird der Heiden Grimm erfahren Des Christengottes Schreckenshand .
Wir waschen bald in frohem Mute Das heilige Grab mit Heidenblute .
Die heilige Jungfrau schwebt , getragen Von Engeln , ob der wilden Schlacht , Wo Wo jeder , den das Schwert geschlagen , In ihrem Mutterarm erwacht .
Sie neigt sich mit verklärter Wange Herunter zu dem Waffenklange .
Hinüber zu der heiligen Stätte !
Des Grabes dumpfe Stimme tönt !
Bald wird mit Sieg und mit Gebete Die Schuld der Christenheit versöhnt !
Das Reich der Heiden wird sich enden , Ist erst das Grab in unseren Händen .
Heinrichs ganze Seele war in Aufruhr , das Grab kam ihm wie eine bleiche , edle , jugendliche Gestalt vor , die auf einem großen Stein mitten unter wildem Pöbel säße , und auf eine entsetzliche Weise mißhandelt würde , als wenn sie mit kummervollen Gesichte nach einem Kreuze blicke , was im Hintergrunde mit lichten Zügen schimmerte , und sich in den H bewegten Wellen eines Meeres unendlich vervielfältigte .
Seine Mutter schickte eben herüber , um ihn zu holen , und der Hausfrau des Ritters vorzustellen .
Die Ritter waren in ihr Gelage und ihre Vorstellungen des bevorstehenden Zuges vertieft , und bemerkten nicht , daß Heinrich sich entfernte .
Er fand seine Mutter in traulichem Gespräch mit der alten , gutmütigen Frau des Schlosses , die ihn freundlich bewillkommte .
Der Abend war heiter ; die Sonne begann sich zu neigen , und Heinrich , der sich nach Einsamkeit sehnte , und von der goldenen Ferne gelockt wurde , die durch die engen , tiefen Bogenfenster in das düstre Gemach hineintrat , erhielt leicht die Erlaubnis , sich außerhalb des Schlosses besehen zu dürfen .
Er eilte ins Freie , sein ganzes Gemüt war rege , er sah von der Höhe des alten Felsen zunächst in das waldige Tal , durch das ein Bach herunterstürzte und einige Mühlen trieb , deren Geräusch man kaum aus der gewaltigen Tiefe vernehmen konnte , und dann in eine unabsehliche Ferne von Bergen , Wäldern und Niederungen , und seine innere Unruhe wurde besänftigt .
Das kriegerische Getümmel verlor sich , und es blieb nur eine klare bilderreiche Sehnsucht zurück .
Er fühlte , daß ihm eine Laute mangelte , so wenig er auch wußte , wie sie eigentlich gebaut sei , und welche Wirkung sie hervorbringe .
Das heitere Schauspiel des herrlichen Abends wiegte ihn in sanfte Phantasien : die Blume seines Herzens ließ sich zuweilen , wie ein Wetterleuchten in ihm sehen . --
Er schweifte durch das wilde Gebüsch und kletterte über bemooste Felsenstücke , als auf einmal aus einer nahen Tiefe ein zarter eindringender Gesang einer weiblichen Stimme von wunderbaren Tönen begleitet , erwachte .
Es war ihm gewiß , daß es eine Laute sei ; er blieb verwunderungsvoll stehen , und hörte in gebrochener deutscher Aussprache folgendes Lied : Bricht das matte Herz noch immer Unter fremdem Himmel nicht ?
Kommt der Hoffnung bleicher Schimmer Immer mir noch zu Gesicht ?
Kann ich wohl noch Rückkehr wähnen ?
Stromweise stürzen meine Tränen , Bis mein Herz in Kummer bricht .
Könnt ich dir die Myrten zeigen Und der Zeder dunkles Haar !
Führen dich zum frohen Reigen Der geschwisterlichen Schar !
Sähst du im gestickten Kleide , Stolz im köstlichen Geschmeide Deine Freundin , wie sie war .
Edle Jünglinge verneigen Sich mit heißem Blick vor ihr ; Zärtliche Gesänge steigen Mit dem Abendstern zu mir .
Dem Geliebten darf man trauen ; Ewige Liebe ' und Treue den Frauen , Ist der Männer Losung hier .
Hier , wo um kristallene Quellen Liebend sich der Himmel legt , Und mit heißen Balsamwellen Um den Hain zusammenschlägt , Der in seinen Lustgebieten , Unter Früchten , unter Blüten Tausend bunte Sänger hegt .
Fern sind jene Jugendträume !
Abwärts liegt das Vaterland !
Längst gefällt sind jene Bäume , Und das alte Schloß verbrannt .
Fürchterlich , wie Meereswogen Kam ein rauhes Heer gezogen , Und das Paradies verschwand .
Fürchterliche Gluten flossen In die blaue Luft empor , Und es drang auf stolzen Rossen Eine wilde Schar ins Tor .
Säbel klirrten , unsere Brüder , Unser Vater kam nicht wieder , Und man riß uns wild hervor .
Meine Augen wurden trübe ; Fernes , mütterliches Land , Ach ! sie bleiben dir voll Liebe Und voll Sehnsucht zugewandt !
Wäre nicht dies Kind vorhanden , Längst hätte ich des Lebens Banden Aufgelöst mit kühner Hand .
Heinrich hörte das Schluchzen eines Kindes und eine tröstende Stimme .
Er stieg tiefer durch das Gebüsch hinab , und fand ein bleiches , abgehärmtes Mädchen unter einer alten Eiche sitzen .
Ein schönes Kind hing weinend an ihrem Halse , auch ihre Tränen flossen , und eine Laute lag neben ihr auf dem Rasen .
Sie erschrak ein wenig , als sie den fremden Jüngling erblickte , der mit wehmütigem Gesicht sich ihr näherte .
Ihr habt wohl meinen Gesang gehört , sagte sie freundlich . Euer Gesicht dünkt mir bekannt , laßt mich besinnen -- Mein Gedächtnis ist schwach geworden , aber euer Anblick erweckt in mir eine sonderbare Erinnerung aus frohen Zeiten .
O ! mir ist , als glicht ihr einem meiner Brüder , der noch vor unserem Unglück von uns schied , und nach Persien zu einem berühmten Dichter zog .
Vielleicht lebt er noch , und besingt traurig das Unglück seiner Geschwister .
Wüßte ich nur noch einige seiner herrlichen Lieder , die er uns hinterließ !
Er war edel und zärtlich , und kannte kein größeres Glück als seine Laute .
Das Kind war ein Mädchen von zehn bis zwölf Jahren , das den fremden Jüngling aufmerksam betrachtete und sich fest an den Busen der unglücklichen Zulima schmiegte .
Heinrichs Herz war von Mitleid durchdrungen ; er tröstete die Sängerin mit freundlichen Worten , und bat sie , ihm umständlicher ihre Geschichte zu erzählen .
Sie schien es nicht ungern zu tun .
Heinrich setzte sich ihr gegenüber und vernahm ihre von häufigen Tränen unterbrochene Erzählung .
Vorzüglich hielt sie sich bei dem Lobe ihrer Landsleute und ihres Vaterlandes auf .
Sie schilderte den Edelmut derselben , und ihre reine starke Empfänglichkeit für die Poesie des Lebens und die wunderbare , geheimnisvolle Anmut der Natur .
Sie beschrieb die romantischen Schönheiten der fruchtbaren Arabischen Gegenden , die wie glückliche Inseln in unwegsamen Sandwüsteneien lägen , wie Zufluchtsstätte der Bedrängten und Ruhebedürftige _ , wie Kolonien des Paradieses , voll frischer Quellen , die über dichten Rasen und funkelnde Steine durch alte , ehrwürdige Haine rieselten , voll bunter Vögel mit melodischen Kehlen und anziehend durch mannigfaltige Überbleibsel ehemaliger denkwürdiger Zeiten .
Ihr würdet mit Verwunderung , sagte sie , die buntfarbigen , hellen , seltsamen Züge und Bilder auf den alten Steinplatten sehen .
Sie scheinen so bekannt und nicht ohne Ursache so wohl erhalten zu sein .
Man sinnt und sinnt , einzelne Bedeutungen ahnet man , und wird um so begieriger den tiefsinnigen Zusammenhäng dieser uralten Schrift zu erraten .
Der unbekannte Geist derselben erregt ein ungewöhnliches Nachdenken , und wenn man auch ohne den gewünschten Fund von dannen geht , so hat man doch tausend merkwürdige Entdeckungen in sich selbst gemacht , die dem Leben einen neuen Glanz und dem Gemüt eine lange , belohnende Beschäftigung geben .
Das Leben auf einem längst bewohnten und ehemals schon durch Fleiß , Tätigkeit und Neigung verherrlichten Boden hat einen besonderen Reiz .
Die Natur scheint dort menschlicher und verständlicher geworden , eine dunkle Erinnerung unter der durchsichtigen Gegenwart wirft die Bilder der Welt mit scharfen Umrissen zurück , und so genießt man eine doppelte Welt , die eben dadurch das Schwere und Gewaltsame verliert und die zauberische Dichtung und Fabel unserer Sinne wird .
Wer weiß , ob nicht auch ein unbegreiflicher Einfluß der ehemaligen , jetzt unsichtbaren Bewohner mit ins Spiel kommt , und vielleicht ist es dieser dunkle Zug , der die Menschen aus neuen Gegenden , sobald eine gewisse Zeit ihres Erwachens kommt , mit so zerstörender Ungeduld nach der alten Heimat ihres Geschlechts treibt , und sie Gut und Blut an den Besitz dieser Länder zu wagen anregt .
Nach einer Pause fuhr sie fort :
Glaubt ja nicht , was man euch von den Grausamkeiten meiner Landsleute erzählt hat .
Nirgends wurden Gefangene großmütiger behandelt , und auch eure Pilger nach Jerusalem wurden mit Gastfreundschaft aufgenommen , nur daß sie selten derselben wert waren .
Die Meisten waren nichtsnutzige , böse Menschen , die ihre Wallfahrten mit Bubenstücken bezeichneten , und dadurch freilich oft gerechter Rache in die Hände fielen .
Wie ruhig hätten die Christen das heilige Grab besuchen können , ohne nötig zu haben , einen fürchterlichen , unnützen Krieg anzufangen , der alles erbittert , unendliches Elend verbreitet , und auf immer das Morgenland von Europa getrennt hat .
Was lag an dem Namen des Besitzers ?
Unsere Fürsten ehrten andachtsvoll das Grab eures Heiligen , den auch wir für einen göttlichen Propheten halten ; und wie schön hätte sein heiliges Grab die Wiege eines glücklichen Einverständnisses , der Anlaß ewiger wohltätiger Bündnisse werden können !
Der Abend war unter ihren Gesprächen herbeigekommen .
Es fing an Nacht zu werden , und der Mond hob sich aus dem feuchten Walde mit beruhigendem Glanze herauf .
Sie stiegen langsam nach dem Schlosse ; Heinrich war voll Gedanken , die kriegerischere Begeisterung war gänzlich verschwunden .
Er merkte eine wunderliche Verwirrung in der Welt ; der Mond zeigte ihm das Bild eines tröstenden Zuschauers und erhob ihn über die Unebenheiten der Erdoberfläche , die in der Höhe so unbeträchtlich erschienen , so wild und unersteiglich sie auch dem Wanderer vorkamen .
Zulima ging still neben ihm her , und führte das Kind .
Heinrich trug die Laute .
Er suchte die sinkende Hoffnung seiner Begleiterin , ihr Vaterland dereinst wieder zu sehen , zu beleben , indem er innerlich einen heftigen Beruf fühlte , ihr Retter zu sein , ohne zu wissen , auf welche Art es geschehen könne .
Eine besondere Kraft schien in seinen einfachen Worten zu liegen , denn Zulima empfand eine ungewohnte Beruhigung und dankte ihm für seine Zusprache auf die rührendste Weise .
Die Ritter waren noch bei ihren Bechern und die Mutter in häuslichen Gesprächen .
Heinrich hatte keine Lust in den lärmenden Saal zurückzugehen .
Er fühlte sich müde , und begab sich bald mit seiner Mutter in das angewiesene Schlafge mache .
Er erzählte ihr vor dem Schlafengehen , was ihm begegnet sei , und schlief bald zu unterhaltenden Träumen ein .
Die Kaufleute hatten sich auch zeitig fortbegeben , und waren früh wieder munter .
Die Ritter lagen in tiefer Ruhe , als sie abreisten ; die Hausfrau aber nahm zärtlichen Abschied .
Zulima hatte wenig geschlafen , eine innere Freude hatte sie wach erhalten ; sie erschien beim Abschiede , und bediente die Reisenden demütig und emsig .
Als sie Abschied nahmen brachte sie mit vielen Tränen ihre Laute zu Heinrich , und bat mit rührender Stimme , sie zu Zulimas Andenken mitzunehmen .
Es war meines Bruders Laute , sagte sie , der sie mir beim Abschied schenkte ; es ist das einzige Besitztum , was ich gerettet habe .
Sie schien euch gestern zu gefallen , und ihr laßt mir ein unschätzbares Geschenk zurück , süße Hoffnung .
Nehmt dieses geringe Zeichen meiner Dankbarkeit , und laßt es ein Pfand eures Andenkens an die arme Zulima sein .
Wir werden uns gewiß wiedersehen , und dann bin ich vielleicht glücklicher .
Heinrich weinte ; er weigerte sich , diese ihr so unentbehrliche Laute anzunehmen : gebt mir , sagte er , das goldene Band mit den unbekannten Buchstaben aus euren Haaren , wenn es nicht ein Andenken eurer Eltern oder Geschwister ist , und nehmt dagegen einen Schleier an , den mir meine Mutter gern abtreten wird .
Sie wich endlich seinem Zureden und gab ihm das Band , indem sie sagte , Es ist mein Name in den Buchstaben meiner Muttersprache , den ich in besseren Zeiten selbst in dieses Band gestickt habe .
Betrachtet es gern , und denkt , daß es eine lange , kummervolle Zeit meine Haare festgehalten hat , und mit seiner Besitzerin verbleicht ist .
Heinrichs Mutter zog den Schleier heraus , und reichte ihr ihn hin , indem sie sie an sich zog und weinend umarmte . --
Fünf Fünftes Kapitel .
Nach einigen Tagereisen kamen sie an ein Dorf , am Fuße einiger spitzen Hügel , die von tiefen Schluchten unterbrochen waren .
Die Gegend war übrigens fruchtbar und angenehm , ungeachtet die Rücken der Hügel ein totes , abschreckendes Ansehen hatten .
Das Wirtshaus war reinlich , die Leute bereitwillig , und eine Menge Menschen , teils Reisende , teils bloße Trinkgäste , saßen in der Stube , und unterhielten sich von allerhand Dingen .
Unsere Reisenden gesellten sich zu ihnen , und mischten sich in die Gespräche .
Die Aufmerksamkeit der Gesellschaft war vorzüglich auf einen alten Mann gerichtet , der in fremder Tracht an einem Tische saß , und freundlich die neugierigen Fragen beantwortete , die I an ihn geschahen .
Er kam aus fremden Landen , hatte sich heute früh die Gegend umher genau betrachtet , und erzählte nun von seinem Gewerbe und seinen heutigen Entdeckungen .
Die Leute nannten ihn einen Schatzgräber .
Er sprach aber sehr bescheiden von seinen Kenntnissen und seiner Macht , doch trugen seine Erzählungen das Gepräge der Seltsamkeit und Neuheit .
Er erzählte , daß er aus Böhmen gebürtig sei .
Von Jugend auf habe er eine heftige Neugierde gehabt zu wissen , was in den Bergen verborgen sein müsse , wo das Wasser in den Quellen herkomme , und wo das Gold und Silber und die köstlichen Steine gefunden würden , die den Menschen so unwiderstehlich an sich zögen .
Er habe in der nahen Klosterkirche oft diese festen Lichter an den Bildern und Reliquien betrachtet , und nur gewünscht , daß sie zu ihm reden könnten , um ihm von ihrer ge heimnißvollen Herkunft zu erzählen .
Er habe wohl zuweilen gehört , daß sie aus weit entlegenen Ländern kämen ; doch habe er immer gedacht , warum es nicht auch in diesen Gegenden solche Schätze und Kleinodien geben könne .
Die Berge seien doch nicht umsonst so weit im Umfange und erhaben und so fest verwahrt ; auch habe es ihm verdünkt , wie wenn er zuweilen auf den Gebirgen glänzende und flimmernde Steine gefunden hätte .
Er sei fleißig in den Felsenritzen und Höhlen umhergeklettert , und habe sich mit unaussprechlichem Vergnügen in diesen uralten Hallen und Gewölben umgesehen .
-- Endlich sei ihm einmal ein Reisender begegnet , der zu ihm gesagt , er müsse ein Bergmann werden , da könne er die Befriedigung seiner Neugier finden .
In Böhmen gäbe es Bergwerke .
Er solle nur immer an dem Flusse hinuntergehen , nach zehn bis zwölf Tagen werde er in Eule sein , und dort dürfe er nur sprechen , daß er gern ein Bergmann werden wolle .
Er habe sich dies nicht zweimal sagen lassen , und sich gleich den anderen Tag auf den Weg gemacht .
Nach einem beschwerlichen Gange von mehreren Tagen , fuhr er fort , kam ich nach Eule .
Ich kann euch nicht sagen , wie herrlich mir zu Mute wurde , als ich von einem Hügel die Haufen von Steinen erblickte , die mit grünen Gebüschen durchwachsen waren , auf denen bretterne Hütten standen , und als ich aus dem Tal unten die Rauchwolken über den Wald heraufziehn sah .
Ein fernes Getöse vermehrte meine Erwartungen , und mit unglaublicher Neugierde und voll stiller Andacht stand ich bald auf einem solchen Haufen , den man Halde nennt , vor den dunklen Tiefen , die im Inneren der Hütten steil in den Berg hineinführten .
Ich eilte nach dem Tale und begegnete bald ei nie schwarzgekleideten Männern mit Lampen , die ich nicht mit Unrecht für Bergleute hielt , und mit schüchterner Ängstlichkeit ihnen mein Anliegen vortrug .
Sie hörten mich freundlich an , und sagten mir , daß ich nur hinunter nach den Schmelzhütten gehen und nach dem Steiger fragen sollte , welcher den Anführer und Meister unter ihnen vorstellt ; dieser werde mir Bescheid geben , ob ich angenommen werden möge .
Sie meyuten , daß ich meinen Wunsch wohl erreichen würde , und lehrten mich den üblichen Gruß " Glück auf " womit ich den Steiger anreden sollte .
Voll fröhlicher Erwartungen setzte ich meinen Weg fort , und konnte nicht aufhören , den neuen bedeutungsvollen Gruß mir beständig zu wiederholen .
Ich fand einen alten , ehrwürdigen Mann , der mich mit vieler Freundlichkeit empfing , und nachdem ich ihm meine Geschichte erzählt , und ihm meine gro ße Lust , seine seltene , geheimnisvolle Kunst zu erlernen , bezeugt hatte , bereitwillig vorsprach , mir meinen Wunsch zu gewähren .
Ich schien ihm zu gefallen , und er behielt mich in seinem Hause .
Den Augenblick konnte ich kaum erwarten , wo ich in die Grube fahren und mich in der reizenden Tracht sehen würde .
Noch denselben Abend brachte er mir ein Grubenkleid , und erklärte mir den Gebrauch einiger Werkzeuge , die in einer Kammer aufbewahrt waren .
Abends kamen Bergleute zu ihm , und ich verfehlte kein Wort von ihren Gesprächen , so unverständlich und fremd mir sowohl die Sprache , als der größte Teil des Inhalts ihrer Erzählungen vorkam .
Das Wenige jedoch , was ich zu begreifen glaubte , erhöhte die Lebhaftigkeit meiner Neugierde , und beschäftigte mich des Nachts in seltsamen Träumen .
Ich erwachte bei Zeiten und fand mich bei meinem neuen Wirte ein , bei dem sich allmählich die Bergleute versammelten , um seine Verordnungen zu vernehmen .
Eine Nebenstube war zu einer kleinen Kapelle vorgerichtet .
Ein Mönch erschien und las eine Messe , nachher sprach er ein feierliches Gebet , worin er den Himmel anrief , die Bergleute in seine heilige Obhut zu nehmen , sie bei ihren gefährlichen Arbeiten zu unterstützen , vor Anfechtungen und Tücken böser Geister sie zu schützen , und ihnen reiche Anbrüche zu bescheren .
Ich hatte nie mit mehr Inbrunst gebetet , und nie die hohe Bedeutung der Messe lebhafter empfunden .
Meine künftigen Genossen kamen mir wie unterirdische Helden vor , die tausend Gefahren zu überwinden hätten , aber auch ein beneidenswertes Glück an ihren wunderbaren Kenntnissen besäßen , und in dem ernsten , stillen Umgange mit den uralten Felsensöhnen der Natur , in ihren dunklen , wunderbaren Kammern , zum Empfängnis himmlischer Gaben und zur freudigen Erhebung über die Welt und ihre Bedrängnisse ausgerüstet würden .
Der Steiger gab mir nach geendigtem Gottesdienst eine Lampe und ein kleines hölzernes Kruzifix , und ging mit mir nach dem Schachte , wie wir die schroffen Eingänge in die unterirdischen Gebäude zu nennen pflegen .
Er lehrte mich die Art des Hinabsteigens , machte mich mit den notwendigen Vorsichtigkeitsregeln , so wie mit den Namen der mannigfaltigen Gegenstände und Teile bekannt .
Er fuhr voraus , und schurrte auf den runden Balken hinunter , indem er sich mit der einen Hand an einem Seil anhielt , das in einem Knoten an einer Seitenstange fortglitschte , und mit der anderen die brennende Lampe trug ; ich folgte seinem Beispiel , und wir gelangten so mit ziemlicher Schnelle bald in eine beträchtliche Tiefe .
Mir war seltsam feierlich zu Mute , und das vorderen Licht funkelte wie ein glücklicher Stern , der mir den Weg zu den verborgenen Schatzkammern der Natur zeigte .
Wir kamen unten in einen Irrgarten von Gängen , und mein freundlicher Meister wurde nicht müde meine neugierigen Fragen zu beantworten , und mich über seine Kunst zu unterrichten .
Das Rauschen des Wassers , die Entfernung von der bewohnten Oberfläche , die Dunkelheit und Verschlungenheit der Gänge , und das entfernte Geräusch der arbeitenden Bergleute ergötzte mich ungemein , und ich fühlte nun mit Freuden mich im vollen Besitz dessen , was von jeher mein sehnlichster Wunsch gewesen war .
Es läßt sich auch diese volle Befriedigung eines angeborenen Wunsches , diese wundersame Freude an Dingen , die ein näheres Verhältnis zu unserem geheimen Dasein haben mögen , zu Beschäftigungen , für die man von der Wiege an bestimmt und ausgerüstet ist , nicht erklären und beschreiben .
Vielleicht daß sie jedem Anderen gemein , unbedeutend und abschreckend vorgekommen wären ; aber mir schienen sie so unentbehrlich zu sein , wie die Luft der Brust und die Speise dem Magen .
Mein alter Meister freute sich über meine innige Lust , und verhieß mir , daß ich bei diesem Fleiße und dieser Aufmerksamkeit es weit bringen , und ein tüchtiger Bergmann werden würde .
Mit welcher Andacht sah ich zum erstenmal in meinem Leben am sechzehnten März , vor nunmehr fünf und vierzig Jahren , den König der Metalle in zarten Blättchen zwischen den Spalten des Gesteins .
Es kam mir vor , als sei er hier wie in festen Gefängnissen eingesperrt und glänze freundlich dem Bergmann entgegen , der mit soviel Gefahren und Mühe Seligkeiten sich den Weg zu ihm durch die starken Mauern gebrochen , um ihn an das Licht des Tages zu fördern , damit er an königlichen Kronen und Gefäßen und an heiligen Reliquien zu Ehren gelangen , und in geachteten und wohlverwahrten Münzen , mit Bildnissen geziert , die Welt beherrschen und leiten möge .
Von der Zeit an blieb ich in Eule , und stieg allmählich bis zum heuer , welches der eigentliche Bergmann ist , der die Arbeiten auf dem Gestein betreibt , nachdem ich anfänglich bei der Ausforderung der losgehauenen Stufen in Körben angestellt gewesen war .
Der alte Bergmann ruhte ein wenig von seiner Erzählung aus , und trank , indem ihm seine aufmerksamen Zuhörer ein fröhliches Glückauf zubrachten .
Heinrich erfreuten die Reden des alten Mannes ungemein , und er war sehr geneigt noch mehr von ihm zu hören .
Die Zuhörer unterhielten sich von den Gefahren und Seltsamkeiten des Bergbaus , und erzählten wunderbare Sagen , über die der Alte oft lächelte . und freundlich ihre sonderbaren Vorstellungen zu berichtigen bemüht war .
Nach einer Weile sagte Heinrich : Ihr mögt seitdem viel seltsame Dinge gesehen und erfahren haben ; hoffentlich hat euch nie eure gewählte Lebensart gereut ?
Wärt ihr nicht so gefällig und erzähltet uns , wie es euch seit dem ergangen , und auf welcher Reise ihr jetzt begriffen seid ?
Es scheint , als hättet ihr euch weiter in der Welt umgesehen , und gewiß darf ich vermuten , daß ihr jetzt mehr , als einen gemeinen Bergmann vorstellt .
Es ist mir selber lieb , sagte der Alte , mich der verflossenen Zeiten zu erinnern , in denen ich Anlässe finde , mich der göttlichen Barmherzigkeit und Güte zu erfreuen .
Das Geschick hat mich durch ein frohes und heiteres Leben geführt , und es ist kein Tag vorübergegangen , an welchem ich mich nicht mit dankbarem Herzen zur Ruhe gelegt hätte .
Ich bin immer glücklich in meinen Verrichtungen gewesen , und unser aller Vater im Himmel hat mich vor dem Bösen behütet , und in Ehren grau werden lassen .
Nächst ihm habe ich alles meinem alten Meister zu verdanken , der nun lange zu seinen Vätern versammelt ist , und an den ich nie ohne Tränen denken kann .
Er war ein Mann aus der alten Zeit nach dem Herzen Gottes .
Mit tiefen Einsichten war er begabt , und doch kindlich und demütig in seinem Tun .
Durch ihn ist das Bergwerk in großen Flor gekommen , und hat dem Herzoge von Böhmen zu ungeheuren Schätzen verholfen .
Die ganze Gegend ist dadurch bevölkert und wohlhabend , und ein blühendes Land geworden .
Alle Bergleute verehrten ihren Vater in ihm , und so lange Eule steht , wird auch sein Name mit Rührung und Dankbarkeit genannt werden .
Er war seiner Geburt nach ein Lausitzer und hieß Werner .
Seine einzige Tochter war noch ein Kind , wie ich zu ihm ins Haus kam .
Meine Emsigkeit , meine Treue , und meine leidenschaftliche Anhänglichkeit an ihn , gewannen mir seine Liebe mit jedem Tage mehr .
Er gab mir seinen Namen und machte mich zu seinem Sohne .
Das kleine Mädchen wurde nach gerade ein wackeres , munteres Geschöpf , deren Gesicht so freundlich glatt und weiß war , wie ihr Gemüt .
Der Alte sagte mir oft , wenn er sah , daß sie mir zugetan war , daß ich gern mit ihr schäkerte , und kein Auge von den ihrigen verwandte , die so blau und offen , wie der Himmel waren , und wie die Kristalle glänzten : wenn ich ein rechtlicher Bergmann wer den würde , wolle er sie mir nicht versagen ; und er hielt Wort .
-- Den Tag , wie ich heuer wurde , legte er seine Hände auf uns und segnete uns als Braut und Bräutigam ein , und wenig Wochen darauf führte ich sie als meine Frau auf meine Kammer .
Denselben Tag hieb ich in der Frühschicht noch als Lehrhäuer , eben wie die Sonne oben aufging , eine reiche Ader an .
Der Herzog schickte mir eine goldene Kette mit seinem Bildnis auf einer großen Münze , und versprach mir den Dienst meines Schwiegervaters .
Wie glücklich war ich , als ich sie am Hochzeitstage meiner Braut um den Hals hängen konnte , und Aller Augen auf sie gerichtet waren .
Unser alte Vater erlebte noch einige muntere Enkel , und die Anbrüche seines Herbstes waren reicher , als er gedacht hatte .
Er konnte mit Freudigkeit seine Schicht beschließen , und aus der dunklen Grube dieser Welt fahren , um in Frieden auszuruhen , und den großen Lohntag zu erwarten .
Herr , sagte der Alte , indem er sich zu Heinrich wandte , und einige Tränen aus den Augen trocknete , der Bergbau muß von Gott gesegnet werden !
denn es gibt keine Kunst , die ihre Teilhaber glücklicher und edler machte , die mehr den Glauben an eine himmlische Weisheit und Fügung erweckte , und die Unschuld und Kindlichkeit des Herzens reiner erhielte , als der Bergbau .
Arm wird der Bergmann geboren , und arm geht er wieder dahin .
Er begnügt sich zu wissen , wo die metallischen Mächte gefunden werden , und sie zu Tage zu fördern ; aber ihr blendender Glanz vermag nichts über sein lauteres Herz .
Unentzündet von gefährlichem Wahnsinn , freut er sich mehr über ihre wunderlichen Bildungen , und die Seltsamkeiten ihrer Herkunft und ihrer Wohnungen , als über über ihren alles verheißenden Besitz .
Sie haben für ihn keinen Reiz mehr , wenn sie Waren geworden sind , und er sucht sie lieber unter tausend Gefahren und Mühseligkeiten in den Festen der Erde , als daß er ihrem Rufe in die Welt folgen , und auf der Oberfläche des Bodens durch täuschende , hinterlistige Künste nach ihnen trachten sollte .
Jene Mühseligkeiten erhalten sein Herz frisch und seinen Sinn wacker ; er genießt seinen kärglichen Lohn mit inniglichem Danke , und steigt jeden Tag mit verjüngter Lebensfreude aus den dunklen Grüften seines Berufs .
Nur Er kennt die Reize des Lichts und der Ruhe , die Wohltätigkeit der freien Luft und Aussicht um sich her ; nur ihm schmeckt Trank und Speise recht erquicklich und andächtig , wie der Leib des Herrn ; und mit welchem liebevollen und empfänglichen Gemüt tritt er nicht unter seines Gleichen , K oder herzt seine Frau und Kinder , und ergötzt sich dankbar an der schönen Gabe des traulichen Gesprächs !
Sein einsames Geschäft sondert ihn vom Tage und dem Umgange mit Menschen einen großen Teil seines Lebens ab .
Er gewöhnt sich nicht zu einer stumpfen Gleichgültigkeit gegen diese überirdischen tiefsinnigen Dinge und behält die kindliche Stimmung , in der ihm alles mit seinem eigentümlichsten Geiste und in seiner ursprünglichen bunten Wunderbarkeit erscheint .
Die Natur will nicht der ausschließliche Besitz eines Einzigen sein .
Als Eigentum verwandelt sie sich in ein böses Gift , was die Ruhe verscheucht , und die verderbliche Lust , alles in diesen Kreis des Besitzers zu ziehen , mit einem Gefolge von unendlichen Sorgen und wilden Leidenschaften herbeilockt .
So untergräbt sie heimlich den Grund des Eigentümers , und begräbt ihn bald in den einbrechenden Abgrund , um aus Hand in Hand zu gehen , und so ihre Neigung , Allen anzugehören , allmählich zu befriedigen .
Wie ruhig arbeitet dagegen der arme genügsame Bergmann in seinen tiefen Einöden , entfernt von dem unruhigen Tumult des Tages , und einzig von Wißbegier und Liebe zur Eintracht beseelt .
Er gedenkt in seiner Einsamkeit mit inniger Herzlichkeit seiner Genossen und seiner Familie , und fühlt immer erneuert die gegenseitige Unentbehrlichkeit und Blutsverwandtschaft der Menschen .
Sein Beruf lehrt ihn unermüdliche Geduld , und läßt nicht zu , daß sich seine Aufmerksamkeit in unnütze Gedanken zerstreue .
Er hat mit einer wunderlichen harten und unbiegsamen Macht zu tun , die nur durch hartnäckigen Fleiß und beständige Wachsamkeit zu überwinden ist .
Aber welches köstliche Gewächs blüht ihm auch in diesen schauerlichen Tiefen , das wahrhafte Vertrauen zu seinem himmlischen Vater , dessen Hand und Vorsorge ihm alle Tage in unverkennbaren Zeichen sichtbar wird .
Wie unzählige Mal habe ich nicht vor Ort gesessen , und bei dem Schein meiner Lampe das schlichte Kruzifix mit der innigsten Andacht betrachtet !
da habe ich erst den heiligen Sinn dieses rätselhaften Bildnisses recht gefaßt , und den edelsten Gang meines Herzens erschürft , der mir eine ewige Ausbeute gewährt hat .
Der Alte fuhr nach einer Weile fort und sagte : Wahrhaftig , das muß ein göttlicher Mann gewesen sein , der den Menschen zuerst die edle Kunst des Bergbaus gelehrt , und in dem Schoße der Felsen dieses ernste Sinnbild des menschlichen Lebens verborgen hat .
Hier ist der Gang mächtig und gebräch , aber arm , dort drückt ihn der Felsen in eine arm selige , unbedeutende Kluft zusammen , und gerade hier brechen die edelsten Geschicke ein .
Andere Gänge verunedlen ihn , bis sich ein verwandter Gang freundlich mit ihm schart , und seinen Wert unendlich erhöht .
Oft zerschlägt er sich vor dem Bergmann in tausend Trümmern : aber der Geduldige läßt sich nicht schrecken , er verfolgt ruhig seinen Weg , und sieht seinen Eifer belohnt , indem er ihn bald wieder in neuer Mächtigkeit und Höflichkeit ausrichtet .
Oft lockt ihn ein betrügliches Trum aus der wahren Richtung ; aber bald erkennt er den falschen Weg , und bricht mit Gewalt querfeldein , bis er den wahren erzführenden Gang wiedergefunden hat .
