-- quid Virtus , et quid Sapientia possit Utile proposuit nobis exemplar .
-- Erster Teil .
Frankfurt und Leipzig , 1766. Vorbericht .
Der Herausgeber der gegenwärtigen Geschichte sieht so wenig Wahrscheinlichkeit vor sich , das Publikum überreden zu können , daß sie in der Tat aus einem alten Griechischen Manuskript gezogen sei ; daß er am besten zu tun glaubt , über diesen Punkt gar nichts zu sagen , und dem Leser zu überlassen , davon zu denken , was er will .
Gesetzt , daß wirklich einmal ein Agathon gewesen , [ wie dann in der Tat , um die Zeit , in welche die gegenwärtige Geschichte gesetzt worden ist , ein komischer Dichter dieses Namens den Freunden der Schriften Platons bekannt sein muß : ] gesetzt aber auch , daß sich von diesem Agathon nichts wichtigeres sagen ließe , als wenn er geboren worden , wenn er sich verheiratet , wie viel Kinder er gezeugt , und wenn , und an was für einer Krankheit er gestorben sei :
was würde uns bewegen können , seine Geschichte zu lesen , und wenn es gleich gerichtlich erwiesen wäre , daß sie in den Archiven des alten Athens gefunden worden sei ?
Die Wahrheit , welche von einem Werke , wie dasjenige , so wir den Liebhabern hiermit vorlegen , gefordert werden kann und soll , bestehet darin , daß alles mit dem Lauf der Welt übereinstimme , daß die Charakter nicht willkürlich , und bloß nach der Phantasie , oder den Absichten des Verfassers gebildet , sondern aus dem unerschöpflichen Vorrat der Natur selbst hergenommen ; in der Entwicklung derselben so wohl die innere als die relative Möglichkeit , die Beschaffenheit des menschlichen Herzens , die Natur einer jeden Leidenschaft , mit allen den besonderen Farben und Schattierungen , welche sie durch den Individual-Charakter und die Umstände einer jeden Person bekommen , aufs genaueste beibehalten ; daneben auch der eigene Charakter des Landes , des Orts , der Zeit , in welche die Geschichte gesetzt wird , niemals aus den Augen gesetzt ; und also alles so gedichtet sei , daß kein hinlänglicher Grund angegeben werden könne , warum es nicht eben so wie es erzählt wird , hätte geschehen können , oder noch einmal wirklich geschehen werde .
Diese Wahrheit allein kann Werke von dieser Art nützlich machen , und diese Wahrheit getrauet sich der Herausgeber den Lesern der Geschichte des Agathons zu versprechen .
Seine Hauptabsicht war , sie mit einem Charakter , welcher gekannt zu werden würdig wäre , in einem mannigfaltigen Licht , und von allen seinen Seiten bekannt zu machen .
Ohne Zweifel gibt es wichtigere als derjenige , auf den seine Wahl gefallen ist .
Allein , da er selbst gewiß zu sein wünschte , daß er der Welt keine Hirngespenster für Wahrheit verkaufe ; so wählte er denjenigen , den er am genauesten kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hat .
Aus diesem Grunde kann er ganz zuverlässig versichern , daß Agathon und die meisten übrigen Personen , welche in seine Geschichte eingeflochten sind , wirkliche Personen sind , dergleichen es von je her viele gegeben hat , und in dieser Stunde noch gibt , und daß ( die Neben-Umstände , die Folge und besondere Bestimmung der zufälligen Begebenheiten , und was sonsten nur zur Auszierung , welche willkürlich ist , gehört , ausgenommen ) alles , was das Wesentliche dieser Geschichte ausmacht , eben so historisch , und vielleicht noch um manchen Grad gewisser sei , als irgend ein Stück der glaubwürdigsten politischen Geschichtsschreiber , welche wir aufzuweisen haben .
Es ist etwas bekanntes , daß öfters im menschlichen Leben weit unwahrscheinlichere Dinge begegnen , als der Chevalier de Mouhy selbst zu erdichten sich getrauen würde .
Es würde also sehr übereilt sein , die Wahrheit des Characters unseres Helden deswegen in Verdacht zu ziehen , weil es öfters unwahrscheinlich ist , daß jemand so gedacht oder gehandelt habe , wie er .
Wenn es unmöglich sein wird , zu beweisen , daß ein Mensch , und ein Mensch unter den besonderen Bestimmungen , unter welchen sich Agathon von seiner Kindheit an befunden , nicht so denken oder handeln könne , oder wenigstens es nicht ohne Wunderwerke , Einflüsse unsichtbarer Geister , oder übernatürliche Bezauberung hätte tun können :
So glaubt der Verfasser mit Recht erwarten zu können , daß man ihm auf sein Wort glaube , wenn er positiv versichert , daß Agathon wirklich so gedacht oder gehandelt habe .
Zu gutem Glücke finden sich in den beglaubtesten Geschichtsschreibern , und schon allein in den Lebensbeschreibungen des Plutarch Beispiele genug , daß es möglich sei , so edel , so tugendhaft , so enthaltsam , oder , nach der Sprache des Hippias , und einer ansehnlichen Klasse von Menschen zu reden , so seltsam , so eigensinnig und albern zu sein als es unser Held in einigen Gelegenheiten seines Lebens ist .
Man hat an verschiedenen Stellen des gegenwärtigen Werks die Ursachen angegeben , warum man aus dem Agathon kein Modell eines vollkommen tugendhaften Mannes gemacht hat .
Da die Welt mit ausführlichen Lehrbüchern der Sittenlehre angefüllt ist , so steht einem jeden frei , [ und es ist nichts Leichters ] sich einen Menschen einzubilden , der von der Wiege an bis ins Grab , in allen Umständen und Verhältnissen des Lebens , allezeit und vollkommen so empfind , denkt und handelt , wie eine Moral .
Damit Agathon das Bild eines wirklichen Menschen wäre , in welchem viele ihr eigenes erkennen sollten , konnte er , wir behaupten es zuversichtlich , nicht tugendhafter vorgestellt werden , als er ist ; und wenn jemand hierin anderer Meinung sein sollte , so wünschten wir , daß er uns [ wenn es wahr ist , daß derjenige der Beste ist , der die besten Eigenschaften mit den wenigsten Fehlern hat , ] denjenigen nenne , der unter allen nach dem natürlichen Lauf Geborenen , in ähnlichen Umständen , und alles zusammen genommen / tugendhafter gewesen wäre , als Agathon .
Es ist möglich , daß irgend ein junger Taugenichts , wenn er sieht , daß ein Agathon den reizenden Verführungen der Liebe und einer Danae endlich unterliegt , eben den Gebrauch davon machen kann , welchen der junge Chärea beim Terenz von einem Gemälde machte , welches eine von den Schelmereien des Vater Jupiters vorstellte , - - und daß er , wenn er mit herzlicher Freude gelesen haben wird , daß ein so vortrefflicher Mann habe fallen können , zu sich selbst sagen mag : Ego homuncio hoc non facerem ? ego vero illud faciam ac lubens .
Es ist eben so möglich , daß ein übelgesinnter oder ruchloser Mensch , den Diskurs des Sophisten Hippias lesen , und sich einbilden kann , die Rechtfertigung seines Unglaubens und seines lasterhaften Lebens darin zu finden :
Aber alle rechtschaffenen Leute werden mit uns überzeugt sein , daß dieser junge Bube , und dieser ruchlose Freigeist beides gewesen und geblieben wären , wenn gleich keine Geschichte des Agathon in der Welt wäre .
Dieses letztere Beispiel führt uns auf eine Erläuterung , wodurch wir der Schwachheit gewisser gutgesinnter Leute , deren Wille besser ist , als ihre Einsichten , zu Hilfe zu kommen , und sie vor unzeitig genommenem Ärgernis oder ungerechten Urteilen zu verwahren , uns verbunden glauben .
Wir gestehen gerne , daß wir in das Bewußtsein der Redlichkeit unserer Absichten eingehüllt , nicht daran gedacht hätten , daß diese Sorgfalt nötig wäre , wenn uns nicht die Anmerkung stutzen gemacht hätte , welche einer unserer Freunde , ohne unser Vorwissen , auf der Seite pag. 57. unter den Text zu setzen , gut befunden .
Diese Erläuterung betrifft die Einführung des Sophisten Hippias in unsere Geschichte , und den Diskurs , wodurch er den Agathon von seinem liebenswürdigen und tugendhaften Enthusiasmus zu heilen , und zu einer Denkungsart zu bringen hofft , welche er nicht ohne guten Grund für geschickter hält , sein Glück in der Welt zu machen .
Leute , die aus gesunden Augen gerade vor sich hin sehen , würden ohne unser Erinnern aus dem ganzen Zusammenhäng unseres Werkes , und aus der Art , wie wir bei aller Gelegenheit von diesem Sophisten und seinen Grundsätzen reden , ganz deutlich eingesehen haben , wie wenig wir dem Mann und dem System günstig sind ; und ob es sich gleich weder für unsere eigene Art zu denken , noch für den Ton und die Absicht unseres Buches geschickt hätte , mit dem heftigen Eifer gegen ihn auszubrechen , welcher einen jungen Magister treibt , wenn er , um sich seinem Konsistorio zu einer guten Pfründe zu empfehlen , gegen einen Tindal oder Bolingbroke zu Felde zieht :
So hoffen wir doch bei vernünftigen und ehrlichen Lesern keinen Zweifel übrig gelassen zu haben , daß wir den Hippias für einen schlimmen und gefährlichen Mann , und sein System , [ in so fern es den echten Grundsätzen der Religion und der Rechtschaffenheit widerspricht ] für ein Gewebe von Trugschlüssen ansehen , welche die menschliche Gesellschaft zu Grunde richten würden , wenn es moralisch möglich wäre , daß der größere Teil der Menschen damit angesteckt werden könnte .
Wir glauben also vor allem Verdacht über diesen Artikel sicher zu sein .
Aber da unter unseren Lesern ehrliche Leute sein können , welche uns wenigstens eine Unvorsichtigkeit Schuld geben , und davor halten möchten , daß wir diesen Hippias entweder gar nicht einführen , oder wenn dieses der Plan unseres Werkes ja erfordert hätte , seine Lehrsätze ausführlich hätten widerlegen sollen :
So sehen wir für billig an , ihnen die Ursachen zu sagen , warum wir das erste getan , und das andere unterlassen haben .
Weil nach unserem Plan der Charakter unseres Helden auf verschiedene Proben gestellt werden sollte , durch welche seine Denkensart und seine Tugend erläutert , und dasjenige , was darin übertrieben , und unecht war , nach und nach abgesondert würde ; so war es um so viel nötiger ihn auch dieser Probe zu unterwerfen , da Hippias , bekannter maßen , eine historische Person ist , und mit den übrigen Sophisten derselben Zeit sehr vieles zur Verderbnis der Sitten unter den Griechen beigetragen hat .
Überdem diente er den Charakter und die Grundsätze unseres Helden durch den Kontrast , den er mit selbigen macht , in ein desto höheres Licht zu setzen .
Und da es mehr als zu gewiß ist , daß der größte Teil derjenigen , welche die große Welt ausmachen , wie Hippias denkt , oder doch nach seinen Grundsätzen handelt ; so war es auch in dem Plan der moralischen Absichten , welche wir uns bei diesem Werke vorgesetzt haben , zu zeigen , was für einen Effekt diese Grundsätze machen , wenn sie in den gehörigen Zusammenhäng gebracht werden .
Und dieses sind die hauptsächlichsten Ursachen , warum wir diesen Sophisten [ welchen wir nicht schlimmer vorgestellt haben , als er wirklich war , und als seine Brüder noch heutiges Tages sind ] in die Geschichte des Agathon eingeflochten haben .
Eine ausführliche Widerlegung dessen , was in seinen Grundsätzen irrig und gefährlich ist :
[ Denn in der Tat hat er nicht allemal Unrecht , ] wäre in Absicht unseres Plans ein wahres hors d'oeuvre gewesen , und schien uns auch in Absicht der Leser überflüssig ; indem nicht nur die Antwort , welche ihm Agathon gibt , das beste enthält , was man dagegen sagen kann ; sondern auch das ganze Werk [ wie einem jeden in die Augen fallen wird , sobald man das Ganze wird übersehen können ] als eine Widerlegung desselben anzusehen ist .
Agathon widerlegt den Hippias beinahe auf die nämliche Art wie Diogenes den Sophisten , welcher leugnete , daß eine Bewegung sei :
Diogenes ließ den Sophisten schwatzen , so lang er wollte ; und da er fertig war , begnügte er sich vor seinen Augen ganz gelassen auf und ab zu gehen .
Dieses war unstreitig die einzige Widerlegung , die er verdiente .
Wir würden dem zweiten Teile , dessen Ausgabe von der Aufnahme des ersten abhangen wird , den Vorteil der Neuheit und den Lesern zu gleicher Zeit ein künftiges Vergnügen rauben , wenn wir den Inhalt desselben vor der Zeit bekannt machten .
Genug , daß man unseren Helden in der Folge in eben so sonderbaren und interessanten Umständen und Wicklungen sehen wird , als in dem ersten Teil .
Alles , was wir vorläufig von der Entwicklung sagen können , ist dieses : daß Agathon in der letzten Periode seines Lebens , welche den Beschluß unseres Werkes macht , ein eben so weiser als tugendhafter Mann sein wird , und [ was uns hierbei das beste zu sein deucht , ] daß unsere Leser begreifen werden , wie und warum er es ist ; warum vielleicht viele unter ihnen , weder dieses noch jenes sind ; und wie es zugehen müßte , wenn sie es werden sollten .
Erstes Kapitel .
Anfang dieser Geschichte .
Die Sonne neigte sich bereits zum Untergang , als Agathon , der sich in einem unwegsamen Walde verirret hatte , von der vergeblichen Bemühung einen Ausgang zu finden abgemattet , an dem Fuß eines Berges anlangte , welchen er noch zu ersteigen wünschte , in Hoffnung von dem Gipfel desselben irgend einen bewohnten Ort zu entdecken , wo er die Nacht zubringen könnte .
Er schleppte sich also mit Mühe durch einen Fußweg hinauf , den er zwischen den Gesträuchen gewahr wurde ; allein da er ungefähr die Mitte des Berges erreicht hatte , fühlt er sich so entkräftet , daß er den Mut verlor den Gipfel erreichen zu können , der sich immer weiter von ihm zu entfernen schien , je mehr er ihm näher kam .
Er warf sich also ganz Atemlos unter einen Baum hin , der eine kleine Terrasse umschattete , auf welcher er die einbrechende Nacht zuzubringen beschloß .
Wenn sich jemals ein Mensch in Umständen befunden hatte , die man unglücklich nennen kann , so war es dieser Jüngling in denjenigen , worin wir ihn das erstemal mit unseren Lesern bekannt machen .
Vor wenigen Tagen noch ein Günstling des Glücks , und der Gegenstand des Neides seiner Mitbürger , befand er sich , durch einen plötzlichen Wechsel , seines Vermögens , seiner Freunde , seines Vaterlands beraubt , allen Zufällen des widrigen Glücks , und selbst der Ungewißheit ausgesetzt , wie er das nackte Leben , das ihm allein übrig gelassen war , erhalten möchte .
Allein ungeachtet so vieler Widerwärtigkeiten , die sich vereinigten seinen Mut niederzuschlagen , versichert uns doch die Geschichte , daß derjenige , der ihn in diesem Augenblick gesehen hätte , weder in seiner Mine noch in seinen Gebärden einige Spur von Verzweiflung , Ungeduld oder nur von Mißvergnügen hätte bemerken können .
Vielleicht erinnern sich einige hierbei an den Weisen der Stoiker von welchem man ehemals versicherte , daß er in dem glühenden Ochsen des Phalaris zum wenigsten so glücklich sei , als ein Morgenländischer Bassa in den weichen Armen einer jungen Circasserin .
Da sich aber in dem Lauf dieser Geschichte verschiedene Proben einer nicht geringen Ungleichheit unseres Helden mit dem Weisen des Seneca zeigen werden , so halten wir für wahrscheinlicher , daß seine Seele von der Art derjenigen gewesen sei , welche dem Vergnügen immer offen stehen , und bei denen eine einzige angenehme Empfindung hinlänglich ist , sie alles vergangenen und künftigen Kummers vergessen zu machen .
Eine Öffnung des Waldes zwischen zweien Bergen zeigte ihm von fern die untergehende Sonne .
Es brauchte nichts mehr als diesen Anblick , um die Empfindung seiner widrigen Umstände zu unterbrechen .
Er überließ sich der Begeisterung , worin dieses majestätische Schauspiel empfindliche Seelen zu setzen pflegt , ohne eine lange Zeit sich seiner dringendsten Bedürfnisse zu erinnern .
Endlich weckte ihn doch das Rauschen einer Quelle , die nicht weit von ihm aus einem Felsen hervor sprudelte , aus dem angenehmen Staunen , worin er etliche Minuten sich selbst vergessen hatte ; er stand auf , und schöpfte mit der holen Hand von diesem Wasser , dessen fließenden Kristall , seiner Einbildung nach , eine wohltätige Nymphe seinen Durst zu stillen , aus ihrem Marmorkrug entgegen goß ; und anstatt die von Zyprischem Wein sprudelnde Becher der Athenischen Gastmäler zu vermissen , dünkte ihm , daß er niemals angenehmer getrunken habe .
Er legte sich hierauf wieder nieder , entschlief unter dem sanftbetäubenden Gemurmel der Quelle , und träumte , daß er seine geliebte Psyche wieder gefunden habe , deren Verlust das einzige war , was ihm von Zeit zu Zeit einige Seufzer auspreßte .
Zweites Kapitel .
Etwas ganz Unerwartetes .
Wenn es seine Richtigkeit hat , daß alle Dinge in der Welt in der genauesten Beziehung auf einander stehen , so ist nicht minder gewiß , daß diese Verbindung unter einzelnen Dingen oft ganz unmerklich ist ; und daher scheint es zu kommen , daß die Geschichte zuweilen viel seltsamere Begebenheiten erzählt , als ein Romananschreiber zu dichten wagen dürfte .
Dasjenige , was unserem Helden in dieser Nacht begegnete , gibt mir neue Bekräftigung dieser Beobachtung ab .
Er genoß noch der Süßigkeit des Schlafs , den Homer für ein so großes Gut hält , daß er ihn auch den Unsterblichen zueignet ; als er durch ein lärmendes Getöse plötzlich aufgeschreckt wurde .
Er horchte gegen die Seite , woher es zu kommen schiene , und glaubte in dem vermischten Getümmel ein seltsames Heulen und Jauchzen zu unterscheiden , welches von den entgegenstehenden Felsen auf eine fürchterliche Art widerhallte .
Agathon , der nur im Schlaf erschreckt werden konnte , beschloß diesem Getöse mit eben dem Mut entgegen zu gehen , womit in späteren Zeiten der unbezwingbare Ritter von Mancha dem nächtlichen Klappern der Walkmühlen Trotz bot .
Er bestieg also den oberen Teil des Berges mit so vieler Eilfertigkeit als er konnte , und der Mond , dessen voller Glanz die ganze Gegend weit umher aus den dämmernden Schatten hob , begünstigte sein Unternehmen .
Das Getümmel nahm immer zu , je näher er dem Rücken des Berges kam ; er unterschied jetzt den Schall von Trommeln und das Flüstern regelloser Flöten , und fing an zu erraten , was dieser Lärm zu bedeuten haben möchte ; als sich ihm plötzlich ein Schauspiel darstellte , welches fähig scheinen könnte , den Weisen , dessen wir oben erwähnet haben , selbst seiner eingebildeten Göttlichkeit vergessen zu machen .
Ein schwärmender Haufen von jungen Thrakischen Weibern war es , welche von der Orphischen Wut begeistert , sich in dieser Nacht versammelt hatten , die unsinnigen Gebräuche zu begehen , die das heidnische Altertum zum Andenken des berühmten Zuges des Bacchus aus Indien eingesetzt hatte .
Ohne Zweifel könnte eine ausschweifende Einbildungskraft , oder der Griffel eines la Sage von einer solchen Szene ein ziemlich verführerisches Gemälde machen ; allein die Eindrücke die der wirkliche Anblick auf unseren jungen Helden machte , waren nichts weniger als von der reizenden Art .
Das stürmisch fliegende Haar , die rollenden Augen , die beschäumten Lippen und die aufgeschwollenen Muskeln , die wilden Gebärden und die rasende Fröhlichkeit , mit der diese Unsinnigen in frechen Stellungen , ihre mit zahmen Schlangen umwundenen Thyrsos schüttelten , ihre Klapperbleche zusammen schlugen , oder abgebrochene Dithyramben mit lallender Zunge stammelten ; alle diese Ausbrüche einer fanatischen Wut , die ihm nur desto schändlicher vorkam , weil sie den Aberglauben zur Quelle hatte , machten seine Augen unempfindlich , und erweckten ihm einen Ekel vor Reizungen , die mit der Schamhaftigkeit alle ihre Macht auf ihn verloren hatten .
Er wollte zurück fliehen , aber es war unmöglich , weil er in eben dem Augenblick , da er sie erblickte , von ihnen bemerkt worden war .
Der unerwartete Anblick eines Jüngling , an einem Ort und bei einem Feste , welches kein männliches Auge entweihen durfte , hemmte plötzlich den Lauf ihrer lärmenden Fröhlichkeit , um alle ihre Aufmerksamkeit auf diese Erscheinung zu wenden .
Hier können wir unseren Lesern einen Umstand nicht länger verhalten , der in diese ganze Geschichte einen großen Einfluß hat .
Agathon war von einer so wunderbaren Schönheit , daß die Rubens und Girardons seiner Zeit , weil sie die Hoffnung aufgaben , eine vollkommenere Gestalt zu erfinden , oder aus den zerstreuten Schönheiten der Natur zusammen zu setzen , die seinige zum Muster nahmen , wenn sie den Apollo oder Bacchus vorstellen wollten .
Niemals hatte ihn ein weibliches Auge erblickt , ohne die Schuld ihres Geschlechts zu bezahlen , welches die Natur für die Schönheit so empfindlich gemacht zu haben scheint , daß diese einzige Eigenschaft den meisten unter ihnen die Abwesenheit aller übrigen verbirgt .
Agathon hatte ihr in diesem Augenblick noch mehr zu danken ; sie rettete ihn von dem Schicksal des Pentheus .
Seine Schönheit setzte diese Mänaden in Erstaunen .
Ein Jüngling von einer solchen Gestalt , an einem solchen Ort , zu einer solchen Zeit !
Konnten sie ihn für etwas geringeres halten , als für den Bacchus selbst ?
In dem Taumel worin sich ihre Sinnen befanden , war nichts natürlicheres als dieser Gedanke ; auch gab er ihrer Phantasie auf einmal einen so feurigen Schwung , daß , da sie die Gestalt dieses Gottes vor sich sahen , sie alles übrige hinzudichtete , was ihm zu einem vollständigen Dionysos mangelte .
Ihre bezauberten Augen stellten ihnen die Silenen und die Ziegenfüßchen Faunen vor , die um ihn her schwärmten , und Tiger und Leoparden die mit liebkosender Zunge seine Füße legten ; Blumen , so deucht es sie , entsprangen unter seinen Fußsohlen , und Quellen von Wein und Honig sprudelten von jedem seiner Tritte auf , und rannen in schäumenden Bächen die Felsen hinab .
Auf einmal erschallte der ganze Berg , der Wald und die benachbarten Felsen von ihrem lauten Evan , Evan ! mit einem so entsetzlichen Getöse der Trommeln und Klapperbleche , daß Agathon , bei dem das , was er in diesem Augenblick sah und hörte , alles überstieg , was er jemals gesehen , gehört , gedichtet oder geträumt hatte , von Entsetzen und Erstaunung gefesselt , wie eine Bildsäule stehen blieb , indes , daß die entzückten Bacchantinnen gaukelnde Tänze um ihn her machten , und durch tausend unsinnige Gebärden ihre Freude über die vermeinte Gegenwart ihres Gottes ausdrückten .
Allein die unmäßigste Schwärmerei hat ihre Grenzen , und weicht endlich der Obermacht der Sinnen .
Zum Unglück für den Helden unserer Geschichte kamen diese Unsinnigen allmählich aus einer Entzückung zurück , worüber sich vermutlich ihre Einbildungskraft gänzlich abgemattet hatte , und bemerkten immer mehr menschliches an demjenigen , den seine ungewöhnliche Schönheit in ihren trunkenen Augen vergötkert hatte .
Etliche , die das Bewußtsein ihrer eigenen stolz genug machte , die Ariadne dieses neuen Bacchus zu sein , näherten sich ihm , und setzten ihn durch die Art womit sie ihre Empfindungen ausdrückten in eine desto größere Verlegenheit , je weniger er geneigt war , ihre ungestümen Liebkosungen zu erwidern .
Dem Ansehen nach würde unter ihnen selbst ein grimmiger Streit entstanden , und Agathon zuletzt das tragische Schicksal des Orpheus , der ehemals aus ähnlichen Ursachen von den thrakischen Mänaden zerrissen worden war , erfahren haben , wenn nicht die Unsterblichen , die das Gewebe der menschlichen Zufälle leiten , in eben dem Augenblick ein Mittel seiner Errettung herbeigebracht hätten , da weder seine Stärke , noch seine Tugend ihn zu retten hinlänglich war .
Drittes Kapitel .
Unvermutete Unterbrechung des BacchusFestes .
Eine Schar Cilicischer Seeräuber , welche frisches Wasser einzunehmen bei nächtlicher Weile an dieser Küste gelandet , hatten von fern das Getümmel der Bacchantinnen gehört , und sogleich für einen Aufruf zu einer ansehnlichen Beute aufgenommen .
Sie erinnerten sich , daß die vornehmsten Frauen dieser Gegend die geheimnisvollen Orgie um diese Zeit zu begehen pflegten ; und daß sie , wenn sie sich zu solchem Ende versammelten , in ihrem schönsten Putz aufzuziehen pflegten , ob sie gleich vor Besteigung des Berges sich dessen wieder entledigten , und alles bis zu ihrer Wiederkunft von einer Anzahl Sklavinnen bewachen ließen .
Die Hoffnung , außer diesen Weibern , von denen sie die schönsten für die Astatischen Harems bestimmten , eine Menge von kostbaren Kleidern und Juwelen zu erbeuten , schien ihnen wohl wert , sich etwas länger aufzuhalten .
Sie teilten sich also in zweien Haufen , davon der eine sich derer bemächtigte , welche die Kleider hüteten , indessen daß die übrigen den Berg bestiegen , und mit großem Geschrei unter die Thracierinnen einstürmend , sich von ihnen Meister machten , ehe sie Zeit oder Mut hatten , sich zur Wehr zu setzen .
Die Umstände waren allerdings so beschaffen , daß sie sich allein mit den gewöhnlichen und anständigsten Waffen ihres Geschlechts verteidigen konnten .
Allein diese Cilicier waren allzusehr Seeräuber , als daß sie auf die Tränen und Bitten , noch selbst auf die Reizungen dieser Schönen einige Achtung gemacht hätten , welche doch in diesem Augenblick , da Schrecken und Zagheit ihnen die Weiblichkeit ( wenn es erlaubt ist , dieses Wort einem großen Dichterabzuborgen ) wiedergegeben hatte , selbst dem sittsamen Agathon so verführerisch vorkamen , daß er vor gut befand , seine nicht gerne gehorchende Augen an den Boden zu heften .
Allein die Räuber hatten jetzt andere Sorgen , und waren nur darauf bedacht , wie sie ihre Beute aufs schleunigste in Sicherheit bringen möchten .
Und so entging Agathon , für etliche nicht allzufeine Scherze über die Gesellschaft , worin man ihn gefunden hatte , und für seine Freiheit , einer Gefahr , aus der er seinen Gedanken nach sich nicht zu teuer loskaufen konnte .
Der Verlust der Freiheit schien ihn in den Umständen worin er war , wenig zu bekümmern ; und in der Tat , da er alles übrige verloren hatte , was die Freiheit schätzbar macht , so hatte er wenig Ursache sich wegen eines Verlusts zu kränken , der ihm wenigstens eine Veränderung im Unglück versprach .
Viertes Kapitel .
Agathon wird zu Schiffe gebracht .
Nachdem die Cilicier mit ihrer gesamten Beute wieder zu Schiffe gegangen , und die Teilung derselben mit größerer Eintracht , als womit die Vorsteher einer kleinen Republik sich in die öffentlichen Einkünfte zu teilen pflegen , geendigt hatten ; brachten sie den Rest der Nacht mit einem Schmause zu , bei welchem sie nicht vergaßen , sich wegen der mehr als stoischen Unempfindlichkeit , die sie bei Eroberung der thrakischen Schönen bewiesen hatten , schadlos zu halten .
Unterdessen aber , daß das ganze Schiff beschäftiget war , das angefangene Bacchusfest zu vollenden , hatte sich Agathon unbemerkt in einen Winkel zurück gezogen , wo er vor Müdigkeit abermals einschlummerte , und den Traum gerne fortgesetzt hätte , aus welchem ihn das Evan Evan der berauschten Mänaden geweckt hatte .
Fünftes Kapitel .
Eine Entdeckung .
Die aufgehende Sonne , die von der rosenfingrigen Aurora angekündigt , das Ionische Meer mit ihren ersten Strahlen vergoldete , faud alle diejeuigen , mit dem Virgil zu reden , von Wein und Schlaf begraben , welche die Nacht durch dem Bacchus und seiner Göttin Schwester geopfert hatten .
Nur Agathon , der gewohnt war mit der Morgenröte zu erwachen , wurde von den ersten Strahlen geweckt , die in horizontalen Linien an seiner Stirn hinschlüpften .
Indem er die Augen aufschlug , sah er einen jungen Menschen in einer Sklaven-Kleidung vor sich stehen , der ihn mit großer Aufmerksamkeit betrachtete .
So schön als Agathon war , so schien er doch von diesem liebenswürdigen Jüngling an Feinheit der Gestalt und Farbe übertroffen zu werden ; in der Tat hatte er in seiner Gesichtsbildung und in seiner ganzen Figur etwas so jungfräuliches , daß er , gleich dem schönen Liebling des Horaz , in weiblicher Kleidung unter einer Schar von Mädchen gemischt , gar leicht das Auge des schärfsten Kenners betrogen haben würde .
Agathon erwiderte den Anblick dieses jungen Sklaven mit einer Aufmerksamkeit , in welcher ein angenehmes Erstaunen nach und nach sich bis zur Entzückung erhob .
Eben diese Bewegungen enthüllten sich auch in dem anmutigen Gesichte des jungen Sklaven ; ihre Seelen erkannten einander in eben demselben Augenblicke , und schienen durch ihre Blicke schon in einander zu fließen , ehe ihre Arme sich umfangen , und die von Entzückung bebende Lippen-Psyche-Agathon , ausrufen konnten .
Sie schwiegen eine lange Zeit ; dasjenige , was sie empfanden , war über allen Ausdruck ; und wozu bedurften sie der Worte ?
Der Gebrauch der Sprache hört auf , wenn sich die Seelen einander unmittelbar mitteilen , sich unmittelbar anschauen und berühren , und in einem Augenblick mehr empfinden , als die Zunge der Musen selbst in ganzen Jahren auszusprechen vermöchte .
Die Sonne würde vielleicht unbemerkt über ihrem Haupt hinweg , und wieder in den Ozean hinab gestiegen sein , ohne daß sie in den fortdauernden Augenblick der Entzückung den Wechsel der Stunden bemerkt hätten ; wenn nicht Agathon dem es allerdings zukam hierin der erste zu sein , sich mit sanfter Gewalt aus den Armen seiner Psyche losgewunden hätte , um von ihr zu erfahren , durch was für einen Zufall sie in die Gewalt der Seeräuber gekommen sei .
Die Zeit ist kostbar , liebste Psyche sagte er , wir müssen uns der Augenblicke bemächtigen , da diese Barbaren , von der Gewalt ihres Gottes bezwungen , zu Boden liegen .
Erzähle mir , durch was für einen Zufall wurdest du von meiner Seite gerissen , ohne daß es mir möglich war zu erfahren , wie oder wohin ?
Und wie finde ich dich jetzt in diesem Sklavenkleid , und in der Gewalt dieser Seeräuber ?
Sechstes Kapitel .
Erzählung der Psyche .
Du erinnerst dich , antwortete ihm Psyche , jener unglücklichen Stunde , da die eifersüchtige Pythia unsere Liebe , so geheim wir sie zu halten vermeinten , entdeckte .
Nichts war ihrer Wut zu vergleichen , und es fehlte nur noch , daß ihre Rache nicht mein Leben zum Opfer verlangte ; denn sie ließ mich einige Tage alles erfahren , was verschmähte Liebe erfinden kann , eine glückliche Nebenbuhlerin zu quälen .
Ob sie es nun gleich in ihrer Gewalt hatte , mich deinen Augen gänzlich zu entziehen , so hielt sie sich doch niemals sicher , so lang ich zu Delphi sein würde .
Sie machte bald ein Mittel ausfindig , sich meiner zu entledigen , ohne einigen Argwohn zu erwecken ; sie schenkte mich einer Verwandten , die sie zu Syracus hatte , und weil sie mich an diesem Orte weit genug von dir entfernt hielt , säumte sie nicht , mich in der größten Stille nach Korinth , und von da nach Sizilien bringen zu lassen .
Die Törin ! kannte sie die Macht der Liebe nicht , die Agathon einflößt ?
Wußte sie nicht , daß keine Scheidung der Liebe durch Länder und Meere meine Seele verhindern könne , aus einer Zone in die andere zu fliegen , und gleich einem liebenden Schatten um dich her zu schweben ?
Oder hoffte sie , reizender in deinen Augen zu werden , wenn du mich nicht mehr neben ihr sehen würdest ?
Wie wenig kannte sie unsere Liebe !
Nein , wahre Liebe kann so wenig eifersüchtig sein , als sich selbst fühlende Stärke zittern kann . -- Ich verließ Delphi mit zerrißenem Herzen .
Als ich den letzten Blick auf diese bezauberten Haine heftete , wo deine Liebe mir ein neues Wesen gab , eine neue Wirklichkeit , gegen die mein voriges Leben eine ekelhafte Abwechslung von einförmigen Tagen und Nächten , ein ungefühltes Pflanzen-Leben war , als ich diese geliebte Gegend endlich ganz aus den Augen verlor . -- Nein , Agathon , ich kann es nicht beschreiben , du kannst es empfinden , du allein -- Als ich mich selbst wieder fühlte , erleichtert ein Strom von Tränen mein gepreßtes Herz .
Es war eine Art von Wollust in diesen Tränen , ich ließ ihnen freien Lauf , ohne mich zu bekümmern , daß sie gesehen würden .
Die Welt schien mir ein leerer Raum , und alle Gegenstände um mich her Träume und Schatten ; du und ich waren allein ; ich sah , ich hörte nur dich , ich lag an deiner Brust , ich legte meinen Arm um deinen Hals , ich zeigte dir meine Seele in meinen Augen ; ich führte dich in die heiligen Schatten , wo du mich die Gegenwart der Unsterblichen fühlen lehrtest ; ich lag zu deinen Füßen , und meine an deinen Lippen hangende Seele glaubte den Gesang der Musen zu hören , wenn du sprachst ; wir wandelten Hand in Hand beim sanften Mondschein durch elysische Gegenden , oder setzten uns unter die Blumen , stillschweigend , indem unsere Seelen , in ihrer eigenen geistigen Sprache sich einander enthüllten , und lauter Licht und Wonne um sich her sahen , und unsterblich zu sein wünschten , um sich ewig lieben zu können .
Unter diesen Erinnerungen , deren Lebhaftigkeit alle äußre Empfindungen verdunkelte , beruhigte sich mein Herz allgemach .
Ich , die sich selbst nur für einen Teil deines Wesens hielt , konnte nicht glauben , daß wir immer getrennt bleiben würden .
Diese Hoffnung machte nun mein Leben aus , und bemächtigte sich meiner so sehr , daß ich wieder heiter wurde .
Denn ich zweifelte nicht , ich wußte es , daß du nicht aufhören könntest , mich zu lieben .
Ich überließ dich der glühenden Leidenschaft einer mächtigen und reizenden Nebenbuhlerin , ohne sie einen Augenblick zu fürchten .
Ich wußte , daß wenn sie es auch so weit bringen könnte , deine Sinnen zu verführen , sie doch unfähig sei , dir eine Liebe einzuflößen wie die unsrige , und daß du dich bald wieder nach derjenigen sehnen würdest , die dich allein glücklich machen , weil sie allein dich lieben kann , wie du geliebt zu sein wünschest .
Unter tausend solchen Gedanken kam ich endlich zu Syracus an .
Die vorsichtige Priesterin hatte Anstalt gemacht , daß ich nirgend Mittel finden konnte , dir von meinem Aufenthalt Nachricht zu geben .
Meine neue Gebieterin war von der guten Art von Geschöpfen , die gemacht sind sich selbst zu gefallen , und sich alles gefallen zu lassen .
Ich wurde zu der Ehre bestimmt , den Aufputz ihres schönen Kopfes zu besorgen ; und die Art , wie ich dieses Amt verwaltete , erwarb mir ihre Gunst so sehr , daß sie mich beinahe so viel liebte , als ihren Schoßhund .
In diesem Zustand hielt ich mich für so glücklich , als ich es ohne deine Gegenwart in einem jeden anderen hätte sein können , bis die Ankunft des Sohnes meiner Gebieterin die Szene veränderte .
Siebentes Kapitel .
Fortsetzung der Erzählung der Psyche .
Narcissus , so hieß dieser junge Herr , war von seiner Mutter nach Athen geschickt worden , die Weisen daselbst zu hören , und die feinen Sitten der Athener an sich zu nehmen .
Allein er hatte keine Zeit gefunden , weder das eine noch das andere zu tun .
Einige junge Leute , die er seine Freunde nannte , machten jeden Tag eine neue Lustbarkeit ausfindig , die ihn verhinderte , die schwermütigen Spaziergänge der Philosophen zu besuchen .
Ueberdas hatten ihm die artigsten Sträussmädchen von Athen gesagt , daß er ein sehr liebenswürdiger junger Herr wäre ; er hatte es ihnen geglaubt , und sich also keine Mühe gegeben , erst zu werden , was er nach einem so vollgültigen Zeugnis , schon war .
Er hatte sich also mit nichts beschäftiget , als seine Person in das gehörige Licht zu setzen ; niemand in Athen konnte sich rühmen lächerlicher geputzt zu sein , weißere Zähne und sanftere Hände zu haben als Narcissus .
Er war der erste in der Kunst , sich in einem Augenblick zweimal auf einem Fuß herum zu drehen , einen Fächer aufzuheben , oder ein Blumenesträuschen an die Stirn einer Dame zu stecken .
Bei solchen Vorzügen glaubte er einen natürlichen Beruf zu haben , sich dem weiblichen Geschlecht anzubieten .
Die Leichtigkeit womit seine Verdienste über die zärtlichen Herzen der Sträussmädchen gesiegt hatten , machte ihm Mut sich an die Kammermädchen zu wagen , und von diesen Nymphen er hob er sich endlich zu den Göttinnen selbst .
Ohne sich zu bekümmern , wie sein Herz aufgenommen wurde , hatte er sich angewöhnt zu glauben , daß er unwiderstehlich sei ; und wenn er nicht allemal Proben davon erhielt , so machte er sich dafür schadlos , indem er sich der Gunstbezeugungen am meisten rühmte , die er nicht genossen hatte . -- Wunderst du dich , Agathon , woher ich so wohl von ihm unterrichtet bin ?
Von ihm selbst .
Was meine Augen nicht an ihm entdeckten , das sagte mir sein Mund .
Denn er selbst war der unerschöpfliche Inhalt seiner Gespräche , so wie der einzige Gegenstand seiner Bewunderung .
Ein Liebhaber von dieser Art sollte dem Ansehen nach wenig zu bedeuten haben .
Eine Zeit lang belustigte mich seine Torheit ; allein er wurde ungestüm .
Er fand es unanständig , daß eine Aufwärterin seiner Mutter unempfindlich gegen ein Herz bleiben sollte , um welches die Sträussmädchen zu Athen einander beneidet hatten .
Ich wurde endlich genötigt , meine Zuflucht zu seiner Mutter zu nehmen .
Allein eben diese leutselige Organisation , welche sie gütig gegen sich selbst , gegen ihr Schoßhündchen und gegen alle Welt machte , machte sie auch gütig gegen die Torheiten ihres Sohnes .
Sie schien es so gar übel zu nehmen , daß ich von den Vorzügen eines so liebreizenden jungen Herrn nicht stärker gerührt würde .
Die Ungeduld über die Anfälle , denen ich beständig ausgesetzt war , gab mir tausendmal den Gedanken ein , mich heimlich hinweg zu stehlen .
Allein ich hatte keine Nachricht von dir ; ein Reisender von Delphi hatte uns zwar gesagt , daß du daselbst unsichtbar geworden , aber niemand konnte sagen wo du seiest .
Diese Ungewißheit stürzte mich in eine Unruhe , die meiner Gesundheit nachteilig zu werden anfing ; als eben dieser Narcissus , dessen lächerliche Liebe zu sich selbst mich so lange gequält hatte , mir ohne seine Absicht das Leben wieder gab , indem er erzählte , daß ein gewisser Agathon von Athen , nach einem Sieg über die aufrührischen Einwohner von Euböa , diese Insel seiner Republik wieder unterworfen habe .
Die Umstände die er von diesem Agathon hinzu fügte , ließen mich nicht zweifeln , daß du es seiest .
Eine Sklavin , die mir gewogen war , beförderte meine Flucht .
Sie hatte einen Liebhaber , der sie beredet hatte , sich von ihm entführen zu lassen .
Ich half ihr , dieses Vorhaben auszuführen und begleitete sie ; der junge Sizilianer verschaffte mir zur Dankbarkeit dieses Sklavenkleid , und brachte mich auf ein Schiff , welches nach Athen bestimmt war .
Ich wurde für einen Sklaven ansgegeben , der seinen Herrn zu Athen suchte , und überließ mich zum zweitenmal den Wellen , aber mit ganz anderen Empfindungen als das erstemal , da sie nun anstatt mich von dir zu entfernen , uns wieder zusammen bringen sollten .
Achtes Kapitel .
Psyche beschließt ihre Erzählung .
Unsere Fahrt war einige Tage glücklich , außer daß ein Wind der uns westwärts trieb , unsere Reise ungewöhnlich verlängerte .
Allein am Abend des sechsten Tages erhob sich ein heftiger Sturm , der uns in wenigen Stunden wieder einen großen Weg zurück machen ließ ; unsere Schiffer waren endlich so glücklich , eine von den unbewohnten Cycladen zu erreichen , wo wir uns vor dem Sturm in Sicherheit setzten .
Wir fanden in eben der Bucht wohin wir uns geflüchtet hatten , ein anders Schiff liegen , worin sich eben diese Cilicier befanden , denen wir jetzt zugehören .
Sie hatten eine griechische Flagge aufgesteckt , sie grüßten uns , sie kamen zu uns herüber , und weil sie unsere Sprache redeten , so hatten sie keine Mühe uns so viele Märchen vorzuschwatzen , als sie nötig fanden , uns sicher zu machen .
Nach und nach wurde unser Volk vertraulich mit ihnen ; sie brachten etliche große Krüge mit Zyprischem Weine , wodurch sie in wenig Stunden alle unsere Leute wehrlos machten .
Sie bemächtigten sich hierauf unseres ganzen Schiffes , und begaben sich , so bald sich der Sturm in etwas gelegt hatte , wieder in die See .
Bei der Teilung wurde ich einmütig dem Hauptmann der Räuber zuerkannt .
Man bewunderte meine Gestalt ohne mein Geschlecht zu mutmaßen .
Allein diese Verborgenheit half mir nicht so viel , als ich gehofft hatte .
Der Cilicier , den ich für meinen Herrn erkennen mußte , verzog nicht lange , mich mit einer ekelhaften Leidenschaft zu quälen .
Er nannte mich Ganymedes , und schwor bei allen Tritonen und Nereiden , daß ich ihm sein müßte , was dieser trojanische Prinz dem Jupiter gewesen sei .
Wie er sah , daß seine Schmeicheleien ohne Wirkung waren , nötigte er mich zuletzt , ihm zu zeigen , daß ich mein Leben gegen meine Ehre für nichts halte .
Dieses verschaffte mir bisher einige Ruhe , und ich fing an , auf ein Mittel meiner Befreiung zu denken .
Ich gab dem Räuber zu verstehen , daß ich von einem ganz anderen Stande sei , als mein Sklavenmäßiger Anzug zu erkennen gäbe , und bat ihn aufs inständigste mich nach Athen zu führen , wo er für meine Erledigung erhalten würde , was er nur fordern wollte .
Allein über diesen Punkt war er unerbittlich , und jeder Tag entfernte uns weiter von diesem geliebten Athen , welches , wie ich glaubte , meinen Agathon in sich hielt .
Wie wenig dachte ich , daß eben diese Entfernung , über die ich so untröstbar war , uns wieder zusammen bringen würde ?
Aber , ach ! in was für Umständen finden wir uns wieder !
Beide der Freiheit beraubt , ohne Freunde , ohne Hilfe , ohne Hoffnung befreit zu werden ; verurteilt ungesitteten Barbaren dienstbar zu sein .
Die unsinnige Leidenschaft meines Herrn wird uns so gar des einzigen Vergnügens berauben , das unseren Zustand erleichtern könnte .
Seitdem ihm meine Entschlossenheit die Hoffnung benommen seinen Endzweck zu erreichen , scheint sich seine Liebe in eine wütende Eifersucht verwandelt zu haben , die sich bemüht , dasjenige was man selbst nicht genießen kann , wenigstens keinem anderen zu Teil werden zu lassen .
Der Barbar wird dir keinen Umgang mit mir verstatten , da er mir kaum sichtbar zu sein erlaubt .
Doch die ungewisse Zukunft soll mir nicht einen Augenblick von der gegenwärtigen Wonne rauben .
Ich sehe dich , Agathon , und bin glücklich .
Wie begierig hätte ich vor wenigen Stunden einen Augenblick wie diesen mit meinem Leben erkauft !
Indem sie dieses sagte , umarmte sie den glücklichen Agathon mit einer so rührenden Zärtlichkeit , daß die Entzückung , die ihre Herzen einander mitteilten , eine zweite sprachlose Stille hervorbrachte ; und wie sollten wir beschreiben können , was sie empfanden , da der Mund der Liebe selbst nicht beredt genug war , es auszudrucken ?
Neuntes Kapitel .
Wie Psyche und Agathon wieder getrennt werden .
Nachdem unsere Liebhaber aus ihrer Entzückung zurückgekommen waren , verlangte Psyche von Agathon eben dieselbe Gefälligkeit , die sie durch Erzählung ihrer Begebenheiten für seine Neugierde gehabt hatte .
Er meldete ihr also , wiewohl ihm die Zeit nicht erlaubte umständlich zu sein , auf was Weise er von Delphi entflohen , wie er mit einem Athener bekannt geworden , und wie sich entdecket habe , daß dieser Athener sein Vater sei ; wie er durch einen Zufall in die öffentlichen Angelegenheiten verwickelt und durch seine Beredsamkeit dem Volke angenehm geworden ; die Dienste , die er der Republik geleistet ; durch was für Mittel seine Neider das Volk wider ihn aufgebracht , und wie er vor wenig Tagen mit Verlust aller seiner väterlichen Güter und Ansprüche lebenslänglich aus Athen verbannt worden ; wie er den Entschluß gefaßt , eine Reise in die Morgenländer vorzunehmen , und durch was für einen Zufall er in die Hände der Cilicier geraten .
Sie fingen nun auch an , sich über die Mittel ihrer Befreiung zu beratschlagen ; allein die Bewegungen , welche die allmählich erwachenden Räuber machten , nötigten Psyche sich aufs eilfertigste zu verbergen , um einem Verdacht zuvorzukommen , wovon der Schatten genug war , ihren Geliebten das Leben zu kosten .
Sie beklagten jetzt bei sich selbst , daß sie , nach dem Beispiel der Liebhaber in den Romanen , eine so günstige Zeit mit unnötigen Erzählungen verloren , da sie doch voraus sehen konnten , daß ihnen künftig wenig Gelegenheit würde gegeben werden , sich zu besprechen .
Allein was sie hierüber hätte trösten können , war , daß alle ihre Beratschlagungen und Erfindungen vergeblich gewesen wären .
Denn an eben diesem Morgen erhielt der Hauptmann Nachricht von einem reichbeladenen Schiffe , welches im Begriff sei , von Lesbos nach Korinth abzugehen , und welches , nach den Umständen die der Bericht angab , unterwegs aufgefangen werden könnte .
Diese Zeitung veranlaßte eine geheime Beratschlagung unter den Häuptern der Räuber , wovon der Ausschlag war , daß Agathon mit den gefangenen Thracierinnen und einigen anderen jungen Sklaven unter einer Bedeckung in eine Barke gesetzt wurde , um ungesäumt nach Smirna geführt und daselbst verkauft zu werden ; indes , daß die Galeere mit dem größten Teil der Seeräuber sich fertig machte , der reichen Beute , die sie schon in Gedanken verschlangen , entgegen zu gehen .
In diesem Augenblick verlor Agathon die Gelassenheit , mit der er bisher alle Stürme des widrigen Glücks ausgehalten hatte .
Der Gedanke , von seiner Psyche wieder getrennt zu werden , setzte ihn außer sich selbst .
Er warf sich zu den Füßen des Ciliciers , er schwor ihm , daß der verkleidete Ganymedes sein Bruder sei ; er bot sich selbst zu seinem Sklaven an , er flehte , er weinte . -- Aber umsonst .
Der Seeräuber hatte die Natur des Elements , welches er bewohnte , und die Sirenen selbst hätten ihn nicht bereden können , seinen Entschluß zu ändern .
Agathon erhielt nicht einmal die Erlaubnis , von seinem geliebten Bruder Abschied zu nehmen ; die Lebhaftigkeit , die er bei diesem Anlaß gezeigt , hatte ihn dem Hauptmann verdächtig gemacht .
Er wurde also , von Schmerz und Verzweiflung betäubt , in die Barke getragen , und befand sich schon eine geraume Zeit außer dem Gesichtskreis seiner Psyche , ehe er wieder erwachte , um den ganzen Umfang seines Elends zu fühlen .
Zehntes Kapitel .
Ein Selbstgespräch .
Da wir uns zum unverbrüchlichen Gesetze gemacht haben , in dieser Geschichte alles sorgfältig zu vermeiden , was gegen die historische Wahrheit derselben einigen gerechten Verdacht erwecken könnte ; so würden wir uns ein Bedenken gemacht haben , das Selbstgespräch , welches wir hier in unserem Manuskript vor uns finden , mitzuteilen , wenn nicht der ungenannte Verfasser die Vorsicht gebraucht hätte uns zu melden , daß seine Erzählung sich in den meisten Umständen auf eine Art von Tagebuch gründe , welches ( sicheren Anzeigen nach ) von der eigenen Hand des Agathon sei , und wovon er durch einen Freund zu Krotone eine Abschrift erhalten .
Dieser Umstand macht begreiflich , wie der Geschichtsschreiber habe wissen können , was Agathon bei dieser und anderen Gelegenheiten mit sich selbst gesprochen ; und schützet uns gegen die Einwürfe , die man gegen die Selbstgespräche machen kann , worin die Geschichtsschreiber den Poeten so gerne nachzuahmen pflegen , ohne sich , wie sie , auf die Eingebung der Musen berufen zu können .
Unsere Urkunde meldet also , nachdem die erste Wut des Schmerze _s , welche allezeit stumm und Gedankenlos zu sein pflegt , sich gelegt , habe Agathon sich umgesehen ; und da er von allen Seiten nichts als Luft und Wasser um sich her erblickt , habe er , seiner Gewohnheit nach , also mit sich selbst zu philosophieren angefangen :
War es ein Traum , was mir begegnet ist , oder sah ich sie wirklich , hörte ich wirklich den rührenden Akzent ihrer süßen Stimme , und umfingen meine Arme keinen Schatten ?
Wenn es mehr als ein Traum war , warum ist mir von einem Gegenstand , der alle anderen aus meiner Seele auslöschte nichts als die Erinnerung übrig ? -- Wenn Ordnung und Zusammenhäng die Kennzeichen der Wahrheit sind , o ! wie ähnlich dem ungefähren Spiel der träumenden Phantasie sind die Zufälle meines ganzen Lebens ! -- Von Kindheit an unter den heiligen Lorbeern des Delphischen Gottes erzogen , schmeichle ich mir unter seinem Schutz , in Beschauung der Wahrheit und im geheimen Umgang mit den Unsterblichen , ein stilles und sorgenfreies Leben zuzubringen .
Tage voll Unschuld , einer dem anderen gleich , fließen in ruhiger Stille , wie Augenblicke vorbei , und ich werde unvermerkt ein Jüngling .
Eine Priesterin , deren Seele eine Wohnung der Götter sein soll , wie ihre Zunge das Werkzeug ihrer Aussprüche , vergißt ihre Gelübde , und bemüht sich meine unerfahrene Jugend zu Befriedigung ihrer Begierde zu mißbrauchen .
Ihre Leidenschaft beraubt mich derjenigen , die ich liebe ; ihre Nachstellungen treiben mich endlich aus dem geheiligten Schutzort , wo ich , seit dem ich mich selbst empfand , von Bildern der Götter und Helden umgeben , mich einzig beschäftigt hatte , ihnen ähnlich zu werden .
In eine unbekannte Welt ausgestoßen , finde ich unvermutet einen Vater und ein Vaterland , die ich nicht kannte .
Ein schneller Wechsel von Umständen setzt mich eben so unvermutet in den Besetz des größten Ansehens in Athen .
Das blinde Zutrauen eines Volkes , das in seiner Gunst so wenig Maß hält als in seinem Unwillen , nötigt mir die Anführung seines Kriegsheers auf ; ein wunderbares Glück kommt allen meinen Unternehmungen entgegen , und führt meine Anschläge aus ; ich kehre siegreich zurück .
Welch ein Triumph !
Welch ein Zujauchzen !
Welche Vergötterung !
Und wofür ?
Für Taten , an denen ich den wenigsten Anteil hatte .
Aber kaum schimmert meine Bildsäule zwischen den Bildern des Cecrops und Theseus , so reißt mich eben dieser Pöbel , der vor wenigen Tagen bereit war , mir Altäre aufzurichten , mit ungestümer Wut zum Gerichtsplatz hin .
Die Mißgunst derer , die das Übermaß meines Glücks beleidigte , hat schon alle Gemüter wider mich eingenommen , und alle Ohren gegen meine Verteidigung verstopft ; Handlungen , worüber mein Herz mir Beifall gibt , werden auf den Lippen meiner Ankläger zu Verbrechen , mein Verdammungs-Urteil wird ausgesprochen .
Von allen verlassen , die sich meine Freunde genannt hatten , und kurz zuvor die eifrigsten gewesen waren , neue Ehrenbezeugungen für mich zu erfinden , fliehe ich aus Athen , mit leichtem Herzen , als womit ich vor wenigen Wochen , unter dem Zujauchzen einer unzählbaren Menge , durch ihre Tore eingeführt wurde ; und entschließe mich den Erdboden zu durchwandern , ob ich einen Ort finden möchte , wo die Tugend , von auswärtigen Beleidigungen sicher , ihrer eigentümlichen Glückseligkeit genießen könnte , ohne sich aus der Gesellschaft der Menschen zu verbannen .
Ich nahm den Weg nach Asien , um an den Ufern des Oxus die Quellen zu besuchen , aus denen die Geheimnisse des Orphischen Gottesdiensts zu uns geflossen sind .
Ein Zufall führt mich unter einen Schwarm rasender Bachantennen , und ich entrinne ihrer verliebten Wut bloß dadurch , daß ich in die Hände seeräuberischer Barbaren falle .
In diesem Augenblicke , da mir von allem was man verlieren kann nur noch das Leben übrig ist , finde ich meine Psyche wieder ; aber kaum fange ich an meinen Sinnen zu glauben , daß sie es sei , die ich in meinen Armen umschlossen halte , so verschwindet sie wieder , und ich finde mich auf diesem Schiffe , um zu Smyrna als ein Sklave verkauft zu werden -- Wie ähnlich ist alles dieses einem Traum , wo die schwärmende Phantasie , ohne Ordnung , ohne Wahrscheinlichkeit , ohne Zeit oder Ort in Betracht zu ziehen , die betäubte Seele von einem Abenteuer zu dem anderen , von der Krone zum Bettlers-Mantel , von der Wonne zur Verzweiflung , vom Tartarus ins Elysium fortreißt ? -- Und ist denn das Leben ein Traum , ein bloßer Traum , so eitel , so unwesentlich , so unbedeutend als ein Traum ?
Ein unbeständiges Spiel des blinden Zufalls , oder unsichtbarer Geister , die eine grausame Belustigung darin finden , uns zum Scherz bald glücklich bald unglücklich zu machen ?
Oder , ist es eben diese allgemeine Seele der Welt , deren Dasein die geheimnisvolle Majestät der Natur ankündiget ; ist es dieser allesbelebende Geist , der die menschlichen Sachen anordnet ; warum herrschet in der moralischen Welt nicht eben diese unveränderliche Ordnung und Zusammenstimmung , wodurch die Elemente die Jahres- und Tages-Zeiten , die Gestirne und die Kreise des Himmels in ihrem gleichförmigen Lauf erhalten werden ?
Warum leidet der Unschuldige ?
Warum sieget der Betrüger ?
Warum verfolgt ein unerbittliches Schicksal die Tugendhaften ?
Sind unsere Seelen den Unsterblichen verwandt , sind sie Kinder des Himmels ; warum verkennt der Himmel sein Geschlecht , und tritt auf die Seite seiner Feinde ?
Oder hat er uns die Sorge für uns selbst gänzlich überlassen , warum sind wir keinen Augenblick unseres Zustandes Meister ?
Warum vernichtet bald Notwendigkeit , bald Zufall , die weisesten Entwürfe ? -- Hier hielt Agathon eine Zeitlang inne ; sein in Zweifeln verwickelter Geist arbeitete sich loszuwinden , bis ein neuer Blick auf die majestätische Natur die ihn umgab , eine andere Reihe von Vorstellungen in ihm entwickelte . -- Was sind , fuhr er mit sich selbst fort , meine Zweifel anders , als Eingebungen der eigennützigen Leidenschaft ?
Wer war diesen Morgen glücklicher als ich ?
Alles war Wollust und Wonne um mich her .
Hat sich die Natur binnen dieser Zeit verändert , oder ist sie minder der Schauplatz einer grenzenlosen Vollkommenheit , weil Agathon ein Sklave , und von Psyche getrennt ist ?
Schäme dich , Kleinmütiger , deiner trübsinnigen Zweifel , und deiner unmännlichen Klagen !
Wie kannst du Verlust nennen , dessen Besitz kein Gut war ?
Ist es ein Übel , deines Ansehens , deines Vermögens , deines Vaterlandes beraubt zu sein ?
Alles dessen beraubt warst du in Delphi glücklich , und vermiskest es nicht .
Und warum nennest du Dinge dein , die nicht zu dir selbst gehören , die der Zufall gibt und nimmt , ohne daß es in deiner Willkür steht sie zu erlangen oder zu erhalten ?
Wie ruhig , wie heiter und glücklich schloß mein Leben in Delphi hin , ehe ich die Welt , ihre Geschäfte , ihre Sorgen , ihre Freuden und ihre Abwechselungen kannte ; ehe ich genötigt war , mit den Leidenschaften anderer Menschen , oder mit meinen eigenen zu kämpfen , mich selbst und den Genuß meines Daseins einem undankbaren Volke aufzuopfern , und unter der vergeblichen Bemühung , Toren oder Lasterhafte glücklich zu machen , selbst unglücklich zu sein ! -- Meine eigene Erfahrung widerlegt die ungerechten Zweifel des Mißvergnügens am besten .
Es waren Augenblicke , Tage , lange Reihen von Tagen , da ich glücklich war , glücklich in den frohen Stunden , da meine Seele , vom Anblick der Natur begeistert , in tiefsinnigen Betrachtungen und süßen Ahnungen , wie in den bezauberten Gärten der Hesperiden irrte ; glücklich , wenn mein befriedigtes Herz in den Armen der Liebe , aller Bedürfnisse , aller Wünsche vergaß , und nun zu verstehen glaubte , was die Wonne der Götter sei ; glücklicher , wenn in Augenblicken , deren Erinnerung den bittersten Schmerz zu versüßen genug ist , mein Geist in der großen Betrachtung des Ewigen und Unbegrenzten sich verlor -- Ja du bist , alles beseelende , alles regierende Güte -- ich sah , ich fühlte dich !
Ich empfand die Schönheit der Tugend , die dir ähnlich macht ; ich genoß die Glückseligkeit , welche Tagen die Schnelligkeit der Augenblicke , und Augenblicken den Wert von Jahrhunderten gibt .
Die Macht der Empfindung zerstreut meine Zweifel ; die Erinnerung der genossenen Glückseligkeit heilet den gegenwärtigen Schmerz , und verspricht eine bessere Zukunft .
Alle diese allgemeine Quellen der Freude , woraus alle Wesen schöpfen , fließen , wie ehemals , um mich her ; meine Seele ist noch eben dieselbige , wie die Natur , die mich umgibt -- O Ruhe meines Delphischen Lebens , und du , meine Psyche ! Dich allein , von allem , was außer mir ist , nenne ich mein , weil du die wertere Hälfte meines Wesens bist -- Wenn ihr auf ewig verloren wäret , dann würde meine untröstbare Seele nichts auf Erde finden , daß ihr die Liebe zum Leben wieder geben könnte .
Aber ich besaß beide , ohne sie mir selbst gegeben zu haben , und die wohltätige Macht , die sie gab , kann sie wiedergeben .
Tere Hoffnung , du bist schon ein Anfang der Glückseligkeit , die du versprichst !
Es wäre zugleich gottlos und töricht , sich einem Kummer zu überlassen , der den Himmel beleidigt , und uns selbst der Kräfte beraubt , dem Unglück zu widerstehen , und der Mittel , wieder glücklich zu werden .
Komme denn , du süße Hoffnung einer besseren Zukunft , und fessle meine Seele mit deinen schmeichelnden Bezauberungen !
Ruhe und Psyche -- Dieses allein , ihr Götter , so möget ihr Lorbeer-Kränze und Schätze geben , wem ihr wollt !
Elftes Kapitel .
Agathon kommt zu Smyrna an , und wird verkauft .
Das Wetter war unseren Seefahrern so günstig , daß Agathon gute Muße hatte , seinen Betrachtungen so lange nachzuhängen , als er wollte ; zumal da seine Reise von keinem der Umstände begleitet war , womit eine poetische Seefahrt ausgeschmückt zu sein pflegt .
Denn man sah da weder Tritonen , die aus krummen Ammons-Hörnern bliesen , noch Nereiden , die auf Delphinen , mit Blumen-Kränzen gezäumt , über den Wellen daherritten ; noch Sirenen , die mit halbem Leib aus dem Wasser hervorragend , die Augen durch ihre Schönheit , und das Ohr durch die Süssigkeit ihrer Stimme bezaubert hätten .
Die Winde selbst waren etliche Tage lang so zahm , als ob sie es mit einander abgeredet hätten , uns keine Gelegenheit zu irgend einer schönen Beschreibung eines Sturms oder eines Schiffbruchs zu geben ; kurz , die Reise ging so glücklich von statt , daß die Barke am Abend des dritten Tages in den Hafen von Smyrna einlief ; wo die Räuber , nunmehr unter dem Schutz des großen Königs gesichert , sich nicht säumten , ihre Gefangenen ans Land zu setzen , in der Hoffnung , auf dem Sklaven-Markte keinen geringen Vorteil aus ihnen zu ziehen .
Ihre erste Sorge war , sie in eines der öffentlichen Bäder zu führen , wo man nichts vergaß , was dazu dienen konnte , sie den folgenden Tag verkäuflicher zu machen .
Agathon war noch zu sehr von allem demjenigen , was mit ihm vorgegangen war , eingenommen , als daß er auf das gegenwärtige aufmerksam sein konnte .
Er wurde gebadet , abgerieben , mit Salben und wohlriechenden Wassern begossen , mit einem Sklaven-Kleid von vielfarbiger Seide angetan , mit allem was seine Gestalt erheben konnte , ausgeschmückt , und von allen , die ihn sahen , bewundert ; ohne daß ihn etwas aus der vollkommenen Unempfindlichkeit erweklen konnte , welche in gewissen Umständen eine Folge der übermäßigen Empfindlichkeit ist .
In dasjenige vertieft , was in seiner Seele vorging , schien er , weder zu sehen , noch zu hören ; weil er nichts sah , oder hörte , was er wünschte ; und nichts als der Anblick , der sich ihm auf dem Sklaven-Markte darstellte , war vermögend , ihn aus dieser wachenden Träumerei aufzurütteln .
Diese Szene hatte zwar das Abscheuliche nicht , das ein Sklaven-Markt zu Barbados so gar für einen Curopäer haben könnte , dem die Vorurteile der gesitteten Völker noch einige Überbleibsel des angeborenen menschlichen Gefühls gelassen hätten ; allein sie hatte doch genug , um eine Seele zu empören , die sich gewöhnt hatte , in den Menschen mehr die Schönheit ihrer Natur , als die Erniedrigung ihres Zustands ; mehr das , was sie nach gewissen Voraussetzungen sein könnten , als was sie wirklich waren , zu sehen .
Eine Menge von traurigen Vorstellungen stieg in gedrängter Verwirrung bei diesem Anblick in ihm auf ; und in eben dem Augenblick , da sein Herz von Mitleiden und Wehmut zerfloß , brannte es von einem zürnenden Abscheu vor den Menschen , dessen nur diejenigen fühig , welche die Menschheit lieben .
Er vergaß über diesen Empfindungen seines eigenen Unglücks , als ein Mann von edlem Ansehen , welcher schon bei Jahren zu sein schien , im Vorübergehen seiner gewahr wurde , stehen blieb , und ihn mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtete .
Wem gehört dieser junge Leibeigene ? fragte endlich der Mann einen von den Ciliciern , der neben ihm stand .
Dem , der ihn von mir kaufen wird , versetzte dieser .
Was versteht er für eine Kunst ? fuhr jener fort .
Das wird er dir selbst am besten sagen können , erwiderte der Cilicier .
Der Mann wandte sich also an den Agathon selbst , und fragte ihn , ob er nicht ein Grieche sei ?
ob er sich nicht in Athen aufgehalten ? und ob er in den Künsten der Musen unterrichtet worden ?
Agathon bejahte diese Fragen : " Kannst du den Homer lesen ? "
Ich kann lesen ; und ich meine , daß ich den Homer empfinden könne .
" Kennst du die Schriften der Philosophen ? "
Nein , denn ich verstehe sie nicht . "
Du gefällst mir , junger Mensch !
Wie hoch haltet ihr ihn , mein Freund ?
Er sollte , wie die anderen , durch den Herold ausgerufen werden , antwortete der Cilicier , aber für zwei Talente ist er euer .
Begleite mich mit ihm in mein Haus , erwiderte der Alte , du sollst zwei Talente haben , und der Sklave ist mein .
Dein Geld muß dir sehr beschwerlich sein , sagte Agathon ; woher weist du , daß ich dir für zwei Talente nützlich sein werde ?
Wenn du es nicht wärest , versetzte der Käufer , so bin ich unbesorgt , unter den Damen von Smyrna zwanzig für eine zu finden , die mir auf deine bloße Mine hin wieder zwei Talente für dich geben .
Und mit diesen Worten befahl er dem Agathon , ihm in sein Haus zu folgen .
Zweites Buch .
Erstes Kapitel .
Wer der Käufer des Agathon gewesen .
Der Mann , der sich für zwei Talente das Recht erworben hatte , den Agathon als seinen Leibeignen zu behandeln , war einer von den merkwürdigen Leuten , die unter dem Namen der Sophisten in den griechischen Städten umherzogen , sich der edelsten und reichsten Jünglinge bemächtigten , und durch die Annehmlichkeiten ihres Umgangs und die prächtigen Versprechungen , ihre Freunde zu vollkommenen Rednern , Staatsmännern und Feldherren zu machen , das Geheimnis gefunden hatten , welches die Alchimisten bis auf den heutigen Tag vergeblich gesucht haben .
Sie wurden von aller Welt mit dem ehrenvollen Namen der Sophisten oder Weisen benennt ; allein die Weisheit , von der sie Profession machten , war von der Sokratischen , die durch einige Verehrer dieses Atheniensischen Bürgers so berühmt worden ist , so wohl in ihrer Beschaffenheit , als in ihren Wirkungen unendlich unterschieden ; oder besser zu sagen , sie war die vollkommene Antipode derselbigen .
Die Sophisten lehrten die Kunst , die Leidenschaften anderer Menschen zu erregen ; Socrates die Kunst , seine eigene zu dämpfen .
Jene lehrten , wie man es machen müsse , um weise und tugendhaft zu scheinen ; dieser lehrte , wie man es sei .
Jene munterten die Jünglinge von Athen auf , sich der Regierung des Staats anzumaßen ; Socrates , daß sie vorher die Hälfte ihres Lebens anwenden sollten , sich selbst regieren zu lernen .
Jene spotteten der Sokratischen Weisheit , die nur in einem schlechten Mantel aufzog , und sich mit einer Mahlzeit für sechs Pfennige begnügte , da die ihrige in Purpur schimmerte , und offene Tafel hielt .
Die Sokratische Weisheit war stolz darauf , den Reichtum entbehren zu können ; die ihrige wußte , ihn zu erwerben .
Sie war gefällig , einschmeichelnd , und wußte alle Gestalten anzunehmen ; sie vergötterte die Großen , kroch vor ihren Dienern , tändelte mit den Damen , und schmeichelte allen , welche es bezahlten .
Sie war allenthalben an ihrem rechten Platz ; beliebt bei Hofe , beliebt an der Toilette , beliebt beim Spiel-Tisch , beliebt beim Adel , beliebt bei den Finanz-Pachtern , beliebt bei den Theater-Göttinnen , beliebt so gar bei der Priesterschaft .
Die Sokratische war weit entfernt , so liebenswürdig zu sein ; sie war trocken und langweilig ; sie wußte nicht zu leben ; sie war unerträglich , weil sie alles tadelte , und immer Recht hatte ; sie wurde von dem geschäftigen Teil der Welt für unnützlich , von dem müßigen für abgeschmackt , und von dem andächtigen gar für gefährlich erklärt .
Wir würden nicht fertig werden , wenn wir diese Gegensätze so weit treiben wollten , als wir könnten .
Genug , daß die Weisheit der Sophisten einen Vorzug hatte , den ihr die Sokratische nicht streitig machen konnte ; sie verschaffte ihren Besitzern Reichtum , Ansehen , Ruhm , und ein Leben , das von allem , was die Welt glücklich nennt , überfloß. Hippias ( so hieß der neue Herr unseres Agathon ) war einer von diesen Glücklichen , dem die Kunst , sich die Torheiten anderer Leute zinsbar zu machen , ein Vermögen erworben hatte ; wodurch er sich im Stande sah , sich der Ausübung derselben zu begeben , und die andere Hälfte seines Lebens in den Ergötzungen eines begüterten Müssigangs zu zubringen ; zu deren angenehmsten Genuß das zunehmende Alter viel geschickter scheint , als die ungestüme Jugend .
Er hatte sich zu diesem Ende Smyrna zu seinem Wohn-Ort ausersehen , weil die Annehmlichkeiten des Ionischen Klima , die schöne Lage dieser Stadt , der Überfluß , der ihr durch die Handlung aus allen Teilen des Erdbodens zuströmte , und die Verbindung des griechischen Geschmacks mit der wollüstigen Üppigkeit der Morgenländer ihm diesen Aufenthalt vor allen anderen , die er kannte , vorzüglich machte .
Hippias hatte den Ruhm , daß ihm in den Talenten seiner Profession wenige den Vorzug streitig machen könnten .
Ob er gleich über fünfzig Jahre hatte , so war ihm doch von der Gabe zu gefallen , die ihm in seiner Jugend so nützlich gewesen war , noch genug übrig geblieben , daß sein Umgang von den artigsten Personen des einen und anderen Geschlechts gesucht wurde .
Er hatte alles , was die Art von Weisheit , die er ausübte , verführisch machen konnte ; eine edle Gestalt , eine einnehmende Gesichts-Bildung , einen angenehmen Ton der Stimme , einen behenden und geschmeidigen Witz , und eine Beredsamkeit , die desto mehr gefiel , weil sie mehr ein Geschenk der Natur , als eine durch Fleiß erworbene Kunst zu sein schien .
Diese Beredsamkeit , oder vielmehr diese Gabe angenehm zu schwatzen , mit einer Tinktur von allen Wissenschaften , einem feinen Geschmack in dem Schönen und Angenehmen , und eine vollständige Kenntnis der Welt , war mehr als er nötig hatte , um in den Augen aller derjenigen , mit denen er umgieng , ( denn er ging mit keinen Socraten um ) für einen Genie vom ersten Rang , für einen Mann zu gelten , welcher alles wisse ; welchem schon zugelächelt wurde , ehe man wußte , was er sagen wollte , und wider dessen Aussprüche nicht erlaubt war , etwas einzuwenden .
Indessen war doch dasjenige , dem er sein Glück vornehmlich zu danken hatte , die besondere Gabe , die er besaß , sich der schöneren Hälfte der Gesellschaft gefällig zu machen .
Er war so klug , frühzeitig zu entdecken , wie viel an der Gunst dieser reizenden Geschöpfe gelegen ist , welche in den policierten Teilen des Erdbodens die Macht wirklich ausüben , die in den Märchen den Feen beigelegt wird ; die mit einem einzigen Blick , oder durch eine kleine Verschiebung des Halstuchs stärker überzeugen , als Demosthenes und Lysias durch lange Reden ; die mit einer einzigen Träne den Gebieter über Legionen entwaffnen , und durch den bloßen Vorteil , den sie von ihrer Gestalt und einem gewissen Bedürfnis des stärkeren Geschlechts zu ziehen wissen , sich zu unumschränkten Beherrscherinnen derjenigen machen , in deren Händen das Schicksal ganzer Völker liegt .
Hippias hatte diese Entdeckung von so großem Nutzen gefunden , daß er keine Mühe gespart hatte , es in der Anwendung derselben zu dem höchsten Grade der Vollkommenheit zu bringen ; und dasjenige , was er in seinem Alter noch davon hatte , bewies , was er in seinen schönen Jahren gewesen sein müsse .
Seine Eitelkeit ging so weit , daß er sich nicht enthalten konnte , die Kunst , die Zauberinnen zu bezaubern , in die Form eines Lehrbegriffs zu bringen , und seine Erfahrungen und Beobachtungen hierüber der Welt in einer sehr gelehrten Abhandlung mitzuteilen , deren Verlust nicht wenig zu bedauern ist , und schwerlich von einem heutigen Schriftsteller unserer Nation zu ersetzen sein möchte .
Nach allem , was wir bereits von diesem weisen Manne gesagt haben , wäre es überflüssig , eine Abschilderung von seinen Sitten zu machen .
Sein Lehr-Begrif , von der Kunst zu leben , wird uns in kurzem umständlich vorgelegt werden ; und er besaß eine Tugend , welche nicht die Tugend der Moralisten zu sein pflegt ; er lebte nach seinen Grundsätzen .
Zweites Kapitel .
Absichten des weisen Hippias .
Unter anderen Neigungen , in deren Befriedigung man den rechten Gebrauch des Reichtums zu setzen pflegt , hatte Hippias einen besonderen Geschmack an allem , was gut in die Augen fiel .
Er wollte , daß die Seinigen , in seinem Hause wenigstens , sich nirgends hinwenden sollten , ohne einem schönen Gegenstande zu begegnen .
Die schönsten Gemälde , die schönsten Bildsäulen und Schnitzwerke , die reichsten Tapeten , das schönste Hausgeräte , die schönsten Gefäße befriedigten seinen Geschmack noch nicht ; er wollte auch , daß der belebte Teil seines Hauses mit dieser allgemeinen Schönheit übereinstimmen sollte ; und seine Bediente und Sklavinnen waren die ausgesuchtesten Gestalten , die er in einem Lande , wo die Schönheit gewöhnlich ist , hatte finden können .
Die Gestalt Agathons möchte also allein hinreichend gewesen sein , ihm seine Gunst zu erwerben ; zumal da er eben einen Leser nötig hatte , und aus dem Anblick und den ersten Worten desselben urteilte , daß er sich zu einem Dienst vollkommen schicken würde , wozu eine gefallende Gesichts-Bildung und eine musikalische Stimme die nötigsten Gaben sind .
Allein Hippias hatte noch eine geheime Absicht , die er durch diesen Jüngling zu erreichen hoffte .
Obgleich die Liebe zu den Wollüsten der Sinne seine herrschende Neigung zu sein schien , so hatte doch die Eitelkeit nicht weniger Anteil an den meisten Handlungen seines Lebens .
Er hatte , bevor er sich nach Smyrna begab , um die Früchte seiner Arbeit zu genießen , den schönsten Teil seines Lebens zugebracht , die edelste Jugend der griechischen Städte zu bilden ; er hatte Redner gebildet , die durch eine künstliche Vermischung des Wahren und Falschen , und den klugen Gebrauch gewisser Figuren , einer schlimmen Sache den Schein und die Wirkung einer guten zu geben wußten ; Staats-Männer , welche die Kunst besaßen , mitten unter den Zujauchzungen eines betörten Volks die Gesetze durch die Freiheit und die Freiheit durch schlimme Sitten zu vernichten ; um diejenigen , die sich der heilsamen Zucht der Gesetze nicht unterwerfen wollten , der willkürlichen Gewalt ihrer Leidenschaften zu unterwerfen ; kurz , er hatte Leute gebildet , die sich Ehren-Säulen dafür aufrichten ließen , daß sie ihr Vaterland zu Grunde richteten .
Allein dieses befriedigte seine Eitelkeit noch nicht : Er wollte auch jemand hinterlassen , der seine Kunst fortzusetzen geschickt wäre ; eine Kunst , die in seinen Augen allzuschön war , als daß sie mit ihm sterben sollte .
Schon lange hatte er einen jungen Menschen gesucht , bei dem er das natürliche Geschicke , der Nachfolger eines Hippias zu sein , in derjenigen Vollkommenheit finden möchte , die dazu erfordert wurde .
Seine Gabe , aus der Gestalt und Mine das Inwendige eines Menschen zu erraten , beredete ihn , im Agathon zu finden , was er suchte ; wenigstens hielt er es der Mühe wert , den Versuch mit ihm zu machen ; und da er von seiner Tüchtigkeit ein so gutes Vorurteil gefasst hatte , so fiel ihm nur nicht ein , in seine Willigkeit zu den großen Absichten , die er mit ihm vorhatte , einigen Zweifel zu setzen .
Drittes Kapitel .
Verwunderung , in welche Agathon gesetzt wird .
Agathon wußte noch nichts , als daß er einem Manne zugehöre , dessen Äußerliches Ansehen ihm gefiel ; als er bei dem Eintritt in sein Haus durch die Schönheit des Gebäudes , die Bequemlichkeiten der Einrichtung , die Menge und die gute Mine der Bedienten , und durch einen Schimmer von Pracht und Üppigkeit , der ihm allenthalben entgegen glänzte , in eine Art von Verwunderung gesetzt wurde , die ihm sonst nicht gewöhnlich war , und die nur desto mehr zunahm , wie er hörte , daß er die Ehre haben sollte , ein Haus-Genosse von Hippias , dem Weisen , zu werden .
Er war noch im Nachdenken begriffen , was für eine Art von Weisheit dieses sein möchte , als Hippias , der indes seinem Zahlmeister befohlen hatte , den Cilicier zu befriedigen , ihn in sein Cabinet rufen ließ , und ihm seine künftige Bestimmung in diesen Worten ankündigte :
Die Gesetze , Callias , ( denn dieses soll künftig dein Name sein ) geben mir zwar das Recht , dich als meinen Leibeigenen anzusehen ; aber es wird nur von dir abhangen , so glücklich in meinem Hause zu sein , als ich selbst .
Alle deine Verrichtungeu werden darin bestehen , den Homer bei meinem Tische , und die Aufsätze , mit deren Ausarbeitung ich mir die Zeit vertreibe , in meinem Hör-Saal vorzulesen .