Wie bekannt wird hier nicht der Bergmann mit allen Launen des Zufalls , wie sicher aber auch , daß Eifer und Beständigkeit die einzigen untrüglichen Mittel sind , sie zu bemeistern , und die von ihnen hartnäckig verteidigten Schätze zu heben .
Es fehlt euch gewiß nicht , sagte Heinrich , an ermunternden Liedern .
Ich sollte meinen , daß Euch euer Beruf unwillkürlich zu Gesängen begeistern und die Musik eine willkommene Begleiterin der Bergleute sein müßte .
Da habt ihr wahr gesprochen , erwiderte der Alte ; Gesang und Zitherspiel gehört zum Leben des Bergmanns , und kein Stand kann mit mehr Vergnügen die Reize derselben genießen , als der unsrige .
Musik und Tanz sind eigentliche Freuden des Bergmanns ; sie sind wie ein fröhliches Gebet , und die Erinnerungen und Hoffnungen desselben helfen die mühsame Arbeit erleichtern und die lange Einsamkeit verkürzen .
Wenn es euch gefällt , so will ich euch gleich einen Gesang zum Besten geben , der fleißig in meiner Jugend gesungen wurde .
Der ist der Herr der Erde , Wer ihre Tiefen mißt , Und jeglicher Beschwerde In ihrem Schoß vergißt .
Wer ihrer Felsenglieder Geheimen Bau versteht , Und unverdrossen nieder Zu ihrer Werkstatt geht .
Er ist mit ihr verbündet , Und inniglich vertraut , Und wird von ihr entzündet , Als wäre sie seine Braut .
Er sieht ihr alle Tage Mit neuer Liebe zu Und scheut nicht Fleiß und Plage , Sie läßt ihm keine Ruhe .
Die mächtigen Geschichten Der längst verfloßenen Zeit , Ist sie ihm zu berichten Mit Freundlichkeit bereit .
Der Vorwelt heilige Lüfte Umwehen sein Angesicht , Und in die Nacht der Klüfte Strahlt ihm ein ewiges Licht .
Er trifft auf allen Wegen Ein wohlbekanntes Land , Und gern kommt sie entgegen Den Werken seiner Hand .
Ihm folgen die Gewässer Hülfreich den Berg hinauf ; Und alle Felsenschlösser , Tun ihre Schätze ihm auf .
Er führt des Goldes Ströme In seines Königs Haus , Und schmückt die Diademe Mit edlen Steinen aus .
Zwar reicht er treu dem König Den glückbegabten Arm , Doch fragt er nach ihm wenig Und bleibt mit Freuden arm .
Sie mögen sich erwürgen Am Fuß um Gut und Geld ; Er bleibt auf den Gebirgen Der frohe Herr der Welt .
Heinrich gefiel das Lied ungemein , und er bat den Alten , ihm noch eins mitzuteilen .
Der Alte war auch gleich bereit und sagte :
Ich weiß gleich noch ein wunderliches Lied , was wir selbst nicht wissen , wo es her ist .
Es brachte es ein reisender Bergmann mit , der weit herkam , und ein sonderlicher Rutengänger war .
Das Lied fand großen Beifall , weil es so seltsam klang , beinahe so dunkel und unverständlich , wie die Musik selbst , aber eben darum auch so unbegreiflich anzog , und im wachenden Zustande wie ein Traum unterhielt .
Ich kenne wo ein festes Schloß Ein stiller König wohnt darinnen , Mit einem wunderlichen Troß ; Doch steigt er nie auf seine Zinnen .
Verborgen ist sein Lustgemach Und unsichtbare Wächter lauschen ; Nur wohlbekannte Quellen rauschen Zu ihm herab vom bunten Dach .
Was ihre hellen Augen sahen In der Gestirne weiten Sälen , Das sagen sie ihm treulich an Und können sich nicht satt erzählen .
Er badet sich in ihrer Flut , Wäscht sauber seine zarten Glieder Und seine Strahlen blinken wieder Aus seiner Mutter weißem Blut .
Sein Schloß ist alt und wunderbar , Es sank herab aus tiefen Meeren Stand fest , und steht noch immerdar , Die Flucht zum Himmel zu verwehren .
Von innen schlingt ein heimlich Band Sich um des Reiches Untertanen , Und Wolken wehen wie Siegesfahnen Herunter von der Felsenwand .
Ein unermeßliches Geschlecht Umgibt die festverschlossenen Pforten , Ein jeder spielt den treuen Knecht Und ruft den Herrn mit süßen Worten .
Sie fühlen sich durch ihn beglückt , Und ahnden nicht , daß sie gefangen ; Berauscht von trüglichem Verlangen Weiß keiner , wo der Schuh ihn drückt .
Nur Wenige sind schlau und wach , Und dürsten nicht nach seinen Gaben ; Sie trachten unablässig nach , Das alte Schloß zu untergraben .
Der Heimlichkeit urmächtigen Bann , Kann nur die Hand der Einsicht lösen ; Gelingt_es das Innere zu entblößen So bricht der Tag der Freiheit an .
Dem Fleiß ist keine Wand zu fest , Dem Mut kein Abgrund unzugänglich ; Wer sich auf Herz und Hand verläßt Spürt nach dem König unbedenklich .
Aus seinen Kammern holt er ihn , Vertreibt die Geister durch die Geister , Macht sich der wilden Fluten Meister , Und heißt sie selbst heraus sich ziehen .
Je mehr er nun zum Vorschein kommt Und wild umher sich treibt auf Erden :
Je mehr wird seine Macht gedämmt , Je mehr die Zahl der Freien werden .
Am Ende wird von Banden los Das Meer die leere Burg durchdringen Und trägt auf weichen grünen Schwingen Zurück uns in der Heimat Schoß .
Es dünkte Heinrich , wie der Alte geendigt hatte , als habe er das Lied schon irgend wo gehört .
Er ließ es sich wiederholen und schrieb es sich auf .
Der Alte ging nachher hinaus und die Kaufleute sprachen unterdessen mit den anderen Gästen über die Vorteile des Bergbaues und seine Mühseligkeiten .
Einer sagte : der Alte ist gewiß nicht umsonst hier .
Er ist heute zwischen den Hügeln umhergeklettert und hat gewiß gute Anzeichen gefunden .
Wir wollen ihn doch fragen , wenn er wieder herein kommt .
Wißt ihr wohl , sagte ein Anderer , daß wir ihn bitten könnten , eine Quelle für unser Dorf zu suchen ?
Das Wasser ist weit , und ein guter Brunnen wäre uns sehr willkommen .
Mir fällt ein , sagte ein dritter , daß ich ihn fragen möchte , ob er einen von meinen Söhnen mit sich nehmen will , der mir schon das ganze Haus voll Steine getragen hat .
Der Junge wird gewiß ein tüchtiger Bergmann , und der Alte scheint ein guter Mann zu sein , der wird schon was Rechtes aus ihm ziehen .
Die Kaufleute redeten , ob sie vielleicht durch den Bergmann ein vorteilhaftes Verkehr mit Böhmen anspinnen und Metal le daher zu guten Preisen erhalten möchten .
Der Alte trat wieder in die Stube , und alle wünschten seine Bekanntschaft zu benutzen .
Er fing an und sagte :
Wie dumpf und ängstlich ist es doch hier in der engen Stube .
Der Mond steht draußen in voller Herrlichkeit , und ich hätte große Lust noch einen Spaziergang zu machen .
Ich habe heute bei Tage einige merkwürdige Höhlen hier in der Nähe gesehen .
Vielleicht entschließen sich Einige mitzugehn ; und wenn wir nur Licht mitnehmen , so werden wir ohne Schwierigkeiten uns darin umsehen können .
Den Leuten aus dem Dorfe waren diese Höhlen schon bekannt :
aber bis jetzt hatte keiner gewagt hineinzusteigen ; vielmehr trugen sie sich mit fürchterlichen Sagen von Drachen und anderen Untieren , die darin hausen sollten .
Einige wollten sie selbst gesehen haben , und behaupteten , daß man Kno chen an ihrem Eingange von geraubten und verzehrten Menschen und Tieren fände .
Einige andere vermeinten , daß ein Geist dieselben bewohne , wie sie denn einigemal aus der Ferne eine seltsame menschliche Gestalt gesehen , auch zur Nachtzeit Gesänge da herüber gehört haben wollten .
Der Alte schien ihnen keinen großen Glauben beizumessen , und versicherte lachend , daß sie unter dem Schutze eines Bergmanns getrost mitgehen könnten , indem die Ungeheuer sich vor ihm scheuen müßten , ein singender Geist aber gewiß ein wohltätiges Wesen sei .
Die Neugier machte viele beherzt genug , seinen Vorschlag einzugehn ; auch Heinrich wünschte ihn zu begleiten , und seine Mutter gab endlich auf das Zureden und Versprechen des Alten , genaue Acht auf Heinrichs Sicherheit zu haben , seinen Bitten nach .
Die Kaufleute waren eben so entschloss sein . sein .
Es wurden lange Kienspäne zu Fackeln zusammengeholt ; ein Teil der Gesellschaft versah sich noch zum Überfluß mit Leitern , Stangen , Stricken und allerhand Verteidigungswerkzeugen , und so begann endlich die Wallfahrt nach den nahen Hügeln .
Der Alte ging mit Heinrich und den Kaufleuten voran .
Jener Bauer hatte seinen wißbegierigen Sohn herbeigeholt , der voller Freude sich einer Fackel bemächtigte , und den Weg zu den Höhlen zeigte .
Der Abend war heiter und warm .
Der Mond stand in mildem Glanze über den Hügeln , und ließ wunderliche Träume in allen Kreaturen aufsteigen .
Selbst wie ein Traum der Sonne , lag er über der in sich gekehrten Traumwelt , und führte die in unzählige Grenzen geteilte Natur in jene fabelhafte Urzeit zurück , wo jeder Keim noch für sich schlummerte , und einsam und unberührt sich vergeblich sehnte , die dunkle Fülle L seines unermeßlichen Daseins zu entfalten .
In Heinrichs Gemüt spiegelte sich das Märchen des Abends .
Es war ihm , als ruhte die Welt aufgeschlossen in ihm , und zeigte ihm , wie einem Gastfreunde , alle ihre Schätze und verborgenen Lieblichkeiten .
Ihm dünkte die große einfache Erscheinung um ihn so verständlich .
Die Natur schien ihm nur deswegen so unbegreiflich , weil sie das Nächste und Traulichste mit einer solchen Verschwendung von mannigfachen Ausdrücken um den Menschen her türmte .
Die Worte des Alten hatten eine versteckte Tapetentür in ihm geöffnet .
Er sah sein kleines Wohnzimmer dicht an einen erhabenen Münster gebaut , aus dessen steinernem Boden die ernste Vorwelt emporstieg , während von der Kuppel die klare fröhliche Zukunft in goldenen Engelskindern ihr singend entgegenschwebte .
Gewaltige Klänge bebten in den Silber einem Gesang , und zu den weiten Toren traten alle Kreaturen herein , von denen jede ihre innere Natur in einer einfachen Bitte und in einer eigentümlichen Mundart vernehmlich aussprach .
Wie wunderte er sich , daß ihm diese klare , seinem Dasein schon unentbehrliche Ansicht so lange fremd geblieben war .
Nun übersah er auf einmal alle seine Verhältnisse mit der weiten Welt um ihn her ; fühlte was er durch sie geworden und was sie ihm werden würde , und begriff alle die seltsamen Vorstellungen und Anregungen , die er schon oft in ihrem Anschauen gespürt hatte .
Die Erzählung der Kaufleute von dem Jünglinge , der die Natur so emsig betrachtete , und der Eidam des Königs wurde , kam ihm wieder zu Gedanken , und tausend andere Erinnerungen seines Lebens knüpften sich von selbst an einen zauberischen Faden .
Während der Zeit , daß Heinrich sei einen Betrachtungen nachhing , hatte sich die Gesellschaft der Höhle genähert .
Der Eingang war niedrig , und der Alte nahm eine Fackel und klettere über einige Steine zuerst hinein .
Ein ziemlich fühlbarer Luftstrom kam ihm entgegen , und der Alte versicherte , daß sie getrost folgen könnten .
Die Furchtsamsten gingen zuletzt , und hielten ihre Waffen in Bereitschaft .
Heinrich und die Kaufleute waren hinter dem Alten und der Knabe wanderte munter an seiner Seite .
Der Weg lief anfänglich in einem ziemlich schmalen Gange , welcher sich aber bald in eine sehr weite und hohe Höhle endigte , die der Fackelglanz nicht völlig zu erleuchten vermochte ; doch sah man im Hintergrunde einige Öffnungen sich in die Felsenwand verlieren .
Der Boden war weich und ziemlich eben ; die Wände so wie die Decke waren ebenfalls nicht rauh und unregelmäßig ; aber was die Aufmerksamkeit Aller vorzüglich beschäftigte , war die unzählige Menge von Knochen und Zähnen , die den Boden bedeckten .
Viele waren völlig erhalten , an anderen sah man Spuren der Verwesung , und die , welche aus den Wänden hin und wieder hervorragten , schienen steinartig geworden zu sein .
Die Meisten waren von ungewöhnlicher Größe und Stärke .
Der Alte freute sich über diese Überbleibsel einer uralten Zeit ; nur den Bauern war nicht wohl dabei zu Mute , denn sie hielten sie für deutliche Spuren naher Raubtiere , so überzeugend ihnen auch der Alte die Zeichen eines undenklichen Altertums daran aufwies , und sie fragte , ob sie je etwas von Verwüstungen unter ihren Herden und vom Raube benachbarter Menschen gespürt hätten , und ob sie jene Knochen für Knochen bekannter Tiere oder Menschen halten könnten ?
Der Alte wollte nun weiter in den Berg , aber die Bauern fanden für ratsam sich vor die Höhle zurückzuziehen , und dort seine Rückkunft abzuwarten .
Heinrich , die Kaufleute und der Knabe blieben bei dem Alten , und versahen sich mit stricken und Fackeln .
Sie gelangten bald in eine zweite Höhle , wobei der Alte nicht vergaß , den Gang aus dem sie hereingekommen waren , durch eine Figur von Knochen , die er davor hinlegte , zu bezeichnen .
Die Höhle glich der vorigen und war eben so reich an tierischen Resten .
Heinrich war schauerlich und wunderbar zu Mute ; es gemahnte ihn , als wandle er durch die Vorhöfe des inneren Erdenpalastes .
Himmel und Leben lag ihm auf einmal weit entfernt , und diese dunklen weiten Hallen schienen zu einem unterirdischen seltsamen Reiche zu gehören .
Wie , dachte er bei sich selbst , wäre es möglich , daß unter unseren Füßen eine eigene Welt in einem ungeheuren Leben sich bewegte ? daß unerhörte Geburten in den Festen der Erde ihr Wesen trieben , die das innere Feuer des dunklen Schoßes zu riesenmäßigen und geistesgewaltigen Gestalten auftriebe ?
Könnten dereinst diese schauerlichen Fremden , von der eindringenden Kälte hervorgetrieben , unter uns erscheinen , während vielleicht zu gleicher Zeit himmlische Gäste , lebendige , redende Kräfte der Gestirne über unseren Häuptern sichtbar würden ?
Sind diese Knochen Überreste ihrer Wanderungen nach der Oberfläche , oder Zeichen einer Flucht in die Tiefe ?
Auf einmal rief der Alte die Anderen herbei , und zeigte ihnen eine ziemlich frische Menschenspur auf dem Boden .
Mehrere konnten sie nicht finden , und so glaubte der Alte , ohne fürchten zu müssen , auf Räuber zu stoßen , der Spur nachgehen zu können .
Sie waren eben im Begriff dies auszuführen , als auf einmal , wie unter ihren Füßen , aus einer fernen Tiefe ein ziemlich vernehmlicher Gesang anfing .
Sie erstaunten nicht wenig , doch horchten sie genau auf : Gern verweil ' ich noch im Tale Lächelnd in der tiefen Nacht , Denn der Liebe volle Schale Wird mir täglich dargebracht .
Ihre heiligen Tropfen heben Meine Seele hoch empor , Und ich stehe in diesem Leben Trunken an des Himmels Tor .
Eingewiegt in seliges Schauen Ängstigt mein Gemüt kein Schmerz .
O ! die Königin der Frauen Gibt mir ihr getreues Herz .
Bangverweinte Jahre haben Diesen schlechten Ton verklärt , Und ein Bild ihm eingegraben , Das ihm Ewigkeit gewährt .
Jene lange Zahl von Tagen Dünkt mir nur ein Augenblick ; Werde ich einst von hier getragen Schau ich dankbar noch zurück .
Alle waren auf das angenehmste überrascht , und wünschten sehnlichst den Sänger zu entdecken .
Nach einigem Suchen trafen sie in einem Winkel der rechten Seitenwand , einen abwärts gesenkten Gang , in welchen die Fußtapfen zu führen schienen .
Bald dünkte es ihnen , eine Hellung zu bemerken , die stärker wurde , je näher sie kamen .
Es tat sich ein neues Gewölbe von noch größerem Um fange , als die vorherigen , auf , in dessen Hintergründe sie bei einer Lampe eine menschliche Gestalt sitzen sahen , die vor sich auf einer steinernen Platte ein großes Buch liegen hatte , in welchem sie zu lesen schien .
Sie drehte sich nach ihnen zu , stand auf und ging ihnen entgegen .
Es war ein Mann , dessen Alter man nicht erraten konnte .
Er sah weder alt noch jung aus , keine Spuren der Zeit bemerkte man an ihm , als schlichte silberne Hare , die auf der Stirn gescheitelt waren .
In seinen Augen lag eine unaussprechliche Heiterkeit , als sähe er von einem hellen Berge in einen unendlichen Frühling hinein .
Er hatte Sohlen an die Füße gebunden , und schien keine andere Kleidung zu haben , als einen weiten Mantel , der um ihn hergeschlungen war , und seine edle große Gestalt noch mehr heraus hob .
Über ihre unvermutete Ankunft schien er nicht im mindesten verwundert ; wie ein Bekannter begrüßte er sie .
Es war , als empfing er erwartete Gäste in seinem Wohnhause .
Es ist doch schön , daß ihr mich besucht , sagte er ; Ihr seid die ersten Freunde , die ich hier sehe , so lange ich auch schon hier wohne .
Scheint es doch , als finge man an , unser großes wunderbares Haus genauer zu betrachten .
Der Alte erwiderte :
Wir haben nicht vermutet , einen so freundlichen Wirt hier zu finden .
Von wilden Tieren und Geistern war uns erzählt , und nun sehen wir uns auf das anmutigste getäuscht .
Wenn wir euch in eurer Andacht und in euren tiefsinnigen Betrachtungen gestört haben :
so verzeiht es unserer Neugierde . -- Könnte eine Betrachtung erfreulicher sein , sagte der Unbekannte , als die froher uns zusagender Menschengesichter ?
Haltet mich nicht für einen Menschenfeind , weil ihr mich in dieser Einöde trefft .
Ich habe die Welt nicht geflohen , sondern ich habe nur eine Ruhestätte gesucht , wo ich ungestört meinen Betrachtungen nachhängen könnte .
-- Hat euch euer Entschluß nie gereut , und kommen nicht zuweilen Stunden , wo euch bange wird und euer Herz nach einer Menschenstimme verlangt ? --
Jetzt nicht mehr .
Es war eine Zeit in meiner Jugend , wo eine heiße Schwärmerei mich veranlaßte , Einsiedler zu werden .
Dunkle Ahnungen beschäftigten meine jugendliche Fantasie .
Ich hoffte volle Nahrung meines Herzens in der Einsamkeit zu finden .
Unerschöpflich dünkte mir die Quelle meines inneren Lebens .
Aber ich merkte bald , daß man eine Fülle von Erfahrungen dahin mitbringen muß , daß ein junges Herz nicht allein sein kann , ja daß der Mensch erst durch vielfachen Umgang mit seinem Geschlecht eine gewisse Selbständigkeit erlangt .
Ich glaube selbst , erwiderte der Alte , daß es einen gewissen natürlichen Beruf zu jeder Lebensart gibt , und vielleicht , daß die Erfahrungen eines zunehmenden Alters von selbst auf eine Zurückziehung aus der menschlichen Gesellschaft führen .
Scheint es doch , als sei dieselbe der Tätigkeit , sowohl zum Gewinn als zur Erhaltung gewidmet .
Eine große Hoffnung , ein gemeinschaftlicher Zweck treibt sie mit Macht ; und Kinder und Alte scheinen nicht dazu zu gehören .
Unbehilflichkeit und Unwissenheit schließen die Ersten davon aus , während die letzteren jene Hoffnung erfüllt , jenen Zweck erreicht sehen , und nun nicht mehr von ihnen in den Kreis jener Gesellschaft verflochten , in sich selbst zurückkehren , und genug zu tun finden , sich auf eine höhere Gemeinschaft würdig vorzubereiten .
Indes scheinen bei euch noch besondere Ursachen statt gefunden zu haben , euch so Gänze lich von den Menschen abzusondern und Verzicht auf alle Bequemlichkeiten der Gesellschaft zu leisten .
Mich dünkt , daß die Spannung eures Gemüts doch oft nachlassen und euch dann unbehaglich zu Mute werden müßte .
Ich fühlte das wohl , indes habe ich es glücklich durch eine strenge Regelmäßigkeit meines Lebens zu vermeiden gewußt .
Dabei suche ich mich durch Bewegung gesund zu erhalten , und dann hat es keine Not .
Jeden Tag gehe ich mehrere Stunden herum , und genieße den Tag und die Luft soviel ich kann .
Sonst halte ich mich in diesen Hallen auf , und beschäftige mich zu gewissen Stunden mit Korbflechten und Schnitzen .
Für meine Waren tausche ich mir in entlegenen Ortschaften Lebensmittel ein , Bücher habe ich mir mitgebracht , und so vergeht die Zeit , wie ein Augenblick .
In jenen Gegenden habe ich einige Bekannte , die um meinen Aufenthalt wissen , und von denen ich erfahre , was in der Welt geschieht .
Diese werden mich begraben , wenn ich tot bin und meine Bücher zu sich nehmen .
Er führte sie näher an seinen Sitz , der nahe an der Höhlenwand war .
Sie sahen mehrere Bücher auf der Erde liegen , auch eine Zither , und an der Wand hing eine völlige Rüstung , die ziemlich kostbar zu sein schien .
Der Tisch bestand aus fünf großen steinernen Platten , die wie ein Kasten zusammengesetzt waren .
Auf der obersten lagen eine männliche und weibliche Figur in Lebensgröße eingehauen , die einen Kranz von Lilien und Rosen angefaßt hatten ; an den Seiten stand : Friedrich und Marie von Hohenzollern kehrten auf dieser Stelle in ihr Vaterland zurück .
Der Einsiedler fragte seine Gäste nach ihrem Vaterlande , und wie sie in diese Gegenden gekommen wären .
Er war sehr freundlich und offen , und verriet eine große Bekanntschaft mit der Welt .
Der Alte sagte ; Ich sehe , ihr seid ein Kriegsmann gewesen , die Rüstung verrät euch . --
Die Gefahren und Wechsel des Krieges , der hohe poetische Geist , der ein Kriegsheer begleitet , rissen mich aus meiner jugendlichen Einsamkeit und bestimmten die Schicksale meines Lebens .
Vielleicht , daß das lange Getümmel , die unzähligen Begebenheiten , denen ich beiwohnte , mir den Sinn für die Einsamkeit noch mehr geöffnet haben : die zahllosen Erinnerungen sind eine unterhaltende Gesellschaft , und dies um so mehr , je veränderter der Blick ist , mit dem wir sie überschauen , und der nun erst ihren wahren Zu sam Samenhang , den Tiefsinn ihrer Folge , und die Bedeutung ihrer Erscheinungen entdeckt .
Der eigentliche Sinn für die Geschichten der Menschen entwickelt sich erst spät , und mehr unter den stillen Einflüssen der Erinnerung , als unter den gewaltsameren Eindrücken der Gegenwart .
Die nächsten Ereignisse scheinen nur locker verknüpft , aber sie sympathisieren desto wunderbarer mit entfernteren ; und nur dann , wenn man im Stande ist , eine lange Reihe zu übersehen und weder alles buchstäblich zu nehmen , noch auch mit mutwilligen Träumen die eigentliche Ordnung zu verwirren , bemerkt man die geheime Verkettung des Ehemaligen und Künftigen , und lernt die Geschichte aus Hoffnung und Erinnerung zusammensetzen .
Indes nur dem , welchem die ganze Vorzeit gegenwärtig ist , mag es gelingen , die einfache Regel der Geschichte zu entdecken .
Wir kommen nur zu unvollständigen M und beschwerlichen Formeln , und können froh sein , nur für uns selbst eine brauchbare Vorschrift zu finden , die uns hinlängliche Aufschlüsse über unser eigenes kurzes Leben verschafft .
Ich darf aber wohl sagen , daß jede sorgfältige Betrachtung der Schicksale des Lebens einen tiefen , unerschöpflichen Genuß gewährt , und unter allen Gedanken uns am meisten über die irdischen Übel erhebt .
Die Jugend liest die Geschichte nur aus Neugier , wie ein unterhaltendes Märchen ; dem reiferen Alter wird sie eine himmlische tröstende und erbauende Freundin , die ihn durch ihre weisen Gespräche sanft zu einer höheren , umfassenderen Laufbahn vorbereitet , und mit der unbekannten Welt ihn in faßlichen Bildern bekannt macht .
Die Kirche ist das Wohnhaus der Geschichte , und der stille Hof ihr sinnbildlicher Blumengarten .
Von der Geschichte sollten nur alte , gottesfürchtige Leute schreiben , deren Geschichte selbst zu Ende ist , und die nichts mehr zu hoffen haben , als die Verpflanzung in den Garten .
Nicht finster und trübe wird ihre Beschreibung sein ; vielmehr wird ein Strahl aus der Kuppel alles in der richtigsten und schönsten Erleuchtung zeigen , und heiliger Geist wird über diesen seltsam bewegten Gewässern schweben .
Wie wahr und einleuchtend ist eure Rede , setzte der Alte hinzu .
Man sollte gewiß mehr Fleiß darauf wenden , das Wissenswürdige seiner Zeit treulich aufzuzeichnen , und es als ein andächtiges Vermächtnis den künftigen Menschen zu hinterlassen .
Es gibt tausend entferntere Dinge , denen Sorgfalt und Mühe gewidmet wird , und gerade um das Nächste und Wichtigste , um die Schicksale unseres eigenen Lebens , unserer Angehörigen , unseres Geschlechts , deren leise Planmäßigkeit wir in den Gedanken einer Vorsehung aufge faßt haben , bekümmern wir uns so wenig , und lassen sorglos alle Spuren in unserem Gedächtnisse verwischen .
Wie Heiligtümer wird eine weisere Nachkommenschaft jede Nachricht , die von den Begebenheiten der Vergangenheit handelt , aufsuchen , und selbst das Leben eines Einzelnen unbedeutenden Mannes wird ihr nicht gleichgültig sein , da gewiß sich das große Leben seiner Zeitgenossenschaft darin mehr oder weniger spiegelt .
Es ist nur so schlimm , sagte der Graf von Hohenzollern , daß selbst die Wenigen , die sich der Aufzeichnung der Taten und Vorfälle ihrer Zeit unterzogen , nicht über ihr Geschäft nachdachten , und ihren Beobachtungen keine Vollständigkeit und Ordnung zu geben suchten , sondern nur aufs Geratewohl bei der Auswahl und Sammlung ihrer Nachrichten verfuhren .
Ein jeder wird leicht an sich bemerken , daß er nur dasjenige deutlich und vollkommen beschreiben kann , was er genau kennt , dessen Teile , dessen Entstehung und Folge , dessen Zweck und Gebrauch ihm gegenwärtig sind :
denn sonst wird keine Beschreibung , sondern ein verwirrtes Gemisch von unvollständigen Bemerkungen entstehen .
Man lasse ein Kind eine Maschine , einen Landmann ein Schiff beschreiben , und gewiß wird kein Mensch aus ihren Worten einigen Nutzen und Unterricht schöpfen können , und so ist es mit den meisten Geschichtsschreibern , die vielleicht fertig genug im Erzählen und bis zum Überdruß weitschweifig sind , aber doch gerade das Wissenswürdigste vergessen , dasjenige , was erst die Geschichte zur Geschichte macht , und die mancherlei Zufälle zu einem angenehmen und lehrreichen Ganzen verbindet .
Wenn ich das alles recht bedenke , so scheint es mir , als wenn ein Geschichtsschreiber notwendig auch ein Dichter sein müßte , denn nur die Dichter mögen sich auf jene Kunst , Begebenheiten schicklich zu verknüpfen , verstehen .
In ihren Erzählungen und Fabeln habe ich mit stillem Vergnügen ihr zartes Gefühl für den geheimnisvollen Geist des Lebens bemerkt .
Es ist mehr Wahrheit in ihren Märchen , als in gelehrten Chroniken .
Sind auch ihre Personen und deren Schicksale erfunden :
so ist doch der Sinn , in dem sie erfunden sind , wahrhaft und natürlich .
Es ist für unseren Genuß und unsere Belehrung gewissermaßen einerlei , ob die Personen , in deren Schicksalen wir den unsrigen nachspüren , wirklich einmal lebten , oder nicht .
Wir verlangen nach der Anschauung der großen einfachen Seele der Zeiterscheinungen , und finden wir diesen Wunsch gewährt , so kümmern wir uns nicht um die zufällige Existenz ihrer äußeren Figuren .
Auch ich bin den Dichtern , sagte der Alte , von jeher deshalb zugetan gewesen .
Das Leben und die Welt ist mir klarer und anschaulicher durch sie geworden .
Es dünkte mich , sie müßten befreundet mit den scharfen Geistern des Lichtes sein , die alle Naturen durchdringen und sondern , und einen eigentümlichen , zartgefärbten Schleier über jede verbreiten .
Meine eigene Natur fühlte ich bei ihren Liedern leicht entfaltet , und es war , als könnte sie sich nun freier bewegen , ihrer Geselligkeit und ihres Verlangens froh werden , mit stiller Lust ihre Glieder gegen einander schwingen , und tausenderlei anmutige Wirkungen hervorrufen .
Wart ihr so glücklich in eurer Gegend einige Dichter zu haben ? fragte der Einsiedler .
Es haben sich wohl zuweilen einige bei uns eingefunden :
aber sie schienen Gefallen am Reisen zu finden , und so hielten sie sich meist nicht lange auf .
Indes habe ich auf meinen Wanderungen nach Illyrien , nach Sachsen und Schwedenland nicht selten welche gefunden , deren Andenken mich immer erfreuen wird .
So seid ihr ja weit umhergekommen , und müßt viele denkwürdige Dinge erlebt haben .
Unsere Kunst macht es fast nötig , daß man sich weit auf dem Erdboden umsieht , und es ist als triebe den Bergmann ein unterirdisches Feuer umher .
Ein Berg schickt ihn dem anderen .
Er wird nie mit Sehen fertig , und hat seine ganze Lebenszeit an jener wunderlichen Baukunst zu lernen , die unseren Fußboden so seltsam gegründet und ausgetäfelt hat .
Unsere Kunst ist uralt und weit verbreitet .
Sie mag wohl aus Morgen , mit der Sonne , wie unser Geschlecht , nach Abend gewandert sein , und von der Mitte nach den Enden zu .
Sie hat überall mit anderen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt , und da immer das Bedürfnis den menschlichen Geist zu klugen Erfindungen gereizt , so kann der Bergmann überall seine Einsichten und seine Geschicklichkeit vermehren und mit nützlichen Erfahrungen seine Heimat bereichern .
Ihr seid beinahe verkehrte Astrologen , sagte der Einsiedler .
Wenn diese den Himmel unverwandt betrachten und seine unermeßlichen Räume durchirren :
so wendet ihr euren Blick auf den Erdboden , und erforscht seinen Bau .
Jene studieren die Kräfte und Einflüsse der Gestirne , und ihr untersucht die Kräfte der Felsen und Berge , und die mannigfaltigen Wirkungen der Erd- und Steinschichten .
Jenen ist der Himmel das Buch der Zukunft , während euch die Erde Denkmale der Urwelt zeigt .
Es ist dieser Zusammenhäng nicht ohne Bedeutung , sagte der Alte lächelnd .
Die leuchtenden Propheten spielen vielleicht eine Hauptrolle in jener alten Geschichte des wunderlichen Erdhaus .
Man wird vielleicht sie aus ihren Werken , und ihre Werke aus ihnen mit der Zeit besser kennen und erklären lernen .
Vielleicht zeigen die großen Gebirgsketten die Spuren ihrer ehemaligen Straßen , und hatten selbst Lust , sich auf ihre eigene Hand zu nähren und ihren eigenen Gang am Himmel zu gehen .
Manche hoben sich kühn genug , um auch Sterne zu werden , und müssen nun dafür die schöne grüne Bekleidung der niedrigeren Gegenden entbehren .
Sie haben dafür nichts erhalten , als daß sie ihren Vätern das Wetter machen helfen , und Propheten für das tiefere Land sind , das sie bald schützen bald mit Ungewittern überschwemmen .
Seitdem ich in dieser Höhle wohne , fuhr der Einsiedler fort , habe ich mehr über die alte Zeit nachdenken gelernt .
Es ist unbeschreiblich , was diese Betrachtung anzieht , und ich kann mir die Liebe vorstellen , die ein Bergmann für sein Handwerk hegen muß .
Wenn ich die seltsamen alten Knochen ansehe , die hier in so gewaltiger Menge versammelt sind ; wenn ich mir die wilde Zeit denke , wo diese fremdartigen , ungeheuren Tiere in dichten Scharen sich in diese Höhlen hereindrängten , von Furcht und Angst vielleicht getrieben , und hier ihren Tod fanden ; wenn ich dann wieder bis zu den Zeiten hinaufsteige , wo diese Höhlen zusammenwuchsen und ungeheure Fluten das Land bedeckten :
so komme ich mir selbst wie ein Traum der Zukunft , wie ein Kind des ewigen Friedens vor .
Wie ruhig und friedfertig , wie mild und klar ist gegen diese gewaltsamen , riesenmäßi gen Zeiten , die heutige Natur ! und das furchtbarste Gewitter , das entsetzlichste Erdbeben in unseren Tagen ist nur ein schwacher Nachhall jener grausenvollen Geburtswehen .
Vielleicht daß auch die Pflanzen- und Tierwelt , ja die damaligen Menschen selbst , wenn es auf einzelnen Eilanden in diesem Ozean welche gab , eine andere festere und rauhere Bauart hatten , -- wenigstens dürfte man die alten Sagen von einem Riesenvolke dann keiner Erdichtungen zeihen .
Es ist erfreulich , sagte der Alte , jene allmähliche Beruhigung der Natur zu bemerken .
Ein immer innigeres Einverständnis , eine friedlichere Gemeinschaft , eine gegenseitige Unterstützung und Belebung , scheint sich allmählich gebildet zu haben , und wir können immer besseren Zeiten entgegensehn .
Es wäre vielleicht möglich , daß hin und wieder noch alter Sauerteig gehrte , und noch einige heftige Erschütterungen erfolgten ; indes sieht man doch das allmächtige Streben nach freier , einträchtiger Verfassung , und in diesem Geiste wird jede Erschütterung vorübergehen und dem großen Ziele näher führen .
Mag es sein , daß die Natur nicht mehr so fruchtbar ist , daß heute zu Tage keine Metalle und Edelsteine , keine Felsen und Berge mehr entstehen , daß Pflanzen und Tiere nicht mehr zu so erstaunlichen Größen und Kräften aufquellen : je mehr sich ihre erzeugende Kraft erschöpft hat , desto mehr haben ihre bildenden , veredelnden und geselligen Kräfte zugenommen , ihr Gemüt ist empfänglicher und zarter , ihre Fantasie mannigfaltiger und sinnbildlicher , ihre Hand leichter und kunstreicher geworden .
Sie nähert sich dem Menschen , und wenn sie , ehemals ein wildgebärender Fels war , so ist sie jetzt eine stille , treibende Pflanze , eine stumme Mensch liche Künstlerin .
Wozu wäre auch eine Vermehrung jener Schätze nötig , deren Überfluß auf undenkliche Zeiten ausreicht .
Wie klein ist der Raum , den ich durchwandert bin , und welche mächtige Vorräte habe ich nicht gleich auf den ersten Blick gefunden , deren Benutzung der Nachwelt überlassen bleibt .
Welche Reichtümer verschließen nicht die Gebirge nach Norden , welche günstige Anzeigen fand ich nicht in meinem Vaterlande überall , in Ungarn , am Fuße der Karpatischen Gebirge , und in den Felsentälern von Tirol , Österreich und Bayern .
Ich könnte ein reicher Mann sein , wenn ich das hätte mit mir nehmen können , was ich nur aufzuheben , nur abzuschlagen brauchte .
An manchen Orten sah ich mich , wie in einem Zaubergarten .
Was ich ansah , war von köstlichen Metallen und auf das kunstreichste gebildet .
In den zierlichen Locken und Ästen des Silbers hingen glänzende , Rubinrote , durchsichtige Früchte , und die schweren Bäumchen standen auf kristallenem Grunde , der ganz unnachahmlich ausgearbeitet war .
Man traute kaum seinen Sinnen an diesen wunderbaren Orten , und wurde nicht müde diese reizenden Wildnisse zu durchstreifen und sich an ihren Kleinodien zu ergötzen .
Auch auf meiner jetzigen Reise habe ich viele Merkwürdigkeiten gesehen , und gewiß ist in anderen Ländern die Erde eben so ergiebig und verschwenderisch .
Wenn man , sagte der Unbekannte , die Schätze bedenkt , die im Orient zu Hause sind , so ist daran kein Zweifel , und ist das ferne Indien , Afrika und Spanien nicht schon im Altertum durch die Reichtümer seines Bodens bekannt gewesen ?
Als Kriegsmann gibt man freilich nicht so genau auf die Adern und Klüfte der Berge acht , indes habe ich doch zuweilen meine Betrachtungen über diese glänzenden Streifen gehabt , die wie seltsame Knospen auf eine unerwartete Blüte und Frucht deuten .
Wie hätte ich damals denken können , wenn ich froh über das Licht des Tages an diesen dunklen Behausungen vorbeizog , daß ich noch im Schoße eines Berges mein Leben beschließen würde .
Meine Liebe trug mich stolz über den Erdboden , und in ihrer Umarmung hoffte ich in späten Jahren zu entschlafen .
Der Krieg endigte , und ich zog nach Hause , voll froher Erwartungen eines erquicklichen Herbstes .
Aber der Geist des Krieges schien der Geist meines Glücks zu sein .
Meine Marie hatte mir zwei Kinder im Orient geboren .
Sie waren die Freude unseres Leben .
Die Seefahrt und die rauhere Abendländische Luft störte ihre Blüte .
Ich begrub sie wenig Tage nach meiner Ankunft in Europa .
Kum Kummervoll führte ich meine trostlose Gattin nach meiner Heimat .
Ein stiller Gram mochte den Faden ihres Lebens mürbe gemacht haben .
Auf einer Reise , die ich bald darauf unternehmen mußte , auf der sie mich wie immer begleitete , verschied sie sanft und plötzlich in meinen Armen .
Es war hier nahe bei , wo unsere irdische Wallfahrt zu Ende ging .
Mein Entschluß war im Augenblicke reif .
Ich fand , was ich nie erwartet hatte ; eine göttliche Erleuchtung kam über mich , und seit dem Tage , da ich sie hier selbst begrub , nahm eine himmlische Hand allen Kummer von meinem Herzen .
Das Grabmal habe ich nachher errichten lassen .
Oft scheint eine Begebenheit sich zu endigen , wenn sie erst eigentlich beginnt , und dies hat bei meinem Leben statt gefunden .
Gott verleihe euch allen ein seliges Alter , und ein so geruhiges Gemüt wie mir. N Heinrich und die Kaufleute hatten aufmerksam dem Gespräche zugehört , und der Erstere fühlte besonders neue Entwicklungen seines ahnungsvollen Inneren .
Manche Worte , manche Gedanken fielen wie belebender Fruchtstaub , in seinen Schoß , und rückten ihn schnell aus dem engen Kreise seiner Jugend auf die Höhe der Welt .
Wie lange Jahre lagen die eben vergangenen Stunden hinter ihm , und er glaubte nie anders gedacht und empfunden zu haben .
Der Einsiedler zeigte ihnen seine Bücher .
Es waren alte Historien und Gedichte .
Heinrich blätterte in den großen schöngemalten Schriften ; die kurzen Zeilen der Verse , die Überschriften , einzelne Stellen , und die sauberen Bilder , die hier und da , wie verkörperte Worte , zum Vorschein kamen , um die Einbildungskraft des Lesers zu unterstützen , reizten mächtig seine Neugierde .
Der Einsiedler bemerkte seine innere Lust , und erklärte ihm die sonderbaren Vorstellungen .
Die mannigfaltigsten Lebensszenen waren abgebildet .
Kämpfe , Leichenbegängnisse , Hochzeitfeierlichkeiten , Schiffbrüche , Höhlen und Paläste ; Könige , Helden , Priester , alte und junge Leute , Menschen in fremden Trachten , und seltsame Tiere , kamen in verschiedenen Abwechselungen und Verbindungen , vor .
Heinrich konnte sich nicht satt sehen , und hätte nichts mehr gewünscht , als bei dem Einsiedler , der ihn unwiderstehlich anzog , zu bleiben , und von ihm über diese Bücher unterrichtet zu werden Der Alte fragte unterdes , ob es noch mehr Höhlen gäbe , und der Einsiedler sagte ihm , daß noch einige sehr große in der Nähe lägen , wohin er ihn begleiten wollte .
Der Alte war dazu bereit , und der Einsiedler , der die Freude merkte , die Heinrich an seinen Büchern hatte , an laßt ihn , zurückzubleiben , und sich während dieser Zeit weiter unter denselben umzusehn .
Heinrich blieb mit Freuden bei den Büchern , und dankte ihm innig für seine Erlaubnis .
Er blätterte mit unendlicher Lust umher .
Endlich fiel ihm ein Buch in die Hände , das in einer fremden Sprache geschrieben war , die ihm einige Ähnlichkeit mit der Lateinischen und Italienischen zu haben schien .
Er hätte sehnlichst gewünscht , die Sprache zu kennen , denn das Buch gefiel ihm vorzüglich ohne daß er eine Silbe davon verstand .
Es hatte keinen Titel , doch fand er noch beim Suchen einige Bilder .
Sie dünkten ihm ganz wunderbar bekannt , und wie er recht zusah , entdeckte er seine eigene Gestalt ziemlich kenntlich unter den Figuren .
Er erschrak und glaubte zu träumen , aber beim wiederholten Ansehen konnte er nicht mehr an der vollkommenen Ähnlichkeit zweifeln .
Er traute kaum seinen Sinnen , als er bald auf einem Bilde die Höhle , den Einsiedler , und den Alten neben sich entdeckte .
Allmählich fand er auf den anderen Bildern die Morgenländerinne , seine Eltern , den Landgrafen und die Landgräfin von Thüringen , seinen Freund den Hofkaplan , und manche Andere seiner Bekannten ; doch waren ihre Kleidungen verändert und schienen aus einer anderen Zeit zu sein .
Eine große Menge Figuren wußte er nicht zu nennen , doch dünkten sie ihm bekannt .
Er sah sein Ebenbild in verschiedenen Lagen .
Gegen das Ende kam er sich größer und edler vor .
Die Gitarre ruhte in seinen Armen , und die Landgräfin reichte ihm einen Kranz .
Er sah sich am kaiserlichen Hofe , zu Schiffe , in trauter Umarmung mit einem schlanken lieblichen Mädchen , in einem Kampfe mit wildaussehenden Männern , und in freundlichen Gesprächen mit Sarazenen und Mohren .
Ein Mann von ernstem Ansehen kam häufig in seiner Gesellschaft vor .
Er fühlte tiefe Ehrfurcht vor dieser hohen Gestalt , und war froh sich Arm in Arm mit ihm zu sehen .
Die letzten Bilder waren dunkel und unverständlich ; doch überraschten ihn einige Gestalten seines Traumes mit dem innigsten Entzücken ; der Schluß des Buches schien zu fehlen .
Heinrich war sehr bekümmert , und wünschte nichts sehnlicher , als das Buch lesen zu können , und vollständig zu besitzen .
Er betrachtete die Bilder zu wiederholten Malen und war bestürzt , wie er die Gesellschaft zurückkommen hörte .
Eine wunderliche Scham befiel ihn .
Er getraute sich nicht , seine Entdeckung merken zu lassen , machte das Buch zu , und fragte den Einsiedler nur obenhin nach dem Titel und der Sprache desselben , wo er denn erfuhr , daß es in provenzalischer Sprache ge schrieben sei .
Es ist lange , daß ich es gelesen habe , sagte der Einsiedler .
Ich kann mich nicht genau mehr des Inhalts entsinnen .
Soviel ich weiß , ist es ein Roman von den wunderbaren Schicksalen eines Dichters , worin die Dichtkunst in ihren mannigfachen Verhältnissen dargestellt und gepriesen wird .
Der Schluß fehlt an dieser Handschrift , die ich aus Jerusalem mitgebracht habe , wo ich sie in der Verlassenschaft eines Freundes fand , und zu seinem Andenken aufhob .
Sie nahmen nun von einander Abschied , und Heinrich war bis zu Tränen gerührt .
Die Höhle war ihm so merkwürdig , der Einsiedler so lieb geworden .
Alle umarmten diesen herzlich , und er selbst schien sie lieb gewonnen zu haben .
Heinrich glaubte zu bemerken , daß er ihn mit einem freundlichen durchdringenden Blick ansehe .
Seine Abschiedsworte gegen ihn waren sonderbar bedeutend .
Er schien von seiner Entdeckung zu wissen und darauf anzuspielen .
Bis zum Eingang der Höhlen begleitete er sie , nachdem er sie und besonders den Knaben gebeten hatte , nichts von ihm gegen die Bauern zu erwähnen , weil er sonst ihren Zudringlichkeiten ausgesetzt sein würde .
Sie versprachen es alle .
Wie sie von ihm schieden und sich seinem Gebet empfahlen , sagte er :
Wie lange wird es währen , so sehen wir uns wieder , und werden über unsere heutigen Reden lächeln .
Ein himmlischer Tag wird uns umgeben , und wir werden uns freuen , daß wir einander in diesen Tälern der Prüfung freundlich begrüßten , und von gleichen Gesinnungen und Ahnungen beseelt waren .
Sie sind die Engel , die uns hier sicher geleiten .
Wenn euer Auge fest am Himmel haftet , so werdet ihr nie den Weg zu eurer Heimat verlieren .
-- Sie trennten sich mit stiller Andacht , fanden bald ihre zaghaften Gefährten , und erreichten unter allerlei Erzählungen in Kurzem das Dorf , wo Heinrichs Mutter , die in Sorgen gewesen war , sie mit tausend Freuden empfing .
Sechstes Kapitel .
Menschen , die zum Handeln , zur Geschäftigkeit geboren sind , können nicht früh genug alles selbst betrachten und beleben .
Sie müssen überall selbst Hand anlegen und viele Verhältnisse durchlaufen , ihr Gemüt gegen die Eindrücke einer neuen Lage , gegen die Zerstreuungen vieler und mannigfaltiger Gegenstände gewissermaßen abhärten , und sich gewöhnen , selbst im Drange großer Begebenheiten den Faden ihres Zwecks festzuhalten , und ihn gewandt hindurchzuführen .
Sie dürfen nicht den Einladungen einer stillen Betrachtung nachgeben .
Ihre Seele darf keine in sich gekehrte Zuschauerin , sie muß unablässig nach außen gerichtet , und eine emsige , schnell entscheidende Dienerin des Ver- Standes sein .
Sie sind Helden , und um sie her drängen sich die Begebenheiten , die geleitet und gelöst sein wollen .
Alle Zufälle werden zu Geschichten unter ihrem Einfluß , und ihr Leben ist eine ununterbrochene Kette merkwürdiger und glänzender , verwickelter und seltsamer Ereignisse .
Anders ist es mit jenen ruhigen , unbekannten Menschen , deren Welt ihr Gemüt , deren Tätigkeit die Betrachtung , deren Leben ein leises Bilden ihrer inneren Kräfte ist .
Keine Unruhe treibt sie nach außen .
Ein stiller Besitz genügt ihnen und das unermeßliche Schauspiel außer ihnen reizt sie nicht , selbst darin aufzutreten , sondern kommt ihnen bedeutend und wunderbar genug vor , um seiner Betrachtung ihre Muße zu widmen .
Verlangen nach dem Geiste desselben hält sie in der Ferne , und er ist es , der sie zu der geheimnisvollen Rolle des Gemüts in dieser menschlichen Welt bestimmte , während jene die äußere Gliedmaßen und Sinne , und die ausgehenden Kräfte derselben vorstellen .
Große und vielfache Begebenheiten würden sie stören .
Ein einfaches Leben ist ihr Los , und nur aus Erzählungen und Schriften müssen sie mit dem reichen Inhalt , und den zahllosen Erscheinungen der Welt bekannt werden .
Nur selten darf im Verlauf ihres Lebens ein Vorfall sie auf einige Zeit in seine raschen Wirbel mit hereinziehn , um durch einige Erfahrungen sie von der Lage und dem Charakter der handelnden Menschen genauer zu unterrichten .
Dagegen wird ihr empfindlicher Sinn schon genug von nahen unbedeutenden Erscheinungen beschäftigt , die ihm jene große Welt verjüngt darstellen , und sie werden keinen Schritt tun , ohne die überraschendsten Entdeckungen in sich selbst über das Wesen und die Bedeu tung derselben zu machen .
Es sind die Dichter , diese seltenen Zugmenschen , die zuweilen durch unsere Wohnsitze wandeln , und überall den alten ehrwürdigen Dienst der Menschheit und ihrer ersten Götter , der Gestirne , des Frühlings , der Liebe , des Glücks , der Fruchtbarkeit , der Gesundheit , und des Frohsinns erneuern ; sie , die schon hier im Besitz der himmlischen Ruhe sind , und von keinen törichten Begierden umhergetrieben , nur den Duft der irdischen Früchte einatmen , ohne sie zu verzehren und dann unwiderruflich an die Unterwelt gekettet zu sein .
Freie Gäste sind sie , deren goldener Fuß nur leise auftritt , und deren Gegenwart in Allen unwillkürlich die Flügel ausbreitet .
Ein Dichter läßt sich wie ein guter König , frohen und klaren Gesichtern nach aufsuchen , und er ist es , der allein den Namen eines Weisen mit Recht führt .
Wenn man ihn mit dem Helden ver gleicht , so findet man , daß die Gesänge der Dichter nicht selten den Heldenmut in jugendlichen Herzen erweckt , Heldentaten aber wohl nie den Geist der Poesie in ein neues Gemüt gerufen haben .
Heinrich war von Natur zum Dichter geboren .
Mannigfaltige Zufälle schienen sich zu seiner Bildung zu vereinigen , und noch hatte nichts seine innere Regsamkeit gestört .
Alles was er sah und hörte schien nur neue Riegel in ihm wegzuschieben , und neue Fenster ihm zu öffnen .
Er sah die Welt in ihren großen und abwechselnden Verhältnissen vor sich liegen .
Noch war sie aber stumm , und ihre Seele , das Gespräch , noch nicht erwacht .
Schon nahte sich ein Dichter , ein liebliches Mädchen an der Hand , um durch Laute der Muttersprache und durch Berührung eines süßen zärtlichen Mundes , die blöden Lippen aufzuschließen , und den einfa chen Akkord in unendliche Melodien zu entfalten .
Die Reise war nun geendigt .
Es war gegen Abend , als unsere Reisenden wohlbehalten und fröhlich in der weltberühmten Stadt Augsburg anlangten , und voller Erwartung durch die hohen Gassen nach dem ansehnlichen Hause des alten Schwaning ritten .
Heinrich war schon die Gegend sehr reizend vorgekommen .
Das lebhafte Getümmel der Stadt und die großen , steinernen Häuser befremdeten ihn angenehm .
Er freute sich inniglich über seinen künftigen Aufenthalt .
Seine Mutter war sehr vergnügt nach der langen , mühseligen Reise sich hier in ihrer geliebten Vaterstadt zu sehen , bald ihren Vater und ihre alten Bekannten wieder zu umarmen , ihren Heinrich ihnen vorstellen , und einmal alle Sorgen des Hauswesens bei den traulichen Erinnerungen ihrer Jugend ruhig vergessen zu können .
Die Kaufleute hofften sich bei den dortigen Lustbarkeiten für die Unbequemlichkeiten des Weges zu entschädigen , und einträgliche Geschäfte zu machen .
Das Haus des alten Schwaning fanden sie erleuchtet , und eine lustige Musik tönte ihnen entgegen .
Was gilt_es , sagten die Kaufleute , euer Großvater gibt ein fröhliches Fest .
Wir kommen wie gerufen .
Wie wird er über die ungeladenen Gäste erstaunen .
Er läßt es sich wohl nicht träumen , daß das wahre Fest nun erst angehen wird .
Heinrich fühlte sich verlegen , und seine Mutter war nur wegen ihres Anzugs in Sorgen .
Sie stiegen ah , die Kaufleute blieben bei den Pferden , und Heinrich und seine Mutter traten in das prächtige Haus .
Unten war kein Hausgenosse zu sehen .
Sie mußten die breite Wendeltreppe hinauf .
Einige Diener Li liefen vorüber , die sie baten , dem alten Schwaning die Ankunft einiger Fremden anzusagen , die ihn zu sprechen wünschten .
Die Diener machten anfangs einige Schwierigkeiten ; die Reisenden sahen nicht zum Besten aus ; doch meldeten sie es dem Herrn des Hauses .
Der alte Schwaning kam heraus .
Er kannte sie nicht gleich , und fragte nach ihrem Namen und Anliegen .
Heinrichs Mutter weinte , und fiel ihm um den Hals .
Kennt ihr eure Tochter nicht mehr ? rief sie weinend .
Ich bringe euch meinen Sohn .
Der alte Vater war äußerst gerührt .
Er drückte sie lange an seine Brust ; Heinrich sank auf ein Knie , und küßte ihm zärtlich die Hand .
Er hob ihn zu sich , und hielt Mutter und Sohn umarmt .
Geschwind herein , sagte Schwaning , ich habe lauter Freunde und Bekannte bei mir , die sich herzlich mit mir freuen werden .
Heinrichs Mutter schien eine O ge Zweifel zu haben .
Sie hatte keine Zeit sich zu besinnen .
Der Vater führte beide in den hohen , erleuchteten Saal .
Da bringe ich meine Tochter und meinen Enkel aus Eisenach , rief Schwaning in das frohe Getümmel glänzend gekleideter Menschen .
Alle Augen kehrten sich nach der Tür ; alles lief herzu , die Musik schwieg , und die beiden Reisenden standen verwirrt und geblendet in ihren staubigen Kleidern , mitten in der bunten Schar .
Tausend freudige Ausrufungen gingen von Mund zu Mund .
Alte Bekannte drängten sich um die Mutter .
Es gab unzählige Fragen .
Jedes wollte zuerst gekannt und bewillkommet sein .
Während der ältere Teil der Gesellschaft sich mit der Mutter beschäftigte , heftete sich die Aufmerksamkeit des jüngeren Teils auf den fremden Jüngling , der mit gesenktem Blick da stand , und nicht das Herz hatte , die unbekannten Gesich ter wieder zu betrachten .
Sein Großvater machte ihn mit der Gesellschaft bekannt , und erkundigte sich nach seinem Vater und den Vorfällen ihrer Reise .
Die Mutter gedachte der Kaufleute , die unten aus Gefälligkeit bei den Pferden geblieben waren .
Sie sagte es ihrem Vater , welcher sogleich hinunter schickte , und sie einladen ließ heraufzukommen .
Die Pferde wurden in die Ställe gebracht , und die Kaufleute erschienen .
Schwaning dankte ihnen herzlich für die freundschaftliche Geleitung seiner Tochter .
Sie waren mit vielen Anwesenden bekannt , und begrüßten sich freundlich mit ihnen .
Die Mutter wünschte sich reinlich ankleiden zu dürfen .
Schwaning nahm sie auf sein Zimmer , und Heinrich folgte ihnen in gleicher Absicht .
Unter der Gesellschaft war Heinrich ein Mann aufgefallen , den er in jenem Buche oft an seiner Seite gesehen zu haben glaubte .
Sein edles Ansehen zeichnete ihn vor allen aus .
Ein heiterer Ernst war der Geist seines Gesichts ; eine offene schön gewölbte Stirn , große , schwarze , durchdringende und feste Augen , ein schalkhafter Zug um den fröhlichen Mund und durchaus klare , männliche Verhältnisse machten es bedeutend und anziehend .
Er war stark gebaut , seine Bewegungen waren ruhig und ausdrucksvoll , und wo er stand , schien er ewig stehen zu wollen .
Heinrich fragte seinen Großvater nach ihm .
Es ist mir lieb sagte der Alte , daß du ihn gleich bemerkt hast .
Es ist mein trefflicher Freund Klingsohr , der Dichter .
Auf seine Bekanntschaft und Freundschaft kannst du stolzer sein , als auf die des Kaisers .
Aber wie steht_es mit deinem Herzen ?
Er hat eine schöne Tochter ; vielleicht daß sie den Vater bei dir aussticht .
Es sollte mich wundern , wenn du sie nicht gesehen hättest .
Heinrich errötete .
Ich war zerstreut , lieber Großvater .
Die Gesellschaft war zahlreich , und ich betrachtete nur euren Freund .
Man merkt es , daß du aus Norden kommst , erwiderte Schwaning .
Wir wollen dich hier schon auftauen .
Du sollst schon lernen nach hübschen Augen sehen .
Sie waren nun fertig und begaben sich zurück in den Saal , wo indes die Zurüstungen zum Abendessen gemacht worden waren .
Der alte Schwaning führte Heinrich auf Klingsohr zu , und erzählte ihm , daß Heinrich ihn gleich bemerkt und den lebhaftesten Wunsch habe mit ihm bekannt zu sein .
Heinrich war beschämt .
Klingsohr redete freundlich zu ihm von seinem Vaterlande und seiner Reise .
Es lag soviel Zutrauliches in seiner Stimme , daß Heinrich bald ein Herz faßte und sich freimütig mit ihm unterhielt .
Nach einiger Zeit kam Schwaning wieder zu ihnen und brachte die schöne Mathilde .
Nehmt euch meines schüchternen Enkels freundlich an , und verzeiht es ihm , daß er eher euren Vater , als euch gesehen hat .
Eure glänzenden Augen werden schon die schlummernde Jugend in ihm wecken .
In seinem Vaterlande kommt der Frühling spät .
Heinrich und Mathilde wurden rot .
Sie sahen sich einander mit Verwunderung an .
Sie fragte ihn mit kaum hörbaren leisen Worten : Ob er gern tanze .
Eben als er die Frage bejahte , fing eine fröhliche Tanzmusik an .
Er bot ihr schweigend seine Hand ; sie gab ihm die ihrige , und sie mischten sich in die Reihe der walzenden Paare .
Schwaning und Klingsohr sahen zu .
Die Mutter und die Kaufleute freuten sich über Heinrichs Behendigkeit und seine liebliche Tänzerin .
Die Mutter hatte genug mit ihren Jugend Freundinnen zu sprechen , die ihr zu einem so wohlgebildeten und so hoffnungsvollen Sohn Glück wünschten .
Klingsohr sagte zu Schwaning : Euer Enkel hat ein anziehendes Gesicht .
Es zeigt ein klares und umfassendes Gemüt , und seine Stimme kommt tief aus dem Herzen .
Ich hoffe , erwiderte Schwaning , daß er euer gelehriger Schüler sein wird .
Mich dünkt er ist zum Dichter geboren . Euer Geist komme über ihn .
Er sieht seinem Vater ähnlich ; nur scheint er weniger heftig und eigensinnig .
Jener war in seiner Jugend voll glücklicher Anlagen .
Eine gewisse Freisinnigkeit fehlte ihm .
Es hätte mehr aus ihm werden können , als ein fleißiger und fertiger Künstler .
-- Heinrich wünschte den Tanz nie zu endigen .
Mit innigem Wohlgefallen ruhte sein Auge auf den Rosen seiner Tänzerin .
Ihr unschuldiges Auge vermied ihn nicht .
Sie schien der Geist ihres Vaters in der lieblichsten Verkleidung .
Aus ihren großen ruhigen Augen sprach ewige Jugend .
Auf einem lichthimmelblauen Grunde lag der milde Glanz der braunen Sterne .
Stirn und Nase senkten sich zierlich um sie her .
Eine nach der aufgehenden Sonne geneigte Lilie war ihr Gesicht , und von dem schlanken , weißen Halse schlängelten sich blaue Adern in reizenden Windungen um die zarten Wangen .
Ihre Stimme war wie ein fernes Echo , und das braune lockige Köpfchen schien über der leichten Gestalt nur zu schweben .
Die Schüsseln kamen herein und der Tanz war aus .
Die älteren Leute setzten sich auf die Eine Seite , und die jüngern nahmen die Andere ein .
Heinrich blieb bei Mathilde .
Eine junge Verwandte setzte sich zu seiner Linken , und Klingsohr saß ihm gerade gegenüber .
So wenig Mathilde sprach , so gesprächig war Veronika , seine andere Nachbarin .
Sie tat gleich mit ihm vertraut und machte ihn in kurzem mit allen Anwesenden bekannt .
Heinrich verhörte manches .
Er war noch bei seiner Tänzerin , und hätte sich gern öfters rechts gewandt .
Klingsohr machte ihrem Plaudern ein Ende .
Er fragte ihn nach dem Bande mit sonderbaren Figuren , was Heinrich an seinem Leibrocke befestigt hatte .
Heinrich erzählte von der Morgenländerin mit vieler Rührung .
Mathilde weinte , und Heinrich konnte nun seine Tränen kaum verbergen .
Er geriet darüber mit ihr ins Gespräch .
Alle unterhielten sich ; Veronika lachte und scherzte mit ihren Bekannten .
Mathilde erzählte ihm von Ungarn , wo ihr Vater sich oft aufhielt , und von dem Leben in Augsburg .
Alle waren vergnügt .
Die Musik verscheuchte die Zurückhaltung und reizte alle Neigungen zu einem munteren Spiel .
Blumenkörbe dufteten in voller Pracht auf dem Tische , und der Wein schlich zwischen den Schüsseln und Blumen umher , schüttelte seine goldenen Flügel und stellte bunte Tapeten zwischen die Welt und die Gäste .
Heinrich begriff erst jetzt , was ein Fest sei .
Tausend frohe Geister schienen ihm um den Tisch zu gaukeln , und in stiller Sympathie mit den fröhlichen Menschen von ihren Freuden zu leben und mit ihren Genüssen sich zu berauschen .
Der Lebensgenuß stand wie ein klingender Baum voll goldener Früchte vor ihm .
Das Übel ließ sich nicht sehen , und es dünkte ihm unmöglich , daß je die menschliche Neigung von diesem Baume zu der gefährlichen Frucht des Erkenntnisses , zu dem Baume des Krieges sich gewendet haben sollte .
Er verstand nun den Wein und die Speisen .
Sie schmeckten ihm übe aus köstlich .
Ein himmlisches Öl würzte sie ihm , und aus dem Becher funkelte die Herrlichkeit des irdischen Lebens .
Einige Mädchen brachten dem alten Schwaning einen frischen Kranz .
Er setzte ihn auf , küßte sie , und sagte :
Auch unserem Freund Klingsohr müßt ihr einen bringen , wir wollen beide zum Dank euch ein paar neue Lieder lehren .
Das meinige sollt ihr gleich haben .
Er gab der Musik ein Zeichen , und sang mit lauter Stimme :
Sind wir nicht geplagte Wesen ?
Ist nicht unser Los betrübt ?
Nur zu Zwang und Not erlesen In Verstellung nur geübt , Dürfen selbst nicht unsere Klagen Sich aus unserem Busen wagen .
Allem was die Eltern sprechen , Widerspricht das volle Herz .
Die verbotene Frucht zu brechen Fühlen wir der Sehnsucht Schmerz ; Möchten gern die süßen Knaben Fest an unserem Herzen haben .
Wäre dies zu denken Sünde ?
Zollfreie sind Gedanken doch .
Was bleibt einem armen Kinde Außer süßen Träumen noch ?
Will man sie auch gern verbannen , Nimmer ziehen sie von dannen .
Wenn wir auch des Abends beten , Schreckt uns doch die Einsamkeit , Und zu unseren Küssen treten Sehnsucht und Gefälligkeit .
Könnten wir wohl widerstreben Alles , Alles hinzugeben ?
Unsere Reize zu verhüllen Schreibt die strenge Mutter vor .
Ach !
was hilft der gute Willen , Quellen sie nicht selbst empor ?
Bei der Sehnsucht innerem Beben Muß das beste Band sich geben .
Jede Neigung zu verschließen , Hart und kalt zu sein , wie Stein , Schöne Augen nicht zu grüßen , Fleißig und allein zu sein , Keiner Bitte nachzugeben : Heißt das wohl ein Jugendleben ?
Groß sind eines Mädchens Plagen , Ihre Brust ist krank und wund , Und zum Lohn für stille Klagen Küßt sie noch ein welker Mund .
Wird denn nie das Blatt sich wenden , Und das Reich der Alten enden ?
Die alten Leute und die Jünglinge lachten .
Die Mädchen erröteten und lächelten abwärts .
Unter tausend Neckereien wurde ein zweiter Kranz geholt , und Klingsohren aufgesetzt .
Sie baten aber inständigst um keinen so leichtfertigen Gesang .
Nein , sagte Klingsohr , ich werde mich wohl hüten so frevelhaft von euren Geheimnissen zu reden .
Sagt selbst , was ihr für ein Lied haben wollt .
Nur nichts von Liebe , riefen die Mädchen , ein Weinlied , wenn es euch ansteht .
Klingsohr sang :
Auf grünen Bergen wird geboren , Der Gott , der uns den Himmel bringt .
Die Sonne hat ihn sich erkoren , Daß sie mit Flammen ihn durchdringt .
Er wird im Lenz mit Lust empfangen , Der zarte Schoß quellt still empor , Und wenn des Herbstes Früchte prangen Springt auch das goldene Kind hervor .
Sie legen ihn in enge Wiegen In es unterirdische Geschoß .
Er träumt von Festen und von Siegen Und baut sich manches luftige Schloß .
Es nahe keiner seiner Kammer , Wenn er sich ungeduldig drängt , Und jedes Band und jede Klammer Mit jugendlichen Kräften sprengt .
Denn unsichtbare Wächter stellen So lang er träumt sich um ihn her ; Und wer betritt die heiligen Schwellen Den trifft ihr luftumwundener Speer .
So wie die Schwingen sich entfalten , Läßt er die lichten Augen sehen , Läßt ruhig seine Priester schalten Und kommt heraus wenn sie ihm flehn .
Aus seiner Wiege dunklem Schoße , Erscheint er in Kristallgewand ; Verschwiegener Eintracht volle Rose Trägt er bedeutend in der Hand .
Und überall um ihn versammeln Sich seine Jünger hocherfreut ; Und tausend frohe Zungen stammeln , Ihm ihre Liebe und Dankbarkeit .
Er spritzt in ungezählten Strahlen Sein inneres Leben in die Welt , Die Liebe nippt aus seinen Schalen Und bleibt ihm ewig zugesellt .
Er nahm als Geist der goldenen Zeiten Von jeher sich des Dichters an , Der Der immer seine Lieblichkeiten In trunkenen Liedern aufgetan .