Wenn dieses Amt leicht zu sein scheint , so versichre ich dich , daß ich nicht leicht zu befriedigen bin , und daß du Kenner zu Hörern haben wirst .
Ein Ionisches Ohr will nicht nur ergötzt , es will bezaubert sein .
Die Annehmlichkeit der Stimme , die Reinheit und das Weiche der Aussprache , die Richtigkeit des Accents , das Muntere , das Ungezwungene , das musikalische ist nicht hinlänglich ; wir fordern eine vollkommene Nachahmung , einen Ausdruck , der jedem Teile des Stücks , jeder Periode , jedem Vers das Leben , den Affekt , die Seele gibt , die sie haben sollen ; kurz , die Art , wie gelesen wird , soll das Ohr an die Stelle aller übrigen Sinne setzen .
Das Gastmahl des Alcinous soll diesen Abend dein Probstück sein .
Die Fähigkeiten , die ich an dir zu entdecken hoffe , werden meine Absichten mit dir bestimmen ; und vielleicht wirst du in der Zukunft Ursache finden , den Tag , an dem du dem Hippias gefallen hast , unter deine Glücklichen zu zählen .
Mit diesen Worten verließ er unseren Jüngling , und ersparte sich dadurch die Demütigung zu sehen , wie wenig der neue Callias durch die Hoffnungen gerührt schien , wozu ihn diese Erklärung berechtigte .
In der Tat hatte die Bestimmung , die Ionischen Ohren zu bezaubern , in Agathons Augen nicht edel genug , daß er sich deswegen hätte glücklich schätzen sollen ; und über dem war etwas in dem Ton dieser Anrede , welches ihm mißfiel , ohne daß er eigentlich wußte , warum ?
Inzwischen vermehrte sich seine Verwunderung , je mehr er sich in dem Hause des weisen Hippias umsah ; und er begriff nun ganz deutlich , daß sein Herr , was auch sonst seine Grundsätze sein möchten , wenigstens von der Ertötung der Sinnlichkeit , wovon er ehemals den Plato zu Athen sehr schöne Dinge sagen gehört hatte , keine Profession mache .
Allein wie er sah , was die Weisheit in diesem Hause für eine Tafel hielt , wie prächtig sie sich bedienen ließ , was für reizende Gegenstände ihre Augen , und was für wollüstige Harmonien ihre Ohren ergötzten , während daß der Schenk-Tisch mit den ausgesuchtesten Weinen und den angenehm-betäubenden Getränken der Asiaten beladen , den Sinnen zum Genuß so vieler Wollüste neue Kräfte zu geben schien ; wie er die Menge von jungen Sklaven sah , die den Liebes-Göttern ähnlich schienen , die Chöre von Tänzerinnen und Lauten-Spielerinnen , die durch die Reizungen ihrer Gestalt so sehr als durch ihre Geschicklichkeit bezauberten , und die nachahmenden Tänze , in denen sie die Geschichte der Leda oder Danae durch bloße Bewegungen mit einer Lebhaftigkeit vorstellten , die einen Nestor hätte jüngern können ; wie er die üppigen Bäder , die bezauberten Gärten , kurz , wie er alles sah , was das Haus des weisen Hippias zu einem Tempel der aasgekünsteltsten Sinnlichkeit machte , so stieg seine Verwunderung bis zum Erstaunen ; und er konnte nicht begreifen , was dieser Sybarit getan haben müsse , um den Namen eines Weisen zu verdienen , oder wie er sich einer Benennung nicht schäme , die ihm , seinen Gedanken nach , eben so gut anstand , als dem Alexander von Phera , wenn man ihn den Leutseligen , oder der Phryne , wenn man sie die Keusche hätte nennen wollen .
Alle Auflösungen , die er sich selbst hierüber machen konnte , befriedigten ihn so wenig , daß er sich vornahm , bei der ersten Gelegenheit dieses Problem dem Hippias selbst vorzulegen .
Viertes Kapitel .
Welches bei einigen den Verdacht erwecken wird , daß diese Geschichte erdichtet sei .
Die Verrichtungen des Agathon ließen ihm so viel Zeit übrig , daß er in wenigen Tagen in einem Hause , wo alles Freude atmete , sehr lange Weile hatte .
Zwar lag die Schuld nur an ihm selbst , wenn es ihm an einem Zeitvertreib mangelte , der sonst die hauptsächlichste Beschäftigung der Leute von seinem Alter auszumachen pflegt .
Die Nymphen dieses Hauses waren von einer so gefälligen Gemüts-Art , von einer so anziehenden Figur , und von einem so günstigen Vorurteil für den neuen Haus-Genossen eingenommen , daß es weder die Furcht abgewiesen zu werden , noch der Fehler ihrer Reizungen war , was den schönen Callias so zurückhaltend oder unempfindlich machte .
Verschiedene , die aus seinem Betragen schlossen , daß er noch ein Neuling sein müsse , ließen sich die Mühe nicht dauern , ihm die Schwierigkeiten , die ihm seine Schüchternheit , ihren Gedanken nach , in den Weg legte , zu erleichtern ; und gaben ihm Gelegenheiten , die den Zaghaftesten hätten unternehmend machen sollen. Allein ( wir müssen es nur gestehen , was man auch von unserem Helden deswegen denken mag ) er gab sich eben so viel Mühe , diese Gelegenheiten auszuweichen , als man sich geben konnte , sie ihm zu machen .
Wenn dieses anzuzeigen scheint , daß er entweder einiges Mißtrauen in sich selbst , oder ein allzugroßes Vertrauen in die Reizungen dieser schönen Verführerinnen gesetzt habe , so dient vielleicht zu seiner Entschuldigung , daß er noch nicht alt genug war , ein Xenokrattes zu sein ; und daß er , vermutlich nicht ohne Ursache , ein Vorurteil wider dasjenige gefaßt hatte , was man im Umgang von jungen Personen beiderlei Geschlechts unschuldige Freiheiten zu nennen pflegt .
Dem sei inzwischen wie ihm wolle , so ist gewiß , daß Agathon durch dieses seltsame Bezeugen einen Argwohn erweckte , der ihm bei allen Gelegenheiten sehr beißende Spöttereien von den übrigen Hausgenossen , und selbst von den Schönen zuzog , die sich durch seine Sprödigkeit nicht wenig beleidigt fanden , und ihm auf eine feine Art zu verstehen gaben , daß sie ihn für geschickter hielten , die Tugend der Damen zu bewachen , als auf die Probe zu stellen .
Agathon fand nicht ratsam , sich in einen Wett-Streit einzulassen , wo er besorgen mußte , daß die Begierde , recht zu haben , die sich in der Hitze des Streites auch der Klügsten zu bemeistern pflegt , ihn zu gefährlichen Erörterungen führen könnte .
Er machte daher bei solchen Anläsen eine so alberne Figur , daß man von seinem Witz eine eben so verdächtige Meinung bekommen mußte , als man schon von seiner Person gefaßt hatte ; und die Verachtung , in die er deswegen bei jedermann fiel , trug vielleicht nicht wenig dazu bei , ihm den Aufenthalt in einem Hause beschwerlich zu machen , wo ihm ohnehin , alles , was er sah und hörte , ärgerlich war .
Er liebte diejenigen Künste sehr , über welche , nach dem Glauben der Griechen , die Musen die Aufsicht hatten .
Allein die Gemälde , womit alle Säle und Gänge dieses Hauses ausgeziert waren , stellten so schlüpfrige und unsittliche Gegenstände vor , daß er seinen Augen um so weniger erlauben konnte , sich darauf zu verweilen , je vollkommener die Natur darin nachgeahmt war , und je mehr sich d__ Genie bemüht hatte , der Natur selbst neue Reizungen zu leihen .
Eben so weit war die Musik , die er alle Abende nach der Tafel hören konnte , von derjenigen unterschieden , die seiner Einbildung nach allein der Musen würdig war .
Er liebte eine Musik , welche die Leidenschaften besänftigte , und die Seele in ein angenehmes Staunen wiegte , oder das Lob der Unsterblichen mit einem feurigen Schwung von Begeisterung sang , wodurch das Herz in heiliges Entzücken und in ein schauervolles Gefühl der gegenwärtigen Gottheit gesetzt wurde ; und wenn sie Zärtlichkeit und Freude ausdrückte , so sollte es die Zärtlichkeit der Unschuld und die rührende Freude der einfältigen Natur sein .
Allein in diesem Hause hatte man einen ganz anderen Geschmack .
Was Agathon hörte , waren Sirenen-Gesänge , die den üppigsten Liedern des tejischen Dichters einen Reiz gaben , der auch aus unangenehmen Lippen verführerisch gewesen wäre ; Gesänge , die durch den nachahmenden Ausdruck des verschiedenen Tons der schmeichelnden , seufzenden und schmachtenden , oder der triumphierenden und in Entzückung aufgelösten Leidenschaft die Begierde erregten , dasjenige zu erfahren , was in der Nachahmung schon so reizend war ; Lydische Flöten , deren girrendes , verliebtes Flüstern die redenden Bewegungen der Tänzerinnen ergänzte , und ihrem Spiel eine Deutlichkeit gab , die der Einbildungs-Kraft nichts zu erraten übrig ließ ; Symphonien , welche die Seele in ein bezaubertes Vergessen ihrer selbst versenkten , und , nachdem sie alle ihre edlere Kräfte entwaffnet hatte , die erregte und willige Sinnlichkeit der ganzen Gewalt der von allen Seiten eindringenden Wollust auslieferten .
Agathon konnte bei diesen Szenen , wo so viele Künste , so viele Zauber-Mittel sich vereinigten , den Widerstand der Tugend zu ermüden , nicht so gleichgültig bleiben , als diejenigen zu sein schienen , die derselben gewohnt waren ; und die Unruhe , in die er dadurch gesetzt wurde , machte ihm , was auch die Stoiker sagen mögen , mehr Ehre , als dem Hippias und seinen Freunden ihre Gelassenheit .
Er befand also für gut , sich allemal , wenn er seine Rolle , als Homerist , geendigt hatte , hinweg und an einen Ort zu begeben , wo er in ungestörter Einsamkeit sich von den widrigen Eindrücken befreien konnte , die das geschäftige und fröhliche Getümmel des Hauses , und der Anblick von so vielen Gegenständen , die seine moralischen Sinne beleidigten , den Tag über auf sein Gemüte gemacht hatten .
Fünftes Kapitel .
Schwärmerei des Agathon .
Die Wohnung des Hippias war auf der mittäglichen Seite von Gärten umgeben , in deren weitläufigem Bezirk die Kunst und der Reichtum alle ihre Kräfte aufgewandt hatten , die einfältige Natur mit ihren eigenen und mit fremden Schönheiten zu überladen .
Gefilde voll Blumen , die aus allen Vorteilen gesammelt , jeden Monat zum Frühling eines anderen Klima machten , Lauben von allerlei wohlriechenden Stauden , Lust-Gänge von Zitronenbäumen , Oel-Bäumen und Zedern , in deren Länge der schärfste Blick sich verlor , Häyne von allen Arten der fruchtbaren Bäume , und Irrgänge von Myrten und Lorbeer-Hecken , mit Rosen von allen Farben durchwanden , wo tausend marmorne Najaden , die sich zu regen und zu atmen schienen , kleine murmelnde Bäche zwischen die Blumen hingossen , oder mit mutwilligem Plätschern in spiegelhellen Brunnen spielten , oder unter überhangenden Schatten von ihren Spielen auszuruhen schienen .
Alles dieses machte die Gärten des Hippias den bezauberten Gegenden ähnlich , diesen Spielen einer dichterischen und malerischen Phantasie , die man erstaunt ist , außerhalb seiner Einbildung zu sehen .
Hier war es , wo Agathon seine angenehmsten Stunden zubrachte ; hier fand er die Heiterkeit der Seele wieder , die er dem angenehmsten Taumel der Sinne unendlich weit vorzog ; hier konnte er sich mit sich selbst besprechen ; hier war er von Gegenständen umgeben , die sich zu seiner Gemüts-Beschaffenheit schickten , obgleich die seltsame Denk-Art , wodurch er die Erwartung des Hippias so sehr betrog , auch hier nicht ermangelte , sein Vergnügen durch den Gedanken zu vermindern , daß alle diese Gegenstände weit schöner wären , wenn sich die Kunst nicht angemaßt hätte , die Natur ihrer Freiheit und rührenden Einfältigkeit zu berauben .
Oft wenn er beim Mond-Schein , den er mehr als den Tag liebte , so einsam im Schatten lag , erinnert er sich der frohen Szenen seiner ersten Jugend , der unbeschreiblichen Eindrücke , die jeder schöne Gegenstand , jeder ihm neue Auftritt der Natur auf seine jugendlichen unverwöhnten Sinnen gemacht hatte , der süßen Stunden , die ihm in den Entzückungen einer ersten und unschuldigen Liebe zu Augenblicken geworden waren .
Diese Erinnerungen , mit der Stille der Nacht und dem Gemurmel sanfter Bäche und der sanft wehenden Sommer-Lüfte , wiegten seine Sinnen in eine Art von leichtem Schlummer ein , worin die innerlichen Kräfte der Seele mit verdoppelter Stärke wirken ; dann bildeten sich ihm die reizenden Aussichten einer besseren Zukunft vor ; er sah alle seine Wünsche ' erfüllt , er fühlte sich etliche Augenblicke glücklich ; und wenn sie vorbei waren , beredete er sich , daß diese Hoffnungen ihn nicht so lebhaft rühren , nicht in eine so gelassene Zufriedenheit senken würden , wenn es nur nächtliche Spiele der Phantasie , und nicht vielmehr innerliche Ahnungen wären , Blicke , welche der Geist in der Stille und Freiheit , die ihm die schlummerndeu Sinne lassen , in die Zukunft und in eine weitere Sphäre tut , als diejenige , die von der Schwäche ihrer körperlichen Sinne umschrieben wird .
In einer solchen Stunde war es , als Hippias , den die Anmut einer schönen Sommer-Nacht zum Spaziergang einlud , ihn unter diesen Beschauungen überraschte , denen er , in der Meinung , allein zu sein , sich zu überlassen pflegte .
Hippias blieb eine Weile vor ihm stehen , ohne daß Agathon seiner gewahr wurde ; endlich aber redet er ihn an , und ließ sich in ein Gespräch mit ihm ein ; welches ihn nur allzusehr in dem Argwohn bestärkte , den er von dem Hang unseres Helden zu demjenigen , was er Schwärmerei nannte , bereits gefaßt hatte .
Zweites Buch , sechstes Kapitel .
Sechstes Kapitel .
Ein Gespräch zwischen Hippias und seinem Sklaven . ( * ) Hippias .
Du scheinst in Gedanken vertieft , Callias ?
Agathon .
Ich glaubte allein zu sein .
Hippias .
Ein anderer an deiner Stelle würde sich die Freiheit meines Hauses besser zu Nutze machen .
Doch vielleicht gefällst du mir um dieser Zurückhaltung Willen nur desto besser .
Aber mit was für Gedanken vertreibst du dir die Zeit , wenn man fragen darf ?
Agathon .
Die allgemeine Stille , der Mondschein , die rührende Schönheit der schlummernden Natur , die mit den Ausdünstungen der Blumen durchwürzte Nachtluft , tausend angenehme Empfindungen , deren liebliche Verwirrung meine Seele trunken machte , setzte sie in eine Art von Entzückung , worin ein anderer Schau Platz ( * ) Zur Verhütung alles Mißverstandes berichtet der Verfasser , daß , was Hippias hier und forthin scheinbares zur Behauptung des Epicureismus vormalet , im folgenden Teile , worin eine der wahren Religion und christlichen Tugend vollkommen günstige Philosophie die Oberhand behält , gründlich wird widerlegt werden ; so daß dieses Blendwerk , wo die in den Zeiten des Pericles herrschende Philosophie , nach der historischen Wahrheit , in der Hülle einer Geschichte vorgetragen wird , vor der Wahrheit verschwinden soll , wie der Nebel vor der Sonne .
Agathon , Platz von unbekannten Schönheiten sich vor mir auftat ; es war nur ein Augenblick , aber ein Augenblick , den ich um eines von den Jahren des Königs von Persien nicht vertauschen wollte .
Hippias ( lächelt . ) Agathon .
Dieses brachte mich hernach auf die Gedanken , wie glücklich der Zustand der Geister sei , die den groben tierischen Leib abgelegt haben , und im Anschauen des wesentlichen Schönen , des Unvergänglichen , Ewigen und Göttlichen , Jahrtausende durchleben , die ihnen nicht länger scheinen als mir dieser Augeublik ; und in den Betrachtungen , denen ich hierüber nachhing , bin ich von dir überraschet worden .
Hippias .
Du schliefst doch nicht , Callias ; du hast wie ich sehe , mehr Talente als du nötig hast ; du kannst auch wachend träumen ?
Agathon .
Es gibt vielerlei Arten von Träumen , und bei einigen Menschen scheint ihr ganzes Leben Traum zu sein ; wenn dieses Träume sind , so sind sie wenigstens angenehmer als alles , was ich in dieser Zeit wachend hätte erfahren können .
Hippias .
Du gedenkest also vielleicht einer von diesen Geistern zu werden , die du so glücklich preisest ?
Agathon Zweites Buch , sechstes Kapitel . Agathon .
Ich Hof es zu werden , und würde ohne diese Hoffnung mein Dasein für kein Gut achten .
Hippias .
Besitzest du etwan ein Geheimnis , körperliche Wesen in geistige zu erhöhen , einen Zaubertrank von der Art derjenigen , womit die Medeen und Circen der Dichter so wunderbare Verwandlungen zuwege bringen ?
Agathon .
Ich verstehe dich nicht , Hippias. Hippias .
So will ich deutlicher sein .
Wenn ich anders dich verstanden habe , so hältst du dich für einen Geist , der in einen tierischen Leib eingekerkert ist ?
Agathon .
Wofür sollt ich mich sonst halten ?
Hippias .
Sind die vierfüßigen Tiere , die Vögel , die Fische , die Gewürme , auch Geister , die in einen tierischen Leib eingeschlossen sind ?
Agathon .
Vielleicht .
Hippias .
Und die Pflanzen ?
Agathon .
Vielleicht auch diese .
Hippias .
Du bauest also deine Hoffnung auf ein Vielleicht .
Wenn die Tiere vielleicht auch nicht Geister sind , so hisst du vielleicht eben so wenig einer ; denn das ist ein Mal Agathon , Mal gewiß , daß du ein Tier bist .
Du entstehest wie die Tiere , wachsest wie sie , hast ihre Bedürfnisse , ihre Sinnen , ihre Leidenschaften , wirst erhalten wie sie , vermehrest dich wie sie , stirbst wie sie , und wirst wie sie wieder zu einem bißchen Wasser und Erde , wie du vorher gewesen warst .
Wenn du einen Vorzug vor ihnen hast , so ist es eine schönere Gestalt , ein paar Hände , mit denen du mehr ausrichten kannst als ein Tier mit seinen Pfoten , eine Bildung gewisser Gliedmaßen , die dich der Rede fähig macht , und ein lebhafterer Witz , der von einer schwächeren und reizbareren Beschaffenheit deiner Fibern herkommt ; und der doch alle Künste , womit wir uns so groß zu machen pflegen , den Tieren abgelernt hat .
Agathon .
Wir haben also sehr verschiedene Begriffe von der menschlichen Natur , du und ich .
Hippias .
Vermutlich , weil ich sie für nichts anders halte , als wofür meine Sinnen und eine Beobachtung ohne Vorurteile sie mir geben .
Doch ich will freigebig sein ; ich will dir zugeben , dasjenige was in dir denkt sei ein Geist , und wesentlich von deinem Körper unterschieden . -- Worauf gründest du die Hoffnung , daß dieser Geist noch denken werde , wenn dein Leib zerstört sein wird ?
Was für eine Erfahrung hast du , eine Meinung zu bestätigen , die von so vielen Erfahrungen bestritten wird ?
Ich will nicht sagen , daß er zu Zweites Buch , sechstes Kapitel . zu nichts werde ; aber dein Leib verliert durch den Tod die Form die ihn zu deinem Leibe machte ; woher hoffest du , daß dein Geist die Form nicht verlieren werde , die ihn zu deinem Geiste macht ?
Agathon .
Weil ich mir unmöglich vorstellen kann , daß der Oberste Geist , dessen Geschöpfe oder Ausflüsse die übrigen Geister sind , ein Wesen zerstören werde , das er fähig gemacht hat , so glücklich zu sein , als ich es schon gewesen bin .
Hippias .
Ein neues Vielleicht ?
Woher kennst du diesen obersten Geist ?
Agathon .
Woher kennst du den Phidias , der diesen Amor gemacht hat ?
Hippias .
Weil ich ihm zusah wie er ihn machte ; denn vielleicht könnt eine Bildsäule auch entstehen , ohne daß sie von einem Künstler gemacht würde .
Agathon .
Wie so ?
Hippias .
Eine ungefähre Bewegung ihrer kleinsten Elemente könnte diese Form endlich hervorbringen .
Agathon .
Eine regellose Bewegung ein regelmäßiges Werk ?
Hippias .
Warum das nicht ?
Du kannst im Würfelspiel von ungefähr alle drei werfen .
So gut als dieses möglich ist , könntest du auch unter etlichen Billionen von Würfen einen werfen , wodurch eine gewisse Anzahl Sandkörner in eine Zirkelrunde Figur fallen würde .
Die Anwendung ist leicht zu machen . Agathon .
Ich verstehe dich .
Aber es bleibt allemal unendlich unwahrscheinlich , daß die ungefähre Bewegung der Elemente nur eine Muschel , deren so unzählig viele an jenem Ufer liegen , hervorbringen ; und die Ewigkeit selbst scheint nicht lange genug zu sein , nur diese Erdkugel , diesen kleinen Atomen des ganzen Weltalls auf solche Weise entstehen zu machen .
Hippias .
Es ist genug , daß unter unendlich vielen ungefähren Bewegungen , die nichts regelmäßiges und dauerhaftes hervorbringen , eine möglich ist , die eine Welt hervorbringen kann .
Dieses setzt der Wahrscheinlichkeit deiner Meinung ein Vielleicht entgegen , wodurch sie auf einmal entkräftet wird .
Agathon .
So viel als das Gewicht einer unendlichen Last , durch die Hinwegnahm eines einzigen Sandkorns .
Hippias .
Du hast vergessen , daß eine unendliche Zeit in die andere Waagschale gelegt werden muß .
Doch ich will diesen Einwurf fahren lassen , ob er gleich weiter getrieben werden kann ; was gewinnt deine Meinung dadurch ?
Vielleicht ist die Welt immer in der allgemeinen Verfassung gewesen , worin sie ist ? -- Vielleicht ist sie selbst das einzige Wesen , das durch sich selbst bestehet ? -- Vielleicht ist der Geist von dem du sagtest , durch die wesentliche Beschaffenheit seiner Natur gezwungen , diesen allgemeinen Weltkörper nach den Gesetzen einer unveränderlichen Notwendigkeit zu beleben ?
Und gesetzt , die Welt sei , wie du meinest , das Werk eines verständigen und freien Entschlusses ; vielleicht hat sie viele Urheber ?
Mit einem Worte , Callias , du hast viele mögliche Fälle . zu vernichten , ehe du nur das Dasein deines obersten Geistes außer Zweifel gesetzt hast . Agathon .
Ich brauche zu meiner eigenen Beruhigung keinen so weitläufigen Weg .
Ich sehe die Sonne , sie ist also ; ich empfinde mich selbst , ich bin also ; ich empfinde , ich sehe diesen obersten Geist , er ist also .
Hippias .
Ein Träumender , ein Kranker , ein Wahnwitziger sieht ; und doch ist das nicht , was er sieht .
Agathon .
Weil er in diesem Zustande nicht recht sehen kann .
Hippias .
Wie kannst du beweisen , daß du nicht gerade in diesem Punkt krank bist ?
Frage die Ärzte ; man kann in einem einzigen Stück wahnwitzig , und in allen übrigen klug sein ; so wie eine Laute bis auf eine einzige falsche Seite wohl gestimmt sein kann .
Der rasende Ajax sieht zwei Sonnen , ein doppeltes Thebe .
Was für ein untrügliches Kennzeichen hast du , das Wahre von dem was nur scheint ; das was du wirklich empfindest , von dem was du dir nur einbildest ; das was du richtig empfindest , von dem was eine verstimmte Nerve dich empfinden macht , zu unterscheiden ?
Und wie , wenn alle Empfindung betröge , und nichts von allem was ist , so wäre , wie du es empfindest ?
Agathon .
Darum bekümmere ich mich wenig .
Gesetzt , die Sonne sei nicht so , wie ich sie sehe und fühle ; für mich ist sie darum nicht minder so , wie ich sie sehe und fühle , und das ist für mich genug .
Ihr Einfluß in das System aller meiner übrigen Empfindungen ist darum nicht weniger wirklich , wenn sie gleich nicht so ist , wie sie sich meinen Sinnen darstellt , ja wenn sie gar nicht ist .
Hippias .
Die Anwendung hiervon , wenn dir_es beliebt ?
Agathon .
Die Empfindung , die ich von dem höchsten Geiste habe , hat in das innerliche System des meinigen den nämlichen Einfluß , den die Empfindung die ich von der Sonne habe , auf mein körperliches System hat .
Hippias .
Wie so ?
Agathon .
Wenn sich mein Leib übel befindet , so vermehrt die Abwesenheit der Sonne das Unbehagliche dieses Zustands .
Der wiederkehrende Sonnenschein belebt , ermuntert , erquicket meinen Körper wieder , und ich befinde mich wohl , oder doch erleichtert .
Eben diese Wirkung tut die Empfindung des alles beseelenden Geistes auf meine Seele ; sie erheitert , sie beruhiget , sie ermuntert mich ; sie zerstreut meinen Unmut , sie belebt meine Hoffnung ; sie macht , daß ich in einem Zustande nicht unglücklich bin , der mir ohne sie unerträglich wäre . Hippias .
Ich bin also glücklicher als du , weil ich alles dieses nicht nötig habe .
Erfahrung und Nachdenken haben mich von Vorurteilen frei gemacht ; ich genieße alles was ich wünsche , und wünsche nichts , dessen Genuß nicht in meiner Gewalt ist .
Ich weiß also wenig von Unmut und Sorgen .
Ich hoffe wenig , weil ich mit dem Genuß des Gegenwärtigen zu Frieden bin .
Ich genieße mit Mäßigung , damit ich desto länger genießen könne , und wenn ich einen Schmerz fühle , so leide ich mit Geduld , weil dieses das beste Mittel ist , seine Dauer abzukürzen .
Agathon .
Und worauf gründest du deine Tugend ?
Womit nährest und belebest du sie ?
Womit überwindest du die Hindernisse , die sie aufhalten ; die Versuchungen , die von ihr ablocken , das ansteckende der Beispiele , die Unordnung der Begierden , und die Trägheit , welche die Seele so oft erfährt , wenn sie sich erheben will ?
Agathon .
Hippias. O Jüngling , lange genug habe ich deinen Ausschweifungen zugehört .
In was für ein Gewebe von Hirngespinsten hat dich die Lebhaftigkeit deiner Einbildungskraft verwickelt ?
Deine Seele schwebt in einer beständigen Bezauberung , in einer Abwechslung von quälenden und entzückenden Träumen , und die wahre Beschaffenheit der Dinge bleibt dir so verborgen , als die sichtbare Gestalt der Welt einem Blindgeborenen .
Ich bedaure dich , Callias .
Deine Gestalt , deine Gaben berechtigen dich nach allem zu trachten , was das menschliche Leben glückliches hat ; deine Denkungsart allein wird dich unglücklich machen .
Angewöhnt lauter idealische Wesen um dich her zu sehen , wirst du die Kunst niemals lernen , von den Menschen Vorteil zu ziehen .
Du wirst in einer Welt , die dich so wenig kennen wird als du sie , wie ein Einwohner des Monds herum irren , und nirgends am rechten Platze sein , als in einer Einöde oder im Fasse des Diogenes .
Was soll man mit einem Menschen anfangen , der Geister sieht ?
Der von der Tugend fordert , daß sie mit aller Welt und mit sich selbst in beständigem Kriege leben soll ?
Mit einem Menschen , der sich in den Mondschein hinsetzt , und Betrachtungen über das Glück der entkörperten Geister anstellt ?
Glaube mir , Callias , ( ich kenne die Welt und sehe keine Geister ) deine Philosophie mag vielleicht gut genug sein eine Gesellschaft müßiger Köpfe statt eines anderen Spiels zu belustigen ; aber es ist eine Torheit sie ausüben zu wollen .
Doch du bist jung ; die Einsamkeit deiner ersten Jugend und die morgenländischen Schwärmereien , die etliche griechische Müßiggänger von den Egyptern und Chaldäern nach Hause gebracht , haben deiner Phantasie einen romanhaften Schwung gegeben ; die übermäßige Empfindlichkeit deiner Organisation hat den angenehmen Betrug befödert ; Leuten von dieser Art ist nichts schön genug , was sie sehen , nichts angenehm genug , was sie fühlen ; die Phantasie muß ihnen andere Welten erschaffen , die Unersättlichkeit ihres Herzens zu befriedigen .
Allein diesem Übel kann noch geholfen werden .
Selbst in den Ausschweifungen deiner Einbildungskraft entdeckt sich eine natürliche Richtigkeit des Verstandes , der nichts fehlt als auf andere Gegenstände angewendet zu werden .
Ein wenig Gelehrigkeit und eine unparteiische Überlegung dessen , was ich dir sagen werde , ist alles was du nötig hast , um von dieser seltsamen Art von Wahnwitz geheilt zu werden , die du für Weisheit hältst .
Überlaße es mir , dich aus den unsichtbaren Welten in die wirkliche herabzuführen ; sie wird dich anfangs befremden , aber nur weil sie dir neu ist , und wenn du sie einmal gewohnt bist , wirst du die ätherischen so wenig vermissen als ein erwachsener die Spiele seiner Kindheit .
Diese Schwärmereien sind Kinder der Einsamkeit und der Muße ; ein Mensch der nach angenehmen Empfindungen dürstet , und der Mittel beraubt ist , sich wirkliche zu verschaffen , ist genötigt sich mit Einbildungen zu speisen , und aus Mangel einer besseren Gesellschaft mit den Sylphen umzugehen .
Die Erfahrung wird dich hiervon am besten überzeugen können .
Ich will dir die Geheimnisse einer Weisheit entdecken , die zum Genuß alles dessen führt , was die Natur , die Kunst , die Gesellschaft , und selbst die Einbildung ( denn der Mensch ist doch nicht gemacht immer weise zu sein ) Gutes und Angenehmes zu geben haben ; und ich müsste mich ganz mit dir betrügen , wenn die Stimme der Vernunft , die du noch niemals gehört zu haben scheinst , dich nicht von einem Irrwege zurückrufen könnte , wo du am Ende deiner Reise in das Land der Hoffnungen dich um nichts reicher befinden würdest , als um die Erfahrung dich betrogen zu haben .
Jzo ist es Zeit schlafen zu gehen ; aber der nächste ruhige Morgen den ich habe , soll dein sein .
Ich brauche dir nicht zu sagen , wie zufrieden ich mit der Art bin , wie du bisher dein Amt versehen hast ; und ich wünsche nichts , als daß eine bessere Übereinstimmung unserer Denkungsart mich in den Stand setze , dir Beweise von meiner Freundschaft zu geben . "
Mit diesen Worten begab sich Hippias hinweg , und ließ unseren Agathon in einer Verfassung , die der Leser aus dem folgenden Kapitel ersehen wird .
Siebentes Kapitel .
Worin Agathon für einen Schwärmer ziemlich gut räsonniert .
Wir zweifeln nicht , daß verschiedene Leser dieser Geschichte in der Vermutung stehen werden , Agathon müsse über diese nachdrucksvolle Apostrophe des weisen Hippias nicht wenig betroffen , oder doch wenigstens in einige Unruhe gesetzt worden sein .
Das Alter des Hippias , der Ruf der Weisheit , worin er stand , der zuversichtliche Ton , womit er sprach , der Schein von Wahrheit der über seine Rede ausgebreitet war ; und was nicht das wenigste scheint , das Ansehen , welches ihm seine Reichtümer gaben ; alle diese Umstände hätten nicht fehlen sollen , einen Menschen aus der Fassung zu setzen , der ihm so viele Vorzüge eingestehen musste , und überdas noch sein Sklave war .
Allein man kann sich irren .
Agathon hatte diese ganze emphatische Rede mit einem Lächeln angehört , welches fähig gewesen wäre , alle Sophisten der Welt irre zu machen , wenn die Dunkelheit und das Vorurteil des Redners für sich selbst es hätten bemerken lassen ; und kaum befand er sich allein , so war die erste Wirkung derselben , daß dieses Lächeln sich in ein Lachen verwandelte , welches er zum Nachteil seines Zwerchfells länger zurückzuhalten unnötig hielt , und welches immer wieder anfing , so oft er sich die Mine , den Ton und die Gebärden vorstellte , womit der weise Hippias die nachdrücklichsten Stellen seiner Rede von sich gegeben hatte .
Allein diese mechanische Bewegung machte bald ernsthafteren Gedanken Platz , und es fehlte wenig , so hätte er sich selbst Vorwürfe darüber gemacht , daß er fähig gewesen darüber zu lachen , daß ein so großer Unterschied zwischen Hippias und Agathon war .
Ein Mensch , der so lebt wie Hippias , dachte er , muß so denken ; und wer so denkt wie Hippias würde unglücklich sein , wenn er nicht so leben könnte .
Ich muß lachen , fuhr er mit sich selbst fort , wenn ich an den Ton der Unfehlbarkeit denke , womit er sprach .
Dieser Ton ist mir nicht so neu , als der weise Hippias glauben mag .
Ich habe Gerber und Sakträger zu Athen gekannt , die sich nicht zu wenig deuchen , mit dem ganzen Volk in diesem Ton zu sprechen .
Du glaubst mir etwas neues gesagt zu haben , wenn du meine Denkungsart Schwärmerei nennst , und mir mit der Gewißheit eines Propheten die Schicksale ankündigest , die sie mir zuziehen wird .
Wie sehr betrügst du dich , wenn du mich dadurch erschreckt zu haben glaubst !
O !
Hippias , was ist das , was du Glückseligkeit nennest ?
Niemals wirst du fähig sein , zu wissen was Glückseligkeit ist .
Was du so nennst ist Glückseligkeit , wie das Liebe ist , was dir deine Tänzerinnen einflössen .
Du nennst die meinige Schwärmerei ; laß mich immer ein Schwärmer sein , und sei du ein Weiser .
Die Natur hat dir diese Empfindlichkeit , diese innerlichen Sinnen versagt , die den Unterschied zwischen uns beiden machen ; du bist einem Tauben ähnlich , der die fröhlichen Bewegungen , welche die begeisternde Flöte eines Damon in alle Glieder seiner Hörer bringt , dem Wein oder der Unsinnigkeit zuschreibt ; er würde tanzen wie sie , wenn er hören könnte .
Die Weltleute sind in der Tat nicht zu verdenken , wenn sie uns andere für ein wenig mondsüchtig halten ; wer will ihnen zumuten , daß sie glauben sollen , es fehle ihnen etwas , das zu einem vollständigen Menschen gehört ?
Ich kannte zu Athen ein junges Frauenzimmer , welches die Natur wegen der Häßlichkeit ihrer übrigen Figur durch sehr artige Füße getröstet hatte .
Ich möchte doch wissen , sagte sie zu einer Freundin , was diese jungen Gecken an der einbildischen Timandra sehen , daß sie sonst für niemand Augen haben als für sie ?
Es ist wahr , sie hat keine unfeine Farbe , ihre Züge sind so so , ihre Augen wenigstens aufmunternd genug , und sie ist sehr besorgt , ihre Bewunderer durch Auslegung gewisser schlüpfriger Schönheiten für die Gleichgültigkeit ihres Gesichts schadlos zu halten ; aber was sie für Füße hat !
Wie kann man einen Anspruch an Schönheit machen , ohne einen feinen Fuß zu haben ?
Du hast Recht , versetzte die Freundin , die der Natur nichts schönes zu danken hatte , als ein paar überaus kleine Ohren ; man muß einen Fuß haben wie du , um schön zu sein ; aber was sagst du zu ihren Ohren , Hermia ?
So wahr mir Diana gnädig sei , sie würden einem Faunen Ehre machen .
So sind die Menschen , und es wäre unbillig ihnen übel zu nehmen , daß sie so sind .
Die Rachtigall singt , der Rabe krächzt , und er müßte kein Rabe sein , wenn er nicht dächte , daß er gut krächze ; er hat noch recht , wenn er denkt , die Nachtigall krächze nicht gut ; es ist wahr , dann geht er zu weit , wenn er über die Rachtigall spottet , daß sie nicht so gut krächzt wie er ; aber sie würde eben so Unrecht haben , wenn sie über ihn lachte , daß er nicht singe wie sie ; er singt nicht , aber er krächzt doch gut , und das ist für ihn genug .
Aber Hippias ist besorgt für mich , er bedauert mich , er will mich so glücklich machen , wie er ist .
Das ist großmütig !
Er hat ausfindig gemacht , daß ich das Schöne liebe , daß ich gegen den Reiz , des Vergnügens nicht unempfindlich bin .
Diese Entdeckung war leicht zu machen ; aber in den Schlüssen , die er daraus zieht , könnte er sich betrogen haben .
Der kluge Ulysses zog sein steiniges kleines Ithaka , wo er frei war , und sein altes Weib mit der er vor zwanzig Jahren jung gewesen war , der bezauberten Insel der schönen Calypso vor , wo er unsterblich und ein Sklave gewesen wäre ; und der Schwärmer Agathon würde mit allem seinem Geschmack für das Schöne , und mit aller seiner Empfindlichkeit für die Ergötzungen , ohne sich einen Augenblick zu bedenken , lieber in das Fass des Diogenes kriechen , als den Palast , die Gärten , das Serail und die Reichtümer des weisen Hippias besitzen , und Hippias sein .
Immer Selbstgespräche , hören wir den Leser sagen .
Wenigstens ist dieses eines , und wer kann davor ?
Agathon hatte sonst niemand , mit dem er hätte reden können als sich selbst ; denn mit den Bäumen und Nymphen reden nur die Verliebten .
Wir müssen uns schon entschließen , ihm diese Unart zu gut zu halten , und wir sollten es desto eher tun können , da ein so feiner Weltmann als Horaz unstreitig war , sich nicht geschämt hat zu gestehen , daß er öfters mit sich selbst zu reden pflege .
Achtes Kapitel .
Vorbereitungen zum Folgenden .
Agathon hatte noch nicht lange genug unter den Menschen gelebt , um die Welt so gut zu kennen , als ein Theophrast sie zu der Zeit kannte , da er sie verlassen mußte .
Allein was ihm an Erfahrung abging , ersetzte seine natürliche Gabe in den Seelen zu lesen , die durch die Aufmerksamkeit geschärft worden war , womit er die Menschen und die Auftritte des Lebens , die er zu sehen Gelegenheit gehabt , beobachtet hatte .
Daher kam es , daß seine letzte Unterredung mit dem Hippias , anstatt ihn etwas zu lehren , nur den Verdacht rechtfertigte , den er schon einige Zeit gegen den Charakter und die Denkungsart dieses Sophisten gefaßt hatte .
Er konnte also auch leicht erraten , von was für einer Art die geheime Philosophie sein würde , von welcher er ihm so große Vorteile versprochen hatte .
Dem ungeachtet verlangte ihn nach dieser Zusammenkunft , teils weil er neugierig war , die Denkungsart eines Hippias in ein System gebracht zu sehen , teils weil er sich von der Beredsamkeit desselben diejenige Art von Ergötzung versprach , die uns ein geschickter Gaukler macht , der uns einen Augenblick sehen läßt , was wir nicht sehen , ohne es bei einem klugen Menschen so weit zu bringen , daß man in eben demselben Augenblick nur daran zweifeln sollte , daß man betrogen wird .
Mit einer Gemütsverfassung , die so wenig von der Gelehrigkeit hatte , welche Hippias forderte , fand sich Agathon ein , als er nach Verfließen einiger Tage an einem Morgen in das Zimmer des Sophisten gerufen wurde , welcher auf einem Ruhbette liegend seiner erwartete , und ihm befahl sich neben ihm niederzusetzen und das Frühstück mit ihm zu nehmen .
Diese Höflichkeit war nach der Absicht des weisen Hippias eine Vorbereitung , und er hatte , um die Wirkung derselben zu befördern , das schönste Mädchen in seinem Hause ausersehen , sie hierbei zu bedienen .
In der Tat die Gestalt dieser Nymphe , und die gute Art womit sie ihr Amt versah , machten ihre Aufwartung für einen Weisen von Agathons Alter ein wenig beunruhigend .
Das schlimmste war , daß die kleine Hexe , um sich wegen der Gleichgültigkeit zu rächen , womit Agathon ihre zuvorkommende Gütigkeit bisher vernachlässigt hatte , keinen von den Kunstgriffen verabsäumte , wodurch sie den Wert des von ihm verscherzten Glückes empfindlicher zu machen glaubte .
Sie hatte die Bosheit gehabt , sich in einem so niedlichen , so sittsamen und doch so verführerischen Morgen-Anzug darzustellen , daß Agathon sich nicht verhindern konnte zu denken , die Gratien selbst könnten , wenn sie gekleidet erscheinen wollten , keinen Anzug erfinden , der auf eine wohlanständigere Art das Mittel , zwischen der eigentlichen Kleidung und ihrer gewöhnlichen Art sich sehen zu lassen , hielte .
Die Wahrheit zu sagen , das Rosenfarbe Gewand , welches sie umfloß , war eher demjenigen ähnlich , was Petron einen gewebten Wind oder einen leinenen Nebel nennt , als einem Zeug der den Augen etwas entziehen soll ; und die kleinste Bewegung entdeckte Reizungen , die desto gefährlicher waren , da sie sich gleich wieder in verräterische Schatten verbargen , und der Einbildungskraft noch mehr als den Augen nachzustellen schienen .
Dem ungeachtet würde unser Held sich vielleicht ganz wohl aus der Sache gezogen haben , wenn er nicht beim ersten Anblick die Absichten des Hippias und der schönen Cyana ( so hieß das junge Frauenzimmer ) erraten hätte .
Diese Entdeckung setzte ihn in eine Art von Verlegenheit , die desto merklicher wurde , je größere Gewalt er sich antat , sie zu verbergen ; er errötete zu seinem größten Verdruß bis an die Ohren , er machte allerlei gezwungene Gebärden , und sah alle Gemälde in dem Zimmer nach einander an , um seine Verwirrung unmerklich zu machen ; aber alle seine Mühe war umsonst , und die Geschäftigkeit der schalkhaften Cyane fand immer neuen Vorwand seinen zerstreuten Blick auf sich zu ziehen .
Doch der Triumph , dessen sie in diesen Augenblicken genoß , währte nicht lange .
So empfindlich die Augen Agathons waren , so waren sie es doch nicht mehr als sein moralischer Sinn ; und ein Gegenstand , der diesen beleidigte , konnte keinen so angenehmen Eindruck auf jene machen , daß er nicht von der unangenehmen Empfindung des anderen wäre überwogen worden .
Die Forderungen der schönen Cyane , das Gekünstelte , das Schlaue , das Schlüpfrige , das ihm an ihrer ganzen Person anstößig war , löschte das Reizende so sehr aus , und erkaltete seine Sinnen so sehr , daß ein größerer Grad davon , gleich dem Anblick der Medusa , fähig gewesen wäre , ihn in einen Stein zu verwandeln .
Die Freiheit und Gleichgültigkeit , die ihm dieses gab , blieb Zyanen nicht verborgen ; und er sorgte dafür , sie durch gewisse Blicke , und ein gewisses Lächeln , dessen Bedeutung ihr ganz deutlich war , zu überzeugen , daß sie zu früh triumphiert habe .
Dieses Betragen war für ihre Reizungen allzu beleidigend , als daß sie es so gleich für ungezwungen hätte halten sollen ; der Widerstand , den sie fand , forderte sie zu einem Wettstreit heraus , worin sie alle ihre Künste anwandte , den Sieg zu erhalten ; allein die Stärke ihres Gegners ermüdete endlich ihre Hoffnung , und sie behielt kaum noch so viel Gewalt über sich selbst , den Verdruß zu verbergen , den sie über diese Demütigung ihrer Eitelkeit empfand .
Hippias , der sich eine Zeitlang stillschweigend mit diesem Spiel belustigte , urteilte bei sich selbst , daß es nicht leicht sein werde , den Verstand eines Menschen zu fangen , dessen Herz selbst auf der schwächsten Seite , sowohl befestiget schien .
Allein diese Anmerkung bekräftigte ihn nur in seinen Gedanken von der Methode , die er bei seinem neuen Schüler gebrauchen müsse ; und da er selbst von seinem System besser überzeugt war , als irgend ein Bonze von der Kraft der Amulette , die er seinen dankbaren Gläubigen austeilt , so zweifelte er nicht , daß Agathon durch einen freimütigen Vortrag besser zu gewinnen sein würde , als durch die rednerischen Kunstgriffe , deren er sich bei schwächeren Seelen mit gutem Erfolg zu bedienen pflegte .
Sobald also das Frühstück genommen , und die beschämte Cyane abgetreten war , fing er nach einem kleinen Vorbereitungs-Gespräch , den merkwürdigen Diseurs an , durch dessen vollständige Mitteilung wir desto mehr Dank zu verdienen hoffen , da wir von Kennern versichert worden , daß der geheime Verstand desselben den buchstäblichen an Wichtigkeit noch weit übertreffe , und der wahre und unfehlbare Prozeß , den Stein der Weisen zu finden , darin verborgen liege .
Drittes Buch .
Erstes Kapitel .
Vorbereitung zu einem sehr interessanten Diskurs .
Wenn wir auf das Tun und Lassen der Menschen acht geben , mein lieber Callias , so scheint zwar , daß alle ihre Sorgen und Bemühungen kein anderes Ziel haben als sich glücklich zu machen ; allein die Seltenheit derjenigen die es wirklich sind , oder es doch zu sein glauben , beweiset zugleich , daß die meisten nicht wissen , durch was für Mittel sie sich glücklich machen sollen , wenn sie es nicht sind ; oder wie sie sich ihres guten Glückes bedienen sollen , um in denjenigen Zustand zu kommen den man Glückseligkeit nennt .
Es gibt eben so viele die im Schoße des Ansehens , des Glücks und der Wollust , als solche die in einem Zustande von Mangel , Dienstbarkeit und Unterdrückung elend sind .
Einige haben sich aus diesem letzteren Zustand emporgearbeitet , in der Meinung , daß sie nur darum unglückselig sein , weil es ihnen am Besitz der Güter des Glücks fehle .
Allein die Erfahrung hat sie gelehrt , daß wenn es eine Kunst gibt , die Mittel zur Glückseligkeit zu erwerben , es vielleicht eine noch schwerere , zum wenigsten eine seltenere Kunst sei , diese Mittel recht zu gebrauchen .
Es ist daher allezeit die Beschäftigung der Verständigsten unter den Menschen gewesen , durch Verbindung dieser beiden Künste diejenige heraus zu bringen , die man die Kunst glücklich zu leben nennen kann , und in deren wirklichen Ausübung , nach meinem Begriffe , die Weisheit besteht , die so selten ein Anteil der Sterblichen ist .
Ich nenne sie eine Kunst , weil sie von der fertigen Anwendung gewisser Regeln abhängt , die nur durch die Übung erlangt werden kann :
Allein sie setzt wie alle Künste einen gewissen Grad von Fähigkeit voraus , den nur die Natur gibt , und den sie nicht allen zu geben pflegt .
Einige Menschen scheinen kaum einer größeren Glückseligkeit fähig zu sein als die Austern , und wenn sie ja eine Seele haben , so ist es nur so viel als sie brauchen , um ihren Leib eine Zeitlang vor der Fäulnis zu bewahren .
Ein größerer und vielleicht der größte Teil der Menschen befindet sich nicht in diesem Fall ; aber weil es ihnen an genugsamer Stärke des Gemüts , und an einer gewissen Zärtlichkeit der Empfindung mangelt , so ist ihr Leben gleich dem Leben der übrigen Tiere des Erdbodens , zwischen Vergnügen , die sie weder zu wählen noch zu genießen , und Schmerzen , denen sie weder zu widerstehen noch zu entfliehen wissen , geteilt .
Wahn und Leidenschaften sind die Triebfedern dieser menschlichen Maschinen ; beide setzen sie einer unendlichen Menge von Übeln aus , die es nur in einer betrogenen Einbildung , aber eben darum wo nicht schmerzlicher doch anhaltender und unheilbarer sind , als diejenigen die uns die Natur auferlegt .
Diese Art von Menschen ist keines gesetzten und anhaltenden Vergnügens , keines Zustandes von Glückseligkeit fähig ; ihre Freuden sind Augenblicke , und ihre übrige Dauer ist entweder ein wirkliches Leiden , oder ein unaufhörliches Gefühl verworrener Wünsche , eine immerwährende Ebbe- und Flut von Furcht und Hoffnung , von Phantasien und Gelüsten ; kurz eine unruhige Bewegung die weder ein gewisses Maß noch ein festes Ziel hat , und also weder ein Mittel zur Erhaltung dessen was gut ist sein kann , noch dasjenige genießen läßt , was man wirklich besitzt .
Es scheint also unmöglich zu sein , ohne eine gewisse Zärtlichkeit der Empfindung , die uns in einer weiteren Sphäre , mit feineren Sinnen und auf eine angenehmere Art genießen läßt , und ohne diejenige Stärke der Seele , die uns fähig macht das Joch der Phantasie und des Wahns abzuschütteln , und die Leidenschaften in unserer Gewalt zu haben , zu demjenigen ruhigen Zustande von Genuß und Zufriedenheit zu kommen , der die Glückseligkeit ausmacht .
Nur derjenige ist in der Tat glücklich , der sich von den Übeln die nur in der Einbildung bestehen , gänzlich frei zu machen ; diejenigen aber , denen die Natur den Menschen unterworfen hat , entweder zu vermeiden , oder doch zu vermindern -- und das Gefühl derselben einzuschläfern , hingegen sich in den Besitz alles des Guten , dessen uns die Natur fähig gemacht hat , zu setzen , und was er besitzt , auf die angenehmste Art zu genießen weiß ; und dieser Glückselige allein ist der Weise .
Wenn ich dich anders recht kenne , Callias , so hat dich die Natur mit den Fähigkeiten es zu sein so reichlich begabt , als mit den Vorzügen , deren kluger Gebrauch uns die Gunstbezeugungen des Glücks zu verschaffen pflegt .
Dem ungeachtet bist du weder glücklich , noch hast du die Mine es jemals zu werden , so lange du nicht gelernt haben wirst , von beiden einen anderen Gebrauch zu machen als du bisher getan hast .
Du wendest die Stärke deiner Seele an , dein Herz gegen das wahre Vergnügen unempfindlich zu machen , und beschäftigest deine Empfindlichkeit mit unwesentlichen Gegenständen , die du nur in der Einbildung siehst , und nur im Traume genießest ; die Vergnügungen , welche die Natur dem Menschen zugeteilt hat , sind für dich Schmerzen , weil du dir Gewalt antun musst sie zu entbehren ; und du setzest dich allen Übeln aus , die sie uns vermeiden lehrt , indem du anstatt einer nützlichen Geschäftigkeit dein Leben mit den süßen Einbildungen wegträumest , womit du dir die Beraubung des wirklichen Vergnügens zu ersetzen suchst .
Dein Übel , mein lieber Callias , entspringt von einer Einbildungskraft , die dir ihre Geschöpfe in einem überirdischen Glanze zeigt , der dein Herz verblendet , und ein falsches Licht über das was wirklich ist ausbreitet ; einer dichterischen Einbildungskraft , die sich beschäftiget schönere Schönheiten , und angenehmere Vergnügungen zu erfinden als die Natur hat ; einer Einbildungskraft , ohne welche weder Homere , noch Alcamene , noch Polygnote wären ; welche gemacht ist unsere Ergötzungen zu verschönern , aber nicht die Führerin unseres Lebens zu sein .
Um weise zu sein , hast du nichts nötig als die gesunde Vernunft an die Stelle dieser begeisterten Zauberin , und die kalte Überlegung an den Platz eines sehr oft betrüglichen Gefühls zu setzen .
Bilde dir auf etliche Augenblick ein , daß du den Weg zur Glückseligkeit erst suchen müssest ; frage die Natur , höre ihre Antwort , und folge dem Pfade , den sie dir vorzeichnen wird .
Zweites Kapitel .
Theorie der angenehmen Empfindungen .
Und wen anders als die Natur können wir fragen , um zu wissen wie wir leben sollen , um wohl zu leben ?
" Die Götter ? "
Wenn eine Gottheit ist , so ist sie entweder die Natur selbst , oder die Urheberin der Natur ; in beiden Fällen ist die Stimme der Natur die Stimme der Gottheit .
Sie ist die allgemeine Lehrerin aller Wesen ; sie lehrt jedes Tier vom Elefanten bis zum Insekt , was seiner besonderen Verfassung gut oder schädlich ist .
Um so glücklich zu sein als es diese innerliche Einrichtung erlaubt , braucht das Tier nichts weiter , als dieser Stimme der Natur zu folgen , welche bald durch den süßen Zug des Vergnügens , bald durch das ungeduldige Fordern des Bedürfnisses , bald durch das ängstliche Pochen des Schmerzens es zu demjenigen locket , was ihm zuträglich ist , oder es zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gattung auffordert , oder es vor demjenigen warnet , was seinem Wesen die Zerstörung dräuet .
Sollte der Mensch allein von dieser mütterlichen Vorsorge ausgenommen sein , oder er allein irren können , wenn er der Stimme folget , die zu allen Wesen redet ?
Oder ist nicht vielmehr die Unachtsamkeit und der Ungehorsam gegen ihre Erinnerungen die einzige wahre Ursache , warum unter einer unendlichen Menge von lebenden Wesen der Mensch das einzige Unglückselige ist ?
Die Natur hat allen ihren Werken eine gewisse Einfalt eingedrückt , die ihre mühsamen Anstalten und eine genaue Regelmäßigkeit unter einem Schein von Leichtigkeit und ungezwungener Anmut verbirgt .
Mit diesem Stempel sind auch die Gesetze der Glückseligkeit bezeichnet , die sie dem Menschen vorgeschrieben hat .
Sie sind einfältig , leicht auszuüben , und führen gerade und sicher zum Zweck .
Die Kunst glücklich zu leben , würde die gemeinste unter allen Künsten sein , wie sie die leichteste ist , wenn die Menschen nicht gewohnt wären sich einzubilden , daß man große Absichten nicht anders , als durch große Anstalten erreichen könne .
Es scheint ihnen zu einfältig , daß alles was ihnen die Natur durch den Mund der Weisheit zu sagen hat , in diese drei Erinnerungen zusammen fließen soll : Befriedige deine Bedürfnisse , vergnüge alle deine Sinnen , und erspare dir so viel du kannst alle schmerzhaften Empfindungen .
Und doch wird dich eine kleine Aufmerksamkeit überführen , daß die vollstandigste Glückseligkeit deren die Sterblichen fähig sind , in die Linie eingeschlossen ist , die von diesen drei Formuln bezeichnet wird .
Es hat Narren gegeben , welche die Frage mühsam untersucht haben , ob das Vergnügen ein Gut , und der Schmerz ein Übel sei ?
Es hat noch größere Narren gegeben , welche wirklich behaupteten , der Schmerz sei kein Übel , und das Vergnügen kein Gut ; und was das lustigste dabei ist , beide haben Toren gefunden , die albern genug waren , diese Narren für weise zu halten .
Das Vergnügen ist kein Gut , sagen sie , weil es Fälle gibt wo der Schmerz ein größeres Gut ist ; und der Schmerz ist kein Übel , weil er zuweilen besser ist als das Vergnügen .
Sind diese Wortspiele einer Antwort wert ?
Was würde ein Zustand sein , der in einem vollständigen unaufhörlichen Gefühl des höchsten Grades aller möglichen Schmerzen bestünde ?
Wenn dieser Zustand das höchste Übel ist , so ist der Schmerz ein Übel .
Doch wir wollen die Schwaetzer mit Worten spielen lassen , die ihnen bedeuten müssen was sie wollen .
Die Natur entscheidet diese Frage , wenn es eine sein kann , auf eine Art , die keinen Zweifel übrig läßt .
Wer ist , der nicht lieber vernichtet als unaufhörlich gepeinigt werden wollte ?
Wer sieht nicht einen schönen Gegenstand lieber , als einen ekelhaften ?
Wer hört nicht lieber den Gesang der Grasmücke , als das Geheul der Nachteule ?
Wer zieht nicht einen angenehmen Geruch oder Geschmack einem widrigen vor ?
Und würde nicht der enthaltsame Callias selbst lieber auf einem Lager von Blumen in den Rosenarmen irgend einer schönen Nymphe ruhen , als in den glühenden Armen des ehernen Gözenbildes , welchem die Andacht gewisser Syrischer Völker , wie man sagt , ihre Kinder opfert ?
Eben so wenig scheint es einem Zweifel unterworfen zu sein , daß der Schmerz und das Vergnügen so unverträglich sind , daß eine einzige gepeinigte Nerve genug ist , uns gegen die vereinigten Reizungen aller Wollüste unempfindlich zu machen .
Die Freiheit von allen Arten der Schmerzen ist also unstreitig eine unumgäugliche Bedingung der Glückseligkeit ; allein da sie nichts positives ist , so ist sie nicht so wohl ein Gut , als der Zustand , worin man des Genusses des Guten fähig ist .
Dieser Genuß allein ist es , dessen Dauer den Stand hervorbringt , den man Glückseligkeit nennt .
Es ist unleugbar , daß nicht alle Arten und Grade des Vergnügens gut sind .
Die Natur allein hat das Recht uns die Vergnügen anzuzeigen , die sie uns bestimmt hat .
So unendlich die Menge dieser angenehmen Empfindungen zu sein scheint , so ist doch leicht zu sehen , daß sie alle entweder zu den Vergnügungen der Sinne , oder der Einbildungskraft , oder zu einer dritten Klasse , die aus beiden zusammen gesetzt ist , gehören .
Die Vergnügen der Einbildungskraft sind entweder Erinnerungen an ehemals genossene sinnliche Vergnügen ; oder Mittel uns den Genuß derselben reizender zu machen ; oder angenehme Dichtungen und Träume , die entweder in einer neuen willkürlichen Zusammensetzung der angenehmen Ideen , die uns die Sinne gegeben , oder in einer dunkel eingebildeten Erhöhung der Grade jener Vergnügen , die wir erfahren haben , bestehen .
Es sind also , wenn man genau reden will , alle Vergnügungen im Grunde sinnlich , indem sie , es sei nun unmittelbar oder vermittels der Einbildungskraft , von keinen anderen als sinnlichen Vorstellungen entstehen können .
Die Philosophen reden von Vergnügen des Geistes , von Vergnügen des Herzens , von Vergnügen der Tugend .
Alle diese Vergnügen sind es für die Sinnen oder für die Einbildungskraft , oder sie sind nichts .
Warum ist Homer unendlich Mal angenehmer zu lesen als Heraclitus ?
Weil die Gedichte des ersten eine Reihe von Gemälden darstellen , die entweder durch die eigentümliche Reizungen des Gegenstandes , oder die Lebhaftigkeit der Farben , oder einen Kontrast , der das Vergnügen durch eine kleine Mischung mit widrigen Empfindungen erhöhet , oder die Erregung angenehmer Bewegungen , unsere Phantasie bezaubern . -- Da die trocknen Schriften des Philosophen nichts darstellen , als eine Reihe von Wörtern , womit man abgezogene Begriffe bezeichnet , von denen sich die Einbildungskraft nicht anders als mit vieler Anstrengung und einer beständigen Bemühung , die gänzliche Verwirrung so vieler unbestimmter Schattenbilder zu verhüten , einige Ideen machen kann ; wenn anders dasjenige so genannt zu werden verdient , was in Absicht seines wirklichen Gegenstands in der Natur , kaum so viel ist als ein Schatten gegen den Körper der ihn zu werfen scheint .
Es ist wahr , es gibt abgezogene Begriffe , die für gewisse enthustastische Seelen entzückend sind ; aber warum sind sie es ?
In der Tat bloß darum , weil ihre Einbildungskraft sie auf eine schlaue Art zu verkörpern weiß .
Untersuche alle angenehmen Ideen von dieser Art , so unkörperlich und geistig sie scheinen mögen , und du wirst finden , daß das Vergnügen , so sie deiner Seele machen , von den sinnlichen Vorstellungen entsteht , womit sie begleitet sind .
Bemühe dich so sehr als du willst , dir Götter ohne Gestalt , ohne Glanz , ohne etwas das die Sinnen rührt , vorzustellen ; es wird die unmöglich sein .
Der Jupiter des Homer und Phidias , die Idee eiues Herkules oder Theseus , wie unsere Einbildungskraft sich diese Helden vorzustellen pflegt , die Ideen eines überirdischen Glanzes , einer mehr als menschlichen Schönheit , eines ambrosischen Geruchs , werden sich unvermerkt an die Stelle derjenigen setzen , die du dich vergeblich zu machen bestrebest ; und du wirst noch immer an dem irdischen Boden kleben , wenn du schon in den empyreischen Gegenden zu schweben glaubst .
Sind die Vergnügen des Herzens weniger sinnlich ?
Sie sind die Sinnlichsten .
Ein gewisser Grad derselben verbreitet eine wollüstige Wärme durch unser ganzes Wesen , belebt den Umlauf des Blutes , ermuntert das Spiel der Fibern , und setzt unsere ganze Maschine in einen Zustand von Behaglichkeit , der sich der Seele um so mehr mitteilet , als ihre eigene natürliche Verrichtungen auf eine angenehme Art dadurch erleichtert werden .
Die Bewunderung , die Liebe , das Verlangen , die Hoffnung , das Mitleiden , jeder zärtliche Affekt bringt diese Wirkung in einigem Grad hervor , und ist desto angenehmer , je mehr er sich derjenigen Wollust nähert , die unsere Alten würdig gefunden haben , in der Gestalt der personisicirten Schönheit , aus deren Genuß sie entspringt , unter die Götter gesetzt zu werden .
Derjenige , den sein Freund niemals in Entzückungen gesetzt hat , die den Entzückungen der Liebe ähnlich sind , ist nicht berechtiget von den Vergnügen der Freundschaft zu reden .
Was ist das Mitleiden , welches uns zur Guttätigkeit treibt ?
Wer anders ist desselben fähig als diese empfindlichen Seelen , deren Auge durch den Anblick , deren Ohr durch den ächzenden Ton des Schmerzens und Elends gequält wird , und die in dem Augenblick , da sie die Not eines Unglücklichen erleichtern , beinahe dasselbe Vergnügen fühlen , welches sie in eben diesem Augenblick an seiner Stelle gefühlt hätten ?
Wenn das Mittleiden nicht ein wollüstiges Gefühl ist , warum rührt uns nichts so sehr als die leidende Schönheit ?
Warum lockt die klagende Phädra in der Nachahmung zärtliche Tränen aus unseren Augen , da die winselnde Häßlichkeit in der Natur nichts als Ekel erweckt ?
Und sind etwan die Vergnügen der Wohltätigkeit und Menschenliebe weniger sinnlich ?
Dasjenige , was in dir vorgehen wird , wenn du dir die kontrastierenden Gemälde einer geängstigten und einer fröhlichen Stadt vorstellest , die Homer auf den Schild des Achilles setzt , wird dir diese Frage auflösen !
Nur diejenigen , die der Genuß des Vergnügens in die lebhafteste Entzückung setzt , sind fähig , von den lachenden Bildern einer allgemeinen Freude und Wonne so sehr gerührt zu werden , daß sie dieselbige außer sich zu sehen wünschen ; das Vergnügen der Guttätigkeit wird allemal mit demjenigen in Verhältnis stehen , welches ihnen der Anblick eines vergnügten Gesichts , eines fröhlichen Tanzes , einer öffentlichen Lustdarkeit macht ; und es ist nur der Vorteil ihres Vergnügens , je allgemeiner diese Szene ist .
Je größer die Anzahl der Fröhlichen und die Mannigfaltigkeit der Freuden , desto größer die Wollust , wovon diese Art von Menschen , an denen alles Sinn , alles Herz und Seele ist , beim Anblick derselben überströmet werden .
Laß uns also gestehen , Callias , daß alle Vergnügen , die uns die Natur anbeut , sinnlich sind ; und daß die hochfliegendste , abgezogenste und geistigste Einbildungskraft uns keine andere verschaffen kann , als solche , die wir auf eine weit vollkommere Art aus dem rosenbekränzten Becher , und von den Lippen der schönen Cyane saugen könnten .
Es ist wahr , es gibt noch eine Art von Vergnügen , die beim ersten Anblick eine Ausnahme von mei einem F 5 Agathon. einem Satz zu machen scheint .
Man könnte sie künstliche nennen , weil wir sie nicht aus den Händen der Natur empfangen , sondern nur gewissen Uebereinkomnissen der menschlichen Gesellschaft zu danken haben , durch welche dasjenige , was uns dieses Vergnügen macht , die Bedeutung eines Gutes erhalten hat .
Allein die kleinste Überlegung ist hinlänglich uns zu überzeugen , daß diese Dinge uns keine andere Art von Vergnügen machen , als die wir vom Besitz des Geldes haben ; welches wir mit Gleichgültigkeit ansehen würden , wenn es uns nicht für alle die wirklichen Vergnügen Gewähr leistete , die wir uns dadurch verschaffen können .
Von dieser Art ist dasjenige , welches der Ehrgeizige empfindet , wenn ihm Bezeugungen einer scheinbaren Hochachtung oder Unterwürfigkeit gemacht werden , die ihm als Zeichen seines Ansehens und der Macht , die ihm dasselbe über andere gibt , angenehm sind .
Ein morgenländischer Despot bekümmert sich wenig um die Hochachtung seiner Völker ; sklavische Unterwürfigkeit ist für ihn genug .
Ein Mensch hingegen , dessen Glück in den Händen solcher Leute liegt , die seines gleichen sind , ist genötigt , sich ihre Hochachtung zu erwerben .
Allein diese Unterwürfigkeit ist dem Despoten , diese Hochachtung ist dem Republikaner nur darum angenehm , weil sie das Vermögen oder die Gelegenheit gibt , die Leidenschaften und die Begierden desto besser zu befriedigen , welche die unmittelbaren Quellen des Vergnügens sind .
Warum ist Alcibiades ehrgeizig ?
Alcibiades bewirbt sich um einen Ruhm , der seine Ausschweifungen , sei einen Drittes Buch , zweites Kapitel . einen Übermut , seinen schleppenden Purpur , seine Schmäuse und Liebeshändel bedeckt ; der es den Athenern erträglich macht , den Liebesgott , mit dem Blitze Jupiters bewaffnet , auf dem Schilde seines Feldherrn zu sehen ; der die Gemahlin eines spartanischen Königs so sehr verblendet , daß sie stolz darauf ist , für seine Buhlerin gehalten zu werden .
Ohne diese Vorteile würde ihm Ansehen und Ruhm so gleichgültig sein , als ein Haufen Rechenpfennige einem korinthischen Wucherer .
Allein , spricht man , wenn es seine Richtigkeit hat , daß die Vergnügen der Sinne alles sind , was uns die Natur zuerkannt hat , was ist leichter und was braucht weniger Kunst und Anstalten , als glücklich zu sein ?
" Wie wenig bedarf die Natur um zu Frieden zu sein ? "
Es ist wahr , die rohe Natur bedarf wenig .
Ihre Unwissenheit ist ihr Reichtum .
Eine Bewegung , die seinen Körper munter erhält , eine Nahrung die den Hunger stillt , ein Weib , schön oder häßlich , wenn ihn die Ungeduld eines gewissen Bedürfnisses beunruhiget , ein schattiger Rasen , wenn er des Schlafs bedarf , und eine Höhle , sich vor dem Ungewitter zu sicheren , ist alles was der wilde Mensch nötig hat , um in dem Lauf von achtzig oder hundert Jahren sich nur nicht einmal einfallen zu lassen , daß man mehr brauchen könne .
Die Vergnügen der Einbildungskraft und des Geschmacks sind nicht für ihn ; er genießt nicht mehr als die übrigen Tiere , und genießt wie sie .
Wenn er glücklich ist , weil er sich nicht für nnglüklich hält , so ist er es doch nicht in Vergleichung mit Agathon . mit demjenigen , für den die Künste des Witzes und des Geschmacks die angenehmste Art der Bedürfnisse der Natur zu genießen , und eine unendliche Menge von Ergötzungen der Sinne und der Einbildung erfunden haben , wovon die Natur in dem rohen Zustande , worin wir sie uns in den ältesten Zeiten vorstellen , keinen Begriff hat .
Diese Vergleichung , es ist wahr , findet nur in dem Stand einer Gesellschaft statt , die sich in einer langen Reihe von Jahrhunderten endlich zu einem gewissen Grade der Vollkommen heit erhoben hat .
In einem solchen aber wird alles das zum Bedürfnis , was der Wilde nur darum nicht vermisset , weil es ihm unbekannt ist ; und ein Diogenes könnte zu Korinth nicht glücklich sein , wenn er nicht ein Narr wäre .
Gewisse poetische Köpfe haben sich ein goldenes Alter , ein Arcadien , ein angenehmes Hirtenleben geträumt , welches zwischen der rohen Natur und der Lebensart des begüterten Teils eines gesitteten und sinnreichen Volkes das Mittel halten soll .
Sie haben die verschönerte Natur von allem demjenigen entkleidet , wodurch sie verschönert worden ist , und dieses idealische Wesen die schöne Natur genannt .
Allein außerdem , daß diese schöne Natur , in dieser nackten Einfalt , welche man ihr gibt , niemals irgendwo vorhanden war ; wer sieht nicht , daß die Lebensart des goldenen Alters der Dichter , zu derjenigen , welche durch die Künste mit allem bereichert und ausgeziert worden , was der Witz zu erfinden fähig ist , um uns in den Armen einer ununterbrochenen Wollust , vor dem Überdruß der Sät tigung Drittes Buch , drittes Kapitel . tigung zu bewahren ; daß , sage ich , jene dichterische Lebensart zu dieser sich eben so verhält , wie die Lebensart des wildesten Sogdianers zu jener ?
Wenn es angenehmer ist in einer bequemen Hütte zu wohnen als in einem holen Baum , so ist es noch angenehmer in einem geraumen Hause zu wohnen , das mit den ausgesuchtesten und wollüstigsten Bequemlichkeiten versehen , und , wohin man die Augen wendet , mit Bildern des Vergnügens ausgeziert ist ; und wenn eine mit Bändern und Blumen geschmückte Phyllis reizender ist als eine schmutzige und zottige Wilde , muß nicht eine von unseren Schönen , deren natürliche Reizungen durch einen wohlausgesonnenen und schimmernden Putz erhoben werden , um eben so viel besser gefallen als eine Phyllis ?
Drittes Kapitel .
Die Geisterlehre eines echten Materialisten .
Wir haben die Natur gefragt , Callias , worin die Glückseligkeit bestehe , die sie uns zugedacht habe , und wir haben ihre Antwort .
Ein schmerzenfreies Leben , die angenehmste Befriedigung unserer natürlichen Bedürfnisse , und der abwechselnde Genuß aller Arten von Vergnügen , womit die Einbildungskraft , der Witz und die Künste unseren Sinnen zu schmeicheln fähig sind . -- Dieses ist alles was der Mensch fordern kann , und wenn es eine erhab Agathon . erhabenere Art von Glückseligkeit gibt , so können wir wenigstens gewiß sein , daß sie nicht für uns gehört , da wir nicht einmal fähig sind , uns eine Vorstellung davon zu machen .
Es ist wahr , der enthusiastische Teil unter den Verehrern der Götter schmeichelt sich mit einer zukünftigen Glückseligkeit , zu welcher die Seele nach der Zerstörung des Körpers erst gelangen soll .
Die Seele , sagen sie , war ehemals eine Freundin und Gespielin der Götter , sie war unsterblich wie sie , und begleitete ( wie Plato homerisirt ) den geflügelten Wagen Jupiters , um mit den übrigen Unsterblichen die unvergängliche Schönheiten zu beschauen , womit die unermeßlichen Räume über den Sphären erfüllt sind .
Ein Krieg , der unter den Bewohnern der unsichtbaren Welt entstand , verwickelte sie in den Fall der Besiegten ; sie wurde vom Himmel gestürzt , und in den Kerker eines tierischen Leibes eingeschlossen , u _ durch den Verlust ihrer ehemaligen Wonne , in einem Zustand , der eine Kette von Plagen und Schmerzen ist , ihre Schuld auszutilgen .
Das unendliche Verlangen , der nie gestillte Durst nach einer Glückseligkeit , die sie in keinem irdischen Gut findet , ist das einzige , das ihr zu ihrer Qual von ihrem vormaligen Zustand übrig geblieben ist ; und es ist unmöglich , daß sie diese vollkommene Seligkeit , wodurch sie allein befriedigt werden kann , wieder erlange , ehe sie sich wieder in ihren ursprünglichen Stand , in das reine Element der Geister empor geschwungen hat .
Sie ist also vor dem Tode keiner anderen Glückseligkeit fähig als derjenigen , deren sie durch eine Drittes Buch , drittes Kapitel . eine freiwillige Absonderung von allen irdischen Dingen , durch Ertötung aller irdischen Leidenschaften und Entbehrung aller sinnlichen Vergnügen , fähig gemacht wird .
Nur durch diese Entkörperung wird sie der Beschauung der wesentlichen und göttlichen Dinge fähig , worin die Geister ihre einzige Nahrung und diese vollkommene Wonne finden , wovon die sinnlichen Menschen sich keinen Begriff machen können .
Solchergestalt kann sie nur , nachdem sie durch verschiedene Grade der Reinigung , von allem was tierisch und körperlich ist , gesäubert worden , sich wieder zu der überirdischen Sphäre erheben , mit den Göttern leben , und im Unverwandten Anschauen des wesentlichen und ewigen Schönen , wovon alles Sichtbare bloß der Schatten ist , Ewigkeiten durchleben , die eben so grenzenlos sind , als die Wonne , von der sie überströmet werden .
Ich zweifle nicht daran , Callias , daß es Leute geben mag , bei denen die Milzsucht hoch genug gestiegen ist , daß diese Begriffe eine Art von Wahrheit für sie haben .
Es ist auch nichts Leichters , als daß junge Leute von lebhafter Empfindung und feurigen Einbildungskraft , durch eine einsame Lebensart und den Mangel solcher Gegenstände und Freuden , worin sich dieses übermäßige Feuer verzehren könnte , von diesen hochfliegenden Schimären eingenommen werden , welche so geschickt sind , ihre nach Vergnügen lechzende Einbildungskraft durch eine Art von Wollust zu täuschen , die nur desto lebhafter ist , je verworrener und dunkler die bei zaubern Agathon . zaubernden Phantomen sind die sie hervorbringen ; allein ob diese Träume außer dem Gehirn ihrer Erfinder , und derjenigen , deren Einbildungskraft so glücklich ist ihnen nachfliegen zu können , einige Wahrheit oder Wirklichkeit haben , ist eine Frage , deren Erörterung nicht zum Vorteil derselben ausfällt , wenn sie der gesunden Vernunft aufgetragen wird .
Je weniger die Menschen wissen , desto geneigter sind sie , zu wähnen und zu glauben .
Wenn anders als der Unwissenheit und dem Aberglauben der ältesten Welt haben die Nymphen und Faunen , die Najaden und Tritonen , die Furien und die erscheinenden Schatten der Verstorbenen ihre vermeinte Wirklichkeit zu danken ?
Je besser wir die Körperwelt kennen lernen , desto enger werden die Grenzen des Geister-Reichs .
Ich will itzo nichts davon sagen , ob es wahrscheinlich sei , daß die Priesterschaft , die von jeher einen so zahlreichen Orden unter den Menschen ausgemacht , bald genug die Entdeckung machen mußte , was für große Vorteile man durch diesen Hang der Menschen zum Wunderbaren von ihren beiden heftigsten Leidenschaften , der Furcht und der Hoffnung , ziehen könne .
Wir wollen bei der Sache selbst bleiben .
Worauf gründet sich die erhabene Theorie , von der wir reden ?
Wer hat jemals diese Götter , diese Geister gesehen , deren Dasein sie voraussetzt ?
Welcher Mensch erinnert sich dessen , daß er ehemals ohne Körper in den ätherischen Gegenden geschwebt , den geflügelten Wagen Jupiters begleitet , und mit den Göttern Nektar getrunken habe ?
Was Drittes Buch , drittes Kapitel .
Was für einen sechsten oder siebenten Sinn haben wir , um die Wirklichkeit der Gegenstände damit zu erkennen , womit man die Geisterwelt bevölkert ?
Sind es unsere innerlichen Sinnen ?
Was sind diese anders als das Vermögen der Einbildungskraft die Wirkungen der äußeren Sinnen nachzuäffen ?
Was sieht das inwendige Auge eines Blindgeborenen ?
Was hört das innere Ohr eines geborenen Tauben ?
Oder was sind diese Szenen , in welche die erhabenste Einbildungskraft auszuschweifen fähig ist , anders als neue Zusammensetzungen , die sie gerade so macht , wie ein Mädchen aus den Blumen , die in einem Parterre zerstreut stehen , einen Kranz flicht ; oder höhere Grade dessen was die Sinnen wirklich empfunden haben , von welchen man jedoch immer unfähig bleibt , sich einige klare Vorstellung zu machen ; Denn was empfinden wir bei dem ätherischen Schimmer , oder den ambrosischen Gerüchen der homerischen Götter ?
Wir sehen , wenn ich so sagen kann , den Schatten eines Glanzes in unserer Einbildung ; wir glauben einen lieblichen Geruch zu empfinden ; aber wir sehen keinen ätherischen Glanz , und empfinden keinen ambrosischen Geruch .
Kurz , man verbiete den Schöpfern der überirdischen Welten sich keiner irdischen und sinnlichen Materialien zu bedienen , so werden ihre Welten , um mich eines ihrer Ausdrücke zu bedienen , plötzlich wieder in den Schoß des Nichts zurückfallen , woraus sie gezogen worden .
Und brauchen wir wohl noch einen anderen Beweis , um uns diese ganze Theorie verdächtig zu machen , als die Methode , die [ Agath. I. Th. ] G Agathon , die man uns vorschreibt , um zu der geheimnisvollen Glückseligkeit zu gelangen , welcher wir diejenige aufopfern sollen , die uns die Natur und unsere Sinnen anbieten ?
Wir sollen uns den sichtbaren Dingen entziehen , um die unsichtbaren zu sehen ; wir sollen aufhören zu empfinden , damit wir desto lebhafter phantasieren können .
Verstopfet eure Sinnen , sagen sie , so werdet ihr Dinge sehen und hören , wovon diese tierischen Menschen , die gleich dem Vieh mit den Augen sehen , und mit den Ohren hören , sich keinen Begriff machen können .
Eine vortreffliche Diät , in Wahrheit ; die Schüler des Hippokrates werden dir beweisen , daß man keine bessere erfinden kann , um wahnwitzig zu werden .
Es scheint also sehr wahrscheinlich , daß alle diese Geister , diese Welten , welche sie bewohnen , und diese Glückseligkeiten , welche man nach dem Tode mit ihnen zu teilen hofft , nicht mehr Wahrheit haben , als die Nymphen , die Liebesgötter und die Grazien der Dichter , als die Gärten der Hesperiden und die Inseln der Circe und Calypso ; kurz , als alle diese Spiele der Einbildungskraft , welche uns belustigen , ohne daß wir sie für wirklich halten .
Die Religion unserer Väter befiehlt uns einen Jupiter , eine Venus zu glauben ; ganz gut ; aber was für eine Vorstellung macht man uns von ihnen ?
Jupiter soll ein Gott , Venus eine Göttin sein : Allein der Jupiter des Phidias ist nichts mehr als ein heroischer Mann , noch die Venus des Praxiteles mehr als ein schönes Weib ; von dem Gott und der Göttin hat kein Mensch in Griechenland den minte Drittes Buch , drittes Kapitel . testen Begriff .
Man verspricht uns nach dem Tod ein unsterbliches Leben bei den Göttern ; aber die Begriffe die wir uns davon machen , sind entweder aus den sinnlichen Wollüsten , oder den feineren und geistigeren Freuden , die wir in diesem Leben erfahren haben , zusammengesetzt ; es ist also klar , daß wir gar keine echte Vorstellung von dem Leben der Geister und von ihren Freude haben .