Er gab ihm , seine Treue zu ehren , Ein Recht auf jeden hübschen Mund , Und daß es keine darf ihm wehren , Macht Gott durch ihn es allen kund .
Ein schöner Prophet ! riefen die Mädchen .
Schwaning freute sich herzlich .
Sie machten noch einige Einwendungen , aber es half nichts .
Sie mußten ihm die süßen Lippen hinreichen .
Heinrich schämte sich nur vor seiner ernsten Nachbarin , sonst hätte er sich laut über das Vorrecht der Dichter gefreut .
Veronika war unter den Kranzträgerinnen .
Sie kam fröhlich zurück und sagte zu Heinrich :
Nicht wahr , es ist hübsch , wenn man ein Dichter ist ?
Heinrich getraute sich nicht , diese Frage zu benutzen .
Der Übermut der P Freude und der Ernst der ersten Liebe kämpften in seinem Gemüt .
Die reizende Veronika scherzte mit den Anderen , und so gewann er Zeit , den ersten etwas zu dämpfen .
Mathilde erzählte ihm , daß sie die Gitarre spiele .
Ach ! sagte Heinrich , von euch möchte ich sie lernen .
Ich habe mich lange danach gesehnt .
-- Mein Vater hat mich unterrichtet , Er spielt sie unvergleichlich , sagte sie errötend .
-- Ich glaube doch , erwiderte Heinrich , daß ich sie schneller bei euch lerne .
Wie freue ich mich euren Gesang zu hören .
-- Stellt euch nur nicht zu viel vor . --
O ! sagte Heinrich , was sollte ich nicht erwarten können , da eure bloße Rede schon Gesang ist , und eure Gestalt eine himmlische Musik verkündigt .
Mathilde schwieg .
Ihr Vater fing ein Gespräch mit ihm an , in welchem Heinrich mit der lebhaftesten Begeisterung sprach .
Die Nächsten wunderten sich über des Jünglings Beredsamkeit , über die Fülle seiner bildlichen Gedanken .
Mathilde sah ihn mit stiller Aufmerksamkeit an .
Sie schien sich über seine Reden zu freuen , die sein Gesicht mit den sprechendsten Mienen noch mehr erklärte .
Seine Augen glänzten ungewöhnlich .
Er sah sich zuweilen nach Mathilde um , die über den Ausdruck seines Gesichts erstaunte .
Im Feuer des Gesprächs ergriff er unvermerkt ihre Hand , und sie konnte nicht umhin , manches was er sagte , mit einem leisen Druck zu bestätigen .
Klingsohr wußte seinen Enthusiasmus zu unterhalten , und lockte allmählich seine ganze Seele auf die Lippen .
Endlich stand alles auf .
Alles schwärmte durch einander .
Heinrich war an Mathildes Seite geblieben .
Sie standen unbemerkt abwärts .
Er hielt ihre Hand und küßte sie zärtlich .
Sie ließ sie ihm , und blickte ihn mit unbeschreiblicher Freundlichkeit an .
Er konnte sich nicht halten , neigte sich zu ihr und küßte ihre Lippen .
Sie war überrascht , und erwiderte unwillkürlich seinen heißen Kuß .
Gute Mathilde , lieber Heinrich , das war alles , was sie einander sagen konnten .
Sie drückte seine Hand , und ging unter die Anderen .
Heinrich stand , wie im Himmel .
Seine Mutter kam auf ihn zu .
Er ließ seine ganze Zärtlichkeit an ihr aus .
Sie sagte : Ist es nicht gut , daß wir nach Augsburg gereist sind ?
Nicht wahr , es gefällt dir ?
Liebe Mutter , sagte Heinrich , so habe ich mir es doch nicht vorgestellt .
Es ist ganz herrlich .
Der Rest des Abends verging in unendlicher Fröhlichkeit .
Die Alten spielten , plauderten , und sahen den Tänzen zu .
Die Musik wogte wie ein Lustmeer im Saale , und hob die berauschte Jugend .
Heinrich fühlte die entzückenden Weissagungen der ersten Lust und Liebe zugleich .
Auch Mathilde ließ sich willig von den schmeichelnden Wellen tragen , und verbarg ihr zärtliches Zutrauen , ihre aufkeimende Neigung zu ihm nur hinter einem leichten Flor .
Der alte Schwaning bemerkte das kommende Verständnis , und neckte beide .
Klingsohr hatte Heinrich lieb gewonnen , und freute sich seiner Zärtlichkeit .
Die anderen Jünglinge und Mädchen hatten es bald bemerkt .
Sie zogen die ernste Mathilde mit dem jungen Thüringer auf , und verhehlten nicht , daß es ihnen lieb sei , Mathildes Aufmerksamkeit nicht mehr bei ihren Herzensgeschäften scheuen zu dürfen .
Es war tief in der Nacht , als die Gesellschaft auseinanderging .
Das erste und einzige Fest meines Lebens , sagte Heinrich zu sich selbst , als er allein war , und seine Mut ter sich ermüdet zur Ruhe gelegt hatte .
Ist mir nicht zu Mute , wie in jenem Traume , beim Anblick der blauen Blume ?
Welcher sonderbare Zusammenhäng ist zwischen Mathilde und dieser Blume ?
Jenes Gesicht , das aus dem Kelche sich mir entgegenneigte , es war Mathildes himmlisches Gesicht , und nun erinnere ich mich auch , es in jenem Buche gesehen zu haben .
Aber warum hat es dort mein Herz nicht so bewegt ?
O ! sie ist der sichtbare Geist des Gesanges , eine würdige Tochter ihres Vaters .
Sie wird mich in Musik auflösen .
Sie wird meine innerste Seele , die Hüterin meines heiligen Feuers sein .
Welche Ewigkeit von Treue fühle ich in mir !
Ich wurde nur geboren , um sie zu verehren , um ihr ewig zu dienen , um sie zu denken und zu empfinden .
Gehört nicht ein eigenes ungeteiltes Dasein zu ihrer Anschaung und Anbetung ? und bin ich der Glückliche , dessen Wesen das Echo , der Spiegel des ihrigen sein darf ?
Es war kein Zufall , daß ich sie am Ende meiner Reise sah , daß ein seliges Fest den höchsten Augenblick meines Lebens umgab .
Es konnte nicht anders sein ; macht ihre Gegenwart nicht alles festlich ?
Er trat ans Fenster .
Das Chor der Gestirne stand am dunklen Himmel , und im Morgen kündigte ein weißer Schein den kommenden Tag an .
Mit vollem Entzücken rief Heinrich aus : Euch , ihr ewigen Gestirne , ihr stillen Wanderer , euch rufe ich zu Zeugen meines heiligen Schwurs an .
Für Mathilde will ich leben , und ewige Treue soll mein Herz an das ihrige knüpfen .
Auch mir bricht der Morgen eines ewigen Tages an .
Die Nacht ist vorüber .
Ich zünde der aufgehenden Sonne mich selbst zum nieverglühenden Opfer an .
Heinrich war erhitzt , und nur spät gegen Morgen schlief er ein .
In wunderliche Träume flossen die Gedanken seiner Seele zusammen .
Ein tiefer blauer Strom schimmerte aus der grünen Ebene herauf .
Auf der glatten Fläche schwamm ein Kahn .
Mathilde saß und ruderte .
Sie war mit Kränzen geschmückt , sang ein einfaches Lied , und sah nach ihm mit süßer Wehmut herüber .
Seine Brust war beklommen .
Er wußte nicht warum .
Der Himmel war heiter , die Flut ruhig .
Ihr himmlisches Gesicht spiegelte sich in den Wellen .
Auf einmal fing der Kahn an sich umzudrehen .
Er rief ihr ängstlich zu .
Sie lächelte und legte das Ruder in den Kahn , der sich immerwährend drehte .
Eine ungeheure Bangigkeit ergriff ihn .
Er stürzte sich in den Strom ; aber er konnte nicht fort , das Wasser trug ihn .
Sie winkte , sie _ chien ihm etwas sagen zu wollen , der Kahn schöpfte schon Wasser ; doch lächelte sie mit einer unsäglichen Innigkeit , und sah heiter in den Wirbel hinein .
Auf einmal zog es sie hinunter .
Eine leise Luft strich über den Strom , der eben so ruhig und glänzend floß , wie vorher .
Die entsetzliche Angst raubte ihm das Bewußtsein .
Das Herz schlug nicht mehr .
Er kam erst zu sich , als er sich auf trockenem Boden fühlte .
Er mochte weit geschwommen sein .
Es war eine fremde Gegend .
Er wußte nicht wie ihm geschehen war .
Sein Gemüt war verschwunden .
Gedankenlos ging er tiefer ins Land .
Entsetzlich matt fühlte er sich .
Eine kleine Quelle kam aus einem Hügel , sie tönte wie lauter Glocken .
Mit der Hand schöpfte er einige Tropfen und netzte seine dürren Lippen .
Wie ein banger Traum lag die schreckliche Begebenheit hinter ihm .
Immer weiter und weiter ging er , Blumen und Bäume redeten redeten ihn an .
Ihm wurde so wohl und heimatlich zu Sinne .
Da hörte er jenes einfache Lied wieder .
Er lief den Tönen nach .
Auf einmal hielt ihn jemand am Gewande zurück .
Lieber Heinrich , rief eine bekannte Stimme .
Er sah sich um , und Mathilde schloß ihn in ihre Arme .
Warum liefst du vor mir , liebes Herz , sagte sie tiefatmend .
Kaum konnte ich dich einholen .
Heinrich weinte .
Er drückte sie an sich .
-- Wo ist der Strom , rief er mit Tränen .
Siehst du nicht seine blauen Wellen über uns ?
Er sah hinauf , und der blaue Strom floß leise über ihrem Haupte .
Wo sind wir , liebe Mathilde ?
Bei unseren Eltern .
Bleiben wir zusammen ?
Ewig , versetzte sie , indem sie ihre Lippen an die seinigen drückte , und ihn so umschloß , daß sie nicht wieder von ihm konnte .
Sie sagte ihm ein wunderbares geheimes Wort in den Mund , was sein ganzes Wesen durchklang .
Er wollte es wiederholen , als sein Großvater rief , und er aufwachte .
Er hätte sein Leben darum geben mögen , das Wort noch zu wissen .
Siebentes Kapitel .
Klingsohr stand vor seinem Bette , und bot ihm freundlich guten Morgen .
Er wurde munter und fiel Klingsohr um den Hals .
Das gilt euch nicht , sagte Schwaning .
Heinrich lächelte und verbarg sein Erröten an den Wangen seiner Mutter .
Habt ihr Lust mit mir vor der Stadt auf einer schönen Anhöhe zu frühstücken ? sagte Klingsohr .
Der herrliche Morgen wird euch erfrischen .
Kleidet euch an .
Mathilde wartet schon auf uns .
Heinrich dankte mit tausend Freuden für diese willkommene Einladung .
In einem Augenblick war er fertig , und küßte Klingsohr mit vieler Inbrunst die Hand .
Sie gingen zu Mathilde , die in ihrem einfachen Morgenkleide wunderlieblich aussah und ihn freundlich grüßte .
Sie hatte schon das Frühstück in ein Körbchen gepackt , das sie an den Einen Arm hing , und die andere Hand unbefangen Heinrich reichte .
Klingsohr folgte ihnen , und so wandelten sie durch die Stadt , die schon voller Lebendigkeit war , nach einem kleinen Hügel am Flusse , wo sich unter einigen hohen Bäumen eine weite und volle Aussicht öffnete . Habe ich doch schon oft , rief Heinrich aus , mich an dem Aufgang der bunten Natur , an der friedlichen Nachbarschaft ihres mannigfaltigen Eigentums ergötzt ; aber eine so schöpferische und gediegene Heiterkeit hat mich noch nie erfüllt wie heute .
Jene Fernen sind mir so nah , und die reiche Landschaft ist mir wie eine innere Fantasie .
Wie veränderlich ist die Natur , so unwandelbar auch ihre Oberfläche zu sein scheint .
Wie anders ist sie , wenn ein Engel , wenn ein kräftigerer Geist neben uns ist , als wenn ein Notleidender vor uns klagt , oder ein Bauer uns erzählt , wie ungünstig die Witterung ihm sei , und wie nötig er düstre Regentage für seine Saat brauche .
Euch , teuerster Meister , bin ich dieses Vergnügen schuldig ; ja dieses Vergnügen , denn es gibt kein anderes Wort , was wahrhafter den Zustand meines Herzens ausdrückte .
Freude , Lust und Entzücken sind nur die Glieder des Vergnügens , das sie zu einem höheren Leben verknüpft .
Er drückte Mathildes Hand an sein Herz , und versank mit einem feurigen Blick in ihr mildes , empfängliches Auge .
Die Natur , versetzte Klingsohr , ist für unser Gemüt , was ein Körper für das Licht ist .
Er hält es zurück ; er bricht es in eigentümliche Farben ; er zündet auf seiner Oberfläche oder in seinem Inneren ein Licht an , das , wenn es seiner Dunkelheit gleich kommt , ihn klar und durchsichtig macht , wenn es sie überwiegt , von ihm ausgeht , um andere Körper zu erleuchten .
Aber selbst der dunkelste Körper kann durch Wasser , Feuer , und Luft dahin gebracht werden , daß er hell und glänzend wird .
Ich verstehe euch , lieber Meister .
Die Menschen sind Kristalle für unser Gemüt .
Sie sind die durchsichtige Natur .
Liebe Mathilde , ich möchte euch einen köstlichen lauteren Saphir nennen .
Ihr seid klar und durchsichtig wie der Himmel , ihr erleuchtet mit dem mildesten Lichte .
Aber sagt mir , lieber Meister , ob ich recht habe : mich dünkt , daß man gerade wenn man am innigsten mit der Natur vertraut ist am wenigsten von ihr sagen könnte und möchte .
Wie man das nimmt , versetzte Klingsohr ; ein anderes ist es mit der Natur für unseren Genuß und unser Gemüt , ein anderes mit der Natur für unseren Verstand , für das leitende Vermögen unserer Weltkräfte .
Man muß sich wohl hüten , nicht eins über das andere zu vergessen .
Es gibt viele , die nur die Eine Seite kennen und die andere geringschätzen .
Aber beide kann man vereinigen , und man wird sich wohl dabei befinden .
Schade , daß so wenige darauf denken , sich in ihrem Inneren frei und geschickt bewegen zu können , und durch eine gehörige Trennung sich den zweckmäßigsten und natürlichsten Gebrauch ihrer Gemütskräfte zu sicheren .
Gewöhnlich hindert eine die andere , und so entsteht allmählich eine unbehilfliche Trägheit , daß wenn nun solche Menschen einmal mit gesamten Kräften aufstehen wollen , eine gewaltige Verwirrung und Streit beginnt , und alles über einander ungeschickt herstolpert .
Ich kann euch nicht genug anrühmen , euren Ver- stand , stand , euren natürlichen Trieb zu wissen , wie alles sich begibt und untereinander nach Gesetzen der Folge zusammenhängt , mit Fleiß und Mühe zu unterstützen .
Nichts ist dem Dichter unentbehrlicher , als Einsicht in die Natur jedes Geschäfts , Bekanntschaft mit den Mitteln jeden Zweck zu erreichen , und Gegenwart des Geistes , nach Zeit und Umständen , die schicklichsten zu wählen .
Begeisterung ohne Verstand ist unnütz und gefährlich , und der Dichter wird wenig Wunder tun können , wenn er selbst über Wunder erstaunt .
Ist aber dem Dichter nicht ein inniger Glaube an die menschliche Regierung des Schicksals unentbehrlich ?
Unentbehrlich allerdings , weil er sich das Schicksal nicht anders vorstellen kann , wenn er reiflich darüber nachdenkt ; aber wie entfernt ist diese heitere Gewißheit , von jener Q ängstlichen Ungewißheit , von jener blinden Furcht des Aberglaubens .
Und so ist auch die kühle , belebende Wärme eines dichterischen Gemüts gerade das Widerspiel von jener wilden Hitze eines kränklichen Herzens .
Diese ist arm , betäubend und vorübergehend ; jene sondert alle Gestalten rein ab , begünstigt die Ausbildung der mannigfaltigsten Verhältnisse , und ist ewig durch sich selbst .
Der junge Dichter kann nicht kühl , nicht besonnen genug sein .
Zur wahren , melodischen Gesprächigkeit gehört ein weiter , aufmerksamer und ruhiger Sinn .
Es wird ein verworrenes Geschwätz , wenn ein reißender Sturm in der Brust tobt , und die Aufmerksamkeit in eine zitternde Gedankenlosigkeit auflöst .
Nochmals wiederhole ich , das echte Gemüt ist wie das Licht , eben so ruhig und empfindlich , eben so elastisch und durchdringlich , eben so mächtig und eben so unmerklich wirksam als dieses köstliche Element , das auf alle Gegenstände sich mit seiner Abgemessenheit verteilt , und sie alle in reizender Mannigfaltigkeit erscheinen läßt .
Der Dichter ist reiner Stahl , eben so empfindlich , wie ein zerbrechlicher Glasfaden , und eben so hart , wie ein ungeschmeidiger Kiesel .
Ich habe das schon zuweilen gefühlt , sagte Heinrich , daß ich in den innigsten Minuten weniger lebendig war , als zu anderen Zeiten , wo ich frei umhergehn und alle Beschäftigungen mit Lust treiben konnte .
Ein geistiges scharfes Wesen durchdrang mich dann , und ich durfte jeden Sinn nach Gefallen brauchen , jeden Gedanken , wie einen wirklichen Körper , umwenden und von allen Seiten betrachten .
Ich stand mit stillem Anteil an der Werkstatt meines Vaters , und freute mich , wenn ich ihm helfen und etwas geschickt zu Stande bringen konnte .
Geschick lichkeit hat einen ganz besonderen stärkenden Reiz , und es ist wahr , ihr Bewußtsein verschafft einen dauerhafteren und deutlicheren Genuß , als jenes überfließende Gefühl einer unbegreiflichen , überschwänglichen Herrlichkeit .
Glaubt nicht , sagte Klingsohr , daß ich das letztere tadle ; aber es muß von selbst kommen , und nicht gesucht werden .
Seine sparsame Erscheinung ist wohltätig ; öfterer wird sie ermüdend und schwächend .
Man kann nicht schnell genug sich aus der süßen Betäubung reißen , die es hinterläßt , und zu einer regelmäßigen und mühsamen Beschäftigung zurückkehren .
Es ist wie mit den anmutigen Morgenträumen , aus deren einschläferndem Wirbel man nur mit Gewalt sich herausziehen kann , wenn man nicht in immer drückendere Müdigkeit geraten , und so in krankhafter Erschöpfung nachher den ganzen Tag hinschleppen will .
Die Poesie will vorzüglich , fuhr Klingsohr fort , als strenge Kunst getrieben werden .
Als bloßer Genuß hört sie auf Poesie zu sein .
Ein Dichter muß nicht den ganzen Tag müßig umherlaufen , und auf Bilder und Gefühle Jagd machen .
Das ist ganz der verkehrte Weg .
Ein reines offenes Gemüt , Gewandtheit im Nachdenken und Betrachten , und Geschicklichkeit alle seine Fähigkeiten in eine gegenseitig belebende Tätigkeit zu versetzen und darin zu erhalten , das sind die Erfordernisse unserer Kunst .
Wenn ihr euch mir überlassen wollt , so soll kein Tag euch vergehen , wo ihr nicht eure Kenntnisse bereichert , und einige nützliche Einsichten erlangt habt .
Die Stadt ist reich an Künstlern aller Art .
Es gibt einige erfahrene Staatsmänner , einige gebildete Kaufleute hier .
Man kann ohne große Umstände mit allen Ständen , mit allen Gewerben , mit allen Verhält Nissen und Erfordernissen der menschlichen Gesellschaft sich bekannt machen .
Ich will euch mit Freuden in dem Handwerksmäßigen unserer Kunst unterrichten , und die merkwürdigsten Schriften mit euch lesen .
Ihr könnt Mathildes Lehrstunden teilen , und sie wird euch gern die Gitarre spielen lehren .
Jede Beschäftigung wird die übrigen vorbereiten , und wenn ihr so euren Tag gut angelegt habt , so werden euch das Gespräch und die Freuden des gesellschaftlichen Abends , und die Ansichten der schönen Landschaft umher mit den heitersten Genüssen immer wieder überraschen .
Welches herrliche Leben schließt ihr mir auf , liebster Meister .
Unter eurer Leitung werde ich erst merken , welches edle Ziel vor mir steht , und wie ich es nur durch euren Rat zu erreichen hoffen darf .
Klingsohr umarmte ihn zärtlich .
Ma Tilde brachte ihnen das Frühstück , und Heinrich fragte sie mit zärtlicher Stimme , ob sie ihn gern zum Begleiter ihres Unterrichts und zum Schüler annehmen wollte .
Ich werde wohl ewig euer Schüler bleiben , sagte er , indem sich Klingsohr nach einer anderen Seite wandte .
Sie neigte sich unmerklich zu ihm hin .
Er umschlang sie und küßte den weichen Mund des errötenden Mädchens .
Nur sanft bog sie sich von ihm weg , doch reichte sie ihm mit der kindlichsten Anmut eine Rose , die sie am Busen trug .
Sie machte sich mit ihrem Körbchen zu tun .
Heinrich sah ihr mit stillem Entzücken nach , küßte die Rose , heftete sie an seine Brust , und ging an Klingsohrs Seite , der nach der Stadt hinüber sah .
Wo seid ihr hereingekommen , fragte Klingsohr .
Über jenen Hügel herunter , erwiderte Heinrich .
In jene Ferne verliert sich unser Weg .
-- Ihr müßt schöne Gegenden gesehen haben . --
Fast ununterbrochen sind wir durch reizende Landschaften gereist . --
Auch eure Vaterstadt hat wohl eine anmutige Lage ? --
Die Gegend ist abwechselnd genug ; doch ist sie noch wild , und ein großer Fluß fehlt ihr .
Die Ströme sind die Augen einer Landschaft .
-- Die Erzählung eurer Reise , sagte Klingsohr , hat mir gestern Abend eine angenehme Unterhaltung gewährt .
Ich habe wohl gemerkt , daß der Geist der Dichtkunst euer freundlicher Begleiter ist .
Eure Gefährten sind unbemerkt seine Stimmen geworden .
In der Nähe des Dichters bricht die Poesie überall aus .
Das Land der Poesie , das romantische Morgenland , hat euch mit seiner süßen Wehmut begrüßt ; der Krieg hat euch in seiner wilden Herrlichkeit angeredet , und die Natur und Geschichte sind euch unter der Gestalt eines Bergmanns und eines Einsiedlers begegnet .
Ihr vergeßt das Beste , lieber Meister , die himmlische Erscheinung der Liebe .
Es hängt nur von euch ab , diese Erscheinung mir auf ewig festzuhalten .
Was meinst du , rief Klingsohr , indem er sich zu Mathilde wandte , die eben auf ihn zukam .
Hast du Lust Heinrichs unzertrennliche Gefährtin zu sein ?
Wo du bleibst , bleibe ich auch .
Mathilde erschrak , sie flog in die Arme ihres Vaters .
Heinrich zitterte in unendlicher Freude .
Wird er mich denn ewig geleiten wollen ? lieber Vater .
Frage ihn selbst , sagte Klingsohr gerührt .
Sie sah Heinrich mit der innigsten Zärtlichkeit an .
Meine Ewigkeit ist ja dein Werk , rief Heinrich , indem ihm die Tränen über die blühenden Wangen stürzten .
Sie umschlangen sich zugleich .
Klingsohr faßte sie in seine Ar me .
Meine Kinder , rief er , seid einander treu bis in den Tod !
Liebe und Treue werden euer Leben zur ewigen Poesie machen .
Achtes Kapitel .
Nachmittags führte Klingsohr seinen neuen Sohn , an dessen Glück seine Mutter und Großvater den zärtlichsten Anteil nahmen , und Mathilde wie seinen Schutzgeist verehrten , in seine Stube , und machte ihn mit den Büchern bekannt .
Sie sprachen nachher von Poesie .
Ich weiß nicht , sagte Klingsohr , warum man es für Poesie nach gemeiner Weise hält , wenn man die Natur für einen Poeten ausgibt .
Sie ist es nicht zu allen Zeiten .
Es ist in ihr , wie in dem Menschen , ein entgegengesetztes Wesen , die dumpfe Begierde und die stumpfe Gefühllosigkeit und Trägheit , die einen rastlosen Streit mit der Poesie führen .
Er wäre ein schöner Stoff zu einem Gedicht , dieser gewaltige Kampf .
Manche Länder und Zeiten scheinen , wie die meisten Menschen , ganz unter der Botmäßigkeit dieser Feindin der Poesie zu stehen , dagegen in anderen die Poesie einheimisch und überall sichtbar ist .
Für den Geschichtsschreiber sind die Zeiten dieses Kampfes äußerst merkwürdig , ihre Darstellung ein reizendes und belohnendes Geschäft .
Es sind gewöhnlich die Geburtszeiten der Dichter .
Der Widersacherin ist nichts unangenehmer , als daß sie der Poesie gegenüber selbst zu einer poetischen Person wird , und nicht selten in der Hitze die Waffen mit ihr tauscht , und von ihrem eigenen heimtückischen Geschosse heftig getroffen wird , dahingegen die Wunden der Poesie , die sie von ihren eigenen Waffen erhält , leicht heilen und sie nur noch reizender und gewaltiger machen .
Der Krieg überhaupt , sagte Heinrich , scheint mir eine poetische Wirkung .
Die Leute glauben sich für irgend einen armseligen Besitz schlagen zu müssen , und merken nicht , daß sie der romantische Geist aufregt , um die unnützen Schlechtigkeiten durch sich selbst zu vernichten .
Sie führen die Waffen für die Sache der Poesie , und beide Heere folgen Einer unsichtbaren Fahne .
Im Kriege , versetzte Klingsohr , regt sich das Urgewässer .
Neue Weltteile sollen entstehen , neue Geschlechter sollen aus der großen Auflösung anschießen .
Der wahre Krieg ist der Religionskrieg ; der geht gerade zu auf Untergang , und der Wahnsinn der Menschen erscheint in seiner völligen Gestalt .
Viele Kriege , besonders die vom Nationalhaß entspringen , gehören in diese Klasse mit , und sie sind echte Dichtungen .
Hier sind die wahren Helden zu Hause , die das edelste Gegenbild der Dichter , nichts anders , als unwillkürlich von Poesie durchdrungene Weltkräfte sind .
Ein Dichter , der zugleich Held wäre , ist schon ein göttlicher Gesandter , aber seiner Darstellung ist unsere Poesie nicht gewachsen .
Wie versteht ihr das , lieber Vater , sagte Heinrich .
Kann ein Gegenstand zu überschwenglich für die Poesie sein ?
Allerdings .
Nur kann man im Grunde nicht sagen , für die Poesie , sondern nur für unsere irdischen Mittel und Werkzeuge .
Wenn es schon für einen einzelnen Dichter nur ein eigentümliches Gebiet gibt , innerhalb dessen er bleiben muß , um nicht alle Haltung und den Atem zu verlieren :
so gibt es auch für die ganze Summe menschlicher Kräfte eine bestimmte Grenze der Darstellbarkeit , über welche hinaus die Darstellung die nötige Dichtigkeit und Gestaltung nicht behalten kann , und in ein leeres toi schände Unding sich verliert .
Besonders als Lehrling kann man nicht genug sich vor diesen Ausschweifungen hüten , da eine lebhafte Fantasie nur gar zu gern nach den Grenzen sich begibt , und übermütig das Unsinnliche , Übermäßige zu ergreifen und auszusprechen sucht .
Reifere Erfahrung lehrt erst , jene Unverhältnismäßigkeit der Gegenstände zu vermeiden , und die Aufspürung des Einfachsten und Höchsten der Weltweisheit zu überlassen .
Der ältere Dichter steigt nicht höher , als er es gerade nötig hat , um seinen mannigfaltigen Vorrat in eine leichtfaßliche Ordnung zu stellen , und hütet sich wohl , die Mannigfaltigkeit zu verlassen , die ihm Stoff genug und auch die nötigen Vergleichungspunkte darbietet .
Ich möchte fast sagen , das Chaos muß in jeder Dichtung durch den regelmäßigen Flor der Ordnung schimmern .
Den Reichtum der Erfindung macht nur eine leichte Zusammenstellung faßlich und anmutig , dagegen auch das bloße Ebenmaß die unangenehme Dürre einer Zahlenfigur hat .
Die beste Poesie liegt uns ganz nahe , und ein gewöhnlicher Gegenstand ist nicht selten ihr liebster Stoff .
Für den Dichter ist die Poesie an beschränkte Werkzeuge gebunden , und eben dadurch wird sie zur Kunst .
Die Sprache überhaupt hat ihren bestimmten Kreis .
Noch enger ist der Umfang einer besonderen Volkssprache .
Durch Übung und Nachdenken lernt der Dichter seine Sprache kennen .
Er weiß , was er mit ihr leisten kann , genau , und wird keinen törichten Versuch machen , sie über ihre Kräfte anzuspannen .
Nur selten wird er alle ihre Kräfte in Einen Punkt zusammen drängen , denn sonst wird er ermüdend , und vernichtet selbst die kostbare Wirkung einer gutangebrachten Kraftäußerung .
Auf seltsame Sprünge rich tet tet sie nur ein Gaukler , kein Dichter ab .
Überhaupt können die Dichter nicht genug von den Musikern und Malern lernen .
In diesen Künsten wird es recht auffallend , wie nötig es ist , wirtschaftlich mit den Hilfsmitteln der Kunst umzugehen , und wie viel auf geschickte Verhältnisse ankommt .
Dagegen könnten freilich jene Künstler auch von uns die poetische Unabhängigkeit und den inneren Geist jeder Dichtung und Erfindung , jedes echten Kunstwerks überhaupt , dankbar annehmen .
Sie sollten poetischer und wir musikalischer und malerischer sein -- beides nach der Art und Weise unserer Kunst .
Der Stoff ist nicht der Zweck der Kunst , aber die Ausführung ist es .
Du wirst selbst sehen , welche Gesänge dir am besten geraten , gewiß die , deren Gegenstände dir am geläufigsten und gegenwärtigsten sind .
Daher kann man sagen , daß die Poesie ganz R auf Erfahrung beruht .
Ich weiß selbst , daß mir in jungen Jahren ein Gegenstand nicht leicht zu entfernt und zu unbekannt sein konnte , den ich nicht am liebsten besungen hätte .
Was wurde es ?
ein leeres , armseliges Wortgeräusch , ohne einen Funken wahrer Poesie .
Daher ist auch ein Märchen eine sehr schwierige Aufgabe , und selten wird ein junger Dichter sie gut lösen .
Ich möchte gern eins von Dir hören , sagte Heinrich .
Die wenigen , die ich gehört habe , haben mich unbeschreiblich ergötzt , so unbedeutend sie auch sein mochten .
Ich will heute Abend deinen Wunsch befriedigen .
Es ist mir Eins erinnerlich , was ich noch in ziemlich jungen Jahren machte , wovon es auch noch deutliche Spuren an sich trägt , indes wird es dich vielleicht desto lehrreicher unterhalten , und dich an manches erinnern , was ich dir gesagt habe .
Die Sprache , sagte Heinrich , ist wirklich eine kleine Welt in Zeichen und Tönen .
Wie der Mensch sie beherrscht , so möchte er gern die große Welt beherrschen , und sich frei darin ausdrücken können .
Und eben in dieser Freude , das , was außer der Welt ist , in ihr zu offenbaren , das tun zu können , was eigentlich der ursprüngliche Trieb unseres Daseins ist , liegt der Ursprung der Poesie .
Es ist recht übel , sagte Klingsohr , daß die Poesie einen besonderen Namen hat , und die Dichter eine besondere Zunft ausmachen .
Es ist gar nichts besonderes .
Es ist die eigentümliche Handlungsweise des menschlichen Geistes .
Dichtet und trachtet nicht jeder Mensch in jeder Minute ? --
Eben trat Mathilde ins Zimmer , als Klingsohr noch sagte :
Man betrachte nur die Liebe .
Nirgends wird wohl die Notwendigkeit der Poesie zum Bestand der Menschheit so klar , als in ihr .
Die Liebe ist stumm , nur die Poesie kann für sie sprechen .
Oder die Liebe ist selbst nichts , als die höchste Naturpoesie .
Doch ich will dir nicht Dinge sagen , die du besser weißt , als ich .
Du bist ja der Vater der Liebe , sagte Heinrich , indem er Mathilde umschlang , und beide seine Hand küßten .
Klingsohr umarmte sie und ging hinaus .
Liebe Mathilde , sagte Heinrich nach einem langen Kusse , es ist mir wie ein Traum , daß du mein bist , aber noch wunderbarer ist mir es , daß du es nicht immer gewesen bist .
Mich dünkt , sagte Mathilde , ich kennte dich seit undenklichen Zeiten .
-- Kannst du mich denn lieben ? --
Ich weiß nicht , was Liebe ist , aber das kann ich dir sagen , daß mir ist , als finge ich erst jetzt zu leben an , und daß ich dir so gut bin , daß ich gleich für dich sterben wollte . --
Meine Mathilde , erst jetzt fühle ich , was es heißt unsterblich zu sein . --
Lieber Heinrich , wie unendlich gut bist du , welcher herrliche Geist spricht aus dir .
Ich bin ein armes , unbedeutendes Mädchen .
-- Wie du mich tief beschämst ! bin ich doch nur durch dich , was ich bin .
Ohne dich wäre ich nichts .
Was ist ein Geist ohne Himmel , und du bist der Himmel , der mich trägt und erhält .
-- Welches selige Geschöpf wäre ich , wenn du so treu wärst , wie mein Vater .
Meine Mutter starb kurz nach meiner Geburt ; Mein Vater weint fast alle Tage noch um sie . --
Ich verdiene es nicht , aber möchte ich glücklicher sein , als er . --
Ich lebte gern recht lange an deiner Seite , lieber Heinrich .