Ich will hiermit nicht leugnen , daß es Götter , Geister oder vollkommenere Wesen als wir sind , haben könne oder wirklich habe .
Alles was meine Schlüsse zu beweisen scheinen , ist dieses , " daß wir unfähig sind , uns eine richtige Idee von ihnen zu machen , oder kurz , daß wir nichts von ihnen wissen . "
Wissen wir aber nichts , weder von ihrem Zustande noch von ihrer Natur , so ist es für uns eben so viel , als ob sie gar nicht wären .
Anaxagoras bewies mir einst mit dem ganzen Enthusiasmus eines Sternsehers , daß der Mond Einwohner habe .
Vielleicht sagte er die Wahrheit .
Allein was sind diese Mondbewohner für uns ?
Meinest du , der König Philippus werde sich die mindeste Sorge machen , die Griechen möchten sie gegen ihn zu Hilfe rufen ?
Es mögen Einwohner im Monde sein ; für uns ist der Mond weder mehr noch weniger als eine leere glänzende Scheibe , die unsere Nächte erheitert , und unsere Zeit abmißt .
Hat es aber diese Bewandtnis , wie es denn nicht anders sein kann , wie töricht ist es , den Plan seines Lebens nach Schimären einzurichten , und sich der Glückseligkeit deren man wirklich genießen könnte , zu begeben , um sich mit ungewiss sein G 2 Agathon . sein Hoffnungen zu weiden ; die Frucht seines Daseins zu verlieren , so lange man lebt , in Hoffnung sich dafür schadlos zu halten , wenn man nicht mehr sein wird !
Denn daß wir jetzt leben , und daß dieses Leben aufhören wird , das wissen wir gewiß ; ob ein anderes alsdann anfange , ist wenigstens ungewiß , und wenn es auch wäre , so ist es doch unmöglich , das Verhältnis desselben gegen das itzige zu bestimmen , da wir kein Mittel haben uns einen echten Begriff davon zu machen .
Laß uns also den Plan unseres Lebens auf das gründen , was wir kennen und wissen ; und nachdem wir gefunden haben , was das glückliche Leben ist , den geradesten und sichersten Weg suchen , auf dem wir dazu gelangen können .
Viertes Kapitel .
Worin Hippias bessere Schlüsse macht .
Ich habe schon bemerkt , daß die Glückseligkeit , welche wir suchen , nur in dem Stand einer Gesellschaft , die sich schon zu einem gewissen Grade der Vollkommenheit erhoben hat , statt finde .
In einer solchen Gesellschaft entwickeln sich alle diese mannigfaltigen Geschicklichkeiten , die bei dem wilden Menschen , der so wenig bedarf , so einsam lebt , und so wenig Leidenschaften hat , immer müßige Fähigkeiten bleiben .
Die Einführung des Eigentums , die Ungleichheit der Güter und Stän de , Drittes Buch , viertes Kapitel . de , die Armut der einen , der Überfluß , die Üppigkeit und die Trägheit der anderen , dieses sind die wahren Götter der Künste , die Mehrcure und die Musen , denen wir ihre Erfindung oder doch ihre Vollkommenheit zu danken haben .
Wie viel Menschen müssen ihre Bemühungen vereinigen , um einen einzigen Reichen zu befriedigen !
Diese bauen seine Felder und Weinberge , andere pflanzen seine Lustgärten , noch andere bearbeiten den Marmor , woraus seine Wohnung aufgeführt wird ; tausende durchschiffen den Ozean um ihm die Reichtümer fremder Länder zuzuführen ; tausende beschäftigen sich , die Seide und den Purpur zu bereiten , die ihn kleiden ; die Tapeten , die seine Zimmer schmücken ; die kostbaren Gefäße , woraus er ißt und trinkt ; und die weichen Lager , worauf er der wollüstigsten Ruhe genießt .
Tausende müssen in schlaflosen Nächten ihren Witz verzehren , um neue Bequemlichkeiten , neue Wollüste , eine leichtere und angenehmere Art die leichtesten und angenehmsten Verrichtungen , die uns die Natur auferlegt , zu tun , für ihn zu erfinden , und durch die Zaubereien der Kunst , die den gemeinsten Dingen einen Schein der Neuheit zu geben weiß , seinen Ekel zu täuschen , und seine vom Genuß ermüdeten Sinnen aufzuwecken .
Für ihn arbeitet der Maler , der Tonkünstler , der Dichter , der Schauspieler , und überwindet unendliche Schwierigkeiten , um Künste zur Vollkommenheit zu treiben , welche die Anzahl seiner Ergötzungen vermehren sollen .
Allein alle diese Leute , welche für den glücklichen Menschen arbeiten , würden es nicht tun , wenn sie nicht selbst Glück lich G 3 Agathon . lich zu sein wünschten .
Sie arbeiten nur für denjenigen , der ihre Bemühung für sein Vergnügen belohnen kann .
Der König von Persien selbst ist nicht mächtig genug , den Zeuxes zu zwingen , daß er ihm eine Leda male .
Nur die Zauberkraft des Goldes , welchem eine allgemeine Übereinkunft der gesitteten Völker den Wert aller nützlichen und angenehmen Dinge beigelegt hat , kann den Genie und den Fleiß einem Midas dienstbar machen , der ohne seine Schätze kaum so viel wert wäre , dem Maler , der für ihn arbeitet , die Farben zu reiben .
Die Kunst , sich die Mittel zur Glückseligkeit zu verschaffen , ist also schon gefunden , mein lieber Callias , sobald wir die Kunst gefunden haben , einen genugsamen Vorrat von diesem Steine der Weisen zu bekommen , der uns die ganze Natur unterwirft , der Millionen von unseres Gleichen zu freiwilligen Sklaven unserer Üppigkeit macht , und der uns in jedem schlauen Kopf einen dienstwilligen Merkur , und durch den unwiderstehlichen Glanz eines goldenen Regens , in jeder Schönen eine Tange finden läßt .
Die Kunst reich zu werden , Callias , ist im Grunde nichts anders , als die Kunst , sich des Eigentums anderer Leute mit ihrem guten Willen zu bemächtigen .
Ein Despot hat unter dem Schutz eines Vorurteils , welches demjenigen sehr ähnlich ist , womit die Ägypter den Krokodil vergötterten , in diesem Stück einen ungemeinen Vorteil :
Da sich seine Rechte so weit erstrecken als seine Macht , und diese Macht durch keine Pflichten eingeschränkt ist , weil ihn niemand zwingen kann , sie zu er füllen ; Drittes Buch , viertes Kapitel . füllen ; so kann er sich das Vermögen seiner Untertanen zueignen , ohne sich darum zu bekümmern , ob es mit ihrem guten Willen geschieht .
Es kostet ihn keine Mühe , unermeßliche Reichtümer zu erwerben , und , um mit der unmäßigsten Schwelgerei in einem Tag Millionen zu verschwenden , hat er nichts nötig , als denjenigen Teil des Volkes , den seine Dürftigkeit zu einer immerwehrenden Arbeit verdammt , an diesem Tage fasten zu lassen .
Allein außer dem , daß dieser Vorteil nur sehr wenigen Sterblichen zu Teil werden kann , so ist er nicht so beschaffen , daß ein weiser Mann ihn beneiden könnte .
Das Vergnügen höret auf Vergnügen zu sein , so bald es über einen gewissen Grad getrieben wird .
Das Übermaß der sinnlichen Wollüste zerstöret die Werkzeuge der Empfindung ; das Übermaß der Vergnügen der Einbildungskraft , verderbt den Geschmack des echten Schönen , indem für unmäßige Begierden nichts reizend sein kann , was in die Verhältnisse und das Ebenmaß der Natur eingeschlossen ist .
Daher ist das gewöhnliche Schicksal der morgenländischen Fürsten , die in die Mauern ihres Serails eingekerkert sind , in den Armen der Wollust vor Ersättigung und Überdruß umzukommen ; indessen , daß die süßesten Gerüche von Arabien vergeblich für sie Düften , daß die geistigen Weine ihnen ungekostet aus Kristallen entgegenblinken , daß tausend Schönheiten , deren jede zu Paphos einen Altar erhielte , alle ihre Reizungen , alle ihre buhlerische Künste umsonst verschwenden , ihre schlafen Sinnen zu erwecken , und zehn tausend Scla ven G 4 Agathon. ven ihrer Üppigkeit in die Wette eifern , um unerhörte und ungeheure Wollüste zu erdenken , welche fähig sein möchten , wenigstens die glühende Fantase dieser unglückseligen Glücklichen auf etliche Augenblicke zu betrügen .
Wir haben also mehr Ursache , als man insgemein glaubt , der Natur zu danken , wenn sie uns in einen Stand setzt , wo wir das Vergnügen durch Arbeit erkaufen müssen , und vorher unsere Leidenschaften mäßigen lernen , ehe wir zu einer Glückseligkeit gelangen , die wir ohne diese Mäßigung nicht genießen könnten .
Da nun die Despoten und die Strassenräuber die einzigen sind , denen es , jedoch auf ihre Gefahr , zusteht , sich des Vermögens anderer Leute mit Gewalt zu bemächtigen :
So bleibt demjenigen , der sich aus einem Zustand von Mangel und Abhänglichkeit empor schwingen will , nichts anders übrig , als daß er sich die Geschicklichkeit erwerbe , den Vorteil und das Vergnügen der Lieblinge des Glückes zu befördern .
Unter den vielerlei Arten , wie dieses geschehen kann , sind einige dem Menschen von Genie , mit Ausschluß aller übrigen , vorbehalten , und teilen sich nach ihrem verschiedenen Endzweck in zwei Klassen ein , wovon die erste die Vorteile , und die andere das Vergnügen des beträchtlichsten Teils einer Nation zum Gegenstand hat .
Die erste , welche die Regierungs- und Kriegs-Künste in sich begreift , scheint ordentlicher Weise nur in freien Staaten Platz zu finden ; die andere hat keine Grenzen als den Grad Drittes Buch , viertes Kapitel .
Grad des Reichtums und der Üppigkeit eines jeden Volks , von welcher Art seine Staatsverfassung sein mag .
In dem armen Athen wurde ein guter Feldherr unendlichmal höher geschätzt , als ein guter Maler ; in dem reichen und wollüstigen Athen gibt man sich keine Mühe zu untersuchen , wer der tüchtigste sei , ein Kriegsheer anzuführen ; man hat wichtigere Dinge zu entscheiden ; die Frage ist , welche unter etlichen Tänzerinnen die artigsten Füße hat , und die schönsten Sprünge macht ?
ob die Venus des Praxiteles , oder des Alcamenes die schönere ist ? -- Die Künste des Genie von der ersten Klasse führen für sich allein selten zum Reichtum .
Die großen Talente , die großen Verdienste und Tugenden , die dazu erfordert werden , finden sich gemeiniglich nur in armen und emporstrebenden Republiken , die alles , was man für sie tut , nur mit Lorbeerkränzen bezahlen .
In Staaten aber , wo Reich thum und Üppigkeit schon die Oberhand gewonnen haben , braucht man alle diese Talente und Tugenden nicht , welche die Regierungskunst zu erfordern scheint .
Man kann in solchen Staaten Gesetze geben , ohne ein Solon zu sein ; man kann ihre Kriegsheere anführen , ohne ein Leonidas oder Themistokles zu sein .
Perikles , Alcibiades , regierten zu Athen den Staat , und führten die Völker an ; obgleich jener nur ein Redner war , und dieser keine andere Kunst kannte , als die Kunst sich der Herzen zu bemeistern .
In solchen Republiken hat das Volk die Eigenschaften , die in einem despotischen Staate der Einzige hat , der kein G 5 Agathon . kein Sklave ist ; man braucht ihm nur zu gefallen , um zu allem tüchtig befunden zu werden .
Perikles herrschte , ohne die äußerlichen Zeichen der königlichen Würde zu tragen , so unumschränkt in dem freien Athen , als Artaxerxes in dem untertänigen Asten .
Seine Talente , und die Künste die er von der schönen Aspasia gelernt hatte , erwarben ihm eine Art von Oberherrschaft , die nur desto unumschränkter war , da sie ihm freiwillig zugestanden wurde ; die Kunst eine große Meinung von sich zu erwecken , die Kunst zu überreden , die Kunst von der Eitelkeit der Athener Vorteil zu ziehen und ihre Leidenschaften zu lenken ; diese machten seine ganze Regierungskunst aus .
Er verwickelte die Republik in ungerechte und unglückliche Kriege , er erschöpfte die öffentliche Schatzkammer , er erbitterte die Bundsgenossen durch gewaltsame Erpressungen ; und damit das Volk keine Zeit hätte , eine so schöne Staatsverwaltung genauer zu beobachten , so baute er Schauspielhäuser , gab ihnen schöne Statuen und Gemälde zu sehen , unterhielt sie mit Tänzerinnen und Virtuosen , und gewöhnte sie so sehr an diese abwechselnden Ergötzungen , daß die Vorstellung eines neuen Stücks , oder der Wettstreit unter etlichen Flötenspielern zuletzt Staatsangelegenheiten wurden , über welchen man diejenigen vergaß die es in der Tat waren .
Hundert Jahre früher würde man einen Perikles für eine Pest der Republik angesehen haben ; allein damals würde Perikles ein Aristides gewesen sein .
In der Zeit worin er lebte , war Perikles , so wie er war , der größte Mann der Drittes Buch , viertes Kapitel . der Republik ; der Mann der Athen zu dem höchsten Grade der Macht und des Glanzes erhob , den es zu erreichen fähig war ; der Mann , dessen Zeit als das goldene Altar der Musen in allen künftigen Jahrhunderten angezogen werden wird ; und , was für ihn selbst das interessanteste war , der Mann , für den die Natur die Euripiden und Aristophane , die Phidias , die Zeuxes , die Damonen , und die Aspasia zusammen brachte , um sein Privatleben so angenehm zu machen , als sein öffentliches Leben glänzend war .
Die Kunst über die Einbildungskraft der Menschen zu herrschen , die geheimen , ihnen selbst verborgenen Triebfedern ihrer Bewegungen nach unserem Gefallen zu lenken , und sie zu Werkzeugen unserer Absichten zu machen , indem wir sie in der Meinung erhalten , daß wir es von den ihrigen sind , ist also , ohne Zweifel , diejenige , die ihrem Besitzer am nützlichsten ist , und dieses ist die Kunst welche die Sophisten lehren und ausüben ; die Kunst , welcher sie das Ansehen , die Unabhänglichkeit und die glücklichen Tage , deren sie genießen , zu danken haben .
Du kannst dir leicht vorstellen , Callias , daß sie sich in etlichen Stunden weder lehren noch lernen läßt ; allein meine Absicht ist auch für jetzt nur , dir überhaupt einen Begriff davon zu geben .
Dasjenige , was man die Weisheit der Sophisten nennt , ist die Geschicklichkeit sich der Menschen so zu bedienen , daß sie geneigt sind , unser Vergnügen zu befördern , oder überhaupt die Werkzeuge unserer Absichten zu sein .
Die Beredsamkeit , welche diesen Namen erst alsdann verdient , wenn sie im Agathon . im Stand ist , die Zuhörer , wer sie auch sein mögen , von allem zu überreden , was wir wollen , und in jeden Grad einer jeden Leidenschaft zu setzen , die zu unserer Absicht nötig ist ; eine solche Beredsamkeit ist unstreitig ein unentbehrliches Werkzeug , und das vornehmste wodurch die Sophisten diesen Zweck erreichen .
Die Grammatici bemühen sich , junge Leute zu Rednern zu bilden ; die Sophisten tun mehr , sie lehren sie Überreder zu werden , wenn mir dieses Wort erlaubt ist .
Hierin allein besteht das Erhabene einer Kunst , die vielleicht noch niemand in dem Grade besessen hat , wie Alcibiades , der in unseren Zeiten so viel Aufsehens gemacht hat .
Der Weise bedient sich dieser Überredungsgabe nur als eines Werkzeugs zu höheren Absichten .
Alcibiades überläßt es einem Antiphon , sich mit Ausfeilung einer künstlichgesetzten Rede zu bemühen ; er überredet indessen seine Landsleute , daß ein so liebenswürdiger Mann wie Alcibiades das Recht habe zu tun , was ihm einfalle ; er überredet die Spartaner zu vergessen , daß er ihr Feind gewesen , und daß er es bei der ersten Gelegenheit wieder sein wird ; er überredet die Königin Timea , daß sie ihn bei sich schlafen lasse , und die Satrapen des großen Königs , daß er ihnen die Athener zu eben der Zeit verraten wolle , da er die Athener überredet , daß sie ihm Unrecht tun , ihn für einen Verräter zu halten .
Diese Überredungskraft setzt die Geschicklichkeit voraus , jede Gestalt anzunehmen , wodurch wir demjenigen gefällig werden können , auf den wir Absichten haben ; die Geschicklich keit , Drittes Buch , viertes Kapitel . keit , sich der verborgensten Zugänge seines Herzens zu versichern , seine Leidenschaften , je nachdem wir es nötig finden , zu erregen , zu liebkosen , eine durch die andere zu verstärken , oder zu schwächen , oder gar zu Unterdrucken ; sie erfordert eine Gefälligkeit , die von den Sittenlehrern Schmeichelei genannt wird , aber diesen Namen nur alsdann verdient , wenn sie von den Guathonen die um die Tafeln der Reichen sumsen , nachgeäfft wird , -- eine Gefälligkeit , die aus einer tiefen Kenntnis der Menschen entspringt , und das Gegenteil von der lächerlichen Sprödigkeit gewisser Phantasten ist , die den Menschen übel nehmen , daß sie anders sind , als wie diese ungebetenen Gesetzgeber es haben wollen ; kurz , diejenige Gefälligkeit ohne welche es vielleicht möglich ist , die Hochachtung , aber niemals die Liebe der Menschen zu erlangen ; weil wir nur diejenigen lieben können , die uns ähnlich sind , die unseren Geschmack haben oder zu haben scheinen , und so eifrig sind , unser Vergnügen zu befördern , daß sie hierin die Aspasia von Milet zum Muster nehmen , welche sich bis ans Ende in der Gunst des Perikles erhielt , indem sie in demjenigen Alter , worin man die Seele der Damen zu lieben pflegt , sich in die Grenzen der Platonischen Liebe zurückzog , und die Rolle des Körpers durch andere spielen ließ .
Ich lese in deinen Augen Callias , was du gegen diese Künste einzuwenden hast , die sich so übel mit den Vorurteilen vertragen , die du gewohnt bist für Grundsatze zu halten .
Es ist wahr , die Kunst zu leben , welche die Sophisten lehren , ist auf ganz andere Bei Agathon .
Begriffe von dem , was in sittlichem Verstande schön und gut ist gebaut , als diejenigen hegen , die von dem idealischen Schönen , und von einer gewissen Tugend , die ihr eigener Lohn sein soll , so viel schöne Dinge zu sagen wissen .
Allein , wenn du noch nicht müde bist mir zuzuhören , als ich es bin zu schwatzen ; so denke ich , daß es nicht schwer sein werde dich zu überzeugen , daß das idealische Schöne und die idealische Tugend mit jenen Geistermährchen , wovon wir erst gesprochen haben , in die nämliche Klasse gehören .
Fünftes Kapitel .
Der Anti-Platonismus in Nuce .
Was ist das Schöne ?
Was ist das Gute ?
Ehe wir diese Fragen beantworten können , müssen wir , deucht mich , vorher fragen :
Was ist das , was die Menschen schön und gut nennen ?
Wir wollen vom Schönen den Anfang machen .
Was für eine unendliche Verschiedenheit in den Begriffen , die man sich bei den verschiedenen Völkern des Erdbodens von der Schönheit macht !
Alle Welt kommt darin überein , daß ein schönes Weib das schönste unter allen Werken der Natur sei .
Allein wie muß sie sein , um für eine vollkommene Schönheit in ihrer Art gehalten zu werden ?
Hier fängt der Widerspruch an .
Stelle dir eine Versammlung von so vielen Liebhabern vor , als es ver schieden Drittes Buch , fünftes Kapitel . schieden Nationen unter verschiedenen Himmelsstrichen gibt ; was ist gewisser , als daß ein jeder den Vorzug seiner Geliebten vor den übrigen behaupten wird ?
Der Europäer wird die blendende weiße , der Mohr die rabengleiche Schwärze der seinigen vorziehen ; der Grieche wird einen kleinen Mund , eine Brust , die mit der holen Hand bedeckt werden kann , und das angenehme Ebenmaß einer feinen Gestalt ; der Afrikaner wird die eingedrückte Nase , und die aufgeschwollenen dickroten Lippen ; der Persianer die großen Augen und den schlanken Wuchs , der Serer , die kleinen Augen , die Kegelrunde dicke und winzigen Füße an der seinigen begaubernd finden .
Hat es mit dem Schönen in sittlichen Verstande , mit dem was sich geziemt , eine andere Bewandtnis ?
Die Spartanischen Töchter scheuen sich nicht , in einem Aufzug gesehen zu werden , wodurch in Athen die geringste öffentliche Metze sich entehrt hielte .
In Persien würde ein Frauenzimmer , das an einem öffentlichen Orte sein Gesicht entblößte , eben so angesehen , als in Smyrna eine die sich nackend sehen ließe .
Bei den morgenländischen Völkern erfordert der Wohlstand eine Menge von Beugungen und untertänigen Gebärden , die man gegen diejenigen macht , die man ehren will ; bei den Griechen würde diese Höflichkeit für eben so schändlich und sklavenmäßig gehalten werden , als die attische Politesse zu Persepolis grob und bäurisch scheinen würde .
Bei den Griechen hat eine freigeborene ihre Ehre verloren , die sich den jungfräulichen Gürtel von einem anderen , als ihrem Manne auflösen Agathon . auflösen läßt ; bei gewissen Völkern die jenseits des Ganges wohnen , ist ein Mädchen desto vorzüglicher , je mehr es Liebhaber gehabt hat , die seine Reizungen aus Erfahrung anzurühmen wissen .
Diese Verschiedenheit der Begriffe vom sittlichen Schönen zeigt sich nicht nur in besonderen Gebräuchen und Gewohnheiten verschiedener Völker , wovon sich die Beispiele ins Unendliche häufen ließen ; sondern selbst in dem Begriff , den sie sich überhaupt von der Tugend machen .
Bei den Römern ist Tugend und Tapferkeit einerlei ; bei den Athenern schließt dieses Wort alle Arten von nützlichen und angenehmen Eigenschaften in sich .
Zu Sparta kennt man keine andere Tugend als den Gehorsam gegen die Gesetze ; in despotischen Neigen keine andere , als die sklavische Untertänigkeit gegen den Monarchen und seine Satrapen ; am kaspischen Meere ist der togenhafteste der am besten rauben kann , und die meisten Feinde erschlagen hat ; und in dem wärmsten Striche von Indien hat nur der die höchste Tugend erreicht , der sich durch eine völlige Untätigkeit , ihrer Meinung nach , den Göttern ähnlich macht .
Was folget nun aus allen diesen Beispielen ?
Ist nichts an sich selbst schön oder recht ?
Gibt es kein gewisses Modell , wonach dasjenige , was schön oder sittlich ist , beurteilt werden muß ?
Wir wollen sehen .
Wein ein solches Modell ist , so muß es in der Natur sein .
Denn es wäre Torheit , sich einzubilden , daß ein Pygmalion eine Bildsäule schnitzen könne , welche schöner sei als Phryne , die kühn genug war , bei den Olymp Drittes Buch , fünftes Kapitel .
Olympischen Spielen , in eben dem Aufzug worin die drei Göttinnen um den Preis der Schönheit stritten , das ganze Griechenland zum Richter über die ihrige zu machen .
Die Venus eines jeden Volks ist nichts anders als die Abbildung eines Weibes , die bei einer allgemeinen Versammlung dieses Volks für diejenige erklärt würde , bei der sich die National-Schönheit im höchsten Grade befinde .
Allein welches unter so vielerlei Modellen ist denn an sich selbst das schönste ?
Der Grieche wird für seine rosenwangichte , der Mohr für seine rabenschwarze , der Perser für seine schlanke , und der Serer für seine runde Venus mit dem dreifachen Kinn streiten .
Wer soll den Ausschlag geben ?
Wir wollen es versuchen .
Gesetzt , es würde eine allgemeine Versammlung angestellt , wozu eine jede Nation den schönsten Mann und das schönste Weib , nach ihrem National-Modell zu urteilen , geschickt hätten ; und wo die Weiber zu entscheiden hätten , welcher unter allen diesen Mitwerbern um den Preis der Schönheit der schönste Mann , und die Männer , welche unter allen das schönste Weib wäre :
Ich sage also , man würde gar bald diejenigen aus allen übrigen aussondern , die unter diesen milden und gemäßigten Himmelsstrichen geboren worden , wo die Natur allen ihren Werken ein feineres Ebenmaß der Gestalt , und eine angenehmere Mischung der Farben zu geben pflegt .
Denn die vorzügliche Schönheit der Natur in den gemäßigten Zonen erstreckt sich vom Menschen bis auf die Pflanzen .
Unter diesen Auscrlesnen von beiden Geschlechtern würde vielleicht der [ Agath. I. Th. ] H Agathon , der Vorzug lange zweifelhaft sein ; allein endlich würde doch unter den Männern derjenige den Preis erhalten , bei dessen Landesleuten die verschiedenen gymnastischen Übungen am stärksten , und Verhältnisweise in dem höchsten Grade der Vollkommenheit getrieben würden ; und alle Männer würden mit einer Stimme diejenige für die schönste unter den Schönen erklären , die von einem Volke abgeschickt worden , welches bei der Erziehung der Töchter die möglichste Entwicklung und Kultur der natürlichen Schönheit zur Hauptsache machte .
Der Spartaner würde also vermutlich für den schönsten Mann , und die Perserin für das schönste Weib erklärt werden .
Der Grieche , welcher der Anmut den Vorzug vor der Schönheit gibt , weil die griechischen Weiber mehr reizend als schön sind , würde nichts desto weniger zu eben der Zeit , da sein Herz einem Mädchen von Paphos oder Milet den Vorzug gäbe , bekennen müssen , daß die Perserin schöner sei ; und eben dieses würde der Serer tun , ob er gleich das dreifache Kinn und den Wanst seiner Landsmännin reizender finden würde . -- Laß uns zu dem sittlichen Schönen fortgehen .
So groß auch hierin die Verschiedenheit der Begriffe unter verschiedenen Zonen ist , so wird doch schwerlich geleugnet werden können , daß die Sitten derjenigen Nation , welche die geistreichste , die munterste , die geselligste , die angenehmste ist , den Vorzug der Schönheit haben .
Die ungezwungene und einnehmende Höflichkeit des Atheniensers muß einem jeden Fremden angenehmer sein , als die abgemessene , ernst hafte Drittes Buch , fünftes Kapitel . hafte und ceremonienvolle Höflichkeit der Morgenländer ; das verbindliche Wesen , der Schein von Leutseligkeit , so der erste seinen kleinsten Handlungen zu geben weiß , muß vor dem steifen Ernst des Persers , oder der rauhen Gutherzigkeit des Skythen eben so sehr den Vorzug erhalten , als der Putz einer Dame von Smyrna , der die Schönheit weder ganz verhüllt , noch ganz den Augen Preis gibt , vor der Vermummung der Morgenländerin oder der tierischen Blöße einer Wilden .
Das Muster der aufgeklärtesten und geselligsten Nation scheint also die wahre Regel des sittlichen Schönen , oder des Anständigen zu sein , und Athen und Smyrna sind die Schulen , worin man seinen Geschmack und seine Sitten bilden muß .
Allein nachdem wir eine Regel für das Schöne gefunden haben , was für eine werden wir für das , was Recht ist finden ? wovon so verschiedene und widersprechende Begriffe unter den Menschen herrschen , daß eben dieselbe Handlung , die bei dem einen Volke mit Lorbeerkränzen und Statuen belohnt wird , bei der anderen eine schmähliche Todesstrafe verdient ; und daß kaum ein Laster ist , welches nicht irgendwo seinen Altar und seinen Priester habe .
Es ist wahr , die Gesetze sind bei dem Volke , welchem sie gegeben sind , die Richtschnur des Rechts und Unrechts ; allein was bei diesem Volk durch das Gesetz befohlen wird , wird bei einem anderen durch das Gesetz verboten .
Die Frage ist also :
Gibt es nicht ein allgemeines Gesetz , welches bestimmt , was an sich selbst Recht ist ?
Ich antworte ja , und dieses allgemeine Gesetz kann kein anderes sein , als die Stimme der Natur , die zu einem jeden spricht :
Suche dein Bestes ; oder mit anderen Worten : Befriedige deine natürliche Begierden , und genieße so viel Vergnügen als du kannst .
Dieses ist das einzige Gesetz , das die Natur dem Menschen gegeben hat ; und so lang er sich im Stande der Natur besendet , ist das Recht , das er an alles hat , was seine Begierden verlangen , oder was ihm gut ist , durch nichts anders als das Maß seiner Stärke eingeschränkt ; er darf alles , was er kann , und ist keinem anderen nichts schuldig .
Allein der Stand der Gesellschaft , welcher eine Anzahl von Menschen zu ihrem gemeinschaftlichen Besten vereiniget , setzt zu jenem einzigen Gesetz der Natur , suche dein eigenes Bestes , die Einschränkung , ohne einem anderen zu schaden .
Wie also im Stande der Natur einem jeden Menschen alles recht ist , was ihm nützlich ist ; so erklärt im Stande der Gesellschaft das Gesetz alles für Unrecht und strafwürdig , was der Gesellschaft schädlich ist , und verbindet hingegen die Vorstellung eines Vorzugs und belohnungswürdigen Verdienstes mit allen Handlungen , wodurch der Nutzen oder das Vergnügen der Gesellschaft befördert wird .
Die Begriffe von Tugend und Laster gründen sich also eines Teils auf den Vertrag den eine gewisse Gesellschaft unter sich gemacht hat , und in so ferne sind sie willkürlich ; anderen Teils auf dasjenige , was einem jeden Volke nützlich oder schädlich ist ; und daher kommt es , daß ein so großer Widerspruch unter den Gesetzen verschiedener Nationen herrschet .
Das Klima , die Lage , die Regierungsform , die Religion , das eigene Temperament und der National-Charakter eines jeden Volks , seine Lebensart , seine Stärke oder Schwäche , seine Armut oder sein Reichtum , bestimmen seine Begriffe von dem , was ihm gut oder schädlich ist ; daher diese unendliche Verschiedenheit des Rechts oder Unrechts unter den policirtesten Nationen ; daher der Kontrast der Moral der glühenden Zonen mit der Moral der kalten Länder , der Moral der freien Staaten mit der Moral der despotischen Reiche ; der Moral einer armen Republik , welche nur durch den kriegerischen Geist gewinnen kann , mit der Moral einer reichen , die ihren Wohlstand dem Geist der Handelsschaft und dem Frieden zu danken hat ; daher endlich die Albernheit der Moralisten , welche sich den Kopf zerbrechen , um zu bestimmen , was für alle Nationen recht sei , ehe sie die Auflösung der Aufgabe gefunden haben , wie man machen könne , daß eben dasselbe für alle Nationen gleich nützlich sei .
Die Sophisten , deren Sittenlehre sich nicht auf abstrakte Ideen , sondern auf die Natur und wirkliche Beschaffenheit der Dinge gründet , finden die Menschen an einem jeden Ort , so , wie sie sein können .
Sie schätzen einen Staatsmann zu Athen , an sich selbst , nicht höher als einen Gaukler zu Persepolis , und eine ehrbare Matrone von Sparta ist in ihren Augen kein vortrefflicheres Wesen als eine Lais zu Korinth .
Es ist wahr , der Gaukler würde zu Athen , und die Lais zu Sparta schädlich sein ; allein ein Aristides würde zu Persepolis , und eine Spartanerin zu Korinth wo nicht eben so schädlich , doch wenigstens ganz unnützlich sein .
Die Idealisten , wie ich diese Philosophen zu nennen pflege , welche die Welt nach ihren Ideen umschmelzen wollen , bilden ihre Lehrjünger zu Menschen , die man nirgends für einheimisch erkennen kann , weil ihre Moral eine Gesetzgebung voraussetzt , welche nirgends vorhanden ist .
Sie bleiben arm und ungeachtet , weil ein Volk nur demjenigen Hochachtung und Belohnung zuerkennt , der seinen Nutzen befördert oder doch zu befördern scheint ; ja sie werden als Verderber der Jugend , und als heimliche Feinde der Gesellschaft angesehen , und die Landesverweisung oder der Giftbecher ist zuletzt alles , was sie für die undankbare Bemühung davon tragen , die Menschen zu entkörpern , um sie in die Klasse der idealischen Wesen , der mathematischen Punkte , Linien und Dreiecke zu erhöhen .
Klüger , als diese eingebildeten Weisen , die , wie jener Flötenspieler von Aspondus , nur für sich selbst singen , überlassen die Sophisten den Gesetzen eines jeden Volks ihre Bürger zu lehren , was Recht oder Unrecht sei .
Da sie selbst zu keinem besonderen Staatskörper gehören , so genießen sie die Vorrechte eines Weltbürgers , und indem sie den Gesetzen und der Religion eines jeden Volkes bei dem sie sich befinden , eine äußerliche Achtung bezeugen , wodurch sie vor allen Ungelegenheiten mit den Handhabern derselben gesichert werden ; so erkennen und befolgen sie doch in der Tat kein anderes als jenes allgemeine Gesetz der Natur , welches dem Menschen sein eigenes Bestes zur einzigen Richtschnur gibt .
Alles wodurch ihre natürliche Freiheit eingeschränkt wird , ist die Beobachtung einer nützlichen Klugheit , die ihnen vorschreibt ihren Handlungen die Farbe , den Schnitt und die Auszierung zu geben , wodurch sie denjenigen , mit welchen sie zu tun haben , am gefälligsten werden .
Das moralische Schöne ist für unsere Handlungen eben das , was der Putz für unseren Leib ; und es ist eben so nötig , seine Aufführung nach den Vorurteilen und dem Geschmack derjenigen zu modeln , mit denen man lebt , als es nötig ist sich so zu kleiden wie sie .
Ein Mensch , der nach einem gewissen besonderen Modell gebildet worden , sollte , wie die wandelnden Bildsäulen des Dädalus , an seinen väterlichen Boden angefesselt werden ; denn er ist nirgends an seinem Platz als unter seines gleichen .
Ein Spartaner würde sich nicht besser schicken , die Rolle eines obersten Sklaven des Artaxerxes zu spielen , als ein Sarmater sich schickte Polemarchus zu Athen zu sein .
Der Weise hingegen ist der allgemeine Mensch , der Mensch , dem alle Farben , alle Umstände , alle Verfassungen und Stellungen anstehen , und er ist es eben darum , weil er keine besondere Vorurteile und Leidenschaften hat , weil er nichts als ein Mensch ist .
Er gefällt allenthalben , weil er , wohin er kommt , sich die Vorurteile und Torheiten gefallen läßt , die er antrifft .
Wie sollte er nicht geliebt werden , er , der immer bereit ist sich für die Vorteile anderer zu beeifern , ihre Begriffe zu billigen , ihren Leidenschaften zu schmeicheln ?
Er weiß , daß die Menschen von nichts überzeugter sind , als von ihren Irrtümern , und nichts zärtlicher lieben als ihre Fehler ; und daß es kein gewisseres Mittel gibt sich ihren Abscheu zuzuziehen , als wein man ihnen eine Wahrheit entdeckt , die sie nicht wissen wollen .
Weit entfernt also , ihnen die Augen wider ihren Willen zu eröffnen , oder ihnen einen Spiegel vorzuhalten , der ihnen ihre Häßlichkeit vorrückte , bestärkt er die Toren in dem Gedanken , daß nichts abgeschmackter sei als Verstand haben , den Verschwender in dem Wahn , daß er großmütig , den Knicker in den Gedanken , daß er ein guter Haushalter , die Häßliche in der süßen Einbildung , daß sie desto geistreicher , und den Reichen in der Überredung , daß er ein Staatsmann , ein Gelehrter , ein Held , ein Gönner der Musen und ein Liebling der Damen sei .
Er bewundert das System des Philosophen , die einbildische Unwissenheit des Hofmanns , und die großen Taten des Generals ; er gesteht dem Tanzmeister ohne Widerrede zu , daß Cimon der größte Mann in Griechenland gewesen wäre , wenn er die Füße besser zu setzen gewußt hätte ; und dem Maler , daß man mehr Genie braucht , ein Zeuxes als ein Homer zu sein .
Diese Art mit den Menschen umzugehen , ist von unendlich größerem Vorteil als man beim ersten Anblick denken möchte .
Sie erwirbt ihm ihre Liebe , ihr Zutrauen , und eine desto größere Meinung von seinen Verdienste , je größer diejenige ist , die er von den ihrigen zu haben scheint .
Sie ist das gewisseste Mittel , zu den höchsten Stufen des Glücks empor zu steigen .
Meinest du , daß es allein die größten Talente , die vorzüglichsten Verdienste seien , die einen Archonten , einen Heerführer , einen Satrapen , oder den Günstling eines Fürsten machen ?
Siehe dich in den Republiken um ; du wirst finden , daß dieser sein Ansehen der lächelnden Mine zu danken hat , womit er die Bürger grüßt ; ein anderer der emphatischen Peripherie seines Wanstes ; ein dritter der Schönheit seiner Gemahlin , und ein vierter seiner brüllenden Stimme .
Gehe an die Höfe , du wirst Leute finden , welche das Glück , worin sie schimmern , der Empfehlung eines Kammerdieners , der Gunst einer Dame , die sich für ihre Talente verbürgt hat , oder der Gabe des Schlafs schuldig sind , womit sie befallen werden , wenn der Wesir mit ihren Weibern scherzt .
Nichts ist in diesem Lande der Bezauberungen gewöhnlicher , als einen unbärtigen Knaben in einen General , einen Pantomimen in einen Staatsminister , einen Kuppler in einen Oberpriester verwandelt zu sehen ; ein Mensch ohne alle Verdienste kann oft durch ein einziges Talent , und wenn es auch nur das Talent eines Esels wäre , zu einem Glücke gelangen , das ein anderer durch die größten Verdienste vergeblich zu erhalten gesucht hat .
Wer könnte demnach zweifeln , daß die Kunst der Sophisten nicht fähig sein sollte , ihrem Besitzer auf diese oder jene Art die Gunst des Glückes zu verschaffen ?
Vorausgesetzt , daß er die natürlichen Gaben besitze , ohne welche der Mann von Verstand in der Welt allezeit dem Narren Platz machen muß , der damit versehen ist .
Allein selbst auf dem Wege der Verdienste ist niemand gewisser sein Glück zu machen , als ein Sophist .
Wo ist der Platz , den er nicht mit Ruhm bekleiden wird ?
Wer ist geschickter die Menschen zu regieren als derjenige , der am besteu mit ihnen umzugehen weiß ?
Wer schickt sich besser zu öffentlichen Unterhandlungen ?
Wer ist fähiger der Ratgeber eines Fürsten zu sein ?
Ja , sofern er nur das Glück auf seiner Seite hat , wer wird mit größerem Ruhm ein Kriegsheer anführen als er ?
Wer wird die Kunst besser verstehen , sich für die Geschicklichkeit und die Verdienste seiner Subalternen belohnen zu lassen ?
Wer wird die Vorsicht , die er nicht gehabt , die klugen Anstalten , die er nicht gemacht , die Wunden , die er nicht bekommen hat , besser gelten zu machen wissen , als er ?
Doch es ist Zeit einen Diskurs zu enden , der für beide ermüdend zu werden anfangt .
Ich habe dir genug gesagt , um den Zauber zu vernichten , den die Schwärmerei auf deine Seele gelegt hat ; und wenn dieses nicht genug ist , so würde alles überflüssig sein was ich sagen könnte .
Glaube übrigens nicht , Callias , daß der Orden der Sophisten einen unansehnlichen Teil der menschlichen Gesellschaft ausmache .
Die Anzahl derjenigen die unsere Kunst ausüben , ist in allen Ständen sehr beträchtlich , und du wirst unter denen die ein großes Glück gemacht haben , schwerlich einen einzigen finden , der es nicht einer geschickten Anwendung unserer Grundsätze zu danken habe .
Diese Grundsätze machen die gewöhnliche Denkungsart der Hofleute , der Leute die sich dem Dienste der Großen gewidmet haben , und überhaupt derjenigen Klasse von Menschen aus , die an jedem Orte die edelsten und angesehensten sind , und ( die wenigen Fälle ausgenommen , wo das spielende Glück durch einen blinden Wurf einen Narren an den Platz eines klugen Menschen fallen läßt ) sind die geschickten Köpfe , die von tiefen Maximen den besten Gebrauch zu machen wissen , allezeit diejenigen , die es auf der Bahn der Ehre und des Glücks am weitesten bringen .
Sechstes Kapitel .
Ungelehrigkeit des Agathon .
Hippias konnte sich wohl berechtiget halten , einigen Dank bei seinem Lehrjünger verdient zu haben , da er sich so viele Mühe gegeben hatte , ihn weise zu machen .
Allein wir müssen es nur gestehen , er hatte es mit einem Menschen zu tun , der nicht fähig war , die Wichtigkeit dieses Dienstes einzusehen , oder die Schönheit eines Systems zu empfinden , welches seinen vermeinten Empfindungen so zuwider war .
Seine Erwartung sah , daß der weise Hippias aufgehört hatte zu reden , würde also nicht wenig betrogen , als Agathon , wie er ihm diese kurze Antwort gab : Du hast eine schöne Rede gehalten , Hippias ; deine Beobachtungen sind sehr fein , deine Schlüsse sehr bündig , deine Maximen sehr praktisch , und ich zweifle nicht , daß der Weg , den du mir vorgezeichnet hast , zu der Glückseligkeit wirklich führe , deren Vorzüge vor meiner Art glücklich zu sein , du in ein so helles Licht gesetzt .
Dem ungeachtet empfinde ich nicht die mindeste Lust so glücklich zu sein , und wenn ich mich anders recht kenne , so werde ich schwerlich eher ein Sophist werden , bis du deine Tänzerinnen entlassest , dein Haus zu einem öffentlichen Tempel der Diana widmest , und nach Indien ziehst , ein Brahmane zu werden .
Hippias lachte über diese Antwort , ohne daß sie ihm desto besser gefiel .
Und was hast du gegen mein System einzuwenden ? fragte er .
Daß es mich nicht überzeugt , erwiderte Agathon .
" Und warum nicht ? "
Weil meine Erfahrung und Empfindung deinen Schlüssen widerspricht .
" Ich möchte wohl wissen , was dieses für Erfahrungen und Empfindungen sind , die demjenigen widersprechen , was alle Welt erfährt und empfind . "
Du würdest beweisen , daß es Schimären sind .
" Und wenn ich es bewiesen hätte ? "
Du würdest es nur dir beweisen , Hippias ; du würdest nichts beweisen , als daß du nicht Callias bist .
" Aber die Frage ist , ob Hippias oder Callias richtig denkt ? "
Wer soll Richter sein ?
" Das ganze menschliche Geschlecht . "
Was würde das wider mich beweisen ?
" Sehr viel .
Wenn zehn Millionen Menschen urteilen , daß zweien oder drei aus ihrem Mittel Narren sind , so sind sie es ; das ist unleugbar . "
Aber wie , wenn die zehn Millionen , deren Ausspruch dir so entscheidend vorkommt , zehn Millionen Toren wären , und die drei wären klug ?
" Wie müsste das zugehen ? " Können nicht zehn Millionen die Pest haben , und Sokrates allein gesund herum gehen ?
" Diese Instanz beweist nichts für dich .
Ein Volk hat nicht immer die Pest ; Allein die zehn Millionen denken immer so wie ich .
Sie sind also in ihrem natürlichen Zustande , wenn sie so denken ; und wer anders denkt , gehört folglich entweder zu einer anderen Gattung von Wesen , oder zu den Wesen , die man Toren nennt . "
So ergebe ich mich in mein Schicksal .
" Es gibt noch eine Alternative , junger Mensch .
Du schämest dich , entweder deine Gedanken so schnell zu verändern , oder du bist ein Heuchler "
Keines von beiden , Hippias .
" Leugne mir zum Exempel , wenn du kannst , daß dir die schöne Cyane , die uns beim Frühstück bediente , Begierden eingeflößt hat , und daß du verstohlene Blicke -- " Ich leugne nichts .
" So gestehe , daß das Anschauen dieser runden schneeweißen Arme , dieses aus der flatternden Seide hervoratmend Busens , die Begierde in dir erregt , ihrer zu genießen . "
Ist das Anschauen kein Genuß ?
" Keine Ausflüchte , junger Mensch ! "
Du betrügst dich , Hippias , wenn es erlaubt ist einem Weisen das zu sagen ; ich bedarf keiner Ausflüchte .
Ich mache nur einen Unterschied zwischen einem mechanischen Instinkt , der nicht gänzlich von mir abhängt , und dem Willen meiner Seele .
Ich habe den Willen nicht gehabt , dessen du mich beschuldigest .
" Ich beschuldige dich nichts , als daß du meiner spottest .
Ich denke , daß ich die Natur kennen sollte .
Die Schwärmerei kann in deinen Jahren keine so unheilbare Krankheit sein , daß sie wider die Reizung des Vergnügens sollte aushalten können . "
Deswegen vermeide ich die Gelegenheiten .
" Du gestehest also , daß Cyane reizend ist ? "
Sehr reizend .
" Und daß ihr Genuß ein Vergnügen wäre ? " Vermutlich .
" Warum quälest du du dich dann , dir ein Vergnügen zu versagen , das in deiner Gewalt ist "
Weil ich mich dadurch vieler anderen Vergnügen berauben würde , die ich höher schätze .
" Kann man in deinem Alter so sehr ein Neuling sein ?
Was für Vergnügen , die allen übrigen Menschen unbekannt sind , hat die Natur für dich allein aufbehalten ?
Wenn du noch größere kennest als dieses , -- doch ich merke dich .
Du wirst mir wieder von den Vergnügungen der Geister , von Nektar und Ambrosia sprechen ; aber wir spielen jetzt keine Komödie , mein Freund .
Die Erscheinung einer Cyane in einem von den Gebüschen meiner Gärten würde fähig sein , so gar deinen Geistern Körper zu geben . "
Hippias , ich rede wie ich denke .
Ich kenne Vergnügen , die ich höher schätze als diejenigen , die der Mensch mit den Tieren gemein hat .
" Zum Exempel ? "
Das Vergnügen eine gute Handlung zu tun .
" Was nennest du eine gute Handlung ? "
Eine Handlung , wodurch ich , mit einiger Anstrengung meiner Kräfte , oder Aufopferung eines Vorteils oder Vergnügens , anderer Bestes befördere .
" Du bist also töricht genug zu glauben , daß du anderen mehr schuldig seiest , als dir selbst ? "
Das nicht ; sondern ich finde für gut , ein geringeres Vergnügen dem größeren aufzuopfern , welches ich alsdann genieße , wenn ich das Glück meiner Nebengeschöpfe befördern kann .
" Du bist sehr dienstfertig ; gesetzt aber es sei so , wie hängt dieses mit demjenigen zusammen , wovon jetzt die Rede ist ? "
Das ist leicht zu sehen .
Gesetzt , ich überließe mich den Eindrücken , welche die Reizungen der schönen Cyane auf mich machen könnten ; gesetzt , sie liebte mich , und ließe mich alles erfahren , was die Wollust berauschendes hat ; eine Verbindung von dieser Art könnte von keiner langen Dauer sein ; aber würden die Erinnerungen der genoßenen Freuden nicht die Begierde erwecken , sie wieder zu genießen ? "
Eine neue Cyane " -- würde mir wieder gleichgültig werden , und eben diese Begierden zurück lassen .
" Eine immerwährende Abwechslung ist also hierin , wie du stehst , das Gesetz der Natur . "
Aber auf diese Art würde ich_es gar bald so weit bringen , keiner Begierde widerstehen zu können .
" Wozu brauchst du zu widerstehen , so lange deine Begierden in den Schranken der Natur und der Mäßigung bleiben ? "
Wie aber , wenn endlich das Weib meines Freundes , oder welche es sonst wäre , die der ehrwürdige Name einer Mutter gegen den bloßen Gedanken eines unkeuschen Anfalls sicher stellen soll ; oder wie , wenn die unschuldige Jugend einer Tochter , die vielleicht kein anderes Heiratsgut als ihre Unschuld und Schönheit hat ; der Gegenstand dieser Begierden würde , über die ich durch so vieles Nachgeben alle Gewalt verloren hätte ?
" So hättest du dich in Griechenland wenigstens vor den Gesetzen vorzusehen .
Allein was müsste das für ein Hirn sein , das in solchen Umständen kein Mittel ausfindig machen könnte , seine Leidenschaft zu vergnügen , ohne sich mit den Gesetzen abzuwerfen ?
Ich sehe , du kennest die Damen zu Athen und Sparta nicht . " O !
was das betrifft , ich kenne so gar die Priesterinnen zu Delphi .
Aber ist_es möglich , daß du im Ernste gesprochen hast ?
" Ich habe nach meinen Grundsätzen gesprochen .
Die Gesetze haben in gewissen Staaten , ( denn es gibt einige , wo sie mehr Nachsicht haben ) nötig gefunden , unser natürliches Recht an eine jede , die unsere Begierden erregt , einzuschränken .
Allein da dieses nur geschah , um gewisse Ungelegenheiten zu verhindern , die aus dem ungescheuten Gebrauch jenes Rechts in solchen Staaten zu besorgen wären , so stehst du , daß der Geist und die Absicht des Gesetzes nicht verletzt wird , wenn man vorsichtig genug ist zu den Ausnahmen die man davon macht keine Zeugen zu nehmen " , O Hippias ! rief Agathon hier aus , ich habe dich , wohin ich dich bringen wollte .
Du siehst die Folgen deiner Grundsätze .
Wenn alles an sich selbst recht ist , was meine Begierden wollen ; wenn die ausschweifenden Forderungen der Leidenschaft unter dem Namen des Nützlichen , den sie nicht verdienen , die einzige Richtschnur unserer Handlungen sind ; wenn die Gesetze nur mit einer guten Art ausgewichen werden müssen , und im Dunklen alles erlaubt ist ; wenn die Tugend , und die Hoffnungen der Tugend nur Schimären sind ; was hindert die Kinder , sich wider ihre Eltern zu verschwören ?
Was hindert die Mutter , sich selbst und ihre Tochter dem meistbietenden Preis zu geben ?
Was hindert mich , wenn ich dadurch gewinnen kann , den Dolch in die Brust meines Freundes zu stoßen , die Tempel der Götter zu berauben , mein Vaterland zu verraten , oder mich an die Spitze einer Räuberbande zu stellen ; und , wenn ich anders Macht genug habe , ganze Länder zu verwüsten , ganze Völker in ihrem Blute zu ertränken ?
Siehst du nicht , daß deine Grundsätze , die du so unverschämt Weisheit nennest , und durch eine künstliche Vermischung des Wahren mit dem Falschen scheinbar zu machen suchst , wenn sie allgemein würden , die Menschen in weit ärgere Ungeheuer , als Hyänen , Tiger und Crocodille sind , verwandeln würden ?
Du spottest der Tugend und Religion ?
Wisse , nur den unauslöschlichen Zeugen , womit ihr Bild in unsere Seelen eingegraben ist , nur dem geheimen und wunderbaren Reiz , der uns zu Wahrheit , Ordnung und Güte zieht , und den Gesetzen besser zu statt kommt , als alle Belohnungen und Strafen , ist es zuzuschreiben , daß es noch Menschen auf dem Erdboden gibt , und daß unter diesen Menschen noch ein Schatten von Sittlichkeit und Güte zu finden ist .
Du erklärst die Ideen von Tugend und sittlicher Vollkommenheit für Phantasien .
Siehe mich hier , Hippias , so wie ich hier bin , biete ich den Verführungen aller deiner Zyanen , den scheinbarsten Überredungen deiner Weisheit , und allen Vorteilen , die mir deine Grundsätze und dein Beispiel versprechen , trotz .
Eine einzige von diesen Phantasien ist hinreichend die unwesentliche Zauberei aller dieser Blendwerke zu zerstreuen .
Laß die Tugend immer eine Schwärmerei sein , diese Schwärmerei macht mich glücklich , und würde alle Menschen glücklich , und den ganzen Erdboden zu einem Himmel machen , wenn deine Grundsätze , und diejenige , welche sie ausüben , nicht , so weit ihr ansteckendes Gift dringt , Elend und Verderbnis ausbreiteten .
Agathon wurde ganz glühend , indem er dieses sagte ; und ein Maler , um den zürnenden Apollo zu malen , hätte sein Gesicht in diesem Augenblick zum Urbild nehmen müssen .
Allein der weise Hippias erwiderte diesen Eifer mit einem Lächeln , welches dem Momus selbst Ehre gemacht hätte , und sagte ohne seine Stimme zu verändern :
Nunmehr glaube ich dich zu kennen , Callias , und du wirst von meinen Verführungen weiter nichts zu besorgen haben .
Die gesunde Vernunft ist nicht für so warme Köpfe gemacht , wie der deinige .
Wie leicht , wenn du mich zu verstehen fähig gewesen wärest , hättest du dir den Einwurf selbst beantworten könuen , daß die Grundsätze der Sophisten und Weltleute verderblich wären , wenn sie allgemein würden ?
Die Natur hat schon davor gesorgt , daß sie nicht allgemein werden , -- doch ich würde mir selbst lächerlich sein , wenn ich deine begeisterte Apostrophe beantworten , oder dir zeigen wollte , wie sehr auch der Affekt der Tugend das Gesicht verfälschen kann .
Sei tugendhaft , Callias ; fahre fort dich um den Beifall der Geister , und die Gunst der ätherischen Schönen zu bewerben ; rüste dich , dem Ungemach , das dein Platonismus dir in dieser Unterwelt zuziehen wird , großmütig entgegen zu gehen , und tröste dich , wenn du Leute siehst , die niedrig genug sind , sich an irdischen Glückseligkeiten zu Weiden , mit dem frommen Gedanken , daß sie in dem anderen Leben , wo die Reihe an dich kommt , glücklich zu sein , sich in den Flammen des Phlegethon wälzen werden .
Mit diesen Worten stand Hippias auf , warf einen verächtlichmitleidigen Blick auf den Agathon , und wandte ihm den Rücken zu , um ihm mit einer unter seines gleichen gewöhnlichen Höflichkeit zu verstehen zu geben , daß er sich zurückziehen könne .
Erstes Kapitel .
Geheimer Anschlag , den Hippias gegen die Tugend unseres Helden macht .
Wir vermuten , daß es einigen Lesern scheinen werde , Hippias habe in seinem Diskurs bei Agathon einen größeren Mangel von Erfahrung und Kenntnis der Welt vorausgesetzt , als er , nach allem , was bereits mit ihm vorgegangen war , haben konnte .
Wir müssen also znr Entschuldigung dieses Weisen sagen , daß Agathon , aus Ursachen die uns unbekannt geblieben , für gut befunden habe , von dem glänzenden Teil seiner Begebenheiten , und sogar von seinem Namen ein Geheimnis zu machen .
Denn sein Name war durch die Rolle , die er zu Athen gespielt hatte , in den griechischen Städten allzubekannt worden , als daß er es nicht auch dem Hippias hätte sein sollen ; ob dieser gleich , seit dem er in Smyrna wohnte , sich wenig um die Staatsangelegenheiten der Griechen bekümmerte , die er in den Händen seiner Freunde und Schüler ganz wohl versorgt hielte .
Da nun Agathon so sorgfältig gewesen war , ihm alles zu verbergen , was einigen Bedacht hätte erwecken können , daß er jemals etwas mehr als ein Aufwärter in dem Tempel zu Delphi gewesen ; so konnte Hippias mit desto besserem Grunde voraussetzen , daß er noch ein vollkommener Neuling in der Welt sei , als weder die Denkungsart noch das Betragen dieses jungen Menschen so beschaffen war , daß ein Kenner auf günstigere Gedanken hätte gebracht werden sollen .
Leute von seiner Art können , in der Tat zehn Jahre hinter einander in der großen Welt gelebt haben , ohne daß sie dieses fremde und entlehnte Ansehen verlieren , welches beim ersten Blick verkündigt , daß sie hier nicht einheimisch sind ; geschweige , daß sie fähig wären , sich jemals zu dieser edlen Freiheit von den Fesseln der gesunden Vernunft , zu dieser weisen Gleichgültigkeit gegen alles was die schwärmerischen Seelen Empfindung nennen , und zu dieser verzärtelten Feinheit des Geschmacks zu erheben , wodurch die Weltleute sich auf eine so vorteilhafte Art unterscheiden .
Solche Leute können wohl Beobachtungen machen ; allein da ihnen dieser Instinkt , dieses sympathetische Gefühl mangelt , mittels dessen jene einander so schnell und zuverlässig ausfindig machen ; oder deutlicher zu reden , da sie von allem auf eine andere Art gerührt werden , als jene ; und sich , so sehr sie sich auch anstrengten , niemals an ihre Stelle setzen können :
so bleiben sie doch immer in einem unbekannten Lande , wo ihre Erkenntnis nur bei Mutmaßungen stehen bleibt , und ihre Erwartung alle Augenblicke durch unbegreifliche Zufälle und unverhoffte Veränderungen betrogen wird .
Mit allen seinen Vorzügen war Agathon doch in eben dieser Klasse , und und es ist also kein Wunder , daß er , ungeachtet der tiefen Betrachtungen die er über seine Unterredung mit dem Hippias bei sich selbst anstellte , sehr weit entfernt war , die Gedanken zu erraten , womit dieser Sophist jetzt umgieng , dessen Eitelkeit durch den schlechten Fortgang seines Vorhabens , und den Eigensinn dieses seltsamen Jünglings weit mehr beleidiget war , als er sich hatte anmerken lassen .
Agathon , wenn er das wirklich wäre , was er zu sein schien , wäre ( dachte der weise Mann nicht ohne Grund ) eine lebendige Widerlegung seines Systems .
Wie ? sagte er zu sich selbst , ( ein Umstand , der ihm selten begegnete ) ich habe mehr als vierzig Jahre in der Welt gelebt , und unter einer unendlichen Menge von Menschen von allen Ständen und Klassen , nicht einen einzigen angetroffen , der meine Begriffe von der menschlichen Natur nicht bestätiget hätte , und dieser junge Mensch sollte mich noch an die Tugend glauben lehren ?
Es kann nicht sein ; er ist ein Phantast oder ein Heuchler .
Was er auch sein mag , ich will es ausfindig machen . -- -- Gut !
Das ist ein vortrefflicher Einfall !
Ich will ihn auf eine Probe stellen , wo er unterliegen muß , wenn er ein Schwärmer , und wo er die Maske ablegen wird , wenn er ein Komödiant ist .
Er hat gegen Cyane ausgehalten , dies hat ihn stolz und sicher gemacht .
Aber das beweist noch nichts .
Wir wollen ihn auf eine stärkere Probe setzen ; wenn er in dieser den Sieg erhält , so muß er -- ja , so will ich meine Nymphen entlassen , mein Haus den Priestern der kübele vermachen , und an den Ganges ziehen , und in der Höhle eines alten Palmbaums , mit geschloßenen Augen und den Kopf zwischen den Knien , so lange in der nämlichen Postur sitzen bleiben , bis ich , allen meinen Sinnen zu trotz , mir einbilde , daß ich nicht mehr bin ! -- Dies war ein hartes Gelübde ; auch hielt sich Hippias sehr überzeugt , daß es so weit nicht kommen würde , und damit er keine Zeit versäumen möchte ; so machte er noch an demselbigen Tag Anstalt , seinen Anschlag auszuführen .
Zweites Kapitel .
Hippias stattet einer Dame einen Besuch ab .
Die Damen zu Smyrna hatten damals eine Gewohnheit , welche ihrer Schönheit mehr Ehre machte als ihrer Sittsamkeit .
Sie pflegten sich in den warmen Monaten gemeiniglich alle Nachmittage eines kühlenden Bades zu bedienen , und , um keine lange Weile zu haben , nahmen sie um diese Zeit die Besuche derjenigen Mannspersonen an , die das Recht eines freien Zutritts in ihren Häusern hatten .
Diese Gewohnheit war in Smyrna eben so unschuldig als es der Gebrauch bei unseren westlichen Nachbarinnen ist , Mannspersonen bei der Toilette um sich zu haben ; auch kam diese Freiheit nur den Freunden zu statt , und , den besonderen Fall ausgenommen , wenn die hartnäckige Blödigkeit eines noch unerfahrenen Neulings einiger Aufmunterung nötig hatte , waren die Liebhaber gänzlich davon ausgeschlossen .
Unter einer großen Anzahl von Schönen , bei denen der weise Hippias dieses Vorrecht genoß , war auch eine , die unter dem Namen Danae den ersten Rang in derjenigen Klasse von Frauenzimmern einnahm , die man bei den Griechen Freundinnen , oder noch eigentlicher Gesellschafterinnen zu nennen pflegte .
Diese Gattung von Damen war damals unter ihrem Geschlecht , was die Sophisten unter dem männlichen ; sie Stunden in keiner geringeren Achtung , und konnten sich rühmen , daß die vollkommensten Modelle aller Vorzüge ihres Geschlechts , wenn man die strenge Tugend ansnimmt , die Aspasten , die Leontium und die Phrynen sich kein Bedenken machten von ihrem Orden zu sein .
Was die Danae betrifft , so machten die Mannspersonen zu Smyrna kein Geheimnis daraus , daß sie , ihrem Urteil nach , an Schönheit und Artigkeit alle andere Frauenzimmer , galante und spröde , tugendhafte und andächtige , übertreffe .
Es ist wahr , die Geschichte meldet nicht , daß die Damen sich sehr beeifert hätten , das Urteil der Mannspersonen durch ihren öffentlichen Beitritt zu bestätigen ; allein soviel ist gewiß , daß keine unter ihnen war , die sich selbst nicht gestanden hätte , daß , eine einzige Person ausgenommen , die sie niemals öffentlich nennen wollten , die schöne Danae alle übrigen eben so weit übertreffe , als sie von dieser einzigen Ungenannten übertroffen werde .
In der Tat war ihr Ruhm von dieser Seite so festgesetzt , daß man das Gerücht nicht unwahrscheinlich fand , welches versicherte , daß sie in ihrer ersten Jugend den berühmtesten Malern zum Modell gedient habe ; und daß sie bei einer solchen Gelegenheit den Namen erhalten , unter welchem sie in Ionien berühmt war .
Jzo hatte sie zwar das dreißigste Jahr schon zurückgelegt , allein ihre Schönheit hatte dadurch mehr gewonnen als verloren ; und der blendende Jugendglanz , der mit dem Mai des Lebens zu verschwinden pflegt , wurde durch tausend andere Reizungen ersetzt , welche ihr , nach dem Urteil der Kenner , eine gewisse Anziehungskraft gaben , die man , ohne sich eines schwülstigen Ausdrucks schuldig zu machen , in gewissen Umständen für unwiderstehlich halten konnte .
Dem ungeachtet scheute sich , unter der Ägide der Gleichgültigkeit , worin ihn damals ordentlicher Weise auch die schönsten Figuren zulassen pflegten , der weise Hippias nicht , seine Tugend öfters dieser Gefahr auszusetzen .
Er war der schönen Danae unter dem Titel eines Freundes vorzüglich angenehm , und die geheime Geschichte sagt so gar , daß sie ihn ehemals nicht unwürdig gefunden , ihm eine Zeitlang eine noch interessantere Stelle , bei ihrer Person anzuvertrauen ; eine Stelle die nur von den liebenswürdigsten seines Geschlechts bekleidet zu werden pflegte .
Diese Dame war es , deren Beihilfe Hippias sich zu Ausführung seines Anschlags wider den Agathon bedienen wollte , dessen schwärmerische Tugend , seinen Gedanken nach , eine Beschimpfung seiner Grundsätze war , die er viel weniger leiden konnte , als die scharfsinnigste Widerlegung in forma .
Er begab sich also zu der gewöhnlichen Stunde zu ihr , und war kaum in den Saal getreten , wo sie sich befand , und in den Bedürfnissen des Bades , von zweien jungen Knaben , welche eher ein paar Liebesgötter zu sein schienen , bedient wurde ; als sie schon in seinem Gesicht etwas bemerkte , das mit seiner gewöhnlichen Heiterkeit einen Absatz machte .
Was hast du , Hippias , sagte sie zu ihm , daß du eine so tiefsinnige Mine mitbringt ?
Ich weiß nicht , antwortete er , warum ich tiefsinnig aussehen sollte , wenn ich eine Dame im Bade besuche ; aber das weiß ich , daß ich dich noch nie so schön gesehen habe , als diesen Augenblik. Gut , sagte sie , das beweist , daß ich recht geraten habe .
Ich bin gewiß , daß ich heute nicht besser aussehe als das letztemal , da du mich sahst ; aber deine Phantasie ist höher gestimmt als gewöhnlich , und du schreibst den Einfluß , den sie auf deine Augen hat , großmütig auf die Rechnung des Gegenstands , den du vor dir hast ; ich wollte wetten , daß die häßlichste meiner Kammermädchen , dir in diesem Augenblick eine Grazie scheinen würde .
Ich habe , versetzte Hippias , keine Ansprüche an eine lebhaftere Einbildungskraft zu machen als Zeuxes und Aglaophon , welche sich nichts vollkommenes zu erfinden getrauten als Danae .
Welche schöne Gelegenheit zu einer neuen Verwandlung , wenn ich Jupiter wäre ! -- " Und was für eine Gestalt wolltest du annehmen , um zu gleicher Zeit meine Sprödigkeit und deine liebe Gemahlin zu hintergehen ?
Denn ich glaube kaum , daß unter allen geflügelten , vierfüßigen und kriechenden Tieren eines ist , das nicht schon einem Unsterblichen hätte dienen müssen , irgend ein ehrliches Mädchen zu beschleichen .
Ich würde mich nicht lange besinnen , sagte Hippias ; was für eine Gestalt könnte ich annehmen , die dir angenehmer und mir zu meiner Absicht bequemer wäre , als dieses Sperlings , der deine Liebhaber so oft zu einer gerechten Eifersucht reizt ; der , durch die zärtlichsten Namen anfgemuntert , mit solcher Freiheit um deinen Nacken flattert , oder mit mutwilligem Schnabel den schönsten Busen neckt , und die Liebkosungen allezeit doppelt wieder empfängt , die er dir gemacht hat .
Es ist dir leichter wie es scheint , versetzte Danae , einen Sperling an deine Stelle , als dich an die Stelle eines Sperlings zu setzen ; bald könntest du mir die Schmeicheleien meines kleinen Lieblings verdächtig machen .
Aber genug von den Wundern , die du meiner Schönheit zutrauest ; wir wollen von was anderem reden .
Weißest du , daß ich meinem Liebhaber den Abschied gegeben habe ?
" Dem schönen Hiacinthus ? "
Ihm selbst , und was noch mehr ist , mit dem festen Entschluß , seine Stelle nimmer zu ersetzen .
" Das ist eine tragische Entschließung , schöne Danae "
Nicht so sehr als du denkest .
Ich versichre dich , Hippias , meine Geduld reicht nicht mehr zu , alle Torheiten dieser abgeschmackten Gecken auszustehen , welche die Sprache der Empfindung reden wollen und nichts fühlen ; deren Herz nicht so viel als mit einer Nadelritze verwundet ist , ob sie gleich von Martern und von Flammen reden ; die unfähig sind etwas anders zu lieben als sich , und denen meine Augen nur zum Spiegel dienen sollen , um darin den Wert ihrer kleinen unverschämten Figur zu bewundern .
Kaum glauben sie ein Recht an unsere Gütigkeit zu haben , so bilden sie sich ein , daß sie uns viel Ehre erweisen , wenn sie unsere Liebkosungen mit einer zerstreuten Mine dulden .
Ein jeder Blick , den sie auf mich werfen , sagt mir , daß ich ihnen nur zum Spielzeug diene ; und die Hälfte meiner Reizungen geht an ihnen Vorloren , weil sie keine Seele haben , um die Schönheiten einer Seele zu empfinden .
Dein Unwille ist gerecht , versetzte der Sophist ; es ist verdrießlich , daß man diesen Mannsleuten nicht begreiflich machen kann , daß die Seele das liebenswürdigste an einem schönen Frauenzimmer ist .
Aber beruhige dich ; nicht alle Männer denken so unedel , und ich kenne einen , der dir gefallen würde , wenn du , zur Abwechslung , einmal Lust hättest , es mit einem geistigen Liebhaber zu versuchen .
" Und wer kann das sein , wenn man fragen darf ? "
Es ist ein Jüngling , gegen den deine Hyazinthe nur Meerkatzengesichter sind , schöner als Adonis . -- " Fi , Hippias , das ist als wie wenn du sagtest , süßer als Honigseim .
Du begreifst nicht , wie sehr mir vor diesen schönen Herren ekelt . " O ! das hat nichts zu bedeuten ; ich stehe dir für diesen .
Er hat keinen von den Fehlern der schönen Narzissen , die dir so ärgerlich sind .
Kaum scheint er es zu wissen , daß er einen Leib hat .
Das ist ein Mensch wie man nicht viele sieht , schön wie Apollo , aber geistig wie ein Zephir ; ein Mensch , der lauter Seele ist , der dich , wie du hier bist , für eine bloße Seele ansehen würde , und der alles auf eine geistige Art tut , was wir andere körperlich tun .
Du verstehst mich ja , schöne Danae ?
" Nicht wohl ; aber deine Beschreibung gefällt mir nichts desto minder .
Du sprichst doch im Ernst ? "
In ganzem Ernst :
Wenn du Lust hast die metaphysische Liebe zu kosten , so habe ich deinen Mann gefunden .
Er ist platonischer als Plato selbst -- denn ich denke , du könntest uns geheime Nachrichten von diesem berühmten Weisen geben .
" Ich erinnere mich , antwortete Danae lächelnd , daß er einmal mit einer meiner Freundinnen eine kleine Zerstreuung gehabt hat , die du ihm nicht übel nehmen mußt .
Wo ist ein Geist , dem ein hübsches Mädchen von achtzehn Jahren nicht einen Körper geben könnte ? "
Du kennest meinen Mann noch nicht , erwiderte Hippias ; die Göttin von Paphos , ja du selbst würdest es bei ihm so weit nicht bringen .
Dann kannst ihn Tag und Nacht um dich haben .
Du kannst ihn auf alle Proben stellen , du kannst ihn -- bei dir schlafen lassen , Danae , ohne daß er dir Gelegenheit geben wird , nur die mindeste kleine Ausrufung anzubringen ; kurz , bei ihm kann deine Tugend ganz ruhig einschlummern , ohne jemals in Gefahr zu kommen , aufgeweckt zu werden .
" Ach ! nun verstehe ich dich ; es verlohnte sich der Mühe nicht , den Scherz so weit zu treiben .
Ich verlange keinen Liebhaber der sich nur darum an meine Seele hält , weil ihm das übrige zu nichts nütze ist . "
Auch ist derjenige , den ich dir anpreise , weit entfernt in diese Klasse zu gehören ; mache dir darüber keinen Kummer .
Was du für die Folge einer physischen Notwendigkeit hältst , ist bei ihm die Wirkung der Tugend , und der erhabenen Philosophie , von der er Profession macht .
" Du machst mich sehr neugierig ihn zu sehen ; aber weist du , Hippias , daß meine Eitelkeit nicht zu Frieden wäre , auf eine so kaltsinnige Art geliebt zu sein .
Es ist wahr , ich bin dieser mechanischen Liebhaber von Herzen überdrüssig ; aber ich würde mit einem anderen eben so übel zu Frieden sein , der gegen dasjenige ganz unempfindlich wäre , wofür jene allein empfindlich sind .
Ein Frauenzimmer findet allezeit ein Vergnügen darin , Begierden einzuflößen , auch wann sie nicht im Sinn hat , sie zu vergnügen .
Die Spröden selbst sind von dieser Schwachheit nicht ausgenommen .
Wozu haben wir nötig , daß uns ein Liebhaber sagt , daß wir reizend sind ?
Wir wollen es aus den Wirkungen sehen , die wir auf ihn machen .
Je weiser er ist , desto schmeichelnder ist es für unsere Eitelkeit , wenn wir ihn aus seiner Fassung setzen können .
Nein , du begreifst nicht , wie sehr das Vergnügen , das uns der Anblick aller der Torheiten macht , wozu wir diese Herren der Schöpfung bringen können , alle andere übertrifft , die sie uns zu machen fähig sind .
Ein Philosoph , der zu meinen Füßen wie eine Turteldaube girret , der mir zu Gefallen seine Haare und seinen Bart kräuseln läßt , der sowohl riecht wie ein arabischer Salbenhändler , der mir den Hof zu machen , mit meinem Schoßhund schwatzt und Oden auf meinen Sperling macht -- ah !
Hippias man muß ein Frauenzimmer sein , um zu begreifen , was das für ein Vergnügen ist ! -- Ich bedaure dich ; erwiderte der schalkhafte Sophist , daß du diesem Vergnügen bei dem Liebhaber , von dem ich rede , entsagen mußt .
Er hat seine Proben schon gemacht .
Er ist zärtlich wie ein junger Seufzer , aber , wie gesagt , er ist es nur für die Seele der Schönen ; alles übrige macht keinen größeren Eindruck auf ihn , als ein Gemälde , oder eine Bildsäule .
Das wollen wir sehen , versetzte Danae ; ich verlange schlechterdings , daß du ihn diesen Abend zu mir bringest ; du wirst nur eine kleine Gesellschaft finden , die uns nicht hindern soll .
Aber wer ist denn dieser Ungenannte , von dem wir schon so lange schwatzen ? "
Es ist ein Sklave , den ich vor etlichen Wochen von einem Cilicier gekauft habe , aber ein Sklave , wie man sonst nirgends sieht .
Er ist zu Delphi im Tempel des Apollo erzogen worden , und , so viel ich vermute , wird er sein Dasein der antiplatonischen Liebe dieses Gottes zu irgend einer artigen Schäferin zu danken haben , die sich zu weit in seinen Lorbeerhain gewagt haben mag .
Er ist hernach eine geraume Zeit zu Athen gewesen , und die schönen Reden des Plato haben die romanhafte Erziehung vollendet , die er in den geheiligten Hainen zu Delphi erhalten .
Er geriet durch einen Zufall in die Hände Cilicischer Seeräuber , und aus diesen in die meinige .
Er nannte sich Pythokles ; aber weil ich diese Art von Namen nicht leiden kann , so hieß ich ihn Callias , und er verdient so zu heißen , denu er ist der schönste Mensch , den ich jemals gesehen habe .
Seine übrigen Gaben bestätigen die gute Meinung , die sein Anblick von ihm erweckt .
Er hat Verstand , Geschmack , und Wissenschaft ; er ist ein Liebhaber und ein Günstling der Musen ; aber mit allen diesen Vorzügen ist er doch nichts weiter als ein wunderlicher Kopf , ein Schwärmer und ein unbrauchbarer Mensch .
Er nennt seinen Eigensinn Tugend , weil er sich einbildet , die Tugend müsse die Antipode der Natur sein ; er hält die Ausschweifungen seiner Phantasie für Vernunft , weil er sie in einen gewissen Zusammenhäng gebracht hat ; und sich selbst für weise , weil er auf eine methodische Art raset .
Er gefiel mir beim ersten Anblick , ich faßte den Entschluß , etwas ans diesem jungen Menschen zu machen ; aber alle meine Mühe war umsonst ; und wenn es möglich ist , daß er durch jemand zu recht gebracht werden kann , so muß es durch ein Frauenzimmer geschehen ; denn ich glaube bemerkt zu haben , daß man nur durch sein Herz in seinen Kopf kommen kann .
Die Unternehmung wäre deiner würdig , schöne Danae , und wenn sie dir nicht gelingt , so ist er unverbesserlich , und verdient nichts , als daß man ihn seiner Torheit und seinem Schicksal überlasse .
Du hast meinen ganzen Ehrgeiz rege gemacht , Hippias , versetzte die schöne Danae ; bringe ihn diesen Abend mit ; ich will ihn sehen , und wenn er aus eben denselben Elementen zusammengesetzt ist , wie andere Erdensöhne , so wollen wir eine Probe machen , ob Danae ihrer Lehrmeisterin würdig ist .
Hippias war sehr erfreut , den Zweck seines Besuchs so glücklich erreicht zu haben , und versprach beim Abschied , zur bestimmten Zeit diesen wunderbaren Jüngling aufzuführen , an welchem die schöne Danae so begierig war , die Macht ihrer Reizungen zu versuchen .
Drittes Kapitel .
Geschichte der schönen Danae .
Die Dame , mit welcher unsere Leser im vorigen Kapitel Bekanntschaft gemacht , hat vermutlich einem guten Teil derselben nicht so übel gefallen , daß sie nicht eine nähere Nachricht von dem Charakter und der Geschichte derselben erwarten sollten ; und wir sind desto geneigter , ihrem Verlangen ein Genüge zu tun , je nötiger der Verfolg unserer Geschichten zu machen scheint , daß der Leser in den Stand gesetzt werde , der schönen Danae Gerechtigkeit widerfahren zu lassen .
Die allgemeine Meinung zu Smyrna war , daß sie eine Tochter der berühmten Aspafia von Milet sei , die , nachdem sie in ihrer Vaterstadt die Kunst der Galanterie , wovon sie Profession machte , durch die Verbindung derselben mit der Philosophie und den Künsten der Musen , zu jenem Grade der Vollkommenheit erhoben hatte , der sie zur wahren Erfinderin derselben zu machen schien , nach Athen gezogen war , wo sie sich ihrer seltenen Vorzüge auf eine so kluge Art zu bedienen gewußt , daß sie sich endlich zur unumschränkten Beherrscherin des großen Perikles , der das ganze Griechenland beherrschte , oder wie die komischen Dichter ihrer Zeit sich ausdrückten , zur Juno dieses atheniensischen Jupiters erhoben hatte .
Allein die Vermutungen , worauf sich diese Meinung von der Abkunft der Danae gründeten , können nicht für hinlänglich angesehen werden , das Zeugnis verschiedener Geschichtsschreiber zu überwägen , welche versichern , daß sie aus der Insel Scios gebürtig gewesen , und nach dem Tod ihrer Eltern , in ihrem vierzehnten Jahr mit einem Bruder nach Athen gekommen , um in dieser Stadt , worin alle angenehmen Talente willkommen waren , durch die ihrigen ihren Unterhalt zu gewinnen .
Die Kunst , welche sie hier trieb , war eine Art von pantomimischen Tänzen , wozu gemeiniglich nur eine oder zwei Personen erfordert wurden , und worin die tanzende Person , nach der Modulation einer Flöte oder Leier , gewisse Stücke aus der Götter und Heldengeschichte der Griechen , durch Gebärden und Bewegungen vorstellte .
Allein , da diese Kunst wegen der Menge derer die sie trieben , nicht zureichte sie zu unterhalten , so sah sich die junge Danae genötigt , den Künstlern zu Athen die Dienste eines Models zu tun ; und erhielt dadurch außer dem Nutzen , den sie davon zog , die schmeichelnde Ehre , bald als Dana , bald als Venus auf die Altäre gestellt , die Bewunderung der Kenner und die Anbetung des Pöbels zu erhalten .
Bei einer solchen Gelegenheit trug es sich zu , daß sie von dem jungen Alcibiades überraschet , und in der Stellung der Danae des Acrisius , welche sie eben vorstellte , allzureizend befunden wurde , als daß einem geringeren als Alcibiades auch nur der Anblick so vieler Schönheiten erlaubt sein sollte .
Auf der anderen Seite wurde die junge Danae von der Figur , den Manieren , dem Stand und den Reichtümern dieses liebenswürdigen Verführers so sehr eingenommen , daß er keine große Mühe hatte , sie zu bereden sich in seinen Schutz zu begeben .
Er brachte sie also in das Haus der Aspasia , welches zn gleicher Zeit eine Akademie der schönsten Geister von Athen , und eine Frauenzimmer-Schule war , worin junge Mädchen von den vorzüglichsten Gaben , unter der Aufsicht einer so vollkommen Meisterin , eine Erziehung erhielten , welche sie zu der Bestimmung geschickt machen sollte , die Großen und die Weisen der Republik in ihren Ruhestunden zu ergötzen .