Ich werde durch dich gewiß viel besser . --
Ach !
Mathilde , auch der Tod wird uns nicht trennen . --
Nein Heinrich , wo ich bin , wirst du sein . --
Ja wo du bist , Mathilde , werde ich ewig sein . --
Ich begreife nichts von der Ewigkeit , aber ich dächte , das müßte die Ewigkeit sein , was ich empfinde , wenn ich an dich denke . --
Ja Mathilde , wir sind ewig weil wir uns lieben .
-- Du glaubst nicht Lieber , wie inbrünstig ich heute früh , wie wir nach Hause kamen , vor dem Bilde der himmlischen Mutter niederkniete , wie unsäglich ich zu ihr gebetet habe .
Ich glaubte in Tränen zu zerfließen .
Es kam mir vor , als lächelte sie mir zu .
Nun weiß ich erst was Dankbarkeit ist . --
O Geliebte , der Himmel hat dich mir zur Verehrung gegeben .
Ich bete dich an .
Du bist die Heilige , die meine Wünsche zu Gott bringt , durch die er sich mir offenbart , durch die er mir die Fülle seiner Liebe kund tut .
Was ist die Religion , als ein unendliches Einverständnis , eine ewige Vereinigung liebender Herzen ?
Wo zwei versammelt sind , ist er ja unter ihnen .
Ich habe ewig an dir zu atmen ; meine Brust wird nie aufhören dich in sich zu ziehen .
Du bist die göttliche Herrlichkeit , das ewige Leben in der lieblichsten Hülle . --
Ach !
Heinrich , du weißt das Schicksal der Rosen ; wirst du auch die welken Lippen , die bleichen Wangen mit Zärtlichkeit an deine Lippen drücken ?
Werden die Spuren des Alters nicht die Spuren der vorübergegangenen Liebe sein ? --
O ! könntest du durch meine Augen in mein Gemüt sehen ! aber du liebst mich und so glaubst du mir auch .
Ich begreife das nicht , was man von der Vergänglichkeit der Reize sagt .
O ! sie sind unverwelklich .
Was mich so unzertrennlich zu dir zieht , was ein ewiges Verlangen in mir geweckt hat , das ist nicht aus dieser Zeit .
Könntest du nur sehen , wie du mir erscheinst , welches wunderbare Bild deine Gestalt durchdringt und mir überall entgegen leuchtet , du würdest kein Alter fürchten .
Deine irdische Gestalt ist nur ein Schatten dieses Bildes .
Die irdischen Kräfte ringen und quellen um es festzuhalten , aber die Natur ist noch unreif ; das Bild ist ein ewiges Urbild , ein Teil der unbekannten heiligen Welt . --
Ich verstehe dich , lieber Heinrich , denn ich sehe etwas Ähnliches , wenn ich dich anschaue . --
Ja Mathilde , die höhere Welt ist uns näher , als wir gewöhnlich denken .
Schon hier leben wir in ihr , und wir erblicken sie auf das Innigste mit der irdischen Natur verwebt .
-- Du wirst mir noch viel herrliche Sachen offenbaren , Geliebtester . --
O !
Mathilde , von dir allein kommt mir die Gabe der Weissagung .
Alles ist ja dein , was ich habe ; deine Liebe wird mich in die Heiligtümer des Lebens , in das Allerheiligste des Gemüts führen ; du wirst mich zu den höchsten Anschauungen begeistern .
Wer weiß , ob unsere Liebe nicht dereinst noch zu Flammensittichen wird , die uns aufheben , und uns in unsere himmlische Heimat tragen , ehe das Alter und der Tod uns erreichen .
Ist es nicht schon ein Wunder , daß du mein bist , daß ich dich in meinen Armen halte , daß du mich liebst und ewig mein sein willst ? --
Auch mir ist jetzt alles glaublich , und ich fühle ja so deutlich eine stille Flamme in mir lodern ; wer weiß ob sie uns nicht verklärt , und die irdischen Banden allmählich auflöst .
Sage mir nur , Heinrich , ob du auch schon das grenzenlose Vertrauen zu mir hast , was ich zu dir habe .
Noch nie habe ich so etwas gefühlt , selbst nicht gegen meinen Vater , den ich doch so unendlich liebe . --
Liebe Mathilde , es peinigt mich ordentlich , daß ich dir nicht alles auf einmal sagen , daß ich dir nicht gleich mein ganzes Herz auf einmal hingeben kann .
Es ist auch zum erstenmal in meinem Leben , daß ich ganz offen bin .
Keinen Gedanken , keine Empfindung kann ich vor dir mehr geheim haben ; du mußt alles wissen .
Mein ganzes Wesen soll sich mit dem deinigen vermischen .
Nur die grenzenloseste Hingebung kann meiner Liebe genügen .
In ihr besteht sie ja .
Sie ist ja ein geheimnisvolles Zusammenfließen unseres geheimsten und eigentümlichsten Daseins .
-- Heinrich , so können sich noch nie zwei Menschen geliebt haben . --
Ich kann_es nicht glauben .
Es gab ja noch keine Mathilde . --
Auch keinen Heinrich . --
Ach ! schwöre es mir noch einmal , daß du ewig mein bist ; die Liebe ist eine endlose Wiederholung . --
Ja , Heinrich , ich schwöre ewig dein zu sein , bei der unsichtbaren Gegenwart meiner guten Mutter .
-- Ich schwöre ewig dein zu sein , Mathilde , so wahr die Liebe die Gegenwart Gottes bei uns ist .
Eine lange Umarmung , unzählige Küsse besiegelten den ewigen Bund des seligen Paars .
Neuntes Kapitel .
Abends waren einige Gäste da ; der Großvater trank die Gesundheit des jungen Brautpaars , und versprach bald ein schönes Hochzeitsfest auszurichten .
Was hilft das lange Zaudern , sagte der Alte .
Frühe Hochzeiten , lange Liebe .
Ich habe immer gesehen , daß Ehen , die früh geschlossen wurden , am glücklichsten waren .
In späteren Jahren ist gar keine solche Andacht mehr im Ehestande , als in der Jugend .
Eine gemeinschaftlich genoßene Jugend ist ein unzerreißliches Band .
Die Erinnerung ist der sicherste Grund der Liebe .
Nach Tische kamen mehrere .
Heinrich bat seinen neuen Vater um die Erfüllung seines Versprechens .
Klingsohr sagte zu der Gesellschaft :
Ich habe heute Heinri chen versprochen ein Märchen zu erzählen , wenn ihr es zufrieden seid , so bin ich bereit .
Das ist ein kluger Einfall von Heinrich , sagte Schwaning .
Ihr habt lange nichts von euch hören lassen .
Alle setzten sich um das lodernde Feuer im Kamin .
Heinrich saß dicht bei Mathilde , und schlang seinen Arm um sie .
Klingsohr begann :
Die lange Nacht war eben angegangen .
Der alte Held schlug an seinen Schild , daß es weit umher in den öden Gassen der Stadt erklang .
Er wiederholte das Zeichen dreimal .
Da fingen die hohen bunten Fenster des Palastes an von innen heraus helle zu werden , und ihre Figuren bewegten sich .
Sie bewegten sich lebhafter , je stärker das rötliche Licht wurde , das die Gassen zu erleuchten begann .
Auch sah man allmählich die gewaltigen Säulen und Mauern selbst sich erhellen ; Endlich standen sie im reinsten , milchblauen Schimmer , und spielten mit den sanftesten Farben .
Die ganze Gegend wurde nun sichtbar , und der Widerschein der Figuren , das Getümmel der Spieße , der Schwerter , der Schilder , und der Helme , die sich nach hier und da erscheinenden Kronen , von allen Seiten neigten , und endlich wie diese verschwanden , und einem schlichten , grünen Kranze Platz machten , um diesen her einen weiten Kreis schlossen : alles dies spiegelte sich in dem starren Meere , das den Berg umgab , auf dem die Stadt lag , und auch der ferne hohe Berggürtel , der sich rund um das Meer herzog , wurde bis in die Mitte mit einem milden Abglanz überzogen .
Man konnte nichts deutlich unterscheiden ; doch hörte man ein wunderliches Getöse herüber , wie aus einer fernen ungeheuren Werkstatt .
Die Stadt erschien dagegen hell und klar .
Ihre glatten , durchsichtigen Mauern warfen die schönen Strahlen zurück , und das vortreffliche Ebenmaß , der edle Stil aller Gebäude , und ihre schöne Zusammenordnung kam zum Vorschein .
Vor allen Fenstern standen zierliche Gefäße von Ton , voll der mannigfaltigsten Eis- und Schneeblumen , die auf das anmutigste funkelten .
Am herrlichsten nahm sich auf dem großen Platze vor dem Palaste der Garten aus , der aus Metallbäumen und Kristallpflanzen bestand , und mit bunten Edelsteinblüten und Früchten übersäet war .
Die Mannigfaltigkeit und Zierlichkeit der Gestalten , und die Lebhaftigkeit der Lichter und Farben gewährten das herrlichste Schauspiel , dessen Pracht durch einen hohen Springquell in der Mitte des Gartens , der zu Eis erstarrt war , vollendet wurde .
Der alte Held ging vor den Toren des Palastes langsam vorüber .
Eine Stimme rief seinen Namen im Inneren .
Er lehnte sich an das Tor , das mit einem sanften Klange sich öffnete , und trat in den Saal .
Seinen Schild hielt er vor die Augen .
Hast du noch nichts entdeckt ? sagte die schöne Tochter Arkturs , mit klagender Stimme .
Sie lag an seidenen Polstern auf einem Throne , der von einem großen Schwefelkristall künstlich erbaut war , und einige Mädchen rieben emsig ihre zarten Glieder , die wie aus Milch und Purpur zusammengeflossen schienen .
Nach allen Seiten strömte unter den Händen der Mädchen das reizende Licht von ihr aus , was den Palast so wundersam erleuchtete .
Ein duftender Wind wehte im Saale .
Der Held schwieg .
Laß mich deinen Schild berühren , sagte sie sanft .
Er näherte sich dem Throne und betrat den köstlichen Teppich .
Sie ergriff seine Hand , drückte sie mit Zärtlichkeit an ihren himmlischen Busen und rührte seinen Schild an .
Seine Rüstung klang , und eine durch durchdringende Kraft beseelte seinen Körper .
Seine Augen blitzten und das Herz pochte hörbar an den Panzer .
Die schöne Freya schien heiterer , und das Licht wurde brennender , das von ihr ausströmte .
Der König kommt , rief ein prächtiger Vogel , der im Hintergrunde des Thrones saß .
Die Dienerinnen legten eine himmelblaue Decke über die Prinzessin , die sie bis über den Busen bedeckte .
Der Held senkte seinen Schild und sah nach der Kuppel hinauf , zu welcher zwei breite Treppen von beiden Seiten des Saals sich hinauf schlangen .
Eine leise Musik ging dem Könige voran , der bald mit einem zahlreichen Gefolge in der Kuppel erschien und herunter kam .
Der schöne Vogel entfaltete seine glänzenden Schwingen , bewegte sie sanft und sang , wie mit tausend Stimmen , dem Könige entgegen : S Nicht lange wird der schöne Fremde säumen .
Die Wärme naht , die Ewigkeit beginnt Die Königin erwacht aus langen Träumen , Wenn Meer und Land in Liebesglut zerrinnt .
Die kalte Nacht wird diese Stätte räumen , Wenn Fabel erst das alte Recht gewinnt .
In Freyas Schoß wird sich die Welt entzünden Und jede Sehnsucht ihre Sehnsucht finden .
Der König umarmte seine Tochter mit Zärtlichkeit .
Die Geister der Gestirne stellten sich um den Thron , und der Held nahm in der Reihe seinen Platz ein .
Eine unzählige Menge Sterne füllten den Saal in zierlichen Gruppen .
Die Dienerinnen brachten einen Tisch und ein Kästchen , worin eine Menge Blätter lagen , auf denen heilige tiefsinnige Zeichen standen , die aus lauter Sternbildern zusammengesetzt waren .
Der König küßte ehrfurchtsvoll diese Blätter , mischte sie sorgfältig untereinander , und reichte seiner Tochter einige zu .
Die anderen behielt er für sich .
Die Prinzessin zog sie nach der Reihe heraus und legte sie auf den Tisch , dann betrachtete der König die seinigen genau , und wählte mit vielem Nachdenken , ehe er eins dazu hinlegte .
Zuweilen schien er gezwungen zu sein , dies oder jenes Blatt zu wählen .
Oft aber sah man ihm die Freude an , wenn er durch ein gutgetroffenes Blatt eine schöne Harmonie der Zeichen und Figuren legen konnte .
Wie das Spiel anfing , sah man an allen Umstehenden Zeichen der lebhaftesten Teilnahme , und die sonderbarsten Mienen und Gebärden , gleichsam als hätte jeder ein unsichtbares Werkzeug in Händen , womit er eifrig arbeite .
Zugleich ließ sich eine sanfte , aber tief bewegende Musik in der Luft hören , die von den im Saale sich wunderlich durcheinander schlingenden Sternen , und den übrigen sonderbaren Bewegungen zu entstehen schien .
Die Sterne schwangen sich , bald langsam , bald schnell , in beständig veränderten Linien umher , und bildeten , nach dem Gange der Musik , die Figuren der Blätter auf das kunstreichste nach .
Die Musik wechselte , wie die Bilder auf dem Tische , unaufhörlich , und so wunderlich und hart auch die Übergänge nicht selten waren , so schien doch nur Ein einfaches Thema das Ganze zu verbinden .
Mit einer unglaublichen Leichtigkeit flogen die Sterne den Bildern nach .
Sie waren bald alle in Einer großen Verschlingung , bald wieder in einzelne Haufen schön geordnet bald zerstäubte der lange Zug , wie ein Strahl , in unzählige Funken , bald kam durch immer wachsende kleinere Kreise und Muster wieder Eine große , überraschende Figur zum Vorschein .
Die bunten Gestalten in den Fenstern blieben während dieser Zeit ruhig stehen .
Der Vogel bewegte unaufhörlich die Hülle seiner kostbaren Federn auf die mannichfaltigste Weise .
Der alte Held hatte bisher auch sein unsichtbares Geschäft emsig betrieben , als auf einmal der König voll Freuden ausrief :
Es wird alles gut .
Eisen , wirf du dein Schwert in die Welt , daß sie erfahren , wo der Friede ruht .
Der Held riß das Schwert von der Hüfte , stellte es mit der Spitze gen Himmel , dann ergriff er es und warf es aus dem geöffneten Fenster über die Stadt und das Eismeer .
Wie ein Komet flog es durch die Luft , und schien an dem Berggürtel mit hellem Klange zu zersplittern , denn es fiel in lauter Funken herunter .
Zu der Zeit lag der schöne Knabe Eros in seiner Wiege und schlummerte sanft , während Ginnistan seine Amme die Wiege schaukelte und seiner Milchschwester Fabel die Brust reichte .
Ihr buntes Halstuch hatte sie über die Wiege ausgebreitet , daß die hellbrennende Lampe , die der Schreiber vor sich stehen hatte , das Kind mit ihrem Scheine nicht beunruhigen möchte .
Der Schreiber schrieb unverdrossen , sah sich nur zuweilen mürrisch nach den Kindern um , und schnitt der Amme finstere Gesichter , die ihn gutmütig anlächelte und schwieg .
Der Vater der Kinder ging immer ein und aus , indem er jedesmal die Kinder betrachtete und Ginnistan freundlich begrüßte .
Er hatte unaufhörlich dem Schreiber et was zu sagen .
Dieser vernahm ihn genau , und wenn er es aufgezeichnet hatte , reichte er die Blätter einer edlen , göttergleichen Frau hin , die sich an einen Altar lehnte , auf welchem eine dunkle Schale mit klarem Wasser stand , in welches sie mit heiterem Lächeln blickte .
Sie tauchte die Blätter jedesmal hinein , und wenn sie bei 'm Herausziehn gewahr wurde , daß einige Schrift stehen geblieben und glänzend geworden war , so gab sie das Blatt dem Schreiber zurück , der es in ein großes Buch heftete , und oft verdrießlich zu sein schien , wenn seine Mühe vergeblich gewesen und alles ausgelöscht war .
Die Frau wandte sich zu Zeiten gegen Ginnistan und die Kinder , tauchte den Finger in die Schale , und spritzte einige Tropfen auf sie hin , die , sobald sie die Amme , das Kind , oder die Wiege berührten , in einen blauen Dunst zerrannen , der tausend seltsame Bil der zeigte , und beständig um sie herzog und sich veränderte .
Traf einer davon zufällig auf den Schreiber , so fielen eine Menge Zahlen und geometrische Figuren nieder , die er mit vieler Emsigkeit auf einen Faden zog , und sich zum Zierat um den mageren Hals hing .
Die Mutter des Knaben , die wie die Anmut und Lieblichkeit selbst aussah , kam oft herein .
Sie schien beständig beschäftigt , und trug immer irgend ein Stück Hausgeräte mit sich hinaus : bemerkte es der argwöhnische und mit spähenden Blicken sie verfolgende Schreiber , so begann er eine lange Strafrede , auf die aber kein Mensch achtete .
Alle schienen seiner unnützen Widerreden gewohnt .
Die Mutter gab auf einige Augenblicke der kleinen Fabel die Brust ; aber bald wurde sie wieder abgerufen , und dann nahm Ginnistan das Kind zurück , das an ihr lieber zu trinken schien .
Auf einmal brachte der Vater ein zartes eisernes Stäbchen herein , das er im Hofe gefunden hatte .
Der Schreiber besah es und drehte es mit vieler Lebhaftigkeit herum , und brachte bald heraus , daß es sich von selbst , in der Mitte an einem Faden aufgehängt , nach Norden drehe .
Ginnistan nahm es auch in die Hand , bog es , drückte es , hauchte es an , und hatte ihm bald die Gestalt einer Schlange gegeben , die sich nun plötzlich in den Schwanz bis .
Der Schreiber wurde bald des Betrachtens überdrüssig .
Er schrieb alles genau auf , und war sehr weitläufig über den Nutzen , den dieser Fund gewähren könne .
Wie ärgerlich war er aber , als sein ganzes Schreibwerk die Probe nicht bestand , und das Papier weiß aus der Schale hervorkam .
Die Amme spielte fort .
Zufällig berührte sie die Wiege damit , da fing der Knabe an wach zu werden , schlug die Decke zurück , hielt die eine Hand gegen das Licht , und langte mit der Anderen nach der Schlange .
Wie er sie erhielt , sprang er rüstig , daß Ginnistan erschrak , und der Schreiber beinahe vor Entsetzen vom Stuhle fiel , aus der Wiege , stand , nur von seinen langen goldenen Haaren bedeckt , im Zimmer , und betrachtete mit unaussprechlicher Freude das Kleinod , das sich in seinen Händen nach Norden ausstreckte , und ihn heftig im Inneren zu bewegen schien .
Zusehends wuchs er .
Sophie , sagte er mit rührender Stimme zu der Frau , laß mich aus der Schale trinken .
Sie reichte sie ihm ohne Anstand , und er konnte nicht aufhören zu trinken , indem die Schale sich immer voll zu erhalten schien .
Endlich gab er sie zurück , indem er die edle Frau innig umarmte .
Er herzte Ginnistan , und bat sie um das bunte Tuch , das er sich anständig um die Hüften band .
Die kleine Fabel nahm er auf den Arm .
Sie schien unendliches Wohlgefallen an ihm zu haben , und fing zu plaudern an .
Ginnistan machte sich viel um ihn zu schaffen .
Sie sah äußerst reizend und leichtfertig aus , und drückte ihn mit der Innigkeit einer Braut an sich .
Sie zog ihn mit heimlichen Worten nach der Kammertür , aber Sophie winkte ernsthaft und deutete nach der Schlange ; da kam die Mutter herein , auf die er sogleich zuflog und sie mit heißen Tränen bewillkommte .
Der Schreiber war ingrimmig fortgegangen .
Der Vater trat herein , und wie er Mutter und Sohn in stiller Umarmung sah , trat er hinter ihren Rücken zur reizenden Ginnistan , und liebkoste ihr .
Sophie stieg die Treppe hinauf .
Die kleine Fabel nahm die Feder des Schreibers und fing zu schreiben an .
Mutter und Sohn vertieften sich in ein leises Gespräch , und der Vater schlich sich mit Ginnistan in die Kammer , um sich von den Geschäften des Tags in ihren Armen zu erholen .
Nach geraumer Zeit kam Sophie zurück .
Der Schreiber trat herein .
Der Vater kam aus der Kammer und ging an seine Geschäfte .
Ginnistan kam mit glühenden Wangen zurück .
Der Schreiber jagte die kleine Fabel mit vielen Schmähungen von seinem Sitze , und hatte einige Zeit nötig seine Sachen in Ordnung zu bringen .
Er reichte Sofi die von Fabel vollgeschriebenen Blätter , um sie rein zurück zu erhalten , geriet aber bald in den äußersten Unwillen , wie Sophie die Schrift völlig glänzend und unversehrt aus der Schale zog und sie ihm hinlegte .
Fabel schmiegte sich an ihre Mutter , die sie an die Brust nahm , und das Zimmer aufputzte , die Fenster öffnete , frische Luft hereinließ und Zubereitungen zu einem köstlichen Mahle machte .
Man sah durch die Fenster die herrlichsten Aussichten und einen heiteren Himmel über die Erde gespannt .
Auf dem Hofe war der Vater in voller Tätigkeit .
Wenn er müde war , sah er hinauf ans Fenster , wo Ginnistan stand , und ihm allerhand Naschereien herunterwarf .
Die Mutter und der Sohn gingen hinaus , um überall zu helfen und den gefaßten Entschluß vorzubereiten .
Der Schreiber rührte die Feder , und machte immer eine Fratze , wenn er genötigt war , Ginnistan um etwas zu fragen , die ein sehr gutes Gedächtnis hatte , und alles behielt , was sich zutrug .
Eros kam bald in schöner Rüstung , um die das bunte Tuch wie eine Schärpe gebunden war , zurück , und bat Sophie um Rat , wann und wie er seine Reise antreten solle .
Der Schreiber war vorlaut , und wollte gleich mit einem ausführlichen Reiseplan dienen , aber seine Vorschläge wurden überhört .
Du kannst sogleich reisen ; Ginnistan mag dich begleiten , sagte Sophie ; sie weiß mit den Wegen Bescheid , und ist überall gut bekannt .
Sie wird die Gestalt deiner Mutter annehmen , um dich nicht in Versuchung zu führen .
Findest du den König , so denke an mich ; dann komme ich um dir zu helfen .
Ginnistan tauschte ihre Gestalt mit der Mutter , worüber der Vater sehr vergnügt zu sein schien ; der Schreiber freute sich , daß die beiden fortgingen ; besonders da ihm Ginnistan ihr Taschenbuch zum Abschiede schenkte , worin die Chronik des Hauses umständlich aufgezeichnet war ; nur blieb ihm die kleine Fabel ein Dorn im Auge , und er hätte , um seiner Ruhe und Zufriedenheit Willen , nichts mehr gewünscht , als daß auch sie unter der Zahl der Abreisenden sein möchte .
Sophie segnete die Niederknieenden ein , und gab ihnen ein Gefäß voll Wasser aus der Schale mit ; die Mutter war sehr bekümmert .
Die kleine Fabel wäre gern mitgegangen , und der Vater war zu sehr außer dem Hause beschäftigt , als daß er lebhaften Anteil hätte nehmen sollen .
Es war Nacht , wie sie abreisten , und der Mond stand hoch am Himmel .
Lieber Eros , sagte Ginnistan , wir müssen eilen , daß wir zu meinem Vater kommen , der mich lange nicht gesehen und so sehnsuchtsvoll mich überall auf der Erde gesucht hat .
Siehst du wohl sein bleiches abgehärmtes Gesicht ?
Dein Zeugnis wird mich ihm in der fremden Gestalt kenntlich machen .
Die Liebe ging auf dunkler Bahn Vom Monde nur erblickt , Das Schattenreich war aufgetan Und seltsam aufgeschmückt .
Ein blauer Dunst umschwebte sie Mit einem goldenen Rand , Und eilig zog die Fantasie Sie über Strom und Land .
Es hob sich ihre volle Brust In wunderbarem Mut ; Ein Vorgefühl der künftigen Lust Besprach die wilde Glut .
Die Sehnsucht klagt ' und wusste es nicht , Daß Liebe näher kam , Und tiefer grub in ihr Gesicht Sich hoffnungsloser Gram .
Die kleine Schlange blieb getreu :
Sie wies nach Norden hin , Und beide folgten sorgenfrei Der schönen Führerin .
Die Die Liebe ging durch Wüsteneien Und durch der Wolken Land , Trat in den Hof des Mondes ein Die Tochter an der Hand .
Er saß auf seinem Silberthron , Allein mit seinem Harm ; Da hörte er seines Kindes Ton , Und sank in ihren Arm .
Eros stand gerührt bei den zärtlichen Umarmungen .
Endlich sammelte sich der alte erschütterte Mann , und bewillkommte seinen Gast .
Er ergriff sein großes Horn und stieß mit voller Macht hinein .
Ein gewaltiger Ruf dröhnte durch die uralte Burg .
Die spitzen Türme mit ihren glänzenden Knöpfen und die tiefen schwarzen Dächer schwankten .
Die Burg stand still , denn sie war auf das Gebirge jenseits des Meers ge T kommen .
Von allen Seiten strömten seine Diener herzu , deren seltsame Gestalten und Trachten Ginnistan unendlich ergötzten , und den tapferen Eros nicht erschreckten .
Erstere grüßte ihre alten Bekannten , und alle erschienen vor ihr mit neuer Stärke und in der ganzen Herrlichkeit ihrer Naturen .
Der ungestüme Geist der Flut folgte der sanften Ebbe .
Die alten Orkane legten sich an die klopfende Brust der heißen leidenschaftlichen Erdbeben .
Die zärtlichen Regenschauer sahen sich nach dem bunten Bogen um , der von der Sonne , die ihn mehr anzieht , entfernt , bleich da stand .
Der rauhe Donner schalt über die Torheiten der Blitze , hinter den unzähligen Wolken hervor , die mit tausend Reizen dastanden und die feurigen Jünglinge lockten .
Die beiden lieblichen Schwestern , Morgen und Abend , freuten sich vorzüglich über die beiden Ankömmlinge .
Sie weinten sanfte Tränen in ihren Umarmungen .
Unbeschreiblich war der Anblick dieses wunderlichen Hofstaats .
Der alte König konnte sich an seiner Tochter nicht satt sehen .
Sie fühlte sich zehnfach glücklich in ihrer väterlichen Burg , und wurde nicht müde die bekannten Wunder und Seltenheiten zu beschauen .
Ihre Freude war ganz unbeschreiblich , als ihr der König den Schlüssel zur Schatzkammer und die Erlaubnis gab , ein Schauspiel für Eros darin zu veranstalten , das ihn so lange unterhalten könnte , bis das Zeichen des Aufbruchs gegeben würde .
Die Schatzkammer war ein großer Garten , dessen Mannigfaltigkeit und Reichtum alle Beschreibung übertraf .
Zwischen den ungeheuren Wetterbäumen lagen unzählige Luftschlösser von überraschender Bauart , eins immer köstlicher , als das Andere .
Große Herden von Schäfchen , mit silberweißer , goldener und rosenfarbener Wolle irrten umher , und die sonderbarsten Tiere belebten den Hain .
Merkwürdige Bilder standen hie und da , und die festlichen Aufzüge , die seltsamen Wagen , die überall zum Vorschein kamen , beschäftigten die Aufmerksamkeit unaufhörlich .
Die Beete standen voll der buntesten Blumen .
Die Gebäude waren gehäuft voll von Waffen aller Art , voll der schönsten Teppiche , Tapeten , Vorhänge , Trinkgeschirre und aller Arten von Geräten und Werkzeugen , in unübersehlichen Reihen .
Auf einer Anhöhe erblickten sie ein romantisches Land , das mit Städten und Burgen , mit Tempeln und Begräbnissen übersäet war , und alle Anmut bewohnter Ebenen mit den furchtbaren Reizen der Einöde und schroffer Felsengegenden vereinigte .
Die schönsten Farben waren in den glücklichsten Mischungen .
Die Bergspitzen glänzten wie Lustfeuer in ihren Eis- und Schneehüllen .
Die Ebene lachte im frischesten Grün .
Die Ferne schmückte sich mit allen Veränderungen von Blau , und aus der Dunkelheit des Meeres wehten unzählige bunte Wimpel von zahlreichen Flotten .
Hier sah man einen Schiffbruch im Hintergrunde , und vorne ein ländliches fröhliches Mal von Landleuten ; dort den schrecklich schönen Ausbruch eines Vulkans , die Verwüstungen des Erdbebens , und im Vordergrunde ein liebendes Paar unter schattenden Bäumen in den süßesten Liebkosungen .
Abwärts eine fürchterliche Schlacht , und unter ihr ein Theater voll der lächerlichsten Masken .
Nach einer anderen Seite im Vordergrunde einen jugendlichen Leichnam auf der Bahre , die ein trostloser Geliebter festhielt , und die weinenden Eltern daneben ; im Hintergrunde eine liebliche Mutter mit dem Kinde an der Brust und Engel sitzend zu ihren Füßen , und aus den Zweigen über ihrem Haupte herunterblickend .
Die Szenen verwandelten sich unaufhörlich , und flossen endlich in eine große geheimnisvolle Vorstellung zusammen .
Himmel und Erde waren in vollem Aufruhr .
Alle Schrecken waren losgebrochen .
Eine gewaltige Stimme rief zu den Waffen .
Ein entsetzliches Heer von Totengerippen , mit schwarzen Fahnen , kam wie ein Sturm von dunklen Bergen herunter , und griff das Leben an , das mit seinen jugendlichen Scharen in der hellen Ebene in munteren Festen begriffen war , und sich keines Angriffs versah .
Es entstand ein entsetzliches Getümmel , die Erde zitterte ; der Sturm brauste , und die Nacht wurde von fürchterlichen Meteoren erleuchtet .
Mit unerhörten Grausamkeiten zerriß das Heer der Gespenster die zarten Glieder der Lebendigen .
Ein Scheiterhaufen türmte sich em por , und unter dem grausenvollsten Geheul wurden die Kinder des Lebens von den Flammen verzehrt .
Plötzlich brach aus dem dunklen Aschenhaufen ein milchblauer Strom nach allen Seiten aus .
Die Gespenster wollten die Flucht ergreifen , aber die Flut wuchs zusehends , und verschlang die scheußliche Brut .
Bald waren alle Schrecken vertilgt .
Himmel und Erde flossen in süße Musik zusammen .
Eine wunderschöne Blume schwamm glänzend auf den sanften Wogen .
Ein glänzender Bogen schloß sich über die Flut auf welchem göttliche Gestalten auf prächtigen Thronen , nach beiden Seiten herunter , saßen .
Sophie saß zu oberst , die Schale in der Hand , neben einem herrlichen Manne , mit einem Eichenkranze um die Locken , und einer Friedenspalme statt des Zepters in der Rechten .
Ein Lilienblatt bog sich über den Kelch der schwimmenden Blume ; die kleine Fabel saß auf demselben , und sang zur Harfe die süßesten Lieder .
In dem Kelche lag Eros selbst , über ein schönes schlummerndes Mädchen hergebeugt , die ihn fest umschlungen hielt .
Eine kleinere Blüte schloß sich um beide her , so daß sie von den Hüften an in Eine Blume verwandelt zu sein schienen .
Eros dankte Ginnistan mit tausend Entzücken .
Er umarmte sie zärtlich , und sie erwiderte seine Liebkosungen .
Ermüdet von der Beschwerde des Weges und den mannigfaltigen Gegenständen , die er gesehen hatte , sehnte er sich nach Bequemlichkeit und Ruhe .
Ginnistan , die sich von dem schönen Jüngling lebhaft angezogen fühlte , hütete sich wohl des Trankes zu erwähnen , den Sophie ihm mitgegeben hatte .
Sie führte ihn zu einem abgelegenen Bade , zog ihm die Rüstung aus , und zog selbst ein Nacht Kleid an , in welchem sie fremd und verführerisch aussah .
Eros tauchte sich in die gefährlichen Wellen , und stieg berauscht wieder heraus .
Ginnistan trocknete ihn , und rieb seine starken , von Jugendkraft gespannten Glieder .
Er gedachte mit glühender Sehnsucht seiner Geliebten , und umfaßte in süßem Wahne die reizende Ginnistan .
Unbesorgt überließ er sich seiner ungestümen Zärtlichkeit , und schlummerte endlich nach den wollüstigsten Genüssen an dem reizenden Busen seiner Begleiterin ein .
Unterdessen war zu Hause eine traurige Veränderung vorgegangen .
Der Schreiber hatte das Gesinde in eine gefährliche Verschwörung verwickelt .
Sein feindseliges Gemüt hatte längst Gelegenheit gesucht , sich des Hausregiments zu bemächtigen , und sein Joch abzuschütteln .
Er hatte sie gefunden .
Zuerst bemächtigte sich sein Anhang der Mutter , die in eiserne Bande gelegt wurde .
Der Vater wurde bei Wasser und Brot ebenfalls hingesetzt .
Die kleine Fabel hörte den Lärm im Zimmer .
Sie verkroch sich hinter dem Altare , und wie sie bemerkte , daß eine Tür an seiner Rückseite verborgen war , so öffnete sie dieselbe mit vieler Behendigkeit , und fand , daß eine Treppe in ihm hinunterging .
Sie zog die Tür nach sich , und stieg im Dunklen die Treppe hinunter .
Der Schreiber stürzte mit Ungestüm herein , um sich an der kleinen Fabel zu rächen , und Sofi gefangen zu nehmen .
Beide waren nicht zu finden .
Die Schale fehlte auch , und in seinem Grimme zerschlug er den Altar in tausend Stücke , ohne jedoch die heimliche Treppe zu entdecken .