Danae machte sich diese Gelegenheit sowohl zu nutze , daß sie die Gunst , und endlich selbst die Vertraulichkeit der Aspasia erhielt , welche , weit über die Niederträchtigkeit gemeiner Seelen erhaben , sich mit so vielem Vergnügen in dieser jungen Person wieder hervorgebracht sah , daß sie dadurch zu der Vermutung Anlaß gab , deren wir bereits Erwähnung getan haben .
Inzwischen genoß Alcibiades allein der Früchte einer Erziehung , wodurch die natürlichen Gaben seiner jungen Freundin zu einer Vollkommenheit entwickelt wurden , die ihr den Namen der zweiten Aspasia erwarb ; und die schöne Danae legte sich selbst die Pflicht auf , eine Treue gegen ihn zu beobachten , die er nicht zu erwidern nötig fand .
Da die Liebe zur Veränderung eine stärkere Leidenschaft bei ihm war , als die Liebe die ihm irgend ein Frauenzimmer einflössen konnte , so mußte auch Danae , nachdem sie sich eine geraume Zeit in dem ersten Platz bei ihm erhalten hatte , einer anderen weichen , die keinen Vorzug vor ihr hatte , als daß sie ihm neu war .
So schwach Danae von einer gewissen Seite sein mochte , so edel war ihr Herz in anderen Stücken .
Sie liebte den Alcibiades , weil sie von seiner Person und von seinen Eigenschaften bezaubert war , und dachte wenig daran , von seinen Reichtümern Vorteil zu ziehen .
Sie würde also nichts von ihm übrig behalten haben , als das Andenken von dem liebenswürdigsten Mann ihrer Zeit geliebt worden zu sein ; wenn er nicht eben so stolz und freigebig gewesen wäre , als sie , wider die Gewohnheit ihrer Gespielen , uneigennützig war .
Ich verlasse dich Danae , sagte er zu ihr , allein ich werde nicht zugeben , daß diejenige , die einst dem Alcibiades zugehörte , jemals genötigt sein soll , dem Reichsten zu überlassen , was nur dem Liebenswürdigsten gehört .
Mit diesen Worten drang er ihr eine Summe auf , die mehr als zulänglich war , sie von dieser Seite außer aller Gefahr zu setzen .
Der Tod der Aspasia und die Veränderungen , die er nach sich zog , bewogen sie , wenige Jahre darauf Athen zu verlassen , und nach etlichen Begebenheiten , an denen ihr Herz keinen geringen Anteil hatte , Smyrna zu ihrem beständigen Sitz zu erwählen .
Hier hatte sie Gelegenheit dem jüngern Cyrus bekannt zu werden , dessen liebenswürdige Eigenschaften durch die Feder des Xenophon eben so bekannt worden sind , als der unglückliche Ausgang der Unternehmung , wodurch er sich auf den Thron des ersten Cyrus zu schwingen hoffte .
Ihr erster Anblick unterwarf ihr das Herz dieses Prinzen , der so empfindlich gegen diejenige Art von Reizungen war , wodurch sich die Schülerinnen der Aspasia von den lebenden Statuen unterschieden , die in den Morgenländern zum Vergnügen der Großen bestimmt werden , und in der Tat zu dem einzigen Gebrauch den diese von ihnen zu machen wissen , wenig Seele nötig haben .
Allein so schmeichelhaft diese Eroberung für sie war , so konnte sie doch nichts bewegen , ihn nach Sarde zu begleiten , und ihre Freiheit der Ehre aufzuopfern , die erste seiner Sklavinnen zu sein .
Sie blieb also in Smyrna zurück , wo sie durch die großmütige Freigebigkeit des Cyrus , der sich hierin von keinem Athener übertreffen lassen wollte , in den Stand gesetzt war , ihre einzige Sorge sein zu lassen , wie sie auf die angenehmste Art leben wollte .
Sie bediente sich dieses Glücks , wie es der Name der zweiten Aspasia erforderte .
Ihre Wohnung schien ein Tempel der Musen und Grazien zu sein , und wenn Amor von einer so reizenden Gesellschaft nicht ausgeschlossen war , so war es jener Amor , den die Musen beim Anacreon mit Blumenkränzen binden , und der sich in dieser Gefangenschaft so wohl gefällt , daß Venus ihn vergeblich bereden will , sich in seine vorige Freiheit setzen zu lassen .
Die Spiele , die Scherze und die Freuden , ( wenn es uns erlaubt ist , die Sprache Homers zu gebrauchen , wo die gewöhnliche zu matt scheint ) , schlossen mit den lächelnden Stunden einen unauflößlichen Reihentanz um sie her , und Schwermut , Überdruß , und Langeweile waren mit allen anderen Feinden der Ruhe und des Vergnügens aus diesem Wohnplaz der Freude verbannt .
Wir haben , deucht uns , schon mehr als genug gesagt , um unsere Leser in keine mittelmäßige Sorge für die Tugend unseres Helden zu setzen .
In der Tat hatte er sich noch niemals in Umständen befunden , wo wir weniger hoffen dürfen , daß sie sich werde erhalten können ; die Gefahr worin sie bei der üppigen Pythia , unter den rasenden Bachantennen und in dem Hause des weisen Hippias , welches dem Stalle der Circe so ähnlich sah , geschwebt hatte , verdient nur nicht neben derjenigen genannt zu werden , welcher wir ihn bald ausgesetzt sehen werden , und deren wir ihn gerne überhoben hätten , wenn uns die Pflichten eines Geschichschreibers erlaubten , unserer freundschaftlichen Parteilichkeit für ihn , auf Unkosten der Wahrheit nachzugeben .
Viertes Kapitel .
Wie gefährlich es ist , der Besitzer einer verschönernden Einbildungskraft zu sein .
Wenn eine lebhafte Einbildungskraft ihrem Besitzer eine unendliche Menge von Vergnügen gewährt , die den übrigen Sterblichen versagt sind ; wenn ihre magische Wirkung alles Schöne in seinen Augen verschönert , und ihn da in Entzückung setzt , wo andere kaum empfinden ; wenn sie in glücklichen Stunden , ihm diese Welt zu einem Paradiese macht , und in traurigen seine Seele von der Szene seines Kummers hinwegzieht , und in andere Welten versetzt , die durch die vergrössernden Schatten einer vollkommenen Wonne seinen Schmerz bezaubern :
So müssen wir auf der anderen Seite gestehen , daß sie nicht weniger eine Quelle von Irrtümern , von Ausschweifungen und von Qualen für ihn ist , wovon er , selbst mit Beihilfe der Weisheit und mit der feurigsten Liebe zur Tugend , sich nicht eher losmachen kann , bis er , auf welche Art es nun sein mag , so weit gekommen ist , die allzugroße Lebhaftigkeit derselben zu mäßigen .
Der weise Hippias hatte , die Wahrheit zu gestehen , unserem Helden sehr wenig Unrecht getan , als er ihm eine Einbildungskraft von dieser Art zuschrieb ; ob wir ihm gleich in Absicht des Mittels nicht völlig beifallen können , wodurch selbige , seiner Meinung nach , am besten in das gehörige Gleichgewicht mit den übrigen Kräften der Seele gesetzt werden könne .
Die schlaue Danae hatte sich aus der Beschreibung des Hippias eine solche Vorstellung von dem Agathon gemacht , daß sie alles gewonnen zu haben glaubte , wenn sie nur seine Einbildungskraft auf ihre Seite gebracht haben würde .
Hippias , dachte sie , hatte nur darin gefehlt , daß er ihn durch die Sinnen verführen wollte .
Auf diese Voraussetzung machte sie einen Plan , über den sie nicht wenig vergnügt war ; und dachte so wenig daran , daß die Ausführung sie ihr eigenes Herz kosten könnte , als Agathon sich von der Gefahr träumen ließ , die dem seinigen zubereitet wurde .
Endlich kam die Stunde , die dem Hippias bestimmt worden war .
Agathon begleitete seinen Herrn , ohne zu wissen wohin .
Sie traten in einen Palast , der auf einer doppelten Reihe von ionischen Säulen ruhte , und mit vielen vergoldeten Bildsäulen ausgeziert war .
Das Inwendige dieses Hauses stimmte vollkommen mit der Pracht des äußerlichen Anblicks überein .
Allenthalben begegnete ihm das geschäftige Gewimmel von unzähligen Sklaven und Sklavinnen , wovon die ersteren alle unter zwölf Jahren zu sein schienen , und so wie die letzteren von außerordentlicher Schönheit waren .
Ihre Kleidung stellte dem Auge eine angenehme Verbindung der Einförmigkeit mit der Abwechslung vor ; einige waren in weiß , andere in himmelblau , andere in Rosenfarbe , andere in andere Farben gekleidet , und jede Farbe schien eine besondere Klasse zu bezeichnen , welcher ihre eigene Dienste angewiesen waren .
Agathon , auf den alles lebhaftere Eindrücke machte , als es nötig war , um nach dem Maßstab der Moralisten genug zu sein , wurde durch alles was er sah , so sehr bezaubert , daß er sich in eine von seinen idealischen Welten versetzt glaubte .
Allein ehe er Zeit hatte zu sich selbst zu kommen , führte ihn Hippias in einen großen und hellerleuchteten Saal , worin die Gesellschaft versammelt war , welche sie vermehren sollten .
Er hatte kaum einen Blick auf sie geworfen , als die schöne Danae ihm mit einer Anmut und Leutseligkeit die ihr eigen war , entgegen kam , und ihm sagte , daß ein Freund des Hippias das Recht habe , sich in ihrem Hause und in dieser Gesellschaft als einheimisch anzusehen .
Ein so verbindliches Kompliment verdiente wohl eine Antwort in eben diesem Ton ; allein Agathon war in diesem Augenblick außer Stand , höflich zu sein : Ein Blick , womit man den äußersten Grad des angenehmsten Erstaunens malen müßte , war alles , was er auf diese Anrede ' erwidern konnte .
Die Gesellschaft , die er versammelt fand , war aus lauter solchen Personen zusammengesetzt , welche die Vorrechte des vertrautesten Umgangs in diesem Hause genossen , und die attische Urbanität , die von der spröden , regelmäßigen und manierenreichen Politesse der heutigen Europäer so sehr verschieden war , in einem so hohen Grad als Danae selbst , besaßen .
In einer Gesellschaft nach der heutigen Art würde Agathon , in den ersten Augenblicken , da er sich darstellte , zu einer unendlichen Menge von boshaften und spöttischen Anmerkungen Stoff gegeben haben ; allein in dieser war ein flüchtiger Blick alles , was er auszuhalten hatte .
Die Unterredung wurde fortgesetzt , niemand zischelte dem anderen ins Ohr , oder schien das Erstaunen zu bemerken , mit der seine Augen die schöne Danae zu verschlingen schienen ; kurz , man ließ ihm alle Zeit die er brauchte um wieder zu sich selbst zu kommen , sofern sich anders dieser Ausdruck für die Verfassung schickt , in der er sich diesen ganzen Abend durch befand .
Vielleicht erwartet man , daß wir eine nähere Erläuterung über diesen außerordentlichen Eindruck geben sollen , welchen Danae auf unseren allzureizbaren Helden machte ; allein wir sehen uns noch außer Stand , die Neugierde des Lesers über einen Punkt zu befriedigen , wovon Agathon selbst noch nicht fähig gewesen wäre , Rechenschaft zu geben : Soviel können wir inzwischen sagen , daß diese Dame dem Anschein nach niemals weniger erwarten konnte , eine solche Wirkung zu machen ; so wenig Mühe hatte sie sich gegeben , durch einen schlauen Putz ihre Reizungen in ein günstiges Licht zu setzen .
Ein Kleid von weißem Taft , mit kleinen Streifen von Purpur , und eine halberöffnete Rose in ihrem schwarzen Haar , machte ihren ganzen Staat aus ; und von der Durchsichtigkeit , wodurch die Kleidung der Cyane den Augen unseres Helden anstößig gewesen , war die ihrige so weit entfernt , daß man mit besserem Recht an ihr hätte aussetzen können , daß sie zu sehr verhüllt sei .
Es ist wahr , sie hatte Sorge getragen , daß ein kleiner niedlicher Fuß , der an Weiße den Alabaster übertraf , dem Auge nicht immer entzogen würde ; und die ganze Schönheit ihres Gesichts war nicht vermögend , den Agathon aufmerksam zu erhalten , wenn sich dieser reizende Fuß sehen ließ .
Allein dieses , und eine schneeweiße Hand mit dem Anfang eines vollkommen schönen Arms war alles , was das neidische Gewand den vorwitzigen blicken nicht versagte ; was es also auch sein mochte , was in seinem Herzen vorging , so ist doch dieses gewiß , daß an der Person und dem Betragen der schönen Danae nicht das mindeste zu entdecken war , das einige besondere Absicht auf unseren Helden hätte anzeigen können ; und daß sie , es sei nun aus Unachtsamkeit oder Bescheidenheit , nicht einmal zu bemerken schien , daß Agathon für sie allein Augen , und über ihrem Anschauen den Gebrauch aller anderen Sinnen verloren hatte .
Fünftes Kapitel .
Pantomimen .
Nach Endigung der Mahlzeit , bei welcher Agathon beinahe einen bloßen Zuschauer abgegeben hatte , trat ein Tänzer und eine junge Tänzerin herein , die nach der Modulation eben so vieler Flöten die Geschichte des Apollo und der Daphne tanzten .
Die Geschicklichkeit der Tanzenden befriedigte alle Zuschauer ; alles an ihnen war Seele und Ausdruck , und man glaubte sie immer zu hören , ob man sie gleich nur sah .
Wie gefällt dir diese Tänzerin , Callias , fragte Danae den Agathon , welcher nur mittelmäßig aufmerksam auf dieses Spiel zu sein schien , und der einzige war , der nicht beobachtete , daß die Tänzerin von ungemeiner Schönheit , und eben so wie Cyane , kaum mit etwas mehr als gewebter Luft umhüllt war .
Mich deucht , versetzte Agathon , der jetzt erst anfing sie aufmerksamer anzusehen , mich deucht , daß sie , vielleichk aus allzugroßer Begierde zu gefallen , den Charakter verläßt den fie vorstellen soll .
Warum sieht sie sich im Fliehen um ?
Und mit einem Blick , der es ihrem Verfolger zu verweisen scheint , daß er nicht schneller ist als sie ? -- Gut , sehr gut !
( fuhr er fort , wie die Stelle kam , wo Daphne den Flußgott um Hilfe anruft , ) unverbesserlich !
Wie sie mitten in ihrem Gebet sich verwandelt !
Wie sie erbleicht !
Wie sie schauert !
Ihre Füße wurzeln mitten in einer schreckhaften Bewegung ein ; umsonst will sie ihre ausgebreiteten Arme zurückziehen . -- Aber warum dieser zärlichbange Blick auf ihren Liebhaber ?
Warum diese Träne , die in ihrem Auge zu erstarren scheint ? -- Ein allgemeines Lächeln beantwortete die Frage Agathons .
Du tadelst gerade , versetzte zuletzt einer von den Gästen , was wir am meisten bewundern .
Eine gewöhnliche Tänzerin würde nicht fähig gewesen sein , deinen Tadel zu verdienen .
Es ist unmöglich mehr Geist , mehr Feinheit und einen schöneren Kontrast in diese Rolle zu bringen , als die kleine Psyche , ( so hieß die Tänzerin ) getan hat .
Daphne selbst war nicht bestürzter gewesen , da sie sich verwandelt fühlte , als Agathon in dem Augenblick , als er den Namen Psyche hörte ; er stockte mitten in einem Worte , das er sagen wollte ; er errötete , und seine Verwirrung war so merklich , daß Danae , welche sie der Beschämung seines Tadels zuschrieb , für nötig hielt , ihm zu Hilfe zu kommen .
Der Tadel des Callias , sagte sie , beweist , daß er den Geist , womit Psyche ihre Rolle gespielt , so gut empfunden hat , als Fädrias .
Aber vielleicht ist er darum nicht minder gegründet .
Psyche sollte die Person der Daphne gespielt haben , und hat ihre eigene gespielt ; ist es nicht so , Psyche ?
Du dachtest , wie würde mir es an Daphnen Stelle gewesen sein ? -- Und wie hätte ich_es anders machen können , meine Gebieterin ? fragte die kleine Tänzerin .
" Du hättest den Charakter annehmen sollen , den ihr die Dichter geben , und hast dich begnügt dich selbst in ihre Umstände zu setzen . "
Was für ein Charakter ist denn das , erwiderte Psyche .
Einer Spröden , sagte der weise Hippias ; das ist der Lieblings-Charakter des Callias .
Abermalige Gelegenheit zum Erröten für den guten Agathon .
Du hast es nicht erraten , sagte er ; der Charakter , den Daphne nach meiner Idee haben soll , ist Gleichgültigkeit und Unschuld ; sie kann beides haben , ohne eine Spröde zu sein .
Psyche verdient also desto mehr Lob , erwiderte Fädrias ( für den sie , wie die Geschichte meldet , noch etwas mehr als eine Tänzerin war ) weil sie den Charakter verschönert hat , den sie vorstellen sollte .
Der Streit zwischen Liebe und Ehre erfordert mehr Genie um nachgeahmt zu werden , und ist für den Zuschauer rührender , als die Gleichgültigkeit , die ihr Callias geben will .
Und zudem , wo ist die junge Nymphe , die gegen die Liebe eines so schönen Gottes wie Apollo ist , gleichgültig sein könnte ?
Ich bin deiner Meinung , sagte Hippias .
Daphne flieht vor dem Apollo , weil sie ein junges Mädchen ist ; und weil sie ein junges Mädchen ist , so wünscht sie heimlich , daß er sie erhaschen möge .
Warum sieht sie sich so oft um , als um ihm zu verweisen , daß er nicht schneller sei ?
Wie er ihr so nahe ist , daß sie nicht mehr entfltehen kann , so fleht sie dem Flußgotte , daß er sie verwandeln soll .
Grimasse !
Warum stürzte sie sich nicht in den Fluß , wenn es ihr Ernst war ?
Sie tat was eine Nymphe tun soll , da sie den Flußgott anrief ; das war in der Ordnung :
Aber wer konnte auch fürchten , so schnell erhört zu werden ?
Und in welchem Augenblick konnte sie es weniger wünschen , als in eben diesem , da sie sich von den begierigen Armen ihres Liebhabers schon umschlungen fühlte ?
Hatte sie sich denn aus einem anderen Grund außer Atem gelaufen , als damit er sie desto gewisser erhaschen möchte ?
Was ist also natürlicher als der Unwille , der Schmerz und die Traurigkeit , womit sie sein Betragen erwidert , da sie die Arme , womit sie ihn -- zurückstoßen will , zu Lorbeerzweigen erstarret fühlt ?
Selbst der zärtliche Blick ist natürlich ; die Verstellung hört auf , wenn man in einen Lorbeerbaum verwandelt wird .
War nicht dieses das ganze Spiel der Psyche ?
Und kann etwas natürlicher sein ?
Es ist der Charakter eines jungen Mädchens ; eines von denen jungen Mädchen , versteht sich_es , mein lieber Callias , wie man sie in dieser materiellen Welt findet .
Ich ergebe mich , versetzte Agathon ; die Tänzerin hat alles getan , was man von ihr fordern konnte , und ich war lächerlich zu erwarten , daß sie die Idee ausführen sollte , die ich von einer Daphne in meiner Phantasie habe .
Agathon hatte dieses kaum gesprochen , als Danae , ohne ein Wort zu sagen , aufstand , der Tänzerin einen Wink gab , und mit ihr verschwand .
In einer kleinen Weile kam die Tänzerin allein wieder zurück , die Flöten singen wieder an , und Apollo und Daphne wiederholten ihre Pantomime .
Aber wie erstaunte Agathon als er sah , daß es Danae selbst war , die in der Kleidung der Tänzerin die Person der Daphne spielte !
Armer Agathon !
Allzureizende Danae !
Wer hätte es glauben sollen ?
Ihr ganzes Spiel drückte die eigenste Idee des Agathon aus , aber mit einer Anmut , mit einer Zauberei , wovon ihm seine Phantasie keine Idee gegeben hatte .
Die Empfindungen , von denen seine Seele in diesen Augenblicken überfallen wurde , waren so lebhaft , daß er sich bemühte , seine Augen von diesem zu sehr bezaubernden Gegenstand abzuziehen ; aber vergeblich !
Eine unwiderstehliche Gewalt zog sie zurück .
Wie edel , wie schön waren ihre Bewegungen !
Mit welch einer rührenden Einfalt drückte sie den Charakter der Unschuld aus !
Er sah noch in sprachloser Entzückung nach dem Orte , wo sie zum Lorbeerbaum erstarrte , als sie schon wieder verschwunden war , ohne das Lob und das Händeklatschen der Zuschauer zu erwarten , welche nicht Worte genug finden konnten , das Vergnügen auszudrücken , das ihnen Danae durch diese unerwartete Probe ihres Talents gemacht hatte .
In wenigen Minuten kam sie schon wieder in ihrer eigenen Person zurück .
Wie sehr ist Callias dir verbunden , schöne Danae , sagte Fädrias indem sie hereintrat !
Du allein konntest seinen Tadel rechtfertigen , nur diejenige konnte es , die liebenswürdig genug ist , um die Sprödigkeit selbst reizend zu machen .
Wie sehr wäre ein Apollo zu bedauern , für den du Daphne wärest !
" Es war glücklich für den guten Agathon , daß er , indem dieses mit einem bedeutenden Blick gesagt wurde , in dem Anschauen der schönen Danae so verloren war , daß er nichts hörte ; denn sonst würde ein abermaliges Erröten die Auslegung zu diesem Text gemacht haben .
Das Lob dieser Dame , und ein Gespräch über die Tanzkunst füllte den Überrest der Zeit aus , welche diese Gesellschaft noch beieinander zubrachte ; ein Gespräch , dessen Mitteilung uns der Leser gerne nachlassen wird , da wir seine Begierde nach angelegeneren Materien zu befriedigen haben .
Nur diesen Umstand können wir nicht vorbeigehen , daß Agathon bei diesem Anlaß auf einmal so beredt wurde , als er vorher tiefsinnig und stillschweigend gewesen war ; eine lächelnde Heiterkeit schimmerte um sein ganzes Gesicht , und noch niemals hatte sein Witz sich mit solcher Lebhaftigkeit hervorgetan .
Er erhielt den Beifall der ganzen Gesellschaft , und die schöne Danae selbst konnte sich nicht enthalten , ihn von Zeit zu Zeit mit einem Ausdruck von Vergnügen und Zufriedenheit anzusehen ; indessen daß in seinen nur selten von ihr abgewandten Augen etwas glänzte , für welches wir uns umsonst bemühet haben , in der Sprache der Menschen einen Namen zu finden .
Sechstes Kapitel .
Geheime Nachrichten .
Wir haben von unserem Freunde Plutarch gelernt , daß sehr kleine Begebenheiten öfters durch große Folgen merkwürdig werden , und sehr kleine Handlungen uns nicht selten tiefere Blicke in das Inwendige der Menschen tun lassen , als die feierlichen Handlungen , wozu man , weil sie dem öffentlichen Urteil ausgesetzt sind , sich ordentlicher Weise in eine gewisse mit sich selbst abgeredete Verfassung zu setzen pflegt .
Die Gründlichkeit dieser Beobachtung hat uns bewogen , in der Geschichte der Pantomime , welche das vorige Kapitel ausfüllt , so umständlich zu sein ; und wir hoffen uns deshalb vollkommen zu rechtfertigen , wenn wir diese Erzählung durch dasjenige ergänzen , was die liebenswürdige Psyche betrifft , mit welcher der Leser schon im ersten Buche , wiewohl nur im Vorbeigehen , bekannt zu werden angefangen hat .
Diese Psyche , so wie sie war , hatte bisher unter allen Wesen , welche in die Sinne fallen , ( wir setzen diese Einschränkung nicht ohne Ursache hinzu , so seltsam sie auch in antiplatonischen Ohren klingen mag ) den ersten Platz in seinem Herzen eingenommen , und er hatte , seitdem sie von ihm entfernt war , kein Frauenzimmer gesehen , die nicht durch die bloße Erinnerung an Psyche alle Macht über sein Herz und selbst über seine Sinnen verloren hätte ; deren Bewegungen , wie man weiß , sonst nicht immer mit den ersteren so parallel laufen , als gewisse Romanschreiber vorauszusetzen scheinen .
Die Wahrheit zu gestehen , so war dieses nicht die Wirkung derjenigen heroischen Treue und Standhaftigkeit in der Liebe , welche in besagten Romanen zu einer Tugend von der ersten Klasse gemacht wird ; Psyche erhielt sich im Besitz seines Herzens , weil ihm die Erinnerungen , die er von ihr hatte , angenehmer waren , als die Emfindungen , die ihm irgend eine andere Schöne einzuflößen vermocht , oder weil er bisher keine andere gesehen hatte , die so sehr nach seinem Herzen gewesen wäre .
Eine Erfahrung von etlichen Jahren beredete ihn , daß es allezeit so sein würde , und daher kam vielleicht die Bestürzung , wovon er befallen wurde , als der erste Anblick der schönen Danae ihm eine Vollkommenheit darstellte , die seiner Einbildung nach allein jenseits des Mondes anzutreffen sein sollte .
Er müsste nicht Agathon gewesen sein , - wenn diese Erscheinung sich nicht seiner ganzen Seele so sehr bemeistert hätte , wie wir gesehen haben .
Niemals , dünkte ihn , hatte er in einem so hohen Grad und in einer so seltenen Harmonie alle diese feineren Schönheiten , von denen gemeine Seelen nicht geührt zu werden fähig sind , vereiniget gesehen .
Ihre Gestalt , ihre Blicke , ihr Lächeln , ihre Gebärden , ihr Gang , alles hatte diese Vollkommenheit , welche die Dichter den Göttinnen zuzuschreiben pflegen .
Was Wunder also , daß er in den ersten Stunden nichts als anschauen und bewundern konnte , und daß seine entzückte Seele noch keine Zeit hatte auf dasjenige acht zu geben , was in ihr vorging .
In der Tat waren alle ihre übrigen Kräfte so gebunden , daß er wieder seine Gewohnheit in dieser ganzen Zeit sich seiner Psyche eben so wenig erinnerte , als ob sie nie gewesen wäre .
Allein als die junge Tänzerin zum Vorschein kam , welche die Person der Daphne spielte , so stellte einige Ähnlichkeit , die sie wirklich in der Gesichtsbildung und Figur mit Psyche hatte , ihm auf einmal , wiewohl ohne daß er sich dessen deutlich bewußt war , das Bild seiner abwesenden Geliebten vor die Augen ; seine Einbildungskraft setzte durch eine gewöhnliche mechanische Wirkung Psyche an die Stelle dieser Daphne , und wenn er so vieles an der Tänzerin auszusetzen fand , so war es im Grunde nur darum , weil die Vergleichung den Betrug des ersten Anblicks entdeckte , oder weil sie nicht Psyche war .
So gewöhnlich dergleichen Spiele der Einbildung sind , so selten ist es , daß man den Einfluß deutlich unterscheidet , den sie auf unsere Urteile oder Neigungen zu haben pflegen .
Agathon selbst , der sich von seiner ersten Jugend an eine Beschäftigung daraus gemacht hatte , den geheimen Triebfedern seiner innerlichen Vewegungen nachzuspüren , merkte dennoch nicht eher , was bei diesem Anlaß in seiner Phantasie vorging , bis der Nahme Psyche , dieser Nahme , dessen bloßer Ton sonst Musik in seinen Ohren gewesen war , ihn erschütterte , und in eine Verwirrung von Empfindungen setzte , die er selbst zu beschreiben Mühe gehabt hat ; wenn wir anders hiervon nach der besonderen Dunkelheit , die in unserer Urkunde über diese Stelle liegt , urteilen dürfen .
Was auch die Ursache dieser Bestürzung gewesen sein mag , so ist gewiß , daß er weit davon entfernt war nur zu argwohnen , der Genius seiner ersten Liebe stutze vielleicht darüber , eine Nebendenbuhlerin in einem Herzen zu finden , welches er von Psyche allein ausgefüllt zu sehen gewohnt war .
Sein Selbstbetrug , sofern es anders einer war , scheint desto mehr Entschuldigung zu verdienen , weil dieser geliebte Nahme wirklich ein wenig Augenblicken seine ganze Zärtlichkeit rege machte .
Er bemerkte nun erst deutlich die Ähnlichkeiten , welche die beiden Psychen mit einander hatten ; er verglich sie mit einem Vorurteile , welches der Abwesenden so günstig war , daß die Gegenwärtige ihr nur zum Schatten dienen mußte ; ja wir wissen nicht , ob eine so lebhafte Erinnerung nicht endlich der schönen Danae selbst Abbruch getan hätte , wenn diese , gleich als ob sie durch eine Art von Divination erraten hätte was in seiner Seele vorging , auf den glücklichen Einfall gekommen wäre , sich an den Platz der kleinen Tänzerin zu setzen , um die Vorstellung auszuführen , welche sich Agathon von einer idealischen Daphne gemacht , und deren die Geschmeidigkeit ihres Geistes sich so schnell und so glücklich zu bemächtigen gewußt hatte .
Einen schlimmeren Streiche konnte sie in der Tat der einen und der anderen Psyche nicht spielen .
Beide wurden von ihrem blendenden Glanze , wie benachbarte Sterne von dem vollen Mond , ausgelöscht .
Und wie hätte ihn auch das Bild seiner abwesenden Geliebten noch länger beschäftigen können , da alle Anschauungskräfte seiner Seele , auf diesen einzigen bezaubernden Gegenstand geheftet , ihm kaum zureichend schienen , dessen ganze Vollkommenheit zu empfinden ; da er diese sittliche Venus mit allen ihren geistigen Grazien wirklich vor sich sah , zu deren bloßen Schattenbild ihn Psyche zu erheben vermocht hatte ?
Wir wissen nicht , ob man eben ein Hippias sein müsste , um zu glauben , daß gewisse Schönheiten von einer nicht so unkörperlichen , wiewohl in ihrer Art eben so vollkommenen Natur , weit mehr als Agathon selbst gewahr wurde , zu dieser Verzückung in die idealischen Welten beigetragen haben könnten , worin er während dem pantomimischen Tanz der Danae sich befand .
Die Nymphen-mäßige Kleidung , welche dieser Tanz erforderte , war nur geschickt diese Reizungen in ihrer ganzen Macht und in dem mannigfaltigsten Lichte zu entwickeln ; und wir müssen gestehen , die Göttin der Liebe selbst hätte sich nicht zuversichtlicher als die untadelige Danae dem Auge der schärfsten Kenner , ja selbst den Augen einer Nebenbuhlerin , in diesem Aufzug überlassen dürfen .
Der Charakter der ungeschminkten Unschuld , welchen sie so unverbesserlich nachahmte , schien dadurch einen noch lebhafteren Ausdruck zu erhalten ; aber einen so lebhaften , daß ein jeder anderer als ein Agathon dabei in Gefahr gewesen wäre , die seinige zu verlieren .
Freilich hatten die übrigen Zuschauer Mühe genug , sich zu enthalten , die Rolle des Apollo in ganzem Ernste zu machen ; aber von unseren Helden hatte Danae nichts zu besorgenz und sie fand , daß Hippias nicht zuviel von ihm versprochen hatte .
Diese materiellen Schönheiten , die er nicht einmal deutlich unterschied , weil sie in seinen Augen mit den geistigen in Eins zusammengeflossen waren , mochten den Grad der Lebhaftigkeit seiner Empfindungen noch so sehr erhöhen , so konnten sie doch die Natur derselben nicht verändern ; niemals in seinem Leben waren sie reiner , Begierden-Freier , unkörperlicher gewesen .
Kurz , so widersinnig es jenen aus gröberem Stoff gebildeten Erdensöhnen , welche in dem vollkommensten Weibe nur ein Weib sehen , scheinen mag , so gewiß war es , daß Danae mit einer Gestalt und in einem Aufzug , welcher ( mit dem weisen Hippias zu reden ) einen Geist hätte verkörpern mögen , diesen seltsamen Jüngling in einen so völligen Geist verwandelte , als man jemals diesseits und vielleicht auch jenseits des Mondes gesehen hat .
Erstes Kapitel .
Was die Nacht durch in den Gemütern einiger von unseren Personen vorgegangen .
Wir haben schon so viel von der gegenwärtigen Gemütsverfassung unseres Helden gesagt , daß man sich nicht verwundern wird , wenn wir hinzusetzen , daß er den übrigen Teil der Nacht in ununterbrochenem Anschauen dieser idealen Vollkommenheit zubrachte , die seine Einbildungskraft mit einer ihr gewöhnlichen Kunst , und ohne daß er den Betrug merkte , an die Stelle der schönen Danae geschoben hatte .
Dieses Anschauen setzte sein Gemüt in eine so angenehme und ruhige Entzückung , daß er , gleich als ob nun alle seine Wünsche befriedidiget wären , nicht das geringste von der Unruhe , den Begierden , der innerlichen Gehrung , der Abwechslung von Frost und Hitze fühlte , womit die Leidenschaft , mit der man ihn , nicht ohne Wahrscheinlichkeit , behaftet glauben konnte , sich ordentlicher Weise anzukündigen pflegt .
Was die Danae betrifft , welche die Ehre hatte , diese erhabene Entzückungen in ihm zu erwecken , so brachte sie den Rest der Nacht wo nicht mit eben so erhabenen doch in ihrer Art mit eben so angenehmen Betrachtungen zu .
Agathon hatte ihr gefallen , sie war mit dem Eindruck , den sie auf ihn gemacht , zufrieden ; und sie glaubte , nach den Beobachtungen , die ihr dieser Abend bereits an die Hand gegeben , daß sie sich selbst mit gutem Grunde zutrauen könne , ihn , durch die gehörigen Gradationen , zu einem zweiten und vielleicht standhafteren Alcibiades zu machen .
Nichts war ihr hierbei angenehmer als die Bestätigung des Plans , den sie sich über die Art und Weise , wie man seinem Herzen am leichtesten beikommen könne , gemacht hatte .
Es ist wahr , daß der Einfall , sich an die Stelle der Tänzerin zu setzen , ihr erst in dem Augenblick gekommen war , da sie ihn ausführte ; allein sie würde ihn nicht ausgeführt haben , wenn sie nicht die gute Wirkung davon mit einer Art von Gewißheit vorausgesehen hätte .
Hätte sie in dem ersten Augenblick , da sie sich ihm darstellte , in ihren Gebärden , oder in ihrem Anzug das mindeste gehabt , das ihm anstößig hätte sein können , so würde es ihr schwer gewesen sein , den widrigen Eindruck dieses ersten Augenblicks jemals wieder gut zu machen .
Agathon mußte in den Fall gesetzt werden , sich selbst zu hintergehen , ohne es gewahr zu werden ; und wenn er für subalterne Reizungen empfindlich gemacht werden sollte , so mußte es durch Vermittlung der Einbildungskraft und auf eine solche Art geschehen , daß die geistigen und die materiellen Schönheiten sich in seinen Augen vermengten , und daß er in den letzteren nichts als den Widerschein der ersten zu sehen glaubte .
Danae wußte sehr wohl , daß die intelligible Schönheit keine Leidenschaft erweckt , und daß die Tugend selbst , wenn sie ( wie Plato sagt ) in sichtbarer Gestalt unaussprechliche Liebe einflössen würde , diese Wirkung mehr der blendenden Weiße und dem reizenden Kontur eines schönen Busens , als der Unschuld , die aus demselben hervorschimmerte , zuzuschreiben haben würde .
Allein das wußte Agathon noch nicht ; er mußte also betrogen werden , und , so wie sie es anging , konnte sie mit der größten Wahrscheinlichkeit hoffen , daß es ihr gelingen würde .
Der weise Hippias hatte zuviel Ursache , den Agathon bei dieser Gelegenheit zu beobachten , als daß ihm das geringste entgangen wäre , was ihn von dem glücklichen Fortgang seines Anschlags zu versichern schien .
Allein er schmeichelte sich zuviel , wenn er hoffte , Callias werde , in dem ekstatischen Zustande , worin er zu sein schien , ihn zum Vertrauten seiner Empfindungen machen .
Das Vorurteil , welches dieser wider ihn gefaßt hatte , verschloß ihm den Mund , so gern er auch dem Strome seiner Begeisterung den Lauf gelassen hätte .
Eine Danae war in seinen Augen ein so vortrefflicher Gegenstand , und das was er für sie empfand , so rein , so weit über die brutale Denkungsart eines Hippias erhaben ; daß er durch eine unzeitige Vertraulichkeit gegen diesen Ungeweihten beides zu entheiligen geglaubt hätte .
Zweites Kapitel .
Eine kleine metaphysische Abschweifung .
Es gibt so verschiedene Gattungen von Liebe , daß es , wie uns ein Kenner derselben versichert hat , nicht unmöglich wäre , drei oder vier Personen zu gleicher Zeit zu lieben , ohne daß sich eine derselben über Untreue zu beklagen hätte .
Agathon hatte in einem Alter von siebzehn Jahren für die Priesterin zu Delphi etwas zu empfinden angefangen , das derjenigen Art von Liebe gleich , die , nach dem Ausdruck des Fieldings , ein wohlzubereiteter Roastbeef einem Menschen einflößt , der guten Appetit hat .
Diese Liebe hatte , ehe er selbst noch wußte , was daraus werden könnte , der Zärtlichkeit weichen müssen , welche ihm Psyche einflößte .
Die Zuneigung , die er zu diesem liebenswürdigen Geschöpfe trug , war eine Liebe der Sympathie , eine Harmonie der Herzen , eine geheime Verwandtschaft der Seelen , die sich denen , so sie nicht aus Erfahrung kennen , unmöglich beschreiben läßt ; eine Liebe an der das Herz und der Geist mehr Anteil nimmt als die Sinnen , und die vielleicht die einzige Art von Verbindung ist , welche , ( sofern sie allgemein sein könnte ) den Sterblichen einigen Begriff von den Verbindungen und Vergnügen himmlischer Geister zu geben fähig wäre .
Wir sehen voraus , daß unsere meisten Leser bei dieser Stelle die Nase rümpfen , und zweifeln werden , ob wir uns selbst verstehen ; allein wir lassen uns dieses gar nicht anfechten .
Sancho , wenn er ( wie es ihm zuweilen begegnete ) eine Menge schöner Sachen vorgebracht hatte , wovon weder sein Herr noch irgend ein anderer , oder auch er selbst etwas verstehen konnte , pflegte sich damit zu trösten , daß er sagte :
Gott versteht mich ; und der Geschichtsschreiber des Agathons kann es ganz wohl leiden , daß diese und ähnliche Stellen seines Werkes von allen anderen Lesern für Galimathias gehalten werden , da er versichert ist , daß *** ihn versteht -- Agathon könnte also von dieser gedoppelten Art von Liebe , wovon eine die Antipode der anderen ist , aus Erfahrung sprechen ; allein diejenige , worin jene beiden sich in einander mischen , die Liebe , welche die Sinnen , den Geist und das Herz zugleich bezaubert , die heftigste , die reizendste und gefährlichste aller Leidenschaften , war ihm mit allen ihren Symptomen und Wirkungen noch unbekannt ; und es ist also kein Wunder , daß sie sich schon seines ganzen Wesens bemeistert hatte , ehe es ihm nur eingefallen war , ihr zu widerstehen .
Es ist wahr , dasjenige was in seinem Gemüte vorging , nachdem er in zweien oder drei Tagen die schöne Danae weder gesehen , noch etwas von ihr gehört hatte , hätte den Zustand seines Herzens einem unbefangenen Zuschauer verdächtig gemacht ; aber er selbst war weit entfernt das geringste Mißtrauen in die Unschuld seiner Gesinnungen zu setzen .
Was ist natürlicher , als das Verlangen , das vollkommenste und liebenswürdigste unter allen Wesen , nachdem man es einmal gesehen hat , immer zu sehen ?
Solche Schlüsse macht die Leidenschaft .
" Aber was sagte denn die Vernunft dazu ?
" die Vernunft ?
O , die sagte gar nichts .
Übrigens müssen wir doch , es mag nun zur Entschuldigung unseres Helden dienen oder nicht , den Umstand nicht aus der Acht lassen , daß er von der schönen Danae nichts anders wußte , als was er gesehen hatte .
Der Charakter , den ihr die Welt beilegte , war ihm gänzlich unbekannt ; er hatte noch keinen Anlaß , und , die Wahrheit zu sagen , auch kein Verlangen gehabt , sich danach zu erkundigeu .
Drittes Kapitel .
Worin die Absichten des Hippias einen merklichen Schritt machen .
Inzwischen waren ungefähr acht Tage verflossen , welche dem stillschweigenden und melancholischen Agathon , zu großem Vergnügen des boshaften Sophisten , achthundert Jahre deuchen , als dieser an einem Morgen zu ihm kam , und mit einer gleichgültigen Art zu ihm sagte :
Danae hat einen Aufseher über ihre Gärten und Landgüter vonnöten ; was sagst du zu dem Einfall , den ich habe , dich an diesen Platz zu setzen ?
Mich deucht , du würdest dich nicht übel zu einem solchen Amte schicken ; hast du nicht Lust in ihre Dienste zu treten ?
Ein Wort , welches Bestürzung und übermäßige Freude , Mißtranen und Hoffnung , Erblassen und Glühen zu gleicher Zeit ausdrückte , würde uns wohl zustatten kommen , die Verwirrung auszudrücken , worein diese Anrede den guten Agathon setzte .
Sie war zu groß , als daß er sogleich hätte antworten können .
Allein die Augen des Hippias , in denen er einen Teil der Bosheit las , die der Sophist zu verbergen sich bemühte , gaben ihm bald die Sprache wieder .
Wenn du Lust hast , dich auf diese Art von mir los zu machen , versetzte er mit so vieler Fassung als ihm möglich war , so habe ich nur eine Bedenklichkeit - - " Und diese ist ?
" - - daß ich mich sehr schlecht auf die Landwirtschaft verstehe .
Das hat nichts zu bedeuten , antwortete der Sophist ; du wirst Leute unter dir haben , die sich desto besser darauf verstehen , und das ist genug .
Im übrigen glaube ich , daß du mit Vergnügen in diesem Hause sein wirst .
Du liebest das Landleben , und du wirst Gelegenheit haben alle seine Annehmlichkeiten zu schmecken .
Wenn du es zufrieden bist , so gehe ich , um diese Sache in Richtigkeit zu bringen .
Du hast dir das Recht erkauft , mit mir zu machen was du willst , erwiderte Agathon .
Die Wahrheit zu sagen , fuhr Hippias fort , ungeachtet der kleinen Mißhelligkeiten unserer Köpfe , verlier ich dich ungern :
Allein Danach scheint es zu wünschen , und ich habe Verbindlichkeiten gegen sie ; sie hat , ich weiß nicht woher , eine große Meinung von deiner Fähigkeit gefaßt , und da ich alle Tage Gelegenheit haben werde , dich in ihrem Hause zu sehen , so kamich mir_es um so eher gefallen lassen , dich an eine Freundin abzutreten , von der ich gewiß bin , daß dir so begegnet werden wird , wie du es verdienest .
Agathon beharrte in dem Ton der Gleichgültigkeit , den er angenommen hatte , und Hippias , dem es Mühe genug kostete , die Spöttereien zurückzuhalten , die ihm alle Augenblicke auf die Lippen kamen , verließ ihn , ohne sich merken zu lassen , daß er wüßte , was er von dieser Gleichgültigkeit denken sollte .
Das Betragen Agathons bei diesem Anlaß wird ihn vielleicht in den Verdacht setzen , daß er sich bewußt gewesen sei , daß es nicht richtig in seinem Herzen stehe , warum hätte er sonst nötig gehabt sich zu verbergen ?
Allein man muß sich der Vorurteile erinnern , die er wider den Sophisten gefaßt hatte , um zu sehen , daß er vollkommen in seinem Charakter blieb , indem er Empfindungen vor ihm zu verbergen suchte , die einem so unverbesserlichen Anti-Platon ganz unverständlich oder vollkommen lächerlich gewesen wären .
Die Freude , welcher er sich überließ , so bald er sich allein sah , läßt uns keinen Zweifel übrig , daß er damals noch nicht das geringste Mißtrauen in sein Herz gesetzt habe .
Diese Freude war über allen Ausdruck .
Liebhaber von einer gewissen Art können sich eine Vorstellung davon machen , welche der allerbesten Beschreibung wert ist ; und den übrigen würde diese Beschreibung ungefähr so viel helfen , als eine Seekarte einem Fußgänger .
Die unvergleichliche Danae wieder zu sehen ; nicht nur wieder zu sehen , in ihrem Hause zu sein , unter ihren Augen zu leben , ihres Umgangs zu genießen , vielleicht - - ihrer Freundschaft gewürdigt zu werden - - hier hielt seine entzückte Einbildungskraft stille .
Die Hoffnungen eines gewöhnlichen Liebhabers würden weiter gegangen sein ; allein Agathon war kein gewöhnlicher Liebhaber .
Ich liebe die schöne Danae , sagte Hyacinthus , da er nach ihrem Genuß lüstern war ; eben darum liebt ihr sie nicht , würde ihm die Sokratische Diotima geantwortet haben .
Derjenige , der in dem Augenblick , da ihm seine Geliebte den ersten Kuß auf ihre Hand gestattet , einen Wunsch nach einer größeren Glückseligkeit hat , muß nicht sagen , daß er liebe .
Viertes Kapitel .
Veränderung der Szene .
Danae hatte von der Freigebigkeit des Prinzen Cyrus , außer dem Hause , welches sie zu Smyrna bewohnte , ein Landgut , in der anmutigsten Gegend außerhalb dieser Stadt , wo sie von Zeit zu Zeit einige dem Vergnügen geweihte Tage zuzubringen pflegte .
Hierher mußte sich Agathon begeben , um von seinem neuen Amte Besitz zu nehmen , und dasjenige zu veranstalten , was zum Empfang seiner Gebieterin nötig war , welche sich vorgenommen hatte , den Rest der schönen Jahrszeit auf dem Lande zu genießen .
Wir widerstehen der Versuchung , eine Beschreibung von die sein Landgut zu machen , um dem Leser das Vergnügen zu lassen , sich dasselbe so wohlangelegt , so prächtig und so angenehm vorzustellen als er selbst will .
Alles , was wir davon sagen wollen , ist , daß diejenigen , deren Einbildungskraft einiger Unterstützung nötig hat , den sechzehnten Gesang des befreiten Jerusalems lesen müßten , um sich eine Vorstellung von dem Orte zu machen , den sich diese griechische Armide zum Schauplatz der Siege auswählte , den sie über unseren Helden zu erhalten hoffte .
Sie fand nicht für gut , oder konnte es nicht über sich selbst erhalten , ihn lange auf ihre Ankunft warten zu lassen ; und sie war kaum angelangt , als sie ihn zu sich rufen ließ , und ihn durch folgende Anrede in eine angenehme Bestürzung setzte :
" Die Bekanntschaft , die wir vor einigen Tagen mit einander gemacht haben , wäre , auch ohne die Nachrichten , die mir Hippias von dir gegeben , schon genug gewesen , mich zu überzeugen , daß du für den Stand nicht geboren bist , in den dich ein widriger Zufall gesetzt hat .
Die Gerechtigkeit , die ich Personen von Verdiensten widerfahren zu lassen fähig bin , gab mir das Verlangen ein , dich aus einer Abhänglichkeit von dem Hippias zu setzen , welche die Verschiedenheit deiner Denkungsart von der seinigen , dir in die Länge beschwerlich gemacht hätte .
Er hatte die Gefälligkeit , dich mir als eine Person vorzuschlagen , die sich schickte , die Stelle eines Aufsehers in meinem Hause zu vertreten .
Ich nahm sein Erbieten an , um das Vergnügen zu haben , den Ge brauche davon zu machen , den ich deinen Verdiensten und meiner Denkungsart schuldig bin .
Du bist frei , Callias , und vollkommen Meister zu tun was du für gut befindest .
Kann die Freundschaft , die ich dir anbiete , dich bewegen bei mir zu bleiben , so wird der Nahme eines Amtes , von dessen Pflichten ich dich völlig freispreche , wenigstens dazu dienen , der Welt eine begreifliche Ursache zu geben , warum du in meinem Hause bist ; wo nicht , so soll das Vergnügen , womit ich zu Veförderung der Entwürfe , die du wegen deines künftigen Lebens machen kannst , die Hand bieten werde , dich von der Lauterkeit der Bewegungsgründe überzeugen , welche mich so gegen dich zu handeln angetrieben haben .
Die edle und ungezwungene Anmut , womit dieses gesprochen wurde , vollendete die Wirkung , die eine so großmütige Erklärung auf den Empfindungsvollen Agathon machen mußte , " was für eine Art zu denken !
was für eine Seele !
" Konnte er weniger tun , als sich zu ihren Füßen werfen , um in ausdrücken , deren Verwirrung ihre ganze Beredsamkeit ausmachte , der Bewunderung und der Dankbarkeit Luft zu machen , deren Übermaß seine Brust zersprengen zu wollen schien .
Keine Danksagungen , Callias , unterterbrach ihm die großmütige Dauae , was ich getan habe , ist nicht mehr als ich einem jeden anderen , der deine Verdienste hätte , eben sowohl schuldig zu sein glaubte - - Ich habe keine Ausdrücke für das was ich empfinde , anbetungswürdige Danae , rief der entzückte Agathon , ich nehme dein Geschenk an , um das Vergnügen zu genießen , dein freiwilliger Sklave zu sein ; eine Ehre , gegen die ich die Krone des Königs von Persien verschmähen würde .
Ja , schönste Danae , seitdem ich dich gesehen habe , kenne ich kein größer es Glück als dich zu sehen ; und wenn alles , was ich in deinem Dienste tun kann , fähig sein kann , dich von der unaussprechlichen Empfindung , die ich von deinem Werte habe , zu überzeugen ; würdig sein kann , mit einem zufriedenen Blick von dir belohnt zu werden - - o Danae ! wer wird denn so glücklich sein als ich ?
Laßt uns , sagte die bescheidene Nymphe , ein Gespräch enden , das die allzugroße Dankbarkeit deines Herzens auf einen zu hohen Ton gestimmt hat .
Ich habe dir gesagt , auf was für einem Fuß du hier sein wirst .
Ich sehe dich als einen Freund meines Hauses an , dessen Gegenwart mir Vergnügen macht , dessen Wert ich hoch schätze , und dessen Dienste mir in meinen Angelegenheiten desto nützlicher sein können , da sie freiwillig und die Frucht einer uneigennützigen Freundschaft sein werden .
Mit diesen Worten verließ sie den dankbaren Agathon , in dessen Erklärung einige vielleicht Schwülst und Unsinn , oder wenigstens zuviel Feuer und Entzückung gefunden haben werden .
Allein sie werden sich zu erinnern belieben , daß Agathon weder in einer so gelassenen Gemütsverfassung war , wie sie ; noch alles wußte , was sie durch unsere Indiskretion von der schönen Danae erfahren haben .
Wir wissen freilich was wir ungefähr von ihr denken sollen ; allein in seinen Augen war sie eine Göttin ; und zu ihren Füßen liegend konnte er , zumal bei der Verbindlichkeit , die er ihr hatte , natürlicher Weise , diese Danae nicht mit einer so philosophischen Gleichgültigkeit ansehen , wie wir anderen .
Agathon war nun also ein Hausgenosse der schönen Danae , und entfaltete mit jedem Tage neue Verdienste , die ihm dieses Glück würdig zeigten , und die seine geringe Achtung für den Hiypias ihn verhindert hatte , in dessen Hause sehen zu lassen .
Da nebst den besonderen Ergötzungen des Landlebens diese feinere Art von Belustigungen , an denen der Witz und die Musen den meisten Anteil haben , die hauptsächlichste Beschäftigung war , wozu man die Zeit in diesem angenehmen Aufenthalt anwendete ; so hatte er Gelegenheit genug , seine Talente von dieser Seite schimmern zu lassen ; und seine bezauberte Phantasie gab ihm so viele Erfindungen an die Hand , daß er keine andere Mühe hatte , als diejenigen auszuwählen , die er am geschicktesten glaubte , seine Gebieterin und die kleine Gesellschaft von vertrauten Freunden , die sich bei ihr einfanden , zu ergötzen .
So weit war es schon mit demjenigen gekommen , der vor wenigen Wochen es für eine geringschätzige Bestimmung hielt , in der Person eines unschuldigen Anagnosten die Ionischen Ohren zu bezaubern .
In der Tat können wir länger nicht verbergen , daß diese unbeschreibliche Empfindung ( wie er dasjenige nannte was ihm die schöne Danae eingeflößt hatte ) dieses ich weiß nicht was , welches wir , so wenig er es auch gestanden hätte , ganz ungescheut Liebe nennen wollen , in dem Lauf von wenigen Tagen so sehr zugenommen hatte , daß einem jeden anderen als einem Agathon die Augen über den wahren Zustand seines Herzens aufgegangen wären .
Wir , wissen wohl , daß die Umständlichkeit unserer Erzählung bei diesem Teile seiner Geschichte , den Ernsthafteren unter unseren Lesern , wenn wir anders dergleichen haben werden , sehr langweilig vorkommen wird .
Allein die Achtung , die wir ihnen schuldig sind , kann uns nicht verhindern , uns die Vorstellung zu machen , daß diese Geschichte vielleicht künftig , und wenn es auch nur aus einem Gewürzladen wäre , einem jungen noch nicht ganz ausgebrüteten Agathon in die Hände fallen könnte , der aus einer genaueren Beschreibung der Veränderungen , welche die Göttin Danae nach und nach in dem Herzen und der Denkungsart unseres Helden hervorgebracht , sich gewisse Beobachtungen und Kautelen ziehen könnte , von denen er vielleicht einen guten Gebrauch zu machen Gelegenheit bekommen möchte .
Wir glauben also , wenn wir diesem zukünftigen Agathon zu Gefallen uns die Mühe nehmen , der Leidenschaft unseres Helden von der Quelle an in ihrem wiewohl noch geheimen Lauf nachzugehen , desto eher entschuldiget zu sein , da es allen übrigen , die mit diesen Anekdoten nichts zu machen wissen , frei steht , das folgende Kapitel zu überschlagen .
Fünftes Kapitel .
Natürliche Geschichte der Platonischen Liebe .
Die Quelle der Liebe , sagt Zoroaster , oder hätte es doch sagen können , ist das Anschauen eines Gegenstandes , der unsere Einbildungskraft bezaubert .
Der Wunsch diesen Gegenstand immer anzuschauen , ist der erste Grad derselben .
Je bezaubernder dieses Anschauen ist , und je mehr die an dieses Bild der Vollkommenheit angeheftete Seele daran zu entdecken und zu bewundern findet , desto länger bleibt sie in den Grenzen dieses ersten Grades der Liebe stehen .
Dasjenige was sie hierbei erfährt , kommt anfangs demjenigen außerordentlichen Zustande ganz nahe , den man Verzückung nennt ; alle andere Sinnen , alle wirksamen Kräfte der Seele scheinen stille zu stehen , und in einen einzigen Blick , worin man keiner Zeitfolge gewahr wird , verschlungen zu sein .
Dieser Zustand ist zugewaltsam , als daß er lange dauern könnte ; langsamer oder schneller macht er der Empfindung eines unaussprechlichen Vergnügens Platz , welches die natürliche Folge jenes ekstatischen Anschauens ist , und wovon , wie einige Adepten uns versichert haben , keine andere Art von Vergnügen oder Wollust uns einen besseren Begriff geben kann , als der unreine und düstre Schein einer Pechfackel von der Klarheit des unkörperlichen Lichts , worin , nach der Meinung der Morgenländischen Weisen , die Geister als in ihrem Elemente leben .
Dieses innerliche Vergnügen äußert sich bald durch die Veränderungen , die es in dem mechanischen Teil unseres Wesens hervorbringt ; es wallt mit hüpfender Munterkeit in unseren Adern , es schimmert aus unseren Augen , es gießt eine lächelnde Heiterkeit über unfer Gesicht , und gibt allen unseren Bewegungen eine neue Lebhaftigkeit und Anmut :
es stimmt und erhöhet alle Kräfte unserer Seele , belebt das Spiel der Phantasie und des Witzes , und kleidet , so zu sagen , alle unsere Ideen in den Schimmer und die Farbe der Liebe .
Ein Liebhaber ist in diesem Augenblick mehr als ein gewöhnlicher Mensch ; er ist ( wie Plato sagt ) von einer Gottheit voll , die aus ihm redet und wirket ; und es ist keine Vollkommenheit , keine Tugend , keine Heldentat so groß , wozu er in diesem Stande der Begeisterung und unter den Augen des geliebten Gegenstands nicht fähig wäre .
Dieser Zustand dauert noch fort , wenn er gleich von demselben entfernt wird , und das Bild desselben , das seine ganze Seele auszufüllen scheint , ist so lebhaft , daß es einige Zeit braucht , bis er der Abwesenheit des Urbildes gewahr wird .
Aber kaum empfindet die Seele diese Abwesenheit , so verschwindet jenes Vergnügen mit seinem ganzen bezauberten Gefolge ; man erfährt in immer zunehmenden Geraden das Gegenteil von allen Wirkungen jener Begeisterung , wovon wir geredet haben ; und derjenige der vor kurzem mehr als ein Mensch schien , scheint nun nichts als der Schatten von sich selbst , ohne Leben , ohne Geist , zu nichts geschickt als in einöden Wildnissen wie ein Gespenst umherzuirren , den Namen seiner Göttin in Felsen einzugraben , und den tauben Bäumen seine Schmerzen vorzuseußen ; ein kläglicher Zustand , in Wahrheit , wenn nicht ein einziger Blick des Gegenstands , von dem diese seltsame Bezauberung herrührt , hinlänglich wäre , in einem Wink diesem Schatten wieder einen Leib , dem Leib eine Seele , und der Seele diese Begeisterung wieder zu geben , durch welche sie ohne Beobachtung einiger Gradation von der Verzweiflung zu unermeßlicher Wonne übergeht .
Wenn Agathon dieses alles nicht völlig in so hohem Grad erfuhr , als andere von seiner Art , so muß dieses vermutlich allein dem Einfluß beigemessen werden , die seine werte Psyche noch in dasjenige hatte , was in seinem Herzen vorging .
Allein wir müssen gestehen , dieser Einfluß wurde immer schwächer ; die lebhaften Farben , womit ihr Bild seiner Phantast ehemals vorgeschwebt hatte , wurden immer matter ; und austat daß ihn sonst sein Herz an sie erinnert hatte , mußte es jetzt von ungefähr und durch einen Zufall geschehen .
Endlich verschwand dieses Bild gänzlich ; Psyche hörte auf für ihn zu existieren , ja kaum erinnerte er sich alles dessen , was vor seiner Bekanntschaft mit der schönen Danae vorgegangen war anders , als ein erwachsener Mensch sich seiner ersten Kindheit erinnert .
Es ist also leicht zu begreifen , daß seine ganze vormalige Art zu empfinden und zu sein , einige Veränderung erlitt , und gleichsam die Farbe und den Ton des Gegenstands bekam , der mit einer so unumschränkten Macht auf ihn wirkte .
Sein ernsthaftes Wesen machte nach und nach einer gewissen Munterkeit Platz , die ihm vieles , das er ehemals mißbilliget hatte , in einem günstigeren Lichte zeigte ; seiue Sittenlehre wurde unvermerkt freier und gefälliger , und seine ehemaligen guten Freunde , die ätherischen Geister , wenn sie ja noch einigen Zutritt bei ihm hatten , mußten sich gefallen lassen , die Gestalt der schönen Danae anzunehmen , um vorgelassen zu werden .
Vor Begierde der Beherrscherin seines Herzens zu gefallen , vergaß er , sich um den Beifall unsichtbarer Zuschauer seines Lebens zu bekümmern ; und der Zustand der entkörperten Seelen dünkte ihn nicht mehr so beneidenswürdig , seitdem er im Anschauen dieser irdischen Göttin ein Vergnügen genoß , welches alle seine Einbildungen überstieg .
Der Wunsch immer bei ihr zu sein , war nun erfüllt , dem zweiten , der auf diesen gefolgt sein würde , dem Verlangen ihre Freundschaft schafft zu besitzen war sie selbst gleich anfangs großmütiger Weise zuvorgekommen , und die verbindliche und vertraute Art , wie sie etliche Tage lang mit ihm umgieng , ließ ihm von dieser Seite nichts zu wünschen übrig .
Er hatte ihre Freundschaft , nun wünschte er auch ihre Zärtlichkeit zu haben - - Ihre Zärtlichkeit ! - - Ja , aber eine Zärtlichkeit , wie nur die Einbildungskraft eines Agathons fähig ist , sich vorzustellen .
Kurz , da er anfing zu merken , daß er sie liebe , so wünschte er wieder geliebt zu werden .
Allein er liebte sie mit einer so uneigennützigen , so geistigen , so Begierdenfreien Liebe , als ob sie eine Sylphide gewesen wäre ; und der kühnste Wunsch , den er zu wagen fähig war , war nur , in derjenigen sympathetischen Verbindung der Seelen mit ihr zu stehen , wovon ihm Psyche die Erfahrung gegeben hatte .
Wie angenehm ( dachte er ) wie entzük ungsvoll , wie sehr über alles , was die Sprache der Sterblichen ausdrücken kann , müsste eine solche Sympathie mit einer Danae sein , da sie mit Psyche schon so angenehm gewesen war !
Zum Unglück für unseren Platoniker war dieses ein Plan , wozu Danae , welche dieses Mal keine Sylphide spielen wollte , sich nicht so gut anließ , als er es gewünscht hatte .
Sie fuhr immer fort sich in den Grenzen der Freundschaft zu halten , und , die Wahrheit zu sagen , sie war entweder nicht geistig genug , sich von dieser intellectualischen Liebe , von der er ihr so viel schönes vorsagte , einen rechten Begriff zu machen ; oder sie fand es lächerlich , in ihrem Alter und mit ihrer Figur eine Rolle zu spielen , die , nach ihrer Denkungsart , sich nur für eine Person fchikte , die im Bade keine Besuche mehr annimmt ; wenn sie gleich allzu bescheiden war , ihm dieses mit Worten zu sagen , so fand sie doch Mittel genug , ihm ihre Gedanken über diesen Punkt auf eine vielleicht eben so nachdrückliche Art zu erkennen zu geben .
Gewisse kleine Nachlässigkeiten in ihrem Putz , ein verräterischer Zephir , oder ihr Sperling , der indem sie neben Agathon auf einer Ruhebank saß , mit mutwilligem Schnabel an dem Gewand zerrte , das zu ihren Füßen herabfloß , schienen seiner ätherischen Liebe zu spotten , und ihm Aufmunterungen zu geben , die ein minder bezauberter Liebhaber nicht nötig gehabt hätte .
Danae hatte Ursache mit der Wirkung dieser kleinen Kunstgriffe zufrieden zu sein .
Agathon , welcher sich angewöhnt hatte , den Leib und die Seele als zwei verschiedene Wesen zu betrachten , und in dessen Augen Danae eine geraume Zeit nichts anders , als ( nach dem Ausdruck des Guide ) eine himmlische Schönheit in einem irdischen Schleier gewesen war , vermengte diese beiden Wesen je länger je mehr in seiner Phantasie mit einander , und er konnte es desto leichter , da in der Tat alle körperlichen Schönheiten seiner Göttin so beseelt , und alle Schönheiten ihrer Seele so lebhaft aus diesem reizenden Schleier hervorschimmerten , daß es beinahe unmöglich war , sich eine ohne die andere vorzustellen .
Dieser Umstand brachte zwar keine wesentliche Veränderung in seiner Art zu lieben hervor ; doch ist gewiß , daß er nicht wenig dazu beitrug , ihn unvermerkt in eine Verfassung zu setzen , welche die Absichten der schlauen Danae mehr zu begünstigen als abzuschrecken schien .
O du , für den wir aus großmütiger Freundschaft uns die Mühe gegeben haben , dieses dir allein gewidmete Kapitel zu schreiben , halte hier ein und frage dein Herz .
Wenn du eine Danae gefunden hast ( armer Jüngling ! welche Molly Seagrim kann es nicht in deinen bezauberten Augen sein ? ) und du verstehest den Schluß dieses Kapitels , so kommt unsere Warnung schon zu spät , und du bist verloren , fliehe , von dem Augenblick an , da du sie gesehen ; fliehe und Erstecke den Wunsch sie wieder zu sehen ?
Wenn du das nicht kannst ; wenn du , nachdem du diese Warnung gelesen , nicht willst :
so bist du kein Agathon mehr , so bist du was wir anderen alle sind ; tue was du willst , es ist nichts mehr an dir zu verderben .
Sechstes Kapitel .
worin der Geschichtsschreiber sich einiger Indiskretion schuldig macht .
Die schöne Danae war sehr weit entfernt , gleichgültig gegen die Vorzüge des Callias zu sein , und es kostete ihr wirklich , so gesetzt sie auch war , einige Mühe , ihm zu verbergen , wie sehr sie von seiner Liebe gerührt war , und wie gern sie sich dieselbe zu Nutz gemacht hätte .
Allein aus einem Agathon einen Alcibiades zu machen , das konnte nicht das Werk von etlichen Tagen sein , und um so viel weniger , da er durch unmerkliche Schritte , und ohne , daß sie selbst etwas dabei zu tun schien , zu einer so großen Veränderung gebracht werden mußte , wenn sie anders dauerhaft sein sollte .
Die große Kunst war , unter der Masque der Freundschaft seine Vegierden zu eben der Zeit zu reizen , da sie selbige durch eine unaffektierte Zurückhaltung abzuschrecken schien .
Allein auch dieses war nicht genug ; er mußte vorher die Macht zu widerstehen verlieren ; wenn der Augenblick einmal gekommen sein würde , da sie die ganze Gewalt ihrer Reizungen an ihm zu prüfen entschlossen war .
Eine zärtliche Weichlichkeit mußte sich vorher seiner ganzen Seele bemeistern , und seine in Vergnügen schwimmende Sinnen mußten von einer süßen Unruhe und wollüstigen Sehnsucht eingenommen werden , ehe sie es wagen wollte , einen Versuch zu machen , der , wenn er zu früh gemacht worden wäre , gar leicht ihren ganzen Plau hätte vereiteln können .
Zum Unglück für unseren Helden ersparte ihr seine magische Einbildungskraft die Hälfte der Mühe , welche sie aus einem Übermaß von Freundschaft anwenden wollte , ihm die Verwandlung , die mit ihm vorgehen sollte , zu verbergen .
Ein Lächeln seiner Göttin war genug , ihn in Vergnügen zu zerschmelzen ; ihre Blicke schienen einen überirdischen Glanz über alles auszugießen , und ihr Atem der ganzen Natur den Geist der Liebe einzuhauchen :
Was müßte denn aus ihm werden , da sie zu Vollendung ihres Sieges alles anwendete , was auch den unempfindlichsten unter allen Menschen zu ihren Füßen hätte legen können ?
Agathon wußte noch nicht , daß sie die Laute spielte , und in der Musik eine eben so große Virtuosin als in der Tanzkunst war .
Die Feste und Lustbarkeiten , in deren Erfindung er unerschöpflich war , um ihr den ländlichen Aufenthalt angenehmer zu machen , gaben ihr Anlaß , ihn durch Entdeckung dieser neuen Reizungen in Erstaunung zu setzen .
Es ist billig , sagte sie zu ihm , daß ich deine Bemühungen , mir Vergnügen zu machen , durch eine Erfindung von meiner Art erwidere .
Diesen Abend will ich dir den Wettstreit der Sirenen und der Musen geben , ein Stück des berühmten Damons , das ich noch aus Aspasiens Zeiten übrig habe , und das von den Kennern für das Meisterstück der Tonkunst erklärt wurde .
Die Anstalten sind schon dazu gemacht , und du allein sollst der Zuhörer und Richter dieses Wettgesangs sein .
Niemals hatte den Agathon eine Zeit länger getaucht , als die wenigen Stunden , die er in Erwartung dieses versprochenen Vergnügens zubrachte .
Danae hatte ihn verlassen , um durch ein erfrischendes Bad ihrer Schönheit einen neuen Glanz zu geben , indessen daß er die verschwindenden Strahlen der untergehenden Sonne einen nach dem anderen zu zählen schien .
Endlich kam die angesetzte Stunde .
Der schönste Tag hatte der anmutigsten Nacht Platz gemacht , und eine süße Dämmerung hatte schon die ganze schlummernde Natur eingeschleyert ; als plötzlich ein neuer zauberischer Tag , den eine unendliche Menge künstlich versteckter Lampen verursachte , den reizenden Schauplatz sichtbar machte , welchen die Fee dieses Orts zu diesem Lustspiel hatte zubereiten lassen .
Eine mit Lorberbäumen beschattete Anhöhe erhob sich aus einem spiegelhellen See , der mit Marmor gepflastert , und ringsum mit Myrten und Rosenhecken eingefaßt war .
Kleine Quellen schlängelten den Lorberhayn herab , und rieselten mit sanftem Murmeln oder lächelndem Klatschen in den See , an dessen Ufer hier und da kleine Grotten , mit Korallenmuscheln und anderen Seegewächsen ausgeschmückt hervorragten , und die Wohnung der Nymphen dieses Wassers zu sein schienen .
Ein kleiner Nachen in Gestalt einer Perlenmuschel , der von einem marmornen Triton emporgehalten wurde , stand der Anhöhe gegen über am Ufer , und war der Sitz , auf welchem Agathon als Richter den Wettgesaug hören sollte .
Siebentes Kapitel .
Magische Kraft der Musik .
Agathon hatte seinen Platz kaum eingenommen , als man in dem Wasser ein wühlendes Plätschern , und aus der Ferne , wie es ließ , eine sanft zerflossene Harmonie hörte , ohne jemand zu sehen , von dem sie herkäme .
Unser Liebhaber , den dieser Anfang in ein stilles Entzücken setzte , wurde , ungeachtet er zu diesem Spiele vorbereitet war , zu glauben versucht , daß er die Harmonie der Sphären höre , von deren Wirklichkeit ihn die Pythagoreischen Weisen beredet hatten ; allein , während daß sie immer näher kam und deutlicher wurde , sah er zu gleicher Zeit die Musen aus dem kleinen Lorberwäldchen und die Sirenen aus ihren Grotten hervorkommen .
Danae hatte die jüngsten und schönsten aus ihren Aufwärterinnen ausgelesen , diese Meernymphen vorzustellen , die , nur von einem wallenden Streife von him melblauem Byssus umflattert , mit Zithern und Flöten in der Hand sich über die Wellen erhoben , und mit jugendlichem Stolz untadelige Schönheiten vor den Augen ihrer eifersüchtigen Gespielen entdeckten .
Allein kleine Tritonen , bliesen , um sie her schwimmend , aus krummen Hörnern , und neckten sie durch mutwillige Spiele ; indes daß Danae mitten unter den Musen , an den Rand der kleinen Halbinsel herabstieg , und , wie Venus unter den Gratien , oder Diana unter ihren Nymphen hervorglänzend , dem Auge keine Freiheit ließ , auf einem anderen Gegenstande zu verweilen .
Ein langes Schneeweisses Gewand floß , unter dem halbentblößten Busen mit einem goldenen Gürtel umfaßt , in kleinen wallenden Falten zu ihren Füßen herab ; ein Kranz von Rosen wand sich um ihre Locken , wovon ein Teil in kunstloser Anmut um ihren Nacken schwebte ; ihr rechter Arm , auf dessen Weiße die Homerische Juno eifersüchtig hätte sein dürfen , umfaßte eine Laute von Elfenbein .
Die übrigen Musen , mit verschiedenen Saiteninstrumenten versehen , lagerten sich zu ihren Füßen ; sie allein blieb in einer unnachahmlich reizenden Stellung stehen , und hörte lächelnd der Aufforderung zu , welche die übermütigen Sirenen ihr entgegensangen .
Man muß ohne Zweifel gestehen , daß das Gemälde , welches sich in diesem Augenblick unserem Helden darstellte , nicht sehr geschickt war , weder sein Herz noch seine Sinnen in Ruhe zu lassen ; allein die Absicht der Danae war nur , ihn durch die Augen zu den Vergnügungen eines anderen Sinnes vorzubereiten , und ihr Stolz verlangte keinen geringeren Triumph , als ein so reizendes Gemälde durch die Zaubergewalt ihrer Stimme und ihrer Seiten in seiner Seele auszulöschen .
Sie schmeichelte sich nicht zu viel .
Die Sirenen hörten auf zu singen , und die Musen antworteten ihrer Ausforderung durch eine Symphonie , welche auszudrucken schien , wie gewiß sie sich des Sieges hielten .
Nach und nach verlor sich die Munterkeit , die in dieser Symphonie herrschte ; ein feierlicher Ernst nahm ihren Platz ein , das Getöne wurde immer einförmiger , bis es nach und nach in ein dunkles gedämpftes Murmeln und zuletzt in eine gänzliche Stille erstarb .
Ein allgemeines Erwarten schien dem Erfolg dieser vorbereitenden Stille entgegen zu horchen , als es auf einmal durch eine liebliche Harmonie unterbrochen wurde , welche die geflügelten und seelenvollen Finger der schönen Danae aus ihrer Laute lockten .
Eine Stimme , welche fähig schien , die Seelen ihren Leibern zu entführen , und Tote wieder zu beseelen ( wenn wir einen Ausdruck des Liebhabers der schönen Laura entlehnen dürfen ) eine so bezaubernde Stimme beseelte diese reizende Anrede .
Der Inhalt des Wettgesangs war über den Vorzug der Liebe , die sich auf die Empfindung , oder derjenigen , die sich auf die bloße Begierde gründet .
Nichts könnte rührender sein , als das Gemälde , welches Danae von der ersten Art der Liebe machte ; in solchen Tönen , dachte Agathon , ganz gewiß in keinen anderen , drücken dle Unsterblichen einander aus , was sie empfinden ; nur eine solche Sprache ist der Götter würdig .
Die ganze Zeit da dieser Gesang dauerte , dünkte ihn ein Augenblick , und er wurde ganz unwillig , als Danae auf einmal aufhörte , und eine der Sirenen , von den Flöten ihrer Schwestern begleitet , kühn genug war , es mit seiner Göttin aufzuuehmen .
Allein er wurde bald gezwungen anders Sinnes zu werden , als er sie hörte ; alle seine Vorurteile für die Muse konnten ihn nicht verhindern , sich selbst zu gestehen , daß eine fast unwiderstehliche Verführung in ihren Tönen atmete .
Ihre Stimme , die an Weichheit und Biegsamkeit nicht übertroffen werden konnte , schien alle Grade der Entzückungen auszudrücken , deren die sinnliche Liebe fähig ist ; und das weiche Getöne der Flöten erhöhte die Lebhaftigkeit dieses Ausdrucks auf einen Grad , der kaum einen Unterschied zweigen der Nachahmung und der Wahrheit übrig ließ .
Wenn die Sirenen , bei denen der kluge Ulysses vorbeifahren mußte , so gesungen haben , ( dachte Agathon ) so hatte er wohl Ursache , sich an Händen und Füßen an den Mastbaum binden zu lassen .
Kaum hatten die Sirenen diesen Gesang geendigt , so erhob sich ein frohlockendes Klatschen aus dem Wasser , und die kleinen Tritonen stießen in ihre Hörner , den Sieg anzudeuten , den sie über die Musen erhalten zu haben glaubten .
Allein diese hatten den Mut nicht verloren : Sie ermunterten sich bald wieder , und fingen eine Symphonie an , wovon der Anfang eine spottende Nachahmung des Gesanges der Sirenen zu sein schien .
Nach einer Weile wechselten sie die Tonart und den Rhythmus , und singen ein Andante an , welches in wenigen Tagen nicht die mindeste Spur von den Eindrücken übrig ließ , die der Sirenen Gesang auf das Gemüte der Hörenden gemacht haben konnte .
Eine süße Schwermut bemächtigte sich Agathons ; er sank in ein angenehmes Staunen , und freiwillige Seufzer entflohen seiner Brust , und wollüstige Tränen rollten über seine Wangen herab .
Mitten aus dieser rührenden Harmonie erhob sich der Gesang der schönen Danae , welche durch die eifersüchtigen Bestrebungen ihrer Nebenbuhlerin aufgefordert war , die ganze Vollkommenheit ihrer Stimme , und alle Zauberkräfte der Kunst anzuwenden , um den Sieg gänzlich auf die Seite der Musen zu entscheiden .
Ihr Gesang schilderte die rührenden Schmerzen einer wahren Liebe , die in ihrem Schmerzen selbst ein melancholisches Vergnügen findet ; ihre standhafte Treue und die Belohnung , die sie zuletzt von der zärtlichsten Gegenliebe erhält .
Die Art wie sie dieses ausführte , oder vielmehr die Eindrücke , die sie dadurch auf ihren Liebhaber machte , übertrafen alles was man sich davon vorstellen kann .
Sein ganzes Wesen war Ohr , und seine ganze Seele zerfloß in die Empfindungen , die in ihrem Gesauge herrschten .
Er war nicht so weit entfernt , daß Danae nicht bemerkt hätte , wie sehr er außer sich selbst war , und wie viel Mühe er hatte , um sich zu halten , aus seinem Sitz sich in das Wasser herabzustürzen , zu ihr hinüber zu schwimmen , und seine in Entzückung und Liebe zerschmolzene Seele zu ihren Füßen auszuhauchen .
Sie wurde durch diesen Anblick selbst so gerührt , daß sie genötigt war , die Augen von ihm abzuwenden , um ihren Gesang vollenden zu können :
Allein sie beschloß bei sich selbst , die Belohnung nicht länger aufzuschieben , welche sie einer so vollkommenen Liebe schuldig zu sein glaubte .
Endlich endigte sich ihr Lied ; die begleitende Symphonie hörte auf ; die beschämten Sirenen flohen in ihre Grotten ; die Musen verschwanden ; und der staunende Agathon blieb in trauriger Entzückung allein .
Achtes Kapitel .
Eine Abschweifung , wodurch der Leser zum Folgenden vorbereitet wird .
Wir können die Verlegenheit nicht verbergen , in welche wir uns durch die Umstände gesetzt senden , worin wir unseren Helden zu Ende des vorigen Kapitels verlassen haben .
Sie drohen dem erhabenen Charakter , den er bisher mit einer so rühmlichen Standhaftigkeit behauptet , und wodurch er sich zweifelsohne in eine nicht gemeine Hochachtung bei unseren Lesern gesetzt hat , einen Abfall , der denjenigen , welche von einem Helden eine vollkommene Tugend fordern , eben so anstößig sein wird , als ob sie , nach allem was bereits mit ihm vorgegangen , natürlicher Weise etwas besseres hätten erwarten können .
Wie groß ist in diesem Stücke der Borteil eines Romanendigers vor demjenigen , welcher sich anheischig gemacht hat , ohne Vorurteil oder Parteilichkeit , mit Verleugnung des Ruhms , den er vielleicht durch Verschönerung seiner Charakter , und durch Erhebung des Natürlichen ins Wunderbare sich hätte erwerben können , der Natur und Wahrheit in gewissenhafter Aufrichtigkeit durchaus getreu zu bleiben !
Wenn jener die ganze grenzenlose Welt des Möglichen zu freiem Gebrauch vor sich ausgebreitet sieht ; wenn seine Dichtungen durch den mächtigen Reiz des Erhabenen und Erstaunlichen schon sicher genug sind , unsere Einbildungskraft und unsere Eitelkeit auf seine Seite zu bringen ; wenn schon der kleinste Schein von Übereinstimmung mit der Natur hinlänglich ist , die Freunde des Wunderbaren , welche immer die größte Zahl ausmachen , von ihrer Möglichkeit zu überzeugen ; ja , wenn er volle Freiheit hat , die Natur selbst umzuschaffen , und , als ein anderer Prometheus , den geschmeidigen Ton , aus welchem er seine Halbgötter und Halbgöttinnen bildet , zu gestalten wie es ihm beliebt , oder wie es die Absicht , die er auf uns haben mag , erheischet :
So sieht sich hingegen der arme Geschichtsschreiber genötigt , auf einem engen Pfade , Schritt vor Schritt in die Fußstapfen der vor ihm hergehenden Wahrheit einzutreten , jeden Gegenstand so groß oder so klein , so schön oder so häßlich , wie er ihn wirklich sendet , abzumalen ; die Wirkungen so anzugeben , wie sie vermöge der unveränderlichen Gesetze der Natur aus ihren Ursachen herfließen ; und wenn er seiner Pflicht ein völliges Genügen getan hat , sich gefallen zu lassen , daß man seinen Helden am Ende um wenig oder nichts schätzbarer sendet , als der schlechteste unter seinen Lesern sich ungefähr selbst zu schätzen pflegt .
Vielleicht ist kein unfehlbares Mittel mit dem wenigsten Aufwand von Genie , Wissenschaft und Erfahrenheit ein gepriesener Schriftsteller zu werden , als wenn man sich damit abgibt , Menschen ( denn Menschen sollen es doch sein ) ohne Leidenschaften , ohne Schwachheit , ohne allen Mangel und Gebrechen , durch etliche Bände voll wunderreicher Abenteure , in der einförmigsten Gleichheit mit sich selbst , herumzuführen .
Ehe ihr es euch verseht , ist ein Buch fertig , das durch den erbaulichen Ton eiuer strengen Sittenlehre , durch blendende Sentenzen , durch Charaktere und Handlungen , die eben so viele Muster sind , den Beifall aller der gutherzigen Leute überraschet , welche jedes Buch , das die Tugend an _ reif _ , vortrefflich finden .
Und was für einen Beifall kann sich ein solches Werk erst alsdann versprechen , wenn der Verfasser die Kunst oder die natürliche Gabe besitzt , seine Schreibart auf den Ton der Begeisterung zu stimmen , und , verliebt in die schönen Geschöpfe seiner erhitzten Einbildungskraft , die Meinung von sich zu erwecken , daß er_es in die Tugend selber sei .
Umsonst mag dann ein verdächtiger Kunstrichter sich heiser schreien , daß ein solches Werk eben so wenig für die Talente seines Urhebers beweise , als es der Welt Nutzen schaffe ; umsonst mag er vorstellen , wie leicht es sei , die Definitionen eines Auszugs der Sittenlehre in Personen , und die Maximen des Epictets in Handlungen zu verwandeln ; umsonst mag er beweisen , daß die unfruchtbare Bewunderung einer schimärischen Vollkommenheit , welche man nachzuahmen eben so wenig wahren Vorsatz als Vermögen hat , das äußerste sei , was diese wackere Leute von ihren hochfliegenden Bemühungen zum Besten einer ungelehrigen Welt erwarten können :
Der weisere Tadler heißt ihnen ein Zoilus , und hat von Glück zu sagen , wenn das Urteil das er von einem so moralischen Werke des Witzes fällt , nicht auf seinen eigenen sittlichen Charakter zurückprallt , und die gesündere Beschaffenheit seines Gehirns nicht zu einem Beweise seines schlimmen Herzens gemacht wird .
Und wie sollte es auch anders sein können ?
Unsere Eitelkeit ist Zuseher dabei interesstert , als daß wir uns derjenigen nicht annehmen sollten , welche unsere Natur , wiewohl eigenen Gewalt , zu einer so großen Hoheit und Würdigkeit erhalten .
Es schmeichelt unserem Stolze , der sich ungern durch so viele Zeichen von Vorzügen des Stands , des Ansehens , der Macht und des äußerlichen Glanzes unter andere erniedrigt sieht , die Mittel ( wenigstens so lange das angenehme Blendwerk dauert ) in seiner Gewalt zu sehen , sich über die Gegenstände seines Neides hinauf schwingen , und sie tief im Staube unter sich zurücklassen zu können .
Und wenn gleich die unverhehlbare Schwäche unserer Natur uns auf der einen Seite , zu großem Voriheil unserer Trägheit , von der Ausübung heroischer Tugenden loszählt ; so ergötzt sich doch inzwischen unsere Eigenliebe an dem süßen Wahne , daß wir eben so wundertätige Helden gewesen sein würden , wenn uns das Schicksal an ihren Platz gesetzt hätte .
Wir müssen uns gefallen lassen , wie diese gewagten Gedanken , so natürlich und wahr sie uns scheinen , von den verschiedenen Klassen unserer Leser aufgenommen werden mögen :
Und wenn wir auch gleich Gefahr laufen sollten , uns ungünstige Vorurteile zuzuziehen ; so können wir doch nicht umhin , diese angefangene Betrachtung um so mehr fortzusetzen , je größer die Beziehung ist , welche sie auf den ganzen Inhalt der vorliegenden Geschichte hat .
Unter allen den übernatürlichen Charaktern , welche die mehrbelobten romanhaften Sittenlehrer in einen gewissen Schwung von Hochachtung gebracht haben , sind sie mit keinem glücklicher gewesen , als mit dem Heldendenthum in der Großmut , in der Tapferkeit und in der verliebten Treue .
Daher finden wir die Liebensgeschichten , Ritterbücher und Romanen , von den Zeiten des guten Bischofs Heliodorus bis zu den unsrigen , sowohl von Freunden , die einander alles , sogar die Forderungen ihrer stärksten Leidenschaften , und das angelegenste Interesse ihres Herzens aufopfern ; von Rittern , welche immer bereit sind , der ersten Infantin , die ihnen begegnet , zu gefallen , sich mit allen Riesen und Ungeheuren der Welt herumzuhauen ; und ( bis Crebillon eine bequemere Mode unter unsere Nachbarn jenseits des Rheins aufgebracht hat ) beinahe von lauter Liebhabern , welche nichts angelegenes haben , als in der Welt herumzuziehen , um die Namen ihrer Geliebten in die Bäume zu schneiden , ohne daß die reizendesten Versuchungen , denen sie von Zeit zu Zeit ausgesetzt sind , vermögend wären , ihre Treue nur einen Augenblick zu erschüttern .
Man müsste wohl sehr eingenommen sein , wenn man nicht sehen sollte , warum diese vermeinten Heldentugenden in eine so große Hochachtung gekommen sind .
Von je her haben die Schönen sich berechtiget gehalten , eine Liebe , welche ihnen alles aufopfert , und eine Beständlgkeit , die gegen alle andere Reizungen unempfindlich ist , zu erwarten .
Sie gleichen in diesem Stücke den großen Herren , welche verlangen , daß unserem Eifer nichts unmöglich sein solle , und die sich sehr wenig darum bekümmern , ob uns dasjenige , was sie von uns fordern , gelegen , oder ob es überhaupt recht und billig sei , oder nicht .
Eben so ist es für unsere Beherrscherinnen schon genug , daß der Vorteil ihrer Eitelkeit und ihrer übrigen Leidenschaften sich bei diesen vorgeblichen Tugenden am besten besendet , um einen Artabanus oder einen Grafen von Comminges zu einem größeren Mann in ihren Augen zu machen , als alle Helden des Plutarchs zusammengenommen .
Und ist die unedle Eigennützigkeit oder der feige Kleinmut , womit wir ( zumal bei jenen Völkern , wo der Tod aus sittlichen Ursachen mehr als natürlich ist , gefürchtet wird ) den größten Teil der bürgerlichen Gesellschaft angesteckt sehen , vielleicht weniger interessiert , eine sich selbst ganz vergessende Großmut und eine Tapferkeit , die von nichts erzittert , zu vergöttern ?
Je vollkommener andere sind , desto weniger haben wir nötig es zu sein ; und je höher sie ihre Tugend treiben , desto weniger haben wir bei unseren Lastern zu besorgen .
Der Himmel verhüte , daß unsere Absicht jemals sei , in schönen Seelen diese liebenswürdige Schwärmerei für die Tugend abzuschrecken , welche ihnen so natürlich und öfters die Quelle der lobenswürdigsten Handlungen ist .
Alles was wir mit diesen Bemerkungen abzielen , ist allein , daß die romanhaften Helden , von denen die Rede ist , noch weniger in dem Bezirke der Natur zu suchen seien als die geflügelten Löwen und die Fische mit Mädchenleibern ; daß es moralische Grotesken seien , welche eine müßige Einbildungskraft ausbrütet , und ein verdorbener moralischer Sinn , nach Art gewisser Indianer , desto_mehr vergöttert , je weiter ihre verhältniswürdige Mißgestalt von der menschlichen Natur sich entfernet , welche doch , mit allen ihren Mängeln , das beste , liebenswürdigste und vollkommenste Wesen ist , das wir wirklich kennen -- und daß also der Held unserer Geschichte , durch die Veränderungen und Schwachheiten , denen wir ihn unterworfen sehen , zwar allerdings , wir gestehen es , weniger ein Held , aber desto_mehr ein Mensch , und also desto geschickter sei , uns durch seine Erfahrungen , und selbst durch seine Fehler zu belehren .
Wir können indes nicht bergen , daß wir aus verschiedenen Gründen in Versuchung geraten sind , der historischen Wahrheit dieses einzige Mal Gewalt anzutun , und unseren Agathon , wenn es auch durch irgend einen Deum ex Machina hätte geschehen müssen , so unversehrt aus der Gefahr , worin er sich wirklich befindet , herauszuwickeln , als es für die Ehre des Platonismus , die er bisher so schön behauptet hat , allerdings zu wünschen gewesen wäre .
Allein da wir in Erwägung zogen , daß diese einzige poetische Freiheit uns nötigen würde , in der Folge seiner Begebenheiten so viele andere Entrungen vorzunehmen , daß die Geschichte Agathons wirklich die Natur einer Geschichte verloren hätte , und zur Legende irgend eines moralischen Don Esplandians geworden wäre :
So haben wir uns aufgemuntert , über alle die ekeln Bedenklichlichkeiten hinauszugehen , die uns anfänglich stutzen gemacht hatten , und uns zu überreden , daß der Nutzen , den unsere verständigen Leser sogar von den Schwachheiten unseres Helden in der Folge zu ziehen Gelegenheit bekommen könnten , ungleich größer sein dürfte , als der zweideutige Vorteil , den die Tugend dadurch erhalten hätte , wenn wir , durch eine unwahrscheinlichere Dichtung als man im ganzen Orlando unseres Freunds Ariosst finden wird , die schöne Danae in die Notwendigkeit gesetzt hätten , in der Stille von ihm zu denken , was die berühmte Phryne bei einer gewissen Gelegenheit von dem weisen Xenorates öffentlich gesagt haben soll .
So wisset dann , schöne Leserinnen , ( und hütet euch , stolz auf diesen Sieg eurer Zaubermacht zu sein , ) daß Agathon , nachdem er eine ziemliche Weile in einem Gemütszustand , dessen Abschilderung den Pinsel eines Thomsons oder Geßners erforderte , allein zurückgeblieben war , wir wissen nicht ob aus eigener Bewegung oder durch den geheimen Antrieb irgend eines antiplatonischen Genius den Weg gegen einen Pavillion genommen , der auf der Morgensette des Gartens in einem kleinen Hain von Citronen-Granaten-und Myrtenbäumen auf ionischen Säulen von Jaspis ruhte ; daß er , weil er ihn erleuchtet gefunden , hineingegangen , und nachdem er einen Saal , dessen herrliche Auszierung ihn nicht einen Augenblick aufhalten konnte , und zwei oder drei kleinere Zimmer durchgeeilt , in einem Cabinet , welches für die Ruhe der Liebesgöttin bestimmt schien , die schöne Danae auf einem Sofa von nelkenfarbem Atlas schlafend angetroffen ; daß er , nachdem er sie eine lange Zeit in unbeweglicher Entzückung und mit einer Zärtlichkeit , deren innerliches Gefühl alle körperliche Wollust an Süßigkeit übertrifft , betrachtet hatte , endlich -- -- von der Gewalt der allmächtigen Liebe bezwungen , sich nicht länger zu enthalten vermocht , zu ihren Füßen kniend , eine von ihren nachlässig ausgestreckten schönen Händen mit einer Inbrunst , wovon wenige Liebhaber sich eine Vorstellung zu machen jemals verliebt genug gewesen sind , zu küssen , ohne daß sie daran erwacht wäre ; daß er hierauf noch weniger als zuvor sich entschließen können , so unbemerkt als er gekommen , sich wieder hinwegzuschleichen ; und kurz , daß die kleine Psyche , die Tänzerin , welche seit der Pantomime , man weiß nicht warum , gar nicht seine Freundin war , mit ihren Augen gesehen haben wollte , daß er eine ziemliche Weile nach Anbruch des Tages , allein , und mit einer Mine , aus welcher sich sehr vieles habe schließen lassen , aus dem Pavillion hinter die Myrtenhecken sich weggestohlen habe .
Neuntes Kapitel .
Nachrichten zu Verhütung eines besorglichen Mißverstandes .
Die Tugend ( pflegt man dem Horaz nachzusagen ) ist die Mittelstrasse zwischen zweien Abwegen , welche beide gleich sorgfältig zu vermeiden sind .
Es ist ohne Zweifel wohl getan , wenn ein Schriftsteller , der sich einen wichtigeren Zweck als die bloße Ergötzung seiner Leser vorgesetzt hat , bei gewissen Anläsen , anstatt des zaumlosen Mutwillens vieler von den neueren Franzosen , lieber die bescheidene Zurückhaltung des jungfräulichen Virgils nachahmet , welcher bei einer Gelegenheit , wo die Angola's und Versorand's alle ihre Malerkunst verschwendet , und sonst nichts besorget hätten , als daß sie nicht lebhaft und deutlich genug sein möchten , sich begnügt uns zu sagen :
" Daß Dido und der Held in Eine Höhle kamen . "
Allein wenn diese Zurückhaltung so weit ginge , daß die Dunkelheit , welche man über einen schlüpfrigen Gegenstand ausbreitete , zu Mißverstand und Jrrium Anlaß geben könnte :
So würde sie , deucht uns , in eine falsche Scham ausarten ; und in solchen Fällen scheint uns ratsamer zu sein , den Vorhang ein wenig wegzuziehen , als aus übertriebener Bedenklichkeit Gefahr zu laufen , vielleicht die Unschuld selbst ungegründeten Vermutungen auszusetzen .
So ärgerlich also gewissen Leserinnen , deren strenge Tugend bei dem bloßen Namen der Liebe Dampf und Flammen speit , der Anblick eines schönen Jünglings zu den Füßen einer selbst im Schlummer lauter Liebe und Wollust atmenden Danae billig sein mag ; so können wir doch nicht vorbeigehen , uns noch etliche Augenblicke bei diesem anstößigen Gegenstande aufzuhalten .
Man ist so geneigt , in solchen Fällen der Einbildungskraft den Zügel schießen zu lassen , daß wir uns lächerlich machen würden , wenn wir behaupten wollten , daß unser Held die ganze Zeit , die er ( nach dem Vorgeben der kleinen Tänzerin ) in dem Pavillion zugebracht haben soll , sich immer in der ehrfurchtsvollen Stellung gehalten habe , worin man ihn zu Ende des vorigen Kapitels gesehen hat .
Wir müssen vielmehr besorgen , daß Leute , welche nichts dafür können , daß sie keine Agathons sind , vielleicht so weit gehen möchten , ihn im Verdacht zu haben , daß er sich den tiefen Schlaf , worin Danae zu liegen schien , auf eine Art zu nutze gemacht haben könnte , welche sich ordentlicher Weise nur für einen Faunen schickt , und welche unser Freund Johann Jacob Rousseau selbst nicht schlechterdings gebilligt hätte , so scharfsinnig er auch ( in einer Stelle seines Schreibens an Herrn Dalembert ) dasjenige zu rechtfertigen weißt , was er " eine stillschweigende Einwilligung abnötigen " nennt .
Um nun unseren Agathon gegen alle solche unverschuldete Mutmassungen sicher zu stellen , müssen wir zur Steuer der Wahrheit melden , daß selbst die reizende Lage der schönen Schläferin , und die günstige Leichtigkeit ihres Anzugs , welche ihn einzuladen schien , seinen Augen alles zu erlauben , seine Bescheidenheit schwerlich überrascht haben würden , wenn es ihm möglich gewesen wäre , der zauberischen Gewalt der Empfindung , in welche alle Kräfte seines Wesens zerflossen schienen , Widerstand zu tun .
Wir wagen nicht zuviel , wenn wir einen solchen Widerstand in seinen Umständen für unmöglich erklären , nachdem er einem Agathon unmöglich gewesen ist .
Er überließ also endlich seine Seele der vollkommensten Wonne ihres edelsten Sinnes , dem Anschauen einer Schönheit , welche selbst seine idealische Einbildungskraft weit hinter sich zurücke ließ ; und ( was nur diejenigen begreifen werden , welche die wahre Liebe kennen , ) dieses Anschauen erfüllte sein Herz mit einer so reinen , vollkommenen , unbeschreiblichen Befriedigung , daß er alle Wünsche , alle Ahnungen einer noch größeren Glückseligkeit darüber vergessen zu haben schien .
Vermutlich ( denn gewiß können wir hierüber nichts entscheiden ) würde die Schönheit des Gegenstands allein , so außerordentlich sie war , diese sonderbare Wirkung nicht getan haben ; allein dieser Gegenstand war seine Geliebte , und dieser Umstand verstärkte die Bewunderung , womit auch die Kaltsinnigsten die Schönheit ansehen müssen , mit einer Empfindung , welche noch kein Dichter zu beschreiben fähig gewesen ist , so sehr sich auch vermuten läßt , daß sie den meisten aus Erfahrung bekannt gewesen sein könne .
Diese namenlose Empfiudung ist es allein , was den wahren Liebhaber von einem Satyren unterscheidet , und was eine Art von sittlichen Grazien sogar über dasjenige ausbreitet , was bei diesem nur das Werk des Justinkts , oder eines animalischen Hungers ist .
Welcher Satyr würde in solchen Augenblicken fähig gewesen sein , wie Agathon zu handeln ?
-- Behutsam und mit der leichten Hand eines Sylphen zog er das seidene Gewand , welches Amor verräterisch aufgedeckt hatte , wieder über die schöne Schlafende her , warf sich wieder zu den Füßen ihres Ruhebettes , und begnügte sich , ihre nachlässig ausgestreckte Hand , aber mit einer Zärtlichkeit , mit einer Entzückung und Sehnsucht an seinen Mund zu drücken , daß eine Bildsäule davon hätte erweckt werden mögen .
Sie musste also endlich erwachen .
Und wie hätte sie auch sich dessen länger erwehren können , da ihr bisheriger Schlummer wirklich nur erdichtet gewesen war ?
Sie hatte aus einer Neugierigkeit , die in ihrer Verfassung natürlich scheinen kann , sehen wollen , wie ein Agathon bei einer so schlüpfrigen Gelegenheit sich betragen würde ; und dieser letzte Beweis einer vollkommenen Liebe , welche , ungeachtet ihrer Erfahrenheit , alle Annehmlichkeiten der Neuheit für sie hatte , rührte sie so sehr , daß sie , von einer ungewohnten und unwiderstehlichen Empfindung überwunden , in einem Angenblik , wo sie zum erstenmal zu lieben und geliebt zu werden glaubte , nicht mehr Meisterin von ihren Bewegungen war .
Sie schlug ihre schönen Augen auf , Augen die in den wollüstigen Tränen der Liebe schwammen , und dem entzückten Agathon sein ganzes Glück auf eine unendlich vollkommenere Art entdeckten , als es das beredteste Liebesgeständnis hätte tun können .
O Callias !
( rief sie endlich mit einem Ton der Stimme , der alle Seiten seines Herzens widerhallen machte , indem sie , ihre schönen Arme um ihn windend , den Glückseligsten aller Liebhaber an ihren Busen drückte , ) -- was für ein neues Wesen gibst du mir ?
Genieße , o ! genieße , du Liebenswürdigster unter den Sterblichen , der ganzen unbegrenzten Zärtlichkeit , die du mir einflössest .
Und hier , ohne den Leser unnötiger Weise damit aufzuhalten , was sie ferner sagte , und was er antwortete , überlassen wir den Pinsel einem Correggio , und schleichen uns davon .
Aber wir fangen an , zu merken , wiewohl zu späte , daß wir unseren Freund Agathon auf Unkosten seiner schönen Freundin gerechtfertigt haben .
Es ist leicht vorauszusehen , wie wenig Gnade sie vor dem ehrwürdigen und glücklichen Teil unserer Leserinnen finden werde , welche sich bereden ( und vermutlich Ursache dazu haben ) daß sie in ähnlichen Umständen sich ganz anders als Danae betragen haben würden .
Auch finde wir weit davon entfernt , diese allzuzärtliche Nymphe entschuldigen zu wollen , so scheinbar auch immer die Liebe ihre Vergehungen zu bemänteln weiß .
Indessen bitten wir doch die vorbelobten Lukretien um Erlaubnis , dieses Kapitel mit einer kleinen Nuzanwendung , auf die sie sich vielleicht nicht gefaßt gemacht haben , schließen zu dürfen .
Diese Damen ( mit aller Ehrfurcht die wir ihnen schuldig sind , sei es gesagt ) würden sich sehr betrügen , wenn sie glaubten , daß wir die Schwachheiten einer so liebenswürdigen Kreatur , als die schöne Danae ist , nur darum verraten hätten , damit sie Gelegenheit bekämen , ihre Eigenliebe daran zu kitzeln .
Wir sind in der Tat nicht so sehr Neulinge in der Welt , daß wir uns überreden lassen sollten , daß eine jede , welche sich über das Betragen unserer Danae ärgern wird , an ihrer Stelle weiser gewesen wäre .
Wir wissen sehr wohl , daß nicht alles , was das Gepräge der Tugend führt , wirklich echte und völlhaltige Tugend ist ; und daß sechzig Jahre , oder eine Figur , die einen Sylvansatyren entwaffnen könnte , kein oder sehr wenig Recht geben , sich viel auf eine Tugend zu gut zu tun , welche vielleicht niemand jemals versucht gewesen ist , auf die Probe zu stellen .
Wir zweifeln mit gutem Grunde sehr daran , daß diejenigen , welche von einer Danae am unbarmherzigsten urteilen , an ihrem Platz einem viel weniger gefährlichen Versucher als Agathon war , die Augen auskratzen würden :
Und wenn sie es auch täten , so würden wir vielleicht anstehen , ihrer Tugend beizumessen , was eben sowohl die mechanische Wirkung unreizbarer Sinnen , und eines unzärtlichen Herzens , hätte gewesen sein können .
Unser Augenmerk ist bloß auf euch gerichtet , ihr liebreizenden Geschöpfe , denen die Natur die schönste ihrer Gaben , die Gabe zu gefallen , geschenkt -- ihr , welche sie bestimmt hat , uns glücklich zu machen ; aber , welche eine einzige kleine Unvorsichtigkeit in Erfüllung dieser schönen Bestimmung so leicht in Gefahr setzen kann , durch die schätzbarste eurer Eigenschaften , durch das was die Anlage zu jeder Tugend ist , durch die Zärtlichkeit eures Herzens selbst , unglücklich zu werden : Euch allein wünschten wir überreden zu können , wie gefährlich jene Einbildung ist , womit euch das Bewußtsein eurer Unschuld schmeichelt , daß es allezeit in eurer Macht stehe , der Liebe und ihren Forderungen Grenzen zu setzen .
Möchten die Unsterblichen ( wenn anders , wie wir hoffen , die Unschuld und die Güte des Herzens himmlische Beschützer hat , ) möchten sie über die eurige wachen !
Möchten sie euch zu rechter Zeit warnen , euch einer Zärtlichkeit nicht zu vertrauen , welche , bezaubert von dem großmütigen Vergnügen , den Gegenstand ihrer Liebe glücklich zu machen , so leicht sich selbst vergessen kann !
Möchten sie endlich in jenen Augenblicken , wo das Anschauen der Entzückungen , in die ihr zu setzen fähig seid , eure Klugheit überraschen könnte , euch in die Ohren flüstern :
Daß selbst ein Agathon , weder Verdienst noch Liebe genug hat , um wert zu sein , daß die Befriedigung seiner Wünsche euch die Ruhe eures Herzens koste .
Zehntes Kapitel .
Welches alle unsere verheiratete Leser , sofern sie nicht sehr glücklich oder vollkommene Stoiker sind , überschlagen können .
Die schöne Danae war keine von denen , welche das , was sie tun , nur zur Hälfte tun .
Nachdem sie einmal beschlossen hatte , ihren Freund glücklich zu machen , so vollführte sie es auf eine Art , welche alles was er bisher Vergnügen und Wonne genannt hatte , in Schatten und Wolkenbilder verwandelte .
Man erinnert sich vermutlich noch , daß eine Art von Vorwitz oder vielmehr ein launischer Einfall , die Macht ihrer Reizungen an unserem Helden zu probieren , anfangs die einzige Triebfeder der Anschläge war , welche sie auf sein Herz gemacht hatte .
Die persönliche Bekanntschaft belebte dieses Vorhaben durch den Geschmack , den sie an ihm fand ; und der tägliche Umgang , die Vorzüge Agathons , und , was in den Meister Fällen die Niederlage der weiblichen Tugend wo nicht allein verursacht , doch sehr befördert , die ansteckende Kraft , das Sympathetische der verliebten Begeisterung , welcher der göttliche Plato mit Recht die wundertätigsten Kräfte zuschreibt ; alles dieses zusammen genommen , verwandelte zuletzt diesen Geschmack in Liebe , aber in die wahrste , zärtlichste und heftigste , welche jemals gewesen ist .
Unserem Helden allein war die Ehre aufbehalten ( wenn es eine war ) ihr eine Art von Liebe einzuflößen , worin sie , ungeachtet alles dessen , was uns von ihrer Geschichte schon entdeckt worden ist , noch so sehr ein Neuling war , als es eine Vestalin in jeder Art von Liebe sein soll .
Kurz , er , und er allein , war dazu gemacht , den Widerwillen zu überwinden , den ihr die gemeinen Liebhaber , die schönen Hyazinthe , diese tändelnden Gecken , an denen ( um uns ihres eigenen Ausdrucks zu bedienen ) die Hälfte ihrer Reizungen verloren ging ; gegen alles was die Mine der Liebe trug , einzuflößen angefangen hatten .
Die meisten von derjenigen Klasse der Naturkündiger , welche mit dem Herrn von Buffon davorhalten , daß das Physikalische der Liebe das beste davon sei , werden ohne Bedenken eingestehen , daß der Besitz , oder ( um unseren Ausdruck genauer nach ihren Ideen zu bestimmen ) der Genuß einer so schönen Frau als Danae war , an sich selbst betrachtet die vollkommensie Art von Vergnügungen in sich schließe , deren unsere Sinnen fähig sind ; eine Wahrheit , welche , ungeachtet einer Art von stillschweigender Übereinkunft , daß man sie nicht laut gestehen wolle , von allen Völkern und zu allen Zeiten so allgemein anerkannt worden ist , daß Carneades , Sextus , Cornelius Agrippa , und Bayle selbst sich nicht getrauet haben , sie in Zweifel zu ziehen .
Ob wir nun gleich nicht Mut genug besitzen , gegen einen so ehrwürdigen Beweis als das einhellige Gefühl des ganzen menschlichen Geschlechts abgibt , öffentlich zu behaupten , daß diejenigen Vergnügungen der Liebe , welche der Seele eigen sind , den Vorzug vor jenen haben : So werden doch nicht wenige mit uns einstimmig sein , daß ein Liebhaber , der selbst eine Seele hat , im Besitz der schönsten Statur von Fleisch und Blut , die man nur immer finden kann , selbst jene von den neueren Epikureern so hoch gepriesene Wollust nur in einem sehr unvollkommenen Grade erfahren würde ; und daß diese allein von der Empfindung des Herzens jenen wunderbaren Reiz erhalte , welcher immer für unaussprechlich gehalten worden ist , bis Rousseau , der Stoiker , sich herabgelassen , sie in dem fünf und vierzigsten der Briefe der neuen Heloise , in einer Vollkommenheit zu schildern , welche sehr deutlich beweist , was für eine begeisternde Kraft die bloße halberloschene Erinnerung an die Erfahrungen seiner glücklichen Jugend über die Seele des Helvetischen Epictets ausgeübt haben müsse .
Ohne Zweifel sind es Liebhaber von dieser Art , Saint Preux und Agathons , welchen es zukommt , über die berührte Streitfrage einen entscheidenden Ausspruch zu tun ; sie , welche durch die Feinheit und Lebhaftigkeit ihres Gefühls eben so geschickt gemacht werden , von den physikalischen , als durch die Zärtlichkeit ihres Herzens , oder durch ihren innerlichen Sinn für das sittliche Schöne , von den moralischen Vergnügungen der Liebe zu urteilen .
Und wie wahr , wie natürlich werden nicht diese jene Stelle finden , die den Verehrern der animalischen Liebe unverständlicher ist als eine Hetruscische Aufschrift den Gelehrten , -- " O , entziehe mir immer diese berauschenden Entzückungen , für die ich tausend Leben gäbe ! --
Gib mir nur das alles wieder was nicht sie , aber tausendmal süßer ist als sie " -- Die schöne Danae war so sinnreich , so unerschöpflich in der Kunst ( wenn man anders dasjenige so nennen kann , was Natur und Liebe allein , und keine ohne die andere geben kann ) ihre Gunstbezeugungen zu vervielfältigen , den innerlichen Wert derselben durch die Annehmlichkeiten der Verzierung zu erhöhen , ihnen immer die frische Blüte der Neuheit zu erhalten , und alles Eintönige , alles was die Bezauberung hätte auflösen , und dem Überdruß den Zugang öfuen können , klüglich zu entfernen ; daß sie oder eine andere ihres gleichen den Herrn von Buffon selbst dahin gebracht hätte , seine Gedanken von der Liebe zu ändern , welches vielleicht alle Marquisinnen von Paris zusammengenommen nicht von ihm erhalten würden .
Diese glückseligen Liebenden , brauchten , um ihrer Empfindung nach , den Göttern an Wonne gleich zu sein , nichts als ihre Liebe : Sie verschmähten jetzt alle diese Lustbarkeiten , an denen sie vorher so viel Geschmack gefunden hatten ; ihre Liebe machte alle ihre Beschäftigungen und alle ihre Ergötzungen aus : Sie empfanden nichts anders , sie dachten an nichts anders , sie unterhielten sich mit nichts anderem ; und doch schienen sie sich immer zum erstenmal zu sehen , zum erstenmal zu umarmen , zum erstenmal einander zu sagen , daß sie sich liebten ; und wenn sie von einer Morgenröte zur anderen nichts anders getan hatten , so beklagten sie sich doch über die Kargheit der Zeit , welche zu einem Leben , das sie zum Besten ihrer Liebe unsterblich gewünscht hätten , ihnen Augenblicke für Tage anrechne .
Welch ein Zustand , wenn er dauern könnte ! -- ruft hier der griechische Autor aus .
Elftes Kapitel .
Eine bemerkenswürdige Wirkung der Liebe , oder von der Seelenmischung .
Ein alter Schriftsteller , den gewiß niemand beschuldigen wird , daß er die Liebe zu metaphysisch behandelt habe , und den wir nur zu nennen brauchen , um allen Verdacht dessen , was materielle Seelen für Platonische Grillen erklären , von ihm zu entfernen ; mit einem Worte , Petronius , bedient sich irgendwo eines Ausdrucks , welcher ganz deutlich zu erkennen gibt , daß er eine verliebte Vermischung der Seelen nicht nur für möglich , sondern für einen solchen Umstand gehalten habe , der die Geheimnisse der Liebesgöttin natürlicher Weise zu begleiten pflege .
Jam alligata mutuo ambitu corpora animarum quoque mixturam fecerant , sagt dieser Oberaufseher der Ergötzlichkeiten des Kaisers Nero ; um vermutlich eben dasselbe zu bezeichnen , was er an einem anderen Ort ungleich schöner also ausdrückt :
Et transfudimus hinc & hinc labellis Errantes animas -- Ob er selbst die ganze Stärke dieses Ausdrucks eingesehen , oder ihm so viel Bedeutung beigelegt habe , als wir ; ist eine Frage , die uns ( nach Gewohnheit der meisten Ausleger ) sehr wenig bekümmert .
Genug , daß wir diese Stellen einer Hypothese günstig finden , ohne welche sich , unserer Meinung nach , verschiedene Phänomena der Liebe nicht wohl erklären lassen , und vermöge welcher wir annehmen , daß bei wahren Liebenden , in gewissen Umständen , nicht ( wie einer unserer tugendhaftesten Dichter meint ) ein Tausche , sondern eine wirkliche Mischung der Seelen vorgehe .
Wie dieses möglich sei zu untersuchen , überlassen wir billig den weisen und tiefsinnigen Leuten , welche sich , in stolzer Muße und seliger Abgeschiedenheit von dem Getümmel dieser sublunarischen Welt , mit der nützlichen Spekulation beschäftigen , die Art und Weise ausfindig zu machen , wie dasjenige was wirklich ist , ohne Nachteil ihrer Meinungen und Lehrgebäude , möglich sein könne .
Für uns ist genug , daß eine durch unzählige Veyspiele bestätigte Erfahrung außer allen Zweifel setzt , daß diejenige Gattung von Liebe , welche Schaftesbury mit bestem Recht zu einer Art des Enthusiasmus macht , und gegen welche Lukrez aus eben diesem Grunde sich mit so vielem Eifer erklärt , solche Wirkungen hervorbringe , welche nicht besser als durch jenen Petronischen Ausdruck abgemalt werden können .
Agathon und Danae , die uns zu dieser Anmerkung Anlaß gegeben haben , hatten kaum vierzehn Tage , welche freilich nach dem Kalender der Liebe nur vierzehn Augenblicke waren , in diesem glückseligen Zustande , worin wir sie im vorigen Kapitel verlassen haben , zugebracht : als diese Seelenmischung sich in einem solchen Grade bei ihnen äußerte , daß sie nur von einer einzigen gemeinschaftlichen Seele belebt und begeistert zu werden schienen .
Wirklich war die Veränderung und der Absatz ihrer gegenwärtigen Art zu sein , mit ihrer vorigen so groß , daß weder Alcibiades seine Danae , noch die Priesterin zu Delphi den spröden und unkörperlichen Agathon wieder erkannt haben würden .
Das dieser aus einem spekulativen Platoniker ein praktischer Aristipp geworden ; daß er eine Philosophie , welche die reinste Glückseligkeit in Veschauung unsichtbarer Schönheiten setzt , gegen eine Philosophie , welche sie in angenehmen Empfindungen , und die angenehmen Empfindungen in ihren nächsten Quellen , in der Natur , in unseren Sinnen und in unseren Herzen sucht , vertauschte ; daß er von den Göttern und Halbgöttern , mit denen er vorher umgegangen war , nur die Grazien und Liebesgötter beibehielt ; daß dieser Agathon , der ehemals von seinen Minuten , von seinen Augenblicken der Weisheit Rechenschaft geben konnte , jetzt fähig war , ( wir schämen uns es zu sagen ) ganze Stunden , ganze Tage in zärtlicher Trunkenheit wegzutändeln -- Alles dieses , so stark der Abfall auch ist , wird dennoch den meisten begreiflich scheinen .
Aber daß Danae , welche die Schönsten und Edelsten von Asien , welche Fürsten und Satrapen zu ihren Füßen gesehen hatte , welche gewohnt war , in den schimmerndsten Versammlungen am meisten zu glänzen , einen Hof von allem , was durch Vorzüge der Geburt , des Geistes , des Reichtums und der Talente würdig war , nach ihrem Beifall zu streben , um sich her zu sehen :
Daß diese Danae jetzt verächtliche Blicke in die große Welt zurückwarf , und nichts angenehmes fand als die ländliche Einfalt , nichts Schöners als in Hainen herumzuirren , Blumenkränze für ihren Schäfer zu winden , an einer murmelnden Quelle in seinem Arm einzuschlummern , von der Welt vergessen zu sein , und die Welt zu vergessen -- daß sie , für welche die Liebe der Empfindung sonst ein unerschöpflicher Gegenstand von witzigen Spöttereien gewesen war , jetzt von den zärtlichen Klagen der Nachtigall in Stillheitern Nächten bis zu Tränen gerührt werden -- oder wenn sie ihren Geliebten unter einer schattigen Laube schlafend fand , ganze Stunden , unbeweglich , in zärtliches Staunen und in den Genuß ihrer Empfindungen versenkt , neben ihm sitzen konnte , ohne daran zu denken , ihn durch einen eigennützigen Kuß aufzuwecken , -- daß diese Schülerin des Hippias , welche gewohnt gewesen war , nichts lächerlicheres zu finden , als die Hoffnung der Unsterblichkeit , und diese süßen Träume von besseren Welten , in welche sich empfindliche Seelen so gerne zu wiegen pflegen -- daß sie jetzt , beim dämmernden Schein des Monds , an Agathons Seite auf Blumen hingegossen , schon entkörpert zu sein , schon in den seligen Tälern des Elysiums zu schweben glaubte -- mitten aus den berauschenden Freuden der Liebe sich zu Gedanken von Gräbern und Urnen verlieren , dann ihren Geliebteu zärtlicher an ihre Brust drückend den gestirnten Himmel anschauen , und ganze Stunden von der Wonne der Unsterblichen , von unvergänglichen Schönheiten und himmlischen Welten phantasieren konnte , und , von den Wünschen ihrer grenzenlosen Liebe getäuscht , in der Hoffnung einer immerwährenden Dauer jetzt so wenig Ausschweifendes fand , daß ihr kein Gedanke natürlicher , keine Hoffnung gewisser schien ; dieses waren in der Tat Wunderwerke der Liebe , und Wunderwerke , welche nur die Liebe eines Agathons , nur jene Vermischung der Seelen , durch welche ihrer beider Denkungsart , Ideen , Geschmack und Neigungen in einander zerflossen , zuwege bringen konnte .
Welches von beiden bei dieser Vermischung gewonnen oder verloren habe , wollen wir unseren Lesern zu entscheiden überlassen , von denen der zärtlichere Teil vielleicht der schönen Danae den Vorteil zuerkennen wird :
Aber dieses , deucht uns , wird niemand so roh oder so stoisch sein zu leugnen , daß sie glücklich waren -- felices errore suo -- glücklich in dieser süßen Betörung , welcher , um dasjenige zu sein , was die Weisen schon so lange gesucht und nie gefunden haben , nichts abgeht , als daß sie ( wie der griechische Autor hier abermals mit Bedauern ausruft ) nicht immer währen kann .
Erstes Kapitel .
Ein Besuch des Hippias .
Zufällige Ursachen hatten es so gefügt , daß Hippias sich auf einige Wochen von Smirna hatte entfernen müssen , und daß die Zeit seiner Abwesenheit gerade in diejenige Zeit , worin die Liebe unseres Helden und der schönen Danae den äußersten Punkt ihrer Höhe erreichte .
Dieser Umstand hatte sie gänzlich Meister von einer Zeit gelassen , welche sie zum Vorteil der Liebe und des Vergnügens so wohl anzuwenden wußten .
Keiner von Danaes ehemaligen Verehrern hatte sich erkühnt , ihre Einsamkeit zu stören ; und die Freundinnen , mit denen sie ehemals in Gesellschaft gestanden war , hatten zu gutem Glück alle mit ihren eigenen Angelegenheiten so viel zu tun , daß sie keine Zeit behielten , sich um Fremde zu bekümmern .
Zudem war ihr Aufenthalt auf dem Lande nichts ungewöhnliches , und der allgemeine Genius der Stadt Smirna war der Freiheit in der Wahl der Vergnügungen allzugünstig , als daß eine Danae ( von der man ohnehin keine vestalische Tugend forderte ) über die ihrigen , wenn sie auch bekannt gewesen wären , sehr strenge Urteile zu besorgen gehabt hätte .
Allein Hippias war kaum von seiner Reise zurückgekommen , so ließ er eine seiner ersten Sorgen sein , sich in eigener Person nach dem Fortgang des Entwurfs zu erkundigen , den er mit ihr zu Bekehrung des allzuplatonischen Callias gemeinschaftlich angelegt hatte .
Die besondere Vertraulichkeit , worin er seit mehr als zehn Jahren mit ihr gelebt hatte , gab ihm das vorzügliche Recht , sie auch alsdann zu überraschen , wenn sie sonst für niemand sichtbar war .
Er eilte also , so bald er nur konnte , nach ihrem Landgute ; und hier brauchte es nur einen Blick auf unsere Liebende zu werfen , um zu sehen , wie viel in seiner Abwesenheit mit ihnen vorgegangen war .
Ein gewisser Zwang , eine gewisse Zurückhaltung , eine Art von schamhafter Schüchternheit , welche ihm besonders an der Pflegtochter Aspasiens fast lächerlich vorkam , war das erste , was ihm an beiden in die Augen fiel .
Wahre Liebe ( wie man längst beobachtet hat ) ist eben so sorgfältig ihre Glückseligkeit zu verbergen , als jene frostige Liebe , welche Koketterie oder Langeweile zur Mutter hat , begierig ist , ihre Siege auszuposaunen .
Allein dieses war weder die einzige noch die vornehmste Ursache einer Zurückhaltung , welche unsere Liebenden , aller angewandten Mühe ungeachtet , einem so scharfsichtigen Beobachter nicht entziehen konnten .
Das Bewußtsein der Verwandlung , welche sie erlitten hatten ; die Furcht vor dem komischen Ansehen , welches sie ihnen in den Augen des Sophisten geben möchte ; die Furcht von einem Spott , vor dem sie die mutwilligen Ergiessungen bei jedem Blicke , bei jedem Lächeln erwarteten ; dieses war es , was sie in Verlegenheit setzte , und was den artigsten Gesichtern in ganz Ionien etwas Verdrießliches gab , welches von einem jeden anderen als Hippias für ein Zeichen , daß seine Gegenwart unangenehm sei , hätte aufgenommen werden müssen .
Allein dieser nahm es für das auf , was es in der Tat war ; und da niemand besser zu leben wußte , so schien er so wenig zu bemerken , was in ihnen vorging , machte den Unachtsamen und Sorglosen so natürlich , hatte so viel von seiner Reise und tausend gleichgültigen Dingen zu schwatzen , und wußte dem Gespräch einen so freien Schwung von Munterkeit zu geben , daß sie alle erforderliche Zeit gewannen , sich wieder zu erholen , und sich in eine ungezwungene Verfassung zu setzen .
Wenn Agathon hierdurch so sehr beruhiget wurde , daß er wirklich hoffte , sich in seinen ersten Besorgnissen betrogen zu haben , so war die feinere Danae weit davon entfernt , sich durch die Kunstgriffe des Sophisten ein Blendwerk vormachen zu lassen .
Sie kannte ihn zu guck , um nicht in seiner Seele zu lesen ; sie sah wohl , daß es zu einer Erörterung mit ihm kommen müsse , und war nur darüber unruhig , wie sie sich entschuldigen wollte , daß sie , über der Bemühung den Charakter des Agathons umzubilden , ihren eigenen oder doch einen guten Teil davon verloren hatte .
Mit diesen Gedanken hatte sie sich in den Stunden der gewöhnlichen Mittagsruhe beschäftiget , und war noch nicht recht mit sich selbst einig , wie weit sie sich dem Sophisten vertrauen wolle ; als er in ihr Zimmer trat , und mit der vertraulichen Freimütigkeit eines alten Freundes ihr entdeckte , daß es die Neugier über den Fortgang ihres geheimen Anschlags sei , was ihn so bald nach seiner Wiederkunft zu ihr gezogen habe .
Die Glückseligkeit des Callias ( setzte er hinzu ) schimmert zu lebhaft aus seinen Augen und aus seinem ganzen Veteran hervor , schöne Danae , als daß ich durch überflüssige Fragstücke das reizende Inkarnat dieser liebenswürdigen Wangen zu erhöhen suchen sollte .
Und findest du ihn also der Mühe würdig , die du auf seine Bekehrung ohne Zweifel verwenden mußtest ?
Der Mühe ? sagte Danae lächelnd ; ich schwöre dir , daß mir in meinem Leben keine Mühe so leicht geworden ist , als mich von dem liebenswürdigsten Sterblichen , den ich jemals gekannt habe , lieben zu lassen .
Denn das war doch alle Mühe -- Nicht ganz und gar , ( unterbrach sie Hippias ) wenn du so aufrichtig sein will , als es unserer Freundschaft gemäß ist .
Ich bin gewiß , daß er an keine Verstellung dachte , da er noch in meinem Hause war ; und die Veränderung , die ich an ihm wahrnehme ist so groß , verbreitet sich so sehr über seine ganze Person , hat ihn so unkenntlich gemacht , daß Danae selbst , auf deren Lippen die Überredung wohnt , mich nicht überreden soll , daß eine solche Seelenwandlung im Schlafe vorgehen könne .
Keine Zurückhaltungen , schöne Danae , die Wirkungen zeugen von ihren Ursachen ; ein großes Werk setzt große Anstalten voraus ; wenn ein Callias dahin gebracht wird , daß er wie ein Liebling der Venus herausgeputzt ist , daß er mit einer Sybaritischen Zunge von der Niedlichkeit der Speisen und dem Geschmack der Weine urteilt ; daß er die wollüstigsten Läufe eines in Liebe schmelzenden Liedes mit entzücktem Händeklatschen wiederholen heißt , und sich die Trinkschale von einer jungen Circasserin mit unverhülltem Busen eben so gleichgültig reichen läßt , als er sich in die weichen Polster eines Persischen Ruhebettes hineinsenkt -- wahrhaftig , schöne Danae , das nenne ich eine Verwandlung , welche in so kurzer Zeit zu bewerkstelligen , ich keiner von allen unsterblichen Göttinnen zugetraut hätte .
Ich weiß nicht , was du damit sagen willst , erwiderte Danae mit einer angenommenen Zerstreuung ; mich deucht nichts natürlicheres , als alles , worüber du dich so verwundert stellst ; und gesetzt , daß du dich in deinem Urteil von Callias betrogen hättest , ist es seine Schuld ?
Wenn ich dir die Wahrheit sagen soll , so kann nichts unähnlicheres sein , als wie du ihn mir abgeschildert und wie ich ihn gefunden habe .
Du machtest mich einen Pedantischen Toren , den Gegenstand einer Komödie erwarten , und ich wiederhole es , du magst über mich lachen so lange du willst , Alcibiades selbst im Frühling seiner Jahre und Reizungen war nicht liebenswürdiger als derjenige , den du mir für ein komisches Mittelding von einem Phantasten und von einer Bildsäule gegeben hast .
Wenn eine Verschiedenheit zwischen Agathon und den Besten ist , für welche ich ehemals aus Dankbarkeit , Geschmack oder Laune , Gefälligkeiten gehabt habe , so ist sie gänzlich zu seinem Vorteil ; so ist es , daß er edler , aufrichtiger , zärtlicher ist , daß er mich liebet , da jene nur sich selbst in mir liebten ; daß ihn mein Vergnügen glücklicher macht als sein eigenes ; daß er das großmütigste und erkenntlichste Herz mit den glänzendesten Vorzügen des Geistes , mit allem was den Umgang reizend macht , vereinigt besitzt .
-- Welch ein Strom von Beredsamkeit , rief Hippias mit dem Lächeln eines Fauns aus ; du sprichst nicht anders als ob du seine Apologie gegen mich machen müßtest ; und wenn habe ich denn was anders gesagt ?
Beschrieb ich ihn nicht als liebenswürdig ?
Sagte ich dir nicht , daß er dir die Hyazinthe , und alle diese artigen gaukelnden Sommervögel unerträglich machen würde ?
Aber wir wollen uns nicht zanken , schöne Danae .
Ich sehe , daß Amor hier mehr Arbeit gemacht als ihm aufgetragen war ; er sollte dir nur helfen , den Agathon zu unterwerfen ; aber der übermütige kleine Bube hat es für eine größere Ehre gehalten , dich selbst zu besiegen ; diese Danae , welche bisher mit seinen Pfeilen nur gescherzt hatte .
Bekenne , Danae --
Ja , ( siel sie ihm lebhaft ein ) ich bekenne , daß ich liebe wie ich nie geliebt habe ; daß alles was ich sonst Glückseligkeit nannte , kaum den Namen des Daseins verdient hat ; ich bekenne es , Hippias , und bin stolz darauf , daß ich fähig wäre , alles was ich besitze , alle Ergötzlichkeiten von Smirna , alle Ansprüche an Beifall , alle Befriedigungen der Eitelkeit , und eine ganze Welt voll Liebhaber wie eine Nußschale hinzuwerfen , um mit Callias in einer mit Stroh bedeckten Hütte zu leben , und mit diesen Händen , welche nicht zu weiß und zärtlich dazu sein sollten , die Milch zuzubereiten , die ihm , vom Felde wiederkommend , weil ich sie ihm reichte , lieblicher schmecken würde , als Nektar aus den Händen der Liebesgöttin .
O , das ist was anders , rief Hippias , der sich nun nicht länger halten konnte , in ein lautes Gelächter auszubrechen ; wenn Dauae aus diesem Tone spricht , so hat Hippias nichts mehr zu sagen .
Aber , fuhr er fort , nachdem er sich die Augen gewischt und den Mund in Falten gelegt hatte ; in der Tat , schöne Freundin , ich lache zur Unzeit ; die Sache ist ernsthafter als ich beim ersten Anblick dachte , und ich besorge nun in ganzem Ernste , daß Callias , so sehr er dich anzubeten scheint , nicht Liebe genug haben möchte , die deinige zu erwidern .
Ich erlasse dem Hippias diese Sorge , sagte Danae mit einem spöttischen Lächeln , welches ihr sehr reizend ließ ; das soll meine Sorge sein ; und mich deucht , Hippias , welcher ein so großer Meister ist , von den Wirkungen auf die Ursachen zu schließen , sollte ganz ruhig darüber sein könuen , daß sich Danae nicht wie ein vierzehnjähriges Mädchen fangen läßt .
Die Götter der Liebe und Freude verhüten , daß meine Worte einen überweissagenden Sinn in sich fassen , erwiderte Hippias !
Du liebest , schöne Danae ; du wirst geliebt ; kein Würdigers Paar glücklich zu sein , kein geschickteres sich glücklich zu machen , hat Amor nie vereiniget .
Erschöpfet alles , was die Liebe reizendes hat !
Trinket immer neue Entzückungen aus ihrem nacktarischen Becher ; und möge die neidenswerte Bezauberung so lang als euer Leben dauern !
Zweites Kapitel .
Eine Probe von den Talenten eines Liebhabers .
In einem so freundschaftlichen und schwärmerischen Ton stimmte der gefällige Sophist seine Sprache um , als Agathon hereintrat , und ihnen einen Spaziergang in die Gärten vorschlug , worin er sich das Vergnügen machen wollte , sie mit einer in geheim veranstalteten Ergötzung zu überraschen .
Man ließ sich den Vorschlag gefallen , und nachdem Hippias eine Reihe von neuen Gemälden , womit die Galerie vermehrt worden war , gesehen hatte , begab man sich in den Garten , in welchem , nach Persischem Geschmack , große Blumenstücke , Spaziergänge von hohen Bäumen , kleine Weyher , künstliche Wildnisse , Lauben und Grotten in anmutiger Unordnung unter einander geworfen schienen .
Das Gespräch wurde jetzt wieder gleichgültig , und Hippias wußte es so zu lenken , daß Agathon unvermerkt veranlaßt wurde , die neue Wendung , welche seine Einbildungskraft bekommen hatte , auf hundertfältige Art zu verraten .
Inzwischen neigte sich die Sonne , als sie beim Eintritt in einen kleinen Wald von Myrthen- und Zitronenbäumen , an welchen die Kunst keine Hand angelegt zu haben schien , von einem versteckten Konzert , welches alle Arten von Singvögel nachahmte , empfangen wurden .
Aus jedem Zweig , aus jedem Blatte schien eine besondere Stimme hervorzugehen ; so volltönig war diese Musik , in welcher die Nachahmung der kunstlosen Natur in der scheinbaren Unregelmäßigkeit phantasierender Töne , die lieblichste Harmonie hervorbrachte , die man jemals gehört hatte .
Die Dämmerung des heitersten Abends , und die eigene Anmut des Orts vereinigten sich damit , um diesem Lusthain die Gestalt der Bezauberung zu geben .
Danae , welche seit wenigen Wochen eine ganz neue Empfindlichkeit für das Schöne der Natur und die Vergnügungen der Einbildungskraft bekommen hatte , sah ihren sich ganz unwissend stellenden Liebling mit Augen an , welche ihm sagten , daß nur die Gegenwart des Hippias sie verhindere , ihre schönen Arme um seinen Hals zu werfen : als unversehens eine Anzahl von kleinen Liebesgöttern und Faunen aus dem Hain hervorhüpfte ; jene von flatterndem Silberflor , der mit nachgeahmten Rosen durchwirkt war , leicht bedeckt ; diese nackend , außer daß ein Efeukranz , mit gelben Rosen durchflochten , ihre Milchweissen Hüften schürzten , und um die kleinen vergoldeten Hörner sich schlangen , die ans ihren schwarzen kurzlockigen Haaren hervorstachen .
Alle diese kleine Genii streuten aus zierlichen Körbchen von Silberdraht die schönsten Blumen vor Danae her , und führten sie tanzend in die Mitte des Wäldchens , wo Gebüsche von Jasminen , Rosen und Acacia eine Art von halbeirkelndem Amphitheater machten , unter welchem ein zierlicher Thron von Laubwerk und Blumenkränzen für die schöne Danae bereitet stand .
Nachdem sie sich hier gesetzt hatte , breiteten die Liebesgötter einen Persischen Teppich vor ihr aus , indem von den kleinen Faunen einige beschäftigt waren , den Boden mit goldenen und eristallenen Trinkschalen von allerlei niedlichen Formen zu besetzen , andere unter der Last voller Schläuche mit possierlichen Gebärden herbeigekrochen kamen , und im Vorbeigehen den weiseu Hippias durch hundert mutwillige Spiele neckten .
Auf einmal schlupften die Grazien hinter einer Myrtenhecke hervor , drei jugendliche Schwestern , deren halbaufgeblühte Schönheit ein leichtes Gewölk von Gase mehr zu entwickeln als zu verhüllen eifersüchtig schien .
Sie umgaben ihre Gebieterin , und indem die erste einen frischen Blumenkranz um ihre schöne Stirn wand , reichten ihr die beiden anderen kniend in goldenen Schalen die auserlesensten Früchte und Erfrischungen dar ; indes die Faunen den Hippias mit Efeu kränzten , und wohlriechende Salben über seine Glatze und seinen halbgrauen Bart heruntergossen .
Beide bezeugten ihr Vergnügen über dieses kleine Schauspiel , welches das lachendste Gemälde von der Welt machte ; als eine zärtliche Symphonie von Flöten aus der Luft , wie es schien , herabtönend , die Augen zu einer neuen Erscheinung aufmerksam machte .
Die Liebesgötter , die Faunen und die Grazien waren indes verschwunden , und es öffnete sich der Danae gegenüber die waldichte Szene , um den Liebesgott darzustellen , auf einem goldenen Gewölk sitzend , welches über den Rosenbüschen von Zephyren emporgehalten wurde .
Ein schalkhaftes Lächeln , das sein liebliches Gesicht umscherzte , schien die Herzen zu warnen , sich von der tändelnden Unschuld dieses schönen Götterknaben nicht sorglos machen zu lassen .
Er sang mit lieblicher Stimme , und der Inhalt seines Gesangs drückte seine Freude aus , daß er endlich eine bequeme Gelegenheit gefunden habe , sich an der schönen Danae zu rächen .
" Gleich der Liebesgöttin , meiner Mutter ( sang er ) " herrscht sie unumschränkt über die Herzen , und haucht allgemeine Liebe umher :
Von ihren blicken beseelt , wendet ihr die Natur , als ihrer Göttin , sich zu ; verschönert , wenn sie lächelt , traurig und welkend , wenn sie sich von ihr kehrt :
Verlassen stehen die Altäre zu Paphos , die Seufzer der Liebenden wallen nur ihr entgegen ; und indem ihre siegreichen Augen ringsum sie her jedes Herz verwunden und entzücken , lacht sie , die Stolze , meiner Pfeile , und trotzt mit unbezwungener Brust der Macht , vor welcher Götter zittern :
Aber nicht länger soll sie trotzen ; hier ist der schärfste Pfeil , scharf genug einen Busen von Marmor zu spalten , und die kälteste Seele in Liebesflammen hinwegzuschmelzen .
Zittre , Ungewahrsame Schöne ! dieser Augenblick soll Amor und seine Mutter rächen !
Tiefseufzend sollst du auffahren , wie ein junges Reh auffährt , das unter Rosen schlummernd den geflügelten Pfeil des Jägers fühlt ; schmerzenvoll und trostlos sollst du in einsamen Hainen irren , und auf öden Felsen sitzend den schleichenden Bach mit deinen Tränen mehren . "
So sang er und spannte boßhaft-lächelnd den Bogen ; schon war der Pfeil angelegt , schon zielte er nach ihrem leichtbedeckten Busen : als er plötzlich mit einem lauten Schrei zurückfuhr , seinen Pfeil zerbrach , den Bogen von sich warf , und mit zärtlich schüchterner Gebärde auf die schöne Danae zuflatterte .
O Göttin , vergib , ( sang er , indem er bittend ihre Knie umfaßte ) vergib , vergib , schöne Mutter , dem Irrtum meiner Augen ! wie leicht war es zu irren ?
Ich sah dich für Danae an .
In dem nämlichen Augenblick , da er dieses gesungen hatte , erschienen die Grazien , die Liebesgötter und die kleinen Faunen wieder , und endigten diese Szene mit Tänzen und Gesängen , zum Preis derjenigen , welche auf eine so schmeichelhafte Art zur Göttin der Schönheit und der Liebe erklärt worden war .
Dieses überraschende Kompliment , welches damals noch den Reiz der Neuheit hatte , weil es noch nicht an die Daphnen und Chloen so vieler neueren Poeten verschwendet worden war , schien ihr Vergnügen zu machen ; und der doppelt belustigte Hippias gestand , daß sein junger Freund einen sehr guten Gebrauch von seiner Einbildungskraft zu machen gelernt habe .
Dachte ich nicht , Callias , sagte er leise zu ihm , indem er ihn auf die Schultern klopfte , daß ein Monat unter den Augen der schönen Danae dich von den Vorteilen heilen würde , womit du gegen Grundsätze eingenommen warst , die du bereits so meisterhaft auszuüben gelernt hast .
Der übrige Teil des Abends wurde auf eine eben so angenehme Weise zugebracht , bis endlich Hippias , welcher den folgenden Morgen wieder in Smirna sein mußte , in einem Zustande , worin er mehr dem Vater Silen als einem Weisen glich , von den kleinen Faunen zu Bette gebracht wurde .
Agathon hatte nun nichts dringendes als von Danae zu erfahren , was der Gegenstand ihrer einzelnen Unterredung mit dem Hippias gewesen sei .
Man wird es dieser Dame zu gut halten können , daß sie die Aufrichtigkeit ihres Berichts nicht so weit trieb , ihm das Komplott einzugestehen , worein sie sich von dem Sophisten anfangs hatte ziehen lassen ; und dessen Ausgang so weit von der Anlage des ersten Plans entfernt gewesen war .
Die zärtlichste und vertrauteste Liebe verhindert nicht , daß man sich nicht kleine Geheimnisse vorbehalten sollte , bei deren Entdeckung die Eigenliebe ihre Rechnung nicht senden würde .
Sie begnügte sich also ihm zu sagen , daß Hippias viel Gutes von ihm gesprochen , und sie versichert habe , daß er ihn weit aufgeweckter und artiger finde als er vorher gewesen ; es hätte sie bedünkt , daß er mehr damit sagen wollen , als seine Worte an sich selbst gesagt hätten ; sie hätte aber eben so wenig daran gedacht ihn zum Vertrauten ihrer Liebe zu machen , als sie Ursache hätte , eine Achtung zu verbergen , welche man den persönlichen Verdiensten des Callias nicht versagen könne ; im übrigen hätte sie seine Munterkeit auf die Rechnung der Zeit , welche das Andenken seiner Unglücksfälle schwäche , und der vollkommeneren Freiheit geschrieben , die er in ihrem Hause hätte .
Agathon ließ sich durch diese Erzählung nicht nur beruhigen ; sondern , wie seine Einbildungskraft gewohnt war , ihn immer weiter zu führen , als er im Sinne hatte zu gehen , so fühlte er sich , nachdem sie eine Zeitlang von dieser Materie gesprochen hatten , so mutig , daß er sich vornahm den Scherzen des Hippias , sofern es demselben je einfallen sollte über seine Freundschaft mit Danae zu scherzen , in gleichem Ton zu antworten ; eine Entschließung , welche ( ob er es gleich nicht gewahr wurde ) in der Tat mehr Unverschämtheit voraussetzte , als selbst ein langwieriger Fortgang auf den Abwegen , auf die er verirrt war , einem Agathon jemals geben konnte .
Drittes Kapitel .
Konvulsivische Bewegungen der wiederauflebenden Tugend .
Wenige Tage waren seit dem Besuch des Hippias verflossen ; als ein Fest , welches er alle Jahre seinen Freunden zu geben pflegte , Gelegenheit machte , der schönen Danae und ihrem Freunde eine Einladung zuzusenden .
Weil sie keinen guten Vorwand zu geben hatten , ihr Ausbleiben zu entschuldigen , so erschieuen sie auf den bestimmten Tag , und Agathon brachte eine Lebhaftigkeit mit , welche ihm selbst Hoffnung machte , daß er sich so gut halten würde , als es die Anfälle , die er von der Schalkhaftigkeit des Sophisten erwartete , nur immer erfordern könnten .
Hippias hatte nichts vergessen , was die Pracht seines Fests vermehren konnte ; und nach demjenigen , was im zweiten Buch von den Grundsätzen , der Lebensart und den Reichtümern dieses Mannes gemeldet worden , können unsere Leser sich so viel davon einbilden als sie wollen , ohne zu besorgen , daß wir sie durch überflüssige Beschreibungen von den wichtigeren Gegenständen , die wir vor uns haben , aufhalten würden .
Agathon hatte über der Tafel die Rolle eines witzigen Kopfs so gut gespielt ; er hatte so fein und so lebhaft gescherzt , und bei Gelegenheiten die Ideen , wovon seine Seele damals beherrscht wurde , so deutlich verraten ; daß Hippias sich nicht enthalten konnte , ihm in einem Augenblick , wo sie allein waren , seine ganze Freude darüber auszudrücken .
Ich bin erfreut , Callias ( sagte er zu ihm ) daß du , wie ich sehe , einer von den Unsrigen worden bist .
Du rechtfertigest die gute Meinung vollkommen , die ich beim ersten Anblick von dir faßte ; ich sagte immer , daß einer so feurigen Seele wie die deinige , nur wirkliche Gegenstände mangelten , um ohne Mühe von den Schimären zurückzukommen , woran du vor einigen Wochen noch so stark zu hängen schienest .
Zum Glück für den guten Agathon rettete ihn die Dazwischenkunft einiger Personen von der Gesellschaft , mitten in der Antwort , die er zu stottern angefangen hatte ; aber aus der Unruhe , welche diese wenige Worte des Sophisten in sein Gemüt geworfen hatten , konnte ihn nichts retten .
Alle Mühe , die er anstrengte , alle Zeitkürzungen , wovon er sich umgeben sah , waren zu schwach ihn wieder aus einer Verwirrung herauszuziehen , welche sogar durch den Anblick der schönen Danae vermehrt wurde .
Er mußte einen Anstoß von Übelkeit vorschützen , um sich eine Zeitlang aus der Gesellschaft wegzubegeben , um in einem entlegenen Cabinet den Gedanken nachzuhängen , deren auf einmal daherstürmende Menge ihm eine Weile alles Vermögen benahm , einen von dem anderen zu unterscheiden .
Endlich faßte er sich doch so weit , daß er seinem beklemmten Herzen durch dieses oft abgebrochene Selbstgespräch Luft machen konnte : Wie ? --
Ich bin erfreut , daß du einer von den Unsrigen geworden ? --
Ists möglich ?
Einer von den Seinigen ? --
Dem Hippias ähnlich ? --
Ihm , dessen Grundsätze , dessen Leben , dessen vermeinte Weisheit mir vor kurzem noch so viel Abscheu einflößten ?
-- Und die Verwandlung ist so groß , daß sie ihm keinen Zweifel übrig läßt ?
Gütige Götter !
Wo ist euer Agathon ? --
Ach !
es ist mehr als zu gewiß , daß ich nicht mehr ich selbst bin ! --
Wie ? sind mir nicht alle Gegenstände dieses Hauses , von denen meine Seele sich ehemals mit Ekel und Grauen wegwandte , gleichgültig oder gar angenehm worden ?
Diese üppigen Gemälde -- diese schlüpfrigen Nymphen -- diese Gespräche , worin alles , was dem Menschen groß und ehrwürdig sein soll , in ein komisches Licht gestellt wird -- diese Verschwendung der Zeit -- diese mühsam ansgesonnenen und über die Forderung der Natur getriebenen Ergötzungen --
Himmel ! wo bin ich ?
An was für einem jähen Abhang finde ich mich selbst -- welch einen Abgrund unter mir -- O Danae , Danae ! --
hier hielt er in , um den trostvollen Einflüssen Raum zu lassen , welche dieser Nahme und die zauberischen Bilder , so er mit sich brachte , über seine sich selbst quälende Seele ausbreiteten .
Mit einem schleunigen Übergang von Schwermut zu Entzückung , durchflog sie jetzt alle diese Szenen von Liebe und Glückseligkeit , welche ihr die letztverfloßenen Tage zu Augenblicken gemacht hatten ; und von diesen Erinnerungen mit einer innigen Wollust durchströmt , konnte sie oder wollte sie vielmehr den Gedanken nicht ertragen , daß sie in einem so beneidenswürdigen Zustand unter sich selbst heruntergesunken sein könne .
Göttliche Danae , rief der arme Kranke in einem verdoppelten Anstoß des wiederkehrenden Taumels aus ; wie ?
Kann es ein Verbrechen sein , das Vollkommenste unter allen Geschöpfen zu lieben ?
Ist es ein Verbrechen glücklich zu sein ? --
In diesem Ton fuhr Amor , ( welchen Plato sehr richtig den größten unter allen Sophisten nennt ) desto ungehinderter fort ihm zuzureden , da ihm die Eigenliebe zu Hilfe kam , und seine Sache zu der ihrigen machte .
Denn was ist unangenehmes , als sich selbst zugleich anklagen und verurteilen müssen ?
Und wie gerne hören wir die Stimme der sich selbst verteidigenden Leidenschaft ?
Wie gründlich finden wir jedes Blendwerk , womit sie die richterliche Vernunft zu einem falschen Ausspruch zu verleiten sucht ?
Agathon hörte diese betrügliche Apologestin so gerne , daß es ihr gelang , sein Gemüte wieder zu besänftigen .
Er schmeichelte sich , daß ungeachtet einer Veränderung seiner Denkungsart , die er sich selbst für eine Verbesserung zu geben suchte , der Unterschied zwischen ihm und Hippias noch so groß , so wesentlich sei als jemals .
Er verbarg seine schwache Seite hinter die Tugenden , deren er sich bewußt zu sein glaubte ; und beruhigte sich Ende . lich völlig mit einem idealischen Entwurf eines seinen eigenen Grundsätzen gemässen Lebens , zu welchem er seine geliebte Danae schon genug vorbereitet glaubte , um ihr selbigen ohne längeren Aufschub vorzulegen .
Er kehrte nunmehr , nachdem er ungefähr eine Stunde allein gewesen war , mit einem so aufgeheiterten Gesicht zur Gesellschaft , welche sich in einem Saale des Gartens versammelt hatte , zurück , daß Danae und Hippias selbst sich bereden ließen , seinen vorigen Anstoß einer vorübergehenden Übelkeit zuzuschreiben .
Ergötzlichkeiten folgten jetzt auf Ergötzlichkeiten so dicht aneinander , und so mannigfaltig , daß die überladene Seele keine Zeit behielt sich Rechenschaft von ihren Empfindungen zu geben ; und nach Gewohnheit des Landes wurde die ganze Nacht bis zum Anbruch der Morgenröte in brausenden Vergnügungen hingebracht .
Die Gegenwart der liebenswürdigen Danae wirkte mit ihrer ganzen magischen Kraft auf unseren Helden , ohne verhindern zu können , daß er von Zeit zu Zeit in eine Zerstreuung fiel , aus welcher sie ihn , sobald sie es gewahr wurde , zu ziehen bemüht war .
Die Gegenstände , welche seinen sittlichen Geschmack ehemals beleidiget hatten , waren hier zu häufig , als daß nicht mitten unter den flüchtigen Vergnügungen , womit sie gleichsam über die Oberfläche seiner Seele hinglitschten , ein geheimes Gefühl seiner Erniedrigung seine Wangen mit Schamröte vor sich selbst , dem Vorboten der wiederkehrenden Tugend , hätte überziehen sollen .
Dieses begegnete insonderheit bei einem pantomimischen Tanze , womit Hippias seine größtenteils vom Baechus glühenden Gäste noch eine geraume Zeit nach Mildernacht vom Einschlummern abzuhalten suchte .
Die Tänzerin , ein schönes Mädchen , welches ungeachtet seiner Jugend , schon lange in den Geheimnissen von Cythere eingeweiht war , tanzte die Fabel der Leda .
Dieses berüchtigte Meisterstück der eben so vollkommenen als üppigen Tanzkunst der alten , von dessen Wirkungen Juvenal in einer von seinen Satyren ein so zügelloses Gemälde macht .
Hippias und die meisten seiner Gäste bezeugten ein unmäßiges Vergnügen über die Art , wie seine Tänzerin diese schlüpfrige Geschichte nach der wollüstigen Modulation zweier Flöten , allein durch die stumme Sprache der Bewegung , von Szene zu Szene bis zur Entwicklung fortzuwenden wußte .
-- Zeuxes , und Homer selbst , riefen sie , konnte nicht besser , nicht deutlicher mit Farben oder Worten , als die Tänzerin durch ihre Bewegungen malen .
Die Damen glaubten genug getan zu haben , daß sie auf dieses Schauspiel nicht Acht zu geben schienen ; aber Agathon konnte den widrigen Eindruck , den es auf ihn machte , und den innerlicher Grauen , womit sein Gemüt dabei erfüllt wurde , kaum in sich selbst verschließen .
Er wollte wirklich etwas sagen , welches allerdings in der Gesellschaft , worin er war , übel angebracht gewesen wäre ; als ein beschämter Blick auf sich selbst , und vielleicht die Furcht belacht zu werden , und den ausgelassenen Hippias zu einer allzuscharfen Rache zu reizen , seine Rede auf seinen Lippen erstickte ; und weil doch die ersten Worte nun einmal gesagt waren , den vorgehabten Tadel in einen gezwungenen Beifall verwandelten .
Er hatte nun keine Ruhe , bis er die schöne Danae bewogen hatte , sich mit einer von ihren Freundinnen aus einer Gesellschaft wegzuschleichen , aus welcher die Grazien schamrot wegzufliehen anfingen ; und sein Unwille ergoß sich während daß sie nach Hause fuhren , in eine scharfe Verurteilung des verdorbenen Geschmacks des Sophisten , welche so lange dauerte , bis sie bei Anbruche des Tages wieder auf dem Landhause der Danae anlangten , um die von Ergötzungen abgemattete Natur zu derjenigen Zeit , welche zu den Geschäften des Lebens bestimmt ist , durch Ruhe und Schlummer wiederherzustellen .
Viertes Kapitel .
Daß Träume nicht allemal Schäume sind .
Die Stoiker , dieser strenge moralische Orden , dessen Abgang der vortreffliche Präsident von Montesquieu als einen Verlust für das menschliche Geschlecht ansieht , hatten unter anderen Sonderlichkeiten , eine große Meinung von der Natur und Bestimmung der Träume .
Sie trieben es so weit , daß sie sich die Mühe gaben , eben so große Bücher über diese Materie zu schreiben , als diejenigen , womit die gelehrte Welt noch in unseren Tagen , von einigen weisen Mönchen über die erhabene Kunst , die Gespenster zu prüfen und zu bannen , beschenkt worden ist .
Sie teilten die Träume in mancherlei Gattungen und Arten ein , wiesen ihnen ihre geheime Bedeutungen an , gaben den Schlüssel dazu , und trugen kein Bedenken , einige Arten derselben ganz zuversichtlich dem Einfluß derjenigen Geister zuzuschreiben , womit sie alle Teile der Natur reichlich bevölkert hatten .
In der Tat scheinen sie sich in diesem Stück lediglich nach einem allgemeinen Glauben , der sich von je her unter allen Völkern und Zeiten erhalten hat , gerichtet , und dasjenige in die Form einer schlußförmigen Theorie gebracht zu haben , was bei ihren Großmüttern ein sehr unsicheres Gemische von Tradition , Einbildung und Blödigkeit des Geistes gewesen sein möchte .
Dem sei nun wie ihm wolle , so ist gewiß , daß wir zuweilen Träume haben , in denen so viel Zusammenhäng , so viel Beziehung auf unsere vergangene und gegenwärtige Umstände , wiewohl allezeit mit einem kleinen Zusatz von Wunderbarem und Unbegreiflichem , anzutreffen ist ; daß wir uns um jener Merkmale der Wahrheit Willen geneigt senden , in diesem letzteren etwas geheimnisvolles und vorbedeutendes zu suchen .
Träume von dieser Art den Geistern außer uns , oder , wie die Pythagoreer taten , einer gewissen prophetischen Kraft und Divination unserer Seele beizumessen , welche unter dem tiefen Schlummer der Sinne bessere Freiheit habe , sich zu entwickeln :
So sinnreiche Auflösungen überlassen wir denjenigen , welche zum Besitz jener von Lukrez so enthusiastisch gepriesenen Glückseligkeit , die Ursachen der Dinge einzusehen , in einem volleren Maße gelangt sind als wir .
Indessen haben wir uns doch zum Gesetz gemacht , den guten Rat unserer Amme nicht zu verachten , welche uns , da wir noch das Glück ihrer einsichtsvollen Erziehung genossen , unter Aufführung einer langen Reihe von Familienbeispielen , ernstlich zu vermahnen pflegte , die Warnunnungen und Fingerzeige der Träume ja nicht für gleichgültig anzusehen .
Agathon hatte diesen Morgen , nachdem er in einer Verwirrung von uneinigen Gedanken und Gemütsbewegungen endlich eingeschlummert war , einen Traum , den wir mit einigem Recht zu den kleinen Ursachen zählen können , durch welche große Begebenheiten hervorgebracht worden sind .
Wir wollen ihn erzählen , wie wir ihn in unserer Urkunde finden , und dem Leser überlassen , was er davon urteilen will .
Ihn dünkte also , daß er in einer Gesellschaft von Nymphen und Liebesgöttern auf einer anmutigen Ebene sich erlustige .
Danae war unter ihnen .
Mit zauberischem Lächeln reichte sie ihm , wie Ariadne ihrem Bacchus , eine Schale voll Nektars , welchen er an ihren blicken hangend mit wollüstigen Zügen hinunterschlürfte .
Auf einmal fing alles um ihn her zu tanzen an ; er tanzte mit ; ein Nebel von süßen Düften schien rings um ihn her die wahre Gestalt der Dinge zu verbergen , und tausend liebliche Gestalten gaukelten vor seiner Stirn , welche wie Seifenblasen eben so schnell zerflossen als eutstuhnden .
In diesem Taumel tanzte und hüpfte er eine Zeit lang fort , bis auf einmal der Nebel und seine ganze fröhliche Gesellschaft verschwand :
Ihm war als ob er aus einem tiefen Schlaf erwachte ; und da er die Augen aufschlug , sah er sich an der Spitze eines jähen Felsens , unter welchem ein reissender Strom seine sprudelnden Wellen fortwälzte .
Gegen ihm über , auf dem anderen Ufer des Flusses , stand Psyche ; ein Schneeweisses Gewand floß zu ihren Füßen herab ; ganz einsam und traurig stand sie , und heftete Blicke auf ihn , die ihm das Herz durchbohrten .
Ohne sich einen Augenblick zu besinnen , stürzte er sich in den Fluß hinab , arbeitete sich ans andere Ufer hinüber , und eilte , sich seiner Psyche zu Füßen zu werfen .
Aber sie entschlüpfte wie ein Schatten vor ihm her , ohne daß sie aufhörte , sichtbar zu sein ; ihr Gesicht war traurig , und ihre rechte Hand wies in die Ferne , wo er die goldenen Türme und die heiligen Haine des delphischen Tempels ganz deutlich zu unterscheiden glaubte .
Tränen liefen bei diesem Anlaß über seine Wangen herab ; er streckte seine Arme , flehend , und von unaussprechlichen Empfindungen beklemmt , nach der geliebten Psyche aus ; aber sie floh eilends von ihm weg , einer Bildsäule der Tugend zu , welche unter den Trümmern eines verfallenen Tempels , einsam und unversehrt , in majestätischer Ruhe auf einem unbeweglichen Kubus stand .
Psyche umarmte diese Bildsäule , warf noch einen tiefsinnigen Blick auf ihn und verschwand .
Verzweifelnd wollte er ihr nacheilen , als er sich plötzlich in einem tiefen Schlamme versenket sah ; und die Bestrebung , die er anwendete , sich herauszuarbeiten , war so heftig , daß er daran erwachte .
Ein Strom von Tränen , in welchen sein berstendes Herz ausbrach , war die erste Wirkung des tiefen Eindruckes , den dieser sonderbare Traum in seiner erwachten aber noch ganz von ihren Gesichtern umgebenen Seele zurückließ .
Er weinte so lange und so heftig , daß sein Hauptküssen ganz davon durchnetzt wurde .
Ach Psyche !
Psyche ! rief er von Zeit zu Zeit aus , indem er seine gerungenen Arme wie nach ihrem Bilde ausstreckte ; und dann brach eine neue Flut aus seinen schwellenden Augen .
Wo bin ich , rief er wiederum aus , und sah sich um , als ob er bestürzt wäre , sich in einem mit Persischen Tapeten behangenen , und von tausend Kostbarkeiten schimmernden Zimmer auf dem weichsten Ruhbette liegend zu finden -- O Psyche -- was ist aus deinem Agathon worden ? --
O unglücklicher Tag , an dem mich die verhaßten Räuber deinem Arm entrissen ! --
Unter solchen Vorstellungen und Ausrufungen stand er auf ; ging in heftiger Bewegung auf und nieder , warf sich abermals auf das Ruhbette , und blieb eine lange Zeit stumm , und mit zu Boden starrenden blicken unbeweglich , wie in Gedanken verloren , sitzen .
Endlich raffte er sich wieder auf , kleidete sich an , und stieg in die Gärten herab , um in dem einsamsten Teil des Hains die Ruhe zu suchen , welche er nötig hatte , über seinen Traum , seinen gegenwärtigen Zustand und die Entschließungen , die er zu fassen habe , nachdenken zu können .
Unter allen Bildern , welche der Traum in seinem Gemüte zurückgelassen hatte , rührte ihn keines lebhafter als die Vorstellung der Psyche , wie sie mit ernstem Gesicht auf den Tempel und die Haine von Delphi wies -- die geheiligten Orte , wo sie einander zuerst gesehen , wo sie so oft sich eine ewige Liebe geschworen , wo sie so rein , so tugendhaft sich geliebt hatten , wie sich im hohen Olymp die Unverkörperten lieben .
Diese Bilder hatten etwas so rührendes , und der Schmerz , womit sie ihn durchdrangen , wurde durch die lebhaftesten Erinnerungen seiner ehemaligen Glückseligkeit so sanft gemildert , daß er eine Art von Wollust darin empfand , sich der zärtlichen Wehmut zu überlassen , wovon seine Seele dabei eingenommen wurde .
Er verglich seinen itzigen Zustand mit jener seligen Stille des Herzens , mit jener immer lächelnden Heiterkeit der Seele , mit jenen sanften und unschuldsvollen Freuden , zu welchen , seiner Einbildung nach , unsterbliche Zuschauer ihren Beifall gegeben hatten :
Und indem er unvermerkt , anstatt die Vergleichung unparteiisch fortzusetzen , sich dem schleichenden Lauf seiner erregten Einbildungskraft überließ ; dünkte ihn nicht anders , als ob seine Seele nach jener elysischen Ruhe , wie nach ihrem angeborenen Elemente , sich zurücksehne .
Wenn es auch Schwärmereien waren , rief er seufzend aus , wenn es auch bloße Träume waren , in die mein halbabgeschiedener , halbvergötterter Geist sich wiegte -- welch eine selige Schwärmerei !
Und wie viel glücklicher machten mich diese Träume , als alle die rauschenden Freuden , welche die Sinnen in einem Wirbel von Wollust dahinreissen , und wenn sie vorüber sind , nichts als Beschämung und Reue , und ein schwermütiges Leeres im unbefriedigten Geist zurücklassen !