Die kleine Fabel stieg geraume Zeit .
Endlich kam sie auf einen freien Platz hinaus , der rund herum mit einer prächtigen Kolonnade geziert , und durch ein großes Tor geschlossen war .
Alle Figuren waren hier dunkel .
Die Luft war wie ein ungeheurer Schatten ; am Himmel stand ein schwarzer strahlender Körper .
Man konnte alles auf das deutlichste unterscheiden , weil jede Figur einen anderen Anstrich von Schwarz zeigte , und einen lichten Schein hinter sich , warf ; Licht und Schatten schienen hier ihre Rollen vertauscht zu haben .
Fabel freute sich in einer neuen Welt zu sein .
Sie besah alles mit kindlicher Neugierde .
Endlich kam sie an das Tor , vor welchem auf einem massiven Postament eine schöne Sphinx lag .
Was suchst du ? sagte die Sphinx ; mein Eigentum , erwiderte Fabel .
-- Wo kommst du her ? --
Aus alten Zeiten ; -- Du bist noch ein Kind -- Und werde ewig ein Kind sein . --
Wer wird dir beistehen ?-- Ich stehe für mich .
Wo sind die Schwestern , fragte Fabel ? --
Überall und nirgends , gab die Sphinx zur Antwort .
-- Kennst du mich ? -- noch nicht .
-- Wo ist die Liebe ? --
In der Einbildung .
-- Und Sophie ? --
Die Sphinx murmelte unvernehmlich vor sich hin , und rauschte mit den Flügeln .
Sophie und Liebe , rief triumphierend Fabel , und ging durch das Tor .
Sie trat in die ungeheure Höhle , und ging fröhlich auf die alten Schwestern zu , die bei der kärglichen Nacht einer schwarzbrennenden Lampe ihr wunderliches Geschäft trieben .
Sie taten nicht , als ob sie den kleinen Gast bemerkten , der mit artigen Liebkosungen sich geschäftig um sie erzeigte .
Endlich krächzte die eine mit rauhen Worten und scheelem Gesicht :
Was willst du hier , Müßiggängerin ?
wer hat dich eingelassen ?
Dein kindisches Hüpfen bewegt die stille Flamme .
Das Öl verbrennt unnützer Weise .
Kannst du dich nicht hinsetzen und etwas vornehmen ? --
Schöne Base , sagte Fabel , am Müßiggehen ist mir nichts gelegen .
Ich mußte recht über eure Türhüterin lachen .
Sie hätte mich gern an die Brust genommen , aber sie mußte zu viel gegessen haben , sie konnte nicht aufstehen .
Laßt mich vor der Tür sitzen , und gebt mir etwas zu spinnen ; denn hier kann ich nicht gut sehen , und wenn ich spinne , muß ich singen und plaudern dürfen , und das könnte euch in euren ernsthaften Gedanken stören .
-- Hinaus sollst du nicht , aber in der Nebenkammer bricht ein Strahl der Oberwelt durch die Felsritzen , da magst du spinnen , wenn du so geschickt bist ; hier liegen ungeheure Haufen von alten Enden , die drehe zusammen ; aber hüte dich : wenn du saumselig spinnst , oder der Faden reißt , so schlingen sich die Fäden um dich her und ersticken dich . --
Die Alte lachte hämisch , und spann .
Fabel raffte einen Arm voll Fäden zusammen , nahm Wocken und Spindel , und hüpfte singend in die Kammer .
Sie sah durch die Öffnung hinaus , und erblickte das Sternbild des Phönixes .
Froh über das glückliche Zeichen fing sie an lustig zu spinnen , ließ die Kammertür ein wenig offen , und sang halbleise : Erwacht in euren Zellen , Ihr Kinder alter Zeit ; Laßt eure Ruhestellen , Der Morgen ist nicht weit .
Ich spinne eure Fäden In Einen Faden ein ; Aus ist die Zeit der Fehden .
Ein Leben sollt ' ihr sein .
Ein jeder lebt in Allen , Und All ' in Jedem auch .
Ein Herz wird in euch wallen , Von Einem Lebenshauch .
Noch seid ihr nichts als Seele , Nur Traum und Zauberei .
Geht furchtbar in die Höhle Und neckt die heilige Drei .
Die Spindel schwang sich mit unglaublicher Behendigkeit zwischen den kleinen Füßen ; während sie mit beiden Händen den zarten Faden drehte .
Unter dem Liede wurden unzählige Lichtchen sichtbar , die aus der Türspalte schlüpften und durch die Höhle in scheußlichen Larven sich verbreiteten .
Die Alten hatten während der Zeit immer mürrisch fortgesponnen , und auf das Jammergeschrei der kleinen Fabel gewartet , aber wie entsetzten sie sich , als auf einmal eine erschreckliche Nase über ihre Schultern guckte , und wie sie sich umsah hen , die ganze Höhle voll der gräßlichsten Figuren war , die tausenderlei Unfug trieben .
Sie fuhren in einander , heulten mit fürchterlicher Stimme , und wären vor Schrecken zu Stein geworden , wenn nicht in diesem Augenblicke der Schreiber in die Höhle getreten wäre , und eine Alraunwurzel bei sich gehabt hätte .
Die Lichtchen verkrochen sich in die Felsklüfte und die Höhle wurde ganz hell , weil die schwarze Lampe in der Verwirrung umgefallen und ausgelöscht war .
Die Alten waren froh , wie sie den Schreiber kommen hörten , aber voll Ingrimms gegen die kleine Fabel .
Sie riefen sie heraus , schnarchten sie fürchterlich an und verboten ihr fortzuspinnen .
Der Schreiber schmunzelte höhnisch , weil er die kleine Fabel nun in seiner Gewalt zu haben glaubte und sagte :
Es ist gut , daß du hier bist und zur Arbeit angehalten werden kannst .
Ich hoffe daß es an Züchte Gun gungen nicht fehlen soll .
Dein guter Geist hat dich hergeführt .
Ich wünsche dir langes Leben und viel Vergnügen .
Ich danke dir für deinen guten Willen , sagte Fabel ; man sieht dir jetzt die gute Zeit an ; dir fehlt nur noch das Stundenglas und die Hippe , so siehst du ganz wie der Bruder meiner schönen Basen aus .
Wenn du Gänsespulen brauchst , so zupfe ihnen nur eine Handvoll zarten Pflaum aus den Wangen .
Der Schreiber schien Miene zu machen , über sie herzufallen .
Sie lächelte und sagte :
Wenn dir dein schöner Haarwuchs und dein geistreiches Auge lieb sind , so nimm dich in Acht ; bedenke meine Nägel , du hast nicht viel mehr zu verlieren .
Er wandte sich mit verbißener Wut zu den Alten , die sich die Augen wischten , und nach ihren Wocken umhertappten .
Sie konnten nichts finden , da die Lampe ausgelöscht war , und ergossen sich in U Schimpfreden gegen Fabel .
Laßt sie doch gehen , sprach er tückisch , daß sie euch Taranteln fange , zur Bereitung eures Öls .
Ich wollte euch zu eurem Troste sagen , daß Eros ohne Rast umherfliegt , und eure Schere fleißig beschäftigen wird .
Seine Mutter , die euch so oft zwang , die Fäden länger zu spinnen , wird morgen ein Raub der Flammen .
Er kitzelte sich , um zu lachen , wie er sah , daß Fabel einige Tränen bei dieser Nachricht vergoß , gab ein Stück von der Wurzel der Alten , und ging naserümpfend von dannen .
Die Schwestern hießen der Fabel mit zorniger Stimme Taranteln suchen , ungeachtet sie noch Öl vorrätig hatten , und Fabel eilte fort .
Sie tat , als öffne sie das Tor , warf es ungestüm wieder zu , und schlich sich leise nach dem Hintergrunde der Höhle , wo eine Leiter herunter hing .
Sie kletterte schnell hinauf , und kam bald vor eine Falltür , die sich in Arkturs Gemach öffnete .
Der König saß umringt von seinen Räten , als Fabel erschien .
Die nördliche Krone zierte sein Haupt .
Die Lilie hielt er mit der Linken , die Waage in der Rechten .
Der Adler und Löwe saßen zu seinen Füßen .
Monarch , sagte die Fabel , indem sie sich ehrfurchtsvoll vor ihm neigte ; Heil deinem festgegründeten Throne ! frohe Botschaft deinem verwundeten Herzen ! baldige Rückkehr der Weisheit !
Ewiges erwachen dem Frieden !
Ruhe der rastlosen Liebe !
Verklärung des Herzens !
Leben dem Altertum und Gestalt der Zukunft !
Der König berührte ihre offene Stirn mit der Lilie :
Was du bittest , sei dir gewährt .
-- Dreimal werde ich bitten , wenn ich zum viertenmal komme , so ist die Liebe vor der Tür .
Jetzt gib mir die Leier . --
Eridanus ! bringe sie her , rief der König .
Rauschend strömte Eridanus von der Decke , und Fabel zog die Leier aus seinen blinkenden Fluten .
Fabel tat einige weissagende Griffe ; der König ließ ihr den Becher reichen , aus dem sie nippte und mit vielen Danksagungen hinweg eilte .
Sie glitt in reizenden Bogenschwüngen über das Eismeer , indem sie fröhliche Musik aus den Saiten lockte .
Das Eis gab unter ihren Tritten die herrlichsten Töne von sich .
Der Felsen der Trauer hielt sie für Stimmen seiner suchenden rückkehrenden Kinder , und antwortete in einem tausendfachen Echo .
Fabel hatte bald das Gestade erreicht .
Sie begegnete ihrer Mutter , die abgezehrt und bleich aussah , schlank und ernst geworden war , und in edlen Zügen die Spuren eines hoffnungslosen Grams , und rührender Treue verriet .
Was ist aus dir geworden , liebe Mutter ? sagte Fabel , du scheinst mir gänzlich verändert ; ohne inneres Anzeichen hätte ich dich nicht erkannt .
Ich hoffte mich an deiner Brust einmal wieder zu erquicken ; ich habe lange nach dir geschmachtet .
Ginnistan liebkoste sie zärtlich , und sah heiter und freundlich aus .
Ich dachte es gleich , sagte sie , daß dich der Schreiber nicht würde gefangen haben .
Dein Anblick erfrischt mich .
Es geht mir schlimm und knapp genug , aber ich tröste mich bald .
Vielleicht habe ich einen Augenblick Ruhe .
Eros ist in der Nähe , und wenn er dich sieht , und du ihm vorplauderst , verweilt er vielleicht einige Zeit .
Indes kannst du dich an meine Brust legen ; ich will dir geben , was ich habe .
Sie nahm die Kleine auf den Schoß , reichte ihr die Brust , und fuhr fort , indem sie lächelnd auf die Kleine hinunter sah , die es sich gut schmecken ließ .
Ich bin selbst Ursache , daß Eros so wild und unbeständig geworden ist .
Aber mich reut es dennoch nicht , denn jene Stunden , die ich in seinen Armen zubrachte , haben mich zur Unsterblichen gemacht .
Ich glaubte unter seinen feurigen Liebkosungen zu zerschmelzen .
Wie ein himmlischer Räuber schien er mich grausam vernichten und stolz über sein bebendes Opfer triumphieren zu wollen .
Wir erwachten spät aus dem verbotenen Rausche , in einem sonderbar vertauschten Zustande .
Lange silberweiße Flügel bedeckten seine weißen Schultern , und die reihende Fülle und Biegung seiner Gestalt .
Die Kraft , die ihn so plötzlich aus einem Knaben zum Jünglinge quellend getrieben , schien sich ganz in die glänzenden Schwingen gezogen zu haben , und er war wieder zum Knaben geworden .
Die stille Glut seines Gesichts war in das tändelnde Feuer eines Irrlichts , der heilige Ernst in verstellte Schalkheit , die bedeutende Ruhe in kindische Unstetigkeit , der edle Anstand in drollige Beweglichkeit verwandelt .
Ich fühlte mich von einer ernsthaften Leidenschaft unwiderstehlich zu dem mutwilligen Knaben gezogen , und empfand schmerzlich seinen lächelnden Hohn , und seine Gleichgültigkeit gegen meine rührendsten Bitten .
Ich sah meine Gestalt verändert .
Meine sorglose Heiterkeit war verschwunden , und hatte einer traurigen Bekümmernis , einer zärtlichen Schüchternheit Platz gemacht .
Ich hätmich mit Eros vor allen Augen verbergen mögen .
Ich hatte nicht das Herz in seine beleidigenden Augen zu sehen , und fühlte mich entsetzlich beschämt und erniedrigt .
Ich hatte keinen anderen Gedanken , als ihn , und hätte mein Leben hingegeben , um ihn von seinen Unarten zu befreien .
Ich mußte ihn anbeten , so tief er auch alle meine Empfindungen kränkte .
Seit der Zeit , wo er sich aufmachte und mir entfloh , so rührend ich auch mit den heißesten Tränen ihn beschwor , bei mir zu bleiben , bin ich ihm überall gefolgt .
Er scheint es ordentlich darauf anzulegen , mich zu necken .
Kaum habe ich ihn erreicht , so fliegt er tückisch weiter .
Sein Bogen richtet überall Verwüstungen an .
Ich habe nichts zu tun , als die Unglücklichen zu trösten , und habe doch selbst Trost nötig .
Ihre Stimmen , die mich rufen , zeigen mir seinen Weg , und ihre wehmütigen Klagen , wenn ich sie wieder verlassen muß , gehen mir tief zu Herzen .
Der Schreiber verfolgt uns mit entsetzlicher Wut , und rächt sich an den armen Getroffenen .
Die Frucht jener geheimnisvollen Nacht , waren eine zahlreiche Menge wunderlicher Kinder , die ihrem Großva ter ähnlich sehen , und nach ihm genannt sind .
Geflügelt wie ihr Vater begleiten sie ihn beständig , und plagen die Armen , die sein Pfeil trifft .
Doch da kommt der fröhlichen Zug .
Ich muß fort ; lebe wohl , süßes Kind .
Seine Nähe erregt meine Leidenschaft .
Sei glücklich in deinem Vorhaben .
-- Eros zog weiter , ohne Gimnistan , die auf ihn zueilte , einen zärtlichen Blick zu gönnen .
Aber zu Fabel wandte er sich freundlich , und seine kleinen Begleiter tanzten fröhlich um sie her .
Fabel freute sich , ihren Milchbruder wieder zu sehen , und sang zu ihrer Leier ein munteres Lied , Eros schien sich besinnen zu wollen und ließ den Bogen fallen .
Die Kleinen entschliefen auf dem Rasen .
Ginnistan konnte ihn fassen , und er litt ihre zärtlichen Liebkosungen .
Endlich fing Eros auch an zu nicken , schmiegte sich an Ginnistans Schoß , und schlummerte ein , indem er seine Flügel über sie ausbreitete .
Unendlich froh war die müde Ginnistan , und verwandte kein Auge von dem holden Schläfer .
Während des Gesanges waren von allen Seiten Taranteln zum Vorschein gekommen , die über die Grashalme ein glänzendes Netz zogen , und lebhaft nach dem Takte sich an ihren Fäden bewegten .
Fabel tröstete nun ihre Mutter , und versprach ihr baldige Hilfe .
Vom Felsen tönte der sanfte Widerhall der Musik , und wiegte die Schläfer ein .
Ginnistan sprengte aus dem wohlverwahrten Gefäß einige Tropfen in die Luft , und die anmutigsten Träume fielen auf sie nieder .
Fabel nahm das Gefäß mit und setzte ihre Reise fort .
Ihre Saiten ruhten nicht , und die Taranteln folgten auf schnellgesponnenen Fäden den bezaubernden Tönen .
Sie sah bald von weitem die hohe Flamme des Scheiterhaufens , die über den grü einen Wald emporstieg .
Traurig sah sie gen Himmel , und freute sich , wie sie Sophieens blauen Schleier erblickte , der wallend über der Erde schwebte , und auf ewig die ungeheure Gruft bedeckte .
Die Sonne stand feuerrot vor Zorn am Himmel , die gewaltige Flamme sog an ihrem geraubten Lichte , und so heftig sie es auch an sich zu halten schien , so wurde sie doch immer bleicher und fleckiger .
Die Flamme wurde weißer und mächtiger , je fahler die Sonne wurde .
Sie sog das Licht immer stärker in sich und bald war die Glorie um das Gestirn des Tages verzehrt und nur als eine matte , glänzende Scheibe stand es noch da , indem jede neue Regung des Neides und der Wut den Ausbruch der entfliehenden Lichtwellen vermehrte .
Endlich war nichts von der Sonne mehr übrig , als eine schwarze ausgebrannte Schlacke , die herunter ins Meer fiel .
Die Flamme war über allen Ausdruck glänzend geworden .
Der Scheiterhaufen war verzehrt .
Sie hob sich langsam in die Höhe und zog nach Norden .
Fabel trat in den Hof , der verödet aussah ; das Haus war unterdes verfallen .
Dornstrauche wuchsen in den Ritzen der Fenstergesimse und Ungeziefer aller Art kribbelte auf den zerbrochenen Stiegen .
Sie hörte im Zimmer einen entsetzlichen Lärm ; der Schreiber und seine Gesellen hatten sich an dem Flammentode der Mutter geweidet , waren aber gewaltig erschrocken , wie sie den Untergang der Sonne wahrgenommen hatten .
Sie hatten sich vergeblich angestrengt , die Flamme zu löschen , und waren bei dieser Gelegenheit nicht ohne Beschädigungen geblieben .
Der Schmerz und die Angst preßte ihren entsetzliche Verwünschungen und Klagen aus .
Sie erschraken noch mehr , als Fabel ins Zimmer trat , und stürmten mit wütendem Geschrei auf sie ein , um an ihr den Grimm auszulassen .
Fabel schlüpfte hinter die Wiege , und ihre Verfolger traten ungestüm in das Gewebe der Taranteln , die sich durch unzählige Bisse an ihnen rächten .
Der ganze Haufen fing nun toll an zu tanzen , wozu Fabel ein lustiges Lied spielte .
Mit vielem Lachen über ihre possierlichen Fratzen ging sie auf die Trümmer des Altars zu , und räumte sie weg , um die verborgene Treppe zu finden , auf der sie mit ihrem Tarantelgefolge hinunter stieg .
Die Sphinx fragte :
Was kommt plötzlicher , als der Blitz ?
Die Rache , sagte Fabel . --
Was ist am vergänglichsten ?
-- Unrechter Besitz . --
Wer kennt die Welt ? --
Wer sich selbst kennt . --
Was ist das ewige Geheimnis ? --
Die Liebe . --
Bei wem ruht es ? --
Bei Sophieen .
Die Sphinx krümmte sich kläglich , und Fabel trat in die Höhle .
Hier bringe ich euch Taranteln , sagte sie zu den Alten , die ihre Lampe wieder angezündet hatten und sehr emsig arbeiteten .
Sie erschraken , und die eine lief mit der Schere auf sie zu , um sie zu erstechen .
Unversehens trat sie auf eine Tarantel , und diese stach sie in den Fuß .
Sie schrie erbärmlich .
Die anderen wollten ihr zu Hilfe kommen und wurden ebenfalls von den erzürnten Taranteln gestochen .
Sie konnten sich nun nicht an Fabel vergreifen , und sprangen wild umher .
Spinn uns gleich , riefen sie grimmig der Kleinen zu , leichte Tanzkleider .
Wir können uns in den steifen Röcken nicht rühren , und vergehen fast vor Hitze , aber mit Spinnensaft mußt du den Faden einweichen , daß er nicht reißt , und wirke Blumen hinein , die im Feuer gewachsen sind , sonst bist du des Todes .
Recht gern , sagte Fabel und ging in die Nebenkammer .
Ich will euch drei tüchtige Fliegen verschaffen , sagte sie zu den Kreuzspinnen , die ihre luftigen Gewebe rund um an der Decke und den Wänden angeheftet hatten , aber ihr müßt mir gleich drei hübsche , leichte Kleider spinnen .
Die Blumen , die hinein gewirkt werden sollen , will ich auch gleich bringen .
Die Kreuzspinnen waren bereit und fingen rasch zu weben an .
Fabel schlich sich zur Leiter und begab sich zu Arktur .
Monarch sagte sie , die Bösen tanzen , die Guten ruhn .
Ist die Flamme angekommen ?
Sie ist angekommen sagte der König .
Die Nacht ist vorbei und das Eis schmilzt .
Meine Gattin zeigt sich von weitem .
Meine Feindin ist versenkt .
Alles fängt zu leben an .
Noch darf ich mich nicht sehen lassen , denn allein bin ich nicht König .
Bitte was du willst .
-- Ich brauche , sagte Fabel , Blumen , die im Feuer gewachsen sind .
Ich weiß , du hast einen geschickten Gärtner , der sie zu ziehen versteht .
-- Zink , rief der König , gib uns Blumen .
Der Blumengärtner trat aus der Reihe , holte einen Topf voll Feuer , und säte glänzenden Samenstaub hinein .
Es währte nicht lange , so flogen die Blumen empor .
Fabel sammelte sie in ihre Schürze , und machte sich auf den Rückweg .
Die Spinnen waren fleißig gewesen , und es fehlte nichts mehr , als das Anheften der Blumen , welches sie sogleich mit vielem Geschmack und Behendigkeit begannen .
Fabel hütete sich wohl die Enden abzureißen , die noch an den Weberinnen hingen .
Sie trug die Kleider den ermüdeten Tänzerinnen hin , die triefend von Schweiß umgesunken waren , und sich einige Augenblicke von der ungewohnten Anstrengung erholten .
Mit vieler Geschicklichkeit entkleidete sie die hagern Schönheiten , die es an Schmäh Schmähungen der kleinen Dienerin nicht fehlen ließen , und zog ihnen die neuen Kleider an , die sehr niedlich gemacht waren und vortrefflich paßten .
Sie pries während dieses Geschäftes die Reize und den liebenswürdigen Charakter ihrer Gebieterinnen , und die Alten schienen ordentlich erfreut über die Schmeicheleien und die Zierlichkeit des Anzuges .
Sie hatten sich unterdes erholt , und fingen von neuer Tanzlust beseelt wieder an , sich munter umherzudrehen , indem sie heimtückisch der Kleinen langes Leben und große Belohnungen versprachen .
Fabel ging in die Kammer zurück , und sagte zu den Kreuzspinnen : Ihr könnt nun die Fliegen getrost verzehren , die ich in eure Weben gebracht habe .
Die Spinnen waren so schon ungeduldig über das hin und herreißen , da die Enden noch in ihnen waren und die Alten so toll umhersprangen ; sie rannten also hinaus , und X fielen über die Tänzerinnen her ; diese wollten sich mit der Schere verteidigen , aber Fabel hatte sie in aller Stille mitgenommen .
Sie unterlagen also ihren hungrigen Handwerksgenossen , die lange keine so köstlichen Bissen geschmeckt hatten , und sie bis auf das Mark aussaugten .
Fabel sah durch die Felsenkluft hinaus , und erblickte den Perseus mit dem großen eisernen Schilde .
Die Schere flog von selbst dem Schilde zu , und Fabel bat ihn , Eros Flügel damit zu verschneiden , und dann mit seinem Schilde die Schwestern zu verewigen , und das große Werk zu vollenden .
Sie verließ nun das unterirdische Reich , und stieg fröhlich zu Arkturs Palaste .
Der Flachs ist versponnen .
Das Leblose ist wieder entseelt .
Das Lebendige wird regieren , und das Leblose bilden und gebrauchen .
Das Innere wird offenbart , und das Äußere verborgen .
Der Vorhang wird sich bald heben , und das Schauspiel seinen Anfang nehmen .
Noch einmal bitte ich , dann spinne ich Tage der Ewigkeit .
-- Glückliches Kind , sagte der gerührte Monarch , du bist unsere Befreierin .
Ich bin nichts als Sophies Pate , sagte die Kleine .
Erlaube daß Turmalin , der Blumengärtner , und Gold mich begleiten .
Die Asche meiner Pflegemutter muß ich sammeln , und der alte Träger muß wieder aufstehen , daß die Erde wieder schwebe und nicht auf dem Chaos liege .
Der König rief allen Drei , und befahl ihnen , die Kleine zu begleiten .
Die Stadt war hell , und auf den Straßen war ein lebhaftes Verkehr .
Das Meer brach sich brausend an der hohlen Klippe , und Fabel fuhr auf des Königs Wagen mit ihren Begleitern hinüber .
Turmalin sammelte sorge fältig die auffliegende Asche .
Sie gingen rund um die Erde , bis sie an den alten Riesen kamen , an dessen Schultern sie hinunter klemmten .
Er schien vom Schlage gelähmt , und konnte kein Glied rühren .
Gold legte ihm eine Münze in den Mund , und der Blumengärtner schob eine Schüssel unter seine Lenden .
Fabel berührte ihm die Augen , und goß das Gefäß auf seiner Stirn aus .
So wie das Wasser über das Auge in den Mund und herunter über ihn in die Schüssel floß , zuckte ein Blitz des Lebens ihm in allen Muskeln .
Er schlug die Augen auf und hob sich rüstig empor .
Fabel sprang zu ihren Begleitern auf die steigende Erde , und bot ihm freundlich guten Morgen .
Bist du wieder da , liebliches Kind ? sagte der Alte ; habe ich doch immer von dir geträumt .
Ich dachte immer , du würdest erscheinen , ehe mir die Erde und die Augen zu schwer würden .
Ich habe wohl lange geschlafen .
Die Erde ist wieder leicht , wie sie es immer den Guten war , sagte Fabel .
Die alten Zeiten kehren zurück .
In Kurzem bist du wieder unter alten Bekannten .
Ich will dir fröhliche Tage spinnen , und an einem Gehilfen soll es auch nicht fehlen , damit du zuweilen an unseren Freuden Teil nehmen , und im Arm einer Freundin Jugend und Stärke einatmen kannst .
Wo sind unsere alten Gastfreundinnen , die Hesperiden ? --
An Sophies Seite .
Bald wird ihr Garten wieder blühen , und die goldene Frucht duften .
Sie gehen umher und sammeln die schmachtenden Pflanzen .
Fabel entfernte sich , und eilte dem Hause zu .
Es war zu völligen Ruinen geworden .
Efeu umzog die Mauern .
Hohe Büsche beschatteten den ehemaligen Hof , und weiches Moos polsterte die alten Stiegen .
Sie trat ins Zimmer .
Sophie stand am Altar , der wieder aufgebaut war .
Eros lag zu ihren Füßen in voller Rüstung , ernster und edler als jemals .
Ein prächtiger Kronleuchter hing von der Decke .
Mit bunten Steinen war der Fußboden ausgelegt , und zeigte einen großen Kreis um den Altar her , der aus lauter edlen bedeutungsvollen Figuren bestand .
Ginnistan bog sich über ein Ruhebett , worauf der Vater in tiefem Schlummer zu liegen schien , und weinte .
Ihre blühende Anmut war durch einen Zug von Andacht und Liebe unendlich erhöht .
Fabel reichte die Urne , worin die Asche gesammelt war , der heiligen Sophie , die sie zärtlich umarmte .
Liebliches Kind , sagte sie , dein Eifer und deine Treue haben dir einen Platz unter den ewigen Sternen erworben .
Du hast das Unsterbliche in dir gewählt .
Der Phönix ge hört dir .
Du wirst die Seele unseres Lebens sein .
Jetzt wecke den Bräutigam auf .
Der Herold ruft , und Eros soll Freya suchen und aufwecken .
Fabel freute sich unbeschreiblich bei diesen Worten .
Sie rief ihren Begleitern Gold und Zink , und nahte sich dem Ruhebette .
Ginnistan sah erwartungsvoll ihrem Beginnen zu .
Gold schmolz die Münze und füllte das Behältnis , worin der Vater lag , mit einer glänzenden Flut .
Zink schlang um Ginnistans Busen eine Kette .
Der Körper schwamm auf den zitternden Wellen .
Bücke dich , liebe Mutter , sagte Fabel , und lege die Hand auf das Herz des Geliebten .
Ginnistan bückte sich .
Sie sah ihr vielfaches Bild .
Die Kette berührte die Flut , ihre Hand sein Herz ; er erwachte und zog die entzückte Braut an seine Brust .
Das Metall gerann , und wurde ein heller Spie gell .
Der Vater erhob sich , seine Augen blitzten , und so schön und bedeutend auch seine Gestalt war , so schien doch sein ganzer Körper eine feine unendlich bewegliche Flüssigkeit zu sein , die jeden Eindruck in den mannigfaltigsten und reizendsten Bewegungen verriet .
Das glückliche Paar näherte sich Sofi , die Worte der Weihe über sie aussprach , und sie ermahnte , den Spiegel fleißig zu Rate zu ziehen , der alles in seiner wahren Gestalt zurückwerfe , jedes Blendwerk vernichte , und ewig das ursprüngliche Bild festhalte .
Sie ergriff nun die Urne und schüttete die Asche in die Schale auf dem Altar .
Ei sanftes Brausen verkündigte die Auflösung , und ein leiser Wind wehte in den Gewändern und Locken der Umstehenden .
Sophie reichte die Schale dem Eros und dieser den Anderen .
Alle kosteten den göttlichen Trank , und vernahmen die freundliche Begrüßung der Mutter in ihrem Inneren , mit unsäglicher Freude .
Sie war jedem gegenwärtig , und ihre geheimnisvolle Anwesenheit schien alle zu verklären .
Die Erwartung war erfüllt und übertroffen .
Alle merkten , was ihnen gefehlt habe , und das Zimmer war ein Aufenthalt der Seligen geworden .
Sophie sagte : das große Geheimnis ist allen offenbart , und bleibt ewig unergründlich .
Aus Schmerzen wird die neue Welt geboren , und in Tränen wird die Asche zum Trank des ewigen Lebens aufgelöst .
In jedem wohnt die himmlische Mutter , um jedes Kind ewig zu gebären .
Fühlt ihr die süße Geburt im Klopfen eurer Brust ?
Sie goß in den Altar den Rest aus der Schale hinunter .
Die Erde bebte in ihren Tiefen .
Sophie sagte : Eros , eile mit deiner Schwester zu deiner Geliebten .
Bald seht ihr mich wieder .
Fabel und Eros gingen mit ihrer Begleitung schnell hinweg .
Es war ein mächtiger Frühling über die Erde verbreitet .
Alles hob und regte sich .
Die Erde schwebte näher unter dem Schleier .
Der Mond und die Wolken zogen mit fröhlichem Getümmel nach Norden .
Die Königsburg strahlte mit herrlichem Glanze über das Meer , und auf ihren Zinnen stand der König in voller Pracht mit seinem Gefolge .
Überall erblickten sie Staubwirbel , in denen sich bekannte Gestalten zu bilden schienen .
Sie begegneten zahlreichen Scharen von Jünglingen und Mädchen , die nach der Burg strömten , und sie mit Jauchzen bewillkommten .
Auf manchen Hügeln saß ein glückliches eben erwachtes Paar in lange entbehrter Umar mung , hielt die neue Welt für einen Traum , und konnte nicht aufhören , sich von der schönen Wahrheit zu überzeugen .
Die Blumen und Bäume wuchsen und grünten mit Macht .
Alles schien beseelt .
Alles sprach und sang .
Fabel grüßte überall alte Bekannte .
Die Tiere nahten sich mit freundlichen Grüßen den erwachten Menschen .
Die Pflanzen bewirteten sie mit Früchten und Düften , und schmückten sie auf das Zierlichste .
Kein Stein lag mehr auf einer Menschenbrust , und alle Lasten waren in sich selbst zu einem festen Fußboden zusammengesunken .
Sie kamen an das Meer .
Ein Fahrzeug von geschliffenem Stahl lag am Ufer festgebunden .
Sie traten hinein und lösten das Tau .
Die Spitze richtete sich nach Norden , und das Fahrzeug durchschnitt , wie im Fluge , die buhlenden Wellen .
Lis pelndes Schilf hielt seinen Ungestüm auf , und es stieß leise an das Ufer .
Sie eilten die breiten Treppen hinan .
Die Liebe wunderte sich über die königliche Stadt und ihre Reichtümer .
Im Hofe sprang der lebendiggewordene Quell , der Hain bewegte sich mit den süßesten Tönen , und ein wunderbares Leben schien in seinen heißen Stämmen und Blättern , in seinen funkelnden Blumen und Früchten zu quellen und zu treiben .
Der alte Held empfing sie an den Toren des Palastes .
Ehrwürdiger Alter , sagte Fabel , Eros bedarf dein Schwert .
Gold hat ihm eine Kette gegeben , die mit einem Ende in das Meer hinunter reicht , und mit dem anderen um seine Brust geschlungen ist .
Fasse sie mit mir an , und führe uns in den Saal , wo die Prinzessin ruht .
Eros nahm aus der Hand des Alten das Schwert , setzte den Knopf auf seine Brust , und neigte die Spitze vorwärts .
Die Flügeltüren des Saals flogen auf , und Eros nahte sich entzückt der schlummernden Freya .
Plötzlich geschah ein gewaltiger Schlag .
Ein heller Funken fuhr von der Prinzessin nach dem Schwerte ; das Schwert und die Kette leuchteten , der Held hielt die kleine Fabel , die beinahe umgesunken wäre .
Eros Helmbusch wallte empor .
Wirf das Schwert weg , rief Fabel , und erwecke deine Geliebte .
Eros ließ das Schwert fallen , flog auf die Prinzessin zu , und küßte feurig ihre süßen Lippen .
Sie schlug ihre großen dunklen Augen auf , und erkannte den Geliebten .
Ein langer Kuß versiegelte den ewigen Bund .
Von der Kuppel herunter kam der König mit Sofi an der Hand .
Die Gestirne und die Geister der Natur folgten in glänzenden Reihen .
Ein unaussprechlich heiterer Tag erfüllte den Saal , den Palast , die Stadt , und den Himmel .
Eine zahllose Menge ergoß sich in den weiten königlichen Saal , und sah mit stiller Andacht die Liebenden vor dem Könige und der Königin knien , die sie feierlich segneten .