Vielleicht werden unsere Leser aus demjenigen , was damals in dem Gemüte unseres Helden vorging , sich viel Gutes für seine Wiederkehr zur Tugend weissagen .
Aber mit Bedauern müssen wir gestehen , daß sich eine andere Seele in seinem Inwendigen erhob , welche die Wirkung dieser guten Regungen in kurzem wieder unkräftig machte ; es sei nun , daß es die Stimme der Natur oder der Leidenschaft war , oder daß beide sich vereinigten , ihn ohne Abbruch seiner Eigenliebe wieder mit sich selbst und dem Gegenwärtigen auszusöhnen .
In der Tat war es bei der Lebhaftigkeit , welche alle Ideen und Gemütsbewegungen dieses sonderbaren Menschen charakteristerte , kaum möglich , daß der überspannte Affekt , worin wir ihn gesehen haben , von langer Dauer hätte sein können .
Die Stärke seiner Empfindungen rieb sich an sich selbst ab ; seine Einbildungskraft pflegte in solchen Fällen so lange in geradem Lauf fortzuschießen , bis sie sich genötigt fand , wieder umzukehren .
Er fing nun an , sich zu überreden , daß mehr Schwärmerei als Wahrheit und Vernunft in seiner Betrübnis sei ; er glanbte bei näherer Vergleichung zu finden , daß seine Leidenschaft für Danae durch die Vollkommenheit des Gegenstands gänzlich gerechtfertigt würden , und so vorzüglich ihm kurz zuvor die Glückseligkeit seines delphischen Lebens , und die unschuldigen Freuden der ersten noch unerfahrenen Liebe geschienen hatten ; so unwesentlich fand er sie jetzt in Vergleichung mit demjenigen , was ihn die schöne Danae in ihren Armen hatte erfahren lassen .
Das bloße Andenken daran setzte sein Blut in Feuer , und seine Seele in Entzückung ; seine angesirengteste Einbildung erlag unter der Bestrebung eine vollkommenere Wonne zu erfinden .
Psyche schien ihm jetzt , so liebenswürdig sie immer sein mochte , zu nichts anderem bestimmt gewesen zu sein , als die Empfindlichkeit seines Herzens zu entwickeln , um ihn fähig zu machen , die Vorzüge der unvergleichlichen Danae zu empfinden .
Er schrieb es einem Rückfall in seine ehemalige Schwärmerei zu , daß er sich durch einen Traum , welchen er mit aller seiner sonderbaren Beschaffenheit , doch für nichts mehr als ein Spiel der Phantasie halten konnte , in so heftige Bewegungen hätte setzen lassen .
Das einzige , was ihn noch heunruhigte , war der Vorwurf der Untreue gegen seine einst so zärtlich geliebte und so zärtlich wieder liebende Psyche .
Allein die Unmöglichkeit von der unwiderstehlichen Danae nicht überwunden zu werden ; ( ein Punkt , wovon er so vollkommen als von seinem eigenen Dasein überzeugt zu sein glaubte . )
Der Verlust aller Hoffnung , Psyche jemals wieder zu finden , ( welchen er , ohne genauere Untersuchung , für ausgemacht annahm ; ) beides schien ihm gegeu diesen Vorwurf von großem Gewicht zu sein ; und um sich desselben gänzlich zu entledigen , geriet er endlich gar auf den Gedanken , daß seine Verbindung mit Danae mehr die Liebe eines Bruders zu einer Schwester , eine bloße Liebe der Seelen , als dasjenige gewesen sei , was im eigentlichen Sinn Liebe genannt werden sollte ; eine Entdeckung , die ihm bei Vergleichung der Symptomen dieser beiden Arten von Liebe , unwidersprechlich zu sein dünkte .
Diese Vorstellungen stiegen nach und nach , zumal an einem Orte , wo jede schattige Laube , jede Blumenbank , jede Grotte , ein Zeuge genoßener Glückseligkeiten war , zu einer solchen Lebhaftigkeit , daß sie eine Art von Ruhe in seinem Gemüte wieder herstellten ; wenn anders die Verblendung eines Kranken , der in der Hitze seines Fiebers gesund zu sein wähnt , diesen Namen verdienen kann .
Doch verhinderten sie nicht , daß , diesen ganzen Tag über , ein Eindruck von Schwermut und Traurigkeit in seinem Gemüte zurückblieb ; die Bilder der Psyche und der Tugend , welche er so lange gewohnt gewesen war zu vermengen , stellten sich immer wieder vor seine Augen ; umsonst suchte er sie durch Zerstreuungen zu entfernen ; sie überraschten ihn in seinen Arbeiten , und beunruhigten ihn in seinen Ergötzungen ; er suchte ihnen auszuweichen , der Unglückliche ! und wurde nicht gewahr , daß eben dieses ein ihm stehe , als er sich selbst zu überreden suchte .
Fünftes Kapitel .
Ein starker Schritt zu einer Katastrophe .
Danae liebte zu zärtlich , als daß ihr der stille Kummer , der eine wiewohl anmutige Düsternheit über das schöne Gesicht unseres Helden ausbreitete , hätte unbemerkt bleiben können ; aber aus eben diesem Grunde war sie zu schüchtern , ihn voreilig um die Ursache einer so unerwarteten Veränderung zu befragen .
Es war leicht zu sehen , daß sein Herz leiden müsse ; aber mit aller Scharfsichtigkeit , welche den Augen der Liebe eigen ist , konnte sie doch nicht mit sich selbst einig werden , was die Ursache davon sein könne .
Ihr erster Gedanke war , daß ihm vielleicht ein zu weit getriebener Scherz des boshaften Hippias anstößig gewesen sein möchte .
Allein was auch Hippias gesagt haben konnte , schien ihr nicht genügsam , eine so tiefe Wunde zu machen , als sie in seinem Herzen zu sehen glaubte .
Das Interesse ihres eigenen brachte sie bald auf einen anderen Gedanken , dessen sie vermutlich nicht fähig gewesen wäre , wenn ihre Liebe nicht die Eitelkeit überwogen hätte , welche bei den meisten Schönen die wahre Quelle dessen ist , was sie uns für Liebe gegeben wollen .
Wie , wenn seine Liebe zu erkalten anfinge ; sagte sie zu sich selbst -- erkalten ?
Himmel ! wenn das möglich ist , so werde ich bald gar nicht mehr geliebt sein . --
Dieser Gedanke war zu entsetzlich für ein so völlig eingenommenes Herz , als daß sie ihn sogleich hätte verbannen können -- wie bescheiden macht die wahre Liebe ! --
Sie , welche gewohnt gewesen war , in allen Augen die Wirkungen ihres alles besiegenden Reizes zu sehen ; sie , welche unter den Vollkommensten ihres Geschlechts nicht Eine kannte , von der sie jemals in dem süßen Bewußtsein ihrer Vorzüglichkeit nur einen Augenblick gestört worden wäre -- mit einem Wort -- Danae -- fing an mit Zittern sich selbst zu fragen :
ob sie auch liebenswürdig genug sei , das Herz eines so außerordentlichen Mannes in ihren Fesseln zu behalten ?
Und wenn gleich die Eigenliebe sie von Seiten ihres persönlichen Wertes hierüber beruhigte ; so war sie doch nicht ohne Sorgen , daß in ihrem Betragen etwas gewesen sein möchte , wodurch das Sonderbare in seiner Denkungsart , oder die ekle Zärtlichkeit seiner Empfindungen hätte beleidiget werden können .
Hatte sie ihm nicht zuviel Beweise von ihrer Liebe gegeben ?
Hätte sie ihm seinen Sieg nicht schwerer machen sollen ?
War es sicher , ihn die ganze Stärke ihrer Leidenschaft sehen zu lassen , und sich wegen der Erhaltung seines Herzens allein auf die gänzliche Dahingebung des Ihrigen zu verlassen ? --
Diese Fragen waren weder spitzfindig noch so leicht zu beantworten , als manches gute Ding sich einbildet , dem man eine ewige Liebe geschworen hat , und dessen geringster Kummer nun ist , ob man ihr werde Wort halten können .
Die schöne Danae kannte die Wichtigkeit derselben in ihrem ganzen Umfange ; und alles was sie sich selbst darüber sagen konnte , stellte sie doch nicht so zufrieden , daß sie nicht für nötig befunden hätte , einen gelegenen Augenblick zu belauschen , um sich über alle ihre Zweifel ins Klare zu setzen ; im übrigen sehr überzeugt , daß es ihr nicht an Mitteln fehlen werde , dem entdeckten Übel zu helfen , es möchte nun auch bestehen , worin es immer wollte .
Agathon ermangelte nicht , ihr noch an dem uehmlichen Tag Gelegenheit dazu zu geben .
Schwermut und Traurigkeit machen die Seele nach und nach schlaff , und eröffnen sie allen weichen und zärtlichen Regungen .
Dieser Satz ist so wahr , daß tausend Liebesverbindungen in der Welt keinen anderen Ursprung haben .
Ein Liebhaber verliert einen Gegenstand , den er anbetet ; er ergießt seine Klagen in den Busen einer Freundin , für deren Reizungen er bisher vollkommen gleichgültig gewesen war -- Sie bedauert ihn ; er findet sich dadurch erleichtert , daß er sich frei und ungehindert beklagen kann ; und die Schöne ist erfreut , daß sie Gelegenheit hat , ihr gutes Herz zu zeigen :
Ihr Mitleiden rührt ihn , und erregt seine Aufmerksamkeit : Sobald eine Frauensperson zu interessieren anfängt , sobald entdeckt man Reizungen an ihr :
Die Regungen , worin beide sich befinden , sind der Liebe günstig ; sie verschönern die Freundin , und blenden die Augen des Freundes :
Überdem sucht der Schmerz natürlicher Weise eine Zerstreuung , und ist geneigt sich an alles zu hängen , was ihm Trost und Linderung verspricht :
Eine dunkle Ahnung neuer Vergnügungen ; der Anblick eines Gegenstands , der solche geben kann ; die günstige Gemütsstellung , worin man denselben sieht , auf der Einen -- die Eitelkeit , diese große Treibfeder des weiblichen Herzens ; das Vergnügen , so zu sagen , einen Sieg über eine Nebenbuhlerin davon zu tragen , indem man liebenswürdig genug ist , ihren Verlust zu ersetzen ; die Begierde , selbst ihr Andenken auszulöschen ; vielleicht , auch die Gutherzigkeit der menschlichen Natur , und das Vergnügen glücklich zu machen , auf der anderen Seite -- wie viel Umstände , welche sich vereinigen , unvermerkt den Freund in einen Liebhaber , und die Vertraute in die Hauptperson eines neuen Romans zu verwandeln .
In einer Gemütsverfassung von dieser Art befand sich Agathon , als Danae , welche vernommen hatte , daß er den ganzen Abend in der einsamsten Gegend des Gartens zugebracht , sich nicht mehr zurückhalten konnte ihn aufzusuchen .
Sie fand ihn mit halbem Leib auf einer grünen Bank liegen , das Haupt unterstützt , und so zerstreut , daß sie eine Weile vor ihm stand , ehe er sie gewahr wurde .
Du bist traurig , Callias , sagte sie endlich mit einer gerührten Stimme , indem sie Augen voll mitleidender Liebe auf ihn heftete .
Kann ich traurig sein , wenn ich dich sehe ? erwiderte Agathon , mit einem Seufzer , welcher seine Frage zu beantworten schien .
Auch gab ihm Danae keine Antwort auf ein so verbindliches Kompliment , sondern fuhr fort , ihn stillschweigend , aber mit einem Gesicht voll Seele , und Augen die voller Wasser standen , anzusehen .
Er richtete sich auf , und sah sie eine Weile an , als ob er bis in den Grund ihrer Seele schauen wollte .
Ihre Herzen schienen durch ihre Blicke in einander zu zerfließen .
Liebest du mich , Danae ? fragte endlich Agathon mit einer von Zärtlichkeit und Wehmut halberstickten Stimme , indem er einen Arm um sie schlang , und fortfuhr sie mit wäßrigen Augen anzusehen .
Sie schwieg eine Zeit lang .
Ob ich dich liebe ? --
War alles was sie sagen konnte ; aber der Ausdruck , der Ton , womit sie es sagte , hätte durch alle Beredsamkeit des Demosthenes nicht ersetzt werden können .
Ach Danae !
( erwidert Agathon ) ich frage nicht , weil ich zweifle -- Kann ich eine Versicherung , von welcher das ganze Glück meines Lebens abhängt , zu oft von diesen geliebten Lippen empfangen ?
Wenn du mich nicht liebtest -- wenn du aufhören könntest mich zu lieben -- was für Gedanken , mein liebster Callias ? unterbrach sie ihn :
Wie elend wäre ich , wenn du sie in deinem Herzen fändest -- wenn dieses dir sagte , daß eine Liebe wie die unsrige aufhören könne ? --
Ein übelverhehlter Seufzer war alles was er antworten konnte .
Du bist traurig , Callias , fuhr sie fort ; ein geheimer Kummer bricht aus allen deinen Zügen hervor -- Du begreifst nicht , nein , du begreifst nicht , was ich leide , dich traurig zu sehen , ohne die Ursache davon zu wissen .
Wenn mein Vermögen , wenn meine Liebe , wenn mein Leben selbst hinlänglich ist , sie von dir zu entfernen , mein Geliebter , o !
so verzögre keinen Augenblick , dein Innerstes mir aufzuschließen -- Der Ausdruck , die Blicke , der Ton der Stimme , womit sie dieses sagte , rührte den gefühlvollen Agathon bis zu sprachloser Entzückung .
Er wand seine Arme um sie , druckte sein Gesicht auf ihre klopfende Brust , und konnte lange nur durch die Tränen reden , womit er sie benetzte .
Nichts ist ansteckendes als der Affeet einer in Empfindung zerfließenden Seele .
Danae , ohne die Ursache aller dieser Bewegungen zu wissen , wurde so sehr von dem Zustand gerührt , worin sie ihren Liebhaber sah , daß sie eben so sprachlos als er selbst , sympathetische Tränen mit den Seinigen vermischte .
Diese Szene , welche für den gleichgültigen Leser nicht so interessant sein kann , als sie es für unsere Verliebten war , dauerte eine ziemliche Weile .
Endlich faßte sich Agathon , und sagte in einer von diesen zärtlichen Ergiessungen der Seele , an welchen die Überlegung keinen Anteil hat , und worin man keine andere Absicht hat als ein volles Herz zu erleichtern :
Ich liebe dich zu sehr , unvergleichliche Danae , und fühle zu sehr , daß ich dich nicht genug lieben kann , um dir länger zu verhehlen , wer dieser Callias ist , den du , ohne ihn zu kennen , deines Herzens würdig geachtet hast .
Ich will dir das Geheimnis meines Namens und die ganze Geschichte meines Lebens , so weit ich in selbiges zurückzusehen vermag , entdecken ; und wenn du alles wissen wirst -- ich weiß es , daß ich einer so großen Seele , wie die deinige , alles entdecken darf --
Denn wirst du vielleicht natürlich finden , daß der flüchtigste Zweifel , ob es möglich sein könne deine Liebe zu verlieren , hinlänglich ist , mich elend zu machen .
Danae stutzte , wie man sich vorstellen kann , bei einer so unerwarteten Vorrede ; sie sah unseren Helden so aufmerksam an , als ob sie ihn noch nie gesehen hätte , und verwunderte sich jetzt über sich selbst , daß ihr nicht längst in die Augen gefallen war , daß weit mehr unter ihrem Liebhaber verborgen sei , als die Nachrichten des Hippias , und die Umstände , worin sich ihre Bekanntschaft angefangen , vermuten ließen .
Sie dankte ihm auf die zärtlichste Art für die Probe eines vollkommenen Zutrauens , welche er ihr geben wolle , und nach einigen vorbereitenden Liebkosungen , womit sie ihre Dankbarkeit bestätigte , fing Agathon die folgende Erzählung an : Siebentes Buch .
Erstes Kapitel .
Die erste Jugend des Agathons .
Ich war schon achtzehn Jahre alt , ehe ich denjenigen kannte , dem ich mein Dasein zu danken habe .
Von der ersien Kindheit an , in den Hallen des delphischen Tempels erzogen , war ich gewöhnt , die Priester des Apollo mit diesen kindlichen Empfindungen anzusehen , welche das erste Alter über alle , die für unsere Erhaltung Sorge tragen , zu ergießen pflegt .
Ich war noch ein kleiner Knabe , als ich schon mit dem geheiligten Gewand , welches die jungen Diener des Gottes von den Sklaven der Priester unterschied , bekleidet , und zum Dienst des Tempels , wozu ich gewidmet war , zubereitet wurde .
Wer Delphi gesehen hat , wird sich nicht verwundern , daß ein Knabe von gefühlvoller Art , der beinahe von der Wiegen an daselbst erzogen worden , unvermerkt eine Gemütsbildung bekommen muß , welche ihn von den gewöhnlichen Menschen unterscheidet .
Außer der besonderen Heiligkeit , welche ein uraltes Vorurteil und die geglaubte Gegenwart des Pythischen Gottes der ganzen delphischen Landschaft beigelegt hat , war in den Bezirken des Tempels selbst kein Platz , der nicht von irgend einem ehrwürdigen oder glänzenden Gegenstand erfüllt , oder durch das Andenken irgend eines Wunders verherrlichet war .
Wie nun der Anblick so vieler wundervoller Dinge das erste war , woran meine Augen gewöhnt wurden :
So war die Erzählung wunderbarer Begebenheiten die erste mündliche Unterweisung , die ich von meinen Vorgesetzten erhielt ; eine Art von Unterricht , den ich nötig hatte , weil es ein Teil meines Berufs sein sollte , den Fremden , von welchen der Tempel immer angefüllt war , die Gemälde , die Schnitzwerke und Bilder , und den unsäglichen Reichtum von Geschenken , wovon die Hallen und Gewölbe desselben schimmerten , zu erklären .
Für ungewohnte Augen ist vielleicht nichts blendendes als der Anblick eines von so vielen Königen , Städten und reichen Partikularen in ganzen Jahrhunderten zusammengehäuften Schatzes von Gold , Silber , Edelsteinen , Perlen , Elfenbein und anderen Kostbarkeiten : Für mich , der dieses Anblicks gewohnt war , hatte die bescheidene Bildsäule eines Solon mehr Reiz , als alle diese schimmernde Trophäen einer abergläubischen Andacht , welche ich gar bald mit eben der verachtenden Gleichgültigkeit ansah , womit ein Knabe die Puppen und Spielwerke seiner Kindheit anzusehen pflegt .
Noch unfähig , von den Verdiensten und dem wahren Wert der vergötterten Helden mir einen echten Begriff zu machen , stand ich oft vor ihren Bildern , und fühlte , indem ich sie betrachtete , mein Herz mit geheimen Empfindungen ihrer Größe und mit einer Bewunderung erfüllt , wovon ich keine andere Ursache als mein inneres Gefühl hätte angeben können .
Einen noch stärkeren Eindruck machte auf mich die große Menge von Bildern der verschiedenen Gottheiten , unter welchen unsere Voreltern die erhaltenden Kräfte der Natur , die mannigfaltigen Vollkommenheiten des menschlichen Geistes und die Tugenden des geselligen Lebens personifiziert haben , und wovon ich im Tempel und in den Hainen von Delphi mich allenthalben umgeben fand .
Meine damalige Erfahrung , schöne Danae , hat mich seitdem oftmals auf die Betrachtung geleitet , wie groß der Beitrag sei , welchen die schönen Künste zu Bildung des sittlichen Menschen tun können ; und wie weißlich die Priester der Griechen gehandelt , da sie die Musen und Grazien , deren Lieblinge ihnen so große Dienste getan , selbst unter die Zahl der Gottheiten aufgenommen haben .
Der wahre Vorteil der Religion , in so fern sie eine besondere Angelegenheit des priesterlichen Ordens ist , scheinet von der Stärke der Eindrücke abzuhangen , die wir in denjenigen Jahren empfangen , worin wir noch unfähig sind , Untersuchungen anzustellen .
Würden unsere Seelen in Absicht der Götter und ihres Dienstes von der Kindheit an leere Tafeln gelassen , und anstatt der unsicheren und verworrenen aber desto lebhafteren Begriffe , welche wir durch Fabeln und Wundergeschichte , und in etwas zunehmendem Alter durch die Musik und die abbildenden Künste von den übernatürlichen Gegenständen bekommen , allein mit den unverfälschten Eindrücken der Natur und den Grundsätzen der Vernunft überschrieben ; so ist sehr zu vermuten , daß der Aberglaube noch größere Mühe haben würde , die Vernunft -- als , in dem Falle , worin die meisten sich befinden , die Vernunft Mühe hat , den Aberglauben von der einmal eingenommenen Herrschaft zu verdrängen .
Der größte Vorteil , den dieser über jene hat , hanget davon ab , daß er ihr zuvorkommt .
Aber wie leicht wird es ihm alsdann sich einer noch unmündigen Seele zu bemeistern , wenn alle diese zauberische Künste , welche die Natur im Nachahmen selbst zu übertreffen scheinen , ihre Kräfte vereinigen , die entzückten Sinnen zu überraschen ?
Wie natürlich muß es demjenigen werden die Gottheit des Apollo zu glauben , ja endlich sich zu bereden , daß er ihre Gegenwart und Einflüsse fühle , der in einem Tempel aufgewachsen ist , dessen erster Anblick das Werk und die Wohnung eines Gottes ankündet ?
Demjenigen , der gewohnt ist den Apollo eines Phidias vor sich zu sehen , und das mehr als menschliche , welches die Kenner so sehr bewundern , der Natur des Gegenstands , nicht dem schöpferischen Geiste des Künstlers zuzuschreiben ?
So viel ich die Natur unserer Seele kenne , deucht mich , daß sich in einer jeden , die zu einem gewissen Grade von Entwicklung gelangt , nach und nach ein gewisses idealisches Schöne bilde , welches ( auch ohne daß man sich_es bewußt ist ) unseren Geschmack und unsere sittliche Urteile bestimmt , und das Modell abgibt , wonach unsere Einbildungskraft die besonderen Bilder dessen was wir groß , schön und vortrefflich nennen , zu entwerfen scheint .
Dieses idealische Modell formiert sich ( wie mich itzo wenigstens deucht , nachdem neue Erfahrungen mich auf neue oder erweiterte Betrachtungen geleitet haben ) aus der Beschaffenheit und dem Zusammenhäng der Gegenstände , worin wir zu leben anfangen. Daher ( wie die Erfahrung zu bestätigen scheint ) so viele besondere Denk- und Sinnesarten als man verschiedene Erziehungen und Stände in der menschlichen Gesellschaft antrifft .
Daher der Spartanische Heldenmut , die Attische Urbanität , und der aufgedunsene Stolz der Asiaten ; daher die Verachtung des Geometers für den Dichter , oder des spekulierenden Kaufmanns gegen die Spekulationen des Gelehrten , die ihm unfruchtbar scheinen , weil sie sich in keine Darici verwandeln wie die seinigen ; daher der grobe Materialismus des plumpen Handwerkers , der rauhe Ungestüm des Seefahrers , die mechanische Unempfindlichkeit des Soldaten , und die einfältige Schlauheit des Landvolks ; daher endlich , schöne Danae , die Schwärmerei , welche der weise Hippias deinem Callias vorwirft ; diese Schwärmerei , die ich vielleicht in einem minder erhabenen Licht sehe , seitdem ich ihre wahre Quelle entdeckt zu haben glaube ; aber die ich nichts desto weniger für diejenige Gemütsbeschaffenheit halte , welche uns , unter den nötigen Einschränkungen , glücklicher als irgend eine andere machen kann .
Du begreiffest leicht , schöne Danae , daß unter lauter Gegenständen , welche über die gewöhnliche Natur erhaben , und selbst schon idealisch sind , jenes phantastische Modell , dessen ich vorhin erwähnte , in einem so ungewöhnlichen Grade abgezogen und überirdisch werden mußte , daß bei zunehmendem Alter alles was ich wirklich sah , weit unter demjenigen war , was sich meine Einbildungskraft zu sehen wünschte .
In dieser Gemütsverfassung war ich , als einer von den Priestern zu Delphi aus Absichten , welche sich erst in der Folge ' entwickelten , es übernahm , mich in den Geheimnissen der Orphischen Philosophie einzuweihen ; der einzigen , die von unseren Priestern hochgeachtet wurde , weil sie die Vernunft selbst auf ihre Partei zu ziehen , und den Glauben von dessen unbeweglichem Ansehen das ihrige abhing , einen festeren Grund als die Tradition und die Fabeln der Dichter , zu geben schien .
Nichts , was ich jemals empfunden habe , gleicht der Entzückung , in die ich hingezogen wurde , als ich in den Händen dieses Egpptiers , der die geheime Götterlehre seiner Nation zu uns gebracht hat , in das Reich der Geister eingeführt , und zu einer Zeit , da die erhabensten Gemälde Homers und Pindars ihren Reiz für mich verloren hatten , mitten in der materiellen Welt mir eine Neue , mit lauter unsterblichen Schönheiten erfüllt , und von lauter Göttern bewohnt , eröffnet wurde .
Das Alter , worin ich damals war , ist dasjenige , worin wir , aus dem langen Traum der Kindheit erwachend , uns selbst zuerst zu finden glauben , die Welt um uns her mit erstaunten Augen betrachten , und neugierig sind , unsere eigene Natur und den Schauplatz , worauf wir uns ohne unser Zutun versetzt sehen , kennen zu lernen .
Wie willkommen ist uns in diesem Alter eine Philosophie , welche den Vorteil unserer Wissensbegierde mit dieser Neigung zum Wunderbaren und dieser arbeitscheuen Flüchtigkeit , welche der Jugend eigen sind , vereiniget , welche alle unsere Fragen beantwortet , alle Rätsel erklärt , alle Aufgaben auflöset ; eine Philosophie , welche desto_mehr mit dem warmen und gefühllosen Herzen der Jugend sympathisiert , weil sie alles Unempfindliche und Tote aus der Natur verbannet , und jeden Atom der Schöpfung mit lebenden und geistigen Wesen bevölkert , jeden Punkt der Zeit mit verborgenen Begebenheiten und großen Szenen befruchtet , welche für künftige Ewigkeiten heraureiffen ; ein System , welches die Schöpfung so unermeßlich macht , als ihr Urheber ist ; welches uns in der anscheinenden Verwirrung der Natur eine majestätische Symmetrie , in der Regierung der moralischen Welt einen unveränderlichen Plan , in der unzählbaren Menge von Klassen und Geschlechtern der Wesen einen einzigen Staat , in den verwickelten Bewegungen aller Dinge einen allgemeinen Richtpunkt , in unserer Seele einen künftigen Gott , in der Zerstörung unseres Körpers die Wiedereinsetzung in unsere ursprüngliche Vollkommenheit , und in dem nachtvollen Abgrund der Zukunft helle Aussichten in grenzenlose Wonne zeigt ?
Ein solches System ist zu schön an sich selbst , zu schmeichelhaft für unseren Stolz , unseren innersten Wünschen und wesentlichsten Trieben zu angemessen , als daß wir es in einem Alter , wo alles Große und Rührende so viel Macht über uns hat , nicht beim ersten Anblick wahr finden sollten .
Vermutungen und Wünsche werden hier zu desto stärkeren Beweisen , da wir in dem bloßen Anschauen der Natur zuviel Majestät , zuviel Geheimnisreiches und Göttliches zu sehen glauben , um besorgen zu können , daß wir jemals Zugroß von ihr denken möchten .
Und , soll ich dir_es gestehen , schöne Danae ?
Selbst jetzt , da mich glückliche Erfahrungen das Schwärmende und Unzuverlässige dieser Art von Philosphie gelehrt haben , fühle ich mit einer innerlichen Gewalt , die sich gegen jeden Zweifel empört , daß diese Übereinstimmung mit unseren edelsten Neigungen , welche ihr das Wort redet , der rechte Stempel der Wahrheit ist , und daß selbst in diesen Träumen , welche dem materialeschen Menschen so ausschweifend scheinen , für unseren Geist mehr Wirklichkeit , mehr Unterhaltung und Aufmunterung , eine reichere Quelle von ruhiger Freude und ein festerer Grund der Selbstzufriedenheit liegt , als in allem was die Sinne uns angenehmes und Gutes anzubieten haben .
Doch ich erinnere mich , daß es die Geschichte meiner Seele , und nicht die Rechtfertigung meiner Denkensart ist , wozu ich mich anheischig gemacht habe .
Es sei also genug , wenn ich sage , daß die Lehrsätze des Orpheus und des Pythagoras , von den Göttern , von der Natur , von unserer Seele , von der Tugend , und von dem was das höchste Gut des Menschen ist , sich meines Gemüts so gänzlich bemeisterten , daß alle meine Begriffe nach diesem Urbilde gemodelt , alle meine Reizungen davon beseelt , und mein ganzes Betragen , so wie alle meine Entwürfe für die Zukunft , mit dem Plan eines nach diesen Grundsätzen abgemessenen Lebens , dessen Beurteilung mich unaufhörlich in mir selbst beschäftigte , übereinstimmig waren .
Zweites Capitel. En animam & mentem cum qua Di nocte loquantur !
Der Priester , der sich zu meinem Mentor aufgeworfen hatte , schien über den außerordentlichen Geschmack , den ich an seinen erhabenen Unterweisungen fand , sehr vergnügt zu sein , und ermangelte nicht , meinen Enthusiasmus bis auf einen Grad zu erhöhen , welcher mich , seiner Meinung nach , alles zu glauben und alles zu leiden fähig machen müßte .
Ich war zu jung und zu unschuldig , um das kleinste Mißtrauen in seine Bemühungen zu setzen , bei welchen die Aufrichtigkeit meines eigenen Herzens die edelsten Absichten voraussetzte .
Er hatte die Vorsicht gebraucht , es so einzuleiten , daß ich endlich aus eigener Bewegung auf die Frage geraten mußte , ob es nicht möglich sei , schon in diesem Leben mit den höheren Geistern in Gemeinschaft zu kommen ?
Dieser Gedanke beschäftigte mich lange bei mir selbst ; ich fand möglich , was ich mit der größten Lebhaftigkeit wünschte .
Die Geschichte der ersten Zeiten schien meine Hoffnung zu bestätigen .
Die Götter hatten sich den Menschen bald in Träumen , bald in Erscheinungen entdeckt ; verschiedene waren so gar glücklich genug gewesen , Günstlinge der Götter zu sein .
Hier kam mir Ganymed , Endymion und so viele andere zu statt , welche von Gottheiten geliebt worden waren .
Ich gab demjenigen , was die Dichter davon erzählen , eine Auslegung , welche den erhabenen Begriffen gemäß war , die ich von den höheren Wesen gefasst hatte ; die Schönheit und Reinheit der Seele , die Abgezogenheit von den Gegenständen der Sinne , die Liebe zu den unsterblichen und ewigen Dingen , schien mir dasjenige zu sein , was diese Personen den Göttern angenehm , und zu ihrem Umgang geschickt gemacht hatte .
Ich entdeckte endlich dem Theogiton ( so hieß der Priester ) meine lange geheim gehaltene Gedanken .
Er erklärte sich auf eine Art darüber , welche meine Neubegterde rege machte , ohne sie zu befriedigen ; er ließ mich merken , daß dieses Geheimnisse seien , welche er Bedenken trage , meiner Jugend anzuvertrauen :
Doch sagte er mir , daß die Möglichkeit der Sache keinem Zweifel unterworfen sei , und bezauberte mich ganz mit dem Gemälde , so er mir von der Glückseligkeit derjenigen machte , welche von den Göttern würdig geachtet würden , zu ihrem geheimen Umgang zugelassen zu werden .
Die geheimnisvolle Mine , die er annahm , so bald ich nach den Mitteln hierzu zu gelangen fragte , bewog mich , den Vorsatz zu fassen , zu warten , bis er selbst für gut finden würde , sich deutlicher zu entdecken .
Er tat es nicht ; aber er machte so viele Gelegenheiten , meine erregte Neugierigkeit zu entflammen , daß ich mich nicht lange enthalten konnte , neue Fragen zu tun .
Endlich führte er mich einsmals tief im geheiligten Hain des Apollo in eine Grotte , welche ein uralter Glaube der Bewohner des Landes von den Nymphen bewohnt glaubte , deren Bilder , aus Zypressenholz geschnitzt , in Blinden von Muschelwerk das Innerste der Höhle zierten .
Hier ließ er mich auf eine bemooste Bank niedersitzen , und fing nach einer viel versprechenden Vorrede an , mir , wie er sagte , das geheime Heiligtum der göttlichen Philosophie des Hermes und Orpheus aufzuschließen .
Unzählige religiose Waschungen , und eine Menge von Gebeten , Räucherungen und andere geheimen Anstalten mußten vorhergehen , einen noch in irdische Glieder gefesselten Geist zum Anschauen der himmlischen Naturen vorzubereiten .
Und auch alsdann würde unser sterblicher Teil den Glanz der göttlichen Vollkommenheit nicht ertragen , sondern ( wie die Dichter unter der Geschichte der Semele zu erkennen gegeben ) gänzlich davon verzehrt und vernichtet werden , wenn sie sich nicht mit einer Art von körperlichem Schleier umhüllen , und durch diese Herablassung uns nach und nach fähig machen würden , sie endlich selbst , entkörpert und in ihrer wesentlichen Gestalt anzuschauen .
Ich war einfältig genug alle diese vorgegebene Geheimnisse für echt zu halten ; ich hörte dem ernsten Theogiton mit einem heiligen Schauer zu , und machte mir seine Unterweisungen so wohl zu nutze , daß ich Tag und Nacht an nichts anders dachte als an die außerordentliche Dinge , wovon ich in kurzem die Erfahrung bekommen würde .
Du kannst dir einbilden , Danae , ob meine Phantasie in dieser Zeit müßig war .
Ich würde nicht fertig werden , wenn ich alles beschreiben wollte , was damals in ihr vorging , und mit welch einer Zauberei sie mich in meinen Träumen bald in glücklichen Inseln , welche Pindar so prächtig schildert , bald zum Gastmahl der Götter , bald in die Elysischen Täler , der Wohnung seliger Schatten , versetzte .
So seltsam es klingt , so gewiß ist es doch , daß die Kräfte der Einbildung dasjenige weit übersteigen , was die Natur unseren Sinnen darstellt : Sie hat etwas glänzendes als Sonnenglanz , etwas lieblicheres als die süßesten Düfte des Frühlings zu ihren Diensten , unsere inneren Sinnen in Entzückung zu setzen ; sie hat neue Gestalten , höhere Farben , vollkommenere Schönheiten , schnellere Veranstaltungen , eine neue Verknüpfung der Ursachen und Wirkungen , eine andere Zeit -- kurz , sie verschafft eine neue Natur , und versetzt uns in der Tat in fremde Welten , welche nach ganz anderen Gesetzen als die unsrige regiert werden .
In unserer ersten Jugend sind wir noch zu unbekannt mit den Triebfedern unseres eigenen Wesens , um deutlich einzusehen , wie sehr diese scheinbare Magie der Einbildungskraft in der Tat natürlich ist .
Wenigstens war ich damals leichtgläubig genug , Träume von dieser Art , übernatürlichen Einflüssen beizumessen , und sie für Vorboten der Wunderdinge zu halten , welche ich bald auch wachend zu erfahren hoffte .
Einsmals , als ich nach der Vorschrift des Theogitons acht Tage lang mit geheimen Zeremonien und Weihungen , und in einer unablässigen Anstrengung mein Gemüt von allen äußerlichen Gegenständen abzuziehen , zugebracht hatte , und mich nunmehr berechtiget hielt , etwas mehr zu erwarten , als was mir bisher begegnet war , begab ich mich in später Nacht , da alles schlief , in die Grotte der Nymphen , und nachdem ich eine Menge von schwülstigen Liedern und Anrufungsformeln hergesagt hatte , legte ich mich , mit dem Angesicht gegen den vollen Mond gekehrt , welcher eben damals in die Grotte schien , auf die Ruhebank zurück , und überließ mich der Vorstellung , wie mir sein würde , wenn Luna aus ihrer Silbersphäre herabsteigen , und mich zu ihrem Endymion machen würde .
Mitten in diesen ausschweifenden Vorstellungen , unter denen ich allmählich zu entschlummern ansinge , weckte mich plötzlich ein liebliches Getöne , welches in einiger Entfernung über mir zu schweben schien , und wie ich bald erkannte , aus derjenigen Art von Saitenspiel erklang , welche man dem Apollo zuzueignen pflegt .
Einem natürlich gestimmten Menschen würde gedäucht haben , er höre ein gutes Stück von einer geschickten Hand ausgeführt ; und so hätte er sich nicht betrügen können .
Aber in der Verfassung , worin ich damals war , hätte ich vielleicht das Gequäke eines Chors von Fröschen für den Gesang der Musen gehalten .
Die Musik , die ich hörte , rührte , fesselte , entzückte mich ; sie übertraf , meiner eingebildeten Empfindung nach ( denn die Phantasie hat auch ihre Empfindungen , ) alles was ich jemals gehört hatte ; nur Apollo , der Vater der Harmonie , dessen Laute die Sphären ihre Götter-vergnügende Harmonien gelehrt hatte , konnte so überirdische Töne hervorbringen .
Meine Seele schien davon wie aus ihrem Leibe emporgezogen zu werden , und , lauter Ohr , über den Wolken zu schweben ; als diese Musik plötzlich aufhörte , und mich in einer Verwirrung von Gedanken und Gemütsregungen zurückließ , die mir diese ganze Nacht kein Auge zu schließen , gestattete .
Des folgenden Tages erzählte ich dem Theogiton , was mir begegnet war .
Er schien nichts sehr besonders daraus zu machen ; doch gab er , nachdem er mich um alle Umstände befragt hatte , zu , daß es Apollo , oder eine von den Musen gewesen sein könne .
Du wirst lächeln , Danae , wenn ich dir gestehe , daß ich , so jung ich war , und ohne mir selbst recht bewußt zu sein , warum ?
doch lieber gesehen hätte , wenn es eine Muse gewesen wäre .
Ich unterließ nun keine Nacht , mich in der Grotte einzufinden , um die vermeinte Muse wieder zu hören :
Aber meine Erwartung betrog mich ; es war Apollo selbst .
Nach etlichen Nächten , worin ich mich mit der stummen Gegenwart der Nymphen von Zypressenholz hatte begnügen müssen , kündigte mir ein heller Schein , der auf einmal in die Grotte fiel , und durch die allgemeine Dunkelheit und meinen Wahnwitz zu einem überirdischen Licht erhoben wurde , irgend eine außerordentliche Begebenheit an .
Urteile , wie bestürzt ich war , als ich mitten in der Nacht , den Gott des Tages , auf einer hellglänzenden Wolke sitzend , vor mir sah , der sich mir zu lieb den Armen der schönen Thetis entrissen hatte .
Goldgelbe Locken flossen um seine weißen Schultern ; eine Krone von Strahlen schmückte seine Scheitel ; das silberne Gewand , das ihn umfloß , funkelte von tausend Edelsteinen ; und eine goldene Leier lag in seinem linken Arm .
Meine Einbildung tat das übrige hinzu , was zu Vollendung einer idealischen Schönheit nötig war .
Allein Bestürzung und Ehrfurcht erlaubte mir nicht , dem Gott genauer ins Gesicht zu sehen ; ich glaubte geblendet zu sein , und den Glanz von Augen , welche die ganze Welt erleuchteten , nicht ertragen zu können .
Er redete mich an ; er bezeugte mir sein Wohlgefallen an meinem Dienst , und an der feurigen Begierde , womit ich , mit Verachtung der irdischen Dinge mich den himmlischen widmete .
Er munterte mich auf , in diesem Wege fortzugehen , und mich den Einflüssen der Unsterblichen leidend zu überlassen ; mit der Versicherung , daß ich bestimmt sei , die Anzahl der Glücklichen zu vermehren , welche er seiner besonderen Gunst gewürdigt habe .
Er verschwand , indem er diese Worte sagte , so plötzlich , daß ich nichts dabei beobachten konnte ; und so voreingenommen als mein Gemüt war , hätte dieser Apollo seine Rolle viel ungeschickter spielen können , ohne daß mir ein Zweifel gegen seine Gottheit aufgestiegen wäre .
Theogiton , dem ich von dieser Erscheinung Nachricht gab , wünschte mir Glück dazu , und sagte mir von den alten Helden unserer Nation , welche einst Lieblinge der Götter gewesen , und nun als Halbgötter selbst Altäre und Priester hätten , so viel herrliche Sachen vor , als er nötig erachten mochte , meine Betörung vollkommen zu machen .
Am Ende vergaß er nicht , mir Anweisung zu geben , wie ich mich bei einer zweiten Erscheinung gegen den Gott zu verhalten hätte .
Insonderheit ermahnte er mich , mein Urteil über alles zurückzuhalten , mich durch nichts befremden zu lassen , und der Vorschrift unserer Philosophie immer eingedenk zu bleiben , welche eine gänzliche Untätigkeit von uns fordert , wenn die Götter auf uns wirken sollen .
Man mußte so unerfahren sein , als ich war , um keine Schlange unter diesen Blumen zu merken .
Nichts als die Entwicklung dieser heiligen Mummerei konnte mir die Augen öffnen .
Ich konnte unmöglich aus mir selbst auf den Argwohn geraten , daß die Zuneigung einer Gottheit eigennützig sein könne .
Ich hatte vielmehr gehofft , die größten Vorteile für meine Wissens-Begierde von ihr zu ziehen , und mit mehr als menschlichen Vorzügen begabt zu werden .
Die Erklärungen des Apollo befremdeten mich endlich , und seine Handlungen noch mehr ; zuletzt entdeckte ich , was du schon lange vorher gesehen haben musst , daß der vermeinte Gott kein anderer als Theogiton selber war ; welcher , sobald er sein Spiel entdeckt sah , auf einmal die Sprache änderte , und mich bereden wollte , daß er diese Komödie nur zu dem Ende angestellt habe , um mich von der Eitelkeit der Theosophie , in die er mich so verliebt gesehen hätte , desto besser überzeugen zu können .
Er zog die Folge daraus : Daß alles , was man von den Göttern sagte , Erfindungen schlauer Köpfe wären , womit sie Weiber und leichtgläubige Knaben in ihr Netz zu ziehen suchten ; Kurz , er wandte alles an , was eine unsittliche Leidenschaft einem schamlosen Verächter der Götter eingeben kann , um die Mühe einer so wohl ausgesonnenen und mit so vielen Maschinen aufgestützten Verführung nicht umsonst gehabt zu haben .
Ich verwies ihm seine Bosheit mit einem Zorne , der mich stark genug machte , mich von ihm loszureißen .
Des folgenden Tags hatte er die Unverschämtheit , die priesterlichen Verrichtungen mit eben der heuchlerischen Andacht fortzusetzen , womit er mich und jeden anderen bisher hintergangen hatte .
Er ließ nicht die geringste Veränderung in seinem Betragen gegen mich merken , und schien sich des Vergangenen eben so wenig zu erinnern , als ob er den ganzen Lethe ausgetrunken hätte .
Diese Aufführung vermehrte meine Unruhe sehr ; ich konnte noch nicht begreifen , daß es Leute geben könne , welche , mitten in den Ausschweifungen des Lasters , Ruhe und Heiterkeit , die natürlichen Gefährten der Unschuld , beizubehalten wissen .
Allein in weniger Zeit darauf befreite mich die Unvorsichtigkeit dieses Betrügers von den Besorgnissen , worin ich seit der Geschichte in der Grotte geschwebt hatte .
Theogiton verschwand aus Delphi , ohne daß man die eigentliche Ursache davon erfuhr .
Aus dem , was man sich in die Ohren murmelte , erriet ich , daß Apollo endlich überdrüssig geworden sein möchte , seine Person von einem anderen spielen zu lassen .
Einer von unseren Knaben , der ein Verwandter des Ober-Priesters war , hatte ( wie man sagte ) den Anlas dazu gegeben .
Diese Begebenheiten führten mich natürlicher Weise auf viele neue Betrachtungen ; aber meine Neigung zum Wunderbaren und meine Lieblings-Ideen verloren nichts dabei ; sie gewannen vielmehr , indem ich sie nun in mich selbst verschloß , und die Unsterblichen allein zu Zeugen desjenigen machte , was in meiner Seele vorging .
Ich fuhr fort , die Verbesserung derselben nach den Grundsätzen der Orphischen Philosophie mein vornehmstes Geschäfte sein zu lassen .
Ich fing nun an zu glauben , daß keine andere als eine idealische Gemeinschaft zwischen den Höheren Wesen und den Menschen möglich sei ; daß nichts als die Reinheit und Schönheit unserer Seele vermögend sei , uns zu einem Gegenstande des Wohlgefallens jenes Unnennbaren , Allgemeinen , Obersten Geistes zu machen , von welchem alle übrige , wie die Planeten von der Sonne , ihr Licht -- und die ganze Natur ihre Schönheit und unwandelbare Ordnung erhalten ; und daß endlich in der Übereinstimmung aller unserer Kräfte , Gedanken und geheimsten Neigungen mit den großen Absichten und den allgemeinen Gesetzen dieses Beherrschers der sichtbaren und unsichtbaren Welt , das wahre Geheimnis liege , zu derjenigen Vereinigung mit demselben zu gelangen , welche ich für die natürliche Bestimmung und das letzte Ziel aller Wünsche eines unsterblichen Wesens ansah .
Beides , jene geistige Schönheit der Seele und diese erhabene Richtung ihrer Wirksamkeit nach den Absichten des Gesetzgebers der Wesen , glaubte ich am sichersten durch die Betrachtung der Natur zu erhalten ; welche ich mir als einen Spiegel vorstellte , aus welchem das Wesentliche , Unvergängliche und Göttliche in unseren Geist zurückstrahle , und ihn nach und nach eben so durch dringe und erfülle , wie die Sonne einen angestrahlten Wasser-Tropfen .
Ich überredete mich , daß die unverrückte Beschauung der Weisheit und Güte , welche so wohl aus der besonderen Natur eines jeden Teils der Schöpfung , als aus dem Plan und der allgemeinen Ökonomie des Ganzen hervorleuchte , das unfehlbare Mittel sei , selbst weise und gut zu werden .
Ich brachte alle diese Grundsätze in Ausübung .
Jeder neue Gedanke , der sich in mir entwickelte , wurde zu einer Empfindung meines Herzens ; und so lebte ich in einem stillen und lichtvollen Zustand des Gemüts , dessen ich mich niemals anders als mit wehmütigem Vergnügen erinnern werde , etliche glückliche Jahre hin ; unwissend ( und glücklich durch diese Unwissenheit ) daß dieser Zustand nicht dauern könne ; weil die Leidenschaften des reifenden Alters , und ( wenn auch diese nicht wären ) die unvermeidliche Wicklung in dem Wechsel der menschlichen Dinge jene Fortdauer von innerlicher Heiterkeit und Ruhe nicht gestatten , welche nur ein Anteil entcörperter Wesen sein kann .
Drittes Kapitel .
Die Liebe in verschiedenen Gestalten .
Inzwischen hatte ich das achtzehnte Jahr erreicht , und fing nun an , mitten unter den angenehmen Empfindungen , von denen meine Denkungs-Art und meine Beschäftigungen unerschöpfliche Quellen zu sein schienen , ein Leeres in mir zu fühlen , welches sich durch keine Ideen ausfüllen lassen wollte .
Ich sah die mannigfaltigen Namen der Natur wie mit neuen Augen an ; ihre Schönheiten hatten für mich etwas Herz-rührendes , welches ich sonst nie auf diese Art empfunden hatte .
Der Gesang der Vögel im Haine schien mir was zu sagen , das er mir nie gesagt hatte , ohne daß ich wußte , was es war ; und die neu belaubten Wälder schienen mich einzuladen , in ihren Schatten einer wollüstigen Schwermut nachzuhängen , von welcher ich mitten in den erhabensten Betrachtungen wider meinen Willen überwältiget wurde .
Nach und nach verfiel ich in eine weichliche Untätigkeit :
Mich dünkte , ich sei bisher nur in der Einbildung glücklich gewesen ; und mein Herz sehnte sich nach einem Gegenstand , in welchem ich jene idealische Vollkommenheiten wirklich genießen möchte , an denen ich mich bisher nur wie an einem geträumten Gastmahle geweidet hatte .
Damals zuerst stellten sich mir die Reizungen der Freundschaft in einer vorher nie empfundenen Lebhaftigkeit dar :
Ein Freund ( bildete ich mir ein ) ein Freund würde diese geheime Sehnsucht meines Herzens befriedigen .
Meine Phantasie malte sich einen Pylades aus , und mein verlangendes Herz bekränzte dieses schöne Bild mit allem , was mir das Liebenswürdigste schien , selbst mit jenen äußerlichen Annehmlichkeiten , welche in meinem System den natürlichen Schmuck der Tugend ausmachten .
Ich suchte diesen Freund unter der blühenden Jugend , welche mich umgab .
Mehr als einmal betrog mich mein Herz , ihn gefunden zu haben ; aber eine kurze Erfahrung machte mich meines Irrtums bald gewahr werden .
Unter einer so großen Anzahl von auserlesenen Jünglingen , welche die Liverei des Gottes zu Delphi trugen , war nicht ein einziger , den die Natur so vollkommen mit mir zusammen gestimmt hatte , als die Spitzfindigkeit meiner Begriffe es erforderte .
Um diese Zeit geschah es , daß ich das Unglück hatte , der Ober-Priesterin eine Neignug einzuflößen , welche mit ihrem geheiligten Stande und mit ihrem Alter einen gleich starken Absatz machte ; sie hatte mich schon seit geraumer Zeit mit einer vorzüglichen Gütigkeit angesehen , welche ich , so lang ich konnte , einer mütterlichen Gesinnung beimaß , und mit aller der Ehrerbietung erwiderte , die ich der Vertrauten des Delphischen Gottes schuldig war .
Stelle dir vor , schöne Danae , was für ein Modell zu einer Bild-Säule des Erstaunens ich abgegeben hätte , als sich eine so ehrwürdige Person herabließ , mir zu entdecken , daß alle Vertraulichkeit , die ich zwischen ihr und dem Apollo voraussetzte , nicht zureiche , sie über die Schwachheiten der gemeinsten Erden-Töchter hinwegzusetzen .
Die gute Dame war bereits in demjenigen Alter , worin es lächerlich wäre , das Herz eines Mannes von einiger Erfahrung einer jungen Nebenbuhlerin streitig machen zu wollen .
Allein einem Neuling , wofür sie mich mit gutem Grund ansah , die ersten Unterweisungen zu geben , dazu konnte sie sich ohne übertriebene Eitelkeit für reizend genug halten .
Sie war zu den Zeiten des Heiligen Kriegs in der Blühte ihrer Schönheit gewesen ; hatte sich aber , wie die meisten ihres Standes , so gut erhalten , daß sie noch immer Hoffnung haben konnte , in einer Versammlung herbstlicher Schönheiten vorzüglich bemerkt zu werden .
Setze zu diesen ehrwürdigen Überbleibseln einer vormals berühmten Schönheit eine Figur , wie man die blonde Ceres zu bilden pflegt , große schwarze Augen , unter deren affektiertem Ernst eine wollüstige Glut hervorglimmte , und zu allem diesem eine ungemeine Sorgfalt für ihre Person , und die schlaue Kunst , die Vorteile ihrer Reizungen mit der strengen Sittsamkeit ihrer priesterlichen Kleidung zu verbinden :
so kannst du dir eine genugsame Vorstellung von dieser Pythia machen , um den Grad der Gefahr abnehmen zu können , worin sich die Einfalt meiner Jugend bei ihren Nachstellungen befand .
Es ist leicht zu erachten , wie viel es sie Mühe kosten mußte , die ersten Schwierigkeiten zu überwinden , welche ein mehr Ehrfurcht als Liebe einflößendes Frauenzimmer , in den hartnäckigen Vorurteilen eines achtzehnjährigen Jünglings findet .
Ihr Stand erlaubte ihr nicht , sich deutlich zu erklären ; und meine Blödigkeit verstand die Sprache nicht , deren sie sich zu bedienen genötigt war .
Zwar braucht man sonst zu dieser Sprache keinen anderen Lehrmeister als sein Herz ; allein unglücklicher Weise sagte mir mein Herz nichts .
Es bedurfte der lange geübten Geduld einer bejahrten Priesterin , um nicht tausendmal das Vorhaben aufzugeben , einem Menschen , der aus lauter Ideen zusammengesetzt war , ihre Absichten begreiflich zu machen .
Und dennoch fand sie sich endlich genötigt , sich des einzigen Kunstgriffs zu bedienen , von dem man in solchen Fällen eine gewisse Wirkung erwarten kann ; sie hatte noch Reizungen , welche die ungewohnten Augen eines Neulings blenden konnten .
Die Verwirrung , worein sie mich durch den ersten Versuch von dieser Art gesetzt sah , schien ihr von guter Vorbedeutung zu sein ; und vielleicht hätte sie sich weniger in ihrer Erwartung betrogen , wenn nicht ein Umstand , von dem ihr nichts bekannt war , meinem Herzen eine mehr als gewöhnliche Stärke gegeben hätte .
Unsere Tugend , oder diejenigen Wirkungen , welche das Ansehen haben , aus einer so edlen Quelle zu fließen , haben insgemein geheime Triebfedern , die uns , wenn sie gesehen würden , wo nicht alles , doch einen großen Teil unseres Verdienstes dabei entziehen würden .
Wie leicht ist es , der Versuchung einer Leidenschaft zu widerstehen , wenn ihr von einer stärkeren die Waage gehalten wird ?
Kurz zuvor , ehe die schöne Pythia ihren physikalischen Versuch machte , war das Fest der Diana eingefallen , welches zu Delphi mit aller der Feierlichkeit begangen wird , die man der Schwester des Apollo schuldig zu sein vermeint .
Alle Jungfrauen über vierzehn Jahre erschienen dabei in Schneeweissem Gewand , mit aufgelösten fliegenden Haaren , den Kopf und die Arme mit Blumen-Kränzen umwunden , und sangen Hymnen zum Preis der jungfräulichen Göttin .
Auch alte halb verloschene Augen heiterten sich beim Anblick einer so zahlreichen Menge junger Schönen auf , deren geringster Reiz die frischeste Blum der Jugend war .
Urteile , schöne Danae , ob derjenige , den der bunte Schimmer eines blühenden Blumen-Stücks schon in eine Art von Entzückung setzte , bei einem solchen Auftritt unempfindlich bleiben konnte ?
Meine Blicke irrten in einer zärtlichen Verwirrung unter diesen anmutsvollen Geschöpfen herum ; bis sie sich plötzlich auf einer einzigen sammelten , deren erster Anblick meinem Herzen keinen Wunsch übrig ließ , etwas anders zu sehen .
Vielleicht würde mancher sie unter so vielen Schönen kaum besonders wahrgenommen haben ; denn der schönste Wuchs , die regelmässigsten Züge , langes Haar , dessen wallende Locken bis zu den Knien herunterflossen , und eine Farbe , welche Lilien und Rosen , wenn sie ihre eigene Schönheit fühlen könnten , beschämt hätte , alle diese Reizungen waren ihr mit ihren Gespielen gemein ; viele übertrafen sie noch in einem und dem anderen Stücke der Schönheit , und wenn ein Maler unter der ganzen Schar hätte entscheiden sollen , welche die Schönste sei , so würde sie vielleicht übergangen worden sein ; allein mein Herz urteilte nicht nach den Regeln der Kunst .
Ich empfand , oder glaubte zu empfinden , ( und dieses ist in Absicht der Wirkung allemal eins ) daß nichts liebenswürdigeres als dieses junge Mädchen sein könne , ohne daß ich daran gedachte , sie mit den übrigen zu vergleichen ; sie löschte alles andere aus meinen Augen aus .
So ( dachte ich ) müßte die Unschuld aussehen , wenn sie , unsichtbar zu werden , die Gestalt einer Grazie entlehnte ; so rührend würden ihre Gesichtszüge sein ; so still-heiter würden ihre Augen ; so holdselig ihre Wangen lächeln ; so würden ihre Blicke , so ihr Gang , so jede ihrer Bewegungen sein .
Dieser Augenblick brachte in meiner Seele eine Veränderung hervor , welche mir , da ich in der Folge fähig wurde , über meinen Zustand zu denken , dem Übergang in eine neue und vollkommenere Art des Daseins gleich zu sein schien .
Aber damals war ich zu stark gerührt , zu sehr von Empfindungen verschlungen , um mir meiner selbst recht bewußt zu sein .
Meine Entzückung ging so weit , daß ich nichts mehr von dem Pomp des Festes bemerkte ; und erst , nachdem alles gänzlich aus meinen Augen verschwunden war , wurde ich , wie durch einen plötzlichen Schlag , wieder zu mir selbst gebracht .
Jzt hatte ich Mühe , mich zu überzeugen , daß ich nicht aus einem von den Träumen erwacht sei , worin meine Phantasie , in überirdische Sphären verzückt , mir zuweilen ähnliche Gestalten vorgestellt hatte .
Der Schmerz , eines so süßen Anblicks beraubt zu sein , konnte das vollkommene Vergnügen nicht schwächen , womit das Innerste meines Wesens erfüllt war .
Selbigen ganzen Abend , und den größten Teil der Nacht , hatten alle Kräfte meiner Seele keine andere Beschäftigung , als sich dieses geliebte Bild bis auf die kleinsten Züge mit allen diesen namenlosen Reizen , -- welche vielleicht ich allein an dem Urbilde bemerkt hatte , -- und mit einer Lebhaftigkeit vorzumalen , die ihm immer neue Schönheiten lehnte ; mein Herz schmückte es mit allem , was die Natur Anmutiges hat , mit allen Vorzügen des Geistes , mit jeder sittlichen Schönheit , mit allem was nach meiner Denkungs-Art das Vollkommenste und Beste war , aus -- was für ein Gemälde , wozu die Liebe die Farben gibt ! --
Und doch glaubte ich immer , zu wenig zu tun ; und bearbeitete mich in mir selbst , noch etwas Schöners als das Schönste zu finden , um die Idee , die ich mir von meiner Unbekannten machte , gänzlich zu vollenden , und gleichsam in das Urbild selbst zu verwandeln .
-- Diese liebenswürdige Person hatte mich zu eben der Zeit , da ich sie erblickte , wahrgenommen ; und es war ( wie sie mir in der Folge entdeckte ) etwas mit den Regungen meines Herzens Übereinstimmendes in dem ihrigen vorgegangen .
Ich erinnerte mich , ( denn wie hätte ich die kleinste Bewegung , die sie gemacht hatte , vergessen können ? ) daß unsere Blicke sich mehr als ein Mal begegnet waren , und daß sie sogleich mit einer Schamröte , welche ihr ganzes liebliches Gesicht mit Rosen überzog , die Augen niedergeschlagen hatte .
Ich war zu unerfahren , und in der Tat auch zu bescheiden , aus diesem Umstand etwas besonderes zu meinem Vorteil zu schließen ; aber doch erinnerte ich mich desselben mit einem so innigen Vergnügen , als ob es mir geahnt hätte , wie glücklich mich die Folge davon machen würde .
Ich hatte die Eitelkeit nicht , welche uns zu schmeicheln pflegt , daß wir liebenswürdig seien ; ich dachte an nichts weniger , als auf Mittel , wie ich mich lieben machen wollte .
Aber die Schönheit der Seeledie ich in ihrem Gesichte ausgedrückt gesehen hatte ; diese sanfte Heiterkeit , die aus dem natürlichen Ernst ihrer Züge hervorlächelte , hauchten mir Hoffnung ein , daß ich geliebt werden würde .
-- Und welch einen Himmel von Wonne eröffnete diese Hoffnung vor mir !
Was für Aussichten !
Welches Entzücken ! --
Wenn ich mir vorstellte , daß mein ganzes Leben , daß selbst die Ewigkeiten , in deren grenzenlosen Tiefen , der Glückliche die Dauer seiner Wonne so gerne sich verlieren läßt , in ihrem Anschauen und an ihrer Seite dahinfließen würden !
So lebhafte Hoffnungen setzten voraus , daß ich sie wieder finden würde ; und dieser Wunsch brachte die Begierde mit sich , zu wissen wer sie sei .
Aber wen konnte ich fragen ?
Ich hatte keinen Freund , dem ich mich entdecken durfte ; von einem jeden anderen glaubte ich , daß er bei einer solchen Frage mein ganzes Geheimnis in meinen Augen lesen würde ; und die Liebe , die ein sehr guter Ratgeber ist , hatte mich schon einsehen gemacht , wie viel daran gelegen sei , daß der Pythia nicht das Geringste zu Ohren komme , was ihr den Zustand meines Herzens hätte verraten , oder sie zu einer mißtrauischen Beobachtung meines Betragens veranlassen können .
Ich verschloß also mein Verlangen in mich selbst , und erwartete mit Ungeduld , bis irgend ein meiner Liebe günstiger Schutz-Geist mir zu dieser gewünschten Entdeckung verhelfen würde .
Nach einigen Tagen fügte es sich , daß ich meiner geliebten Unbekannten in einem der Vorhöfe des Tempels begegnete .
Die Furcht , von jemand beobachtet zu werden , hielt mich in eben dem Augenblick zurück , da ich auf sie zueilen und meine Entzückung über diesen unverhofften Anblick in Gebärden , und vielleicht in Ausrufungen , ausbrechen lassen wollte .
Sie blieb , indem sie mich erblickte , einige Augenblicke stehen , und sah mich an .
Ich glaubte ein plötzliches Vergnügen in ihrem schönen Gesicht aufgehen zu sehen ; sie errötete , schlug die Augen wieder nieder , und eilte davon .
Ich durfte es nicht wagen , ihr zu folgen ; aber meine Augen folgten ihr , so lang es möglich war ; und ich sah , daß sie zu einer Tür einging , welche in die Wohnung der Priesterin führte .
Ich begab mich in den Hain , um meinen Gedanken über diese angenehme Erscheinung ungestörter nachzuhängen .
Der letzte Umstand , den ich bemerkt hatte , und ihre Kleidung , brachte mich auf die Vermutung , daß sie vielleicht eine von den Aufwärterinnen der Pythia sei , deren diese Dame eine große Anzahl hatte , die aber ( außer bei besonderen Feierlichkeiten ) selten sichtbar wurden .
Diese Entdeckung beschäftigte mich noch nach der ganzen Wichtigkeit , die sie für mich hatte , als ich , in der Tat zur ungelegensten Zeit von der Welt , zu der zärtlichen Priesterin gerufen wurde . --
Die Begierde und die Hoffnung , meine Geliebte bei dieser Gelegenheit wieder zu sehen , machte mir anfänglich diese Einladung sehr willkommen ; aber meine Freude wurde bald von dem Gedanken vertrieben , wie schwer es mir sein würde , wenn meine Unbekannte zugegen wäre , meine Empfindungen für sie den Augen einer Nebenbuhlerin zu verbergen .
Die Künste der Verstellung waren mir zu unbekannt , und meine Gemütsregungen bildeten sich ( auch wider meinen Willen ) zu schnell und zu deutlich in meinem Äußerlichen ab , als daß ich mich bei allen meinen Bestrebungen , vorsichtig zu sein , sicher genug halten konnte .
Diese Gedanken gaben mir ( wie ich glaube ) ein ziemlich verwirrtes Aussehen , als ich vor die Pythia geführt wurde .
Allein , da ich niemand , als eine kleine Sklavin von neun oder zehn Jahren , bei ihr fand , erholte ich mich bald wieder ; und sie selbst schien mit ihren eigenen Bewegungen zu sehr beschäftigt , um auf die meinige genau Acht zu geben , -- oder ( welches wenigstens eben so wahrscheinlich ist ) sie legte die Veränderung , die sie in meinem Gesichte wahrnehmen mußte , zu Gunsten ihrer Reizungen aus , von denen sie sich dieses Mal desto mehr Wirkung versprechen konnte , je mehr sie vermutlich darauf studiert hatte , sie in dieses reizende Schatten-Licht zu setzen , welches die Einbildungs-Kraft so lebhaft zum Vorteil der Sinnen ins Spiel zu ziehen pflegt .
Sie saß oder lag ( denn ihre Stellung war ein Mittelding von beiden ) auf einem mit Silber und Perlen reich gestickten Ruhe-Bette ; ihr ganzer Putz hatte dieses Zierlich-Nachlässige , hinter welches die Kunst sich auf eine schlaue Art versteckt , wenn sie nicht dafür angesehen sein will , daß sie der Natur zu Hilfe komme ; ihr Gewand , dessen bescheidene Farbe ihrer eigenen eben so sehr als der Anständigkeit ihrer Würde angemessen war , wallte zwar in vielen Falten um sie her ; aber es war schon dafür gesorgt , daß hier und da der schöne Kontur dessen , was damit bedeckt war , deutlich genug wurde , um die Augen auf sich zu ziehen , und die Neugier lüstern zu machen .
Ihre Arme , die sie sehr schön hatte , waren in weiten und halb aufgeschürzten Ärmeln fast ganz zu sehen ; und eine Bewegung , welche sie , während unseres Gesprächs , unwissender Weise gemacht haben wollte , trieb einen Busen aus seiner Verhüllung hervor , welcher reizend genug war , ihr Gesicht um zwanzig Jahre jünger zu machen .
Sie bemerkte diese kleine Unregelmässigkeit endlich ; aber das Mittel , wodurch sie die Sachen wieder in Ordnung zu bringen suchte , war mit der Unbequemlichkeit verbunden , daß dadurch ein Fuß bis zur Hälfte sichtbar wurde , dessen die schönste Spartanerin sich hätte rühmen dürfen .
Die tiefe Gleichgültigkeit , worin mich alle diese Reizungen ließen , machte ohne Zweifel , daß ich Beobachtungen machen konnte , wozu ein gerührter Zuschauer die Freiheit nicht gehabt hätte .
Indes gab mir doch eine Art von Scham , die ich anstatt der guten Pythia auf meinen Wangen glühen fühlte , ein Ansehen von Verwirrung , womit die Dame , welche in zweifelhaften Fällen alle Mal zu Gunsten ihrer Eigenliebe urteilte , ziemlich wohl zufrieden schien .
Sie schrieb es vermutlich einer schüchternen Unentschlossenheit oder einem Streit zwischen Ehrfurcht und Liebe bei , daß ich ( ungeachtet des starken Eindrucks , den sie auf mich machte ) ihr keine Gelegenheit gab , die Delikatesse ihrer Tugend sehen zu lassen .
Ich hatte Aufmunterungen nötig , zu welchen man bei einem geübteren Liebhaber sich nicht herablassen würde .
Die Geschicklichkeit , die man mir in der Kunst , die Dichter zu lesen , beilegte , diente ihr zum Vorwand , mir einen Zeit-Vertrieb vorzuschlagen , von dem sie sich einige Beföderung dieser Absicht versprechen konnte .
Sie versicherte mich , daß Homer ihr Lieblings-Autor sei , und bat mich , ihr das Vergnügen zu machen , sie eine Probe meines gepriesenen Talents hören zu lassen .
Sie nahm einen Homer , der neben ihr lag , und stellte sich , nachdem sie eine Weile gesucht hatte , als ob es ihr gleichgültig sei , welcher Gesang es wäre ; sie gab mir den ersten den besten in die Hände ; aber zu gutem Glücke war es gerade derjenige , worin Juno , mit dem Gürtel der Venus geschmückt , den Vater der Götter in eine so lebhafte Erinnerung der Jugend ihrer ehelichen Liebe setzt . --
Von dem dichterischen Feuer , welches in diesem Gemälde glühet , und dem süßen Wolklang der Homerischen Verse entzückt , beobachtete sie nicht , in was für eine verführische Unordnung ein Teil ihres Putzes durch eine Bewegung der Bewunderung , welche sie machte , gekommen war .
Sie nahm von dieser Stelle Anlas , die unumschränkte Gewalt des Liebes-Gottes zum Gegenstande der Unterredung zu machen .
Sie schien der Meinung derjenigen günstig zu sein , welche behaupten , daß der Gedanke , einer so mächtigen Gottheit widerstehen zu wollen , nur in einer vermessenen und ruchlosen Seele geboren werden könne .
Ich pflichtete ihr bei , behauptete aber , daß die meisten in den Begriffen , welche sie sich von diesem Gotte machten , der großen Pflicht , von der Gottheit nur das Würdigste und Vollkommenste zu denken , sehr zu nahe träten ; und daß die Dichter durch die allzusinnliche Ausbildung ihrer allegorischen Fabeln in diesem Stücke sich keines geringen Vergehens schuldig gemacht hätten .
Unvermerkt schwatzte ich mich in einen Enthusiasmus hinein , in welchem ich , nach den Grundsätzen meiner geheimnisreichen Philosophie , von der intellectualischen Liebe , von der Liebe welche der Weg zum Anschauen des wesentlichen Schönen ist , von der Liebe welche die geistigen Flügel der Seele entwickelt , sie mit jeder Tugend und Vollkommenheit schwellt , und zuletzt durch die Vereinigung mit dem Urbild und Urquell des Guten in einen Abgrund von Licht , Ruhe und unveränderlicher Wonne hineinzieht , worin sie gänzlich verschlungen und zu gleicher Zeit vernichtigt und vergöttert wird -- so erhabene , mir selbst meiner Einbildung nach sehr deutliche , der schönen Priesterin aber so unverständliche Dinge sagte , daß sie in eben der Proportion , nach welcher sich meine Einbildungs-Kraft dabei erwärmte , nach und nach davon eingeschläfert wurde .
In der Tat konnte im Prospekt eines so schönen Busens , als ich vor mir sah , nichts seltsames sein , als eine Lob-Rede auf die intellectualische Liebe ; auch gab die betrogene Pythia nach einer solchen Probe alle Hoffnung auf , mich , diesen Abend wenigstens , zu einer natürlichen Art zu denken und zu lieben herumzustimmen .
Sie entließ mich alsobald darauf , nachdem sie mir , wiewohl auf eine ziemlich rätselhafte Art , zu vernehmen gegeben hatte , daß sie besondere Ursachen habe , sich meiner mehr anzunehmen , als irgend eines anderen Kostgängers des Apollo .
Ich verstand aus dem , was sie mir davon sagte , so viel , daß sie eine nahe Anverwandtin meines mir selbst noch unbekannten Vaters sei ; daß es ihr vielleicht bald erlaubt sein werde , mir das Geheimnis meiner Geburt zu entdecken ; und daß ich es allein diesem nähern Verhältnis zu zuschreiben habe , wenn sie mich durch eine Freundschaft unterscheide , welche mich , ohne diesen Umstand , vielleicht hätte befremden können .
Diese Eröffnung , an deren Wahrheit mich ihre Mine nicht zweifeln ließ , hatte die gedoppelte Wirkung -- mich zu bereden , daß ich mich in meinen Gedanken von ihren Gesinnungen betrogen haben könne -- und sie auf einmal zu einem interessanten Gegenstande für mein Herz zu machen .
In der Tat fing ich , von dem Augenblick , da ich hörte , daß sie mit meinem Vater befreundet sei , an , sie mit ganz anderen Augen anzusehen ; und vielleicht würde sie von den Dispositionen , in welche ich dadurch gesetzt wurde , in kurzer Zeit mehr Vorteil haben ziehen können , als von allen den Kunstgriffen , womit sie meine Sinnen hatte überraschen wollen .
Aber die gute Dame wußte entweder nicht , wie viel man bei gewissen Leuten gewonnen , wenn man Mittel findet , ihr Herz auf seine Seite zu ziehen ; oder sie war über mein seltsames Betragen erbittert , und glaubte , ihre verachteten Reizungen nicht besser rächen zu können , als wenn sie mich in eben dem Augenblick von sich entfernte , da sie in meinen Augen las , daß ich gerne länger geblieben wäre .
Alles Bitten , daß sie ihre Gütigkeit durch eine deutlichere Entdeckung des Geheimnisses meiner Geburt vollkommen machen möchte , war umsonst ; sie schickte mich fort , und hatte Grausamkeit genug , eine geraume Zeit vorbei gehen zu lassen , ehe sie mich wieder vor sich kommen ließ .
Zu einer anderen Zeit würde das Verlangen , diejenigen zu kennen , denen ich das Leben zu danken hätte , mir diesen Aufschub zu einer harten Strafe gemacht haben ; aber damals brauchte es nur wenige Minuten , wieder allein zu sein , und einen Gedanken an meine geliebte Unbekannte , um die Priesterin mit allen ihren Reizen , und mit allem was sie mir gesagt und nicht gesagt hatte , aus meinem Gemüte wieder auszulöschen .
Es war mir unendlich Mal angelegener zu wissen , wer diese Unbekannte sei , und ob sie wirklich ( wie ich mir schmeichelte ) für mich empfinde , was ich für sie empfand , als in Absicht meiner selbst aus einer Unwissenheit gezogen zu werden , gegen welche die Gewohnheit mich fast ganz gleichgültig gemacht hatte :
So lange ich das nicht wußte , würde ich die Entdeckung , der Erbe eines Königs zu sein , mit Kaltsinn angesehen haben .
Der Blick , den sie diesen Abend auf mich geheftet hatte , schien mir etwas zu versprechen , das für mein Herz unendlich mehr Reiz hatte , als alle Vorteile der glänzendsten Geburt .
Mein ganzes Wesen schien von diesem Blicke , wie von einem überirdischen Lichte , durchstrahlt und verklärt -- ich unterschied zwar nicht deutlich , was in mir vorging -- aber so oft ich sie mir wieder in dieser Stellung , mit diesem Blicke , mit diesem Ausdruck in ihrem lieblichen Gesichte vorstellte , ( und dieses geschah allemal so lebhaft , als ob ich sie wirklich mit Augen sähe ) so schien mir mein Herz vor Liebe und Vergnügen in Empfindungen zu zerfließen , für deren durchdringende Süssigkeit keine Worte erfunden sind .
-- Hier wurde Agathon ( dessen Einbildungs-Kraft , von den Erinnerungen seiner ersten Liebe erhitzt , einen hübschen Schwung , wie man sieht , zu nehmen anfing , ) durch eine ziemlich merkliche Veränderung in dem Gesichte seiner schönen Zuhörerin , mitten in dem Lauf seiner unzeitigen Schwärmerei aufgehalten , und aus seinem achtzehnten Jahr , in welches er in dieser kleinen Ecstase zurückversetzt worden war , auf einmal wieder nach Smyrna , zu sich selbst und der schönen Danae gegenüber , gebracht .
Viertes Kapitel .
Fortsetzung des Vorhergehenden .
Es ist eine alte Bemerkung , daß man einer schönen Dame die Zeit nur schlecht vertreibt , wenn man sie von den Eindrücken , die eine andere auf unser Herz gemacht hat , unterhält .
Je mehr Feuer , je mehr Wahrheit , je mehr Beredsamkeit wir in einem solchen Falle zeigen , je reizender unsere Schilderungen , je schöner unsere Bilder , je beseelter unser Ausdruck ist , desto gewisser dürfen wir uns versprechen , unsere Zuhörerin einzuschläfern .
Diese Beobachtung sollten sich besonders diejenigen empfohlen sein lassen , welche eine wirklich im Besitz stehende Geliebte mit der Geschichte ihrer ehemaligen verliebten Abenteuer unterhalten .
Agathon , welcher noch weit davon entfernt war , von seiner Einbildungs-Kraft Meister zu sein , hatte diese Regel gänzlich aus den Augen verloren , da er einmal auf die Erzählung seiner ersten Liebe gekommen war .
Die Lebhaftigkeit seiner Wiedererinnerungen schien sie in Empfindungen zu verwandeln ; er bedachte nicht , daß es weniger anstößig wäre , eine Geliebte , wie Danae , mit der ganzen Metaphysik der intellectualischen Liebe , als mit so enthusiastischen Beschreibungen der Vorzüge einer anderen , und der Empfindungen , welche sie eingeflößt , zu unterhalten .
Eine Art von Mittelding zwischen Gähnen und Seufzen , welches ihr an der Stelle , wo wir seine Erzählungen abgebrochen haben , entfuhr , und ein gewisser Ausdruck von langer Weile , der aus einer erzwungenen Mine von vergnügter Aufmerksamkeit hervorbrach , machte ihn endlich seiner Unbesonnenheit gewahr werden ; er stutzte einen Augenblick , er errötete , und es fehlte wenig , daß er den Zusammenhäng seiner Geschichte darüber verloren hätte .
Doch erholte er sich noch geschwinde genug wieder , um seiner Verwirrung irgend einen zufälligen Vorwand zu geben , und setzte seine Erzählung fort , indem er säst bei sich beschloß , genauer auf sich selbst Acht zu geben , und seine Beschreibungen so sehr abzukürzen , als es nur immer möglich sein würde ; ein Vorsatz , bei welchem unsere Leser sich wenigstens eben so wohl befinden werden , als die schöne Danae , wenn er anders fähig sein wird , sich selbst Wort zu halten .
Die süßen Träume , ( fuhr der Held unserer Geschichte fort ) worin mein Herz sich so gerne zu wiegen pflegte , hatten nicht wirkliches genug , diesen angenehmen Zustand meines Gemütes lange zu unterhalten .
Eine zärtliche Schwermut , welche jedoch nicht ohne eine Art von Wollust war , bemächtigte sich meiner so stark , daß ich Mühe hatte , sie vor denjenigen zu verbergen , mit denen ich einen Teil des Tages zubringen mußte .
Ich suchte die Einsamkeit ; und weil ich den Tag über , nur wenige Stunden in meiner Gewalt hatte , so fing ich wieder an , den größten Teil der Zeit , worin andere schliefen , in den angenehmen Hainen , die den Tempel umgeben , mit meinen Gedanken und dem Bilde meiner Unbekannten zu durchwachen .
In einer dieser Nächte begegnete es , daß ich von ungefähr in eine Gegend des Hains verirrte , welche das Ansehen einer Wildnis , aber der anmutigsten , die man sich nur einbilden kann , hatte .
Mitten darin ließ das Gebüsche , welches in labyrinthischen Krümmungen mit hohen Zypressen und vielen selbst gewachsenen Lauben abgesetzt , sich um sich selbst herumwand , einen offenen Platz , der mit einem halben Circul von wilden Lorbeer-Bäumen , von denen sich immer eine Reihe über die andere erhob , eingefaßt , auf der anderen Seite aber nur mit niedrigem Myrten-Gesträuch und Rosen-Hecken leicht umkränzt war .
Mitten darin lagen einige Nymphen von weißem Marmor , von überhangendem Rosen-Gesträuche beschattet , welche auf ihren Urnen zu schlafen schienen , indes sich aus jeder Urne eine Quelle in ein geraumiges Becken von poliertem schwarzem Granit-Marmor ergoß , worin die Frauenspersonen , welche unter dem Schutz des delphischen Apollo Stunden , sich im Sommer zu baden pflegten .
Dieser Ort war ( einer alten Sage nach ) der Diana heilig ; und kein männlicher Fuß durfte , bei Strafe , sich den Zorn dieser unerbittlichen Göttin zu zuziehen , sich Unterstestehen , ihrem geheiligten Ruhe-Plaz nahe zu kommen .
Vermutlich machte die Göttin eine Ausnahme zu Gunsten eines unschuldigen Schwärmers , der ( ohne den mindesten Vorsatz , ihre Ruhe zu stören , und ohne einmal zu wissen , wohin er kam , ) sich hierher verirrt hatte .
Denn anstatt mich ihren Zorn empfinden zu lassen , begünstigte sie mich vielmehr mit einer Erscheinung , welche mir angenehmer war , als wenn sie selbst , mich zu ihrem Endymion zu machen , zu mir herabgestiegen wäre .
Weil ich in eben dem Augenblick , da ich diese Erscheinung hatte , den Ort , wo ich mich befand , für denjenigen erkannte , der mir öfters , um ihn desto gewisser vermeiden zu können , beschrieben worden war ; so war wirklich mein erster Gedanke , daß es die Göttin sei , welche , von der Jagd ermüdet , unter ihren Nymphen schlummere .
Von einem heiligen Schauer erschüttert , wollte ich schon den Fuß zurückziehen ; als ich beim Glanz des seitwärts einfallenden Mond-Lichts gewahr wurde , daß es meine Unbekannte war .
Ich will es nicht versuchen , zu beschreiben wie mir in diesem Augenblicke zu Mute war ; es war einer von denen , an welche ich mich nur erinnern darf , um zu glauben , daß ein Wesen , welches einer solchen Wonne fähig ist , zu nichts geringeres als zu der Wonne der Götter bestimmt sein könne .