Der König nahm sein Diadem vom Haupte , und band es um Eros goldene Locken .
Der alte Held zog ihm die Rüstung ab , und der König warf seinen Mantel um ihn her .
Dann gab er ihm die Lilie in die linke Hand , und Sophie knüpfte ein köstliches Armband um die verschlungenen Hände der Liebenden , indem sie zugleich ihre Krone auf Freyas braune Haare setzte .
Heil unseren alten Beherrschern , rief das Volk .
Sie haben immer unter uns gewohnt , und wir haben sie nicht erkannt !
Heil uns !
Sie werden uns ewig beherrschen !
Segnet uns auch !
Sophie sagte zu der neuen Königin :
Wirf du das Armband eures Bundes in in die Luft , daß das Volk und die Welt euch verbunden bleiben .
Das Armband zerfloß in der Luft , und bald sah man lichte Ringe um jedes Haupt , und ein glänzendes Band zog sich über die Stadt und das Meer und die Erde , die ein ewiges Fest des Frühlings feierte .
Perseus trat herein , und trug eine Spindel und ein Körbchen .
Er brachte dem neuen Könige das Körbchen .
Hier , sagte er , sind die Reste deiner Feinde .
Eine steinerne Platte mit schwarzen und weißen Feldern lag darin , und daneben eine Menge Figuren von Alabaster und schwarzem Marmor .
Es ist ein Schachspiel , sagte Sophie ; aller Krieg ist auf diese Platte und in diese Figuren gebannt .
Es ist ein Denkmal der alten trüben Zeit .
Perseus wandte sich zu Fabel , und gab ihr die Spindel .
In deinen Händen wird diese Spindel uns ewig erfreuen , und aus dir selbst wirst du Y uns einen goldenen unzerreißlichen Faden spinnen .
Der Phönix flog mit melodischem Geräusch zu ihren Füßen , spreizte seine Fittiche vor ihr aus , auf die sie sich setzte , und schwebte mit ihr über den Thron , ohne sich wieder niederzulassen .
Sie sang ein himmlisches Lied , und fing zu spinnen an , indem der Faden aus ihrer Brust sich hervorzuwinden schien .
Das Volk geriet in neues Entzücken , und aller Augen hingen an dem lieblichen Kinde .
Ein neues Jauchzen kam von der Tür her .
Der alte Mond kam mit seinem wunderlichen Hofstaat herein , und hinter ihm trug das Volk Ginnistan und ihren Bräutigam , wie im Triumph , einher .
Sie waren mit Blumenkränzen umwunden ; die königliche Familie empfing sie mit der herzlichsten Zärtlichkeit , und das neue Königspaar rief sie zu seinen Statthaltern auf Erden aus .
Gönnet mir , sagte der Mond , das Reich der Parzen , dessen seltsame Gebäude eben auf dem Hofe des Palastes aus der Erde gestiegen sind .
Ich will euch mit Schauspielen darin ergötzen , wozu die kleine Fabel mir behilflich sein wird .
Der König willigte in die Bitte , die kleine Fabel nickte freundlich , und das Volk freute sich auf den seltsamen unterhaltenden Zeitvertreib .
Die Hesperiden ließen zur Thronbesteigung Glück wünschen , und um Schutz in ihren Gärten bitten .
Der König ließ sie bewillkommen , und so folgten sich unzählige fröhliche Botschaften .
Unterdessen hatte sich unmerklich der Thron verwandelt , und war ein prächtiges Hochzeitbett geworden , über dessen Himmel der Phönix mit der kleinen Fabel schwebte .
Drei Karyatiden aus dunklem Porphyr trugen es hinten , und vorn ruhte dasselbe auf einer Sphinx aus Basalt .
Der König umarmte seine errötende Geliebte , und das Volk folgte dem Beispiel des Königs , und liebkoste sich unter einander .
Man hörte nichts , als zärtliche Namen und ein Kußgeflüster .
Endlich sagte Sophie :
Die Mutter ist unter uns , ihre Gegenwart wird uns ewig beglücken .
Folgt uns in unsere Wohnung , in dem Tempel dort werden wir ewig wohnen , und das Geheimnis der Welt bewahren .
Die Fabel spann emsig , und sang mit lauter Stimme :
Gegründet ist das Reich der Ewigkeit , In Liebe und Frieden endigt sich der Streit , Vorüber ging der Ligen Traum der Schmer¬lb / » Zähne , Sophie ist ewig Priesterin der Herzen .
Heinrich von Ofterdingen .
Zweiter Teil .
Die Erfüllung .
A Das Kloster , oder der Vorhof .
Astralis .
An einem Sommermorgen wurde ich jung ; Da fühlte ich meines eigenen Lebens Puls Zum erstenmal , -- und wie die Liebe sich In tiefere Entzückungen verlor , Erwacht ich immer mehr , und das Verlangen Nach innigerer , gänzlicher Vermischung Wurde dringender mit jedem Augenblick . A 2 Wollust ist meines Daseins Zeugungskraft .
Ich bin der Mittelpunkt , der heilige Quell , Aus welchem jede Sehnsucht stürmisch fließt , Wohin sich jede Sehnsucht , mannigfach Gebrochen , wieder still zusammen zieht .
Ihr kennt mich nicht und saht mich werden .
-- Wart ihr nicht Zeugen , wie ich noch Nachtwandler mich zum erstenmal traf An jenem frohen Abend ?
Flog euch nicht Ein süßer Schauer der Entzündung an ? --
Versunken lag ich ganz in Honigkelchen ; Ich duftete , die Blume schwankte still In goldener Morgenluft .
Ein inneres Quellen War ich , ein sanftes Ringen , alles floß Durch mich und über mich und hob mich leise .
Da sank das erste Stäubchen in die Narbe , Denkt an den Kuß nach aufgehobenem Tisch .
Ich quoll in meine eigene Flut zurück --
Es war ein Blitz , -- nun konnte ich schon mich regen , Die zarten Fäden und den Kelch bewegen , Schnell schossen , wie ich selber mich begann , Zu irdischen Sinnen die Gedanken an .
Noch war ich blind , doch schwankten lichte Sterne Durch meines Wesens wunderbare Ferne , Nichts war noch nah , ich fand mich nur von weiten , Ein Anklang alter , so wie künftiger Zeiten .
Aus Wehmut , Liebe und Ahnungen entsprungen War der Besinnung Wachstum nur ein Flug , Und wie die Wollust Flammen in mir schlug , Wurde ich zugleich vom höchsten Weh durchdrungen .
Die Welt lag blühend um den hellen Hügel , Die Worte des Propheten wurden Flügel , Nicht einzeln mehr nur Heinrich und Mathilde Vereinten Beide sich zu Einem Bilde . --
Ich hob mich nun gen Himmel neugeboren , Vollendet war das irdische Geschick Im seligen Verklärungs-Augenblick , Es hatte nun die Zeit ihr Recht verloren , Und forderte , was sie geliehen , zurück .
Es bricht die neue Welt herein Und verdunkelt den hellsten Sonnenschein , Man sieht nun aus bemoosten Trümmern Eine wunderseltsame Zukunft schimmern , Und was vordem alltäglich war Scheint jetzt fremd und wunderbar .
Der Liebe Reich ist aufgetan , Die Fabel fängt zu spinnen an .
Das Urspiel jeder Natur beginnt , Auf kräftige Worte jedes sinnt , Und so das große Weltgemüt Überall sich regt und unendlich blüht .
Alles muß in einander greifen , Eins durch das Andere gedeihen und reifen ; Jedes in Allen dar sich stellt , Indem es sich mit ihnen vermischet Und gierig in ihre Tiefen fällt , Sein eigentümliches Wesen erfrischet Und tausend neue Gedanken erhält .
Die Welt wird Traum , der Traum wird Welt , Und was man glaubt es sei geschehen , Kann man von weitem erst kommen sehen .
Frei soll die Fantasie erst schalten , Nach ihrem Gefallen die Fäden verweben , Hier manches verschleiern , dort manches entfalten , Und endlich in magischen Dunst verschweben .
Wehmut und Wollust , Tod und Leben Sind hier in innigster Sympathie , -- Wer sich der höchsten Liebe ' ergeben , Genest von ihren Wunden nie .
Schmerzhaft muß jenes Band zerreißen Was sich ums innere Auge zieht , Einmal das treuste Herz verwaisen , Ehe es der trüben Welt entflieht .
Der Leib wird aufgelöst in Tränen , Zum weiten Grabe wird die Welt , In das , verzehrt von bangem Sehnen , Das Herz , als Asche , niederfällt .
Auf dem schmalen Fußsteige , der ins Gebirge hinauflief , ging ein Pilgrim in tiefen Gedanken .
Mittag war vorbei , ein starker Wind sauste durch die blaue Luft , seine dumpfen , mannigfaltigen Stimmen verloren sich , wie sie kamen .
War er vielleicht durch die Gegenden der Kindheit geflogen , oder durch andere redende Länder ?
Es waren Stimmen , deren Echo nach im Innersten klang , und dennoch schien sie der Pilgrim nicht zu kennen .
Er hatte nun das Gebirge erreicht , wo er das Ziel seiner Reise zu fin den hoffte . --
Hoffte ? --
Er hoffte gar nichts mehr .
Die entsetzliche Angst und dann die trockene Kälte der gleichgültigsten Verzweiflung trieben ihn , die wilden Schrecknisse des Gebirges aufzusuchen ; der mühseligste Gang beruhigte das zerstörende der inneren Gewalten .
Er war matt , aber still .
Noch sah er nichts , was um ihn her sich allmählich gehäuft hatte , als er sich auf einen Stein setzte und den Blick rückwärts wandte .
Es dünkte ihm , als träume er jetzt , oder habe er geträumt .
Eine unübersehliche Herrlichkeit schien sich vor ihm aufzutun .
Bald flossen seine Tränen , indem sein Inneres plötzlich brach ; er wollte sich in der Ferne verweinen , daß auch keine Spur seines Daseins übrig bliebe .
Unter dem heftigen Schluchzen schien er zu sich selbst zu kommen , die weiche heitere Luft durchdrang ihn , seinen Sinnen wurde die Welt wieder gegenwärtig , und alle Gedanken fingen tröstlich zu reden an .
Dort lag Augsburg mit seinen Türmen , fern am Gesichtskreis blinkte der Spiegel des furchtbaren geheimnisvollen Stroms ; der ungeheure Wald bog sich mit tröstlichem Ernst zu dem Wanderer , das gezackte Gebirge ruhte so bedeutend über der Ebene , und beide schienen zu sagen :
Eile nur , Strom , du entfliehst uns nicht ; ich will dir folgen mit geflügelten Schiffen ; ich will dich brechen und halten und dich verschlucken in meinen Schoß ! vertraue du uns , Pilgrim , er ist auch unser Feind , den wir selbst erzeugten , laß ihn eilen mit seinem Raub , er entflieht uns nicht .
Der arme Pilgrim gedachte der alten Zeiten und ihrer unsäglichen Entzückungen , aber wie matt gingen diese köstlichen Erinnerungen vorüber .
Der breite Hut verdeckte ein jugendliches Gesicht , es war bleich , wie eine Nachtblume : in Tränen hatte sich der Balsamsaft des jungen Lebens , in tiefe Seufzer sein schwellender Hauch verwandelt , in ein fahles Aschgrau waren alle seine Farben verschossen .
Seitwärts am Gehänge schien ihm ein Mönch unter einem allen Eichbaum zu knien .
Sollte das der alte Hofkaplan sein ?
so dachte er bei sich ohne große Verwunderung .
Der Mönch kam ihm größer und ungestalter vor , je näher er zu ihm trat ; er merkte nun seinen Irrtum , denn es war ein einzelner Felsen , über den sich der Baum herbog .
Stillgerührt faßte er den Stein in seine Arme , und drückte ihn lautweinend an seine Brust .
Ach daß doch jetzt deine Reden sich bewährten , und die heilige Mutter ein Zeichen an mir täte !
Bin ich doch so ganz elend und verlassen .
Wohnt in meiner Wüste kein Heiliger , der mir sein Gebet liehe ?
Bete du , teurer Vater , jetzt in diesem Augenblick für mich .
Wie er so bei sich dachte , fing der Baum an zu zittern , dumpf dröhnte der Felsen , und wie aus tiefer unterirdischer Ferne erhoben sich einige klare Stimmchen und sangen : Ihr Herz war voller Freuden , Von Freuden sie nur wusste , Sie wusste von keinen Leiden Drückt Kindlein an ihr Brust .
Sie küßt ihm seine Wangen , Sie küßt es mannigfaltig , Mit Liebe wurde sie umfangen Durch Kindeleins schöne Gestalt .
Die Stimmchen schienen mit unendlicher Lust zu singen .
Sie wiederholten den Vers einigemal .
Es wurde alles wieder ruhig , und nun hörte der erstaunte Pilger , daß jemand aus dem Baume sagte :
Wenn du ein Lied zu meinen Ehren auf deiner Laute spielen wirst , so wird ein armes Mädchen herfür kommen ; nimm sie mit und laß sie nicht von dir ; gedenke meiner , wenn du zum Kaiser kommst :
ich habe mir diese Stätte ausersehen , um mit meinem Kindlein hier zu wohnen , laß mir ein starkes , warmes Haus hier bauen .
Mein Kindlein hat den Tod überwunden ; härme dich nicht , ich bin bei dir :
du wirst noch eine Weile auf Erden bleiben , aber das Mädchen wird dich trösten , bis du auch stirbst und zu unseren Freuden eingehst .
Es ist Mathildes Stimme ! rief der Pilger und fiel auf seine Knie , um zu beten .
Da drang durch die Äste ein langer Strahl zu seinen Augen und er sah durch den Strahl in eine ferne kleine wundersame Herrlichkeit hinein , welche nicht zu beschreiben , noch kunstreich mit Farben nachzubilden möglich gewesen wäre .
Es waren überaus feine Figuren , und die innigste Lust und Freude , ja eine himmlische Glückseligkeit war darin überall zu schauen , sogar daß die leblosen Gefäße , das Säulwerk , die Teppiche , Zieraten und alles , was zu sehen war , nicht gemacht , sondern wie ein vollsaftiges Kraut also gewachsen und zusammen gekommen zu sein schien .
Es waren die schönsten menschlichen Gestalten , die dazwischen umher gingen und sich über die Maßen freundlich und holdselig gegeneinander erzeigten .
Ganz vorn stand die Geliebte des Pilgers , und es hatte das Ansehen , als wolle sie mit ihm sprechen , doch war nichts zu hören ; und der Pilger betrachtete nur mit tiefer Sehnsucht ihre anmutigen Züge , und wie sie so freundlich und lächelnd ihm zuwinkte , und die Hand auf ihre linke Brust legte .
Der Anblick war unendlich tröstend und erquickend , und der Pilger lag noch lang in heiliger Entzückung , als die Erscheinung wieder hinweggenommen war .
Der heilige Strahl hatte alle Schmerzen und Bekümmernisse aus seinem Herzen gesogen , so daß sein Gemüt wieder rein und leicht , und sein Geist wieder frei und fröhlich war wie vordem .
Nichts war übrig geblieben , als ein stilles inniges Sehnen , und ein wehmütiger Klang im Aller-Innersten : aber die wilden Qualen der Einsamkeit , die herbe Pein eines unsäglichen Verlustes , die trübe entsetzliche Leere , die irdische Ohnmacht war gewichen , und der Pilgrim sah sich wieder in einer vollen bedeutsamen Welt .
Stimme und Sprache waren wieder lebendig bei ihm geworden , und es dünkte ihm nunmehr alles viel bekannter und weissagender als ehemals , so so daß ihm der Tod wie eine höhere Offenbarung des Lebens erschien , und er sein eigenes , schnell vorübergehendes Dasein mit kindlicher heiterer Rührung betrachtete .
Zukunft und Vergangenheit hatten sich in ihm berührt und einen innigen Verein geschlossen ; er stand weit außer der Gegenwart und die Welt wurde ihm erst teuer , als er sie verloren hatte , und sich nur als Fremdling in ihr fand , der ihre weiten bunten Säle noch eine kurze Weile durchwandern sollte .
Es war Abend geworden , und die Erde lag vor ihm wie ein altes liebes Wohnhaus , das er nach langer Entfernung wiederfände .
Tausend Erinnerungen wurden ihm gegenwärtig ; jeder Stein , jeder Baum , jede Anhöhe wollte wieder gekannt sein , jedes war das Merkmal einer alten Geschichte .
Der Pilger ergriff seine Laute und sang :
B Liebeszähren , Liebesflammen , Fließt zusammen ; Heiligt diese Wunderstäten , Wo der Himmel mir erschienen ; Schwärmt um diesen Baum wie Bienen , In unzähligen Gebeten .
Er hat froh sie aufgenommen , Als sie kommen , Sie geschützt vor Ungewittern ; Sie wird einst in ihrem Garten Ihn begießen und ihn warten , Wunder tun mit seinen Splittern .
Auch der Felsen ist gesunken Freudetrunken Zu der seligen Mutter Füßen .
Ist die Andacht auch in Steinen , Sollte da der Mensch nicht weinen Und sein Blut für sie vergießen ?
Die Bedrängten müssen ziehen Und hier knien ; Alle werden hier genesen .
Keiner wird fortan noch klagen , Alle werden fröhlich sagen :
Einst sind wir betrübt gewesen .
Ernste Mauern werden stehen Auf den Höhen .
In den Tälern wird man rufen , Wenn die schwersten Zeiten kommen : Keinem sei das Herz beklommen , Nur hinan zu jenen Stufen !
Gottes Mutter und Geliebte , Der Betrübte Wandelt nun verklärt von hinnen .
Ewige Güte , ewige Milde , O !
ich weiß , du bist Mathilde , Und das Ziel von meinem Sinnen . B 2 Ohne mein verwegenes Fragen Wirst mir sagen , Wann ich zu dir soll gelangen .
Gern will ich in tausend Weisen Noch der Erde Wunder preisen , Bis du kommst , mich zu umfangen .
Alte Wunder , künftige Zeiten , Seltsamkeiten , Weichet nie aus meinem Herzen .
Unvergeßlich sei die Stelle , Wo des Lichtes heilige Quelle Weggespült den Traum der Schmerzen .
Unter seinem Gesang war er nichts gewahr worden ; wie er aber aufsah , stand ein junges Mädchen nahe bei ihm am Felsen , die ihn freundlich wie einen alten Bekannten grüßte , und ihn einlud mit zu ihrer Wohnung zu gehen , wo sie ihm schon ein Abendessen zubereitet habe .
Ihr ganzes Wesen und Tun war ihm befreundet .
Sie bat ihn , noch einige Augenblicke zu verziehen , trat unter den Baum , sah mit einem unaussprechlichen Lächeln hinauf und schüttete aus ihrer Schürze viele Rosen auf das Gras .
Sie kniete still daneben , stand aber bald wieder auf und führte den Pilger fort .
Wer hat mir von dir gesagt ? fragte der Pilgrim .
Unsere Mutter .
Wer ist deine Mutter ?
Die Mutter Gottes .
Seit wann bist du hier ?
Seitdem ich aus dem Grabe gekommen bin .
Warst du schon einmal gestorben ?
Wie könnte ich denn leben ?
Lebst du hier ganz allein ?
Ein alter Mann ist zu Hause , doch kenne ich noch viele , die gelebt haben .
Hast du Lust bei mir zu bleiben ?
Ich habe dich ja lieb .
Woher kennst du mich ?
O ! von alten Zeiten ; auch erzählte mir meine ehemalige Mutter zeither immer von dir .
Hast du noch eine Mutter ?
Ja , aber es ist eigentlich dieselbe .
Wie hieß sie ?
Maria .
Wer war dein Vater ?
Der Graf von Hohenzollern .
Den kenne ich auch .
Wohl mußt du ihn kennen , denn er ist auch dein Vater .
Mein Vater ist in Eisenach .
Du hast mehr Eltern .
Wo gehen wir denn hin ?
Immer nach Hause .
Sie waren jetzt auf einen geräumigen Platz im Holze gekommen , auf welchem einige verfallene Türme hinter tiefen Gräben standen .
Junges Gebüsch schlang sich um die alten Mauern , wie ein jugendlicher Kranz um das Silberhaupt eines Greises .
Man sah in die Unermeßlichkeit der Zeiten , und erblickte die weitesten Geschichten in kleine glänzende Minuten zusammen gezogen , wenn man die grauen Steine , die blitzähnlichen Risse , und die hohen , schaurigen Gestalten betrachtete .
So zeigt uns der Himmel unendliche Räume in dunkles Blau gekleidet und wie milchfarbene Schimmer , so unschuldig wie die Wangen eines Kindes , die fernsten Heere seiner schweren ungeheuren Welten .
Sie gingen durch einen alten Torweg , und der Pilger war nicht wenig erstaunt , als er sich nun von lauter seltenen Gewächsen umringt und die Reize des anmutigsten Gartens unter diesen Trümmern versteckt sah .
Ein kleines steinernes Häuschen von neuer Bauart mit großen Fenstern lag dahinter .
Dort stand ein alter Mann hinter den breitblättrigen Stauden und band die schwanken Zweige an Stäbchen .
Den Pilgrim führte seine Begleiterin zu ihm und sagte :
Hier ist Heinrich , nach dem du mich oft gefragt hast .
Wie sich der Alte zu ihm wandte , glaubte Heinrich den Bergmann vor sich zu sehen .
Du siehst den Arzt Silvester , sagte das Mädchen .
Silvester freute sich ihn zu sehen und sprach :
Es ist eine geraume Zeit her , daß ich deinen Vater eben so jung bei mir sah .
Ich ließ es mir damals angelegen sein , ihn mit den Schätzen der Vorzeit , mit der kostbaren Hinterlassenschaft einer zu früh abgeschiedenen Welt bekannt zu machen .
Ich bemerkte in ihm die Anzeichen eines großen Bildkünstlers , sein Auge regte sich voll Lust , ein wahres Auge , ein schaffendes Werkzeug zu werden ; sein Gesicht zeigte von innerer Festigkeit und ausdauerndem Fleiß , aber die gegenwärtige Welt hatte zu tiefe Wurzeln schon bei ihm geschlagen , er wollte nicht Achtung geben auf den Ruf seiner eigensten Natur , die trübe Strenge seines vaterländischen Himmels hatte die zarten Spitzen der edelsten Pflanze in ihm verdorben , er wurde ein geschickter Handwerker , und die Begeisterung ist ihm zur Torheit geworden .
Wohl , versetzte Heinrich , habe ich in ihm oft mit Schmerzen eine stille Wehmut bemerkt .
Er arbeitete unaufhörlich aus Gewohnheit und nicht aus innerer Lust , es scheint ihm etwas zu fehlen , was die friedliche Stille seines Lebens , die Bequemlichkeiten seines Auskommens , die Freude sich geehrt und geliebt von seinen Mitbürgern zu sehen , und in allen Stadtangelegenheiten zu Rate gezogen zu werden , ihm nicht ersetzen kann .
Seine Bekannten halten ihn für sehr glücklich , aber sie wissen nicht , wie lebenssatt er ist , wie leer ihm oft die Welt vorkommt , wie sehnlich er sich hinweg wünscht , und wie er nicht aus Erwerblust , sondern um diese Stimmung zu verscheuchen , so fleißig arbeitet .
Was mich am meisten wundert , versetzte Silvester , ist , daß er eure Erziehung ganz in den Händen eurer Mutter gelassen hat , und sorgfältig sich gehütet , in eure Entwicklung sich zu mischen , oder euch zu irgend einem bestimmten Stande anzuhalten .
Ihr habt von Glück zu sagen , daß ihr habt aufwachsen dürfen ohne von euren Eltern die mindeste Beschränkung zu leiden , denn die meisten Menschen sind nur Überbleibsel eines vollen Gastmals , daß Menschen von verschiedenen Appetit und Geschmack geplündert haben .
Ich weiß selbst nicht , erwiderte Heinrich , was Erziehung heißt , wenn es nicht das Leben und die Sinnesweise meiner Eltern ist , oder der Unterricht meines Lehrers , des Hofkaplans .
Mein Vater scheint mir , bei aller seiner kühlen und durchaus festen Denkungsart , die ihn alle Verhältnisse wie ein Stück Metall und eine künstliche Arbeit ansehen läßt , doch unwillkürlich und ohne es selbst zu wissen , eine stille Ehrfurcht und Gottesfurcht vor allen unbegreiflichen und höheren Erscheinungen zu haben , und daher das Aufblühen eines Kindes mit demütiger Selbstverleugnung zu betrachten .
Ein Geist ist hier geschäftig , der frisch aus der unendlichen Quelle kommt , und dieses Gefühl der Überlegenheit eines Kindes in den allerhöchsten Dingen , der unwiderstehliche Gedanke einer nähern Führung dieses unschuldigen Wesens , das jetzt im Begriff steht , eine so bedenkliche Laufbahn anzutreten , das Gepräge einer wunderbaren Welt , was noch keine irdische Flut unkenntlich gemacht hat , und endlich die Sympathie der Selbst-Erinnerung jener fabelhaften Zeiten , wo die Welt uns heller , freundlicher und seltsamer dünkte , und der Geist der Weissagung fast sichtbar uns begleitete , alles dies hat meinen Vater gewiß zu der andächtigsten und bescheidensten Behandlung vermocht .
Laß uns hierher auf die Rasenbank unter die Blumen setzen , unterbrach ihn der Alte ; Cyane wird uns rufen , wenn unser Abendessen bereit ist , und wenn ich euch bitte ten darf , so fahrt fort , mir von eurem früheren Leben etwas zu erzählen .
Wir Alten hören am liebsten von den Kinderjahren reden , und es dünkt mich , als liest ihr mich den Duft einer Blume einziehen , den ich seit meiner Kindheit nicht wieder eingeatmet hätte .
Nur sagt mir noch vorher , wie euch meine Einsiedelei und mein Garten gefällt , denn diese Blumen sind meine Freundinnen , mein Herz ist in diesem Garten .
Ihr seht nichts , was mich nicht liebt , und von mir nicht zärtlich geliebt wird , ich bin hier mitten unter meinen Kindern und komme mir vor wie ein alter Baum , aus dessen Wurzeln diese muntere Jugend ausgeschlagen sei .
Glücklicher Vater , sagte Heinrich , euer Garten ist die Welt .
Ruinen sind die Mütter dieser blühenden Kinder , die bunte , lebendige Schöpfung zieht ihre Nahrung aus den Trümmern vergangener Zeiten .
Aber mußte die Mutter sterben , damit die Kinder gedeihen können , und bleibt der Vater zu ewigen Tränen allein an ihrem Grabe sitzen ?
Silvester reichte dem schluchzenden Jünglinge die Hand , und stand auf , um ihm ein eben aufgeblühtes Vergißmeinnicht zu hohlen , das er an einen Zypressenzweig band und ihm brachte .
Wunderlich rührte der Abendwind die Wipfel der Kiefern , die jenseits der Ruinen standen , ihr dumpfes Brausen tönte herüber .
Heinrich verbarg sein Gesicht in Tränen an dem Halse des guten Silvester , und wie er sich wieder erhob , trat eben der Abendstern in voller Glorie über den Wald herüber .
Nach einiger Stille fing Silvester an :
Ich möchte euch wohl in Eisenach unter euren Gespielen gesehen haben , eure Eltern , die vortreffliche Landgräfin , die biederen Nachbarn eures Vaters , und der alte Hofkaplan machen eine schöne Gesellschaft aus .
Ihre Gespräche müssen frühzeitig auf euch gewirkt haben , besonders da ihr das einzige Kind wart .
Auch stelle ich mir die Gegend äußerst anmutig und bedeutsam vor .
Ich lerne , versetzte Heinrich , meine Gegend erst recht kennen , seit ich weg bin und viele andere Gegenden gesehen habe .
Jede Pflanze , jeder Baum , jeder Hügel und Berg hat seinen besonderen Gesichtskreis , seine eigentümliche Gegend , sie gehört zu ihm , und sein Bau , seine ganze Beschaffenheit wird durch sie erklärt .
Nur das Tier und der Mensch können zu allen Gegenden kommen , alle Gegenden sind die ihrigen .
So machen alle zusammen eine große Weltgegend , einen unendlichen Gesichtskreis aus , dessen Einfluß auf den Menschen und das Tier eben so sichtbar ist , wie der Einfluß der engeren Umgebung auf die Pflanze .
Daher Menschen die viel gereist sind , Zugvögel und Raubtiere , unter den Übrigen sich durch besonderen Verstand und andere wunderbare Gaben auszeichnen .
Doch gibt es auch gewiß mehr oder weniger Fähigkeit unter ihnen , von diesen Weltkreisen und ihrem mannigfaltigen Inhalt und ihrer Ordnung gerührt und gebildet zu werden .
Auch fehlt wohl manchen Menschen die nötige Aufmerksamkeit und Gelassenheit , um den Wechsel der Gegenstände und ihre Zusammenstellung erst gehörig zu betrachten , und dann darüber nachzudenken , und die nötigen Vergleichungen vorzunehmen .
Oft fühle ich jetzt , wie mein Vaterland meine frühesten Gedanken mit unvergänglichen Farben angehaucht hat , und sein Bild eine seltsame Andeutung meines Gemütes geworden ist , die ich immer mehr errate , je tiefer ich einsehe , daß daß Schicksal und Gemüt Namen Eines Begriffes sind .
Auf mich , sagte Silvester , hat freilich die lebendige Natur , die regsame Überkleidung der Gegend , immer am meisten gewirkt .
Ich bin nicht müde geworden , besonders die verschiedene Pflanzennatur auf das sorgfältigste zu betrachten .
Die Gewächse sind so die unmittelbarste Sprache des Bodens , jedes neue Blatt , jede sonderbare Blume ist irgend ein Geheimnis , das sich hervordrängt , und das , weil es sich vor Liebe und Lust nicht bewegen und nicht zu Worten kommen kann , eine stumme , ruhige Pflanze wird .
Findet man in der Einsamkeit eine solche Blume , ist es da nicht , als wäre alles umher verklärt und hielten sich die kleinen befiederten Töne am liebsten in ihrer Nähe auf ?
Man möchte für Freuden weinen , und abgesondert von C der Welt nur seine Hände und Füße in die Erde stecken , um Wurzeln zu treiben , und nie diese glückliche Nachbarschaft zu verlassen .
Über die ganze trockene Welt ist dieser grüne , geheimnisvolle Teppich der Liebe gezogen .
Mit jedem Frühjahr wird er erneuert , und seine seltsame Schrift ist nur dem Geliebten lesbar , wie der Blumenstrauß des Orients ; ewig wird er lesen , und sich nicht satt lesen , und täglich neue Bedeutungen , neue entzückende Offenbarungen der liebenden Natur gewahr werden .
Dieser unendliche Genuß ist der geheime Reiz , den die Begehung der Erdfläche für mich hat , indem eine jede Gegend andere Rätsel löset , und mich immer mehr erraten läßt , woher der Weg komme und wohin er gehe .
Ja , sagte Heinrich , wir haben von Kinderjahren angefangen zu reden , und von der Erziehung , weil wir in euren Gärten waren und die eigentliche Offenbarung der Kindheit , die unschuldige Blumenwelt , unmerklich in unser Gedächeniß und auf unsere Lippen die Erinnerung der alten Bekanntschaft brachte .
Mein Vater ist auch ein großer Freund des Gartenlebens und die glücklichsten Stunden seines Lebens bringt er unter den Blumen zu .
Dies hat auch gewiß seinen Sinn für die Kinder so offen erhalten , da Blumen die Ebenbilder der Kinder sind .
Den vollen Reichtum des unendlichen Lebens , die gewaltigen Mächte der späteren Zeit , die Herrlichkeit des Weltendes , und die goldene Zukunft aller Dinge sehen wir hier noch innig in einander verschlungen , aber doch auf das deutlichste und klarste in zarter Verjüngung .
Schon treibt die allmächtige Liebe , aber sie zündet noch nicht :
es ist keine verzehrende Flamme , es ist ein zerrinnen C 2 der Duft , und so innig die Vereinigung der zärtlichen Seelen auch ist , so ist sie doch von keiner heftigen Bewegung und keiner fressenden Wut begleitet , wie bei den Tieren .
So ist die Kindheit in der Tiefe zunächst an der Erde , da hingegen die Wolken vielleicht die Erscheinungen der zweiten , höheren Kindheit , des wiedergefundenen Paradieses sind , und darum so wohltätig auf die Erstere herunter tauen .
Es ist gewiß etwas sehr geheimnisvolles in den Wolken , sagte Silvester , und eine gewisse Bewölkung hat oft einen ganz wunderbaren Einfluß auf uns .
Sie ziehen , und wollen uns mit ihrem kühlen Schatten auf und davon nehmen , und wenn ihre Bildung lieblich und bunt , wie ein ausgehauchter Wunsch unseres Inneren ist , so ist auch ihre Klarheit , das herrliche Licht , was dann auf Erden herrscht , wie die Vorbedeutung einer unbekannten , unsäglichen Herrlichkeit .
Aber es gibt auch düstere und ernste und entsetzliche Umwölkungen , in denen alle Schrecken der alten Nacht zu drohen scheinen : nie scheint sich der Himmel wieder aufheitern zu wollen , das heitere Blau ist vertilgt , und ein fahles Kupferrot auf schwarzgrauem Grunde weckt Grauen und Angst in jeder Brust .
Wenn dann die verderblichen Strahlen herunterzucken und mit höhnischem Gelächter die schmetternden Donnerschläge hinter drein fallen , so werden wir bis ins Innerste beängstigt , und wenn in uns dann nicht das erhabene Gefühl unserer sittlichen Obermacht entsteht , so glauben wir den Schrecknissen der Hölle , der Gewalt böser Geister überliefert zu sein .
Es sind Nachhalle der alten unmenschlichen Natur , aber auch weckende Stimmen der höheren Natur , des himmlischen Gewissens in uns .
Das Sterbliche dröhnt in seinen Grundfesten , aber das Unsterbliche fängt heller zu leuchten an , und erkennt sich selbst .