Jzt konnte ich natürlicher Weise nicht mehr denken , mich unbemerkt zurückzuziehen ; meine einzige Sorge war , die liebenswürdige Einsame zu einer Zeit und an einem Orte , wo sie keinen Zeugen , am allerwenigsten einen männlichen vermuten konnte , durch keine plötzliche Überraschung zu erschrecken .
Die Stellung , worin sie an eine der marmornen Nymphen angelegt lag , gab zu erkennen , daß sie staunte ; ich betrachtete sie eine geraume Weile , ohne daß sie mich gewahr wurde .
Dieser Umstand erlaubte mir meine eigene Stelle zu verändern , und eine solche zu nehmen , daß sie , so bald sie die Augen aufschlüge , mich unfehlbar erkennen müßte .
Diese Vorsicht hatte die verlangte Wirkung .
Sie erblickte mich ; sie stutzte ; aber sie erkannte mich doch zu schnell , um mich für einen Satyren anzusehen .
Meine Erscheinung schien ihr mehr Vergnügen als Unruhe zu machen .
Ein jeder anderer , so gar ein Satyr , würde irgend ein artig gedrehtes Kompliment in Bereitschaft gehabt haben , um seine Freude über eine so reizende Erscheinung auszudrücken ; die Gelegenheit konnte nicht schöner sein , sie für eine Göttin , oder wenigstens für eine der Gespielen Dianes anzusehen , und diesem Irrtum gemäß zu begrüßen .
Aber ich , von neuen , nie gefühlten , unbeschreiblichen Empfindungen gedrückt , ich konnte gar nichts sagen .
Zu ihren Füßen hätte ich mich werfen mögen ; aber die Schüchternheit , welche ( zumal in meinem damaligen Alter ) mit der ersten Liebe so unzertrennlich verbunden ist , hielt mich zurück ; ich besorgte , daß sie sich einen nachteiligen Begriff von der tiefen Ehrerbietung , die ich für sie empfand , aus einer solchen Freiheit machen möchte .
Meine Unbekannte war nicht so schüchtern ; sie hob sich , mit dieser sittsamen Anmut , wodurch sie sich das erste Mal , als ich sie gesehen , in meinen Augen von allen ihren Gespielen unterschieden hatte , vom Boden auf , und ging ein paar Schritte gegen mich .
Wie finde ich den Agathon hier ?
sagte sie mit einer Stimme , die ich noch zu hören glaube ; so lieblich , so rührend schien sie unmittelbar in meine Seele sich einzuschmeicheln .
In der süßen Verwirrung , worin ich war , fand ich keine bessere Antwort , als sie zu versichern , daß ich nicht so verwegen gewesen wäre , ihre Einsamkeit zu stören , wenn ich vermutet hätte , sie hier zu finden .
Das Kompliment war nicht so artig , als es ein junger Athener bei einer solchen Gelegenheit gemacht hätte ; aber Psyche ( so erfuhr ich in der Folge , daß meine Unbekannte genannt werde ) war zu unschuldig , um Komplimente zu erwarten .
Ich erkenne meine Unvorsichtigkeit , wiewohl zu spät , versetzte sie :
Was wird Agathon von mir denken , da er mich an diesem abgelegenen Ort in einer solchen Stunde allein findet ?
Und doch ( setzte sie errötend hinzu ) ist es glücklich für mich , wenn ich ja einen Zeugen meiner Unbesonnenheit haben mußte , daß es Agathon war .
Ich versicherte sie , daß mir nichts natürlicher vorkomme , als der Geschmack , den sie in der Einsamkeit , in der Stille einer so schönen Nacht , und in einer so anmutigen Gegend zu finden scheine .
Ich setzte noch vieles von den Annehmlichkeiten des Mondscheins , von der majestätischen Pracht des sternvollen Himmels , von der Begeisterung , welche die Seele in diesem feierlichen Schweigen der ganzen Natur erfahre , von dem Einschlummern der Sinne , und dem Erwachen der inneren geheimnisvollen Kräfte unseres unsterblichen Teils , hinzu -- Dinge , welche bei den meisten Schönen , zumal in einem so anmutigen Myrten-Gebüsche , und in der einladenden Dämmerung einer so lauen Sommer-Nacht , sehr übel angebracht gewesen wären ; aber bei der gefühlvollen Psyche rührten sie die empfindlichsten Seiten ihres Herzens .
Das Gespräch , worin wir uns unvermerkt verwickelten , entdeckte eine Übereinstimmung in unserem Geschmack und in unseren Neigungen , welche gar bald ein eben so freundschaftliches und vertrauliches Verständnis zwischen unseren Seelen hervorbrachte , als ob wir uns schon viele Jahre geliebt hätten .
Mir war , als ob ich alles , was sie sagte , durch eine unmittelbare Anschauung in ihrer Seele lese ; und hinwieder schien das , was ich sagte , so abgezogen , idealisch und dichterisch , es immer sein mochte , ein bloßer Widerhall oder die Entwicklung ihrer eigenen Empfindungen und solcher Ideen zu sein , welche als Embryonen in ihrer Seele lagen , und nur den erwärmenden Einfluß eines geübteren Geistes nötig hatten , um sich zu entfalten , und durch ihre naive Schönheit die erhabensten und sinnreichsten Gedanken der Weisen zu beschämen .
Die Zeit wurde uns bei dieser Unterhaltung so kurz , daß wir kaum eine Stunde bei einander gewesen zu sein glaubten , als uns die aufgehende Morgenröte erinnerte , daß wir uns trennen mußten .
Ich hatte durch diese Unterredung erfahren , daß meine Geliebte von ihrer Herkunft eben so wenig wisse , als ich von der meinigen ; daß sie von ihrer Amme , in der Gegend von Korinth bis ins sechste Jahr erzogen , hernach aber von Räubern entführt , und an die Priesterin zu Delphi yerkauft worden , welche sie in allen weiblichen Künsten , und da sie eine besondere Neigung zum Lesen an ihr bemerkt , auch in der Kunst die Dichter recht zu lesen , habe unterrichten lassen , und sie in der Folge zu ihrer Leserin gemacht habe .
Diese Umstände waren für meine Liebe zu der jungen Psyche nicht sehr schmeichelhaft ; allein das Vergnügen der gegenwärtigen Augenblicke ließ mich gar nicht an das Künftige denken ; unbekümmert , wohin die Empfindungen , von denen ich eingenommen war , in ihren Folgen endlich führen könnten , überließ ich mich ihnen mit aller Gutherzigkeit der jugendlichen Unschuld ; meine kleine Psyche zu sehen , zu lieben , es ihr zu sagen , und aus ihrem schönen Munde zu hören , in ihren seelenvollen Augen zu sehen , daß ich wieder geliebt werde . --
Das waren jetzt alle Glückseligkeiten , die ich wünschte , und über welche hinaus ich keine andere kannte .
Ich hatte ihr etwas von den Eindrücken gesagt , die ihr erster Anblick auf mein Herz gemacht hatte ; und sie hatte diese Eröffnungen mit dem Geständnis der vorzüglichen Meinung , welche ihr das allgemeine Urteil zu Delphi von mir gegeben hätte , erwidert ; aber meine zärtliche und ehrfurchtsvolle Schüchternheit erlaubte mir nicht , ihr alles zu sagen , was mein Herz für sie empfand .
Meine Ausdrücke waren lebhaft und feurig ; aber sie hatten mit der gewöhnlichen Sprache der Liebe so wenig ähnliches , daß ich weniger zu sagen glaubte , indem ich in der Tat unendlich Mal mehr sagte , als ein gewöhnlicher Liebhaber , der mehr von seinen Begierden beunruhigt , als von dem Werte seiner Geliebten gerührt ist .
Allein da wir uns scheiden mußten , würde mich mein allzuvolles Herz verraten haben , wenn die unerfahrene Jugend der guten Psyche ihr erlaubt hätte , einiges Mißtrauen in Empfindungen zu setzen , welche sie nach der Unschuld ihrer eigenen beurteilte .
Ich zerfloß in Tränen , und setzte ihr auf eine so zärtliche , so bewegliche Art zu , mir zu versprechen , sich in der folgenden Nacht wieder in dieser Gegend finden zu lassen , daß es ihr unmöglich war , mich ungetröstet wegzuschicken .
Wir setzten also , da uns alle Gelegenheit , uns bei Tage zu sprechen , abgeschnitten war , diese nächtliche Zusammenkünfte fort ; und unsere Liebe wuchs und verschönerte sich zusehends , ohne daß wir dachten , daß es Liebe sei .
Wir nannten es Freundschaft ; und genossen ihrer reinsten Süssigkeiten , ohne durch einige Besorgnisse , Bedenklichkeiten oder andere Symptome der Leidenschaft , beunruhigt zu werden .
Psyche hatte sich eine Freundin , wie ich mir einen Freund , gewünscht ; nun glaubten wir beide gefunden zu haben , was wir wünschten .
Unsere Denkungs-Art , und die Güte unserer Herzen , flößte uns ein vollkommenes und unbegrenztes Zutrauen gegen einander ein . --
Meine Augen , welche schon lange gewöhnt waren , anders zu sehen , als man sonst in meinen damaligen Jahren zu sehen pflegt , sahen in Psyche kein reizendes Mädchen , sondern die schönste , die liebenswürdigste der Seelen , deren geistige Reizungen aus dem durchsichtigen Flor eines irdischen Gewandes hervorschimmerten ; und die wissensbegierige Psyche , welche nie glücklicher war , als wenn ich ihr die erhabenen Geheimnisse meiner dichterischen Philosophie entfaltete , glaubte den göttlichen Orpheus oder den Apollo selbst zu hören , wenn ich sprach .
Es ist in der Natur der Liebe ( so zärtlich und unkörperlich sie immer sein mag ) so lange zuzunehmen , bis sie das Ziel erreicht hat , wo die Natur sie zu erwarten scheint .
Die unsrige nahm auch zu , und ging nach und nach durch mehr als eine Verwandlung ; aber sie blieb sich selbst doch immer ähnlich .
Nachdem uns der Name der Freundschaft nicht mehr bedeutend genug schien , dasjenige , was wir für einander empfanden , auszudrücken , wurden wir eins , daß unter allen Zuneigungen , derer uns die Natur fähig mache , die Liebe eines Bruders und einer Schwester zugleich die stärkste und die reinste sei .
Die Vorstellung , die wir uns davon machten , entzückte uns ; und nachdem wir oft bedauert hatten , daß uns die Natur diese Glückseligkeit versagt habe , wunderten wir uns zuletzt , wie wir nicht bälder eingesehen hätten , daß es nur von uns abhange , ihre Kargheit in diesem Stücke zu ersetzen .
Wir waren also Bruder und Schwester , und blieben es einige Zeit , ohne daß die Vertraulichkeit und die unschuldigen Liebkosungen , wozu uns diese Namen berechtigten , in unseren Augen wenigstens , der Tugend , welcher wir zugleich mit der Liebe eine ewige Treue geschworen hatten , den geringsten Abbruch taten .
Wir waren enthusiastisch genug , die Vermutung oder vielmehr die bloße Möglichkeit , einander vielleicht so nahe verwandt zu sein , als wir wünschten , in den zärtlichen Ergiessungen unserer Herzen zuweilen für die Stimme der Natur zu halten ; zumal da eine wirkliche oder eingebildete besondere Ähnlichkeit unserer Gesichts-Züge diesen Wahn zu rechtfertigen schien .
Da wir uns aber die Bettrüglichkeit dieser vermeinten Sprache des Blutes nicht immer verbergen konnten , so fanden wir desto mehr Vergnügen darin , die Vorstellungen von einer natürlichen Verschwisterung der Seelen , einem sympathetischen Zug der einen zu der anderen , einer schon in einem vorhergehenden Zustand in besseren Welten angefangenen Bekanntschaft nachzuhängen , und sie in tausend angenehme Träume auszubilden .
Aber auch bei diesem Grade ließ uns der phantastische Schwung , den die Liebe unseren Seelen gegeben hatte , nicht stille stehen .
Wir strengten das äußerste Vermögen unserer Einbildungs-Kraft an , um uns einen Begriff von derjenigen Art zu lieben zu machen , womit in den überirdischen Sphären die Geister einander liebten .
Keine andere schien uns zu gleicher Zeit der Stärke und der Reinheit unserer Empfindungen genug zu tun , noch für Wesen sich zu schicken , die im Himmel entsprungen , und dahin wiederzukehren bestimmt wären .
Ich gestehe dir , schöne Danae , daß ich bei der Erinnerung an diese glückselige Schwärmerei meiner ersten Jugend mich kaum erwehren kann zu wünschen , daß die Bezauberung ewig hätte dauern können .
Und deunoch ist nichts gewisses , als daß sich diese allzugeistige Empfindungen endlich verzehrt , und die Natur , welche ihre Rechte nie verliert , uns zuletzt unvermerkt auf eine gewöhnlichere Art zu lieben geführt haben würde ; wenn uns nur die schöne Pythia so viel Zeit , als dazu erfordert wurde , gelassen hätte .
Diese Dame hatte etliche Wochen verstreichen lassen , ohne ( dem Ansehen nach ) sich meiner zu erinnern ; und ich hatte sie in dieser Zeit so gänzlich vergessen , daß ich ganz betroffen war , als ich wieder zu ihr berufen wurde .
Ich fand gar bald , daß die Göttin von Paphos , welche sich vielleicht wegen irgend einer ehemaligen Beleidigung an ihr zu rächen beschlossen , sie in dieser Zwischen-Zeit nicht so ruhig gelassen hatte , als es für sie und mich zu wünschen war .
Vermutlich hatte sie ( wie die tragische Phädra ) allen ihren weiblichen und priesterlichen Stolz zusammengerafft , um eine Leidenschaft zu unterdrücken , deren Übelstand sie sich selbst unmöglich verbergen konnte ; allein eben so vermutlich mochte sie sich selbst durch die tröstlichen Trug-Schlüsse , welche Euripides der Amme dieser unglückseligen Prinzessin in den Mund legt , wieder beruhigt , und endlich den herzhaften Entschluß gefaßt haben , ihrem Verhängnis nachzugeben .
Denn , nachdem sie alle ihre Mühe , mich das , was sie mir zu sagen hatte , erraten zu lassen , verloren sah , brach sie endlich ein Stillschweigen , dessen Bedeutung ich eben so wenig verstehen wollte , und entdeckte mir mit einer Deutlichkeit und mit einem Feuer , welche mich erröten und erzittern machten , daß sie liebe und wieder geliebt sein wolle .
Der reizende Anzug und die verführische Stellung , worin sie dieses Geständnis machte , schien ausgewählt zu sein , mich den Wert des mir angebotenen Glückes mehr als jemals empfinden zu lassen .
Ich muß noch jetzt erröten , wenn ich an die Verwirrung denke , worin ich mit allen meinen erhabenen Begriffen in diesem Augenblick war . --
Die menschliche Natur so erniedrigt -- den Namen der Liebe so entweihet zu sehen !
In der Tat , die Pythia selbst konnte von der Art , wie ich ihre Zumutungen abwies , nicht empfindlicher beschämt und gequält werden , als ich es durch die Notwendigkeit war , worein ich mich gesetzt sah , ihr so übel zu begegnen .
Ich bestrebte mich , die Härtigkeit meiner Antworten durch die sanftesten Ausdrücke zu milderen , die ich in der Verwirrung finden konnte .
Aber ich erfuhr bald , daß heftige Leidenschaften sich so wenig als Sturm-Winde durch Worte beschwören lassen .
Die ihrer selbst nicht mehr mächtige Priesterin nahm für beleidigenden Spott auf , was ich aus der wohlgemeinten , aber allerdings unzeitigen Absicht , ihrer versinkenden Tugend zu Hilfe zu kommen , sagte .
Sie geriet in eine Wut , welche mich in die äußerste Verlegenheit setzte ; sie brach in Verwünschungen und Drohungen , und einen Augenblick darauf in einen Strom von Tränen und in so bewegliche Apostrophen aus , daß ich beinahe schwach genug gewesen wäre , mit ihr zu weinen , ohne mein Herz geneigter zu finden , dem ihrigen zu antworten .
Ich ergriff endlich das einzige Mittel , das mir übrig blieb , mich der albernen Rolle , die ich in dieser Szene spielte , zu erledigen ; ich entfloh .
In eben dieser Nacht sah ich meine geliebte Psyche wieder an dem gewöhnlichen Orte ; mein Gemüt war von der Geschichte dieses Abends zu sehr beunruhigt , als das ich ihr ein Geheimnis davon hätte machen können .
Wir bedauerten die Priesterin so schwer es uns auch war , von der Wut und den Qualen einer Liebe , welche mit der unsrigen so wenig ähnliches hatte , uns eine Vorstellung zu machen ; aber wir bedauerten noch vielmehr uns selbst .
Die Raserei , worin ich die Pythia verlassen hatte , hieß uns das Ärgste besorgen .
Wir zitterten eines für des anderen Sicherheit ; und aus Furcht , daß sie unsere Zusammenkünfte entdecken möchte , beschlossen wir , ( so hart uns dieser Entschluß ankam ) sie eine Zeitlang seltener zu machen .
Dieses war das erste Mal , das die reinen Vergnügungen unserer schuldlosen Liebe von Sorgen und Unruhe unterbrochen wurden , und wir mit schwerem Herzen von einander Abschied nahmen .
Es war , als ob es uns ahnte , daß dieses das letzte Mal sei , da wir uns zu Delphi sähen ; und wir sagten uns wohl tausend Mal Lebe wohl ; ohne uns eines aus des anderen Armen loswinden zu können .
Wir redeten mit einander ab , uns erst in der dritten Nacht wieder zu sehen .
Zufälliger Weise fügte sich_es , daß ich in der Zwischenzeit mit der Priesterin in Gesellschaft zusammenkam .
Es war natürlich , daß sie in Gegenwart fremder Leute ihrem Betragen gegen mich den freundschaftlichen Ton der Anverwandtschaft gab , welche zwischen uns vorausgesetzt wurde , und durch welche sie nötig befunden hatte , ihren Umgang mit mir gegen die Urteile strenger Sitten-Richter sicher zu stellen .
Allein außer diesem bemerkte ich , daß sie etliche Mal , da sie von niemand beobachtet zu sein glaubte , die zärtlichsten Blicke auf mich heftete .
Ich war zu gutherzig , Verstellung unter diesen Zeichen der wiederkehrenden Liebe zu argwohnen ; und der Schluß , den ich daraus zog , beruhigte mich gänzlich über die Besorgnis , daß sie meinen Umgang mit Psyche entdeckt haben möchte .
Ich flog mit ungeduldiger Freude zu unserer abgeredeten Zusammenkunft ; ich wartete so lange , daß mich der Tag beinahe überrascht hätte ; ich durchsuchte den ganzen Hain :
aber da war keine Psyche .
Eben so ging es in der folgenden und dritten Nacht .
Mein Schmerz und meine Betrachtungen waren unaussprechlich .
Damals erfuhr ich zum ersten Mal , daß meine Einbildungskraft , welche bisher nur zu meinem Vergnügen geschäftig war , in eben dem Maße , wie sie mich glücklich gemacht hatte , mich elend zu machen fähig sei .
Ich zweifelte nun nicht mehr , daß die Priesterin unsere Liebe entdeckt habe ; und die Folgen , welche dieser Umstand für Psyche haben konnte , stellten sich mir mit allen Schrecknissen einer sich selbst quälenden Einbildung dar .
Ich faßte in der Wut meines Schmerzens tausend heftige Entschließungen , von denen immer eine die andere verschlang ; ich wollte zu der Priesterin gehen , und meine Psyche von ihr fordern -- ich wollte -- das Ausschweifendste , was man in der Verzweiflung wollen kann ; ich glaube , daß ich fähig gewesen wäre , den Tempel anzuzünden , wenn ich hätte hoffen können , meine Psyche dadurch zu retten .
Und doch hielt mich ein Schatten von Hoffnung , daß sie durch zufällige Ursachen habe verhindert werden können , ihr Wort zu halten , noch zurück , einen unbesonnenen Schritt zu tun , welcher ein bloß eingebildetes Übel wirklich und unheilbar hätte machen können .
Vielleicht ( dachte ich ) weiß die Priesterin noch nichts von unserem Geheimnis ; und wie unselig wäre ich in diesem Fall , wenn ich selbst der Verräter davon wäre ?
Dieser Gedanke führte mich zum vierten Mal in den Ruhe-Plaz der Diana .
Nachdem ich wohl zwoo Stunden vergebens gewartet hatte , warf ich mich , in einer Betäubung von Schmerz und Verzweiflung , zu den Füßen einer von den Nymphen hin .
Ich lag eine Weile , ohne meiner selbst mächtig zu sein .
Als ich mich wieder erholt hatte , sah ich einen frischen Blumen-Kranz um den Hals und die Arme einer von den Nymphen gewunden ; ich sprang auf , um genauer zu erkundigen , was dieses bedeuten möchte , und fand ein Briefchen an den Kranz geheftet , worin mir Psyche meldete : daß ich sie in der folgenden Nacht um eine bestimmte Stunde unfehlbar an diesem Platz antreffen würde ; sie versparte es auf diese Besprechung , mir zu sagen , durch was für Zufälle sie diese Zeit über verhindert worden , mich zu sehen , oder mir Nachricht von ihr zu geben ; ich dürfte aber vollkommen ruhig und gewiß sein , daß die Priesterin nichts von unserer Bekanntschaft wisse .
Die heftige Begierde , womit ich wünschte , daß dieses Briefchen von Psyche geschrieben sein möchte , ließ mich nicht daran denken , ein Mißtrauen darein zu setzen , ungeachtet mir ihre Handschrift unbekannt war .
Ich ging also plötzlich von dem äußersten Grade des Schmerzens zu der äußersten Freude über .
Ich wand den Glück-weissagenden Blumen-Kranz um mich herum , nachdem ich die unsichtbaren Spuren der geliebten Finger , die ihn gewunden hatten , auf jeder Blume weggeküßt hatte .
Den folgenden Abend wurde mir jeder Augenblick bis zur bestimmten Zeit ein Jahrhundert .
Ich ging eine halbe Stunde früher , den guten Nymphen zu danken , daß sie unsere Liebe in ihren Schutz genommen hatten .
Endlich glaubte ich , Psyche zwischen den Myrten Hecken hervorkommen zu sehen .
Die Nacht war nur durch den Schimmer der Sterne beleuchtet ; aber ich erkannte die gewöhnliche Kleidung der Psyche , und war von dem ersten Rauschen ihrer Annäherung schon zu sehr entzückt , um gewahr zu werden , daß die Gestalt , die sich mir näherte , mehr von dem üppigen Kontur einer Bacchantin als von der jungfräulichen Geschmeidigkeit meiner Freundin hatte .
Wir flogen einander mit gleichem Verlangen in die Arme .
Die sprachlose Trunkenheit des ersten Augenblicks verstattet nicht , Bemerkungen zu machen ; aber es währte doch nicht lange , bis ich notwendig fühlen mußte , daß ich mit einer Heftigkeit , welche mit der unschuldigen Zärtlichkeit einer Psyche den stärksten Absatz machte , an einen kaum verhüllten und ungestüm klopfenden Busen gedrückt wurde . --
Das konnte nicht Psyche sein . --
Ich wollte mich aus ihren Armen loswinden ; aber sie verdoppelte die Stärke , womit sie mich umschlang , zugleich mit ihren wollüstigen Liebkosungen ; und da ich nun auf einmal mit einem Entsetzen , welches mir alle Sehnen lähmte , meinen Irrtum erkannte ; so machte die Gewalt , die ich anwenden wollte , mich von der rasenden Priesterin loszureißen , daß wir mit einander zu Boden Fanken .
Ich wünschte aus Hochschätzung des Geschlechts , welches in meinen Augen der liebenswürdigste Teil der Schöpfung ist , daß ich diese Szene aus meinem Gedächtnis auslöschen könnte .
-- Die Bestrebungen dieser Unglückseligen empörten endlich alle meine Geister zu einem Grimm , der mich ihrer eigenen Wut überlegen machte .
Ich hatte alle meine Vernunft nötig , um nicht alle Achtung , die ich wenigstens ihrem Geschlecht schuldig war , aus den Augen zu setzen .
Aber ich zweifle nicht , daß eine jede Frauensperson , welche noch einen Funken von sittlichem Gefühl übrig hätte , lieber den Tod , als die Vorwürfe und die Verwünschungen , womit sie überströmt wurde , ausstehen wollte .
Sie krümmte sich , in Tränen berstend zu meinen Füßen .
-- Dieser Anblick war mir unerträglich -- ich wollte entfliehen ; sie verfolgte mich , sie hing sich an , und bat mich , ihr den Tod zu geben .
Ich verlangte mit Heftigkeit , daß sie mir meine Psyche wieder geben sollte .
Diese Worte schienen sie unsinnig zu machen .
Sie erklärte mir , daß das Leben dieser Sklavin in ihrer Gewalt sei , und von dem Entschluß , den ich nehmen würde , abhange .
Sie sah die Veränderung , die diese Drohung auf einmal in meinem ganzen Wesen machte ; wir verstummten beide eine Weile .
Endlich nahm sie einen sanfteren , aber nicht weniger entschlossenen Ton an , um mir ihre vorige Erklärung zu bekräftigen .
Die Eifersucht machte sie so vieles sagen , daß ich Zeit bekam mich zu fassen , und eine Drohung weniger fürchterlich zu finden , zu deren Ausführung ich sie , wenigstens aus Liebe zu sich selbst , unfähig glaubte .
Ich antwortete ihr also mit einem kalten Blute , welches sie stutzen machte : daß sie auf ihre eigene Gefahr über das Leben meiner jungen Freundin disponieren könne .
Doch ersuchte ich sie , sich zu erinnern , daß sie selbst mich zum Meister über das Ihrige , und über das , was ihr noch lieber als das Leben sein sollte , gemacht habe .
Das meinige ( setzte ich lebhafter hinzu ) hört mit dem Augenblick auf , da Psyche für mich verloren ist ; denn bei dem Gott , dessen Gegenwart dieses heilige Land erfüllt , keine menschliche Gewalt soll mich aufhalten , ihrem geliebten Geist in eine bessere Welt zu folgen , wohin uns das Laster nicht folgen kann , unsere geheiligte Liebe zu beunruhigen ! --
Meine Standhaftigkeit schien , den Mut der Priesterin niederzuschlagen .
Sie sagte mir endlich : Sie merkte sehr wohl , daß ich trotzig darauf sei , daß ich in meiner Gewalt habe , sie zu Grunde zu richten --
ich könnte tun , was ich wollte ; nur sollte ich versichert sein , daß ihr Psyche für jeden Schritt antworten sollte , den ich machen würde .
Mit diesen Worten entfernte sie sich , und ließ mich in einem Zustande , dessen Abscheulichkeit , nach der Empfindung die ich davon hatte , abgemessen , über allen Ausdruck ging .
Ich wußte nun , daß die Priesterin Mittel gefunden haben müsse , unser Geheimnis zu entdecken , und das der Blumen-Kranz ein Kunstgriff von ihrer Erfindung gewesen war .
Nach dieser Niederträchtigkeit war keine Bosheit so ungeheuer , deren ich diese Elende nicht fähig gehalten hätte .
Ich besorgte nichts für mich selbst , aber alles für die arme Psyche , welche ich der Gewalt einer Nebenbuhlerin überlassen mußte , ohne daß mir alle meine Zärtlichkeit für sie das Vermögen geben konnte , sie davon zu befreien .
Fünftes Kapitel .
Agathon entfliehet von Delphi , und findet seinen Vater .
Nachdem ich etliche Tage in der grausamen Ungewißheit , was aus meiner Geliebten geworden sein möchte , zugebracht hatte , erfuhr ich endlich von einer Sklavin der Pythia , welche ihre Freundin gewesen war , daß sie nicht mehr in Delphi sei .
Dieses war alle Nachricht , die ich von ihr ziehen konnte ; aber es war genug , mir den Aufenthalt von Delphi unerträglich zu machen .
Nunmehr bedacht ich mich keinen Augenblick , was ich tun wollte .
Ich stahl mich in der nächsten Nacht hinweg , ohne um die Folgen eines so unbesonnenen Schrittes bekümmert zu sein ; oder richtiger zu sagen , in einem Gemüts-Zustande , worin ich unfähig war , einige vernünftige Überlegung zu machen .
Ich irrte eine Zeitlang an allen Orten herum , wo ich eine Spur von meiner Freundin zu Endecken hoffte ; töricht genug mir einzubilden , daß sie mich , wo sie auch sein möchte , durch die magische Gewalt der Sympathle unserer Seelen nach sich ziehen werde .
Aber meine Hoffnung betrog mich ; niemand konnte mir die geringste Nachricht von ihr geben .
Unempfindlich gegen alles Elend , welches ich auf dieser unsinnigen Wanderschaft erfahren mußte , fühlte ich keinen anderen Schmerz als die Trennung von meiner Geliebten und die Ungewißheit , was ihr Schicksal sei ; ich würde die Versicherung , das es ihr wohl gehe , gerne mit meinem Leben bezahlt haben .
Endlich führte mich der Zufall oder eine mitleidige Gottheit nach Korinth .
Die Sonne war eben untergegangen , als ich von den Beschwerlichkeiten der Reise , und einer Diät , deren ich nicht gewohnt war , äußerst abgemattet , vor dem Hofe eines von den prächtigen Landgütern ankam , welche die Küsten des Korinthischen Meeres verschönern .
Ich warf mich unter eine hohe Zypresse nieder , und verlor mich in den Vorstellungen der natürlichen , und dennoch in der Hitze der Leidenschaft nicht vorhergesehenen Folgen meiner Flucht von Delphi .
In der Tat war meine Situation fähig , den herzhaftesten Mut niederzuschlagen .
In eine Welt ausgestoßen , worin mir alles fremd war , ohne Freunde , unwissend wie ich ein Leben werde erhalten können , dessen Urheber mir nicht einmal bekannt war -- warf ich tranrige Blicke um mich her -- die ganze Natur schien mich verlassen zu haben -- auf dem weiten Umfang der mütterlichen Erde sah ich nichts , worauf ich einen Anspruch machen konnte als ein Grab , wenn mich die Last des Elends endlich aufgerieben haben würde ; und selbst dieses konnte ich nur von der Frömmigkeit irgend eines mitleidigen Wanderers hoffen .
Diese melancholischen Gedanken wurden durch die Erinnerung meiner vergangenen Glückseligkeit , und durch das Bewußtsein , daß ich mein Elend durch keine Bosheit des Herzens oder irgend eine entehrende Übeltat verdient hätte , noch empfindlicher gemacht .
Ich sah mit tränenvollen Augen um mich her , als ob ich ein Wesen in der Natur suchen wollte , dem mein Zustand zu Herzen ginge .
In diesem Augenblick erfuhr ich den wohltätigen Einfluß dieser glückseligen Schwärmerei , welche die Natur dem empfindlichsten Teil der Sterblichen , zu einem Gegenmittel gegen die Übel , denen sie durch die Schwäche ihres Herzens ausgesetzt sind , gegeben zu haben scheint .
Ich wandte mich an die Unsterblichen , mit denen meine Seele schon so lange in einer Art von unsichtbarer Gemeinschaft gestanden war .
Der Gedanke daß sie die Zeugen meines Lebens , meiner Gedanken , meiner geheimsten Neigungen gewesen seien , goß lindernden Trost in mein verwundetes Herz .
Ich sah meine geliebte Psyche unter ihre Flügel gesichert .
Nein , rief ich aus , die Unschuld kann nicht unglücklich sein , noch das Laster seine Absichten ganz erhalten !
In diesem majestätischen All , worin Sphären und Atomen sich mit gleicher Unterwürfigkeit nach den Winken einer weisen und wohltätigen Macht bewegen , wäre es Unsinn und Gottlosigkeit , sich einer entnervenden Kleinmut zu überlassen .
-- Mein Dasein ist der Beweis , daß ich eine Bestimmung habe .
-- Habe ich nicht eine Seele welche denken kann , und Gliedmaßen , welche ihr als Sklaven zur Ausrichtung ihrer Gedanken zugegeben sind ? --
Bin ich nicht ein Grieche ?
Und wenn mich mein Vaterland nicht erkennen will , bin ich nicht ein Mensch ?
Ist nicht die Erde mein Vaterland ?
Und gibt mir nicht die Natur ein unverlierbares Recht an Erhaltung und jedes wesentliche Stück der Glückseligkeit , sobald ich meine Kräfte anwende die Pflichten zu erfüllen , die mich mit der Welt verbinden ? --
Diese Gedanken beschämten meine Tränen , und richteten mein Herz wieder auf .
Ich fing an , die Mittel zu überlegen , die ich in meiner Gewalt hatte , mich in bessere Umstände zu setzen ; als ich einen Mann von mittlerem Alter gegen mich herkommen sah , dessen Ansehen und Mine mir beim ersten Anblick Zutrauen und Ehrerbietung einflößten .
Ich raffte mich sogleich vom Boden auf , und beschloß mit mir selbst , ihn anzureden , ihm meine Umstände zu entdecken , und mir seinen Rat auszubitten .
Er kam mir zuvor .
-- Du scheinest vom Weg ermüdet zu sein , junger Fremdling , sagte er zu mir , mit einem Ton , der ihm sogleich mein Herz entgegen wallen machte ; und da ich dich unter dem wirtschaftlichen Schatten meines Baumes gefunden habe , so hoffe ich , du werdest mir das Vergnügen nicht versagen , dich diese Nacht in meinem Hause zu beherbergen .
Dieser Mann , den ich hieraus für den Herrn des Hauses , welches ich vor mir sah , erkannte , betrachtete mich mit einer sonderbaren Aufmerksamkeit , indem ich ihm für seine Leutseligkeit dankte , und mit einer Offenherzigkeit , welche von meiner wenigen Kenntnis der Welt zeugte , bekannte ; daß ich im Begriff gewesen sei , ihn um dasjenige zu ersuchen , was er mir auf eine so edle Art anbiete ; nachdem ich durch einen Zufall in diese Gegenden , wo ich niemand kenne , geraten sei .
Ich weiß nicht , was ihn zu meinem Vorteil einzunehmen schien ; mein Aufzug wenigstens konnte es nicht sein ; denn ich hatte , aus Sorge endekt zu werden , meine Delphische Kleidung gegen eine schlechtere vertauscht , welche auf meiner Wanderschaft ziemlich abgenutzt worden war .
Er wiederholte mir wie angenehm es ihm sei , daß mich der Zufall vielmehr ihm als einem seiner Nachbarn zugeführt habe ; und so folgte ich ihm in sein Haus , dessen Weitläufigkeit , Bauart und Pracht einen Besitzer von großem Reichthnm und vielem Geschmack ankündigte .
Der Saal in dem wir zuerst abtraten , war mit Gemälden von den berühmtesten Meistern , und mit einigen Bild-Säulen und Brust-Bildern vom Phidias und Alcamenes ausgeziert .
Ich liebe wie dir bekannt ist , die Werke der schönen Künste bis zur Schwärmerei , und mein langer Aufenthalt in Delphi hatte mir einige Kenntnis davon gegeben .
Ich bewunderte einige Stücke , setzte an anderen dieses oder jenes aus , nannte die Künstler , deren Hand oder Manier ich erkannte , und nahm Gelegenheit von anderen Meisterstücken zu reden , die mir von ihnen bekannt waren .
Ich bemerkte , daß mein Wirt mich mit Verwunderung von neuem betrachtete , und so aussah , als ob , er betroffen wäre , einen jungen Menschen , den er in einem so wenig versprechenden Aufzug unter einem Baum liegend gefunden , mit so vieler Kenntnis von Künsten sprechen zu hören , von denen gemeiniglich nur Leute von Stand und Vermögen im Ton der Kenner zu reden pflegen .
Nach einer kleinen Weile wurde gemeldet , daß das Abend-Essen aufgetragen sei .
Er führte mich hierauf in einen kleinen Saal , dessen Mauern von einem der besten Schüler des Parrhasios mit Wasser-Farben niedlich übermalt waren .
Wir speisten ganz allein .
Die Tafel , das Geräte , die Aufwärter , alles stimmte mit dem Begriff überein , den ich mir bereits von dem Geschmack und dem Stande des Haus-Herrn gemacht hatte .
Unter dem Essen trat ein junger Mensch von feinem Ansehen und zierlich gekleidet , auf , und rezitierte ein Stuk aus der Odyssee mit vieler Geschicklichkeit .
Mein Wirt sagte mir , daß er bei Tische diese Art von Gemüths-Ergözung den Tänzerinnen und Flötenspielerinnen vorzöge , womit man sonst bei den Tafeln der Griechen sich zu unterhalten pflege .
Das Lob das ich seinem Leser beilegte , gab zu einem Gespräch über die beste Art zu rezitieren , und über die Griechischen Dichter Anlaß , wobei ich meinem Wirte abermals Gelegenheit gab , zu stutzen , und mich immer aufmerksamer , und wie mich dünkte , mit einer Art von zärtlicher Gemüts-Bewegung anzusehen .
Er sah daß ich es gewahr wurde , und sagte mir hierauf , daß mich die Verwunderung womit er mich von Zeit zu Zeit betrachte , weniger befremden würde , wenn ich die außerordentliche Ähnlichkeit meiner Gesichts-Bildung und Mine mit einer Person , welche er ehemals gekannt habe , wißt ; doch du sollst selbst hiervon urteilen , setzte er hinzu , und hierauf fing er an von anderen Dingen zu reden , bis der Wein und die Früchte aufgestellt wurden .
Bald darauf Stunden wir auf , und nachdem wir eine Weile in einer langen Galerie , die auf einer doppelten Reihe Korinthischer Säulen von buntem Marmor ruhte , und prächtig erleuchtet war , auf und abgegangen waren , führte er mich in ein Cabinet , worin ein Schreibtisch , ein Büchergestell , einige Polster , und ein Gemälde in Lebensgrösse auf welches ich nicht gleich acht gab , alle Möbeln und Zieraten ausmachten .
Er hieß mich niedersitzen , und nachdem er das Bildnis , welches ihm gegenüber hing , eine ziemliche Weile mit Bewegung angesehen hatte , redete er mich also an : Deine Jugend , liebenswürdiger Fremdling , die Art wie sich unsere Bekanntschaft angefangen , die Eigenschaften die ich in dieser kurzen Zeit an dir entdeckt , und die Zuneigung die ich in meinem Herzen für dich finde , rechtfertigen mein Verlangen , von deinem Namen , und von den Umständen benachrichtiget zu sein , welche dich in einem solchen Alter von deiner Heimat entfernt und in diese fremde Gegenden geführt haben können .
Es ist sonst meine Gewohnheit nicht , mich beim ersten Anblick für jemand einzunehmen .
Aber bei deiner Erblickung habe ich einem geheimen Reiz , der mich gegen dich zog nicht widerstehen können ; und du hast in diesen wenigen Stunden meine voreilige Neigung so sehr gerechfertiget , daß ich mir selbst Glück wünsche , ihr Gehör gegeben zu haben .
Befriedige also mein Verlangen , und sei versichert , daß die Hoffnung , dir vielleicht nützlich sein zu können , weit mehr Anteil daran hat , als ein unbescheidener Vorwitz .
Du siehst einen Freund in mir , dem du dich , ungeachtet der kurzen Dauer unserer Bekanntschaft , mit allem Zutrauen eines langwierigen und bewährten Umgangs entdecken darfst .
Ich wurde durch diese Anrede so sehr gerührt , daß sich meine Augen mit Tränen füllten -- ich glaube , daß er darin lesen konnte was ihm mein Herz antwortete , ob ich gleich eine Weile keine Worte finden konnte .
Endlich sagte ich ihm , daß ich von Delphi käme ; daß ich daselbst erzogen worden ; daß man mich Agathon genannt hätte ; daß ich niemals habe entdecken können , wem ich das Leben zu danken habe ; und daß alles was ich davon wisse , dieses sei , daß ich in einem Alter von vier oder fünf Jahren in den Tempel gebracht , mit anderen Knaben , welche man dem Dienst des Gottes zu Delphi gewidmet , erzogen , und nachdem ich zu mehreren Jahren gekommen , von den Priestern mit einer vorzüglichen Achtung angesehen , und in allem was zur Erziehung eines freigeborenen Griechen erfordert werde , geübt worden sey. Stratonegus ( so wurde mein Wirt genannt ) hatte während daß ich dieses sagte , Mühe sich ruhig zu halten ; sein Gesicht veränderte sich ; er wollte anfangen zu reden , schien sich aber wieder anders zu bedenken , und ersuchte mich nur , ihm zu sagen , warum ich Delphi verlassen hätte .
So natürlich die Aufrichtigkeit sonst meinem Herzen war , so konnte ich doch dieses Mal unmöglich über die Bedenklichkeiten hinaus kommen , welche mir über meine Liebe zu Psyche den Mund verschlossen .
Einem Freunde von meinen Jahren , für den ich mein Herz eben so eingenommen gefunden hätte , als für den Stratonegus , würde ich das Innerste meines Herzens ohne Bedenken aufgeschlossen haben , so bald ich hätte vermuten können , daß er meine Empfindungen zu verstehen fähig sei :
Aber hier hielt mich etwas zurück , davon ich mir selbst die Ursache nicht recht angeben konnte .
Ich schob also die ganze Schuld meiner Entweichung von Delphi auf die Pythia , indem ich ihm so ausführlich , als es meine jugendliche Schamhaftigkeit gestatten wollte , von den Versuchungen , in welche sie meine Tugend geführt hatte , Nachricht gab .
Er schien sehr wohl mit meiner Aufführung zufrieden , und nachdem ich meine Erzählung bis auf den Augenblick , wo ich ihn zuerst erblickt , und dasjenige was ich sogleich für ihn empfunden , fortgeführt ; stand er mit einer lebhaften Bewegung auf , warf seine Arme um meinen Hals , und sagte mit Tränen der Freude und Zärtlichkeit in seinen Augen : -- Mein liebster Agathon , siehe deinen Vater -- hier , setzte er hinzu , indem er mich sanft umwendete , und auf das Gemälde wies , welchem ich bisher den Rücken zugekehrt hatte , -- hier , in diesem Bilde , erkenn ne die Mutter , deren geliebte Züge mich beim ersten Anblick in deiner Gesichts-Bildung gerührt , und diese Bewegung erregt haben , die ich nun für die Stimme der Natur erkenne .
Du kennest mich zu gut , liebenswürdige Danae , um dir meine Empfindungen in diesem Augenblicke nicht lebhafter einznbilden , als ich sie beschreiben könnte .
Solche Augenblicke sind keiner Beschreibung fähig ; für solche Freuden hat die Sprache keine Namen , die Natur keine Bilder , und die Phantasie selbst keine Farben .
-- Das Beste ist , zu schweigen , und den Zuhörer seinem eigenen Herzen zu überlassen .
Mein Vater schien durch meine Entzückung , welche sich lange Zeit nur durch Tränen und sprachlose Umarmungen und abgebrochene Töne der zärtlichsten Regungen , deren die Natur fähig ist , ausdrücken konnte , doppelt glücklich zu sein .
Das Vergnügen , womit er mich für seinen Sohn erkannte , schien ihn selbst wieder in die Glücklichsten Augenblicke seiner Jugend zu versetzen , und Erinnerungen wieder aufzuwecken , denen mein Anblick ein neues Leben gab .
Da er natürlicher Weise voraussetzen konnte , daß ich begierig sein werde , die Ursachen zu wissen , welche meinen Vater , der mich mit so vielem Vergnügen für seinen Sohn erkannte , hatten bewegen können , mich so viele Jahre von sich verbannt zu halten ; so gab er mir hierüber alle Erläuterungen , die ich nur wünschen konnte , durch eine umständliche Erzählung der Geschichte seiner Liebe zu meiner Mutter .
Seine Bekanntschaft mit ihr hatte sich zufälliger Weise in einem Alter angefangen , worin er noch gänzlich unter der väterlichen Gewalt stand .
Sein Vater war das Haupt eines von den edelsten Geschlechtern in Athen .
Meine Mutter war sehr jung , sehr schön , und eben so tugendhaft als schön , unter der Aufsicht einer alten Frau , die sich ihre Mutter nannte , dahin gekommen .
Die strenge Eingezogenheit , worin sie sehr kümmerlich von ihrer Hand-Arbeit lebte , verwahrte die junge Musarion vor den Augen und vor den Nachstellungen der müßigen reichen Jünglinge , welche gewohnt sind , junge Mädchen , die keinen anderen Schutz als ihre Unschuld , und keinen anderen Reichtum als ihre Reizungen haben , für ihre natürliche Beute anzusehen .
Dem ungeachtet konnte sie nicht Hintern , durch einen Zufall , den ich übergehen will , meinem Vater bekannt zu werden , welcher sich durch seine gesittete und bescheidene Lebens-Art von den meisten jungen Athenern seiner Zeit unterschied .
Sein tugendhafter Charakter konnte ihn nicht verwahren , von den Reizungen der jungen Musarion gerührt zu werden ; aber er machte , daß seine Liebe die Eigenschaft seines Characters annahm .
Sie war tugendhaft , bescheiden , und eben dadurch stärker und dauerhafter .
Sein Stand , sein guter Ruf und sein zurückhaltendes Betragen gegen den unschuldigen Gegenstand seiner Liebe gaben zusammengenommen einen Beweg-Grund ab , der die Nachsicht entschuldigen konnte , womit die Alte seine geheime Besuche duldete , ob sie gleich immer häufiger wurden .
Nichts kann natürlicher sein , als dasjenige , was man liebt , dem Mangel nicht ausgesetzt sehen zu können ; aber nichts ist auch in den Augen der Welt zweideutiger , als die Freigebigkeit eines jungen Menschen gegen eine junge Person , welche das Unglück hat , durch ihre Annehmlichkeiten den Neid , und durch ihre Armut die Verachtung des großen Haufens zu erregen .
Man kann sich nicht bereden , daß in einem solchen Fall derjenige , welcher gibt , nicht eigennützige Absichten habe ; oder diejenige , welche annimmt , ihre Dankbarkeit nicht auf Unkosten ihrer Unschuld beweise .
Stratonegus gebrauchte deswegen die äußerste Vorsichtigkeit , um die Wohltaten , womit er diese kleine Familie von Zeit zu Zeit unterstützte , vor aller Welt und vor ihnen selbst zu verbergen .
Allein sie entdeckten doch zuletzt ihren unbekannten Wohltäter ; und diese neue Proben seiner edelmütigen Sinnes-Art vollendeten den Eindruck , den er schon lange auf das unerfahrene Herz der zärtlichen Musarion gemacht hatte , und gewannen es ihm gänzlich .
Niemals würde die Liebe von der zärtlichsten Gegenliebe erwidert , zwei Herzen glücklicher gemacht haben , wenn die Umstände der jungen Schönen einer gesetzmässigen Vereinigung nicht Schwierigkeiten in den Weg gelegt hätten , welche ein jeder anderer als ein Liebhaber für unüberwindlich gehalten hätte .
Endlich war Stratonegus so glücklich , zu entdecken , daß seine Geliebte wirklich eine Athenische Bürgerin sei , die Tochter eines zwar armen , aber rechtschaffenen Mannes , welcher im Pelopponesischen Kriege sein Leben auf eine rühmliche Art verloren hatte .
Nunmehr wagte er es , seinem Vater das Geheimnis seiner Liebe zu entdecken ; er wandte alles an , seine Einwilligung zu erhalten ; aber der Alte , welcher alle Reizungen und alle Tugenden der jungen Musarion für keinen genugsamen Ersatz des Reichtums , der ihr fehlte , ansah , blieb unerbittlich .
Stratonegus liebte zu inbrünstig , um dem Befehl , nicht weiter an seine Geliebte zu denken , Gehorsam zu sein ; er würde sich selbst für den Unwürdigsten unter den Menschen gehalten haben , wenn er fähig gewesen wäre , ihr nur das Wenigste von seinen Empfindungen zu entziehen .
Die Widerwärtigkeiten und Hindernisse , womit seine Liebe kämpfen mußte , taten vielmehr die Wirkung , welche sie in einem solchen Falle bei edlen und wahrhaftig eingenommenen Gemütern allemal tun werden ; sie konzentrierten das Feuer ihrer gegenseitigen Zuneigung , und bliesen eine Flamme , welche , so lange sie von Hoffnung genährt wurde , drei Jahre lang sanft und rein fortgebrannt hatte , zu der heftigsten Leidenschaft an .
Das Herz ermüdet endlich durch den langen Kampf mit seinen süßesten Regungen ; es verliert die Kraft zu widerstehen ; und je länger es unter den Qualen einer zugleich verfolgten und unbefriedigten Liebe geseufzt hat , je heftiger sehnet es sich nach einer Glückseligkeit , wovon ein einziger Augengenblik genügsam ist , das Andenken aller ausgestandenen Leiden auszulöschen , das Gefühl der gegenwärtigen zu ersticken , und die Augen , von der süßen Trunkenheit der glücklichen Liebe benebelt , gegen alle künftige Not blind zu machen .
Außer diesem hatte Musarion noch den Beweg-Grund einer Daukbarkeit , von deren drückender Last ihr Herz sich zu erleichtern suchte .
Kurz : Sie schwuren einander eine ewige Treue , überließen sich dem sympathetischen Verlangen ihres Herzens , und bedienten sich der Gewalt , die ihnen die Liebe gab , einander glücklich zu machen .
Die Glückseligkeit , welche eines dem anderen zu danken hatte , unterhielt und befestigte die zärtliche Vereinigung ihrer Herzen , anstatt sie zu schwächen oder gar aufzulösen ; denn noch niemals ist der Genuß das Grab der wahren Zärtlichkeit gewesen .
Ich , schöne Danae , war die erste Frucht ihrer Liebe .
Glücklicher Weise fiel meinem Vater eben damals durch den letzten Willen eines Oheims ein kleines Vorwerk auf einer von den Inseln zu , welche unter der Bottmässigkeit der Athener stehen .
Dieses mußte meiner Mutter zur Zuflucht dienen ; ich wurde daselbst geboren , und genoß drei Jahre lang ihrer eigenen Pflege ; bis sie mir durch eine Schwester entzogen wurde , deren Leben der liebenswürdigen Musarion das ihrige kostete .
Stratonegus hatte inzwischen manchen Versuch gemacht , das Herz seines Vaters zu erweichen ; aber allemal vergebens .
Es blieb ihm also nichts übrig , als seine Verbindung mit meiner Mutter und die Folgen derselben geheim zu halten .
Ihr frühzeitiger Tod vernichtete die Entwürfe von Glückseligkeit , die er für die Zukunft gemacht hatte , ohne die zärtliche Treue , die er ihrem Andenken widmete , zu schwächen .
Die Sorge für das , was ihm von ihr übrig geblieben war , hielt ihn zurück , sich einer Traurigkeit völlig zu überlassen , welche ihn lange Zeit gegen alle Freuden des Lebens gleichgültig , und zu allen Beschäftigungen desselben verdrossen machte .
Der Tempel zu Delphi schien ihm der tauglichste Ort zu sein , mich zu gleicher Zeit zu verbergen , und einer guten Erziehung teilhaft zu machen .
Er hatte Freunde daselbst , denen ich besonders empfohlen wurde , mit dem gemessensten Auftrag , mich in einer gänzlichen Unwissenheit über meinen Ursprung zu lassen .
Sein Vorsatz war , so bald der Tod seines Vaters ihn zum Meister über sich selbst und seine Güter gemacht haben würde , mich von Delphi abzuholen , und nach Athen zu bringen , wo er so dann seine Verbindung mit meiner Mutter bekannt machen , und mich öffentlich für seinen Sohn und Erben erklären wollte .
Aber dieser Zufall erfolgte erst wenige Monate vor meiner Flucht , und seit demselben hatten ihn dringendere Geschäfte genötigt , meine Abholung aufzuschieben .
Nachdem mein Vater diese Erzählung geendigt hatte , ließ er einen alten Freigelassenen zu sich rufen , und fragte ihn :
Ob er den kleinen Agathon kenne , den er vor vierzehn Jahren dem Schutz des Delphischen Apollo überliefert habe ?
Der gute Alte , dessen Züge mir selbst nicht unbekannt waren , erkannte mich desto leichter , da er binnen dieser Zeit von meinem Vater etliche Male nach Delphi abgeschickt worden war , sich meines Wohlbefindens zu erkundigen .
Nunmehr wurde in wenigen Augenblicken das ganze Haus mit allgemeiner Freude erfüllt ; die Zufriedenheit meines Vaters über mich , und das Vergnügen , womit alle seine Haus-Genossen mich , als den einzigen Sohn ihres Herrn , bewillkommten , machte die Freude vollkommen , die ich bei einem so unverhofften und plötzlichen Übergang von dem Elend eines sich selbst unbekannten , nackten und allen Zufällen des Schicksals Preis gegebenen Flüchtlings zu einem so blendenden Glücks-Stand notwendig empfinden mußte .
Blendend hätte er wenigstens für manchen anderen sein können , der durch die Art seiner Erziehung weniger als ich vorbereitet gewesen wäre , einen solchen Wechsel mit Bescheidenheit zu ertragen .
Inzwischen bin ich mir selbst die Gerechtigkeit schuldig , zu sagen , daß die Versicherung , ein Bürger von Athen , und durch meine Geburt und die Tugend meiner Voreltern zu Verdiensten und schönen Taten berufen zu sein , mir ungleich mehr Vergnügen machte , als der Anblick der Reichtümer , welche die Gütigkeit meines Vaters mit mir zu teilen so begierig war , und welche in meinen Augen nur dadurch einen Wert erhielten , weil sie mir das Vermögen zu geben schienen , desto freier und vollkommener nach den Grundsätzen , die ich eingesogen hatte , leben zu können .
Ich unterhielt mich nun mit einer neuen Art von Träumen , welche durch ihre Beziehung auf meine neu entdeckten Verhältnisse für mich so wichtig , als durch ihre Ausführung eben so viele Wohltaten für das menschliche Geschlecht zu sein schienen .
Ich machte Entwürfe , wie die erhabenen Lehr-Säze meiner idealischen Sitten-Lehre auf die Einrichtung und Verwaltung eines gemeinen Wesens angewendet werden könnten .
Diese Betrachtungen , welche einen guten Teil meiner Nächte wegnahmen , erfüllten mich mit dem lebhaftesten Eifer für ein Vaterland , welches ich nur aus Geschichtsschreibern kannte ; ich zeichnete mit selbst , auf den Fußstapfen der Solons und Ariestiden , einen Weg aus , bei welchem ich an keine andere Hindernisse dachte , als solche , die durch Mut und Tugend zu überwinden sind .
Dann setzte ich mich in meinen patriotischen Entzückungen an das Ende meiner Laufbahn , und sah in Alhen , nichts geringeres als die Hauptstadt der Welt , die Gesetzgeberin der Nationen , die Mutter den Wissenschaften und Künste , die Königin des Meers , den Mittelpunkt der Vereinigung des ganzen menschlichen Geschlechts . - - Kurz , ich machte ungefähr eben so schimärische , und eben so ungeheure Projekte , als Alcibiades ; aber mit dem wesentlichen Unterschied , daß ein von Güte und allgemeiner Wohltätigkeit beseeltes Herz die Quelle der meinigen war .
Sie hatten noch dieses Besondere , daß ihre Ausführung , ( die moralische Möglichkeit derselben vorausgesetzt , ) keiner Mutter eine Träne , und keinem Menschen in der Welt mehr , als die Aufopferung seiner Vorurteile , und solcher Leidenschaften , welche die Ursachen alles Privat-Elends sind , gekostet hätten .
Ihre Ausführung schien mir , weil ich mir die Hindernisse nur einzeln , und nicht in ihrem Zusammenhäng und vereinigtem Gewichte vorstellte , so leicht zu sein , daß ich nur allein darüber verwundert war , daß ein Perikles unter den kleinfügigen Bemühungen Athen zur Meisterin von Griechenland zu machen , habe übersehen können , wie viel leichter es sei , es zum Tempel eines ewigen Friedens und der allgemeinen Glückseligkeit der Welt zu machen .
Diese schönen Spekulationen gaben etliche Mal den Stoff zu den Unterredungen ab , womit ich meinem Vater des Abends die Zeit zu verkürzen pflegte .
Die Lebhaftigkeit meiner Einbildungskraft schien ihn eben so sehr zu belustigen , als sein Herz , dessen Ebenbild er in dem meinigen erkannte , sich an den tugendhaften Gesinnungen vergnügte , welche er , wie ich selbst , ( vielleicht beide ein wenig zu parteiisch ) für die Triebfedern meiner politischen Träume hielt .
Alles , was er mir von den Schwierigkeiten ihrer Ausführung , die er mit der Quadratur des Zirkels in eine Klasse setzte , sagen konnte , überzeugte mich so wenig , als einen Verliebten die Einwendungen eines Freundes , der bei kaltem Blut ist , überzeugen werden .
Ich hatte eine Antwort für alle ; und dieser neue Schwung , den mein Enthusiasmus bekommen hatte , wurde bald so stark , daß ich es kaum erwarten konnte , mich in Athen , und in Umstände zu setzen , wo ich die erste Hand an dieses große Werk , wozu ich gewidmet zu sein glaubte , legen könnte .
Sechstes Kapitel .
Agathon kommt nach Athen , und widmet sich der Republik .
Eine Probe der besonderen Natur desjenigen Windes , welcher vom Horaz aura popularis genannt wird .
Mein Vater hielt sich nur so lange zu Korinth auf , als es seine Geschäfte erforderten , und eilte selbst , mich so bald es nur möglich war , in dieses Athen zu versetzen , welches sich meiner verschönernden Einbildung in einem so herrlichen Lichte darstellte .
Ich gestehe dir , Danae , ( und hoffe , die fromme Pflicht gegen meine Vaterstadt nicht dadurch zu beleidigen ) daß der erste Anblick mit dem was ich erwartete einen starken Absatz machte .
Mein Geschmack war zu sehr verwöhnt , um das Mittelmäßige , worin es auch sein möchte , erträglich zu finden ; er wollte gleichsam alles in diese feine Linie eingeschlossen sehen , in welcher das Erhabene mit dem Schönen zusammenfließt ; und wenn er diese Vollkommenheit an einzelnen Teilen gewahr wurde , so wollte er , daß alle zusammenstimmen , und ein sich selbst durchaus ähnliches , symmetrisches Ganzes ausmachen sollten .
Von diesem Grade der Schönheit war Athen , so wie vielleicht eine jede andere Stadt in der Welt , noch weit entfernt ; indessen hatte sie doch der gute Geschmack und die Verschwendung des Pericles , mit Hilfe der Phidias , der Alcamenen , und anderer großer Meister , in einen solchen Stand gestellt , daß sie mit den prächtigsten Städten des politesten Teils der Welt um den Vorzug streiten konnte ; und ich hielt mit Recht davor , daß die Ergänzung und Vollendung dessen , was ihr von dieser Seite noch abging , der leichteste Teil meiner Entwürfe , und eine natürliche Folge derjenigen Veranstaltungen sein werde , welche sie , meiner Einbildung nach , zum Mittelpunkt der Stärke , und der Reichtümer des ganzen Erdbodens machen sollten .
Sobald wir in Athen angekommen waren , ließ mein Vater seine erste Sorge sein , mich auf eine gesetzmäßige und öffentliche Art für seinen Sohn erkennen , und unter die Atheniensischen Bürger aufnehmen zu lassen .
Dieses machte mich eine Zeit lang zu einem Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit .
Die Athener sind , wie dir nicht unbekannt ist , mehr als irgend ein anders Volk in der Welt geneigt , sich plötzlich mit der äußersten Lebhaftigkeit für oder wider etwas einnehmen zu lassen .
Ich hatte das Glück , ihnen beim ersten Anblick zu gefallen ; die Begierde mich zu sehen , und Bekanntschaft mit mir zu machen , wurde eine Art von epidemischer Leidenschaft unter Jungen und Alten ; jene machten in kurzem einen glänzenden Hof um mich , und diese faßten Hoffnungen von mir , welche mich , ohne es an mir selbst gewahr zu werden , mit einem geheimen Stolz erfüllten , und die hochfliegende Meinung , die ich ohnehin geneigt war , von meiner Bestimmung zu fassen , bestätigten .
Dieser subtile Stolz , der sich hinter meinen besten Neigungen und tugendhaftesten Gesinnungen verbarg , und dadurch meinem Bewußtsein sich entzog , benahm mir nichts von einer Bescheidenheit , wodurch ich vor den meisten jungen Leuten meiner Gattung mich zu unterscheiden schien ; und ich gewann dadurch , nebst der allgemeinen Achtung des geringeren Teils des Volkes , den Vorteil , daß die Vornehmsten , die Weisesten und Erfahrensten mich gerne um sich haben mochten , und mir durch ihren Umgang eine Menge besondere Kenntnisse mitteilten , welche mir bei meinem frühzeitigen Auftritt in der Republik sehr wohl zu statt kamen .
Die Reinheit meiner Sitten , der gute Gebrauch , den ich von meiner Zeit machte , der Eifer , womit ich mich zum künftigen Dienst meines Vaterlandes vorbereitete , die fleißige Besuchung der Gymnasien , und der Preis , den ich in den Übungen vor den meisten meines Alters davon trug : Alles dieses vereinigte sich , das günstige Vorurteil zu unterhalten , welches man einmal für mich gefaßt hatte ; und da mir noch die Verdienste meines Vaters , und einer langen Reihe von Voreltern den Weg zur Republik bahnten ; so ist es nicht zu verwundern , daß ich in - einem Alter , worin die meisten Jünglinge nur mit ihren Vergnügungen beschäftiget sind , den Mut hatte , in den öffentlichen Versammlungen aufzutreten , und das Glück , mit einem Beifall aufgenommen zu werden , welcher mich in Gefahr setzte , eben so schnell , als ich empor gehoben wurde , so wohl durch meine eigene Vermessenheit , als durch den Neid meiner Nebenbuhler wieder gestürzt zu werden .
Die Beredsamkeit ist in Athen , und in allen Freistaaten , wo das Volk Anteil an der öffentlichen Verwaltung hat , der nächste Weg zu Ehrenstellen , und das gewisseste Mittel sich auch ohne dieselben Ansehen und Einfluß zu verschaffen .
Ich ließ es mir also sehr angelegen sein , die Geheimnisse einer Kunst zu studieren , von deren Ausübung und dem Grade der Geschicklichkeit , den ich mir darin erwerben würde , die glückliche Ausführung aller meiner Entwürfe abzuhangen schien .
Denn wenn ich bedachte , wozu Perikles und Alcibiades die Athener zu bereden gewußt hatten :
So zweifelte ich keinen Augenblick , daß ich sie mit einer gleichen Geschicklichkeit zu Maßnehmungen würde überreden können , welche , außerdem , daß sie an sich selbst edler waren , zu weit glänzenderen Vorteilen führten , ohne so ungewiß und gefährlich zu sein .
In dieser Absicht besuchte ich die Schule des Platons , welcher damals zu Athen in seinem größten Ansehen stand , und indem er die Weisheit des Socrates mit der Beredsamkeit eines Gorgias und Prodicus vereinigte , nach dem Urteil meiner alten Freunde , weit geschickter , als diese Wortkünstler , war , einen Redner zu bilden , der vielmehr durch die Stärke der Wahrheit , als durch die Blendwerke und Kunstgriffe einer hinterlistigen Dialektik sich die Gemüter seiner Zuhörer unterwerfen wollte .
Der vertrautere Zutritt , den mir dieser berühmte Weise vergönnte , entdeckte eine Übereinstimmung meiner Denkungsart mit seinen Grundsätzen , welche die Freundschaft , die ich für ihn faßte , in eine fast schwärmerische Leidenschaft verwandelte .
Sie würde mir schädlich gewesen sein , wenn man damals schon so von ihm gedacht hätte , wie man dachte , nachdem er , durch die Bekanntmachung seiner metaphysischen Dialogen , bei den Staatsleuten , und selbst bei vielen , welche seine Bewundrer gewesen waren , den Vorwurf , welchen Aristophanes ehemals ( wiewohl höchst unbillig ) dem weisen Socrates gemacht , sich mit besserem Grund oder mehr Scheinbarkeit zugezogen hatte .
Aber damals hatte Plato weder seinen Timäus noch seine Republik geschrieben .
Indessen existierte diese letztere doch bereits in seinem Gehirne ; sie gab sehr oft den Stoff zu unseren Gesprächen in den Spaziergängen der Akademie ab ; und er bemühte sich desto eifriger , mir seine Begriffe von der besten Art , die menschliche Gesellschaft einzurichten , und zu regieren , eigen zu machen , da er das Vergnügen zu haben hoffte , sie wenigstens in so fern es die Umstände zulassen würden , durch mich realisiert zu sehen .
Sein Eifer in diesem Stücke mag so groß gewesen sein , als er will , so war er doch gewiß nicht größer , als meine Begierde , dasjenige auszuüben , was er spekulierte .
Allein , da meine Vorstellung von der Wichtigkeit der Pflichten , welche derjenige auf sich nimmt , der sich in die öffentlichen Angelegenheiten mischet , der Lauterkeit und innerlichen Güte meiner Absichten proportioniert war , und ich desto weiter von Ehrsucht , und anderen eigennützigen Leidenschaften entfernt zu sein glaubte , je gewisser ich mir bewußt war , daß ich ( wenn ich es für erlaubt gehalten hätte , mich in der Wahl einer Lebensart bloß meiner Privatneigung zu überlassen , ) eine von dem Städtischen Getümmel entfernte Muße , und den Umgang mit den Musen , die ich alle zugleich liebte , der Ehre , eine ganze Welt zu beherrschen , vorgezogen hätte :
So glaubte ich mich nicht genug vorbereiten zu können , ehe ich auf einem Theater erschiene , wo der erste Auftritt gemeiniglich das Glück des ganzen Schauspiels entscheidet .
Ich widerstand bei etlichen Gelegenheiten , welche mich aufzufordern schienen , so wohl dem Zudringen meiner Freunde , als meiner eigenen Neigung , ob es gleich , seit dem Aleibiades mit so gutem Erfolg den Anfang gemacht hatte , nicht an jungen Leuten fehlte , welche , ohne sich durch andere Talente , als die Geschicklichkeit ein Gastmahl anzuordnen , sich zierlich zu kleiden , zu tanzen , und die Cithar zu spielen , bekannt gemacht zu haben , vermessen genug waren , nach einer durchgeschwärmten Nacht aus den Armen einer Buhlerin in die Versammlung des Volks zu hüpfen , und von Salben triefend mit einer Tändelhaften Geschwätzigkeit von den Gebrechen des Staats , und den Fehlern der öffentlichen Verwaltung zu plaudern .
Endlich ereignete sich ein Fall , wo das Interesse eines Frenndes , den ich vorzüglich liebte , alle meine Bedenklichkeiten überwog .
Eine mächtige Kabale hatte seinen Untergang geschworen ; er war unschuldig ; aber die Anscheinungen waren gegen ihn ; die Gemüter waren wider ihn eingenommen ; und die Furcht , sich den Unwillen seiner Feinde zu zuziehen , hielt die wenigen , welche besser von ihm dachten , zurück , sich seiner öffentlich anzunehmen .
In diesen Umständen stellte ich mich als sein Verteidiger dar .
Da ich von seiner Unschuld überzeugt war , so wirkten alle diese Betrachtungen , wodurch sich seine übrigen Freunde abschrecken ließen , bei mir gerade das Wiederspiel .
Ganz Athen wurde aufmerksam , da es bekannt wurde , daß Agathon , des Stratonegus Sohn , Auftreten würde , die Sache des schon zum voraus verurteilten Lysias zu führen .
Die Zuneigung , welche das Volk zu mir trug , veränderte auf einmal die Meinung , die man von dieser Sache gefaßt hatte ; die Athener fanden eine Schönheit , von der sie ganz bezaubert waren , in der Großmut und Herzhaftigkeit , womit ich ( wie sie sagten ) mich für einen Freund erklärte , den alle Welt verlassen und der Wut und Übermacht seiner Feinde Preis gegeben hatte .
Man tat nun die eifrigsten Gelübde , daß ich den Sieg davon tragen möchte , und der Enthusiasmus , womit einer den anderen ansteckte , wurde so groß , daß die Gegenpartei sich genötigt sah , den Tag der Entscheidung so weit hinauszusetzen , als sie für nötig hielten , um die erhitzten Gemüter sich wieder abkühlen zu lassen .
Sie sparten inzwischen keine Kunstgriffe , wodurch sie sich des Ausgangs zu versichern glaubten ; allein der Erfolg vereitelte alle ihre Maßnehmungen .
Die Zujauchzungen , womit ich von einem großen Teil des Volkes empfangen wurde , munterten mich auf ; ich sprach mit einem gesetzteren Mut , als man sonst von einem jungen Menschen erwarten konnte , der zum ersten Mal vor einer so zahlreichen Versammlung redete ; und vor einer Versammlung , wo der geringste Handwerksmann sich für einen Kenner und rechtmässigen Richter der Beredsamkeit hielt .
Die Wahrheit tat auch hier die Wirkung , die sie alle Mal tut , wenn sie in ihrem eigenen Lichte und mit derjenigen Lebhaftigkeit , welche die eigene Überzeugung des Redners gibt , vorgetragen wird ; sie überwältigte alle Gemüter .
Lysias wurde losgesprochen , und Agathon , der nunmehr der Held der Athener war , im Triumph nach Hause begleitet .
Von dieser Zeit erschien ich öfters in den öffentlichen Versammlungen ; die Leidenschaft , welche das Volk für mich gefaßt hatte , und der Beifall , der mir , wenn ich redete , entgegen flog , machten mir Mut , nun auch an den allgemeinen Angelegenheiten Teil zu nehmen ; und da das Glück beschlossen zu haben schien , mich nicht eher zu verlassen , bis es mich auf den Gipfel der Republikanischen Größe erhoben haben würde ; so machte ich auch in dieser neuen Lauf-Bahn so schnelle Schritte , daß in kurzem die Gunst , worin ich bei dem Volk stand , das Ansehen der Mächtigsten zu Athen im Gleichgewicht erhielt ; und daß meine heimlichen Feinde selbst , um dem Volk angenehm zu sein , genötigt waren , öffentlich die Zahl meiner Bewunderer zu vermehren .
Der Tod meines Vaters , der um diese Zeit erfolgte , beraubte mich eines Freundes und Führers , dessen Klugheit mir in dem gefahrvollen Ozean des politischen Lebens unentbehrlich war .
Ich wurde dadurch in den Besitz der großen Reichtümer gesetzt , mit denen er nur dadurch dem Neid entgangen war , weil er sie mit großer Bescheidenheit gebrauchte .
Ich war nicht so vorsichtig .
Der Gebrauch , den ich davon machte , war zwar an sich selbst edel und löblich ; ich verschwendete sie , um Gutes zu tun ; ich unterstützte alle Arten von Bürgern , welche ohne ihre Schuld in Unglück geraten waren ; mein Haus war der Sammelplatz der Gelehrten , der Künstler und der Fremden ; mein Vermögen stand jedem zu Diensten , der es benötigt war :
aber eben dieses war es , was in der Folge meinen Fall beförderte .
Man würde mir eher zu gut gehalten haben , wenn ich es mit Gastmalern , mit Buhlerinnen und mit einer immerwährenden Abwechslung prächtiger und ausschweifender Lustbarkeiten durchgebracht hätte .
Indes stand es eine geraume Zeit an , bis die Eifersucht , welche ich durch eine solche Lebensart in den Gemütern der Angesehensten unter den Edlen zu Athen erregte , es wagen durfte , in sichtbare Wirkungen auszubrechen .
Das Volk , welches mich vorhin geliebt hatte , fing nun an , mich zu vergöttern .
Der Ausdruck , den ich hier gebrauche , ist nicht zu stark ; denn da ein gewisser Dichter , der sich meines Tisches zu bedienen pflegte , sich einst einfallen ließ , in einem großen und elenden Gedicht mir den Apollo zum Vater zu geben , so fand diese mir selbst lächerliche Schmeichelei bei dem Pöbel ( dem ohnehin das Wunderbare allemal besser als das Natürliche einleuchtet ) so großen Beifall , daß sich nach und nach eine Art von Sage unter dem Volk befestigte , welche meiner Mutter die Ehre beilegte , den Gott zu Delphi für ihre Reizungen empfindlich gemacht zu haben .
So ausschweifend dieser Wahn war , so wahrscheinlich schien er meinen Gönnern aus der untersten Klasse ; dadurch allein glaubten sie die mehr als menschliche Vollkommenheiten , die sie mir zuschrieben , erklären , und die ungereimten Hoffnungen , welche sie sich von mir machten , rechtfertigen zu können .
Denn das Vorurteil des großen Haufens ging weit genug , daß viele öffentlich sagten , Athen könne durch mich allein zur Gebieterin des ganzen Erdbodens gemacht werden , und man könne nicht genug eilen , mir eine einzelne und unumschränkte Gewalt zu übertragen , von welcher sie sich nichts geringeres als die Wiederkehr der goldenen Zeit , die gänzliche Aufhebung des verhaßten Unterschieds zwischen Armen und Reichen , und einen seligen Müßiggang mitten unter allen Wollüsten und Ergötzlichkeiten des Lebens versprachen .
Bei diesen Gesinnungen , womit in größerem oder kleinem Grade der Schwärmerei das ganze Volk zu Athen für mich eingenommen war , brauchte es nur eine Gelegenheit , um sie dahin zu bringen , die Gesetze selbst zu Gunsten ihres Lieblings zu überspringen .
Diese zeigte sich , da Euböa und einige andere Inseln sich des ziemlich harten Joches , welches ihnen die Athener aufgelegt hatten , zu entledigen , einen Aufstand erregten , worin sie von den Spartanern heimlich unterstützt wurden .
Man konnte ( diejenige Theorie , welche man zu Hause erwerben kann , ausgenommen ) des Kriegs-Wesens nicht unerfahrener sein , als ich es war .
Ich hatte das Alter noch nicht erreicht , welches die Gesetze zu Bekleidung eines öffentlichen Amts erforderten ; wir hatten keinen Mangel an geschickten und geübten Kriegs-Leuten ; ich selbst wandte alles Ansehen , das ich hatte , an , um einen davon , den ich , seines moralischen Characters wegen , vorzüglich hoch schätzte , zum Feld-Herrn gegen die Empörten erwählen zu machen ; aber das alles half nichts gegen die warme Einbildungs-Kraft des lebhaftesten und leichtsinnigsten Volks in der Welt .
Agathon , welchem man alle Talente zutraute , und von welchem man sich berechtigt hielt , Wunder zu erwarten , -- war allein tauglich , die Ehre des Atheniensischen Namens zu behaupten , und die hochfliegenden Träume der politischen Müßiggänger zu Athen , welche bei diesem Anlas in die Wette eiferten , wer die lächerlichsten Projekte machen könne , in die Wirklichkeit zu setzen .
Diese Art von Leuten war so geschäftig , daß es ihnen gelang , den größten Teil ihrer Mitbürger mit ihrer Torheit anzustecken .
Jede Nachricht , daß sich wieder eine andere Insel aufzulehnen anfange , verursachte eine allgemeine Freude ; man würde es gerne gesehen haben , wenn das ganze Griechenland an dieser Sache Anteil genommen hätte ; auch fehlte es nicht an Zeitungen , welche das Feuer größer machten , als es war , und endlich so gar den König von Pesten in den Aufstand von Euböa verwickelten , um dem Agathon einen desto größeren Schauplatz zu geben , die Athener durch Heldentaten zu belustigen und durch Eroberungen zu bereichern .
Ich wurde also ( so sehr ich mich entgegensträubte ) mit unumschränkter Gewalt über die Armee , über die Flotten , und über die Schatz-Kammer , zum Feld-Herrn gegen die abtrünnigen Inseln ernannt ; und da ich nun einmal genötigt war , dem Eigensinn meiner Mitbürger nachzugeben , so entschloß ich mich , es mit einer guten Art zu tun , und die Sache von derjenigen Seite anzusehen , welche mir eine erwünschte Gelegenheit zu geben schien , den Anfang zur Ausführung meiner eigenen Entwürfe zu machen .
Da ich wußte , daß die Insulaner gerechte Klagen gegen Athen zu führen hatten , und eine Regierung nicht lieben konnten , von der sie unterdrückt , ausgesogen , und mit Füßen getreten wurden ; so gründete ich meinen ganzen Plan ihrer Beruhigung und Wiederbringung auf den Weg der Güte , auf Abstellung der Mißbräuche , wodurch sie erbittert worden waren , auf eine billige Mässigung der Abgaben , welche man gegen ihre Freiheiten und über ihr Vermögen , von ihnen erpreßt hatte ; und auf ihre Wiedereinsetzung in alle Rechte und Vorteile , deren sie sich als Griechen und als Bunds-Genossen , vermöge vieler besonderen Verträge , zu erfreuen haben sollten .
Allein ehe ich von Athen abreisen konnte , war es um so nötiger , die Gemüter vorzubereiten und auf einen Ton zu stimmen , der mit meinen Grundsätzen und Absichten übereinkäme , da ich sah , wie lebhaft die ausschweifenden Projekte , womit die Eitelkeit des Alcibiades sie ehemals bezaubert hatte , bei dieser Gelegenheit wieder aufgewacht waren .
Ich versammelte also das Volk , und wandte alle Kräfte der Redekunst , welche bei keinem Volk der Welt so viel vermag , als bei den Athenern , dazu an , sie von der Gründlichkeit meiner Entwürfe zu überzeugen , von welchen ich sie so viel sehen ließ , als zu Erreichung meiner Absicht nötig war .
Nachdem ich ihnen die Größe und den Flor , wozu die Republik , vermöge ihrer natürlichen Vorteile und innerlichen Stärke , gelangen könne , mit den reizendesten Farben abgemalt hatte ; bemühte ich mich zu beweisen , daß weitläufige Eroberungen , außer der Gefahr , womit sie durch die Unbeständigkeit des Kriegs-Glücks verbunden seien , den Staat endlich notwendiger Weise unter der Last ihrer eigenen Größe erdrücken müßten ; daß es einen weit sichereren und kürzeren Weg gebe , Athen zur Königin des Erdbodens zu machen , indem etwas unleugbares sei , daß allezeit diejenige Nation den Übrigen Gesetze vorschreiben werde , welche zu gleicher Zeit die klügste und die reichste sei ; daß der Reichtum allezeit Macht gebe , so wie die Klugheit den rechten Gebrauch der Macht Lehre ; daß Athen in beidem allen anderen Völkern überlegen sein werde , wenn sie auf der einen Seite fortfahre , die Pfleg-Mutter der Wissenschaften und aller nützlichen und schönen Künste zu sein ; auf der anderen aber alle ihre Gedanken darauf richte , sich in der Herrschaft über das Meer fest zu setzen ; nicht in der Absicht Eroberungen zu machen , sondern sich in eine solche Achtung bei den Auswärtigen zu setzen , daß jedermann ihre Freundschaft suche , und niemand es wagen dürfe , ihren Unwillen zu reizen ; daß für einen am Meer gelegenen Freistaat ein gutes Vernehmen mit allen übrigen Völkern , und eine so weit als nur möglich ausgebreitete Handlung , der natürliche und unfehlbare Weg sei , nach und nach zu einer Größe zu gelangen , deren Ziel nicht abzusehen sei ; daß aber hierzu die Erhaltung seiner eigenen Freiheit , und zu dieser die Freiheit aller übrigen , sonderheitlich der benachbarten , oder wenigstens ihre Erhaltung bei ihrer alten und natürlichen Form und Verfassung , nötig sei ; daß Bündnisse mit seinen Nachbarn , und eine solche Freundschaft , wobei der andere eben so wohl seinen Vorteil sind , als wir den unsrigen , einem solchen Staat weit mehr Macht , Ansehen und Einfluß auf die allgemeine Verfassung des politischen Systems der Welt geben müßten , als die Unterwerfung derselben , weil ein Freund allezeit mehr wert sei , als ein Sklave ; daß die Gerechtigkeit der einzige Grund der Macht und Dauer eines Staats , so wie das einzige Band der Gesellschaft zwischen einzelnen Menschen und ganzen Nationen , sei ; daß diese Gerechtigkeit fordre , eine jede politische Gesellschaft ( sie möge groß oder klein sein ) als unseres gleichen anzusehen , und ihr eben die Rechte zu zugestehen , welche wir für uns selbst foderten ; daß ein nach diesen Grundsätzen eingerichtetes Betragen das gewisseste Mittel sei , sich ein allgemeines Zutrauen zu erwerben , und anstatt einer gewaltsamen , und mit allen Gefahren der Tyrannie verknüpften Oberherrschaft eine freiwillig eingestandene Autorität zu behaupten , welche in der Tat von allen Vorteilen der ersteren begleitet sei , ohne die verhaßte Gestalt und schlimmen Folgen derselben zu haben .