Wann wird es doch , sagte Heinrich , gar keiner Schrecken , keiner Schmerzen , keiner Not und keines Übels mehr im Weltall bedürfen ?
Wenn es nur eine Kraft gibt , -- die Kraft des Gewissens , -- wenn die Natur züchtig und sittlich geworden ist .
Es gibt nur Eine Ursache des Übels , -- die allgemeine Schwäche , und diese Schwäche ist nichts , als geringe sittliche Empfänglichkeit und Mangel an Reiz der Freiheit .
Macht mir doch die Natur des Gewissens begreiflich .
Wenn ich das könnte , so wäre ich Gott , denn indem man das Gewissen begreift entsteht es .
Könnt ihr mir das Wesen der Dichtkunst begreiflich machen ?
Etwas Persönliches läßt sich nicht bestimmt abfragen .
Wie viel weniger also das Geheimnis der höchsten Unteilbarkeit .
Läßt sich Musik dem Tauben erklären ?
Also wäre der Sinn ein Anteil an der neuen durch ihn eröffneten Welt selbst ?
Man verstände die Sache nur , wenn man sie hätte ?
Das Weltall zerfällt in unendliche , immer von größeren Welten wieder befaßte Welten .
Alle Sinne sind am Ende Ein Sinn .
Ein Sinn führt wie Eine Welt allmählich zu allen Welten .
Aber alles hat seine Zeit und seine Weise .
Nur die Person des Weltalls vermag das Verhältnis unserer Welt einzusehen .
Es ist schwer zu sagen , ob wir innerhalb der sinnlichen Schranken unseres Körpers wirklich unsere Welt mit neuen Welten , unsere Sinne mit neuen sin einen vermehren können , oder ob jeder Zuwachs unserer Erkenntnis , jede neue erworbene Fähigkeit nur zur Ausbildung unseres gegenwärtigen Weltsinns zu rechnen ist .
Vielleicht ist beides Eins , sagte Heinrich .
Ich weiß nur so viel , daß für mich die Fabel Gesamtwerkzeug meiner gegenwärtigen Welt ist .
Selbst das Gewissen , diese Sinn- und Weltenerzeugende Macht , dieser Keim aller Persönlichkeit , erscheint mir wie der Geist des Weltgedichts , wie der Zufall der ewigen romantischen Zusammenkunft des unendlich veränderlichen Gesamtlebens .
Werther Pilger , versetzte Silvester , das Gewissen erscheint in jeder ernsten Vollendung , in jeder gebildeten Wahrheit .
Jede durch Nachdenken zu einem Weltbild umgearbeitete Neigung und Fertigkeit wird zu einer Erscheinung , zu einer Verwandlung des Gewissens .
Alle Bildung führt zu dem , was man nicht anders wie Freiheit nennen kann , unerachtet damit nicht ein bloßer Begriff , sondern , der schaffende Grund alles Daseins bezeichnet werden soll .
Diese Freiheit ist Meisterschaft .
Der Meister übt freie Gewalt nach Absicht und in bestimmter und überdachter Folge aus .
Die Gegenstände seiner Kunst sind sein , und stehen in seinem Belieben , und er wird von ihnen nicht gefesselt oder gehemmt .
Und gerade diese allumfassende Freiheit , Meisterschaft oder Herrschaft ist das Wesen , der Trieb des Gewissens .
In ihm offenbart sich die heilige Eigentümlichkeit , das unmittelbare Schaffen der Persönlichkeit , und jede Handlung des Meisters ist zugleich Kundwerdung der hohen , einfachen , unverwickelten Welt , -- Gottes Wort .
Also ist auch das , was ehemals , wie mich dünkt Tugendlehre genannt wurde , nur die Religion , als Wissenschaft , die sogenannte Theologie im eigentlichen Sinne ?
Nur eine Gesetzordnung , die sich zur Gottesverehrung verhält , wie die Natur zu Gott ?
Ein Wortbau , eine Gedankenfolge , welche die Oberwelt bezeichnet , vorstellt und sie auf einer gewissen Stufe der Bildung vertritt ?
Die Religion für das Vermögen der Einsicht und des Urteils ? der Richtspruch , das Gesetz der Auflösung und Bestimmung aller möglichen Verhältnisse eines persönlichen Wesens ?
Allerdings ist das Gewissen , sagte Silvester , der eingeborene Mittler jedes Menschen .
Es vertritt die Stelle Gottes auf Erden , und ist daher Vielen das Höchste und Letzte .
Aber wie entfernt war die bisherige Wissenschaft , die man Tugend- oder Sittenlehre nannte , von der reinen Gestalt dieses erhabenen , weltumfassenden persönlichen Ge Dankens .
Das Gewissen ist der Menschen eigenstes Wesen in voller Verklärung , der himmlische Urmensch .
Es ist nicht dies und jenes , es gebietet nicht in allgemeinen Sprüchen , es besteht nicht aus einzelnen Tugenden .
Es gibt nur Eine Tugend , -- den reinen , ernsten Willen , der im Augenblick der Entscheidung unmittelbar sich entschließt und wählt .
In lebendiger , eigentümlicher Unteilbarkeit bewohnt es und beseelt es das zärtliche Sinnbild des menschlichen Körpers , und vermag alle geistigen Gliedmaßen in die wahrhafteste Tätigkeit zu versetzen .
O trefflicher Vater ! unterbrach ihn Heinrich , mit welcher Freude erfüllt mich das Licht , das aus euren Worten ausgeht !
Also ist der wahre Geist der Fabel eine freundliche Verkleidung des Geistes der Tugend , und der eigentliche Geist der untergeordneten Dichtkunst , die Regsamkeit des höchsten , eigentümlichsten Daseins .
Eine überraschende Selbstheit ist zwischen einem wahrhaften Liede und einer edlen Handlung .
Das müßige Gewissen in einer glatten nicht widerstehenden Welt wird zum fesselnden Gespräche , zur alleserzählenden Fabel .
In den Fluren und Hallen dieser Urwelt lebt der Dichter , und die Tugend ist der Geist seiner irdischen Bewegungen und Einflüsse , so wie diese die unmittelbar wirkende Gottheit unter den Menschen und das wunderbare Widerlicht der höheren Welt ist , so ist es auch die Fabel .
Wie sicher kann nun der Dichter den Eingebungen seiner Begeisterung , oder , wenn auch er einen höheren überirdischen Sinn hat , höheren Wesen folgen , und sich seinem Berufe mit kindlicher Demut überlassen .
Auch in ihm redet die höhere Stimme des Weltalls , und ruft mit bezaubernden Sprüchen in erfreulichere , bekanntere Welten .
Wie sich die Religion zur Tugend verhält , so die Begeisterung zur Fabellehre , und wenn in heiligen Schriften die Geschichten der Offenbarung aufbehalten sind , so bildet in der Fabellehre das Leben einer höheren Welt sich in wunderbar entstandene Dichtungen auf mannigfache Weise ab .
Fabel und Geschichte begleiten sich in den innigsten Beziehungen auf den verschlungensten Pfaden und in den seltsamsten Verkleidungen , und die Bibel und die Fabellehre sind Stern-Bilder Eines Umlaufs .
Ihr redet völlig wahr , sagte Silvester , und nun wird es euch wohl begreiflich sein , daß die ganze Natur nur durch den Geist der Tugend besteht , und immer beständiger werden soll .
Er ist das allzündende allbelebende Licht innerhalb der irdischen Umfassung .
Vom Sternhimmel , diesem erhabenen Dom des Steinreichs , bis zu dem krausen Teppich einer bunten Wiese , wird alles durch ihn erhalten , durch ihn mit uns verknüpft , und uns verständlich gemacht , und durch ihn die unbekannte Bahn der unendlichen Naturgeschichte bis zur Verklärung fortgeleitet .
Ja und ihr habt vorher so schön für mich die Tugend an die Religion angeschlossen .
Alles was die Erfahrung und die irdische Wirksamkeit begreift , macht den Bezirk des Gewissens aus , welches diese Welt mit höheren Welten verbindet .
Bei höheren Sinnen entsteht Religion und was vorher unbegreifliche Notwendigkeit unserer innersten Natur schien , ein Allgesetz ohne bestimmten Inhalt , wird nun zu einer wunderbaren , einheimischen , unendlich mannigfaltigen , und durchaus befriedigenden Welt , zu einer unbegreiflich innigen Gemeinschaft aller Seligen in Gott , und zur vernehmlichen , vergötternden Gegenwart des allerpersönlichsten Wesens , oder seines Willens , seiner Liebe in unserem tiefsten Selbst .
Die Unschuld eures Herzens macht euch zum Propheten , erwiderte Silvester : euch wird alles verständlich werden , und die Welt und ihre Geschichte verwandelt sich euch in die heilige Schrift , so wie ihr an der heiligen Schrift das große Beispiel habt , wie in einfachen Worten und Geschichten das Weltall offenbart werden kann ; wenn auch nicht geradezu , doch mittelbar durch Anregung und Erweckung höherer Sinne .
-- Mich hat die Beschäftigung mit der Natur dahin geführt , wohin euch die Lust und Begeisterung der Sprache gebracht haben .
Kunst und Geschichte haben mich die Natur kennen gelehrt .
Meine Eltern wohnten in Sizilien , unweit dem weltberühmten Berge Ätna .
Ein bequemes Haus von vormaliger Bauart , welches verdeckt von uralten Kastanienbäumen dicht an den felsigen Ufern des Meeres , die Zierde eines mit mannigfaltigen Gewächsen besetzten Gartens ausmachte , war ihre Wohnung .
In der Nähe lagen viele Hütten , in denen sich Fischer , Hirten und Winzer aufhielten .
Unsere Kammern und Keller waren mit allem , was das Leben erhält und erhöht , reichlich versehen , und unser Hausgeräte wurde durch wohlerdachte Arbeit auch den verborgenen Sinnen angenehm .
Es fehlte auch sonst nicht an mannigfaltigen Gegenständen , deren Betrachtung und Gebrauch das Gemüt über das gewöhnliche Leben und seine Bedürfnisse erhoben , und es zu einem angemesseneren Zustande vorzubereiten , ihm den lauteren Genuß seiner vollen , eigentümlichen Natur zu versprechen und zu gewähren schienen .
Man sah sah steinerne Menschen-Bilder , mit Geschichten bemalte Gefäße , kleinere Steine mit den deutlichsten Figuren , und andere Gerätschaften mehr , die aus anderen und erfreulicheren Zeiten zurückgeblieben sein mochten .
Auch lagen in Fächern übereinander viele Pergamentrollen , auf denen in langen Reihen Buchstaben die Kenntnisse und Gesinnungen , die Geschichten und Gedichte jener Vergangenheit in anmutigen und künstlichen Ausdrücken bewahrt standen .
Der Ruf meines Vaters , den er sich als ein geschickter Sterndeuter zuwege brachte , zog ihm zahlreiche Anfragen und Besuche , selbst aus entlegeneren Ländern zu , und da das Vorwissen der Zukunft den Menschen eine sehr seltene und köstliche Gabe dünkte , so glaubten sie ihre Mitteilungen gut belohnen zu müssen , so daß mein Vater durch die erhaltenen Geschenke in den Stand ge D setzt wurde , die Kosten seiner bequemen und genußreichen Lebensart hinreichend bestreiten zu können .
Weiter ist der Verfasser nicht in Ausarbeitung dieses zweiten Teils gekommen .
Diesen nannte er die Erfüllung , so wie den ersten Erwartung , weil hier alles aufgelöst , und erfüllt werden sollte , was jener hatte ahnden lassen .
Es war die Absicht des Dichters , nach Vollendung des Ofterdingen noch sechs Romane zu schreiben , in denen er seine Ansichten der Physik , des bürgerlichen Lebens , der Handlung , der Geschichte , der Politik und der Liebe , so wie im Ofterdingen der Poesie niederlegen wollte .
Ohne mein Erinnern wird der unterrichtete Leser sehen , daß der Verfasser sich in diesem Gedichte nicht genau an die Zeit , oder an die Person jenes bekannten Minnesängers gebunden hat , obgleich alles an ihn und sein Zeitalter erinnern soll .
Nicht nur für die Freunde des Verfassers , sondern für die Kunst selbst , ist es ein unersetzlicher Verlust , daß er diesen Roman nicht hat beendigen können , dessen Originalität und große Absicht sich im zweiten Teile noch mehr als im ersten würde gezeigt haben .
Denn es war ihm nicht darum zu tun , diese oder jene Begebenheit darzustellen , eine Seite der Poesie aufzufassen , und sie durch Figuren und Geschichten zu erklären , sondern er wollte , wie auch schon im letzten Kapitel des ersten Teils bestimmt angedeutet ist , das eigentliche Wesen der Poesie aussprechen und ihre innerste Absicht erklären .
Darum verwandelt sich Natur , Historie , der Krieg und das bürgerliche Leben mit seinen ge D 2 wohnlichsten Vorfällen in Poesie , weil diese der Geist ist , der alle Dinge belebt .
Ich will den Versuch machen , so viel es mir aus Gesprächen mit meinem Freunde erinnerlich ist , und so viel ich aus seinen hinterlassenen Papieren ersehen kann , dem Leser einen Begriff von dem Plan und dem Inhalte des zweiten Teiles dieses Werkes zu verschaffen .
Dem Dichter , welcher das Wesen seiner Kunst im Mittelpunkt ergriffen hat , erscheint nichts wiedersprechend und fremd , ihm sind die Rätsel gelöst , durch die Magie der Fantasie kann er alle Zeitalter und Welten verknüpfen , die Wunder verschwinden und alles verwandelt sich in Wunder :
so ist dieses Buch gedichtet , und besonders findet der Leser in dem Märchen , welches den ersten Teil beschließt , die kühnsten Verknüpfungen ; hier sind alle Unterschiede aufgehoben , durch welche Zeitalter von einander getrennt erscheinen , und eine Welt der anderen als feindselig begegnet .
Durch dieses Märchen wollte sich der Dichter hauptsächlich den Übergang zum zweiten Teile machen , in welchem die Geschichte unaufhörlich aus dem Gewöhnlichsten in das Wundervollste überschweift , und sich beides gegenseitig erklärt und ergänzt ; der Geist , welcher den Prolog in Versen hält , sollte nach jedem Kapitel wiederkehren , und diese Stimmung , diese wunderbare Ansicht der Dinge fortsetzen .
Durch dieses Mittel blieb die unsichtbare Welt mit dieser sichtbaren in ewiger Verknüpfung .
Dieser sprechende Geist ist die Poesie selber , aber zugleich der siderische Mensch , der mit der Umarmung Heinrichs und Mathildes geboren ist .
In folgendem Gedichte , welches seine Stelle im Ofterdingen finden sollte , hat der Verfasser auf die leichteste Weise den inneren Geist seiner Bücher ausgedrückt :
Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren Sind Schlüssel aller Kreaturen , Wenn die , so singen oder küssen , Mehr als die Tiefgelehrten wissen , Wenn sich die Welt ins freie Leben , Und in die Welt wird zurück begeben , Wenn dann sich wieder Licht und Schatten Zu echter Klarheit werden gatten , Und man in Märchen und Gedichten Erkennt die ewigen Weltgeschichten , Dann fliegt vor Einem geheimen Wort Das ganze verkehrte Wesen fort .
Der Gärtner , welchen Heinrich spricht , ist derselbe alte Mann , der schon einmal Ofterdingens Vater aufgenommen hatte , das junge Mädchen , welche Cyane heißt , ist nicht sein Kind , sondern die Tochter des Grafen von Hohenzollern , sie ist aus dem Morgenlande gekommen , zwar früh , aber doch kann sie sich ihrer Heimat erinnern , sie hat lange in Gebirgen , in welchen sie von ihrer verstorbenen Mutter erzogen ist , ein wunderliches Leben geführt : einen Bruder hat sie früh verloren , einmal ist sie selbst in einem Grabgewölbe dem Tode sehr nahe gewesen , aber hier hat sie ein alter Arzt auf eine seltsame Weise vom Tode errettet .
Sie ist heiter und freundlich und mit dem Wunderbaren sehr vertraut .
Sie erzählt dem Dichter seine eigene Geschichte , als wenn sie dieselbe einst von ihrer Mutter so gehört hätte .
-- Sie schickt ihn nach einem entlegenen Kloster , dessen Mönche als eine Art von Geisterkolonie erscheinen , alles ist hier wie eine mystische , magische Loge .
Sie sind die Priester des heile gen Feuers in jungen Gemütern .
Er hört den fernen Gesang der Brüder ; in der Kirche selbst hat er eine Vision .
Mit einem alten Mönch spricht Heinrich über Tod und Magie , er hat Ahnungen vom Tode und dem Stein der Weisen ; er besucht den Klostergarten und den Kirchhof ; über den letzteren findet sich folgendes Gedicht :
Lobt doch unsere stillen Feste , Unsere Gärten , unsere Zimmer , Das bequeme Hausgeräte , Unser Habe und Gut. Täglich kommen neue Gäste , Diese früh , die anderen späte , Auf den weiten Herden immer Lodert neue Lebens-Glut .
Tausend zierliche Gefäße Einst betaut mit tausend Tränen , Goldene Ringe , Sporen , Schwerter , Sind in unserem Schatz :
Viel Kleinodien und Juwelen Wissen wir in dunklen Höhlen , Keiner kann den Reichtum zählen , Zählte er auch ohne Unterlaß .
Kinder der Vergangenheiten , Helden aus den grauen Zeiten , Der Gestirne Riesengeister , Wunderlich gesellt , Holde Frauen , ernste Meister , Kinder und verlebte Greise Sitzen hier in Einem Kreise , Wohnen in der alten Welt .
Keiner wird sich je beschweren , Keiner wünschen fort zu gehen , Wer an unseren vollen Tischen Einmal fröhlich saß .
Klagen sind nicht mehr zu hören , Keine Wunder mehr zu sehen , Keine Tränen abzuwischen ; Ewig läuft das Stundenglas .
Tiefgerührt von heiliger Güte Und versenkt in seliges Schauen Steht der Himmel im Gemüte , Wolkenloses Blau ; Lange fliegende Gewande Tragen uns durch Frühlingsauen , Und es weht in diesem Lande Nie ein Lüftchen kalt und rauh .
Süßer Reiz der Mitternächte , Stiller Kreis geheimer Mächte , Wollust räthelhafter Spiele , Wir nur kennen euch .
Wir nur sind am hohen Ziele , Bald in Strom uns zu ergießen Dann in Tropfen zu zerfließen Und zu nippen auch zugleich . Uns wurde erst die Liebe , Leben ; Innig wie die Elemente Mischen wir des Daseins Fluten , Brausend Herz mit Herz .
Lüstern scheiden sich die Fluten , Denn der Kampf der Elemente Ist der Liebe höchstes Leben , Und des Herzens eigenes Herz .
Leiser Wünsche süßes Plaudern Hören wir allein , und schauen Immerdar in selige Augen , Schmecken nichts als Mund und Kuß .
Alles was wir nur berühren Wird zu heißen Balsamfrüchten , Wird zu weichen zarten Brüsten , Opfer kühner Lust .
Immer wächst und blüht Verlangen Am Geliebten festzuhangen , Ihn im Inneren zu empfangen , Eins mit ihm zu sein , Seinem Durste nicht zu wehren , Sich im Wechsel zu verzehren , Von einander sich zu nähren , Von einander nur allein .
So in Liebe ' und hoher Wollust Sind wir immerdar versunken , Seit der wilde trübe Funken Jener Welt erlosch ; Seit der Hügel sich geschlossen , Und der Scheiterhaufen sprühte , Und dem schauernden Gemüte Nun das Erdgesicht zerfloß .
Zauber der Erinnerungen , Heilger Wehmut süße Schauer Haben innig uns durchklangen , Kühlen unsere Glut .
Wunden gibt's , die ewig schmerzen , Eine göttlich tiefe Trauer Wohnt in unser aller Herzen , Löst uns auf in Eine Flut .
Und in dieser Flut ergießen Wir uns auf geheime Weise In den Ozean des Lebens Tief in Gott hinein ; Und aus seinem Herzen fließen Wir zurück zu unserem Kreise , Und der Geist des höchsten Strebens Taucht in unsere Wirbel ein .
Schüttelt eure goldenen Ketten Mit Smaragden und Rubinen , Und die blanken sauberen Spangen , Blitz und Klang zugleich .
Aus des feuchten Abgrunds Betten , Aus den Gräbern und Ruinen , Himmelsrosen auf den Wangen Schwebt ins bunte Fabelreich .
Könnten doch die Menschen wissen , Unsere künftigen Genossen , Daß bei allen ihren Freuden Wir geschäftig sind :
Jauchzend würden sie verscheiden , Gern das bleiche Dasein missen , -- O ! die Zeit ist bald verflossen , Kommt Geliebte doch geschwind !
Helft uns nur den Erdgeist binden , Lernt den Sinn des Todes fassen Und das Wort des Lebens finden ; Einmal kehrt euch um .
Deine Macht muß bald verschwinden , Dein erborgtes Licht verblassen , Werden dich in kurzem binden , Erdgeist , deine Zeit ist um .
Dieses Gedicht war vielleicht wiederum ein Prolog zu einem zweiten Kapitel .
Jetzt sollte sich eine ganz neue Periode des Werkes eröffnen , aus dem stillsten Tode sollte sich das höchste Leben hervortun ; er hat unter Toten gelebt und selbst mit ihnen gesprochen , das Buch sollte fast dramatisch werden , und der epische Ton gleichsam nur die einzelnen Szenen verknüpfen und leicht erklären .
Heinrich befindet sich plötzlich in dem unruhigen Italien , das von Kriegen zerrüttet wird , er sieht sich als Feldherr an der Spitze eines Heeres .
Alle Elemente des Krieges spielen in poetischen Farben ; er überfällt mit einem flüchtigen Haufen eine feindliche Stadt , hier erscheint als Episode die Liebe eines vornehmen Pisaners zu einem Florentinischen Mädchen . Kriegslieder .
" Ein großer Krieg , wie ein Zweikampf , durchaus edel , philosophisch , human .
Geist der alten Chevalerie .
Ritterspiel .
Geist der bacchischen Wehmut .
-- Die Menschen müssen sich selbst untereinander töten , das ist edler als durch das Schicksal fallen .
Sie suchen den Tod . --
Ehre , Ruhm ist des Kriegers Lust und Leben .
Im Tode und als Schatten lebt der Krieger .
Todeslust ist Kriegergeist .
-- Auf Erden ist der Krieg zu Hause .
Krieg muß auf Erden sein . " -- In Pisa findet Heinrich den Sohn des Kaisers Friedrich des Zweiten , der sein vertrauter Freund wird .
Auch nach Loretto kommt er .
Mehrere Lieder sollten hier folgen .
Von einem Sturm wird der Dichter nach Griechenland verschlagen .
Die alte Welt mit ihren Helden und Kunstschätzen erfüllt sein Gemüt .
Er spricht mit einem Grie Griechen über die Moral .
Alles wird ihm aus jener Zeit gegenwärtig , er lernt die alten Bilder und die alte Geschichte verstehen .
Gespräche über die griechischen Staatsverfassungen ; über Mythologie .
Nachdem Heinrich die Heldenzeit und das Altertum hat verstehen lernen , kommt er nach dem Morgenlande , nach welchem sich von Kindheit auf seine Sehnsucht gerichtet hatte .
Er besucht Jerusalem ; er lernt orientalische Gedichte kennen .
Seltsame Begebenheiten mit den Ungläubigen halten ihn in einsamen Gegenden zurück , er findet die Familie des morgenländischen Mädchens ; ( s .
I. Th. ) die dortige Lebensweise einiger nomadischen Stämme .
Persische Märchen .
Erinnerungen aus der ältesten Welt .
Immer sollte das Buch unter den verschiedensten Begebenheiten denselben Farben-Charakter behalten , und an die E blaue Blume erinnern : durchaus sollten zugleich die entferntesten und verschiedenartigsten Sagen verknüpft werden , Griechische , orientalische , biblische und christliche , mit Erinnerungen und Andeutungen der Indischen wie der nordischen Mythologie .
Die Kreuzzüge .
Das Seeleben .
Heinrich geht nach Rom .
Die Zeit der Römischen Geschichte .
Mit Erfahrungen gesättigt kehrt Heinrich nach Deutschland zurück .
Er findet seinen Großvater , einen tiefsinnigen Charakter , Klingsohr ist in seiner Gesellschaft .
Abendgespräche mit den beiden .
Heinrich begibt sich an den Hof Friedrichs , er lernt den Kaiser persönlich kennen .
Der Hof sollte eine sehr würdige Erscheinung machen , die Darstellung der besten , größten und wunderbarsten Menschen aus der ganzen Welt versammelt , deren Mittelpunkt der Kaiser selbst ist .
Hier erscheint die größte Pracht , und die wahre große Welt .
Deutscher Charakter und Deutsche Geschichte werden deutlich gemacht .
Heinrich spricht mit dem Kaiser über Regierung , über Kaisertum , dunkle Reden von Amerika und Ost-Indien .
Die Gesinnungen eines Fürsten .
Mystischer Kaiser .
Das Buch de tribus impostoribus .
Nachdem nun Heinrich auf eine neue und größere Weise als im ersten Teile , in der Erwartung , wieder um die Natur , Leben und Tod , Krieg , Morgenland , Geschichte und Poesie erlebt und erfahren hat , kehrt er wie in eine alte Heimat in sein Gemüt zurück .
Aus dem Verständnis der Welt und seiner selbst entsteht der Trieb zur Verklärung : die wunderbarste Märchenwelt tritt nun ganz nahe , weil das Herz ihrem Verständnis völlig geöffnet ist .
In der Manessischen Sammlung der E 2 Minnesinger finden wir einen ziemlich unverständlichen Wettgesang des Heinrich von Ofterdingen und Klingsohr mit anderen Dichtern : statt dieses Kampfspieles wollte der Verfasser einen anderen seltsamen poetischen Streit darstellen , den Kampf des guten und bösen Prinzips in Gesängen der Religion und Irrreligion , die unsichtbare Welt der sichtbaren entgegen gestellt .
" In bacchischer Trunkenheit wetten die Dichter aus Enthusiasmus um den Tod . "
Wissenschaften werden poetisiert , auch die Mathematik streitet mit .
Indianische Pflanzen werden besungen :
Indische Mythologie in neuer Verklärung .
Dieses ist der letzte Akt Heinrichs auf Erden , der Übergang zu seiner eigenen Verklärung .
Dieses ist die Auflösung des ganzen Werks , die Erfüllung des Märchens , welches den ersten Teil beschließt .
Auf die übernatürlichste und zugleich natürlichste Weise wird alles erklärt und vollendet , die Scheidewand zwischen Fabel und Wahrheit , zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist eingefallen : Glauben , Fantasie , Poesie schließen die innerste Welt auf .
Heinrich kommt in Sophieens Land , in eine Natur , wie sie sein könnte , in eine allegorische , nachdem er mit Klingsohr über einige sonderbare Zeichen und Ahnungen gesprochen hat .
Diese erwachen hauptsächlich bei einem alten Liede , welches er zufällig singen hört , in welchem ein tiefes Wasser an einer verborgenen Stelle beschrieben wird .
Durch diesen Gesang erwachen längstvergeßene Erinnerungen , er geht nach dem Wasser und findet einen kleinen goldenen Schlüssel , welchen ihm vor Zeiten ein Rabe geraubt hatte , und den er niemals hatte wiederfinden können .
Diesen Schlüssel hatte ihm bald nach Mathildes Tode ein alter Mann ge geben , mit dem Bedeuten , er solle ihn zum Kaiser bringen , der würde ihm sagen , was damit zu tun sei .
Heinrich geht zum Kaiser , welcher hocherfreut ist , und ihm eine alte Urkunde gibt , in welcher geschrieben steht , daß der Kaiser sie einem Manne zum lesen geben sollte , welcher ihm einst einen goldenen Schlüssel zufällig bringen würde , dieser Mann würde an einem verborgenen Orte ein altes tallismanisches Kleinod , einen Karfunkel zur Krone finden , zu welchem die Stelle noch leer gelassen sei .
Der Ort selbst ist auch im Pergament beschrieben . --
Nach dieser Beschreibung macht sich Heinrich auf den Weg nach einem Berge , er trifft unterwegs den Fremden , der ihm und seinen Eltern zuerst von der blauen Blume erzählt hatte , er spricht mit ihm über die Offenbarung .
Er geht in den Berg hinein und Cyane folgt ihm treulich nach .
Bald kommt er in jenes wunderbare Land , in welchem Luft und Wasser , Blumen und Tiere von ganz verschiedener Art sind , als in unserer irdischen Natur .
Zugleich verwandelt sich das Gedicht stellenweise in ein Schauspiel .
" Menschen , Tiere , Pflanzen , Steine und Gestirne , Elemente , Töne , Farben , kommen zusammen wie Eine Familie , handeln und sprechen wie Ein Geschlecht . "
-- " Blumen und Tiere sprechen über den Menschen . "
-- " Die Märchenwelt wird ganz sichtbar , die wirkliche Welt selbst wird wie ein Märchen angesehen . "
Er findet die blaue Blume , es ist Mathilde , die schläft und den Karfunkel hat , ein kleines Mädchen , sein und Mathildes Kind , sitzt bei einem Sarge , und verjüngt ihn .
-- " Dieses Kind ist die Urwelt , die goldene Zeit am Ende . "
-- " Hier ist die christliche Religion mit der heidnischen ausgesöhnt , die Geschichte des Orpheus , der Psyche , und andere werden besungen . "
-- Heinrich pflückt die blaue Blume , und erlöst Mathilde von ihrem Zauber , aber sie geht ihm wieder verloren , er erstarrt im Schmerz und wird ein Stein .
" Edda , ( die blaue Blume , die Morgenländerinne , Mathilde ) opfert sich an dem Steine , er verwandelt sich in einen klingenden Baum .
Cyane haut den Baum um , und verbrennt sich mit ihm , er wird ein goldener Widder .
Edda , Mathilde muß ihn opfern , er wird wieder ein Mensch Während dieser Verwandlungen hat er allerlei wunderliche Gespräche .
Er ist glücklich mit Mathilde , die zugleich die Morgenländerinne und Cyane ist .
Das frohste Fest des Gemüts wird gefeiert .
Alles vorhergehende war Tod .
Letzter Traum und Erwachen . "
Klingsohr kommt wieder als König von Atlantis .
Heinrichs Mutter ist Fantasie , der Vater ist der Sinn , Schwaning ist der Mond , der Bergmann ist der Antiquar , auch zugleich das Eisen .
Kaiser Friedrich ist Arktur .
Auch der Graf von Hohenzollern und die Kaufleute kommen wieder . "
Alles fließt in eine Allegorie zusammen .
Cyane bringt dem Kaiser den Stein , aber Heinrich ist nun selbst der Dichter aus jenem Märchen , welches ihm vordem die Kaufleute erzählten .
Das selige Land leidet nur noch von einer Bezauberung , indem es dem Wechsel der Jahreszeiten unterworfen ist , Heinrich zerstört das Sonnenreich .
Mit einem großen Gedicht , wovon nur der Anfang aufgeschrieben ist , sollte das ganze Werk beschlossen werden .
Die Vermählung der Jahreszeiten .
Tief in Gedanken stand der neue Monarch Er gedachte Jetzt des nächtlichen Traums , und der Erzählungen auch , Als von der himmlischen Blume zuerst er gehört , und getroffen Still von der Weissagung , mächtige Liebe gefühlt .
Noch dünkt ihn , er höre die tief eindringende Stimme , Eben verließe der Gast erst den geselligen Kreis , Flüchtige Schimmer des Mondes erhellten die klappernden Fenster , Und in des Jünglings Brust tobe verzehrende Glut .
Edda , sagte der König , was ist des liebenden Herzens Innigster Wunsch ? was ist ihm der unsäglichste Schmerz ?
Sage es , wir wollen ihm helfen , die Macht ist unser , und herrlich Werde die Zeit , nun du wieder den Himmel beglückst .
-- " Wären die Zeiten nicht so ungesellig , verbände Zukunft mit Gegenwart und mit Vergangenheit sich , Schlösse Frühling sich an Herbst , und Sommer an Winter , Wäre zu spielendem Ernst Jugend mit Alter gepaart :
Dann , mein süßer Gemahl , versiegte die Quelle der Schmerzen , Aller Empfindungen Wunsch wäre dem Herzen gewährt . "
Also die Königin ; freudig umschlang sie der schöne Geliebte :
Ausgesprochen fürwahr hast du ein himmlisches Wort , Was schon längst auf den Lippen der tiefer Fühlenden schwebte , Aber den deinigen erst rein und gedeihlich entklang .
Führe man schnell den Wagen herbei , wir holen sie selber , Erstlich die Zeiten des Jahrs , dann auch des Menschengeschlechts .
-- Sie fahren zur Sonne , und hohlen zuerst den Tag , dann zur Nacht , dann nach Norden , um den Winter , alsdann nach Süden , um den Sommer zu finden , von Osten bringen sie den Frühling , von Westen den Herbst .
Dann eilen sie zur Jugend , dann zum Alter , zur Vergangenheit , wie zur Zukunft . -- Dieses ist , was ich dem Leser aus meinen Erinnerungen , und aus einzelnen Worten und Winken in den Papieren meines Freundes habe geben können .
Die Ausarbeitung dieser großen Aufgabe würde ein bleibendes Denkmal einer neuen Poesie gewesen sein .
Ich habe in dieser Anzeige lieber trocken und kurz sein wollen , als in die Gefahr geraten , von meiner Fantasie etwas hinzuzusetzen .
Vielleicht rührt manchen Leser das Fragmentarische dieser Verse und Worte so wie mich , der nicht mit einer andächtigeren Wehmut ein Stückchen von einem zertrümmerten Bilde des Raphael oder Correggio betrachten würde .

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Novalis, #forename1#. Heinrich von Ofterdingen. Bildungsromankorpus. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0c9.0