Nachdem ich alle diese Wahrheiten in ihrer besonderen Anwendung auf Griechenland und Athen , in das stärkste Licht gesetzt , und bei dieser Gelegenheit die Torheit der Projekte des Alcibiades und anderer ehrsüchtiger Schwindelköpfe ausführlich erwiesen hatte :
Bemühte ich mich darzutun , daß der Aufstand der Inseln , welche bisher unter dem Schutz der Athener gestanden , in neuerlichen Zeiten aber durch Schuld einiger böser Ratgeber der Republik , als unterworfene Sklaven behandelt worden seien , die glücklichste Gelegenheit anbiete , auf der einen Seite das ganze Griechenland von der gerechten und edelmütigen Denkungsart der Athener zu überzeugen , auf der anderen durch eine ansehnliche Vermehrung der Seemacht , wovon die Unkosten durch die größere Sicherheit und Erweiterung der Handelsschaft reichlich ersetzt würden , sich in ein solches Ansehen zu setzen , daß niemand jenes gelinde und großmütige Verfahren , mit dem mindesten Schein , einem Mangel an Vermögen sich Genugtuung zu verschaffen , werde beimessen können .
Ich unterstützte diese Vorschläge mit allen den Gründen , welche auf die lebhafte Einbildungskraft meiner Zuhörer den stärksten Eindruck machen konnten , und hatte das Vergnügen , daß meine Rede mit einem Beifall , der meine Erwartung weit übertraf , aufgenommen wurde .
Außerdem , daß die Athener , ihrer Gemütsart nach , sich von Wahrheit und gesunden Grundsätzen eben so leicht einnehmen ließen , als von den Blendwerken einer falschen Staaskunst , wenn ihnen jene nur in einem eben so reizenden Licht , und mit eben so lebhaften Farben vorgetragen wurden , als sie verwöhnt worden waren , von einem jeden , der zu den öffentlichen Angelegenheiten redete , zu fordern ; so waren sie gleichgültig , durch was für Mittel Athen zu derjenigen Größe gelangen möge , welche das Ziel aller ihrer Wünsche war ; und ein großer Teil der Bürger , denen der Friede mehr Vorteile brachte , als der Krieg , ließen sich_es vielmehr wohlgefallen , daß dieses Ziel ihrer Eitelkeit auf eine mit ihrem Privatenuzen übereinstimmigere Art erhalten werde .
Meine heimlichen Feinde , welche nicht zweifelten , daß diese Expedition auf eine oder andere Art Gelegenheit zu meinem Fall geben würde , waren weit entfernt , meinen Maßnehmungen öffentlich zu widerstehen ; aber ( wie ich in der Folge erfuhr ) unter der Hand desto geschäftiger , ihren Erfolg zu hemmen , Schwierigkeiten aus Schwierigkeiten hervor zu spinnen , und die mißvergnügten Insulaner selbst durch geheime Aufstiftungen übermütig , und zu billigen Bedingungen abgeneigt zu machen .
Die Verachtung , womit man anfangs diesen Aufstand zu Athen angesehen hatte ; daß ansteckende Beispiel , und die Ränke anderer Griechischen Städte , welche die Obermacht der Athener mit eifersüchtigen Augen ansahen , hatten zu Wege gebracht , daß indessen auch die Attischen Kolonien , und der größte Teil der Bundesgenossen kühn genug worden waren , sich einer Unabhänglichkeit anzumaßen , deren schädliche Folgen sie sich selbst unter dem reizenden Namen der Freiheit verbargen ; es war die höchste Zeit , einer allgemeinen Empörung und Zusammenverschwörung gegen Athen zuvorzukommen ; und meine Landsleute , welche bei Annäherung einer Gefahr , die ihnen in der Ferne nur Stoff zu witzigen Einfällen und Gassenliedern gegeben hatte , sehr schnell von der leichtsinnigsten Gleichgültigkeit zu einer eben so übermäßigen Kleinmütigkeit übergienen , vergrößerten sich selbst das Übel so sehr , daß ich genötigt wurde unter Segel zu gehen , ehe die Zurüstungen noch zur Hälfte fertig waren .
Ich hatte die Vorsichtigkeit gebraucht , meinen Freund , über welchen mir die Gunst des Volks einen so unbilligen Vorzug gegeben hatte , als meinen Unterbefehlshaber mitzunehmen ; die Bescheidenheit , womit ich mich des Ansehens , welches mir meine Kommission über ihn gab , bediente , kam einer Eifersucht zuvor , die den Erfolg unserer Unternehmung hätte vereiteln können ; wir handelten aufrichtig , und ohne Nebenabsichten , nach einem gemeinschaftlich abgeredeten Plan , und das Glück begünstigte uns so sehr , daß in einer einzigen Expedition alle Inseln , Kolonien und Schutzverwandte der Athener nicht nur beruhiget , und wieder in die alte Schranken gesetzt , sondern durch die Abstellung alles dessen , wodurch sie unbilliger Weise beschwert worden waren , und durch die Bestätigung ihrer Freiheiten , die ich ihnen bewilligte , mehr als jemals geneigt gemacht wurden , die Freundschaft der Athener allen anderen Verbindungen , die ihnen angetragen worden waren , vorzuziehen .
In allem diesem folgte ich , ohne besondere Verhaltungsbefehle einzuholen , meiner eigenen Denkungsart mit desto größerer Zuversicht , da ich den ehemaligen Mißvergnügten nichts zugestanden hatte , was sie nicht so wohl nach dem Naturrecht als in Kraft älterer Verträge zu fordern vollkommen berechtiget waren , hingegen durch diese Nachgiebigkeit neue und sehr beträchtliche Vorteile für die Athener erkaufte ; Vorteile , welche dem ganzen gemeinen Wesen zuflossen , da hingegen aller Nutzen der Unterdrückung , worunter sie geseufzt hatten , lediglich in die Kassen einiger Privatleute und ehemaligen Günstlinge des Volks geleitet worden war .
Ich kehrte also mit dem Vergnügen , Gutes getan zu haben , mit dem Beifall und der lebhaftesten Zuneigung der sämtlichen Kolonien und Bundesgenossen , und mit der vollen Zuversicht , daß ich die Belohnung , die ich verdient zu haben glaubte , in der Zufriedenheit meiner Mitbürger einernten würde , an der Spitze einer dreimal stärkeren Flotte , als womit ich ausgelaufen war , nach Athen zurück .
Ich schmeichelte mir , daß ich mir durch eine so schleunige Beilegung einer Unruhe , welche so weitaussehend und gefährlich geschienen , einiges Verdienst um mein Vaterland erworben hätte .
Ich hatte aus unseren Feinden , Freunde , und aus unsicheren Untertanen , zuverlässige Bundesgenossen gemacht , deren Treue desto weniger zweifelhaft sein mußte , da ich ihre Sicherheit und ihren Wohlstand durch unzertrennliche Bande mit dem Interesse von Athen verknüpft hatte ; ich hatte , des gemeinen Schatzes zu schonen , mein eigenes Vermögen zugesetzt , und durch mehr als hundert ausgerüstete Galeeren , die ich von dem guten Willen der wieder beruhigten Insulaner erhalten , unserer Seemacht eine ansehnliche Verstärkung gegeben ; ich hatte das Ansehen der Athener befestiget , ihre Neider abgeschreckt , und ihrer Handlung einen Ruhestand verschafft , dessen Fortdauer nunmehr , wenigstens auf lange Zeiten , von ihrem eigenen Betragen abhing .
Das Vergnügen , welches sich über mein Gemüt ausbreitete , wenn ich alle diese Vorteile meiner Verrichtung überdachte , war so lebhaft , daß ich über alle andere Belohnungen , außer dem Beifall und Zutrauen meiner Mitbürger , weit hinaus sah :
Aber die Athener waren , in dem ersten Anstoß ihrer Erkenntlichkeit , keine Leute , welche Maß halten konnten .
Ich wurde im Triumph eingeholt , und mit allen Arten der Ehrenbezeugungen in die Wette überhäuft ; die Bildhauer mußten sich Tag und Nacht an meinen Statuen müde arbeiten ; alle Tempel , alle öffentlichen Plätze und Hallen wurden mit Denkmälern meines Ruhms ausgeziert ; und diejenige , welche in der Folge mit der größten Heftigkeit an meinem Verderben arbeiteten , waren jetzt die eifrigsten , übermäßige und zuvor nie erhörte Belohnungen vorzuschlagen , welche das Volk in dem Feuer seiner schwärmerischen Zuneigung gutherziger Weise bewilligte , ohne daran zu denken , daß mir diese Ausschweifungen seiner Hochachtung in kurzem von ihm selbst zu eben so vielen Verbrechen gemacht werden würden .
Da ich sah , daß alle meine Bescheidenheit nicht zureichend war , dem überfließenden Strom der Popularen Dankbarkeit Einhalt zu tun ; so glaubte ich am besten zu tun , wenn ich mich eine Zeitlang von Athen entfernte , und bis die Athenische Lebhaftigkeit durch irgend eine neue Komödie , einen fremden Gaukler , oder eine frisch angekommene Tänzerin einen anderen Schwung bekommen haben würde , auf meinem Landgut zu Korinth in Gesellschaft der Musen und Grazien einer Muße zu genießen , welche ich durch die Arbeiten eines ganzen Jahres verdient zu haben glaubte .
Ich dachte wenig daran , daß ich in einer Stadt , deren Liebling ich zu sein schien , Feinde habe , die indessen , daß ich mich mit aller Sorglosigkeit der Unschuld den Vergnügungen des Landlebens , und der geselligen Freiheit überließ , einen eben so boshaften als wohlausgesonnenen Plan zu meinem Untergang anzulegen beschäftiget seien .
Alles , womit ich mir bei der schärfsten Prüfung meines öffentlichen und Privatlebens in Athen , bewußt bin , mein Unglück , wo nicht verdient , doch befödert zu haben , ist Unvorsichtigkeit , oder der Mangel an einer gewissen Republikanischen Klugheit , welche nur die Erfahrung geben kann .
Ich lebte nach meinem Geschmack , und nach meinem Herzen , weil ich gewiß wußte , daß beide gut waren , ohne daran zu denken , daß man mir andere Absichten bei meinen Handlungen andichten könne , als ich wirklich hatte .
Ich lebte mit einer gewissen Pracht , weil ich das Schöne liebte , und Vermögen hatte ; ich tat jedermann gutes , weil ich meinem Herzen dadurch ein Vergnügen verschaffte , welches ich allen anderen Freuden vorzog ; ich beschäftigte mich mit dem gemeinen Besten der Republik , weil ich dazu geboren war , weil ich eine Tüchtigkeit dazu in mir fühlte , und weil ich durch die Zuneigung meiner Mitbürger in den Stand gesetzt zu werden hoffte , meinem Vaterland und der Welt nützlich zu sein .
Ich hatte keine andere Absichten , und würde mir eher haben träumen lassen , daß man mich beschuldigen werde , nach der Krone des Königs von Persien , als nach der Unterdrückung meines Vaterlands zu streben .
Da ich mir bewußt war niemands Haß verdient zu haben , so hielt ich einen jeden für meinen Freund , der sich dafür ausgab , um so mehr , als kaum jemand in Athen war , dem ich nicht Dienste geleistet hatte .
Aus eben diesem Grunde dachte ich gleich wenig daran , wie ich mir einen Anhang mache , als wie ich die geheimen Anschläge von Feinden , welche mir unsichtbar waren , vereiteln wolle .
Denn ich glaubte nicht , daß die Freimütigkeit , womit ich , ohne Galle oder Übermut , meine Meinung bei jeder Gelegenheit sagte , eine Ursache sein könne , mir Feinde zu machen .
Mit einem Wort , ich wußte noch nicht , daß Tugend , Verdienste und Wohltaten gerade dasjenige sind , wodurch man gewisse Leute zu dem tödlichsten Haß erbittern kann .
Eine traurige Erfahrung konnte mir allein zu dieser Einsicht verhelfen ; und es ist billig , daß ich sie wert halte , da sie mir nicht weniger , als mein Vaterland , die Liebe meiner Mitbürger , meine schönsten Hoffnungen , und das glückselige Vermögen , vielen Gutes zu tun , und von niemand abzuhangen , gekostet hat .
Siebentes Kapitel .
Agathon wird von Athen verbannt .
Der Zeitpunkt meines Lebens , auf den ich nunmehr gekommen bin , führt unangenehme Erinnerungen mit sich , als daß ich nicht entschuldiget sein sollte , wenn ich so schnell davon wegeile , als es die Gerechtigkeit zulassen wird , die ich mir selbst schuldig bin .
Es mag sein , daß einige von meinen Feinden aus Beweggründen eines republikanischen Eifers gegen mich aufgestanden sind , und sich durch meinen Sturz eben so verdient um ihr Vaterland zu machen geglaubt haben , als Harmodius und Aristogiton durch die Ermordung der Peisistratiden .
Aber es ist doch gewiß , daß diejenige , welche die Sache mit der größten Wut betrieben , keinen anderen Beweggrund hatten , als die Eifersucht über das Ansehen , welches mir die allgemeine Gunst des Volkes gab , und welches sie , nicht ohne Ursache , für ein Hindernis ihrer ehrgeizigen und gewinnsüchtigen Absichten hielten .
Die meisten glaubten auch , daß sie Privatbeleidigungen zu rächen hätten .
Einige nährten noch den alten Groll , den sie bei meinem ersten Auftritt in der Republik gegen mich faßten , da ich meinen rechtschaffenen Freund , den Wirkungen ihrer Bosheit entriß ; andere schmerzte es , daß ich ihnen bei der Wahl eines Befehlshabers gegen die Empörten Inseln vorgezogen worden war ; viele waren durch den Verlust des Vorteils , welchen sie von den ungerechten Bedrückungen derselben gezogen hatten , beleidiget worden .
Bei diesen allen half mir nichts , daß ich keine Absicht gehabt hatte sie zu beleidigen , und daß es nur zufälliger Weise dadurch geschehen war , daß ich ineiner Überzeugung und meinen Pflichten gemäß gehandelt hatte .
Sie beurteilten meine Handlungen aus einem ganz anderen Gesichtspunkte , und es war bei ihnen ein ausgemachter Grundsatz , daß derjenige kein ehrlicher Mann sein könne , der ihren Privatabsichten Schranken setzte .
Zum Unglück für mich , machten diese Leute einen großen Teil von den Edelsten und Reichesten in Athen aus .
Hierzu kam noch , daß ich meiner immer fortdauernden Liebe zu Psyche , die vorteilhaftesten Verbindungen , welche mir angeboten worden waren , aufgeopfert , und mich dadurch der Unterstützung und des Schutzes beraubet hatte , den ich mir von der Verschwägerung mit einem mächtigen Geschlecht hätte versprechen können .
Ich hatte nichts , was ich den Ränken und der vereinigten Gewalt so vieler Feinde entgegen setzen konnte , als meine Unschuld , einige Verdienste , und die Zuneigung des Volks ; schwache Brustwehren , welche noch nie gegen die Angriffe des Neides , der Arglist und der Gewalttätigkeit ausgehalten haben .
Die Unschuld kann verdächtig gemacht , und Verdiensten selbst durch ein falsches Licht das Ansehen von Verbrechen gegeben werden ; und was ist die Gunst eines enthusiastischen Volkes , dessen Bewegungen immer seinen Überlegungen zuvorkommen ; welches mit gleichem Übermaß liebet und hasset , und wenn es einmal in eine siebrische Hitze gesetzt ist , gleich geneigt ist , dieser oder einer entgegengesetzten Direktion , je nachdem es gestoßen wird , zu folgen ?
Was konnte ich mir von der Gunst eines Volkes versprechen , welches den großen Beschützer der griechischen Freiheit im Gefängnis hatte verschmachten lassen ?
Welches den tugendhaften Aristides , bloß darum , weil er den Beinamen des Gerechten verdiente , verbannet , und in einer von seinen gewöhnlichen Launen so gar den Socrates zum Gift-Becher verurteilt hatte , weil er der weiseste und tugendhafteste Mann seines Jahrhunderts war .
Diese Beispiele sagten mir sogleich bei der ersten Nachricht , die ich von dem über mir sich zusammenziehenden Ungewitter erhielt , zuverlässig vorher , was ich von den Athenern zu erwarten hätte ; sie machten , daß ich ihnen nicht mehr zutraute , als sie leisteten ; und trugen nicht wenig dazu bei , mich ein Unglück mit Standhaftigkeit ertragen zu machen , in welchem ich so vortreffliche Männer zu Vorgängern gehabt hatte .
Derjenige , den meine Feinde zu meinem Ankläger auserkoren hatten , war einer von diesen witzigen Schwätzern , deren feiles Talent gleich fertig ist , Recht oder Unrecht zu verfechten .
Er hatte in der Schule des berüchtigten Gorgias gelernt , durch die Zaubergriffe der Rede-Kunst den Verstand seiner Zuhörer zu blenden , und sie zu bereden , daß sie sähen , was sie nicht sahen .
Er bekümmerte sich wenig darum , dasjenige zu beweisen , was er mit der größten Dreistigkeit behauptete ; aber er wußte ihm einen so lebhaften Schein zu geben , und durch eine zwar willkürliche , aber desto künstlichere Verbindung seiner Sätze die Schwäche eines jeden , wenn er an sich und allein betrachtet würde , so geschickt zu verbergen , daß man , so gar mit einer gründlichen Beurteilungskraft , auf seiner Hut sein mußte , um nicht von ihm überrascht zu werden .
Der hauptsächlichste Vorwurf seiner Anklage sollte , seinem Vorgeben nach , die schlimme Verwaltung sein , deren ich mich als Ober-Befehlhaber in der Angelegenheit der empörten Schutz-Verwandten schuldig gemacht haben sollte ; denn er bewies mit großem Wort-Gepränge , daß ich in dieser ganzen Expedition nichts getan hätte , das der Rede wert wäre ; daß ich vielmehr , anstatt die Empörten zu züchtigen und zum Gehorsam zu bringen , ihren Sachwalter vorgestellt ; sie für ihren Aufruhr belohnt ; ihnen noch mehr , als sie selbst zu fordern die Verwegenheit gehabt , zugestanden ; und durch diese unbegreifliche Art zu verfahren , ihnen Mut und Kräfte gegeben hätte , bei der ersten Gelegenheit sich von Athen gänzlich unabhängig zu machen ; er bewies ( sage ich ) alles dieses nach den Grundsätzen einer Politik , welche das Widerspiel von der meinigen war , aber den Leidenschaften der Athener und eines jeden anderen Volks allzusehr schmeichelte , um nicht Eingang zu senden .
Er hatte noch die Bosheit , nicht entscheiden zu wollen , ob ich aus Unverstand oder geflissentlich so gehandelt habe ; doch erhob er auf der einen Seite meine Fähigkeiten so sehr , und legte so viel Wahrscheinlichkeiten in die andere Waagschale , daß sich der Ausschlag von selbst geben mußte .
Dieses führte ihn zu dem zweiten Teil seiner Anklage , welcher in der Tat ( ob er es gleich nicht gestehen wollte ) das Hauptwerk davon ausmachte .
Und hier wurden Beschuldigungen auf Beschuldigungen gehäuft , um mich dem Volk als einen Ehrsüchtigen abzumalen , der sich einen Plan gemacht habe , sein Vaterland zu unterdrücken , und unter dem Schein der Großmut , der Freigebigkeit und der Popularität , sich zum unumschränkten Herrn desselben aufzuwerfen .
Eine jede meiner Tugenden war die Maske eines Lasters , welches im Verborgenen am Untergang der Freiheit und Glückseligkeit der Athener arbeitete .
In der Tat hatte die Beredsamkeit meines Anklägers hier ein schönes Feld , sich zu ihrem Vorteil zu zeigen , und seinen Zuhörern das republikanische Vergnügen zu machen , eine Tugend , welche mir zu große Vorzüge vor meinen Mitbürgern zu geben schien , heruntergesetzt zu sehen .
Indessen , ob er gleich keinen Teil meines Privat-Lebens ( so untadelhaft es ehemals meinen Gönnern geschienen hatte ) unbeschmitzt ließ ; so mochte er doch besorgen , daß die Kunstgriffe , deren er sich dazu bedienen mußte , zu stark in die Augen fallen möchten .
Er raffte also alles zusammen , was nur immer fähig sein konnte , mich in ein verhaßtes Licht zu stellen ; und da es ihm an Verbrechen , die er mir mit einiger Wahrscheinlichkeit hätte aufbürden können , mangelte , so legte er mir fremde Torheiten , und selbst die ausschweifenden Ehren-Bezeugungen zur Last , welche mir in der Flut meines Glückes und meiner Gunst bei dem Volk aufgedrungen worden waren .
Ich mußte jetzt so gar für die elenden Verse Rechenschaft geben , womit einige Dichter , denen ich aus einem vielleicht zu weit getriebenen Mitleiden erlaubte , mir täglich um die Essens-Zeit ihren Besuch abzustatten , mir die Dankbarkeit ihres Magens , auf Unkosten ihres Ruhms und des meinigen , zu beweisen gesucht hatten .
Man beschuldigte mich in ganzem Ernst , daß ich übermütig und gottlos genug gewesen sei , mich für einen Sohn des delphischen Apollo auszugeben ; und mein Ankläger ließ diese Gelegenheit nicht entgehen , über meine wahre Geburt Zweifel zu erregen , und , unter vielen scherzhaften Wendungen , die Meinung derjenigen wahrscheinlich zu finden , welche ( wie er sagte ) benachrichtigt zu sein glaubten , daß ich mein Dasein den verstohlenen Liebes-Händeln irgend eines delphischen Priesters zu danken hätte .
In dieser ganzen Rede ersetzte ein von Bosheit beseelter Witz den Abgang gründlicher Beweise ; aber die Athener waren schon lange gewohnt , sich Witz für Wahrheit verkaufen zu lassen , und sich einzubilden , daß sie überzeugt würden , wenn ihr Geschmack belustigt und ihre Ohren gekitzelt wurden .
Sie machte also allen den Eindruck , und vielleicht noch mehr , als meine Feinde sich davon versprochen hatten .
Die Eifersucht , welche sie in den Gemütern anblies , verwandelte die übermäßige Zuneigung , deren Gegenstand ich zwei Jahre lang gewesen war , in einer Zeit von zwei Stunden in den bittersten Haß .
Die Athener erschraken vor dem Abgrund , an dessen Rand sie sich , durch ihre Verblendung für mich , unvermerkt hingezogen sahen .
-- Sie erstaunten , daß sie meine Unfähigkeit zur Staats-Verwaltung , meine Begierde nach einer unumschränkten Gewalt , meine weit aussehenden Absichten , und mein heimliches Verständnis mit ihren Feinden nicht eher wahrgenommen hätten ; und da es nicht natürlich gewesen wäre , die Schuld davon auf sich selbst zu nehmen , so schrieben sie es lieber einer Bezauberung zu , wodurch ich ihre Augen eine Zeitlang zu verschließen gewußt hätte .
Ein jeder glaubte nun , durch die verderblichen Anschläge , welche ich gegen die Republik gefaßt habe , von der Dankbarkeit vollkommen losgezählt zu sein , die er mir für Dienste oder Wohltaten schuldig sein mochte ; welche nun als die Lokspeise angesehen wurden , womit ich die Freiheit , und mit ihr das Eigentum meiner Mitbürger , wegzuangeln getrachtet .
Kurz : Eben dieses Volk , welches vor wenigen Monaten mehr als menschliche Vollkommenheiten an mir bewunderte , war jetzt unbillig genug , mir nicht das geringste Verdienst übrig zu lassen ; und eben diejenigen , welche auf den ersten Wink bereit gewesen wären , mir die Oberherrschaft in einem allgemeinen Zusammenlauf aufzudringen , waren jetzt begierig , mich einen Anschlag , den ich nie gefaßt , gegen eine Freiheit , deren sie sich in diesem Augenblicke selbst begaben , mit meinem Blute büßen zu sehen .
Mein Urteil war zu eben der Zeit , da mir die gewöhnliche Frist zur Verantwortung gegeben wurde , durch die Mehrheit der Stimmen schon gefällt ; und das Vergnügen , womit ich von einer unzählbaren Menge Volks ins Gefängnis begleitet wurde , würde vollkommen gewesen sein , wenn die Gesetze gestattet hätten , mich , anstatt dahin , ohne weitere Prozeß-Förmlichkeiten , zum Richt-Plaz zu führen .
So glücklich meiuen Feinden ihr Anschlag von statt gegangen war , so glaubten sie doch , sich meines Untergangs noch nicht genügsam versichert zu haben ; sie fürchteten die Unbeständigkeit eines Volks , von welchem sie wohl wußten , wie leicht es in entgegengesetzte Bewegungen zu setzen war .
Es blieb möglich , daß ich mit einer bloßen Verbannung auf einige Jahre durchwischen konnte ; und diese ließ eine Veränderung der Szene besorgen , bei welcher weder ihr Haß gegen mich , noch ihre Sicherheit , ihre Rechnung fanden .
Man mußte also noch eine andere Mine springen lassen , durch die mir , wenn ich einmal aus Athen vertrieben wäre , alle Hoffnung , jemals wieder zurückzukommen , abgeschnitten würde .
Man mußte beweisen , daß ich kein Bürger von Athen sei ; daß meine Mutter keine Bürgerin , und Stratonegus nicht mein Vater gewesen ; daß er mich , in Ermangelung eines Erben von seinem eigenen Blute , aus Haß gegen denjenigen , der es , den Gesetzen nach , gewesen wäre , angenommen und unterschoben habe ; und daß also die Gesetze mir kein Recht an seine Erbschaft zugestünden .
Da es zu Athen an Leuten niemals fehlt , welche gegen eine proportionierte Belohnung alles gesehen und gehört haben , was man will ; und da alle diejenigen gestorben waren , welche der Wahrheit das beste Zeugnis hätten geben können :
so war es meinen Gegnern ein Leichtes , alles dieses eben so gut zu beweisen , als sie meine Staats-Verbrechen bewiesen hatten .
Es wurde also eine neue Klage angestellt .
Derjenige , der sich zum Kläger wider mich aufwarf , war ein Neffe von meinem Vater , durch nichts als durch die luderlichste Lebens-Art bekannt , wodurch er sein Erb-Gut schon vor einigen Jahren verprasset hatte .
Seine Unverbesserlichkeit hatte jeu endlich der Freundschaft meines Vaters , so wie der Achtung aller rechtschaffenen Leute , beraubt ; und dieses Umstands bediente er sich nun , mich um eine Erbschaft zu bringen , die er , als der nächste Erbe , ehe mich Stratonegus für seinen Sohn erklärte , in seinen Gedanken schon verschlungen hatte .
Die Geschicklichkeit des Redners , dessen Dienste er zu Ausführung seines Bubenstücks erkaufte , der mächtige Beistand meiner Feinde , die Umstände selbst , in denen er mich unvermutet Übersiel , und vornehmlich die Gefälligkeit seiner Zeugen , alle die Unwahrheiten zu beschwören , welche er zu seiner Absicht nötig hatte : Alles dieses zusammen genommen , versicherte ihn des glücklichen Ausgangs seiner Verräterei ; und die Reichtümer , die ihm dadurch zufielen , waren in den Augen eines gefühllosen , Elenden , wie er war , wichtig genug , um mit Verbrechen , die ihn so wenig kosteten , erkauft zu werden .
Dieser letzte Streiche , der vollständigste Beweis , auf was für einen Grad die Wut meiner Feinde gestiegen war , und wie gewiß sie sich des Erfolgs hielten , ließ mir keine Hoffnung übrig , die ihrige zu Schanden zu machen .
Denn alle meine vermeinten Freunde , bis auf wenige , deren guter Wille ohne Vermögen war , hatten , so bald sie mich vom Glück verlassen sahen , mich auch verlassen ; andere , welche zwar von dem Unrecht , das mir angetan wurde , überzeugt waren , hatten den Mut nicht , sich für eine Sache , welche sie nicht unmittelbar anging , in Gefahr zu setzen ; und der einzige , dessen Charakter , Ansehen und Freundschaft mir vielleicht hätte zu statt kommen können , befand sich seit einiger Zeit am Hofe des jungen Dionysius zu Syracus .
Ich gestehe , daß ich , so lange die ersten Bewegungen dauerten , mein Unglück in seinem ganzen Umfang fühlte .
Für ein redliches , und dabei noch wenig erfahrenes Gemüt ist es entsetzlich zu empfinden , daß man sich in seiner guten Meinung von den Menschen betrogen habe , und sich zu der abscheulichen Wahl genötigt zu sehen , entweder in einer beständigen Unsicherheit vor der Schwachheit der einen , und vor der Bosheit der anderen zu leben , oder sich gänzlich aus ihrer Gesellschaft zu verbannen .
Aber die Kleinmütigkeit , welche eine Folge meiner ersten melancholischen Betrachtungen war , dauerte nicht lange .
Die Erfahrungen , die ich seit meiner Versetzung auf den Schauplatz einer größeren Welt , in so kurzer Zeit gemacht hatte , weckten die Erinnerungen meiner glücklichen Jugend in Delphi mit einer Lebhaftigkeit wieder auf , worin sie sich mir unter dem Getümmel des Städtischen und politischen Lebens niemals dargestellt hatten .
Die Bewegung meines Gemüts , die Wehmut , wovon es durchdrungen war , die Gewißheit , daß ich in wenigen Tagen von allen den Gunstbezeugungen , womit mich das Glück so schnell , und mit solchem Übermaß überschüttet hatte , nichts , als die Erinnerung , die uns von einem Traum übrig bleibt , und von allem , was ich mein genannt hatte , nichts als das Bewußtsein meiner Redlichkeit , aus Athen mit mir nehmen würde ; setzten mich auf einmal wieder in diesen glückseligen Enthusiasmus , worin wir fähig sind , dem äußersten , was die vereinigte Gewalt des Glücks und der menschlichen Bosheit gegen uns vermag , ein standhaftes Herz und ein heiteres Gesicht entgegen zu stellen .
Der unmittelbare Trost , den meine Grundsätze über mein Gemüt ergossen , die Wärme und neubeseelte Stärke die sie meiner Seele gaben , überzeugten mich von neuem von ihrer Wahrheit .
Ich verwies es der Tugend nicht , daß sie mir den Haß und die Verfolgungen der Bösen zugezogen hatte ; ich fühlte , daß sie sich selbst belohnt .
Das Unglück schien mich nur desto stärker mit ihr zu verbinden ; so wie uns eine geliebte Person desto teurer wird , je mehr wir um ihretwillen leiden .
Die Betrachtungen , auf welche mich diese Gesinnungen leiteten , lehrten mich , wie geringhaltig auf der Waage der Weisheit , alle diese schimmernden Güter sind , welche ich im Begriff war , dem Glück wieder zurückzugeben , und wie wichtig diejenige seien , welche mir keine republikanische Kabale , kein Dekret des Volks zu Athen , keine Macht in der Welt nehmen konnte .
Ich verglich meinen Zustand in der höchsten Flut meines Glückes zu Athen mit der seligen Ruhe des kontemplativen Lebens , worin ich in einer glücklichen Unwissenheit des glänzenden Elends und der wahren Beschwerden einer beneideten Größe , meine schuldlose Jugend hinweggelebt ; worin ich meines Daseins , und der inneren Reichtümer meines Geistes , meiner Gedanken , meiner Empfindungen , der eigentümlichen und von aller äußerlichen Gewalt unabhängigen Wirksamkeit meiner Seele froh geworden war , - - und glaubte bei dieser Vergleichung , alles gewonnen zu haben , wenn ich mich , mit freiwilliger Hingabe der Vorteile , die mir indessen zugefallen waren , wieder in einen Zustand zurückkaufen könnte , den mir meine Einbildungskraft mit ihren schönsten Farben , und in diesem überirdischen Lichte , worin er dem Zustande der himmlischen Wesen ähnlich schien , vormalte .
Der Gedanke , daß diese Seligkeit nicht an die Haine von Delphi gebunden sei , daß die Quellen davon in mir selbst lägen , und daß eben diese vermeintlichen Güter , welche mir mitten in ihrem Genuß so viel Unruhe zugezogen , und mich in einem immerwährenden Wirbel von mir selbst hinweggerissen hatten , die einzigen Hindernisse meines wahren Glücks gewesen seien . -- Dieser Gedanke setzte mich in eine Entzückung , die mich , zum Erstaunen meiner wenigen noch übriggebliebenen Freunde , gegen alle Bitterkeiten meines widrigen Schicksals unempfindlich machte ; und dieses ging zuletzt so weit , daß ich nach dem Tage meiner Verurteilung ganz ungeduldig wurde .
Allein eben diese Denkart , welche mir so viel Gleichgültigkeit gegen den Verlust meines Ansehens und Vermögens gab , machte , daß ich das Betragen der Athener in einem moralischen Gesichtspunkt ansah , aus welchem es mir Abscheu und Ekel erweckte .
Meine Feinde schienen mir durch die Leidenschaften , von denen sie getrieben wurden , einigermaßen entschuldiget zu sein :
Aber das Volk , welches bei meinem Umsturz nichts gewann , welches so viele Ursachen hatte , mich zu lieben , welches mich wirklich so sehr geliebt hatte , und jetzt durch eine bloße Folge seiner Unbeständigkeit und Schwachheit , ohne selbst recht zu wissen , warum , sich dummer Weise zum Werkzeug fremder Leidenschaften und Absichten machen ließ ; dieses Volk wurde mir so verächtlich , daß ich kein Vergnügen mehr an den Gedanken fand , ihm Gutes getan zu haben .
Diese Athener , die auf ihre Vorzüge vor allen anderen Nationen der Welt so eitel waren , stellten sich meiner beleidigten Eigenliebe , als ein abschätziger Haufen blöder Toren dar , die sich von einer kleinen Rotte verschmitzter Spitzbuben bereden ließen , weiß für schwarz anzusehen ; die bei aller Feinheit ihres Geschmacks , wenn es darauf ankam , über die Versifikation eines Trinklieds , oder die Füße einer Tänzerin zu urteilen , weder Kenntnis noch Empfindung von Tugend und wahrem Verdienst hatten ; die bei der heftigsten Eifersucht über ihre Freiheit , niemals größere Sklaven waren , als wenn sie ihr schimärisches Palladium am tapfersten behauptet haben ; die sich jederzeit der Führung ihrer übelgesinntesten Schmeichler mit dem blindesten Vertrauen überlassen , und nur in ihre tugendhaftesten Mitbürger , in ihre zuverlässigsten Freunde , das größte Mißtrauen gesetzt hatten .
Sie verdienen es , sagte ich zu mir selbst , daß sie betrogen werden ; aber diesen Triumph sollen sie nicht haben , zu erleben , daß Agathon sich vor ihnen demütige .
Sie sollen fühlen , was für ein Unterschied zwischen ihm und ihnen ist ; sie sollen fühlen , daß er nur desto größer ist , wenn sie ihm alle diese kindischen Zieraten von Flittergold , womit sie ihn , wie Kinder , eine auf kurze Zeit geliebte Puppe , umhängt haben wieder abnehmen ; und eine zu späte Reue soll sie vielleicht in kurzem lehren , daß Agathon ihrer leichter , als sie des Agathons entbehren können .
Du siehst , schöne Danae , daß ich mich nicht scheue , dir auch meine Schwachheiten zu gestehen .
Dieser Stolz , der zu einer desto riesenmäßigeren Gestalt aufschwoll , je mehr mich die Athener zu Boden drücken wollten , hatte ohne Zweifel einen guten Teil von eben der Eitelkeit in sich , welche ich ihnen zum Verbrechen machte ; aber vielleicht gehört er auch unter die Triebfedern , womit die Natur edle Gemüter versehen hat , um dem Druck widerwärtiger Zufälle mit gleich starker Reaktion zu widerstehen , und sich dadurch in ihrer eigenen Gestalt und Größe zu erhalten .
Die Athener rühmten ehemals meine Bescheidenheit und Mäßigung zu einer Zeit , da sie alles taten , was mich diese Tugenden verlieren machen konnte ; diese Bescheidenheit hatte mit dem Stolz , der ihnen jetzt so anstößig an mir war , daß er vielleicht mehr , als alle Bemühungen meiner Feinde zu meinem Fall beitrug , einerlei Quelle ; ich war mir eben so wohl bewußt , daß ich ihre Mißhandlungen nicht verdiente , wie ich ehemals fühlte , daß die Achtung übertrieben war , die sie mir bewiesen ; desto bescheidener , je mehr sie mich erhoben ; desto stolzer und trotziger , je mehr sie mich herunter setzen wollten .
Meine Freunde hatten sich inzwischen in der Stille so eifrig zu meinem Besten verwendet , daß sie mir Hoffnung machten , alles könne noch gut gehen , wenn ich mich entschließen könne , meine Apologie nach dem Geschmack , und der Erwartung des Volks einzurichten .
Ich sollte mich zwar von Punkt zu Punkt so vollständig rechtfertigen , als es immer möglich wäre ; aber am Ende sollte ich mich doch den Athenern auf Gnade oder Ungnade zu Füßen werfen ; meinen Feinden dürfte ich nach aller Schärfe des Selbstvertheidigungs- und Wiedervergeltungsrechts begegnen ; aber den Athenern sollte ich schmeicheln , und anstatt ihre Eigenliebe durch den mindesten Vorwurf zu beleidigen , sollte ich bloß ihr Mitleiden zu erregen suchen .
Es ist zu vermuten , daß der Erfolg diesen Rat meiner Freunde , der sich auf die Kenntnis des Characters eines freien Volks gründete , gerechtfertigt hätte : Wenigstens ist gewiß , daß die erste Bewegungen dieser Unbeständigen bereits angefangen hatten , dem Mittleiden und den Regungen ihrer vormaligen Liebe zu weichen .
Ich las es , da ich das Gerüste bestieg , von welchem ich zu dem Volk redete , in vieler Augen , wie sie nur darauf warteten , daß ich ihnen einen Weg zeigen möchte , mit guter Art , und ohne etwas von ihrer demokratischen Majestät zu vergeben , wieder zurück zu kommen .
Aber sie fanden sich in ihrer Erwartung sehr betrogen .
Die Verachtung , womit mein Gemüt beim Anblick dieses Volkes erfüllt wurde , welches mich vor wenigen Tagen mit so ausschweifender Freude ins Gefängnis begleitet hatte , und das Gefühl meines eigenen Wertes , waren beide zu lebhaft ; die Begierde , ihnen gutes zu tun , welche die Seele aller meiner Handlungen und Entwürfe gewesen war , hatte aufgehört ; ich würdigte sie nicht , eine Apologie zu machen , die ich für eine Beschimpfung meines Characters und Lebens gehalten hätte ; aber ich wollte ihnen zum letztenmal die Wahrheit sagen : Ehemals , wenn es darum zu tun gewesen war , sie von ihren eigenen wahren Vorteilen zu überzeugen , hatte ich aller meiner Beredsamkeit aufgeboten ; aber itzo , da die Rede bloß von mir selbst war , verschmähte ich den Beistand einer Kunst , worin der Ruf mir einige Geschicklichkeit zuschrieb .
In diesem Stücke blieb ich meinem gefaßten Vorsatz getreu ; aber nicht der Kürze und Gelassenheit , die ich mir vorgeschrieben hatte ; der Affekt , in den ich unvermerkt geriet , machte mich weitläufig und etlichemal bitter .
Meine Rede enthielt eine zusammengezogene Erzähiung meines ganzen Lebenslaufs in Athen ; der Grundsätze , welchen ich in der Republik gefolgt war ; und meiner Gedanken von dem wahren Interesse der Athener .
Ich ging bei dieser Gelegenheit ein wenig strenge mit ihren Urteilen und Lieblingsprojekten um ; und sagte ihnen , daß ich in der Sache der Schutzverwandten eine Probe gegeben hätte , nach was für Maximen ich jederzeit in Verwaltung des Staats gehandelt haben würde ; und da diese Maximen so weit von ihrer Gemütsbeschaffenheit und Denkart entfernt wären :
So würden sie sehr weislich handeln , einen Menschen aus ihrem Mittel zu verbannen , welcher nicht gesonnen sei , der Wahrheit und den Pflichten eines allgemeinen Freunds der Menschen zu entsagen , um ein guter Bürger von Athen zu sein .
Der Schluß meiner Rede liegt mir noch so lebhaft im Gedächtnis , daß ich ihn , zu einer Probe des Ganzen , wiederholen will .
Die Götter , ( sagte ich ) haben mich zu einer Zeit , da ich es am wenigsten hoffte , meinen Vater senden lassen :
Sein Ansehen und seine Reichtümer gaben mir viel weniger Freude , als die Entdeckung , daß ich mein Leben einem rechtschaffenen Mann zu danken hatte .
Athen wurde durch ihn mein Vaterland .
Ich sah es als den Platz an , den mir die Götter angewiesen , um das Beste der Menschen zu befödern .
Das Interesse dieser einzelnen Stadt , war in meinen Augen ein zu kleiner Gegenstand , um dem allgemeinen Besten der Menschheit vorgesetzt zu werden ; aber ich sah beides so genau mit einander verknüpft , daß ich nur alsdann gewiß sein konnte , jenes wirklich zu erhalten , wenn ich dieses beföderte .
Nach diesen Grundsätzen habe ich in meinem öffentlichen Leben gehandelt , und diese Handlungen , deren sich selbst belohnendes Bewußtsein mir in eine bessere Welt , den unvergänglichen Wohnplaz der tugendhaften Seelen , folgen wird ; diese Handlungen haben mir euren Unwillen zugezogen .
Die Athener wollen auf Unkosten des menschlichen Geschlechts groß sein ; und das werden sie so lange sein wollen , bis sie in Ketten , welche sie sich falbst schmieden , und deren sie würdig sind , sobald sie über Sklaven gebieten wollen , allen ihren Ehrgeiz auf den rühmlichen Vorzug einschränken werden , die besten Sprachlehrer , und die gelenkigsten Pantomimen in der Welt zu sein .
Aber Agathon ist nicht dazu gemacht , euren Lauf auf diesem Wege , den die Gefälligkeit eurer Redner mit Blumen bestreut , beschleunigen zu helfen .
Mein Privatleben hat euch bewiesen , daß die Grundsätze , nach welchen ich eure öffentlichen Handlungen zu leiten gewünscht hätte , die Maßregeln meines eigenen Verhaltens sind .
Mein Vermögen hat mehr zum Gebrauch eines jeden unter euch , als zu meinem eigenen gedient .
Ich habe mir Undankbare verbindlich gemacht , und diese Erfahrung lehrt mich , Güter mit Gleichgültigkeit zurückzulassen , welche ich übel anwendete , da ich sie am besten anzuwenden glaubte .
Dieses , ihr Athener , ist alles , was ich zu meiner Verteidigung zu sagen habe .
Ihr seid nun , weil euch die Menge eurer Arme zu meinen Herren macht , Meister über meine Umstände , und wenn ihr wollt , über mein Leben .
Verlangt ihr meinen Tod , so meldet mir nur , was ich in eurem Namen , dem weisen und guten Socrates sagen soll , zu dem ihr mich schicken werdet .
Begnügt ihr euch aber , mich aus euren Augen zu verbannen , so werde ich mit dem letzten Blicke nach einem einst geliebten Vaterland , eine Träne auf das Grab eurer Glückseligkeit fallen lassen ; und , indem ich aufhöre ein Athener zu sein , in der Welt , die mir offen steht , in einem jeden Winkel , wo es der Tugend erlaubt ist , sich zu verbergen , ein besseres Vaterland finden .
Es ist leicht zu vermuten , schöne Danae , daß eine Apologie aus diesem Ton nicht geschickt war , mir ein günstiges Urteil auszuwirken .
Die Erbitterung , die dadurch in den Gemütern der meisten erregt wurde , welche das angenehme Schauspiel , mich vor ihnen gedemütigt zu sehen , zu genießen erwartet hatten , war auf ihren Gesichtern ausgedrückt .
Dem ungeachtet sah ich niemals eine größere Stille unter dem Volk , als da ich aufgehört hatte zu reden .
Sie fühlten , wie es schien , wider ihren Willen , daß die Tugend auch ihren Hassern Ehrfurcht einpräget ; aber eben dadurch wurde sie ihnen nur desto verhaßter , je stärker sie den Vorzug fühlten , den sie dem beklagten , verlassenen und von allen Auszierungen des Glücks entblößten Agathon über die Herren seines Schicksals gab .
Ich weiß selbst nicht , wie es zuging , daß mir mein guter Genius aus dieser Gefahr heraushalf :
Aber , wie die Stimmen gesammelt wurden , so fand sich , daß die Richter , gegen die Hoffnung meiner Ankläger sich begnügten , mich auf ewig aus Griechenland zu verbannen , die Hälfte meiner Güter zum gemeinen Wesen zu ziehen , und die andere Hälfte meinen Verwandten zuzusprechen .
Die Gleichgültigkeit , womit ich mich diesem Urteil unterwarf , wurde in diesem fatalen Augenblick , der alle meine Handlungen in ein falsches Licht setzte , für einen Trotz aufgenommen , welcher mich alles Mitleidens unwürdig Machre ; doch erlaubte man meinen Freunden , sich um mich zu versammeln , mir ihre Dienste anzubieten , und mich aus Athen zu begleiten : welches ich , ungeachtet mir eine längere Frist gegeben worden war , noch in eben der Stunde , mit so leichtem Herzen verließ , als wie ein Gefangener den Kerker verläßt , aus dem er unverhofft in Freiheit gesetzt wird .
Die Tränen der wenigen , welche mein Fall nicht von mir verscheucht hatte , und meiner guten Hausgenossen , waren das einzige , was bei einem Abschiede , den wir auf ewig von einander nahmen , mein Herz erweichte ; und ihre guten Wünsche alles , was ich von den Wirkungen ihrer mitleidigen und dankbaren Sorgfalt annahm .
Ich befand mich nun wieder ungefähr in eben den Umständen , worin ich vor einigen Jahren unter dem Zypressenbaum im Vorhofe meines noch unbekannten Vaters zu Korinth gelegen war .
Die großen Veränderungen , die mannigfaltigen Szenen von Reichtum , Ansehen , Gewalt und äußerlichem Schimmer , durch welche mich das Glück in dieser kurzen Zwischenzeit herumgedreht hatte , waren nun wie ein Traum vorüber ; aber die wesentlichen Vorteile , die von allen diesen Begegnungen in meinem Geist und Herzen zurückgeblieben waren , überzeugten mich , daß ich nicht geträumt hatte .
Ich fand mich um eine Menge nützlicher und angenehmer Kenntnisse , um die Entwicklung meiner Fähigkeiten , um das Bewußtsein vieler guten Handlungen , und um eine Reihe wichtiger Erfahrungen , reicher als zuvor .
Ich hatte den Geist der Republiken , den Charakter des Volks , und die Eigenschaften und Wirkungen vieler mir vorher unbekannten Leidenschaften kennen gelernt , und Gelegenheiten genug gehabt , vieler irrigen Einbildungen los zuwerden , welche man sich von der Welt zu machen pflegt , wenn man sie nur von Ferne , und ohne selbst in ihre Geschäfte eingeflochten zu sein , betrachtet .
Zu Delphi hatte man mich ( zum Exempel ) gelehrt , daß sich das ganze Gebäude der Republikanischen Verfassung auf die Tugend gründe ; die Athener lehrten mich hingegen , daß die Tugend an sich selbst nirgends weniger geschätzt wird , als in einer Republik ; den Fall ausgenommen , da man ihrer vonnöten hat ; und in diesem Fall wird sie unter einem jeden Tyrannen eben so hoch geschätzt , und oft besser belohnt .
Überhaupt hatte mein Aufenthalt in Athen , die erhabene Theorie von der Vortrefflichkeit und Würde der menschlichen Natur , wovon ich eingenommen war , sehr schlecht bestätiget ; aber ich fand mich nichts desto geneigter von ihr zurückzukommen .
Ich legte alle Schuld auf die Contagion allzugroßer Gesellschaften , auf die Mängel der Gesetzgebung , auf das Privatinteresse , welches bei allen policierten Völkern , durch ein unbegreifliches Versehen ihrer Gesetzgeber , in einem beständigen Streit mit dem gemeinen Besten liegt .
Kurz , ich dachte darum nicht schlimmer von der Menschheit , weil sich die Athener unbeständig , ungerecht und undankbar gegen mich bewiesen hatten ; aber ich faßte einen desto stärkeren Widerwillen gegen eine jede andere Gesellschaft , als eine solche , welche sich auf übereinstimmende Grundsätze , Tugend und Bestrebung nach moralischer Vollkommenheit gründete .
Der Verlust meiner Güter , und die Verbannung aus Athen schien mir die wohltätige Veranstaltung einer für mich besorgten Gottheit zu sein , welche mich dadurch meiner wahren Bestimmung habe wiedergeben wollen .
Es ist sehr vermutlich , daß ich durch Anwendung gehöriger Mittel , durch das Ansehen meiner auswärtigen Freunde , und selbst durch die Unterstützung der Feinde der Athener , welche mir gleich anfangs meines Prozesses , heimlich angeboten worden war , vielleicht in kurzem wieder Wege gefunden haben könnte , meine Gegner in dem Genuß der Früchte ihrer Bosheit zu stören , und im Triumphe wieder nach Athen zurück zu kehren .
Allein solche Anschläge , und solche Mittel schickten sich nur für einen Ehrgeizigen , welcher regieren will , um seine Leidenschaften zu befriedigen .
Mir fiel es nicht ein , die Athener zwingen zu wollen , daß sie sich von mir gutes tun lassen sollten .
Ich glaubte durch einen Versuch , der mir durch ihre eigene Schuld mißlungen war , meiner Pflicht gegen die bürgerliche Gesellschaft ein Genüge getan zu haben , und nun vollkommen berechtiget zu sein , die natürliche Freiheit , welche mir meine Verbannung wieder gab , zum Vorteil meiner eigenen Glückseligkeit anzuwenden .
Ich beschloß also den Vorsatz , welchen ich zu Delphi schon gefaßt hatte , nunmehr ins Werk zu setzen , und die Quellen der morgenländischen Weisheit , die Magier , und die Gymnosophisten in Indien zu besuchen , in deren geheiligten Einöden ich die wahren Gottheiten meiner Seele , die Weisheit und die Tugend , von denen , wie ich glaubte , nur unwesentliche Phantomen unter den übrigen Menschen herumschwärmten , zu finden hoffte .
Aber ehe ich auf die Zufälle komme , durch welche ich an der Ausführung dieses Vorhabens gehindert , und in Gestalt eines Sklaven nach Smyrna gebracht wurde ; muß ich mich meiner jungen Freundin wieder erinnern , die wir seit meiner Versetzung nach Athen aus dem Gesichte verloren haben .
Achtes Kapitel .
Agathon endigt seine Erzählung .
Die Veränderung , welche mit mir vorging , da ich aus den Hainen von Delphi auf den Schauplatz der geschäftigen Welt , in das Getümmel einer volkreichen Stadt , in die unruhige Bewegungen einer zwischen der Demokratie und Aristokratie hin und her treibenden Republik , und in das moralische Chaos der bürgerlichen Gesellschaft , worin Leidenschaften mit Leidenschaften , Absichten mit Absichten , in einem allgemeinen und ewigen Streit gegen einander rennen , und unter dem unharmonischen Zusammenstoß unförmlicher Mißgestalten , nichts beständiges , noch gewisses ist , nichts das ist , was es scheint , noch die Gestalt behält die es hat . -- Diese Veränderung war so groß , daß ich ihre Wirkung , auf mein Gemüt durch nichts anders zu bezeichnen weiß , als durch die Vergleichung mit der Betäubung , worin nach meinem Freunde , Plato , unsere Seele eine Zeit lang , von sich selbst entfremdet , liegen bleibt , nachdem sie aus dem Ozean des reinen ursprünglichen Lichts , der die überhimmlischen Räume erfüllet , plötzlich in den Schlamm des groben irdischen Stoffes heruntergestürzt worden ist .
Die Menge der neuen Gegenstände , welche von allen Seiten auf mich eindrang , verschlang die Erinnerung derjenigen , welche mich so viele Jahre umgeben hatten ; und zuletzt hatte ich fast Mühe , mich selbst zu überreden , daß ich eben derjenige sei , der im Tempel zu Delphi den Fremden die Merkwürdigkeiten desselben gewiesen und erklärt hatte .
So gar das Andenken meiner geliebten Psyche wurde eine Zeit lang von diesem Nebel , der meine Seele umzog , verdunkelt ; allein dieses dauerte nur so lange , bis ich des neuen Elements , worin ich jetzt lebte , gewohnt worden war ; denn da vermißte ich ihre Gegenwart desto lebhafter wieder , je größer das Leere war , welches die Beschäftigungen und selbst die Ergötzungen meiner neuen Lebensart in meinem Herzen ließen .
Die Schauspiele , die Gastmäler , die Tänze , die Musikübungen , konnten mir jene seligen Nächte nicht ersetzen , die ich in den Entzückungen einer zauberischen Schwärmerei , an ihrer Seite zugebracht hatte .
Aber , so groß auch meine Sehnsucht nach diesen verlorenen Freuden war , so beunruhigte mich doch die Vorstellung des unglücklichen Zustands noch weit mehr , worein die rachbegierige Eifersucht der Pythia sie vermutlich versetzt hatte .
Den Ort ihres Aufenthalts ausfindig zu machen , schien beinahe eine Unmöglichkeit ; denn entweder hatte die Priesterin sie ( fern genug von Delphi , um uns alle Hoffnung des Wiedersehens zu benehmen , ) verkaufen , oder gar an irgend einer entlegenen barbarischen Küste aussetzen und dem Zufall Preis geben lassen .
Allein da der Liebe nichts unmöglich ist , so gab ich auch die Hoffnung nicht auf , meine Psyche wieder zu bekommen .
Ich belud alle meine Freunde , alle Fremden , die nach Athen kamen , alle Kaufleute , Reisende und Seefahrer mit dem Auftrag , sich allenthalben , wohin sie kämen , nach ihr zu erkundigen ; und damit sie weniger verfehlt werden könnte , ließ ich eine unzählige Menge Copeyen ihres Bildnisses machen , das ich selbst , oder vielmehr der Gott der Liebe mit meiner Hand , in der oollkommensten Ähnlichkeit , nach dem gegenwärtigen Original , gezeichnet hatte , da wir noch in Delphi waren ; und diese Copeyen teilte ich unter alle diejenigen aus , welche ich durch Verheißung großer Belohnungen , anzureizen suchte , sich für ihre Entdeckung Mühe zu geben .
Ich gestehe dir so gar , daß das Verlangen meine Psyche wieder zu finden , ( anfänglich wenigstens ) der hauptsächlichste Beweg-Grund war , warum ich mich in der Republik hervorzutun suchte .
Denn , nachdem mir alle andere Mittel fehlgeschlagen hatten , schien mir kein anderes übrig zu bleiben , als meinen Namen so bekannt zu machen , daß er ihr zu Ohren kommen müßte ; sie möchte auch sein , wo sie wollte .
Dieser Weg war in der Tat etwas weitläufig ; und ich hätte zwanzig Jahre in einem fort größere Taten tun können , als Herkules und Theseus , ohne daß die Hyrcanier , die Massageten , die Hibe_nier , oder die Lestrigonen , in deren Hände sie inzwischen hätte geraten können , mehr von mir gewußt hätten , als die Einwohner des Mondes .
Zu gutem Glück fand der Schutz-Geist unserer Liebe einen kürzeren Weg , uns zusammenzubringen ; aber in der Tat nur , um uns Gelegenheit zu geben , auf ewig von einander Abscheide zu nehmen . -- --
Hier fuhr Agathon fort , der schönen Danae die Begebenheiten zu erzählen , die ihm auf seiner Wanderschaft bis auf die Stunde , da er mit ihr bekannt wurde , zugestoßen , und wovon wir dem geneigten Leser bereits im ersten und zweiten Buche dieser Geschichte Rechenschaft gegeben haben ; und nachdem er sich auf Unkosten des weisen Hippias ein wenig lustig gemacht , entdeckte er seiner schönen Freundin ( welche seine ganze Erzählung nirgends weniger langweilig fand , als an dieser Stelle , ) alles , was von dem ersten Augenblick an , da er sie gesehen , in seinem Herzen vorgegangen war .
Er überredete sie mit eben der Aufrichtigkeit , womit er es zu empfinden glaubte , daß sie allein dazu gemacht gewesen sei , seine Begriffe von idealischen Vollkommenheiten und einem überirdischen Grade von Glückseligkeit zu realisieren ; daß er , seit dem er sie liebe , und von ihr geliebt sei , ohne seiner ehemaligen Denkungs-Art ungetreu zu werden , von dem , was darin übertrieben und schimärisch gewesen , bloß dadurch zurückgekommen sei , weil er bei ihr alles dasjenige gefunden , wovon er sich vorher , nur in der höchsten Begeisterung einer Einbildungs-Kraft einige unvollkommene Schatten-Begriffe habe machen können ; und weil es natürlich sei , daß die Einbildungs-Kraft , als der Sitz der Schwärmerei , zu wirken aufhöre , so bald der Seele nichts zu tun übrig , als anzuschauen und zu genießen .
Mit einem Wort : Agathon hatte vielleicht in seinem Leben nie so sehr geschwärmt , als jetzt , da er sich in dem höchsten Grade der verliebten Betörung einbildete , daß er alles das , was er der leichtgläubigen Danae vorsagte , eben so gewiß und unmittelbar sehe und fühle , als er ihre schönen , von dem ganzen Geist der Liebe und von aller seiner berauschenden Wollust trunkenen Augen auf ihn geheftet sah , oder das Klopfen ihres Herzens unter seinen verirrenden Lippen fühlte .
Er endigte damit , daß er ihr aus seiner ganzen Erzählung begreiflich gemacht zu haben glaube , warum es , nachdem er schon so oft bald von den Menschen , bald vom Glücke , bald von seinen eigenen Einbildungen betrogen worden , entsetzlich für ihn sein würde , wenn er jemals sich in der Hoffnung betrogen fände , so vollkommen und beständig von ihr geliebt zu werden , als es zu seiner Glückseligkeit nötig sei .
Er gestand ihr mit einer Offenherzigkeit , welche vielleicht nur eine Danae ertragen konnte , daß eine lebhafte Erinnerung an die Zeiten seiner ersten Liebe , zugleich mit der Vorstellung aller der seltsamen Zufälle , Veränderungen und Katastrophen , die er in einem Alter von fünf und zwanzig Jahren bereits erfahren habe , ihn auf eine Reihe melancholischer Gedanken gebracht , worin er Mühe gehabt habe , seine gegenwärtige Glückseligkeit für etwas wirkliches , und nicht für ein abermaliges Blendwerk seiner Phantasie , zu halten .
Eben das Übermaß derselben , sagte er , eben dies ist es , was mich besorgen machte , jemals aus einem so schönen Traum aufzuwachen .
-- Kannst du mich verdenken , liebenswürdige Danae , o du , die durch die Reizungen deines Geistes , auch ohne diese Liebeatmende Gestalt , ohne diese Schönheit , deren Anschauen himmlische Wesen dir gegenüber anzufesseln vermögend wäre , durch die bloße Schönheit deiner Seele , und den magischen Reiz eines Geistes , der alle Vorzüge , alle Gaben , alle Grazien in sich vereinigt , meinen Geist aus dem Himmel selbst zu dir herunterziehen würdest .
-- Könntest du mich verdenken , daß ich , vor dem Gedanken , deine Liebe jemals verlieren zu können , wie vor der Vernichtung meines ganzen Wesens , erzittre ? --
Laß mich , laß mich die Gewißheit , daß es nie geschehen werde , daß es unmöglich sei , immer in deinen Augen lesen , immer von deinen Lippen hören , und in deinen Armen fühlen ; und wenn diese vergötternde Bezauberung jemals aufhören soll , so nihm , im letzten Augenblick , alle deine Macht zusammen , und laß mich vor Entzückung und Liebe zu deinen Füßen sterben .
-- Von der Antwort , womit Danae diese Ergiessungen einer glühenden Zärtlichkeit erwiderte , läßt sich das Wenigste mit Worten ausdrücken ; und dieses kann sich , nach allem , was wir bereits von ihren Gesinnungen für unseren Helden gesagt haben , der kaltsinnigste von unseren Lesern so gut vorstellen , als wir es ihm sagen könnten -- oder sich es auch nicht vorstellen , wenn es ihm beliebt .
Daß sie ihm übrigens sehr höflich für die Erzählung seiner Geschichte gedankt , und eine ungemeine Freude darüber empfunden habe , in diesem Sklaven , der die Alcibiaden und den liebenswürdigen Cyrus selbst aus ihrem Herzen ausgelöscht hatte , den ruhmvollen Agathon , den Mann , den das Gerüchte zum Wunder seiner Zeit gemacht hatte , zu finden ; und daß sie ihm hierüber viel schönes gesagt haben werde -- verstehet sich von selbst .
Dieses und alles , was eine jede andere , die keine Danae gewesen wäre , in den vorliegenden Umständen auch gesagt hätte , wollen wir , nebst allen den feinen Anmerkungen und Scherzen , wodurch sie in gewissen Stellen seine Erzählung unterbrochen hatte , überhüpfen , um zu anderen Dingen , die in ihrem Gemüte vorgingen , zu kommen , welche der größte Teil unserer Leserinnen ( wir besorgen es , oder hoffen es vielmehr , ) nicht aus sich selbst erraten hätte , und welche wichtig genug sind , ein eigenes Kapitel zu verdienen .
Neuntes Kapitel .
Ein starker Schritt zur Entzauberung unseres Helden .
Die vertrauliche Erzählung , welche Agathon seiner zärtlichen Freundin von seinem ganzen Lebens-Lauf gemacht ; die Offenherzigkeit , womit er ihr die innersten Triebfedern seiner Seele aufgedeckt ; und die vollständige Kenntnis , welche sie dadurch von einem Liebhaber erhalten hatte , an dessen Erhaltung ihr so viel gelegen war ; ließen sie gar bald einsehen , daß sie vielleicht mehr Ursache habe , über die Beständigkeit seiner Liebe beunruhigt zu sei , als er über die Dauer der ihrigen .
So schmeichelhaft es für ihre Eitelkeit war , von einem Agathon geliebt zu sein ; so hätte sie doch für die Ruhe ihres Herzens lieber gewollt , daß er keine so schimmernde Rolle in der Welt gespielt hätte .
Sie besorgte nicht unbillig , daß es schwer sein würde , einen jungen Helden , der durch so seltene Talente und Tugenden zu den edelsten Auftritten des geschäftigen Lebens bestimmt schien , immer in den Blumen-Fesseln der Liebe und eines wollüstigen Müssiggangs gefangen zu halten .
Nun schien zwar die Art seiner Erziehung , der sonderbare Schwung , den seine Einbildungs-Kraft dadurch erhalten , seine herrschende Neigung zur Unabhängigkeit und Ruhe des spekulativen Lebens , welche durch die Streiche , die ihm das Glück in einer so großen Jugend bereits gespielt , eine neue Stärke bekommen hatte ; und der Hang zum Vergnügen , welcher , im Gleichmaß mit der außerordentlichen Empfindlichkeit seines Herzens , die Ruhm-Begierde und die Ambition bei ihm nur zu subalternen Leidenschaften machte -- alles dieses schien ihr zwar in dem Vorhaben , ihn der Welt zu rauben , und für sich selbst zu behalten , nicht wenig beförderlich zu sein ; aber eben diese schwärmerische Einbildungs-Kraft , eben diese Lebhaftigkeit der Empfindungen schienen ihr , auf einer anderen Seite betrachtet , mit einer gewissen natürlichen Unbeständigkeit verbunden zu sein , von welcher sie alles zu befürchten hätte .
Konnte sie , mit aller Eitelkeit , wozu sie das Bewußtsein ihrer selbst und der allgemeine Beifall berechtigte , sich selbst bereden , daß sie diese idealische Vollkommenheit wirklich besitze , welche die bezauberten Augen ihres enthustastischen Liebhabers an ihr sahen ?
Und da nicht sie selbst , sondern diese idealische Vollkommenheit der eigentliche Gegenstand seiner Liebe war , auf was für einen unsicheren Grund beruhte also eine Hoffnung , welche voraussetzte , daß die Bezauberung immer dauern werde ?
Diese letzte Betrachtung machte sie zittern ; --
denn sie fühlte mit einer immer zunehmenden Stärke , daß Agathon zu ihrer Glückseligkeit unentbehrlich geworden war . --
Aber ( so ist die betrügliche Natur des menschlichen Herzens ! ) eben darum , weil der Verlust ihres Liebhabers sie elend gemacht haben würde , hatten alle Vorstellungen , welche ihr mit seinem beständigen Besitz schmeichelten , doppelte Kraft ein Herz zu überreden , welches nichts anders suchte , als getäuscht zu sein .
Sie bildete sich also ein , daß der Hang zu demjenigen , was man die Wollust der Seele nennen kann , den wesentlichsten Zug von der Gemütsbeschaffenheit unseres Helden ausmache .
Seine Philosophie selbst schien ihr diese Meinung zu bestätigen , und , bei aller ihrer Erhabenheit über den groben Materialismus des größten Haufens der Sterblichen , in der Tat mit den Grundsätzen des Aristippus , welche vormals ihre eigenen gewesen waren , in dem nämlichen Punkt zusammenzulaufen .
Der ganze Unterschied schien ihr darin zu liegen , daß dieser die Wollust , welche er zum letzten Ziel der Weisheit machte , mehr in der angenehmen Bewegung der Sinnen , den Befriedigungen eines geläuterten Geschmacks , und den Ergötzlichkeiten eines von allen unruhigen Leidenschaften befreiten geselligen Lebens -- Agathon hingegen , diese feinere Wollust , von welcher er in den stillen Hainen des Delphischen Tempels sich ein so liebenswürdiges Phantom in den Kopf gesetzt hatte , mehr in den Vergnügen der Einbildungs-Kraft und des Herzens suchte ; eine Philosophie , bei welcher er ( nach der scharfsinnigen Beobachtung unserer Schönen ) so gar von Seiten der sinulichen Lust mehr gewann , als verlor ; indem diese von den verschönernden Einflüssen einer begeisterten Einbildung und den zärtlichen Rührungen und Ergiessungen eines gefühlvollen Herzens ihren mächtigsten Reiz erhält .
Dieses als gewiß vorausgesetzt , glaubte sie von der Unbeständigkeit , welche sie , nicht ohne Grund , als eine Eigenschaft einer wirksamen und hoch gespannten Einbildungs-Kraft ansah , nichts zu besorgen zu haben ; so lange es ihr nicht an Mitteln fehlen würde , seinen Geist und sein Herz zugleich und , mit einer solchen Abwechslung und Mannigfaltigkeit zu vergnügen , daß eine weit längere Zeit , als die Natur dem Menschen zum Geniessen angewiesen hat , nicht lange genug wäre , ihn eines so angenehmen Zustandes überdrüssig zu machen .
Sie hatte Ursache , dieses um so mehr zu glauben , da sie aus Erfahrung wußte , daß die Wirksamkeit der Einbildungs-Kraft desto mehr abnimmt , je weniger leeres der Genuß wirklicher Vergnügungen im Herzen zurückläßt , und je weniger ihm Zeit gelassen wird , etwas angenehmes als das Gegenwärtige zu wünschen .
Es ist dermalen noch nicht Zeit , daß wir über diese Grundsätze der schönen Danae unsere eigenen Gedanken sagen .
Sie mochten , von einer Seite betrachtet , richtig genug sein ; aber wir besorgen sehr , daß sie sich in dem Gebrauch der Mittel , wodurch sie ihren Zweck zu erhalten hoffte , von der Liebe betrogen finden werde .
In der Tat liebte sie zu aufrichtig und zu heftig , um gute Schlüsse zu machen ; und ihr Herz führte sie nach und nach , ohne daß sie es gewahr wurde , weit über die Grenzen der Mässigung weg , bei welcher sie sich anfangs so wohl befunden hatte .
Vielleicht mochte auch eine geheime Eifersucht über die gute Psyche ( so wenig sie gleich , aller Wahrscheinlichkeit nach , zu befürchten hatte , daß sie jemals persönlich auftreten , und das Herz ihres Liebhabers von ihr zurückfordern werde ) sich mit ins Spiel gemischt , und sie begierig gemacht haben , so gar die Erinnerung an die Freuden seiner ersten Liebe , welche ihr vielleicht noch allzulebhaft zu sein schien , aus seinem Gedächtnis auszulöschen .
So viel ist gewiß , daß sie ( vor lauter Begierde , unseren Helden mit Glückseligkeiten zu überschütten , ) ihm eine grenzenlose Liebe zu zeigen , und ihn einen solchen Grad von Wonne , über welchem dem Herzen nichts zu wünschen , und der Phantasie nichts zu denken übrig bliebe , erfahren zu machen , -- einen Weg einschlug , auf welchen sie ihres Zwecks fast notwendig verfehlen mußte .
Der vortreffliche Brief des liebenswürdigsten Moralisten der neueren Zeiten , des Saint Evremond , in den Briefen der Ninon Lenzlos an den Marquis von Sevigne , überhebt uns der Mühe , dem unerfahrenen Teil unserer schönen Leserinnen zu erklären , wie es zugehe , daß die Liebe von allzuvieler Nahrung abzehrt ; und daß ein unvorsichtiges Übermaß von Zärtlichkeit gerade das gewisseste Mittel ist , einen Ungetreuen zu machen .
Wir wollen sie also auf die bemeldete Unterweisung eines der besten Kenner des menschlichen Herzens verwiesen haben , und uns begnügen , ihnen zu sagen , daß Agathon , nachdem er ( dem neuen Plan seiner mehr zärtlichen als behutsamen Geliebten zufolge ) etliche Wochen lang von allem , was die Liebe süßes und entzückendes hat , mehr erfahren hatte , als selbst die glühende Einbildungs-Kraft des Marino fähig war , seinen Adon in den Armen der Liebes-Göttin genießen zu lassen , unvermerkt in eine gewisse Mattigkeit der Seele siel , welche wir nicht kürzer zu beschreiben wissen , als wenn wir sagen , daß sie vollkommen das Widerspiel von der Begeisterung war , worin wir ihn bisher gesehen haben .
Man würde sich vermutlich sehr irren , wenn man diese Entgeisterung einer so unedlen Ursache beimessen wollte , als diejenige war , welche den verachtenswürdigen Helden des Petronius nötigte , seine Zuflucht zu den Beschwörungen und Brenn-Nesseln der alten Enothea zu nehmen .
Nach allem , was wir von unserem Helden wissen , kann kein Verdacht von dieser Art auf ihn fallen .
Wir finden weit wahrscheinlicher , daß die wahre Ursache davon in seiner Seele lag , und aus einer Überfüllung mit Vergnügen , auf welche notwendig eine Art von Betäubung folgen mußte , ihren Ursprung nahm .
Unsere Seele ( mit Erlaubnis derjenigen Philosophen , welche von der grenzenlosen Kapazität und Unersättlichkeit ihrer Begierden so viel schönes zu sagen wissen , ) ist doch nur eines gewissen Masses von Vergnügen fähig , und kann einen anhaltenden Zustand von Entzückung eben so wenig ertragen , als eine lange Dauer des äußersten Schmerzens .
Beides spannt endlich ihre Nerven ab , und bringt sie zu einer Art von Ohnmacht , in welcher sie gar nichts mehr zu empfinden fähig ist .
Was indessen auch die Ursache einer für die Absichten der Danae so nachteiligen Veränderung gewesen sein mag ; so ist gewiß , daß die Wirkungen derselben in kurzer Zeit so sehr überhand nahmen , daß Agathon selbst Mühe hatte , sich in sich selbst zu erkennen , oder zu begreifen , wie es mit dieser seltsamen Verwandlung der Szene zugegangen sei .
Ein magischer Nebel schien vor seinen erstaunten Augen wegzufallen ; die ganze Natur zeigte sich ihm in einer anderen Gestalt , verlor diesen reizenden Firnis , den ihr der Geist der Liebe gegeben hatte ; diese Gärten , vor wenigen Tagen der geliebte Aufenthalt aller Freuden und Liebes-Götter , diese elysischen Haine , diese mäandrischen Rosen-Gebüsche , worin die lauschende Wollust sich so gerne verborgen hatte , um das Vergnügen zu haben , sich erhaschen zu lassen -- erweckten jetzt durch ihren Anblick nichts mehr , als jeder andere schattige Platz , jedes andere Gebüsche ; die Luft , die er atmete , war nicht mehr dieser süße Atem der Liebe , von dem jeder Hauch die Flammen seines Herzens stärker aufzuwehen schien ; Danae war bereits von der idealischen Vollkommenheit zu dem gewöhnlichen Wert einer jeden anderen schönen Frau herabgesunken ; und er selbst , der vor kurzem sich an Wonne den Göttern gleich geschätzt hatte , fing an , sehr starke Zweifel zu bekommen :
Ob er in dieser weibischen Gestalt , worein ihn die Liebe verkleidet hatte , den Namen eines Mannes verdiene ?
Man wird nicht zweifeln , daß in diesem Zustand die Erinnerungen dessen , was er ehemals gewesen war -- der wundervolle Traum , den er je länger je mehr für die Wirkung irgend eines wohltätigen Geistes , und vielleicht des abgeschiedenen Schattens seiner geliebten Psyche selbst , zu halten bewogen war -- die Stimme der Tugend , die er einst angebetet , und welcher er alles aufgeopfert hatte -- und die Vorwürfe , die sie ihm schon vor einiger Zeit über ein in müßiger Wollust unrühmlich dahinschmelzendes Leben zu machen angefangen , -- gute Gelegenheit hatten , sein Herz , dessen beste Neigungen selbst auf ihrer Seite waren , mit vereinigter Stärke wieder anzugreifen .
Sie hatten es fast gänzlich wieder eingenommen , als er erst deutlich gewahr wurde , wohin ihn die Betrachtungen , denen er sich überließ , notwendig führen mußten .
Er erschrak , da er sah , daß ihm nichts als die Flucht von dieser allzureizenden Zauberin seine vorige Gestalt wieder geben könne .
Sich von Danae zu treunen ! auf ewig zu trennen ! --
Dieser Gedanke benahm seiner Seele auf einmal alle die Stärke wieder , welche sie wieder in sich zu fühlen anfing , und weckte alle Erinnerungen , alle Empfindungen seiner entschlummerten Leidenschaft wieder auf .
Sie , die ihn so inbrünstig liebte , -- sie , die ihn so glücklich gemacht hatte -- zu verlassen -- für alle ihre Liebe , für alles was sie für ihn getan hatte , und auf eine so verbindliche , so edle Art getan hatte , den Qualen einer mit Undank belohnten Liebe prciß zu geben -- : Nein , zu einer so niederträchtigen , so häßlichen Tat , ( wie diese in seinen Augen war ) konnte sich sein Herz nicht entschließen .
Die Tugend selbst , welcher er seine eigene Befriedigung aufzuopfern bereit war , konnte ein so undankbares und grausames Verfahren nicht gut heißen -- Wir überlassen es der Entscheidung kalter Sitten-Lehrer : ob die Tugend das konnte , oder nicht ; aber unser Held war von dem letzteren so lebhaft überzeugt , daß er , anstatt auf Gründe zu denken , womit er die Sophistereien der Liebe hätte vernichten können , in vollem Ernst auf Mittel bedacht war , das Interesse seines Herzens und die Tugend , welche ihm nicht unverträglich zu sein schienen , auf immer mit einander zu vereinigen .
Die zärtliche Danae hatte inzwischen , wie leicht zu erachten ist , die Veränderung , welche in der Seele unseres Helden vorgegangen war , im ersten Augenblick , da sie merklich wurde , wahrgenommen .
Allein die gute Dame war weit entfernt , seinem Herzen die Schuld davon zu geben ; sie betrog sich selbst über die wahre Ursache , und glaubte , daß die Veränderung des Orts , und vielleicht eine kleine Entfernung , ihm in kurzem alle die Lebhaftigkeit der Empfindung wieder geben würde , die er verloren zu haben schien .
Die Wiederkehr in die Stadt , wo sie einander nicht immer sehen würden , wo ihre Liebe sich zu verbergen genötigt sein , und dadurch den Reiz eines geheimen Verständnisses erhalten würde , die Zerstreuungen des Stadtlebens , die Gesellschaft , die Lustbarkeiten , würden ihn ( glaubte sie ) bald genug wieder so feurig als jemals wieder in ihre Arme führen .
Sie überredete ihn also , mit ihr nach Smyrna zurückzugehen , obgleich die schöne Jahrs-Zeit noch nicht ganz zu Ende war .
Hier wußte sie , ( ohne daß es schien , daß sie Hand dabei habe , ) eine Menge Gelegenheiten zu veranstalten , wodurch sie einander seltener wurden ; wenn sie sich wieder allein befanden , flog sie ihm zwar eben so zärtlich in die Arme , als ehemals ; aber sie vermied alles , was zu jener allzuwollüstigen Berauschung ( in welche sie ihn , wenn sie wollte , durch einen einzigen Blick setzen konnte ) geführt hätte , und tat es mit einer so guten Art , daß er keinen besonderen Vorsatz dabei gewahr werden konnte : Kurz , sie wußte die feurigste Liebe unvermerkt so geschickt in die zärtlichste Freundschaft zu verwandeln , daß Agathon , welcher weder Kunst noch Absicht unter ihrem Betragen argwohnte , ganz treuherzig in die Schlinge fiel , und in kurzem wieder so zärtlich und dringend wurde , als ob er erst anfangen müßte , sich um ihr Herz zu bewerben .
Zwar war es nicht in ihrer Gewalt , ihm diese Begeisterung mit allem ihrem zauberischen Gefolge wieder zu geben , welche , wenn sie einmal verschwunden ist , nicht wieder zu kommen pflegt ; aber die Lebhaftigkeit , womit ihre Reizungen auf seine Sinnen , und die Empfindungen der Dankbarkeit und Freundschaft auf sein Herz wirkten , brachten doch ungefähr die nämliche Phänomena hervor ; und da man gewohnt ist , gleiche Wirkungen gleichen Ursachen zu zuschreiben , so ist es nicht unbegreiflich , wie beide sich eine Zeitlang hierin betrügen konnten , ohne nur zu vermuten , daß sie betrogen würden .
Es ist sehr zu vermuten , daß es bei dieser schlauen Mässigung , wodurch die schöne Danae die Folgen ihrer vorigen Unvorsichtigkeit wieder gut zu machen wußte , um unseren Helden geschehen gewesen wäre ; und daß seine Tugend unter diesem zweifelhaften Streit mit seiner Leidenschaft , bei welchem wechselsweise bald die eine , bald die andere die Oberhand behielt , endlich gefällig genug worden wäre , sich mit ihrer schönen Feindin in einen vielleicht nicht allzurühmlichen Vergleich einzulassen , und die Glückseligkeit der liebenswürdigen Danae dadurch auf immer sicher zu stellen ; wenn nicht der unglücklichste Zufall , der ihr mit einem so sonderbaren Mann , als Agathon war , nur immer begegnen konnte , sie auf einmal mit seiner Hochachtung alles dessen beraubt hätte , was sie noch im Besitz seines Herzens erhalten hatte .
Eine einst geliebte Person behält ( auch wenn das Fieber der Liebe vorbei ist ) noch immer eine große Gewalt über unser Herz , so lange sie unsere Hochachtung nicht verloren hat , Agathon war zu edelmütig , die schöne Danae für die Schwachheit , welche sie gegen ihn gehabt hatte , ( das einzige , was die Hochachtung hätte vermindern können , welche sie durch so viele schöne Eigenschaften des Geistes und des Herzens verdiente , ) dadurch zu bestrafen , daß er ihr deswegen nur das mindeste von der seinigen entzogen hätte .
Aber so bald es dahin gekommen war , daß er sich in seiner Meinung von ihrem Charakter und moralischen Werte betrogen zu haben glaubte ; so bald er sich gezwungen sah , sie zu verachten ; hörte sie auf , Danae für ihn zu sein ; und durch eine ganz natürliche Folge wurde er in dem nämlichen Augenblick wieder Agathon .
Ende des ersten Teils .

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TextGrid Repository (2025). Wieland, Christoph Martin. Geschichte des Agathon: Teil 1. Bildungsromankorpus. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0dj.0